Mehr als eine Billion Dollar

Mehr als eine Billion Dollar

Das Budget der USA für Militär, Rüstung und Verteidigung

von William D. Hartung

Bei all dem Geschrei nach mehr Geld durch Militär, Politik und den Präsidenten sollte man nicht glauben, dass es dem Pentagon nie besser ging. Das Verteidigungsministerium der USA erhält weit mehr als eine halbe Billion Dollar pro Jahr, mit steigender Tendenz. Inflationsbereinigt ist der Verteidigungsetat höher als in den 1980er Jahren, als der damalige US-Präsident Ronald Reagan den Etat massiv aufstockte, und nähert sich wieder den Spitzenwerten seit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei ist das allenfalls die halbe Wahrheit, denn für »Verteidigung« werden zusätzlich Hunderte Milliarden Dollar ausgegeben, die nicht im Haushalt des Pentagon auftauchen. Auch wenn die Angaben vom Juli 2017 stammen – die Absurditäten des US-Sicherheitsstaates haben nicht erst mit Donald Trump begonnen.

Um einen Eindruck von den wahren Kosten für unsere bisherigen, heutigen und künftigen Kriege zu bekommen, müssen wir uns die entsprechenden Budgetzahlen genau anschauen. Die für diesen Zweck aufgewandten Gelder sind das Lebenselixier des nationalen Sicherheitsstaates. Dabei geht es um insgesamt zehn Kategorien nationaler Sicherheitsausgaben – und nur eine davon ist für das Pentagon. Wappnen Sie sich also für eine Tour durch das Billionen-Dollar-Budget der USA für »nationale Sicherheit«. Angesichts der Neigung des Pentagon, Geld zu verschwenden, und der Tendenz unserer Regierung, ohne Ende Kriege zu führen, die gefährlich und töricht sind, ist eines von Anfang an klar: Der größte Teil dieser horrenden Summen, die von unseren Steuergeldern bezahlt werden, dient in keiner Weise dazu, uns sicherer zu machen.

1. Das Pentagon-Budget

Der offizielle Etat des Pentagon umfasst die Kosten für Ausbildung, Ausrüstung und den laufenden Betrieb des US-Militärs sowie für die zahlreichen Zivilangestellten des Pentagon zu Friedenszeiten. Wenn Verschwendung ein Garten Eden ist, dann sind wir hier im Paradies.

Der Haushalt des Pentagon ist geprägt von Verschwendung, was kaum verwundert angesichts der einzigen großen Regierungsbehörde, die noch nie einer Rechnungsprüfung unterzogen wurde. So befand letztes Jahr z.B. das Defense Business Board, ein Beratungsgremium des Verteidigungsministeriums, dass das Pentagon über fünf Jahre 125 Mrd. US$ sparen könnte, wenn es seine überbordende Bürokratie stutzt. Und jüngst zeigte der Generalinspekteur des Pentagon in einer Studie auf, dass das Ministerium Hunderte Empfehlungen ignorierte, die zu Einsparungen von mehr als 33,6 Mrd. US$ geführt hätten.

Das Pentagon kann noch nicht einmal genaue Zahlen nennen, wie viele Mitarbeiter privater Subunternehmen es beschäftigt, es sind aber auf jeden Fall mehr als 600.000, und viele von ihnen sind mit Aufgaben betraut, die viel besser von Regierungsangestellten erledigt würden. Mit einer Reduzierung der hohen Zahl von Vertragsbeschäftigten um 15 % könnte das Pentagon pro Jahr 20 Mrd. US$ sparen – und das wäre erst der Anfang, wenn es darum geht, die überflüssige doppelte Stellenbesetzung durch Regierungsangestellte und private Arbeitskräfte zu beseitigen.

Das sind nur die offensichtlichsten Beispiele unsinniger Ausgaben im Verteidigungsministerium. Die Einsparungen könnten noch viel größer sein, würde das Pentagon seine globalen Ambitionen zurückfahren, die in den letzten 15 Jahren nichts als Ärger brachten und dafür sorgten, dass das US-Militär im Irak, in Afghanistan, in Syrien und anderswo im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika verheerende und kontraproduktive Kriege führt. Ben Friedman vom libertären Cato Institute schätzt, das Pentagon könnte im nächsten Jahrzehnt eine ganze Billion Dollar sparen, wenn Washington seine interventionistischen Instinkte zügeln und sich einfach auf die Kerninteressen der USA konzentrieren würde.

Bekanntermaßen bewarb sich Donald Trump um die Präsidentschaft als Geschäftsmann, der aufräumen und in der Regierung eine noch nie dagewesene Effizienz durchsetzen würde. Stattdessen hat er sich seit seinem Amtsantritt vor allem dadurch hervorgetan, dass er die chronischen Probleme im Pentagon ignoriert und für 2018 eine deftige Etaterhöhung auf 575 Mrd. US$ vorgeschlagen hat. Und selbst diese expansive Finanzplanung für das Militär wirkt bescheiden im Vergleich zu den Wünschen übereifriger Mitglieder der Armed Services Committees [Verteidigungsausschüsse] von Repräsentantenhaus und Senat des US-Kongresses. Demokraten ebenso wie Republikaner wollen das Pentagon-Budget 2018 auf mindestens 600 Mrd. US$ hochtreiben. Da die Kämpfe im Kongress über das endgültige Budget weitergehen, belassen wir es für den Moment bei den von Trump geforderten Ausgaben.1

2. Das Kriegsbudget

Die Kriege dieses Jahrhunderts, von Irak bis Afghanistan und darüber hinaus, wurden überwiegend nicht aus dem regulären Pentagon-Budget finanziert, sondern über ein Sonderkonto. Das Kriegsbudget – in der antiseptischen Sprache des Pentagon als »Overseas Contingency Operations« [Notfalleinsätze im Ausland] bekannt – erreichte seinen Höchststand von 180 Mrd. US$ während der bewaffneten Irak-Intervention der Regierung Bush [jr.].

Die Truppenzahl im Irak und in Afghanistan ist seither von etlichen Hunderttausend auf etwa 15.000 Soldat*innen stark zurückgegangen, das Kriegsbudget hingegen ist wundersamerweise nicht annähernd so stark gefallen. Für dieses gilt noch nicht einmal die bescheidene Deckelung des regulären Pentagon-Budgets, die vom Kongress 2011 im Rahmen des Haushaltsstreits und einem Deal zur Aufrechterhaltung der Regierungstätigkeit verhängt und bis heute nicht aufgehoben wurde.

Vielmehr hat sich das Kriegsbudget in den letzten fünf Jahren zum Reptilienfond entwickelt, aus dem das Pentagon Dutzende von Milliarden Dollar für Posten bezahlt, die mit Kriegsführung nicht das Geringste zu tun haben. Die Trump-Regierung fordert für dieses Budget für das Finanzjahr 2018 64,4 Mrd. US$. Einige Kongressmitglieder würden gerne noch 10 Mrd. US$ oben drauf packen. Für diese Zusammenstellung nehmen wir hier auch die von Trump geplanten Zahlen.

3. Atomsprengköpfe (und mehr)

Die Kosten für Forschung, Entwicklung, Aufrechterhaltung und »Modernisierung« der 6.800 US-Atomwaffen fallen bei einer obskuren Behörde an, die zum Energieministerium gehört: der National Nuclear Security Administration. Die NNSA ist auch zuständig für Atomreaktoren der US Navy, für die Sanierung der durch die Atomwaffenfabriken verseuchten Umwelt und für die Finanzierung der drei Atomwaffenlabors. Dafür stehen pro Jahr mehr als 20 Mrd. US$ zur Verfügung.

4. »Sonstige Verteidigung«

Dieser Sammelbegriff umschreibt mehrere verteidigungsbezogene Finanzströme, die nicht an das Pentagon, sondern an andere Behörden gehen, und umfasst pro Jahr etwa 8 Mrd. US$. In den letzten Jahren wurden etwa Zweidrittel dieser Gelder für »Homeland Security«-Aktivitäten des FBI ausgewiesen – das entspricht mehr als dem halben Jahresetat dieser Behörde.

Die vier bislang genannten Kategorien machen das aus, was das Budget Office [Haushaltbüro] des Weißen Hauses insgesamt für »nationale Verteidigung« ausweist. Die 677,6 Mrd. US$ erzählen aber bei Weitem nicht die ganze Geschichte.

5. Heimatschutz

Nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 schuf der Kongress eine Mega-Behörde: das Department of Homeland Security [Ministerium für Heimatschutz]. Ihm wurden 22 existierende Einheiten unterstellt, die alle mit innerer Sicherheit und Grenzschutz zu tun haben. Dieses wuchernde Ministerium hat inzwischen 240.000 Beschäftigte. Wer es genau wissen will, unter dem Dach des Heimatschutzministeriums sind momentan u.a. folgende Einrichtungen angesiedelt: Coast Guard [Küstenwache], Federal Emergency Management Agency [Bundesagentur für Katastrophenschutz], Federal Law Enforcement Training Center [Bundespolizeiakademie], Domestic Nuclear Detection Office [Amt für die Detektion nuklearer Strahlung im Inland], Citizenship and Immigration Services [Einwanderungs- und Ausländerbehörde], Customs and Border Protection Agency [Zoll und Grenzschutz], Transportation Security Agency [Amt für Verkehrssicherheit], Secret Service [u.a. zuständig für den Schutz der Regierungsmitglieder], Immigration and Customs Enforcement Agency [Amt für Einwanderungs- und Zollkontrolle] und Office of Intelligence Analysis [Amt für Aufklärungsanalyse]. Letzteres ist der einzige von 17 US-Geheimdiensten, der tatsächlich in den originären Aufgabenbereich des Heimatschutzministeriums passt.

Wie viele dieser Behörden machen uns wirklich sicherer? Darüber ließe sich trefflich streiten, wenn tatsächlich jemand Interesse an dieser Debatte hätte. Das Amt für Einwanderungs- und Zollkontrolle – in den USA zuständig für Abschiebungen – z.B. hat viel mehr Leid verursacht als uns vor Kriminellen und Terroristen geschützt. Andererseits ist es beruhigend, dass es eine Behörde gibt, die den Auftrag hat herauszufinden, ob sich in unserer Mitte eine Atombombe oder eine radioaktive »schmutzige« Bombe befindet.

Auch wenn es schwer ist, das Pentagon zu übertrumpfen, hat das Heimatschutzministerium seine eigene Bilanz fragwürdiger Ausgaben für große und kleine Posten. Sie reichen von 1.000 US$ Gebühr pro Teilnehmer*in für Konferenzen in Wellnesshotels über den Kauf von Dudelsäcken für Grenzschutzbeamte bis hin zu Dutzenden erstaunlich fetter Gehälter für Bürokraten der Behörde. Am zehnten Jahrestag der Gründung des Heimatschutzministeriums kritisierte der Kongressabgeordnete Jeff Cuncan (Republikaner, South Carolina) heftig, das Ministerium sei »voller Verschwendung«, und verwies dabei u.a. auf einen Bericht des Generalinspekteurs der Behörde, der über eine Milliarde Dollar Fehlausgaben anprangerte.

Das Heimatschutzministerium sollte eigentlich Kräfte bündeln, um die Vereinigten Staaten vor inneren Bedrohungen zu schützen. Inzwischen scheint es aber wie ein Magnet immer mehr Ausgaben für planlose, verfehlte und zuweilen sogar gefährliche Vorhaben anzuziehen. Dazu gehört z.B. ein Programm, das lokalen Polizeibehörden den Kauf von Ausrüstung ermöglicht , die für militärische Zwecke ausgelegt ist – nicht etwa zum Einsatz gegen Terrorist*innen, sondern gegen Bürger*innen, die gegen Unrechtsakte just der Behörden protestieren, die vom Heimatschutzministerium mit Waffen ausgerüstet werden.

Die Regierung Trump forderte für das Finanzjahr 2018 einen Etat in Höhe von 50 Mrd. US$ für das Ministerium.

6. Militärhilfe

Die Programme der US-Regierung für Militärhilfe wurden in diesem Jahrhundert deutlich ausgeweitet. Die Vereinigten Staaten führen Dutzende Waffen- und Trainingsprogramme für mehr als 140 Länder durch. Dies summiert sich auf über 18 Mrd. US$ pro Jahr, etwa 40 % davon aus dem Etat des State Department [Außenministerium]. Der Anteil des Pentagon an diesen Programmen ist im regulären Verteidigungshaushalt enthalten, die 7 Mrd. US$ des Außenministeriums nicht. Dabei kann es sich solche Ausgaben kaum leisten, da sein Etat von der Trump-Administration ohnehin ausgehöhlt wird.

7. Geheimdienste

Die Regierung der Vereinigten Staaten unterhält 16 separate Geheimdienste: Central Intelligence Agency [CIA, ziviler Auslandsgeheimdienst]; National Security Agency [NSA; militärischer Auslandsgeheimdienst, zuständig für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation; der Chef der NSA ist gleichzeitig Chef des US Cyber Command]; Defense Intelligence Agency [militärischer Nachrichtendienst]; FBI [fungiert u.a. als Inlandsgeheimdienst]; State Department Bureau of Intelligence and Research [Amt für Aufklärung und Forschung des Außenministeriums]; Department of Homeland Security Office of Intelligence Analysis [Büro für Nachrichtenanalyse des Heimatschutzministeriums]; Drug Enforcement Administration Office of National Security Intelligence [Nationaler Geheimdienst der Drogenbehörde]; Treasury Department Office of Intelligence and Analysis [Geheimdienst des Finanzministeriums]; Department of Energy Office of Intelligence and Counterintelligence [Büro für Aufklärung und Gegenspionage des Energieministeriums]; National Reconnaissance Office [Nationales Amt für Aufklärung, betreibt die militärischen Spionagesatelliten]; National Geospatial Intelligence Agency [Nationale Agentur für Fernaufklärung]; Air Force Intelligence, Surveillance, and Reconnaissance [Spionage, Überwachung und Aufklärung der Luftwaffe]; Army Military Intelligence [Heeresnachrichtendienst]; Office of Naval Intelligence [Marinenachrichtendienst]; Marine Corps Intelligence [Nachrichtendienst der Marineinfanterie]; Coast Guard Intelligence [Nachrichtendienst der Küstenwache]. Über ihnen allen thront das Office of the Director of National Intelligence [Büro des Leiters der US-Geheimdienste], der dieses weitgespannte Geheimdienstnetz koordinieren soll. Das macht zusammen also 17 Geheimdienstorganisationen.

