Zur US-Strategie gegen den Terrorismus

Zur US-Strategie gegen den Terrorismus

von Cornelia Beyer

Dieser Artikel fokussiert auf die Strategie der Vereinigten Staaten gegen den internationalen Terrorismus. Internationaler Terrorismus gilt als die Geißel des neuen Jahrtausends, doch sind die US-Strategien gegen dieses Phänomen der politischen Gewalt ausreichend und adäquat? Um diese Frage zu beantworten, untersucht die Autorin zuerst die Strategiepapiere der Administration um dann zu diskutieren, ob die Ansätze der Natur des Problems gerecht werden.

Die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten aus dem Jahr 2002 bezieht sich stark auf das Problem des Terrorismus. Folgender Satz ist hieraus besonders bekannt geworden: „Wir werden nicht zögern, im Alleingang zu handeln, wenn dies notwendig ist. Wir werden unser Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen indem wir präemptiv gegen solche Terroristen vorgehen“ (The White House 2002, 6). Hiermit wurde die Bereitschaft zu unilateralem Handeln geäußert, was international große Ablehnung hervorrief.

Die nationalen Strategiepapiere

Das dritte Kapitel der Nationalen Sicherheitsstrategie (2002) geht auf »rogue states« ein, mit spezieller Erwähnung des Irak. Es heißt, dieser und andere Staaten bedrohten die Vereinigten Staaten – besonders durch ihre Verbindung zu Terroristen – und aus diesem Grund müsse man eine proaktive Strategie verfolgen (The White House 2002, 14). Als weiteres Element der Strategie folgt die Unterstützung für freie Märkte, von denen man sich einen Anstieg des Wohlstandes auf globaler Ebene erhofft (The White House 2002, 17). Schließlich wird auch Augenmerk auf Entwicklung gelegt, denn eine Welt, in der die Hälfte der Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag leben müsse, sei nicht gerecht oder stabil.

Im Jahr 2003 legte die Administration der Vereinigten Staaten mit der »National Strategy For Countering Terrorism« eine konkrete Strategie gegen den Terrorismus vor. Hier wurde wieder betont, dass man gegebenenfalls unilateral und präemptiv handeln würde: „Wenn nötig, werden wir nicht zögern, allein zu handeln“ (The White House 2003, 2). Auffallend ist, dass man mit Blick auf den Terrorismus wieder die Rolle von Staaten betonte, die als »haven states« die Terroristen unterstützen und ihnen Unterschlupf gewähren (The White House 2003). Recht ausführlich wird so auch das Verhalten gegenüber Staaten beschrieben, die möglicherweise Terroristen unterstützen oder beherbergen. Der Ansatz unterscheidet sich je nach Kooperationswilligkeit: Partnerschaft, Unterstützung, Überzeugung und Bekämpfung kommen in Frage (The White House 2003, 12). Letzteres soll geschehen durch weitergehende Aggressionen („wir müssen weiterhin aggressiv handeln“, The White House 2003, 5) und die Ausweitung der Verteidigung (The White House 2003, 12). Neben der Verhinderung von »safe haven« sind die direkte Bekämpfung von Terrorismus, die Ursachenbekämpfung und die Verteidigung des Heimatlandes Elemente einer 4D-Strategie (defeat terrorist organizations; deny further sponsorship, support and sanctuary; diminish the underlying conditions; defend the United States). Mit ersterem Punkt ist das militärische und polizeiliche Vorgehen gegen die terroristischen Organisationen selbst beschrieben. Auch die Kontrolle der Finanzen und geheimdienstliche Überwachungsmaßnahmen fallen hierunter. Der zweite Punkt schließt wie beschrieben militärische Interventionen und Regimewandel implizit mit ein. Staaten, die nicht kooperieren oder Terroristen »safe haven« bieten, sollen zur Verantwortung gezogen werden. Hinsichtlich der Verringerung der zugrunde liegenden Bedingungen für Terrorismus ist gemeint, dass man sich sowohl entwicklungspolitisch betätigen als auch einen Krieg der Ideen führen will. Man betont allerdings, dass man diesen Teil der Strategie auf keinen Fall allein durchführen kann – im Gegensatz zum militärischen Pfeiler der Strategie. Zur Notwendigkeit der Entwicklungshilfe in verschiedenen Dimensionen wird nichts weiter ausgeführt, da diese sowieso schon stattfinde.

Im Jahr 2006 wurde wieder eine Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht, die sich aber kaum von jener aus dem Jahr 2002 unterscheidet. Man weicht nicht von der Option des präemptiven Handelns ab, doch wird die unilaterale Option nicht mehr genannt. Somit lässt sich eine Strategie konstruieren, die den Krieg gegen den Terror mit den bekannten Mitteln in Iran1 und möglicherweise Syrien fortsetzen will, da man keinen Unterschied zwischen Terroristen und möglichen Unterstützern macht (The White House 2002). Unter der Rubrik »Weitere Schritte« wird beschrieben, dass man kurzfristig militärische Mittel anwenden muss um die Terroristen zu fangen, zu töten, und zu verhindern, dass diese die Kontrolle über andere Staaten erringen (The White House 2006b, 9). Speziell im Mittleren Osten soll folgendes erreicht werden: Verhinderung weiterer Attentate, Verhinderung des Besitzes von Massenvernichtungswaffen für Schurkenstaaten und Terroristen, Verhinderung des »safe havens« in Schurkenstaaten für Terroristen und Verhinderung der Kontrolle dieser durch Terroristen. In diesem Zusammenhang werden explizit Syrien und Iran benannt, die von der Welt „zur Rechenschaft“ gezogen werden müssten. Schließlich geht das Papier auf die Ursachen von Terrorismus ein. Armut, die amerikanischen Außenpolitiken und der Israel-Palästina Konflikt werden als Ursachen abgelehnt. Stattdessen bezieht man sich auf autoritäre Regime und die folgende politische Entfremdung, fehlende Mitspracherechte der Bevölkerung, (ungerechtfertigte) Schuldzuweisungen; Subkulturen, die durch Verschwörungstheorien und Desinformation geprägt sind und eine Ideologie, die Mord rechtfertigt als »root causes«. Als Lösung für all diese Faktoren wird die Demokratie präsentiert.

Auch die Strategie gegen den Terrorismus wurde im Jahre 2006 erneuert. Langfristige Strategie sei es, effektive Demokratie zu verbreiten und ihre Verbreitung zu unterstützen. Demokratie sei das „Gegenmittel zur Ideologie des Terrorismus“ (The White House 2006a, 9). Politischer Entfremdung wird Beteiligung entgegengesetzt, Unzufriedenheit und Schuldzuweisungen werden durch Rechtstaatlichkeit und friedliche Wege der Konfliktlösung ersetzt, die Kultur der Verschwörungstheorien findet ihre Ablösung in der Redefreiheit und dem freien Austausch der Ideen. Schließlich wird eine gewalttätige Ideologie durch den Respekt für die Menschenwürde abgelöst. Kurzfristig allerdings werde man allerdings auch weiterhin auf militärische Mittel zurückgreifen.

Dimensionen und Implikationen der Strategie

Besonders dominant in der Strategie der Vereinigten Staaten gegen den Terrorismus ist die militärische Säule. Dies kann man in der Praxis auch an dem Jahreshaushalt 2006 der USA erkennen:

Haushaltsplan der US-Regierung für 20062

  • Wehretat gesamt3419,3 Milliarden
  • Militärische Einsätze485,0 Milliarden
  • Department of Homeland Security34,2 Milliarden
  • Auslandshilfe18,5 Milliarden
  • FBI5,7 Milliarden
  • Department of Justice53,1 Milliarden
  • Maßnahmen zur Kontrolle krimineller Gelder100 Millionen
  • Grenzsicherheit623 Millionen

Militärische Einsätze machen hier den Löwenanteil aus. Man fokussiert also auf eine militärische Bekämpfung und vernachlässigt alternative Elemente, wie besonders die Bekämpfung von Netzwerken und die Adressierung der Ursachen von Terrorismus. Netzwerke lassen sich nicht mit punktuellen Interventionen zerstören.

Wie Ulrich Schneckener (2002) schreibt, ist der neue Terrorismus in Netzwerken organisiert und ähnelt in der Struktur transnationalen Unternehmen. Aus diesem Grund sei es unwahrscheinlich, dass die Zerstörung eines Teils zur Schwächung des Ganzen führe, es sei denn, ein zentraler Knotenpunkt sei gestört. Die Netzwerke sind mobil und flexibel und Verbindungen werden geknüpft und aufgelöst nach pragmatischen Gesichtspunkten. Somit entzieht sich das Netzwerk jedem militärischen Angriff. Weiterhin entwickelt sich das Netzwerk mehr und mehr zu einer immer loseren Gemeinschaft. Man spricht aus diesem Grund auch zunehmend von der »Ideologie Al Kaida«. Dies bedeutet, dass zunehmend Verbindungen zwischen den zentralen Führern und neuen Mitgliedern nicht mehr notwendig sind. Einzelne Täter oder Gruppen beschaffen sich Motivation und technisches Wissen im Internet und führen so ohne oder mit nur geringen konkret nachweisbaren personalen Beziehungen zu Al Kaida Attentate im Namen der Organisation aus. Die U-Bahn-Attentate in London sind ein Beispiel für diesen Effekt. Die Administration weiß um diesen Effekt, wie aus den Strategiepapieren zu erkennen ist. Eine Abkehr von der Fokussierung auf militärische Interventionen in »haven states« ist dennoch nicht erkennbar.

Die verfolgte Strategie gegen den Terrorismus kann darüber hinaus nicht erfolgreich sein, da sie die Ursachen des internationalen Terrorismus kaum beachtet und adressiert. Wirtschaftliche Unterentwicklung, aggressive Außenpolitik der Vereinigten Staaten besonders im Mittleren und Nahen Osten und soziale und psychosoziale Folgeprobleme einer raschen Globalisierung werden als verursachende Probleme nicht oder nur bedingt anerkannt (Beyer 2006a, Kapitel 2.5). Genau hier liegt aber ein Problem. Die zentrale Frage muss sein, wie Terrorismus durch soziale, politische, ökonomische, ökologische und psychologische Konflikte entsteht. Davon ausgehend muss man die Bedingungen ändern, nicht Menschen und Orte angreifen (Ettlinger und Bosco 2004, 254). Wenn man sich nicht in einer Ursachenbekämpfung engagiert, werden die Terrorismusbekämpfungspolitiken ineffektiv bleiben und die Gefahr wird nicht verringert (Sinai 2004, 63).

Auch die langfristige Strategie einer Demokratisierung als Mittel gegen Terrorismus (vgl. Abadie 2004)7 wirft einige Fragen auf. Immerhin hat Indien als starke Demokratie besonders intensiv mit Terrorismus zu kämpfen, Demokratie allein ist also kein ausreichender Schutz gegen diese Form von Gewalt. Effektive Entwicklungshilfe und die Einbindung in die internationale Wirtschaft sind von mindestens ebenso großer Bedeutung. Entwicklung hat einen negativen Effekt auf das Auftreten von Terrorismus (Li und Schaub 2004) und es wurde argumentiert, dass umgekehrt relative Unterentwicklung eine Ursache für Terrorismus ist (Beyer 2006). Darüber hinaus ist fraglich, wie man Demokratie durchsetzen will. In den Strategien wurde die Demokratisierung Afghanistans und des Iraks als Erfolg angesprochen. Daraus kann man schließen, dass Interventionen als gangbarer Weg auf der Straße zur Demokratisierung gesehen werden. Die impliziten Drohungen gegenüber Iran und Syrien entsprechen dieser Interpretation. Wenn es jedoch zu weiteren Interventionen kommen sollte, würde die negative Entwicklung in Afghanistan und Irak – mit ihrem Anstieg von Terrorismus und einer katastrophalen Sicherheitslage, die manche bereits als Bürgerkrieg beschreiben – kein Einzelfall bleiben und die Region würde weiter destabilisiert. Demokratie ist ein erstrebenswertes Ziel. Doch sie lässt sich nicht mit Bomben erzwingen, sie muss gelernt und angenommen werden in den Köpfen und Herzen der Bevölkerungen. Der einzige Weg dies zu erreichen, ist der Einsatz von weichen Machtmitteln, nicht harter militärischer Macht, da diese eher Ablehnung erzeugt.

Darüber hinaus sind die Nebenwirkungen einer aggressiven Strategie im Krieg gegen den Terrorismus schwer einzuschätzen. Denn auch das Ziel, einen Dominoeffekt der Demokratisierung zu erreichen,8 der dem internationalen Terrorismus zunehmend die »haven states« entziehen würde, ist nicht erreicht (Gordon 2004, 148). Zum Teil hat die Unterstützung für schwächere Staaten dazu geführt, demokratische Entwicklungen zu behindern, statt sie zu befördern (zum Beispiel in Ägypten, Georgien, Indien, Indonesien und Russland laut Human Rights Watch). In einigen Fällen werden unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung die bürgerlichen Rechte stark eingeschränkt (Hoffmann 2002, 113), wird Opposition unterdrückt und werden willkürlich Personen verhaftet. Darüber hinaus führt das Außenverhalten der Vereinigten Staaten nach dem 11. September zu einem balancing von Seiten anderer Staaten gegenüber den USA,9 mit möglicherweise destabilisierendem Verhalten für das internationale System. Und schließlich – nicht jedoch zuletzt – wurde durch den Krieg gegen den Irak das Völkerrecht gebrochen, mit noch gar nicht abzusehenden Folgen für die internationalen Beziehungen. Die Gefahr besteht, dass andere Staaten sich in Folge ebenfalls zu völkerrechtlich nicht gedeckten, präemptiven Schlägen veranlasst sehen könnten.

Effektivität der Strategie

Was sagt uns abschließend die Empirie über den Erfolg der militärischen Strategie gegen den Terrorismus?

Die Befürworter der »US-Strategien gegen Terror« behaupten, dass mit den verfolgten Strategien der Terrorismus zwar vom Heimatland der Vereinigten Staaten (bis jetzt seit 2001) ferngehalten werden konnte. Sie negieren aber, dass der Terrorismus nicht ab- sondern zugenommen hat. Da man kaum bis gar nicht nach Ursachen und möglichen Entstehungsmomenten des internationalen Terrorismus fragt, bleibt auch folgender Effekt unbeachtet: als Reaktion auf die Ausweitung des Kampfes gegen den Terrorismus steigt die Zahl der Terroranschläge. In der Tat haben sich die internationalen Anschläge im Jahr 2004 möglicherweise verdreifacht: von 175 im Jahr 2003 auf ungefähr 655 (Glasser 2005). Mitglieder des State Department und des National Counterterrorism Centre sollen die Entwicklung als »dramatic uptick« beschrieben haben. (Ebd.) Ein Anstieg der terroristischen Vorfälle geht ebenfalls aus den Daten der RAND Corporation hervor, die dem Kongress nahe steht. Die Daten werden bereitgestellt in der MIPT-Terrorism Knowledge Database in Zusammenarbeit mit dem National Memorial Institute for the Prevention of Terrorism. Laut dieser Quelle haben sich im Jahr 2000 auf internationaler Ebene 104 terroristische Vorfälle ereignet, im Jahr 2002 waren es bereits 298, 2005 belief sich die Zahl auf 302 internationale terroristische Vorfälle.10 Insgesamt zeigen die in der MIPT-Terrorism Knowledge Database verfügbaren Daten nach 2001 einen starken Anstieg auf das Niveau von 1990. Als abweichende Quelle ist allein die ITERATE-Datenbank verfügbar. Diese stellt einen Rückgang des internationalen Terrorismus nach 2001 fest. Allerdings schließt diese Datenbank viele Ereignisse, die laut der Definition des State Department terroristischer Art sind, nicht ein (Holyk 2005) und wurde aus diesem Grund hier nicht verwendet.

Die Entwicklung weist also einen negativen Trend auf, der internationale Terrorismus nimmt global gesehen zu. Von Bruce Hoffman, einem Experten für Terrorismus aus den Vereinigten Staaten und Direktor der RAND Corporation, wird ebenfalls eine Zunahme der personellen Basis des internationalen Terrorismus seit 2001 bestätigt und für die kommenden Jahre vorausgesagt (World Economic Forum 2005). Grund hierfür ist, dass Netzwerke mittels Interventionen nicht zerstört werden und sich stattdessen die personellen und motivationalen Ressourcen vermehren. Somit entsteht die Gefahr, die eliminiert werden sollte, erneut. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass die angesprochene Ressourcen – Rekrutierung von potentiellen Terroristen und ihre ideelle Unterstützung – in irgendeiner Form begrenzt oder begrenzbar sind. Im Gegenteil, sie könnten durch die verfolgten Strategien noch vermehrt werden. Die Alternative wäre eine Strategie nach dem Motto »weniger ist mehr«. Ein Verzicht auf militärische Aggression wäre unbedingt hilfreich im Kampf gegen den Terrorismus. Ein Amerika, dass seine Macht auf weiche Faktoren gründet – wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Attraktivität sowie Diplomatie – ist langfristig weniger angreifbar.

Literatur

Abadie, Alberto (2004): Poverty, Political Freedom, and the Roots of Terrorism. NBER Working Paper.

Beyer, C. (2006): Deeskalation statt strukturelle Gewalt. In: Politik im Netz, Nr. 3. Online: http://www.politik-im-netz.com/pin_rl/rational/rat_aufsatz.lasso, 30.03.06.

Beyer, C. (2006a): Die Strategie der Vereinigten Staaten im »War of Terror«. Lit Verlag.

Bilmes, L.; Stiglitz, J. E. (2006): The Economic Costs of the Iraq War. Columbia University. Online: http://www2.gsb.columbia.edu/faculty/jstiglitz/Cost_of_War_in_Iraq.pdf, 30.03.06.

Ettlinger, N.; Bosco, F. (2004): Thinking Through Networks and Their Spatiality: A Critique of the US (Public) War on Terrorism and Its Geographic Discourse. In: Antipode, Jg. 36, Nr. 2, 249-271.

Glasser, S. B. (2005): U.S. Figures Show Sharp Global Rise in Terrorism. In: Washington Post. Online: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/04/26/AR2005042601623.html, 30.03.06.

Gordon, P. (2004): Review Essays: American Choices in the »War on Terror«. In: Survival, Jg. 62, Nr. 1, 145-155.

Hoffmann, S. (2002): Clash of Globalizations. In: Foreign Affairs, Jg. 81, Nr. 4, 104-115.

Holyk, G. G. (2005): A Comparison of the Lethality of State and Non-state Terrorism. Online: www.politicsandgovernment.ilstu.edu/conference/2005finals/Holyk2005.doc, 30.03.06.

Li, Quan; Schaub, Drew (2004): Economic Globalization and Transnational Terrorism. In: Journal of Conflict Resolution, Jg. 48, Nr. 2, 230-258.

Matin, K. (2006): Ein US-geführter Regimewechsel liegt nicht im Interesse der iranischen Bevölkerung. In: Friedenspolitischer Ratschlag. Online: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Iran/matin.html, 23.03.06.

Pape, R. A. (2005): Soft Balancing against the United States. In: International Security, Jg. 30, Nr. 1, 7-45.

Paul, T. V. (2005): Soft Balancing in the Age of U.S. Primacy. In: International Security, Jg. 30, Nr. 1, 46-71.

Rötzer, F. (2005): Hat der Krieg gegen den Terror versagt? Online: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20474/1.html, 30.03.06.

Schneckener, U. (2002): Netzwerke des Terrors. Charakter und Strukturen des transnationalen Terrorismus, Berlin.

Sinai, J. (2004): A Democratic Approach to Resolve Terrorism´s Root Causes. In: Democracy and Security, Jg. 1, Nr. 1, 63-71.

The White House (2002): National Security Strategy of the United States. Online: http://www.whitehouse.gov/nsc/nss.html, 01.02.06.

The White House (2003): National Strategy for Combating Terrorism, online: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/02/20030214-7.html, 01.03.06.

The White House (2005): President´s Address to the Nation. Online: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2005/12/20051218-2.html, 01.02.06.

The White House (2006): Budget of the United States Government, Fiscal Year 2006. Online: http://www.whitehouse.gov/omb/budget/fy2006/budget.html, 28.03.06.

The White House (2006a): National Strategy for Combating Terrorism. Online: http://www.globalsecurity.org/security/library/policy/national/nsct_sep2006.htm.

The White House (2006b): The National Security Strategy of the United States. Online: www.whitehouse.gov/nsc/nss/2006/, 30.03.06.

World Economic Forum (2005): Outlook on Terrorism in 2005. Online: http://www.weforum.org/site/knowledgenavigator.nsf/Content/_S12468?open&event_id=, 01.02.06.

Anmerkungen

1) Matin (2006) argumentiert, dass ein U.S.-geführter Regimewechsel dort nicht im Interesse der Bevölkerung liegt.

2) The White House 2006, gilt auch für alle folgenden Angaben, wenn nicht anders ausgezeichnet.

3) Gesamtbudget des U.S. Department of Defense.

4) Mit stark steigender Tendenz, basierend auf Bilmes und Stiglitz 2006.

5) Budget für Programme mit Bezug zu Homeland Security.

6) Für Maßnahmen zur Küstenkontrolle und Grenzsicherheit des Department of Homeland Security.

7) Demokratien weisen in der Regel wenig Terrorismus auf. Staaten die sich in der Transition zur Demokratie befinden, sind allerdings am meisten von Terrorismus betroffen.

8) Dieses Ziel wird in den Strategiepapieren nicht deutlich, wird aber in der Literatur immer wieder genannt, beispielsweise in Gordon 2004.

9) Vgl. beispielsweise Paul 2005 versus Pape 2005. Konsens ist, dass wir es in der jüngsten Zeit mit soft balancing von Seiten anderer Groß- und Mittelmächte zu tun haben.

10) Ausgewertet vom National Memorial Institute for the Prevention of Terrorism 2006, dabei werden ausgeführte sowie angedrohte Anschläge gezählt.

Cornelia Beyer arbeitet als wissenschaftliche Angestellte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen. Ihre Themenschwerpunkte sind Terrorismusbekämpfung und Ursachen von Terrorismus, Amerikanische Außenpolitik und Global Governance (cornelia.beyer@uni-tuebingen.de.)

Ein Investment-Fonds als außenpolitisches Instrument?

Carlyle:

Ein Investment-Fonds als außenpolitisches Instrument?

von Werner Ruf

Die Geschäftserfolge von Carlyle erscheinen geradezu märchenhaft. Doch nicht jeder Anleger erhält das Privileg, hier sein Kapital vermehren zu dürfen. Nach welchen Kriterien das Screening der Kunden durchgeführt wird, ist nicht transparent. Doch dürfte Carlyle noch mehr sein als nur ein erfolgreicher Investment-Fonds: Die Nähe des Managements zum politischen Establishment dürfte nicht nur die Geschäftserfolge erklären, sie könnte den Fonds auch zu einem Instrument der US-Außenpolitik machen. Auch mit seiner schon früh erfolgten Beteiligung an dem privaten militärischen Unternehmen Vinnell zeigte Carlyle nicht nur seine glückliche Hand als Investor in dieser boomenden Branche, die Firma begab sich damit auch in jene Grauzone, wo Politik, Geschäft und die Durchsetzung politischer Ziele mittels Gewalt in einander fließen.

Die Firma wurde 1987 von vier Investoren mit einem Kapital von fünf Mio. US$ gegründet. Heute liegt sie auf Rangplatz neun der großen Investmentfirmen.1 Sie verwaltet derzeit 30,9 Mrd. US$.2 Die sehr nüchterne und nicht sehr explizite homepage der Firma versichert den Anlegern „außerordentliche Rückflüsse“. Die Firma selbst hat über 600 Beschäftigte. In den Firmen, an denen sie beteiligt ist, arbeiten über 131.000 Menschen. Carlyle, benannt nach dem Gründungsort, dem Carlyle Hotel in New York, basiert auf privater Partnerschaft, das heißt, dass die Firma einer »Gruppe von Individuen« gehört, von denen die meisten Manager bei Carlyle sind. Sie werden offensichtlich aus einem Personenkreis rekrutiert, der engste Beziehungen zum politischen und wirtschaftlichen Establishment hat. Die Investoren sind öffentliche und private Institutionen sowie sehr vermögende Individuen, ihre Namen sind nur selten bekannt. Explizite Politik der Firma ist es, hoch qualifizierte Fachkräfte der Investment-Branche zu rekrutieren, die eine „große Reputation in ihren jeweiligen lokalen Märkten haben und über etablierte Kontakte zu hohen Geschäftskreisen verfügen.“3 Diese Anforderungen könnten auch gelesen werden als Auswahlkriterien für die wichtigsten Investoren, die großenteils zugleich Management-Funktionen in der Firma innehaben. Im Verwaltungsrat von Carlyle finden sich folgerichtig:4

  • der ehemalige US-Präsident George Bush sen., zuvor Vizepräsident der USA und Direktor der CIA.
  • Frank Carlucci, vormals US-Verteidigungsminister und stellvertretender Direktor der CIA.
  • James Baker III, vormals Außen- und Finanzminister, von Präsident George W. Bush im Dezember 2003 zu seinem persönlichen Beauftragten für die Umschuldung des Irak ernannt.
  • John Major, vormals britischer Premierminister, der dem europäischen Zweig der Firma vorsteht.
  • Fidel Ramos, vormals Präsident der Philippinen, Aufsichtsratsmitglied von Carlyle-Asia.

Zu den wichtigsten privaten Anlegern der Firma gehören George Soros, Prinz Alwaled bin Talal bin Abdul Aziz Al-Saud. Auch die Familie Osama bin Ladens zählte zu diesem Kreis, liquidierte allerdings ihre Einlagen im Oktober 2001 (spekuliert wird über den bescheidenen Betrag von 2 Mio. US$). Carlyle glänzt auch in der Außendarstellung durch Prominenz: International renommierte Personen treten als Festredner auf – so der ehemalige US-Außenminister Colin Powell oder der Vorsitzende von AOL Time Warner, Steve Case, ebenso wie der frühere Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl. Vater Bush soll pro Rede bis zu 100.000 US$ Honorar erhalten5 – eine gute Voraussetzung für weitere Investitionen.

