Trump oder Brexit?
Ursachen und Ausprägungen des EU-Rüstungsschubs
von Jürgen Wagner
Forderungen nach einer »Weltmacht EUropa« und einem Ausbau des EU-Militärapparates gibt es schon lange, seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 werden sie aber besonders lautstark artikuliert. Allerdings handelt es sich nun nicht mehr um rhetorische Absichtsbekundungen, vielmehr haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs in einem schwindelerregenden Tempo darangemacht, die »Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (GSVP) voranzutreiben. Im Folgenden werden die wichtigsten aktuellen GSVP-Projekte – Hauptquartier, PESCO und Rüstungshaushalt – vorgestellt und die Ursachen für die Geschäftigkeit untersucht. Dabei zeigt sich, dass sämtliche Vorhaben bereits vor der Wahl Donald Trumps auf den Weg gebracht wurden, auch wenn er gerne als Rechtfertigung herangezogen wird. Insofern liegt es nahe, dass der aktuelle EU-Rüstungsschub weniger mit einem neuen Präsidenten im Weißen Haus als mit anderen Ursachen zu tun hat.
Unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps meldete sich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini geradezu trotzig folgendermaßen zu Wort: „In den kommenden Monaten und Jahren – man kann sogar sagen: in diesen Stunden – wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa geben von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen »Sicherheits-Dienstleister« wird wachsen. Die Forderung nach einer Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit glaubt.“ 1 Fast genau so klingt auch die »Entschließung zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik«, die das Europäische Parlament am 14. Dezember 2016 verabschiedete: „Das Europäische Parlament […] betont, dass die EU ihre Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten stärken muss, da sie ihr volles Potenzial als Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie ihre einzigartige »Soft Power« im Rahmen eines umfassenden EU-Ansatzes mit »Hard Power« kombiniert.“ 2
Ganz ähnliche Forderungen werden verstärkt auch in den Medien geäußert, wobei sich besonders ein Artikel mit dem vielsagenden Titel »Weltmacht! Echt jetzt?« hervortat, der von nicht weniger als zehn Redakteur*innen der Wochenzeitung »DIE ZEIT« gezeichnet wurde: „Nach der Wahl Donald Trumps erkennen die Europäer, dass sie künftig selbst ihre Interessen durchsetzen und ihre Sicherheit garantieren müssen – und was dem noch alles im Wege steht. […] Europa muss nicht »Weltmacht« werden im amerikanischen Sinne, mit Flugzeugträgergruppen, die stählern durch alle Weltmeere pflügen. […] Europa hat Interessen in Afrika, in einem Teil von Asien (Syrien! Afghanistan!) und an all seinen Außengrenzen, vom Balkan bis Marokko, vom Atlantik bis tief ins südliche Mittelmeer. Hier Mitverantwortung zu übernehmen, weit über den eigenen Kontinent hinaus – auch das ist Weltmacht. Regional begrenzte Weltmacht ganz gewiss, aber auch zum Glück. Aber für eine ziemlich große Region.“ 3
Obwohl es schon seit einiger Zeit Bestrebungen gibt, die für erforderlich gehaltene »hard power« zur Unterfütterung der eigenen Weltmachtansprüche aufzubauen, kamen diesbezügliche Versuche viele Jahre nur schleppend voran. Der wohl wichtigste Grund hierfür: Großbritannien erstickte aus Sorge um seine eigene militärpolitische Bewegungsfreiheit nahezu alle entsprechenden Initiativen schon im Keim. Hieraus erklärt sich die kaum verhohlene Freude, die manche Militärpolitiker*innen angesichts des bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens an den Tag legten. So meldete sich etwa Elmar Brock, damals Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, unmittelbar nach dem britischen Austrittsreferendum am 23. Juni 2016 folgendermaßen zu Wort: „Der Brexit hat auch gute Seiten. […] Jahrelang haben uns die Briten aufgehalten. Jetzt geht es endlich voran.“ 4
Globalstrategie und Bratislava-Agenda
