„I Still Wanted To Be A Generalist“

„I Still Wanted To Be A Generalist“

Ein Blick ins Innere des Council on Foreign Relations

von Hans Jürgen Krysmanski

„Die Vereinigten Staaten von Amerika können auf eine lange, erfolgreiche Geschichte ihres einzigartigen – und auf einzigartige Weise komplexen – Systems der außenpolitischen Praxis zurückblicken“, schreibt der Henry A. Kissinger Senior Fellow in U.S. Foreign Policy des Council on Foreign Relations, Walter Russell Mead, im Vorwort seines jüngsten, vielbeachteten Buches »Special Providence. American Foreign Policy and How It Changed the World«. Mead argumentiert darin, ‚,dass amerikanische Außenpolitik in den letzten zweihundert Jahren keineswegs chaotisch oder naiv oder eine Nebensache gewesen sei, wie etwa manche Europäer meinen, sondern erstaunlich konsistent und meist auf der Höhe der Zeit operierte.“ (Mead 2001, xviii)

Es lohnt, sich zunächst mit der Person Walter Russell Meads etwas eingehender beschäftigen. Er verkörpert nämlich eine Kultur der politischen Beratung, die weit über dem steht, was sich, zumindest in den Jahren der Blockbindung, in Ländern wie der BRD oder der DDR herausbilden konnte. Es ist zugleich ein Beratungsstil, wie er nur in einer hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaft möglich ist. Für all dies steht das Council on Foreign Relations (CFR), in das Mead 1999 kooptiert wurde. Diese noch immer einflussreichste policy planning group wurde 1921 mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller und Carnegie Stiftungen (und später der Ford Foundation) gegründet, um innerhalb der amerikanischen Eliten Konsens in außenpolitischen Fragen herzustellen (vgl. Dye 2002, 126 ff.). Mead beschreibt seine Tätigkeit im CFR als ein Leben „in der Gemeinschaft von Gelehrten, politischen Machern und brillanten Laien-Lesern und Laien-Denkern“ (!, Mead 2001, 355). Dabei ist die Erwähnung der beiden letzten Kategorien das Entscheidende. Denn mit den »Laien-Lesern und –Denkern« ist die eigentliche Klientel all dieser großen, enorm gut dotierten Beratungsinstitutionen, Think Tanks usw. gemeint: die Personen nämlich, die zum Establishment des großen Geldes gehören, das selten in voller Größe sichtbar wird in der Politik und Außenpolitik, um das sich aber natürlich alles dreht in dieser amerikanischen und globalen politischen Kultur.

Das CFR (vgl. vor allem Shoup u. Minter 1977) wird von einem 31 Mitglieder starken Board of Directors geleitet.1 Unter den rund 200 Mitarbeitern sind ca. 75 Fellows (Forscher). Finanziert wird das CFR aus Mitgliedsbeiträgen, Schenkungen, privaten und Stiftungsmitteln, Beiträgen aus der Konzernwelt und Einkünften aus dem eigenen Stiftungskapital. Das Gesamtbudget beträgt etwa 30 Millionen Dollar jährlich. Die Gruppe der Geldmächtigen ist denn auch im CFR, dessen Mitgliederzahl auf rund 4.000 Personen (mit langen Wartelisten) begrenzt ist, überproportional vertreten: zum einen durch Spitzenmanager aus Industrie und Finanzwelt (ca. 25%), zum anderen durch Stiftungsadministratoren (20%) und Rechtsanwälte (ca. 10%); dem stehen Wissenschaftler und Wissenschaftsadministratoren (ca. 21%), Regierungsoffizielle (ca. 14%) sowie Journalisten und Medienmanager (ca. 1%) gegenüber (vgl. Dye 2002, 126).

Orientierungsallegorien für die Geldmächtigen

Walter Russell Mead ist der Typ eines außenpolitischen Ratgebers, der perfekt in eine Beratungskultur passt, deren maßgebliche Kreise daran gewöhnt sind, alles kaufen zu können, insbesondere auch Stäbe von klugen, begabten Menschen, von Wissenschaftlern, Künstlern, Intellektuellen – und die zugleich ein feines Gespür, ja Verachtung für käufliche Charaktere entwickelt haben.2 Insofern besteht die Kunst einer Beraterkarriere, die Kunst des Aufstiegs an die Höfe der Geldmacht in der feinen Balance zwischen dem Wissen um die mäzenatischen Netzwerke und einer gewissen inneren Unabhängigkeit.

Ich lernte Walter Russell Mead 1993 kennen. Er hatte damals, als Mitarbeiter des World Policy Institute3, in einem Aufsatz voller Statistiken, Modelle und Trendanalysen zum amerikanisch-russischen Verhältnis den, wie sich zeigen sollte, außerordentlich medienwirksamen Gedanken formuliert, dass es doch für beide Seiten nur Vorteile brächte, wenn die USA den Russen Sibirien abkauften. Millionäre und Wall Street Broker wurden auf ihn aufmerksam. Mead war dem Establishment erstmals 1987 mit einem Büchlein über die Wandlungen des amerikanischen Imperiums, Mortal Splendor (Sterbliche, aber auch tödliche Pracht), aufgefallen und hatte seither gelegentlich Gutachteraufträge erhalten, war journalistisch für die »Los Angeles Times«, für Lifestyle-Magazine wie »Gentleman’s Quarterly« (GQ) usw. tätig gewesen, hatte für unterschiedliche Institutionen weltweit – als »außenpolitischer Kundschafter« – Informationsreisen unternommen und bei einer solcher Gelegenheit auch einmal den Hellespont durchschwommen, um Europa und Asien geo-spirituell miteinander zu verbinden.

Ich überredete Spiegel TV, über diesen seltsamen jungen Mann mit der – auch für deutsche Imperialisten – aufregenden Idee eine längere TV-Reportage zu machen. Mit einem Kamerateam begleitete ich Mead auf einer Erkundungsreise durch Sibirien (vgl. Krysmanski 2001, 37-55). Nach der Sibirienreise wurde die Idee im GQ-Magazin noch einmal ausgebreitet, sogar mit Landkarten, die Sibirien in sieben neue US-Bundesstaaten aufteilten, dann aber hatte für Mead der Spass ein Ende. Mead wurde Senior Contributing Editor des Börsenmagazins »Worth«, schrieb dort bemerkenswerte geopolitische Beiträge für Anleger, lieferte Artikel für »Esquire«, »The New York Times«, »International Herald Tribune«, »Wall Street Journal« und »The New Yorker«, forschte als President’s Fellow am World Policy Institute. Er ist zu einem rundum seriösen, führenden Interpreten der Geschichte der US-Außenpolitik und der Rolle Amerikas in der Welt geworden.4

Die Tugenden unbefangener Neugier und wohlverstandener Interessenvertretung, die Mead in seinen Anfängen charakterisierten, entfaltet er nun im Milieu des CFR. Das gilt sicher auch für die meisten der (insgesamt wenigen) übrigen kreativen Intellektuellen, die im CFR wirken dürfen. Generell bleibt festzuhalten, dass Beratungsinstitutionen wie das CFR so formidabel geworden sind, weil die eingekauften Geister sich in diesem eingegrenzten, exklusiven Milieu in relativer Freiheit in die Höhe und in die Tiefe entwickeln dürfen. Um die Qualität und Wirksamkeit solcher Institutionen zu verstehen, muss man sich deshalb auch mit der Elitensozialisation, genauer: mit der Sozialisation der Berater- und Experteneliten beschäftigen.

Soziales Kapital

Am Ende eines längeren Interviews an der University of California, in welchem Mead seinen Bildungsweg und die verschiedenen Spezialisierungen, die ihm offen standen, beschreibt, fällt der Satz: „I still wanted to be a generalist“ (Ich wollte immer ein Generalist bleiben). Er meint damit, dass der unbändige Drang in uns allen, Totalität, das »Weltsystem als solches« zu erkennen, zunächst in die »zweckfreie« Aneignung komplexer Allegorien und Metaphern aus Literatur, Kunst und Geschichte führen muss. Sein Subtext aber lautet: erst eine breite historische und literarische Fundierung von Urteilskraft ebnet den Weg in die engeren Beraterstäbe des heutigen Souveräns, an die Höfe der Geldmacht. Diese Einsicht zeichnet im Übrigen die US-amerikanischen Eliteuniversitäten und ähnlichen Bildungseinrichtungen seit langem aus.

Heute findet man nicht umsonst an vielen Orten Europas junge Amerikaner, deren stipendienausgestatteten Bildungsaufträge so lauten wie in einem mir bekannten Fall: Reise herum und beschäftige dich ein Jahr lang mit nichts anderem als dem Machtgedanken bei Friedrich Nietzsche und Max Weber; zum Schluss schreibe darüber ein kurzes Referat, aber nur wenn du Lust dazu hast. Neu gegründete Stiftungen wie die New America Foundation (s.u.) ebnen frischgebackenen »Generalisten« dann den Weg in die Medienwelt.

Doch der Weg in die Beratungskultur der Mächtigen – der nicht zu verwechseln ist mit der Sozialisation der Geldeliten selbst5 – ist noch viel komplizierter und beginnt in der Kindheit. Es sind immer auch Aufstiegsgeschichten aus unteren oder außenseiterischen Soziallagen, man denke an die Biografien von Henry Kissinger oder Zbigniew Brzezinski. Walter Russell Meads eigener Bericht über seine Schul- und Studienzeit ist hier besonders aufschlussreich:

„Mein Vater war Pfarrer der Episkopalischen Kirche …, dort sehr aktiv und marschierte mit Martin Luther King. Die Erfahrungen mit dem sozialen Wandel, der sich dort vollzog, so hautnah, haben mich zutiefst geprägt. Zu beobachten, wie in einer Gesellschaft, die fest daran glaubt, dass Rassentrennung das Richtige ist, Leute auf einmal ihre Meinung ändern und zu lernen beginnen – das hat mich seither begleitet. Mit dreizehn habe ich dann ein Stipendium für die Privatschule Groton 6 erhalten … Dann kam ich als Undergraduate an die Yale University. Auf diesem ganzen Bildungsweg hatte ich großartige Lehrer. Einer von ihnen hat mir in der siebten Klasse die Welt der Literatur erschlossen. Dann waren da in Groton zwei Geschichtslehrer. Doc Iron war schon der Lehrer von George Bundy gewesen … Acosta Nichols nahm, wenn eine bestimmte Geschichtsperiode dran war, in welcher die Eltern eines der Jungen ihren Reichtum angesammelt hatten, oft auf ziemlich zwielichtige Weise, den betreffenden Jungen beiseite und sagte: »Well, jetzt will ich dir einmal erklären, wie ihr zu eurem Geld gekommen seid. Viele Leute haben sich über die Kriegsprofiteure im Ersten Weltkrieg beschwert, und …«. In Yale habe ich dann viele Kurse in Geschichte und Amerikastudien belegt, aber eigentlich wollte ich nur Literatur lesen. Ich bin noch immer Mitglied in Lektüregruppen, wo wir gemeinsam Romane lesen … Ich glaube, nur wenn man die Dichtung einer Kultur, die Sprache einer Gesellschaft versteht, gewinnt man Einsicht in die »innere Landschaft« (inscape) einer Kultur oder eines Volkes. Vielen Leute auf dem Gebiet der Außenpolitik, die nur akademische Politikwissenschaft studiert haben, fehlt ein Gefühl für die wahre Realität eines Volkes oder einer Kultur. Seit ich beim CFR bin, haben wir begonnen, unsere Mitarbeiter rüber ins Metropolitan Museum of Art zu führen usw. Ich bin während des Vietnamkriegs aufgewachsen … und die Eltern vieler meiner Freunde spielten in diesem Krieg bedeutende Rollen. Ich erfuhr also auf negative Weise, wie wichtig Außenpolitik ist und was alles Schreckliche passieren kann, wenn die Dinge schief laufen. Deshalb wollte ich lange nichts von Außenpolitik wissen. Ich habe mich sozusagen rumgetrieben, alles Mögliche gemacht. Die Fortsetzung des Universitätsstudiums war nichts für mich. Ich wollte immer noch ein Generalist sein und Literatur lesen. Aber die möchten aus dir das Mitglied einer Profession machen …“7

Ein Think Tank für Laien-Denker

Nun also ist Mead einer der wichtigsten Intellektuellen des CFR. Schon sein erstes, 1987 erschienenes Buch, »Mortal Splendor: The American Empire in Transition«, hielt die »New York Times« für eine Muss-Lektüre für alle Präsidentschaftskandidaten und ihre Stäbe. Seine generalistische Expertise erstreckt sich nicht nur auf US-Außenpolitik im Allgemeinen und internationale politische Ökonomie im Besonderen, sondern auch auf das spezielle »Problem« Kuba, zu dem das CFR unter Meads Leitung eine bemerkenswerte Denkschrift vorgelegt hat. Außerordentlich umfangreich ist seine journalistisch-publizistische Tätigkeit geblieben. In gewisser Weise hat er schon jetzt dazu beigetragen, das alte CFR in das neue Medienzeitalter hinüber zu steuern.

Wie überhaupt hat sich das Council on Foreign Relations im letzten Jahrzehnt entwickelt? Aus den vielen US-amerikanischen Policy Planning Organizations und Think Tanks heben sich unter Machtgesichtspunkten neben dem Council on Foreign Relations noch immer die Trilaterale Kommission, das Committee for Economic Development, der Business Roundtable, die Brookings Institution, das American Enterprise Institute und die Heritage Foundation hervor. In diesen Organisationen werden die Mechanismen amerikanischer Politik koordiniert. In ihnen kommen Leute aus der Welt der Finanzen und der Konzerne, aus den Universitäten, den Medien, großen Rechtsanwaltskanzleien und aus dem Regierungsapparat zusammen und entwickeln Politiken und Programme, die dann dem Kongress, dem Präsidenten und schließlich der Öffentlichkeit unterbreitet werden. Das CFR beschreibt sich selbst als ein einmaliges Forum, das führende Menschen aus der akademischen, öffentlichen und »privaten« Welt zusammenbringt. Das CFR ist, wie gesagt, dazu bestimmt, unter den Eliten Konsens hinsichtlich außenpolitischer Fragen herzustellen. Neue außenpolitische Strategien werden initiiert, indem in einem ersten Schritt Wissenschaftler mit der Untersuchung bestimmter Fragen beauftragt werden. Die Ergebnisse werden sodann innerhalb des CFR in Seminaren und anderen Diskussionszusammenhängen unter Beteiligung von CFR-Mitgliedern, Spitzenpolitikern und führenden Regierungspolitikern evaluiert.

Das CFR gibt die Zeitschrift »Foreign Affairs« heraus, die lange Jahre als das inoffizielle Sprachrohr der amerikanischen Außenpolitik galt. Es gibt wenige wichtige Initiativen der US-Außenpolitik, die nicht zuerst in Artikeln dieser Publikation erörtert wurden. Die Liste früherer Mitglieder des CFR enthält sämtliche Personen, die in der amerikanischen Außenpolitik über Einfluss verfügten: von Elihu Root, Henry Stimson, John Foster Dulles, Dean Acheson, Robert Lovett, George F. Kennan, Averill Harriman und Dean Rusk bis zu Henry Kissinger, Cyrus Vance, Alexander Haig, George Schultz und dem früheren Präsidenten George Bush. Fast zwei Jahrzehnte lang war David Rockefeller, Chef der Chase Manhattan Bank, Vorsitzender des CFR. Gerade an dieser Person lässt sich zeigen, wie internationale Bank- und Investitionsaktivitäten sich nahtlos mit dem außenpolitischen Know-how des CFR verbinden (Dye 2002. 127 f.). Das Board of Directors des CFR stellte immer eine Konzentration von Macht und Einfluss dar, seine Zusammensetzung war und ist ein Paradebeispiel für das Prinzip der »interlocking directorates«, durch welches die Interessen des großen Geldes (das sich selbst als »Privatsektor« beschreibt) in die öffentlichen und akademischen Sphären hineingetragen werden.

Die soziale, informelle Verflechtung dieser Kreise wird deutlich, wenn man sich einige der wichtigsten Mitglieder dieses Aufsichtsrats und ihre Funktionen vor Augen führt: Peter G. Peterson, der jetzige Vorsitzende des CFR, ist ein früherer Chief Executive Officer der führenden Wall Street Investitionsfirma Lehman Brothers, außerdem war er Aufsichtsratsvorsitzender von Bell and Howell Co. sowie Handelsminister unter Richard Nixon, außerdem Direktor der Minnesota Mining & Mfg. Co., von General Foods und des Rockefeller Center und schließlich im Verwaltungsrat des Committee on Economic Development und des Museum of Modern Art. Cyrus R. Vance war Außenminister unter Jimmy Carter, Aufsichtsratsvorsitzender der Rockefeller Foundation und Senior Partner in der angesehenen Wall Street Rechtsanwaltfirma Simpson, Thacher & Bartlett. Lewis V. Gerstner, Jr. fungiert als Chairman und CEO von IBM und als ein Direktor von Bristol-Myers Squibb; er war außerdem Chairman und CEO von RJR-Nabisco und ist Mitglied des Business Roundtable, sitzt im Verwaltungsrat der New York Public Library und ist Regent der Smithsonian Institution. Carla A. Hills war unter George Bush Senior Hauptunterhändlerin für Handelsfragen und unter Gerald Ford Ministerin für Wohnungswesen und Stadtentwicklung, außerdem Direktorin bei IBM, Corning Glass, American Airlines und Chevron. Paul A. Volcker war Chairman des Federal Reserve Board. Diane Sawyer ist eine bekannte Fernsehjournalistin für ABC News. Paul A. Allaire ist Chairman und CEO von Xerox und ein Direktor von Sara Lee, J.P. Morgan, Smith Kline Beecham, Lucent Technologies und der Ford Foundation.

Hier wie in der gesamten Strukturschicht, in welcher der Einfluss der Geldmächtigen organisiert wird, spielt das Prinzip der »interlocking directorates« eine entscheidende Rolle. Dieses Vernetzen und Verweben von Positionsbesetzungen in der Industrie, in der Finanz, in kulturellen Einrichtungen und natürlich im Beratungs- und Strategieentwicklungswesen bildet sich dann auch dort ab, wo, wie etwa im CFR, nun tatsächlich Denkanstrengungen unternommen und Handlungskonzepte entworfen werden. Die Umstände und Kontexte, unter denen Meads letztes Buch entstand, bilden hier interessantes Anschauungsmaterial.

Die Genese eines Fürstenspiegels: Special Providence

Walter Russell Meads Buch »Special Providence. American Foreign Policy and How It Changed the World« erschien im September 2001, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für einen Text, der sich mit historischem Blick den Grundzügen amerikanischer Außenpolitik zuwendet. Was ohne Frage auch als ein Lehrstück des CFR für die Bush-Administration gedacht war, ging in den Aufgeregtheiten nach dem 11. September unter und hat auf die Berater dieser Regierung sicher bis heute keinen Eindruck mehr gemacht. Dabei hatte Mead versucht, das Zusammenspiel unterschiedlicher außenpolitischer Sichtweisen, die sich in der amerikanischen Geschichte immer wieder abgelöst oder auch verwoben haben, darzustellen und damit den neokonservativen Extremismus, den er auf Andrew Jackson zurückführte, zu relativieren. Zu diesem Zweck hatte Mead auf lebendige Denktraditionen verwiesen, die sich mit der Außenpolitik weiterer Präsidenten verbinden lassen: Alexander Hamilton, Woodrow Wilson, Thomas Jefferson und Andrew Jackson.

Entstehung des Buchs

Mead beschreibt den langen Entstehungsprozess, der fast dem eines literarischen Werkes gleicht. Verschiedene Institutionen wie das World Policy Institute und unterschiedliche Geldgeber finanzierten die jahrelangen Recherchen, bis es ihm ermöglicht wurde, „das Leben der CFR-Gemeinschaft zu teilen“ und dort „von talentierten und hingebungsvollen jungen Profis“ und vor allem vom „unschätzbaren Bibliothekspersonal des CFR“ Unterstützung zu erfahren. Entscheidend aber war in der Endphase, dass er immer wieder Kapitelentwürfe Studiengruppen in New York, Washington und Los Angeles vorlegen konnte, die von einigen der „formidabelsten und erfahrensten Frauen und Männern auf dem Feld amerikanischer Geschichte und Außenpolitik“ besucht wurden, darunter z.B. Arthur Schlesinger, Jr. Außerdem war innerhalb des CFR für die Fertigstellung des Buchs eine »Schatten-Studiengruppe« gebildet worden. Zudem gab es Versuchsveröffentlichungen, beispielsweise des Jackson-Kapitels im ultrarechten Leitmagazin »The National Interest«, dessen Leserschaft, so Mead, auf die Darstellung des »Jacksonismus« enthusiastisch reagierte.

Vier außenpolitische Denktraditionen

Meads Stil hat hohe literarische Qualität und ist in seiner Klarheit, seinem Metaphernreichtum und nicht zuletzt wegen seines Rekurses auf kulturelle Traditionen perfekt auf den Denkhabitus seiner primären Klientel, des amerikanischen Establishments, abgestimmt. Diese Schicht eines kulturell ausgestalteten, d.h. sowohl der Massenkultur als auch der Hochkultur zugewandten Reichtums, diese Schicht des »alten Geldes« sitzt noch immer an den Schalthebeln der amerikanischen Machtstrukturen und umfasst das Bush-Lager ebenso wie das Kerry-Lager. Diese Spannweite – und diese Spannungen – versucht Mead mit seinem Modell der verschiedenen Varianten »amerikanischer Vorsehung« einzufangen:

„Die Hamilton-Schule hält eine starke Allianz zwischen Nationalregierung und Big Business für den Schlüssel zu innerer Stabilität und zu effektiver äußerer Aktion; sie hat sich immer auf das Bedürfnis der Nation konzentriert, zu vorteilhaften Bedingungen in die globale Ökonomie integriert zu werden. Die Wilson-Schule glaubt, dass die Vereinigten Staaten sowohl die moralische Pflicht als auch ein tiefes nationales Interesse haben, amerikanische demokratische und soziale Werte über die Welt zu verbreiten und dadurch eine friedliche internationale Gemeinschaft zu schaffen, welche die Herrschaft des Rechts akzeptiert. Die Jefferson-Schule meint, dass die amerikanische Außenpolitik sich weniger um die Verbreitung der Demokratie im Ausland und mehr um deren Sicherung zuhause kümmern sollte. Diese Schule stand den politischen Ansichten der Hamilton- und Wilson-Schule historisch immer skeptisch gegenüber, denn diese hatten die Vereinigten Staaten schließlich mit unappetitlichen ausländischen Alliierten in Verbindung gebracht und das Kriegsrisiko erhöht. Schließlich gibt es eine breite populistische Richtung, die ich die Jackson-Schule nenne, die glaubt, dass das wichtigste Ziel jeder US-Regierung sein muss, sowohl zuhause wie im Ausland für die physische Sicherheit und das ökonomische Wohlergehen des amerikanischen Volkes zu sorgen. »Hüte dich, auf mich zu treten!« warnte die Klapperschlange auf der Kriegsflagge der amerikanischen Revolution. Die Jackson-Schule glaubt, dass die Vereinigten Staaten nicht von sich aus Streit mit anderen Ländern suchen sollten. Wenn aber andere Nationen die USA angreifen, dann gilt für sie der Satz von General Douglas McArthur: »Zum Sieg gibt es keine Alternative«.“ (Mead 2001, xvii)

Das Unterstützerfeld

Die Danksagungen zu diesem Buch gestaltet Mead umfangreich, genau und die eigene »Karriere« reflektierend. Wenn er zunächst andeutet, dass das Buch im Wesentlichen durch Richard C. Leone und den Aufsichtsrat der Century Foundation (früher Twentieth Century Fund) gefördert wurde, so bringt er mit dem CFR-Mitglied Leone einen »Laien-Denker« ins Spiel, der in New York/New Jersey eine wichtige politische Figur war und ist (z.B. früherer Vorsitzender der Port Authority of New York and New Jersey sowie Finanzminister des Bundesstaates New Jersey), der aber zugleich als wirkungsvoller Publizist für die »New York Times«, die »Washington Pos«t, die »Los Angeles Times«, »Foreign Affair«s und »The Nation« geschrieben hat. Außerdem war Leone Präsident des New York Mercantile Exchange und ist managing director einer großen Investment-Firma, Dillon Read and Co. Diese soziale Durchmischung, diese Vernetztheit individueller Aktivitäten ist typisch für die Macht- und Geldeliten der USA und praktisch einzigartig im internationalen Vergleich. Eine zweite Figur diesen Zuschnitts ist Leslie Gelb, Ex-Präsident des CFR, der Mead – was eine ungewöhnliche Ehre ist – bereits 1997 einlud, Mitglied des CFR zu werden. Gelb war zu diesem Zeitpunkt zugleich in den Verwaltungsräten des Carnegie Endowment for International Peace, der Tufts University, der School of International and Public Affairs der Columbia University, des Center on Press, Politics and Public Policy der John F. Kennedy School of Government an der Harvard University usw. Zuvor hatte Gelb eine Karriere in der »New York Times« hinter sich gebracht, war einer der stellvertretenden Chefredakteure und gehörte zum Elite-Kreis der Kolumnisten dort. Auch war er in den 80ern Korrespondent von The Times in nationalen Sicherheitsfragen und davor in verschiedenen Regierungsämtern, darunter Berater des German Marshall Fund und Staatssekretär im Außenministerium unter Jimmy Carter. Und noch früher, in den 60ern (diese Schicht wird aktiv alt), war Gelb in der Planungsabteilung des Pentagon tätig und hatte unter anderem das Pentagon Papers Project geleitet.

Besonders aufschlussreich ist schließlich Meads Erwähnung einer Gruppe von Geldgebern, die im Kontext des CFR sein Gehalt und die Recherchekosten getragen haben (Mead 2001, 355). Wir blicken hier auf Partien eines Netzwerks, für dessen Untersuchung die Methoden und Instrumente des Power Structure Research entwickelt werden, wie sie mit Initiativen und Projekten wie Namebase, dem Government Information Awareness Project des MIT, They Rule usw. verbunden sind.