Als »private global investment firm« ist Carlyle keine Aktiengesellschaft. Aus diesem Grunde gibt es auch keine Rechenschaftsberichte, bleiben Geschäftsgebaren, Gewinne und Verluste der Firma im Dunkeln.6 Allerdings sind auf der homepage (alle?) die Firmen aufgeführt, an denen Carlyle Beteiligungen hält, wobei der Umfang der Beteiligung nicht immer erkennbar ist. Carlyle entscheidet selbst, wer »qualifizierter Anleger« ist und in diesen ausgewählten Kreis aufgenommen wird.7 Als Beteiligungsgesellschaft nimmt Carlyle Kapital von seinen Mitgliedern auf, um es in Form von Management Buyouts, Venture Capital, strategischen Minderheitsbeteiligungen zu investieren. Insgesamt gehören der Firma 550 Investoren aus 55 Ländern an. 21 Niederlassungen existieren in den USA, Europa (so in Frankfurt, München, London und Paris) und Asien. Die wichtigsten Branchen von Carlyle sind:

  • Flugzeugbau und Verteidigung
  • Kfz – Technik
  • Industrie
  • Energie
  • Gesundheitswesen
  • Informationstechnologie/Telekommunikation und Medien
  • Immobilien

Carlyle selbst gliedert seine Beteiligungen folgendermaßen:8 (sh. Grafik)

Die Investitionen von Carlyle sind also breit gestreut, der Rüstungssektor nimmt trotz der in der Grafik auf 1% veranschlagten Investitionen einen gewaltigen Bereich der Beteiligungen ein. Immerhin nennt sich die Firma selbst den „führenden Investor in Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie“ mit einem Investitionsvolumen von 7,4 Mrd. US$.9 Jedoch muss und kann davon ausgegangen werden, dass rüstungsrelevante Investitionen weit über den reinen Rüstungsbereich hinausgehen: Gerade in den Branchen des Fahrzeugbaus, der Informationstechnologie, aber auch der Medizin gibt es vielfältige Formen des »double use«: Die Produkte und Systeme sind oft sowohl zivil wie militärisch nutzbar. Ein weiterer strategischer Schwerpunkt der Investitionen/Beteiligungen von Carlyle ist der geopolitisch relevante Energiesektor, auf die umfangreichen und einschlägigen Beteiligungen kann hier nicht eingegangen werden. Im engeren Bereich der Rüstungsindustrie hält Carlyle – unter vielen Anderen:

  • 49% des Kapitals von United Defense, dem führenden Entwickler und Produzenten von Kampffahrzeugen, Artillerie, Schiffsgeschützen, Raketenabschussbasen und Präzisionsmunition. Die Firma ist zugleich die größte Schiffsreparaturwerft, und ihr gehört der schwedische Rüstungskonzern Bofors.
  • Hinzu kommt United States Marine Repair Inc., die insbesondere auf die Reparatur, Modernisierung und Wartung der US-Kriegsflotte, aber auch ziviler Schiffe spezialisiert ist.
  • AvioSpa erwarb Carlyle zusammen mit Finmeccanica im September 2003 von der Fiat-Gruppe für 1,6 Mrd. &, wobei Calyle 70%, Finmeccanica 30% der Anteile hält. Die Firma ist spezialisiert auf Entwicklung und Produktion von militärischen und zivilen Flug-, Schiffs- und Raumfahrtsantriebssystemen. Bei diesem Erwerb – so Carlyle auf seiner homepage – kamen der Firma ihre „sektorielle Erfahrung und lokale Kenntnisse“ zu Gute.10 Die Avio-Gruppe kaufte am 7. Juni 2005 von Royal Philips Electronics 80% von Philips Aerospace (Eindhoven), den führenden Produzenten von komplexen Komponenten für General Electric, Boeing, Rolls Royce, Lockheed Martin und BAE Systems. in der Folge wurde die Firma umbenannt in DutchAero B.V.
  • Aviall ist der führende Zulieferer für Flugzeug- und Schiffbauindustrien. Die Firma sicherte sich einen Zehnjahresvertrag für die Wartung von Rolls-Royce-Turbinen, die Standard-Ausrüstung der Transportmaschine Herkules 130 und weiterer Flugzeugtypen.
  • Indigo Systems Inc. ist Produzent von Infrarot-Systemen, die Wärmequellen in Dunkelheit, Nebel und durch bauliche Widerstände hindurch orten können. Eine Investition von 10 Mio. US$ im Jahre 2002 brachte im Folgejahr Einnahmen in Höhe von 30 Mio. US$.
  • Stellex Aerostructures, Inc. ist einer der führenden Hersteller von Titan- und Aluminium-Komponenten für die Luft- und Raumfahrt sowie für die Rüstungsindustrie.
  • US Investigations Services, Inc. ist der größte Hersteller von Geräten im Bereich der investigativen und professionellen Sicherheitsdienste in Nordamerika.11
  • Mit QinetiQ erwarb Carlyle 2003 Anteile am größten Technologie-Konzern in Europa und wurde so zum »strategischen Partner« des britischen Verteidigungsministeriums. Auch bei diesem Vertragsabschluss waren die „Expertise im Bereich des Verteidigungs- und Luftfahrtsektors“, ebenso entscheidend wie „die lokalen Kenntnisse unseres britischen Investment-Teams.“12
  • Am 27. September 2005 erwarb Carlyle außerdem die britische Firma NP Aerospace zum Preis von 54 Mio. US$. Sie ist einer der führenden Hersteller im Luftfahrt- und Verteidigungssektor.

Diese Auflistung könnte noch lange fortgesetzt werden. Die Erarbeitung einer Verflechtungs- und Beteiligungsmatrix von Carlyle geriete zur Sisyphos-Arbeit, vor allem, wenn man die »nicht-militärischen« Bereiche noch auf ihre Relevanz für den Rüstungssektor untersuchen wollte. Deutlich wird allerdings bereits aus der obigen Aufzählung, dass die Firma nicht nur eine finanzpolitische Bedeutung, sondern auch ein politisch-strategisches Potential besitzt. Es wäre verwunderlich, wenn dieses nicht genutzt würde – zur Gewinnmaximierung ebenso wie zur politischen Einflussnahme, die zum Ersteren ja nicht in Widerspruch zu stehen braucht.

Denn Carlyle ist gewissermaßen das Scharnier zwischen privaten Geschäftsinteressen und Investitionen der US-Regierung im Bereich der Verteidigung, der Energieversorgung und der Informationstechnologien. Die Firma operiert „im so genannten Dreieck von Industrie, Regierung und Militär“,13 also dem »inner circle« des amerikanischen militärisch-polit-ökonomischen Komplexes. Es sind die personellen Verflechtungen im Schnittpunkt dieses Dreiecks, die die gigantischen Wachstumsraten der Firma in weniger als zwei Jahrzehnten erklären. Sie sind das Resultat geradezu einzigartig enger Beziehungen zwischen Personen wie Georges Bush, Frank Carlucci oder James Baker III mit dem Pentagon und seinem derzeitigen Chef Donald Rumsfeld, mit Vize-Präsident Dick Cheney und vielen Anderen: Firmen, die der Carlyle-Gruppe angehören, erhielten allein im Jahr 2002 Rüstungsaufträge von insgesamt 1,4 Mrd. US$.14 Auf der anderen Seite beschränken sich diese Verflechtungen wie auch die Interessen15 keineswegs auf das US-amerikanische Establishment: Sie sind im Wortsinne global und verschmelzen führende Rüstungs- und Technologieunternehmen weltweit. Diese Verflechtung zwischen Finanzwelt, Politik und den Verwertungsinteressen der Rüstungskonzerne macht es möglich, Einfluss und Profite ungeheuren Ausmaßes zu sichern. Denn nirgendwo sind diese Profite leichter und größer als in der Kriegswirtschaft, sind doch Rüstungsprojekte weitestgehend der Geheimhaltung unterworfen, so dass sich offene Ausschreibungen verbieten. Und da sie von monopolistischen Abnehmern – Regierungen – vergeben werden, sind sie oft Quelle gigantischer Extraprofite. Genau hier zeigt sich der strategische Vorteil von Carlyle: Die Nähe zum politischen Establishment erschließt frühzeitig Wissen darüber, wo, wann und wie der nächste Krieg geführt werden soll und welche Waffensysteme hierfür vorgesehen sind. Kurz, es geht darum zu wissen, wo die Regierung(en) Geld ausgeben werden, um »vorsorgend« zu investieren.

Auch bei der Privatisierung der Gewalt lag Carlyle schon früh im Trend der Zeit und beteiligte sich an privaten militärischen Unternehmen, die, wenn sie sich nicht selbst an kriegerischen Aktionen beteiligen, vor allem in der Ausbildung tätig sind und so zugleich eine wichtige Vermittlerfunktion bei der Beschaffung von Rüstungsgütern darstellen.16 Bereits 1992 erwarb Carlyle die Vinnell Corporation.17 Die Firma ist schwerpunktmäßig tätig in der Ausbildung ausländischer Streitkräfte im Rahmen des International Military Education and Training – Programms der US-Regierung, aber auch für die US-Armee, die US-Air Force und das Department of Homeland Security. Zugleich tritt sie als Beschaffer der notwendigen Waffensysteme auf. Ein weiterer Schwerpunkt ist nachrichtendienstliche Tätigkeit.18 Wichtigster Klient war bisher Saudi-Arabien, wo Vinnell seit 1975 die Nationalgarde ausbildet. Bei einem Anschlag auf die Wohnungen des Personals von Vinnell kamen dort im Frühjahr 2003 sieben US-Amerikaner ums Leben. Inzwischen ist Vinnell auch in Ägypten, Qatar, Oman, Kuweit und der Türkei aktiv. 2003 erhielt das Unternehmen einen 48-Mio.-Auftrag zur Ausbildung der irakischen Armee.

Die Exklusivität und Qualität der Beziehungen zwischen den Spitzen der US-Administration, herausragenden Personen aus Politik und Hochfinanz und kapitalträchtigen Anlegern schaffen nicht nur ein Geflecht für lukrative Geschäfte, sie beinhalten zugleich das Potential, zu einem wichtigen politischen Instrument der Sicherung der US-Hegemonie zu werden: Die Kontrolle der militärischen Spitzentechnologien erscheint zunehmend als wesentlicher Bestandteil des sich verschärfenden hegemonialen Gegensatzes zwischen der EU und den USA. Der Kampf um die Kontrolle rüstungsrelevanter Spitzentechnologien in Europa begann offen mit der Übernahme von AvioSpa und der beiden oben genannten britischen Firmen durch Carlyle. Er fand einen vorläufigen Höhepunkt im Versuch Carlyles, einen erheblichen Anteil an der Howaldtswerke-Deutsche Werft zu erwerben. Dies scheint durch massive Intervention der Bundesregierung verhindert worden zu sein: Mit dem Closing am 05. Januar 2005 wurde der Zusammenschluss von ThyssenKrupp Werften und HDW vollzogen, eine 25%ige Beteiligung erhielt der – zivilere – Konkurrent One Equity Partners (OEP). Damit war der Startschuss für den Werftenverbund ThyssenKrupp Marine Systems gefallen.19

Die Auseinandersetzungen um den Aufkauf europäischer Rüstungsfirmen durch die US-Konkurrenz, an deren Spitze Carlyle als eine Art Ober-Holding agiert, fallen zeitlich zusammen mit der Schaffung der »Europäischen Verteidigungsagentur«, die im Verfassungsentwurf für die Europäische Union festgeschrieben wurde. Der Schwerpunkt der Arbeit dieses Amtes liegt in den Bereichen Fähigkeiten, Beschaffung und Forschung. Trotz des Scheiterns des Verfassungsentwurfs aufgrund der Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden hat die Agentur inzwischen ihre Tätigkeit aufgenommen. Ihre Aufgabe ist es, auf EU-Ebene „bei der Ermittlung der Ziele im Bereich der militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten … mitzuwirken; auf die Harmonisierung des operativen Bedarfs … hinzuwirken; … die Forschung auf dem Gebiet der Verteidigungstechnologie zu unterstützen“ und „dazu beizutragen, dass zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors und für einen gezielteren Einsatz der Verteidigungsausgaben ermittelt werden, und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzuführen“ (Art. III-311 Verfassungsentwurf). Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Rüstungsindustrie der 25 EU-Staaten als genuin europäische zu erhalten und zu sichern, insbesondere um ausländische (=US-amerikanische) Einflussnahme abzuwehren.

Das Amt hat zwei zentrale Aufgaben, wie eine pünktlich erstellte Studie des Instituts für Sicherheitsstudien, des strategischen »think tanks« der EU in Paris, feststellte:20 Erstens sicherzustellen, dass der Bedarf an Fähigkeiten der europäischen Streitkräfte gedeckt wird, zweitens die Effizienz der Rüstungskooperation zwischen den Partnern zu steigern, um so zu Kosteneinsparungen zu gelangen. Nicht zuletzt wird, wie der Untertitel der Studie programmatisch verheißt, als weiteres Resultat eine Stärkung des Euro erwartet („getting a bigger bang for the Euro“), und zwar vor allem im Bereich der Anteile am weltweiten Rüstungsexport, die dann nicht mehr in Dollar, sondern in Euro, zu fakturieren wären. Es geht also darum, die europäische Rüstungsindustrie zunehmend von den USA unabhängiger und selbständig zu machen bzw. den Aufkauf europäischer Industrien zu verhindern. Die europäische Aufrüstung erscheint so als der harte Kern jener Formel, die in gaullistischer Tradition in Frankreich immer wieder beschworen, in der vergangenen rot-grünen Koalition übernommen wurde: Mit den USA „auf gleicher Augenhöhe“ verkehren.

Hier kann nicht darüber spekuliert werden, ob und inwieweit die europäischen Militarisierungsträume aufgehen und zur Etablierung einer gleichwertigen Militärmacht neben den USA führen werden. Doch: Europäische Handlungsfähigkeit soll bis zum Jahr 2008 erreicht werden, wenn das satellitengestützte Aufklärungs- und Nachrichtenübertragungssystem Galileo fertig gestellt ist und die neuen Marschflugkörper und Luft–Luftraketen, Kurz- und Mittelstreckenraketen wie auch die Raketensysteme zur Abwehr von taktischen ballistischen Raketen einsatzfähig sind.21 Diese Programme, vor allem aber Galileo, an dem auch China beteiligt ist und Beteiligungsinteressen seitens Indiens und Israels bestehen, hat in der US-amerikanischen Politikberatung zu geradezu alarmistischen Analysen geführt:22 Festgestellt wird hier, dass der Anteil der USA am internationalen Waffenexport von 47% (1999) auf weniger als 24% (2003) gesunken ist und dass, sollte die Europäische Verteidigungsagentur erfolgreich sein, die „bipolare Orientierung des transatlantischen Verteidigungssektors“ kaum mehr aufzuhalten sein wird.23 Und da befürchtet wird, dass die Bush-Administration die derzeitige Aufrüstungspolitik nicht mehr lange durchhalten können wird, sehen andere Autoren schon generell ein neues bipolares Zeitalter heraufziehen.24

Es ist nicht nachweisbar, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der internationalen Investitionstätigkeit von Carlyle und den globalstrategischen Rivalitäten zwischen den USA und einer sich von der NATO-Führungsmacht abkoppelnden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Im Kontext der transatlantischen Beziehungen ist Carlyle sicherlich nur ein Element, aber insofern nicht unwichtig, als gerade dieser Fonds auch nach politischen Entscheidungskriterien agieren dürfte. Dass ihre Geschäftserfolge seit Ende 2001 geradezu explosionsartig stiegen, ist nach dem Aufrüstungsboom, der dem 11. September 2001 folgte, nicht verwunderlich. Wesentliche Teile dieses Erfolges dürften sich allerdings aus der ungeheuren Nähe der Firma zum neo-konservativen politischen Establishment der derzeitigen US-Administration erklären, für das die Firma zugleich eine Art Rentenkasse zu sein scheint. Jenseits des Profite, die durch gut strukturierte politische Beziehungen gesichert und gesteigert werden, scheint es, als ob Carlyle gerade wegen seiner »Nähe zur Macht« auch eine strategische Zielsetzung in der sich herausbildenden hegemonialen Rivalität zwischen Europa und den USA verfolgt. Dies zeigen eindeutig die strategischen Beteiligungen von Carlyle am europäischen Rüstungssektor wie auch die europäische Reaktion, die zur Gründung der »Verteidigungsagentur« geführt hat. Wenn es um die Kernsubstanz der nationalen Machtmonopole geht, scheint es also möglich, die Bewegungsgesetze der Globalisierung und das Agieren der »unsichtbaren Hand des Marktes« außer Kraft zu setzen – und sie, mit Hilfe einer Firma wie Carlyle, auch politisch wirksam zu nutzen.

Anmerkungen

1) Die bisher einzige Monografie zu Carlyle ist: Briody, Dan: The Iron Triangle. Inside the Secret World of the Carlyle Group, New Jersey 2003. Vgl. Auch die sehr informative Arbeit von Sturn, Barbara: Der militärisch-industrielle Komplex und die Privatisierung vom Krieg am Beispiel von Carlyle. Seminar für Politikwissenschaft der Universität Wien, Sept. 2005.

2) http://www.thecarlylegroup.com/eng/company/l3-company737.html#6 abgerufen 30.Nov. 2005.

3) http://www.carlyle.com/eng/geo/investment2138.html abgerufen 30. Nov. 2005.

4) http://www.hereinreality.com/carlyle.html abgerufen 30. Nov. 2005.

5) Freitag Nr. 23, 31. Mai 2002.

6) http://www. thecarlylegroup.com/profile.htm abgerufen 23. Juli 2005.

7) http://www.thecarlylegroup.com/eng/company/l3-company737.html#6 abgerufen 30. Nov. 2005.

8) http://www.carlyle.com/eng/company/l3-company735.html abgerufen 6. Dez. 2005.

9) http://www.carlyle.com/eng/industry/topcasestudy-495.html abgerufen 30. Nov. 2005.

10) http://www.carlyle.com/eng/industry/casestudy-2826.html abgerufen 30. Nov. 2005

11) http://www.carlyle.com/eng/portfolio/portfoliol5-1908.html abgerufen 30. Nov. 2005.

12) http://www.carlyle.com/eng/industry/casestudy-2827.html abgerufen 30. Nov. 2005.

13) http://www.ratical.org/ratville/JFK/JohnJudge/linkscopy/Carlyle Scrts.html, abgerufen 07. April 2003.

14) Brody a. a. O. S. 149f.

15) So war Carlyle einer der wichtigsten Bieter beim Verkauf des deutschen Werftriesen HDW und ist derzeit bemüht um den Kauf der Rüstungsfirma MTU, die von Daimler-Chrysler abgestoßen werden soll (Financial Times Deutschland, 9. Sept. 2005).

16) Ruf, Werner: Private Militärische Unternehmen; in: Ders. (Hrsg.): Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg, Opladen 2003, S. 76 – 90.

17) Vinnell (http://www.vinnell.com/) wurde 1997 von TRW aufgekauft. Diese wiederum wurde 2002 von Northrop Grumman übernommen, dem Produzenten von atomgetriebenen Flugzeugträgern, beteiligt am Bau von Interkontinentalraketen, am ABM-System und an Weltraum-Teleskopen, Hersteller eines taktischen Hoch-Energie-Lasers. http://www.northropgrumman.com/ abgerufen 2. Dez. 2005.

18) Makki,Sami: Militarisation de l’humanitaire, privatisation du militaire. Paris 2004, S. 54.

19) Die neue Unternehmensgruppe umfasst Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH, Kiel, Nobiskrug GmbH, Rendsburg, Blohm + Voss GmbH und Blohm + Voss Repair GmbH, Hamburg, Nordseewerke GmbH, Emden sowie Kockums AB, Schweden, und Hellenic Shipyards S.A., Griechenland. ThyssenKrupp hält 75% der Anteile an dem Werftenverbund und übernimmt die industrielle Führung. http://www.thyssenkrupp-marinesystems.com/de/index.php?page_id=NAV_HOME abgerufen 2. Dez. 2005.

20) Schmitt, Burkhard: The European Union and armaments. Getting a bigger bang for the Euro. Chaillot-Paper Nr. 63, Paris, Aug. 2003, S. 40.

21) Zu den geplanten Rüstungsvorhaben s. ausführlich: Oberansmayr, Gerald: Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der Europäischen Union, Wien 2004, insbes. Tabelle S. 106f.

22) s. u. A.: Nardon, Laurence: Galileo and GPS: Cooperation or Competition? The Brookings Institution 2005. http://www.brookings.edu/fp/cusf/analysis/nardon.pdf; abgerufen 10. Juli 2005. Shambaugh, David: China and Europe: The Emerging Axis. The Brookings Institution, Sept. 2004. http://www.brookings.edu/views/articles/shambaugh/20040901.pdf abgerufen 10. Juli 2005.

23) Jones, Seth G.: The rise of Europe’s Defense Industry, the Brookings Institution 2005. http://www.brookings.edu/fp/cuse/analysis/jones20050505.pdf abgerufen 9. Juli 2005.

24) Guay, Terrence R.: The Transatlantic Defense Industrial Base: Restructuring Scenarios and their Implications, April 2005. http://www.strategicstudiesinstitute.army.mil/pubs/display.cfm?PubID=601 abgerufen 7. Dez. 2005

Prof. em. Dr. Werner Ruf lehrte bis 2003 Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Kassel.

Rüstungskontrolle adé?

Rüstungskontrolle adé?

Brüche und Kontinuität in der US-Politik

von Helmut Hugler

Rüstungskontrolle scheint heute ein Nicht-Thema zu sein. In vielen Bereichen scheint sie zu stagnieren: Bei den Verhandlungen um die Verifikation der B-Waffenkonvention gibt es keine Fortschritte; das Regime der nuklearen Nichtverbreitung ist in den letzten Jahren ausgehöhlt worden; die Kontrolle der Kleinwaffenflüsse ist zwar in aller Munde, die Ergebnisse der Verhandlungsdiplomatie stimmen aber eher pessimistisch. Blättert man in den Ausgaben des jährlich erscheinenden Friedensgutachtens, stößt man regelmäßig auf Befunde zur »Krise der Rüstungskontrolle«. Zugespitzt kann man heute fragen, ob die Krise der Rüstungskontrolle nicht bereits vorbei ist, weil das Thema Rüstungskontrolle als kooperativer Politikansatz in der praktischen Politik wesentlicher Staaten, vornehmlich der USA, gegenwärtig keine Rolle mehr spielt. Dieser Befund mag zu pessimistisch sein. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes konnte immerhin ein Großteil der Altlasten des Ost-West-Konfliktes durch Rüstungskontrolle erfolgreich beseitigt werden und im Bereich der humanitären Rüstungskontrolle gelang mit dem Abschluss des Ottawa-Vertrages ein Einstieg in das vollständige Verbot einer gesamten Waffenkategorie, der Anti-Personenminen. Aber genau hier liegt das Problem, die strategische Rüstungskontrolle war in den 90er Jahren rückwärtsgewandt und in den anderen Bereichen der Rüstungskontrolle beteiligten sich die »Großen« nicht konstruktiv. Stagnation und Rückschritte in den verschiedenen Bereichen der Rüstungskontrolle nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes – insbesondere aber in den letzten Jahren – zeugen von einem dramatischen Wandel in der Rüstungskontrollpolitik.
Ziel dieses Artikels ist es zu beleuchten, inwieweit die Vereinigten Staaten zum desolaten Zustand einiger Bereiche der Rüstungskontrolle beigetragen haben. Diese Begrenzung ist gerechtfertigt aufgrund der zentralen Rolle der Vereinigten Staaten für die Rüstungskontrolle, sie haben im Rahmen ihrer Nachkriegshegemonie das Konzept der »arms control« entwickelt und zu einer der tragenden Säulen der internationalen Sicherheitspolitik gemacht. Heute gelten sie als die »einzige Supermacht«. Die Abkehr der gegenwärtigen Administration von der Politik der »arms control« hat daher eine qualitative Bedeutung für die internationale Sicherheitspolitik. Wenn die Vereinigten Staaten Rüstungskontrolle nicht mehr als Teil ihrer Sicherheitspolitik betrachten, dann fällt eine wesentliches Betätigungsfeld für kooperative Sicherheitspolitik aus. Ich beschränke mich aus Platzgründen im wesentlichen auf den Aspekt der nuklearen Rüstungskontrolle, ohne die Relevanz anderer Bereiche – wie konventionelle Rüstungskontrolle und die B- und C-Waffenkonvention – zu bestreiten.

Diese Entwicklung im Bereich der Rüstungskontrolle hat auch Folgen für die Perspektiven von Abrüstung. Wenn auch Rüstungskontrolle in den Zeiten der Bipolarität nicht zur Abrüstung, sondern zur Stabilisierung des strategischen Verhältnisses geführt hat, so könnte doch eine erfolgreiche Rüstungskontrolle die Voraussetzung für den Einstieg in einen Abrüstungsprozess bilden. Für die Perspektive eines stufenweisen Abrüstungsprozesses bleibt Rüstungskontrolle daher unverzichtbar. Am Ende deute ich deshalb in einigen Überlegungen an, wo Auswege aus dem Elend der Rüstungskontrolle gesucht werden könnten. Dies bedürfte einer weiteren Diskussion.

Zur Einordnung der US-Rüstungskontrollpolitik

Wer die Entwicklung der Rüstungskontrolle in den Vereinigten Staaten betrachtet, muss die grundsätzlichen Kontinuitätslinien der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik berücksichtigen, um dann die Rüstungskontrollpolitik darin einordnen zu können. Vor allem zwei Aspekte sind hervorzuheben, die den Rahmen der Außenpolitik der Vereinigten Staaten vorgeben.

  • Erstens ist es das Ziel amerikanischer Außenpolitik, das eigene Umfeld nach den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu organisieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich dieses Umfeld seit Gründung der USA dramatisch verändert und vergrößert hat. Im 19. Jahrhundert ging es wesentlich um das Fernhalten der europäischen Mächte von den beiden amerikanischen Teilkontinenten. Die Monroe-Doktrin hatte in den Worten von Zbigniew Brzezinski die Funktion, den Anspruch der Vereinigten Staaten „auf einen Sonderstatus als alleiniger Sicherheitsgarant der westlichen Hemisphäre“ zu verdeutlichen. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges stellte sich das erste Mal die Frage der Weltpolitik für die Vereinigten Staaten. Die Bereitschaft in den Eliten war jedoch für ein aktives politisches Engagement noch nicht groß genug. Nach den Erfahrungen mit Japan und Nazi-Deutschland konnte Roosevelt seine Konzeption einer Weltordnungspolitik in den USA durchsetzen. Seitdem umfasst das »Umfeld« der Vereinigten Staaten den Erdball. Das Verständnis der Reichweite der eigenen Interessen und das amerikanische Sicherheitsverständnis haben sich ungeachtet der geografischen Begrenzung unter den Bedingungen des Ost-West-Konfliktes globalisiert. Das heißt, dass sich diese Kontinuität historisch gewandelt hat: es geht um die Sicherung der Dominanz im internationalen System.
  • Auf die Gründungsväter geht zweitens die Tradition zurück, die eigenen Interessen möglichst frei und ungebunden zu vertreten und sich deshalb nicht mehr als notwendig in Bündnissen zu binden. Die Bewahrung der eigenen Handlungsfreiheit war immer ein wesentliches Grundmotiv der amerikanischen Außenpolitik. Strategien, wie Unilateralismus und Multilateralismus, müssen unter diesen Gesichtspunkten bewertet werden. Es gibt in der amerikanischen Elite kaum Vertreter eines grundsätzlichen Multilateralismus. Vielmehr werden multilaterale Strategien dann akzeptiert, wenn die eigenen Interessen damit besser oder wenn sie in anderer Weise nicht durchgesetzt werden können. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Administrationen in der praktischen Politik hängen von der Wahrnehmung des Charakters der internationalen Beziehungen durch die jeweiligen Administrationen ab. Präsident Clintons Außenpolitik folgte ebenfalls der Maxime der eigenen Handlungsfreiheit, auch wenn er multilaterale Instrumente einsetzte. Eine Unterscheidung zwischen Isolationisten und (idealistischen) Internationalisten betrifft daher die Frage der Handlungsfreiheit und der Reichweite der Selbsteinbindung in multilaterale Arrangements, nicht die des internationalen Engagements. Bei allen Unterschieden zwischen den Administrationen sollte diese Kontinuitätslinie nicht unterschätzt werden. Die unilaterale Ausrichtung der Politik der Bush-Administration ist daher kein radikaler Bruch mit der Tradition. Es handelt sich vielmehr um eine extreme Ausprägung im Spektrum der amerikanischen Außenpolitik.

