Next Stop New York 2010
Next Stop New York 2010
Hintergründe zu den NVV-Verhandlungen
von Regina Hagen, Xanthe Hall, Jens Heinrich, Jens-Peter Steffen und Wolfgang Schlupp-Hauck
Beilage zu Wissenschaft und Frieden 2/2010 Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit der Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei« und der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen e.V.
Ist da was?
Eine UNO-Konferenz in New York, weit weg und dann auch noch zu einem Thema, das so sperrig klingt: »nuklearer Nichtverbreitungsvertrag«. Wen interessiert das schon? Konferenzen finden laufend statt, am Ende kommt doch nicht viel raus. Und wenn, werden die Ergebnisse eh nicht umgesetzt. Verschwendete Flugkilometer, Zeit und (Steuer-) Gelder.
Worum es geht, ist außerdem kaum zu verstehen – zu komplex das Thema. Wenn Obama und die Diplomaten das nicht hinkriegen, ich kann da gar nichts tun.
Solche Kommentare hören wir häufig, wenn wir in der Friedensbewegung und unserem privaten, beruflichen und politischen Umfeld dafür werben, sich für die Überprüfungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) zu interessieren, die vom 3. bis 28. Mai in New York im Hauptquartier der Vereinten Nationen abgehalten wird. Doch diese Haltung ist fatal.
Wie bei anderen brennenden Fragen – seien es Klimawandel, gerechte Weltwirtschaft oder Kernenergie – bewegen sich die Regierungen nur dann, wenn sie Druck von den WählerInnen spüren. Druck setzt Aktion voraus. Dazu gehört das Unterschreiben von Appellen ebenso wie eine breite Präsenz der Zivilgesellschaft bei der NVV-Überprüfungskonferenz und kompetente Berichterstattung in den Medien.
Das setzt Hintergrundwissen voraus. Dies wollen wir mit diesem Dossier liefern. Wir wünschen interessante Lektüre – und dann gute Ideen für Berichterstattung und Aktion.
Für die HerausgeberInnen · Regina Hagen
zum AnfangZur Geschichte des Nichtverbreitungsvertrags
…und der Rolle der Bundesrepublik Deutschland
von Regina Hagen
Es fehlten nur wenige Tage zum 25. Jahrestag der Kernwaffeneinsätze der USA auf zwei japanische Städte, als 1970 der nukleare Nichtverbreitungsvertrag in Kraft trat. Knapp zehn Jahre zuvor sah der damalige US-Präsident J.F. Kennedy mit Sorge, dass immer mehr Staaten der Zugriff auf »die Bombe« gelang. Innerhalb von 10 bis 20 Jahren könnte es bis zu 30 Kernwaffenstaaten geben, war die Prognose. Einer davon könnte Westdeutschland sein. Die Bemühungen um eine völkerrechtliche Vereinbarung zur Nichtverbreitung waren schwierig, und Deutschland spielte dabei eine wichtige Rolle.
Der Versuch der Völkergemeinschaft, die Verbreitung von Kernwaffen einzudämmen, begann noch unter dem frischen Eindruck des Einsatzes von Kernwaffen auf Hiroshima und Nagasaki vom August 1945. Die allererste Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) beschloss kurz nach Gründung des Staatenbundes am 24. Januar 1946 die Schaffung einer »Kommission zur Befassung mit den Problemen, die sich aus der Entdeckung der Atomenergie ergeben«.
Die Kommission erhielt den Auftrag, Empfehlungen für den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse zur friedlichen Nutzung von Kernenergie auszuarbeiten und zugleich Kontrollmechanismen vorzuschlagen, die einem militärischen »Missbrauch« vorbeugen sollten. Außerdem sollte das Gremium Anregungen geben für die vollständige Abrüstung sämtlicher nationaler Kernwaffenarsenale – zu der Zeit noch auf die USA beschränkt – sowie für Sicherungsmaßnahmen (safeguards).
Damit folgte die UN-Generalversammlung dem Tenor einer gemeinsamen Erklärung von Präsident Truman (USA) und den Premierministern Attlee (Großbritannien) und Mackenzie King (Kanada) – also der drei Länder, die im Manhattan Project zusammen gearbeitet hatten. Sie forderten zwei Monate zuvor, „die Nutzung von Atomenergie für zerstörerische Zwecke zu verhindern“ und „die Nutzung von Atomenergie für friedliche und humanitäre Zwecke … zu fördern“.
Besonders die USA versuchten zu dieser Zeit, die Ausbreitung von Kernwaffen zu stoppen. Dafür ersann die US-Regierung unter Präsident Truman 1946 den so genannten »Baruch-Plan«. Er sah vor, unter Aufsicht des UN-Sicherheitsrats eine Agentur einzurichten, der das weltweite Monopol für Kernexplosionen und –energie sowie für Kontrollinspektionen zukommen sollte. Der Vorschlag hatte einen Pferdefuß: Die USA wollten ihre eigenen Kernwaffen erst dann an die Agentur abgeben, wenn mittels Inspektionen sichergestellt sei, dass die Sowjetunion und andere Länder nicht an Kernwaffen arbeiten. Der Kalte Krieg hatte bereits begonnen, und der Vorschlag wurde von Moskau abgelehnt. Also beugten die USA der Proliferation einseitig vor: Mit dem Atomic Energy Act vom gleichen Jahr untersagte der Kongress die Weitergabe von Nukleartechnologie an andere Staaten – sehr zum Missfallen Großbritanniens und Kanadas.
1949 testete die Sowjetunion ihre erste Kernwaffe. Das Monopol der USA war gebrochen, die militärische Nutzung von Kernenergie durch weitere Länder ließ sich nicht stoppen. 1952 folgte Großbritannien mit einem Kernwaffentest.
Die Zündung der ersten sowjetischen Bombe schockierte US-Präsident Eisenhower sehr. Er gelangte zu dem (fragwürdigen) Schluss, potentielle Proliferationsländer würden vielleicht eher auf militärische Ambitionen verzichten, wenn ihnen der Zugang zu ziviler Kerntechnologie einfach gemacht würde. Das »Atoms for Peace«-Programm war geboren.
Nukleartechnologie wurde in der Folge großzügig exportiert, einschließlich Forschungsreaktoren mit hoch angereichertem Uran – das ist ein Stoff für die Bombe. Die Exporte legten manchen Grundstein für ein militärisches Forschungs- und Entwicklungsprogramm, obwohl der 1957 etablierten Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) nicht nur ein Mandat zur Förderung der zivilen Nutzung von Kernenergie sondern auch zur Überwachung erteilt wurde.
Im selben Jahr wie das IAEO-Statut trat auch der Vertrag zur Gründung der European Atomic Energy Community (EURATOM) in Kraft, einer der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft (heute Europäische Union). EURATOM soll die Forschungsprogramme der Mitgliedstaaten für die zivile Nutzung von Kernenergie koordinieren. Nukleare Sicherungsmaßnahmen der Europäischen Union liegen seitdem in der Zuständigkeit der Europäischen Kommission.
Die Verbreitung von Kernwaffen wurde mit dem großzügigen Zugang zu Nukleartechnologie aber nicht gestoppt: 1960 zündete Frankreich eine Kernexplosion, und ein eigenständiges Kernwaffenprogramm Chinas lag bereits in der Luft; sein erster Test erfolgte 1964. Die Liste möglicher Kernwaffenaspiranten war lang: Australien, Indien, Italien, Japan, Kanada, Schweden, Westdeutschland, später stellte sich heraus sogar die Schweiz. Auf der sowjetischen Liste der Sorgenstaaten standen Westdeutschland und Italien ganz obenan.
Da brachte Irland im Dezember 1960 die Resolution »Verhinderung der weiteren Verbreitung von Kernwaffen« in die UN-Generalversammlung ein. An Kernwaffen- wie kernwaffenfreie Staaten wurde appelliert, bis zum Abschluss eines Vertrags über die Nichtverbreitung vorläufig sämtliche Handlungen zu unterlassen, die zur Verbreitung von Kernwaffen beitragen würden (UN-Res. 1576/XV).
Vorstellungen konkretisieren sich
Ein weiterer irischer Resolutionstext nahm ein Jahr später den Grundtenor der Artikel I und II des Nichtverbreitungsvertrages vorweg: Die Staatengemeinschaft solle sich um ein internationales Abkommen bemühen, in dem Kernwaffenstaaten zusagen, weder Kernwaffen noch relevantes Wissen an Nicht-Kernwaffenstaaten weiterzugeben, während die Nicht-Kernwaffenstaaten zusagen, solche Waffen weder herzustellen noch erlangen zu wollen. Der Text wurde einstimmig angenommen (UN-Res. 1665/XVI) und setzte mehrjährige Diskussionen und Verhandlungen in Gang.
1962 wurde in Genf das Eighteen Nation Disarmament Committee (ENDC) eingerichtet, dem fünf westliche, fünf Ostblock- und acht blockfreie Staaten angehörten. Den Vorsitz teilten sich die USA und die Sowjetunion. Das ENDC wurde zu einem wichtigen Forum für die Verhandlungen zum Nichtverbreitungsvertrag, weitere Konsultation fanden im Rahmen der NATO, bilateral und über private Kanäle statt.
Verschiedenste Entwürfe kamen auf den Tisch: separate Erklärungen der Kernwaffen- und Nicht-Kernwaffenstaaten, Vertragsentwürfe nur zum Verzicht auf Kernwaffen, Vertragsentwürfe nur zur Aufgabe vorhandener Kernwaffen, Vertragsentwürfe mit und ohne nukleare Teilhabe, vorübergehende Moratoriumsvorschläge unterschiedlicher Natur. Die einzelnen Versionen spiegelten die vielfältigen historischen Erfahrungen und nationalen Interessen wider:
Die nuklearen »Habenden« sorgten sich um zunehmende Proliferation.
Nukleare »Habenichtse« bezweifelten den Willen der Kernwaffenstaaten zur Abrüstung und befürchteten, deren Arsenale würden perpetuiert, während sie verzichten sollten. Dies schlug sich vor allem in Debatten um eine Befristung des Vertrags, Überprüfungsmöglichkeiten und ein Austrittsrecht nieder.
Nicht-Kernwaffenstaaten äußerten Sorge, was im Fall eines Nuklearangriffs auf ihr Land passiert, wenn sie selbst keine Kernwaffen haben. Neben Indien brachte sich die Bundesrepublik in diesem Punkt zu Gehör. Die drei damaligen Kernwaffenstaaten – USA, Großbritannien und Sowjetunion – reagierten mit parallelen Erklärungen unter Verweis auf die Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrates bei einer Bedrohung des Friedens und sagten als ständige Mitglieder des Gremiums zu, Nicht-Kernwaffenstaaten in einem solchen Fall gemäß der UN-Charta zur Hilfe zu stehen („to provide assistance“). Der Sicherheitsrat bestätigte diese Sicht wenig später (SR-Res. 255 vom 19. Juni 1968).
Die USA wollten sicherstellen, dass die nukleare Teilhabe im Rahmen der NATO und die damit verbundene Stationierung von Kernwaffen in europäischen Ländern unter amerikanischer Verfügungsgewalt aufrecht erhalten bleibt. Ebenso sollte der Transfer einer damals angedachten Raketenabwehr mit nuklearen Sprengköpfen für die NATO und unter NATO-Kommando nicht eingeschränkt werden. Ersteres gelang durch die Hintertür, das zweite wird durch den NVV ausgeschlossen.
Die USA und Großbritannien wollten die Kooperation in Sachen nuklearer Rüstung aufrecht erhalten. Folglich untersagt der NVV lediglich den Transfer an Nicht-Kernwaffenstaaten.
Gespräche in der NATO über eine Multilateral Force (MLF, Multilaterale Nuklearflotte) blieben der Sowjetunion nicht verborgen. Hintergrund war das Bestreben, europäische Partner in die Kontrolle von Kernwaffen auf U-Booten und Kriegsschiffen der USA einzubinden und so die (nukleare) Hegemonie der USA in der Allianz zu brechen. Für die Sowjetunion und andere Staaten im Warschauer Pakt war die Vorstellung, die Bundesrepublik Deutschland erhalte Verfügungsgewalt über die Bombe, unter keinen Umständen akzeptabel. Das Projekt scheiterte nach drei Jahren ohnehin, weil außer den USA und der BRD kein Bündnisland zur Finanzierung beitragen wollte. Erst dann konzentrierten sich die USA ganz auf Verhandlungen zum NVV.
Die Einbeziehung von Trägersystemen wie Flugzeuge und Raketen in den Vertrag war umstritten und gelang nicht im Vertragstext, sondern nur in der Präambel.
Einige Länder wollten sichergehen, dass der Zugriff auf zivile Kerntechnologie nicht eingeschränkt wird, um sich so die Option auf einen späteren Kernwaffenbesitz offen zu halten. Westdeutschland gehörte zu diesem Kreis, saß in Genf aber nicht mit am Tisch. Dort wurden seine Interessen in diesem Punkt von Italien vertreten, das auf die Option auf die Bombe auch nicht gänzlich verzichten wollte. Andere Länder wollten schlicht den Zugang zu der in den 1960er Jahren viel versprechenden Option auf vorgeblich billige und saubere Kernenergie wahren.
Die USA wiederum hatten aus wirtschaftlichen Gründen Interesse, den Handel mit Nuklearmaterial und –technologie für friedliche Zwecke nicht zu behindern.
Art und Umfang der Inspektionen durch die IAEO blieben bis zuletzt umstritten. Sie wurden schließlich auch nicht im NVV definiert sondern einer „mit der Internationalen Atomenergie-Organisation nach Maßgabe ihrer Satzung und ihres Sicherungssystems auszuhandelnden und zu schließenden Übereinkunft“ überlassen.