Lediglich fünf Tage nach dem britischen Austrittsreferendum nahm der EU-Rat am 28. Juni 2016 eine neue Globalstrategie an, die seither das wichtigste Rahmendokument für die EU-Außen- und Militärpolitik ist. Das Dokument nennt als „Interessen“ ein „offenes und faires Wirtschaftssystem“ und den „Zugang zu Ressourcen“. Dies beinhalte den „Schutz“ von Handelswegen „im Indischen Ozean“, „im Mittelmeer“, am „Golf von Guinea“ bis hin zum „Südchinesischen Meer“ und der „Straße von Malakka“. In diesen Regionen sieht sich EUropa berufen, – notfalls militärisch – für »Ordnung« zu sorgen, insbesondere in seinem unmittelbaren Umfeld: „Die EU wird sich – praxisorientiert und auf Prinzipien gestützt – für die Friedenskonsolidierung einsetzen; dabei werden wir die Bemühungen auf unsere östlichen und südlichen Nachbarregionen konzentrieren, während weiter entfernte Einsätze von Fall zu Fall erörtert werden.“
Hierfür sollen Kapazitäten für „autonome“ – also unabhängig von der NATO und damit den USA durchführbare – Militärinterventionen aufgebaut werden: „Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss. […] Eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und eine glaubwürdige GSVP.“ 5
Noch einen Tag vor Annahme der EU-Globalstrategie gaben die damaligen Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, die Richtung vor, als sie am 27. Juni 2016 das Papier »Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt« vorlegten. In ihm wurde gefordert, Deutschland und Frankreich müssten, nicht zuletzt indem sie ihre „Anstrengungen auf dem Gebiet der Verteidigung verstärken“, vorangehen, um „die EU Schritt für Schritt zu einem unabhängigen und globalen Akteur zu entwickeln“.6 Am 12. September 2016 wurde ein zweites deutsch-französisches Papier veröffentlicht, diesmal von den damaligen Verteidigungsministern beider Länder. Daraufhin knotete EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die deutsch-französischen Vorschläge in seiner »Rede zur Lage der Union«7 am 14. September 2016 zu einem Bündel zusammen, das fortan als »Bratislava-Agenda« der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Ein Hauptquartier für mehr EU-Kriege
Auffällig an Junckers »Rede zur Lage der Union« war der scharfe Ton, den der Kommissionspräsident anschlug: „Mit zunehmenden Gefahren um uns herum reicht Soft Power allein nicht mehr aus. […] Europa muss mehr Härte zeigen. Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Europa kann es sich nicht mehr leisten, militärisch im Windschatten anderer Mächte zu segeln oder Frankreich in Mali allein zu lassen. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, unsere Interessen und die europäische Art zu leben zu verteidigen.“
Wenn sich die EU bisher zu einem Militäreinsatz entschied, konnte sie nicht auf stehende Planungs- und Führungskapazitäten zurückgreifen. Stattdessen musste zunächst bei den Einzelstaaten abgefragt werden, welches Land denn bereit wäre, ein Hauptquartier zur Verfügung zu stellen. Da hierdurch reibungslose und vor allem häufige Einsätze erheblich erschwert wurden, bestand eine erste Forderung Junckers darin, diesen »Missstand« zu beheben: „In den letzten zehn Jahren haben wir uns in über 30 zivilen und militärischen EU-Missionen von Afrika bis Afghanistan engagiert. Doch ohne dauerhafte Struktur können wir nicht wirksam agieren. Dringende Operationen verzögern sich. Es ist an der Zeit, dass wir für diese Operationen ein gemeinsames Hauptquartier einrichten.“
Bereits am 6. März 2017 verständigte sich der Rat, ein solches Hauptquartier unter dem Namen »Militärische Planungs- und Führungsfähigkeit« ins Leben zu rufen. Eine Zeitlang sperrte sich Großbritannien noch gegen das Vorhaben, lenkte aber schließlich ein, sodass der endgültige Beschluss Anfang Juni 2017 gefällt wurde. Anfangs darf das Hauptquartier nur nicht-exekutive Einsätze (vor allem Trainings- und Ausbildungsmissionen) leiten. Doch dürfte diese Einschränkung längerfristig kaum Bestand haben, wie etwa SPIEGEL ONLINE schreibt: „Insbesondere Deutschland wünscht sich noch größere Fortschritte, hieß es in Diplomatenkreisen. So könnte die neue Zentrale später auch »exekutive« EU-Militäreinsätze führen – also nicht nur Trainings- und Beratungsmissionen, sondern auch Einsätze mit möglicher Waffengewalt wie etwa die Anti-Piratenmission »Atalanta« und die Marinemission »Sophia« im Mittelmeer. Sie werden bisher von den Hauptquartieren in den Mitgliedstaaten geleitet.“ 8
PESCO: Historischer Rüstungsschub?
