Der militärisch-industrielle Komplex

Der militärisch-industrielle Komplex

Neuinterpretation in Zeiten von Trump

von Andrew Lichterman

Schon lange wird in Friedenskreisen sowohl für analytische als auch für politische Zwecke der Begriff »militärisch-industrieller Komplex« genutzt. Das Konzept erlangte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges durch den Ex-General und US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower Prominenz – dabei war er selbst ein führender Vertreter des gewaltigen Konglomerats, das dieser Begriff umschreibt. Ebenso wie das Konglomerat selbst hat auch das Konzept des militärisch-industriellen Komplexes viel Beharrungsvermögen bewiesen, wird aber auch oft zu leichtfertig zitiert. Denn als Werkzeug ist es zwar bequem, wird aber selten geschärft, verändert, überarbeitet. Dieser Text unternimmt eine Interpretation des militärisch-industriellen Komplexes, die zu den USA in Zeiten eines US-Präsidenten Donald Trump passt.

Die gewaltigen Militärapparate, Rüstungsindustrien und intellektuellen Unterstützungsapparate, die wir gemeinhin als militärisch-industriellen Komplex bezeichnen, begleiten uns in den USA schon seit einem dreiviertel Jahrhundert. In diese Zeit fällt der Aufstieg der Militärmacht USA, aber auch der Beginn ihres Abstiegs. Der militärisch-industrielle Komplex hatte seine Geburtsstunde vor dem Kalten Krieg, den er prägend mit verursachte und am Laufen hielt. Er überdauerte ihn ebenso wie eine kurze Phase der Verwirrung in einer »Nach-Kalte-Krieg-Zeit«, die inzwischen definitiv vorbei ist. In diese Zeitspanne fällt gleichermaßen der Aufstieg der US-Wirtschaft zu ihrer Spitzenposition in puncto Technologie, Fertigungskapazität und Dominanz auf den internationalen Märkten sowie ihr Abstieg, der schneller erfolgt als der Verfall der militärischen Vorherrschaft der USA.

Die Rolle des militärisch-industriellen Komplexes blieb über all die Jahre nicht statisch, und seine langfristige Rolle bei der Gestaltung der Wirtschaft ist tatsächlich sehr relevant. Im Moment sollte aber – wie schon im Kalten Krieg – Priorität haben, einen unmittelbar drohenden Krieg zwischen nuklear bewaffneten Großmächten zu verhindern. Daher müssen wir uns fragen, ob der Verweis auf den »militärisch-industriellen Komplex« noch hilfreich ist, um die kriegstreibenden Kräfte zu verstehen, oder ob dadurch andere – für die jetzige Situation wesentliche – Aspekte aus den Augen geraten.

Eine durch und durch militarisierte Außenpolitik

Oberflächlich betrachtet hat der militärisch-industrielle Komplex der USA nichts an Stärke verloren. Donald Trumps bisherige Amtszeit lässt darauf schließen, dass die laufenden Waffen­entwicklungs- und Beschaffungsprogramme, wenn auch mit höherem Etat, im Wesentlichen weiterlaufen werden. Trumps Entwurf für den Militärhaushalt 2018 lag etwas über dem, den Obama vorgesehen hatte. Das Militär braucht aber eine erhebliche Steigerung des Rüstungshaushalts, wenn Obamas ambitionierte Programme zur Aufrüstung von Atomwaffen fortgesetzt und Trumps Pläne zur Ausweitung und Aufrüstung des übrigen Militärs umgesetzt werden sollen.

Genauere Informationen über Trumps Militärprogramm wird es erst geben, wenn sein Etatentwurf für das Haushaltsjahr 2019 vorliegt – der erste, der zur Gänze von ihm und seiner Administration verantwortet wird.1 Die Zusammensetzung seines Mitarbeiterstabs und Kabinetts lässt eine durch und durch militarisierte Außenpolitik erwarten. Trump besetzte die Posten des Verteidigungsministers, des Nationalen Sicherheitsberaters und des Stabschefs des Weißen Hauses, die üblicherweise Zivilisten vorbehalten sind, mit Berufsoffizieren. Er berief Führungskräfte von Rüstungsunternehmen auf Schlüsselpositionen im Verteidigungsministerium, darunter Vorstandsmitglieder von Lockheed Martin, Boeing, Raytheon und Textron. Trumps ernannte Rick Perry zum Chef des Energieministeriums, das die nuklearen Bomben und Sprengköpfe der USA entwickelt und baut. Perry, bis 2015 Gouverneur von Texas, bringt für diesen Job reichlich wenig Erfahrung mit: Vor seiner Ernennung wusste er nicht, dass das Energieministerium für die Atomwaffen zuständig ist, und hatte gar seine Abschaffung gefordert.2 Mangels Kompetenz an der Ministeriumsspitze werden die Vorgaben zum Thema Atomwaffen wohl buchstäblich ungefiltert von den langjährigen Insidern des Atomwaffenkomplexes kommen, vor allem aus den Atomwaffenlabors von Livermore und Los Alamos. Da es keine kohärente Außenpolitik gibt – oder auch nur einen Stab kundiger Zivilbeamter in den höheren Rängen der Regierung, die eine formulieren könnten –, werden die laufenden Programme zur Modernisierung des Militärs wohl einfach weiterlaufen, mit steigendem Etat.

Im Kongress gibt es kaum Widerstand gegen die Erhöhung des Militäretats, ganz im Gegenteil werden dort teils noch deutlich höhere Beträge gefordert. Für 2018 wurde vom Kongress mit überwältigender Mehrheit ein Pentagon-Budget in Höhe von fast 700 Mrd. US$ verabschiedet, im Repräsentantenhaus stimmten auch Zweidrittel der oppositionellen Demokraten zu, im Senat sogar fast alle.3 Die Republikaner und die Demokraten haben zwar seit Jahren Mühe, den Gesamtetat der US-Regierung festzulegen und Haushaltssperren zu vermeiden, letztlich eint sie aber der Wille, die Mittel für das Militär bereitzustellen. Dass das gelingt, ist nicht zuletzt auch im Interesse des militärisch-industriellen Komplexes und ein Indikator für dessen Einfluss auf die Abgeordneten.

Die vier Phasen des militärisch-industriellen Komplexes

Der militärisch-industrielle Komplex der USA hat mindestens vier Phasen durchlaufen. Die erste Phase war geprägt durch die Fließbandproduktion im Zweiten Weltkrieg, in der Zehntausende Arbeiter*innen für die Millionen Soldaten auf den Schlachtfeldern Luft-, Land- und Wasserfahrzeuge bauten. In dieser Zeit begann auch die enorme, institutionalisierte staatliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung; das Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe ist dafür nur das prominenteste Beispiel.

Nach einem gewissen Nachkriegseinbruch setzte der militärisch-industrielle Komplex unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges die Massenproduktion von Waffen fort, um ein Militär auszurüsten, dass Millionen Mann unter Waffen hielt, während für das nukleare Wettrüsten gleichzeitig ein paralleler Komplex entstand, der die Regierung, Wirtschaftsunternehmen und Universitäten umfasste. Die Führungsspitze der USA setzte die Militärausgaben zur Steuerung der Nachkriegswirtschaft ein und initiierte im Namen der nationalen Verteidigung gigantische Infrastrukturprojekte, z.B. die Interstate Highways [das Gegenstück zu den europäischen Autobahnen]. Dieses Konglomerat meinte Eisenhower mit »militärisch-industriellem Komplex«. Dessen Aktivitäten wie die Etats erreichten ihren Höchststand während des Korea- und des Vietnamkrieges, als die USA große Landkriege führten sowie ihr Atomwaffenarsenal weiterentwickelten und massiv ausbauten.

Nach dem Vietnamkrieg gab es eine kurze Phase der Entspannung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Zu Beginn der 1980er Jahre fuhren die USA die Waffenforschung und -produktion schon wieder hoch, entwickelten neue Generationen Atomwaffen und Trägersysteme und verfolgten mehrere technologische Pfade für Raketenabwehr. Die UdSSR zog mit, so gut sie es vermochte. In dieser Phase schien das weitverzweigte und in Jahrzehnten gefestigte Netzwerk von Waffenlabors und -fabriken das Wettrüsten in einem Ausmaß voranzutreiben, das nicht nur mit den Profitinteressen der Rüstungsunternehmen oder dem langfristigen Streben der USA nach Ausweitung seiner ohnehin schon dominierenden Wirtschaftsmacht zu erklären ist. Der britische Historiker Edward Thompson schrieb damals: „So betrachtet, haben die USA und die UdSSR keinen militärisch-industriellen Komplex – sie sind dieser Komplex. Der »führende Sektor« (Waffensysteme und ihre Stützen) nimmt in der Gesellschaft nicht viel Raum ein und die offizielle Geheimhaltung sorgt für eine geringe Sichtbarkeit, dennoch prägt er die gesamte Gesellschaft. Und er lenkt die Richtung des Wachstums.4

Trotz des Impulses durch das Wettrüsten und der offenkundigen Dominanz der Kommandohöhen der US-Wirtschaft durch den militärisch-industriellen Komplex sanken die Militärausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts zu dieser Zeit; der Höhepunkt war bereits in den 1950er und 1960 Jahren erreicht. Das Ende des Kalten Krieges läutete ein Jahrzehnt ein, in dem der Verteidigungshaushalt sogar in absoluten Zahlen niedriger war als im Kalten Krieg, d.h. der Anteil des militärisch-industriellen Komplexes an der US-Wirtschaft insgesamt verringerte sich.

Diese dritte Phase des militärisch-industriellen Komplexes endete am 11. September 2001, in dessen Folge die Ausgaben für konventionelle Rüstung und den Ausbau von Kampftruppen für die wechselnde Abfolge von Besatzungs- und Aufstandbekämpfungskriegen weltweit stiegen. Noch ist nicht eindeutig zu erkennen, ob diese vierte Phase des militärisch-industriellen Komplexes in zwei Unterphasen unterteilt ist oder ob wir uns einer ganz neuen, klar unterscheidbaren fünfte Phase nähern. In den frühen 2000er Jahren konzentrierte sich das US-Militär auf die klassischen Probleme, die die Aufrechterhaltung eines ausgedehnten Imperiums mit sich bringt: Wie nutzt man den eigenen Vorsprung in punkto Mobilität, Kommunikation, Überwachung und Feuerkraft aus, um gegenüber vielen schlechter organisierten Gegnern an einer Vielzahl von Schauplätzen die Oberhand zu behalten? Spätestens mit Obamas »pivot to Asia« – der militärischen Prioritätensetzung Richtung Asien – und dem Beginn des Ukrainekrieges fingen die nationalen Sicherheitseliten und der militärisch-industrielle Komplex wieder ernsthaft damit an, sich auf eine Konfrontation mit anderen nuklear bewaffneten Großmächten vorzubereiten.

Die relative Macht des militärisch-industriellen Komplexes

Die Rückkehr von Spannungen zwischen Großmächten und ein gewisses strategisches Wettrüsten bedeuten allerdings nicht, dass der militärisch-industrielle Komplex der USA ein Wiedergänger von dem aus Zeiten des Kalten Krieges ist. Zu sehr haben sich die Streitkräfte der Großmächte und deren Ausrüstung geändert, und in noch größerem Maße die Struktur der globalen Wirtschaft, die Rolle und Wirtschaftskraft der USA. All dies beeinflusst die Fähigkeit der USA, ihre militärische Dominanz aufrecht zu erhalten. All dies beeinflusst aber auch die relative Macht des militärisch-industriellen Komplexes in der Wirtschaft und Politik der USA sowie die Fähigkeit der US-Eliten, den militärisch-industriellen Komplex als Vehikel für tecnologische Entwicklung und die Regulierung der Wirtschaft zu nutzen.

Der sinkende Militärhaushalt wurde in den 1990er Jahren begleitet von einer rasanten Konsolidierung der Rüstungsindustrie und der Schließung militärischer Standorte im Inland.5 Die Streitkräfte wurden professionalisiert; auch die Waffentechnologie unterlag einem Wandel. Entsprechend wurde die Truppe verkleinert, dafür mit leistungsfähigeren, aufwendigeren und teureren Waffensystemen ausgerüstet. Dadurch litt die bis dato beherrschende geographische und wirtschaftliche Präsenz des Militärs und der Rüstungsindustrie.

Die geringere Relevanz des militärisch-industriellen Komplexes für die US-Wirtschaft und die parallelen Umbrüche der ökonomischen Struktur insgesamt lassen den Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes auf die gesamte technologische Entwicklung und Wirtschaftssteuerung vermutlich sinken. Das Verteidigungsministerium hat seine führende Rolle als Auftraggeber für Forschung und Entwicklung bereits verloren.6 Forschung und Entwicklung profitieren von der Nähe zu den Produktionsstätten der relevanten Industriezweige. Viele US-Unternehmen verlagerten ihre Produktion aber ins Ausland, solche Synergien fallen also zunehmend weg. Außerdem werden auch durch technische Innovationen kaum neue Jobs im Inland geschaffen, auch nicht als Ergebnis von Forschung und Entwicklung für das Militär.

Rüstungsproduktion als Steuerungsmittel für die Makroökonomie und die Schaffung neuer Arbeitsstellen verspricht also nicht mehr viel Erfolg. In einer zunehmend polarisierten Wirtschaft, sei es global oder national, haben ältere und kleinere Industriestandorte und ländlich geprägte Regionen im Hinterland das Nachsehen. Als Subunternehmer für die teuren Hightech-Waffen werden eher Firmen in den Ballungsräumen beauftragt, weil sich die Unternehmen der neuen Technologien vorzugsweise dort ansiedeln. Dies fördert im Umkehrschluss die weitere Integration der Ballungsräume in die globalen Handels- und Investitionsstrukturen. Neue militärische Tätigkeitsfelder, die an Privatunternehmen vergeben werden, z.B. im Bereich Aufklärungs-, Spionage- und Informationstechnologie, konzentrieren sich ebenfalls eher in bereits »globalisierten« Ballungsräumen. Die alten Industriezentren werden also kaum von steigenden Militärausgaben profitieren, sich stattdessen mit örtlichen Militärstützpunkten oder schon lange regional etablierten Fabriken und Lieferketten begnügen müssen. In den diversifizierten und globalisierten Ballungsräumen aber spielen selbst steigende Militärausgaben für die Wirtschaftskraft keine so große Rolle.

Widersprüchliche Dynamiken

Allerdings gibt es zu dieser Entwicklung auch einige Gegentrends. Der allgemeine Niedergang der Fertigungsindustrie in den USA könnte dazu führen, dass der Fertigung von Rüstungsgütern in diesem schrumpfenden Sektor in Zukunft eine unverhältnismäßig große Rolle zukommt. Auch der Export von Rüstungsgütern war für die US-Rüstungsindustrie immer ein wichtiger Faktor. Rüstungsexporte werfen in der Regel mehr Profit ab als Waffenverkäufe an das inländische Militär und finden häufig antizyklisch statt, so dass die Fertigungskapazität durchgehen aufrechterhalten werden kann und die Rüstungsunternehmen auch dann profitabel arbeiten, wenn das US-Militär vorübergehend weniger Aufträge vergibt.7 Die Expansion der quasi-militärischen »Homeland Security«, von der allgegenwärtigen Überwachung bis hin zur Militarisierung der Bundes- und Ortspolizei, schafft neue Absatzmärkte für militärtaugliche Technologien und eine engere Verbindung zwischen dem für innere Sicherheit zuständigen Sektor und dem Militär.