Nach mehr als drei Jahren legten die USA im August 1965 dem ENDC zum ersten Mal offiziell einen Vertragstext vor. Dieser sah sowohl Nichtweiterverbreitungs- als auch Nichterwerbsklauseln vor. Der Entwurf war unbefristet, enthielt aber ein Kündigungsrecht – ein Zugeständnis vor allem an Italien, Westdeutschland und andere Staaten, die nicht ohne Garantie der vollständigen nuklearen Abrüstung für immer auf eigene Kernwaffen verzichten wollten.
Zwei Monate später brachten acht blockfreie Staaten eine Resolution in die UN-Generalversammlung ein. Der Text wurde angenommen (UN-Res. 2028/XX) und legte für die weiteren NVV-Verhandlungen fünf Prinzipien fest:
Kernwaffen- und Nichtkernwaffenstaaten verpflichten sich, keine Weiterverbreitung zu betreiben.
Die Pflichten der Kernwaffen- und Nicht-Kernwaffenstaaten müssen sich einigermaßen die Waage halten.
Es sind Schritte zur allgemeinen und vollständigen (konventionellen) Abrüstung vorzusehen.
Die Wirksamkeit des Vertrags ist durch praktische Maßnahmen sicherzustellen.
Vereinbarungen über kernwaffenfreie Zonen müssen möglich sein.
Diese Kernelemente fanden sich im endgültigen Vertragstext wieder (in den Artikeln I, II, VI, III und VII).
Im August 1967 legten die USA und die Sowjetunion jeweils separat einen Textentwurf mit identischem Inhalt vor. Die beiden Supermächte hatten sich geeinigt, jetzt galt es die anderen Staaten zu überzeugen. Die Bundesrepublik Deutschland und Italien machten aber schnell klar, dass ein unbefristeter Vertrag für sie nicht in Frage kommt. Auch die Frage des Rechts auf friedliche Nutzung von Kernenergie und der Forschungsmöglichkeiten war für manche Beteiligte noch nicht zufriedenstellend gelöst. Ebenfalls wurden Änderungen in der Präambel gewünscht.
Am 12. Juni 1968 war es dann so weit: Nach weiteren Änderungen am Entwurf nahm die UN-Generalversammlung Resolution 2373 (XXII) an, in der sie den angehängten Endtext des »Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons« (Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen) lobte und die Verwahrländer um Auslegung des Vertrags zur Unterzeichnung bat.
Am 1. Juli 1968 wurde der NVV in Washington, London und Moskau ausgelegt. Neben den USA, Großbritannien und der Sowjetunion unterzeichneten den Vertrag an dem Tag weitere 59 Staaten. Noch am selben Tag hinterlegte Irland als erstes Land seine Ratifizierungsurkunde.
Die Verhandlungen um die Sicherungsmaßnahmen und Inspektionen der IAEO dauerten noch einige Zeit. Manche Staaten warteten das Ergebnis ab, bevor sie dem Vertrag beitraten: Die Bundesrepublik wollte sichergehen, dass ihre zivilen Nuklearaktivitäten nicht eingeschränkt werden, andere Länder wollten sich zuerst überzeugen, dass auch Westdeutschland wirksamen Kontrollen unterliegt.
Eine Woche nach Auslegung des Vertrags reichte US-Präsident Johnson den NVV beim US-Senat zur Ratifizierung ein. Die sowjetische Invasion in die Tschechoslowakei verzögerte zunächst die amerikanische Ratifizierung, der Vertrag trat aber am 5. März 1970 in Kraft, wie in Artikel IX (3) vorgesehen, „sobald die Staaten, deren Regierungen zu Verwahrern des Vertrags bestimmt worden sind, und vierzig sonstige Unterzeichnerstaaten ihn ratifiziert und ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt haben.“
Indien, Mitgliedsland der ENDC, verweigerte den Beitritt. Es wollte die nukleare Option offen halten, da sein großer Gegner China bereits über Kernwaffen verfügte. Pakistan wiederum blieb dem Vertrag unter Verweis auf den Gegner Indien fern. Auch Israel hatte kein Interesse – zu dieser Zeit war sein Kernwaffenprogramm schon in vollem Gang. China und Frankreich blieben schon den Verhandlungen fern. Als Kernwaffenstaaten hatten sie nichts zu verlieren und traten dem NVV erst später bei (beide 1992).
Deutschland als Hemmschuh und Antriebskraft
Die Bundesrepublik gehörte in den 1960er Jahren weder zum ENDC noch zu den Vereinten Nationen, nahm also an den formellen Verhandlungen zum NVV gar nicht teil. Diskussionen in der NATO sowie mit einzelnen Verbündeten erhielten daher ein hohes Gewicht, um der Bundesrepublik den Weg in das geplante Vertragswerk zu ermöglichen. Dieses Ziel hatte hohe Priorität, gab es in der Bundesrepublik doch bereits einige Kernreaktoren und Pläne für mehr; die BRD hatte so das Potential zum Kernwaffenbau bereits erlangt. Überdies hatte in den Jahren zuvor die Regierungskoalition unter Führung der CDU wiederholt ihr Interesse an Kernwaffen(forschung) geäußert. Berühmt wurde z.B. folgende Einschätzung von Bundeskanzler Adenauer von 1957: „Die taktischen atomaren Waffen sind im Grunde genommen nichts anderes, als eine Weiterentwicklung der Artillerie, und es ist ganz selbstverständlich, dass bei einer so starken Fortentwicklung der Waffentechnik wir nicht darauf verzichten können, dass unsere Truppen auch die neuesten Typen haben und die neueste Entwicklung mitmachen…“
1966 gab US-Präsident Johnson seinen Verhandlungsführern Anweisung, Bonn die Nichtverbreitungsklausel vorzulegen und zu erläutern. Nach langwierigen Gesprächen mit den USA und anderen NATO-Mitgliedern lenkte Bonn schließlich ein und stimmte dem Nichtverbreitungsartikel im NVV zu. So war eine wichtige Hürde für ein Ja der Sowjetunion zum Vertrag genommen.
Die Bundesregierung wollte aber weiterhin ihre Interessen wahren und hinterlegte bei der Unterzeichnung des NVV 1969 eine Note, die in ähnlichem Wortlauf bei der Ratifizierung 1975 wiederholt wurde. Ihr Inhalt bleibt bis heute politisch interessant. Bonn verwies in der Note darauf, dass die Sicherheit der BRD weiterhin durch die NATO (oder ein entsprechendes Sicherheitssystem) gewährleistet bleibt. Dies ist als Hinweis auf die Beibehaltung der nuklearen Teilhabe zu werten.
Ein langer Abschnitt bekräftigt die Interpretation, dass der NVV Kernenergie für friedliche Zwecke nicht behindere und „dass der Vertrag niemals so ausgelegt oder angewandt werden kann, dass er Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet behindert oder unterbindet“. Die Note verweist auf eine Erklärung des amerikanischen Ständigen Vertreters bei den Vereinten Nationen vom 15. Mai 1968, die lautet: „Dieser Vertrag fordert von keinem Staat einen Status technologischer Abhängigkeit hinzunehmen oder von Entwicklungen in der Kernforschung ausgeschlossen zu sein; … Das gesamte Gebiet der mit der Erzeugung elektrischer Energie verbundenen Kernwissenschaften … wird allen, die es nutzen wollen, nach diesem Vertrag zugänglicher werden. Hierzu gehört nicht nur die gegenwärtige Generation von Kernreaktoren, sondern auch die fortgeschrittene, noch in der Entwicklung befindliche Technologie von Schnellen Brutreaktoren…“ Der Schnelle Brüter erzeugt schneller als ein Reaktor Plutonium, neben hoch angereichertem Uran der zweite Bombenstoff. Klarer lässt sich die Option auf ein Ausbrechen aus dem Vertrag kaum formulieren. Selbst die „friedliche Verwendung von Kernsprengmitteln“ wollte die Bundesregierung durch den NVV nicht behindert sehen.
Die Bundesregierung erklärte des Weiteren:
„Beweislast Im Zusammenhang mit Artikel III Absatz 3 und Artikel IV des Vertrages ist keine nukleare Tätigkeit auf dem Gebiet der Forschung, Entwicklung, Herstellung oder Verwendung zu friedlichen Zwecken untersagt, noch kann die Lieferung von Kenntnissen, Material und Ausrüstungen Nichtkernwaffenstaaten allein auf der Grundlage von Unterstellungen verweigert werden, dass eine derartige Tätigkeit oder eine derartige Lieferung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden kann.“
Im Hinblick auf die unglückliche deutsche Rolle bei den Verhandlungen mit Iran sollte sich Berlin seine eigenen Worte nochmals genau anschauen und eventuell seine Verhandlungsstrategie ändern.
Ein weiterer Satz ist aktuell, gerade im Kontext der Koalitionserklärung von CDU, CSU und FDP vom Oktober 2010, in der der Wunsch nach Beendigung der technischen Teilhabe im Rahmen der NATO geäußert wird. In der Note vom 28.11.1969 heißt es: „Die Bundesrgeriung geht davon aus, […] dass die Vertragsparteien die im Vertrag vorgesehenen Abrüstungsverhandlungen, insbesondere auf dem Gebiet der nuklearen Waffen, alsbald aufnehmen werden.“
Da Abrüstungsverhandlungen mit dem Ziel der atomwaffenfreien Welt alle Parteien umfassen müssen, bietet sich ein Engagement der Bundesregierung für eine Nuklearwaffenkonvention geradezu an.
Die nukleare Teilhabe und der NVV
Nachdem in den Verhandlungen zum NVV die Artikel I (Nicht-Weitergabe) und II (Nicht-Erwerb) abgestimmt waren, blieb für die USA noch ein Problem offen: die nukleare Teilhabe, das heißt die Stationierung von Atomwaffen der USA in europäischen Ländern unter Befehlsführung der USA. Da griffen die USA zu einem Trick.
Sie arbeiteten nach Konsultationen mit einigen NATO-Verbündeten ihre eigene Interpretation der Rechtslage aus und zeigten sie einigen Mitgliedstaaten der ENDC, darunter auch der Sowjetunion. In der Regel werden nationale Interpretationen oder Einschränkungen bei der Unterzeichnung eines Völkerrechtsvertrags für alle zugänglich hinterlegt, wie dies die Bundesrepublik mit ihrer Note tat. Die USA aber enthielten den meisten Ländern, die den NVV damals unterzeichneten, ihre Interpretation der nuklearen Teilhabe unter dem NVV vor und machte sie erst einige Zeit später bei einer Anhörung des US-Senats bekannt. So ist diese wichtige Einschränkung der Verpflichtungen aus dem NVV, die nicht nur die USA sondern auch die fünf Stationierungsländer bis heute für sich in Anspruch nehmen, nicht völkerrechtlich untermauert sondern in einem Protokoll des US-Senats aus den 1960er Jahren vergraben.
Ein Grund mehr, die Aufgabe der nuklearen Teilhabe in der NATO nun rasch und ernsthaft anzugehen und dem Nichtverbreitungsvertrag damit mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Literatur:
Bunn, George: The Nuclear Non-Proliferation Treaty, in: Wisconsin Law Review, Vol. 1968, S.766-785.
Bunn, George und Charles N. Van Doren: Options for Extension of the NPT: the Intention of the Drafters Of Article X.2, in: Bunn, Van Doren & David Fischer: Options & Opportunities: The NPT Extension Conference of 1995, PPNN Study Two, 1991.
Bunn, George: The Nuclear Non-Proliferation Treaty: History and Current Problems, in: Arms Control Today, Dezember 2003; www.armscontrol.org.
Bunn, George und John B. Rhinelander: Looking Back: The Nuclear Nonproliferation Treaty Then and Now, in: Arms Control Today, Juli/August 2008; www.armscontrol.org.
Nassauer, Otfried: Nuclear Sharing in NATO: Is It Legal? in: Science for democratic action, April 2001; www.bits.de/public/articles/sda-05-01.htm.
Note der Bundesregierung an die Regierungen der Staaten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, aus Anlass der Unterzeichnung des Vertrages vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen am 28. November 1969 (NV-Vertrag).
www.atomwaffena-z.info.
Regina Hagen ist Mitglied der Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei« und Mitglied der W&F-Redaktion. Mit Dank an Götz Neuneck für einige hilfreiche Hinweise.
zum AnfangBestimmungen des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen
abgeschlossen am 1. Juli 1968; in Kraft getreten am 5. März 1970; aktuell 189 Vertragsstaaten
Artikel I
Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen.
Artikel II
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.
Artikel III
(1) Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Sicherungsmaßnahmen anzunehmen, wie sie in einer mit der Internationalen Atomenergie-Organisation nach Maßgabe ihrer Satzung und ihres Sicherungssystems auszuhandelnden und zu schließenden Übereinkunft festgelegt werden, wobei diese Sicherungsmaßnahmen ausschließlich dazu dienen, die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus diesem Vertrag nachzuprüfen, damit verhindert wird, dass Kernenergie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und für Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper verwendet wird. Die Verfahren für die nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen werden in Bezug auf Ausgangs- und besonderes spaltbares Material durchgeführt, gleichviel ob es in einer Hauptkernanlage hergestellt, verarbeitet oder verwendet wird oder sich ausserhalb einer solchen Anlage befindet. Die nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen finden Anwendung auf alles Ausgangs- und besondere spaltbare Material bei allen friedlichen nuklearen Tätigkeiten, die im Hoheitsgebiet dieses Staates, unter seiner Hoheitsgewalt oder unter seiner Kontrolle an irgendeinem Ort durchgeführt werden.