Als zweiter wichtiger Baustein für den Ausbau des EU-Militärapparates forderte Juncker in seiner »Rede zur Lage der Union« die Aktvierung der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit«, englisch »Permanent Structured Cooperation« oder PESCO. Sie wurde zwar theoretisch bereits 2009 mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt, aber ebenfalls lange von Großbritannien blockiert. Mit PESCO können Teile der EU-Militärpolitik per Mehrheitsentscheidung auf Gruppen ausgelagert werden, die nicht alle Staaten umfassen, was einer Aushebelung des in diesem Bereich geltenden Konsensprinzips gleichkommt. Erschwerend kommt hinzu, dass Länder, die sich an PESCO beteiligen wollen, bestimmte »Teilnahmekriterien« erfüllen müssen. Hierüber soll ein zusätzlicher Rüstungsdruck ausgeübt werden. Es ist daher kein Zufall, dass eine Studie der »Generaldirektion Auswärtige Politik« des Europaparlaments die PESCO-Verpflichtungen mit den Maastricht-Kriterien der Eurozone verglich.9
Bei PESCO handelt es sich vor allem um ein deutsch-französisches Projekt, das aus nachvollziehbaren Gründen bei einigen kleinen und mittleren Mitgliedstaaten auf erhebliche Skepsis stieß. Dies erklärt, weshalb deutsche Spitzenpolitiker PESCO freudig begrüßten, als das Konzept am 13. November 2017 im Grundsatz beschlossen wurde. Noch am selben Tag meldete sich Außenminister Sigmar Gabriel zu Wort und sprach von einem „Meilenstein der europäischen Entwicklung“ und einem großen „Schritt in Richtung Selbstständigkeit und Stärkung der Sicherheits– und Verteidigungspolitik der EU“. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini stufte die Entscheidung sogar als einen „historischen Moment für die europäische Verteidigung“ ein.10
Über die PESCO-Teilnahmebedingungen wurde lange und intensiv gestritten; sie wurden schließlich im »Aktivierungspapier«11 festgelegt, das am 13. November 2017 von 23 Ländern unterzeichnet wurde. Mit dem am 8. Dezember 2017 vorgelegten und wenige Tage später verabschiedeten Ratsbeschluss zur Begründung von PESCO wurde das Projekt endgültig auf den Weg gebracht.12 Mit dem Ratsbeschluss schlossen sich auch Portugal und Irland PESCO an, sodass nur noch Dänemark, Malta und Großbritannien abseits bleiben. Rüstungsnahe Stimmen äußerten sich eher enttäuscht ob der der getroffenen Vereinbarungen, was vor allem an der teils schwammigen Formulierung der jeweiligen PESCO-Verpflichtungen liegt. Näher betrachtet hat das Dokument aber durchaus das Potenzial, den EU-Militarisierungsprozess weiter voranzutreiben.
Zu den relativ unverbindlichen Formulierungen gehören etwa die Verpflichtung, die Militärausgaben regelmäßig inflationsbereinigt zu erhöhen, oder das Bekenntnis, die Rüstungsinvestitionen sukzessive auf mindestens 20 % des Militärbudgets anzuheben. Auch bei anderen Passagen, wie etwa denen zur Bereitstellung strategischer Fähigkeiten oder zur »besseren« Finanzierung von EU-Rüstungsprojekten und EU-Einsätzen, fehlten genaue Angaben, wozu sich die Länder eigentlich verpflichtet haben.