Weitere gegenläufige Trends ergeben sich aus dem Zusammenspiel der politischen Landschaft mit der sich wandelnden ökonomischen Landschaft. Sofern es nicht zu einem deutlichen Strukturwandel kommt, sind Militärstandorte und Rüstungsfabriken im ländlichen Raum und in den älteren Zentren der verarbeitenden Industrie eine der wenigen Optionen für Wirtschaftswachstum und feste, gut bezahlte Arbeitsplätze, die nicht so einfach ins Ausland verlagert werden können. Durch die Schließung von Militärstützpunkten in den 1990er und frühen 2000er Jahren sind die inländischen Militärbasen jetzt vor allem im Südosten der USA konzentriert.8 Die Zusammensetzung des US-Kongresses und des »Wahlmännerkollegiums« gibt gering bevölkerten Staaten ein überproportionales Gewicht, und die Republikaner nutzten die langen Jahre, in denen sie die Bundespolitik schon dominieren, um Wahlbezirke neu aufzuteilen, in denen sie stark sind, z.B. rund um Militärstandorte und Rüstungsfabriken. Dem militärisch-industriellen Komplex kommt bei der Politikgestaltung damit noch mehr Bedeutung zu; das kompensiert in gewissen Ausmaß seine eher bescheidene Bedeutung für die Ökonomie. Die US-Politik wird auf diese Weise immer weiter polarisiert und blockiert – auf längere Frist ein zuverlässiger Ausgangspunkt für all diejenigen, die für Nationalismus und Militarismus offen sind.

Die verbliebene Stärke des militärisch-industriellen Komplexes und die steigenden Militärausgaben unter Trump könnten ein Faktor sein, der die USA in den Krieg treibt. Für die Kriegsgefahr spielen andere Faktoren aber wohl eine wichtigere und unmittelbarere Rolle. Dazu gehört der Wettlauf um Rohstoffe und Märkte, der an die Kämpfe zwischen den Großmächten im frühen 20. Jahrhundert erinnert, und das in einer Zeit, in der das Wirtschaftswachstum, die Akkumulation und Konzentration von Reichtum und die Globalisierung von Handel und Investitionen ihren Zenit bereits erreicht haben. Die Öffnung der Länder des ehemaligen Ostblocks als neue Märkte und billige, qualifizierte Arbeitskräftereservoirs hielt den Konflikt zwischen den Großmächten nach dem Kalten Krieg zunächst unter der Decke. Dazu trug auch die relative Schwäche der herrschenden Schichten in Russland und China während der ideologischen und wirtschaftlichen Turbulenzen infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion bei. Inzwischen streben die Führungseliten in beiden Ländern nach mehr Kontrolle sowohl ihrer inländischen Wirtschaft als auch des nahen Auslandes.

Diese widersprüchlichen Dynamiken, denen der militärisch-industrielle Komplex in den USA unterliegt, sind Ausdruck eines erheblichen Ungleichgewichts zwischen einem nach wie vor mächtigen US-Militär und einer US-Wirtschaft im Niedergang. Es besteht die Gefahr, dass diese fundamentale Diskrepanz die herrschenden wirtschaftlichen und politischen Kreise der USA zu gefährlichen Verhaltensmustern verleitet. Spitzenpolitiker die glauben, ihr Land habe den Zenit erreicht und falle nun gegenüber ihren Hauptrivalen zurück, könnten versucht sein, ihren schwindenden militärischen Vorteil nochmals maximal auszunutzen und Kriege zu riskieren oder sogar gezielt vom Zaun zu brechen.9

Selbst wenn Trump einmal nicht mehr im Amt ist, verbleiben die Kräfte, die ihn ins Amt brachten. Für die herrschenden Kreise der Vereinigten Staaten wird es zunehmend schwieriger, wie gewohnt ihren Vermögensanteil aus der globalen Wirtschaft zu ziehen und gleichzeitig genug Wohlstand zu verteilen, um im Inneren den Frieden aufrecht zu erhalten. Das verleitet auch im Inneren zu riskanteren Politikstrategien. Das Einsickern eines Blut-und-Boden-Nationalismus von den politischen Rändern in die politische Mitte ist vielleicht ein Zeichen für die Angst in Teilen der Elite vor dem Niedergang der USA. Die ungleiche Verteilung von Reichtum, die Erosion der Demokratie und die unbekümmerten Attacken auf die sozialen Schutzsysteme schaffen ein enormes Potential für Ressentiments. Militarismus und extremer Nationalismus sind das ideologische Werkzeug, um diese Wut zu kanalisieren und zugleich Repression im Inneren und konfrontative Politik nach außen zu rechtfertigen.

Nachdenken tut not

Wir beginnen erst langsam, den heutigen militärisch-industriellen Komplex zu verstehen; das ist aber Voraussetzung, um darüber nachzudenken, welche Strategien wir brauchen. Heute ist vieles anders als im Kalten Krieg, aber manche unerfreulichen Aspekte sind unverändert geblieben. Wir müssen erkennen, dass unsere Priorität zuallererst auf der Verhinderung eines neuen katastrophalen Krieges liegen muss. Trumps Aufstieg hat uns daran erinnert, vor welchen Gefahren wir stehen. Das zentrale und gleichbleibende Charakteristikum militärisch-industrieller Komplexe ist ihre permanente Mobilisierung für Kriege von potentiell zivilisationsbeendendem Ausmaß. Sowohl der Historiker Edward P. Thompson als auch der Soziologe C. Wright Mills mahnten uns schon vor Langem, „der unmittelbare Anlass für den Dritten Weltkrieg ist seine Vorbereitung.10 Dabei muss kein zusätzlicher Cent in Militärbasen, Streitkräfte oder die Aufrüstung von Atomwaffen fließen, um die Maschinerie für unser aller Auslöschung zu schaffen – diese existiert schon jetzt.

Anmerkungen

1) Kurz bevor dieser Text in Satz ging, wurde Trumps Haushaltsentwurf für das Finanzjahr 2019 veröffentlicht. Dort sind für das Pentagon 686 Mrd. US$ vorgesehen, das sind 99 Mrd. mehr als in seinem Entwurf für 2018 (dpa: Hunderte Milliarden Dollar zusätzlich für Waffen und Abschottung; handelsblatt.com, 12.2.2019). Zum tatsächlichen Militär­etat ­siehe William D. Hartung: Mehr als eine ­Billion Dollar. S. 10 in dieser W&F-Ausgabe. [die Übersetzerin]

2) Davenport, C. (2017): Rick Perry Regrets Call to Close Energy Department. The New York Times, 19.1.2017.

3) U.S. House of Representatives: Final Vote Results For Roll Call 631. Role call vote on HR 2810, The National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2018. 14.11.2017.
U.S. Senate roll call vote, H.R.2810 as amended, National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2018. 18.9.2017.

4) Thompson, E.P. (1980): Notes on Exterminism, the Last Stage of Civilization. New Left Review, No. 121, May/June 1980, S. 23.

5) Cronberg, C.; Aeroe, A.; Seem, E. (1996): Technological Powers in Transition – Defense Conversion in Russia and the U.S. 1991-1994. Copenhagen: Afademisk Forlag A/S, S. 94f.

6) National Academy of Engineering and National Research Council (2012): Assuring the U.S. Department of Defense a Strong Science, Technology, Engineering, and Mathematics (STEM) Workforce. Washington, D.C.: ­National Academy Press, S. 1.

7) Markusen, A.; Yudken, J. (1992): Dismantling the War Economy. New York: Basic Books, S. 79, 211.

8) Kromm, C. )2005): Base Closings and the South. Facing South, 13.5.2005.

9) Siehe dazu Copeland, D.C. (2000): The Origins of Major War. Ithaca: Cornell University Press.

10) Thompson, E.P. (1980): Notes on Extermin­ism, the Last Stage of Civilization. New Left Review, No. 121, May/June 1980, S. 22; dort zitiert er Mills, W.C. (1958): The Causes of World War III. New York: Literary Licensing, S. 47.

Andrew Lichterman ist Politikanalyst und Jurist bei der Western States Legal Foundation (Oakland, Kalifornien) und Vorstandsvorsitzender der Campaign for Peace, Disarmament and Common Security (Cambridge, Massachusetts).

Aus dem Englischen übersetzt von ­Regina Hagen.

Mehr als eine Billion Dollar

Mehr als eine Billion Dollar

Das Budget der USA für Militär, Rüstung und Verteidigung

von William D. Hartung

Bei all dem Geschrei nach mehr Geld durch Militär, Politik und den Präsidenten sollte man nicht glauben, dass es dem Pentagon nie besser ging. Das Verteidigungsministerium der USA erhält weit mehr als eine halbe Billion Dollar pro Jahr, mit steigender Tendenz. Inflationsbereinigt ist der Verteidigungsetat höher als in den 1980er Jahren, als der damalige US-Präsident Ronald Reagan den Etat massiv aufstockte, und nähert sich wieder den Spitzenwerten seit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei ist das allenfalls die halbe Wahrheit, denn für »Verteidigung« werden zusätzlich Hunderte Milliarden Dollar ausgegeben, die nicht im Haushalt des Pentagon auftauchen. Auch wenn die Angaben vom Juli 2017 stammen – die Absurditäten des US-Sicherheitsstaates haben nicht erst mit Donald Trump begonnen.

Um einen Eindruck von den wahren Kosten für unsere bisherigen, heutigen und künftigen Kriege zu bekommen, müssen wir uns die entsprechenden Budgetzahlen genau anschauen. Die für diesen Zweck aufgewandten Gelder sind das Lebenselixier des nationalen Sicherheitsstaates. Dabei geht es um insgesamt zehn Kategorien nationaler Sicherheitsausgaben – und nur eine davon ist für das Pentagon. Wappnen Sie sich also für eine Tour durch das Billionen-Dollar-Budget der USA für »nationale Sicherheit«. Angesichts der Neigung des Pentagon, Geld zu verschwenden, und der Tendenz unserer Regierung, ohne Ende Kriege zu führen, die gefährlich und töricht sind, ist eines von Anfang an klar: Der größte Teil dieser horrenden Summen, die von unseren Steuergeldern bezahlt werden, dient in keiner Weise dazu, uns sicherer zu machen.

1. Das Pentagon-Budget

Der offizielle Etat des Pentagon umfasst die Kosten für Ausbildung, Ausrüstung und den laufenden Betrieb des US-Militärs sowie für die zahlreichen Zivilangestellten des Pentagon zu Friedenszeiten. Wenn Verschwendung ein Garten Eden ist, dann sind wir hier im Paradies.

Der Haushalt des Pentagon ist geprägt von Verschwendung, was kaum verwundert angesichts der einzigen großen Regierungsbehörde, die noch nie einer Rechnungsprüfung unterzogen wurde. So befand letztes Jahr z.B. das Defense Business Board, ein Beratungsgremium des Verteidigungsministeriums, dass das Pentagon über fünf Jahre 125 Mrd. US$ sparen könnte, wenn es seine überbordende Bürokratie stutzt. Und jüngst zeigte der Generalinspekteur des Pentagon in einer Studie auf, dass das Ministerium Hunderte Empfehlungen ignorierte, die zu Einsparungen von mehr als 33,6 Mrd. US$ geführt hätten.

Das Pentagon kann noch nicht einmal genaue Zahlen nennen, wie viele Mitarbeiter privater Subunternehmen es beschäftigt, es sind aber auf jeden Fall mehr als 600.000, und viele von ihnen sind mit Aufgaben betraut, die viel besser von Regierungsangestellten erledigt würden. Mit einer Reduzierung der hohen Zahl von Vertragsbeschäftigten um 15 % könnte das Pentagon pro Jahr 20 Mrd. US$ sparen – und das wäre erst der Anfang, wenn es darum geht, die überflüssige doppelte Stellenbesetzung durch Regierungsangestellte und private Arbeitskräfte zu beseitigen.

Das sind nur die offensichtlichsten Beispiele unsinniger Ausgaben im Verteidigungsministerium. Die Einsparungen könnten noch viel größer sein, würde das Pentagon seine globalen Ambitionen zurückfahren, die in den letzten 15 Jahren nichts als Ärger brachten und dafür sorgten, dass das US-Militär im Irak, in Afghanistan, in Syrien und anderswo im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika verheerende und kontraproduktive Kriege führt. Ben Friedman vom libertären Cato Institute schätzt, das Pentagon könnte im nächsten Jahrzehnt eine ganze Billion Dollar sparen, wenn Washington seine interventionistischen Instinkte zügeln und sich einfach auf die Kerninteressen der USA konzentrieren würde.

Bekanntermaßen bewarb sich Donald Trump um die Präsidentschaft als Geschäftsmann, der aufräumen und in der Regierung eine noch nie dagewesene Effizienz durchsetzen würde. Stattdessen hat er sich seit seinem Amtsantritt vor allem dadurch hervorgetan, dass er die chronischen Probleme im Pentagon ignoriert und für 2018 eine deftige Etaterhöhung auf 575 Mrd. US$ vorgeschlagen hat. Und selbst diese expansive Finanzplanung für das Militär wirkt bescheiden im Vergleich zu den Wünschen übereifriger Mitglieder der Armed Services Committees [Verteidigungsausschüsse] von Repräsentantenhaus und Senat des US-Kongresses. Demokraten ebenso wie Republikaner wollen das Pentagon-Budget 2018 auf mindestens 600 Mrd. US$ hochtreiben. Da die Kämpfe im Kongress über das endgültige Budget weitergehen, belassen wir es für den Moment bei den von Trump geforderten Ausgaben.1

2. Das Kriegsbudget

Die Kriege dieses Jahrhunderts, von Irak bis Afghanistan und darüber hinaus, wurden überwiegend nicht aus dem regulären Pentagon-Budget finanziert, sondern über ein Sonderkonto. Das Kriegsbudget – in der antiseptischen Sprache des Pentagon als »Overseas Contingency Operations« [Notfalleinsätze im Ausland] bekannt – erreichte seinen Höchststand von 180 Mrd. US$ während der bewaffneten Irak-Intervention der Regierung Bush [jr.].

Die Truppenzahl im Irak und in Afghanistan ist seither von etlichen Hunderttausend auf etwa 15.000 Soldat*innen stark zurückgegangen, das Kriegsbudget hingegen ist wundersamerweise nicht annähernd so stark gefallen. Für dieses gilt noch nicht einmal die bescheidene Deckelung des regulären Pentagon-Budgets, die vom Kongress 2011 im Rahmen des Haushaltsstreits und einem Deal zur Aufrechterhaltung der Regierungstätigkeit verhängt und bis heute nicht aufgehoben wurde.