(2) Jeder Staat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, a) Ausgangs- und besonderes spaltbares Material oder b) Ausrüstungen und Materialien, die eigens für die Verarbeitung, Verwendung oder Herstellung von besonderem spaltbarem Material vorgesehen oder hergerichtet sind, einem Nichtkernwaffenstaat für friedliche Zwecke nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn das Ausgangs- oder besondere spaltbare Material den nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen unterliegt.
(3) Die nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen werden so durchgeführt, dass sie mit Artikel IV in Einklang stehen und keine Behinderung darstellen für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung der Vertragsparteien oder für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedlicher nuklearer Tätigkeiten, einschließlich des internationalen Austausches von Kernmaterial und Ausrüstungen für die Verarbeitung, Verwendung oder Herstellung von Kernmaterial für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit diesem Artikel und dem in der Präambel niedergelegten Grundsatz der Sicherungsüberwachung.
(4) Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, schließen entweder einzeln oder gemeinsam mit anderen Staaten nach Maßgabe der Satzung der Internationalen Atomenergie-Organisation Übereinkünfte mit dieser, um den Erfordernissen dieses Artikels nachzukommen. Verhandlungen über derartige Übereinkünfte werden binnen 180 Tagen nach dem ursprünglichen Inkrafttreten dieses Vertrags aufgenommen. Staaten, die ihre Ratifikations- oder Beitrittsurkunde nach Ablauf der Frist von 180 Tagen hinterlegen, nehmen Verhandlungen über derartige Übereinkünfte spätestens am Tag der Hinterlegung auf. Diese Übereinkünfte treten spätestens achtzehn Monate nach dem Tag des Verhandlungsbeginns in Kraft.
Artikel IV
(1) Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.
(2) Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen. Vertragsparteien, die hierzu in der Lage sind, arbeiten ferner zusammen, um allein oder gemeinsam mit anderen Staaten oder internationalen Organisationen zur Weiterentwicklung der Anwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke, besonders im Hoheitsgebiet von Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, unter gebührender Berücksichtigung der Bedürfnisse der Entwicklungsgebiete der Welt beizutragen.
Artikel V
Jede Vertragspartei verpflichtet sich, geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass im Einklang mit diesem Vertrag unter geeigneter internationaler Beobachtung und durch geeignete internationale Verfahren die möglichen Vorteile aus jeglicher friedlichen Anwendung von Kernsprengungen Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, auf der Grundlage der Gleichbehandlung zugänglich gemacht werden und dass die diesen Vertragsparteien für die verwendeten Sprengkörper berechneten Gebühren so niedrig wie möglich sind und keine Kosten für Forschung und Entwicklung enthalten. Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, können diese Vorteile aufgrund einer oder mehrerer internationaler Sonderübereinkünfte durch eine geeignete internationale Organisation erlangen, in der Nichtkernwaffenstaaten angemessen vertreten sind. Verhandlungen hierüber werden so bald wie möglich nach Inkrafttreten dieses Vertrags aufgenommen. Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, können diese Vorteile, wenn sie es wünschen, auch aufgrund zweiseitiger Übereinkünfte erlangen.
Artikel VI
Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.
Artikel VII
Dieser Vertrag beeinträchtigt nicht das Recht einer Gruppe von Staaten, regionale Verträge zu schließen, um sicherzustellen, dass ihre Hoheitsgebiete völlig frei von Kernwaffen sind.
Artikel VIII
(1) Jede Vertragspartei kann Änderungen dieses Vertrags vorschlagen. Der Wortlaut jedes Änderungsvorschlags wird den Verwahrregierungen übermittelt, die ihn allen Vertragsparteien zuleiten. Daraufhin berufen die Verwahrregierungen auf Antrag von mindestens einem Drittel der Vertragsparteien zur Prüfung des Änderungsvorschlags eine Konferenz ein, zu der sie alle Vertragsparteien einladen.
(2) Jede Änderung dieses Vertrags bedarf der Genehmigung durch Stimmenmehrheit aller Vertragsparteien einschließlich der Stimmen aller Kernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, und aller sonstigen Vertragsparteien, die im Zeitpunkt der Zuleitung des Änderungsvorschlags Mitglied des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergie-Organisation sind. Die Änderung tritt für jede Vertragspartei, die ihre Ratifikationsurkunde zu der Änderung hinterlegt hat, in Kraft mit der Hinterlegung von Ratifikationsurkunden durch die Mehrheit aller Vertragsparteien einschließlich der Ratifikationsurkunden aller Kernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, und aller sonstigen Vertragsparteien, die im Zeitpunkt der Zuleitung des Änderungsvorschlags Mitglied des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergie-Organisation sind. Danach tritt die Änderung für jede weitere Vertragspartei mit der Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde zu der Änderung in Kraft.
(3) Fünf Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags wird in Genf, Schweiz, eine Konferenz der Vertragsparteien zu dem Zweck abgehalten, die Wirkungsweise dieses Vertrags zu überprüfen, um sicherzustellen, dass die Ziele der Präambel und die Bestimmungen des Vertrags verwirklicht werden. Danach kann eine Mehrheit der Vertragsparteien in Abständen von je fünf Jahren die Einberufung weiterer Konferenzen mit demselben Ziel der Überprüfung der Wirkungsweise des Vertrags erreichen, indem sie den Verwahrregierungen einen diesbezüglichen Vorschlag unterbreitet.
Artikel IX
(1) Dieser Vertrag liegt für alle Staaten zur Unterzeichnung auf. Jeder Staat, der den Vertrag nicht vor seinem nach Absatz 3 erfolgten Inkrafttreten unterzeichnet, kann ihm jederzeit beitreten.
(2) Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation durch die Unterzeichnerstaaten. Die Ratifikations- und die Beitrittsurkunden sind bei den Regierungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sowie der Vereinigten Staaten von Amerika zu hinterlegen; diese werden hiermit zu Verwahrregierungen bestimmt.
(3) Dieser Vertrag tritt in Kraft, sobald die Staaten, deren Regierungen zu Verwahrern des Vertrags bestimmt worden sind, und vierzig sonstige Unterzeichnerstaaten ihn ratifiziert und ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt haben. Für die Zwecke dieses Vertrags gilt als Kernwaffenstaat jeder Staat, der vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt und gezündet hat.
(4) Für Staaten, deren Ratifikations- oder Beitrittsurkunde nach dem Inkrafttreten dieses Vertrags hinterlegt wird, tritt er am Tag der Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft.
(5) Die Verwahrregierungen unterrichten alle Unterzeichnerstaaten und beitretenden Staaten sogleich vom Zeitpunkt jeder Unterzeichnung und jeder Hinterlegung einer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrags und vom Zeitpunkt des Eingangs von Anträgen auf Einberufung einer Konferenz oder von sonstigen Mitteilungen.
(6) Dieser Vertrag wird von den Verwahrregierungen nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen registriert.
Artikel X
(1) Jede Vertragspartei ist in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn sie entscheidet, dass durch aussergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten ist. Sie teilt diesen Rücktritt allen anderen Vertragsparteien sowie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen drei Monate im Voraus mit. Diese Mitteilung hat eine Darlegung der aussergewöhnlichen Ereignisse zu enthalten, durch die ihrer Ansicht nach eine Gefährdung ihrer höchsten Interessen eingetreten ist.
(2) Fünfundzwanzig Jahre nach Inkrafttreten dieses Vertrags wird eine Konferenz einberufen, die beschließen soll, ob der Vertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleibt oder um eine oder mehrere bestimmte Frist oder Fristen verlängert wird. Dieser Beschluss bedarf der Mehrheit der Vertragsparteien.
Artikel XI
Dieser Vertrag, dessen chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, wird in den Archiven der Verwahrregierung hinterlegt. Diese übermitteln den Regierungen der Unterzeichnerstaaten und der beitretenden Staaten gehörig beglaubigte Abschriften.
Offizielle deutsche Fassung des Auswärtigen Amtes
Anmerkung
Der Vertragstext wurde hier um die Präambel gekürzt. Der vollständige Text mit Präambel ist unter »www.atomwaffena-z.info« eingestellt.
zum AnfangChronologie: 40 Jahre Nichtverbreitungsvertrag
von Jens Heinrich
1968
Die drei im Vertrag benannten Verwahrstaaten USA, Sowjetunion und Großbritannien sowie 59 weitere Staaten unterzeichnen den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) am 1. Juli.
Der UN-Sicherheitsrat nimmt die Resolution 255 an, die sich mit dem Wunsch beitrittswilliger Nicht-Kernwaffenstaaten befasst, vor einem Angriff mit Kernwaffen geschützt zu werden. Die Resolution gewährt aber keine entsprechenden Sicherheitsgarantien.
Die Ratifizierung durch den US-Senat verzögert sich aufgrund des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei.
1969
Ratifizierung durch die Deutsche Demokratische Republik (DDR) am 31. Oktober.
Unterzeichnung durch die Bundesrepublik Deutschland am 28. November. Obwohl es in der (west-) deutschen Regierung Stimmen gibt, die sich für Atomwaffen aussprechen, entscheidet sich Bonn für den Verzicht. Der Beitritt der Bundesrepublik als kernwaffenfreier Staat ist für die Ratifizierung durch die Sowjetunion im März 1970 von zentraler Bedeutung.
1970
Artikel IX legt das Inkrafttreten des Vertrages fest, sobald die drei Verwahrstaaten sowie weitere 40 Staaten das Abkommen ratifizieren. Dies ist am 5. März der Fall.
Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), 1957 gegründet zur Förderung der friedlichen Nutzung von Kernenergie, bereitet sich darauf vor, die Einhaltung des Vertrags zu überprüfen; dazu wird ein Standardtext für »Safeguards Agreements« (Sicherungsabkommen) mit den Vertragsstaaten erstellt.
1972
Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten treffen zwei Abkommen, um das weitere Wettrüsten einzudämmen: den Vertrag über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) und ein Abkommen über bestimmte Maßnahmen zur Begrenzung strategischer Angriffswaffen (SALT-I).
1974
Indien zündet eine als »friedlich« deklarierte Kernexplosion. Indien wird vom NVV nicht als Kernwaffenstaat anerkannt und kann dem Vertrag nur als Nicht-Kernwaffenstaat beitreten.
1975
Am 2. Mai hinterlegt die Bundesrepublik Deutschland ihre Ratifizierungsurkunde – gerade noch rechtzeitig vor der ersten Überprüfungskonferenz.
Erste Überprüfungskonferenz gemäß Artikel VII(c), 91 Vertragsstaaten. Bereits jetzt treten Differenzen auf, die bis heute anhalten. Die drei vom NVV anerkannten Atommächte, die bereits Vertragsstaat sind (das sind die drei Verwahrstaaten Sowjetunion, Vereinigtes Königsreich und Vereinigte Staaten) und die meisten west- und osteuropäischen Staaten sprechen sich für eine Universalisierung des Vertrages aus. Viele blockfreie Staaten verlangen allerdings eine fairere Verteilung der Rechte und Pflichten, z.B. im Hinblick auf Inspektionen durch die IAEO. Besonders kontrovers diskutiert wird die Frage, ob die Kernwaffenstaaten ihre Verpflichtungen aus Artikel VI (Verhandlungen über nukleare Abrüstung) erfüllen.
In London kommen 15 Staaten zusammen, die über eine nukleare Infrastruktur verfügen. Ziel dieses Treffens ist die Koordinierung von Nuklearexporten. Aus diesem Treffen geht die »Gruppe der nuklearen Lieferländer « (Nuclear Suppliers Group, NSG) hervor, die bis heute eine wichtige Rolle spielt.
1979
Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten unterzeichnen den Vertrag zur Begrenzung ihrer strategischen Angriffswaffen (SALT-II).
1980
Zweite Überprüfungskonferenz, 112 Vertragsstaaten. Die Differenzen der ersten Konferenz ziehen sich auch durch dieses Treffen. Die Vertragsparteien können sich nicht auf ein Schlussdokument einigen – Hauptstreitpunkt ist Artikel VI.
1985
Beitritt Nordkoreas als Nicht-Kernwaffenstaat auf Druck der Sowjetunion.
Dritte Überprüfungskonferenz, 131 Vertragsstaaten. Afrikanische und arabische Staaten kritisieren die Atomprogramme Südafrikas und Israels. Es wird vorgeschlagen, umfassende Sicherungsabkommen mit der IAEO zur Bedingung für die Lieferung von Nukleartechnologie zu machen. Mangelnde Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung werden beklagt. Es kommt zu einer starken Abschlusserklärung, allerdings nur deshalb, weil strittige Themen aus der Erklärung ausgelagert und in ein umfassenderes Abschlussdokument aufgenommen werden.
1986
Die Sunday Times in London berichtet auf der Basis von Informationen des israelischen Nukleartechnikers Mordechai Vanunu über das israelische Kernwaffenprogramm. Israel bestätigt den Besitz von Kernwaffen bis heute nicht. Israel wird vom NVV nicht als Kernwaffenstaat anerkannt und kann dem Vertrag nur als Nicht-Kernwaffenstaat beitreten.
1987
Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion unterzeichnen den Vertrag zur Abschaffung ihrer Mittelstreckenraketen.
Sieben Staaten – darunter Deutschland und die USA – begründen das Missile Technology Control Regime (MTCR), um die unkontrollierte Verbreitung von Raketentechnologie einzudämmen.