Die USA werden 2018 mehr als 70 Mrd. US$ für diese Geheimdienste ausgeben. Der größte Brocken davon, einschließlich der Budgets für die CIA und die NSA, kommt aus dem Etat des Pentagon. Aus anderen Etats kommen bestenfalls ein paar Milliarden Dollar; aus Gründen der Geheimhaltung gibt es dazu keine genauen Informationen. Der Einfachheit halber setzen wir an dieser Stelle also einfach null Dollar an.

8. Unterstützung für Veteranen

Die Zahl der Veteranen erhöht sich durch die Kriege im Irak und in Afghanistan ständig, sodass die Kosten für die Unterstützung der Veteranen nach ihrer Rückkehr in die USA dramatisch steigen. Viele der Veteranen sind versehrt, manche brauchen ihr Leben lang medizinische Behandlung. Für 2018 beläuft sich der Etatantrag des Bundesamtes für Kriegsveteranen auf 186 Mrd. US$ – das ist mehr als dreimal so viel wie vor der militärischen Intervention in Afghanistan 2001.

9. Renten und Pensionen für militärisches Personal

Der Treuhandfonds, der die Bezüge von Militärangehören im Ruhestand und von hinterbliebenen Familienmitgliedern decken soll, reicht nicht annähernd aus, um alle Ansprüche zu decken. Daher wird dieser Fonds im Rahmen des allgemeinen Haushaltsgesetzes regelmäßig aufgestockt, inzwischen um etwa 80 Mrd. US$ pro Jahr.

10. Anteil der Militärausgaben an den Schuldzinsen der USA

Bekanntlich weist der Haushalt der US-Regierung regelmäßig ein Defizit aus, und die Staatsschulden wachsen. Inzwischen belaufen sich die Zinszahlungen für diese Schulden auf etwa 500 Mrd. US$ pro Jahr. Das Project on Government Oversight [eine Nichtregierungsorganisation] hat ausgerechnet, dass der Anteil der Militärausgaben an den Schuldzinsen des Landes mehr als 100 Mrd. US$ pro Jahr beträgt.

Mehr als eine Billion

Insgesamt kommen also knapp 1,1 Billionen US$ zusammen, um die vergangenen Kriege zu bezahlen, die laufenden Kriege zu finanzieren und für künftige militärische Auseinandersetzungen vorzusorgen. Das ist fast das Doppelte des offiziellen Haushaltsansatzes für das Pentagon für das Finanzjahr 2018. Die meisten Steuerzahler*innen haben keine Ahnung, dass mehr als eine Billion pro Jahr für die so genannte »nationale Verteidigung« ausgegeben wird – die heutzutage besser »nationale Unsicherheit« genannt werden sollte.

Wenn Sie also wieder mal den Präsidenten, den Verteidigungsminister, den Generalstabsvorsitzenden oder Falken aus dem Kongress jammern hören, dass das US-Militär mangels Finanzen praktisch vor dem Kollaps stehe, glauben Sie kein Wort. Donald Trump mag letztlich eine Plutokratie im Weißen Haus etabliert haben, die militärische Variante davon hat es sich im Pentagon und dem übrigen nationalen Sicherheitsstaat aber schon lange bequem gemacht. Um in der Terminologie des US-Präsidenten zu bleiben: Eines ist sicher – Pentagon & Co. gehören zum oberen ein Prozent.

Haushaltsansatz 2018 der US-Regierung für Militär, Rüstung und Verteidigung

Pentagon-Budget (siehe Endnote 1)

575 Mrd. US$

Kriegsbudget (Auslandseinsätze)

64,6 Mrd. US$

Atomsprengköpfe (Energieministerium)

20 Mrd. US$

»Sonstige Verteidigung«

8 Mrd. US$

Heimatschutzministerium

50 Mrd. US$

Militärhilfe (Außenministerium)

7 Mrd. US$

Geheimdienste

70 Mrd. US$ (überwiegend im Pentagon-Etat, Rest geheim, daher hier nicht mitgezählt)

Veteranen

186 Mrd. US$

Ruhestandsbezüge
(zusätzlich zum Treuhandfond)

80 Mrd. US$$

Anteil an den Schuldzinsen der USA

100 Mrd. US$

Gesamt

1.090 Mrd US$ ˜ 1,1 Billionen US$

Anmerkung

1) Am 12.12.2017 verabschiedete der US-Kongress für das Finanzjahr 2018 einen Verteidigungshaushalt in Höhe von 695,9 Mrd. US$, mit 613,8 Mrd. US$ Grundfinanzierung, 74,6 Mrd. US$ für Auslandseinsätze (Overseas Contingency Operations; siehe »2. Kriegsbudget« in diesem Artikel) sowie 7,5 Mrd. US$ für »mandatory spending« (pflichtgemäße Ausgaben). Siehe H.R. 2810 – National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2018; govtrack.us/congress/bills/115/hr2810. [die Übersetzerin]

William D. Hartung ist Geschäftsführer des Arms and Security Project am Center for International Policy (ciponline.org) in Washington, D.C. und Autor zahlreicher Studien und Publikationen. 2010 veröffentlichte er »Prophets of War – Lockheed Martin and the Making of the Military-Industrial Complex« (New York: PublicAffairs, 304 S.).
Die Originalfassung dieses Text enthält zahlreiche Links zu Quellen, auf die sich der Autor stützt; siehe »Tomgram: William Hartung, The Trillion-Dollar National Security Budget« vom 25. Juli 2017 auf tomdispatch.com.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen; die Erläuterungen in eckigen Klammern wurden von ihr hinzugefügt.

»Tailored Deterrence«


»Tailored Deterrence«

Eine Nuklearpolitik für Donald Trump

von Otfried Nassauer

Jeder US-Präsident, der zum ersten Mal gewählt wird, muss dem Kongress nach einem Amtsjahr eine Blaupause seiner künftigen Nuklearpolitik vorlegen. Donald Trump hat das jetzt getan. »Nuclear Posture Review« (NPR) heißt das Dokument. Anfang Februar 2018 wurde es öffentlich vorgestellt. Es unterscheidet sich nur wenig von einem Entwurf, der bereits im Januar kursierte.

Der »Nuclear Posture Review« soll unter anderem auf folgende Fragen antworten:

  • Wie soll sich das Nuklearwaffenpotential der USA in Zukunft verändern?
  • Welche politische und militärische Rolle sollen die US-Atomwaffen künftig erfüllen?
  • Wird der Bau neuer oder anderer Kernwaffen verfolgt?
  • Wie geht es mit der nuklear-industriellen Infrastruktur, mit der atomaren Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitungspolitik weiter?

Trumps NPR entwirft das Konzept einer »maßgeschneiderten Abschreckung«, einer »tailored deterrence«. Über 40 Mal kommt in dem Dokument das Wort »tailored« vor. Mit diesem NPR hat Donald Trump einem Dokument zugestimmt, das vorgeblich Krieg und Atomwaffeneinsätze durch eine flexiblere Abschreckung verhindern will, aber von anderen Staaten als ziemlich konfrontativ und bedrohlich wahrgenommen werden dürfte. Auf jeden Fall verspricht es teuer zu werden.

Maßgeschneiderte Abschreckung – das Konzept

Neu ist diese Idee einer »tailored deterrence« nicht. Sie wurde bereits in der ersten Amtszeit von George W. Bush unter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt und Anfang 2004 im Entwurf eines künftigen »Strategic Deterrence Joint Operating Concept« [Teilstreitkräfteübergreifendes Operationskonzept für die strategische Abschreckung] durch das Pentagon vorgestellt. Knapp drei Jahre später, Ende Dezember 2006, wurde daraus eine offizielle, von Rumsfeld unterzeichnete Zukunftskonzeption für die US-Streitkräfte, die den Titel »Deterrence Operations – Joint Operating Concept – Version 2.0« [Abschreckungsoperationen – Teilstreitkräfteübergreifendes Operationskonzept – Version 2.0] trug.

In der verbleibenden Amtszeit Bushs blieb es allerdings eine bloß doktrinäre Konzeption des Militärs, nicht zuletzt, weil Rumsfeld sein Ministeramt aufgab und der Kongress weiterhin den Bau von Atomwaffen mit kleiner und kleinster Sprengkraft nicht unterstützte.

Das blieb auch unter Bushs Nachfolger Barack Obama so, der in seinem »Nuclear Posture Review« 2010 festlegte, er wolle „keine neuen und keine Nuklearwaffen mit neuen Fähigkeiten“ entwickeln lassen.1

Unter Obama griff dessen republikanischer Verteidigungsminister Chuck Hagel die Bezeichnung »tailored deterrence« 2013 auf, um die bilateral mit Südkorea vereinbarte Abschreckungsstrategie gegen Nordkorea zu beschreiben.

Wofür steht der Ansatz tailored deterrence jetzt? Im Kern und verkürzt:

Um potentielle regionale oder strategische Gegner von einem Atomwaffeneinsatz gegen die USA oder deren Verbündete abzuschrecken oder um sie von einer nuklearen Eskalation in einem nichtnuklearen Konflikt abzuhalten, sollen diese potentiellen Gegner jeweils mit einer auf sie maßgeschneiderten Strategie abgeschreckt werden. Dazu gehört unter anderem auch, dass die Meinungsbildung, der politische Wille und das Handeln dieser Gegner gezielt so beeinflusst werden sollen, dass sie von ihnen unterstellten Plänen für potentielle Nuklearwaffeneinsätze ablassen, weil diese ihnen aussichtslos erscheinen.

Gegnerische Akteure sollen aufgrund politischen Drucks, militärischer Drohungen und der Einschätzung der militärischen Fähigkeiten der USA zu dem Schluss kommen, dass es für sie in einer militärischen Auseinandersetzung nichts zu gewinnen gibt, weil im eigenen Land unakzeptable Schäden entstünden, während man selbst den USA und deren Verbündeten höchstens begrenzten Schaden zufügen könnte. Dazu bedarf es aufseiten der USA, folgt man den Autoren des NPR, möglichst flexibel einsetzbarer militärischer Möglichkeiten offensiver und defensiver Art, mit denen man den betreffenden Gegnern drohen kann.

Die atomaren Waffen der USA müssten möglichst glaubwürdig einsetzbar sein. Ihre Sprengkraft und die ungewollten Kollateralschäden, die sie anrichten würden, dürften nicht so groß sein, dass die USA selbst vor ihrem Einsatz zurückschrecken könnten. Zudem müsse es eine flexible, auch auf regionale Bedrohungen ausgerichtete Raketenabwehr geben, die auf die jeweiligen offensiven gegnerischen Fähigkeiten zugeschnitten sei. Sie müsse das Bild einer glaubwürdigen Verteidigungsmöglichkeit gegen einen Angriff auf die USA und deren Verbündete vermitteln. Die Tatsache, dass sich mehr als 30 Staaten weltweit auf den Schutz durch die atomaren Waffen Washingtons, die so genannte erweiterte Abschreckung verließen, mache zudem deutlich, wie wichtig es sei, dass die nukleare Abschreckung der USA auch den Verbündeten in den verschiedenen Weltregionen glaubwürdig erscheine.

Angesichts der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der potentiellen Gegner Washingtons, der ebenfalls jeweils spezifischen Sicherheitssituation in den unterschiedlichen Weltregionen und der verschiedenen Erwartungen der Verbündeten an eine nukleare Rückversicherung müsse für die USA als Maxime gelten: »No size fits it all« – es gibt nicht das eine Nuklearpotential, nicht die eine Strategie, die für alle Abschreckungsszenarien geeignet wären. Der Trump‘sche NPR diskutiert das Konzept einer maßgeschneiderten Nuklearabschreckung mit Blick auf Russland, China, Nordkorea, den Iran und die Rückversicherung regionaler Verbündeter. Er wirbt für dieses Konzept, indem er es als wirksame Form der Kriegsverhinderung darstellt und zudem als Weg, andere Staaten – notfalls mit Druck oder Drohung – zur Einhaltung von Rüstungskontrollverpflichtungen und Nichtverbreitungszielen zu bewegen.

Dass bei der nuklearen Abrüstung seit Längerem keine Fortschritte mehr erzielt werden, liegt aus Sicht der Verfasser des NPR ausschließlich daran, dass andere Staaten, vor allem Russland, dem guten Beispiel oder den gutgemeinten Vorschlägen der USA nicht folgten, sondern – im Gegenteil –nuklear aufrüsteten und höchst gefährliche Veränderungen hinsichtlich der Rolle ihrer Nuklearwaffen vornähmen, die die USA und deren Verbündete immer gefährlicher werdenden Bedrohungen aussetzten.

Betrachtet man das Konzept der »tailored deterrence« von den dafür geforderten militärischen Fähigkeiten her oder durch die Brille potentieller Gegner, dann läuft es allerdings auf den Aufbau eines möglichst kriegführungsfähigen Nuklearpotentials seitens der USA hinaus, das die Schwelle, Atomwaffen einzusetzen, deutlich senkt, weil dafür vor allem zusätzliche zielgenaue Atomwaffen mit kleinster, kleiner oder variabler Sprengkraft benötigt werden und zur Beschaffung vorgesehen sind, bei deren Einsatz die Kollateralschäden relativ klein und kalkulierbar wären. Mit dem Einsatz solcher Waffen kann – dem NPR zufolge – glaubwürdiger gedroht werden.

Ziel und Ergebnis einer »tailored deterrence«

Konkret vorgesehen sind

  • unterschiedliche Trägersysteme für atomare Waffen kleiner und großer Sprengkraft, die diese einerseits so prompt und irreversibel wie eine Langstreckenrakete und andererseits so gut kontrollierbar wie mit einem Flugzeug, also gegebenenfalls auch rückbeorderbar, zum Ziel bringen können;
  • möglichst wirksame strategische und regionale Raketenabwehrsysteme – deren konkrete Darstellung soll in einem separaten »Ballistic Missile Defense Review« [Überprüfung der Raketenabwehr] erfolgen – für den Fall, dass ein Gegner zurückschlägt, sowie
  • verbesserte Fähigkeiten zu regionaler Kriegführung, die zudem bei unbeteiligten atomar bewaffneten Gegnern im Falle des Einsatzes keinen ungewollten Bedrohungsalarm auslösen.