Vielmehr hat sich das Kriegsbudget in den letzten fünf Jahren zum Reptilienfond entwickelt, aus dem das Pentagon Dutzende von Milliarden Dollar für Posten bezahlt, die mit Kriegsführung nicht das Geringste zu tun haben. Die Trump-Regierung fordert für dieses Budget für das Finanzjahr 2018 64,4 Mrd. US$. Einige Kongressmitglieder würden gerne noch 10 Mrd. US$ oben drauf packen. Für diese Zusammenstellung nehmen wir hier auch die von Trump geplanten Zahlen.

3. Atomsprengköpfe (und mehr)

Die Kosten für Forschung, Entwicklung, Aufrechterhaltung und »Modernisierung« der 6.800 US-Atomwaffen fallen bei einer obskuren Behörde an, die zum Energieministerium gehört: der National Nuclear Security Administration. Die NNSA ist auch zuständig für Atomreaktoren der US Navy, für die Sanierung der durch die Atomwaffenfabriken verseuchten Umwelt und für die Finanzierung der drei Atomwaffenlabors. Dafür stehen pro Jahr mehr als 20 Mrd. US$ zur Verfügung.

4. »Sonstige Verteidigung«

Dieser Sammelbegriff umschreibt mehrere verteidigungsbezogene Finanzströme, die nicht an das Pentagon, sondern an andere Behörden gehen, und umfasst pro Jahr etwa 8 Mrd. US$. In den letzten Jahren wurden etwa Zweidrittel dieser Gelder für »Homeland Security«-Aktivitäten des FBI ausgewiesen – das entspricht mehr als dem halben Jahresetat dieser Behörde.

Die vier bislang genannten Kategorien machen das aus, was das Budget Office [Haushaltbüro] des Weißen Hauses insgesamt für »nationale Verteidigung« ausweist. Die 677,6 Mrd. US$ erzählen aber bei Weitem nicht die ganze Geschichte.

5. Heimatschutz

Nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 schuf der Kongress eine Mega-Behörde: das Department of Homeland Security [Ministerium für Heimatschutz]. Ihm wurden 22 existierende Einheiten unterstellt, die alle mit innerer Sicherheit und Grenzschutz zu tun haben. Dieses wuchernde Ministerium hat inzwischen 240.000 Beschäftigte. Wer es genau wissen will, unter dem Dach des Heimatschutzministeriums sind momentan u.a. folgende Einrichtungen angesiedelt: Coast Guard [Küstenwache], Federal Emergency Management Agency [Bundesagentur für Katastrophenschutz], Federal Law Enforcement Training Center [Bundespolizeiakademie], Domestic Nuclear Detection Office [Amt für die Detektion nuklearer Strahlung im Inland], Citizenship and Immigration Services [Einwanderungs- und Ausländerbehörde], Customs and Border Protection Agency [Zoll und Grenzschutz], Transportation Security Agency [Amt für Verkehrssicherheit], Secret Service [u.a. zuständig für den Schutz der Regierungsmitglieder], Immigration and Customs Enforcement Agency [Amt für Einwanderungs- und Zollkontrolle] und Office of Intelligence Analysis [Amt für Aufklärungsanalyse]. Letzteres ist der einzige von 17 US-Geheimdiensten, der tatsächlich in den originären Aufgabenbereich des Heimatschutzministeriums passt.

Wie viele dieser Behörden machen uns wirklich sicherer? Darüber ließe sich trefflich streiten, wenn tatsächlich jemand Interesse an dieser Debatte hätte. Das Amt für Einwanderungs- und Zollkontrolle – in den USA zuständig für Abschiebungen – z.B. hat viel mehr Leid verursacht als uns vor Kriminellen und Terroristen geschützt. Andererseits ist es beruhigend, dass es eine Behörde gibt, die den Auftrag hat herauszufinden, ob sich in unserer Mitte eine Atombombe oder eine radioaktive »schmutzige« Bombe befindet.

Auch wenn es schwer ist, das Pentagon zu übertrumpfen, hat das Heimatschutzministerium seine eigene Bilanz fragwürdiger Ausgaben für große und kleine Posten. Sie reichen von 1.000 US$ Gebühr pro Teilnehmer*in für Konferenzen in Wellnesshotels über den Kauf von Dudelsäcken für Grenzschutzbeamte bis hin zu Dutzenden erstaunlich fetter Gehälter für Bürokraten der Behörde. Am zehnten Jahrestag der Gründung des Heimatschutzministeriums kritisierte der Kongressabgeordnete Jeff Cuncan (Republikaner, South Carolina) heftig, das Ministerium sei »voller Verschwendung«, und verwies dabei u.a. auf einen Bericht des Generalinspekteurs der Behörde, der über eine Milliarde Dollar Fehlausgaben anprangerte.

Das Heimatschutzministerium sollte eigentlich Kräfte bündeln, um die Vereinigten Staaten vor inneren Bedrohungen zu schützen. Inzwischen scheint es aber wie ein Magnet immer mehr Ausgaben für planlose, verfehlte und zuweilen sogar gefährliche Vorhaben anzuziehen. Dazu gehört z.B. ein Programm, das lokalen Polizeibehörden den Kauf von Ausrüstung ermöglicht , die für militärische Zwecke ausgelegt ist – nicht etwa zum Einsatz gegen Terrorist*innen, sondern gegen Bürger*innen, die gegen Unrechtsakte just der Behörden protestieren, die vom Heimatschutzministerium mit Waffen ausgerüstet werden.

Die Regierung Trump forderte für das Finanzjahr 2018 einen Etat in Höhe von 50 Mrd. US$ für das Ministerium.

6. Militärhilfe

Die Programme der US-Regierung für Militärhilfe wurden in diesem Jahrhundert deutlich ausgeweitet. Die Vereinigten Staaten führen Dutzende Waffen- und Trainingsprogramme für mehr als 140 Länder durch. Dies summiert sich auf über 18 Mrd. US$ pro Jahr, etwa 40 % davon aus dem Etat des State Department [Außenministerium]. Der Anteil des Pentagon an diesen Programmen ist im regulären Verteidigungshaushalt enthalten, die 7 Mrd. US$ des Außenministeriums nicht. Dabei kann es sich solche Ausgaben kaum leisten, da sein Etat von der Trump-Administration ohnehin ausgehöhlt wird.

7. Geheimdienste

Die Regierung der Vereinigten Staaten unterhält 16 separate Geheimdienste: Central Intelligence Agency [CIA, ziviler Auslandsgeheimdienst]; National Security Agency [NSA; militärischer Auslandsgeheimdienst, zuständig für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation; der Chef der NSA ist gleichzeitig Chef des US Cyber Command]; Defense Intelligence Agency [militärischer Nachrichtendienst]; FBI [fungiert u.a. als Inlandsgeheimdienst]; State Department Bureau of Intelligence and Research [Amt für Aufklärung und Forschung des Außenministeriums]; Department of Homeland Security Office of Intelligence Analysis [Büro für Nachrichtenanalyse des Heimatschutzministeriums]; Drug Enforcement Administration Office of National Security Intelligence [Nationaler Geheimdienst der Drogenbehörde]; Treasury Department Office of Intelligence and Analysis [Geheimdienst des Finanzministeriums]; Department of Energy Office of Intelligence and Counterintelligence [Büro für Aufklärung und Gegenspionage des Energieministeriums]; National Reconnaissance Office [Nationales Amt für Aufklärung, betreibt die militärischen Spionagesatelliten]; National Geospatial Intelligence Agency [Nationale Agentur für Fernaufklärung]; Air Force Intelligence, Surveillance, and Reconnaissance [Spionage, Überwachung und Aufklärung der Luftwaffe]; Army Military Intelligence [Heeresnachrichtendienst]; Office of Naval Intelligence [Marinenachrichtendienst]; Marine Corps Intelligence [Nachrichtendienst der Marineinfanterie]; Coast Guard Intelligence [Nachrichtendienst der Küstenwache]. Über ihnen allen thront das Office of the Director of National Intelligence [Büro des Leiters der US-Geheimdienste], der dieses weitgespannte Geheimdienstnetz koordinieren soll. Das macht zusammen also 17 Geheimdienstorganisationen.

Die USA werden 2018 mehr als 70 Mrd. US$ für diese Geheimdienste ausgeben. Der größte Brocken davon, einschließlich der Budgets für die CIA und die NSA, kommt aus dem Etat des Pentagon. Aus anderen Etats kommen bestenfalls ein paar Milliarden Dollar; aus Gründen der Geheimhaltung gibt es dazu keine genauen Informationen. Der Einfachheit halber setzen wir an dieser Stelle also einfach null Dollar an.

8. Unterstützung für Veteranen

Die Zahl der Veteranen erhöht sich durch die Kriege im Irak und in Afghanistan ständig, sodass die Kosten für die Unterstützung der Veteranen nach ihrer Rückkehr in die USA dramatisch steigen. Viele der Veteranen sind versehrt, manche brauchen ihr Leben lang medizinische Behandlung. Für 2018 beläuft sich der Etatantrag des Bundesamtes für Kriegsveteranen auf 186 Mrd. US$ – das ist mehr als dreimal so viel wie vor der militärischen Intervention in Afghanistan 2001.

9. Renten und Pensionen für militärisches Personal

Der Treuhandfonds, der die Bezüge von Militärangehören im Ruhestand und von hinterbliebenen Familienmitgliedern decken soll, reicht nicht annähernd aus, um alle Ansprüche zu decken. Daher wird dieser Fonds im Rahmen des allgemeinen Haushaltsgesetzes regelmäßig aufgestockt, inzwischen um etwa 80 Mrd. US$ pro Jahr.

10. Anteil der Militärausgaben an den Schuldzinsen der USA

Bekanntlich weist der Haushalt der US-Regierung regelmäßig ein Defizit aus, und die Staatsschulden wachsen. Inzwischen belaufen sich die Zinszahlungen für diese Schulden auf etwa 500 Mrd. US$ pro Jahr. Das Project on Government Oversight [eine Nichtregierungsorganisation] hat ausgerechnet, dass der Anteil der Militärausgaben an den Schuldzinsen des Landes mehr als 100 Mrd. US$ pro Jahr beträgt.

Mehr als eine Billion

Insgesamt kommen also knapp 1,1 Billionen US$ zusammen, um die vergangenen Kriege zu bezahlen, die laufenden Kriege zu finanzieren und für künftige militärische Auseinandersetzungen vorzusorgen. Das ist fast das Doppelte des offiziellen Haushaltsansatzes für das Pentagon für das Finanzjahr 2018. Die meisten Steuerzahler*innen haben keine Ahnung, dass mehr als eine Billion pro Jahr für die so genannte »nationale Verteidigung« ausgegeben wird – die heutzutage besser »nationale Unsicherheit« genannt werden sollte.

Wenn Sie also wieder mal den Präsidenten, den Verteidigungsminister, den Generalstabsvorsitzenden oder Falken aus dem Kongress jammern hören, dass das US-Militär mangels Finanzen praktisch vor dem Kollaps stehe, glauben Sie kein Wort. Donald Trump mag letztlich eine Plutokratie im Weißen Haus etabliert haben, die militärische Variante davon hat es sich im Pentagon und dem übrigen nationalen Sicherheitsstaat aber schon lange bequem gemacht. Um in der Terminologie des US-Präsidenten zu bleiben: Eines ist sicher – Pentagon & Co. gehören zum oberen ein Prozent.

Haushaltsansatz 2018 der US-Regierung für Militär, Rüstung und Verteidigung

Pentagon-Budget (siehe Endnote 1)

575 Mrd. US$

Kriegsbudget (Auslandseinsätze)

64,6 Mrd. US$

Atomsprengköpfe (Energieministerium)

20 Mrd. US$

»Sonstige Verteidigung«

8 Mrd. US$

Heimatschutzministerium

50 Mrd. US$

Militärhilfe (Außenministerium)

7 Mrd. US$

Geheimdienste

70 Mrd. US$ (überwiegend im Pentagon-Etat, Rest geheim, daher hier nicht mitgezählt)

Veteranen

186 Mrd. US$

Ruhestandsbezüge
(zusätzlich zum Treuhandfond)

80 Mrd. US$$

Anteil an den Schuldzinsen der USA

100 Mrd. US$

Gesamt

1.090 Mrd US$ ˜ 1,1 Billionen US$

Anmerkung

1) Am 12.12.2017 verabschiedete der US-Kongress für das Finanzjahr 2018 einen Verteidigungshaushalt in Höhe von 695,9 Mrd. US$, mit 613,8 Mrd. US$ Grundfinanzierung, 74,6 Mrd. US$ für Auslandseinsätze (Overseas Contingency Operations; siehe »2. Kriegsbudget« in diesem Artikel) sowie 7,5 Mrd. US$ für »mandatory spending« (pflichtgemäße Ausgaben). Siehe H.R. 2810 – National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2018; govtrack.us/congress/bills/115/hr2810. [die Übersetzerin]

William D. Hartung ist Geschäftsführer des Arms and Security Project am Center for International Policy (ciponline.org) in Washington, D.C. und Autor zahlreicher Studien und Publikationen. 2010 veröffentlichte er »Prophets of War – Lockheed Martin and the Making of the Military-Industrial Complex« (New York: PublicAffairs, 304 S.).
Die Originalfassung dieses Text enthält zahlreiche Links zu Quellen, auf die sich der Autor stützt; siehe »Tomgram: William Hartung, The Trillion-Dollar National Security Budget« vom 25. Juli 2017 auf tomdispatch.com.

Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen; die Erläuterungen in eckigen Klammern wurden von ihr hinzugefügt.

»Tailored Deterrence«


»Tailored Deterrence«

Eine Nuklearpolitik für Donald Trump

von Otfried Nassauer

Jeder US-Präsident, der zum ersten Mal gewählt wird, muss dem Kongress nach einem Amtsjahr eine Blaupause seiner künftigen Nuklearpolitik vorlegen. Donald Trump hat das jetzt getan. »Nuclear Posture Review« (NPR) heißt das Dokument. Anfang Februar 2018 wurde es öffentlich vorgestellt. Es unterscheidet sich nur wenig von einem Entwurf, der bereits im Januar kursierte.

Der »Nuclear Posture Review« soll unter anderem auf folgende Fragen antworten:

  • Wie soll sich das Nuklearwaffenpotential der USA in Zukunft verändern?
  • Welche politische und militärische Rolle sollen die US-Atomwaffen künftig erfüllen?
  • Wird der Bau neuer oder anderer Kernwaffen verfolgt?
  • Wie geht es mit der nuklear-industriellen Infrastruktur, mit der atomaren Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitungspolitik weiter?

Trumps NPR entwirft das Konzept einer »maßgeschneiderten Abschreckung«, einer »tailored deterrence«. Über 40 Mal kommt in dem Dokument das Wort »tailored« vor. Mit diesem NPR hat Donald Trump einem Dokument zugestimmt, das vorgeblich Krieg und Atomwaffeneinsätze durch eine flexiblere Abschreckung verhindern will, aber von anderen Staaten als ziemlich konfrontativ und bedrohlich wahrgenommen werden dürfte. Auf jeden Fall verspricht es teuer zu werden.