Auf der anderen Seite müssen teilnahmewillige Länder aber beispielsweise verpflichtend Truppen für die EU-Battlegroups bereitstellen, um bei PESCO mitmachen zu dürfen. Verbindlich ist auch die Verpflichtung, sich an mindestens einem PESCO-Projekt zum Aufbau strategisch relevanter Militärkapazitäten zu beteiligen. Im Dezember 2017 drangen Details zur deutschen Beteiligung an die Öffentlichkeit: „Deutschland übernimmt in der neuen EU-Verteidigungszusammenarbeit die Führung bei vier von insgesamt 17 Militärprojekten. Unter deutscher Koordinierung sollen ein Sanitätskommando, Logistikdrehscheiben, ein Zentrum für Trainingsmissionen sowie eine Stelle zum Aufbau schnellerer Krisenreaktionskräfte geschaffen werden.“ 13
Um den »Erfolg« von PESCO zu garantieren, müssen die teilnehmenden Länder die Einhaltung ihrer Zusagen künftig extern durch die EU-Verteidigungsagentur »evaluieren« lassen. Im »Aktivierungspapier« heißt es dazu: „Dieser [Evaluierungs-] Bericht wird detailliert über den Stand der PESCO-Implementierung Auskunft geben, einschließlich der Einhaltung der Verpflichtungen jedes Mitgliedsstaates in Übereinstimmung mit seinem Nationalen Implementierungsplan.“ 14 Unklar ist, wie mit PESCO-Mitgliedern umgegangen werden soll, deren Rüstungsbemühungen »negativ« evaluiert werden. Ob über diese Prüfberichte genug Druck erzeugt werden kann, dass die Teilnehmerstaaten in die »richtige« Richtung rüsten, dürfte deshalb maßgeblich darüber entscheiden, ob mit PESCO wirklich ein »historischer« Militarisierungsschritt eingeleitet wurde.
Milliarden für die Rüstung
Die letzte Ankündigung Junckers in seiner »Rede zur Lage der Union« vom September 2016, die in diesem Artikel thematisiert werden soll, ist zugleich die spektakulärste: „Eine starke europäische Verteidigung braucht eine innovative europäische Rüstungsindustrie. Deshalb werden wir noch vor Jahresende einen Europäischen Verteidigungsfonds vorschlagen, der unserer Forschung und Innovation einen kräftigen Schub verleiht.“ 15 Dabei handelt es sich um alles andere als eine Selbstverständlichkeit, schließlich verbietet Artikel 41(2) des Lissabon-Vertrages die Verwendung des EU-Haushalts für „Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“.16
Dennoch legte die EU-Kommission wenige Wochen später, am 30. November 2016, mit dem »Verteidigungs-Aktionsplan« erste Details für den besagten EU-Rüstungshaushalt vor. Im Kern enthält er den kurz darauf, im Dezember 2016, vom Europäischen Rat grundsätzlich gebilligten Vorschlag, im nächsten EU-Haushalt (für die Jahre) 2021-2027 jährlich 500 Mio. Euro für Rüstungsforschung und satte fünf Mrd. Euro für die Beschaffung von Rüstungsgütern auszuloben – zusammen also 38,5 Mrd. Euro.17 Am 7. Juni 2017 veröffentlichte die EU-Kommission weitere Einzelheiten: Der Start des Fonds soll um zwei Jahre auf 2019 vorverlegt und bis einschließlich 2020 der Betrag von 2,59 Mrd. Euro bereitgestellt werden. Danach soll es bei den beschriebenen 5,5 Mrd. Euro jährlich bleiben, wovon jedes Jahr 1,5 Mrd. aus dem EU-Haushalt und der Rest von den Mitgliedsstaaten stammen sollen. Die Kommission legte am selben Tag einen entsprechenden Verordnungsvorschlag vor, der von Parlament und Rat im Laufe des Jahres 2018 als prioritäres Projekt verabschiedet werden soll.18 Um das Ganze legal zu gestalten, stellte die Kommission den Rüstungshaushalt auf die Rechtsgrundlage der Wettbewerbsförderung, da diesbezügliche Maßnahmen im Gegensatz zur Militärpolitik aus dem EU-Budget finanziert werden können.19
Rüstung mit oder gegen Trump?