So betrachtet, ist das Ziel und zugleich das Ergebnis einer »tailored deterrence« ein besser einsetzbares nukleares Kriegführungspotential. Die Selbstabschreckung sinkt, ein Nuklearwaffeneinsatz wird leichter vorstellbar, und die Schwelle, auf diese Option zurückzugreifen, wird niedriger. Die technische Entwicklung befördert die Umsetzung einer solchen Strategie, weil moderne und modernisierte Nuklearwaffen deutlich zielgenauer gebaut werden können, sodass sie mit deutlich kleineren Sprengköpfen als bisher und modernsten Zündsystemen auch dann eine ausreichend große Zerstörungswahrscheinlichkeit erreichen, wenn das entsprechende Ziel bislang nur mit einer Waffe deutlich größerer Sprengkraft erfolgversprechend angegriffen werden konnte.2

Dass man ihr Konzept als eines zur Senkung der nuklearen Einsatzschwelle und zur Stärkung der Fähigkeit zu atomarer Kriegsführung interpretieren kann, wussten die Autoren des jetzigen NPR natürlich nur zu gut. Daher ihre prophylaktische Behauptung des Gegenteils:

„Um es klar zu sagen: Dies hat nicht die Intention, zur nuklearen Kriegführung zu befähigen, und es befähigt auch nicht dazu. Es wird auch die Nuklearschwelle nicht absenken. Vielmehr wird die Erweiterung der maßgeschneiderten Reaktionsmöglichkeiten der USA dazu führen, dass die nukleare Schwelle angehoben wird, und dazu beitragen, dass potentielle Gegner keinen möglichen Vorteil in einer begrenzten nuklearen Eskalation sehen werden, wodurch ein Nuklearwaffeneinsatz weniger wahrscheinlich wird.“

Dieser nukleartheologischen Behauptung kann man nur glauben oder nicht. Sie oder das Gegenteil zu beweisen, ist nicht möglich. Bis zu einem Versagen der nuklearen Abschreckung kann die Behauptung aufrechterhalten werden. Danach könnte die ganze Fragestellung irrelevant sein.

Szenarien und Definitionen

Schließlich bringt der jetzige NPR auch neue Szenarien für eine Drohung mit einem Nuklearwaffeneinsatz ins Spiel. So heißt es: „Zu diesen extremen Umständen [in denen ein Nuklearwaffeneinsatz in Betracht gezogen werden könnte – O.N.] können signifikante nichtnukleare strategische Angriffe gehören. Zu solchen signifikanten nicht-nuklearen, strategischen Angriffen gehören – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Angriffe auf die zivile Bevölkerung oder die Infrastruktur der USA, der Verbündeten oder Partner sowie Angriffe auf US- oder alliierte Nuklearkräfte, deren Kommando und Kontrollstrukturen, Warnsysteme oder Auswertefähigkeiten für Angriffe.“

Der »Nuclear Posture Review« reklamiert zudem für die USA ausdrücklich das Recht, die Definition eines nicht-nuklearen, strategischen Angriffs jederzeit ändern zu können und lehnt eine Politik des Verzichts auf einen nuklearen Ersteinsatz ab. Kernwaffen wird damit zumindest deklaratorisch eine deutlich größere und flexibler interpretierbare Rolle zugewiesen als unter Barack Obama. Damit vergrößert sich die Zahl jener Situationen erheblich, in denen die US-Regierung einen Nuklearwaffeneinsatz für legitim oder gar legal halten könnte.

Was soll sich ändern?

Der NPR hält im Großen und Ganzen an der umfassenden Modernisierung des gesamten US-Nuklearpotentials fest, die bereits Barak Obamas NPR vorsah. Die nukleare Triade aus luft-, see- und landgestützten Trägersystemen bleibt unangetastet, die konzeptionelle Einbindung der Raketenabwehr in das Abschreckungskonzept und die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO samt der damit verbundenen Stationierung nicht-strategischer Nuklearwaffen in Europa ebenfalls.

Alle Trägersysteme, deren künftige atomare Sprengsätze, die technische Führungs- und Kommunikationsstruktur und die industrielle Infrastruktur für den Atomwaffenbau sollen – wie vorgesehen – sukzessive modernisiert oder ersetzt werden. Bestandteil der Planung bleiben neben der modifizierten, zielgenaueren Atombombe B61-12 also zum Beispiel auch die Weiterentwicklung des Sprengkopfes für Marschflugkörper zum Modell W80-4, neue Trägersysteme, wie der künftige Bomber B-21 Raider, die neuen Raketen-U-Boote der Columbus-Klasse, der geplante neue luftgestützte Marschflugkörper LRSO und die Entwicklung einer neuen landgestützten Interkontinentalrakete.

Hinzu kommen einige neue Zusatzvorhaben, die den spezifischen Bedarf einer »tailored deterrence« widerspiegeln. Die wichtigsten sind:

  • Die Entwicklung eines atomaren Sprengkopfs mit kleinerer Sprengkraft für seegestützte Langstreckenraketen (SLBM). Wie »klein« die Sprengkraft dieses Sprengkopfes sein soll, sagt der NPR nicht explizit. Technisch bedeutet dies wahrscheinlich, dass von den beiden explosiven Nuklearkomponenten, die derzeit in einem solchen Gefechtskopf enthalten sind, die größere entfernt oder abgeschaltet wird, während der kleinere atomare Zündsprengsatz aktiv bleibt. Damit könnte die Sprengkraft auf wenige Kilotonnen beschränkt werden. Robert Soofer, ein hoher Pentagonbeamter, sprach denn auch erläuternd von einer Sprengkraft unterhalb jener der Hiroshima-Bombe, also von weniger als 12,5 Kilotonnen. Mit solchen Sprengköpfen soll eine kleine Zahl seegestützter Langstreckenraketen ausgerüstet werden. Kritiker befürchten, dies werde sich destabilisierend auswirken. Kein Gegner sei in der Lage, eine anfliegende seegestützte Langstreckenrakete vom Typ Trident D5 mit einem oder mehreren solcher kleinen Sprengköpfen rechtzeitig von einer baugleichen Rakete zu unterscheiden, die viele große strategische Sprengköpfe trage.
  • Der von Präsident Obama angeordnete Verzicht der USA auf seegestützte nukleare Marschflugkörper (SLCM) soll überdacht und die erneute Stationierung solche Flugkörper vorbereitet werden. Damit soll einerseits die Fähigkeit der USA zu einer einsetzbaren regionalen Nuklearabschreckung verbessert werden, andererseits aber auch auf die angebliche Verletzung des INF-Vertrages (Mittelstreckenvertrages) durch Russland reagiert werden. Der US-Kongresses hat im aktuellen Verteidigungshaushaltsgesetz (FY2018 NDAA) an das Pentagon überdies die Forderung gerichtet, die Entwicklung eines neuen landgestützten, konventionellen Marschflugkörpers mittlerer Reichweite (GLCM) in die Planung aufzunehmen. Während ein neuer GLCM den INF-Vertrag verletzen würde, wäre dies bei einem SLCM nicht der Fall.
  • Obamas Modernisierungsplan sah vor, mehrere Sprengkopftypen mittel- und längerfristig aus den US-Depots zu verbannen. So sollte die Atombombe B83 mit ihrer gewaltigen Sprengkraft von 1,2 Megatonnen möglichst bald außer Dienst gestellt werden. Langfristig sollten außerdem die vier derzeit vorhandenen Sprengkopftypen für Langstreckenraketen auf nur noch zwei Versionen reduziert werden. Die Trump-Administration plant jetzt, die Bomben vom Typ B83 zumindest solange im Dienst zu halten, bis deren Aufgabe nachweislich von einer anderen Waffe übernommen werden kann. Von einer Reduzierung der Typenvielfalt bei den nuklearen Gefechtsköpfen für strategische Raketen ist jetzt nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Es soll sogar eine zusätzliche Variante geben.
  • Zudem soll die Reduzierung des derzeit nicht auf aktiven Trägersystemen genutzten Reservepotentials an atomaren Sprengköpfen künftig zurückhaltender gehandhabt werden. So soll zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass vorrangig jene Sprengköpfe erhalten bleiben, die man zusätzlich auf vorhandenen Trägersystemen stationieren könnte.

Zudem werden einige politisch wichtige Vorgaben für die Nuklearpolitik aus der Zeit Obamas in dem neuen NPR explizit zurückgenommen oder nicht mehr erwähnt:

  • Obamas Vorgabe, keine neuen Nuklearwaffen und keine atomaren Waffen mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln, wird explizit außer Kraft gesetzt, weil sie die Entwicklung neuer Sprengköpfe für die maßgeschneiderte Abschreckung behindern könnte.
  • Variiert und eingeschränkt wird auch die negative Sicherheitsgarantie, die Obama nicht-nuklearen Staaten gab, die ihren Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag nachkommen. Obama verfügte, ihnen auch dann nicht mit einem Atomwaffeneinsatz zu drohen, wenn sie über chemische oder traditionelle biologische Waffen verfügten oder diese einsetzen sollten. Diese Zusage wird nun auf ihren ersten, nuklearen Teil beschränkt.
  • Obamas Zusage, dass die USA die Rolle ihrer Nuklearwaffen weiter reduzieren werden, wird nicht wiederholt.
  • Der jetzige NPR erwähnt die atomare Abrüstungsverpflichtung der USA aus Art. VI des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nicht. Damit signalisiert er eine Geringschätzung der nuklearen Abrüstung, die viele Länder beunruhigen wird und eine schwere Belastung für die nächste Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 2020 darstellen kann. Atomare Abrüstung war schließlich die zentrale Gegenleistung, die die Nuklearmächte den nichtnuklearen Mitgliedern des NVV dafür versprochen haben, dass diese nicht auch nach Kernwaffen streben.

Um das gesamte Spektrum der in Trumps NPR vorgesehenen Modernisierungsplanungen zu finanzieren, sind spätestens im kommenden Jahrzehnt deutlich mehr Finanzmittel erforderlich als bislang vorgesehen.

Bedrohungswahrnehmungen und Gegenmaßnahmen

Das Konzept einer maßgeschneiderten Abschreckung dürfte aus vielen Gründen verbreitet auf Skepsis und Ablehnung stoßen sowie neue Bedrohungswahrnehmungen und möglicherweise auch Gegenmaßnahmen auslösen.

Die Darstellung der Bedrohung durch Russland, China, den Iran und eingeschränkter Nordkorea, von der die NPR-Autoren ausgehen, ist – vorsichtig formuliert – sehr pessimistisch. Man könnte sie in Teilen auch als bewusstes Zerrbild einer imaginierten Wirklichkeit beschreiben, das nicht auf nachvollziehbaren Beweisen beruht. Die Vorwürfe gegen diese Staaten und die Intentionen, die ihnen im NPR unterstellt werden, werden andere Länder oft nicht teilen. Drei Beispiele:

  • Washington wirft Moskau die Verletzung etlicher Rüstungskontrollabkommen vor, insbesondere des INF-Vertrags. Ob letzterer Vorwurf tatsächlich zutrifft, darüber herrscht selbst in der NATO kein Konsens. Die USA wollten ihn bislang nicht detailliert belegen.
  • Ähnliches gilt für die Interpretation der Rolle nicht-strategischer Nuklearwaffen in der russischen Militärdoktrin: „Moskau droht mit dem und übt den begrenzten Atomwaffeneinsatz und suggeriert damit die falsche Erwartung, dass eine nukleare Erpressungsdrohung oder ein begrenzter Ersteinsatz die USA und die NATO paralysieren könnte, sodass der Krieg zu für Russland günstigen Bedingungen beendet werden kann. Manche in den USA bezeichnen das als Doktrin ‚der Eskalation zwecks Deeskalation‘“, heißt es im NPR. In der russischen Militärdoktrin [vom Dezember 2014] steht dagegen lediglich: „Die Russische Föderation behält sich das Recht vor, als Antwort auf einen gegen sie und/oder ihre Verbündeten erfolgten Einsatz von Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen ihrerseits Kernwaffen einzusetzen. Das gilt auch für den Fall einer Aggression mit konventionellen Waffen gegen die Russische Föderation, bei der die Existenz des Staates selbst in Gefahr gerät.“
  • Mit Blick auf den Iran hält der NPR fest, dieser erhalte sich im Rahmen des Atomabkommens einen substantiellen Teil der technologischen Fähigkeiten, um sich nach dem Auslaufen der Beschränkungen im Jahr 2031 und einer entsprechenden politischen Entscheidung binnen eines einzigen Jahres eine Atomwaffe zuzulegen. Zumindest an der zeitlichen Einschätzung kann man berechtigt zweifeln. Dass der Iran sich bislang an dieses Abkommen genau hält, ist dem NPR dagegen keine Erwähnung wert.

Als bedrohlich scheint den Autoren des NPR im Übrigen bereits zu gelten, wenn Staaten wie Russland, China, der Iran und andere sich nicht den Vorstellungen und Erwartungen Washingtons beugen. Vor diesem Hintergrund zielen die von den Autoren geschürten Ängste wohl primär darauf, einen Ausbau der nuklearen Möglichkeiten der USA zu legitimieren, und wecken immer wieder den Verdacht, unter dem Vorwand einer wirksameren Abschreckung deren Fähigkeit zur nuklearen Kriegführung verbessern zu wollen – einmal mehr geleitet von dem gefährlichen Irrglauben, dass nukleare Konflikte mit der richtigen Strategie und den richtigen Waffen regional begrenzbar und führbar seien.

Für Rüstungskontrolle bleibt in einem solchen Konzept wenig Raum. Rüstungskontrollvereinbarungen könnten die eigene Freiheit zu einem möglichst flexiblen und effektiven nuklearen Potenzial begrenzen oder behindern – unabhängig davon, ob als Ziel der maßgeschneiderten Abschreckung Kriegsverhinderung oder Kriegführungsfähigkeit angenommen wird. Rüstungskontrolle wird deshalb vorrangig als Nichtweiterverbreitung bei anderen verstanden, die es durchzusetzen gelte. Darüber hinaus kann Rüstungskontrolle die Funktion zukommen, die Konkurrenz zwischen großen Staaten zu managen. Rüstungsbegrenzung und Abrüstung verlieren also unter Donald Trump wohl weiter an Bedeutung. Der «Nuclear Posture Review« erinnert dagegen an Trumps sicherheitspolitisches Credo aus dem Wahlkampf: „Frieden durch Stärke!“

Anmerkungen

1) Was im Übrigen angesichts der fortgesetzten Entwicklung des neuen Atombombentyps B61-12 durchaus partiell infrage zu stellen war. Siehe dazu Schwarz, W. (2018): Kernwaffen, nukleare Abschreckung und die internationale Sicherheit (15 Thesen, kommentiert). Das Blättchen, 21. Jg., Sonderausgabe, 8.1.2018.