Die von Mead genannten finanziellen Unterstützer repräsentieren das Kraftfeld der Hamiltonians, Wilsonians, Jeffersonians und Jacksonians dort, wo es in der Gegenwart vermutlich am innigsten mit Geldmacht verwoben ist, nämlich im privaten Investment- und Finanzsektor, der inzwischen die Habitate des Establishments mehr als jeder andere prägt. Das jeweilige Ausmaß der finanziellen Zuwendungen seitens der von Mead genannten Personen lässt sich selbstverständlich nicht ermitteln, doch dass er sie für erwähnenswert hält, schließt ein Netzwerk auf, von dessen Existenz sonst wenig an die Öffentlichkeit dringt. Da ist zum Beispiel Allen R. Adler, der sich jetzt »Privatinvestor« nennt, früher aber Manager bei Columbia Pictures Industries und Paribas North America war und außerdem in den Aufsichtsräten des Simon Wiesenthal Center und des World Policy Institute sitzt; oder Frank W. Hoch von Brown Brothers Harriman & Co., einer Investmentfirma, die ungefähr 35 Mrd. Dollar verwaltet oder Robert Rosenkranz, Chief Executive Officer und später Chairman der Delphi Financial Group, Inc. Einen anderen Typus stellt Stanley S. Arkin dar, der seit 1968 Chef einer der innovativsten und effektivsten Wall Street Rechtsanwaltsfirmen ist, die sich vor allem, wie sie selber verkündet, mit der Investigation und Verfahrensführung besonders komplexer, ungewöhnlicher und sensibler Fälle hervorgetan hat. Daneben treten Mäzene wie Robert J. Chaves, Kimball Chen, Mary van Evera, Joachim Gfoeller Jr., John H.J. Guth, Frank W. Hoch und Winthrop R. Munyan auf, über die nach einer ersten Recherche wenig zu berichten ist, außer, dass sie auf vielen Spenderlisten im Milieu von Wissenschaft und Kunst auftauchen. Ganz anders ist es mit John H. Gutfreund und seiner Gutfreund Foundation bestellt. Gutfreund ist eine der zentralen Figuren der New Yorker Finpols, wie Ferdinand Lundberg (1968) die finanzpolitische Fraktion der Machteliten nennt. Erwähnenswert sind noch J. Tomilson Hill – Direktor der Blackstone Group L.P., innerhalb des CFR zuständig für Finanz- und Investitionsfragen und außerhalb in den Aufsichtsräten des Lincoln Center Theater, der Nightingale-Bamford School, der Milton Academy usw. – sowie Robert M. McKinney (1910-2001), Herausgeber der Zeitung New Mexican (Santa Fe), unter John F. Kennedy US-Botschafter in der Schweiz und laut Namebase, natürlich auch auf Grund seines Alters, eine der am stärksten vernetzten Figuren aus Meads Entourage.

Neue Zeiten für Generalisten

Die Beratungseliten wachsen nach, Mead hat sich auch dieser Aufgabe angenommen. Als Mitgründer der New America Foundation hilft er junge Generalisten auf den Weg in die elite media zu bringen, in jenen neuartigen Verständigungsraum der verschiedenen Gruppen der Machteliten und ihrer Hilfsklassen, wo mittels eigener medialer Netze Agenden bestimmt und Denk- und Wahrnehmungsmuster der Bevölkerung vorgeprägt werden (vgl. Chomsky 1969/2002; Herman u. Chomsky 1988). Wie man in diesem Raum der elite media Ratschläge formuliert und platziert, versteht Mead wie kaum ein anderer. The New America Foundation, die 1999 aus der Taufe gehoben wurde, ist inzwischen der „heißeste liberale Think Tank der ganzen Nachbarschaft. Mit einem Budget von jährlich nur 4 Millionen Dollar ist er in kürzester Zeit zu einem major player geworden.“8 Von den dort geförderten jungen Denkern – nur 20 Fellowships, auf jede freiwerdende Stelle gibt es 400 Bewerbungen – brachten es gleich drei auf eine Liste des »Esquire« Magazins von „Leuten und Ideen, die unser Leben künftig verändern werden“.9 Das Neue an dieser Stiftung ist, dass ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter (Fellows) gehalten sind, ihre Berichte und Abhandlungen nicht in den Schubladen irgendeines Senators oder Kongressabgeordneten verschwinden zu lassen, sondern auf den Meinungsseiten der nationalen Presse zu veröffentlichen. Zu diesem Zweck gibt es beispielsweise Vereinbarungen mit dem Magazin »Atlantic Monthly«, die Fellows gestatten, im Jahr 15 Artikel, einschließlich einer jährlichen cover story, zu publizieren. Manche sagen, The New American Foundation sei inzwischen von der Kerry-Kampagne vereinnahmt worden. Konzept und Perspektiven reichen aber weit über einen solchen unmittelbaren Zweck hinaus.

Die amerikanischen Generalisten bilden sich weiter, sie geben ihren superreichen Laien-Lesern Stoff zum Denken, sie bilden sich, bevor sie sich an jenen Höfen versammeln, unauffällig auf globalen Pfaden weiter, sie lesen Nietzsche und Max Weber, Luhmann und Habermas, Hardt und Negri – sie treffen sich mit Studenten in Wladiwostok und Riga, Caracas und Havanna, sie sind die wandernden Scholaren der Gegenwart, nett und bescheiden, fleißig und belesen – und wenn sie es auch nur in diesem umfassenden, generalistischen Sinne sind, so ist es doch gut so. Nur: es wäre ganz schön, gäbe es solche Denkräume auch noch woanders, gefördert von anderen Personen, die der Danksagung wert wären – jedenfalls, so lange es keine Alternative zu dieser Privatisierung des Wissens und der Macht zu geben scheint.

Literatur

Chomsky, N. (1969): American Power and the New Mandarins, New York 2002.

Dye, Th. R. (2002): Who’s Running America?, Seventh Edition, Prentice Hall.

Herman, E. S. u. N. Chomsky (1988): Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media, New York.

Krysmanski, H. J. (2001): Popular Science. Medien, Wissenschaft und Macht in der Postmoderne, Münster.

Mead, W. R.(2001): Special Providence: American Foreign Policy and How it Changed the World, New York.

Shoup, L. u. W. Minter (1977): Imperial Brain Trust: The Council on Foreign Relations and Foreign Policy, New York.

Anmerkungen

1) Angaben zur Zusammensetzung der Steuerungsgremien, einschließlich des International Advisory Board (u.a. mit den deutschen Mitgliedern Otto Graf Lambsdorf und Horst Teltschik), sind über die CFR-Website leicht zu eruieren: www.cfr.org

2) So schreibt Robert Scheer in einem Playboy-Interview über Nelson Rockefeller: „Rockefeller sagt von Henry (Kissinger), er sei klug, so wie man von einer Frau sagt, sie habe einen hübschen Hintern – es ist ein nützliches Attribut, es regt einen sogar an, aber es ist käuflich.“ (Playboy, April 1976)

3) einem kleinen linksliberalen, später mit der New School for Social Research verbundenen Think Tank

4) vgl. http://www.cfr.org/bio.php?id=3495

5) dazu z.B. die docu-fiction Die Tagebücher einer Nanny von Emma McLaughlin u. Nicola Kraus, München 2003

6) Groton hatte schon Franklin D. Roosevelt geprägt

7) vgl. http://globetrotter.berkeley.edu/people3/Mead/mead-con0.html

8) The Washington Post, Nov. 25, 2002, 3

9) Esquire, Nov. 2002

Dr. Hans Jürgen Krysmanski, em. Professor für Soziologie an der Universität Münster

John Kerry: Ein liberaler Falke?

John Kerry: Ein liberaler Falke?

Anmerkungen zur künftigen demokratischen Außenpolitik

von Jürgen Wagner

Bush bedeutet Krieg, Kerry Frieden. Auf diese Formel reduzieren viele in den USA, aber auch in Europa, die außenpolitische Programmatik der beiden Kontrahenten. Das geht sogar soweit, dass der amerikanische Philosoph Richard Rorty all diejenigen, die nicht bereit sind die Wahl Kerrys bedingungslos zu unterstützen, beschuldigt, sie würden verhindern, dass Amerika zu den friedfertigen Wurzeln seiner Außenpolitik zurückkehren könne. Und der Militärexperte und Bush-Kritiker Andrew J. Bacevich bezeichnet die anstehenden Wahlen gar als „ein Referendum gegen das Empire.“1 Doch wie berechtigt ist die Hoffnung auf eine gemäßigte amerikanische Außenpolitik unter Kerry? Jürgen Wagner über die außenpolitischen Vorstellungen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten und seiner Think Tanks.

Kommt es unter einem demokratischen Präsidenten Kerry zu einer Abkehr von der aggressiven Außenpolitik eines George W. Bush? Allen, die auf einen Wandel in Ziel und Substanz – und nicht nur in Stil und Methode – gehofft hatten, verpasste Randy Beers, Kerrys designierter nationaler Sicherheitsberater, einen Dämpfer: „Der Großteil amerikanischer Außenpolitik ist überparteilich. Die Ziele stehen meist nicht zur Debatte; es geht um den Stil, die Art und Weise wie wir diese erreichen.“2 Für den Journalisten John Pilger ist es dann auch nur „ein Mythos …, dass John Kerry über ein anderes Weltbild verfügt als George W. Bush.“3

Da Kerrys Aussagen bezüglich seiner Außenpolitik eher schwammig und diese während des Wahlkampfes ohnehin mit Vorsicht zu genießen sind, lohnt sich ein Blick auf das Umfeld des demokratischen Präsidentschaftskandidaten, insbesondere auf die Vorstellungen der so genannten »Neuen Demokraten«, denen Kerry zuzurechnen ist.

Die »Neuen Demokraten« und der Democratic Leadership Council

Die beiden großen amerikanischen Parteien teilen sich bezüglich ihrer außenpolitischen Programmatik grob gesagt jeweils in zwei Hälften.

Innerhalb der Republikaner gibt es den Flügel der Konservativen bzw. der Realisten, die für die strikte und eng gefasste Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik an den nationalen Interessen eintreten und die eher selten für den Einsatz militärischer Gewalt plädieren. Dem gegenüber stehen die Neokonservativen, die die derzeitige Außenpolitik eindeutig dominieren und für die militärische Interventionen ein probates Mittel zur Bewahrung der amerikanischen Hegemonialposition sowie zur Verbreitung amerikanischer Werte darstellen.

Die Demokraten waren historisch gesehen dem Einsatz militärischer Gewalt alles andere als abgeneigt. Nach dem Trauma von Vietnam bildete sich innerparteilich jedoch ein starker, militärischen Interventionen kritisch gegenüberstehender Flügel heraus. Dies haftet der Partei heute noch vielfach als »Makel« an: „Die Linke gilt den meisten Amerikanern in Kriegsdingen als unzuverlässig, seit sie 1972 mit George S. McGovern einen Vietnam-Gegner nominierte. Das Image von Friedensträumern ist sie nie wieder losgeworden, und Präsidenten hat sie nur noch im Frieden gestellt.“4

Dagegen sehen sich die so genannten Neuen Demokraten in der Tradition Woodrow Wilsons und Harry S. Trumans. Sie treten für eine offensiv ausgerichtete Außenpolitik ein und versuchen hiermit, das Image der Antikriegspartei abzustreifen. Diese Spaltung trat zuletzt bei der Abstimmung zum Irakkrieg offen zutage: „Es ist zentral sich daran zu erinnern, dass die Demokraten in der Frage, dem Präsidenten die Befugnis zu erteilen Krieg gegen den Irak zu führen, exakt in der Mitte gespalten waren. Diese Spaltung spiegelt die fundamentalen außenpolitischen Differenzen zwischen »Neuen Demokraten« – der ehemalige Präsident Clinton, der designierte Außenminister Richard Holbrooke und Kerry selbst – und Demokraten der alten McGovernschen Schule, vertreten von Howard Dean und dem Außenseiter Ralph Nader, wieder.“5

Sammelbecken und Koordinationszentrum dieser »Neuen Demokraten« ist der Democratic Leadership Council (DLC) sowie der dazugehörige Think Tank, das Progressive Policy Institute (PPI). Für dessen Vorsitzenden, Will Marshall, gleichzeitig Mitbegründer des DLC, sind die Positionen der beiden demokratischen Flügel prinzipiell unvereinbar: „Es gibt immer noch ungelöste Fragen die durch die Luft schwirren: Grundsätzlich geht es darum, ob die Demokraten die Antikriegspartei – die McGovern Partei – sind, oder sind sie die Partei des muskulösen Internationalismus eines John F. Kennedy oder Harry S. Truman.“6 Die »Neuen Demokraten« beziehen diesbezüglich eindeutig Stellung, denn seit seiner Gründung im Jahr 1988 „setzt sich der DLC für eine wirtschaftsfreundliche und militaristische demokratische Partei ein – eine, die der Vergangenheit, repräsentiert durch die Achse McGovern-Mondale-Dukakis, entsagt.“7 Mit seinem Programm des »Progressiven Internationalismus« plädiert der DLC für einen „klügeren Imperialismus“, den er gegen die Bush Administration in Stellung bringt, während gleichzeitig die kriegskritischen Kräfte in den eigenen Reihen vollständig marginalisiert werden sollen. „Es ist ein Konzept, das von Demokraten des Establishments ausgeheckt wurde, um mögliche Unterstützer in der wirtschaftlichen und politischen Welt davon zu überzeugen, dass sie Amerikas Macht und Einfluss in der Welt erhalten werden, falls sie ins Weiße Haus einziehen, allerdings auf eine freundlichere, klügere Art und Weise als die gegenwärtige Regierung.“8

Die Demokratische Nationale Sicherheitsstrategie

Das bei weitem wichtigste und aufschlussreichste Dokument der »Neuen Demokraten« ist die vom Progressive Policy Institute im Auftrag des DLC verfasste Demokratische Sicherheitsstrategie (DSS) mit dem Titel »Progressive Internationalism: A Democratic National Security Strategy«9. Hierbei dürfte es sich um die Blaupause der künftigen demokratischen Außenpolitik handeln. Die Autoren der DSS stammen aus dem innersten Führungszirkel der »Neuen Demokraten«, viele von ihnen werden schon jetzt als sichere Kandidaten für hohe Posten innerhalb einer Kerry-Administration gehandelt. Beteiligt waren unter anderem Ronald D. Asmus, der sich für eine gewaltsame Transformation des Mittleren Ostens einsetzt; Michael McFaul, der eine »Freiheitsdoktrin« militärisch herbeizuführender Regimewechsel autokratisch regierter Staaten fordert; sowie Kenneth M. Pollack, der mit seinen flammenden Appellen für den Angriffskrieg auf den Irak demokratische Schützenhilfe für die neokonservativen Hardliner leistete.10 Des Weiteren wirkten noch andere prominente Demokraten wie Kurt Campbell, Philip H. Gordon, Bob Kerrey und natürlich auch Will Marshall mit, deren Positionen allesamt weit radikaler und militaristischer sind als die der demokratischen Mehrheit. Dass Kerry in seinem Wahlkampf-Buch »A Call to Service: My Vision for a Better America«, weitgehend, zum Teil sogar wörtlich, die Formulierungen der DSS übernimmt, zeigt den außerordentlichen Einfluss des DLC und seiner Programmatik auf dessen künftige Außenpolitik.11

Die DSS (S. 6) bestätigt die Übereinstimmung mit den Republikanern, wenn es um die Bewahrung der amerikanischen Hegemonialposition geht: „Demokraten glauben, dass eine entschiedene US-Führerschaft wesentlich dafür ist, eine Welt im Einklang mit unseren Interessen und Werten zu formen.“ Auch die Mittel hierfür sind Bush-kompatibel: „Die Demokraten werden die technisch fortschrittlichste und fähigste Arme erhalten und wir werden nicht davor zurückschrecken sie zur Verteidigung unserer Interessen überall in der Welt einzusetzen.“ (DSS: S. 5) Zwar kritisiert die DSS (S. 9) die Entscheidung der Regierung Bush, die Präemption „von einer Option, die jeder amerikanische Präsident sich im Stillen offen gehalten hat, zu einer erklärten nationalen Sicherheitsdoktrin erhoben zu haben, die Freunde wie Feinde erschreckt“, eine Absage an solche Militäraktionen gibt es jedoch nicht. Im Gegenteil, Kerry betonte mehrfach, Präemption werde auch integraler Bestandteil seiner Außenpolitik sein.12

Die militärische Absicherung neoliberaler Globalisierung

Völlige Übereinstimmung zwischen Bush und Kerry herrscht hinsichtlich der Bedrohungsanalyse und ihren sicherheitspolitischen Schlussfolgerungen. Die größte Gefahr gehe von einem „gefährlichen Nexus aus Terrorismus, fehlgeschlagenen Staaten, Schurkenstaaten und Massenvernichtungsmitteln“ aus, so die DSS (S. 12).

Diese Bedrohungsanalyse ist auch Grundlage der derzeitigen US-Sicherheitspolitik, die wesentlich auf den Analysen des Pentagon-Beraters und langjährigen Demokraten, Thomas P. Barnett, beruht. Für ihn bedeutet Sicherheitspolitik im Zeitalter der Globalisierung, diesem »Gefahrennexus«, der interessanterweise ausschließlich in Ländern auftritt, die sich westlichen Ordnungsvorstellungen – „Demokratie und freien Märkten“ – widersetzen, frühzeitig militärisch zu begegnen. Gerade aus den Erfahrungen des 11. Septembers leitet Barnett die Notwendigkeit und das Recht ab, Staaten der »Nichtintegrierten Lücke«, die sich nicht in das Schema neoliberaler Globalisierung einpassen (lassen), zur vorbeugenden Gefahrenabwehr mit militärischen Mitteln in die bevorzugte Weltwirtschaftsordnung einzugliedern. „Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele Globalisierungsfortschritte zurück, besteht eine ungleich höhere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen entsenden werden. […] Umgekehrt gilt: Funktioniert ein Land halbwegs im Rahmen der Globalisierung, dann sehen wir in der Regel keine Veranlassung, unsere Truppen zu schicken, um für Ordnung zu sorgen, oder eine Bedrohung zu beseitigen.“13

Auch für die DSS (S. 6) hat die Verbreitung des Neoliberalismus Priorität: „Amerika hat ein vitales Interesse daran, ein regel-basiertes System weltweiten Handels auszuweiten. […] Darum befürworten wir lebhafte, unternehmerische Märkte, Freihandel und aktives Regieren um ehrlichen Wettbewerb zu gewährleisten.“ Dass das Militär integraler Bestandteil dieser Strategie ist, vertritt auch Will Marshall: „Mit dem Argument, dass Staaten mit verantwortlichen Regierungen weniger wahrscheinlich innenpolitische Gewalt oder externe Aggression schüren, haben die Demokraten die Erweiterung der Gemeinschaft der Demokratien zu einem »strategischen Imperativ« erhoben. […] Die Demokraten sollten eine ambitionierte Strategie entwickeln, die unser Militär transformiert um besser den Terrorismus bekämpfen und Proliferation verhindern zu können und die die Märkte im gesamten Großraum des Mittleren Ostens öffnet.“14 Gegenwärtig wird bereits das amerikanische Militär auf Grundlage von Barnetts Bedrohungsanalyse umstrukturiert. Es soll künftig als »Systemadministrator«, das neoliberale Wirtschaftsmodell gegen die von ihm selbst permanent produzierten Krisen und Konflikte absichern.

Die Transformation des Mittleren Ostens

Die DSS legt ebenso wie Kerry großen Wert darauf, die amerikanische Abhängigkeit vom Persischen Golf zu reduzieren: „Unser Energieplan für ein stärkeres Amerika wird in neue Technologien investieren, […] so dass kein junger Amerikaner in Uniform jemals Geisel unserer Abhängigkeit vom Öl des Mittleren Ostens werden wird.“15 Da allerdings selbst mit äußerster Anstrengung eine wirkliche Alternative erst in zehn bis 15 Jahren verfügbar wäre, scheinen sich auch die »Neuen Demokraten« keinen Illusionen hinzugeben, auf die Kontrolle der Region künftig verzichten zu können. Umso mehr, da Kerry es geflissentlich vermeidet, eines der Hauptprobleme anzusprechen: Amerikas horrenden Pro-Kopf-Ölverbrauch.

Aus diesem Grund stimmt die DSS (S. 11), was das künftige Einsatzgebiet des US-amerikanischen Militärs anbelangt, weitgehend mit der jetzigen Regierung überein: „Für Demokraten ist die Transformation des Großraums Mittlerer Osten – des riesigen Krisenbogens, der sich von Nordafrika nach Afghanistan erstreckt – die zentrale Herausforderung unserer Zeit.“ Die DLC-Leute sehen in der erzwungenen Neustrukturierung des Iraks entlang neoliberaler Vorgaben Ausgangspunkt und Vorbild für die Neuordnung der gesamten Region.16 Aus diesem Grund befürwortet die DSS (S. 15) den Angriffskrieg gegen Bagdad und tritt für die dauerhafte Besatzung des Landes ein: „So lange, wie es dauert dem Land Sicherheit und Stabilität zu geben, werden wir eine robuste Militärpräsenz im Irak aufrechterhalten.“

Bekanntester Vertreter dieser Position ist Ronald Asmus, der zusätzlich versucht die widerwilligen Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks mit ins Boot zu ziehen. Da Wohl und Wehe der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung vom Öl des Mittleren Ostens abhängen und dort auch Terrorismus und Proliferation massive Gefahren darstellten, solle sich die NATO einem neuen »Transatlantischen Projekt« widmen, nämlich der „Transformation des Mittleren Ostens“. Das Projekt solle „auf eine neue Form der Demokratie hinauslaufen, auf ein neues Wirtschaftssystem, das den Menschen in der Region zu Arbeit und Würde verhilft.“ Dies sei die einzige Möglichkeit „die dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen“ zu bekämpfen und beinhalte „zweifellos auch eine militärische Komponente“, da die gesamte Region unter „einer Krise der Regierbarkeit leidet, die mit der Unfähigkeit seiner Staaten einhergeht, die Herausforderungen der Moderne und der Globalisierung zu bewältigen.“17 Auch die DSS (S. 17) übernimmt Asmus’ Vorschlag, indem sie fordert, „die NATO neu auf die Herausforderung einer Transformation des Großraums Mittlerer Osten auszurichten.“

Transatlantischer Honeymoon?

Im Gegensatz zu Bush will Kerry also alle europäischen Verbündeten stärker einbeziehen.

Doch Kerrys Multilateralismus hat einen stark instrumentellen Charakter: „»Wir wollen viel von Europa, sehr viel«, hat gleich zu Beginn des Parteitages Joseph Biden gerufen, neben Richard Holbrooke gegenwärtig der heißeste Anwärter auf den Posten des Außenministers. Und Sandy Berger schreibt: »Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Bushs Unilateralismus unsere Alliierten vom Haken lässt«. Die Verbündeten erhielten »eine Entschuldigung«, sich im Irak nicht an der Nachkriegsverwaltung zu beteiligen und sich »vor anderen Verantwortlichkeiten in der Welt zu drücken«. Eine demokratische Regierung werde sich »bei Themen, die unseren Alliierten wichtig sind, nicht mehr so abschätzig« verhalten. Um dann aber auch mehr von den Freunden zu erwarten.“18

Nicht nur, dass Kerry für eine massive Ausweitung des NATO-Einsatzes in Afghanistan plädiert, vor allem seine Forderung der Allianz eine Schlüsselrolle bei der Besatzung des Iraks zukommen zu lassen, könnte dazu führen, dass sich europäische Soldaten mitten in dem von den USA fabrizierten Schlamassel wieder finden. Dies gilt sowohl für den Irak selbst, da Kerry nicht daran denkt die Besatzung grundsätzlich in Frage zu stellen, das gilt aber auch für den gesamten Großraum Mittlerer Osten. Denn von Seiten der Neuen Demokraten wird offen gefordert, das NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« auf diese Region auszudehnen. Damit wären dann auch europäische NATO-Staaten dort langfristig militärisch involviert, mit allen Konsequenzen einer solchen Entscheidung.19

So hebt sich Kerrys Ansatz in puncto Multilateralismus tatsächlich von Bush ab: Man wolle „Führung primär nicht durch Erpressung, sondern Überzeugung auszuüben“, so die DSS (S. 5). Kerry selbst versucht sich in seinem Wahlkampf-Buch generös zu geben, was allerdings ziemlich misslingt. Er hoffe, dass „Jacques Chirac seine törichte Rebellion gegen die Atlantische Allianz beendet.“ Wenn ja, solle Amerika „den reuigen Europäern auf halbem Weg entgegenkommen.“20 Offen bleibt allerdings, wie sich Kerry verhalten wird, falls sich die Verbündeten trotz aller freundlichen Worte nicht überzeugen lassen, bei einer aggressiven Politik mitzuwirken. Zumal das transatlantische Auseinanderdriften nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass sich Bush, Rumsfeld und Co. hin und wieder kräftig im Ton vergreifen, es basiert auch auf realen Interessensunterschieden. Diese traten bereits unter Clinton zu Tage und haben sich unter Bush verschärft. Schließlich betont auch die DSS (S. 16) allen Bekenntnissen zum Multilateralismus zum Trotz: „Unser Leitprinzip ist, zusammen wenn wir können, allein wenn wir müssen.“

Pepsi oder Cola?

Man sollte bei aller Kritik jedoch nicht übersehen, dass es unter Kerry in einigen Bereichen durchaus zu Verbesserungen gegenüber Bush kommen könnte. Diese dürften aber vor allem innenpolitischer Natur sein, z. B. in den Bereichen Abtreibung, Arbeiterrechte, Bildung, Gesundheitsfürsorge und Minderheitenrechte. Auch sein Versprechen, die Steuersenkungen für die Reichen zurückzunehmen und zu einer wenigstens in Ansätzen ausgeglichenen Haushaltspolitik zurückzukehren, ist zu begrüßen. Wobei sich hier die Frage stellt, wie er dies anstellen will, ohne den Rüstungshaushalt zu kürzen.

Außenpolitisch dürfte der größte Wandel sich im Atomwaffen- und Rüstungskontrollbereich einstellen. So kritisierte Kerry die Entscheidung neue Atomwaffen zu bauen, die zur nuklearen Präemption geeigneten Bunkerknacker: „Ich glaube nicht, dass unsere Welt oder unser Land mit benutzbareren Atomwaffen sicherer sein wird.“21 Auch die Tatsache, dass mit Joseph Biden ein erklärter Gegner des im Aufbau befindlichen Raketenabwehrschildes als potenzieller Außenminister gehandelt wird, gibt Anlass zur Hoffnung. Zudem scheint Kerry der Rüstungskontrolle als Mittel zur Proliferationsbekämpfung deutlich mehr und ernsthafteres Interesse als Bush entgegenzubringen. Dies könnte sich ebenso positiv auf den Abschluss eines Vertrags, der die Verbreitung spaltbaren Materials reguliert wie auf die Biowaffenkonvention auswirken, die hauptsächlich aufgrund amerikanischer Blockadepolitik stagnieren.22

Weiter positiv anzumerken ist Kerrys Absicht, Verhandlungen mit Nordkorea und dem Iran aufzunehmen. In den meisten außenpolitischen Bereichen sind jedoch kaum Differenzen zwischen Kerrys Position und der der Neokonservativen auszumachen. So gibt es z.B. keine Anzeichen dafür, dass Kerry Ariel Sharon und die israelische Besatzungspolitik kritischer sieht.23 Die Ernennung von Randy Beers als seinem derzeitigen Sicherheitsberater verheißt gleichfalls nichts Gutes. Beers, bis vor kurzem noch in hoher Position für Terrorismusbekämpfung innerhalb der Bush Administration zuständig, gilt als Hardliner, insbesondere was Lateinamerika anbelangt. Er war unter Clinton einer der wichtigsten Architekten der aggressiven US-Politik gegenüber Kolumbien.24 Auch Kerry greift in seinen Reden neben Kolumbien immer wieder vor allem Kuba und Venezuela an. Dessen Präsidenten Hugo Chavez beschuldigte er, das Land zu einem „sicheren Hafen für Drogenterroristen“ gemacht zu haben, die kolumbianische Guerilla zu unterstützen und somit „unseren Interessen abträglich zu sein.“25 Auch seine heftigen Angriffe gegen Saudi Arabien lassen aufhorchen.