Wie aus der vorigen Darstellung klar geworden sein sollte, entwickelt sich der EU-Militärbereich in jüngster Zeit überaus dynamisch. Somit drängt sich die Frage auf, inwieweit es sich hier um Maßnahmen handelt, die auch oder womöglich sogar primär gegen die USA gerichtet sind. Dabei lässt sich zunächst festhalten, dass die USA in einem machtpolitisch rauer werdenden Klima schon länger nicht mehr in der Lage sind, die westlichen Interessen in dem Ausmaß weitgehend im Alleingang durchsetzen zu können, wie dies früher der Fall war. Dies hat wenig mit Donald Trump und viel mit den veränderten internationalen Machtverhältnissen zu tun, wie Außenminister Sigmar Gabriel im Dezember 2017 verdeutlichte: „Der US-Rückzug geht nicht auf die Politik eines einzelnen Präsidenten zurück. Er wird sich auch nach der nächsten Wahl nicht grundlegend ändern. […] Wir müssen einsehen: Entweder wir versuchen selbst in dieser Welt zu gestalten oder wir werden vom Rest der Welt gestaltet. […] Die heute noch fehlende Machtprojektion der Europäischen Union hat jedenfalls dazu geführt, dass überall dort, wo sich die USA tatsächlich oder scheinbar zurückgezogen haben, keine Hinwendung zu Europa erfolgt ist, sondern zu anderen Staaten, von denen operationalisierte Macht weit eher erwartet wird: im Nahen Osten z.B. zu Russland und in Afrika zu China.“ 20
Weiter lässt sich feststellen, dass – auch wenn es innerhalb des Establishments durchaus die eine oder andere Stimme gibt, die unter Verweis auf Donald Trump für einen Bruch mit den USA plädiert – es für die Mehrheit der deutschen und europäischen Entscheidungsträger*innen weiterhin viele Gründe für ein enges Bündnis mit den USA gibt, Trump hin oder her. So erteilte beispielsweise der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, Plänen zur »Gegenmachtbildung« mit folgenden Argumenten eine Absage: „Erstens würden wir die vielen Millionen Amerikaner ignorieren, die eben nicht Donald Trump gewählt haben. […] Anstatt uns pauschal von den USA abzuwenden, sollten wir mit all jenen zusammenarbeiten, die an einer Bewahrung der transatlantischen Wertegemeinschaft interessiert sind. […] Zweitens ist es nicht so, dass überall auf der Welt Partner Schlange stünden, die mit Europa die liberale Weltordnung verteidigen wollten. […] Langfristig wird die liberale Weltordnung nur Bestand haben, wenn sie von beiden Pfeilern der transatlantischen Partnerschaft gestützt wird. Drittens übersehen jene, die jetzt zu einer europäischen Gegenmachtbildung zu den USA aufrufen, dass diese Option in Wahrheit gar nicht besteht. Die Europäer können kurz- und mittelfristig nicht auf die US-amerikanische Sicherheitsgarantie verzichten.“ 21
Ischinger ist mit seiner Meinung nicht allein: „Mit 521 Führungsspitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung ist das F.A.Z.-Capital-Elite-Panel die am ranghöchsten besetzte repräsentative Umfrage in Europa. Unter den Teilnehmern sind 85 Vorstände von Unternehmen mit mehr als 20000 Beschäftigten, 24 Minister und Ministerpräsidenten und 33 Leiter von Bundes- und Landesbehörden. [… Die Umfrage kommt zu dem Ergebnis], dass die allermeisten Führungskräfte bisher nicht glauben, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis durch Trump dauerhaften Schaden erleidet. […] Eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben hält eine Mehrheit gleichwohl für wichtig oder sehr wichtig.“ 22
Es geht also darum, im Verbund der EU die USA beim Erhalt der westlichen Machtposition zu unterstützen. Dies erfordert größere militärische Beiträge, die sich in Form von mehr Mitspracherechten im Bündnis auszahlen sollen. Zwar eröffnet der Brexit nun die Möglichkeit, lange geplante Rüstungsvorhaben umzusetzen, sie müssen aber dennoch gegenüber einer skeptisch eingestellten Bevölkerung legitimiert werden. Und hier zeigt sich der eigentliche »Wert« Donald Trumps, denn unter Verweis auf ihn argumentieren derzeit die einen, es sei nun zwingend erforderlich aufzurüsten, um nicht länger auf die USA angewiesen zu sein. Andere hingegen plädieren für ein verstärktes militärisches Engagement mit dem Verweis, Trump könnte seine Drohung wahr machen und das Engagement der USA in NATO und Europa substanziell reduzieren.