In der amerikanischen Debatte über »arms control« und der Frage, wie mit der gegenseitigen Vernichtungsfähigkeit umgegangen werden sollte, besteht seit Mitte der fünfziger Jahre ein enger Zusammenhang zwischen der Theorie und Praxis der Rüstungskontrolle und der Entwicklung der nuklearen Strategie und Fähigkeiten. Die Bereitschaft, sich an Rüstungskontrollverhandlungen zu beteiligen, setzte sich durch, weil aus Sicht vieler Vertreter der »security community« ein ungewollter und strategischer Schlagabtausch zwischen den Nuklearmächten verhindert werden musste. Es gab nichts zu gewinnen, im Gegenteil, durch einen atomaren Schlagabtausch wären mit hoher Wahrscheinlichkeit beide Seiten vernichtet worden. Es entstand so etwas wie ein nukleares Tabu, das den Einsatz und den Besitz von Nuklearwaffen beschränkte und »nur« den politischen Gebrauch von Nuklearwaffen zuließ: Drohpolitik und Zusammenhalt des jeweils eigenen Lagers. Der theoretische Krieg und der kontrollierte Rüstungswettlauf ersetzten den realen (Nuklear-)Krieg. Rüstungskontrollpolitik wurde Bestandteil der amerikanischen Sicherheitspolitik.

Zunächst ging es, wie schon erwähnt, um die Verhinderung eines Nuklearkrieges. Um diesem Ziel näher zu kommen, wurden Stabilitätskriterien entwickelt, die speziell auf Nuklearwaffen zugeschnitten waren. Dazu gehörte die zuverlässige technologische und organisatorische Kontrolle des Nukleararsenals, um einen Krieg aus Versehen zu verhindern. Darüber hinaus wurde das Konzept der gesicherten Zweitschlagsfähigkeit entwickelt, damit keine der Seiten bei einem Erstschlag einen Krieg gewinnen konnte. Das beinhaltete, der jeweiligen Gegenseite die Fähigkeit zum Gegenschlag zuzugestehen. Der ABM-Vertrag ist nach Ansicht der Rüstungskontrolltheorie ein zentraler Pfeiler des nuklearen Rüstungskontrollregimes, da er verhindern sollte, dass eine der beiden Seiten ein Abwehrsystem installiert, das sie unverwundbar macht. Mit anderen Worten: Jede Seite sollte sich aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen verwundbar machen und so die Zweitschlagskapazität als theoretische Möglichkeit offenhalten. Rüstungskontrolle war damit notwendigerweise als kooperative Politik angelegt.

Nach dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam gab es eine kurze Phase der Bereitschaft zum sicherheitspolitischen Pragmatismus und zum Kompromiss, die sich im Abschluss einiger Rüstungskontrollabkommen niederschlug. Seit Mitte der 70er Jahre wurden die Ergebnisse dieser Politik in der sicherheitspolitischen community der USA von konservativer Seite kritisiert. Diese Gruppe, die sich im »comittee on present danger« zusammenschloss und in der auch ehemalige Befürworter der Abschreckungs- und Rüstungskontrollstrategie mitarbeiteten, begann an der Wirksamkeit der Rüstungskontrolle zu zweifeln und trat für eine offensivere Politik gegenüber der UdSSR ein. Mit der Reagan-Administration bekamen die Vertreter dieser Richtung erstmals direkten Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik. Bereits damals wollten die Vereinigten Staaten sich aus der Rüstungskontrolle und damit aus einer kooperativen Sicherheitspolitik verabschieden. Das Programm der strategischen Raketenabwehr im Weltraum sollte eine lückenlose Verteidigung ermöglichen und damit die Abschreckung auf der Basis nuklearer Parität obsolet machen. Paradoxerweise war es dann genau diese Administration, die das Ende des Ost-West-Konfliktes kooperativ einleitete.

Rüstungskontrollpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes begann in den Vereinigten Staaten eine Grundsatzdebatte über die Außenpolitik der letzten Supermacht. In diesem Rahmen wurde die Rolle von Rüstungskontrolle jenseits der Bipolarität thematisiert. Rüstungskontrollspezifischer Hintergrund der Debatte war, dass ein Teil der US-amerikanischen »security-community« die kooperative Rüstungskontrolle immer als Beschränkung der eigenen Handlungsfreiheit betrachtet hat und grundsätzlich nur unter den Bedingungen des nuklearen Patts bereit war, sich auf vertragsgestützte Rüstungskontrolle und damit Selbstbindungen einzulassen. Das Anwachsen des Einflusses der rechtskonservativen Kräfte in den Vereinigten Staaten verschob bereits in den achtziger Jahren die Schwerpunkte der Debatte und versuchte Rüstungskontrolle als Bestandteil eines offensiven Konzeptes um zu interpretieren.

Gleichzeitig wurde das Thema der kooperativen Kontrolle durch das Thema der Proliferation ersetzt. Paradoxerweise begann die Proliferationsproblematik nach der unbefristeten Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 1995 erneut akut zu werden. Zunächst wurde die unbefristete Verlängerung des Vertrages eher positiv dargestellt, auch wenn sich die diskriminierende Schieflage des Vertrages zwischen Atomwaffenbesitzern und -nichtbesitzern durch die Verlängerung des Vertrages nicht veränderte. Das »Tabu« (Daase) bezüglich des Besitzes und des Einsatzes von Nuklearwaffen begann sich aufzulösen. Auch die Vereinigten Staaten haben an dieser Entwicklung einen Anteil. An der Ablehnung der Ratifizierung des umfassenden Teststoppabkommens durch den Kongress im Jahr 1999, kann man schließen, dass die konservative Mehrheit sich gegenüber der Clinton-Administration durchsetzte. Da die gegenwärtige Administration das Teststoppabkommen im Gegensatz zur Clinton-Administration ablehnt, wird es in diesem Bereich von amerikanischer Seite her auf absehbare Zeit keine Entwicklung geben.

Bereits die Clinton-Administration hat ihr multilaterales Engagement und die Unterstützung der Rüstungskontrolle zurückgefahren, z.T. aufgrund der konservativen Mehrheiten im Kongress. Dies betraf nicht nur die nukleare Rüstungskontrolle. Die C-Waffen-Konvention wurde im April 1997 vom Kongress unter Auflagen ratifiziert, die die Umsetzung des Vertrages erschweren. Das Ottawa-Abkommen über das Verbot von Anti-Personenminen (1997) wurde nicht unterzeichnet. Grundsätzlich hielt die Clinton-Administration jedoch an Rüstungskontrolle und kooperativer Sicherheitspolitik fest.

George W. Bush jr. trat seine Regierungszeit mit dem Ziel an, eine neue Sicherheitspolitik für die Vereinigten Staaten zu entwickeln, die von den Zwängen des Ost-West-Konfliktes befreit war. Die Zwillinge Rüstungskontrolle und Abschreckung waren in seiner Sicht Strategien des »Kalten Krieges«, geschuldet dem Kooperationszwang der bipolaren Parität. Die Handlungsfreiheit der amerikanischen Außenpolitik wurde durch multilaterale Abkommen eingeschränkt. Dieser Grundzug der amerikanischen Außenpolitik trifft in der gegenwärtigen Administration auf ein übersteigertes Sendungsbewusstsein, das die selbstbindende Qualität von multilateralen Abkommen und Völkerrecht als hinderlich sieht. Die Folge war eine systematische Erosion des Systems der Rüstungskontrollregime. Dabei vermischten sich außen- und innenpolitische Motive. Die Blockade bei den Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll für B-Waffen war zum Teil industriepolitisch, zum Teil durch Geheimhaltungsinteressen des Pentagon begründet.

Die Bush-Administration betreibt eine Aufwertung der Kernwaffen zum Instrument nationaler Sicherheitspolitik. Herrschaftslogisch mag das aus der Sicht der einzigen Supermacht rational erscheinen, da es sich hier um einen Bereich handelt, in dem waffentechnische Überlegenheit in direkte Macht umzusetzen ist. Die neue Nuklearpolitik zielt auf politische Nutzbarkeit in Konfliktfällen und Absicherung der eigenen Machtposition. In diesem Kontext sind Verträge, zu deren Abschluss die Bush-Administration bereit ist, so offen und flexibel formuliert, dass sich daraus keine Bindungswirkung ergibt. So hat der zwischen den Vereinigten Staaten und Russland abgeschlossene Vertrag zur Reduktion des Atomwaffenpotenzials (SORT) mit Rüstungskontrolle nichts mehr zu tun, da er nicht transparent ist und die Reduzierungen auf amerikanischer Seite nicht irreversibel sind.

Die Bush-Administration geht aber noch weiter und bereitet ein einsetzbares Potenzial an Nuklearwaffen vor, u.a. nukleare Gefechtsfeldwaffen. Durch dieses Verhalten verschiebt sich die gesamte Rüstungskontroll- und Proliferationsdebatte, da die Vereinigten Staaten damit de facto aus dem Nichtweiterverbreitungsregime aussteigen, wobei sie aber am Nichtverbreitungsvertrag festhalten wollen, da er sie zu nichts verpflichtet.

Ansätze für eine zukünftige Rüstungskontrollpolitik

Generell lässt sich sagen, dass die Administrationen der Vereinigten Staaten eine Politik verfolgten, die in ein Konzept des instrumentellen Multilateralismus passte. Nicht zu leugnende Unterschiede zwischen den Politiken der jeweiligen Präsidenten wurden, wie im Fall der Ratifizierung des umfassenden Teststopp-Vertrages, durch innenpolitische Blockaden im Senat ausgeglichen. Auch im Bereich der B- und C-Waffen zeigt die amerikanische Politik, dass sie zwar einerseits die Problematik der Proliferation ernst nimmt, sie anderseits aber mit dem Trend zum unilateralistischen Verhalten blockiert.

Zunächst sei davor gewarnt, zu denken, dass die Politik der Vereinigten Staaten, so sehr sie an dieser Stelle auch kritisiert wird, keine Ansatzpunkte für ein positives Herangehen an Rüstungskontrolle bietet. Dies hängt von der jeweiligen Administration und den Kräfteverhältnissen in Kongress ab. Dieses Kräfteverhältnis kann sich ändern und ist keine Konstante. Gleichzeitig darf man sich aufgrund der hinter der Rüstungskontrollpolitik liegenden »Philosophien«, auch der demokratischen Politiker, keine Illusionen machen. Paradoxerweise sind einige Rüstungskontrollabkommen unter republikanischer Präsidentschaft zustande gekommen. Unter anderen historischen Bedingungen hat beispielsweise eine ausgesprochen rüstungskontrollfeindliche Regierung, die Reagan-Administration, ihre Politik geändert und immerhin eine Waffenkategorie, die Mittelstreckenraketen (1987), abgerüstet.

Ziel einer vernünftigen deutschen oder im Idealfall europäischen Politik kann nur sein, auf Zeitgewinn und Lerneffekte zu zielen, die den unilateralistischen Charakter der gegenwärtigen US-Außenpolitik abschwächen helfen. Die gegenwärtige Lage macht es notwendig, über »Sonderwege« nachzudenken, um die kooperative und vertragsgestützte Rüstungskontrolle wieder zu stärken. Im Bereich der Landminen wurde das durch Kooperation von Nichtregierungsorganisationen und willigen Staaten bereits vorgemacht. Die Vorlage des Textes des Vertrages über einen umfassenden Teststopp vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, nachdem sich die Teilnehmer an den Genfer Verhandlungen nicht auf den Text einigen konnten, durch einige Staaten zeigt, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, pragmatisch zu handeln. Das Ergebnis sollte auch auf die Gefahr von unterschiedlichen Zonen und Sicherheitsbereichen der Rüstungskontrolle hin weiterentwickelt werden. Dies könnte auch Chancen bieten, da regionale Rüstungskontrolle auch regionale Sicherheitsprobleme ansprechen kann. Generell sollten Rüstungskontrollprozesse so offen organisiert werden, dass jeder Betroffene und Interessierte grundsätzlich auch später – während des Verhandlungsprozesses und nach dem Vertragsabschluss – beitreten kann.

Massenvernichtungswaffen können im Moment rüstungskontrollpolitisch wenig konstruktiv behandelt werden. Hier gilt es, eine internationale Öffentlichkeit zu schaffen, die rüstungskontroll- und abrüstungswillige Kräfte in den Vereinigten Staaten stärkt und einem Wiedereintritt der Vereinigten Staaten in die Prozesse gegenüber offen ist. In diesem Sinne sollten die Europäer gegenüber den USA eine empathische Rüstungskontrollpolitik entwickeln. Dies setzt aber auch von europäischer Seite die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Definition von Sicherheitsinteressen voraus. Verfehlt wäre die Akzeptanz einer Politik des Krieges für Abrüstung, die – wie der Irakkrieg zeigt – scheitert und das System des Multilateralismus und der Vereinten Nationen gefährdet.

Abschließend will ich daran erinnern, dass die Vereinigten Staaten trotz aller Kritik nicht alleine verantwortlich sind für die Misere der Rüstungskontrolle. Andere Staaten sind seit Jahren ebenso an der Unterminierung der Rüstungskontrollregime beteiligt. Eine Strategie zur Wiederbelebung der Rüstungskontrolle sollte sich daher nicht alleine auf die Vereinigten Staaten konzentrieren, sondern auch andere, regionale Akteure ansprechen. Das heißt, passend zur Ausdifferenzierung der Sicherheitsproblematik nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist es heute nötig, ein differenziertes Konzept der Rüstungskontrolle zu entwickeln und zu verfolgen.

Literatur

Daase, Christopher (2003): Der Anfang vom Ende des nuklearen Tabus. Zur Legitimitätskrise der Weltnuklearordnung, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 10. Jg., Heft 1, S. 7-41.

Friedensgutachten, Münster (jährl.).

Hippler, Jochen (2003): Die unilaterale Versuchung. Veränderte Dominanzformen im internationalen System, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2003: 818-825.

Koch, Jutta (1996): Pax americana forever? Über Wunsch und Vermögen der USA, die Weltpolitik zu führen, in: Meyer, Berthold (Red.): Eine Welt oder Chaos?, Frankfurt/M., S. 153-177.

Medick-Krakau, Monika (1996): Die Außenpolitik der USA, in: Knapp, Manfred; Krell, Gert (Hg.): Einführung in die Internationale Politik, München, Wien, 3. Aufl., S. 54-84.

Nassauer, Otfried (2003): Die Rückkehr der Atomkrieger, in: FriedensForum 2/2003, S. 43-46.

Rudolf, Peter (2002): USA – Sicherheitspolitische Konzeptionen und Kontroversen, in: Ferdowsi, Mir A. (Hg.): Internationale Politik im 21. Jahrhundert, München, S. 147-162.

Schaper, Annette (2003): Die Aufwertung von Kernwaffen durch die Bush-Administration, in: Friedensgutachten 2003, hg. v. Corinna Hauswedell, Christoph Weller, Ulrich Ratsch, Reinhard Mutz und Bruno Schoch, Münster, Hamburg, London, S. 138-147.

Helmut Hugler ist Historiker und Vorstandsmitglied im Institut für Internationale Politik

»Amerikas Mission«

»Amerikas Mission«

Liberaler Imperialismus und US-Außenpolitik

von Jürgen Wagner

In den Augen der neokonservativen Hardliner um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney, den wirklich mächtigen Männern im Weißen Haus, ist der völkerrechtswidrige Angriffkrieg gegen den Irak nur eine Zwischenstation in einem groß angelegten Feldzug zur Absicherung der globalen US-Hegemonie. Allerdings geriet dieser Feldzug bereits im Vorfeld des Angriffs auf Bagdad erheblich ins Stocken. Die Begründungen für ein militärisches Eingreifen – irakische Verbindungen zu Terrornetzwerken und der Besitz von Massenvernichtungsmitteln – waren wenig glaubwürdig und damit innenpolitisch nur schwer und international überhaupt nicht vermittelbar. Die angeblich vom Irak ausgehende, akute Bedrohung der Vereinigten Staaten vermochte kaum jemand zu erkennen. Das gilt auch für die anderen in der Diskussion befindlichen Kriegsziele, von Nordkorea über Syrien bis zum Iran. Die Hardliner laufen damit Gefahr, dass durch die Anschläge des 11. September entstandene Momentum für ihre Kriegspolitik einzubüßen. Vor diesem Hintergrund sieht Jürgen Wagner in der gegenwärtigen Debatte über »Liberalen Imperialismus« den Versuch zur geschickteren Legitimation US-amerikanischer Kriegspolitik.
Max Boot, einer der einflussreichsten neokonservativen Ideologen, brachte es auf den Punkt: „Ein anderer Begriff, für dass was wir tun ist übrigens liberaler Imperialismus.“1 Dieser Schwenk zum »Liberalen Imperialismus« ist für die Neokonservativen aus mehreren Gründen überaus attraktiv: Erstens reaktiviert er das traditionell starke amerikanische Sendungsbewusstsein und verleiht somit der augenblicklichen imperialen Kriegspolitik den dringend benötigten moralischen Deckmantel. Zweitens findet er sowohl bei Konservativen als auch bei Liberalen Unterstützung. Und drittens legitimiert er ein zeitlich wie räumlich nahezu unbegrenztes militärisches Engagement zur Wahrung der US-Vorherrschaft, wie es von Neokonservativen seit Jahren gefordert wird.

Vom britischen zum amerikanischen Imperium

Nach einer gängigen Definition ist „ein »liberaler Imperialist« jemand, der glaubt, dass in einem mörderischen, fehlgeschlagenen Staat, die Ordnung langfristig nur wiederhergestellt werden kann durch eine Intervention, bei der liberale Werte wie Toleranz, Pluralismus und Demokratie durchgesetzt werden.“ Es gelte „ solche Staaten in der Rolle eines wohlwollenden Diktators zu kontrollieren, bis die örtlichen Gruppen fähig und willens sind von sich aus im Einklang mit diesen Werten zu handeln.“2

Die Kolonialpolitik des British Empire vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird von Historikern häufig als »Liberaler Imperialismus« beschrieben. Sehen wir näher hin, erkennen wir aber, dass in der Praxis von dem damaligen Slogan »Freihandel und Demokratie« nur ökonomische Ausbeutung, die Erschließung neuer Absatzmärkte und eine repressive Kontrollpolitik übrig blieb.3 Trotzdem strotzt die gegenwärtige Debatte nur so von diesbezüglichen Analogien.

In den Köpfen der meisten US-Strategen ist die Vorstellung vom US-Imperium als einziger Weltmacht und »Kraft des Guten« in Personalunion ebenso fest verankert, wie bei den damaligen Befürwortern des British Empire: „Im 19. Jahrhundert bekämpfte Großbritannien die Feinde der gesamten Menschheit, wie etwa Sklavenhändler und hielt die Weltmeere für den Freihandel offen. Heute sind die Vereinigten Staaten die einzige Nation, die eine ähnliche Rolle spielen könnten.“ 4 Deshalb plädiert Robert Kaplan für »Delegation« statt »Kooperation«: „Unser Preis für den Gewinn des Kalten Krieges ist nicht nur die Möglichkeit die NATO auszudehnen oder demokratische Wahlen an Orten abzuhalten in denen zuvor nie welche stattfanden, sondern etwas weit größeres: Wir und niemand sonst werden die Bedingungen der internationalen Gesellschaft diktieren.“5

Welche Bedingungen damit gemeint sind beschreibt George W. Bush im Vorwort der Nationalen Sicherheitsstrategie: Es gibt nur „ein einziges haltbares Modell für nationalen Erfolg: Freiheit, Demokratie und freies Unternehmertum.“

Wer hiergegen verstößt, so Edward Rhodes, hat die USA zum Feind. „Es gibt nur eine Wahrheit, die der USA. Alternative Modelle sozialer und politischer Organisation sind nicht nur moralisch falsch, sondern auch eine unzureichende Basis der Weiterentwicklung. […] Die spezielle Interpretation, der liberalen Religion, die der Präsident befürwortet, ist eine kreuzzüglerische. Die moralische Pflicht, den Liberalismus zu verteidigen und auszuweiten kennt keine Grenzen. Staatliche Souveränität bietet keine Sicherheit oder Ausrede. Gesellschaften und Staaten sind nicht berechtigt sich dem Liberalismus zu verweigern. Tatsächlich haben Staaten die moralische Pflicht nicht nur selber den Liberalismus zu befürworten, sondern ihren Nachbarn Liberalismus aufzuzwingen.“6

Dabei lassen die USA nichts unversucht, um die Ausweitung des neoliberalen Systems und die Kontrolle strategischer Ressourcen – denn hierum geht es in Wirklichkeit – als vollkommen selbstloses Unterfangen darzustellen.

The White Man‘s Burden

Bezeichnenderweise wurde der Begriff »Liberaler Imperialismus« durch David Rieff, einen eher linken Journalisten, im Zuge der Forderung nach humanitären Interventionen wieder in die neuere US-Debatte eingeführt7: „Es ist ein schöner und beruhigender Mythos, dass die Liberalen friedliebend und Konservative Kriegstreiber sind. Der Imperialismus der Liberalen könnte wegen seines endlosen Charakters gefährlicher sein – seiner Überzeugung, dass er eine überlegene Lebensweise repräsentiert.“8

Beispielhaft hierfür ist ein Artikel von Michael Ignatieff, Professor für Menschenrechte an der Harvard University, mit dem Titel »The Burden«. Die USA sollten selbstlos die imperiale Last zum Wohle der Welt auf sich schultern, was bedeute, „imperiale Aufgaben an Orten zu erfüllen, die Amerika von den untergegangenen Imperien des 20. Jahrhunderts geerbt hat – dem Türkischen, dem Britischen und dem Sowjetischen.“9

Obwohl Ignatieff seine ablehnende Haltung zum ausbeuterischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts mehrfach betont, entlarvt die offensichtliche Anspielung auf das 1899 im McClure‘s Magazine erschienene Gedicht von Rudyard Kipling, »The White Man‘s Burden«, die Funktion solcher Forderungen als Steigbügelhalter imperialer Politik: „Obwohl Kiplings Gedicht Ermahnungen an das Imperium mit nüchternen Warnungen über die hiermit verbundenen Kosten vermischte, beriefen sich Imperialisten in den Vereinigten Staaten auf die Redewendung »White Man‘s Burden« als einem Euphemismus für Imperialismus, der diese Politik als ein nobles Unterfangen erscheinen ließ.“10 Dieser Gedanke ist auch heute allgegenwärtig. So genießt der schottische Historiker Niall Ferguson in den Vereinigten Staaten nahezu Kultstatus. Seine These: Das britische Empire sei für die kolonisierten Völker von großem Nutzen gewesen, deshalb müsse Amerika zum Wohle der Menschheit in dessen Fußstapfen treten.11

Neokonservative wie Max Boot greifen diese Steilvorlage bereitwillig auf: „Afghanistan und andere unruhige Gebiete schreien heute nach der Art aufgeklärter ausländischer Verwaltung, die einstmals von selbstbewussten Engländern in Reiterhosen und Tropenhelmen bereitgestellt wurde.“12 Die Antwort, was dies im Klartext bedeutet, bleibt er keineswegs schuldig: „Aufgrund der historischen Belastung des Begriffs »Imperialismus« gibt es für die US-Regierung keine Notwendigkeit ihn zu übernehmen. Aber er sollte definitiv die Praxis bestimmen.“ Für den Irak bedeute dies „Eigentumsrechte, Rechtssicherheit und andere Garantien durchzusetzen, wenn es sein muss mit Waffengewalt.“13

Auffällig ist heutzutage, die liberal-neokonservative Übereinstimmung an diesem Punkt, wodurch zuweilen seltsame Allianzen, wie beispielsweise zwischen Ronald Asmus, ehemals Staatssekretär unter Bill Clinton und dem neokonservativen Mitherausgeber des Weekly Standard, Robert Kagan, zu Stande kommen. In einem gemeinsamen Artikel forderten sie: Wir „müssen einen neuen, überparteilichen internationalistischen Konsens schaffen.“ Wir „haben die Pflicht gegenüber uns selbst und der Welt unsere Macht für die Verbreitung demokratischer Prinzipien zu nutzen und Feinde unserer Zivilisation abzuschrecken und zu besiegen.“14

Allerdings würde sich die hiermit begründete Interventionspolitik kaum durchsetzen lassen, wenn es nicht gleichzeitig gelänge, sie als eine aus dem Trauma des 11. September legitimierte Wahrung nationaler Interessen darzustellen, der sich auch Konservative nicht versagen können.