2) Amerikanische Experten haben das für den Fall einer Ausschaltung der fünf zentralen Einrichtungen des nordkoreanischen Atomwaffenkomplexes schon mal »durchgespielt«: Während beim Einsatz herkömmlicher strategischer Nukleargefechtsköpfe mit mehreren Millionen Toten, vor allem in Nord- und Südkorea, zu rechnen wäre, wären es mit B61-12 angeblich nur wenige Hundert. Siehe dazu Lieber, K.A.; Press, D.G. (2017): The New Era of Counterforce – Technological Change and the Future of Nuclear Deterrence. International Security, Vol. 41, No. 4 (Spring 2017), S. 9-49.

Otfried Nassauer ist Gründer und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und arbeitet als freier Journalist.
Dieser Text erschien bereits in »Das Blättchen – Zweiwochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft«. 21. Jg., Nr. 4, 12.2.2018, dasblaettchen.de, und wurde für W&F minimal bearbeitet. Wir danken für die Nachdruckrechte.

Globale Polarisierung?

Globale Polarisierung?

Zum Amtsantritt von US-Präsident Trump

von Rainer Rilling

Schon einen Tag danach beschrieb der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, die Bedeutung der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten mit den Worten: Der Sieg Trumps stellt die liberale Weltordnung infrage […] Das ist die größte Zäsur der Nachkriegszeit.“ Das politische Modell der liberalen Weltordnung oder des »liberalen Internationalismus« wurde jahrzehntelang durch die expansive Politik der Imperialmacht USA weltweit verankert. Dieses außenpolitische Ordnungsmodell ist offenbar weitweit in eine tiefe Krise geraten – konfrontiert mit der Etablierung einer globalen, autoritären, illiberalen und politisch immer stärker rechts positionierten Gegenbewegung.

Letztere spielt nicht zuletzt auf den Registern des Rassismus, der abwertenden Fremden- und Frauenfeindlichkeit, der Furcht und Angst, der Gewalt und des Ressentiments. Ihre Figuren sind etwa al-Sisi in Ägypten, Modi in Indien, Erdo?an in der Türkei, Orbán in Ungarn, Duterte in den Philippinen, Putin in Russland, Temer in Brasilien, May in England, Macri in Argentinien, Kaczy?ski in Polen, Berlusconi und Grillo in Italien, Wilders in Holland, Hofer und Stronach in Österreich, Blocher in der Schweiz, Le Pen in Frankreich. Und nun Trump.

Zwar unterscheiden sich die hier aufgezählten Personen und Konstellationen offensichtlich in vielen Punkten. Sie alle aber eint dreierlei:

  • erstens und ausnahmslos die großen homogenisierenden und oft religiös fundierten Erzählungen des Nationalismus und/oder Völkischen,
  • zweitens die Verortung in marktradikalen oder etatistisch-autoritären, staatskapitalistischen Grundvarianten des Neoliberalismus, wobei der Trend zum starken, intervenierenden, organisierenden und besitzenden Staat unverkennbar ist – zunehmend mit Mikromanagement und Marketing à la Trump,
  • drittens eine undemokratische, bonapartistische, oft populistisch-autoritäre, zumeist auch charismatische Selbstinszenierung als unmittelbare Stimme des Volkes, ohne parlamentarische oder rechtsförmige Vermittlung.

Gemeinsam ist ihnen damit die Maxime des offensiven Roll-backs der verschiedensten politischen (nicht aber der wirtschaftlichen!) Elemente des Liberalismus und jeglicher linker Strömungen. Stabilisiert sich diese Entwicklung, dann kommt es zum Durchbruch eines globalen Trends, zur Entstehung einer konkurrierenden illiberalen, rechtspopulistisch und rechtsnationalistisch dominierten neuen politischen Weltordnung.

„Who are those guys?“ fragte Paul Newman schon 1969 in dem unübertrefflichen Streifen »Butch Cassidy and the Sundance Kid« Robert Redford. In den USA geht es jetzt um die strategische Konstruktion des Kerns eines neuen Machtblocks, der eine globale Reichweite hat und nicht so leicht wieder loszuwerden sein wird. Getragen wird er von

  • einer Gruppe »politischer Krieger« aus dem kriegserprobten militärischen Führungspersonal,
  • einer Kerngruppe des Trump’schen Familienbestands und wenigen absolut loyalen Freunden und Anhängern,
  • einer qua Vermögen (insgesamt mehr als elf Milliarden US$) souveränen Gruppe Superreicher (ab 500-600 Mio. US$), die unmittelbar in das politische Spitzenbusiness der US-Administration eingestiegen ist; herausragend ist hier die Rolle des Vermögensverwalters Black Rock, der Private-equity-Investoren und endlich der klassischen Banken, insbesondere von Goldman Sachs – „Nach alledem, scheint es nicht vernünftig, nach einer 1 %-Ökonomie, einer 1 %-Gesellschaft und einer 1 %-Politik auch eine 1 %-Regierung zu bilden?“ (Tom Engelhardt),
  • den politischen Schattennetzwerken des politisierten, rechtslibertär und marktradikal ausgerichteten und tief in den Kulturen des Neoliberalismus und Fossilismus verankerten Kapitals, etwa der 92 Mrd. US$ schweren Gebrüder Koch; ihr langfristiges zentrales marktradikales Ziel ist einfach: die Abschaffung des New Deal und jeglicher Sozialstaatlichkeit,
  • dem mit Erfahrung, Traditionsbestand, Staatskunst sowie Justiz- und Apparatemacht ausgestatteten Personal der primär in der republikanischen Partei verankerten rechten, weißen, christlichen und deutlich sozialreaktionären politischen Richtung.

Bislang zeichnen sich als außenpolitische Fokusse ab die Schwächung des Iran, die offene Wendung zur Konfrontation mit China, eine Veränderung der Russlandpolitik und die selektive Ausweitung der Beziehungen „with other tough guys“ (Richard Haass, Präsident des Council on Foreign Relations). Die Vereinigten Staaten, so heißt es in »Foreign Policy« (1/2017), „werden wahrscheinlich ihren globalen militärischen Fußabdruck in den kommenden Jahren eher ausweiten als verkleinern müssen“.

Rainer Rilling, Soziologe, ist Fellow des Instituts für Gesellschaftsanalyse (Berlin ) und gehört dem Vorstand der Rosa Luxemburg Stiftung an.

Drohnenkrieg-zentrale Ramstein

Drohnenkrieg-zentrale Ramstein

von Jürgen Nieth

Über den US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz wird der weltweite Drohnenkrieg der USA gesteuert. Er ist „ein Zentrum der US-Exekutionslogistik. Der drohnengesteuerte Tod in Afghanistan, Somalia oder Jemen hat also auch einen deutschen Absender“, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (SZ 04.04.14, S.4) nach neuen Recherchen von Westdeutschem Rundfunk, Norddeutschem Rundfunk und SZ.

Bundesregierung ohne Ahnung?

Bereits im vergangenen Jahr hatten Panorama und SZ über eine Drohnen-Kommandozentrale in Ramstein berichtet und darüber, dass von den Kelly-Barracks in Stuttgart die Drohnenangriffe in Afrika befehligt werden.

„Die Bundesregierung gab sich damals ahnungslos. Man habe keine Erkenntnisse über eine Beteiligung der US-Stützpunkte in Deutschland am Drohnenkrieg, sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Piper, im November dem Bundestag.“ (SZ 04.04.14, S.6) Auch nach den neuesten Enthüllungen sagt Regierungssprecher Seibert zum Kenntnisstand der Bundesregierung: „Die amerikanische Regierung hat gegenüber der Bundesregierung bestätigt, dass von amerikanischen Stützpunkten in Deutschland solche bewaffneten und ferngesteuerten Luftfahrzeuge weder geflogen noch gesteuert werden.“ (Stuttgarter Zeitung 05.04.14, S.7) Genau das hat aber weder 2013 noch 2014 jemand behauptet. Es ging immer darum, dass die Einsätze von Ramstein aus unterstützt werden.

Ohne Ramstein läuft nichts

Nach den neuesten Erkenntnissen scheint »unterstützt« allerdings weit untertrieben zu sein.

Dem ehemaligen Drohnenpiloten der US Air Force Brandon Bryant, der aus Gewissensgründen den Dienst quittierte, bescheinigte die US-Luftwaffe, dass er an 1.626 gezielten Tötungen beteiligt war. Er führt in Panorama (ARD 03.04.2014) u.a. aus: „Die Luftwaffen-Basis in Ramstein spielt eine ganz wesentliche Rolle für den weltweiten Drohnenkrieg. Ohne diese Basis in Deutschland würde das alles nicht funktionieren. Es ist das Epizentrum aller Informationsflüsse für die Übersee-Operationen der USA.“ Und so läuft das nach seinen Informationen ab: „Also wir haben die Drohne hier irgendwo in diesem Gebiet. Sie kreist irgendwo über Afghanistan, Pakistan, dem Jemen oder sonstwo. Und das hier ist ein kommerzieller Satellit, der kann etwa von CNN sein. Und dann haben wir eine Satellitenschüssel, hier drüben auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Hier kommt das Signal an. Das Signal geht also von der Predator-Drohne nach Ramstein und dann durch ein Glasfaserkabel mitten durch den Ozean bis zur Cannon-Airbase in den USA, wo ich stationiert war. In den mehr als 6.000 Stunden, die ich geflogen bin, und in den tausenden Missionen gab es keinen einzigen Einsatz, bei dem ich nicht Ramstein angerufen hätte, um mich mit meiner Drohne verbinden zu lassen. Im Luftwaffenstützpunkt Ramstein laufen wirklich alle Informationen zusammen, wie durch einen Trichter.“

Ramstein ist aber nicht nur Durchgangsstation für Drohnendaten, die Daten werden hier auch ausgewertet und verarbeitet.

Völkerrechtswidrige Drohneneinsätze

„Die USA sehen die gezielten Tötungen als legalen Akt der Kriegsführung. Die Bundesregierung sieht das zwar anders, hält sich aber zurück,“ schreibt die Rheinzeitung (05.04.14, S.5). Sie zitiert den Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer: „Das kommt doch sehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Eine generelle Beurteilung kann es nicht geben.“

Die SZ (05.04.14, S.6) verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 30.01.2014, nach dem „Deutschland ‚völkerrechtswidrige Militäroperationen’, die ‚durch ausländische Staaten von deutschem Territorium’ aus durchgeführt werden, nicht dulden darf. Sollte das US-Militär einen Terrorverdächtigen ‚außerhalb eines bewaffneten Konflikts’ völkerrechtswidrig per Drohne hinrichten, könnte das ‚eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt darstellen’“.

Auch Christian Rath geht in der taz (07.04.14, S.6) auf das unterschiedliche Rechtsverständnis ein. „Die US-Ideologie vom »Krieg gegen den Terror« wird in Europa nicht geteilt. Die Hinrichtung von Terroristen ohne Gerichtsverfahren per Drohnenbeschuss wäre nach deutschem Recht als Kriegsverbrechen oder Mord zu bewerten.“ Ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts dürften die neuen Erkenntnisse wohl trotzdem nicht auslösen. Die taz (05.04.14, S.2) verweist darauf, dass die „Strafgerichtsbarkeit über die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte […] bei den USA“ liegt. Ermittlungen würden sich schwierig gestalten, da „der Zutritt deutscher Behörden zu ausländischen militärischen Liegenschaften bzw. Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen nur mit Zustimmung der ausländischen Kommandeure zulässig“ sind.

Und wieder mal aussitzen?

Bereits vor den Enthüllungen in ARD und SZ gab es Hinweise auf das Drehkreuz Ramstein. „In Militärzeitschriften und Jobprofilen auf dem Karriereportal LinkedIn beschreiben amerikanische Mitarbeiter […] die Funktionsweise des Analysezentrums DGS-4. In mehreren solcher Profile beschreiben Militärs und Zivilangestellte aus Ramstein über ihre Beteiligung an den Drohneneinsätzen im ‚weltweiten Krieg gegen den Terror’.“ (SZ 04.04.14, S.1)

Die Bundesregierung wollte das aber offensichtlich nicht wissen, und es ist auch jetzt nicht zu erwarten, dass sie von selbst ernsthaft etwas gegen den US-Drohnenkrieg unternimmt. Zu den Gründen schreibt Ulrike Winkelmann in der taz (07.04.14, S.12): „Wenn das zur Urteilsfindung notwendige Wissen in der Zeitung steht, ist es schwierig sich hinter Ahnungslosigkeit zu verschanzen. Selbstredend wird die Bundesregierung aber genau das versuchen. Denn eine echte Diskussion über den Krieg gegen den Terror würde die USA […] inspirieren, zu erläutern, wie die deutschen Geheimdienste erstens mitmachen und zweitens profitieren.“

Winkelmann äußert deshalb genau wie Prantl (SZ 04.04.14, S.4) die Hoffnung, dass der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages Ramstein thematisiert und sich „mit Verantwortungsbewusstsein und Mut an die Arbeit macht“.

Nachbemerkung:

Wir hätten gerne auch aus der FAZ, der Welt, der Frankfurter Rundschau, dem Spiegel u.a. Zeitungen zitiert. Doch außer den hier zitierten Medien haben wir nur Kurzmeldungen in verschiedenen Regionalzeitungen gefunden.

Jürgen Nieth

US-Diplomat tritt zurück

US-Diplomat tritt zurück

Scharfe Kritik an der Afghanistan-Strategie der US-Regierung – Eine Dokumentation

von Matthew P. Hoh

Der Politische Offizier im auswärtigen Dienst und Oberbefehlshaber der Zivilkräfte der US-Regierung in der afghanischen Provinz Zabul, Matthew P. Hoh, trat am 10. September 2009 von seinen Funktionen zurück. In einem Offenen Berief an Botschafterin Nancy J. Powell, Generaldirektorin des auswärtigen Dienstes und Personaldirektorin des Außenministeriums der USA, analysiert er die Lage in Afghanistan, schildert Bestechung und Korruption, zieht eine Parallele zum Vietnamkrieg und legt dar, warum auch dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. W&F dokumentiert das Kündigungsschreiben in deutscher Übersetzung.

Sehr geehrte Frau Botschafterin, mit großem Bedauern und Enttäuschung trete ich hiermit von meinem Posten als Politischer Offizier im auswärtigen Dienst sowie als Oberbefehlshaber der Zivilkräfte der US-Regierung in der Provinz Zabul zurück. Von den vergangenen zehn Jahren meiner Dienstzeit habe ich unserem Land sechs in Übersee gedient und war 2004/2005 sowie 2006/2007 als Offizier der US-Marines und als Zivilangestellter im Auftrag des Verteidigungsministeriums in den Tälern von Euphrat und Tigris stationiert. Ich habe diese Aufgaben nicht leichtfertig oder mit unangemessenen Erwartungen angetreten und ging auch nicht davon aus, dass mein Einsatz ohne Opfer, Entbehrungen und Schwierigkeiten bleiben würde. Während meines fünfmonatigen Dienstes in Afghanistan habe ich allerdings jegliches Verständnis und Vertrauen in die strategischen Ziele der US-amerikanischen Präsenz in Afghanistan verloren. Ich hege Zweifel und Vorbehalte gegenüber unserer gegenwärtigen wie unserer künftigen Strategie.