Egal wie Trump in der derzeitigen Debatte also gedreht und gewendet wird, es läuft stets auf die Forderung nach einem Ausbau des EU-Militärapparates hinaus.
Anmerkungen
1) Zitiert nach Küster, K. (2016a): Mehr Sicherheit mit einer europäischen Armee? Deutschlandfunk, 14.11.2016.
2) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.12.2016 zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (2016/2036(INI)): europaparl.europa.eu.
3) Bittner, J. u.a. (2016): Weltmacht! Echt jetzt? ZEIT ONLINE, 19.11.2016.
4) Zitiert nach Küstner, K. (2016b): Deutsch-französische Strategie zur Verteidigungspolitik. Deutschlandfunk, 13.9.2016.
5) Rat der Europäischen Union: Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln – Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (EUGS), Brüssel, 28.6.2016; europa.eu.
6) Ayrault, J.-M.; Steinmeier, F.-W. (2016): Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt. 27.6.2016; auswaertiges-amt.de.
7) Juncker, J.C. (2016): Rede zur Lage der Union: Hin zu einem besseren Europa – Einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt. Straßburg, 14.9.2016; europa.eu.
8) Becker, M. (2017): EU wächst militärisch zusammen – zumindest ein bisschen. SPIEGEL ONLINE, 6.3.2017.
9) European Parliament – Directorate-General for External Policies (2017): Permanent Structured Cooperation – national perspectives and state of play. Study, July 2017, S. 30; europarl.europa.eu.
10) EU-Staaten bauen an Verteidigungsunion. heute.de, 13.11.2017.
11) Notification on Permanent Structured Cooperation (PESCO), 23.11.2017; consilium.europa.eu.
12) Council of the European Union (2017): COUNCIL DECISION establishing Permanent Structured Cooperation (PESCO) and determining the list of Participating Member States. Dokumentnr. 14866/17, 8.12.2017, S. 1.
13) Deutschland soll vier Militärprojekte anführen. n-tv, 9.12.2017.
14) Notification …, op.cit.
15) Juncker (2016), op.cit.
16) Vertrag über die Europäische Union (Konsolidierte Fassung). In: Amtsblatt der Europäischen Union vom 26.10.2012, S. 37.
17) Europäische Kommission (2016): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan. Brüssel, 30.11.2016, Dokument COM(2016) 950 final; ec.europa.eu.
18) Siehe dazu Wagner, J.; Lösing, S. (2017): EU-Rüstung ohne Rechtsgrundlage. Blätter für deutsche und internationale Politik. 10/2017, S. 41-44.
19) Wagner, J.; Lösing S. (2017), op.cit.
20) Gabriel, S. (2017): Europa in einer unbequemeren Welt. Rede vom 5.12.2017; auswaertiges-amt.de.
21) Ischinger, W. (2017): Einbinden, Einfluss nehmen. Süddeutsche Zeitung, 15.2.2017.
22) Göbel, H. (2017): Die EU kann alles – nur keine Sicherheit. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.7.2017.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (imi-online.de).