1990
Vierte Überprüfungskonferenz, 140 Vertragsparteien. Die Mehrheit der Staaten äußert sich zufrieden mit der gewachsenen Zahl der Vertragsparteien. Streitpunkte bleiben jedoch die unterschiedlichen Interpretationen der Ziele und die Implementierungen dieser Ziele. Differenzen werden besonders bei der Umsetzung von Artikel I, II und VI deutlich.
1991
Zur Befreiung Kuwaits, das im August 1990 von Irak besetzt worden war, beginnt unter der Führung der USA eine Koalition einen Luftkrieg gegen Irak. Im Rahmen des Waffenstillstandes werden von der IAEO Anlagen im Irak inspiziert, die für ein Kernwaffenprogramm taugen könnten. Es stellt sich heraus, dass ein solches Programm weiter fortgeschritten war, als zuvor vermutet.
Südafrika gibt sein Kernwaffenarsenal auf, das unter der Apartheid-Regierung entwickelt worden war, und tritt dem NVV als Nicht-Kernwaffenstaat bei.
Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten unterzeichnen das Abkommen über die Verringerung und Begrenzung strategischer Angriffswaffen (START-I).
Die Sowjetunion löst sich 1991 auf. Russland tritt die völkerrechtliche Nachfolge an; die übrigen Sowjetrepubliken werden selbständige Staaten, Belarus, Kasachstan und die Ukraine mit eigenem Kernwaffenarsenal. Diese drei Länder lösen in der Folge ihre Bestände auf und treten dem NVV als Nicht-Kernwaffenstaaten bei (1993 bzw. 1994).
1992
Beitritt Chinas und Frankreichs. Beide Länder gelten gemäß Artikel IX(3) als »offizielle« Kernwaffenstaaten, da sie bereits vor 1967 eine Kernexplosion durchgeführt hatten.
1993
Im März verweigert Nordkorea einem Inspektionsteam der IAEO den Zugang zu Nuklearanlagen und kündigt unter Berufung auf Artikel X den Austritt aus dem NVV mit drei Monate Frist an. Nach Krisengesprächen mit den USA teilt Nordkorea einen Tag vor Ablauf der Kündigungsfrist mit, dass es seinen Austritt vorläufig aussetzen werde.
1994
Die USA und Nordkorea unterzeichnen ein »Rahmenabkommen«, das die Lieferung von Öl und den Bau von vier Leichtwasserreaktoren vorsieht; im Gegenzug stimmt Nordkorea zu, Vertragstaat des NVV zu bleiben.
1995
Verlängerungs- und fünfte Überprüfungskonferenz; 178 Vertragsparteien. Gemäß den Bestimmungen des NVV müssen die Mitgliedsstaaten darüber entscheiden, ob und für welche Frist der Vertrag verlängert werden soll. Am Ende der Konferenz stehen die unbefristete Verlängerung sowie das Versprechen, Verhandlungen über ein umfassendes Teststoppabkommen (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) und einen Vertrag zu Beendigung der Spaltmaterialproduktion (Fissile Materials Cut-off Treaty, FMCT) aufzunehmen, und eine Resolution zu einer massenvernichtungswaffen-freien Zone im Nahen Osten. (Mehr Details zur Überprüfungskonferenz von 1995 siehe nächste Seite.)
1996
Die UN-Generalversammlung nimmt bei nur drei Gegenstimmen das Umfassende Teststoppabkommen an. Der Vertrag ist bislang wegen fehlender Ratifizierung durch einige Schlüsselstaaten (darunter die USA und China) nicht in Kraft getreten.
1998
Indien und Pakistan testen im Mai mehrere Kernwaffen. Wie Indien wird auch Pakistan vom NVV nicht als Kernwaffenstaat anerkannt und kann dem Vertrag nur als Nicht-Kernwaffenstaat beitreten.
Brasilien tritt dem NVV als Nicht-Kernwaffenstaat bei. Es hatte zwar bereits 1968 den Vertrag von Tlatelolco (Kernwaffenfreie Zone in der Karibik und Lateinamerika) unterzeichnet, unter dem Militärregime aber dennoch ein geheimes Kernwaffenprogramm begonnen. Die 1985 demokratisch gewählte Regierung beendete dieses Programm. Bereits 1991 gründete Brasilien mit Argentinien, das ebenfalls während seiner Militärdiktatur ein geheimes Kernwaffenprogramm betrieb und noch vor dem Übergang in die Demokratie gegen 1980 aufgegeben hatte, eine bilaterale Agentur für die Kontrolle nuklearer Materialien.
33 Staaten gründen das Wassenaar-Abkommen zur Exportkontrolle von konventionellen Waffen und Gütern bzw. Technologien, die für zivile und militärische Zwecke genutzt werden können.
2000
Sechste Überprüfungskonferenz, 187 Vertragsstaaten. Die Konferenzteilnehmer einigen sich auf »13 praktische Schritte«, um „systematische und fortschreitenden Bemühungen“ zur Abrüstung zu fördern. Dazu zählen unter anderem die Unterzeichnung und Ratifizierung des umfassenden Atomteststoppvertrages, die Aufnahme von Verhandlungen für einen Vertrag zur Beendigung der Spaltmaterialproduktion, die zügige Umsetzung des 1993 abgeschlossenen. START-II-Vertrags und eine eindeutige Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zur atomaren Abrüstung. (Die »13 praktischen Schritte« sind in diesem Dossier auf Seite aufgeführt.)
2003
Nordkorea tritt mit einem Tag Frist aus dem NVV aus. Das Land argumentiert, es habe seinen Austritt 1993 nur ausgesetzt, nicht aufgehoben. Die Vertragsstaaten des NVV konnten sich bislang nicht darauf einigen, ob Nordkoreas Austritt Gültigkeit erlangt hat.
2005
Siebte Überprüfungskonferenz, 188 Vertragsstaaten: Die Teilnehmerstaaten können sich erst in der letzten von vier Konferenzwochen auf eine Tagesordnung einigen, so dass keine Zeit für substantielle Diskussionen bleibt. Die Konferenz scheitert, u.a. auf Grund des Verhaltens der Vereinigten Staaten und des Iran. Das Abschlussdokument enthält lediglich organisatorische Details, keine inhaltlichen Aussagen.
2006
Mit Montenegro tritt bislang der letzte Staat dem NVV bei. Die Mitgliedschaft beträgt jetzt 189 Vertragsstaaten. Nicht Mitglied sind die drei faktischen Atomwaffenstaaten Israel, Indien und Pakistan, ungeklärt die Mitgliedschaft von Nordkorea..
Literatur:
Cirincione, Joseph/Wolfsthal, Jon B./Rajkumar, Miriam (2005): Deadly Arsenals. Nuclear, Biological, and Chemical Threats, Second Edition revised and expanded, Washington D.C.: Carnegie Endowment for International Peace.
Federation of American Scientists, NPT Chronology; www.fas.org/nuke/control/npt/chron.htm.
Meier, Oliver: Ein Vertrag ohne Freunde? Die Überprüfungskonferenz des NVV steht vor dem Scheitern, in: Internationale Politik, April 2005.
Müller, Harald: Nichtverbreitungsvertrag: Regime kaputt. Bedingungen für die Stabilität von Vertragsregimen, in: Internationale Politik, August 2006.
Perkovich, George (1999): India’s Nuclear Bomb. The Impact on Global Proliferation, Updated Edition with a new Afterword, Berkeley and Los Angeles: University of California Press.
Website der Vereinten Nationen zu den NVV-Überprüfungskonferenzen: http://www.un.org/disarmament/WMD/Nuclear/NPT_Review_ Conferences.shtml.
Website mit aktuellen Infos und allen Dokumenten aus der NVV-Überprüfungskonferenz 2010: www.reachingcriticalwill.org/legal/npt/2010index.html.
Jens Heinrich ist Student der Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Magdeburg.
zum AnfangDie unbefristete Verlängerung des NVV
Die Überprüfungskonferenz von 1995
Die Mitglieder des NVV, der gemäß Artikel X, Absatz 2 ursprünglich auf eine Vertragslaufzeit von 25 Jahren festgelegt worden war, hatten 1995 zu entscheiden, ob und für wie lange der Vertrag verlängert werden soll. Zur Wahl standen folgende Varianten: keine Verlängerung, Verlängerung um fünf oder fünfundzwanzig Jahre oder Verlängerung ohne zeitliche Begrenzung. Zusätzlich strittig war die Frage, ob die Verlängerung »conditional« sein sollte, also nur dann Bestand hat, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Die Diskussion war heftig und drohte zeitweise die Konferenz zu sprengen.
Ursache wie Wirkung dieser Differenzen waren u.a. unterschiedliche Auffassungen bei den Vertragsbestimmungen zur nuklearen Abrüstung (Artikel VI) und technologischen Kooperation (Artikel IV). Viele der Nicht-Kernwaffenstaaten waren enttäuscht über den mangelhaften Abrüstungswillen der offiziellen Kernwaffenstaaten. Ihrer Ansicht nach hatten sie, die Nicht-Kernwaffenstaaten, ihre Verpflichtungen aus dem NVV eingehalten, die Kernwaffenstaaten aber nicht. Darüber hinaus wollten einige arabische Staaten den Druck auf Israel erhöhen, dem NVV als Nicht-Kernwaffenstaaten beizutreten – bis heute ein höchst sensibles Thema. Die Überprüfungskonferenz machte zudem deutlich, dass der NVV Schwachstellen aufweist, die, um die Ziele des Vertrages zu erreichen, beseitigt werden müssten.
Am Ende wurde vom Konferenzvorsitzenden ein Bündel geschnürt, das alle Vertragsparteien akzeptieren konnten und drei Entscheidungen (Stärkung des Überprüfungsprozesses; Prinzipien und Ziele von Nichtverbreitung und Abrüstung mit einem vordringlichen Maßnahmenkatalog; Verlängerung des Vertrags) umfasste sowie eine Resolution zum Nahen Osten, in der u.a. ein Naher Osten frei von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen sowie der Beitritt der noch außerhalb des Vertrags verbliebenen Länder eingefordert wurde.
Im Nachhinein wird die NVV-Verlängerung zwar überwiegend als positiv bewertet, aber zugleich wird auf die damit verbundenen Probleme hingewiesen. So haben die »offiziellen« Atomwaffenstaaten die Verlängerung als Freibrief für ihren Status verstanden, denn der NVV selbst bleibt an dieser Stelle äußerst vage und ohne bindendes Datum.
Jens Heinrich
zum AnfangDie »13 praktischen Schritte«
Beschluss der Überprüfungskonferenz 2000
1. Umfassendes Verbot von Nuklearversuchen unterzeichnen:
Die Wichtigkeit und Dringlichkeit der sofortigen und bedingungslosen Unterzeichnung und Ratifizierung in Übereinstimmung mit den verfassungsgemäßen Verfahren, um das baldige Inkrafttreten des umfassenden Verbots von Nuklearversuchen zu erzielen.
2. Tests stoppen:
Ein Moratorium zu Kernwaffentestexplosionen oder anderen Kernexplosionen bis zum Inkrafttreten dieses Vertrags.
3. Verhandlung:
Die Notwendigkeit von Verhandlungen bei der Abrüstungskonferenz [in Genf] über einen nicht diskriminierenden, multilateralen sowie international und effektiv überprüfbaren Vertrag zum Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Kernwaffen oder andere Kernsprengvorrichtungen gemäß des Berichts des speziellen Koordinators [der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz] von 1995 und dem darin enthaltenen Mandat unter Berücksichtigung der beiden Ziele nukleare Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung. Die Abrüstungskonferenz wird dringend aufgefordert, sich auf ein Arbeitsprogramm zu einigen, das die sofortige Aufnahme von Verhandlungen über einen solchen Vertrag einschließt, die innerhalb von fünf Jahren zum Abschluss gebracht werden sollen.
4. Verhandlung:
Die Notwendigkeit, bei der Abrüstungskonferenz ein entsprechendes Gremium einzurichten mit dem Mandat, sich mit nuklearer Abrüstung zu befassen. Die Abrüstungskonferenz wird dringend aufgefordert, sich auf ein Arbeitsprogramm zu einigen, das die sofortige Einrichtung eines solchen Gremiums einschließt.
5. Kein Zurück:
Das Prinzip der Irreversibilität bezüglich der nuklearen Abrüstung sowie der nuklearen und anderen damit zusammenhängenden Rüstungskontroll- und Abrüstungsmaßnahmen.
6. Kernwaffen abschaffen
Die unzweideutige Verpflichtung der Kernwaffenstaaten zur vollständigen Abschaffung ihrer Kernwaffenarsenale mit dem Ziel der nuklearen Abrüstung, zu der sich unter Artikel VI alle Vertragsparteien verpflichtet haben.
7. Vorhandene Verträge umsetzen:
Das baldige Inkrafttreten und die volle Umsetzung des START II-Vertrags und der baldmöglichste Abschluss des START III-Vertrags unter Beibehaltung und Stärkung des Raketenabwehrvertrags [ABM-Vertrags] als ein Grundpfeiler der strategischen Stabilität sowie als Grundlage für die weitere Reduzierung strategischer Angriffswaffen gemäß seinen Bestimmungen.
8. Vorhandene Verträge umsetzen:
Der Abschluss und die Umsetzung der Trilateralen Initiative zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO).
9. Schritt für Schritt…:
Schritte aller Kernwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung, und zwar so, dass die internationale Stabilität gefördert wird und dass sie auf dem Prinzip der ungeschmälerten Sicherheit für alle basiert:
Weitere Bemühungen der Kernwaffenstaaten, ihre Kernwaffenarsenale einseitig zu verringern.