Der Grund für meinen Rücktritt liegt aber nicht in der Art und Weise, wie wir diesen Krieg führen, sondern warum wir dies tun und mit welchem Ziel. Um es einfach auszudrücken: Ich kann weder den Wert noch den Nutzen von immer weiteren amerikanischen Opfern und der anhaltenden Unterstützung für die afghanische Regierung in diesem Krieg erkennen, der in Wahrheit nichts anderes als ein nunmehr 35 Jahre anhaltender Bürgerkrieg ist.

In diesem Herbst jährt sich der Beginn der amerikanischen Operationen in Afghanistan zum achten Mal. Im kommenden Herbst wird die US-Armee ebenso lange im Land stationiert sein wie einst die Rote Armee. Wie die Sowjets erhalten wir einen scheiternden Staat am Leben und propagieren eine Ideologie und ein Regierungssystem, das die Leute weder kennen noch wollen.

Wenn man die Geschichte Afghanistans als großes Bühnenstück betrachtet, haben die USA nichts weiter als eine Nebenrolle unter vielen in dieser Tragödie inne, in der nicht nur einzelne Stämme, Täler, Clans, Dörfer und Familien gegeneinander, sondern spätestens seit der Herrschaft König Zahir Shas das urbane, säkulare, gebildete und moderne Afghanistan gegen das ländliche, religiöse, analphabetische und traditionelle kämpft. Diese zweite Gruppe unterstützt den paschtunischen Aufstand, der von einer Vielzahl lokaler Gruppen getragen wird. Die Paschtunen haben das Gefühl, seit Jahrhunderten Angriffen innerer wie äußerer Feinde auf ihr Land, ihre Kultur, ihre Traditionen und ihre Religion ausgesetzt zu sein. Die Anwesenheit von US- und Nato-Truppen rechtfertigt den Aufstand in ihren Augen ebenso wie diejenige nicht-paschtunischer Soldaten und Polizisten. Sowohl im Osten als auch im Süden habe ich die Beobachtung gemacht, dass es bei den meisten Kämpfen nicht darum geht, dem weißen Banner der Taliban zum Sieg zu verhelfen, sondern in erster Linie darum, die Besatzungsmacht zu vertreiben und sich gegen die Erhebung von Steuern durch die nicht-repräsentative Regierung in Kabul zu wenden.

Die US-amerikanische Militärpräsenz im Land trägt einen großen Teil zur Legitimierung des Aufstandes der Paschtunen bei. Ebenso führt unsere Unterstützung der afghanischen Regierung, wie sie im Augenblick erfolgt, dazu, die Distanz zwischen Regierung und Bevölkerung zu vergrößern. Die Versäumnisse der afghanischen Regierung, vor allem in Anbetracht der von amerikanischer Seite erbrachten Opfer an Menschenleben und Dollar, sind gewaltig und nehmen immer noch weiter zu:

Offenkundige, unverfrorene Bestechung und Korruption

Ein Präsident, zu dessen Vertrauten und engsten Beratern Drogenbarone und Kriegsverbrecher zählen, die sich über unser Rechtsstaatsprinzip und unsere Bemühungen in Sachen Drogenbekämpfung lustig machen.

Ein System aus Provinz- und Bezirks-Anführern, das sich aus politischen Strippenziehern, Opportunisten und Machthabern zusammensetzt, deren Zusammenarbeit allein auf unseren Verträgen zur Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfe basiert und sich auf diese beschränkt und die keinerlei politisches oder ökonomisches Interesse an ernsthaften Versuchen zur Aussöhnung zu haben scheinen.

Die jüngste, von Betrug bestimmte und von einer niedrigen Wahlbeteiligung korrumpierte Wahl, die unserem Feind einen enormen Sieg bereitet hat. Dieser ruft nun zu einem allgemeinen Boykott auf und stellt in der ganzen Welt die militärische, wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung unserer Regierung für die handlungsunfähige und illegitime afghanische Regierung in Frage.

Unsere Unterstützung einer solchen Regierung in Verbindung mit einem mangelnden Verständnis der wahren Natur des Aufstandes erinnert mich in erschreckender Weise an Süd-Vietnam, wo wir ebenfalls auf Kosten des inneren Friedens unseres Landes eine unbeliebte und korrupte Regierung gegen einen Aufstand unterstützten, dessen nationalistische Dimension wir in arroganter Weise missverstanden, da wir den Konflikt nur vor dem Hintergrund unserer Ideologie des Kalten Krieges begreifen konnten.

Ich halte die Gründe, weshalb wir verlangen, dass unsere Männer und Frauen in Afghanistan Blut vergießen und Opfer bringen, für fadenscheinig. Um ehrlich zu sein, unsere Strategie, Afghanistan zu sichern, um Aufstände und die Neugruppierung von Al-Qaida zu verhindern, würde verlangen, dass wir auch im Westen Pakistans, in Somalia, im Sudan, im Jemen und in einigen anderen Ländern einmarschieren und sie besetzt halten. Unsere Präsenz in Afghanistan hat Pakistan zunehmend destabilisiert und zu weiteren Aufständen geführt – in einem Land, von dem wir zu Recht fürchten, dass die geschwächte Regierung die Kontrolle über die pakistanischen Atomwaffen verlieren könnte. Wenn wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, konsequent verfolgen würden, dann müssten wir Pakistan besetzen und nicht Afghanistan. Dazu kommt, dass die Anschläge vom 11. September 2001 und die Anschläge in Madrid und London im Wesentlichen in Westeuropa geplant und organisiert wurden; dieser Aspekt belegt, dass die Bedrohung von den klassischen geographischen und politischen Grenzen losgelöst ist. Schlussendlich müssten wir, wenn wir davon ausgehen, dass wir unseren militärischen und finanziellen Beitrag in Afghanistan leisten, weil wir in Sorge um einen »Failed State« sind, der durch Korruption und Armut geschwächt und von Kriminellen und Drogenbossen beherrscht wird, auch unsere Verpflichtungen und unser Engagement gegenüber Mexiko neu bewerten und verstärken.

Nach acht Jahren Krieg gibt es weltweit keine Armee, die engagierter, erfahrener oder disziplinierter wäre als die US-Truppen. Ich glaube, dass keine andere Armee jemals vor einer derart komplexen, undurchsichtigen Sisyphos-Aufgabe stand wie die US-Truppen sie in Afghanistan angenommen haben. Das taktische Geschick und die Leistung unserer Soldaten, Seeleute, Piloten und Marinesoldaten ist beispiellos und steht nicht zur Debatte. Doch ihr Einsatzgebiet ist in diesem Fall nicht mit dem europäischen oder asiatischen Raum des Zweiten Weltkriegs vergleichbar. Hier geht es vielmehr um einen Krieg, auf den unsere Männer und Frauen von unserer militärischen, zivilen und politischen Führung nicht angemessen vorbereitet wurden. Unsere Streitkräfte, die voller Hingabe und guten Glaubens sind, wurden auf einen Konflikt verpflichtet, der ohne Strategie und genauen Zeitplan zu einem rücksichtslosen, politisch zweckdienlichen und naiven Desaster wurde. Dasselbe gilt für die engagierten und fähigen zivilen Kader, zu denen sowohl Angestellte der US-Regierung als auch unabhängige Organisationen zählen. Sie glauben an ihre Mission und bringen dafür Opfer, doch sie wurden weder richtig ausgebildet noch werden sie richtig geleitet, da sich die Leitlinien und Ziele am politischen Klima in Washington orientieren und nicht an jenem, das in den Städten, Dörfern, Gebirgen und Tälern Afghanistans herrscht.

„Wir zahlen uns in Afghanistan zu Tode“, so unterrichtet einer der fähigsten und intelligentesten Kommandeure, die Amerika hat, jeden Besucher, jede Stabsdelegation und jeden leitenden Offizier. Wir belegen die Wirtschaft der Vereinigten Staaten mit einer Hypothek auf einen Krieg, der, selbst wenn wir unsere Anstrengungen erhöhen, für viele Jahre eine Bürde bleiben wird. Erfolg und Sieg, wie auch immer sie aussehen werden, können nicht in den nächsten Jahren und auch nicht nach weiteren Milliardenausgaben erreicht werden, sondern erst Jahrzehnte und Generationen später. Die Vereinigten Staaten haben keine Staatskasse, die diese Art von Erfolg und Sieg trägt.

Mir ist bewusst, dass mein Brief sehr emotional ist. Bitte entschuldigen Sie, falls er zu aufgebracht klingt. Ich vertraue darauf, dass Sie diesen Krieg und die Opfer, die tausende von Familien bringen, verstehen. Diese Familien wurden von ihren Liebsten getrennt, die eingesetzt wurden, um unser Land zu verteidigen. Ihr Zuhause trägt die Risse, Umbrüche und Narben von vielen aufeinander folgenden Einsätzen. Tausende unserer Männer und Frauen sind mit körperlichen und seelischen Wunden nach Hause zurückgekehrt. Einige dieser Wunden werden niemals heilen oder mit den Jahren noch schlimmer werden. Von den Toten kehren nur die sterblichen Überreste zu ihren Familien zurück. Ihnen muss versichert werden, dass die Ziele, für die sie ihr Leben gelassen haben, die verlorene Zukunft, die verlorene Liebe und die unverwirklichten Lebensträume wert waren. Ich habe die Zuversicht verloren, dass solche Zusagen noch gemacht werden können. Aus diesen Gründen reiche ich meinen Rücktritt ein.

Hochachtungsvoll
Matthew P. Hoh, Oberbevollmächtigter der Zivilkräfte Provinz Zabul, Afghanistan.

Holger Hutt und Christine Käppeler haben den Text für die Wochenzeitung »Freitag« übersetzt, die uns die Übersetzung freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Neuer General – alte Strategie

Neuer General – alte Strategie

von Jürgen Nieth

„Darf ein Trottel die NATO-Streitkräfte in Afghanistan kommandieren?“ Die Frage stellt Arnd Festerling, (FR 23.06.10) seit General Stanley McChrystal im Rolling Stone Magazin über seine Chefs hergezogen hat. Was war passiert?

»Zivilisten«-Beschimpfung

Michael Hastings, Reporter des Magazins Rolling-Stone, hat vier Wochen lang den Kommandeur der US- und Isaf-Truppen in Afghanistan begleitet und die Gespräche aufgezeichnet. Gespräche, in denen „McChrystal und seine Adlaten über ihre zivilen Vorgesetzten kräftig vom Leder ziehen“. (FR, 23.06.10, S.7). Aus dem Magazin ist zu erfahren,“ dass McChrystal nicht besonders viel für Vizepräsident Joe Biden übrig hat. »Biden, wer ist das?«, fragt der General den Reporter. »Sagten Sie ‚Bite me‘ (Leck mich)?« ergänzt McChrystals Mitarbeiter. Der sendungsbewusste Widerwille des Generals und seiner Leute trifft auch den amerikanischen Botschafter in Kabul, Eikenberry, den Afghanistan-Beauftragten Holbrooke, die Franzosen (in etwa »Ich würde mir lieber von einem Rudel Leuten in den Arsch treten lassen, als zu diesem Dinner zu gehen«), Obama (»verschüchtert«) und Sicherheitsberater James Jones (»Clown«).“ (FAZ, 25.06.10, S.41) Hastings über seine Erfahrungen: McChrystals Truppe, die sich »Team America« nennt, „besteht aus einer »handverlesenen Ansammlung von Killern, Spionen, Genies, Patrioten, politischen Akteuren und regelrechten Maniacs (Irre). Sie besaufen sich bis Mitternacht komplett und grölen ein erfundenes Lied über Afghanistan. McChrystal steht am Rand und ist stolz: »Ich würde für diese Männer sterben. Und sie für mich.«“ (Neues Deutschland, 24.06.10, S.3)

Rückendeckung für McChrystal

Trotz dieser »Ausfälle« des Generals erhält dieser zuerst einmal Rückendeckung: „Afghanische Regierungsmitglieder bis hinauf zu Präsident Hamid Karsai sparen nicht mit Lob. »McChrystal«, sagen sie noch kurz vor seiner Abberufung, »ist der erste Befehlshaber, der unser Land verstanden hat«.“ (Berliner Zeitung, 24.06.10, S.8) Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärt „man habe »volles Vertrauen« in McChrystal“. (FR, 23.06.10, S.7) Da möchte auch der deutsche Verteidigungsminister nicht abseits stehen. Karl-Theodor zu Guttenberg in der Bild-Zeitung (24.06.10, S.2): „Ich habe mit McChrystal immer gut zusammengearbeitet und ihn sehr geschätzt. Er war ein wichtiger Garant für die Strategie in Afghanistan, die er entwickelt hat.“

Obama handelt schnell

40 Stunden nachdem Obama die Äußerungen des Generals zur Kenntnis nehmen musste, war der General gefeuert. Damit hat die US-Regierung „zum ersten mal seit der Demission von Douglas McArthur 1951 einen Kriegskommandeur abberufen“. (FR, 24.06.10) Für die Neue Zürcher Zeitung (24.06.10, S.3) wäre eine scharfe Rüge „womöglich die bessere Strafe gewesen. Dass Obama schärfer durchgriff, verrät eine gewisse Dünnhäutigkeit und lässt ihn nicht souverän erscheinen.“ Ganz anders sieht das Der Spiegel (28.06.10, S.84). Für ihn hat Obama schnell gehandelt, „weil er verstand, welche Gefahr ein General bedeutet, der mitten im Krieg die Verbündeten beleidigt und sich über die Zivilisten im Afghanistan-Team des Weißen Hauses mokiert.“ Und für Bernd Pickert (taz, 25.06.10) war Obamas größtes Interesse, „die Affäre McChrystal nicht zu einer Grundsatzdebatte über den Afghanistan-Einsatz ausufern zu lassen.“

Grundsatzdebatte notwendig

Genau diese Grundsatzdebatte wird in mehreren deutschen Medien als dringend notwendig bezeichnet. „McChrystal muss und will an den Sieg der NATO in Afghanistan glauben und sieht doch täglich, dass sich die Sicherheitslage – wie im jüngsten UN-Bericht trocken vermerkt – »nicht verbessert«“. urteilt die FAZ (24.06.10, S.2) „Tatsächlich ist die Lage in Afghanistan, ein halbes Jahr nach Beginn der von Obama angeordneten Truppenverstärkung um 30.000 Soldaten, mehr als verfahren. Die Offensive in der Gegend von Marja ist stecken geblieben… Die angekündigte Groß-Offensive in Kandahar… hat noch immer nicht begonnen.“ (SZ, 25.06.10, S.8) Günther Nonnenmacher hält in der FAZ (25.06.10, S.1) fest, „dass es auch mit dem nächsten Bestandteil der Afghanistan-Strategie nicht zum Besten steht: Der Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte – Polizei und Militär – hinkt hinter den Planzielen her.“

Kippt die Stimmung?