Trotz einiger Teilbereiche also, in denen sich kleine Verbesserungen gegenüber der Bush-Administration einstellen dürften, stehen die »Neuen Demokraten« und damit auch Kerry für ein aggressiv-interventionistisches Konzept. Folgerichtig vergleicht John Pilger deshalb die US-Präsidentschaftswahlen im November mit der Wahl zwischen Cola oder Pepsi.26

Anmerkungen

1) Tyson, Ann: US ‚empire’ and its limits, Christian Science Monitor, 09.10.03

2) Peterson, John: John Kerry‘s Foreign Policy, Socialist Appeal No. 13, URL: http://www.socialistappeal.org/usa/kerry_foreign_policy.html (10.08.04).

3) Pilger, John: Bush Or Kerry?, New Statesman, 04.03.04.

4) Kleine-Brockhoff, Thomas: Im Ernst, Europa!, Die Zeit, 29.07.04.

5) Hulsman, John: The coming foreign policy civil wars: part 1 – The Democrats, Opendemocracy, 01.07.04.

6) Marshall, Will: Closing the National Security Gap, DLC Blueprint Magazine, 25.07.04.

7) Moore, Russel: Whither the Democrats?, Henry Institute, 26.05.03.

8) Hand, Mark: It’s Time to Get Over It, Counterpunch, 18.02.04.

9) Progressive Internationalism: A Democratic National Security Strategy, PPI, 30.10.04.

10) McFaul, Michael: The Liberty Doctrine, in: Policy Review (April-May 2002); Pollack, Kenneth: The Threatening Storm, New York 2002.

11) Hand 2004.

12) Guggenheim, Ken: Kerry Backs Much of Bush‘s Pre-Emption Doctrine, AP, 17.07.04.

13) Barnett, Thomas: Die neue Weltkarte des Pentagon, in: Blätter 5/03, S. 554-564.

14) Marshall 2004, Hervorhebung J. W.

15) Kerry, John: Speech to the 2004 Democratic National Convention, 29.07.04.

16) Guilliard, Joachim: „Souveränität“ bei vorgehaltener Pistole, in: AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (August 2004), S. 12-16.

17) Asmus, Ronald/Pollack, Kenneth: The New Transatlantic Project, in: Policy Review (October-November 2002).

18) Brockhoff 2004.

19) Asmus, Ronald/McFaul, Michael: Let‘s Get Serious About Democracy in the Greater Middle East, PPI, 09.03.04.

20) Hand 2004.

21) Kerry, John: Making America Secure Again, CFR, 03.12.03.

22) Korb, Lawrence: Bush’s policy endangers U.S. security, IHT, 09.08.04.

23) Zunes, Stephen: Kerry‘s Foreign Policy Record Suggests Few Differences with Bush, Commondreams, 05.03.04.

24) Donahue, Sean: The Toxic Career of Rand Beers, Counterpunch, 26.01.04.

25) Hand 2004.

26) Pilger 2004.

Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und im Redaktionsteam von W&F

Kontinuität und Radikalisierung

Kontinuität und Radikalisierung

Die US-Militärpolitik von Clinton zu Bush

von Lars Klingbeil

Selbst der Altmeister der Geopolitik Zbigniew Brzezinksi war gekommen und verurteilte in einer nachdenklichen aber wortgewaltigen Rede die Außen- und Sicherheitspolitik der Bush-Regierung: Man brauche die Europäer, man dürfe nicht auf die Logik der militärischen Präventivschläge setzen, um Probleme zu lösen; die Aufteilung der Welt in »Gut und Böse« verschärfe die weltpolitischen Probleme. Anlass der Rede: Die Zusammenkunft der amerikanischen Demokraten zur Gründung eines eigenen »Think Tank«. Lange – zu lange – hatten sie zugesehen, wie die neokonservativen Kräfte sich um die Heritage Foundation und das American Enterprise Institute gruppierten und massiv personellen und inhaltlichen Einfluss auf die sicherheitspolitische Debatte in den USA gewannen. Damit sich das ändert, organisierte das Center für American Progress1 im Oktober 2003 eine Konferenz zu »New Strategies for Security and Peace«2 und die Bildung eines entsprechenden »Think Tank« unter Leitung von John Podesta, dem ehemaligen Chief of Staff Bill Clintons. Neben Brzezinski sprachen u.a. auch die US-Senatoren Hillary Clinton und Joseph Biden sowie die Sicherheitspolitiker der Clinton-Administration Richard Holbrooke, William Perry, Samuel Berger und Botschafter Wilson.

Zwei Jahre lang konnten oder wollten die Demokraten sich nach dem 11.9. sicherheitspolitisch nicht bewegen. Die Debatte schien gelähmt, Bush und seine Berater hatten nahezu unbegrenzte Handlungsfreiheit. Erst durch die massiven Probleme im Irak, die immensen Kosten des Krieges und der Besatzung sowie durch den eskalierenden Streit im Kabinett Bush, erkennen die Demokraten ihre Chance, wieder sicherheitspolitisch Akzente setzen zu können. Aktuelle Umfragen belegen: Die Sicherheitspolitik ist nicht mehr die alleinige Domäne der Republikaner, die Demokraten können – wie John Podesta sagt – die »Unterschiede« deutlich machen.

Außenpolitische Unterschiede – Gibt es die wirklich?

Zur Beantwortung dieser Frage zunächst ein Blick in die Vergangenheit. Welche sicherheitspolitischen Veränderungen gibt es unter der Bush-Administration gegenüber der Regierung Clintons? Im Golfkrieg 1991 galt noch die Powell-Doktrin, nach der Soldaten nur dann eingesetzt werden, wenn enge sicherheitspolitische Interessen betroffen sind, eine öffentliche Zustimmung vorliegt und vor allem wenn eine »exit strategy« existiert. Unter Clinton gab es eine Ausweitung des Interessensbegriffes. Neben dem vitalen Interesse, das der unmittelbaren Sicherheit der USA galt, definierte er die Verfolgung humanitärer Interessen als Ziel der US-Politik. Diese Ausweitung des Interessensbegriffes wurde mit den so genannten humanitären Interventionen in Somalia, in Bosnien und im Kosovo umgesetzt. Im Wahlkampf 2000 wurden Clinton und sein Stellvertreter Al Gore hart für diese Außen- und Sicherheitspolitik angegangen. Die Republikaner bezeichneten den außenpolitischen Ansatz als »Sozialarbeit« und die USA als »Weltpolizist«, der seine eigenen nationalen Interessen vernachlässigt.3 Bush machte bereits im Wahlkampf deutlich, dass er wieder auf eine an den vitalen Interessen der USA ausgerichtete Politik setzen werde. Die Powell-Doktrin sollte wieder zum Maßstab, Militär nur zur Sicherung eigener Interessen eingesetzt werden, Peacekeeping-Missionen und »nation-building« wurden abgelehnt.4 In den ersten Monaten der Bush-Regierung wurde dieser Kurs rhetorisch beibehalten; auch die Interventionen im Irak und Afghanistan wurden dementsprechend nach dem 11. September 2001 in das vitale Interesse der USA eingeordnet und als sicherheitspolitische Notwendigkeit begründet. Faktisch wurde damit aber die Interventionspolitik Clintons extrem radikalisiert. Das schlägt sich auch nieder in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002. Aus der »Option zu präventiven Handlungen« unter Clinton wurde jetzt das Recht auf die Führung eines Präventivkrieges, an die Stelle der »Sicherung US-amerikanischer Interessen« trat die erklärte Absicht, durch „freie Märkte und freien Handel eine neue Ära globalen Wirtschaftswachstums auszulösen.“ Die erklärte Absicht der offensiven Verbreitung der „Vorzüge der Freiheit in der ganzen Welt“ und der Prinzipien der eigenen »Wertegemeinschaft« beinhaltet den erzwungenen Regimewechsel. 5

Mit der Rumsfeld-Doktrin, die von einem extremen militärischen Übergewicht beim Kampfeinsatz ausgeht und durch Technologiegläubigkeit gekennzeichnet ist, wurde das Militär risikofreundlicher.

Neue Logik in der Militärstrategie

Ein bedeutender Wandel hat in der Konzeption der Militärstrategie stattgefunden. Zwar hält die Bush-Administration an der »Zwei-Kriege-Konzeption« der Clinton-Administration fest. Die ursprüngliche Intention des ersten Verteidigungsministers Clintons, Les Aspin, durch die Ausrichtung auf die Führung zweier gleichzeitig stattfindender Regionalkriege den Umfang der amerikanischen Streitkräfte reduzieren zu können, wurde unter Bush allerdings verworfen. Die von ihm angestrebte absolute militärische Dominanz und Möglichkeit der Präventivkriegsführung beinhaltet sowohl den Regimewechsel als auch die Besatzung eines Landes.6 Das erfordert den Ausbau militärischer Kapazitäten. Die Planungen sollen sich dementsprechend nicht mehr an potentiellen Gegnern und Bedrohungen ausrichten (threat based approach), sondern gewährleisten, dass alle Fähigkeiten gegeben sind, auf alle Szenarien mit allen möglichen Mitteln umfassend reagieren zu können und alle potentiellen Gegner zu besiegen (capabilities-based approach). Einhergehend hiermit setzten die USA auf »Full Spectrum Dominance«. Das Ziel: Diese Überlegenheit umfassend in allen militärischen Teilbereichen, also auch im Weltraum und in der Informationsbeschaffung und -auswertung, anwenden zu können.

Weiter wurde die »Forward Deterrence« vorangetrieben. Um global und schnell auf eine Gefährdung amerikanischer Sicherheit reagieren zu können, sollen die weltweiten Regionalkommandos und Militärbasen der USA umstrukturiert werden (Standing Joint Task Force Headquarters). Als eigenständiges Hauptquartier verfügen sie mit der »Standing Joint Task Forces« jederzeit über eine eigene Einsatztruppe und können ohne aufwendige Unterstützung von außerhalb auf Sicherheitsbedrohungen reagieren. Mit hochmodernen Waffen soll zudem ein präziser Angriff auch aus einer größeren Distanz möglich werden (long range power projection). Dieser Ansatz einer schnellen, militärischen Reaktion auf eine Sicherheitsbedrohung drängt andere sicherheitspolitische Elemente, etwa politische oder wirtschaftliche Maßnahmen, in den Hintergrund. Die verschiedenen Änderungen in der Militärstrategie wurden schon während der Amtzeit Clintons diskutiert, allerdings überwogen damals Skepsis und Widerstand innerhalb der Administration und des Militärs. Über den 11. September 2001 wurden dann umfangreiche Transformationsprozesse legitimiert.

Die Bedeutungszunahme der militärischen Macht lässt sich auch an dem drastisch erhöhten Verteidigungsetat ablesen. Der Etat war in den ersten Jahren unter Clinton gesunken (1994: 263 Mrd. Dollar) und dann gegen Ende seiner Amtszeit wieder erhöht worden (1999: 292 Mrd. Dollar). Unter Bush ist der Etat mittlerweile um 100 Milliarden Dollar auf über 400 Mrd. Dollar in 2004 gestiegen. Hinzu kommen zahlreiche Notpakete mit denen die Kriegseinsätze in Afghanistan und im Irak finanziert werden. Der Etat des Außenministeriums hat sich in den letzten Jahren hingehen nur minimal erhöht – von 23,5 Mrd. im Jahr 2000 auf 25,7 Mrd. in 2003. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es hier innerhalb des Budgets eine massive Verschiebung zugunsten von Militär- und Entwicklungshilfe für Staaten gegeben hat, die die USA im Kampf gegen den Terrorismus unterstützen.

Proliferation von Massenvernichtungswaffen

Mit dem Ende des »Kalten Krieges« und dem Zerfall der Sowjetunion verloren die USA das Feindbild, das bis dahin für ihre sicherheitspolitische Konzeption ausschlaggebend war (empire of evil). An diese Stelle trat dann sehr schnell als neue Bedrohung die Gefahr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen. Clinton setzte in seinen ersten Amtsjahren vor allem auf Rüstungskontrollabkommen um dieser Gefahr zu begegnen (1993 die Chemiewaffenkonvention, 1995 die unbefristete Verlängerung des atomaren Nicht-Verbreitungsvertrages). Parallel dazu wurde jedoch seit Ende 1993 als letztes Element einer umfassenden Strategie zur Sicherung der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen der gezielte Militäreinsatz konzipiert. Gegen Ende der Amtszeit Clintons kam es zur Krise des Rüstungskontrollansatzes, als der nukleare Teststoppvertrag im Kongress blockiert wurde. Als Präsident hat Bush diese Politik zugespitzt. Im »Nuclear Posture Review« von 2002 wird die Möglichkeit skizziert, Nuklearwaffen auch gegen Staaten einzusetzen, die selbst über keine Massenvernichtungswaffen verfügen. Die Schwelle für den nuklearen Erstschlag sinkt damit erheblich. Die Rüstungskontrollpolitik hat weiter an Bedeutung verloren, in den Vordergrund gerückt ist dafür die präventive (militärische) Abwehr von möglichen Angriffen gegen die USA. Der Einsatz von Militär ist nicht mehr letztes Mittel, sondern eine gleichberechtigte Option. Gleichzeitig wird der militärische Heimatschutz mit dem Raketenabwehrsystem ausgebaut. Die Mittel hierfür wurden im Jahr 2004 auf 10 Milliarden Dollar erhöht.

Terrorismus und »axis of evil«

Auch die so genannten Schurkenstaaten (»rogue states«) rückten bereits mit dem Ende des Kalten Krieges stärker in den Blickwinkel der USA. Sie wurden als Bedrohung für die Stabilität in wichtigen Regionen der Welt, wie der Golfregion, gesehen. Eine direkte Bedrohung für die USA – oder für ihre Interessen – analysierte man damals jedoch nicht. Die Politik Clintons setzte darauf, durch »Eindämmung« eine Änderung der Politik dieser Staaten zu erreichen, sie versuchte gleichzeitig den »rogue states« präventiv die Mittel und Möglichkeiten zu entziehen, die diese für die Umsetzung ihrer Ambitionen benötigten. Präsident Clinton spitzte vorübergehend im Laufe seiner Amtszeit die Bedrohungsanalyse durch Schurkenstaaten zu und legitimierte so ein offensiveres sicherheitspolitisches Agieren der USA. Vor dem Ende der Regierung Clinton wurde die Bedrohungsanalyse dann wieder herabgestuft, die »rogue states« wurden nur noch als »states of concern«, als besorgniserregende Staaten, bezeichnet. Dies sollte einen konstruktiveren Umgang ermöglichen. Die Republikaner warfen Clinton im Wahlkampf vor, mit der Eindämmungsstrategie gescheitert zu sein und forderten ein offensiveres Vorgehen, gegen die »rogue states«.

Es deutete sich von Beginn der Bush-Administration an, dass sie die Politik gegenüber den »rogue states« radikalisieren und auch in Betracht ziehen würde, mit allen Mitteln gegen diese vorzugehen.7 Unmittelbar nach den Attentaten des 11. Septembers nutzte die Bush-Regierung dann die Gelegenheit, um neben dem Terrorismus die Gefahr durch so genannte Schurkenstaaten herauszustellen. Es kam zu einer deutlichen rhetorischen Zuspitzung der Bedrohung durch diese Staaten. In der »State of Union« vom Januar 2002 erklärte Bush schließlich, die USA seien durch die »axis of evil« bedroht. Die Achse des Bösen – Irak, Iran und Nordkorea – stehe für alle aktuellen Bedrohungen: Terrorismus, »rogue states« und Massenvernichtungswaffen. Die Auseinandersetzung mit der »axis of evil« wurde somit als wichtiges Element in den Kampf gegen den internationalen Terrorismus eingeordnet. Gegen diese neue Bedrohung sollte offensiv vorgegangen werden. Asymmetrischen Bedrohungen – so die Logik der Administration – müsse man zuvorkommen und ihnen mit präventiven Militärschlägen begegnen.

Von Clinton zu Bush: Alles neu?

Ob in der Bedrohungsanalyse oder den Strategien »Bedrohungen« zu begegnen, bei der Militärstrategie oder in der Interventionspolitik: Überall konnte die Regierung Bush anknüpfen an Entwicklungen, die schon unter Präsident Clinton eingeleitet wurden. Die Demokraten waren Wegbereiter der Politik George W. Bushs. Doch Bush hat unter Ausnutzung des 11. Septembers diese Politik nicht kontinuierlich fortgesetzt, sondern radikalisiert. Die Demokraten haben mit ihrer Politik der humanitären Intervention den Einsatz des Militärs politisiert und die internationale Rechtslage missachtet. Bush setzt dort heute an, wenn er „Demokratie und Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde“ tragen will, wenn er davon spricht, dass die USA ihre Interessen „national wie international“ verteidigen, indem sie „die Bedrohung identifizieren und zerstören, bevor sie unsere Grenzen erreicht“, indem er die internationale Rechtslage missachtet und ankündigt „notfalls allein zu handeln und … präventiv gegen Terroristen vorzugehen:“8 Eine Politik, die mit dem Irakkrieg exekutiert wurde. In der Summe lassen sich also massive Veränderungen in der Sicherheitspolitik der Bush-Administration gegenüber der Amtszeit von Präsident Clinton feststellen und die Demokraten haben Recht, wenn sie auf der eingangs zitierten Strategiekonferenz feststellten, dass es unter George W. Bush viele Entwicklungen in der Sicherheitspolitik gibt, die einer massiven Kritik bedürfen. Jedoch sollten sie ihre eigene Rolle dabei nicht übersehen.

Anmerkungen

1) www.americanprogress.org

2) Die Konferenz fand am 28.-29. Oktober in Washington statt. Der Videomitschnitt und Dokumentation von einigen Reden finden sich auf der Homepage www.newamericanstrategies.org. Weitere Zitate der Konferenz entstammen der persönlichen Mitschrift des Autors.

3) RICE, Condoleezza: Promoting the National Interest, in Foreign Affairs, Volume 79, No.1, January/February , S. 45-57, Washington DC 2000, S. 53.

4) Vgl. O´Hanlon, Michael E.: A Reality Check for the Rumsfeld Doctrine, in: Financial Times, 29. April 2003.

5) Neue Nationale Sicherheitsstrategie vom September 2002, zitiert nach FR vom 28.09.2002.

6) Department of Defense: The Quadrennial Defense Review Report, 30. September 2001, Washington DC 2001.

7) Vgl. Zoellick, Robert B.: Essentials republikanischer Außenpolitik, in: Internationale Politik, 3/2000, S. 49-50, Berlin 2000.

8) Neue Nationale Sicherheitsstrategie vom September 2002, zitiert nach FR vom 28.09.2002.

Lars Klingbeil ist Mitglied der W&F-Redaktion. Er arbeitet derzeit in den USA an seiner Magisterarbeit zum Thema »Das sicherheitspolitische Konzept der USA nach dem 11. September – Bruch oder Kontinuität

Empire, amerikanisch

Empire, amerikanisch

von Rainer Rilling

Der Krieg der USA gegen den Irak hat mit Öl, regionaler und globaler Machtprojektion zu tun. Die dominierenden Akteure in den USA gehen von einer qualitativ neuen Disparität der globalen Machtstruktur aus, die Tony Judt in der »New York Review of Books« vom 15.8.2002 als eine neue globale Ungleichheit beschrieb: „Unsere Welt ist in vielfacher Weise geteilt: Zwischen arm und reich, Nord und Süd, westlich / nichtwestlich. Aber mehr und mehr ist die Spaltung, die zählt jene, welche Amerika von allem anderen trennt.“ Und für manche befindet sich so gar Europa plötzlich in einer anderen Situation: „Willkommen beim Rest der Welt“ (Walden Bello). Um diese Position des Abstandes zu allen anderen Mächten der Erde zu sichern, ist nach 1989 eine neue große global ansetzende Doktrin entwickelt, unter der zweiten Regierung Bush dann auch im innenpolitisch legitimierenden Windschatten des »Kampfes gegen den Terror« schrittweise und hörbar expliziert und schließlich in der Form der am 17. September 2002 veröffentlichten »National Security Strategy of the United States of America« offizialisiert worden. Dabei geht es nur sekundär um den Kampf gegen terroristische Gruppen oder Staaten. Das übergreifende Doppelziel dieser Strategie ist der Erhalt und der Ausbau der Ungleichheit zwischen den USA und dem »Rest der Welt« und die Vollendung der weltweiten Durchsetzung des amerikanisch dominierten Kapitalismusmodells. Alle anderen politischen Zielsetzungen treten demgegenüber zurück. Gewinnt diese Strategie machtpolitischen Bestand, dann positionieren sich die USA gegen den »Rest der Welt«.
Diese Strategie hat drei Elemente. Das zentrale Mittel zum Erreichen dieses Ziels ist die Sicherung konkurrenzloser militärischer Überlegenheit. „America has, and intends to keep, military strengths beyond challenge“ (Bush). Eine USA beyond challenge ist der Gedanke. Intern erfordert dies den Aufbau des eigenen Potentials. Extern geht es darum, die Entstehung militärischer und politischer Konkurrenz mit allen notwendigen Mitteln zu verhindern. Wenn Einflussnahme bereits in der Phase der Konkurrenzentstehung möglich sein soll, dann gewinnt der Gedanke der Prävention Raum. Es findet eine Zielverkoppelung statt: der Zweck präventivkriegerischer Aktion ist die Verhinderung von Terror und die Entstehung einer konkurrierenden Machtstruktur.

Es geht um Machtkonkurrenz, nicht um Friedenssicherung. Die Strategie des Präventivkrieges (Präemption), bedeutet schließlich den Übergang zu einer Politik der souveränistischen Prävention. Der Gedanke der globalen Souveränität meint, dass die USA international unilateral Regeln (z.B. über Allianzen und Blockbildungen) setzen, den Krisenfall (»Notstand«) bestimmen und die Unterscheidung zwischen Freund und Feind wie die damit verknüpfte Entscheidung über den Einsatz von Gewalt treffen. Die Fähigkeit zum Gewalteinsatz überall in der Welt liegt allein bei den USA. Sie allein ist zur Disziplinierung des neoliberalen Globalkapitalismus imstande. Das ist das dritte Element der neuen Grand Strategy.

Die konzeptiven und politischen Akteure

Unmittelbar getragen wurde dieser Prozess der Herausbildung des machtpolitischen Selbstverständnisses und der daraus folgenden Grand Strategy einer Weltordnungspolitik der gegenwärtigen amerikanischen Regierung von einer Gruppe neokonservativ-reaganitischer konzeptiver Ideologen aus Think-Tanks und strategischen Planungseinrichtungen sowie Militärpolitikern, die in den 80er Jahren unter Reagan ihren Aufstieg begann, sich in der ersten Regierung Bush eine Minderheitsposition in der Militärexekutive sichern konnte und schließlich mit Hilfe und im Bündnis mit der religiösen Rechten, den radikalen Marktideologen und der klassischen, eher sozialkonservativen Mainstream-Rechten in der zweiten Bush-Regierung und dann in der republikanischen Partei eine hegemoniale Mehrheitsposition erreichte. Im Laufe des Jahres 2002 bestimmte diese zunehmend neokonservativ dominierte Allianz den außenpolitischen Diskurs der USA. Sie skizzierte die militärpolitischen Kernelemente der neuen großen Strategie, band sie in eine optimistische Sicht auf den Stand der US-Ökonomie ein und etablierte sich 2002 als Avantgarde der neuen parteiübergreifenden Kriegspartei. In kurzer Zeit versammelte sie fast vollständig die außenpolitische Elite der USA und – in einer politischen Allianz ohnegleichen – die parlamentarische Opposition hinter ihr Projekt, wobei sie allerdings die Dynamik der außerparlamentarischen Opposition und die Gefahr der Dissidenz im Militärapparat unterschätzte. Innenpolitisch ging mit dieser Verschiebung einher eine deutliche Machtverlagerung von der Legislative zur Exekutive und eine Reakzentuierung der »inneren Sicherheit« (homeland security).