Gesteigerte Transparenz seitens der Kernwaffenstaaten hinsichtlich der Kernwaffenfähigkeiten und der Umsetzung von Vereinbarungen gemäß Artikel VI sowie als freiwillige vertrauensbildende Maßnahme zur Unterstützung weiterer Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung.
Die auf einseitige Initiativen gegründete weitere Reduzierung nicht-strategischer Kernwaffen als wesentlicher Bestandteil der nuklearen Abrüstung und des [allgemeinen] Abrüstungsprozesses.
Konkret vereinbarte Maßnahmen, um die Einsatzbereitschaft der Kernwaffensysteme weiter zu verringern.
Eine verminderte Rolle von Kernwaffen in der Sicherheitspolitik, um die Gefahr zu verringern, dass diese Waffen jemals eingesetzt werden, und um den Prozess ihrer völligen Abschaffung zu erleichtern.
Die möglichst rasche Beteiligung aller Kernwaffenstaaten an dem Prozess, der zur völligen Abschaffung ihrer Kernwaffen führt.
10. Die Produktion von Plutonium beenden:
Sobald praktisch möglich Vorkehrungen aller Kernwaffenstaaten, um ihr spaltbares Material, das von ihnen jeweils als nicht länger für militärische Zwecke benötigt ausgewiesen wurde, den Verifikationsmechanismen der IAEO und anderer internationaler Abkommen zu unterstellen, und Vorkehrungen, um diese Materialien für friedliche Zwecke zur Verfügung zu stellen, um sicherzustellen, dass dieses Material dauerhaft außerhalb der Reichweite militärischer Programme bliebt.
11. Allgemeine und vollständige Abrüstung:
Erneute Zusicherung, dass die Anstrengungen der Staaten im Abrüstungsprozess letztlich die allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zum Ziel hat.
12. Berichterstattung:
Im Rahmen des gestärkten Überprüfungsprozesses des NVV regelmäßige Berichte aller Vertragsstaaten über die Umsetzung von Artikel VI und von Paragraf 4(c) der Entscheidung [der Überprüfungskonferenz] von 1995 über »Prinzipien und Zielsetzungen zur nuklearen Nichtverbreitung und Abrüstung«; auch unter Verweis auf das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996.
13. Überprüfung:
Die weitere Entwicklung von Verifikationsverfahren, die nötig sind, um das Vertrauen in die Einhaltung nuklearer Abrüstungsvereinbarungen zu wecken, das Voraussetzung ist, um die kernwaffenfreie Welt zu erreichen und beizubehalten.
Übersetzt von Regina Hagen
zum AnfangWenn Worten nicht die richtigen Taten folgen
Vorraussetzungen für den Erfolg der Überprüfungskonferenz in New York
von Xanthe Hall und Jens-Peter Steffen
Vom 3. bis 28. Mai 2010 versammeln sich Delegierte aus fast 190 Staaten zur 8. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags in New York. Ein Anfangserfolg ist, dass die Vertragsstaaten im Konsens eine Tagesordnung für das vierwöchige Treffen vorschlugen – die natürlich vor Ort bestätigt werden muss. Während der letzten Überprüfungskonferenz 2005 – und das war symptomatisch für das Scheitern der Konferenz insgesamt – konnten sich die Unterzeichnerstaaten erst in der vierten Woche auf eine Tagesordnung einigen und hatten dementsprechend kaum noch Zeit für substantielle Verhandlungen.
Die Frage ist, ob Barack Obamas Zielsetzung einer atomwaffenfreien Welt vom April 2009 in Prag die Verhandlungsatmosphäre heute günstiger als zu Zeiten von George W. Bush gestaltet. Seit kurzem gibt es außerdem den neuen START-Vertrag, der die Zahl der Atomsprengköpfe gegenüber dem letzten Vertrag von 2002 um ein Drittel senkt. Und die neue Atomwaffendoktrin der USA verringert im Vergleich zur Bush-Regierung die Rolle der Atomwaffen für die USA. Obama hat mit dem internationalen Atomsicherheitsgipfel in Washington noch eine weitere Maßnahme vorgelegt, die sein Streben für eine atomwaffenfreie Welt belegen soll. Steht die Überprüfungskonferenz 2010 damit unter einem günstigeren Stern als 2005?
Leider ist der Glanz der Prager Stunde bereits sehr verblichen, denn Präsident Obama bläst bei jedem versprochenen Schritt ein heftiger Gegenwind ins Gesicht. Und die nach langen Verhandlungen erreichten Ergebnisse des neuen START-Vertrags, der neuen Atomwaffendoktrin und des Washingtoner Sicherheitsgipfels reichen nicht aus, um die Erwartungen der atomwaffenfreien Staaten und Abrüstungsbefürworter zu befriedigen.
Die angeblich leichte Übung, mit Russland einen neuen Vertrag über die Reduzierung der strategischen Atomwaffen auszuhandeln, entwickelte sich wider Erwarten zu einer längeren Auseinandersetzung. Und selbst die Ratifizierung des Vertrages bleibt fraglich, denn mehr als 40 US-Senatoren kündigten bereits ihren Widerstand an, falls mit dem Vertrag nicht eine massive Modernisierung des eigenen Arsenals gekoppelt wird. Der US-Kongress muss dem Vertrag mit zwei Drittel Mehrheit zustimmen und es bedarf einiger Stimmen aus dieser Gruppe, damit der Vertrag Rechtskraft erlangt. Die lang ersehnte Ratifizierung des Umfassenden Atomteststoppvertrags leidet ebenfalls unter diesem Streit. Da der neue START-Vertrag ausdrücklich keine Einschränkung für eine Raketenabwehr vorsieht, könnten die entsprechenden US-Pläne auch zum Problem für die Ratifizierung des Vertrags in Russland werden.
Überdies ist Obama mit seiner Strategie der »ausgestreckten Hand« in Richtung des Iran nicht viel weiter gekommen, und das allgemeine Misstrauen gegenüber dem Land ist eher gewachsen. Es gibt also noch einige Hürden vor und während der Überprüfungskonferenz zu überwinden.
Abrüstung vorantreiben – und was im Wege steht
Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages enthält u.a. für alle Staaten – nicht nur für die Atomwaffenstaaten – die Verpflichtung, die allgemeine und vollständige (nukleare) Abrüstung anzustreben. Mit Abrüstung ist die nukleare Entwaffnung (dis-armament) gemeint und nicht nur eine Reduzierung der Atomwaffen. Dies machte 1996 der Internationale Gerichtshof (IGH) deutlich, als er in einem Rechtsgutachten einstimmig erklärte:
„Es besteht eine Verpflichtung, Verhandlungen in gutem Glauben fortzusetzen und abzuschließen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen.“ 1
Auch wenn alle offiziellen Atomwaffenstaaten außer China ihre Arsenale reduziert haben, befriedigt dies nicht die atomwaffenfreien Staaten. Vierzig Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags erwarten viele Staaten endlich einen konkreten Fahrplan zur Abrüstung, zum Beispiel in Form einer Nuklearwaffenkonvention, ähnlich derer für chemische und biologische Massenvernichtungswaffen, oder den Abschluss eines »Rahmenvertrags«, der Abkommen und rechtsverbindliche Einigungen und Erklärungen mit dem Ziel der vollständigen Abrüstung verbindlich zusammenfasst.
Auf der Überprüfungskonferenz im Jahr 2000 wurde mit den »13 praktischen Schritten« eine erste Abrüstungsagenda verabschiedet. Diese Agenda ist noch kein Fahrplan, sondern sie umfasst erste Schritte auf dem Weg zur atomwaffenfreien Welt. Leider sind einige dieser Schritte bereits Makulatur, so z.B. die Stärkung des Raketenabwehrvertrags, den die USA 2001 aufkündigten, um ihre Raketenabwehr entwickeln zu können. Im Gegenzug ließ Russland dann den START-II-Vertrag fallen. Grundsätzlich hatten die USA aufgrund der »neuen Sicherheitslage« nach dem 11. September 2001 die Schritte von 2000 ebenso wie völkerrechtlich bindende Abrüstungsvereinbarungen generell in Frage gestellt. Diese Einschätzung wurde aber längst nicht von allen NVV-Unterzeichnerstaaten geteilt, und somit bleiben für die meisten Staaten auch dieses Jahr die »13 praktischen Schritte« Grundlage für die Verhandlungen in New York. (Die »13 praktischen Schritte« sind in diesem Dossier auf Seite im Wortlaut zitiert.)
Nicht nur die Reduzierung der Atomwaffen und Trägersysteme ist für die Abrüstung wichtig, sondern auch die Frage, wann und wie sie eingesetzt werden können. Dabei kommen die Doktrinen der Atomwaffenstaaten zum Tragen: Aus ihnen leiten sich die Zielpläne ab. Die jüngst vorgelegte neue Strategie der USA, nachzulesen im »Nuclear Posture Review Report«, schränkt die Strategie des »präventiven« Ersteinsatzes von US-Atomwaffen gegen atomwaffenfreie Staaten, die sich den Auflagen des NVV unterwerfen, ein und dokumentiert eine Verringerung der Rolle der Atomwaffen in der militärischen Gesamtstrategie. Doch der von RüstungskontrollexpertInnen gemachte Vorschlag, die US-Atomwaffen sollten zukünftig nur noch der Abschreckung eines Einsatzes von Atomwaffen dienen und nicht mehr in konventionellen Konflikten, selbst bei Verdacht, dass C- oder B-Waffen gegen die USA eingesetzt werden könnten, zum Einsatz kommen, wurde nicht umgesetzt.
Russland veröffentlichte im Februar 2010 seine neue Militärstrategie, die zwar noch Atomwaffeneinsätze als Antwort auf konventionelle Angriffe erlaubt, jedoch nur, wenn diese „die Existenz des Staates gefährden“.2
Mit dieser Formulierung übernimmt Russland die Formulierung des IGH im Rechtsgutachten zur „Legalität der Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen“ aus dem Jahre 1996. Damals kam der IGH zum Schluss:
„[…] dass die Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen generell im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlichen Regeln des internationalen Rechts und insbesondere den Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts stehen würde.
Der Gerichtshof kann jedoch in Anbetracht des gegenwärtigen Völkerrechtsstatus und der ihm zur Verfügung stehenden grundlegenden Fakten nicht definitiv entscheiden, ob die Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen in einer extremen Notwehrsituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiel stehen würde, rechtmäßig oder unrechtmäßig sein würde[…]“ 3
Zurzeit wird auch die NATO-Strategie diskutiert, speziell die Rolle der Atomwaffen darin. Obwohl das neue Strategische Konzept der NATO nicht vor der Überprüfungskonferenz im Mai sondern erst beim NATO-Gipfel in Lissabon Ende 2010 verabschiedet werden soll, hat die Debatte erhebliche Auswirkung auf die Verhandlungen in New York. Das berührt vor allem die »nukleare Teilhabe« in der NATO, eine Praxis, die von den blockfreien Staaten (NAM = Non-Aligned Movement) als Verbreitung von Atomwaffen und damit als ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag angesehen wird.
Fünf europäische Außenminister haben eingefordert, dass die Rolle der Atomwaffen in der NATO-Strategie beim NATO-Außenministertreffen in Tallinn/Estland am 22./23. April 2010 auf die Tagesordnung kommt.4 Die deutschen und belgischen Parlamente haben bereits beschlossen, sich für den Abzug der US-Atomwaffen aus ihren Ländern einzusetzen, und die deutsche Bundesregierung hat die gleiche Absicht in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben.5
Andere Sicherheitsstrukturen schaffen
Artikel I und II des NVV-Vertrages regeln die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Sie verpflichten die Atomwaffenstaaten, ihre Atomwaffen nicht weiter zu geben, und die atomwaffenfreien Staaten, keine Atomwaffen anzunehmen oder zu erwerben. Ohne deutliche Fortschritte im Bereich der Abrüstung bleibt es schwierig, mit der Frage der Nichtverbreitung voran zu kommen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, ob es andere Sicherheitskonzepte zum Schutz vor bzw. zur Vermeidung einer atomaren Bedrohung geben kann als nukleare Abschreckung. Ein Weg ist die verifizierbare Abschaffung aller Atomwaffen. Begleitend müssten verbesserte regionale Sicherheitsstrukturen und Sicherheitsgarantien geschaffen werden.
Damit rückt die »Universalität« des Vertrags ins Blickfeld; was meint, dass die drei Atommächte Israel, Indien und Pakistan dem Vertrag beitreten – was sie gemäß Vertragstext nur als Nichtatomwaffenstaaten können – und Nordkorea in die Vertragsgemeinschaft zurückkehrt.
Antworten auf die Sicherheitsprobleme der Staaten außerhalb des Vertrags (z.B. die Palästina-Frage oder den Kaschmir-Konflikt) werden sicherlich nicht in New York gegeben, aber hilfreich wäre ein Fortschritt in zwei Punkten: erstens, die Resolution der Überprüfungskonferenz 1995 über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren Osten umzusetzen,6 und zweitens, einen Vorbereitungsprozess für eine Nuklearwaffenkonvention oder einen ähnlichen Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen zu beginnen.
Artikel V des NATO-Vertrags (kollektive Verteidigung) enthält eine »positive« Sicherheitsgarantie, laut der ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat als Angriff auf das gesamte Bündnis verstanden wird und mit Atomwaffen aus den USA, Großbritannien und neuerdings auch Frankreich beantwortet werden kann. Die USA bieten darüber hinaus ihren Bündnispartnern weltweit eine »erweiterte Abschreckung« an, auch bekannt als »nuklearer Schutzschirm«. Weil sich u.a. Südkorea und Japan auf diese »positive« Sicherheitsgarantie verlassen, wird in den USA argumentiert, man dürfe die Bündnispartner nicht im Stich lassen, sonst könnten diese Länder versucht sein, selbst Atomwaffen zu entwickeln.