Liberaler Imperialismus und nationale Sicherheitsinteressen

Schon in der Bush-Doktrin wird die Abwesenheit demokratischer Strukturen als Ursache für das Entstehen von „Brutstätten des Terrors“ bezeichnet, was laut Foreign Affairs folgende Lösung erfordert: „Vom Sudan über Afghanistan nach Sierra Leone und Somalia. Wenn solche Machtvakuums in der Vergangenheit Großmächte gefährdeten, hatten diese eine schnelle Lösung parat: Imperialismus. […] Die Logik des Neoimperialismus ist für die Bush-Administration zu überzeugend, um ihr zu widerstehen. Das Chaos in der Welt ist zu gefährlich um ignoriert zu werden“.15 Eine ähnliche Schlussfolgerung zieht der britische Historiker Paul Johnson im Wall Street Journal: „Amerika hat keine andere Wahl, als Krieg gegen die Länder zu führen, die gewohnheitsmäßig Terroristen unterstützen. Präsident Bush warnte, dass der Krieg lange dauern könne, aber er hat vielleicht noch nicht verstanden, dass Amerika auch langfristige politische Verpflichtungen akzeptieren muss. Denn die wohl passendste historische Parallele – der Krieg gegen das Piratentum im 19. Jahrhundert – war ein wichtiges Element für die Ausdehnung des Kolonialismus. Vielleicht zeichnet sich eine neue Art Kolonie, der vom Westen verwaltete ehemalige Terroristenstaat, am Horizont ab.“16

Die von Bush in einer kürzlich gehaltenen Rede endgültig übernommene Forderung neokonservativer Kräfte nach einer »demokratischen Transformation« des gesamten Mittleren Ostens – unter Umständen auch mittels militärischer Gewalt – folgt genau dieser Logik.17

Da mit dieser Politik der Terrorismus nicht bekämpft, sondern eher gefördert wird, werden dahinter die eigentlichen Interessen des »Liberalen Imperialismus« deutlich. Die hiermit legitimierte Verbesserung der „Machtprojektion des US-Militärs in neue Regionen durch die Errichtung von Militärbasen […] dient immer der Förderung der ökonomischen und politischen Ziele des US-Kapitalismus.“18 Was dies in der Praxis heißt, verdeutlicht Richard N. Haass, Leiter der Abteilung für Politikplanung im US-Außenministerium: „Eine imperiale Außenpolitik zu befürworten bedeutet, eine Außenpolitik zu fordern, die die Welt entlang bestimmter Prinzipien bezüglich den Beziehungen zwischen und den Verhältnissen innerhalb von Staaten ordnet. Die amerikanische Rolle würde der Großbritanniens im 19. Jahrhundert ähneln. […] Zwang und die Ausübung von Gewalt waren normalerweise ein letztes Mittel. Was John Gallagher und Ronald Robinson über das Großbritannien vor hundertfünfzig Jahren schrieben, dass »die britische Politik dem Prinzip einer informellen Einflusserweiterung folgte, wenn möglich und formell wenn nötig«, könnte auch für die amerikanische Rolle am Anfang eines neuen Jahrhunderts zutreffen.“19

Das Transatlantische Projekt

Eine der unbeantworteten Fragen ist derzeit, ob die Vereinigten Staaten beabsichtigen ihr imperiales Projekt im Verbund oder gegen Europa zu verwirklichen. Auch in Europa gibt es für einen »liberalen Imperialismus« einflussreiche Befürworter. Robert Cooper, einer der engsten Berater des britischen Premiers Tony Blair und Büroleiter von Javier Solana, dem Vertreter der europäischen Außenpolitik, beschreibt dessen beide Komponenten: „Erstens ist das der freiwillige Imperialismus der globalen Ökonomie. Er wird normalerweise von einem internationalen Konsortium durch internationale Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank ausgeübt.“ Falls dies nicht die gewünschten Effekte zeitige, müsse die zweite Form des »postmodernen Imperialismus« zum Zuge kommen, nackte militärische Gewalt: „Die Herausforderung der postmodernen Welt ist es, mit der Idee doppelter Standards klarzukommen. Unter uns gehen wir auf der Basis von Gesetzen und offener kooperativer Sicherheit um. Aber wenn es um traditionellere Staaten außerhalb des postmodernen Kontinents Europa geht, müssen wir auf die raueren Methoden einer vergangenen Ära zurückgreifen – Gewalt, präventive Angriffe, Irreführung, was auch immer nötig ist, um mit denen klarzukommen, die immer noch im 19. Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich selber stand. Unter uns halten wir uns an das Gesetz, aber wenn wir im Dschungel operieren, müssen wir ebenfalls das Gesetz des Dschungels anwenden.“20

Derzeit wird überlegt, ob die NATO für die Umsetzung der im »Liberalen Imperialismus« angelegten Interventionslogik geeignet ist. In einem überaus einflussreichen Artikel zweier ehemaliger Clinton-Berater wurde vor kurzem gefordert, die Allianz müsse sich einem „neuen Transatlantischen Projekt“ widmen. Von „Marrakesch bis Bangladesch“ solle dies „auf eine neue Form der Demokratie hinauslaufen, auf ein neues Wirtschaftssystem, das den Menschen in der Region zu Arbeit und Würde verhilft.“ Zwar würde dies „zweifellos auch eine militärische Komponente“ beinhalten, nur so sei aber dem Terrorismus beizukommen.21

Obwohl sie hiermit die zweifellos interessensgeleitete US-Politik im Mittleren Osten legitimieren, fallen auch in Deutschland einige, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler oder der Grüne Spitzenpolitiker Ralf Fücks auf diese »Krieg für Demokratie Argumentation« herein. „Vor den Karren gespannt“, nennt dies Mohssen Massarrat.22

Irak – die liberal-imperialistische Praxis

In der Frankfurter Rundschau setzte sich Michael Lüders mit den Doppel-Standards der Bush-Administration auseinander: „Gäbe es im Irak nur Datteln, könnte Saddam Hussein seine Untertanen nach Belieben weiter ermorden, ob mit oder ohne Demokratie. […] Washingtons »liberaler Imperialismus«, und wäre er von den besten Absichten getragen, droht anti-westliche Gefühle zu nähren und terroristische Neigungen zu schüren. Die neokonservativen Machthaber und ihre publizistischen Apologeten vergessen, dass Demokratie das Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse ist.“23

Tatsächlich versuchen zahlreiche Neokonservative, aber auch der Liberale Richard Haass und Verteidigungsminister Powell, den Irakkrieg damit zu rechtfertigen, dass er die Demokratisierung des Landes einleite. In früheren Jahren haben sie solche Ideen als vollkommen Absurd verworfen.24 Selbst ein kürzlich erstellter „geheimer Bericht des Außenministeriums äußert Zweifel daran, dass die Installation eines neuen Regimes im Irak die Ausbreitung von Demokratie im Mittleren Osten befördern wird.“25Richard Haass selbst muss schließlich auch zugeben, dass »Demokratisierungskriege« ausschließlich dann geführt werden, wenn damit auch strategische Interessen gewahrt werden können.26

Da die Kluft zwischen Demokratisierungsanspruch und Besatzungswirklichkeit eklatant ist, begründen Liberale Imperialisten diesen offensichtlichen Widerspruch damit, dass ein demokratischer Übergang nur „sehr langsam“ zu bewerkstelligen sei. Prinzipiell sei es unklug „demokratische Wahlen in einem grundsätzlich illiberalen Umfeld durchzuführen. […] Dies legt es nahe, dass eine Periode quasi-imperialer und somit undemokratischer Kontrolle eine notwendige Bedingung für Demokratie sein könnte.“27

Die im Irak beobachtbare Praxis entlarvt das ganze Gerede von Demokratie als Heuchelei. So übernahm Washington inzwischen die Kontrolle über die irakische Ölindustrie. Noch in diesem Jahr soll mit deren Re-Privatisierung begonnen werden.28 Bechtel, Halliburton und Co. werden sich über die zügige Umsetzung des (neo)liberalen Programms freuen.

Da dies sicher ebenso wenig wie die inzwischen angekündigte dauerhafte Stationierung von US-Truppen die Unterstützung des irakischen Volkes finden wird, richtet man sich auf eine dauerhafte Kontrolle ein. „Was wird passieren, wenn wir erstmals eine Wahl im Irak abhalten und es sich ergibt, dass die Radikalen gewinnen?“ fragt Brent Scowcroft, nationaler Sicherheitsberater unter Bush Senior und antwortete sich selbst: „Wir werden sie sicher nicht die Regierung übernehmen lassen.“29 Auch Donald Rumsfeld unterstreicht, dass für ihn Demokratie nicht mit Selbstbestimmung eines Volkes gleichgestellt werden kann: „Wir werden es der demokratischen Transformation des irakischen Volkes nicht erlauben von denjenigen in Beschlag genommen zu werden, die eine weitere Form der Diktatur installieren könnten.“30 Es ist zu befürchten, dass als Demokrat nur akzeptiert wird, wer nach Washingtons Pfeife tanzt.

Anmerkungen

1) Boot, Max: Does America Need an Empire?, Lecture at UC Berkeley, 12.03.03.

2) McNamara, Robert S./Blight, James G.: Wilson‘s Ghost: Reducing the Risk of Conflict, Killing, and Catastrophe in the 21st Century, New York 2001, S. 153.

3) Vgl. Gupta, Partha: Power, Politics and the People: Studies in British Imperialism and Indian Nationalism, London 2002, S. 74-91.

4) Boot, Max: s.o.

5) Kaplan, Robert D.: Warrior Politics: Why Leadership Demands a Pagan Ethos, New York 2002, S. 144f.

6) Rhodes, Edward: Onward, Liberal Soldiers? The Crusading Logic of Bush‘s Grand Strategy and What Is Wrong with It, CIAO, December 2002, S. 8.

7) Vgl. Rieff, David: A New Age of Liberal Imperialism?, in: World Policy, Vol. XVI, No. 2 (Summer 1999).

8) Williams, Hywel: The danger of liberal imperialism, The Guardian, 04.10.01.

9) Ignatieff, Michael: The Burden, New York Times Magazine, 05.01.03.

10) Zwick, Jim: The White Man‘s Burden and Its Critics, in: Zwick, Jim (ed): Anti-Imperialism in the United States, 1898-1935, o. J., http://www.boondocksnet.com/ai (16.05.03).

11) Ferguson, Niall: Empire: The Rise and Demise of the British World Order and the Lessons for Global Power, New York, 2003.

12) Boot, Max: The Savage Wars of Peace, New York 2002, S. 28f.

13) Daalder, Ivo H/Lindsay, James M.: American Empire, Not „If“ but „What Kind“, New York Times, 10.05.03.

14) Eland, Ivan: The Empire Strikes Out, CATO Policy Analysis, No. 459, 26.11.02, S. 19.

15) Mallaby, Sebastian: The Reluctant Imperialist: Terrorism, Failed States, and the Case for American Empire, in: Foreign Affairs, March/April 2002, S. 2-7, S. 2, S. 6. Ähnlich argumentiert McFaul, Michael: The Liberty Doctrine, in: Policy Review, April-May 2002.

16) Mies, Maria: Von der Lizenz zum Plündern zur Lizenz zum Töten, Papier zum Attac-Kongress, Oktober 2001, S. 11.

17) President Discusses the Future of Iraq, Office of the Press Secretary, 26.02.03.

18) U.S. Military Bases and Empire, Monthly Review Editorial, Vol. 53, No. 10 (March 2002).

19) Haass, Richard N.: Imperial America, Paper at the Atlanta Conference, November 11, 2000.

20) Cooper, Robert: The new liberal imperialism, The Observer, 07.04.02.

21) Asmus, Ronald D./Pollack, Kenneth M.: The New Transatlantic Project, in: Policy Review, October-November 2002.

22) in: Freitag 09/03.

23) Lüders, Michael: Liberaler Imperialismus, Frankfurter Rundschau, 10.03.03.

24) Vgl. die sehr gute Zitatsammlung von Blecher, Robert: „Free People Will Set the Course of History“: Intellectuals, Democracy and American Empire, Middle East Report Online, March 2003, http://www.merip.org/mero/interventions/blecher_interv.html (04.05.03).

25) Miller, Greg: Democracy Domino Theory »Not Credible«, Los Angeles Times, 14.05.03.

26) Haas, Richard N: Guidelines for Humanitarian Interventions, in: RAND Review, Vol. 25, No. 1 (Spring 2001), S. 18-20.

27) Kurtz, Stanley: Democratic Imperialism: A Blueprint, in: Policy Review, April 2003.

28) Zand, Bernhard: Irak: Saudische Herrschaft brechen, Der Spiegel, 19/03.

29) Herbert, Bob: Who will profit from this war?, IHT 11.03.03.

30) Stount, David: U.S. will not allow new Iraqi tyranny, IHT, 26-27.04.03.

Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI e.V.)

Katrina – eine normale Katastrophe?

Katrina – eine normale Katastrophe?

von Marianne Kolter

Die Wirbelstürme des Jahres 2005 haben die Verwundbarkeit der Supermacht USA demonstriert. Während die Bush-Administration immense Summen für Kriege und Terrorismusbekämpfung aufwendet, versagt sie bei Naturkatastrophen wie dem Hurrikan Katrina. An solchen Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel begünstigt werden, haben auch die USA selbst einen erheblichen Anteil, indem sie sich weigern, internationale Klimaschutzvereinbarungen zu akzeptieren. Mit Katrina ist aber auch in den USA die Debatte über Ursachen, Folgen und Wege zur Vermeidung von Naturkatastrophen in Gang gekommen.

Katrina, welch schöner Name für einen Hurrikan, der mit Windgeschwindigkeiten bis zu 230 km/h am Montag, dem 29. August 2005 über die US-Bundesstaaten Louisiana, Alabama und Mississippi hinweg fegte. An der Südküste der USA wurden zahlreiche Gemeinden nahezu dem Erdboden gleichgemacht, Gebäude, Geschäfts-, Industrie- und Infrastrukturanlagen zerstört oder stark beschädigt. Mehr als 1.500 Menschen starben im Laufe des Hurrikans und der folgenden Flut, mehr als 2.000 werden heute noch vermisst. Betroffen waren ca. 230.000 qkm, das entspricht etwa der Fläche der Britischen Insel. Die Dämme, die New Orleans vor den Wassermassen des Lake Pontchartrain schützen sollten, brachen, und während des ersten Tages wurden 80% der Stadt und der umliegenden Gemeinden überflutet.

In den nächsten Tagen waren Rettungsdienste in New Orleans und anderen zerstörten Gebieten mit der Bergung der Eingeschlossenen beschäftigt. In den beiden großen Notunterkünften herrschte Not an allem, was Menschen brauchen. Es fehlten Lebensmittel, Wasser, Hygieneartikel, Toiletten und Waschanlagen, alles in allem ein Bild des Chaos und der Hilflosigkeit der Rettungsdienste des reichsten Landes der Welt. Bald wurden Stimmen laut, die Untätigkeit der Behörden habe rassistische Motive, denn die meisten der in New Orleans Eingeschlossenen waren Afroamerikaner. Ein Zyniker unter meinen amerikanischen Freunden meinte: „Jeder der das nicht überlebt, kostet die Sozialbehörden kein Geld mehr.“

Versagen des Katastrophenschutzes

Die US-Regierung zeigte ein Bild der Unfähigkeit und Unentschlossenheit, das trifft besonders zu auf die nationale Katastrophenschutzorganisation FEMA (Federal Emergency Management Agency) und das zuständige Ministerium für Heimatschutz (Depatment of Homeland Security). Die Konzentration auf die terroristische Bedrohung habe zu einer Vernachlässigung der Gefahren durch Naturkatastrophen geführt, so die Kritiker der Katastrophenpolitik.1

Die Kritik konzentrierte sich zunächst auf das Scheitern des Katastrophenschutzes. Warum wurden öffentliche Busse oder Sonderzüge nicht bereit gestellt? Warum verließen trotz angeordneter Evakuierung viele Menschen nicht die Stadt? Die meisten derjenigen, die blieben, waren Afroamerikaner und Menschen mit geringem Einkommen (10.000-20.000 US-Dollar pro Jahr). In einer Telefonumfrage unter Überlebenden gaben 49% der Befragten als Grund an, sie hätten angenommen, es würde schon nicht so schlimm werden, 21% nannten die fehlenden Eigenmittel zur Flucht aus der Stadt.2 Als Lehre aus diesem Verhalten zogen Katastrophenforscher den Schluss, dass die Stadt und die Selbstorganisationsstrukturen der Menschen – etwa religiöse Gemeinschaften und Nachbarschaftsorganisationen – in der Zukunft Aufklärungsarbeit über die Gefahren eines Hurrikans leisten müssten. Es seien Transportmittel bereitzustellen und die Evakuierungsvorgänge besser zu organisieren sowie Ziele für die Evakuierung, d.h. Notunterkünfte außerhalb der Stadt, zu benennen.

Unabhängig von den Ursachen der verstärkten Sturmaktivitäten im Golf von Mexiko und in der Karibik verlangt die Tatsache, dass mehr und mehr Menschen in hoch gefährdeten Gebieten leben sowie Infrastruktur- und Industrieanlagen dort angesiedelt sind, Katastrophenvorsorge, die im Ernstfall einsatzfähig ist. Es ist für die nächsten Jahre nicht zu erwarten, dass die extremen Wetterereignisse in den Staaten am Golf von Mexiko und der Karibik nachlassen werden.

Schadensbilanz

Die Bestandsaufnahme nach Katrina wies die größten Schäden aus, die jemals ein Naturereignis in den USA verursacht hat, Schätzungen zufolge etwa 115 Milliarden US-Dollar, die gesamtwirtschaftlichen Folgeschäden werden auf mindestens das Doppelte geschätzt. In New Orleans und den umliegenden Gemeinden gingen 240.000 Arbeitsplätze verloren.3 50% der Häuser der Stadt wurden zerstört, die Infrastruktur wurde schwer beschädigt, wochenlang gab es weder fließendes Wasser noch Strom, Schulen und Krankenhäuser mussten z.T. aufgegeben werden. In den ersten Monaten nach der Katastrophe stellte die Bundesregierung in Washington 62,3 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau zur Verfügung, der größte Teil wird vom Department of Homeland Security verwaltet und über die Katastrophenschutzbehörde FEMA an die Betroffenen verteilt.4 1,36 Millionen Menschen hatten bis April 2006 bei der FEMA Anträge auf Beihilfe für den Wiederaufbau gestellt.5 Das U.S. Army Corps of Engineers erhielt 310 Millionen US-Dollar für die Reparatur der Dämme und Deiche in New Orleans, die Bauarbeiten sollten bis zum 1.6.2006, dem offiziellen Beginn der Hurrikansaison 2006, abgeschlossen sein.6 Etwa die Hälfte der Bewohner ist nach New Orleans zurückgekehrt, zehntausende der Katastrophenflüchtlinge leben in von FEMA unterhaltenen Notquartieren wie Wohnwagen oder Hotels.

Zunächst galt die öffentliche Aufmerksamkeit nahezu ausschließlich den Menschen der Region, doch bereits nach wenigen Tagen richteten Umweltforscher und -aktivisten ihr Augenmerk auch auf die Schäden an der Umwelt.

Der Ausbau der Stadt New Orleans und der umliegenden Gemeinden sowie der Industrie- und Hafenanlagen im Mündungsdelta des Mississippi haben die natürlichen Pufferzonen zum Golf von Mexiko, d.h. große Schwemmland- und Feuchtgebiete zerstört. Stürme und Wellen, die in der Vergangenheit durch diese vorgelagerten Barrieren abgeschwächt wurden, greifen heute die Siedlungen an der Küste des Golf von Mexiko direkt an. Louisiana verliert etwa alle 20 Minuten Küstenfläche in der Größe eines Fussballstadions, Katrina allein kostete New Orleans 3.885 Hektar Schwemmland.7

Die Flut schwemmte einen giftigen Mix von Stoffen aus Industrieanlagen, Mülldeponien, Kläranlagen und so genannten Landfills – mit Abfall und Schutt gefüllte Senken, auf denen ein Teil der Stadt gebaut wurde –, aus Geschäften und Privathaushalten in die Stadt, dessen genaue Zusammensetzung bis heute niemand kennt und dessen langfristige Wirkung weiterer Untersuchungen bedarf.8 Unter anderem wurden etwa 26,5 Millionen Liter Öl aus Industrie- und privaten Tanks freigesetzt, dazu kommen die Tankfüllungen von mehr als 350.000 Fahrzeugen, die überflutet wurden. Geht man von einer durchschnittlichen Tankfüllung von 30 Litern aus, sind mehr als 35 Millionen Liter Öl in das Gebiet von New Orleans geschwemmt worden. Die Naturkatastrophe Katrina entspricht einer »Tankerkatastrophe« vom Ausmaß des Tankerunglücks der Exxon Valdez (etwa 40 Mio Liter).9

Folgen für die Energieversorgung

Weitere Schäden verursachte Katrina an den Anlagen der Erdölindustrie im Golf von Mexiko. „Katrina schädigte insgesamt 18 Ölbohrinseln, mindestens 5 davon müssen vollständig verschrottet werden. Weitere Schäden gibt es an mindestens 34 Förderplattformen, wovon 18 Plattformen totaler Schrott sind. Und es kann sein, dass diese Zahl noch weiter steigt. Ein neuer Bericht des MMS (Minerals Management Service) geht inzwischen von insgesamt 58 beschädigten Ölbohrinseln und Förderplattformen im Golf aus. Noch wesentlich größer ist die Unsicherheit bei den Schäden an den Ölpipelines, die die Förderplattformen mit dem Land verbinden.“10 Über 18.000 qkm breiteten sich Ölteppiche im Golf von Mexiko aus.

Die Schäden an den Produktionsanlagen der Ölindustrie führten zu einem Produktionsausfall, der bis in den Oktober hineinreichte. Die gerade begonnenen Aufräum- und Reparaturarbeiten wurden durch den Hurrikan Rita (24.9.2006) unterbrochen, der weitere Schäden an den Anlagen der Erdölindustrie im Golf von Mexiko anrichtete. Insgesamt wurden mehr als 100 Öl- und Gasplattformen von den beiden Hurrikanen beschädigt oder zerstört, 20% der täglichen Produktion der Raffinerien des Landes fielen zeitweise aus.11 30.000 Arbeiter mussten von den Förderplattformen im Golf von Mexiko evakuiert werden, ihre Rückkehr wurde verzögert, weil die vorhandenen Hubschrauber zur Rettung der Hurrikanopfer eingesetzt wurden.12 Weltweit führte dies zu einem Anstieg der Preise für Rohöl und an den Zapfsäulen zu einer starken Belastung der Verbraucher – so die gängigen Erklärungen für die Preisentwicklung. Experten sehen das kritischer. „Für die Ölexperten, die wirklich mit Rohöl und Raffinerien zu tun haben und nicht nur mit Futures und Optionen, sind die gängigen Erklärungen für die Preissteigerungen nicht einleuchtend. So soll der Super-Hurrikan ‘Katrina’ am Montag den deutlichen Preisanstieg um gut drei Dollar verursacht haben… ‘Dennoch ist die Versorgung nicht gefährdet’, sagt Schult-Bornemann (Exxon-Mobil). Das System der Ölförderung und -verteilung enthält genug Mengenpuffer, um flexibel zu reagieren und die Verbraucher wie gewohnt mit Ölprodukten zu beliefern.“13 Schult-Bornemann und andere Experten der Ölwirtschaft äußern die Vermutung, dass der gestiegene Einfluss der Finanzmärkte auf die Erdölindustrie diese Preissteigerungen ebenso zu verantworten habe wie die tatsächliche Verbrauchssteigerung auf dem Weltmarkt (4,3 Prozent in 2004), die nach landläufiger Meinung durch die schnell wachsenden Volkswirtschaften in China und Indien zu verantworten ist. Ein Blick auf die Daten des vergangenen Jahrzehnts zeigt jedoch, dass die Steigerung des Energieverbrauchs in den USA mehr als doppelt so hoch war als in Indien und auch die Zunahme in China ist im Vergleich mit den USA nicht spektakulär.

Primärenergieverbrauch, 1994-2003 (in Quadrillion Btu)14

Verwundbar zeigte sich auch das Transportwesen des Landes. Der Hafen von Südlouisiana und der Hafen von New Orleans, die zusammen etwa 12% des Umschlags US-amerikanischer Häfen meistern, sowie kleinere Häfen an der Golfküste wurden für mehr als eine Woche geschlossen. Durch diese Häfen gehen etwa 28% des Rohöls, fast die Hälfte der raffinierten Ölprodukte und fast 20% des Erdgases. Aber nicht nur die Energieversorgung stockte, auch der Export der Produkte des gesamten Mittleren Westens der USA, insbesondere Agrarerzeugnisse wie Mais (81%), Ölstaaten (74%) und Weizen (23%), werden in den Häfen am Mississippidelta abgewickelt.15 Die Existenz der Farmer dieser Region hängt z.T. an den Kapazitäten eben dieser Häfen.

Klimadebatte

Die Hurrikansaison 2005, die hinsichtlich der Zahl und Intensität der Wirbelstürme alle Rekorde gebrochen hat, hat auch die Klimadebatte in den USA angefacht. Die US-Regierung, die die internationale Zusammenarbeit in der Klimapolitik auf ein Minimum reduziert und das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet hat, steht unter Druck. Al Gore, der bei der Präsidentenwahl 2000 denkbar knapp unterlag, macht mit seinem Klimafilm »An Inconvenient Truth« Furore in den Massenmedien, und wird trotz Dementis als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt. Fernsehsender und Zeitschriften widmen sich den Gefahren des Klimawandels und sehen in einer neuen Energiepolitik den Schlüssel zur Gefahrenreduktion.

Auch wenn der statistische Nachweis schwierig ist, äußern einige Wissenschaftler die Ansicht, dass die Zunahme der Wirbelstürme nicht allein auf natürliche Zyklen, sondern auch auf den Klimawandel zurück zu führen ist. Matthew Huber von der Purdue-Universität stellt fest: „…das gesamte Ausmaß der Zyklonenaktivitäten, sei es durch eine höhere Intensität der Stürme oder durch häufigere Stürme, hat sich bei einem Anstieg von einem Viertel Grad in den globalen Durchschnittstemperaturen verdoppelt“.16 Selbst unter den Vertretern der Konservativen wächst die Aufmerksamkeit für die Klimafrage. Vertreter evangelikaler Kirchen und Religionsgemeinschaften haben eine »Evangelical Climate Initiative« ins Leben gerufen, die sich dem Schutz der Schöpfung verpflichtet sieht.

Auch die Regierung sah sich nach Katrina gezwungen, der Energie- und Klimafrage größere Aufmerksamkeit zu widmen. Präsident George W. Bush forderte seine Landsleute zum Energie sparen auf, um die Abhängigkeit von Öllieferungen aus dem Ausland zu verringern. In ihrer Energiepolitik setzt die Regierung allerdings nicht auf die im Kyoto-Protokoll entwickelte Strategie reduzierter Treibhausgase; neben dem Aufruf zum Energie sparen setzt sie auf die Entwicklung neuer Technologien für die Verarbeitung konventioneller Energie wie Kohle und Öl und auf die Förderung erneuerbarer Energien. Ohne politische Entscheidungen, die die Verbraucher zum Erwerb Energie sparender Geräte und die Wirtschaft zu Investitionen in Energie schonende Technologien zwingen, bleiben diese Äußerungen Bushs nach Ansicht kritischer Beobachter wahrscheinlich folgenlos.

Katrina hat gezeigt, dass ein Naturereignis das mächtigste Land der Welt vor eine unlösbare Aufgabe stellen kann. Mehrere zehntausend Menschen waren tagelang hilflos inmitten einer von einer gefährlichen Giftbrühe überfluteten Stadt gefangen und auf sich allein gestellt. Das Beispiel des kleinen Kuba, auf dem vor dem Einfall von Katrina Zehntausende in Sicherheit gebracht worden waren und nur vier Menschen starben (drei von ihnen durch einen Busunfall während der Evakuierung), macht deutlich, es braucht mehr als ein Naturereignis, um eine Naturkatastrophe auszulösen, die die Umwelt, Infrastruktur und Eigentum, aber auch die Menschen selbst bedroht. Katastrophenschutz kann auf Dauer wenig anrichten, wenn die Ursachen nicht angegangen werden.

1994 2003 Differenz
USA 89.28 98.31 9.03
China 34.02 45.48 11.46
India 9.97 14.03 4.06
World 357.5 420.98 63.48

Anmerkungen

1) Siehe u.a. USA Today, 7.9.2005, Washington Post, 30.8.2005.

2) Elliott, James R./Pais, Jeremy, Race, Class and Hurricane Katrina: Social Differences in Human Response to Disaster, in: Social Science Research, Vol. 35, Issue 2, June 2006, pp. 295-321. Es wäre zu untersuchen, ob die Tatsache, keine Mittel zur Flucht aus einem gefährdeten Gebiet zu haben, eine fatalistische Haltung erzeugt, verstärkt oder überdeckt.

3) Soltau, Eleanor, Putting Case Management to the Ultimate Test: Rebuilding New Orleans after Katrina, Part 1, in: The Case Manager, Vol. 17, Issue 2, March-April 2006, pp. 56-59.

4) President’s Council on Integrity and Efficiency/Executive Council on Integrity and Efficiency, Oversight of Gulf Coast Hurricane Recovery -. A 90-Daz Progress Report to Congress, December 30, 2006, http://www.dhs.gov/interweb/assetlibrary/OIG_90DayGulfCoast_Dec05.pdf.