Maßgeschneiderte Abschreckung – das Konzept

Neu ist diese Idee einer »tailored deterrence« nicht. Sie wurde bereits in der ersten Amtszeit von George W. Bush unter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt und Anfang 2004 im Entwurf eines künftigen »Strategic Deterrence Joint Operating Concept« [Teilstreitkräfteübergreifendes Operationskonzept für die strategische Abschreckung] durch das Pentagon vorgestellt. Knapp drei Jahre später, Ende Dezember 2006, wurde daraus eine offizielle, von Rumsfeld unterzeichnete Zukunftskonzeption für die US-Streitkräfte, die den Titel »Deterrence Operations – Joint Operating Concept – Version 2.0« [Abschreckungsoperationen – Teilstreitkräfteübergreifendes Operationskonzept – Version 2.0] trug.

In der verbleibenden Amtszeit Bushs blieb es allerdings eine bloß doktrinäre Konzeption des Militärs, nicht zuletzt, weil Rumsfeld sein Ministeramt aufgab und der Kongress weiterhin den Bau von Atomwaffen mit kleiner und kleinster Sprengkraft nicht unterstützte.

Das blieb auch unter Bushs Nachfolger Barack Obama so, der in seinem »Nuclear Posture Review« 2010 festlegte, er wolle „keine neuen und keine Nuklearwaffen mit neuen Fähigkeiten“ entwickeln lassen.1

Unter Obama griff dessen republikanischer Verteidigungsminister Chuck Hagel die Bezeichnung »tailored deterrence« 2013 auf, um die bilateral mit Südkorea vereinbarte Abschreckungsstrategie gegen Nordkorea zu beschreiben.

Wofür steht der Ansatz tailored deterrence jetzt? Im Kern und verkürzt:

Um potentielle regionale oder strategische Gegner von einem Atomwaffeneinsatz gegen die USA oder deren Verbündete abzuschrecken oder um sie von einer nuklearen Eskalation in einem nichtnuklearen Konflikt abzuhalten, sollen diese potentiellen Gegner jeweils mit einer auf sie maßgeschneiderten Strategie abgeschreckt werden. Dazu gehört unter anderem auch, dass die Meinungsbildung, der politische Wille und das Handeln dieser Gegner gezielt so beeinflusst werden sollen, dass sie von ihnen unterstellten Plänen für potentielle Nuklearwaffeneinsätze ablassen, weil diese ihnen aussichtslos erscheinen.

Gegnerische Akteure sollen aufgrund politischen Drucks, militärischer Drohungen und der Einschätzung der militärischen Fähigkeiten der USA zu dem Schluss kommen, dass es für sie in einer militärischen Auseinandersetzung nichts zu gewinnen gibt, weil im eigenen Land unakzeptable Schäden entstünden, während man selbst den USA und deren Verbündeten höchstens begrenzten Schaden zufügen könnte. Dazu bedarf es aufseiten der USA, folgt man den Autoren des NPR, möglichst flexibel einsetzbarer militärischer Möglichkeiten offensiver und defensiver Art, mit denen man den betreffenden Gegnern drohen kann.

Die atomaren Waffen der USA müssten möglichst glaubwürdig einsetzbar sein. Ihre Sprengkraft und die ungewollten Kollateralschäden, die sie anrichten würden, dürften nicht so groß sein, dass die USA selbst vor ihrem Einsatz zurückschrecken könnten. Zudem müsse es eine flexible, auch auf regionale Bedrohungen ausgerichtete Raketenabwehr geben, die auf die jeweiligen offensiven gegnerischen Fähigkeiten zugeschnitten sei. Sie müsse das Bild einer glaubwürdigen Verteidigungsmöglichkeit gegen einen Angriff auf die USA und deren Verbündete vermitteln. Die Tatsache, dass sich mehr als 30 Staaten weltweit auf den Schutz durch die atomaren Waffen Washingtons, die so genannte erweiterte Abschreckung verließen, mache zudem deutlich, wie wichtig es sei, dass die nukleare Abschreckung der USA auch den Verbündeten in den verschiedenen Weltregionen glaubwürdig erscheine.

Angesichts der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der potentiellen Gegner Washingtons, der ebenfalls jeweils spezifischen Sicherheitssituation in den unterschiedlichen Weltregionen und der verschiedenen Erwartungen der Verbündeten an eine nukleare Rückversicherung müsse für die USA als Maxime gelten: »No size fits it all« – es gibt nicht das eine Nuklearpotential, nicht die eine Strategie, die für alle Abschreckungsszenarien geeignet wären. Der Trump‘sche NPR diskutiert das Konzept einer maßgeschneiderten Nuklearabschreckung mit Blick auf Russland, China, Nordkorea, den Iran und die Rückversicherung regionaler Verbündeter. Er wirbt für dieses Konzept, indem er es als wirksame Form der Kriegsverhinderung darstellt und zudem als Weg, andere Staaten – notfalls mit Druck oder Drohung – zur Einhaltung von Rüstungskontrollverpflichtungen und Nichtverbreitungszielen zu bewegen.

Dass bei der nuklearen Abrüstung seit Längerem keine Fortschritte mehr erzielt werden, liegt aus Sicht der Verfasser des NPR ausschließlich daran, dass andere Staaten, vor allem Russland, dem guten Beispiel oder den gutgemeinten Vorschlägen der USA nicht folgten, sondern – im Gegenteil –nuklear aufrüsteten und höchst gefährliche Veränderungen hinsichtlich der Rolle ihrer Nuklearwaffen vornähmen, die die USA und deren Verbündete immer gefährlicher werdenden Bedrohungen aussetzten.

Betrachtet man das Konzept der »tailored deterrence« von den dafür geforderten militärischen Fähigkeiten her oder durch die Brille potentieller Gegner, dann läuft es allerdings auf den Aufbau eines möglichst kriegführungsfähigen Nuklearpotentials seitens der USA hinaus, das die Schwelle, Atomwaffen einzusetzen, deutlich senkt, weil dafür vor allem zusätzliche zielgenaue Atomwaffen mit kleinster, kleiner oder variabler Sprengkraft benötigt werden und zur Beschaffung vorgesehen sind, bei deren Einsatz die Kollateralschäden relativ klein und kalkulierbar wären. Mit dem Einsatz solcher Waffen kann – dem NPR zufolge – glaubwürdiger gedroht werden.

Ziel und Ergebnis einer »tailored deterrence«

Konkret vorgesehen sind

  • unterschiedliche Trägersysteme für atomare Waffen kleiner und großer Sprengkraft, die diese einerseits so prompt und irreversibel wie eine Langstreckenrakete und andererseits so gut kontrollierbar wie mit einem Flugzeug, also gegebenenfalls auch rückbeorderbar, zum Ziel bringen können;
  • möglichst wirksame strategische und regionale Raketenabwehrsysteme – deren konkrete Darstellung soll in einem separaten »Ballistic Missile Defense Review« [Überprüfung der Raketenabwehr] erfolgen – für den Fall, dass ein Gegner zurückschlägt, sowie
  • verbesserte Fähigkeiten zu regionaler Kriegführung, die zudem bei unbeteiligten atomar bewaffneten Gegnern im Falle des Einsatzes keinen ungewollten Bedrohungsalarm auslösen.

So betrachtet, ist das Ziel und zugleich das Ergebnis einer »tailored deterrence« ein besser einsetzbares nukleares Kriegführungspotential. Die Selbstabschreckung sinkt, ein Nuklearwaffeneinsatz wird leichter vorstellbar, und die Schwelle, auf diese Option zurückzugreifen, wird niedriger. Die technische Entwicklung befördert die Umsetzung einer solchen Strategie, weil moderne und modernisierte Nuklearwaffen deutlich zielgenauer gebaut werden können, sodass sie mit deutlich kleineren Sprengköpfen als bisher und modernsten Zündsystemen auch dann eine ausreichend große Zerstörungswahrscheinlichkeit erreichen, wenn das entsprechende Ziel bislang nur mit einer Waffe deutlich größerer Sprengkraft erfolgversprechend angegriffen werden konnte.2

Dass man ihr Konzept als eines zur Senkung der nuklearen Einsatzschwelle und zur Stärkung der Fähigkeit zu atomarer Kriegsführung interpretieren kann, wussten die Autoren des jetzigen NPR natürlich nur zu gut. Daher ihre prophylaktische Behauptung des Gegenteils:

„Um es klar zu sagen: Dies hat nicht die Intention, zur nuklearen Kriegführung zu befähigen, und es befähigt auch nicht dazu. Es wird auch die Nuklearschwelle nicht absenken. Vielmehr wird die Erweiterung der maßgeschneiderten Reaktionsmöglichkeiten der USA dazu führen, dass die nukleare Schwelle angehoben wird, und dazu beitragen, dass potentielle Gegner keinen möglichen Vorteil in einer begrenzten nuklearen Eskalation sehen werden, wodurch ein Nuklearwaffeneinsatz weniger wahrscheinlich wird.“

Dieser nukleartheologischen Behauptung kann man nur glauben oder nicht. Sie oder das Gegenteil zu beweisen, ist nicht möglich. Bis zu einem Versagen der nuklearen Abschreckung kann die Behauptung aufrechterhalten werden. Danach könnte die ganze Fragestellung irrelevant sein.

Szenarien und Definitionen

Schließlich bringt der jetzige NPR auch neue Szenarien für eine Drohung mit einem Nuklearwaffeneinsatz ins Spiel. So heißt es: „Zu diesen extremen Umständen [in denen ein Nuklearwaffeneinsatz in Betracht gezogen werden könnte – O.N.] können signifikante nichtnukleare strategische Angriffe gehören. Zu solchen signifikanten nicht-nuklearen, strategischen Angriffen gehören – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Angriffe auf die zivile Bevölkerung oder die Infrastruktur der USA, der Verbündeten oder Partner sowie Angriffe auf US- oder alliierte Nuklearkräfte, deren Kommando und Kontrollstrukturen, Warnsysteme oder Auswertefähigkeiten für Angriffe.“

Der »Nuclear Posture Review« reklamiert zudem für die USA ausdrücklich das Recht, die Definition eines nicht-nuklearen, strategischen Angriffs jederzeit ändern zu können und lehnt eine Politik des Verzichts auf einen nuklearen Ersteinsatz ab. Kernwaffen wird damit zumindest deklaratorisch eine deutlich größere und flexibler interpretierbare Rolle zugewiesen als unter Barack Obama. Damit vergrößert sich die Zahl jener Situationen erheblich, in denen die US-Regierung einen Nuklearwaffeneinsatz für legitim oder gar legal halten könnte.

Was soll sich ändern?

Der NPR hält im Großen und Ganzen an der umfassenden Modernisierung des gesamten US-Nuklearpotentials fest, die bereits Barak Obamas NPR vorsah. Die nukleare Triade aus luft-, see- und landgestützten Trägersystemen bleibt unangetastet, die konzeptionelle Einbindung der Raketenabwehr in das Abschreckungskonzept und die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO samt der damit verbundenen Stationierung nicht-strategischer Nuklearwaffen in Europa ebenfalls.

Alle Trägersysteme, deren künftige atomare Sprengsätze, die technische Führungs- und Kommunikationsstruktur und die industrielle Infrastruktur für den Atomwaffenbau sollen – wie vorgesehen – sukzessive modernisiert oder ersetzt werden. Bestandteil der Planung bleiben neben der modifizierten, zielgenaueren Atombombe B61-12 also zum Beispiel auch die Weiterentwicklung des Sprengkopfes für Marschflugkörper zum Modell W80-4, neue Trägersysteme, wie der künftige Bomber B-21 Raider, die neuen Raketen-U-Boote der Columbus-Klasse, der geplante neue luftgestützte Marschflugkörper LRSO und die Entwicklung einer neuen landgestützten Interkontinentalrakete.

Hinzu kommen einige neue Zusatzvorhaben, die den spezifischen Bedarf einer »tailored deterrence« widerspiegeln. Die wichtigsten sind:

  • Die Entwicklung eines atomaren Sprengkopfs mit kleinerer Sprengkraft für seegestützte Langstreckenraketen (SLBM). Wie »klein« die Sprengkraft dieses Sprengkopfes sein soll, sagt der NPR nicht explizit. Technisch bedeutet dies wahrscheinlich, dass von den beiden explosiven Nuklearkomponenten, die derzeit in einem solchen Gefechtskopf enthalten sind, die größere entfernt oder abgeschaltet wird, während der kleinere atomare Zündsprengsatz aktiv bleibt. Damit könnte die Sprengkraft auf wenige Kilotonnen beschränkt werden. Robert Soofer, ein hoher Pentagonbeamter, sprach denn auch erläuternd von einer Sprengkraft unterhalb jener der Hiroshima-Bombe, also von weniger als 12,5 Kilotonnen. Mit solchen Sprengköpfen soll eine kleine Zahl seegestützter Langstreckenraketen ausgerüstet werden. Kritiker befürchten, dies werde sich destabilisierend auswirken. Kein Gegner sei in der Lage, eine anfliegende seegestützte Langstreckenrakete vom Typ Trident D5 mit einem oder mehreren solcher kleinen Sprengköpfen rechtzeitig von einer baugleichen Rakete zu unterscheiden, die viele große strategische Sprengköpfe trage.
  • Der von Präsident Obama angeordnete Verzicht der USA auf seegestützte nukleare Marschflugkörper (SLCM) soll überdacht und die erneute Stationierung solche Flugkörper vorbereitet werden. Damit soll einerseits die Fähigkeit der USA zu einer einsetzbaren regionalen Nuklearabschreckung verbessert werden, andererseits aber auch auf die angebliche Verletzung des INF-Vertrages (Mittelstreckenvertrages) durch Russland reagiert werden. Der US-Kongresses hat im aktuellen Verteidigungshaushaltsgesetz (FY2018 NDAA) an das Pentagon überdies die Forderung gerichtet, die Entwicklung eines neuen landgestützten, konventionellen Marschflugkörpers mittlerer Reichweite (GLCM) in die Planung aufzunehmen. Während ein neuer GLCM den INF-Vertrag verletzen würde, wäre dies bei einem SLCM nicht der Fall.
  • Obamas Modernisierungsplan sah vor, mehrere Sprengkopftypen mittel- und längerfristig aus den US-Depots zu verbannen. So sollte die Atombombe B83 mit ihrer gewaltigen Sprengkraft von 1,2 Megatonnen möglichst bald außer Dienst gestellt werden. Langfristig sollten außerdem die vier derzeit vorhandenen Sprengkopftypen für Langstreckenraketen auf nur noch zwei Versionen reduziert werden. Die Trump-Administration plant jetzt, die Bomben vom Typ B83 zumindest solange im Dienst zu halten, bis deren Aufgabe nachweislich von einer anderen Waffe übernommen werden kann. Von einer Reduzierung der Typenvielfalt bei den nuklearen Gefechtsköpfen für strategische Raketen ist jetzt nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Es soll sogar eine zusätzliche Variante geben.
  • Zudem soll die Reduzierung des derzeit nicht auf aktiven Trägersystemen genutzten Reservepotentials an atomaren Sprengköpfen künftig zurückhaltender gehandhabt werden. So soll zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass vorrangig jene Sprengköpfe erhalten bleiben, die man zusätzlich auf vorhandenen Trägersystemen stationieren könnte.