Für Christian Wernicke (SZ, 24.06.10, S.8) lauert dann auch hinter „dem grellen Streit um den Kopf eines Generals… eine weitaus grundsätzlichere Frage: Wie lange noch ist Amerika bereit, den Krieg am Hindukusch auszufechten? … Seit ihrem Beginn im Oktober 2001 kamen im Rahmen der »Operation Enduring Freedom« 1.132 uniformierte Amerikaner (und 726 Soldaten anderer Nationen ) ums Leben. Umfragen belegen, dass das amerikanische Volk allmählich den Glauben an den Sinn des Einsatzes verliert: Anfang Juni sagten 53 Prozent der Befragten, Afghanistan sei »den Kampf nicht wert«. Noch im Dezember 2009… bekundeten nur 44 Prozent solche Zweifel. Damals antworteten noch 52 Prozent auf dieselbe Frage von ABC und Washington Post, der Krieg »lohnt den Kampf«.“

Neuer General und alte Strategie

Nachfolger McChrystals ist dessen Vorgesetzter: David Petraeus, Vier-Sterne-General und bisheriger Reginonalkommandeur mit Zuständigkeit für die US-Truppen im Nahen und Mittleren Osten sowie Zentralasien. Petraeus soll Kontinuität dokumentieren. Er ist „Mitautor jenes Handbuchs, das die neuen Regeln des Kämpfens festlegt. 241 Seiten lang ist das Werk und reichert vertraute Grundsätze der Guerilla-Bekämpfung mit vielen zivilen Hinweisen zur Einbindung »sozialer Netzwerke« vor Ort an. Petraeus muss nun seine eigenen Ideen umsetzen.“ Dass das schnell gelingt, daran hat er wohl selbst große Zweifel, denn vorsichtshalber zieht er schon mal den von Obama angekündigten Beginn des Abzugs 2011 in Zweifel: „Wir (sollten) mit Zeitvorgaben vorsichtig sein“, erklärte er dazu Mitte Juni vor dem US-Streitkräfteausschuss. (Spiegel, 28.06.10, S.87)

„Es gibt keinen militärischen Ausweg in Afghanistan. Die Aufständischen und die Taliban-Gruppen, die diesseits und jenseits der Grenze zu Pakistan kämpfen, müssen in einen politischen Prozess einbezogen werden.“ Von dieser Einschätzung Günther Nonnenmachers (FAZ, 25.06.10, S.1) scheinen Politik und Militär in den USA noch weit entfernt.

Eine Welt ohne A-Waffen

Eine Welt ohne A-Waffen

von Jürgen Nieth

Als Barack Obama am 5. April 2009 in seiner Prager Rede für eine Welt ohne Atomwaffen plädierte, sprach »Die Zeit« (08.04.09) von „Eine(r) hinreißende(n) Vision“. Die Mehrheit der anderen deutschsprachigen Zeitungen war da skeptischer: „Prager Frühling – Obama will Atomwaffen abschaffen, konkrete Schritte bleiben aus“ (Frankfurter Rundschau/FR, 06.04.09), „Keiner will der erste sein“ (Berliner Zeitung/BZ, 07.04.09), „Die Grenzen der Abrüstung“ (Süddeutsche Zeitung/SZ, 07.04.09), „Obamas Denkfehler“ (Die Tageszeitung/taz, 18.05.09). Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ, 18.04.09) sah nach dieser Rede „Eine neue Welt mit Atomwaffen“ und schrieb: „Man kann in der Politik vieles wünschen, und manchmal bewegt der Wunsch auch etwas. Ohne Visionen bleibt der Blick an der zähen Gegenwart kleben, ohne Bilder der Phantasie ist man dem Status Quo und den Zeitläufen ausgeliefert… Mit der Bemerkung, er werde die kernwaffenfreie Welt wohl selbst nicht erleben, das Ziel liege weit weg, relativiert er das große Vorhaben wieder.“

Obama vor der UNO

Am 23.09.2009 hat der Sicherheitsrat der UN auf Vorschlag von US-Präsident Obama einstimmig eine Resolution angenommen, in der die Ratsmitglieder sich verpflichten, „eine sichere Welt für alle zu suchen und die Vorbedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen“. Diesmal reagierte die Presse deutlich positiver: „Absage an alle Atomwaffen – Sicherheitsrat mit »historischer« Resolution“ (FR 25.09.09), „Sicherheitsrat rüstet nuklear ab“ (Financial Times Deutschland/FTD 25.09.09), „UN-Sicherheitsrat für eine Welt ohne Atomwaffen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.09.09), „UNO-Signal für die Atomabrüstung“ (NZZ, 25.09.09), P. A. Krüger überschrieb seinen Kommentar in der SZ (22.09.09): „Sanfte Appelle und konkrete Schritte.“ Um welche Schritte geht es?

Atomwaffensperrvertrag stärken…

Nimmt man die Kommentare der SZ und der FR, dann geht es bei der Initiative Obamas in erster Linie darum, „eine Eigendynamik in Gang zu setzen, die beitragen soll, den Atomwaffensperrvertrag (NPT) zu stärken. Die USA sehen in ihm das zentrale Instrument, um der weiteren Verbreitung von Atomwaffen Einhalt zu gebieten. Sein Fundament bröselt, nicht nur wegen der Atomtests in Nordkorea und Irans verdächtiger Aktivitäten. Die Überprüfungskonferenz 2005 scheiterte auch daran, dass sich die USA weigerten, auch nur über ihre Pflicht zu reden, atomar abzurüsten.“ (P. A. Krüger, SZ, 22.09.09) „Der Text verlangt von allen Staaten, die dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 noch nicht beigetreten sind, diesen Schritt rasch nachzuholen, ‚damit zu einem baldigen Zeitpunkt die Universalität des Abkommens erreicht wird‘. In der Zwischenzeit sollen die drei noch ausstehenden Staaten – Indien, Pakistan und Israel – informell die Vertragsbestimmungen respektieren.“ (P. Simonitsch, FR, 25.09.09)

… und was wird aus dem Teststoppvertrag?

Neben dem NPT ist der Teststoppvertrag (CTBT) der zweite wichtige internationale Vertrag zu den A-Waffen. „Beide waren zuletzt durch das Desinteresse der Nuklearmächte geschwächt worden. … Obama versprach (jetzt) eine Lücke zu schließen und den Teststoppvertrag CTBT, der die Zündung von Kernwaffen verbietet, zu ratifizieren. Neun Nationen verhindern bisher, dass der CTBT in Kraft tritt, China, Indien, Pakistan, Ägypten, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea – und die USA. Die USA haben das Abkommen (…) bis heute nicht zur Ratifikation durch den Senat gebracht.“ (M. Koch, SZ 25.09.09) Auch diesmal ist das nicht sicher, da Obama hier auf Stimmen der Opposition angewiesen ist. J. Borger sieht die Entwicklung im »Freitag« (01.10.09) noch kritischer: „Im Pentagon kursiert der Entwurf zu einer Studie (Draft Nuclear Posture Review), die sich einer Neubewertung der nationalen Atomwaffenpolitik widmet und damit nicht nur hinter Obamas Visionen zurückfällt, sondern sogar eine Art Gegenverkehr in Bewegung setzt.“ Borger verweist weiter darauf, dass Verteidigungsminister Robert Gates der Idee anhänge „eine neue Generation von Sprengköpfen erproben zu lassen, da nur so die Einsatzbereitschaft der US-Atomwaffen garantiert bleibe. Erst wenn man dies getan habe, seien ein Abbau der Arsenale und das dauerhafte Verbot von Atomtests denkbar.“

Nuklearterrorismus verhindern

Die Absicht, bestehende Vertragswerke zu stärken und die Bereitschaft zur Reduzierung der A-Waffenbestände, sollte nach Auffassung mehrerer KommentatorInnen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, einen Nuklearterrorismus zu verhindern. So betonte der abtretende Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur, Baradei, die „drohende Gefahr der nuklearen Aufrüstung von nichtstaatlichen Akteuren und von Terrorgruppen. Über 90 Staaten seien gar nicht oder nur ungenügend den Kontrollinspektionen der Agentur gemäß dem NPT unterworfen“. (NZZ, 25.09.09) In der BZ (25.09.09) schreibt E. Schweitzer: „Es soll die Verbreitung von Nuklearmaterial unterbunden werden, um nuklearen Terrorismus zu verhindern. Vier Jahre setzt das Gremium dafür an, eine Frist für die Verschrottung der Kernwaffen hingegen wird nicht genannt.“ Und S. Muscat hebt in der »Financial Times« (25.09.09) hervor, dass Obama „dazu eine separate nukleare Sicherheitskonferenz angeregt“ hat. Dort sollen „auch Mechanismen für die friedliche Nutzung von Kernenergie entwickelt werden, die ein Anreiz für Staaten wie den Iran sein könnten, ihre eigenen Atomprogramme aufzugeben.“ Andreas Zumach formuliert es direkter: Die Initiative Obamas zielt darauf ab, „den internationalen Druck auf Atomwaffenaspiranten wie Nordkorea oder den Iran zu erhöhen.“ (taz, 25.09.09)

Entspannung mit Fußangeln…

… sieht Karl Grobe (FR 24.09.09): „Mit einer Resolution, einem Bündel von Abkommen… wird die Utopie nicht zur Realität. Das wissen alle Beteiligten. Falls sie noch rechtzeitig den am Jahresende auslaufenden Start-Vertrag verlängern, das Grundsatzabkommen, das jeder Rüstungsbegrenzung zugrunde liegt, ist ein Beispiel gegeben. Abrüstung ist das immer noch nicht. Doch eine Verkleinerung der Atomwaffen-Arsenale ist möglich; im Grundsatz sind ja alle dafür. Die beiden Großen besitzen rund 95 Prozent. Falls sie sich einigen können, jeweils ein Viertel abzubauen ist einiges besser geworden, aber noch nichts richtig gut.“

Was können wir vom nächsten US-Präsidenten erwarten?

Was können wir vom nächsten US-Präsidenten erwarten?

von David Krieger

Die bevorstehende Wahl des nächsten US-Präsidenten ist vielleicht die wichtigste in der Geschichte der USA, ja sogar in der Geschichte der Menschheit. Der nächste Präsident wird, wie alle US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg, seinen Finger auf dem nuklearen Knopf haben, und von seinem Charakter und Temperament wird es abhängen, ob er die Weltpolitik weiter aus dem Blickwinkel des Militarismus angeht oder ob die Außenpolitik der USA statt dessen auf Dialogbereitschaft setzt.

Die Wahl markiert das Ende der fast achtjährigen widerwärtigen Herrschaft durch George W. Bush und Richard Cheney. In den vergangenen acht Jahren wurde die Außenpolitik der USA zunehmend vom Militarismus bestimmt. Die USA haben im Irak einen illegalen Angriffskrieg begonnen, in dessen Verlauf schon über eine Million Irakis getötet wurden und etwa vier Millionen flüchten mussten. Die USA haben Folter gebilligt und die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen ignoriert. Die USA haben den Raketenabwehrvertrag aufgekündigt, um Raketenabwehrtechnologie zu bauen, die nicht funktioniert, und um die Bewaffnung des Weltraums zu betreiben. Die USA haben das Völkerrecht einfach bei Seite geschoben.

Der Auszug von Bush und Cheney aus ihrem Amtssitz ist ein Grund zu feiern, innerhalb und außerhalb der USA. Wer an sie denkt, dem werden »shock and awe« einfallen, Abu Ghraib, Guantanamo und ihre Missachtung des Völkerrechts, der US-Verfassung und der Weltmeinung. Nicht zu vergessen ihr verschwenderischer Umgang mit den Steuergeldern und die Tatsache, dass sie die Wirtschaft der USA gegen die Wand gefahren haben. Bush, und mit ihm Cheney, werden höchstwahrscheinlich als schlechtestes Präsidententeam der USA in die Geschichtsbücher eingehen – keine geringe Leistung. Bush hinterlässt seinem Nachfolger zahlreiche außenpolitische und wirtschaftliche Katastrophen. Die aufzuräumen ist für seinen Nachfolger, egal wer das sein wird, eine gewaltige Aufgabe.

Zwischen den beiden Kandidaten dieser Präsidentschaftswahl gibt es große Unterschiede. McCain unterstützt die militärische Lösung internationaler Konflikte und wird wohl der Bush-Strategie folgen, erst dann zu verhandeln, wenn die andere Seite vor der US-Position schon kapituliert hat. McCain hat von Anfang an den Krieg im Irak unterstützt, ist ein Hurrapatriot und setzt auf militärischen Sieg. Das heißt noch mehr Truppen und noch mehr Kämpfe, auch in völkerrechtswidrigen Kriegen. Er glaubt fest daran, dass eine massive Truppenaufstockung den USA im Irak zum Sieg verhelfen wird. McCain wird nachgesagt, er sei jähzornig und hitzköpfig. Das ist für jemanden, der jahrlang in Nord-Vietnam gefangen gehalten wurde, vermutlich ein nachvollziehbarer Charakterzug, aber nicht notwendigerweise wünschenswert bei jemandem, der den Finger auf dem nuklearen Knopf hat.

Obama hingegen begründet seine Meinung und ist maßvoll. Er wirkt bedacht und ausgeglichen. Er denkt nach, bevor er den Mund aufmacht. Er hat den völkerrechtswidrigen Angriff gegen den Irak nicht unterstützt. Er scheint nicht auf die falschen Versprechungen hereinzufallen, dass eine Aufstockung der Truppen den USA im Irak zum Sieg verhilft. Er glaubt, dass dort schon zu viele Menschen – US-Soldaten wie Irakis – gestorben sind und leiden, und dass es Zeit ist, unsere Truppen nach Hause zu bringen. Obama ist zu Verhandlungen bereit, um Frieden zu erreichen und zu bewahren. Natürlich ist er auch nicht perfekt, aber Obama hat seine strategische Vision darauf konzentriert, die Täter der Angriffe vom 11. September zur Rechenschaft zu ziehen. Er würde den Krieg im Irak beenden.