5) Elliott/Pais, 2006, a.a.O.

6) President’s Council on Integrity and Efficiency, 2006, a.a.O.

7) Vgl. Lambourne, Helen: New Orleans ‘risks extinction’, http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4673586.stm. Bei diesem und anderen im folgenden zitierten Online-Dokumenten sind keine Seitenzahlen ausgewiesen.

8) Natural Resources Defense Council: After Katrina, New Solutions for Safe Communities and a Secure Energy Future, September 2005, www.nrdc.org.

9) Vergl. Statement of Erik D. Olson, Natural Resources Defense Council: The Environmental Effects of Hurricane Katrina, Submitted in Writing to Hearings Before the Committee on Environment and Public Works of the United States Senate, October 6, 2005.

10) Greenpeace: Auswirkungen des Hurrikans Katrina auf die Öl- und Gasinfrastruktur im Golf von Mexiko, September 2005, www.greenpeace.de. Vgl. Auch die Satellitenbilder von Ölteppichen unter www.skythruth.org.

11) Vgl. Chow, Edward, Elkind, Jonathan: Hurricane Katrina and US Energy Security, in: Survival, vol 47, no. 4, Winter 2005-2006, pp. 145-160.

12) Vgl. ebenda.

13) http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/544890.html?nv=ct_mt

14) Vgl. Table 11.3, World Primary Energy Consumption by Region, 1994-2003, in: Energy Information Administration (EIA), http://www.eia.doe.gov, die Daten für 2003 sind vorläufig. Ein Quadrillion Btu sind 10<^>15 <^*>British Thermal Units, etwa soviel wie eine Milliarde Gigajoule.

15) Vgl. National Geographic, Special Edition, Katrina – Why It Became a Man-made Disaster, p. 49.

16) 2 Studies Link Global Warming to Greater Power of Hurricanes, http://www.nytimes.com/2006/05/31/science/31climate.html, 31.5.2006, die Studie wird in der nächsten Ausgabe der Geophysical Research Letters veröffentlicht.

Marianne Kolter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung International Programs and Studies an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign, USA.

PMCs – Eine breite Angebotspalette

PMCs – Eine breite Angebotspalette

Wie Söldner zu Geschäftsleuten wurden

von Dario Azzellini

Bezahlte Erbringer von militärischen Dienstleistungen sind in der Kriegsgeschichte nicht unbekannt. Über Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende ist der Einsatz von Söldnern überliefert und ihr Ruf ist nicht der beste. Daher versuchen private Militärdienstleister (PMCs) auch stets, sich durch ihre eigene Präsentation vom unsauberen Image der Söldner abzuheben. So ist auf fast allen Webseiten von PMCs und in ihren Broschüren und Erklärungen zu lesen, dass sie stets im Rahmen nationaler und internationaler Gesetze agieren, nur in den Dienst völkerrechtlich anerkannter Subjekte treten, die Achtung der Menschenrechte ein striktes Gebot im Rahmen ihrer Tätigkeiten darstellt und sie zudem für »Demokratie und Frieden« arbeiten. Der Lobbyverband, in dem sich zahlreiche PMCs zusammen geschlossen haben, nennt sich irreführender Weise sogar International Peace Operations Association (IPOA).

Während sich die traditionellen Söldner alleine oder in kleinen Gruppen verdingten und als Abschaum der Gesellschaft angesehen wurden, überführte die Erfindung der PMCs Anfang der 90er Jahre das Geschäft in den vermeintlich sauberen Wirtschaftsbereich. Damit können sie auch offen rekrutieren, ihre Dienstleistungen auf dem Weltmarkt anbieten und dort um Aufträge konkurrieren. Dies veränderte auch einen weiteren Umstand: Söldner zeichneten sich in der Neuzeit dadurch aus, dass ihnen die Legitimität fehlte, die Soldaten, als vermeintliche Repräsentanten der modernen Staatlichkeit genießen.

Militärische Dienstleister gibt es schon einige Jahrzehnte lang, doch sie waren meist auf logistische Aufgaben beschränkt. Innerhalb weniger Jahren entstanden nun hunderte von Firmen, meist von Ex-Militärs aus Spezialeinheiten gegründet, und das Geschäft weitete sich rasant aus. Plötzlich waren auch die ehemaligen Söldner vermeintlich seriöse Geschäftsleute, ihre Unternehmen sind legal, operieren mit Gewerbeschein und schließen ganz offiziell Verträge mit Regierungen und transnationalen Konzernen. Das bietet ihren Mitarbeitern Schutz vor legaler Verfolgung. Die private Militärintervention ist juristisch abgesichert. PMCs entstanden weltweit. Der größte Teil stammt aus den USA, weitere Schwerpunktländer sind Großbritannien, Israel und Russland. Sie finden sich aber auch in Deutschland, wie etwa die Firma Optronic; angeklagt wegen illegaler Waffenverkäufe, rekrutiert sie Zivilisten als Statisten für besonders realistische Militärübungen der US Army. Aber auch in anderen europäischen Staaten und letztlich auf allen Kontinenten finden sich PMCs.

Allerdings gilt es hier zwischen verschiedenen Unternehmenstypen zu unterscheiden. Die US-Amerikanischen PMCs sind vollständig in das militärisch-politische Konzept und Vorgehen der US-Regierung eingebunden. Die Firma MPRI, nach dem ersten Krieg gegen den Irak von hochrangigen US-Militärs gegründet, die mit der Losung wirbt, über „mehr Generäle pro Quadratmeter zu verfügen als das Pentagon“, verfügt sogar über einen ständigen Sitz bei allen Zusammenkünften des Pentagon. Die US-amerikanischen PMCs agieren nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung des Pentagons. Das andere Extrem stellen die russischen Militärdienstleister dar, die meist über umfangreiche eigene Bewaffnung, bis hin zu Kampfflugzeugen, Kampfhubschraubern und Panzern verfügen. Sie bieten ihre Leistungen völlig frei auf dem globalen Markt an und kamen bisher vor allem auf dem afrikanischen Kontinent zum Einsatz. So kann es bspw. zu Situationen kommen wie im Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien Ende der 1990er Jahre, als Äthiopien von dem russischen Flugzeugbauer Sukhoi Kampfflugzeuge inklusive russischem Wartungspersonal und Piloten unter Leasingvertrag nahm und diese sich ihrerseits von der Luftwaffe Eritreas unter Vertrag genommenen russischen Piloten gegenüber sahen.

Die PMCs wuchsen im vergangenen Jahrzehnt rasch, es entstanden wahrhafte Großkonzerne wie etwa DynCorp oder Kellogg, Brown & Root. Teilweise sind sie sogar an der Börse quotiert, kleinere Unternehmen wurden von größeren aufgekauft und eine wachsende Anzahl von militärischen Dienstleistungen in die Angebotspalette integriert. Eine Vorstellung über das Anwachsen dieses Sektors vermitteln die Relationen zwischen Soldaten und PMC-Mitarbeitern auf den Schlachtfeldern des vergangenen Jahrzehnts. Beim ersten Krieg gegen den Irak soll noch eine von hundert auf dem Schlachtfeld anwesenden Personen ein Angehöriger eines PMC gewesen sein, in Afghanistan eine von 50 und im aktuellen Irakkrieg soll es bereits einer von fünf oder sechs sein. Nie ist die Rolle der PMCs so ins Blickfeld gerückt wie im aktuellen Irakkrieg.

Diese Entwicklung wurde durch verschiedene Faktoren begünstigt. Der Zusammenbruch des Ostblocks und das Ende des Ost-West-Konflikts hinterließen eine unipolare Welt mit einer einzigen militärischen Supermacht und Hunderttausende hoch ausgebildete arbeitslose Militärspezialisten. Im Zuge der Globalisierung und des entfesselten Runs auf Märkte und Ressourcen nahm die Anzahl der militärischen Akteure und Konflikte weltweit zu, von denen kaum einer den klassischen Kriegen zwischen zwei Staaten entspricht. Zugleich nahm in den ungeschützten Trümmerfeldern gescheiterter Entwicklungsstrategien von Ost wie West der Bedarf transnationaler Unternehmen nach privatem militärischem Schutz ihrer Anlagen und Geschäfte zu. Und auch die militärischen Sicherheitskonzepte der meisten Industriestaaten sowie der Nato wurden umgeschrieben und waren nicht mehr nur auf Landesverteidigung ausgerichtet, sondern auf eine weltweite schnelle Intervention und den globalen Schutz ihrer Interessen. Eine ideale Ausgangssituation für das Geschäft mit privaten Militärdienstleitungen.

Die Aktivitäten, die PMCs übernehmen, sind breit gefächert. Sie reichen vom Betreiben militärischer Ausbildungscamps, wie es etwas die US-Firma Cubic tut, über die Ausbildung von Soldaten im In- und Ausland zur Organisierung der Besprühung von vermeintlichen Koka- und Schlafmohnpflanzungen in Lateinamerika, der Wartung von Kriegsgerät bis hin zum Bau und dem Management des US-Militärgefängnisses in Guantanamo. Grob lassen sich die Militärischen Dienstleister in drei Gruppen bzw. Tätigkeitsfelder einzuteilen1:

  • Ausbildung und Consulting,
  • Dienstleistungen im Bereich Technik und Logistik und
  • Kampfeinsätze.

Allerdings sei darauf hingewiesen, dass zahlreiche Tätigkeiten ineinander übergehen und nicht klar voneinander zu trennen sind. Die Trennung ist häufig dem Umstand geschuldet, unter rechtlich äußerst bedenklichen Umständen zu agieren. So sind Kampfhandlungen für in Kolumbien im Namen des Pentagon oder der DEA agierender PMC’s untersagt. Aber Firmen wie Air Scan leisten bspw. eine logistische Dienstleistung für die kolumbianische Armee und die Erdölunternehmen Occidental Oil und Ecopetrol. Air Scan übernimmt die Auswertung der Überwachungsflüge und Radaranlagen und gibt Informationen zu Einsätzen an Piloten der kolumbianischen Armee weiter; diese führen auf der Grundlage dieser Informationen Bombardements aus. Formal handelt es sich um eine Dienstleistung im Bereich Technik. Doch ist das nicht in Wirklichkeit die Beteiligung an einer Kampfhandlung? Die drei Sektoren unterscheiden sich in der Regel auch in ihrer Entfernung zur Front. Im Irak allerdings, wo nahezu das gesamte Land zur Front geworden ist, ist die klare Unterscheidung in diese drei Kategorien schwierig geworden.

Ausbildung und Consulting

Bezüglich der Ausbildung und des Consulting handelt es sich letztlich um einen privat organisierten Transfer staatlich generierten militärischen Know Hows. Teilweise eben in Situationen, in denen Armeen nicht offen agieren können oder in denen eine direkte Militärpräsenz nicht gerne gesehen ist. So etwa, als MPRI in Kroatien die Beratung der kroatischen Truppen in ihrer Militäroffensive zur Vertreibung von 200.000 Serben aus der Krajna und anschließend die Ausbildung der kroatischen Armee übernahm. Im Irak etwa übernimmt Dyncord die Ausbildung der neu geschaffenen Armee und Polizei. Der Vorteil für die US-Regierung liegt hier auch in der Ausweitung der eigenen Militärstandards und Normen, was eine Kooperation erleichtert.

Dienstleistungen im Bereich Technik und Logistik

Diese Dienstleistungen sind breit gefächert und reichen von der Zubereitung der Mahlzeiten für Soldaten bis zur Handhabe hochkomplizierter Waffensysteme. So versorgt Kellogg, Brown & Root (KBR), Tochterunternehmen von Halliburton, dessen ehemaliges Vorstandmitglied Dick Cheney heute Vizepräsident der USA ist, das US-Militär im Irak u.a. mit Lebensmitteln, Wasser und Treibstoff und übernimmt Waffentransporte. Darüber hinaus erhielt KBR weitere Großaufträge für Wiederaufbaumaßnahmen, den Bau von Kriegsgefangenenlagern und logistische Dienstleistungen für die US Army. Mutterkonzern Halliburton gehört im Irak mit Milliardenaufträgen zu den Großverdienern.

Dienstleistungen für die US Army im Irak bietet aber auch die Express- und Logistiktochter der Deutschen Post DHL. Das Unternehmen führt täglich vierzehn Flüge, mit jeweils 250 – 300 Tonnen Ladekapazität, in den Irak durch. Die Anzahl der DHL-Mitarbeiter im Irak stieg von sieben auf 138 an. Zunächst bestand die zentrale Aufgaben von DHL in der Auslieferung der Post für die US-Soldaten, mittlerweile transportiert das Unternehmen verschiedenste Güter, die vom US-Militär und unter Vertrag stehenden Unternehmen gebraucht werden. Da verwundert es nicht, dass Paul Gillett, DHL-Country Manager im Irak, Südafrikaner und Ex-Militär ist. Doch nicht nur er, die meisten der 18 ausländischen Experten im irakischen DHL-Team haben einen militärischen Hintergrund. Zusätzlich wurde eine Gruppe ehemaliger britischer Soldaten engagiert, die, von einem Sicherheitsmanager koordiniert, auf das Geschäft der Posttochter aufpassen.

Auch im Hochtechnologiebereich ist die Beschäftigung von Fachpersonal privater Unternehmen von zentraler Bedeutung. Immer mehr Hersteller von Kriegsgerät liefern die Experten zur Bedienung und Wartung desselben gleich mit. Somit können auch komplizierte Waffensysteme sofort zum Einsatz kommen, ohne dass zunächst noch Soldaten dafür ausgebildet werden müssen. Angesichts der schnellen Weiterentwicklung von Militärtechnologie sind die zivilen Angestellten der Entwickler von Kriegsgerät mit ihrem Fachwissen eindeutig im Vorteil gegenüber den Militärs. So wurden die im Irak eingesetzten Predator-Drohnen von Zivilpersonal bedient. Ebenso liefern Unternehmen wie Lockheed Martin, Northrop Grumman für der Betrieb ihrer Waffensysteme notwendiges Personal, Mechaniker und Techniker, gleich mit. Und aus Lateinamerika ist bekannt, dass sämtliche auf dem Kontinent von den USA betriebenen Radarstationen von PMCs betrieben werden.

Kampfeinsätze

Der Einsatz von PMCs in Kampfsituationen hat im Irak im Vergleich zu vorherigen Konflikten und Kriegen stark zugenommen. Die vermeintliche Nicht-Beteiligung von PMCs an Kampfhandlungen bzw. am unmittelbaren Kriegsgeschehen ist immer verschwommener. Etwa wenn PMCs formal als Sicherheitsunternehmen für Sicherheitsaufgaben engagiert werden, die Sicherheitsaufgaben aber darin bestehen, in einer Kriegssituation militärische Ziele und sogar Militärs vor Feindangriffen militärisch zu schützen. Bis zum Irakkrieg gehörten direkte Kampfeinsätze eher zur Ausnahme. Eine vermittelte Beteiligung kam, wie bereits beschrieben, zwar vor, war aber meist an Aufgaben in den Bereichen Logistik bzw. Consulting gekoppelt. Oder aber es handelte sich um verdeckte militärische Kampfhandlungen, die Bestandteil der Verträge für Sicherheitsdienstleistungen mit Rohstoffkonzernen waren (siehe etwa Kolumbien, Kongo, Angola u.a.). Im Irak übernehmen PMCs hingegen auch vermehrt direkte Kampfaufträge.

Auch viele Militärgefängnisse werden von Privatfirmen betrieben und sogar Verhörspezialisten und Dolmetscher werden über PMCs angestellt. Sollte es jemand wundern, warum bezüglich der Foltervorfälle im Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak nur zehn Soldaten angeklagt wurden, so ist die Erklärung einfach. Ein Großteil der Verhöre und auch der Gefängnissicherheit oblag Mitarbeitern der privaten Militärunternehmen Caci und Titan. Gegen diese geht die US-Regierung juristisch nicht vor. Einige Anwälte und Menschenrechtsorganisationen in den USA versuchen im Namen irakischer Kläger und mit irakischen Zeugen, gegen Mitarbeiter der beiden Firmen zu klagen.

Die umfassende Tätigkeit der privaten Militärdienstleistungsunternehmen im Irak zeigt, dass die Privatisierung des Krieges längst weit in den Bereich der militärischen Kampfhandlungen vorgedrungen ist. Die neuen Söldner verrichten bereits heute einen Großteil der Kriegsführung. Für diese Tätigkeiten werden weiterhin Soldaten benötigt, die sich im Geschäft des Krieges auskennen; der Kurswert ehemaliger Angehöriger von Militärdiktaturen wird demnach weiter steigen. Dass jedoch gerade mit ihrer Hilfe der Aufbau von Demokratie gelingen kann, glaubt man wahrscheinlich nur noch im Pentagon.

Privatisierung aus Gründen der Kostenersparnis?

Die Privatisierung militärischer Dienstleistungen folgt – gemäß des offiziellen Diskurses – der Kostenrationalisierung. Laut neoliberaler Parameter soll der Markt Leistungen grundsätzlich zu besseren Preisen anbieten können als der Staat. Ob im Outsourcing von Militäraufgaben tatsächlich der viel beschworene ökonomische Vorteil liegt, ist allerdings ausgesprochen fraglich. Die zum Einsatz kommenden Waffen werden entweder vom Auftraggeber angeboten oder demselben in Rechnung gestellt. Die Auswahl der Rekruten und Ausbildung der Militärs bleiben Aufgabe der nationalen Armeen und werden nicht von PMCs übernommen. So kostet zum Beispiel die 18monatige Ausbildung eines US-amerikanischen Green Beret rund 250.000 US-Dollar. Wenn dieser Soldat anschließend zu einer PMF wechselt, ist mindestens das Dreifache des vorherigen Lohnes fällig – und angesichts der guten Bezahlung wechseln immer mehr Profis zu den Privaten.

Zugleich werden die vermeintlichen finanziellen Einsparungen auch durch andere Geschehnisse in Zweifel gestellt. PMCs sind als Unternehmen darauf ausgerichtet, den größtmöglichen Profit bei geringstem Einsatz zu erwirtschaften. Damit gerät die Frage des Ausmaßes an gelieferter Sicherheit zwangsläufig zu einer Kosten-Nutzen Rechnung, und damit wird es von einem Allgemeingut zu einer Frage der Finanzstärke. Sicherheit ist nicht mehr für jeden, sondern wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. So soll die Halliburton Tochterfirma Kellogg, Brown & Root (KBR) im Zuge der Balkaneinsätze nicht ausreichende Leistungen geboten haben. KBR hatte im Balkankrieg sieben Verträge mit der US-Army abgeschlossen, bei vier von ihnen sollen die in Rechnung gestellten Summen zu hoch gewesen sein. Die restlichen drei Verträge wurden schließlich anderen Firmen übertragen bzw. von der US-Army selbst ausgeführt. Das scheint kein Einzelfall. Im Irak berechnete Halliburton über einen Vertrag mit der KBR der US-Army mehrfach überhöhte Benzinkosten.

Anstatt der Kostenersparnis dient das Outsourcing im Kontext der neuen Militärdoktrin primär dazu, mehrere Kriege gleichzeitig führen zu können und Militäreinsätze der öffentlichen Kontrolle zu entziehen.

Kontrolle der Aktivitäten von PMCs

Wenn die demokratische und parlamentarische Kontrolle transnationaler und internationaler Aktivitäten in anderen Sektoren unter den von der Globalisierung vorgegebenen Bedingungen bereits extrem erschwert wurde, trifft dies auf den Geschäftszweig der PMCs in verstärktem Maße zu. Nationale Kontrollmechanismen verschwinden, bzw. entwickeln sich nicht im gleichen Maße wie Internationalisierung und Privatisierung, während keine internationalen Kontrollmechanismen entstehen.

Regierungen und damit auch das Militär sind dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig, Privatfirmen nicht. Sie sind es nur gegenüber ihrem Auftraggeber. So lassen sich durch die Nutzung von PMCs auch versteckte Auslandseinsätze durchführen. Da nur Aufträge mit einem Volumen von mehr als 50 Millionen Dollar dem US-Senat vorgelegt werden müssen, überschreiten Aufträge an PMCs so gut wie nie diese Summe. So können sie jeder demokratischen Kontrolle entzogen werden. Das Pentagon verfügt mit dem Einsatz von PMCs in zahlreichen Regionen (wie etwa Kolumbien) auch über eine direkte Kontrolle und einen direkten Zugriff auf das Kampfgebiet, während es gleichzeitig Fragen oder Kritik zurückweist, da es sich um Privatunternehmen handelt. Die Unternehmen selbst wiederum unterliegen einer Schweigepflicht.

Die Beteiligung von Zivilisten an Kampfhandlungen und ihr Status bringen u.a. weitreichende kriegsvölkerrechtliche Probleme mit sich. Es wird ein Rahmen weitgehender Straflosigkeit organisiert. Können Militärs für ihre Handlungen vor die Militärjustiz gestellt werden, so ist das im Fall der PMC-Mitarbeiter nicht möglich. Sie können nur vor der Ziviljustiz angeklagt werden, die ist aber in den meisten Einsatzgebieten entweder nicht existent bzw. funktionsfähig oder nicht an einer Verurteilung interessiert. Zusätzlich koppeln die meisten PMCs ihre Einsätze an einen Vertrag mit den Institutionen des Landes, in dem der Einsatz vorgenommen wird, der ihnen Immunität zusichert. Das bedeutet, dass schwere Verbrechen ungestraft bleiben. So etwa, als die US-amerikanische PMC Air Scan 1998 im Rahmen der Bodenüberwachung aus der Luft einer bedeutenden Erdölpipeline in Kolumbien die Bombardierung des Dorfes Santo Domingo mit 18 zivilen Toten zu verantworten hatte oder als Angestellte der Northrop Grumman Tochter Aviation Development, die die US-Radaranlagen in Peru betreiben, 2001 ein ziviles Kleinflugzeug einer US-amerikanischen Missionarin zum Abschuss frei gaben.

Gegenüber der Öffentlichkeit bietet der Einsatz von PMCs große Vorteile. Regierungen müssen sich bei unangenehmen oder illegalen Verwicklungen, oder wenn es zu Toten oder Verletzten bei den Einsätzen kommt, nicht verantworten, da es sich ja nicht um Angehörige der Streitkräfte handelt. So werden im Irak bspw. auch die Statistiken gefallener Militärs niedrig gehalten. Die schätzungsweise mindestens 500 bis 1000 gefallenen Angehörigen von PMCs tauchen weder in Militär- noch in anderen Statistiken auf. Viele der in Medien und US-Erklärungen als Zivilisten benannten Opfer von Anschlägen, Angriffen und Entführungen, sind nur formal Zivilisten. In Wahrheit handelt es sich um Angehörige verschiedenster Militärischer Dienstleister.

Es entwickeln sich zugleich auch zweifelhafte Kooperationen zwischen Nationalstaaten und transnationalen Konzernen im militärischem Bereich in der gemeinsamen Nutzung und Finanzierung von PMCs in Einsatzgebieten (siehe etwa Kolumbien, Angola, Irak u.a.). Der schnelle Zugriff auf Militärexperten jeder Art macht es auch möglich, wirtschaftliche Macht noch schneller als bisher in militärische Macht und ökonomische Vorherrschaft zu verwandeln. Was zahlreiche transnationale Konzerne bereits zur Strategie gemacht haben.

Die Beispiele Afghanistan und Irak zeigen allerdings deutlich, dass die Vorstellung des vollends automatisierten Krieges, der totalen militär-technologischen Übermacht und dadurch eines schnellen sauberen Siegs ohne Verluste auf der eigenen Seite, ein Traum bleibt. Selbst der Einsatz der modernsten Kriegsmaschinerie der USA und einer Vielzahl von hochspezialisierter PMCs vermochten die Situation weder zu befrieden, geschweige denn zu kontrollieren. Nicht einmal in der völlig zerstörten Stadt Fallujah konnten die USA einen endgültigen Sieg über den Gegner feiern.

Und eine Grundproblematik besteht ohnehin beim Einsatz von PMCs: Welches Interesse können PMCs überhaupt an einer stabilen, friedlichen Situation haben, wenn diese für sie gleichbedeutend ist mit einem Auftrags- und Einnahmerückgang?

PMC-Opfer als Zivilisten deklariert

Der »Irak-Einsatz« birgt auch für die Privaten große Risiken. Die Gesamtzahl der im Irak getöteten PMC-Mitarbeiter ist mit Sicherheit weitaus höher als in anderen Kriegen, die genaue Zahl ist allerdings nicht festzustellen, da weder die militärischen Auseinandersetzungen, in die PMCs verwickelt sind, noch ihre Angestellten, die im Irak ums Leben kommen, in den Statistiken des US-Militärs auftauchen.

Hier einige Beispiele aus fünf Wochen in 2004:

  • Am 31. März 2004 wurden in Falludscha vier US-Amerikaner getötet und anschließend von einer Menschenmenge durch die Straßen geschleift. In den Medien wurden sie zunächst als Zivilisten dargestellt, tatsächlich handelte es sich um vier Krieger der PMC Blackwater, die einen Transport eskortierten.
  • Am 4. April 2004 griffen irakische Milizen das US-Hauptquartier in Nadschaf an. Das Gefecht dauerte vier Stunden, doch in den Berichten des US-Militärs findet sich kein Hinweis darauf. Grund: Es waren keine US-Militärs an dem Gefecht beteiligt, Mitarbeiter der PMC Blackwater verteidigten das Hauptquartier.
  • Am 9. April 2004 war der US-Amerikaner Thomas Hamill der einzige Überlebende eines Hinterhalts auf einen Konvoi westlich von Bagdad. Der PMC-Mitarbeiter wurde entführt und kam später – wie es heißt, aus eigener Kraft – wieder frei.
  • Die vier Italiener Fabrizio Quattrocchi, Umberto Cupertino, Salvatore Stefio und Maurizio Agliana, die im April 2004 entführt wurden, arbeiteten als bewaffnete private Kämpfer für eine italienische PMC. Sie wurden schließlich, bis auf Quattrocchi, der in Gefangenschaft erschossen wurde, im Juni 2004 frei gelassen.
  • Am 12. April gab US-General Ricardo Sanchez bekannt, nach einem Angriff auf einen Konvoi bei Abu Ghraib seien neun US-Amerikaner, alles Zivilisten, vermisst. Tatsächlich waren sieben davon Mitarbeiter von Kellogg, Brown & Root (Militärdienstleister und Subunternehmen von Halliburton).
  • Am 2. Mai 2004 kamen bei einem Bombenanschlag auf einen Konvoi zwei Mitarbeiter von Global Risk International von den Fidschi-Inseln ums Leben.

Anmerkungen

1) Singer, Peter W.: Corporate Warriors. The Rise and Ramifications of the Privatized Military Industry, in: International Security, Vol. 26, No. 3, Winter 2001/2002.

Dario Azzellini ist Autor, Filmemacher und Politikwissenschaftler. Er pendelt seit 1990 zwischen Lateinamerika und Berlin. Diverse Buchveröffentlichungen zu Italien, Lateinamerika, Postfordismus und Krieg. Zuletzt veröffentlichte er zusammen mit Boris Kanzleiter »Das Unternehmen Krieg«. Weitere Informationen unter www.azzellini.net

Spart Outsourcen Kosten?