Zudem werden einige politisch wichtige Vorgaben für die Nuklearpolitik aus der Zeit Obamas in dem neuen NPR explizit zurückgenommen oder nicht mehr erwähnt:

  • Obamas Vorgabe, keine neuen Nuklearwaffen und keine atomaren Waffen mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln, wird explizit außer Kraft gesetzt, weil sie die Entwicklung neuer Sprengköpfe für die maßgeschneiderte Abschreckung behindern könnte.
  • Variiert und eingeschränkt wird auch die negative Sicherheitsgarantie, die Obama nicht-nuklearen Staaten gab, die ihren Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag nachkommen. Obama verfügte, ihnen auch dann nicht mit einem Atomwaffeneinsatz zu drohen, wenn sie über chemische oder traditionelle biologische Waffen verfügten oder diese einsetzen sollten. Diese Zusage wird nun auf ihren ersten, nuklearen Teil beschränkt.
  • Obamas Zusage, dass die USA die Rolle ihrer Nuklearwaffen weiter reduzieren werden, wird nicht wiederholt.
  • Der jetzige NPR erwähnt die atomare Abrüstungsverpflichtung der USA aus Art. VI des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nicht. Damit signalisiert er eine Geringschätzung der nuklearen Abrüstung, die viele Länder beunruhigen wird und eine schwere Belastung für die nächste Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 2020 darstellen kann. Atomare Abrüstung war schließlich die zentrale Gegenleistung, die die Nuklearmächte den nichtnuklearen Mitgliedern des NVV dafür versprochen haben, dass diese nicht auch nach Kernwaffen streben.

Um das gesamte Spektrum der in Trumps NPR vorgesehenen Modernisierungsplanungen zu finanzieren, sind spätestens im kommenden Jahrzehnt deutlich mehr Finanzmittel erforderlich als bislang vorgesehen.

Bedrohungswahrnehmungen und Gegenmaßnahmen

Das Konzept einer maßgeschneiderten Abschreckung dürfte aus vielen Gründen verbreitet auf Skepsis und Ablehnung stoßen sowie neue Bedrohungswahrnehmungen und möglicherweise auch Gegenmaßnahmen auslösen.

Die Darstellung der Bedrohung durch Russland, China, den Iran und eingeschränkter Nordkorea, von der die NPR-Autoren ausgehen, ist – vorsichtig formuliert – sehr pessimistisch. Man könnte sie in Teilen auch als bewusstes Zerrbild einer imaginierten Wirklichkeit beschreiben, das nicht auf nachvollziehbaren Beweisen beruht. Die Vorwürfe gegen diese Staaten und die Intentionen, die ihnen im NPR unterstellt werden, werden andere Länder oft nicht teilen. Drei Beispiele:

  • Washington wirft Moskau die Verletzung etlicher Rüstungskontrollabkommen vor, insbesondere des INF-Vertrags. Ob letzterer Vorwurf tatsächlich zutrifft, darüber herrscht selbst in der NATO kein Konsens. Die USA wollten ihn bislang nicht detailliert belegen.
  • Ähnliches gilt für die Interpretation der Rolle nicht-strategischer Nuklearwaffen in der russischen Militärdoktrin: „Moskau droht mit dem und übt den begrenzten Atomwaffeneinsatz und suggeriert damit die falsche Erwartung, dass eine nukleare Erpressungsdrohung oder ein begrenzter Ersteinsatz die USA und die NATO paralysieren könnte, sodass der Krieg zu für Russland günstigen Bedingungen beendet werden kann. Manche in den USA bezeichnen das als Doktrin ‚der Eskalation zwecks Deeskalation‘“, heißt es im NPR. In der russischen Militärdoktrin [vom Dezember 2014] steht dagegen lediglich: „Die Russische Föderation behält sich das Recht vor, als Antwort auf einen gegen sie und/oder ihre Verbündeten erfolgten Einsatz von Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen ihrerseits Kernwaffen einzusetzen. Das gilt auch für den Fall einer Aggression mit konventionellen Waffen gegen die Russische Föderation, bei der die Existenz des Staates selbst in Gefahr gerät.“
  • Mit Blick auf den Iran hält der NPR fest, dieser erhalte sich im Rahmen des Atomabkommens einen substantiellen Teil der technologischen Fähigkeiten, um sich nach dem Auslaufen der Beschränkungen im Jahr 2031 und einer entsprechenden politischen Entscheidung binnen eines einzigen Jahres eine Atomwaffe zuzulegen. Zumindest an der zeitlichen Einschätzung kann man berechtigt zweifeln. Dass der Iran sich bislang an dieses Abkommen genau hält, ist dem NPR dagegen keine Erwähnung wert.

Als bedrohlich scheint den Autoren des NPR im Übrigen bereits zu gelten, wenn Staaten wie Russland, China, der Iran und andere sich nicht den Vorstellungen und Erwartungen Washingtons beugen. Vor diesem Hintergrund zielen die von den Autoren geschürten Ängste wohl primär darauf, einen Ausbau der nuklearen Möglichkeiten der USA zu legitimieren, und wecken immer wieder den Verdacht, unter dem Vorwand einer wirksameren Abschreckung deren Fähigkeit zur nuklearen Kriegführung verbessern zu wollen – einmal mehr geleitet von dem gefährlichen Irrglauben, dass nukleare Konflikte mit der richtigen Strategie und den richtigen Waffen regional begrenzbar und führbar seien.

Für Rüstungskontrolle bleibt in einem solchen Konzept wenig Raum. Rüstungskontrollvereinbarungen könnten die eigene Freiheit zu einem möglichst flexiblen und effektiven nuklearen Potenzial begrenzen oder behindern – unabhängig davon, ob als Ziel der maßgeschneiderten Abschreckung Kriegsverhinderung oder Kriegführungsfähigkeit angenommen wird. Rüstungskontrolle wird deshalb vorrangig als Nichtweiterverbreitung bei anderen verstanden, die es durchzusetzen gelte. Darüber hinaus kann Rüstungskontrolle die Funktion zukommen, die Konkurrenz zwischen großen Staaten zu managen. Rüstungsbegrenzung und Abrüstung verlieren also unter Donald Trump wohl weiter an Bedeutung. Der «Nuclear Posture Review« erinnert dagegen an Trumps sicherheitspolitisches Credo aus dem Wahlkampf: „Frieden durch Stärke!“

Anmerkungen

1) Was im Übrigen angesichts der fortgesetzten Entwicklung des neuen Atombombentyps B61-12 durchaus partiell infrage zu stellen war. Siehe dazu Schwarz, W. (2018): Kernwaffen, nukleare Abschreckung und die internationale Sicherheit (15 Thesen, kommentiert). Das Blättchen, 21. Jg., Sonderausgabe, 8.1.2018.

2) Amerikanische Experten haben das für den Fall einer Ausschaltung der fünf zentralen Einrichtungen des nordkoreanischen Atomwaffenkomplexes schon mal »durchgespielt«: Während beim Einsatz herkömmlicher strategischer Nukleargefechtsköpfe mit mehreren Millionen Toten, vor allem in Nord- und Südkorea, zu rechnen wäre, wären es mit B61-12 angeblich nur wenige Hundert. Siehe dazu Lieber, K.A.; Press, D.G. (2017): The New Era of Counterforce – Technological Change and the Future of Nuclear Deterrence. International Security, Vol. 41, No. 4 (Spring 2017), S. 9-49.

Otfried Nassauer ist Gründer und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und arbeitet als freier Journalist.
Dieser Text erschien bereits in »Das Blättchen – Zweiwochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft«. 21. Jg., Nr. 4, 12.2.2018, dasblaettchen.de, und wurde für W&F minimal bearbeitet. Wir danken für die Nachdruckrechte.

Globale Polarisierung?

Globale Polarisierung?

Zum Amtsantritt von US-Präsident Trump

von Rainer Rilling

Schon einen Tag danach beschrieb der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, die Bedeutung der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten mit den Worten: Der Sieg Trumps stellt die liberale Weltordnung infrage […] Das ist die größte Zäsur der Nachkriegszeit.“ Das politische Modell der liberalen Weltordnung oder des »liberalen Internationalismus« wurde jahrzehntelang durch die expansive Politik der Imperialmacht USA weltweit verankert. Dieses außenpolitische Ordnungsmodell ist offenbar weitweit in eine tiefe Krise geraten – konfrontiert mit der Etablierung einer globalen, autoritären, illiberalen und politisch immer stärker rechts positionierten Gegenbewegung.

Letztere spielt nicht zuletzt auf den Registern des Rassismus, der abwertenden Fremden- und Frauenfeindlichkeit, der Furcht und Angst, der Gewalt und des Ressentiments. Ihre Figuren sind etwa al-Sisi in Ägypten, Modi in Indien, Erdo?an in der Türkei, Orbán in Ungarn, Duterte in den Philippinen, Putin in Russland, Temer in Brasilien, May in England, Macri in Argentinien, Kaczy?ski in Polen, Berlusconi und Grillo in Italien, Wilders in Holland, Hofer und Stronach in Österreich, Blocher in der Schweiz, Le Pen in Frankreich. Und nun Trump.

Zwar unterscheiden sich die hier aufgezählten Personen und Konstellationen offensichtlich in vielen Punkten. Sie alle aber eint dreierlei:

  • erstens und ausnahmslos die großen homogenisierenden und oft religiös fundierten Erzählungen des Nationalismus und/oder Völkischen,
  • zweitens die Verortung in marktradikalen oder etatistisch-autoritären, staatskapitalistischen Grundvarianten des Neoliberalismus, wobei der Trend zum starken, intervenierenden, organisierenden und besitzenden Staat unverkennbar ist – zunehmend mit Mikromanagement und Marketing à la Trump,
  • drittens eine undemokratische, bonapartistische, oft populistisch-autoritäre, zumeist auch charismatische Selbstinszenierung als unmittelbare Stimme des Volkes, ohne parlamentarische oder rechtsförmige Vermittlung.

Gemeinsam ist ihnen damit die Maxime des offensiven Roll-backs der verschiedensten politischen (nicht aber der wirtschaftlichen!) Elemente des Liberalismus und jeglicher linker Strömungen. Stabilisiert sich diese Entwicklung, dann kommt es zum Durchbruch eines globalen Trends, zur Entstehung einer konkurrierenden illiberalen, rechtspopulistisch und rechtsnationalistisch dominierten neuen politischen Weltordnung.

„Who are those guys?“ fragte Paul Newman schon 1969 in dem unübertrefflichen Streifen »Butch Cassidy and the Sundance Kid« Robert Redford. In den USA geht es jetzt um die strategische Konstruktion des Kerns eines neuen Machtblocks, der eine globale Reichweite hat und nicht so leicht wieder loszuwerden sein wird. Getragen wird er von

  • einer Gruppe »politischer Krieger« aus dem kriegserprobten militärischen Führungspersonal,
  • einer Kerngruppe des Trump’schen Familienbestands und wenigen absolut loyalen Freunden und Anhängern,
  • einer qua Vermögen (insgesamt mehr als elf Milliarden US$) souveränen Gruppe Superreicher (ab 500-600 Mio. US$), die unmittelbar in das politische Spitzenbusiness der US-Administration eingestiegen ist; herausragend ist hier die Rolle des Vermögensverwalters Black Rock, der Private-equity-Investoren und endlich der klassischen Banken, insbesondere von Goldman Sachs – „Nach alledem, scheint es nicht vernünftig, nach einer 1 %-Ökonomie, einer 1 %-Gesellschaft und einer 1 %-Politik auch eine 1 %-Regierung zu bilden?“ (Tom Engelhardt),
  • den politischen Schattennetzwerken des politisierten, rechtslibertär und marktradikal ausgerichteten und tief in den Kulturen des Neoliberalismus und Fossilismus verankerten Kapitals, etwa der 92 Mrd. US$ schweren Gebrüder Koch; ihr langfristiges zentrales marktradikales Ziel ist einfach: die Abschaffung des New Deal und jeglicher Sozialstaatlichkeit,
  • dem mit Erfahrung, Traditionsbestand, Staatskunst sowie Justiz- und Apparatemacht ausgestatteten Personal der primär in der republikanischen Partei verankerten rechten, weißen, christlichen und deutlich sozialreaktionären politischen Richtung.

Bislang zeichnen sich als außenpolitische Fokusse ab die Schwächung des Iran, die offene Wendung zur Konfrontation mit China, eine Veränderung der Russlandpolitik und die selektive Ausweitung der Beziehungen „with other tough guys“ (Richard Haass, Präsident des Council on Foreign Relations). Die Vereinigten Staaten, so heißt es in »Foreign Policy« (1/2017), „werden wahrscheinlich ihren globalen militärischen Fußabdruck in den kommenden Jahren eher ausweiten als verkleinern müssen“.

Rainer Rilling, Soziologe, ist Fellow des Instituts für Gesellschaftsanalyse (Berlin ) und gehört dem Vorstand der Rosa Luxemburg Stiftung an.

Drohnenkrieg-zentrale Ramstein

Drohnenkrieg-zentrale Ramstein

von Jürgen Nieth

Über den US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz wird der weltweite Drohnenkrieg der USA gesteuert. Er ist „ein Zentrum der US-Exekutionslogistik. Der drohnengesteuerte Tod in Afghanistan, Somalia oder Jemen hat also auch einen deutschen Absender“, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (SZ 04.04.14, S.4) nach neuen Recherchen von Westdeutschem Rundfunk, Norddeutschem Rundfunk und SZ.

Bundesregierung ohne Ahnung?

Bereits im vergangenen Jahr hatten Panorama und SZ über eine Drohnen-Kommandozentrale in Ramstein berichtet und darüber, dass von den Kelly-Barracks in Stuttgart die Drohnenangriffe in Afrika befehligt werden.

„Die Bundesregierung gab sich damals ahnungslos. Man habe keine Erkenntnisse über eine Beteiligung der US-Stützpunkte in Deutschland am Drohnenkrieg, sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Piper, im November dem Bundestag.“ (SZ 04.04.14, S.6) Auch nach den neuesten Enthüllungen sagt Regierungssprecher Seibert zum Kenntnisstand der Bundesregierung: „Die amerikanische Regierung hat gegenüber der Bundesregierung bestätigt, dass von amerikanischen Stützpunkten in Deutschland solche bewaffneten und ferngesteuerten Luftfahrzeuge weder geflogen noch gesteuert werden.“ (Stuttgarter Zeitung 05.04.14, S.7) Genau das hat aber weder 2013 noch 2014 jemand behauptet. Es ging immer darum, dass die Einsätze von Ramstein aus unterstützt werden.