Rethorik, Konzeption und Strategie dieser Gruppe sind radikal. Ihr Ziel ist ein Ausbruch aus dem bisherigen, jahrzehntealten strategisch-politischen Konsens der herrschenden US-Eliten. Ihre Dynamik zieht sie aus der zielgerichteten Kriegsmobilisierung – „We are in a world war, we are in World War Four.“ (James Woolsey, ehem. CIA-Direktor am 24.7.2002). Der dynamische politische Kern dieser Gruppe ist ein Bündnis aus reaganistisch geprägten Militärs und nationalistischen Neokonservativen. Zu ihr gehören:

  • Paul Wolfowitz als intellektueller Vorspieler (damals Under Secretary of Defense for Policy des späteren Vizepräsidenten Dick Cheney, heute Deputy Secretary of Defense bei Verteidigungsminister Donald Rumsfeld), Wolfowitz studierte im neokonservativen Milieu der Universität Chicago; sein Mentor war Albert Wohlstetter, der als „Gottvater der entspannungsfeindlichen Schule im Kalten Krieg“ (New York Times) galt; er arbeitete dann in der Arms Control and Disarmament Agency und in den Clinton-Jahren als Dekan der School of Advanced International Studies an der John Hopkins Universität. Wolfowitz gehörte zum außenpolitischen Wahlkampfteam von George W. Bush.
  • Dick Cheney, Vizepräsident, der seine Karriere unter Rumsfeld zu Nixons Zeiten begann, aus der Kultur der „corporate Washington-insider class“ (J. M. Marshall), kommt und daher geübt ist in oligopolistischen Industriestrukturen wie in staatlicher Spitzenbürokratie. Seine Frau Lynne Cheney (positioniert im neokonservatoven Think Tank American Enterprise Institute [AEI]) hatte von 1994 bis 2001 eine Spitzenposition beim US-Rüstungskonzern Lockheed Martin inne, der die erste Stelle unter den Rüstungsauftragnehmern der USA einnimmt. Auch Wolfowitz, Libby, Zakheim und Feith (s.u.) hatten Verträge oder bezahlte Beratungspositionen beim drittgrößten Auftragnehmer Northrop.Nach einer Analyse von Hartung / Rheingold vom World Plicy I nstitute hatten 21 der von Bush ernannten Spitzenpolitiker Beziehungen zur Erdölindustrie, aber 32 zur Rüstungsindustrie.
  • Richard Perle, der dem Defense Policy Board vorsteht. Perle arbeitete 1969-1980 im US-Senat, war Protegé und Schwiegersohn von Wohlstetter und von 1981 bis 1987 im Pentagon als Verantwortlicher für Rüstungskontrolle tätig. Als Resident Fellow ist er dem mächtigen American Enterprise Institute for Public Policy Research (AEI) verbunden. Auch Perle gehörte zum außenpolitischen Wahlkampfteam von George W. Bush. Er gilt wie Rumsfeld, der übrigens seit der Nixon-Präsidentschaft eng mit Cheney befreundet war, als harter Verfechter des Aufbaus eines Raketenabwehrsystems.
  • William Kristol, Sohn des einflussreichen neokonservativen Theoretikers Irving Kristol und einst Stabschef von Reagans Vizepräsident Dan Qualye, Herausgeber des von Rupert Murdoch verlegten neokonservativen Frontblatts »The Weekly Standard«. Kristol gehörte wie Wolfowitz, Justizminister John Ashcroft oder Francis Fukuyama zum Umkreis der neokonservativen Chicagoer Philosophenschule um Strauss und Bloom. Die »Washington Post« hat die große netzwerkbildende Rolle von Kristol hervorgehoben und gezeigt, dass diese Struktur weit über den engeren Bereich des Militär-, Sicherheits- und Rüstungsapparats hinausgeht: „Shattan, who worked for Kristol when he was Vice President Dan Quayle‘s chief of staff, will join Bush speechwriter Matthew Scully and Cheney speechwriter John McConnell, both of whom also worked under Kristol on the Quayle staff. Fellow Bush speechwriter Peter Wehner worked for Kristol when he was chief of staff to then-Education Secretary William Bennett, while National Security Council speechwriter Matthew Rees worked for Kristol at the Standard. Nor is it just the wordsmiths. Energy Secretary Spencer Abraham is a Kristol acolyte from the Quayle days, while drug control policy chief John Walters worked under Kristol at the Education Department. Jay Lefkowitz, the new director of Bush‘s Domestic Policy Council, was Kristol‘s lawyer. Other Kristol pals include NSC Senior Director Elliott Abrams, Cheney Chief of Staff I. Lewis »Scooter« Libby, Deputy Defense Secretary Paul Wolfowitz, Undersecretary of State John Bolton and Leon Kass, the head of Bush‘s bioethics panel. The tentacles reach into the kitchen cabinet, too: Al Hubbard, a close Bush friend, was Kristol‘s deputy on the Quayle staff.“ (Washington Post 19.3.2002)
  • I. Lewis Libby, der in der ersten Bush-Regierung unter Cheney Deputy Undersecretary of Defense for Policy und in der zweiten Bush-Regierung der Chief of Staff von Vizepräsident Cheney wurde.
  • Zalmay Khalilzad, der spätere US-Gesandte in Afghanistan. Er war unter Reagan Mitglied im Planungsstab des Außenministeriums und arbeitete schon damals mit Wolfowitz, zusammen, was sich unter George Bush im DoD fortsetzte; im Übergangsteam für George W. Bush war er Beauftragter für Verteidigungspolitik, im Mai 2001 wurde er als Beauftragter für die Golfregion und Zentralasien in den Nationalen Sicherheitsrat berufen, wo er seither als rechte Hand von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice tätig ist; als Sonderbeauftragter für Afghanistan wurde er dort bald als »Vizekönig von Kabul« bezeichnet. Eine ähnliche Rolle spielt er jetzt bei den Planungen Washingtons für die Nach kriegsordnung im Irak. (FAZ v. 1.3.2002)
  • John R. Bolton, vormals Vizepräsident des American Enterprise Institute und im Beirat des Jewish Institute of National Security Affairs, als Under-Secretary for Arms Control and International Security im Außenministerium.
  • Elliott Abrams, vormals Reagan`s Assistant Secretary of State for Human Rights und dann Assistant Secretary for Inter-American Affairs, als Senior Director for Near East and North African Affairs im National Security Council.
  • Douglas Feith als Under Secretary of Defense for Policy.
  • Stephen J. Hadley (Deputy National Security Advisor im Weißen Haus), arbeitete als Assistant Secretary of Defense für Wolfowitz, als dieser im DoD unter Dick Cheney tätig war. Er gehört dem DoD Policy Board an.
  • Eliot Cohen, der in der ersten Bush-Regierung im Planungsstab des DoD war und dann Mitglied in Rumsfeld`s Defense Policy Board unter Perle wurde.
  • Dov Zakheim, der wichtigste »Haushälter« (Under Secretary for Comptroller) des DoD.
  • Peter Rodman, Assistant Defense Secretary for International Security Affairs.
  • Stephen Cambone, der in der ersten Bush-Regierung für die strategische Verteidigungspolitik zuständig war und in der zweiten Regierung Bush dann das Office of Program, Analysis and Evaluation des Pentagon leitete.
  • Thomas Donnelly, (Project for the New American Century [PNAC]), der mittlerweile vom Rüstungskonzern Lockheed Martin eingestellt wurde.

Dieses Netzwerk institutionalisierte sich in einer Reihe von Think-Tanks, politischen Aktionsgruppen und Medienprojekten, unter denen das 1997 im „reaganistischen Geist“ gegründete »Project for the New American Century« herausragt. Zu den Unterzeichnern der Gründungserklärung des PNAC („We aim to make the case and rally support for American global leadership“) gehörten Wolfowitz, Bolton, Cheney, Khalilzad, Cohen, Libby, Zakheim, Rodman, Cambone und Donnelly sowie Jeb Bush, William J. Bennett, Midge Decter, Steve Forbes, Francis Fukuyama, Fred C. Ikle, Donald Kagan, Zalmay, Norman Podhoretz, Dan Quayle, Stephen P. Rosen und Donald Rumsfeld. William Kristol war 2002 Vorsitzender des Think-Tanks, zu dessen Leitung gehörten weiter Bruce Jackson vom Rüstungskonzern Lockheed Martin, der am Entwurf des proamerikanischen Schreibens der Staaten des »Neuen Europa« mitgewirkt haben soll und eine Schlüßelposition beim Aufbau der Machtpositionen der USA in Osteuropa spielt sowie Robert Kagan, der u.a. Redenschreiber für George Shultz war und als einer der einflussreichsten Promotoren der Konzeption vom »American Empire« gilt. Der geschäftsführende Direktor des PNAC ist Gary Schmitt, der u.a. als Geheimdienstoffizier in Reagans Weißem Haus enge Verbindungen zu dieser Szene hatte.

Über das Projekt wurde im Januar 1998 ein Brief von 18 Neokonservativen an den Präsidenten organisiert, in dem der Sturz Husseins gefordert wurde. Unterzeichner wie Richard Armitage (Staatssekretär im Außenministerium), Bolton, Rumsfeld, Dobriansky, Khalilzad, Rodman, Wolfowitz oder Zoellick gehörten später zur Bush-Administration. Ein zweites Schreiben u.a. von Rumsfeld, Wolfowitz und Kristol vom 29.5.1998 an die Fraktionsführer Gingrich und Lott forderte explizit, Hussein mit militärischen Mitteln aus der Macht zu entfernen. Kurz nach »Nineleven« folgte am 20.9. 2001 ein weiteres Schreiben der „Kreuzzugsneokonservativen“ (Hirsh), das diese Forderung erneuerte und u.a. gezeichnet war von William Kristol, Richard V. Allen, Gary Bauer, William J. Bennett, Midge Decter, Donnelly, Aaron Friedberg, Francis Fukuyama, Robert Kagan, Jeane Kirkpatrick, Charles Krauthammer, Perle, Norman Podhoretz und Rosen. Damit wurde eine politische Zielsetzung aktiviert, die im Falle des Irak bereits im 1998 vom US-Kongress verabschiedeten »Iraq Liberation Act« expliziert wurde, für den ein »Offener Brief« den Ton vorgab. Vor allem seit Anfang 2003 häuften sich Stimmen, welche die „imperial oversight“ (Max Boot) der USA nicht mehr bloß auf Irak begrenzten, sondern Saudi-Arabien, Iran, Syrien (Boot) und Lybien (Bolton) einschlossen. Perle plädierte für einen »regime change« in Syrien und Iran (durch innere Aufstände) sowie Lybien (wo äußerer Druck notwendig sei).

Charakteristisch für dieses Netzwerk ist die starke Präsenz bekannter Autoren in einigen nationalen Medien wie dem Wall Street Journal, den Fox News, der Washington Times, dem National Review, der Washington Post, der New York Post, dem Commentary Magazine und der New Republic, weiter die Unterstützung durch eine Reihe großer Thinktanks: Hoover, Heritage, Hudson Institute, American Enterprise Institute(in dessen Gebäude das PNAC residiert), das Center for Security Policy (CSP – mit dem Zakheim, Rumsfeld, Gaffney, Perle, Woolsey oder Feith liiert waren), das Center for Strategic and International Studies (CSIS), das Jewish Institute for Security Affairs, das National Institute for Public Policy (das u.a. im Januar 2001 ein Konzept zur Nuklearpolitik entwickelte, das große Bedeutung für die Bush-Regierung bekam), politische Aktionskommittes wie dem »Committee for the Liberation of Iraq« (CLI – u.a. Shultz, Gingrich, Hoffa, Bruce Jackson, Robert Kagan, Kirkpatrick, William Kristol, Bernard Lewis, Lieberman, McCain, Perle, Schmitt, Ruth Wedgwood, Woolsey), neokonservative Hochschuleinrichtungen wie z. B. Paul Nitze School of Advanced International Studies (SAIS – z.B. Perle, Wolfowitz, Woolsey, Cohen, Donnelly) oder Stiftungen (Bradley Foundation, Scaife, Olin).

Mitglieder dieses reaganistischen Netzwerks kooperierten bereits in früheren neokonservativen, militaristischen Kommittes wie dem »Committee on the Present Danger« (späte 70er) oder dem »Committee for the Free World« in den frühen 80ern, dem z.B. Decter und Rumsfeld vorsaßen. Perle war einer der Vorsitzenden des »Committee for Peace and Security in the Gulf«, dem auch Rumsfeld, Wolfowitz und Feith angehörten und das 1990-91 für den ersten Irak-Krieg warb,. Die Stoßrichtung gegen den Irak hatte auch mit der Bindung dieser Gruppe an Israel zu tun – so forderte ein u.a. von Feith und Perle mitverfasster Report aus dem Jahr 1996 für den neuen Premierminister Binyamin Netanyahu (»A Clean Break«) zum Krieg gegen den Irak auf. In »Present Dangers«, einem im Jahr 2000 vom PNAC publiziertem Sammelband, finden sich zahlfreiche Autoren aus dieser Gruppe wieder (u.a. Perle, Reuel Marc Gerecht, Rodman, Abrams, Fredrick Kagan, William Bennett und Wolfowitz.) Geradezu eine Blaupause der neuen Politik stellt der im Jahr 2000 publizierte Report »Rebuilding America`s Defense« des PNAC dar, zu dessen Autoren neben Wolfowitz und Bolton u.a. auch Cohen, Libby, Zakheim, Rodman, Cambone und Donnelly gehörten. Alle verbindet natürlich die Forderung nach massiver Aufrüstung – so plädierte ein Brief des PNAC an Bush vom 23. Januar 2003 für eine Steigerung des Rüstungshaushalts um 100 Mrd. $.

American Empire

Der „neue Unilateralismus“ (C.Krauthammer) der USA wird seit gut anderthalb Jahren begleitet von einer politischen und politikwissenschaftlichen Grammatik, die mit dem Begriff des »American Empire« operiert. Vom »Empire« oder »American Empire« sprachen Kissinger („Amerika am Höhepunkt: Imperium oder Anführer?“) ebenso wie der liberale Dissident Gore Vidal („Das letzte Empire“), die Literaten Tom Wolfe (das heutige Amerika sei jetzt „die größte Macht auf Erden, so omnipotent wie …Rom unter Julius Cäsar“) oder Norman Mailer („to build a world empire“), Science Fiction Autoren wie Jerrry Pournelle („…empires…have been the largest, longest-lasting and most stable form of political organization for most of the world through recorded history“), der Kulturkritiker Rothstein in der New York Times („An old idea transformed. Call it Empire“), der Kolumnist Michael Lind („Ist Amerika das neue Römische Reich?“), Maureen Dowd von der New York Times („The Empire Strikes First“) oder der Demokrat Nye („Seit Rom gab es keine Nation, die so hoch über den anderen Nationen stand“), Patrick J. Buchanan („A Republic, not an Empire“), die Historiker Schlesinger (die USA „would never be an empire“), Gaddis („We are now even more so an empire, definitely an empire“) oder Michael Hirsh („relatively benign power“), Jay Tolson in einer Titelgeschichte »The American Empire« des Magazins U.S.News & World Report („Are we witnessing a smart-bomb imperium?“) oder die Neokonservativen Dinesh D`Souza („Die Amerikaner müßen letztlich erkennen dass die USA ein Empire geworden ist“), Deepak Lal vor dem AEI („In Defense of Empires“), Thomas Donnelly vom PNAC („Ob die Vereinigten Staaten es gewollt haben oder nicht, irgendwie haben sie ein Imperium aufgebaut und können sich den daraus ergebenden Folgen nicht mehr entziehen“) und Charles Krauthammer: „Es ist eine Tatsache, dass seit dem Römischen Reich kein Land kulturell, ökonomisch, technologisch und militärisch so dominierend gewesen ist wie die USA heute.“ Und vom Empire sprach schließlich der Präsident der USA und fand ein ungehörtes Echo in den zehntausendfachen Beschreibungen der United States, die in den Demonstrationen am 15. Februar varriiert wurden. Andere wie Senator Edward M. Kennedy, von denen man es eher nicht erwartet hätte, sprachen von „einem amerikanischen Imperialismus des 21. Jahrhunderts“.

Die Stellung der USA im System internationeler Beziehungen ist auf unterschiedliche Weise interpretiert worden: als „imperiale Überdehnung“ (Paul Kennedy), als gleichsam „verdeckter Imperialismus“ (Chalmer Johnson), als „Empire by invitation“ (Charles S. Meier) oder als „gütige Hegemonie“ (Brzezinski). Und die Behauptung einer Konstanz der Dominanzposition der USA, der gegenüber wir es bloß mit wechselnden Rethoriken zu tun haben, deren Ehrlichkeits-, Wahrheits- oder Wirklichkeitsgehalt variiert, ist natürlich ebenso verbreitet. Seit Max Boot vom Wall Street Journal im Herbst 2001 in einem Aufsatz, »The Case for an American Empire«, die militärische Besetzung von Afghanistan und Irak mit der stabilisierenden Wirkung begründete, welche die Britische Herrschaft im 19. Jahrhundert in dieser Region hatte, breitet sich zur Charakterisierung eines »globus americanus« die Empire-Idee schnell aus. Nye diagnostizierte gar die „USA im Griff einer heiklen Metapher“ (Süddeutsche Zeitung v. 15.10.2001). Ihre historisch – geopolitische Referenz findet diese Debatte in einem immer mehr oder weniger präsenten Bezug auf das eigene Herkunftsland – das britische Empire – und an die eigene Kolonialgeschichte vor, womit sie sich vorwiegend auf die ersten zwei Zyklen des Versuchs bezieht, ein amerikanisches Empire zu schaffen (1898-1919 bzw. zu Zeiten Roosevelts »New Order«). Ihre Anhänger findet sie dabei keineswegs nur im publizistischen und wissenschaftlichen Lager der Neokonservativen. Während die neokonservativen Diskurse die Rede vom American Empire als politisch-rechtliche Konsequenz einer neuen militärisch-politischen Selbststärkung der ökonomisch wie kulturell uneinholbar dem Rest der Welt davongezogenen USA interpretieren, sehen Linke in der Debatte eher den Ausdruck einer »Hegemonie im Abschwung« oder gar einer posthegemonialen Situation. War die Referenz auf das römische Imperium bislang eher eine Sache der isolationistischen Rechten oder der Linken, so ist sie mittlerweile in die Mainstream-Publizistik, die Diskurse der politischen Thinktanks und vor allem in die Kultur der Macht eingewandert.

Die Empire-Rethorik versucht insgesamt, die Unvermeidlichkeit, Sinnhaftigkeit und Besonderheit der Ausbildung eines Empires neuer Art auszuweisen. Jenseits politischer Rhetorik häufen sich Versuche einer wissenschaftlichen Auslegung des Begriffes auch jenseits historischer Vergleiche, etwa von dem PNAC-Mitbegründer und Direktor des neokonservativen Olin Institute for Strategic Studies ander Harvard University Stephen, Peter Rosen, sowie von Charles S. Meier Mitte 2002 im Harvard Magazin, von Deepak Lal im Oktober 2002 vor dem American Enterprise Institute oder von Michael Ignatieff Anfang 2003 im New York Times Magazine. Im Kern versucht die Rede vom American Empire zu fassen, dass Amerika nicht mehr bloß exzeptionelle Super-, Hyper- oder Hegemonialmacht sei. Solche Begriffe aus der Zeit des Kalten Krieges und der Konkurrenz der Systeme sind jetzt definitiv überholt. Gebraucht wird ein „Gorilla unter den geopolitischen Bezeichnungen“ (Friedland) – eben das Empire. Die »Empire-Gelehrten« (E. Eakin in der New York Times) konzedieren zwar, dass Amerika heute nicht nur mit roher Gewalt operiert, sondern ihre „wohlwollende Herrschaft“ (Wolfowitz) auch mit ökonomischen, kulturellen und politischen Mitteln realisiert. Man möchte andere Völker lieber zu Konsumenten oder gar Amerikanern machen als sie mit Krieg zu überziehen. Doch mit der von ihnen praktizierten begrifflichen Verschiebung von »Hegemonie« über »Dominanz« zu »Empire« schiebt sich die klassische Vorstellung von einer direkten politischen Kontrolle durch ein imperiales Zentrum in den Vordergrund. An die Stelle der Kontextsteuerung des Königreichs Saudi-Arabiens tritt das US-Protektoratsregime über den Irak. Hegemonie durch Zwang (coercion) wird aktzentuiert gegenüber der Hegemonie durch Führung (leadership) bzw. Korruption und Konsensorganisation. Der Krieg gegen Afghanistan – bzw. »gegen den Terror« – operierte mit Begriffen wie „unendliche Gerechtigkeit“ oder „grenzenlose Freiheit“. Tatsächlich aber geht es um indefinite dominance: der „unipolare Moment“ nach 1989 soll in eine „unipolare Ära“ (Krauthammer) übergehen. Das American Empire kann dabei nicht mehr auf die übliche territorialpolitische Weise gefasst werden: im Unterschied zu den Imperien der Geschichte kennt es kein Außen mehr. Es ist von Allem betroffen und macht sich Alles zu eigen. Es ist ein neue Ordnung, deren Integration durch die »Hubs« globaler Netzwerke vermittelt wird, deren Gouvernmentalität aber aus einem Zentrum kommt. Das American Empire als Wille und Vorstellung ist – noch – nur ein Versuch, aus der bisherigen strategischen Konstellation auszubrechen: Breakout. Rethorik, Konzept, Strategie und Politik des Empire-Lagers sind nicht neu. Aber die Macht ist mit ihnen – jetzt.

Eine ausführliche Analyse des »American Empire«: Outbreak. Let`s take over. American Empire als Wille und Vorstellung (Marburg / Berlin 2003) unter: www.rainer-rilling.de/texte/american empire.pdf

Prof. Dr. Rainer Rilling ist Hochschullehrer an der Universität Marburg und arbeitet als wissenschaftlicher Referent bei der Rosa Luxemburg Stiftung (Berlin).

Die Welt aus den Fugen?

Die Welt aus den Fugen?

Eine neue Welt(un)ordnung von US-Gnaden

von Werner Ruf

Eineinhalb Jahre ist es her, seit die fürchterlichen Anschläge des 11. September 2001 das World Trade Center vernichteten und Teile des Pentagon in Schutt und Asche legten. Deutlich geworden ist seither, dass die USA mit größter Energie jene Deutung der Anschläge in konkrete Politik umsetzen, die der frühere Außenminister Kissinger gegeben hat, wonach „das, was als Tragödie begann, sich als Chance herausstellen könnte“ (Robertson 2002, 1). Es scheint, als ob die USA nunmehr, unter Verweis auf den nach diesem 11. September erklärten »Krieg gegen den Terrorismus« der Maxime folgten, die der Kolumnist und Politikberater Charles Krauthammer schon 1991 als Leitziel der US-Außenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in seinem wegweisenden Artikel »The Unipolar Moment« formuliert hat: „Unsere beste Hoffnung auf Sicherheit… ist Amerikas Stärke und die Willenskraft, eine unipolare Welt zu führen und ohne Scham (unshamed) die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie auch durchzusetzen“ (Krauthammer 1991, 23).
Eine Weltordnung nach Geschmack und unter dem Diktat der einzigen verbliebenen Supermacht ist allerdings nur möglich, wenn das in den letzten hundert Jahren entwickelte Völkerrecht, vor allem aber die Charta der Vereinten Nationen außer Kraft gesetzt werden und das Faustrecht wieder den Verkehr zwischen den Staaten charakterisiert. So wird die Demontage der VN und ihres suprastaatlichen Gewaltmonopols geradezu zur politischen Notwendigkeit für die Dominanzphantasien der derzeitigen US-Regierung. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung war die Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution 1368 vom 12. September 2001. Auch wenn Gerhard Stuby (2001) davon ausgeht, dass der Sicherheitsrat sich mit seiner Resolution 1368 keineswegs seiner Kompetenzen begeben habe, ( diese Argumentation ist politisch wichtig, geht es doch darum, die Alleinzuständigkeit des Sicherheitsrats für Fragen von Krieg und Frieden zu erhalten) so lesen die USA diese Resolution doch ganz anders. Die Formulierung dieser Resolution lässt aufhorchen, sie ist alarmierend, denn der Sicherheitsrat verweist explizit auf das „naturgegebene Recht (der Staaten) zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Einklang mit der Charta“ (Charta der UN, Art. 51).

Dies ist in der Tat wörtliches Zitat aus Artikel 51 der Charta. Auch „bekundet (der Sicherheitsrat) in dieser Resolution seine Bereitschaft, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu antworten, und alle Formen des Terrorismus zu bekämpfen, im Einklang mit seiner Verantwortung nach der Charta der Vereinten Nationen“ (Charta der UN, Art. 51).

Verblüffen muss allerdings, dass der Sicherheitsrat in dieser Resolution nur den ersten Halbsatz des entscheidenden Satzes des Art. 51 zitiert, denn, auf den Passus der „Anerkennung des naturgegebenen Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung“ folgt ein Komma, und hinter diesem geht der Satz folgendermaßen zu Ende: „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“ (Charta der UN, Art. 51).

Genau dies aber tut der Sicherheitsrat nicht, sondern „er bekundet seine Bereitschaft“, dies zu tun – und legt damit seine Verantwortung ad acta! Auch der Hinweis darauf, dass diese Resolution „im Einklang mit der Charta“ zu verstehen sei, ist wichtig: Denn diese verbietet die Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen. Insofern stellt die Betonung des „naturgegebenen Rechts auf […] Selbstverteidigung“ buchstäblich die Quadratur des Kreises dar: der Sicherheitsrat verbeugt sich diplomatisch vor der Charta, deren wichtigstes Organ er ist – und verabschiedet sich von seiner eigenen Rechts- und Existenzgrundlage.

Da kann es nicht verwundern, wenn die USA diese Resolution, die ja wesentlich unter ihrer Mitwirkung zustande kam, als Freibrief verstehen und George W. Bush in seiner Rede vom 29. Januar 2002, in der er die »Achse des Bösen«, (vorläufig) bestehend aus dem Irak, Iran und Nordkorea definierte, feststellt: „Afghanistan hat bewiesen, dass man mit teuren Präzisionswaffen den Feind besiegt und Unschuldige verschont, und wir brauchen mehr davon. Wir müssen alte Flugzeuge ersetzen und unser Militär beweglicher machen, damit wir unsere Truppen schnell und sicher auf der Welt (sic!) stationieren können“ (Bush 2002, 368).

Somit erscheint nach gut zehn Jahren die »humanitäre Intervention« nur noch als eine, wenn auch entscheidende Etappe, die den Krieg wieder führbar gemacht hat. Das jetzt reaktivierte »Recht auf individuelle Selbstverteidigung« – im Klartext: das »ius ad bellum« – und der Verzicht auf den zweiten Halbsatz des Artikels 51 in der Resolution 1368 des Sicherheitsrats, öffnet der staatlichen Willkür und dem Angriffskrieg Tür und Tor. Damit verlässt die US-Regierung die in Art. 2 der Charta formulierten Grundsätze des Respekts der Souveränität der Staaten und der Nichteinmischung ebenso wie die „mit den Zielen der Charta unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ (Charta der UN, Art. 2.4).

In konsequenter Verfolgung dieser völkerrechtswidrigen Selbstermächtigung fordert die am 20. September 2002 veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie der USA (NSS) das »Recht auf Selbstverteidigung« und negiert damit das durch die UN-Charta etablierte Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen. Ja, die USA gehen noch einen Schritt weiter, sie beanspruchen für sich das Recht, Präventivkriege zu führen: „Verteidigung der Vereinigten Staaten, des amerikanischen Volkes und unserer nationalen und internationalen Interessen (Welche sind dies? Wo liegen sie? W.R.), indem wir Bedrohungen ausmachen und ausschalten, bevor sie unsere Grenzen erreichen“ (NSS 2002, 1506f.).

Und um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wird in mehrfacher Wiederholung auf dieses »Recht« verwiesen, das Willkür und Gewalt wieder zur Umgangsform in den internationalen Beziehungen macht, was nach 1945 nie wieder geschehen sollte. Denn erinnern wir uns: Auch Hitlers Angriff auf die Sowjetunion war nichts anderes als ein »Präventivkrieg«: „Wir müssen darauf vorbereitet sind, Schurkenstaaten und ihre terroristische Klientel aufzuhalten, bevor sie in der Lage sind, die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner und Freunde mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen oder sie gegen sie einzusetzen. …Die Vereinigten Staaten werden gegebenenfalls präemptiv handeln, um solche feindlichen Akte unserer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen“ (NSS 2002, 1508).