Spart Outsourcen Kosten?

Privatisierte Knäste in den USA

von John Züchner

Die Aufgabe, Bürger, die gegen das Gesetz verstoßen zu verurteilen und dafür zu sorgen, dass sie ihre Strafe verbüßen, liegt traditionell in der Hand des Staates. Seit 1982 haben die USA nun aus wirtschaftlichen Gründen damit begonnen, Gefängnisse unter die Leitung privater Unternehmen zu stellen. Geht diese Rechnung wirklich auf?

Nach der allgemeinen Staatslehre gibt es drei Elemente, die für einen Staat entscheidend sind: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Die Staatsgewalt als eines der wichtigsten Merkmale ist nach außen an das Völkerrecht gebunden, nach innen aber autonom in der Gewaltdurchsetzung. Sie wird durch Verfassung und Gesetze eingeschränkt und definiert. Die Festlegung des staatlichen Gewaltmonopols ist die Grundlage für rechtsstaatliche Ordnung.

In Zeiten von knappen Kassen und hoher Staatsverschuldung ist die Suche nach Einsparmöglichkeiten ein andauernder Prozess. Der Einsatz von Privatisierung wird von vielen Politikern, Wirtschaftsfunktionären und Lobbyisten als Allheilmittel propagiert, wobei die Tatsache, dass Privatisierung auch schief gehen kann, ignoriert oder gar nicht wahrgenommen wird. Auch in Deutschland geht der Trend eindeutig in diese Richtung. In den USA geht dies bis zu einer fortschreitenden Privatisierung der Funktionen im Bereich der Ausübung staatlicher Gewalt. Von selbstständigen Kopfgeldjägern, die geflohene Sträflinge wieder einfangen, bis hin zu Gefängnissen werden Tätigkeiten an die Privatwirtschaft vergeben.

Die USA blicken zurück auf 23 Jahre privat betriebener Gefängnisse. In dieser Zeit hat sich der Anteil der Inhaftierten an der Gesamtbevölkerung von 0,23 % im Jahr 1982 auf 0,71 % im Jahr 2003 gesteigert. Private Gefängnisse müssen Profite erzielen. Daraus resultiert ein

»Bedarf« an Gefangenen mit möglichst langen Freiheitsstrafen, um effizient wirtschaften zu können. Folglich besteht auch kein Interesse an Resozialisierungsmaßnahmen um die Gefangenen auf die Zeit nach Verbüßung der Haft vorzubereiten. Oft gibt es sogar einen »Handel« der Privatgefängnisse untereinander, um die bestmögliche Auslastung und den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Dazu werden die Häftlinge oft sogar in andere Bundesstaaten gebracht, was den Kontakt zu Freunden, Familie und damit auch eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwert. Interessant ist auch die Entwicklung, dass sich trotz sinkender Kriminalitätsraten die Anzahl der Inhaftierten und deren Haftzeiten erhöhen.

Die privaten Gefängnisse haben sich in den USA von einer Randerscheinung zu einem Wirtschaftszweig entwickelt. Bereits 1998 wurde hierfür der Begriff Gefängnis-Industrieller Komplex in Anspielung an Eisenhower’s Militärisch-Industriellen Komplex geschaffen. Hierbei handelt es sich um eine Art Serviceindustrie, die ausschließlich Gefängnis-Bedarf anbietet: von Handelsmessen über die Produktion von Waren, Arbeit von Gefangenen im Call-Center bis zu Ingenieurbüros, die komplette Gefängnisbaupläne entwickeln. Hierbei liegt der Stundenlohn der Häftlinge zwischen 16 Cents für einfache Arbeiten und 60 Cents für qualifizierte Tätigkeiten. Gefangene, die es ablehnen zu arbeiten, bleiben, genauso wie in Deutschland, länger inhaftiert.

Verschiedene Studien zeigen, dass private Gefängnisse Kosten sparen. Die Einsparungen liegen je nach Studie und Gefängnis zwischen 4 und 14 %. Allerdings greifen private Gefängnisse auf staatliche Ressourcen in den Bereichen Buchhaltung, Datenverarbeitung oder Recht zurück. Dadurch fällt ein wirklich objektiver Vergleich der Kosteneffizienz schwer. Verstärkt wird das Risiko der Korruption. Wie sich bereits in mehreren Fällen gezeigt hat, können leicht Interessenkonflikte entstehen. Beispielsweise wenn Lobbyisten auf der Gehaltsliste der Gefängniskonzerne Politiker beeinflussen schärfere Gesetze zu verabschieden oder den inneren Gewaltapparat weiter zu privatisieren. Auch die Bestechung von Justizvollzugsbeamten mit dem Zweck, dass diese verurteilte Kriminelle in ein bestimmtes Gefängnis überstellen, gab es bereits.

Die Angestellten der privaten Konzerne arbeiten unter teilweise ungeklärten Rechtslagen. Sicherheitsangestellte haben im Gegensatz zu Beamten sehr viel geringere Befugnisse was den Einsatz von Gewalt angeht, beispielsweise um einen Gefangenenaufstand zu beenden. Zusätzlich dazu bleibt die Regierung haftbar für alles, was mit den Häftlingen passiert. Mit anderen Worten, alle Klagen der Gefangenen werden gegen die Regierung geführt. Die hierbei eventuell entstehenden Kosten werden bei einer Privatisierung nicht bedacht.

Zusammenfassend betrachtet ist die Privatisierung des Inneren Gewaltapparates kritisch zu sehen, da hier unweigerlich negative Einflüsse auf ein intaktes staatliches Gewaltmonopol auftreten. Den sicherlich vorhandenen Kosteneinsparungen stehen eine wirtschaftliche Abhängigkeit von möglichst vielen Inhaftierten, schlechtere Resozialisierung der Gefangenen, Korruption auf staatlicher wie auch privater Ebene sowie eine unsichere Rechtslage gegenüber. Wenn trotz dieser Faktoren Geld eingespart werden soll, muss zumindest ein Teil des gesparten Geldes in eine staatliche Kontrolle über die Privatisierungen gesteckt werden.

Quellen:

US Department of Justice – Bureau of Justice Statistics, http://www.ojp.usdoj.gov/bjs/

Corrections Corporation of America: The corrections industry, http://www.correctionscorp.com/researchfindings.html

Shichor, D. (1995): Punishment for Profit: Private Prisons: Public Concerns. Thousand Oaks, Sage.

John Züchner absolvierte ein Praktikum im Büro des MdB Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker und veröffentlichte in diesem Rahmen eine Fallstudie in dessen Buch »Limits to Privatization – How to avoid too much of a good thing«. Er studiert derzeit Nordamerikastudien und Betriebswirtschaftslehre an der FU Berlin.

Das Kernwaffenprogramm der USA

Das Kernwaffenprogramm der USA

Eine Herausforderung für Abrüstungsbemühungen

von Marylia Kelley

Wer das Kernwaffenprogramm der USA verstehen will, darf nicht nur nach Washington D.C. schauen. Vielmehr muss man auch unter die Lupe nehmen, was in den beiden wichtigsten Kernwaffenlaboratorien des Landes vor sich geht, im Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien und im Los Alamos National Laboratory in New Mexico. Buchstäblich jede Kernwaffe der USA wurde entweder von Livermore oder von Los Alamos entwickelt und diese beiden Labore entwickeln gegenwärtig eine neue Bombe, den Robust Nuclear Earth Penetrator (RNEP) – eine tiefer in die Erde eindringende Waffe mit hoher Sprengkraft, sowie eine Vielzahl anderer neuer Waffenkonzepte, darunter die so genannten mini nukes – gemäß Definition eine Kernwaffe mit weniger als 5 Kilotonnen Sprengkraft, die im unbefristeten »Krieg gegen den Terror« der Regierung Bush zum Einsatz kommen sollen.

Die Rolle der beiden Waffenlaboratorien ist aber nicht auf die passive Umsetzung der US-amerikanischen Nuklearpolitik beschränkt. Sowohl Livermore als auch Los Alamos mischen zwar eher im Hintergrund, aber durchaus mit Erfolg, bei der Festlegung der Politik mit, häufig durch die Ausarbeitung der Kernwaffenprogramme. So wurde z.B. in den letzten zehn Jahren unter dem Deckmantel der »Stockpile Stewardship« (Bestandsicherung) in Livermore und Los Alamos eine gewaltige Infrastruktur für die Entwicklung von Kernwaffen aufgebaut, was unaufhaltsam dazu führt, dass das Kernwaffenarsenal der USA ständig »verbessert« wird.

»Stockpile Stewardship« wurde unter Präsident Bill Clinton als Komplettprogramm eingeführt, um die Waffenentwickler von Livermore und Los Alamos dafür zu »entschädigen«, dass sie auf unterirdische Nukleartests verzichten mussten. Zunächst wurden die militärischen Einsatzmöglichkeiten der Kernwaffen, die im Rahmen dieses Programms entwickelt wurden, vorsichtig als »Modifikationen« bestehender Waffentypen bezeichnet. Als der Sprengkopf B61-11 eine zwar bescheidene aber immerhin erste Fähigkeit zur Erddurchdringung erhielt, wurde dies folglich nur als Systemverbesserung ausgegeben. Inzwischen spricht aber die Regierung Bush offen davon, dass die USA neue und besser einsetzbare Kernwaffen entwickeln. Daher erhielt der neue nukleare »Bunkerknacker«, der für das US-Arsenal gebaut wird, einen eigenen Namen, eben »Robust Nuclear Earth Penetrator«. Bei genauerem Hinsehen allerdings sind die Funktionen und Fähigkeiten des »Stockpile Stewardship«-Programms sowohl bei der Modifikation des B61-11 Sprengkopfes als auch jetzt beim neuen RNEP im Wesentlichen identisch.

Ich will nicht bestreiten, dass der Nuclear Posture Review (die Überprüfung des US-Kernwaffenarsenals vom Januar 2002; d. Ü.) und nachfolgende Initiativen die Welt gefährlicher gemacht haben, indem sie die vertikale (neue Waffenfähigkeiten) wie die horizontale (Ausbreitung in weitere Staaten) Proliferation förderten. Es geht mir vielmehr darum, deutlich zu machen, dass die Regierung Bush die nukleare Gefahr zwar beschleunigt und ausgeweitet hat, aber keineswegs das Programm und die Infrastruktur erfunden hat, mit denen das passiert. Dieses US-Programm entstand vielmehr tief im Inneren der beiden Kernwaffenlaboratorien und aufgrund der Versprechungen und Gelder, die die Labors der vorangegangenen US-Regierung abringen konnten.

Die Hintergründe werden vielleicht ein bisschen klarer, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zwischen den Waffenentwicklern von Livermore und Los Alamos schon seit einigen Jahrzehnten im Detail diskutiert wurde – u.a. in einem Artikel aus den 1980ern, der in der Hauszeitschrift des Livermore Laboratory erschien –, wie sich die Labors darauf einstellen können, wenn mit einem künftigen Umfassenden Teststoppabkommen (CTBT, Comprehensive Test Ban Treaty) die weitere Entwicklung von US-Kernwaffen gefährdet würde.

Für einige ist das vielleicht der Punkt, um darauf zu verweisen, dass ein Stopp der weiteren Entwicklung von Kernwaffen gerade Absicht des Vertrages ist, der zur Unterzeichnung ausliegt, seitdem Präsident Clinton ihn 1995 unterschrieben hat. Und in der Tat wurde genau das in der Präambel des CTBT auch so festgehalten. Aber im Sinne von Livermore und Los Alamos ist das eindeutig nicht.

Wenn man also das Problem der anhaltenden Entwicklung von Kernwaffen in den USA analysieren oder gar in Frage stellen will, muss man sich sowohl mit Macht, Einfluss und technischen Potenzialen der Kernwaffenlaboratorien in den USA als auch mit den jeweiligen Führern im Weißen Haus befassen.

»Stockpile Stewardship« und die Kernwaffenlabors

Das US-amerikanische »Stockpile Stewardship«-Programm ist ein ambitioniertes, vielseitiges Unterfangen, für das mehr als 25.000 Menschen in über sieben US-Bundesstaaten verteilten Einrichtungen arbeiten. Das Budget beträgt über 6 Milliarden US$ pro Jahr, und liegt damit etwa beim anderthalbfachen Durchschnittsbetrag, den die USA während des Kalten Krieges für Kernwaffen ausgaben. Unter der Aufsicht des US-Energieministeriums (DoE, Department of Energy) arbeiten Lawrence Livermore und Los Alamos an folgenden Aufgaben:

  • Erhebliche Ausweitung des in den USA vorhandenen Wissens über Kernwaffenphysik. Dazu werden eine ganze Reihe exotischer Experimentalanlagen gebaut, unter anderem die National Ignition Facility (NIF) in Livermore. Hier sollen nach neuester Planung Kernspaltungs- (Fissions-) – und Kernverschmelzungs- (Fusions-) Brennstoffe in anspruchsvollen Experimenten miteinander kombiniert werden. So würden die Spezifikationen des Megalasers noch mehr ausgeweitet, der damit die Entwicklung vollständig neuer Waffentypen ermöglichen würde.
  • Dreidimensionale Modellierung des Verhaltens einer explodierenden Kernwaffe mit absoluter oder nahezu absoluter Realitätstreue auf Supercomputern. Sollte dies erfolgreich sein, so stünden den Waffenentwicklern Möglichkeiten zur Verfügung, die die der bisherigen Kernwaffenentwicklung bei Weitem übersteigen.
  • Neudesign jeder Kernwaffe im US-Arsenal. In manchen Fällen sollen dafür komplett neue Bauteile entwickelt und gefertigt werden. Andere Waffensysteme sollen für neue militärische Fähigkeiten und Missionen ausgelegt werden, z.B. als Bunkerknacker.
  • Entwicklung und Bau einer neuen Fertigungsbasis für US-Kernwaffen. Dazu gehört auch die »Modern Pit Facility«, in der jedes Jahr bis zu 450 Plutoniumkerne (pits) für Kernwaffen hergestellt werden sollen. Diese Anlage eignet sich für die Produktion neuartiger Bombenkerne für neue Waffen, die heute erst auf den Zeichenbrettern von Livermore und Los Alamos entworfen werden.

Im Zusammenhang mit »Stockpile Stewardship« ist auch ein Designwettbewerb zwischen den Waffenbauteams in Livermore und Los Alamos im Gange. Als »Preis« winkt der Bau der entsprechenden RNEP-Bombe. Die Wissenschaftler von Livermore versuchen sich an einer Ergänzung der nuklearen Fliegerbombe des Typs B83, um Fähigkeiten der Erdeindringung zu erreichen. Mit einer oberen Sprengkraft von mehr als einer Megatonne (das entspricht einer Million Tonnen TNT) ist die B83 die größte Kernwaffe im derzeitigen US-Arsenal. Los Alamos hingegen will die Fähigkeiten des B61-Sprengkopfes zur Erdeindringung so verbessern, dass er als RNEP eingesetzt werden könnte.

Um besser einschätzen zu können, in welche Richtung die Waffenlabors marschieren, bietet sich ein genauerer Blick in das neue, bislang nur als Entwurf vorliegende, Betriebsdokument des Livermore Laboratory an. Dieser Bericht, Site Wide Environmental Impact Statement (SWEIS, Umweltverträglichkeitsstudie für sämtliche Standorte des Labors; d. Ü.), geht davon aus, dass die Kapazitäten zur Plutoniumlagerung in Livermore von 1.540 Pfund auf 3.300 Pfund mehr als verdoppelt werden. (In den USA entspricht 1 Pfund = 453 Gramm; d. Ü.) Das ist genug für 300 Kernwaffen. In mehreren Veröffentlichungen wird für das Labor von Los Alamos ein Plutoniuminventar von ca. 3 Tonnen genannt. Aus der SWEIS ergibt sich, dass die neuen Technologien, die in der Modern Pit Facility zum Einsatz kommen sollen, in Livermore entwickelt und getestet werden. Und das, obwohl das Energieministerium noch gar nicht entschieden hat, wo die neue Kernwaffenfabrik letztlich aufgebaut werden soll.

Die Umweltverträglichkeitsstudie fügt dem bislang schon geplanten Experimentenmix der National Ignition Facility, die noch im Bau ist und bis zu ihrem Betriebsende vermutlich über 30 Milliarden US$ verschlingen wird, auch Versuche mit Plutonium, hoch angereichertem Uran, Lithiumhydrid und weiteren Materialien hinzu. Das Dokument schlägt weiter vor, für den Megalaser auf dem Gelände von Livermore Tritiumtargets (winzige Zielscheiben aus radioaktivem Wasserstoff für die Laserstrahlen; d. Ü.) zu fertigen. Dadurch würde die Risikomenge Tritium, die für jeden Bearbeitungsgang jeweils maximal zulässig ist, um fast das Zehnfache angehoben, von knapp über 3 Gramm auf 30 Gramm.

Überdies skizziert die SWEIS Pläne, um die Wiederaufnahme von Nukleartests vorzubereiten, die 1992 ausgesetzt wurden. Dazu soll Livermore neue Diagnoseverfahren ausarbeiten, die die »Bereitschaft« zur Durchführung von Atomtests erhöhen würden.

Erfahrene Abrüstungsexperten und Politikanalysten gehen schon seit langem davon aus, dass die Waffentechniker von Livermore und Los Alamos von den 1990ern bis heute vor allem darauf aus waren, zunächst die »Stockpile Stewardship«-Fähigkeiten festzunageln und in einem nächsten Schritt auf die Wiederaufnahme von Nukleartests zu drängen, um die neuen Waffendesigns in richtigen Tests zu überprüfen. Jetzt wird diese Strategie immer offensichtlicher. Meine Prognose ist, dass die Regierung Bush, angeführt von den Waffenlaboratorien des Energieministeriums, etwa in der Mitte der zweiten Amtszeit des US-Präsidenten eine (erfundene) Begründung für die Wiederaufnahme von unterirdischen Nukleartests auf dem Testgelände von Nevada vorbringen werden.

US-Atomwaffendoktrin und die Bush-Regierung

Im Frühjahr 2002 drangen über das Internet und die Los Angeles Times wesentliche Teile des geheimen Nuclear Posture Review der Regierung Bush an die Öffentlichkeit. Die zugänglich gemachten Teile enthüllen, dass die Regierung Bush das Verteidigungsministerium angewiesen hat, Notfallpläne für den Einsatz von Kernwaffen gegen mindestens sieben Länder – von denen fünf damals selbst keine Kernwaffen hatten – auszuarbeiten. Den meisten Leser wissen vermutlich, um welche sieben Länder es dabei geht: Russland, China, Irak, Iran, Nordkorea, Libyen und Syrien.

Darüber hinaus ordnete das Dokument an, dass der Einsatz von Kernwaffen für einen Nahostkonflikt, eine Konfrontation zwischen Taiwan und China, einen nordkoreanischen An- griff auf Südkorea, einen irakischen Überfall auf Israel oder andere Nachbarländer sowie für weitere, nicht näher erläuterte Situationen vorzubereiten sei. Der Bericht erwägt auch den Einsatz von US-amerikanischen Kernwaffen gegen nur vage definierte Ziele von besonderem Interesse, z.B. unterirdische Bunker und Höhlen, als Vergeltung für einen Angriff mit Chemie- oder Biowaffen und „für den Fall überraschender militärischer Entwicklungen“, was fast alles bedeuten kann.

Vielleicht noch mehr alarmiert, dass der Nuclear Posture Review die Rolle von US-Kernwaffen erweitert und nukleare Kriegsszenarien mit konventioneller Kriegsführung verbindet. In einem erheblichen Maß behandelt das Dokument Kernwaffen als lediglich eine weitere militärische Option. Das Dokument senkt die Schwelle zu einem Nuklearkrieg, indem es das Konzept von »besser einsetzbaren« Kernwaffen anbietet, das sich vor allem auf die noch zu entwickelnden Kernwaffen mit niedriger Sprengkraft und auf Bunkerknacker bezieht. Also auf genau das, woran die Waffenlabors des US-Energieministeriums gerade arbeiten.

Damit nicht genug. Der Nuclear Posture Review erhöht die Bedeutung der Infrastruktur zur Waffenentwicklung der Labors als neuen »Pfeiler« der militärischen strategischen Triade, auf der die Sicherheit der USA ruhen soll. Im Klartext: Der Nuclear Posture Review stellt den Laboratorien von Livermore und Los Alamos einen Blankoscheck aus für die »Stockpile Stewardship«, insbesondere für die hochgradig aggressive Kernwaffen-Entwicklungsmaschinerie. Dementsprechend, und kaum überraschend, wurde das US-Budget für Kernwaffen von Jahr zu Jahr ausgeweitet, ebenso Pläne für neue Laboranlagen zur Waffenentwicklung.

Der Nuclear Posture Review ist nach wie vor gültig. Dieses grundlegende Papier beschreibt die Kernwaffenpolitik der Regierung Bush. Allerdings wurde seine Reichweite durch spätere Dokumente noch präzisiert. Im September 2002 veröffentlichte das Weiße Haus die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigte Staaten von Amerika. Hier wird viel klarer der Weg des US-Militärs und der Kernwaffenpolitik hin zur »Präemption« geebnet, oder vielmehr zum »präventiven Krieg«. Im Wesentlichen legt das Dokument dar, dass die USA, da nicht bekannt sei, wer oder was das Land in Zukunft bedrohen könnte, schon heute nach Gutdünken jedes Land oder beliebige Personen angreifen kann – um sie daran zu hindern, morgen zur Bedrohung zu werden. (Die wenn auch schwache und völkerrechtswidrige Begründung für den Einmarsch in Irak kann zwischen den Zeilen dieses Berichts aus dem Jahr 2002 schon herausgelesen werden.)

Dazu passt, dass laut Presseberichten zu der Zeit, als die Nationale Sicherheitsstrategie erstellt wurde, Präsident Bush die geheime Presidential Decision Directive 17 unterzeichnete. Diese bestätigt die Doktrin eines möglichen präemptiven oder präventiven Einsatzes von Kernwaffen durch die USA als Antwort auf eine potenzielle Bedrohung mit Chemie- oder Biowaffen.

2003 schließlich landeten Mitglieder der Regierung Bush im Pentagon und den Waffenlabors des Energieministerium einen politischen Coup: Sie erhielten im US-Kongress genug Stimmen für die Aufhebung eines Gesetzesvorbehalts von 1994, der den USA jegliche Forschung und Entwicklung untersagte, die zur Produktion von »mini nukes« führen könnte. Damit ist jetzt jede rechtliche Bremse gelöst, und die Waffenlabors spurten immer schneller auf vollständig neue Kernwaffendesigns und die in der Folge zu erwartenden neuen Wettrüsten zu.

Aktivitäten zur Beschneidung des Kernwaffenbudgets

Die aktive Arbeit zahlreicher Nichtregierungsorganisationen in den USA und die Meinungsführerschaft einiger wichtiger Kongressabgeordneter, vor allem des republikanischen Vorsitzenden des Komitees, das im Abgeordnetenhaus für das Kernwaffenbudget des Energieministeriums zuständig ist, bewirkten für das Finanzjahr 2005, das am 1. Oktober 2004 begann, wichtige und genau spezifizierte Kürzungen im Haushalt.

Die Gelder für den RNEP wurden für 2005 auf Null heruntergekürzt, und einige Veröffentlichungen lassen vermuten, dass die Waffenlabors bereits die am »Wettbewerb« beteiligten Entwicklungsteams auflösen, wobei allerdings die Wissenschaftler lediglich auf andere »Stockpile Stewardship«-Projekte verteilt werden.

Auch die Finanzierung der Advanced Concepts Initiative in Livermore und Los Alamos wurde auf Null heruntergefahren. In dieses Programm fällt ein Großteil der Forschung für »mini nukes«. Die Modern Pit Facility erhält anstatt der beantragten 30 Millionen US$ jetzt 7 Millionen US$, musste also auch eine deutliche Reduzierung hinnehmen. Der Antrag des Energieministeriums, die Bereitschaftszeit zur Wiederaufnahme von unterirdischen Test zu verkürzen, wurde ausgebremst. Die Mittel für die National Ignition Facility wurden ebenfalls um 25 Millionen US$ beschnitten, wobei allerdings die für das Finanzjahr 2005 beantragten 492 Millionen US$ für das Gesamtprogramm, darunter 130 Millionen US$ für die Fortsetzung der Bauarbeiten, die Kürzungen deutlich relativieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kongress mehr Gelder für die Demontage von Kernwaffen freigab als vom Energieministerium überhaupt beantragt wurden.

Natürlich müssen die Nichtregierungsorganisationen und Kongressmitglieder in den USA ihre Mobilisierungsanstrengungen fortsetzen, da diese Programme mit hoher Wahrscheinlichkeit im Haushaltsplan des Energieministeriums für das Finanzjahr 2006 wieder auftauchen, und der ist bereits im Februar 2005 fällig. Außerdem waren diese Budgetkürzungen, so sehr sie Grund zur Freude sind, angesichts des aufgeblähten Budgets für das »Stockpile Stewardship«-Program in keiner Weise ausreichend. Die Fähigkeiten der US-Labors, neue Atomwaffen zu entwickeln, werden erst dann wirklich eingeschränkt, wenn die Einschnitte in den Haushalt noch viel tiefer ausfallen.

Marylia Kelley ist Geschäftsführerein von Tri-Valley CAREs (Communities Against a Radioactive Environment). Die Gruppe mit Sitz in Livermore, Kalifornien, verfolgt die Aktivitäten in den Kernwaffenlabors der USA, insbesondere die des Lawrence Livermore National Laboratory. Die Berichte und monatlichen Bulletins stehen unter www.trivalleycares.org im Internet.
Übersetzt von Regina Hagen

Ein Schwerlaster ohne Bremsen

Ein Schwerlaster ohne Bremsen

Der amerikanische Militarismus rollt unaufhörlich weiter

von Andrew Lichterman

Viele Menschen verbanden mit der Präsidentschaftswahl in der USA die Hoffnung auf ein Referendum über den Irakkrieg, auf einen Richtungswechsel: Beendigung der aggressiven Politik nach außen und mehr Demokratie im Innern. Hatten sie übersehen, dass John Kerry als Kongressabgeordneter für den Irakkrieg stimmte und sich bis heute nicht von dem Krieg distanziert hat, dass der demokratische Parteitag so choreographiert war, dass die demokratische Partei sich an die Spitze der Militärparade setzen und Kerry sich »zum Dienst melden« konnte? Beide Parteien – Republikaner und Demokraten – zeigten im Wahlkampf kaum Meinungsunterschiede über den Irakkrieg; es ging mehr darum wer eine Nation in ihren Kriegen am besten führt und nicht darum, wer das Land in den Frieden führen kann. Deshalb konnte die Wahlentscheidung auch nicht zu einer Entscheidung über Krieg und Frieden werden.