Ohne Ramstein läuft nichts

Nach den neuesten Erkenntnissen scheint »unterstützt« allerdings weit untertrieben zu sein.

Dem ehemaligen Drohnenpiloten der US Air Force Brandon Bryant, der aus Gewissensgründen den Dienst quittierte, bescheinigte die US-Luftwaffe, dass er an 1.626 gezielten Tötungen beteiligt war. Er führt in Panorama (ARD 03.04.2014) u.a. aus: „Die Luftwaffen-Basis in Ramstein spielt eine ganz wesentliche Rolle für den weltweiten Drohnenkrieg. Ohne diese Basis in Deutschland würde das alles nicht funktionieren. Es ist das Epizentrum aller Informationsflüsse für die Übersee-Operationen der USA.“ Und so läuft das nach seinen Informationen ab: „Also wir haben die Drohne hier irgendwo in diesem Gebiet. Sie kreist irgendwo über Afghanistan, Pakistan, dem Jemen oder sonstwo. Und das hier ist ein kommerzieller Satellit, der kann etwa von CNN sein. Und dann haben wir eine Satellitenschüssel, hier drüben auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Hier kommt das Signal an. Das Signal geht also von der Predator-Drohne nach Ramstein und dann durch ein Glasfaserkabel mitten durch den Ozean bis zur Cannon-Airbase in den USA, wo ich stationiert war. In den mehr als 6.000 Stunden, die ich geflogen bin, und in den tausenden Missionen gab es keinen einzigen Einsatz, bei dem ich nicht Ramstein angerufen hätte, um mich mit meiner Drohne verbinden zu lassen. Im Luftwaffenstützpunkt Ramstein laufen wirklich alle Informationen zusammen, wie durch einen Trichter.“

Ramstein ist aber nicht nur Durchgangsstation für Drohnendaten, die Daten werden hier auch ausgewertet und verarbeitet.

Völkerrechtswidrige Drohneneinsätze

„Die USA sehen die gezielten Tötungen als legalen Akt der Kriegsführung. Die Bundesregierung sieht das zwar anders, hält sich aber zurück,“ schreibt die Rheinzeitung (05.04.14, S.5). Sie zitiert den Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer: „Das kommt doch sehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Eine generelle Beurteilung kann es nicht geben.“

Die SZ (05.04.14, S.6) verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 30.01.2014, nach dem „Deutschland ‚völkerrechtswidrige Militäroperationen’, die ‚durch ausländische Staaten von deutschem Territorium’ aus durchgeführt werden, nicht dulden darf. Sollte das US-Militär einen Terrorverdächtigen ‚außerhalb eines bewaffneten Konflikts’ völkerrechtswidrig per Drohne hinrichten, könnte das ‚eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt darstellen’“.

Auch Christian Rath geht in der taz (07.04.14, S.6) auf das unterschiedliche Rechtsverständnis ein. „Die US-Ideologie vom »Krieg gegen den Terror« wird in Europa nicht geteilt. Die Hinrichtung von Terroristen ohne Gerichtsverfahren per Drohnenbeschuss wäre nach deutschem Recht als Kriegsverbrechen oder Mord zu bewerten.“ Ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts dürften die neuen Erkenntnisse wohl trotzdem nicht auslösen. Die taz (05.04.14, S.2) verweist darauf, dass die „Strafgerichtsbarkeit über die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte […] bei den USA“ liegt. Ermittlungen würden sich schwierig gestalten, da „der Zutritt deutscher Behörden zu ausländischen militärischen Liegenschaften bzw. Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen nur mit Zustimmung der ausländischen Kommandeure zulässig“ sind.

Und wieder mal aussitzen?

Bereits vor den Enthüllungen in ARD und SZ gab es Hinweise auf das Drehkreuz Ramstein. „In Militärzeitschriften und Jobprofilen auf dem Karriereportal LinkedIn beschreiben amerikanische Mitarbeiter […] die Funktionsweise des Analysezentrums DGS-4. In mehreren solcher Profile beschreiben Militärs und Zivilangestellte aus Ramstein über ihre Beteiligung an den Drohneneinsätzen im ‚weltweiten Krieg gegen den Terror’.“ (SZ 04.04.14, S.1)

Die Bundesregierung wollte das aber offensichtlich nicht wissen, und es ist auch jetzt nicht zu erwarten, dass sie von selbst ernsthaft etwas gegen den US-Drohnenkrieg unternimmt. Zu den Gründen schreibt Ulrike Winkelmann in der taz (07.04.14, S.12): „Wenn das zur Urteilsfindung notwendige Wissen in der Zeitung steht, ist es schwierig sich hinter Ahnungslosigkeit zu verschanzen. Selbstredend wird die Bundesregierung aber genau das versuchen. Denn eine echte Diskussion über den Krieg gegen den Terror würde die USA […] inspirieren, zu erläutern, wie die deutschen Geheimdienste erstens mitmachen und zweitens profitieren.“

Winkelmann äußert deshalb genau wie Prantl (SZ 04.04.14, S.4) die Hoffnung, dass der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages Ramstein thematisiert und sich „mit Verantwortungsbewusstsein und Mut an die Arbeit macht“.

Nachbemerkung:

Wir hätten gerne auch aus der FAZ, der Welt, der Frankfurter Rundschau, dem Spiegel u.a. Zeitungen zitiert. Doch außer den hier zitierten Medien haben wir nur Kurzmeldungen in verschiedenen Regionalzeitungen gefunden.

Jürgen Nieth

US-Diplomat tritt zurück

US-Diplomat tritt zurück

Scharfe Kritik an der Afghanistan-Strategie der US-Regierung – Eine Dokumentation

von Matthew P. Hoh

Der Politische Offizier im auswärtigen Dienst und Oberbefehlshaber der Zivilkräfte der US-Regierung in der afghanischen Provinz Zabul, Matthew P. Hoh, trat am 10. September 2009 von seinen Funktionen zurück. In einem Offenen Berief an Botschafterin Nancy J. Powell, Generaldirektorin des auswärtigen Dienstes und Personaldirektorin des Außenministeriums der USA, analysiert er die Lage in Afghanistan, schildert Bestechung und Korruption, zieht eine Parallele zum Vietnamkrieg und legt dar, warum auch dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. W&F dokumentiert das Kündigungsschreiben in deutscher Übersetzung.

Sehr geehrte Frau Botschafterin, mit großem Bedauern und Enttäuschung trete ich hiermit von meinem Posten als Politischer Offizier im auswärtigen Dienst sowie als Oberbefehlshaber der Zivilkräfte der US-Regierung in der Provinz Zabul zurück. Von den vergangenen zehn Jahren meiner Dienstzeit habe ich unserem Land sechs in Übersee gedient und war 2004/2005 sowie 2006/2007 als Offizier der US-Marines und als Zivilangestellter im Auftrag des Verteidigungsministeriums in den Tälern von Euphrat und Tigris stationiert. Ich habe diese Aufgaben nicht leichtfertig oder mit unangemessenen Erwartungen angetreten und ging auch nicht davon aus, dass mein Einsatz ohne Opfer, Entbehrungen und Schwierigkeiten bleiben würde. Während meines fünfmonatigen Dienstes in Afghanistan habe ich allerdings jegliches Verständnis und Vertrauen in die strategischen Ziele der US-amerikanischen Präsenz in Afghanistan verloren. Ich hege Zweifel und Vorbehalte gegenüber unserer gegenwärtigen wie unserer künftigen Strategie.

Der Grund für meinen Rücktritt liegt aber nicht in der Art und Weise, wie wir diesen Krieg führen, sondern warum wir dies tun und mit welchem Ziel. Um es einfach auszudrücken: Ich kann weder den Wert noch den Nutzen von immer weiteren amerikanischen Opfern und der anhaltenden Unterstützung für die afghanische Regierung in diesem Krieg erkennen, der in Wahrheit nichts anderes als ein nunmehr 35 Jahre anhaltender Bürgerkrieg ist.

In diesem Herbst jährt sich der Beginn der amerikanischen Operationen in Afghanistan zum achten Mal. Im kommenden Herbst wird die US-Armee ebenso lange im Land stationiert sein wie einst die Rote Armee. Wie die Sowjets erhalten wir einen scheiternden Staat am Leben und propagieren eine Ideologie und ein Regierungssystem, das die Leute weder kennen noch wollen.

Wenn man die Geschichte Afghanistans als großes Bühnenstück betrachtet, haben die USA nichts weiter als eine Nebenrolle unter vielen in dieser Tragödie inne, in der nicht nur einzelne Stämme, Täler, Clans, Dörfer und Familien gegeneinander, sondern spätestens seit der Herrschaft König Zahir Shas das urbane, säkulare, gebildete und moderne Afghanistan gegen das ländliche, religiöse, analphabetische und traditionelle kämpft. Diese zweite Gruppe unterstützt den paschtunischen Aufstand, der von einer Vielzahl lokaler Gruppen getragen wird. Die Paschtunen haben das Gefühl, seit Jahrhunderten Angriffen innerer wie äußerer Feinde auf ihr Land, ihre Kultur, ihre Traditionen und ihre Religion ausgesetzt zu sein. Die Anwesenheit von US- und Nato-Truppen rechtfertigt den Aufstand in ihren Augen ebenso wie diejenige nicht-paschtunischer Soldaten und Polizisten. Sowohl im Osten als auch im Süden habe ich die Beobachtung gemacht, dass es bei den meisten Kämpfen nicht darum geht, dem weißen Banner der Taliban zum Sieg zu verhelfen, sondern in erster Linie darum, die Besatzungsmacht zu vertreiben und sich gegen die Erhebung von Steuern durch die nicht-repräsentative Regierung in Kabul zu wenden.

Die US-amerikanische Militärpräsenz im Land trägt einen großen Teil zur Legitimierung des Aufstandes der Paschtunen bei. Ebenso führt unsere Unterstützung der afghanischen Regierung, wie sie im Augenblick erfolgt, dazu, die Distanz zwischen Regierung und Bevölkerung zu vergrößern. Die Versäumnisse der afghanischen Regierung, vor allem in Anbetracht der von amerikanischer Seite erbrachten Opfer an Menschenleben und Dollar, sind gewaltig und nehmen immer noch weiter zu:

Offenkundige, unverfrorene Bestechung und Korruption

Ein Präsident, zu dessen Vertrauten und engsten Beratern Drogenbarone und Kriegsverbrecher zählen, die sich über unser Rechtsstaatsprinzip und unsere Bemühungen in Sachen Drogenbekämpfung lustig machen.

Ein System aus Provinz- und Bezirks-Anführern, das sich aus politischen Strippenziehern, Opportunisten und Machthabern zusammensetzt, deren Zusammenarbeit allein auf unseren Verträgen zur Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfe basiert und sich auf diese beschränkt und die keinerlei politisches oder ökonomisches Interesse an ernsthaften Versuchen zur Aussöhnung zu haben scheinen.

Die jüngste, von Betrug bestimmte und von einer niedrigen Wahlbeteiligung korrumpierte Wahl, die unserem Feind einen enormen Sieg bereitet hat. Dieser ruft nun zu einem allgemeinen Boykott auf und stellt in der ganzen Welt die militärische, wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung unserer Regierung für die handlungsunfähige und illegitime afghanische Regierung in Frage.

Unsere Unterstützung einer solchen Regierung in Verbindung mit einem mangelnden Verständnis der wahren Natur des Aufstandes erinnert mich in erschreckender Weise an Süd-Vietnam, wo wir ebenfalls auf Kosten des inneren Friedens unseres Landes eine unbeliebte und korrupte Regierung gegen einen Aufstand unterstützten, dessen nationalistische Dimension wir in arroganter Weise missverstanden, da wir den Konflikt nur vor dem Hintergrund unserer Ideologie des Kalten Krieges begreifen konnten.

Ich halte die Gründe, weshalb wir verlangen, dass unsere Männer und Frauen in Afghanistan Blut vergießen und Opfer bringen, für fadenscheinig. Um ehrlich zu sein, unsere Strategie, Afghanistan zu sichern, um Aufstände und die Neugruppierung von Al-Qaida zu verhindern, würde verlangen, dass wir auch im Westen Pakistans, in Somalia, im Sudan, im Jemen und in einigen anderen Ländern einmarschieren und sie besetzt halten. Unsere Präsenz in Afghanistan hat Pakistan zunehmend destabilisiert und zu weiteren Aufständen geführt – in einem Land, von dem wir zu Recht fürchten, dass die geschwächte Regierung die Kontrolle über die pakistanischen Atomwaffen verlieren könnte. Wenn wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, konsequent verfolgen würden, dann müssten wir Pakistan besetzen und nicht Afghanistan. Dazu kommt, dass die Anschläge vom 11. September 2001 und die Anschläge in Madrid und London im Wesentlichen in Westeuropa geplant und organisiert wurden; dieser Aspekt belegt, dass die Bedrohung von den klassischen geographischen und politischen Grenzen losgelöst ist. Schlussendlich müssten wir, wenn wir davon ausgehen, dass wir unseren militärischen und finanziellen Beitrag in Afghanistan leisten, weil wir in Sorge um einen »Failed State« sind, der durch Korruption und Armut geschwächt und von Kriminellen und Drogenbossen beherrscht wird, auch unsere Verpflichtungen und unser Engagement gegenüber Mexiko neu bewerten und verstärken.

Nach acht Jahren Krieg gibt es weltweit keine Armee, die engagierter, erfahrener oder disziplinierter wäre als die US-Truppen. Ich glaube, dass keine andere Armee jemals vor einer derart komplexen, undurchsichtigen Sisyphos-Aufgabe stand wie die US-Truppen sie in Afghanistan angenommen haben. Das taktische Geschick und die Leistung unserer Soldaten, Seeleute, Piloten und Marinesoldaten ist beispiellos und steht nicht zur Debatte. Doch ihr Einsatzgebiet ist in diesem Fall nicht mit dem europäischen oder asiatischen Raum des Zweiten Weltkriegs vergleichbar. Hier geht es vielmehr um einen Krieg, auf den unsere Männer und Frauen von unserer militärischen, zivilen und politischen Führung nicht angemessen vorbereitet wurden. Unsere Streitkräfte, die voller Hingabe und guten Glaubens sind, wurden auf einen Konflikt verpflichtet, der ohne Strategie und genauen Zeitplan zu einem rücksichtslosen, politisch zweckdienlichen und naiven Desaster wurde. Dasselbe gilt für die engagierten und fähigen zivilen Kader, zu denen sowohl Angestellte der US-Regierung als auch unabhängige Organisationen zählen. Sie glauben an ihre Mission und bringen dafür Opfer, doch sie wurden weder richtig ausgebildet noch werden sie richtig geleitet, da sich die Leitlinien und Ziele am politischen Klima in Washington orientieren und nicht an jenem, das in den Städten, Dörfern, Gebirgen und Tälern Afghanistans herrscht.