Und die USA sind seit Regierungsantritt von Präsident Bush konsequent gegen bestehende oder im Entstehen begriffene internationale Vertragssysteme vorgegangen: Nicht nur dass sie das Kyoto-Protokoll zum Umweltschutz nicht unterzeichnet haben, sie haben die Weiterentwicklung einer internationalen Konvention über biologische und chemische Waffen verhindert, sie haben den ABM-Vertrag gekündigt, Präsident Bush hat die Unterschrift seines Vorgängers unter das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zurückgezogen1 – ein in der Geschichte der USA bisher einmaliger Vorgang. Was denn besagt die Kündigung dieser Verträge bzw. das Nichtbeitreten? Doch wohl nichts anderes, als dass die USA sich freimachen von allen Bindungen, die ihnen diese Verträge auferlegen und dass – im Falle des ICC – schwere Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der US-Streitkräfte für möglich gehalten und in Kauf genommen werden. Weshalb denn sonst die Weigerung, diesem Abkommen beizutreten? Was bleibt von den in der Einleitung zur NSS beschworenen Werten: „Getragen vom Glauben an die Prinzipien der Freiheit und die Werte einer freien Gesellschaft…“

Wenn alle diese Werte, die ohne das Recht nicht zu verwirklichen sind, nur für die USA oder »den Westen« gelten, wenn in ihrem Namen (Kriegs-)Verbrechen verübt werden, wie in Hiroshima und Nagasaki, wie in Vietnam, wie schon im Zweiten Golfkrieg (vgl. Clark 1993), dann wird dies der Nährboden sein für Akte extralegaler Gewalt, also für Terrorismus! Und wenn schon Unrechtshandlungen wie die oben erwähnten trotz der Charta der Vereinten Nationen möglich waren – was wird erst kommen, wenn die mächtigste Regierung der Welt offen erklärt, dass sie sich an keinerlei völkerrechtliche Grundsätze mehr gebunden fühlt?

Doch warum das alles? Sicherlich nicht aus reinem Größenwahn! Was mögen die „nationalen und internationalen Interessen“ sein, die hier verfolgt werden? Anders gefragt: Wie soll die Tragödie zur Chance gemacht werden?

Das Ende des bipolaren Zeitalters wurde eingeleitet am 11. September 19902 mit jener als historisch bezeichneten Rede von Präsident George Bush, in der er eine »Neue Weltordnung« verkündete. Diese Rede war der Auftakt zum Zweiten Golfkrieg. Schon damals ging es um die Kontrolle des Erdöls am Persisch-Arabischen Golf. Resultat dieses Krieges war die dauerhafte Stationierung von US-Soldaten auf der Arabischen Halbinsel. Der Krieg gegen Afghanistan wurde bereits ab Juni 2001 geplant (vgl. Martin 2001) weil die Taliban wohl zu hohe Forderungen für den Bau einer Pipeline vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean stellten. Stellt man noch in Rechnung, dass nicht die USA mit ihren rd. 10% aus der Region importierten Erdöls den Rohstoff aus dieser Region benötigen, sondern Europa (40%) und Japan (70%), dann wird erklärlich, worum es hier geht: Ein Krieg wird aller Voraussicht nach den Ölpreis gewaltig in die Höhe schnellen lassen. Die europäischen und japanischen Waren wären auf dem Weltmarkt nicht mehr mit den amerikanischen konkurrenzfähig. Und mit der Stationierung ihrer Armee übernähmen die USA die Kontrolle der gesamten Region und damit über die von ihren beiden wichtigsten wirtschaftlichen Konkurrenten benötigten Ressourcen. Auch sollte nicht vergessen werden: Die USA verstanden die Einführung des Euro, einer Währung, die neben dem Dollar Weltgeltung beansprucht, als eine Herausforderung. Diese Zusammenhänge, nicht der Respekt vor dem Völkerrecht, dürften die deutsche und französische Zurückhaltung gegenüber dem geplanten Krieg erklären.

Denn mit diesem geplanten Krieg gegen den Irak geht es um ein groß angelegtes Projekt: Wenn man den Verlautbarungen aus dem Pentagon und aus den politisch-strategischen »think tanks« der USA glauben darf, ist dieser Krieg nur Auftakt und Teil einer Gesamtstrategie für eine Neuordnung des so genannten »Greater Middle East«,der von Marokko bis Pakistan reicht, also den Kern des immer wieder beschworenen »Islamischen Krisenbogens« umfasst (Ruf 2002, 41ff.). In der jüngsten amerikanischen politikwissenschaftlichen und politikberatenden Literatur werden derzeit die unterschiedlichsten Szenarien entworfen, die allesamt von der Notwendigkeit einer politischen und teilweise territorialen Neuordnung der Region ausgehen (vgl. u.a. Asmus/Pollack 2002). Den Analysen ist gemeinsam, dass der alte Freund Saudi-Arabien inzwischen ein unzuverlässiger Partner geworden zu sein scheint: Blutige Anschläge gegen US-Einrichtungen in den vergangenen Jahren konnten nicht verhindert werden, Proteste gegen das Regime arteten in blutige Unruhen aus, einige muslimische Rechtsgelehrte rechtfertigten die Anschläge des 11. September, die Mehrzahl der Todesflieger des 11. September 2001 stammten aus diesem Land (vgl. Deutsches Orient Institut 2002, 149ff.). Und mit an Hysterie grenzender Publizität wurde im November 2002 in den US-Medien die den Geheimdiensten seit Monaten bekannte »Erkenntnis« gehandelt, Geldspenden der Ehefrau des saudischen Botschafters in Washington seien über Mittelsmänner an die Todesflieger des 11. September gelangt, wodurch suggeriert wurde, die saudischen Dienste seien selbst in den Anschlag verwickelt gewesen.

Vor diesem Hintergrund machen die Szenarien Sinn, die unter der Federführung von Richard N. Perle, dem Vorsitzenden des »defense policy board«im Pentagon, entwickelt worden sind: Danach ist der Irak der „taktische, Saudi-Arabien der strategische Angelpunkt“ des geplanten Krieges und der damit beginnenden »Neuordnung«. Die Saudis, die „auf allen Ebenen der Terrorkette aktiv sind“, sollen abgesetzt, die Haschemiten wieder die Herrscher über Mekka und Medina, die Ölfelder von US-Truppen besetzt werden (vgl. Shafer 2002).

All dies entspringt scheinbar grenzenlosen Großmachtphantasien, es reimt sich allerdings in die Pläne, die (jenseits einer Veränderung des politischen Systems in Saudi-Arabien) als nächstes Angriffs- oder Destabilisierungsziel den Iran und Syrien nennen – wahrlich eine »Neuordnung« des gesamten mittel- und nahöstlichen Raumes. Ob dies allerdings noch den Begriff Ordnung verdient, ist wohl eher zu bezweifeln! Denn unter politischen Gesichtspunkten muss diese geplante »Neuordnung« der Region Befürchtungen auslösen, die weit über die moralisch und völkerrechtlich gebotene Verurteilung eines eiskalt geplanten Angriffskriegs mit dem Ziel des Sturzes einer unliebsamen Regierung hinausgehen. Ob dabei alle Unbekannten eingerechnet wurden? Denn noch gibt es in diesem Raum nicht nur Regierungen sondern auch Völker, deren Hass auf die USA durch solche Arroganz nur noch weiter geschürt werden wird. Und noch sind die unerreichten Ziele des arabischen Nationalismus, die Erlangung tatsächlicher Unabhängigkeit und Einigung, lebendig – auch wenn sie zunehmend in islamistischem Gewande einher kommen. Die gefährliche Strategie der USA kann zu einem Flächenbrand führen, der die ganze Region – und nicht nur die arabischen Länder – in ein unkontrollierbares Chaos stürzt.

Vor diesem Hintergrund wird auch klar, dass – und dies wird ja offen auf dem politischen Marktplatz gehandelt – die Beseitigung etwaiger irakischer Massenvernichtungsmittel nur ein Vorwand ist. Erklärtes Ziel ist die Ablösung des Regimes von Saddam Hussein und seine Ersetzung durch eine »demokratische« (sprich : willfährige und politisch abhängige) Regierung. Auch hier handelt es sich um einen Präzedenzfall ganz besonderer Art, verbieten doch die Art. 2.4 und 2.7 der UN-Charta jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates. Dies ist der Irak formell immer noch – und Mitglied der Vereinten Nationen außerdem. Das Kriegsziel des Auswechselns unliebsamer Regierungen könnte nach dem jetzt geplanten und beschlossenen Präzedenzfall dann auch bald andernorts praktiziert werden.

Und so wird der rationale Kern des Umgangs mit dem Völkerrecht deutlich: Um diese Arroganz der Macht in die Tat umzusetzen, bedarf es der schrittweisen, aber systematischen Demolierung des UN-Systems, denn sowohl die Vereinten Nationen wie das Völkerrecht stehen solchen Vorhaben im Wege. Der gezielte Abbau von Völkerrechtsnormen hat bereits mit dem Zweiten Golfkrieg unter George Bush, sen. begonnen. Denn: Vergessen wird bei der Diskussion um die Legitimation des bevorstehenden Krieges gegen den Irak immer, dass sich die jüngste Resolution 1441 explizit auf die vorangegangenen Resolutionen 687 vom 3. und 688 vom 5. April 1991 beruft. Diese beiden Resolutionen fasste der Sicherheitsrat nachdem die Kampfhandlungen am Golf eingestellt, der Irak sich aus Kuwait zurückgezogen und dessen Souveränität anerkannt hatte. In diesen Resolutionen wurde ein Streifen irakischen Gebiets zu Kuwait geschlagen, so dass Irak keinen Zugang mehr zum Meer hat, wurde die irakische Ökonomie der Aufsicht der UN, des IWF und der Clubs von Paris und London unterstellt, wurde unter dem Vorwand des Schutzes von Minderheiten die irakische Souveränität in südlichen und nördlichen Landesteilen eingeschränkt – eine Regelung, auf die sich die USA, Großbritannien und Frankreich beriefen, als sie – ohne Mandat des Sicherheitsrates! – nördlich des 36. und südlich des 32. Breitengrades jene »Flugverbotszonen« über dem Irak verfügten, einem formal noch immer souveränen Staat (vgl. Ruf 1994, 68ff.).

In diesem Sinne ist die Resolution 1441 vom 8. November 2002 nicht nur ein weiterer Schritt zur Entsouveränisierung des Irak mit erheblicher völkergewohnheitsrechtlicher Konsequenz. Sie ist auch ein weiterer Beitrag zur Beschädigung der UNO und der Aushöhlung ihrer Charta! Genau wie die Resolutionen 687 und 688 und die »präventive Generalamnestie« der Resolution 1368 liefert die Resolution 1441 den USA ein Feigenblatt für den geplanten Krieg. Dies zeigt sich schon in der Tatsache, dass die USA sich bereits jetzt auf Punkt 13 dieser Resolution berufen, die „schwere Konsequenzen als Resultat fortgesetzter Verletzungen seiner (des Iraks) Verpflichtungen“ androht. Einen solchen Verstoß sehen die USA bereits im (versuchten) Beschuss der die »Flugverbotszonen« überfliegenden US-Jets (vgl. Frankfurter Rundschau 19.11.2002). Damit wird abermals überdeutlich klar: Der Krieg ist gewollt und geplant. Und »Verletzungen der Verpflichtungen« werden auf der Basis der Resolution 1441 konstruierbar sein, wenn es dieser überhaupt noch bedarf. Denn, wie bereits in Washington angekündigt: Zumindest die »hardliner« in der US-Regierung um Verteidigungsminister Rumsfeld, seinen Stellvertreter Wolfowitz, Stabschef Perle fühlen sich ermächtigt, auch ohne ein weiteres Mandat des Sicherheitsrats ihren Krieg zu führen. Mit den Resolutionen 1368 und 1441 hat sich dieser ohnehin in die Falle manövriert, der US-Politik den Schein einer völkerrechtlichen Legitimation zu liefern. Gerade unter diesem Aspekt hat der schwedische Friedensforscher Jan Öberg recht, wenn er mit Blick auf das Gefeilsche um ein Mandat des Sicherheitsrats, in einem Interview in »Neues Deutschland« vom 8. November 2002, feststellt: „Natürlich soll dieser Krieg nicht geführt werden. Was ich meine ist, dass die USA nicht die Vereinten Nationen missbrauchen dürfen. Es ist dumm zu sagen, es wäre besser, wenn es ein UN-Mandat für diesen Krieg gäbe. Nein, ist es nicht! Denn dadurch würden die Autorität und Integrität der UNO und der UN-Charta untergraben. Wenn die USA verrückt genug sind, so etwas zu tun, sollen sie es allein tun. Darum fordert kein UN-Mandat! Das ist illegal, unmoralisch und politisch kontraproduktiv. Ein UN-Mandat wäre ein Feigenblatt für eine kriminelle Handlung. Die UNO muss vor solchen Verbrechen geschützt werden.“

Die Kritik Öbergs ist noch in anderer Hinsicht bedenkenswert: Erst dieses Feigenblatt des UN-Mandats, das in erster Linie die UN selbst beschädigt, ermöglicht es den übrigen Regierungen wie auch der der Bundesrepublik Deutschland, eine völkerrechtliche Rechtfertigung für die Unterstützung unterhalb der Schwelle des Mitschießens in diesem Krieg zu konstruieren und logistische Infrastruktur bereit zu stellen. Und was dem Einen recht ist, scheint dem Anderen billig zu sein: Ohne Beachtung des Friedensauftrags des Grundgesetzes wird nun von der neu gebildeten SPD-Grünen Koalition die Bundeswehr zur Interventionsarmee umgerüstet: Zehn Jahre nach der Veröffentlichung der Verteidigungspolitischen Richtlinien des damaligen Verteidigungsministers Volker Rühe wird die Bundeswehr in die Lage versetzt »deutsche Interessen« weltweit zu schützen und durchzusetzen.

Deutlich werden am Beispiel dieses eiskalt, öffentlich und ohne Scham geplanten Krieges dessen Ziele: Hegemoniale Weltherrschaft und umfassende Ressourcenkontrolle. Die einseitig angekündigte Gewaltanwendung verträgt sich aber nicht mit dem Völkerrecht. Also muss dieses demoliert werden, die Vereinten Nationen müssen entweder schrittweise ausgehöhlt oder der Hegemonialmacht gefügig gemacht werden. Beides läuft letztlich auf Dasselbe hinaus: Eine Pax Americana,gebaut auf Willkür und Arroganz, gestützt ausschließlich auf militärische Gewalt. Geltendes Völkerrecht wird durch ein neues Gewohnheitsrecht, die Rückkehr zum Faustrecht ersetzt, das zu Unordnung, Chaos und neuer Anarchie im internationalen System führt und so das genaue Gegenteil dessen bewirkt, was zu erzielen behauptet wird: Diese Art des »Kampfes gegen den (beliebig definierbaren) Terrorismus« steigert nur die Wut der Verlierer und der Unterdrückten und trägt selbst dazu bei, die Rechtsförmigkeit internationaler Beziehungen auf den Müllhaufen der Geschichte zu kehren und damit Gewalt und Gegengewalt jeder Art zu legitimieren.

Der vorliegende Artikel erscheint auch in: Ralph M. Luedtke / Peter Strutinsky (Hrsg.): Wege aus Krieg und Gewalt, Kasseler Schriftenreihe zur Friedenspolitik, Band 9, Kassel 2003.

Literatur

Asmus, Ronald D. and Pollack, Kenneth M.: Transforming the Middle East; in: Policy Review, 115, Sept./Oct. 2002. Übersetzt in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2002, S. 1457-1466.

Brown, Bartram S.: The Statute of the ICC: Past, Present, and Future; in: Sewall, Sarah and Kaysen, Carl: The United States and the International Criminal Court. Lenham, MD 2000.

Bush, George W.: »Achse des Bösen«. Rede des US-Präsidenten George W. Bush zur Lage der Nation vom 29. Januar 2002. In Auszügen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/2002, S. 368-370.

Clark, Ramsey: Wüstensturm – US-Kriegsverbrechen am Golf, Göttingen 1993.

Deutsches Orient-Institut (Hrsg.): Nahostjahrbuch 2001, Opladen 2002, S. 149 –154.

Krauthammer, Charles: The Unipolar Moment; in: Foreign Affairs, 1/1991, S. 23.

Martin, Patrick: Der Krieg in Afghanistan wurde lange vor dem 11. September geplant, Netzbeitrag vom 22.November 2001 (aus dem Englischen vom 20.November 2001). Online unter http://www.wsws.org/de/2001/nov2001/plan-n22.shtml. Zuletzt abgerufen am 28.12.02.

Robertson, Lord: Die Tragödie als Chance. Die NATO nach dem 11. September; in: Internationale Politik, 7/2002, S. 1-6.

Ruf, Werner: Die neue Welt-UN-Ordnung. Vom Umgang des Sicherheitsrats mit der Souveränität der »Dritten Welt«, Münster 1994.

Ruf, Werner: Islam: A New Challenge to the Security of the Western World?; in: Ruf, Werner (ed.): Islam and the West. Judgements, Prejudices, Political Perspectives. Münster 2002, S. 41 – 54.

Stuby, Gerhard: Internationaler Terrorismus und Völkerrecht; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2001 S. 1330 – 1341.

Shafer, Jack: The Power Point that rocked the Pentagon. The LaRouchie defector who’s advising the defense establishment on Saudi Arabia; in: Washington Post 6. Aug. 2002. Online unter http://slate.msn.com//?id=2069119. Posted Wednesday Aug 7, 2002 at 4:49 PM PT. Zuletzt abgerufen am 02.01.03.

NSS 2002: National Security Strategy; Online unter http://. Zuletzt abgerufen am 20.12.02. In Auszügen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2002, S. 1503 – 1512.

Anmerkungen

1) Sicher war diese Unterschrift von Präsident Clinton am letzten Tage seiner Amtszeit ein symbolischer Akt, denn schon das Verhalten der USA in den Verhandlungen über den ICC ließ erkennen, dass sie diesem Vertragswerk, das sie entgegen den ursprünglichen Intentionen erheblich verwässert hatten, wohl nie beitreten würden (vgl. Brown 2000).

2) Der 11. September ist ein Tag von hohem Symbolgehalt: Am 11. September 1973 putschte in Chile das Militär und ermordete den gewählten Präsidenten Salvador Allende.

Prof. Dr. Werner Ruf lehrte bis zum 31. März 2002 Politikwissenschaften an der Uni-GH Kassel

Bush plant den Irak-Krieg

Bush plant den Irak-Krieg

von Jürgen Nieth

„Die Vorbereitungen der USA für einen Krieg gegen den Irak sind weitgehend abgeschlossen“, heißt es in den Spätnachrichten des 7. Dezember, die entsprechenden Truppenkontingente seien im Aufmarschgebiet stationiert.

Zwei Tage vorher habe ich mit meinem 16jährigen Sohn telefoniert, der als Gastschüler seit dem Sommer in West-Virginia lebt. Achtzehn seiner Mitschüler haben im letzten Monat die Schule verlassen, weil sie für diesen Krieg eingezogen wurden. Der Hintergrund: In Gegenden, in denen Arbeitsplätze Mangelware sind, werden bereits während der Schulzeit viele Jungen und Mädchen von der Armee angeworben. Ab dann besteht ein wesentlicher Teil des Unterrichts aus Kampfsport und Militärunterricht. Mit dem Schulabschluss haben die Jugendlichen dann auch ihren militärischen Dienstgrad – oder wie jetzt, ohne Schulabschluss den militärischen Einsatz, u.U. den Kriegseinsatz. Emotional auf den Krieg eingestimmt werden auch die Anderen. Zum Beispiel durch ein öffentliches Bekenntnis: Wer den Präsidenten in seinem Krieg gegen Saddam unterstützt, der darf im Unterricht die Hand heben. In der Klasse meines Sohnes blieb nur eine unten, die des »Ausländers«!

Sicher, die Politik aller US-Regierungen der letzten Jahrzehnte scheute vor dem Einsatz militärischer Mittel nicht zurück, wenn es um die Sicherung politischer und ökonomischer Interessen ging. Die Palette ist breit: Verdeckte Operationen (Kuba) und vom Geheimdienst geförderte Militärputsche (Chile) gehören genauso dazu wie die militärische Einsetzung neuer Regime (Grenada) und langanhaltende Kriege mit hunderttausenden Toten (Vietnam). Der ehemalige amerikanische Justizminster Ramsey Clark spricht von 22 Kriegen, der weltweit bekannteste Friedensforscher, Johan Galtung, von 12 bis 16 Millionen Menschen, die seit dem Zweiten Weltkrieg durch die USA getötet wurden.

Sicher, nicht erst unter Bush jr., sondern bereits unter Clinton wurde – die Tatsache des Zerfalls des großen militärischen Gegenparts nutzend – die eigene Militärstrategie offensiver, man kann auch sagen aggressiver formuliert. Zwar wurde noch der Weg der »Präventiven Verteidigung« beschworen, gleichzeitig aber auch der Einsatz militärischer Mittel angekündigt, „wenn vitale Intreessen der Vereinigten Staaten auf dem Spiel stehen“ (Verteidigungsminister Cohen 1996). Und zu diesen »vitalen Interssen« zählten 1996 wie auch heute die ökonomischen Interessen der USA: In der Nationalen Sicherheitsdoktrin von 1995 gehört die „Förderung der ökonomischen Prosperität Amerikas“ zu den strategischen Kernzielen. In der neuen Sicherheitsdoktrin der Bush-Regierung heißt das, „durch freie Märkte und freien Handel eine neue Ära globalen Wirtschaftswachstums auslösen.“

Die eingangs geschilderte ganz persönliche Erfahrung – auch das Erschrecken darüber, dass es ja fast noch Kinder sind, die da in den Krieg geschickt werden – rundet das Bild ab von einer Gesellschaft, die es gewohnt ist, die eigenen Interessen über alles andere zu stellen.

Es gibt diese Kontinuität, es gibt aber auch eine neue Entwicklung unter Georg W. Bush. Diese zeigt sich in der kompromisslosen Ablehnung einer internationalen Einbindung – Aufkündigung von Rüstungsbegrenzungsverträgen, Nichtakzeptanz des Internationalen Strafgerichtshofs, Blockade der Biowaffenkonferenz usw. – und in dem arroganten Anspruch, das amerikanische Gesellschaftsmodell „Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel dieser Erde zu tragen“. Die Bündnispartnern sind eingeladen, dabei mitzumachen, mitbestimmen dürfen sie nicht, denn die USA „ werden nicht zögern, notfalls allein zu handeln“.

An die Stelle des Begriffs der »Präventiven Verteidigung« rückt der des »Präventiven Krieges«: Die USA reklamieren für sich nicht nur das Recht des atomaren Erstschlags, sondern jetzt auch das Recht des militärischen Erstschlags: Sie werden „die Bedrohung identifizieren und zerstören, bevor sie unsere Grenzen erreicht.“ Am Beispiel des geplanten Krieges gegen den Irak wird deutlich, dass die Bush-Administration selbst bestimmt, wer und was eine Bedrohung für die USA darstellt.

Es ist kein Trost, wenn die amerikanische Regierung in der neuen Sicherheitsdoktrin versichert „nicht in allen Fällen Gewalt anwenden (zu wollen), um aufkommenden Bedrohungen zuvorzukommen.“ Wer einen Angriffskrieg plant – und nichts anderes ist der »Präventivkrieg« – verstößt gegen das Völkerrecht und gehört vor ein Kriegsverbrechertribunal.

Diese neue Sicherheitsdoktrin ist eine Provokation für alle demokratischen Regierungen und eine Motivation für alle am Frieden Interessierten, sich zusammen zu schließen und aktiv zu werden gegen den Alleinherrschaftsanspruch der Bush-Regierung.

Jürgen Nieth

US-Vorherrschaft ausbauen und verewigen

US-Vorherrschaft ausbauen und verewigen

Bushs Nationale Sicherheitsstrategie

von Jürgen Wagner

Von dem Zeitpunkt an, als George F. Kennan 1947 unter dem Pseudonym »Mr. X« in der Zeitschrift Foreign Affairs die Grundlagen der Containment-Politik darstellte, verschrieb sich die Außenpolitik der Vereinigten Staaten vorwiegend einem Ziel: Der Eindämmung der Sowjetunion. Nachdem die USA aus der Blockkonfrontation als einzige Supermacht hervorgingen, galt es diese Strategie an die neuen Bedingungen anzupassen. Die Suche nach einer Nachfolgedoktrin begann.
Seit 1986 ist der US-Präsident per Gesetz (»Goldwater-Nichols Act«) dazu verpflichtet, den Kongress detailliert über den künftigen Kurs der US-Außenpolitik zu unterrichten. Während frühere Versuche, eine »Grand Strategy« für die Zeit nach dem Kalten Krieg zu entwerfen, fehlschlugen, soll nun die vom US-Präsidenten am 20. September 2002 vorgelegte Nationale Sicherheitsstrategie (NSS), besser bekannt unter dem Namen Bush-Doktrin, der große Wurf sein.1

Die neue »Grand Strategy«?

Auffällig ist zunächst einmal, dass die NSS eindeutig die Handschrift jener Neokonservativen Hardliner um Vizepräsident Dick Cheney und den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz trägt, die schon seit Jahren für eine hegemoniale, auf militärische Stärke und deren Anwendung setzende US- Außenpolitik plädieren. Trotzdem sehen nicht wenige in ihr die Nachfolgedoktrin des National Security Council Memorandums (NSC) vom April 1950, das seinerzeit die Containment-Politik offiziell einleitete und fortan von den außenpolitischen Eliten der USA weitgehend im Konsens verfolgt wurde.2

Der Grundgedanke der NSS besteht darin, die Zementierung der US-Hegemonie als neue Leitlinie der US-Außenpolitik zu etablieren. Hierfür integriert sie wichtige Aspekte der beiden dominierenden außenpolitischen US-Denkschulen: Die Verfolgung klassischer Machtpolitik und Interessenswahrung des Realismus findet sich in der NSS ebenso wieder, wie die im liberalen Internationalismus angelegte Forderung nach aggressiver Ausweitung von Demokratie und Marktwirtschaft. Gleichzeitig werden moderatere Elemente, wie die Forderung der »Realisten« nach einem zurückhaltenden Einsatz militärischer Gewalt oder die der »Internationalisten« nach stärkerer Ausrichtung auf multilaterale Kooperation, zugunsten einer konsequenten Verfolgung des eigenen Hegemonialanspruchs über Bord geworfen. „Im schlimmsten Fall“, so John Ikenberry, Professor für Geopolitik an der Georgetown University, geht es hier um „eine neoimperiale Vision, in der die Vereinigten Staaten für sich eine globale Rolle reklamieren: Standards festzulegen, Gefahren zu definieren, Gewalt anzuwenden und Gerichtsbarkeit auszuüben.“3 Dies ist aber lediglich die logische Folge dessen, dass die NSS den eingeschlagenen Weg der US-Außenpolitik konsequent zu Ende denkt, indem der Grundgedanke einer Aufrechterhaltung der eigenen Hegemonialposition mit der hierfür notwendigen aggressiven außenpolitischen Doktrin flankiert wird.