George W. Bush hat die Wahl gewonnen, er beginnt seine zweite Amtszeit aber als unpopulärer Präsident, der einen unpopulären Krieg führt. Weder der Irakkrieg noch Bush erhalten in Meinungsumfragen heute hohe Zustimmungsraten. Das ist für einen Präsidenten in den ersten Monaten seiner zweiten Amtszeit recht ungewöhnlich. Trotzdem sind kaum interne oder externe Ereignisse oder Kräfte vorstellbar, die in absehbarer Zeit zu einer Kehrtwende der US-amerikanischen Außen- und Militärpolitik führen könnten. Mit Ausnahme einiger demokratischer Hinterbänkler schweigen die Volksvertreter beider Parteien zum aggressiven und illegalen Charakter des Irakkriegs und der Besetzung.1

Gleichzeitig sind die absoluten Militärausgaben der USA so hoch oder sogar höher als zur Zeit des Kalten Krieges. Der Anstieg beschleunigte sich nach dem 11. September, die Grundlagen dafür wurden aber bereits unter der Regierung Clinton gelegt.2 Zahlreiche der High-Tech-Waffenprogramme – von Kernwaffen mit neuen Fähigkeiten bis hin zu Raketenabwehrsystemen und neuen Waffentypen für den Weltraum-Einsatz – stammen aus den 1990ern; allerdings war das entsprechende Budget damals noch nicht so hoch.3 Die nationalen Sicherheitseliten beider großen Parteien waren bereit, die Etats der meisten dieser Programme anzuheben, als sich nach dem 11. September die Gelegenheit dazu bot. Die National Security Advisory Group, ein Beratergremium, das von führenden demokratischen Senatoren einberufen wurde und dem ein Großteil des nationalen Sicherheitsteams der Clinton-Regierung angehört, kam damals zum Schluss, dass „im Sog der verheerenden Angriffe auf unsere Heimat die Amerikaner bereit waren, einen drastischen Anstieg der Verteidigungsausgaben zu unterstützen. Dieser Anstieg ist erforderlich und verdient Unterstützung. Er bietet eine historische Chance zu einer echten Transformation – eine Chance, die wir ergreifen sollten.“ Dieselbe Gruppe lobte die Regierung Clinton für ihre Rolle bei der Entwicklung militärischer Systeme, denen „eine Schlüsselrolle zukam, als die erheblichen Militärkräfte des Irak innerhalb weniger Tage besiegt wurden.“4

Quer durch die Eliten der politischen Mitte wurde die Phase nach dem Kalten Krieg nicht als Zeit für Demobilisierung und Abrüstung angesehen sondern als Gelegenheit, eine beispiellose militärische Überlegenheit zu erlangen. Unter Präsident Clinton, nicht etwa unter den Präsidenten Bush I oder II, kündigte das US-Militär an, Ziel sei „die Fähigkeit zur raschen globalen Machtausübung, um Dominanz über das volle Spektrum zu erlangen“ (full spectrum dominance).5 Nach einer kurzen Phase zu Beginn der 1990er Jahre steckte der wissenschaftlich-technisch-militärisch-industrielle Komplex fast das komplette Kalte-Krieg-Arsenal in eine neue Verpackung und bot es jetzt unter der Rubrik Gegenproliferation von Massenvernichtungswaffen an. In der zweiten Hälfte der 1990er führten die USA eine Propagandakampagne durch, mit der sie der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln wollten, chemische und biologische Waffen seien das gleiche wie nukleare Waffen. Dadurch stieg die Gefahrenwahrnehmung, was wiederum dabei half, die Aufrechterhaltung des riesigen US-amerikanischen Kernwaffenarsenals, die neue Aufrüstung mit High-Tech-Waffen und eine immer aggressivere globale militärische Haltung zu rechtfertigen.

In dieser Zeit begnügten sich die USA aber keineswegs mit der Optimierung von Waffen und der Neuformulierung von Doktrinen. Sie führten Kriege, die an die Versuche der europäischen Mächte nach dem Ersten Weltkrieg erinnerten, als diese ihre imperialen Grenzen mit überlegener Technologie sichern wollten. Was damals Doppeldecker und Maschinengewehre waren, sind heute Marschflugkörper, Düsenjets und Präzisionsbomben. Der Jugoslawienkrieg von 1999 ermöglichte die weitere Expansion des US-Militärs in das Gebiet des ehemaligen Ostblocks. Es wurden militärische Kooperationsabkommen mit ehemaligen Sowjetrepubliken in Mittelasien abgeschlossen, wo die multinationalen US-Konzerne sich ein Wettrennen um die Ausbeutung der Ölvorkommen rund um das Kaspische Meer lieferten. Nach dem 11. September und der Invasion von Afghanistan zahlte sich diese Zusammenarbeit aus, sie ermöglichte die Einrichtung langfristiger Basen in Ländern wie Kirgistan, Usbekistan und auch direkt in Afghanistan.6

Die High-Tech-Version des »low intensity warfare«, den die USA während der 1990er Jahre im Irak führten – die jahrelange Erzwingung von »Flugverbotzonen« durch ständige und intensive Bombenabwürfe und Cruise Missile-Angriffe – wurde begründet mit der Eindämmung der angeblichen Produktion von Massenvernichtungswaffen des Irak. Damit wurde eine massive und permanente Präsenz des US-Militärs im Nahen Osten und am Persischen Golf gerechtfertigt. Begleitet wurde dieses Szenario von der fortwährenden Erweiterung des amerikanischen »empire of bases« in der Region. Die New York Times, ein zuverlässiges Sprachrohr der politischen Mitte bei Themen der nationalen Sicherheit, entlarvte 1998 die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen mit erstaunlicher Offenheit als Propaganda. Die Zeitung hielt den Rückgriff auf solche Propagandamethoden, selbst wenn nichts dahinter steckte, offenbar für zulässig, um das Klima von Angst und Hass anzuheizen, das die Rechtfertigung für Militäraktionen bot:

„Wenn Clinton von den Schrecken der biologischen Kriegsführung redet und von der Gefahr, dass »unsere Kinder« ihnen ausgesetzt seien, dann ist er sich bewusst, dass er eine schlagkräftige Propagandawaffe schwingt Egal welchen Stellenwert die Sorgen der USA wegen biologischer Waffen haben, auf gewisse Weise hat Clinton inzwischen selbst Saddam übertrumpft. Indem sie Saddam als denjenigen hinstellen, der die Welt mit biologischer Kriegsführung überziehen könnte, nutzten die Amerikaner die Bedrohungsgefühle in den letzten Tagen äußerst erfolgreich, um die Notwendigkeit eines Angriffs auf Saddam mit noch mehr konventioneller Munition zu begründen. Neben moralischer Entrüstung ist die Konfrontation mit Irak schließlich auch Ausdruck des frontalen Zusammenstoßes wesentlicher US-Interessen mit einem besonders mörderischen Diktator. Über die Zerstörung von chemischen und biologischen Waffen hinaus könnte ein Bombardement letztlich auch mehreren langfristigen Interessen der USA in der Region dienen: der Erhaltung eines Iraks, der zwar schwach ist, aber doch nicht so schwach, der er auseinander fällt; der Stärkung der konservativen Golfregime und dem billigen Nachschub von Öl; der Aufrechterhaltung eines ungefähren Machtgleichgewichts zwischen Irak und Iran.“7

In den Vereinigten Staaten herrscht immer noch der Eindruck, dass sowohl der Aufstieg der Regierung Bush II als auch die Angriffe vom 11. September den Gang der Dinge erheblich veränderten. Es wäre vielleicht sinnvoller zu fragen, was das Bush-Regime und sein Vermögen, die Nation in den Krieg zu führen, und zwar nicht nur gegen Afghanistan sondern auch gegen den Irak, über die Machtverhältnisse in den Vereinigten Staaten aussagen. In einem breiteren Kontext haben die Angriffe vom 11. September wohl lediglich denjenigen Elementen der US-Gesellschaft mehr Freiraum verschafft, die längst entschlossen waren, alle Hürden aus dem Weg zu räumen – im Zweifel auch mit vorgehaltener Cruise Missile –, die den mächtigsten Staat der Erde daran hindern könnten, »offene Märkte« und den »Zugang zu Rohstoffen« zu möglichst vorteilhaften Bedingungen zu bekommen.

Die momentane US-Regierung ist vielleicht gar nicht vorrangig um Öl in den Krieg gezogen. Vermutlich ging es auch um die Durchsetzung einer ideologischen Vision, um die Vorstellung, dass man Südwestasien und den Nahen Osten »demokratisieren« könnte (dabei hat ihre Vorstellung von Demokratie weniger damit zu tun, die Macht an gewöhnliche Menschen zu übergeben, als vielmehr damit, neue Teile der Welt für Unternehmensinvestitionen zu öffnen). Die USA hätten aber den Krieg am Persischen Golf nicht vom Zaun brechen können, hätten sie dort nicht zuvor mit hohem Aufwand eine gigantische militärische Infrastruktur aufgebaut. Diese Infrastruktur – Basen, vorne stationierte Ausrüstung und logistische Fähigkeiten für globale Truppenverlegungen – wurde über Jahrzehnte hinweg von demokratischen wie von republikanischen Kongressen und Präsidenten aufgebaut, und zwar hauptsächlich, um die Kontrolle über die Erdölvorkommen im Nahen Osten und am Persischen Golf zu behalten.

Und gerade so, wie Bush seine Kriege nicht ohne die enorme Militärmaschinerie haben konnte, so konnte er diese Kriege auch nur befehlen, weil das politische System immer stärker von den konzentrierten wirtschaftlichen Interessen der Ölindustrie, des Militärs und der Militärfirmen beherrscht wurde. Die Bush-Dynastie ist ein Produkt dieses Systems: eine Familie, die Geld und Macht anhäufte, indem sie in Öl, Waffenhandel und Einfluss investierte, und die sich in einer selbstverstärkenden Aufwärtsspirale von Einfluss, Macht und Profit zwischen kommerziellen und Regierungsgeschäften hin- und herbewegte.

Hannah Arendt zufolge bringt der Imperialismus eine »neue Klasse« hervor, die „kolonialen Verwaltungsbeamten, welche diese Macht verwalteten“ und „einen entschiedenen Einfluss auf den politischen Körper des Mutterlandes [hatten], unbeschadet der Tatsache, dass sie selbst den größten Teil ihres Lebens in den Kolonien verbrachten. Da sie selbst im Grund nichts als Funktionäre der Gewalt waren,“ schrieb Arendt, „schien es ihnen nur natürlich, Politik überhaupt mit Machtpolitik gleichzusetzen.“ Das Neue an dieser Klasse und ihrer politischen Philosophie sei allerdings nicht die Betonung von Gewalt und Macht als Mittel der Politik, „der Unterschied ist nur, dass weder Gewalt noch Macht je das ausdrückliche und letzte Ziel politischen Handelns gewesen waren.“8

Das Regime, das in den USA jetzt an der Macht ist, besteht offensichtlich aus solchen „verbeamteten Funktionären der Gewalt“, die im Bündnis mit den Unternehmen, die am meisten von einer aggressiven militärischen Haltung der USA profitieren, ihre eigene Herrschaft sichern. Immer mehr hochrangige »zivile« Ämter werden entweder von Ex-Militärs oder von Führungskräften der militärischen Subunternehmer besetzt. An der Führungsspitze der »zivilen« Außenpolitik stand vier Jahre lang der ehemalige US-Stabschef Colin Powell; sein Stellvertreter war Richard Armitage, der zu Reagans Zeiten im Verteidigungsministerium saß. Vizepräsident Dick Cheney, für viele der mächtigste Mann in der Regierung, entwickelte als Verteidigungsminister von Bush I die Pläne für die profitorientierte Privatisierung militärischer Aufgaben, die Jahre zwischen den beiden Bush-Regierungen verbrachte er im »Privatsektor«, wo er Halliburton, ein führendes Öl- und Militärunternehmen, dafür trimmte, ein Hauptprofiteur dieses Systems zu werden.

Ihr Ziel legte diese Regierung im Jahr 2002 in der »Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika« dar: die unbegrenzte Anhäufung von Macht durch Gewalt, das Vorhalten von Kräften, die „stark genug sein [werden], potenzielle Gegner von ihren Aufrüstungsvorhaben abzubringen, die sie in der Hoffnung auf Überlegenheit oder Gleichstellung im Hinblick auf die Macht der Vereinigten Staaten betreiben.“9

Hannah Arendt verwies auf die Ressentiments der »Funktionäre der Gewalt« gegenüber den politischen Klassen zu Hause, die die systematische Brutalität, mit der ganze Völker einer Fremdherrschaft unterworfen wurden, weder zugaben noch offen unterstützen, aber dennoch die Früchte des Empire willig entgegennahmen.10 So bekundete Winston Churchill, er sei „hochgradig schockiert“, als 1920 in Bagdad in Folge der Ablösung von Bodentruppen durch die Luftwaffe Frauen und Kinder aus der Luft mit Maschinengewehren umgebracht wurden.11 Und immer aufs Neue, von Vietnam bis Irak, werden Folter, Massaker und »Kollateralschäden« als Fehlentwicklungen abgetan, wird denjenigen die Schuld zugeschoben, die in den Krieg geschickt wurden und nicht denjenigen, die sie in den Krieg schickten.

Seit Vietnam erleben wir immer wieder, wie bei Skandalen die einfachen Soldaten nach vorne geschoben werden. So bleibt die Rolle derer im Dunkeln, die die imperialen Abenteuer verantworten und verwalten, die vom Krieg profitieren und dabei reich und mächtig werden. Die Legendenbildung vom gerechten Krieg und den tapferen Kriegern funktioniert, weil keine wichtige Interessensgruppe aus der politischen Mitte der USA jemals willens war, auch nur im Ansatz zuzugeben, dass ein Krieg der USA eventuell ungerecht sein könnte. Die Debatte beschränkte sich immer auf die Frage, wie man Kriege mit möglichst wenig »Kollateralschäden« führen kann, oder im besten Fall, welche Kriege man überhaupt führen sollte. Sogar die Reichen und Mächtigen in den Vereinigten Staaten, die nicht direkt von Krieg und Waffen profitieren, verschließen bereitwillig ihre Augen davor, dass sie zu einem »investitionsfreundlichen Klima« in immer größeren Teilen der Welt beitragen, und lassen so den Aufbau eines militärisch-technologisch-industriellen Komplexes zu, der inzwischen selbst politische Macht ist, ein virtueller Staat im Staate. Die kapitalistischen Unternehmenseliten, die eine nicht so direkte Form der Gewalt dessen ausüben, was David Harvey als die „Akkumulation durch Enteignung“ bezeichnete – beispielsweise indem ganze Gesellschaften durch permanente Zyklen der Kreditabhängigkeit, Währungsmanipulation und unsymmetrischen Handels- und Investitionsbeziehungen in den Bankrott getrieben werden – könnten ironischerweise jetzt feststellen, das der Aufstieg der raueren imperialen Klassen sie bei ihrer bevorzugten Methode des Profitscheffelns stört.12 Einmal entfesselt, neigt die imperialistische Dynamik zur totalen Zerstörung. „Denn Macht an sich“, warnte Arendt, „kann nur mehr Macht erzeugen, und Gewalt, die um der Macht willen (und nicht um des Gesetzes willen) angewandt wird, entwickelt sofort einen Zerstörungsprozess, der zum Stillstand erst kommen kann, wenn nichts mehr übrig ist, das nicht vergewaltigt wäre.“13

Eine kohärente politische Opposition gegen ein imperialistisches Regime setzt voraus, dass dieses als solches benannt und diskutiert wird. Aber die Analyse von Imperialismus als extremer Ausdruck des systemischen Drucks des Kapitalismus, neue Profitquellen zu erschließen, bleibt in den USA ein Tabu und wird lediglich in einigen marginalisierten Universitätszirkeln und Aktivistengruppen geführt. Der Imperialismusdiskurs unter Aktivisten wie Akademikern bleibt jeweils abgeschottet und abstrakt. Aktivistengruppen kommen aus Mangel an institutionellen Forschungsmöglichkeiten oder aus Mangel an Zeit für Reflektion selten über die Formulierung von Parolen hinaus. Intellektuelle an Universitäten haben Zeit und die Möglichkeit zu Forschung und Reflektion, beteiligen sich aber nur selten an praktischen Organisationsversuchen. Daher können sie nicht die Analysen liefern, die sich mit den Auswirkungen der Dynamiken auf größere Strukturen an den Orten beschäftigen, an denen die Menschen leben, arbeiten, und sich organisieren. Die Menschen aber werden gebraucht, um Strategien für einen sozialen Wandel zu definieren. Dies hat sich trotz mehrerer Jahrzehnte des postmodernen akademischen Diskurses über die Mikropolitik des Alltagslebens nicht geändert. Gleichzeitig sind die Aktivistenzirkel kaum daran interessiert, eigene intellektuelle Institutionen aufzubauen. Damit laufen sie Gefahr, sich entweder in Verschwörungstheorien zu verstricken oder doch wieder in die üblichen Lobbykampagnen eingebunden zu werden.

In den Vereinigten Staaten ist dringend ein intellektueller wie politischer Aufschwung nötig, und zwar außerhalb der dominanten Institutionen, im Rahmen der erst ansatzweise vorhandenen sozialen Bewegungen. Vor zwei Jahrzehnten, in einer vollkommen anderen Welt, mit der wir doch so vieles unverändert teilen, schrieb E. P. Thomson: „Wir versuchen, aus dem Zusammenbruch früherer Traditionen eine neue internationalistische Wählerschaft aufzubauen, eine, die mit Dringlichkeit und Wirksamkeit zu agieren versteht. Wir können unsere Kochrezepte nicht lässig im Salon verfassen und sie dann an die Dienstbotenetage weiterreichen (obwohl einige das immer noch versuchen.) Wir müssen unsere Rezepte improvisieren, während wir vor dem Küchenfeuer schwitzen.“14

Anmerkungen

1) Siehe A. Lichterman und J. Burroughs: War Is Not the Path to Peace: The United States, Iraq, and the Need for Stronger International Legal Standards to Prevent War, Lawyers‘ Committee on Nuclear Policy and Western States Legal Foundation, Oktober, 2002; http://www.wslfweb.org/docs/iraqlaw2.htm.

2) Siehe Congressional Budget Office: The Long-Term Implications of Current Defense Plans: Detailed Update for Fiscal Year 2005, September 2004, und Office of the Under-Secretary of Defense (Comptroller): National Defense Budget Estimates for FY 2005 (Green Book), März 2004, Tabelle 7-2, S. 206 ff.

3) Eine Übersicht über einige dieser Programme am Ende der Clinton-Zeit enthält Andrew Lichterman: Looking for New Ways to Use Nuclear Weapons: U.S. Counterproliferation Programs, Weapons Effects Research, and »Mini-Nuke« Development, Western States Legal Foundation Information Bulletin, Winter 2000-2001.

4) National Security Advisory Group: An American Security Policy: Challenge, Opportunity, Commitment, Juli 2003, S. 41 und S. 1.

5) U.S. Joint Chiefs of Staff: Joint Vision 2020, 2000, S. 6.

6) Zur Reichweite des US-amerikanischen »Basen-Empire« früher und heute, siehe Chalmers Johnson: The Sorrows of Empire: Militarism, Secrecy, and the End of the Republic, New York, Metropolitan Books, 2004.

7) Roger Cohen: The Weapon Too Terrible for the Parade of Horribles, The New York Times, 8. Februar 1998 (Internet-Ausgabe).

8) Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism, hier zitiert nach der von Arendt übertragenen und neubearbeiteten deutschen Ausgabe: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Teil II: Imperialismus, Frankfurt am Main, Europäische Verlagsanstalt, 1962, S. 215.

9) The White House: The National Security Strategy of the United States of America, 2002, S. 30; deutsche Übersetzung unter http://www.us-botschaft.de/germany-ger/img/assets/9436/nss.pdf, S. 40.

10) Hannah Arendt, op.cit., S. 209-211.

11) Zitiert in Sven Lindquist: A History of Bombing, New York, The New Press, 2000, S. 43.

12) Siehe David Harvey: The New Imperialism, Oxford University Press, 2003.

13) Hannah Arendt, op.cit., S. 215.

14) E.P Thompson: The Heavy Dancers: Writings on War, Past and Future, Pantheon Books, New York, 1985, S. 151.

Andrew Lichterman ist Rechtsanwalt und seit langem zu Friedens- und Umweltthemen aktiv, vor allem in der Region San Francisco, Kalifornien. Er ist Programmdirektor der Western States Legal Foundation. Kontaktmöglichkeit besteht über seine Website http://www.al.marginalnotes.org.
Übersetzt von Regina Hagen
Übersetzung der Zitate, so nicht anders angegeben, durch Regina Hagen.

Starke Politik

Starke Politik

Der Machtkörper des neuimperialen Projekts in den USA

von Rainer Rilling

Seit Anfang der 90er Jahre steht die »Grand Strategy« einer Weltordnungspolitik zur Debatte und Entscheidung. Ihr Gedanke ist: Sicherung des globalisierten Kapitalismus durch ein dauerhaftes American Empire, das nicht herausgefordert werden kann. Die imperialistische Tradition des Projekts hat eine Jahrhundertgeschichte – so gesehen, ist es bislang nicht mehr als eine Episode. Sein neoliberales Milieu entstand in den letzten vier Jahrzehnten. Seine mächtigsten Akteure fanden sich im letzten Vierteljahrhundert. Ambition, Praxis und das Profil der »Grand Srategy« konturierten sich in den 90er Jahren. Sein Katalysator und machtpolitischer Durchbruch endlich war »Nineleven«. Der Irakkrieg ist seine erste Probe. Schlägt sie fehl, womöglich dramatisch, ist dieses Projekt noch lange nicht aus der Wirklichkeit. Es geht um die Zukunft des Neoliberalismus und seines amerikanischen Zentrums.

Der zentrale gegenwärtige Konflikt ist, ob innerhalb des globalen neoliberalen Feldes das Projekt eines neoliberalen Empire dominant werden wird. Ein solches Muster verbindet auf sehr widersprüchliche Weise traditionell neoliberale und imperiale Praxen miteinander – also den starken nationalen Sicherheitsstaat mit einem »small government«, den Shareholderkapitalismus mit einem staatsalimentierten Militär-Industrie-Komplex, die Unendlichkeit der globalen Finanzmärkte mit der Begrenztheit territorial ansetzender Geopolitik der Militär-, Rüstungs- und Extraktionsindustrie (Öl!), den Multilateralismus mit dem Unilateralismus, die Disziplin des freien Marktes mit der Disziplin des Militärischen, die politischen Krieger, die für eine starke Politik kämpfen, mit den Marktradikalen, die auf Schwächung des Marktstaates und der Politik aus sind, die Besitzbürger mit den Besatzern. Zu fragen ist, ob wir es dann mit einem »Empire in Decline« zu tun haben oder ob wir in ein »Rising Empire« hineinsteuern, eine neue Hypermacht, die erstmals in der Geschichte auf Dauer zwischen sich und dem Rest der Welt einen grundsätzlichen Machtunterschied setzen kann.

Neoliberalismus und Empire

Es waren der »Dixie Capitalism« des Südens und das Wallstreet-Dollar-Regime des Nordens der USA, die staatsverwobene Militärökonomie und Kriegerkultur des Cold War und die Ideologen aus der Mont-Pelerin-Society oder der Chicago School und ihrer Vorläufer mit ihrer marktenthusiastischen Zielkultur, die seit den späten 60ern den global werdenden Neoliberalismus als ein neues politisches Projekt konfigurierten. Während seit den 70er Jahren und dann vor allem in den 80er Jahren sich dieser Neoliberalismus als dominante Logik und Form der Herrschaft und Gesellschaftsregulierung etablierte, rückte nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Welt in den 90er Jahren zunächst die Frage nach der ökonomischen Transformation (Globalisierung) der neuen Welt und danach das Thema der Neugestaltung des internationalen Systems in den Vordergrund. Denn eine globalisierte kapitalistische Ordnung wirft, ob man will oder nicht, die Frage nach der Neukonfiguration globaler Herrschaft auf. Die USA versuchen eine Neugewichtung des Verhältnisses von neoliberaler Globalisierung und militärischem Globalismus, die sich darstellt als neuimperiale starke Politik und eine neue große Strategie. Diese Antwort auf die Frage nach der politischen Ordnung des Globalkapitalismus hat ihren nationalen institutionellen Ort in einem über drei Jahrzehnte sich verdichtenden Machtkörper aus Think Tanks, Stiftungen, Medien, Konzernen, Staatsapparaten und politischen Organisationen.

Das Cluster der neuimperialen Political Warriors

Unmittelbar getragen wurde dieser Prozess von einer Gruppe neokonservativer Ideologen aus Think Tanks und strategischen Planungseinrichtungen sowie Militärpolitikern, die sich in den frühen 70ern in der Kritik der Entspannungspolitik und der Verarbeitung der Niederlage der USA im Vietnamkrieg bildete. Sie setzte damals auf Konfrontation statt Entspannung und auf militärische Macht. Während so auf der einen Seite die 70er Jahre den Durchbruch des neoliberalen Marktfundamentalismus und seiner antipolitischen Apologie des radikal freien Marktes und der konsequenten Liberalisierung der Waren-, Finanz- und Kapitalmärkte brachten, bildete sich zugleich eine ganz andere, neue Linie der starken militaristischen Politik. Die Generation der Hohen Priester des marktradikalen Neoliberalismus in WTO, IMF und Weltbank ist dieselbe Generation wie die »political warriors« des Kriegskabinetts Bush.

Diese »political warriors« repräsentieren einen epochalen Wandel. Sie stehen für eine besondere Generation in der amerikanischen Außenpolitik, die sich von den zwei anderen herausragenden politischen Generationen der US-Außenpolitik unterscheidet (Mann 2004: XIIIf.): den »Wise Men« (Isaacson u. Thomas) wie Dean Acheson, George Kennan, Averill Harriman, John McCloy, die nach 1945 die globale liberalimperialistische Ordnung des Kalten Krieges errichteten und den »Best and Brightest« (Halberstam) wie den Kennedys, Robert McNamara, den Bundys oder Rostows, die in den 60er Jahren für den Vietnamkrieg verantwortlich waren und versuchten, den Einfluss der USA in der »Dritten Welt« und gegen den Kommunismus auszudehnen.

  • Die erste Generation stammte aus den Welten des Business, der Banken und des Rechts. Die Wallstreet war ihre spirituelle Heimat. Sie konzentrierte sich auf den Aufbau internationaler ökonomischer, diplomatischer und rechtlicher Einrichtungen wie UN, IMF, Weltbank.
  • Die zweite Generation hatte einen akademischen Hintergrund, ihre spirituelle Welt waren Cambridge, Harvard und Yale.
  • Die dritte Generation ist die Reagan-Bush-Generation der Cheney, Rumsfeld, Powell, Wolfowitz, Rice, Armitage, Libby, Feith, Khalilzad oder Perle. Sie ist die militärische Generation. Ihre spirituelle Heimat ist das Pentagon.

Diese Generation eint der gemeinsame Glauben an die überragende Relevanz und positive Rolle der militärischen Macht Amerikas. Außenpolitik sieht sie vorweg unter militärischer Perspektive. Die Probleme der Ökonomie überlässt sie den Neoliberalen und den Führern des privaten Sektors. Für sie war und ist weder Kultur noch Geschichte oder Ökonomie, sondern Politik der große Beweger. Sie sind eben »politische Krieger« (Robin 2004), zuweilen diplomatisch (Powell), zumeist aber martialisch (Rumsfeld).