„Wir zahlen uns in Afghanistan zu Tode“, so unterrichtet einer der fähigsten und intelligentesten Kommandeure, die Amerika hat, jeden Besucher, jede Stabsdelegation und jeden leitenden Offizier. Wir belegen die Wirtschaft der Vereinigten Staaten mit einer Hypothek auf einen Krieg, der, selbst wenn wir unsere Anstrengungen erhöhen, für viele Jahre eine Bürde bleiben wird. Erfolg und Sieg, wie auch immer sie aussehen werden, können nicht in den nächsten Jahren und auch nicht nach weiteren Milliardenausgaben erreicht werden, sondern erst Jahrzehnte und Generationen später. Die Vereinigten Staaten haben keine Staatskasse, die diese Art von Erfolg und Sieg trägt.

Mir ist bewusst, dass mein Brief sehr emotional ist. Bitte entschuldigen Sie, falls er zu aufgebracht klingt. Ich vertraue darauf, dass Sie diesen Krieg und die Opfer, die tausende von Familien bringen, verstehen. Diese Familien wurden von ihren Liebsten getrennt, die eingesetzt wurden, um unser Land zu verteidigen. Ihr Zuhause trägt die Risse, Umbrüche und Narben von vielen aufeinander folgenden Einsätzen. Tausende unserer Männer und Frauen sind mit körperlichen und seelischen Wunden nach Hause zurückgekehrt. Einige dieser Wunden werden niemals heilen oder mit den Jahren noch schlimmer werden. Von den Toten kehren nur die sterblichen Überreste zu ihren Familien zurück. Ihnen muss versichert werden, dass die Ziele, für die sie ihr Leben gelassen haben, die verlorene Zukunft, die verlorene Liebe und die unverwirklichten Lebensträume wert waren. Ich habe die Zuversicht verloren, dass solche Zusagen noch gemacht werden können. Aus diesen Gründen reiche ich meinen Rücktritt ein.

Hochachtungsvoll
Matthew P. Hoh, Oberbevollmächtigter der Zivilkräfte Provinz Zabul, Afghanistan.

Holger Hutt und Christine Käppeler haben den Text für die Wochenzeitung »Freitag« übersetzt, die uns die Übersetzung freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Neuer General – alte Strategie

Neuer General – alte Strategie

von Jürgen Nieth

„Darf ein Trottel die NATO-Streitkräfte in Afghanistan kommandieren?“ Die Frage stellt Arnd Festerling, (FR 23.06.10) seit General Stanley McChrystal im Rolling Stone Magazin über seine Chefs hergezogen hat. Was war passiert?

»Zivilisten«-Beschimpfung

Michael Hastings, Reporter des Magazins Rolling-Stone, hat vier Wochen lang den Kommandeur der US- und Isaf-Truppen in Afghanistan begleitet und die Gespräche aufgezeichnet. Gespräche, in denen „McChrystal und seine Adlaten über ihre zivilen Vorgesetzten kräftig vom Leder ziehen“. (FR, 23.06.10, S.7). Aus dem Magazin ist zu erfahren,“ dass McChrystal nicht besonders viel für Vizepräsident Joe Biden übrig hat. »Biden, wer ist das?«, fragt der General den Reporter. »Sagten Sie ‚Bite me‘ (Leck mich)?« ergänzt McChrystals Mitarbeiter. Der sendungsbewusste Widerwille des Generals und seiner Leute trifft auch den amerikanischen Botschafter in Kabul, Eikenberry, den Afghanistan-Beauftragten Holbrooke, die Franzosen (in etwa »Ich würde mir lieber von einem Rudel Leuten in den Arsch treten lassen, als zu diesem Dinner zu gehen«), Obama (»verschüchtert«) und Sicherheitsberater James Jones (»Clown«).“ (FAZ, 25.06.10, S.41) Hastings über seine Erfahrungen: McChrystals Truppe, die sich »Team America« nennt, „besteht aus einer »handverlesenen Ansammlung von Killern, Spionen, Genies, Patrioten, politischen Akteuren und regelrechten Maniacs (Irre). Sie besaufen sich bis Mitternacht komplett und grölen ein erfundenes Lied über Afghanistan. McChrystal steht am Rand und ist stolz: »Ich würde für diese Männer sterben. Und sie für mich.«“ (Neues Deutschland, 24.06.10, S.3)

Rückendeckung für McChrystal

Trotz dieser »Ausfälle« des Generals erhält dieser zuerst einmal Rückendeckung: „Afghanische Regierungsmitglieder bis hinauf zu Präsident Hamid Karsai sparen nicht mit Lob. »McChrystal«, sagen sie noch kurz vor seiner Abberufung, »ist der erste Befehlshaber, der unser Land verstanden hat«.“ (Berliner Zeitung, 24.06.10, S.8) Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärt „man habe »volles Vertrauen« in McChrystal“. (FR, 23.06.10, S.7) Da möchte auch der deutsche Verteidigungsminister nicht abseits stehen. Karl-Theodor zu Guttenberg in der Bild-Zeitung (24.06.10, S.2): „Ich habe mit McChrystal immer gut zusammengearbeitet und ihn sehr geschätzt. Er war ein wichtiger Garant für die Strategie in Afghanistan, die er entwickelt hat.“

Obama handelt schnell

40 Stunden nachdem Obama die Äußerungen des Generals zur Kenntnis nehmen musste, war der General gefeuert. Damit hat die US-Regierung „zum ersten mal seit der Demission von Douglas McArthur 1951 einen Kriegskommandeur abberufen“. (FR, 24.06.10) Für die Neue Zürcher Zeitung (24.06.10, S.3) wäre eine scharfe Rüge „womöglich die bessere Strafe gewesen. Dass Obama schärfer durchgriff, verrät eine gewisse Dünnhäutigkeit und lässt ihn nicht souverän erscheinen.“ Ganz anders sieht das Der Spiegel (28.06.10, S.84). Für ihn hat Obama schnell gehandelt, „weil er verstand, welche Gefahr ein General bedeutet, der mitten im Krieg die Verbündeten beleidigt und sich über die Zivilisten im Afghanistan-Team des Weißen Hauses mokiert.“ Und für Bernd Pickert (taz, 25.06.10) war Obamas größtes Interesse, „die Affäre McChrystal nicht zu einer Grundsatzdebatte über den Afghanistan-Einsatz ausufern zu lassen.“

Grundsatzdebatte notwendig

Genau diese Grundsatzdebatte wird in mehreren deutschen Medien als dringend notwendig bezeichnet. „McChrystal muss und will an den Sieg der NATO in Afghanistan glauben und sieht doch täglich, dass sich die Sicherheitslage – wie im jüngsten UN-Bericht trocken vermerkt – »nicht verbessert«“. urteilt die FAZ (24.06.10, S.2) „Tatsächlich ist die Lage in Afghanistan, ein halbes Jahr nach Beginn der von Obama angeordneten Truppenverstärkung um 30.000 Soldaten, mehr als verfahren. Die Offensive in der Gegend von Marja ist stecken geblieben… Die angekündigte Groß-Offensive in Kandahar… hat noch immer nicht begonnen.“ (SZ, 25.06.10, S.8) Günther Nonnenmacher hält in der FAZ (25.06.10, S.1) fest, „dass es auch mit dem nächsten Bestandteil der Afghanistan-Strategie nicht zum Besten steht: Der Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte – Polizei und Militär – hinkt hinter den Planzielen her.“

Kippt die Stimmung?

Für Christian Wernicke (SZ, 24.06.10, S.8) lauert dann auch hinter „dem grellen Streit um den Kopf eines Generals… eine weitaus grundsätzlichere Frage: Wie lange noch ist Amerika bereit, den Krieg am Hindukusch auszufechten? … Seit ihrem Beginn im Oktober 2001 kamen im Rahmen der »Operation Enduring Freedom« 1.132 uniformierte Amerikaner (und 726 Soldaten anderer Nationen ) ums Leben. Umfragen belegen, dass das amerikanische Volk allmählich den Glauben an den Sinn des Einsatzes verliert: Anfang Juni sagten 53 Prozent der Befragten, Afghanistan sei »den Kampf nicht wert«. Noch im Dezember 2009… bekundeten nur 44 Prozent solche Zweifel. Damals antworteten noch 52 Prozent auf dieselbe Frage von ABC und Washington Post, der Krieg »lohnt den Kampf«.“

Neuer General und alte Strategie

Nachfolger McChrystals ist dessen Vorgesetzter: David Petraeus, Vier-Sterne-General und bisheriger Reginonalkommandeur mit Zuständigkeit für die US-Truppen im Nahen und Mittleren Osten sowie Zentralasien. Petraeus soll Kontinuität dokumentieren. Er ist „Mitautor jenes Handbuchs, das die neuen Regeln des Kämpfens festlegt. 241 Seiten lang ist das Werk und reichert vertraute Grundsätze der Guerilla-Bekämpfung mit vielen zivilen Hinweisen zur Einbindung »sozialer Netzwerke« vor Ort an. Petraeus muss nun seine eigenen Ideen umsetzen.“ Dass das schnell gelingt, daran hat er wohl selbst große Zweifel, denn vorsichtshalber zieht er schon mal den von Obama angekündigten Beginn des Abzugs 2011 in Zweifel: „Wir (sollten) mit Zeitvorgaben vorsichtig sein“, erklärte er dazu Mitte Juni vor dem US-Streitkräfteausschuss. (Spiegel, 28.06.10, S.87)

„Es gibt keinen militärischen Ausweg in Afghanistan. Die Aufständischen und die Taliban-Gruppen, die diesseits und jenseits der Grenze zu Pakistan kämpfen, müssen in einen politischen Prozess einbezogen werden.“ Von dieser Einschätzung Günther Nonnenmachers (FAZ, 25.06.10, S.1) scheinen Politik und Militär in den USA noch weit entfernt.

Eine Welt ohne A-Waffen

Eine Welt ohne A-Waffen

von Jürgen Nieth

Als Barack Obama am 5. April 2009 in seiner Prager Rede für eine Welt ohne Atomwaffen plädierte, sprach »Die Zeit« (08.04.09) von „Eine(r) hinreißende(n) Vision“. Die Mehrheit der anderen deutschsprachigen Zeitungen war da skeptischer: „Prager Frühling – Obama will Atomwaffen abschaffen, konkrete Schritte bleiben aus“ (Frankfurter Rundschau/FR, 06.04.09), „Keiner will der erste sein“ (Berliner Zeitung/BZ, 07.04.09), „Die Grenzen der Abrüstung“ (Süddeutsche Zeitung/SZ, 07.04.09), „Obamas Denkfehler“ (Die Tageszeitung/taz, 18.05.09). Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ, 18.04.09) sah nach dieser Rede „Eine neue Welt mit Atomwaffen“ und schrieb: „Man kann in der Politik vieles wünschen, und manchmal bewegt der Wunsch auch etwas. Ohne Visionen bleibt der Blick an der zähen Gegenwart kleben, ohne Bilder der Phantasie ist man dem Status Quo und den Zeitläufen ausgeliefert… Mit der Bemerkung, er werde die kernwaffenfreie Welt wohl selbst nicht erleben, das Ziel liege weit weg, relativiert er das große Vorhaben wieder.“

Obama vor der UNO

Am 23.09.2009 hat der Sicherheitsrat der UN auf Vorschlag von US-Präsident Obama einstimmig eine Resolution angenommen, in der die Ratsmitglieder sich verpflichten, „eine sichere Welt für alle zu suchen und die Vorbedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen“. Diesmal reagierte die Presse deutlich positiver: „Absage an alle Atomwaffen – Sicherheitsrat mit »historischer« Resolution“ (FR 25.09.09), „Sicherheitsrat rüstet nuklear ab“ (Financial Times Deutschland/FTD 25.09.09), „UN-Sicherheitsrat für eine Welt ohne Atomwaffen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.09.09), „UNO-Signal für die Atomabrüstung“ (NZZ, 25.09.09), P. A. Krüger überschrieb seinen Kommentar in der SZ (22.09.09): „Sanfte Appelle und konkrete Schritte.“ Um welche Schritte geht es?

Atomwaffensperrvertrag stärken…

Nimmt man die Kommentare der SZ und der FR, dann geht es bei der Initiative Obamas in erster Linie darum, „eine Eigendynamik in Gang zu setzen, die beitragen soll, den Atomwaffensperrvertrag (NPT) zu stärken. Die USA sehen in ihm das zentrale Instrument, um der weiteren Verbreitung von Atomwaffen Einhalt zu gebieten. Sein Fundament bröselt, nicht nur wegen der Atomtests in Nordkorea und Irans verdächtiger Aktivitäten. Die Überprüfungskonferenz 2005 scheiterte auch daran, dass sich die USA weigerten, auch nur über ihre Pflicht zu reden, atomar abzurüsten.“ (P. A. Krüger, SZ, 22.09.09) „Der Text verlangt von allen Staaten, die dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 noch nicht beigetreten sind, diesen Schritt rasch nachzuholen, ‚damit zu einem baldigen Zeitpunkt die Universalität des Abkommens erreicht wird‘. In der Zwischenzeit sollen die drei noch ausstehenden Staaten – Indien, Pakistan und Israel – informell die Vertragsbestimmungen respektieren.“ (P. Simonitsch, FR, 25.09.09)

… und was wird aus dem Teststoppvertrag?