Falls diese Prämisse breite Unterstützung findet, besteht das Hauptproblem nicht darin, dass eine kleine Gruppe von Hardlinern kurzzeitig die US-Außenpolitik dominiert, sondern darin, dass sich die Vereinigten Staaten damit auf Konfrontationskurs mit der restlichen Welt begeben haben. Gerade diese Polarisierung macht die NSS zu einem Dokument, das gründlich und grundsätzlich analysiert werden muss.

Der hegemoniale Konsens

Seit Charles Krauthammer Anfang der 90er den »unipolaren Moment« ausrief, der auf das Ende der Sowjetunion und dem damit verbundenen Aufstieg der USA zur einzigen Supermacht folgte, steht die Forderung nach einer Verewigung der US-Hegemonie im Zentrum des neokonservativen Denkens. Diese neue Aufgabe der US-Außenpolitik wurde in ihren Grundzügen schon vor 10 Jahren in der unter anderem von Cheney und Wolfowitz verfassten »Defense Planning Guidance« festgelegt. Seither zieht sich diese Prioritätensetzung wie ein roter Faden durch neokonservative Veröffentlichungen. So unterstrich eine Studie vom September 2000, an der neben Wolfowitz auch Lewis Libby, Cheneys Stabschef und weitere Mitglieder der Bush-Administration beteiligt waren, dass sich die gesamte US-Außenpolitik diesem Ziel unterzuordnen habe: „Derzeit sieht sich die USA keinem globalen Rivalen ausgesetzt. Die Grand Strategy der USA sollte darauf abzielen, diese vorteilhafte Position so weit wie möglich in die Zukunft zu bewahren und auszuweiten.“4

Den neokonservativen Präferenzen entsprechend übernimmt auch die NSS diese Forderung: „Der Präsident beabsichtigt nicht, es irgendeiner anderen ausländischen Macht zu erlauben, den gewaltigen Vorsprung, der sich den USA seit dem Kalten Krieg eröffnet hat, aufzuholen.“5 Der Rest des Dokumentes dient primär der Umsetzung dieses Zieles.

Allerdings handelt es sich hierbei nicht allein um ein Projekt der äußersten republikanischen Rechten. Nahezu die komplette außenpolitische US-Elite teilt die Auffassung, die US-Strategie müsse sich darauf konzentrieren, keinen ebenbürtigen Rivalen zuzulassen. So war die Bewahrung der US-Vormachtstellung auch unter Clinton das maßgebliche Ziel seiner Außenpolitik.6

Aufgrund der gemeinsamen Prämisse verwundert es nicht, dass es sich bei der NSS „um die konsequente Fortschreibung längst vorhandener respektive sich seit langem abzeichnender Konzeptionen handelt,“7 die auf viele operative Elemente aus der Clinton-Zeit zurückgreift. Allerdings war eine Hauptkritik an Bushs Vorgänger, diese Einzelelemente nicht konsequent zu einem kohärenten Ansatz zusammengefügt zu haben, der sich klar an der Verfolgung von Washingtons Hegemonialanspruch orientierte. Dies mündete in den Vorwurf des »halbherzigen Hegemons« bzw. des »widerwilligen Sheriffs«. Die NSS soll genau diesen Makel beheben und die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit schließen.8

Vom »Containment« zur »Pax Americana«

Galt die bloße Forderung nach einer dauerhaften Vormachtstellung lange als undenkbar, ist sie heute überall zu vernehmen. Als Rechtfertigung dient die Aussage, ein unipolares System mit den USA an der Spitze sei die beste Möglichkeit kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden. Aufgrund der permanenten staatlichen Interessenskonflikte drohe ansonsten immer die Gefahr einer militärischen Verregelung von Konflikten oder einer erneuten Blockkonfrontation. Jeder relative Machtverlust vergrößere die Bedrohung der USA und müsse deshalb unter allen Umständen verhindert werden. Dieses Ringen um eine »dauerhafte Vormachtstellung« bedingt den ständigen Ausbau der militärisch-ökonomischen Führungsposition und mündet in der Forderung nach einer »Pax Americana« bzw. eines US-Imperiums. Gleichzeitig wird damit versucht, eine im wesentlichen egoistische Politik als pazifizierendes Element der Weltpolitik umzudeuten, an dessen Verfolgung allen Staaten gelegen sein sollte.9

Schon lange vor dem 11. September benannte ein neokonservatives Grundlagenpapier die »Pax Americana« als strategisches Ziel der US-Politik und beschrieb die hierfür notwendigen militärischen Aufgaben (vgl. Tabelle).

Die auffällige Verknüpfung realistischer und internationalistischer Komponenten ist auch zentraler Bestandteil der NSS und zeigt, dass die wesentlichen Elemente der neuen Doktrin sich nicht unmittelbar auf die New Yorker Anschläge beziehen: „Das übergreifende Ziel dieser Strategie ist nicht der Kampf gegen terroristische Gruppen oder Staaten, sondern Erhalt und Ausbau der Ungleichheit zwischen Amerika und dem Rest der Welt und die Vollendung der weltweiten Durchsetzung des amerikanisch dominierten Modells.“11 Der »Kampf gegen den Terror« liefert den Vorwand für die Umsetzung dieser imperialen Strategie und gibt zudem die militärischen Antworten, wie man mit den Folgen dieser Politik umgehen will.

»Full Spectrum Dominance«

„Wir sind wachsam gegenüber einer erneuten Großmachtkonkurrenz“, betont die NSS (S. 30). Um dies zu verhindern müsse das militärische Potenzial der Vereinigten Staaten „groß genug sein, um mögliche Gegner davon abzuhalten, in der Hoffnung die Macht der USA zu übertreffen oder einzuholen, eine militärische Aufrüstung anzustreben.“

Dieser Ruf nach permanenter militärischer Dominanz ist ein zentraler Baustein der US-Hegemonialpolitik. „Amerika sollte versuchen seine globale Führungsposition durch die Übermacht seines Militärs zu bewahren und auszuweiten,“ verkündeten die Neokonservativen schon vor ihrem Einzug ins Weiße Haus.12

Allerdings wurde schon unter Clinton die Doktrin der »Full Spectrum Dominance« erarbeitet. Amerika solle die Dominanz über jeden erdenklichen Gegner auf allen möglichen Schlachtfeldern erlangen, so die bereits 1996 veröffentlichte Joint Vision 2010. Die NSS (S. 29) betont zudem die Bedeutung einer »Vorwärtspräsenz« in „strategisch vitalen Regionen“, was im Einklang mit der nun begonnenen radikalen Ausweitung US-amerikanischer Truppenstationierungen in der kaspischen Region und wohl auch bald am Persischen Golf steht.

Gleichzeitig wird ein Legitimationskonstrukt entworfen, das der Anwendung dieses Potenzials nahezu einen Blankoscheck erteilt.

Proliferation, Präemption und Krieg auf Verdacht

Laut NSS (S. 6) ist die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln (Proliferation) nun das handlungsleitende Prinzip der US-Regierung: „Unsere unmittelbare Aufmerksamkeit wird sich auf die Terrororganisationen globaler Reichweite und […] staatliche Unterstützer des Terrorismus richten, die versuchen Massenvernichtungsmittel zu benutzen oder an deren Vorläufer zu gelangen.“ Angeblich hätten die Anschläge des 11. September belegt, dass die traditionellen Ansätze – Abschreckung, Eindämmung und Rüstungskontrolle – nach dem Kalten Krieg nicht mehr greifen würden: „Abschreckung, die allein auf einer Drohung mit Vergeltung basiert, funktioniert kaum gegen Führer von Schurkenstaaten, die eher bereit sind Risiken einzugehen.“ (NSS, S. 15) Zusätzlich sei die Möglichkeit einer Weitergabe von Massenvernichtungsmitteln an Terroristen nicht tolerierbar, weshalb die NSS (S. 6) fordert, die „Gefahr zu beseitigen, bevor sie unsere Grenzen erreicht“, indem die USA „nicht zögern werden, wenn notwendig auch allein, durch präemptives Handeln ihr Recht auf Selbstverteidigung auszuüben.“

Während die US-Regierung von Präemption spricht, was eine vom Völkerrecht gedeckte militärische Reaktion auf einen nachweislich und unmittelbar bevorstehenden Angriff darstellt, ist in Wirklichkeit Prävention, die Vorbeugung möglicherweise künftig entstehender, keineswegs sicher auftretender Gefahren gemeint. Dies ist jedoch ein klarer Bruch des Völkerrechts und die faktische Beendigung staatlicher Souveränität.

Gerade in dem als Präzedenzfall vorgesehenen Angriffskrieg gegen den Irak wird deutlich, da eine irakische Aggression wohl kaum bevorsteht, dass er als eine präemptive Aktion nach gängigem Verständnis nicht zu rechtfertigen ist. Auch der US-Regierung scheint dieser Widerspruch bewusst zu sein.Deshalb fordert sie in der NSS (S. 15), das „Konzept unmittelbar bevorstehender Gefahren an die Ziele und Möglichkeiten heutiger Gegner anzupassen.“ Das Beispiel Irak zeigt auch, dass Washington inzwischen der bloße Versuch an Massenvernichtungsmittel zu gelangen, ja sogar der unbewiesene Verdacht, als Kriegsgrund ausreicht.

Zwar wird angegeben, nicht in allen Fällen präemptiv handeln zu wollen, allerdings vermisst man jegliche Kriterien dazu, wann solche Einsätze legitim sein sollen. „Würden die USA das Interventions- und Präventionsprinzip künftig durchgehend anwenden, so ergäbe sich angesichts einer stets vorhandenen latenten Terrorismusgefahr eine geradezu permanente Interventionslage, mit den entsprechenden Gefahren für die internationale Stabilität.“13 Der Anspruch, nahezu beliebig und frei von Restriktionen Staaten militärisch abstrafen zu können, ist offensichtlich und integraler Bestandteil einer »Pax Americana«. Manche Beobachter gehen sogar soweit, der Bush-Doktrin eine strukturelle Ähnlichkeit zur Breschnew-Doktrin zu attestieren, was sicher nicht völlig falsch ist.14

Das verweist auf eine destabilisierende Wirkung der NSS. Wenn die USA auf bloße Anschuldigung hin ein militärisches Eingreifen androhen, ist es wenig plausibel, wieso andere Staaten diese Herangehensweise nicht übernehmen sollten. Russlands explizit mit dem Verweis auf die Bush-Doktrin erfolgte Drohungen gegenüber Georgien zeigen hier die ersten fatalen Folgen. Um dem vorzubeugen dürfen laut NSS (S. 15) „Staaten Präemption nicht als Vorwand für Aggressionen benutzen.“

Die Deutungsgewalt verbleibt aber alleinig in den Händen der einzigen Weltmacht, was wohl eines der entscheidenden Merkmale der neuen Doktrin ist. Während Abschreckung und Rüstungskontrolle lange Zeit auf Gegenseitigkeit beruhten, werden sie heute einseitig angewandt und um eine offensive Komponente ergänzt. So behält sich Washington das Recht vor – entgegen den Zusagen des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages – sein Abschreckungspotenzial auf alle Ewigkeit zu behalten, nennt den gleichen Versuch anderer Staaten aber »nukleare Erpressung«. Während man selbst die Bio- und Chemiewaffenkonventionen verletzt, werden andere Länder ohne Beweise angeklagt solche Waffen zu entwickeln und ihnen deswegen militärische Konsequenzen angedroht. Das Prinzip gegenseitiger Abschreckung kann nicht geduldet werden, da Washington ansonsten seinen Kontrollanspruch in wichtigen Regionen aufgeben müsste.

Die Freiheitsdoktrin

Was Clinton mit seiner 1993 veröffentlichten »Strategy of Enlargement« recht war, ist der Bush-Administration nur billig. Damals wie heute wird versucht die aggressive Ausweitung des neoliberalen Systems als Förderung demokratischer Werte zu verkaufen. Tatsächlich geht es aber nicht darum, Länder zu demokratisieren, sondern sie dazu zu veranlassen, sich an die wichtigsten Spielregeln des kapitalistischen Systems zu halten. Deshalb fordert die NSS (S. 21f.) „Gesellschaften für Handel und Investitionen [zu] öffnen. […] Freie Märkte und freier Handel sind Schlüsselprioritäten unserer nationalen Sicherheitsstrategie.“ Die Ausweitung „demokratischer Zonen des Friedens“ wird hierbei für die US-Strategen zur „militärischen Aufgabe“ (vgl. Tabelle).

Insbesondere seit den Anschlägen des 11. September wird in Sicherheitskreisen eine hierauf abzielende »Freiheitsdoktrin« diskutiert. Diese erfordere „die Eliminierung der gegen die Freiheit gerichteten Kräfte, seien es Individuen, Bewegungen oder Regime. Danach kommt die Konstruktion pro-freiheitlicher Kräfte. […] Schließlich kommt die Etablierung von Regierungen, die die Freiheit ihrer eigenen Bevölkerung ebenso schätzen und schützen, wie dies die Vereinigten Staaten tun.“ Dies sei ein Konzept, das Realisten und Internationalisten, „Woodrow Wilson und Ronald Reagan begrüßen würden“.15

Die Bush-Doktrin rechtfertigt das, indem die »aggressive Demokratisierung« zu einem nationalen Sicherheitsinteresse erhoben wird. Autoritär regierte, fehlgeschlagene Staaten seien selbst dafür verantwortlich, wenn in ihrem Land Terrorismus gedeihe. Das vorgebliche Ziel Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft zu bringen, wird bei Nichterreichen zu einer Gefahr für die USA, der auch klassische Realisten begegnen müssen. Aus diesem Grund sei beispielsweise die »demokratische Transformation« des Mittleren Ostens zwingend notwendig.16

In einer Neuauflage des »humanitären Interventionismus« der 90er Jahre wird hiermit ein weiterer Kriegsgrund etabliert, der die Möglichkeit eröffnet, Staaten gewaltsam in das US-Interessen befördernde Weltsystem einzubinden. Zudem reagiert man auch auf die negativen Auswirkungen des Neoliberalismus, wie auch der Kontrollpolitik in Schlüsselregionen, indem die hierdurch entstehenden, Terrorismus befördernden Spannungen und sozialen Verwerfungen den Staaten selbst in die Schuhe geschoben und als Kriegsgrund gewertet werden. Der vom Westen verwaltete Terrorstaat, wird zur logischen Folge von Neoliberalismus und Kontrollanspruch.

Das Paradox der Hegemonie

Schon Clinton verkündete 1994 er werde die nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten wenn nötig auch im Alleingang verfolgen. Die NSS (S. 1) erneuert diesen Anspruch, indem sie einen „ausgeprägten amerikanischen Internationalismus“ verkündet, der letztlich darauf hinausläuft, nur dann auf Kooperation zu setzen, wenn diese eindeutig US-Interessen befördert. Im Umkehrschluss hat die Bush-Administration ihre Bereitschaft, hinderliche Vereinbarungen aufzukündigen, mehr als einmal unter Beweis gestellt. Auch das ist eine deutliche Zuspitzung schon lange vorhandener Tendenzen.

Genau an diesem Punkt setzen die meisten Kritiker der Bush-Doktrin an. Sie befürchten, die allzu rigorose Durchsetzung eigener Interessen untergrabe die Legitimität des US-Führungsanspruchs. Ohne Rücksichtnahme auf Verbündete und einer wenigstens ansatzweisen Einhaltung internationaler Verbindlichkeiten werde sich die USA zunehmend isolieren und sich neue Gegner schaffen. Auch werde sie Schwierigkeiten haben, die Vielzahl ihrer Interessen im Alleingang zu sichern.17

So richtig diese Kritik ist, verwischt sie doch den fundamentalen Bedingungszusammenhang zwischen Hegemonialanspruch und der hierfür zwingend notwendigen imperialen Politik. Denn ein hegemoniales System ist eben keineswegs die »gütigste Ordnungsform« (Robert Kagan) sondern basiert im Gegenteil auf einer ausbeuterischen Dominanz, die Ungleichheit zementiert und Konflikte verschärft statt vermeidet. Es gibt ihn nicht, den »wohlwollenden Hegemon«, da sich dieser letztlich das eigene Grab schaufelt. Eine konsequente Beachtung internationaler Vereinbarungen, gar ein Ausbau rechtlicher Strukturen, würde den graduellen Aufstieg anderer Mächte mit sich bringen, damit der rücksichtslosen Durchsetzung eigener politischer und ökonomischer Interessen entgegenstehen und so den Verlust der eigenen Hegemonialposition nach sich ziehen.

Die Verfolgung einer imperialen Strategie verbleibt so als einzige Handlungsoption, nimmt man den Anspruch auf Verewigung der US-Hegemonie ernst.

Allerdings „gibt es ein Problem mit der rosigen Vision einer »Pax Americana«; sie wird nicht funktionieren.“18 Das Paradox der Hegemonie liegt darin, dass eine rigorose Interessenspolitik den imperialen Niedergang beschleunigt:

  • Die Bestrebungen, anti-hegemoniale Allianzen zu bilden, werden proportional zur Rücksichtslosigkeit der US-Außenpolitik zunehmen.
  • Der Verbreitung von Massenvernichtungsmittel wird durch die permanente Androhung militärischer Gewalt massiv Vorschub geleistet.
  • Die mit der Verbreitung des Neoliberalismus einhergehende Verarmung weiter Teile der Welt führt im Inneren zu Verteilungskonflikten, die oft als ethnische Spannungen interpretiert werden und zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung von außen »befriedet« werden müssen. Verbunden mit der notwendigen Kontrolle von Schlüsselregionen wird hiermit der Nährboden für terroristische Gruppen bereitet, die beabsichtigen, der alles dominierenden Weltmacht mit asymmetrischen Mitteln schweren Schaden zuzufügen.
  • Je imperialer sich Washingtons Außenpolitik gibt, desto vielfältiger werden die militärisch zu wahrenden Interessen. Dies führt nicht nur zu zahlreichen Konflikten, sondern auch zu imperialer Überdehnung aufgrund der Fehlakkumulation von Ressourcen durch Überinvestition in den militärischen Bereich.

„Die Pax Americana ist vorüber“, urteilt Immanuel Wallerstein. „Die Herausforderungen in Vietnam, auf dem Balkan, im Mittleren Osten bis hin zum 11. September haben die Grenzen amerikanischer Vorherrschaft offenbart. Werden die USA lernen, ruhig schwächer zu werden, oder werden die US-Konservativen sich widersetzen und dabei einen graduellen Niedergang in einen schnellen und gefährlichen Absturz verwandeln?“19

Nur eine Abkehr von dem alles beherrschenden Gedanken, ewig alleine die Spitze halten zu wollen – im Optimalfall sogar der Entschluss, die augenblickliche Position für den Aufbau einer auf Gleichheit basierenden internationalen Ordnung zu nutzen – wird schwere Konflikte verhindern können. Ein Gedanke, für den sich in Washington – nicht nur unter den Neokonservativen – augenblicklich kaum jemand zu erwärmen scheint.

Anmerkungen

1) The National Security Strategy of the United States of America, The White House, 17.09.02.

2) Schwarz, Klaus-Dieter: Amerikas Mission, SWP Aktuell 38, Oktober 2002, S. 1.

3) Ikenberry, John G.: America’s Imperial Ambition, in: Foreign Affairs, September/October 2002, S. 44-60, S. 44; vgl. auch Hendrickson, David C.: Toward Universal Empire, World Policy Journal, Vol. XIX, No 3, Fall 2002, S. 1-10.

4) Rebuilding America’s Defenses. A Report of The Project for the New American Century, September 2000, S. II; Vgl. auch Wolfowitz, Paul: Remembering the Future, in: The National Interest (No. 59), Spring 2000.

5) Interessanterweise wurde dieser Satz kurz vor der Veröffentlichung noch aus dem Dokument entfernt. Vgl. Press Briefing by Ari Fleischer, Office of the Press Secretary, 20.09.02.

6) Vgl. Schwarz, Klaus-Dieter: Weltmacht USA, Baden-Baden 1999; Rudolf, Peter: ,A Distinctly American Internationalism’, in: IPG, 2/01, S. 127-138.

7) Rose, Jürgen: Die Schlacht zum Feind tragen, Freitag, Nr. 42/02.

8) Vgl. Tucker, Robert: The End of a Contradiction?, in: In The National Interest, Vol. 1, Issue 1, 09.09.02.

9) Vertreter dieser Auffassung gibt es viele. Im akademischen Bereich fand folgender Aufsatz die größte Beachtung: Wohlforth, William C.: The Stability of a Unipolar World, in: International Security, Vol. 24, No. 1 (Summer 1999), S. 5-41.

10) Rebuilding America’s defenses, S. 14.

11) Rilling, Rainer: ’American Empire’ als Wille und Vorstellung, RLS Standpunkte, 9/02, S. 4.

12) Rebuilding America’s defenses, S. IV.

13) Kamp Karl-Heinz: The National Security Strategy, KAS, 25.09.02.

14) Magolis, Eric: A war only the White House wants, Toronto Sun, 25.08.02; Rilling a.a.O., S. 6.

15) McFaul, Michael: The Liberty Doctrine, in: Policy Review, April-May 2002.

16) Vgl. Gaddis, John L.: A Grand Strategy, in: Foreign Policy, November/December 2002, S. 50-57; Podhoretz, Norman: In Praise of the Bush Doctrine, in: Commentary Magazine, September 2002.

17) Vgl. bspws. Nye, Joseph S. Jr.: The American national interest and global public goods, in: International Affairs, vol. 78, no. 2 (2002), S. 233-244.

18) Mearsheimer, John J.: Hearts and Minds, in: The National Interest, No. 69 (Fall 2002).

19) Wallerstein, Immanuel: The Eagle has Crash Landed, in: Foreign Policy, July/August 2002, S. 60-68, S. 60.

Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Mitlitarisierung (IMI e.V.). Er bearbeitet dort den Schwerpunkt US-Außen- und Sicherheitspolitik. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Das ewige Imperium: Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor.“

Teppichmesser oder Computerangriffe?

Teppichmesser oder Computerangriffe?

Der Bedrohungsdiskurs in den USA nach dem 11. September

von Oliver Minkwitz

Dass die Behauptung »10 Hacker und 10 Millionen Euro genügen, um die Welt elektronisch zum Erliegen zu bringen«, eine maßlose Übertreibung ist, gilt auch nach dem 11. September. Nur Journalisten, die sich noch nie ernsthaft mit den Risiken der elektronischen Welt auseinandergesetzt haben, fallen solchen Übertreibungen noch zum Opfer. Trotzdem wird in der Presse immer wieder die Gefahr von Cyberattacken durch feindliche Staaten und durch sogenannte »Cyber-Terroristen« bemüht.1 Unterstützt wird die Ventilierung solcher übertriebener Bedrohungsszenarien vor allem von den US-Militärs, der Regierungsbürokratie und von konservativen Think Tanks wie dem »Center for Strategy and International Security« (CSIS).
Nicht zuletzt durch die Übertreibungen und Argumentationen jenseits der Fakten materialisierte sich der Bedrohungsdiskurs schon während der Clinton-Regierung. Er setzte sich unter der neuen konservativen Bush-Administration fort mit der Schaffung neuer Militärdoktrinen und Organisationen. Ebenfalls weniger bekannt ist, dass das US-amerikanische Militär bei der Planung von »Informations Operationen« als Schwerpunkt zukünftiger Kriegsführung und deren Integration in bestehende Militärstrategien am weitesten vorgeschritten ist.2

Al Qaida, das Internet und Computer

Nach dem 11. September wurde die Bedrohungsdebatte der Cyber-Attacken auf »kritische Infrastrukturen« (Transport, Finanzdienstleistungen, Energie- und Wasserversorgung sowie Regierungsfunktionen) überraschenderweise unbeschadet fortgesetzt. Dabei zeigten die Anschläge auf das World Trade Center gerade das Gegenteil. Die Attentäter konnten mit einem Minimum an technischen Mitteln ihre Anschläge durchführen: Die Terroristen benutzen zwar, wie der Presse zu entnehmen war, Web-Email Accounts, buchten ihre Flüge über die Online-Reisebüros und nutzten möglicherweise Verschlüsselungsprogramme.3 Das Steuern der Flugzeuge in die zwei Türme erforderte wahrscheinlich Training am Simulator und einer der Attentäter überprüfte möglicherweise die Koordinaten der Türme mit Hilfe eines GPS-Senders, der in jedem Elektronik-Laden zu erstehen ist. Dies allerdings als Cyberterrorismus oder als Hinweis darauf zu werten, dass zukünftige Terroristen vor allem im Cyberspace operieren werden, ist absurd. Schon vor den Anschlägen im September galt Osama Bin Laden als »Superterrorist« der »Cyberspace und Terrorismus« verbindet. Es wurde behauptet, dass die Terroristen über Internetcafés anonym Nachrichten austauschen, dass die Al Qaida leicht zugängliche Verschlüsselungsprogramme, wie z.B. Pretty Good Privacy (PGP) nutzt oder ihre Nachrichten in Bilder, Textdateien, Audio-Daten und auf pornographischen Webseiten mittels Steganographie-Softwere versteckt.4 So wiederholte FBI-Direktor Louis Freeh vor einem Senatsausschuss Aussagen des CIA-Chefs George Tenet: „Hizbollah, Hamas, the Abu Nidal organization and Bin Laden‘s al Qa‘ida organization are using computerized files, e-mail and encryption to support their operations.“5 Bewiesen wurde das allerdings nie und zitiert wurden immer wieder anonyme Mitarbeiter aus den Geheimdiensten oder Sicherheitsbehörden. Letztlich stellt die Nutzung von Computern, Internet und Software auch keine großartige Gefahr dar. Denn um wirkliche Cyberangriffe durchzuführen und damit ökonomischen Schaden zu verursachen, benötigt man in der Regel Insider-Wissen: Man muss vor Ort mit den System vertraut sein oder die Passwörter besitzen. Es würde auch nicht ausreichen, nur ein System zu kennen. Terroristen müssten mit unterschiedlichsten Computersystemen vertraut sein, die in der Flugüberwachung, in Atomkraftwerken oder bei Telefongesellschaften eingesetzt werden. Hinzu kommt, dass solche Systeme nicht an öffentliche Netze angeschlossen sind. Im schlimmsten Falle können »Denial-of-Service« Attacken höchstens Shoppingportale – wie Ebay oder Yahoo – treffen und diese zeitweise blockieren, wie dies 1998 durch unbekannte Hackerangriffe geschah.