In den 70er und 80er Jahren arbeitete diese Generation am Wiederaufbau der amerikanischen Militärmacht nach Vietnam. In den 80er Jahren unter Reagan begann ihren Aufstieg. Die Warriors kristallisierten ihre radikal reaganitische Position an Offensivprojekten wie SDI und der Unterstützung der »freedom fighters« in Nicaragua und anderswo. In der ersten Regierung Bush konnte sie sich eine Minderheitsposition in der Militärexekutive sichern. Die Wende zu den 90er Jahren erlebte sie als den größten Triumph in der amerikanischen Geschichte: die USA hatten den dritten, den Kalten Krieg gewonnen. In diesem Jahrzehnt konzipierte sie eine neue Rolle des militärischen Faktors. Nach 9/11 ging sie daran, ein militärimperiales Projekt durchzusetzen. War in den 90ern die »Globalisierung« das imperialistische Codewort der ökonomischen Neoliberals, so wurde im Folgejahrzehnt das »Empire« das imperialistische Codewort der militanten politischen Warriors.

In diesen drei Jahrzehnten war ihr Aufstieg zur Macht verbunden mit dem (Wieder-)Aufstieg des amerikanischen Militärs zu einer exzeptionellen Machtposition. Diese Generation erlebte die Zeit als Erfolgsgeschichte und als Zeit, in der Amerika als moralische, freiheits- und demokratieförderliche Kraft auftrat. Nichts schien ihr am Ende unmöglich – auch nicht ein amerikanisches Imperium.

Die Warriors erreichten mit Hilfe und im Bündnis mit der im Süden der USA stark verankerten religiösen Rechten, den radikalen Marktideologen und der klassischen, eher sozialkonservativen aber stark mit fundamentalistisch-evangelikalen Einsprengseln durchsetzten Mainstream-Rechten in der zweiten Bush-Regierung und dann in der republikanischen Partei eine hegemoniale Mehrheitsposition im Politikformierungprozess. Die daraus entstandene heterogene Konfiguration der neuimperialen politischen Rechten in den USA war eine geradezu beispiellose politische Innovation, in der sich zusammenband, was bislang in gar keiner Weise zusammenzugehen schien. Die Bildung eines gemeinsamen Machtkörpers aus neokonservativ-reaganitischen Warriors, christlichen Fundamentalisten und marktradikalen Neoliberals ist eine Kopplung von Richtungen ganz ungewöhnlicher Diversität. Sie gelang im Geist einer geduldigen Kombination von Pragmatismus und ideologischer Selbstsicherheit. Im Laufe des Jahres 2002 bestimmte diese Allianz den außenpolitischen Diskurs der USA. In kurzer Zeit versammelte sie fast vollständig die außenpolitische Elite der USA und die parlamentarische Opposition hinter ihr Projekt, das konzeptionell zunehmend eine imperiale Dimension ausbildet, politikpraktisch jedoch zwischen hegemonialem und imperialem Internationalismus oszilliert. Nach einem Jahrzehnt heftiger Auseinandersetzungen etablierte sich somit ein neuer außenpolitischer Konsens in der US-Elite.

Das Mikronetzwerk der neuimperialen Macht hat vieles gemeinsam: den Berufsverlauf in politischen Feld, oft Generationszugehörigkeit, vor allem aber die ideologische Orientierung, politische Schlüsselprojekte, Reichtum und ähnliche oder gar dieselben institutionellen Vernetzungen. Zu ihm gehören Intellektuelle, Wissenschaftler, Ideologen, Strategen, Demagogen, Visionäre, Politiker, Wirtschaftler, Machtbroker, Organisatoren und Netzwerker. Innerhalb der Bush-Regierung bildet es Cluster um den Vizepräsidenten, das Pentagon, den Nationalen Sicherheitsrat sowie das Justizministerium. In anderen Ministerien wie auch dem Außenministerium sind einzelne Verbindungsknoten installiert, das institutionelle Zentrum liegt im Pentagon. Die innere Struktur dieses Kerns ist heterogen; Gruppen mit hoher Interaktionsdichte und äußerst locker geknüpfte Netzwerke gehen zusammen. Zu ihrem Führungskern gehören R. B. Cheney, P. D. Wolfowitz, D. Rumsfeld, C. Rice, C. Powell, R. Perle, W. Kristol, I. L. »Scooter« Libby, D. Feith, R. Armitage, J. R. Bolton, D. Wurmser, J. Woolsey, Z. Khalilzad, E. Abrams, S. J. Hadley, J. F. Lehman Jr., K. Adelman, E. Cohen, E. Edelman, A. Friedberg, D. S. Zakheim, P. Rodman, W. J. Schneider, S. Cambone, T. Donnelly und R. M. Gerecht (Detailliert in: Rilling, 2004).

Neuimperiale Think Tanks und politische Aktionskomitees

Bevor die Neuimperialen sich in den Institutionen der Bush-Administration positionieren konnten, kooperierten sie bereits in knapp einem halben Dutzend Think Tanks und politischen Aktionskomitees, die in den 90er Jahren intensiv an strategischen Konzepten arbeiteten, politische Lobbyarbeit betrieben und häufig von ein- und denselben Stiftungen finanziert wurden. In ihrem Umfeld operierten freilich doppelt so viele konservative wie liberale Denkfabriken, die dreimal so viel Geld zur Verfügung hatten. Lange zuvor arbeiteten viele von ihnen in den ersten militaristischen Komitees zusammen wie dem »Committee on the Present Danger«, das in den späten 70ern als konzeptiver Think Tank und personalpolitische Kaderreserve der Reagan-Regierung fungierte (Sanders 1983) oder dem »Committee for the Free World« in den frühen 80ern, dem u.a. Rumsfeld vorsaß. Nicht weniger als 30 Mitglieder des CPD rückten in den 80er Jahren unter Reagan in Regierungspositionen ein. Im Laufe der 90er Jahre und dann vor allem nach 9/11 nahmen die neokonservativen und rechten Organisationen, Medien und Verbünde an Zahl rapide zu und mittlerweile dürften 60 oder 70 überregionale Bedeutung erreicht haben.

Unter ihnen erlangte ein neuimperialer Think Tank spektakuläre Sichtbarkeit und mediale Bedeutung, der im Vergleich zu den großen klassischen Think Tanks wie AEI oder Hoover nur mit winzigen Ressourcen operierte – 2004 waren dort 5 Personen beschäftigt – und dessen Einfluss nicht ganz zu Unrecht oft mit dem des »Committee on the Present Danger« der späten 70er und frühen 80er verglichen wird. Zu den 25 Unterzeichnern der Gründungserklärung („We aim to make the case and rally support for American global leadership“„Reaganite policy of military strength and moral clarity“) des 1997 von William Kristol und Robert Kagan im »reaganitischen Geist« gebildeten »Project for the New American Century« (PNAC) gehörten Jeb Bush, William J. Bennett, Dick Cheney, Midge Decter, Steve Forbes, Francis Fukuyama, Fred C. Ikle, Donald Kagan, Zalmay Khalilzad, Norman Podhoretz, Dan Quayle, Stephen P. Rosen und Donald Rumsfeld. William Kristol wurde 2002 Vorsitzender des Think Tanks. Zu seiner Leitung gehörten weiter Bruce Jackson (1993-2002 Vizepräsident des Rüstungskonzerns Lockheed Martin), der am Entwurf des proamerikanischen Schreibens der Staaten des »Neuen Europa« mitgewirkt hat und eine Schlüsselposition beim Aufbau der Machtpositionen der USA in Osteuropa spielt (The Nation, 17.3.2003; Financial Times, 8.5.2003) und Robert Kagan, der in Brüssel für den Think Tank »Carnegie Endowment« arbeitet. Der geschäftsführende Direktor des PNAC ist Gary Schmitt, der u.a. als Geheimdienstoffizier in Reagans Weißem Haus enge Verbindungen zu dieser Szene hatte. Das PNAC operiert mit Statements, »Offenen Briefen« und wenigen strategischen Texten,1 betreibt als advocay-group deklaratorisch-propagandistische Pressure-Politik und versuchte so in den 90ern, aus dem neokonservativen power-exile heraus Einfluss auf die Clinton-Regierung zu nehmen. Das politische Kunststück, für das es steht und das als Grundlage seiner herausragenden Prominenz und nicht selten überschätzten politischen Einflussfähigkeit gelten kann, besteht darin, dass es – als im Kern neokonservatives Projekt – jenes neuimperiale Bündnis sichtbar machte und repräsentierte, das mit der zweiten Bush-Administration dann die Schlüsselpositionen der Regierungsmacht übernahm. Das PNAC kann daher kaum als Think Tank bezeichnet werden, sondern es ist eine öffentliche Plattform und ein tool zur Bildung politischer Koalitionen, das seine Verlinkung mit den mächtigsten Abteilungen der politischen Dienstklasse vorführt. Konzeptionell ist das PNAC mit seinen frühen Studien und Forderungspapieren zweifellos ungewöhnlich präsent und einflussreich gewesen. Geradezu eine Blaupause der neuimperialen Politik stellte etwa der im Jahr 2000 publizierte Report »Rebuilding America`s Defense« dar, zu dessen Autoren neben Donnelly, D. Kagan und Schmitt auch Wolfowitz und Bolton sowie Bernstein, Epstein, Schulsky, Cohen, Libby, Zakheim, Rodman und Cambone gehörten. Die verschiedenen Gruppen verbindet die Forderung nach massiver Aufrüstung – so ein Brief des PNAC an Bush vom 23. Januar 2003. Finanziert wurde das PNAC u.a. auf dem Umweg über das von Kristol geführte New Citizenship Project, das mit fast 1,9 Mio $ von der weit rechts stehenden Bradley-Stiftung gefördert wurde, die auch zu den Finanziers des American Enterprise Institute und des John M. Olin Center for Strategic Studies der Harvard University gehört, das bis 2000 vom neokonservativen Samuel P. Huntington geleitet wurde. Über das Projekt wurde bereits im Januar 1998 ein Brief von 18 Neokonservativen an Clinton organisiert, in dem der Sturz Husseins gefordert wurde. Acht Unterzeichner – Armitage, Bolton, Rumsfeld, Dobriansky, Khalilzad, Rodman, Wolfowitz oder Zoellick – gehörten später zur Bush-Administration. Ein zweites Schreiben u.a. von Rumsfeld, Wolfowitz und Kristol vom 29.5.1998 an die Fraktionsführer Gingrich und Lott forderte explizit, Hussein mit militärischen Mitteln aus der Macht zu entfernen. Kurz nach Nine-Eleven folgte am 20.09.2001 einweiteres Schreiben der »Kreuzzugsneokonservativen« (Hirsh), das diese Forderung erneuerte („even if evidence does not link him to the attack“) und u.a. gezeichnet war von W. Kristol, Allen, Bauer (der als langjähriger Vorsitzende des evangelikalen Family Research Council ein Bindeglied zur christlichen Rechten darstellte), Bennett (der unter Reagan 1981 Leiter der National Endowment for the Humanities wurde, 1985-1988 Bildungsminister war, sodann »Drogenzar« wurde und engste Verbindungen zur neokonservativen Think Tanks wie Hudson, Heritage oder der Olin-Foundation hatte), Decter, Donnelly, Friedberg, Fukuyama, Kagan, Kirkpatrick, Krauthammer, Perle, Podhoretz und Rosen. Zahlreiche der genannten Personen hatten und haben übrigens enge Verbindungen zum American Enterprise Institute, das bereits seit Jahrzehnten das neokonservative Feld befördert und in dessen Washingtoner Gebäude nicht nur der »Weekly Standard« als Zentralorgan des US-Neokonservatismus, sondern auch das PNAC residiert.

Aus dem Feld neuimperialer Think Tanks ist weiter hervorzuheben das 1988 gegründete Center for Security Policy (CSP), dessen Direktor Gaffney in den 80ern unter Perle im Pentagon arbeitete und dem PNAC angehört. In einer Erklärung stellte Gaffney das CSP in die Tradition des Committee on the Present Danger. In den 90er Jahren entwickelten sich das CSP und sein Beirat NSAC 2 zu einem zentralen Sammelbecken reaganitischer Politiker, Ideologen und Rüstungsindustrieller. Zakheim, Rumsfeld, Perle, Woolsey oder Feith waren schon früh eng mit dem CSP liiert. Aus dieser Zeit stammt auch eine enge Verbindung zu Heritage, dem wichtigsten rechten Think-Tank in der Reagan-Ära.3 Ca. zwei Dutzend Angehörige des CSP und NSAC zogen dann in die zweite Bush-Regierung ein.

Das CSP beansprucht für sich, nicht nur eine exzeptionelle Kaderreserve für die Regierung gewesen zu sein (Frachon, Vernet 2003), sondern auch Schlüsselargumente für den Rückzug der Bush-Administration aus zahlreichen Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen wie dem ABM-Vertrag bereitgestellt zu haben. Gesponsert wurde das CSP u.a. von den Rüstungskonzernen Boeing und Lockheed sowie weit rechts stehenden Stiftungen.

Aus dem Milieu der Think Tanks und der in ad-hoc-Zusammenhängen gegründeten politischen Aktionsgruppen ragte schließlich vor dem Irakkrieg das 2002 von Jackson (PNAC, Lockheed) gegründete Committee for the Liberation of Iraq (CLI) heraus. Seine explizite Zielsetzung war die Unterstützung der Kriegsoption der Regierung Bush. Sein Board versammelte vorwiegend eine demonstrativ prominente Menge Neokonservativer und Neuimperialer. 15 Mitglieder des CLI haben für das DoD gearbeitet, zahlreiche Mitglieder haben enge Beziehungen zum AEI und zum PNAC. Es demonstriert zweifellos die Breite der Unterstützung, den die neokonservative Stoßrichtung gegen den Irak erreicht hatte. Das Projekt war im Wesentlichen eine plakative Einrichtung und wurde mit dem formellem Kriegsende offenbar aufgelöst.

Ebenfalls aufgelöst wurde 2003 das wenig bekannte, aber nicht unwesentliche rüstungsindustrienahe U.S. Committtee on NATO (vormals U.S. Committee to Expand NATO), das im selben Jahr unter Führung von Jackson in das Project on Transitional Democracies (PTD) überführt wurde. Zu den Mitgliedern des USCN gehörten Wolfowitz, Perle, Hadley, Schmitt, R. Kagan, Scheunemann und Rodman. Das PTD wiederum hat den offenbaren Zweck, die Politik der Regierung Bush insbesondere im »neuen Europa« zu unterstützen.4 Zu den Gruppen diesen Zuschnitts gehört auch die vergleichbar gelagerte New Atlantic Initiative des American Enterprise Institute, das u.a. von Jackson gegründet wurde und zu dessen Board bzw. Beraterkreis u.a. W. Kristol, Huntington, Podhoretz, Perle, D. Pipes, Rumsfeld, Gingrich – aber auch Kissinger und Shultz gehörten. Geopolitisch relevant ist endlich das 1990 gegründete und publizistisch-strategisch ansetzende Middle East Forum, ein neokonservativer Think Tank, über den sich etwa Abrams, Dobriansky, Feith, Kirkpatrick, Ledeen, Perle, Pipes und Wurmser engagieren.

Das neokonservative und neuimperiale Cluster, zu dem weitere Institute und »policy shops« – wie das National Institute for Public Poilicy, die U.S. Space Foundation, das National Strategy Information Center, das Jewish Institute for National Security Affairs, Empower America, das Institute for Religion and Democracy, das Washington Institute oder das Institute for Religion and Public Life – gehören, hat die Unterstützung einer Reihe weiterer großer Think Tanks und anderer Einrichtungen der politischen Rechten (Hoover, Heritage, Hudson Institute, American Enterprise Institute5, Center for Strategic and International Studies (CSIS), Manhattan Institute for Policy Research, Jamestown Foundation, Lexington Foundation, Foreign Policy Research Institute, Nixon-Center) sowie neokonservativer Hochschuleinrichtungen (in erster Linie die Paul Nitze School of Advanced International Studies/ SAIS). Weniger prominente kleine Aktionskomitees wie das United States Committee for a Free Lebanon, die Coalition for Democracy in Iran (CDI) oder die 2002 von Bennett gegründete propagandistische Einrichtung Americans for Victory over Terrorism überlappen sich personell mit den genannten Akteuren und zeichnen sich oft durch weniger diplomatische Formulierungen aus.6 Die Verbindung zu der christlichen Rechten repräsentiert das Ethics and Public Policy Center, das eine fundamentalistische Moralisierung der Außenpolitik betreibt. Und die Verbindung zum amerikanischen Kapital wird am deutlichsten, betrachtet man die Vorstands- und Finanzierungsliste des AEI, in denen Unternehmen wie Exxon Mobil, Dow Chemical, Motorola, American Express, General Electric, AT&T, Ford, General Motors, Amoco, Shell oder Morgan Guarantee Trust zu finden sind oder Akteure wie das Business Roundtable, das im Schnittfeld von Kapital und Politik agiert.

Neuimperiale Medien

Charakteristisch für das gesamte Netzwerk ist neben dieser institutionellen Verankerung die starke Präsenz bekannter neokonservativer und neuimperialer Autoren in einigen nationalen Medien wie dem Wall Street Journal, den Fox News, der Washington Times und der New York Post sowie ein Bündel eigener Zeitschriften wie »Public Interes«t, »Policy Review«, »Public Opinion«, »National Review«, »The National Interest«, »The New Republic«, »American Spectator«, »Insight, Frontpage«, »First Things« und dem »Commentary Magazine« und Verlagen wie Encounter Books oder Basic Books Publishing. Eine Schlüsselrolle spielt dabei Murdoch`s News Corp., zu der das Fox News Network (»Bush TV«), die New York Post und der Weekly Standard gehören: „Many people at Fox News have been supportive of Bush`s policy. They deserve a bit of a mention. And Murdoch personally.“7 Als intellektuelles Leitorgan des Neokonservatismus gilt der 1995 von W. Kristol gegründete »Weekly Standard«. Im Internet sind diese Medien zumeist gut präsent und daneben haben sich einige spezielle neuimperiale und neokonservative Sites wie Tech Central Station etabliert, die oft eng mit Konzernen verbunden sind. In der in den letzten Jahren entstandenen Weblogszene haben rechtsorientierte und neokonservative Medienintellektuelle wie Sullivan einen großen Einfluss.

Finanziers der Neuimperialen

Die Finanzierung des Netzwerks und seiner Einrichtungen erfolgt insbesondere durch Stiftungen, die zum Teil bereits in der Reagan-Ära, vor allem aber dann in den 90er Jahren eine gezielt politisch äußerst rechts ausgerichtete Förderungspolitik betrieben. Dazu gehören in erster Linde die Lynde & Harry Bradley Foundation8, die Scaife-Stiftungen9, die John M. Olin Stiftung, Castle Rock Stiftung, Smith Richardson Stiftung, Carthage, Earhart, JM Foundation und die Stiftungen der Koch-Familie, aber auch einzelne Finanziers wie zum Beispiel Kovner, Vorsitzender der Caxton Corporation und Hertog von der Alliance Capital Management, die beide 2002 halfen, die »New York Sun« zu gründen, Mitherausgeber der »New Republic« sind und in den Beiräten des Manhattan Institute oder des AEI sitzen; oder einst Black, vormals Vorsitzender der Hollinger International Inc., zu deren Vorstand auch Perle gehörte und der ebenfalls in die »New York Sun« investierte. Die finanzielle Macht dieser Stiftungen ist beträchtlich: Richard Mellon Scaife – der enge Verbindungen zu Hoover, Heritage und PNAC pflegt – gehörte in den 90ern zu den 50 reichsten Privatpersonen der USA, die Koch-Industries sind das zweitgrößte private Unternehmen der USA. Das AEI erhielt zwischen 1985 und 2002 von der Bradley-Stiftung 14 Mio. $ und von der Olin-Stiftung 6,5 Mio. $. Das PNAC wurde mit über 600.000 $ alimentiert vor allem von Bradley, aber auch von Scaife und Olin; das CSP erhielt von diesen Stiftungen 3,6 Mio. $ bis 2001, das SAIS über 7,7 Mio. $, das CSIS über 13 Mio. $; neokonservative Think Tanks wie Heritage, AEI, Cato, Manhattan Institute und Hudson-Institute erhielten allein von einem Dutzend rechts stehender Stiftungen bis 2001 weit über 100 Mio. $.10 Während z.B. Heritage oder AEI Finanzierungen von allen Großstiftungen erhalten, gibt es zwischen einzelnen Think Tanks und Finanziers zugleich symbiotische Beziehungen (z.B. zwischen CSP und Scaife oder zwischen SAIS und Bradley). Die im Frühjahr 2004 publizierte Analyse »The Axis of Ideology« des National Committee for Responsive Philanthropy ergab, dass unter 79 konservativen und rechten Stiftungen, die zwischen 1999 und 2001 mehr als 252 Mio. $ an 350 von Steuern befreite Empfänger vergaben, fünf Stiftungen den Löwenanteil der Mittel bestritten: Scaife (44,8 Mio. $), Bradley Foundation (38,9 Mio. $), Olin (17,4 Mio $), Shelby Cullom Davis (13 Mio $) und Richard and Helen DeVos (12,2 Mio. $). 46 % der Mitttel gingen an konservative Think Tanks, die sich mit allgemeinen politischen Fragen befassten; an der Spitze standen dabei: Heritage, Intercollegiate Studies Institute, George Mason University, American Enterprise Institute for Public Policy Research, Hillsdale College, Citizens for a Sound Economy Foundation, Judicial Watch, Free Congress Research and Education Foundation, Hoover Institution on War, Revolution, and Peace sowie das Manhattan Institute for Policy Research.11 Zusammengeschlossen sind zahlreiche dieser rechten Stiftungen im Philanthropy Roundtable, das Anfang der 80er Jahre entstand und ebenfalls im AEI-Gebäude sitzt und dessen Vorstandschef bis 2003 der langjährige Präsident der Bradley Stiftung Joyce war. Stein schätzt die Gesamtsumme der seit den frühen 70er Jahren an die 43 aktivsten und einflussreichsten Organisationen der intellektuellen Infrastruktur der rechten, konservativen und neokonservativen geflossenen Mittel auf 2,5 bis 3 Mrd. $.12 Die neuimperiale Strömung würde ohne diesen finanziellen Initiativ- und Profilierungshintergrund nicht existieren.

Dennoch: „It`s a small world“, sagte W. Kristol bei seiner Charakterisierung der Welt des Neokonservatismus und seiner Allianzen (Hagan 2003). Und eben darin liegt auch ihre Schwäche: Ungeachtet ihres Aufstiegs zur Macht, ist sie verletzlich und nicht robust. Ihre Kultur ist aggressiv, aber nur begrenzt konsensfähig. Ihre Ausstattung ist vergleichsweise eher karg, sie hat offenbar noch kein aktivistisches Zentrum im amerikanischen Business gewonnen, sondern eher eine gewisse Duldung. Ihr Elitismus ist wenig souverän. Sie ist erst auf dem Weg.

Literatur

Bookman, J. (2002): The president`s real goal in Iraq. The Atlanta Hournal-Constitution v. 29. 9.2002.

Corey, Robin (2004): Conservatives after the Cold War. Boston Review 1/2004.

Frachon, Alain und Vernet, Daniel (2003): The Strategist and the Philosopher. Le Monde 15. 4. 2003.

Hagan, Joe (2003): President Bush`s Neoconservatives Were Spawned Right here in N.Y.C., New Home of the Right-Wing Gloat. New York Observer v. 28. 4. 2003.

Kagan, Robert (2002): Power and Weakness. Policy Review 113 (2002).

Kristol, William und Robert Kagan (1996): Toward a Neo-Reaganite Foreign Policy, in: Foreign Affairs 4, S. 18-32.

Mann, James (2004): Rise of the Vulcans: the history of Bush`s war cabinet. New York.

Murphey, Bruce (2003): Neoconservative clout seen in U.S. Iraq policy. Milwaukee Journal Sentinel v. 6. 4. 2003.

O`Keefe, Mark (2003): Foundation Excels at Fueling Conservative Agenda, Newhouse News Service v. 18.9.2003.

Rilling, Rainer (2004): Outbreak. Let`s take over. American Empire als Wille und Vorstellung. http://www.rainer-rilling.de/texte/ american%20empire. pdf

Sanders, Jerry (1983): Peddlers of Crisis: The Committee on the Present Danger and the Politics of Containment. Boston.

Anmerkungen

1) Vgl. www.newamericancentury.org

2) Siehe die Aufzählung der 95 Mitglieder des National Security Advisory Council des CSP und die Liste von NSAC-Mitgliedern, die der Bush-Administration angehören unter www.centerforsecuritypolicy.org

3) Enge Verbindungen zur Heritage-Stiftung haben u.a. Abrams, Bremer, Allen, Bennett, Decter, Meese, Mellon Scaife, Weyrich und Wolfowitz.

4) www.projecttransitionaldemocracy.org

5) Das 1943 gegründete AEI ist der mächtigste und ressourcenstärkste neokonservativ dominierte Think Tank in den USA. Mehr als zwei Dutzend AEI-Mitglieder sind unmittelbar oder über Beratungseinrichtungen in die Bush2-Regierung involviert, darunter Cheney, Bolton, Frum, Perle. Die personelle Überschneidung zwischen dem AEI und dem PNAC ist beträchtlich.

6) Vgl. dazu The Moscow Times v. 25.4.2003. Zum Führungskreis des US Committee for a Free Lebanon gehörten Abrams, Dobriansky, Feith, Gaffney, Kirkpatrick, Ledeen, Perle, Pipes, Rubin und Wurmser, der im September 2003 in den Stab Cheneys einrückte.

7) W. Kristol, der es wissen muss, zitiert nach Hagan 2003.

8) Zur Rolle dieser 2003 mit 535 Mio. $ ausgestatteten Stiftung, die in 18 Jahren bis 2003 über 500 Mio. $ an Förderungsgeldern ausgab und zusammen mit den Stiftungen der Koch-Familie und der Olin-Stiftung als mächtigste rechtsstehende US-Stiftung angesehen werden kann, siehe Murphey 2003, O`Keefe 2003. Seit 2002 wird die Stiftung von Grebe präsidiert, der früher Mitglied des Nationalkommittees der Republikaner war und einer der fünf Direktoren des Philanthropy Roundtable ist.

9) Zu den Stiftungen Richard Scaife Mellons s. die Washington Post vom 2.5.1999: „Scaife and his family‘s charitable entities have given at least $340 million to conservative causes and institutions – about $620 million in current dollars, adjusted for inflation. The total of Scaife‘s giving–to conservatives as well as many other beneficiaries – exceeds $600 million, or $1.4 billion in current dollars, much more than any previous estimate. (…) Scaife‘s philanthropy has had a disproportionate impact on the rise of the right, perhaps the biggest story in American politics in the last quarter of the 20th century.“

10) Siehe www.mediatransparency.org

11) S. NCRP Presseerklärung v. 12.3.2004, www.ncrp.org

12) Jerry M. Landay: The Apparat. Mediatransparency.org v. 18.3.2004.

Rainer Rilling ist wissenschaftlicher Referent im Bereich Politikanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung (Berlin) und apl. Prof. für Soziologie an der Universität Marburg