Atomwaffenfreie Zonen bieten bereits für 114 Staaten Sicherheitsstrukturen und die Garantie, nicht mit Atomwaffen angegriffen zu werden. Diese »negativen« Sicherheitsgarantien in einem Vertrag über eine atomwaffenfreie Zone können »positive« nukleare Sicherheitsgarantien ersetzen. Der Verhandlungsprozess zu einer atomwaffenfreien Zone kann zudem den Dialog über regionale Sicherheitsprobleme fördern. Im Mittleren Osten könnte ein solcher Prozess dazu führen, dass Staaten wie Iran, Syrien, Saudi-Arabien, Ägypten und weitere nicht an die Entwicklung eigener Atomwaffen denken, sondern aktiv daran mitarbeiten, dass Israel in die Lage versetzt wird, seine Atomwaffen aufzugeben. Auch in Südostasien (Indien und Pakistan) oder Nordostasien (Nord- und Südkorea, Japan, Taiwan und China) könnte sich die Bildung einer atomwaffenfreien Zone auf die Abrüstung und Sicherheit der teilnehmenden Staaten sehr günstig auswirken.
Allerdings reicht es nicht, nur regionale Zonen frei von Atom- oder Massenvernichtungswaffen zu bilden, sondern es muss zusätzlich Klarheit darüber bestehen, dass Atomwaffen global abgeschafft werden. Die zentrale Belastung für den Atomwaffensperrvertrag ist die bröckelnde Glaubwürdigkeit der in Artikel VI formulierten »redlichen Absicht«, mit der die Atomwaffenstaaten ihrer Abrüstungsverpflichtung nachkommen sollen. Der Vertrag schreibt nicht fest, wie diese Absicht in Zahlen oder Zeit gemessen werden kann. In der Amtszeit von George W. Bush war die Glaubwürdigkeit dieser Verpflichtung auf einen Tiefpunkt gesunken. Obamas Bekenntnis zu einer atomwaffenfreien Welt in Prag hat zwar geholfen, sie leicht zu heben, die atomwaffenfreien Staaten erwarten jedoch deutlichere und konkretere Zeichen als nur eine »Vision«, die nicht mal zu Lebzeiten des relativ jungen Präsidenten erreichbar sein soll.
Vorschläge für die atomwaffenfreie Welt
Deshalb ist der Fünf-Punkte-Plan von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sehr hilfreich. Er schlägt vor, die Abrüstung der Atomwaffen „… entweder durch eine neue Konvention oder eine Reihe sich wechselseitig verstärkender Instrumente auf Grundlage eines glaubwürdigen Kontrollsystems“ anzugehen.7 (siehe S. )
Von der Zivilgesellschaft gibt es seit 1997 einen Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention zur Umsetzung der Abrüstungsverpflichtung gemäß Artikel VI. Der Entwurf wurde 2007 überarbeitet und beide Mal von Costa Rica bei den Vereinten Nationen eingereicht.8
Die australisch-japanische Kommission für Nichtverbreitung und Abrüstung (ICNND) schlug kürzlich in ihrem Bericht »Eliminating Nuclear Threats«9 vor, künftige Verhandlungen zu einer Konvention unter Rückgriff auf diesen Modellentwurf vorzubereiten. Praktisch könnte das so aussehen: Mit der Unterstützung von Regierungen sollte sofort damit begonnen werden, die Konzepte zu verbessern und weiterzuentwickeln, die in dem Modellentwurf der Konvention enthalten sind. Das würde bedeuten, dass die Bestimmungen so praktikabel und realistisch wie möglich formuliert werden. Ziel müsste sein, zu Beginn der geforderten Abrüstungsverhandlungen einen überarbeiteten Entwurf vorzulegen, der als Wegweiser für die Verhandlungen dienen kann.
Nichtverbreitung fördern
Abrüstung kann die Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht alleine stoppen, obwohl sie deren Ursache bekämpft. Weiter notwendig ist die verstärkte Kontrolle der Technologien und Materialien zur Entwicklung von Atomwaffen, die momentan noch lückenhaft ist und durch die »Renaissance« der Atomenergie erheblich anspruchsvoller wird.
Oft ist die Rede von den drei »Säulen«, die den Atomwaffensperrvertrag stabil halten würden. Gemeint sind die Abrüstung, die Nichtverbreitung und das Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie. So sichert Artikel IV den Vertragsstaaten das Recht zu, „die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln “.
Dennoch ist es nicht korrekt, von drei Säulen zu sprechen. Bei den ursprünglichen Vertragsverhandlungen war das zentrale Arrangement seitens der atomwaffenfreien Staaten ihre Bereitschaft, auf Atomwaffen zu verzichten, und seitens der Atomwaffenstaaten die Verpflichtung, abzurüsten. Das Recht aller auf Atomenergie war nur ein zusätzlicher Anreiz in einer Zeit, in der andere Energiequellen begrenzt und Atomreaktoren unproblematisch schienen. Heute – wo nicht nur erneuerbare Energien zur Verfügung stehen, sondern wir auch um die Gefährlichkeit der Atomenergie wissen – sollte dieser Köder nicht mehr attraktiv sein. Hier stellt sich die Frage: Warum beharren so viele Staaten noch auf diesem Recht? Die Antwort liegt auf der Hand: Mit der zivilen Atomenergie verfügt ein Staat über die Bausteine für den Bau von Atomwaffen. Hier spielt nicht nur Iran mit verdeckten Karten, sondern viele weitere Länder tun dies auch.
Überdies dürfen die Interessen der Atomindustrie nicht außer Acht gelassen werden. Die 44 Staaten, die als nukleare »Lieferländer« bekannt sind,10 haben ein kommerzielles Interesse, die zivile Nutzung von Atomenergie weltweit auszubauen. Also verteidigen Liefer- und Empfängerstaaten dieses Recht, obwohl es ein unlösbares Hindernis für die Nichtverbreitung von Atomwaffen ist. Die Antwort der Lieferländer auf die Problematik ist der Vorschlag einer internationalen Nuklearbrennstoff-Bank. Ihre Einrichtung würde es erlauben, Atomreaktoren zu betreiben und gleichzeitig zu vermeiden, dass die Empfängerstaaten die Materialien zur Entwicklung von Atomwaffen – durch Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung – selbst erzeugen. Der Streit mit Iran über das Recht, im eigenen Land Uran anzureichern, zeigt, dass die Idee einer Brennstoffbank nur dann funktioniert, wenn der fragliche Staat ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber den Betreibern einer solchen Bank hätte. Dies ist momentan nicht der Fall, weil Iran immer wieder mit Krieg bedroht wird.
Die erfolgreiche Nichtverbreitung bedarf auch einer Regelung zur Produktion spaltbarer Materialien. Ein Herstellungsstopp (Cut-Off) von hoch angereichertem Uran und Plutonium für Waffenzwecke wird seit langem verhandelt und könnte als nächster multilateraler Schritt aus den »13 praktischen Schritten« realisierbar sein. Selbst ein Produktionsstopp löst aber nicht die Frage der bestehenden Vorräte an spaltbaren Materialien. Pakistan weist darauf hin, dass ein Einfrieren des jetzigen Vorratsstands ungerecht sei. Staaten mit mehr Materialien – Pakistan zielt dabei vor allem auf Indien – könnten daraus künftig mehr Atomwaffen bauen als solche mit kleineren Materialvorräten. Angesichts des Wettrüstens in Südostasien ist Pakistans Position durchaus verständlich.
Das Kontrollsystem muss sowohl für die Nichtverbreitung als auch für die Verifizierung einer atomwaffenfreien Welt verstärkt werden. Artikel III des Atomwaffensperrvertrags legt diese Kontrolle in die Hände der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zu so genannten »Safeguards«. Das sind Sicherheitsmaßnahmen wie z.B. die Berichterstattung über nukleare Anlagen und Materialbestände sowie Inspektionen, um den Wahrheitsgehalt der Angaben zu überprüfen. Durch u.a. solche Maßnahmen sind in Iran und Nordkorea Unstimmigkeiten aufgedeckt worden.
Allerdings hat die Geschichte gezeigt – vor allem im Fall Irak – dass Safeguards alleine nicht ausreichen. Daher wurde von der IAEO ein Zusatzprotokoll zum Safeguards-Abkommen ausgearbeitet. Seit 1997 sollen die Staaten freiwillig das Protokoll unterschreiben, das unangemeldete und noch eingehendere Inspektionen ermöglicht. Bis März 2010 haben 139 Staaten das Zusatzprotokoll angenommen.11 Iran hat das Protokoll zwar unterschrieben aber wegen des Konflikts über seine Urananreicherung nicht in Kraft gesetzt. Argentinien und Brasilien haben das Protokoll noch nicht einmal angenommen, obwohl sie beide Urananreicherung betreiben.
Das Vertragsumfeld verbessern
Artikel X des Atomwaffensperrvertrags regelt die Kündigung des Vertrags. Kündigen – das hat das Beispiel Nordkoreas gezeigt – ist erstaunlich einfach. Eine Regierung kann mit einer Frist von drei Monaten aus dem Vertrag austreten, „wenn sie entscheidet, dass durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse, eine Gefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten ist“. Seit Nordkoreas Austritt im Jahre 2003 wird diskutiert, wie einer Kündigung vorgebeugt bzw. der Austritt und die Entwicklung von Atomwaffen sanktioniert werden können. Deutschland hat sich dieses Themas angenommen und will, dass vor dem Austritt ein verstärkter Dialog zwingend wird, in dem die Konsequenzen des Austritts diskutiert sowie Hilfestellungen zur Lösung der Sicherheitskrise des Staates gegeben werden können.
Der Atomwaffensperrvertrag leidet darüber hinaus an grundsätzlichen strukturellen Defiziten, wie z.B. dem Fehlen eines Sekretariats oder eines Exekutivorgans. So informieren sich die Konferenzdelegierten über das Geschehen auf der Konferenz oftmals mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, deren täglicher Konferenzzeitung oder Webseiten, auf denen die Zivilgesellschaft alle Dokumente der Konferenz zur Verfügung stellt.
Was tun?
Der Ausblick auf die Konferenz in New York ist nicht gerade positiv. Ohne dass den Worten entsprechende Taten folgen, kann sie kein Erfolg werden. Solche Taten könnten der folgenden Agenda entstammen:
Die Atomwaffenstaaten werden sich einig, das Atomwaffen – bis zu ihrer endgültigen Abschaffung – ausschließlich der atomaren Abschreckung dienen.
Die US-Atomwaffen werden aus Europa abgezogen und die nukleare Teilhabe in der NATO beendet.
Eine Konferenz zur Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten wird einberufen.
Die Atomwaffenstaaten vereinbaren rechtsverbindliche »negative« Sicherheitsgarantien für atomwaffenfreie Staaten.
Weitere bilaterale Verhandlungen zur Reduzierung von strategischen und taktischen Atomwaffen werden angekündigt.
Die strategischen Atomwaffen werden aus der höchsten Einsatzbereitschaft genommen, so dass sie nicht mehr auf Knopfdruck gestartet werden können.
Die Transparenz über die Anzahl der Atomwaffen und die Menge an Materialien wird durch verbindliche Berichte erhöht.
Ein Vorbereitungsprozess für eine Nuklearwaffenkonvention wird verabredet.
Bestehende Verträge (Atomteststoppvertrag, neuer START-Vertrag) werden ratifiziert, so dass sie in Kraft treten können.
Die Verhandlungen über einen Herstellungsstopp spaltbarer Materialien werden vorangetrieben und eine Lösung für bestehende Vorräte gesucht.
Das gegenseitige Vertrauen wird so weit ausgebildet, dass Staaten einer internationalen Brennstoffbank zustimmen können. Daher werden jegliche Kriegsandrohungen oder -handlungen unterlassen. (Ein Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie wäre langfristig die bessere Lösung.)
Der Atomwaffensperrvertrag bekommt eine eigene Infrastruktur.
Diese Liste ist nicht vollständig. Es gibt viele weitere wichtige Schritte, um die Welt vor der atomaren Bedrohung zu schützen. Doch nur wenn die Unterzeichnerstaaten oben genannte Maßnahmen aufgreifen, würde die Überprüfungskonferenz in New York einen signifikanten Fortschritt bei der Umsetzung des Vertrages bedeuten. Darauf würden wir uns für die Sicherheit aller Menschen unseres Planeten freuen.
Anmerkungen
1) Rechtsgutachten des Internationaler Gerichtshofes zur Legalität der Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen vom 8. Juli 1996; deutsche Übersetzung des Bundespresseamtes zitiert nach: IALANA (Hrsg.) (1997): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, Münster: LIT Verlag, S.68.
2) Podvig, Pavel: New Russian military doctrine, 5. Februar 2010, http://russianforces.org/blog/2010/02/new_russian_military_doctrine. shtml.
3) IGH, op.cit., S.67.
4) Brief an NATO-Generalsekretär Rasmussen der fünf Außenminister von Belgien, Deutschland, Luxemburg, Niederlande und Norwegen, 26. Februar 2010, www.minbuza.nl/dsresource?objectid=buzabeheer:200281&type= org.
5) Auszug aus dem Koalitionsvertrag der CDU/CSU und FDP, 23. Oktober 2009, http://www.atomwaffenfrei.de/aktionsphase- bundestagswahl/koalitionsverhandlungen/ artikel/wortlaut-des-koalitionsvertrages.html.