Cyberterrorismus ist ein Mythos

Die Logik, die hinter diesen absurden und irrelevanten Cyberterrorismus-Vermutungen steht, ist allerdings einfach zu erklären. Die Geheimdienste haben seit Jahren Angst, im Rennen um die immer stärker werdende und einfacher zu bedienende Kryptographie-Software vollständig abgehängt zu werden. Der Mythos des »Cyberterrorismus« dient da als Legitimations- und Argumentationshilfe der Sicherheitsbehörden, um gesetzliche Beschränkungen beim Abhören, bei Eingriffen in die Privatsphäre zu minimieren, eine Erhöhung des Budgets zu erreichen und die Liberalisierung des Handels mit Krytographie-Software rückgängig zu machen. Noch unter der Clinton-Regierung galten Ausfuhrbeschränkungen für Krypto-Technologie. Das populäre Programm PGP fiel bis 1998 sogar unter das Kriegswaffen-Exportverbot der USA. Für die Attentate auf das World Trade Center, das US-amerikanische Schlachtschiff »Cole« oder die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam war die Informationstechnologie jedoch nicht das entscheidende Hilfsmittel.

Letztlich entscheidend für die Durchführung der Attentate im September war, dass die Täter externe Finanzquellen hatten, zu allem bereit waren und es ihnen gelang, auf Grund mangelnder Flughafensicherheit, Teppichmesser in die Maschinen zu schmuggeln. Mit Computer- oder Informationskriegsführung hat das beim besten Willen nichts zu tun. Dass Terroristen Emails benutzen oder ihre Emails verschlüsseln, ist auch keine neue Qualität. Die Nutzung von Informationstechnologie durch Terroristen ist genauso banal wie die Nutzung des Telefons, des Autos oder das unsichtbar machen von Nachrichten, indem man mit Zitronensaft schreibt.

Bedrohungsdiskurse auf Autopilot

Obwohl nach den Anschlägen deutlich wurde, dass das von vielen Experten seit Jahren herbeigeredete »elektronische Pearl Harbor« ausblieb, wurde die Gefahr von »Cyberterroristen« bemüht. Aus dem Joint Task Force-Computer Network Operations, das für die teilstreitkraftübergreifende offensive und defensive Nutzung des Cyberspace durch die US-Militärs zuständig und dem US Space Command unterstellt ist, ließ der Pressesprecher noch am selben Tag verlauten, dass man keine gefährlichen Aktivitäten verzeichne: „We are doing the same things we do every day (…)but so far we‘re seeing no increased activity on our networks.“6 Die zentrale Regierungsstelle für die Abwehr von Cyberattacken, das National Infrastructure Protection Center (NIPC) gab dennoch eine Warnung an privatwirtschaftliche und kommunale Mitglieder aus, alle nicht unbedingt notwendigen Computersysteme vom Netz zu nehmen. Die Presse sprang ebenfalls darauf an und USA-Today berichtete über mögliche Cyberanschläge, die nach den Szenarien von Experten in der Folge von Anschlägen in der physikalischen Welt auch elektronisch zu erwarten seien.7 Unter diesem Druck nahm US-Präsident Bush eine symbolische Umstrukturierung vor. Er richtete ein »Office of Cyberdefense« im Weißen Haus ein, das dem ebenfalls neugeschaffenen »Office for Homeland Security« unterstellt wurde.8 Der Grundstein für dieses Amt wurde allerdings schon unter Clinton, 1998 mit der »Presidential Decision Directive Nr.63« (PDD-63), gelegt. Es blieb auch in der Verantwortung von Richard Clark, der vorher bereits als nationaler Koordinator im Weißen Haus zuständig für den Schutz der kritischen Infrastruktur war.9 Unter dem Eindruck der Terroranschläge setzte sich mit Schaffung des »Office for Homeland Security« eine Politik durch, die zum ersten Mal in der US-amerikanischen Geschichte die Verteidigung des eigenen Territoriums in den Blick nahm. Auf der militärischen Seite wurde die Kommandostruktur der amerikanischen Streitkräfte neu strukturiert und ein eigenes Kommando zur Verteidigung des US-amerikanischen Territoriums geschaffen.10

Der 11. September hätte somit die Debatte um Informationskrieg und die Verletzlichkeit von kritischen Infrastrukturen mit einem Schlag beenden können. Mittlerweile ist der »Cyber-Bedrohungsdiskurs« allerdings eingeschliffen und mit der neugeschaffenen Behörde (Office for Homeland Security) auch institutionell verankert.

Die gleiche Loslösung von der Realität wie in der Debatte um Cyberterrorismus, findet sich in der Debatte um die US-amerikanische Raketenabwehr wieder. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Sinn eines Verteidigungssystems, das extrem teuer und nur für ein extrem unwahrscheinliches Szenario Schutz bietet, wie es der Senator und Vorsitzende Tom Daschle noch im August 2001 auf den Punkt brachte: „National Missile Defense is the most expensive possible response to the least likely threat we face“.11 Die Wahrscheinlichkeit, dass eine den USA feindlich gesinnte Nation ein komplettes und funktionierendes Raketenprogramm auf die Beine stellt und dann auch noch die Intention besitzt, die USA tatsächlich anzugreifen, hat selbst der CIA im letzten Bedrohungsbericht nach unten korrigieren müssen.12 Viel eher gehen Terrorexperten davon aus, dass Terroristen weiterhin konventionelle Bomben bauen werden oder es ihnen im schlimmsten Falle gelingt, eine »radiologische Waffe« aus gestohlenem Plutonium zu bauen.13 Auch wenn letzterer Fall ein mögliches Katastrophenszenario darstellt, ein Raketenschirm bietet dagegen genauso wenig Schutz wie gegen Angriffe mit chemischen oder biologischen Waffen.

Clintons elektronisches Erbe und ein neuer (alter) Dreh

Den Mythos des Cyberterrorismus gab es schon vor der jetzigen Bush-Regierung und sie erreichte einen Höhepunkt während der Amtszeit von US-Präsident Clinton. Das Szenario – oder besser »der mediale Hype um ein mögliches elektronisches Pearl Harbor« – geistert schon seit über 10 Jahren durch die Gemeinschaft sogenannter Sicherheitsexperten. Der sicherheitspolitische Bedrohungsdiskurs der US-amerikanischen Entscheidungsträger ist dabei immer inkonsistent gewesen. So wechselten die identifizierten Akteure im Bedrohungsdiskurs der US-amerikanischen Militärs immer wieder beliebig zwischen jugendlichen Hackern, nichtidentifizierbaren Terroristen und feindlichen Staaten. So behauptet z.B. der Staatssekretär Jacques Gansler, dass jugendliche Hacker eine „reale Bedrohungsumgebung“ für die nationale Sicherheit seien.14 Wie wenig konkret diese Bedrohungswarnungen waren und dass sie lediglich dem Ziel dienten, eine neue Bedrohungsdimension zu konstruieren, zeigt sich, wenn nach Details und Umständen von Hackerangriffen auf das Pentagon gefragt wird. So musste John Hamre, der sich als zweiter Staatssekretär im Verteidigungsministerium und jetzt tätig im CSIS, als einer der größten Warner vor einem »elektronischen Pearl Harbor« hervorgetan hat, passen, als ein Journalist in einer Pressekonferenz nachhakte: „A journalist then asked: »When you say there were fewer incidents than in a normal weekend, can you help us with the numbers? On a normal weekend you have a hundred, a thousand, ten thousand?« John Hamre: »You know, I‘ll be happy to answer the question, but I honestly don‘t have the data. I know we had four instances where we pulled the plug on some hackers that were trying to break in. You know, this is a problem that‘s been growing . . .« Another question: »What areas did they want to break into?« John Hamre: »I don‘t really know.«“15

Mit dem Antritt der Bush-Regierung änderte sich das Akteursbild. Statt transnationaler terroristischer Akteure rückten nun wieder konkrete Staaten, vor allem die sogenannten Schurkenstaaten oder strategische Rivalen wie China und Russland in den Mittelpunkt der Debatte. Selbst Kuba und das elektronisch eher weniger vernetze Nordkorea, wurden nun als mögliche elektronische Herausforderer genannt. So beschrieb Admiral Thomas R.Wilson Kuba als möglichen Cyber-Angreifer: „Admiral Wilson: »Cuba is, Senator, not a strong conventional military threat. But their ability to ploy asymmetric tactics against our military superiority would be significant. They have strong intelligence apparatus, good security, and the potential to disrupt our military through asymmetric tactics. And I think that is the biggest threat that they present to our military.« Senator Wyden: »What would be an example of an asymmetric tactic that you‘re speaking of?« Wilson: »Using information warfare or computer network attack, for example, to be able to disrupt our access or flow of forces to the region.« Wyden: »And you would say that there is a real threat that they might go that route?« Wilson: »There‘s certainly the potential for them to employ those kind of tactics against our modern and superior military«.“16

Diese Warnungen wurden in der Folge von sämtlichen Mitgliedern des Bush-Kabinetts wiederholt. So verglich die Nationale Sicherheitsberaterin, Condolezza Rice, »Cyberwarfare« mit dem Kalten Krieg und bezeichnete den „Schutz kritischer Infrastrukturen“ als eine Aufgabe der klassischen Abschreckung.17 Der Kommandeur des US-Space Command, General Ralph E. Eberhart, selbst zuständig für US-Angriffe aus dem Cyberspace, rückte China in den Mittelpunkt seiner Bedrohungsanalyse. Als nach dem Abschuss des US-amerikanischen Spionageflugzuges durch chinesische Kampfflugzeuge ein Schlagabtausch unter Hackergruppen aus beiden Ländern stattfand, sprach auch die Presse wieder von einem Cyberkrieg. Allerdings ging es auch hierbei nicht um einen Angriff auf richtige Infrastrukturen, die zum Funktionieren einer technisierten Gesellschaft notwendig sind, es wurden lediglich ungenügend geschützte Webseiten verändert. Das bezeichnet man besser als Webgraffiti.18

Im April 2002 wurde erneut die China-Karte gespielt als ein geheimer CIA-Bericht in der Los Angeles Times zitiert wurde, nach dem China großangelegte Angriffe auf US-amerikanische und taiwanesische Computernetzwerke und »internet-linked miltary systems« plane.19 Unerwähnt blieb, dass es vor allem US-amerikanische Informations- und Telekommunikationsfirmen sind, die in China die elektronische Infrastruktur aufbauen. Passend zur Neuausrichtung der Debatte durch die neue Bush-Regierung wartete die National Security Agency mit der Feststellung auf, dass mittlerweile über 100 Staaten „already have or are developing computer network attack capabilities“.20 Das ist immerhin ein Sprung um 500 Prozent im Vergleich zu den etwa 20 Staaten, die das Defense Science Board noch im März desselben Jahres nannte.21

Nicht verschont blieben die NATO-Allierten durch Warnungen von Verteidigungsminister Rumsfeld und Präsident Bush. Beide nannten vor NATO-Gremien, Cyberattacken als „zukünftige Herausforderungen“ für die NATO in einem Atemzug mit Terrorismus, High-Tech Waffen, Raketen und Massenvernichtungswaffen.22

Es fehlt eine kritische Selbstreflexion

Die dramatische Cyber-Bedrohungsrhetorik nimmt kein Ende. Hantiert wird mit übertriebenen Statistiken und Halbwahrheiten. Auch die vom Pentagon gerne verbreitete Zahl von täglich 30.000 Hackerattacken auf die US-Streitkräfte ist mit Vorsicht zu genießen. Denn mitgezählt werden bei solchen Angaben immer auch unidentifizierbare, aber ungefährliche Pings oder der versuchte Aufbau von Telnet-Verbindungen zu Rechnern der Streitkräfte. Die wirkliche Zahl der schweren Einbruchsversuche wird sich wahrscheinlich auf unter 10 belaufen. Was bislang in der US-amerikanischen Debatte fehlt ist eine kritische Selbstreflexion der eigenen Vorreiterrolle. Die USA setzen selbst massiv auf die Kriegsführung durch Informationen und Computersysteme. In der »Quadrennial Defense Review 2001« des Verteidigungsministeriums wird die Fähigkeit zur Führung von Informationskriegen als Kernkompetenz der Streitkräfte bezeichnet. Die »Nuclear Posture Review« die im Januar 2002 nur in Bruchstücken der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sieht sogar einen neuen Trend. In Zukunft sollen Informations-Operationen zusammen mit konventionellen High-Tech es möglich machen, die Einsatzschwelle für Nuklearwaffen zu erhöhen. Dass die USA mit einer solchen Militärpolitik der Aufrüstung und Militarisierung des Cyberspace erst richtig Schubkraft verleihen ist ausgemacht.

Andere Staaten werden bei einer solchen Politik nicht abseits stehen wollen. Auch der Planungsstab des Auswärtigen Amts nimmt sich in einer kürzlich erschienen Studie des Themas an. Allerdings in viel gemäßigteren Tönen. Dort heißt es unter anderem, dass neben militärischen und technischen Schutzmaßnahmen auch Ansätze der Rüstungskontrolle im Cyberspace entwickelt werden müssen. Erste Vorschläge dazu sind von der unabhängigen Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik (FoG:IS) schon seit längerem gemacht worden.23

Anmerkungen

1) z.B.: Süddeutsche Zeitung, Attacken aus dem Laptop: Neben Flugzeugbomben und Biowaffen fürchtet Amerika den Cyber-Terrorismus, 15.10.2001. Eine lobenswerte Ausnahme ist das Online-Magazin »Telepolis« mit der kontinuierlichen und kritischen Berichterstattung zu solchen Themen: http://www.heise.de/tp

2) vgl. Für eine Diskussion der offensiven Elemente der älteren Information-Operations Planungen der USA siehe Geiger, Gebhard: Offensive Informationskriegsführung. Die »Joint Doctrine for Informatio Operations« der US-Streitkräfte: sicherheitspolitische Perspektiven, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik 2002. Ebenso auch Bendrath, Ralf: Informationskriegsabteilungen der US-Streitkräfte. Eine Zusammenstellung der mit offensive Cyberattacken befassten Einheiten der US-Streitkräfte, Berlin: FoG:IS Arbeitspapier Nr. 3 2001.

3) Frankfurter Rundschau, Im Fahndungseifer nach den Anschlägen in den USA leistete sich das FBI in vielen Fällen peinliche Fehlgriffe, 24.10.2001.

4) So eine Meldung von Reuters, die von anderen Medien aufgegriffen wurde und die kritisch Hinterfragt wurde von Wired: Bin Laden – Steganography Master?, 7.02.2002. http://www.wired.com/news/print/0,1294,41658,00.html (1.06.2002)

5) 107th U.S. Congress, Senate, Committee on Judiciary, Subcommittee for the Technology, Terrorism, and Government Information, Statement of Louis J. Freeh, Director FBI. for the Record on Cybercrime, Washington, DC: 28.03.2000.

6) Federal Computer Weekly: Spacecom on alert for cyberattacks, 11.09.2001. http://www.fcw.com/fcw/articles/2001/0910/web-cyber-09-11-01.asp (1.06.2002)

7) USA Today: Computer Network System At Risk for Terrorism, 13.09.2002.

8) Computer World: Bush taps Clarke as Cyberdefense Chief, 1.10.2001. http://www.computerworld.com/securitytopics/security/story/0,10801,64376,00.html (1.06.2002). Bush, George W.: Executive Order, Establishing the Office of Homeland Security and the Homeland Security Council., Washington, DC: 8.10.2001.Bush, George W.: Executive Order, Critical Infrastructure Protection in the Information Age, Washington, DC: 16.10.2001.

9) vgl. Kelle, Alexander/Schaper, Annette: Bio- und Nuklearterrorismus. Eine kritische Analyse der Risiken nach dem 11. September 2001, Frankfurt a.M.: HSFK-Report 2001.

10) New York Times: Pentagon Revamping Command Structure, 17.04.2002.

11) Remarks by Senate Majority Leader Tom Daschle at »The Woodrow Wilson International Center for Scholars« http://daschle.senate.gov/pressroom/speeches/2001A09615.html (9.08.2001)

12) Kubbig, Bernd: Die »Achse des Bösen« und ihre vermutete Gefährlichkeit, in: Frankfurter Rundschau, 12. Februar 2002. Siehe auch die Übersetzung des Dokumentes von Martina Glebocki und Alexander Wicker: National Intelligence Council, National Intelligence Estimate: Ausländische Raketenentwicklungen und die Bedrohung durch ballistische Raketen bis 2015. Öffentlicher Report an den Kongress. http://www.hsfk.de/abm/back/docs/nie2001.pdf (1.06.2002)

13) Kelle, Alexander/Schaper, Annette (siehe FN 10).

14) Wired: Teens a Threat, Pentagon Says, 2.06.1998. http://www.wired.com/news/news/business/story/12687.html

15) Vgl. Auszüge aus dem Crypt Newsletter von George Smith http://sun.soci.niu.edu/~crypt/other/harbor.htm (1.06.2002)

16) Transkription des öffentlich Teils des 107th U.S. Senate, Select Committee on Intelligence, Hearings on World Wide Threats vom 7.02.2001 unter http://www.cluebot.com/articles/01/02/08/1638232.shtml (1.06.2002)

17) The Register, Hack attacks called the New Cold War, 23.3.2001. http://www.theregister.co.uk/content/8/17820.html (1.06.2001)

18) Florian Rötzer, Banges warten auf den Cyberwar…, in: Telepolis 1.5.2001. http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/7513/1.html (1.06.2002)

19) Los Angeles Times, CIA Warns of Chinese Plans for Cyber-Attacks on U.S., 25.04.2002.

20) ABC News: Clear and Present Danger? Government Warns that its Computer Systems Need Security Improvments, 29.8.2001. http:// http://abcnews.go.com/sections/scitech/dailynews/govt_security010829.html (1.06.2002).

21) Office of the Undersecretary of Defense for Acquisition: Technology and Logistics: Protecting the Homeland. Report of the Defense Science Board Task Force on Defensive Information Operations Volume II, Washington, DC: März 2000. http://www.acq.osd.mil/dsb/dio.pdf (1.06.2002).

22) Bush, George W.: Excerpted remarks at the Meeting of the North Atlantic Council, Brüssel 13.6.2001, http://www.nato.int/docu/speech/2001/s010613g.htm (1.06.2002).

23) Minkwitz, Olivier/Schöfbänker, Georg: Information Warfare. Die neue Herausforderung für die Rüstungskontrolle, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden (S+F), Bd. 18, Nr. 2, 2000, S. 150-163. Die FoG:IS ist zu erreichen unter http://www.fogis.de und betreibt die Mailingliste infowar.de.

Olivier Minkwitz ist Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

Militär, Militär, Militär …

Militär, Militär, Militär …

US-amerikanische Interessensicherung

von Regina Hagen

Vor wenigen Wochen trotzte ich, genau wie Zehntausend andere Menschen, dem in München verhängten Demonstrationsverbot gegen die »Sicherheitskonferenz«. Diese, von früher noch als »Wehrkundetagung« bekannte Veranstaltung war in den letzten Jahren etwas aus dem Blickfeld der Friedensbewegung geraten. Zu Unrecht, finden sich zu dieser jährlich stattfindenden Strategiedebatte, die überwiegend von der deutschen Regierung finanziert wird, doch Dutzende hochrangige Politiker und Militärexperten aus NATO- und befreundeten Ländern ein.

Vor einem Jahr stellte sich z.B. der neu ernannte US-Verteidigungsminister Rumsfeld seinem Kollegenkreis vor. Damals standen im »Bayrischen Hof« die Raketenabwehrpläne im Vordergrund; vor der Tür versammelten sich fünfzig DemonstrantInnen.

Nun hat sich seitdem zwar nicht die Welt geändert, aber doch die sicherheitspolitische Lage gefährlich zugespitzt. Nach den Attentaten vom 11. September hat »militärische Konfliktlösung« Hochkonjunktur. Pazifismus soll nur noch »politisch« verstanden werden, als „Unterordnung militärischer Schritte unter politische Strategien“ (Staatssekretär Ludger Volmer am 07.01.02 in der Frankfurter Rundschau). Bei Kriegen geht es auch nicht mehr um ökonomische oder strategische Interessen, nein, die USA handeln ganz altruistisch, weil sie erkennen, „wenn wir unsere Ärmel hochkrempeln, (können wir) nicht nur uns selbst, sondern die Welt retten“ (US-Politikberater Mead am 8.2. in der FR). Der »gerechte Krieg« wird propagiert: gestern für Freiheit und Demokratie, heute zur »Ausrottung des Terrorismus«.

Die DemonstrantInnen gegen die »Sicherheitskonferenz« in München, beim World Economic Forum in New York und auf dem Weltsozialgipfel in Porto Allegre waren da anderer Meinung. Für sie gilt die hier gepriesene »Rettung« nicht der Welt, sondern den Interessen der einzig verbliebenen Supermacht und ihrer Verbündeten, ihrem ungezügelten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt.

Und seine Interessen vertritt das mächtigste Land der Erde mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und notfalls auch gegen internationale Verträge, Vereinbarungen und Institutionen:

  • Den anhaltenden Krieg gegen Terrorismus versteht US-Präsident Bush durchaus wörtlich. Schon im Herbst 2001 gab er bekannt, dass der Krieg gegen unbotmäßige Länder und Gruppierungen mindestens sechs Jahre dauern werde. Mit der Benennung der »Achse des Bösen« (Nordkorea, Iran und Irak) und der Ankündigung, im Zweifel bleibe kein Stein auf dem anderen und das Regime in Bagdad werde hinweggefegt, ob es den Verbündeten nun passe oder nicht, wurde der Anspruch auf einseitiges Handeln formuliert. Da sehen sich selbst die Außenminister der Europäischen Union inzwischen zu vorsichtigen Absetzbewegungen von der „bedingungslosen Solidarität“ (Bundeskanzler Schröder) veranlasst und warnen vor Angriffen auf den Irak.
  • Unverblümt bezeichnet US-Verteidigungsminister Rumsfeld seinen Antrag für das Verteidigungsbudget 2003 als »Kriegshaushalt« und schlägt vor, diesen Etatposten in seinem Land bis 2007 auf US$ 459 Milliarden zu steigern. Bereits im Haushaltsjahr 2003 werden die USA fast 40% der weltweiten Ausgaben für Rüstung und Militär tätigen.
  • „Dominanz über das volle Konfliktspektrum“ (Full Spectrum Dominance) wurde vom US-Generalstab schon 1995 als oberstes Ziel der Militärpolitik benannt (Joint Vision for 2010). Kontrolle über den Weltraum und somit über die Erde sei angesichts der zunehmenden Verteilungskämpfe geboten, um den USA beliebige Handlungsoptionen freizuhalten. Ausdrücklich eingeschlossen wurden mit dem Amtsantritt der Regierung Bush die Bewaffnung des Weltraums und der Anspruch, die Kontrolle über diesen einzigartigen Feldherrenhügel ungehindert auszuüben.
  • Die Beschaffungswünsche des Pentagon beschränken sich aber nicht auf »außeratmosphärische Exotenwaffen«. Das US-Militär soll mit allem ausgerüstet werden, was der Waffenmarkt hergibt, von archaisch anmutenden Monsterkanonen bis hin zu modernsten bewaffneten Drohnen, von Transportflugzeugen bis zu leistungsfähigeren Satelliten, von Raketenabwehrsystemen bis zu Präzisionsbomben und konventionell bestückten Cruise Missiles, von der Ausrüstung für den »Informationskrieger« am Boden bis zu Weltraumbombern.
  • Das Konzept der »neuen Triade« ist Ergebnis des kürzlich abgeschlossenen Nuclear Posture Review, der Überprüfung der US-Nuklearpolitik. Über die bisherige »Triade des Kalten Krieges«, bestehend aus nuklear bestückten Langstreckenbombern, Interkontinentalraketen und U-Booten, wird jetzt die »Neue Triade« gestülpt, die nukleare und nicht-nukleare Angriffsfähigkeiten, breit angelegte Abwehrmöglichkeiten und eine flexibel reagierende Infrastruktur umfasst.
  • Die mit dem russischen Präsidenten vereinbarte Abrüstung strategischer Atomwaffen auf 1.700-2.200 Kernsprengköpfe bezieht sich lediglich auf das jederzeit einsatzbereite Arsenal und soll erst im Jahr 2012 erreicht werden. Nicht in dieser Zahl enthalten sind ca. 400-500 Sprengköpfe, die jeweils gerade zu Wartungszwecken aus dem Arsenal entnommen sind (beispielsweise um den Sprengkraftverstärker Tritium neu aufzufüllen). Die »abgerüsteten« Atomwaffen sollen auch nicht etwa unbrauchbar gemacht werden, sie stehen für »potenzielle Notfälle« einer »responsive force« zur Verfügung, d.h. sie sind binnen kurzem wieder einsatzbereit. Bei einer Änderung der Sicherheitslage behalten sich die USA auch die erneute Aufstockung des Nukleararsenals vor. Weitere Negativpunkte der neuen Nuklearpolitik: Taktische Atomwaffen sind nicht berücksichtigt, eine weitere Reduzierung des Atomarsenals wird bis 2020 ausgeschlossen, die Bereitschaft zur Durchführung von Tests soll erhöht werden und die Unterzeichnung des Umfassenden Teststoppabkommens wird abgelehnt.
  • Raketenabwehr ist neben dem Ausbau konventioneller Angriffsfähigkeiten ein wesentlicher Teil der »neuen Triade«. Mit hohem Tempo und eindeutiger Klarheit treibt die US-Regierung entsprechende Pläne voran. Mitte Dezember hat George Bush den ABM-Vertrag gekündigt, der den USA und Russland den Aufbau eines nationalen Schutzschildes untersagt und zahlreiche Testszenarien und Systeme für Raketenabwehr und Weltraumrüstung verbietet. Die Kündigung wird vertragsgemäß im Juni 2003 wirksam. Anfang Januar wurde die organisatorische Verankerung der Raketenabwehr innerhalb der US-Administration deutlich aufgewertet: George Bush löste die Ballistic Missile Defense Organization auf und installierte statt dessen die ranghöhere Missile Defense Agency. In den Aufgabenbereich dieser neuen Agentur fällt ausdrücklich auch die Management- und Budgetverantwortung für den besonders umstrittenen Weltraumlaser.