Neben dem NPT ist der Teststoppvertrag (CTBT) der zweite wichtige internationale Vertrag zu den A-Waffen. „Beide waren zuletzt durch das Desinteresse der Nuklearmächte geschwächt worden. … Obama versprach (jetzt) eine Lücke zu schließen und den Teststoppvertrag CTBT, der die Zündung von Kernwaffen verbietet, zu ratifizieren. Neun Nationen verhindern bisher, dass der CTBT in Kraft tritt, China, Indien, Pakistan, Ägypten, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea – und die USA. Die USA haben das Abkommen (…) bis heute nicht zur Ratifikation durch den Senat gebracht.“ (M. Koch, SZ 25.09.09) Auch diesmal ist das nicht sicher, da Obama hier auf Stimmen der Opposition angewiesen ist. J. Borger sieht die Entwicklung im »Freitag« (01.10.09) noch kritischer: „Im Pentagon kursiert der Entwurf zu einer Studie (Draft Nuclear Posture Review), die sich einer Neubewertung der nationalen Atomwaffenpolitik widmet und damit nicht nur hinter Obamas Visionen zurückfällt, sondern sogar eine Art Gegenverkehr in Bewegung setzt.“ Borger verweist weiter darauf, dass Verteidigungsminister Robert Gates der Idee anhänge „eine neue Generation von Sprengköpfen erproben zu lassen, da nur so die Einsatzbereitschaft der US-Atomwaffen garantiert bleibe. Erst wenn man dies getan habe, seien ein Abbau der Arsenale und das dauerhafte Verbot von Atomtests denkbar.“

Nuklearterrorismus verhindern

Die Absicht, bestehende Vertragswerke zu stärken und die Bereitschaft zur Reduzierung der A-Waffenbestände, sollte nach Auffassung mehrerer KommentatorInnen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, einen Nuklearterrorismus zu verhindern. So betonte der abtretende Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur, Baradei, die „drohende Gefahr der nuklearen Aufrüstung von nichtstaatlichen Akteuren und von Terrorgruppen. Über 90 Staaten seien gar nicht oder nur ungenügend den Kontrollinspektionen der Agentur gemäß dem NPT unterworfen“. (NZZ, 25.09.09) In der BZ (25.09.09) schreibt E. Schweitzer: „Es soll die Verbreitung von Nuklearmaterial unterbunden werden, um nuklearen Terrorismus zu verhindern. Vier Jahre setzt das Gremium dafür an, eine Frist für die Verschrottung der Kernwaffen hingegen wird nicht genannt.“ Und S. Muscat hebt in der »Financial Times« (25.09.09) hervor, dass Obama „dazu eine separate nukleare Sicherheitskonferenz angeregt“ hat. Dort sollen „auch Mechanismen für die friedliche Nutzung von Kernenergie entwickelt werden, die ein Anreiz für Staaten wie den Iran sein könnten, ihre eigenen Atomprogramme aufzugeben.“ Andreas Zumach formuliert es direkter: Die Initiative Obamas zielt darauf ab, „den internationalen Druck auf Atomwaffenaspiranten wie Nordkorea oder den Iran zu erhöhen.“ (taz, 25.09.09)

Entspannung mit Fußangeln…

… sieht Karl Grobe (FR 24.09.09): „Mit einer Resolution, einem Bündel von Abkommen… wird die Utopie nicht zur Realität. Das wissen alle Beteiligten. Falls sie noch rechtzeitig den am Jahresende auslaufenden Start-Vertrag verlängern, das Grundsatzabkommen, das jeder Rüstungsbegrenzung zugrunde liegt, ist ein Beispiel gegeben. Abrüstung ist das immer noch nicht. Doch eine Verkleinerung der Atomwaffen-Arsenale ist möglich; im Grundsatz sind ja alle dafür. Die beiden Großen besitzen rund 95 Prozent. Falls sie sich einigen können, jeweils ein Viertel abzubauen ist einiges besser geworden, aber noch nichts richtig gut.“

Was können wir vom nächsten US-Präsidenten erwarten?

Was können wir vom nächsten US-Präsidenten erwarten?

von David Krieger

Die bevorstehende Wahl des nächsten US-Präsidenten ist vielleicht die wichtigste in der Geschichte der USA, ja sogar in der Geschichte der Menschheit. Der nächste Präsident wird, wie alle US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg, seinen Finger auf dem nuklearen Knopf haben, und von seinem Charakter und Temperament wird es abhängen, ob er die Weltpolitik weiter aus dem Blickwinkel des Militarismus angeht oder ob die Außenpolitik der USA statt dessen auf Dialogbereitschaft setzt.

Die Wahl markiert das Ende der fast achtjährigen widerwärtigen Herrschaft durch George W. Bush und Richard Cheney. In den vergangenen acht Jahren wurde die Außenpolitik der USA zunehmend vom Militarismus bestimmt. Die USA haben im Irak einen illegalen Angriffskrieg begonnen, in dessen Verlauf schon über eine Million Irakis getötet wurden und etwa vier Millionen flüchten mussten. Die USA haben Folter gebilligt und die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen ignoriert. Die USA haben den Raketenabwehrvertrag aufgekündigt, um Raketenabwehrtechnologie zu bauen, die nicht funktioniert, und um die Bewaffnung des Weltraums zu betreiben. Die USA haben das Völkerrecht einfach bei Seite geschoben.

Der Auszug von Bush und Cheney aus ihrem Amtssitz ist ein Grund zu feiern, innerhalb und außerhalb der USA. Wer an sie denkt, dem werden »shock and awe« einfallen, Abu Ghraib, Guantanamo und ihre Missachtung des Völkerrechts, der US-Verfassung und der Weltmeinung. Nicht zu vergessen ihr verschwenderischer Umgang mit den Steuergeldern und die Tatsache, dass sie die Wirtschaft der USA gegen die Wand gefahren haben. Bush, und mit ihm Cheney, werden höchstwahrscheinlich als schlechtestes Präsidententeam der USA in die Geschichtsbücher eingehen – keine geringe Leistung. Bush hinterlässt seinem Nachfolger zahlreiche außenpolitische und wirtschaftliche Katastrophen. Die aufzuräumen ist für seinen Nachfolger, egal wer das sein wird, eine gewaltige Aufgabe.

Zwischen den beiden Kandidaten dieser Präsidentschaftswahl gibt es große Unterschiede. McCain unterstützt die militärische Lösung internationaler Konflikte und wird wohl der Bush-Strategie folgen, erst dann zu verhandeln, wenn die andere Seite vor der US-Position schon kapituliert hat. McCain hat von Anfang an den Krieg im Irak unterstützt, ist ein Hurrapatriot und setzt auf militärischen Sieg. Das heißt noch mehr Truppen und noch mehr Kämpfe, auch in völkerrechtswidrigen Kriegen. Er glaubt fest daran, dass eine massive Truppenaufstockung den USA im Irak zum Sieg verhelfen wird. McCain wird nachgesagt, er sei jähzornig und hitzköpfig. Das ist für jemanden, der jahrlang in Nord-Vietnam gefangen gehalten wurde, vermutlich ein nachvollziehbarer Charakterzug, aber nicht notwendigerweise wünschenswert bei jemandem, der den Finger auf dem nuklearen Knopf hat.

Obama hingegen begründet seine Meinung und ist maßvoll. Er wirkt bedacht und ausgeglichen. Er denkt nach, bevor er den Mund aufmacht. Er hat den völkerrechtswidrigen Angriff gegen den Irak nicht unterstützt. Er scheint nicht auf die falschen Versprechungen hereinzufallen, dass eine Aufstockung der Truppen den USA im Irak zum Sieg verhilft. Er glaubt, dass dort schon zu viele Menschen – US-Soldaten wie Irakis – gestorben sind und leiden, und dass es Zeit ist, unsere Truppen nach Hause zu bringen. Obama ist zu Verhandlungen bereit, um Frieden zu erreichen und zu bewahren. Natürlich ist er auch nicht perfekt, aber Obama hat seine strategische Vision darauf konzentriert, die Täter der Angriffe vom 11. September zur Rechenschaft zu ziehen. Er würde den Krieg im Irak beenden.

Obwohl es McCain vermeidet, Bush in seinem Wahlkampf namentlich zu nennen, ist erkennbar, dass er den Militarismus von Bush in der nächsten Präsidentschaft weiterführen würde. Er würde auch die Doppelstandards verwenden, mit denen die Regierung Bush ihre Außenpolitik führte. Es besteht die Hoffnung, dass Obama als Präsident bedacht auf internationale Krisen reagieren, Frieden stiften und dem Völkerrecht in der US-Politik wieder Beachtung verschaffen würde. Ich bezweifle, dass die Welt vier weitere Jahre ertragen könnte, die von der Arroganz und dem Militarismus gekennzeichnet wären, die McCain in die Präsidentschaft mitbringen würde. Die Hoffnung für die USA und unser aller Zukunft hängen schlicht davon ab, ob die US-Bürger Obama wählen, einen Kandidaten, der als junger Mensch Bürgergemeinschaften nicht bombardiert sondern organisiert hat. Außerdem hat Obama angekündigt, dass er der US-Präsident sein will, der den Weg in eine atomwaffenfreie Welt bereitet.

David Krieger ist Präsident der Nuclear Age Peace Foundation (www.wagingpeace.org) und Mitglied des World Future Council. Dieser Kommentar gibt seine private Meinung wieder.

Falken im Aufwind

Falken im Aufwind

von Jürgen Nieth

Zwei Personalentscheidungen des US-Präsidenten haben in den
letzten Wochen selbst unter befreundeten Regierungen der USA zu Irritationen
geführt, bei anderen zeigt sich blankes Entsetzen: Mit John Bolton nominierte
die Bush-Regierung einen ausgesprochenen UN-Gegner zum neuen US-Botschafter bei
den Vereinten Nationen und mit Paul Wolfowitz, den »Irakkriegsarchitekten« zum
neuen Chef der Weltbank.

Bolton – der »wohl undiplomatischste Hardliner«

Der Mann, der neuer US-Botschafter bei den Vereinten
Nationen werden soll, hat sich in den letzten 20 Jahren nicht nur als
ausgesprochener Hardliner hervorgetan, sondern auch als scharfer Kritiker der
UN. So schreibt die TAZ (09.03.05): „Er war es, der in den 90er Jahren dafür
warb, dass die USA die Zahlung ihrer Mitgliedsbeiträge an die Vereinten Nationen
einstellen. Die UNO ist für ihn ein »großes rostendes Wrack einer
bürokratischen Superstruktur«, die sich um unwichtige Dinge kümmert.“
Die
Frankfurter Rundschau (09.03.05) bezeichnet Bolton als den „wohl
undiplomatischsten Hardliner“
, für den die UN ein Debattierclub ist, „der
sich bestenfalls für amerikanische Interessen einspannen lässt, den man
ansonsten links liegen lassen muss.“

Störfeuer als Programm

In den 1980er Jahren half John Bolton bei der Finanzierung
der nicaraguanischen Contras, in den 1990er Jahren versuchte er , die
Untersuchungen des US-Kongresses über die Iran-Contra-Affäre und die
Verwicklung in Waffen- und Drogenschmuggel zu unterbinden. Er zählt zu den
exponiertesten Falken, wenn es darum geht, internationale Abkommen zu unterbinden,
die die USA auch nur im Ansatz einschränken könnten. „Bolton hat als
Staatssekretär für Fragen der Rüstungskontrolle die Verhandlungen zur Stärkung
der Biowaffen-Konvention sowie die mit Nordkorea torpediert. Im Atomstreit mit
dem Iran lehnt er den europäischen Gesprächsansatz ab.“
(FR 09.03.05)
Bolton „schrieb jenen Brief, mit dem die USA ihre Unterschrift unter das
Rom-Statut zur Einrichtung des internationalen Strafgerichtshofes zurückzogen,
und beschrieb das später als »den glück­lichsten Moment meines Dienstes für
diese Regierung«. Bei der UN-Kleinwaffenkonferenz 2001 brachte er den Versuch
eines Abkommens zu Fall, in dem er erklärte, die USA würden sich jedem Versuch
widersetzen, den Handel mit Schusswaffen zu regulieren, der »das verfassungsgemäße
Recht zum Waffen tragen« außer Kraft setzen könnte.“
(TAZ 09.03.05)

Wolfowitz: Irakkriegsarchitekt…

Wolfowitz ist seit Jahren einer der herausragenden
neokonservativen Vordenker in den USA. Sein Name taucht in fast allen
konservativen US-Think-Tanks auf (siehe R. Rilling in W&F 4-2004). Den
bisherigen Vize-Verteidigungsminister betrachten zahlreiche Kommentatoren als
»Drahtzieher« des Irakkrieges. So schreibt die TAZ (18.03.05). „Er brachte
eine Militäraktion (gegen den Irak) ins Spiel, als selbst Bush noch nicht daran
dachte.“
Wolfowitz sei unzufrieden gewesen, als Bush nach dem 11.09.2001
den Plan für den Afghanistankrieg vorgelegt habe. Für ihn war Saddam Hussein
der Hauptfeind, der „Massenvernichtungswaffen besitze… (und) auch bereit
sei, sie an Terroristen zu verkaufen. Sein Rat
: Ein Militärschlag gegen den
Irak.“

…ohne Erfahrung in der Entwicklungspolitik

Entwicklungspolitik ist die zentrale Aufgabe der Weltbank,
die der größte Geldgeber für Entwicklungsprojekte weltweit ist. 184 Länder sind
Mitglieder. Vom Chef der Weltbank müssten also eigentlich Erfahrungen in der
Entwicklungspolitik erwartet werden. Bis auf drei Jahre als Botschafter in
Indonesien und einer kurzen Zeit im Außenministerium der USA hat Wolfowitz aber
den größten Teil seiner Karriere im US-Verteidigungsministerium verbracht, von
1977 – 1980 als Beauftragter für die Golfregion, später als Staatssekretär
unter Georg Bush, sen. und dann als stellvertretender Verteidigungsminister
unter Georg Bush, jun.

Der Leiter des UN-Millennium-Projekts zur Bekämpfung von
Hunger und Armut, Jeffrey Sachs, übte dementsprechend deutliche Kritik: „Es
wird Zeit, dass sich andere Kandidaten melden, die Erfahrung auf dem Gebiet der
Entwick­lung haben… Das ist eine Position, von der das Leben hunderter
Millionen Menschen abhängt,“
dazu sei eine professionelle Führung
notwendig. (zitiert nach FR 18.03.05)

Entwicklungshilfe nur noch für Freunde

„Entwicklungshilfe nur noch für Freunde der USA?“,
titelt der Bonner Generalanzeiger (18.03.05). Weiter heißt es: Experten glauben
nun, „dass der Kriegsfalke Wolfowitz die Mittelvergabe weniger an den
finanziellen Bedürfnissen der Entwicklungsländer ausrichten wird, sondern
vielmehr deren Loyalität zu den USA während des Irakkriegs als Kriterium gelten
wird… Die größte Sorge gilt dem möglichen Missbrauch von Weltbankgeldern zur
Finanzierung des Wiederaufbaus des Irak sowie der indirekten Subventionierung
der amerikanischen Militärpräsens.“
Der Generalanzeiger zitiert dann Moises
Naim, ein früheres Mitglied des Weltbankdirektoriums: „Der Mythos, es
handele sich um eine Welt-Bank, gehört jetzt der Vergangenheit an. Sie wird unter
Wolfowitz zu einer rein »amerikanischen« Bank, einer Art Unterabteilung des
Pentagons und des Außenministeriums.“

Eine Zumutung

„Paul Wolfowitz als Präsident der Weltbank ist eine klare
Provokation,“
schreibt der Züricher Tages-Anzeiger (17.03.05). „Präsident
Bush weiß, dass der neokonservative Hardliner nicht nur für die Europäer kaum
akzeptabel ist, sondern auch für die Schwellen- und Drittweltländer eine
Zumutung darstellt. Wenn Bush seine Wahl trotzdem durchdrückt, dann
signalisiert er klar und deutlich, dass er der Welt nach der Irak-Invasion eine
weitere Lektion erteilen will.“

Kooperation à l‘a Bush

„Mit Wolfowitz bei der Weltbank und dem gerade erst zum
neuen Un-Botschafter nominierten John Bolton macht Bush sein Versprechen war –
auf seine Art. Die zweite Amtszeit, so hat er verkünden lassen, werde weniger
von einsamen Beschlüssen geprägt sein, als vielmehr im Zeichen der Kooperation
mit der Weltgemeinschaft stehen. Und genau deshalb schickt er seine loyalsten
Mitstreiter an die Schaltstellen internationaler Politik. Ihre Aufgaben
:
der Welt die Bedingungen beizubringen, unter denen der Präsident zur
Zusammenarbeit bereit ist.“ (Spiegel 12/2005, S. 120)