6) NPT/CONF.1995/32 (Part I), Annex, Resolution on the Middle East, www.un.org/ disarmament/WMD/Nuclear/1995-NPT/pdf/Resolution_MiddleEast.pdf.
7) Ban Ki-moon: Mein Plan zur Entsorgung der Bombe, 31. Juli 2009, www.project-syndicate. org/commentary/kimoon8/German.
8) IALANA, INESAP, IPPNW (2007): Securing our Survival. Das Buch in englischer Sprache steht auf http://icanw.org/securing-our-survival. Der Vertragstext auf Deutsch (Version 1997): www.atomwaffena-z.info/fileadmin/user_upload/pdf/nwc.pdf. Siehe auch Jürgen Scheffran: Transformation in die atomwaffenfreie Welt. Die Nuklearwaffenkonvention, Wissenschaft & Frieden 1/2008.
9) ICNND: Eliminating Nuclear Threats, 15. Dezember 2009, http://www.icnnd.org/ reference/reports/ent/pdf/ICNND_Report- EliminatingNuclearThreats.pdf.
10) Die Liste der Mitgliedsstaaten der Nuclear Suppliers Group und ihre Leitlinien siehe www.nuclearsuppliersgroup.org.
11) IAEO: Safeguards – current status, 3. März 2010, www.iaea.org/OurWork/SV/Safeguards/sir_table.pdf.
Xanthe Hall (Abrüstungsexpertin) und Dr. Jens-Peter Steffen (Friedensreferent) arbeiten für die Internationalen Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) in Berlin.
zum AnfangKampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei«
Vor der Überprüfungskonferenz fast am Ziel?
von Wolfgang Schlupp-Hauck
Von einer atomwaffenfreien Welt sind wir sicher noch ein ganzes Stück entfernt, ein atomwaffenfreies Deutschland dagegen könnte in der nächsten Zeit Realität werden. CDU/CSU und FDP haben in ihrer Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2009 festgehalten: „Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“ Vertritt Außenminister Guido Westerwelle bei der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages in New York diese Forderung offensiv, so wäre das ein wichtiger Schritt, um die USA zum Abzug ihrer Atomwaffen aus Büchel zu drängen, was wiederum ein wichtiges Signal wäre für weitere Schritte in Richtung atomwaffenfreie Welt.
Ein atomwaffenfreies Deutschland war das Ziel der Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei«, die vor drei Jahren von einem Dutzend Aktiven aus dem Trägerkreis »Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!« gegründet wurde. Ihre Kernübereinkunft lautete: „Wir fordern als deutschen Beitrag für eine atomwaffenfreie Welt:
den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland
keine Mitarbeit an der Planung und dem Einsatz von Atomwaffen.“
Kommt es zum Abzug der amerikanischen Atomwaffen, so hat die Kampagne schneller ihr Ziel erreicht als viele erwartet haben.
Positionswechsel der Bundesregierungen
Bei der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 2005 war die nukleare Teilhabe noch kein Thema der rot-grünen Regierungspolitik. Die Regierungsparteien hatten zwar im Vorfeld einen Antrag vorgelegt mit dem Titel „Die Verbreitung der Kernwaffen verhindern und die nukleare Abrüstung stärken“, in ihm fehlte aber jegliche Aussage zu den Atomwaffen in Deutschland. Dieses Manko griff damals der FDP-Abgeordnete Harald Leibrecht auf. Unter seiner Federführung wurde der Antrag „Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes stärken – US-Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen“ eingereicht. Er wurde vom Bundestag nicht verabschiedet, sondern an den Unterausschuss Abrüstung und Rüstungskontrolle verwiesen.
Dennoch bekam das Thema damit einen höheren Stellwert. Außenminister Josef Fischer forderte dann am 2. Mai 2005 in New York auf der Überprüfungskonferenz den vollständigen Abbau der »substrategischen Atomwaffen« – unter Verweis auf die Diskussion in Deutschland.
Deutlicher wurde drei Tage später Verteidigungsminister Peter Struck: „Ich bin mir mit Außenminister Fischer einig, dass wir in den Gremien der NATO dieses Thema ansprechen werden.“ Er wolle dies gemeinsam mit anderen europäischen Verbündeten tun. Doch NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer stellte fest: „Die Atomwaffen bleiben, wo sie sind.“ Erst wenn die Bundesregierung „klar und deutlich einen Abzug der Waffen fordern würde, wäre das ein Thema für die NATO.“ Mit Bundeskanzler Gerhard Schröders Ankündigung von Neuwahlen verschwand kurz danach das Thema wieder von der politischen Tagesordnung.
2006 beim Ringen der großen Koalition um das »Weißbuch« für die Bundeswehr entbrannte über die technische nukleare Teilhabe zwischen den beiden Regierungsparteien ein Streit. Verteidigungsminister Jung (CDU) wollte auch „in Zukunft die deutsche Teilhabe an den nuklearen Aufgaben der NATO“, einschließlich der Bereitstellung von Trägersystemen. Die SPD wollte das nicht. In SPD-Kreisen wurde ein verstecktes Ausstiegsszenario favorisiert. Deren verteidigungspolitischer Sprecher, Rainer Arnold, verwies darauf, dass die nukleare technische Teilhabe ohnehin beendet sei, wenn die Tornados ausgemustert und durch Eurofighter ersetzt werden. Die Bundeswehr besitze dann kein Trägersystem mehr, das Atomwaffen ins Ziel tragen könne.
Die Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei«
Vom Trägerkreis zum Kampagnenrat
Der Trägerkreis »Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen« ist der deutsche Zweig des weltweiten Zusammenschlusses »Abolition 2000 – Global Network to Eliminate Nuclear Weapons«. Der Trägerkreis setzt sich auf internationaler Ebene für nukleare Abrüstung, insbesondere für den Beginn von Verhandlungen zur einer Nuklearwaffenkonvention ein. Zu den Mitgliedern gehören 50 Gruppierungen, kleine Friedensgruppen und große Friedensverbände wie etwa die IPPNW. Nukleare Abrüstung ist in den Gruppen selbst nicht unbedingt das alleinige Thema, sondern meist nur eines von mehren. Die Aktiven aus dem Trägerkreis gründeten deshalb den Kampagnenrat, dem auch Hannover (für die »Mayors for Peace« – Bürgermeister für den Frieden) und Greenpeace beitraten. So entstand ein kleines und arbeitsfähiges Gremium.
Vor diesem Hintergrund beschloss die Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei«, dass es nicht reicht, das Ende der nuklearen Teilhabe heimlich nur auf der technischen Ebene zu vollziehen, sie müsse als politischer Schritt deutlich werden. Nach Vorstellung der Kampagne sollte die Bundesregierung auf der Überprüfungskonferenz 2010 erklären: „Deutschland wird atomwaffenfrei als Schritt hin zu einer atomwaffenfreien Welt“.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde festgelegt, die Kampagne auf zwei Ebenen durchzuführen. Einerseits soll die Kampagne durch Aktionen informieren und mobilisieren; andererseits durch Lobbyarbeit politischen Druck erzeugen. Es sollten Politiker der damaligen Oppositionsparteien und der SPD gestärkt werden, die für ein atomwaffenfreies Deutschland eintraten, sowie Politiker der CDU/CSU für dieses Ziel gewonnen werden.
Fokussiert sollte die Kampagne auf Angela Merkel werden, also auf die Bundeskanzlerin und Bundesvorsitzende der CDU. Jede Phase sollte zwei Mobilisierungsphasen beinhalten: eine für eine zentrale Aktion und eine für zeitgleiche lokale Aktivitäten.
Begleitend wurden Postkartenaktionen angeboten, welche ein atomwaffenfreies Deutschland forderten:
»Yes, you can!« (zur Wahl des US-Präsidenten Barack Obama in die USA),
»Angela, Du kannst es auch!« (an Bundeskanzlerin Angela Merkel),
„Ich wähle atomwaffenfrei« (an Bundeskanzlerin Angela Merkel),
»Do it now!« (über die deutsche US- Botschaft an US-Präsident Barack Obama).
Drei einjährige Phasen wurden für die Kampagne geplant:
»Hands up« August 2007 bis August 2008,
»Vor der eigenen Tür kehren« August 2008 bis April 2009,
»An der eigenen Nase fassen« Mai 2009 bis Oktober 2009.
Die erste Phase galt als Mobilisierungsphase, sie wurde eingeleitet mit im Internet veröffentlichten Fotos unter dem Motto »Hand hoch für nukleare Abrüstung«.
In der zweiten Phase wurden Kehraktionen vor der CDU-Zentrale sowie vor Abgeordnetenbüros in Berlin und in Wahlkreisen organisiert. Außerdem wurde zusammen mit dem örtlichen Initiativkreis zu einer Großaktion am Stationierungsort der US-Atomwaffen in Deutschland, dem Fliegerhorst Büchel, aufgerufen. Mit über 2.000 Teilnehmern wurde es die größte Aktion, die jemals am letzten Atomwaffenstandort in Deutschland statt fand.
In der dritten Phase richtete sich der Blick auf den Bundestagswahlkampf:
Zur Wahl: Einmischung in den Wahlkampf durch Gespräche mit Kandidaten, Besuch von Wahlkampfveranstaltungen und eine Postkartenaktion.
Nach der Wahl: Lobbyarbeit für die Festschreibung des Atomwaffenabzugs im Koalitionsvertrag.
Während des Wahlkampfs wurden die Bundestagskandidaten gebeten, eine Erklärung »In redlicher Absicht« abzugeben – in Anspielung auf Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages zur Abrüstungsverpflichtung der Atomwaffenstaaten. Die Ergebnisse wurden auf der Kampagnen-Homepage dokumentiert. Die Pressehütte Mutlangen organisierte über ihr Magazin »FreiRaum« öffentliche Telefonkonferenzen mit den verteidigungspolitischen Sprechern aller Bundestagsparteien. Für Friedensgruppen gab es Aktionsvorschläge zur Einmischung in Wahlkampfveranstaltungen und Beratung für Gespräche mit Abgeordneten.
Wichtig für das Gelingen der Kampagne war die Zusammenarbeit mit den Mayors for Peace. Da in den Mayors for Peace Kommunalpolitiker aller Parteien vertreten sind, konnte über deren Engagement auch ein Faden in Richtung Unionsparteien gesponnen werden. Hieraus entstand
das Mutlanger Manifest, unterzeichnet zum 15. Jahrestag des Mittelstrecken-Vertrages (www.pressehuette.de),
eine internationale Erklärung von Bürgermeistern aller Stationierungsorte im Rahmen der nuklearen Teilhabe,
eine Unterschriftenübergabe im Bundeskanzleramt,
eine Erklärung von CDU-Bürgermeistern zur Wahl,
ein Schreiben von CDU-Bürgermeistern zu den Koalitionsverhandlungen,
die Teilnahme von Mayors for Peace an der Großaktion in Büchel.
Nach der Bundestagswahl wurde der Fokus stärker auf die FDP und den designierten Außenminister Guido Westerwelle gelegt, da er sich im Wahlkampf für den Abzug der Atomwaffen stark gemacht hatte.
Das Ziel unserer Einmischung in den Wahlkampf und der Lobbyarbeit zu den Koalitionsverhandlungen wurde erreicht: Erstmalig seit dem Ende des Kalten Krieges spricht eine Bundesregierung konkret von einem atomwaffenfreien Deutschland. In der Koalitionsvereinbarung steht: „Die Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 wollen wir dafür nutzen, um eine neue Dynamik für vertragsbasierte Regelungen in Gang zu setzen. In diesem Zusammenhang sowie im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“
So konnte die nächste Phase gestartet werden: »Next Stop New York 2010«. Wir fordern die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung und unterstreichen das mit zahlreichen Aktionen im Vorfeld der Überprüfungskonferenz in New York.
Ende März wurde die Koalitionsvereinbarung im Bundestag in dem interfraktioneller Antrag „Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“ bekräftigt.
Deutschland atomwaffenfrei – ein erster Schritt
Die Kampagne geht mit ihrer Forderung »Deutschland atomwaffenfrei« auf die Zielgerade. Es beginnt der Endspurt: In den letzten Wochen vor der Überprüfungskonferenz in New York mobilisiert die Kampagne nochmals mit Radtouren zu Orten mit Bürgermeistern für den Frieden. Fotos der Bürgermeister-Empfänge mit den radelnden AktivistInnen und die Unterzeichung des Appells »Für eine Zukunft ohne Atomwaffen« schaffen zumindest lokale Öffentlichkeit für das Kampagnenziel.
Wir hoffen, dass sich die beim Gründungstreffen der Kampagne gefundene Formulierung »Deutschland wird atomwaffenfrei als Schritt zu einer Welt ohne Atomwaffen«, Anfang Mai in der Rede des Außenministers in New York wiederfindet. Damit nach der Konferenz den Worten Taten folgen, wird die Kampagne noch vor der NATO-Strategietagung im Herbst weitere Aktionen planen.
Werden die Atomwaffen aus Deutschland abgezogen, wäre das ein Anlass für eine Siegesfeier der Kampagne in Büchel und für die Diskussion des nächsten Schwerpunktes: Kampagne für ein atomwaffenfreies Europa oder für Verhandlungen zu einer Nuklearwaffenkonvention.
Anmerkung
Informationen zu den Aktivitäten der Kampagne finden sich auf www.atomwaffenfrei.de und www.mayorsforpeace.de.