Als Zugeständnis an Russland, das diesem Affront wenig entgegenzusetzen hat, wird die schriftliche Fixierung der neuesten nuklearen Abrüstungsabsprache in Aussicht gestellt. Dennoch besteht die Gefahr, dass Russland sich nicht länger an die Vereinbarungen des START II-Abkommens gebunden fühlt und beispielsweise Interkontinentalraketen weiterhin mit Mehrfachsprengköpfen ausrüstet.

Auch China sieht keine rechtliche Handhabe gegen den Auf- und Ausbau einer Vielzahl unterschiedlicher Abwehrsysteme, wird aber wahrscheinlich mit der Ausweitung seines strategischen Nukleararsenals antworten und seine Raketen mit Mehrfachsprengköpfen ausrüsten.

Mit einem Achselzucken gehen die USA über die Bedenken aus aller Welt hinweg, dass mit der Aushebelung des ABM-Vertrags die internationale Rüstungskontrolle aufs Höchste gefährdet wird, doch Europa stellt sich derweil dumm und sucht das Thema nach Möglichkeit zu ignorieren.

  • NATO und Europäische Union versuchen den Spagat. Im Kampf gegen den Terror von den USA marginalisiert, gut vor allem für humanitäre Aufräumaktionen nach Abschluss der Bombardements und für die Eindämmung der innergesellschaftlichen Gewalt vor Ort, müssen sie sich von den USA den Vorwurf der mangelnden Einsatzbereitschaft gefallen lassen. Die Europäer manövrieren sich in der irren Hoffnung auf Gleichwertigkeit selbst in einen Rüstungswettlauf mit den USA – beispielhaft seien nur Transportflugzeuge, Raketenabwehrsysteme und Aufklärungssatelliten genannt –, den sie doch nie gewinnen können.

Nicht etwa auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« wies der Bundeskanzler darauf hin, dass Terror Ursachen hat und diese beseitigt werden müssen. Die hehren Worte reservierte Kanzler Schröder für das parallel in New York stattfindende Weltwirtschaftsforum. Anstatt sich zu besinnen und aus historischer Erfahrung und Einsicht der zivilen, völkerrechtlich konformen, nicht-militärischen und vor allem nachhaltigen Konfliktlösung das Wort zu reden, machen sich die deutschen Politiker bestenfalls über die Auswirkungen dieser »Politik mit der Brechstange« Sorgen: Die westliche Welt könne sich im Irak kein weiteres »Versorgungsprotektorat« leisten, verlautet aus Berlin, außerdem würden im Falle eines erneuten Golfkrieges die Erdölpreise massiv steigen. Das könnte natürlich die Rezession verschärfen und das würde die Voraussetzungen für einen rot-grünen Wahlsieg im Herbst weiter verschlechtern.

Es wäre wünschenswert, die deutschen Politiker würden wieder etwas längerfristig denken. Damit wir nicht morgen in einer Welt leben, in der Gewalt und Krieg unter den wohlklingenden Namen »humanitärer Friedenseinsatz« und »Bekämpfung des Terrors« zum bevorzugten Mittel der Politik werden, müssen wir heute die Diskussion über Strategien der zivilen Konfliktlösung führen.

Die DemonstrantInnen von München haben sich in diesem Sinne eingemischt – und das macht Mut.

Regina Hagen ist Koordinatorin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation und aktiv in der deutschen Friedensbewegung.

US-Streitkräftereform und Infowar

US-Streitkräftereform und Infowar

Bushs Neudefinition des Krieges

von Dirk Eckert

Die militärische Dominanz ergänzen durch die Unverwundbarkeit des eigenen Territoriums, deshalb mehr Mittel für das Militär. Das gehörte zur Wahlkampfrhetorik des George W. Bush. Ein halbes Jahr später ist selbst manch verbündeter Politiker erschrocken darüber, wie Bush als Präsident ohne Rücksicht auf internationale Verträge, ohne Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen anderer Länder – auch der NATO-Verbündeten – eine Politik der Hochrüstung forciert. Im Anknüpfen an Reagans Pläne der Weltraummilitarisierung, den Plänen für eine National Missile Defense, NMD, wird das besonders deutlich. Doch während NMD in die Schlagzeilen kommt, bleibt ein anderer Bereich unterbelichtet: die Streitkräftereform, die die US-amerikanischen Truppen für den Informationskrieg fit machen soll. Georg W. Bush kann auch hier, wie bei NMD, auf Planungen der Clinton-Administration zurückgreifen.
Bei seinem Besuch auf dem Marinefliegerhorst Norfolk im Februar kündigte George W. Bush eine „umfassende Überprüfung des amerikanischen Militärs, unserer Strategie, der Struktur unserer Streitkräfte und ihrer Haushaltsansprüche“ an.1 Besondere Bedeutung maß der US-amerikanische Präsident dabei den technologischen Veränderungen zu: „Wir sind Zeugen einer Revolution in der Kriegstechnologie, in der Mächte zunehmend nicht mehr über ihre Größe, sondern ihre Mobilität und Schnelligkeit definiert werden. Immer häufiger entstehen Vorteile durch Informationen wie die dreidimensionalen Bilder eines simulierten Kampfes, die ich gerade gesehen habe.“ Und weiter: „Sicherheit gewinnt man durch List und Stärke, die über den langgestreckten Bogen präzisionsgesteuerter Waffen projiziert wird. Die beste Art und Weise, den Frieden zu wahren, ist, den Krieg zu unseren Bedingungen neu zu definieren.“2

Damit spielte Bush auf das an, was als Informationskrieg seit einigen Jahren durch die Planungspapiere des US-Militärs wie durch die Presse spukt.3 Inzwischen hat das Pentagon einige Strategiepapiere und Handbücher herausgebracht, in denen die neue Form der amerikanischen Kriegführung skizziert wird. Zusätzlich wurden diverse Forschungseinrichtungen gegründet und einzelne Truppenteile wurden zu »Cyber Warriors« umgerüstet, die auf dem digitalen Schlachtfeld4 der Zukunft siegreich sein sollen.

Die Zauberworte des Krieges der Zukunft lauten Informationskriegführung und Informationsoperationen. „Wenn wir eine Situation herbeiführen können, in der der Feind sich widersprechende Befehle erteilt, bis seine Truppen völlig verwirrt sind, und wir dann nur noch auf das Schlachtfeld gehen müssen und aufräumen, dann ist das eine effektive Informationsoperation“, so Michael L. Warsocki vom U.S. Army Land Information Warfare Center.5

Joseph S. Nye und William A. Owens schreiben in der US-amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs über die Bedeutung dieser Strategie6: Eine der Fähigkeiten der Vereinigten Staaten, die sie vor manch anderen Staaten auszeichnet sei die Fähigkeit, Informationen zu sammeln, zu verarbeiten, auf ihrer Grundlage zu handeln und sie weiter zu verbreiten. Dieser Informationsvorteil könne helfen, gegen traditionelle militärische Bedrohungen eine Abschreckung zu relativ niedrigen Kosten aufzubauen und die Führung in Allianzen oder ad-hoc-Koalitionen zu sichern. Nye/Owens weiter: „So wie früher die nukleare Dominanz der Schlüssel zur Führung in Koalitionen war, so wird Informationsdominanz der Schlüssel im Informationszeitalter sein.“7

Dabei handelt es sich bei Information Warfare weder um eine „abstrakte Neuerfindung“, noch um eine „neue Bezeichnung bekannter militärischer Operationsformen“.8 Vielmehr ist Information Warfare die schrittweise Weiterentwicklung und Neuordnung militärischer Operationsformen, die auf der Adaption neuer technischer Mittel beruht, wie Bernhardt/Ruhmann schreiben.9 „Auf strategischer Ebene spielt Information Warfare bei den Überlegungen eine Rolle, dass sich die geopolitischen Interessen der USA nicht mehr allein mit ihrem atomaren Drohpotenzial durchsetzen lassen und herkömmliche Rüstungsprogramme und Allianzen nicht länger die gewünschten Ergebnisse garantieren.“10

Planung und Durchführung

Mit der »Joint Vision 2010« legten die Vereinten Stabschefs der US-amerikanischen Streitkräfte 1996 das zentrale Planungspapier für die Kriegführung im 21. Jahrhundert vor. Mit bekannten Bedrohungsszenarien, in denen Cyberterroristen die US-amerikanische Infrastruktur lahm legen oder die Kurse an der Wallstreet manipulieren, hat diese »Joint Vision 2010«, die inzwischen als »Joint Vision 2020« neu aufgelegt wurde, wenig zu tun. Vielmehr geht es in dieser Vision darum darzustellen, wie die US-Streitkräfte in der Zukunft kämpfen werden. Die Vorlage wurde in mehreren Doktrinen und Handbüchern konkretisiert, damit verfügt das amerikanische Militär inzwischen über einen umfangreichen Schriftsatz zu Themen wie Psychologischer Kriegführung, Elektronischer Kriegführung oder Informationsoperationen.

Die neue Art der Kriegführung wird in der »Joint Vision 2010« aus der Beschaffenheit des strategischen Umfeldes abgeleitet. Von der Friedensmission bis zum Kampfeinsatz – allein, mit Bündnispartnern oder in ad-hoc-Koalitionen –, in allen Einsätzen sollen die US-Truppen siegreich sein. Konsequent wird in der Planung getrennt zwischen offensiver Informationskriegführung und ihrer defensiven Variante. Letztere wird nicht etwa als Verteidigung vor eventuell auftretenden Bedrohungen bestimmt, sondern in Abhängigkeit von offensiver Informationskriegführung definiert: Sie ist notwendig, um sich bei offensiven Informationsoperationen vor Gegenangriffen zu schützen.

Spätestens mit dem Golfkrieg 1991 wurden die Veränderungen in der Art der Kriegführung augenfällig. „Irak hat den Krieg verloren, bevor er überhaupt begann. Es war ein Krieg von Aufklärung, »Electronic Warfare«, »Command and Control« und Spionageabwehr. Irakische Truppen wurden geblendet und taub gemacht (…) Moderner Krieg kann durch Informatika gewonnen werden“, hieß es 1998 in der »Joint Doctrine for Information Warfare«, eine der Doktrinen, mit der die »Joint Vision 2010« auf operativer Ebene umgesetzt wird.11

Der Kosovokrieg schließlich hat es der NATO ermöglicht, das ganze Arsenal von Informationsoperations-Waffen einzusetzen. Das ist jedenfalls die Ansicht von William Church, Direktor des Centre for Infrastructural Warfare Studies. Besondere Bedeutung hat für Church, dass im Kosovo Waffen auf die Informationsinfrastruktur gerichtet wurden, „um den Entscheidungsprozess von Regierung und Zivilbevölkerung zu beeinflussen.“12

Als Beispiele nennt er den Einsatz von Graphitbomben gegen Elektrizitätswerke, um die jugoslawische Regierung unter Druck zu setzen, sowie das Hacken von geheimen Systemen der Luftabwehr, um deren Leistungsfähigkeit zu mindern.13 Beide Seiten hätten zudem eine umfangreiche psychologische Kampagne geführt. So habe etwa die NATO Flugblätter verteilt und die jugoslawische Bevölkerung vor einer angeblichen Offensive am Boden gewarnt. Hinzu käme das Hacken von Webseiten mit minderer strategischer Bedeutung. Alles in allem habe der NATO-Krieg gegen Jugoslawien gezeigt, dass Informationsoperationen effektiv seien und daher ausgedehnt werden könnten.Churchs Prognose: „Nicht-NATO-Staaten werden defensive und offensive Fähigkeit aufbauen, und die NATO wird die Entwicklung vorantreiben, um auf diesem Gebiet führend zu bleiben.“

Lässt sich Informationskriegführung mit dem Völkerrecht vereinbaren? Um diese Frage zu klären ließ das Pentagon eine Studie erstellen, die im April 1999, während des Krieges gegen Jugoslawien, unter dem Titel »An Assessment of International Legal Issues In Information Operations« erschien und bereits ein halbes Jahr später eine Neuauflage erfuhr.14 1998 hatten die Vereinigten Staaten einen Vorstoß Russlands bei den Vereinten Nationen abgeblockt, ein Abkommen zum Verbot von Entwicklung, Produktion und Gebrauch besonders gefährlicher Informationswaffen auszuarbeiten. Doch schon die Definition dieser Waffen erschien den USA unmöglich. Gleichzeitig gaben sie damals vor es gebe Dringenderes, etwa den Schutz von Informationssystemen vor Kriminellen und Terroristen.15

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Prinzipien des Kriegsrechtes auch auf »Information Operations« anwendbar sind. Schwieriger sei es mit »Information Operations« bzw. Computer-Netzwerk-Attacken in Friedenszeiten. „Es ist alles andere als klar, inwieweit die Weltgemeinschaft Computer-Netzwerk-Attacken als »bewaffnete Angriffe« oder »Einsatz von Gewalt« betrachten, und wie die Doktrinen der Selbstverteidigung und Gegenmaßnahmen auf Computer-Netzwerk-Attacken angewandt werden.“16 Die Studie erwartet, dass durch Computer-Netzwerk-Attacken angegriffene Staaten sich verteidigen dürfen. Unter Umständendürften auch traditionelle militärische Mittel als Selbstverteidigung gegen Computer-Netzwerk-Attacken als gerechtfertigt erachtet werden.17 Schließlich macht die Studie drauf aufmerksam, dass die Handlungen von Staaten die Entwicklungen eines neuen Rechts beeinflussen. Insofern müssten sich die Regierenden in Washington auch der diesbezüglichen Implikationen ihrer eigenen Handlungen bewusst sein.

Bush im Cyberspace

Drei Tendenzen der Politik der Bush-Regierung lassen sich bereits jetzt ausmachen: Erstens wird die Streitkräftereform vorangetrieben, um die US-amerikanischen Truppen der Vision der Stabschefs näher zu bringen. Zweitens rückt im Zuge des geplanten Aufbaus des Raketenabwehrsystems der Weltraum ins Zentrum strategischer Planung. Hier schließt sich der Kreis zur Informationskriegführung: Die USA sind nicht zuletzt führend auf diesem Gebiet wegen ihrer Satelliten, die ständig neue Überwachungsdaten liefern – und das weltweit. Drittens wird der Schutz der Infrastruktur in Zusammenarbeit mit der Industrie organisiert und ist nicht etwa alleinige Domäne des Militärs.

Bush skizziert die Richtung wie folgt: „Am Boden werden unsere Panzertruppen leichter und unsere leichte Infanterie tödlicher sein. Alle werden einfacher zu stationieren und zu unterhalten sein. In der Luft werden wir punktgenau angreifen, sowohl mit Flugzeugen als auch unbemannten Systemen. Auf dem Meer werden wir Informationen und Waffen neuartig miteinander verbinden und so unsere Fähigkeit, Macht über Land zu projizieren, maximieren. Im Weltall werden wir das für den reibungslosen Ablauf unseres Handels und die Verteidigung unserer Interessen wesentliche Satellitennetzwerk schützen.“18

„Dominanz (…) von Stammeskriegen bis zum Informationskrieg, von Raketen bis zu Biowaffen“, ist das Ziel von Andrew Marshall, Chef im Planungsstab des Pentagon.19 Marshall hat seine Arbeit bereits unter Clinton begonnen. Jetzt beginnt sie Früchte zu tragen: Eine „neue Strategie der Beherrschung eines jeden Konflikts mit begrenzten, aber flexibel einsetzbaren Mitteln fortgeschrittener Technologie“, wird das Resultat sein, so die Ansicht von Lothar Rühl, ehemaliger Staatsekretär im bundesdeutschen Verteidigungsministerium.20

Die Informationsdominanz erlaubt dem Militär Einsätze, die Lothar Rühl wie folgt beschreibt: „Kleinere Kampfgruppen mit leichterer Ausrüstung, aber optimierten Präzisionswaffen, hoher Zielwirkung und einer Elektronikunterstützung, die den Waffeneinsatz nicht nur punktzielgenau, sondern auch zeitnah zur Zielaufklärung und seine Schadenswirkung schnell überprüfbar macht, sollen den amerikanischen Streitkräften die lang gesuchte, aber nie erreichte weltweite Beweglichkeit und Einsatzflexibilität mit einem breiten Fächer situationsgerechter operativ-taktischer Optionen geben.“

Als Donald H. Rumsfeld am 28. Dezember 2000 der Öffentlichkeit als zukünftiger Verteidigungsminister vorgestellt wurde, nannte er die Informationskriegführung eine der Bedrohungen der Zukunft.21 Auf der Münchner Wehrkundetagung, die sich jetzt Sicherheitskonferenz nennt, erklärte er als neuer US-Verteidigungsminister Anfang des Jahres: „Heute sind wir gegenüber der Bedrohung eines massiven Atomkriegs sicherer als zu jedem anderen Zeitpunkt seit dem Anbruch des Atomzeitalters – aber wir sind heute verwundbarer durch die Kofferbombe, den Cyberterroristen, die rohe und zufällige Gewalt eines verbrecherischen Regimes oder eines mit Raketen und Massenvernichtungswaffen ausgerüsteten Schurkenstaats. Diese sogenannte Welt nach dem Kalten Krieg ist eine integriertere Welt. Folglich sind Waffen und Technologien, die einst nur in wenigen Ländern vorhanden waren, jetzt überall zugänglich.“22

Konkrete Bedrohungen kann aber bisher niemand nachweisen, deshalb müssen alte und neue Feindbilder herhalten, von Fidel Castro bis Osama bin Laden. So erklärte Tom Wilson, Chef der »Defense Intelligence Agency«, bei einer öffentlichen Anhörung im Februar 2001 vor dem »Senate Intelligence Committee«, dass die Gefahr bestünde, dass Kuba Informationskriegführung oder eine Computer-Netzwerk-Attacke gegen die USA durchführe. Konkretes konnte er auch auf Nachfrage nicht vorlegen, versicherte dem fragenden Senator aber: „Kuba ist… keine starke konventionelle militärische Bedrohung. Aber seine Fähigkeit zu trickreichen asymmetrischen Taktiken gegen unsere militärische Übermacht könnte bedeutsam sein. Sie haben einen starken Geheimdienstapparat, einen guten Sicherheitsdienst und das Potenzial, unser Militär durch asymmetrische Taktiken zu stören.“23

Aufsehen sorgte dieses Jahr eine Ankündigung von James Adams, Berater des Geheimdienstes NSA, gegenüber dem Handelsblatt, nachdem die USA den Aufbau eines Abwehrsystems planten, um ihre Computernetzwerke, seien sie staatlich oder privat, vor Angriffen zu schützen. „Das Projekt ist in seiner sicherheitsrelevanten und finanziellen Dimension mit dem NMD zu vergleichen“, so Adams unter Anspielung auf die geplante Raketenabwehr, National Missile Defense (NMD).24 Und Adams weiter: „Wenn ein Staat unsere Wasserversorgung mit einer Cyber-Attacke unterbricht, müssen wir im Stande sein, seine Stromversorgung oder sein Bankensystem lahm zulegen.“

Die geschätzten Kosten von 50 Mrd. Dollar, von denen das Handelsblatt unter Berufung auf US-amerikanische Regierungskreise berichtet, sind bisher allerdings offiziell nicht bestätigt. Zudem gibt es in Fachkreisen einige Bedenken gegen die Machbarkeit einer virtuellen Abwehr.25 Nicht zu vergessen: Im »National Plan for Information Systems Protection« aus dem Jahre 2000 hatte die Clinton-Regierung betont: „Die Bundesregierung kann die kritische Infrastruktur der USA nicht alleine schützen.“26 „Die Regierung schützt sich nur noch selbst“, kommentierte Ralf Bendrath treffend.27 So würde ein virtuelles NMD dem Militär einen Kompetenzzuwachs bringen, da es zur Zeit nur mit dem Schutz der eigenen, militärischen Infrastruktur beschäftigt ist.

Dafür, dass die Bush-Administration weiter auf eine Zusammenarbeit von Staat und Industrie setzt, spricht eine Stellungnahme des Weißen Hauses, nach der – gemeinsam mit der Industrie – eine neue Version des Nationalen Plans für Sicherheit im Cyberspace und zum Schutz kritischer Infrastruktur erarbeitet werden soll.28 Auch eine Äußerung von Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice weist in diese Richtung.29 Da nahezu jeder Wirtschaftszweig von funktionierenden Computern abhängig sei, sei der Schutz der kritischen Infrastruktur ein Schlüsselthema für den Nationalen Sicherheitsrat, versicherte sie vor dem Internet Security Policy Forum II in Washington Ende März. Sie setzt weiterhin auf die Zusammenarbeit zwischen Staat und Industrie, die sie als „ohne Beispiel in unserer Geschichte“ bezeichnete.

Weitere Informationen zum Thema im Internet:

Special der Online-Zeitung Telepolis: http://www.telepolis.de/deutsch/special/info/

Deutsche Mailingsliste Infowar: http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html

Information Warfare-Seite der Federation of American Scientists (FAS), mit vielen Links: www.fas.org/irp/wwwinfo.html

Anmerkungen

1) George W. Bush: NATO, Solange wir zusammenstehen, wird die Macht immer auf der Seite von Frieden und Freiheit sein. Rede von Präsident Bush am 13. Februar 2001 im Marinefliegerhorst Norfolk, USINFO-DE.

2) George W. Bush: NATO, a. a. O.

3) Vgl. bspw. Ralf Bendrath: Postmoderne Kriegsdiskurse. Die Informationsrevolution und ihre Rezeption im strategischen Denken der USA, in: telepolis, 13.12.1999, http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/6562/1.html

4) Vgl. Ute Bernhardt/Ingo Ruhmann: Der digitale Feldherrnhügel. Military Systems: Informationstechnik für Führung und Kontrolle, in: Wissenschaft und Frieden, Dossier 24, 1997.

5) In: Thomas E. Copeland (Hrsg.), The Information Revolution And National Security, August 2000, http://carlisle-www.army.mil/usassi/ssipubs/pubs2000/inforev/inforev.htm

6) Joseph E. Nye/ William A. Owens: America’s Information Edge, in: Foreign Affairs, März/April 1996, S. 20-36.

7) Nye/Owens: America’s Information Edge, a.a.O., hier S. 20.

8) Vgl. Ute Bernhardt/Ingo Ruhmann: Vom Cyberwar zur digitalen Entspannungspolitik, in: WechselWirkung, Mai/Juni 2001, S. 36-43, hier S. 39.

9) Vgl. Ute Bernhardt/Ingo Ruhmann: Vom Cyberwar zur digitalen Entspannungspolitik, a.a.O. , hier S. 39.

10) Ute Bernhardt/Ingo Ruhmann: Vom Cyberwar zur digitalen Entspannungspolitik, a.a.O., S. 39.

11) Lieutenant General S. Bogdanov, Chief of the General Staff Center for Operational and Strategic Studies, Oktober 1991, in: Joint Doctrine for Information Operations, Joint Pub 3-13, 9.10.1998, http://www.dtic.mil/doctrine/jel/c_pubs2.htm, S. II-15.

12) Vgl. William Church: Kosovo and the Future of Information Operations, http://www.infowar.com/info_ops/treatystudyio.shtml

13) Church beruft sich dabei auf ranghöhere Air Force-Beamte.

14) Department of Defense (Office of General Counsel), An Assessment of International Legal Issues In Information Operations, April 1999, http://www.infowar.com/info_ops/info_ops_061599a_j.shtml

15) Vgl. Department of Defense, An Assessment of International Legal Issues In Information Operations, a.a.O.

16) Vgl. Department of Defense, An Assessment of International Legal Issues In Information Operations, a.a.O.

17) Die USA berufen sich nach Art. 51 UN-Charta auf das Recht auf Selbstverteidigung „im Falle eines bewaffneten Angriffs“, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“ (UN-Charta Art.51). Als Beispiele aus jüngster Zeit, bei denen die USA das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nahmen, nennt die Studie: Die Bombardierung von Libyen 1986, die Angriffe auf Irak 1993 (nachdem Attentatspläne auf den früheren Präsidenten Bush bekannt geworden waren), die Angriffe auf eine sudanesische Fabrik und ein Trainingslager in Afghanistan 1998.

18) George W. Bush: NATO, a.a.O.

19) So die Charakterisierung von Michael Stürmer in der Welt, 28.3.2001.

20) Lothar Rühl: Zurück zu interkontinentalen Reichweiten? Das Pentagon öffnet die Perspektiven einer neuen Globalstrategie, in: FAZ, 3.5.2001. Vgl. auch Bernhardt, Ute/Ruhmann, Ingo, Der digitale Feldherrnhügel. Military Systems: Informationstechnik für Führung und Kontrolle, in: Wissenschaft und Frieden, Dossier 24, 1997.

21) The 43rd President; Comments by Bush and Rumsfeld on Selection for the Secretary of Defense, in: New York Times, 29.12.2000.

22) Donald H. Rumsfeld: Raketenabwehrsystem soll Bevölkerung und Streitkräfte vor begrenztem Angriff mit ballistischen Raketen schützen, Rede des US-Verteidigungsministers bei der Münchner Konferenz zur Sicherheitspolitik vom 3. Februar 2001, in: USINFO-DE.

23) Declan McCullagh: Feds Say Fidel Is Hacker Threat, in: Wired News, 9.2.2001, http://www.wired.com/news/politics/0,1283,41700,00.html

24) Burkhard Ewert/Peter Littger, USA bauen Internet-Schutzschild auf, in: Handelsblatt, 4.3.2001.

25) Vgl. Ralf Bendrath: Homeland Defense, virtuelle Raketenabwehr – und das schnöde Ende einer Medienhysterie. Die neue US-Regierung auf der Suche nach einer Cyber-Sicherheitspolitik – und die Medien auf der Suche nach einer Story, in: telepolis 28.3.2001, http://www.telepolis.de/deutsch/special/info/7234/1.html. Dort findet sich eine sehr detaillierte Darstellung des derzeitigen Standes der Cyber-Politik der Bush-Administration.

26) Zit. n. Ralf Bendrath: Elektronisches Pearl Harbor oder Cyberkriminalität? Die Reformulierung der Sicherheitspolitik im Zeitalter globaler Datennetze, in: S+F. Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden, 2/2000, Manuskript, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/SuF_2000.rtf

27) Bendrath: Elektronisches Pearl Harbor oder Cyberkriminalität?, a.a.O.

28) Vgl. White House Statement on the Review of Critical Infrastructure Protection and Cyber Security, 9.2.2001.

29) Vgl. Kevin Poulsen: Hack attacks called the new Cold War, in: The Register, 23.3.2001, http://www.theregister.co.uk/content/8/17820.html

Dirk Eckert studiert Politikwissenschaft und ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).