Obwohl es McCain vermeidet, Bush in seinem Wahlkampf namentlich zu nennen, ist erkennbar, dass er den Militarismus von Bush in der nächsten Präsidentschaft weiterführen würde. Er würde auch die Doppelstandards verwenden, mit denen die Regierung Bush ihre Außenpolitik führte. Es besteht die Hoffnung, dass Obama als Präsident bedacht auf internationale Krisen reagieren, Frieden stiften und dem Völkerrecht in der US-Politik wieder Beachtung verschaffen würde. Ich bezweifle, dass die Welt vier weitere Jahre ertragen könnte, die von der Arroganz und dem Militarismus gekennzeichnet wären, die McCain in die Präsidentschaft mitbringen würde. Die Hoffnung für die USA und unser aller Zukunft hängen schlicht davon ab, ob die US-Bürger Obama wählen, einen Kandidaten, der als junger Mensch Bürgergemeinschaften nicht bombardiert sondern organisiert hat. Außerdem hat Obama angekündigt, dass er der US-Präsident sein will, der den Weg in eine atomwaffenfreie Welt bereitet.

David Krieger ist Präsident der Nuclear Age Peace Foundation (www.wagingpeace.org) und Mitglied des World Future Council. Dieser Kommentar gibt seine private Meinung wieder.

Falken im Aufwind

Falken im Aufwind

von Jürgen Nieth

Zwei Personalentscheidungen des US-Präsidenten haben in den
letzten Wochen selbst unter befreundeten Regierungen der USA zu Irritationen
geführt, bei anderen zeigt sich blankes Entsetzen: Mit John Bolton nominierte
die Bush-Regierung einen ausgesprochenen UN-Gegner zum neuen US-Botschafter bei
den Vereinten Nationen und mit Paul Wolfowitz, den »Irakkriegsarchitekten« zum
neuen Chef der Weltbank.

Bolton – der »wohl undiplomatischste Hardliner«

Der Mann, der neuer US-Botschafter bei den Vereinten
Nationen werden soll, hat sich in den letzten 20 Jahren nicht nur als
ausgesprochener Hardliner hervorgetan, sondern auch als scharfer Kritiker der
UN. So schreibt die TAZ (09.03.05): „Er war es, der in den 90er Jahren dafür
warb, dass die USA die Zahlung ihrer Mitgliedsbeiträge an die Vereinten Nationen
einstellen. Die UNO ist für ihn ein »großes rostendes Wrack einer
bürokratischen Superstruktur«, die sich um unwichtige Dinge kümmert.“
Die
Frankfurter Rundschau (09.03.05) bezeichnet Bolton als den „wohl
undiplomatischsten Hardliner“
, für den die UN ein Debattierclub ist, „der
sich bestenfalls für amerikanische Interessen einspannen lässt, den man
ansonsten links liegen lassen muss.“

Störfeuer als Programm

In den 1980er Jahren half John Bolton bei der Finanzierung
der nicaraguanischen Contras, in den 1990er Jahren versuchte er , die
Untersuchungen des US-Kongresses über die Iran-Contra-Affäre und die
Verwicklung in Waffen- und Drogenschmuggel zu unterbinden. Er zählt zu den
exponiertesten Falken, wenn es darum geht, internationale Abkommen zu unterbinden,
die die USA auch nur im Ansatz einschränken könnten. „Bolton hat als
Staatssekretär für Fragen der Rüstungskontrolle die Verhandlungen zur Stärkung
der Biowaffen-Konvention sowie die mit Nordkorea torpediert. Im Atomstreit mit
dem Iran lehnt er den europäischen Gesprächsansatz ab.“
(FR 09.03.05)
Bolton „schrieb jenen Brief, mit dem die USA ihre Unterschrift unter das
Rom-Statut zur Einrichtung des internationalen Strafgerichtshofes zurückzogen,
und beschrieb das später als »den glück­lichsten Moment meines Dienstes für
diese Regierung«. Bei der UN-Kleinwaffenkonferenz 2001 brachte er den Versuch
eines Abkommens zu Fall, in dem er erklärte, die USA würden sich jedem Versuch
widersetzen, den Handel mit Schusswaffen zu regulieren, der »das verfassungsgemäße
Recht zum Waffen tragen« außer Kraft setzen könnte.“
(TAZ 09.03.05)

Wolfowitz: Irakkriegsarchitekt…

Wolfowitz ist seit Jahren einer der herausragenden
neokonservativen Vordenker in den USA. Sein Name taucht in fast allen
konservativen US-Think-Tanks auf (siehe R. Rilling in W&F 4-2004). Den
bisherigen Vize-Verteidigungsminister betrachten zahlreiche Kommentatoren als
»Drahtzieher« des Irakkrieges. So schreibt die TAZ (18.03.05). „Er brachte
eine Militäraktion (gegen den Irak) ins Spiel, als selbst Bush noch nicht daran
dachte.“
Wolfowitz sei unzufrieden gewesen, als Bush nach dem 11.09.2001
den Plan für den Afghanistankrieg vorgelegt habe. Für ihn war Saddam Hussein
der Hauptfeind, der „Massenvernichtungswaffen besitze… (und) auch bereit
sei, sie an Terroristen zu verkaufen. Sein Rat
: Ein Militärschlag gegen den
Irak.“

…ohne Erfahrung in der Entwicklungspolitik

Entwicklungspolitik ist die zentrale Aufgabe der Weltbank,
die der größte Geldgeber für Entwicklungsprojekte weltweit ist. 184 Länder sind
Mitglieder. Vom Chef der Weltbank müssten also eigentlich Erfahrungen in der
Entwicklungspolitik erwartet werden. Bis auf drei Jahre als Botschafter in
Indonesien und einer kurzen Zeit im Außenministerium der USA hat Wolfowitz aber
den größten Teil seiner Karriere im US-Verteidigungsministerium verbracht, von
1977 – 1980 als Beauftragter für die Golfregion, später als Staatssekretär
unter Georg Bush, sen. und dann als stellvertretender Verteidigungsminister
unter Georg Bush, jun.

Der Leiter des UN-Millennium-Projekts zur Bekämpfung von
Hunger und Armut, Jeffrey Sachs, übte dementsprechend deutliche Kritik: „Es
wird Zeit, dass sich andere Kandidaten melden, die Erfahrung auf dem Gebiet der
Entwick­lung haben… Das ist eine Position, von der das Leben hunderter
Millionen Menschen abhängt,“
dazu sei eine professionelle Führung
notwendig. (zitiert nach FR 18.03.05)

Entwicklungshilfe nur noch für Freunde

„Entwicklungshilfe nur noch für Freunde der USA?“,
titelt der Bonner Generalanzeiger (18.03.05). Weiter heißt es: Experten glauben
nun, „dass der Kriegsfalke Wolfowitz die Mittelvergabe weniger an den
finanziellen Bedürfnissen der Entwicklungsländer ausrichten wird, sondern
vielmehr deren Loyalität zu den USA während des Irakkriegs als Kriterium gelten
wird… Die größte Sorge gilt dem möglichen Missbrauch von Weltbankgeldern zur
Finanzierung des Wiederaufbaus des Irak sowie der indirekten Subventionierung
der amerikanischen Militärpräsens.“
Der Generalanzeiger zitiert dann Moises
Naim, ein früheres Mitglied des Weltbankdirektoriums: „Der Mythos, es
handele sich um eine Welt-Bank, gehört jetzt der Vergangenheit an. Sie wird unter
Wolfowitz zu einer rein »amerikanischen« Bank, einer Art Unterabteilung des
Pentagons und des Außenministeriums.“

Eine Zumutung

„Paul Wolfowitz als Präsident der Weltbank ist eine klare
Provokation,“
schreibt der Züricher Tages-Anzeiger (17.03.05). „Präsident
Bush weiß, dass der neokonservative Hardliner nicht nur für die Europäer kaum
akzeptabel ist, sondern auch für die Schwellen- und Drittweltländer eine
Zumutung darstellt. Wenn Bush seine Wahl trotzdem durchdrückt, dann
signalisiert er klar und deutlich, dass er der Welt nach der Irak-Invasion eine
weitere Lektion erteilen will.“

Kooperation à l‘a Bush

„Mit Wolfowitz bei der Weltbank und dem gerade erst zum
neuen Un-Botschafter nominierten John Bolton macht Bush sein Versprechen war –
auf seine Art. Die zweite Amtszeit, so hat er verkünden lassen, werde weniger
von einsamen Beschlüssen geprägt sein, als vielmehr im Zeichen der Kooperation
mit der Weltgemeinschaft stehen. Und genau deshalb schickt er seine loyalsten
Mitstreiter an die Schaltstellen internationaler Politik. Ihre Aufgaben
:
der Welt die Bedingungen beizubringen, unter denen der Präsident zur
Zusammenarbeit bereit ist.“ (Spiegel 12/2005, S. 120)

Bitte keine toten US-Bürger

Bitte keine toten US-Bürger

Zur sicherheitspolitischen Kultur der USA

von Jutta Koch

Am 3. Oktober 1993 war auf den Fernsehschirmen der Welt ein beklommen machendes und beschämendes Bild zu sehen: Ein nackter, weißer, männlicher Toter wurde von schwarzen jungen Männern gefesselt und an die Stoßstange eines Autos gebunden, durch den Staub geschleift. Es handelte sich um einen der achtzehn im Gefecht in der somalischen Hauptstadt Mogadischu getöteten U.S. Army Rangers. In den Monaten zuvor war die UNOSOM-Mission, welche die Vereinten Nationen (UN) im Frühling 1992 zur Rettung der vom Hunger bedrohten dortigen Bevölkerung eingesetzt hatte, aus dem Ruder gelaufen. Die USA hatten sich seit dem 9. Dezember 1992 mit eigenen Truppen beteiligt. Seit Mai 1993 hatte der vor Ort verantwortliche UN-Kommandeur, der amerikanische General Jonathan Howe, mit Einwilligung des UN-Generalsekretärs Butros Butros-Ghali die UNITAF in die Jagd nach dem Anführer eines somalischen Clans, Farah Aidid, verwandelt. Diesem schrieb man den Mord an pakistanischen UN-Soldaten zu. Wenige Tage nach der oben geschilderten, weltweit im Fernsehen übertragenen Szene verkündete US-Präsident Clinton den endgültigen Termin, an dem seine Truppen aus Somalia verschwunden sein würden: den 30. März 1994.

Manche Autoren hielten diesen bedingungslosen Rückzug der USA aus einem mitnichten befriedeten Land – weiteres Chaos und fortschreitender Staatszerfall waren dort programmiert – für einen Wendepunkt in der Sicherheitspolitik der einzigen verbliebenen Supermacht. Damit war die romantische Rhetorik des »assertive multilateralism« der neuen demokratischen Regierung wie auch das Konzept selbst historisch erledigt. So konnten auch Hoffnungen auf eine tiefgreifende Reform der seit zwölf Regierungsjahren republikanisch geprägten Politik als hinfällig gelten. Clinton reagierte nachgiebig und orientierte seine Außen- und Sicherheitspolitik fortan an den obersten Zielen der Reibungsarmut und Geräuschlosigkeit. Der Präsident, der sowieso als »weak on defense« galt, weil er die Teilnahme am Vietnamkrieg seinerzeit höchst geschmeidig umgangen hatte (wie viele andere, darunter auch der rechtskonservative Vizepräsident Bushs, Dan Quayle), erlebte mit dem Versuch, Homosexuelle offener in die Streitkräfte zu integrieren, den Fehlstart seiner Amtszeit. Das Ausmaß des dadurch hervorgerufenen Furors signalisierte, daß hier kulturelle Normen tangiert worden waren. Seitdem wurde es noch unwahrscheinlicher, daß Clinton in sicherheitspolitischen Dingen Mut etwa zu einschneidenderer Abrüstung zeigen würde. Mit Somalia wurde klar: Clinton riskierte kein politisches Vorhaben mehr, das nicht von vorneherein das Wohlgefallen der Spitzenmilitärs fand.

Nach der Euphorie des ungefährdeten Sieges der US-geführten Koalition über die irakischen Truppen Saddam Husseins im Februar 1991 sei klar geworden, so argumentierten die Kommentatoren, daß militärische Einsätze unter UN-Ägide im Desaster endeten. Dabei wurde geflissentlich ausgeblendet, welchen großen Anteil Howe und sein Land an dem Scheitern der drei Somalia-Missionen hatten. Man zog die Lehre, daß mit zunehmender Bedeutung des Militärischen und der Kampfesorientierung künftiger internationaler Konflikte ihre Handhabung durch die US-Regierung umso unilateraler ausfallen müsse. Desto klarer müßten auch in jedem Fall der Beteiligung von US-Soldaten diese das alleinige Kommando führen. Dies war eine Lektion, welche die US-Regierung im Mai 1994 als PDD (Presidential Directive) 25 publik machte.

Die fixe Terminierung des Rückzuges der US-Truppen aus Somalia, bei der die Kriegssituation vor Ort keinerlei Rolle spielte, wurde noch aus einem zweiten Grund mehrheitlich als Wendepunkt interpretiert: Die Vereinigten Staaten könnten eine aktive internationale, ja globale Sicherheitspolitik offensichtlich nur durchhalten, wenn die damit verbundenen Einsätze ihrer Truppen kaum oder gar keine Opfer unter den eigenen Leuten forderten.

Was ist dran an dieser neuartigen, verblüffend wirkenden »Immunitätsdoktrin« (Stanley Hoffman beschrieb sie ganz exakt als »America's new doctrine of American combattant immunity«), die einer, ja »der« Weltmacht schlechthin, zugeschrieben wird? Ist sie neu? Hat sie Ursachen und Folgen? Was soll das, fragt mensch sich irritiert: eine globale Militärpolitik, die eigene Tote kaum und auch gegnerische Tote nur schlecht »verkraftet«?

Der Ursprung

Formuliert wurde der Vorläufer dieser Überlegungen vom Lieblingsfeind der Friedensbewegten in den 1980er Jahren, dem damaligen US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger, Ende November 1984 bei einem Vortrag in Washington D.C. Er nannte sechs Kriterien, die erfüllt sein müßten, bevor dem Einsatz von US-Soldaten in Konflikten oder Kriegen verantwortungsvollerweise zugestimmt werden könne. Diese galten der Reagan-Regierung als so heikel, daß sie erst nach der Wiederwahl der Öffentlichkeit präsentiert werden durften.