Wissen und Hintergrundinformationen zur Kampagne steht auf www.atomwaffenlernen.info und www.atomwaffena-z.info.
Der Autor dieses Artikels wird mit seiner Frau ab Juli auf einer Tandemtour von Mutlangen nach Teheran an vielen Orten unterwegs die Ergebnisse der Überprüfungskonferenz diskutieren: www.global-zero-now.de.
Wolfgang Schlupp-Hauck ist Vorsitzender der Friedenswerkstatt Mutlangen e.V. und ein Sprecher der Kampgne »unsere zukunft – atomwaffenfrei«.
zum AnfangEinige wichtige Begriffe
zusammengestellt von Regina Hagen
NVV = (nuklearer) Nichtverbreitungsvertrag; engl. Non-Proliferation Treaty = NPT
Wurde am 1. Juli 1968 zur Unterzeichnung ausgelegt; trat am 5. März 1970 in Kraft. 188 (bzw. mit Nordkorea 189) Mitgliedstaaten. Text siehe Seite in diesem Dossier.
Überprüfungskonferenz
Die Umsetzung und Wirksamkeit des NVV wird alle fünf Jahre auf einer vierwöchigen Konferenz überprüft (Überprüfungskonferenz, engl. Review Conference oder RevCon). In den Jahren zuvor wird die Überprüfungskonferenz auf (meist drei) zweiwöchigen Vorbereitungskonferenzen (engl. Preparatory Committee meeting = PrepCom) vorbereitet, die im Idealfall bereits konkrete Empfehlungen an die Überprüfungskonferenz geben.
Unterzeichnung
Die Unterzeichnung eines Vertrags ist ein Akt, durch den der Staat sein Interesse an dem Vertrag und seine Absicht, Vertragspartei zu werden, bekundet. Die Unterzeichnung allein ist noch nicht bindend. Er hat jedoch die Verpflichtung, dem Sinn und Zweck des Vertrags nicht zuwiderzuhandeln, solange er nicht ausdrücklich erklärt hat, doch nicht Vertragspartei werden zu wollen (vgl. Artikel 18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge).
Ratifizierung
Der Akt, mit dem ein Staat sich endgültig und verbindlich bereit erklärt, sich an einen Vertrag halten zu wollen, z.B. durch Parlamentsbeschluss. Der Vertragsstaat muss von dem Zeitpunkt der Ratifizierung an die Vertragsbestimmungen beachten und umsetzen.
Implementierung
Umsetzung eines Vertrags.
Kernwaffe = Nuklearwaffe = Atomwaffe
Die drei Begriffe sind gleichermaßen korrekt: Bei einer Kernexplosion wird der Kern, lateinisch nucleus, eines Atoms gespalten.
Zu den Kernwaffen gehören alle Waffen, die ihre Explosionsenergie durch Kernspaltung oder Kernfusion gewinnen. Trifft ein Neutron auf einen spaltbaren Kern, so zerfällt dieser unter Freisetzung von großen Mengen Energie. Spaltbare Kerne sind z.B. diejenigen von Uran-235 oder Plutonium-239. Die Zündung der Reaktion erfolgt durch Zusammenschießen des Sprengstoffs zur kritischen Masse.
Kernwaffen rufen durch Freisetzung von Kernenergie sehr große zerstörende Wirkung hervor. Von herkömmlichen Waffen unterscheiden sie sich dadurch, dass sie:
die bis zu einmilliarden-fache Sprengkraft herkömmlicher Waffen besitzen,
bei der Explosion wesentlich höhere Temperaturen entwickeln (Lichtblitz, Hitzestrahlung),
durch die Explosion radioaktive Strahlung freisetzen.
Außerdem entstehen radioaktive Spaltprodukte, die zu einer Verseuchung der Umgebung führen.
Kernwaffen können z.B. in Form von Bomben, Geschossen, Raketensprengköpfen oder Torpedogefechtsköpfen eingesetzt werden.
Strategische Kernwaffe
Strategische Atomwaffen sind für den Einsatz in großer Reichweite vorgesehen. Trägersysteme für strategische Einsätze sind Interkontinentalraketen, Langstreckenbomber und U-Boote. Die Zahl der strategischen Atomwaffen, die tatsächlich eingesetzt werden können, hängt von der Art und Anzahl der Trägersysteme ab.
Taktische = substrategische Kernwaffe = nukleare Gefechtsfeldwaffe
Ist für den Einsatz gegen (militärische) Ziele auf einem begrenzten Gefechtsfeld gedacht. Taktische Kernwaffen sind nicht zwingend klein, sondern können durchaus die vielfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe aufweisen.
Trägersystem
Einsatzmittel für Kernwaffen. Trägersysteme für strategische Einsätze sind Interkontinentalraketen, Langstreckenbomber und U-Boote. Trägersysteme für taktische Einsätze sind ballistische Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite, Kurzstreckenbomber, U-Boote, Marschflugkörper und Artilleriegeschosse.
Kernwaffenstaat
Der NVV erkennt fünf Kernwaffenstaaten an, die deshalb oft als »offizielle« Kernwaffenstaaten gelten. Dabei handelt es sich um folgende Länder:
China: knapp 200 Sprengköpfe; Trägersysteme sind Raketen und Flugzeuge.
Frankreich: ca. 300 Sprengköpfe; Trägersysteme sind U-Boote und Flugzeuge.
Großbritannien: ca. 160 Sprengköpfe. Trägersysteme sind vier U-Boote, von denen jeweils nur eines auf Patrouille ist.
Russland: ca. 4.800 einsatzbereite Kernsprengköpfe, davon knapp 2.800 strategische. Trägersysteme sind Raketen, Bomber, und U-Boote.
USA: ca. 5.200 Sprengköpfe, davon sind etwa 2.200 strategische und 500 taktische einsatzbereit; weitere 4.200 Sprengköpfe warten in Lagern auf Abrüstung. Trägersysteme sind Raketen, Bomber und U-Boote. Ca. 250 der taktischen Waffen lagern in fünf europäischen Ländern.
Nicht-offizieller Kernwaffenstaat
Nach dem NVV gelten die Länder als Kernwaffenstaaten, die vor dem 1.1.1967 eine Kernexplosion gezündet haben. Die »nicht-offiziellen« Kernwaffenstaaten haben erst später (oder im Falle Israels vermutlich gar nicht) getestet.
Indien: 60-70 Sprengköpfe. Trägersysteme sind Flugzeuge und Raketen.
Israel: hat sein Kernwaffenarsenal nie zugegeben sondern pflegt die bewusste »Ambiguität«. Vermutlich ca. 100 Sprengköpfe. Trägersysteme sind Raketen und Flugzeuge, wahrscheinlich auch umgerüstete, von Deutschland gelieferte U-Boote.
Pakistan: Mindestens 60 Sprengköpfe. Trägersysteme sind Flugzeuge und Raketen.
Nordkorea. 0-4 Sprengköpfe. Trägersysteme sind Raketen, vermutlich sind (sofern überhaupt) vorhandene Sprengköpfe aber noch zu groß und zu schwer dafür. Der Status von Nordkorea im NVV ist nicht geklärt. Das Land ist 2003 aus dem NVV ausgetreten, dies wird von vielen Ländern aber nicht akzeptiert.
Universalität
Seit der ersten Überprüfungskonferenz 1975 wird von den Vertragsstaaten die »Universalität« des NVV eingefordert. Damit ist gemeint, dass sämtliche Staaten beitreten sollen, also auch Indien, Israel und Pakistan. Da sie dies nur als Nicht-Kernwaffenstaaten tun können (siehe oben), ist Universalität im NVV kaum erreichbar. Als Alternative werden von zahlreichen offiziellen Stellen und Nicht-Regierungsorganisationen daher Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention vorgeschlagen, bei denen alle faktischen Kernwaffenstaaten gleichberechtigt am Tisch sitzen.
Fünf-Punkte-Plan zur Abrüstung des UN-Generalsekretärs
Am 24. Oktober 2008 hielt Ban Ki-moon am East-West-Institute in New York eine Rede, in der er einen Fünf-Punkte-Plan zur Abrüstung vorschlug. Die fünf Punkte lauten stark gekürzt:
„Erstens dränge ich alle Mitgliedstaaten des NVV, insbesondere die Kernwaffenstaaten, ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag zu erfüllen und in Verhandlungen über effektive Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung einzutreten.
Sie könnten dieses Ziel mit einer Rahmenvereinbarung über separate, sich gegenseitig verstärkende Instrumente verfolgen. Oder sie könnten Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention erwägen […]
Zweitens sollten die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates […] Diskussionen beginnen über Sicherheitsfragen, die während der nuklearen Abrüstung aufkommen. Sie könnten den Nicht-Kernwaffenstaaten unzweideutig zusichern, sie weder mit dem Einsatz von Kernwaffen zu bedrohen noch Kernwaffen gegen sie einzusetzen. […]
Meine dritte Initiative bezieht sich auf die »Rechtstaatlichkeit«. Einseitige Moratoria zu Kernwaffentests und zur Produktion von Spaltmaterialien reichen nicht aus. Wir brauchen neue Anstrengungen, das Umfassende Teststoppabkommen in Kraft zu setzen, und die Abrüstungskonferenz [in Genf] muss unverzüglich bedingungslose Verhandlungen über einen Spaltstoffvertrag aufnehmen. […] Ich unterstütze stark Bemühungen zur Einrichtung einer solchen [kernwaffenfreien] Zone im Nahen Osten. Und ich fordere alle NVV-Mitgliedstaaten dringend auf, mit der Internationalen Atomenergiebehörde Sicherungsabkommen einzugehen und freiwillig ein Zusatzprotokoll über striktere Sicherungsmaßnahmen abzuschließen. […]
In meinem vierten Vorschlag geht es um Rechenschaftspflicht und Transparenz. Die Kernwaffenstaaten bringen häufig Beschreibungen in Umlauf, was sie tun, um diese Ziele zu erreichen, aber die Berichte erreichen selten die Öffentlichkeit. […] Die Kernwaffenmächte könnten auch mehr Informationen über die Größe ihrer Arsenale, über ihre Vorräte an Spaltmaterialien und spezielle Abrüstungserfolge veröffentlichen. Das Fehlen verbindlicher Schätzungen über die Gesamtzahl an Atomwaffen beweist, dass mehr Transparenz nötig ist.
Und fünftens schließlich sind einige ergänzende Maßnahmen nötig. Dazu gehören die Vernichtung anderer Massenvernichtungswaffen, neue Anstrengungen gegen die Nutzung von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen, Beschränkungen der Produktion von und des Handels mit konventionellen Rüstungsgütern sowie neue Waffenverbote, einschließlich solcher für Raketen und Weltraumwaffen. […]“ (Übersetzung R.H.)
Der gesamte Wortlaut der Rede von Ban Ki-moon kann abgerufen werden unter www.un.org/News/Press/docs/2008/sgsm11881.doc.htm.
Sicherheitsgarantien
Politische, rechtlich aber nicht bindende Erklärungen der Kernwaffenmächte gegenüber Nicht-Kernwaffenstaaten.
Negative Sicherheitsgarantien sind Erklärungen der Kernwaffenmächte, den Einsatz von Kernwaffen weder anzudrohen noch – selbst im Fall kriegerischer Auseinandersetzungen – die Waffen einzusetzen. Anderes gilt nur, wenn der Staat zusammen mit einem Kernwaffenstaat einen Angriff verübt oder sich mit einem Kernwaffenstaat verbündet. Alle fünf offiziellen Nuklearmächte haben solche negativen Sicherheitsgarantien im Jahr 1995 im Vorfeld der Überprüfungskonferenz des NVV abgegeben. Im Rahmen der Einrichtung von kernwaffenfreien Zonen haben sich einzel3ne Kernwaffenstaaten zum Nichteinsatz von Kernwaffen gegenüber den Mitgliedstaaten der kernwaffenfreien Zonen verpflichtet.
Positive Sicherheitsgarantien sind hingegen Erklärungen, die darauf zielen, dass ein Kernwaffenstaat garantiert, im Fall eines angedrohten oder tatsächlichen Angriffs mit Kernwaffen Maßnahmen zur Unterstützung eines Nicht-Kernwaffenstaats zu unternehmen.
Nukleare Teilhabe
Einige NATO-Staaten, die selbst nicht über Kernwaffen verfügen, stellen Trägerflugzeuge und besonders geschulte Piloten, um im Kriegsfall amerikanische Kernwaffen abwerfen zu können. Die Waffen selbst bleiben bis dahin unter Kontrolle der USA. Der amerikanische Präsident muss ihren Einsatz freigeben. Erst dann können amerikanische Spezialisten sie per Code frei schalten. Rollt der Jagdbomber mit der Bombe an Bord aber zum Start, so übernehmen z. B. die deutschen Piloten die Kontrolle über die Kernwaffe. Außer Deutschland (20 US-Kernwaffen in Büchel) beteiligen sich Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei derzeit noch an der nuklearen Teilhabe.
Viele Experten halten die nukleare Teilhabe für einen Verstoß gegen Artikel II des NVV, in dem sich die Nicht-Kernwaffenstaaten verpflichten, Kernwaffen von niemandem anzunehmen.
Literatur
Atomwaffen A-Z; www.atomwaffena-z.info.
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN), Glossar zum Themenschwerpunkt Abrüstung; www.dgvn.de.
East-West Institute; www.ewi.info.
Europarat, Glossar Europaratsverträge; http://conventions.coe.int.
Otfried Nassauer, Nach dem Abzug der US-Atomwaffen aus Ramstein; www.bits.de.
SIPRI Yearbook 2009; www.sipri.org.