Weinberger forderte Einsatz (1) nur bei vitalen nationalen Interessen, der Einsatz müsse dann (2) mit klarer Gewinnabsicht erfolgen, zu diesem Zweck müßten (3) klar definierte politische Ziele, eine konsistente Strategie und angemessene Streitkräfte festgelegt werden. (4) Regelmäßig müßte das Verhältnis von Zielen und Mitteln überprüft werden; (5) Bevölkerung und Kongreß müßten den Einsatz mehrheitlich unterstützen; (6) der Einsatz dürfe nur das letzte verfügbare Mittel zur Lösung eines Konfliktes darstellen (Haass, 1994).

Warum galt dieser Katalog wohl vielerorts als höchst problematisch? Etliche Soldaten mochten sich bei ihrer Ablehnung eines solchen expliziten Kriterienkataloges an die Praxis der Einmischung maßgeblicher Politiker in konkrete militärpolitische Entscheidungen vor Ort – insbesondere der Frage, wo heute zu bombardieren sei – während des Vietnamkrieges erinnern. Darin lag in den Augen vieler Offiziere ein fatales, den Kriegsverlust mitverursachendes Fehlverhalten der Politiker, welche die Mechanismen, aber auch die Grenzen ihrer zivilen Kontrolle über Militärpolitik nicht verstanden hätten.

Andererseits fanden diesen Weinberger-Katalog einige Politiker vor allem aus dem State Department nicht gut, weil sie ihn wohl für zu restriktiv hielten – er werde Militäreinsätze zu verhindern helfen, deren Durchführung sie selbst befürworteten.

»Ziviles« und »militärisches« Denken

Diese hier nur grob skizzierbaren Gruppenreaktionen bilden eine bedeutsame Tendenz ab, die sich bei genauem Hinsehen schon in den 1950er Jahren gezeigt hat, die also nicht erst eine Konsequenz des 1975 endgültig verlorenen Vietnamkrieges darstellt: Außenpolitiker mit einem zivilen Hintergrund haben in den Jahrzehnten der US-Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend frühzeitiger und leichtfertiger zu einem Einsatz von US-Truppen in Konflikten geraten, als es die militärischen Führer guthießen. Breit dokumentiert etwa ist der profunde und eindeutig ablehnende Rat des damaligen Chefs der U.S. Army, Matthew Ridgway, 1954 gegenüber Präsident Eisenhower (seinerseits ein weltberühmter Ex-General, der offensichtlich bereit war, militärischem Rat zuzuhören), was die damals diskutierte Einmischung von amerikanischen Soldaten in den Indochina-Konflikt nach der französischen Niederlage von Dien Bien Phu betraf (Murray 1997). Eisenhower ließ sich von Ridgway überzeugen und folgte dessen Argument, die Unwägbarkeiten im Gefolge einer US-Intervention stünden in keinem vernünftigen Verhältnis zu den dadurch entstehenden Kosten.

Diese Gruppenreaktionen von »zivilen« und »militärischen« Politikern verweisen auch (was an dieser Stelle nicht weiter auszuführen möglich ist) darauf, daß die durch Anführungsstriche ironisierte Unterscheidung häufig keine verläßliche inhaltliche Trennung politischer Inhalte von Sicherheitspolitik mehr ermöglicht. Es hat über diese Einsicht hinaus offensichtlich sogar so etwas wie eine Umkehrung der Fronten stattgefunden: Für eine militäraffine Politik, für den frühzeitigen, u.U. aggressiv-offensiven Einsatz von Streitkräften im Krisenfall, argumentieren zunehmend Zivilisten.

Die zivil-militärischen Beziehungen in den Vereinigten Staaten von Amerika sind, so beklagen derzeit auch Konservative gerne, in einem strukturell problembeladenen Zustand. Dabei geht es nicht um einen bevorstehenden Coup d'État der Streitkräfte, sondern um den Verlust selbstverständlich gewesener Grenzziehungen zwischen der zivilen und der militärischen Sphäre, um die »Politisierung« des Militärs, um die wachsende Distanz zwischen ziviler Gesellschaft und Streitkräften in den USA seit der Einführung der Berufsarmee 1973 sowie um die Zentralisierung militärischer Macht beim Vorsitzenden des Teilstreitkräfte, wie sie infolge der Goldwater-Nichols-Reform von 1986 erfolgt ist (Bacevich 1997, Cohen 1997).

Eine an Militärpolitik überhaupt nicht interessierte politische Elite, die sich in indifferente Kritiker, uninformierte Skeptiker und uninformierte Verherrlicher unterteilen lasse, gefährde die politisch-zivile Kontrolle von demokratischer Militärpolitik grundlegend. Gerade die letzte der genannten Gruppen lasse jedes Gespür für eine gesunde Skepsis gegenüber den Streitkräften und ihrer jeweiligen »institutionellen Kultur« (Bacevich) vermissen (Cohen 1997: 185).

Ursachen & Folgen

Die Aufzählung der mutmaßlichen Ursachen der skizzierten Immunitätsdoktrin, der »casualty sensitivity« bei Politikern und Offizieren, muß mit dem Verlust des Vietnam-Krieges beginnen. Konservative Politiker und die meisten Soldaten glauben, daß die – technologiefixierten, arroganten, auf Quantifizierung von Strategien fixierten – Politiker den Verlust des Krieges verursacht haben. (Dafür spricht vieles.) Die Stimmung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war sowohl in der US-Gesellschaft als auch in den Teilstreitkräften selbst von Verunsicherung gekennzeichnet. Aus dieser Atmosphäre half Ronald Reagan mit seiner einnehmenden, zuversichtlichen, einfachen und rückwärtsgewandten Botschaft heraus. Er versprach Aufrüstung, Optimismus und Stärke. Dennoch geschah unter seiner Ägide im Oktober 1982 ein militärisches Desaster – 241 Marines, die dort Bestandteil einer Peacekeeping-Mission waren, wurden in Beirut in die Luft gesprengt. Etwa ein Jahr später marschierten überdimensionierte US-Truppen in dem karibischen Inselstaat Grenada ein, um eine pro-kubanische Regierung abzusetzen, wobei 18 US-Soldaten starben (Conversino, 1997).

Mit anderen Worten: Gerade die aufrüstungsfreudige Reagan-Administration mußte angesichts dieser Ereignisse Anstrengungen unternehmen, um die Effizienz ihrer Politik der »nationalen Sicherheit« unter Beweis zu stellen. Militärische Qualität mußte sich an der Fähigkeit messen lassen, das Leben der eigenen Soldaten gerade in kleineren, begrenzten Konflikten wirksam zu schützen.

Diese Anforderung wurde als Leitlinie der US-Sicherheitspolitik im Laufe der 1980er Jahre umso bedeutsamer, je weniger bedrohlich die internationale Situation wirkte. Bereits Ende 1986 gab es ernste Anzeichen, daß Gorbatschow es mit Abrüstung und struktureller Defensivierung seiner Streitkräfte ernst meinte. Bereits Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer taugte das Militärpotential des Warschauer Paktes nicht mehr zur selbstverständlichen Legitimation von US-Militärpolitik. Dieser Befund spitzte sich seit 1990 zu: Unklare Fronten mündeten in ungeklärten »Interventionsbedarf«. Statt des Kampfes gegen den Weltkommunismus und seine Stellvertreter, den Reagan Mitte der 1980er Jahre in Lateinamerika nicht mehr mit Unterstützung des Kongresses, sondern nur noch illegal vorantreiben konnte, geriet die Sicherung des freien Zugangs zu den ergiebigen Ölreserven der Welt auf dem Zielkatalog der US-Sicherheitspolitik ganz nach oben. Genau besehen war aber auch dies überhaupt keine Neuerung – bereits Jimmy Carters Verteidigungsminister Harold Brown hatte 1979 eine entsprechende Doktrin formuliert, die den Anspruch auf weltweite Intervention für den Fall untermauerte, daß für die USA der Zugang zu diesen Ressourcen versperrt werden sollte.

Klar war also letztlich trotz des zweiten Golfkrieges, daß es für die weltweit konkurrenzlosen Truppen der USA keine eindeutig umrissene Aufgabenstellung mehr gab: Die militärische Unterstützung von UN-Missionen galt aus den oben beschriebenen Gründen nicht als adäquat, war »politically not correct«; für unilaterale Maßnahmen war die Legitimationsbeschaffung ungeheuer schwierig und höchstens in zeitlich strikt begrenzten Konfliktphasen akzeptabel. Die Mission in Haiti sowie die IFOR- und SFOR-Einsätze im früheren Jugoslawien haben entsprechende Charakteristika herausgebildet.

Daraus folgte, daß – durch die institutionelle Brille gesehen – nur die NATO mit ihrer in Jahrzehnten gebildeten, von den USA dominierten Struktur, in einer spezifischen Arbeitsteilung mit den deutschen Streitkräften, den angemessenen Legitimationsumfang zur Verfügung stellen konnte. Das dürfte vorerst so bleiben, obwohl die NATO-Osterweiterung die Debatte über den eigentlichen Sinn und Zweck der Nordatlantischen Allianz nur vorübergehend ruhiggestellt hat. Ohne diese Erweiterung hätte es um die Zukunft der NATO für die amerikanische öffentliche Meinung schlecht ausgesehen.

Die seit dem Ende des Kalten Krieges gewachsene Schwierigkeit, Militäreinsätze in der Öffentlichkeit zu legitimieren, bedrängt die sicherheitspolitischen Eliten. So sind sie einerseits gehalten, stets auf die anfallenden Kosten zu sehen; andererseits hat die Informationspolitik zur Vorbereitung und Begleitung militärischer Kampagnen einen zentralen Stellenwert. Militärische Zensur hat es während der meisten Kriege gegeben, welche die USA geführt haben.

Relativ neu ist die einigermaßen skandalöse Rigidität professioneller PR-Kampagnen, welche die US-Regierung institutionalisiert hat. Mittlerweile wird grundsätzlich verhindert, daß Journalisten Kampfverläufe selbst in Augenschein nehmen und ohne Begleitung durch Presseoffiziere mit Betroffenen sprechen können. Diese Anti-Öffentlichkeits-Politik hatte übrigens Margaret Thatcher zum erstenmal im Falklandkrieg exerziert. Daher kamen kritisierenswerte Aspekte sowohl der Panama-Intervention im Dezember 1989 als auch des zweiten Golfkrieges verzögert, vereinzelt und so lang wie möglich vom Pentagon abgestritten ans Tageslicht. Die PR-Agenturen arbeiten auch mit gezielter Fehlinformation, um die Öffentlichkeit emotional in die gewünschte Richtung zu drängen – berüchtigtes Beispiel ist die TV-Darstellung vom Mord an irakischen Babies durch eine von der kuwaitischen Regierung angeheuerte PR-Agentur, über die später bekannt wurde, daß eine weinende irakische Mutter von der Tochter des kuweitischen Botschafters in Washington gespielt worden war (MacArthur 1992).

Was das soll

Die Legitimationsbeschaffung für Interventionen und militärische Konfliktbeteiligungen in der Welt ist für die sicherheitspolitischen Eliten schwieriger geworden und mit mehr Aufwand als früher verbunden. Obwohl hier auch hin und wieder vorgebrachte empirische Einwände (Conversino 1997) und kritische Stimmen (Noonan 1997)) zu lesen sind, stimmt die überwältigende Mehrheit der Kommentatoren der US-Sicherheitspolitik in der Auffassung überein, daß die niedrige Opferrate und die damit verbundene öffentliche Unterstützung der Teilnahme von US-Soldaten bei solchen Einsätzen die entscheidenden Bedingungen für ihre Akzeptanz und Durchführbarkeit darstellen. Luttwak hat dies »postheroische« Sicherheitspolitik genannt. Fußend auf der Weinberger-Doktrin, wurden sie in der Powell-Doktrin und der Clinton-Doktrin (Stevenson 1996) ausformuliert.

Hier soll abschließend die These riskiert werden, daß es sich nicht um einen Zufall handelt, der die Weinberger-Kriterien in die Clinton-Doktrin hat münden lassen, der Republicans und Democrats an einem militärpolitischen Strang ziehen läßt, der die Administration Kriterien bedenken und Vorkehrungen aller Art treffen läßt, um während oder nach einer Kriegsteilnahme keine toten US-Soldaten nach Hause fliegen zu müssen: Diese Immunitätsdoktrin ist vielmehr ein signifikanter Bestandteil der sicherheitspolitischen Kultur der Vereinigten Staaten, die von den Eliten des Landes unter Interpretation dessen ausgebildet worden ist, was sie für die Vorlieben und Neigungen ihrer Bevölkerung zum Sujet halten. (Daß sich diese Eliten dabei durchaus verschätzen, ist natürlich alles andere als erstaunlich, soll aber hier nicht weiter vertieft werden, weil die These nicht von einem Gegensatz der Eliten zur Bevölkerung abhängt bzw. falsifiziert wird.)

Es gibt mehrere Gründe, die eine kulturelle Erklärung für die »postheroische« Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika nahelegen. Zu den gewichtigsten gehört, daß auf andere Weise bestimmte – oben skizzierte – Kontinuitäten der US-Sicherheitspolitik, die den scheinbaren Bruch durch das Ende des Ost-West-Konflikts mühelos überstanden haben, nicht begreifbar sind.

Literatur

Bacevich, A.J. (1997): Tradition Abandoned. America's Military in a New Era. In: the National Interest (Summer) 16-25.

Cohen, Eliot A. (1997): Civil-Military Relations. In: Orbis 41 (Spring) 2, 177-186.

Conversino, (Major) Mark J. (1997): Sawdust Superpower: Perceptions of U.S.Casualty Tolerance in the Post-Gulf War Era. In: Strategic Review (Winter), 15-23.

Haass, Richard N. (1994): Intervention. The Use of American Military Force in the Post-Cold War World, Washington.

Hoffmann, Stanley (1995/96): The Politics and Ethics of Military Intervention. In: Survival 37 (Winter 1995/96) 4, 29-51.

Luttwak, Edward N. (1996): A Post-Heroic Military Policy. In: Foreign Affairs 75 (July/August) 4, 33-44.

MacArthur, John R. (1992): Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, New York.

Murray, Williamson (1997): Clausewitz Out, Computer In. In: The National Interest (Summer) 48, 57-64.

Noonan, Michael P. (1997): The Illusion of Bloodless Victories. In: Orbis 41 (Spring) 2, 308-320.

Stevenson, Charles A. (1996): The Evolving Clinton Doctrine on the Use of Forces. In: Armed Forces and Society 22 (Summer) 4, 511-535.

Jutta Koch ist Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag und freie Publizistin