Widerstand gegen Ressourcenaneignung

Widerstand gegen Ressourcenaneignung

von Martin Zint

Am 10.11.1995 wurde der nigerianische Schriftsteller Ken Saro Wiwa in Port Harcourt, Nigeria, gehängt und mit ihm acht seiner Mitstreiter von MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People). Es waren kaltblütige Morde mit Hilfe der nigerianischen Justiz, die auf diese Weise korrupte Politiker und unverantwortliche Manager schützte. Ken Saro Wiwa hatte die Zerstörung seiner Heimat, des Niger-Deltas, und das Leiden seines Volkes, der Ogoni, unter den Folgen der Ölförderung zum Gegenstand seiner literarischen Arbeit gemacht. Dadurch gerieten die desaströsen Bedingungen, unter denen Erdöl produziert wird, in den Blick einer interessierten internationalen Öffentlichkeit.

Genau zu dieser Zeit wurden die Pläne der Firma ESSO1 bekannt, Ölfelder im zentralafrikanischen Tschad zu erschließen. Auch im Tschad war und ist die Menschenrechtssituation erschreckend. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 haben sich im Tschad verschiedene Präsidenten mit Gewalt an die Macht gebracht und diese mit brutaler Gewalt behauptet. Als in den 1990er Jahren nach einer vordergründigen Demokratisierungsphase eine Verbesserung der Lage erwartet wurde, überschrieb Amnesty International im Jahr 1993 seinen Bericht zur Lage im Tschad: „Der Alptraum geht weiter.

In diesem Umfeld wollte ein Konsortium aus den Firmen ESSOMobil, elf und Shell 3,4 Milliarden US$ investieren, und zwar für ca. 300 Bohrlöcher und eine 1.070 Kilometer lange Pipeline aus dem Dorf Komé im Süden des Tschad an die Atlantikküste Kameruns – die erste Pipeline aus Zentralafrika an die Westküste Afrikas.

Das Tschad/Kamerun Erdöl- und Pipelineprojekt (TKEPP) ist ein Beispiel für den Versuch zivilgesellschaftlicher Gruppen, Einfluss auf ein industrielles Großprojekt zu nehmen. Seit den 1990er Jahre hatten sich die sozialen Bewegungen professionalisiert. Methoden der Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und politischer Lobbyarbeit wurden zu zielgerichteten Kampagnen gebündelt. Nichtregierungsorganisationen (NRO) versuchten auf verschiedenen Ebenen, politische Prozesse zu steuern. Dies war u. a. eine Reaktion auf eine zunehmende Privatisierung des politischen Handelns. Wichtige Entscheidungen über die Lebensbedingungen der Bewohner eines ganzen Landes werden von den Managern privater Konzerne gefällt. Dadurch und durch den Zerfall staatlicher Strukturen in einigen Ländern Afrikas gingen Regierungen als verantwortliche Ansprechpartner verloren. An ihre Stelle traten in manchen Bereichen privatwirtschaftliche Unternehmen und zwischenstaatliche Organisationen, zuvorderst die internationalen Finanzinstitutionen.

Weltbank im Boot der Ölmultis

3,4 Milliarden US$ Investitionssumme für das TKEPP bedeuten die bisher größte privatwirtschaftliche Investition im subsaharischen Afrika. Privatbanken hatten abgewunken, die Risiken schienen ihnen zu groß. Da beschloss ESSO, die Weltbank ins Boot zu holen.2 Die letztlich gewährten 150 US$ Weltbankkredit (0,04%) erscheinen zwar angesichts der Gesamtsumme sehr gering. Bedeutsam ist aber die Tatsache, dass die Weltbank überhaupt finanziell in das Projekt involviert ist. Als Projektbeteiligte wacht sie darüber, dass die Projektvereinbarungen eingehalten werden. Damit ist das Konsortium u.a. faktisch gegen Enteignung geschützt, zumindest solange die Regierung des Tschad die Kooperation der Weltbank braucht. Die Verwendung von Mitteln aus dem Armutsbekämpfungsfonds der Weltbank für die Absicherung des wirtschaftlichen Risikos einer Privatfirma stellt allerdings einen Missbrauch dar. „Sozialhilfe für Ölmultis“ nannte der amerikanische Environmental Defense Fund die Kredite.

Weltbank und Konsortium konterten durch die Betonung der Chancen zur Armutsbekämpfung, die mit dem Projekt verbunden sein sollten. Weltbank und Exxon Mobil wollten aus dem TKEPP ein Modellprojekt für Armutsbekämpfung in öffentlich-privater Partnerschaft machen. Die steile Rhetorik bot weitere Ansatzpunkte für die Arbeit der NROen. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen setzten gewisse Hoffnungen auf das Engagement der Weltbank. Deren Richtlinien führten immerhin auch einige umweltschutz- und entwicklungsorientierte Aspekte in das Gesamtprojekt ein.

Ziviler Widerstand vor Ort

Im Jahr 1997 waren in der Ölregion im Tschad unter dem Vorwand der Rebellenbekämpfung mehrere hundert Menschen von staatlichen Sicherheitskräften umgebracht worden. Es brauchte viel Mut, um unter diesen Umständen den Widerstand gegen die Art und Weise, in der das TKEPP betrieben wurde, zu organisieren. Die internationalen Unterstützer bemühten sich deshalb besonders um Schutz für die lokalen Akteure. Dazu wurden die Kommunikationsmöglichkeiten verbessert. Die Spende einer deutschen Kirchengemeinde erlaubte einer kleinen Organisation, der »Association Tchadien pour La Non-Violence/ATNV«, die Anschaffung eines Faxgerätes. Diese lokale Menschenrechtsorganisation schulte Bewohner der Ölregion in Methoden der Menschenrechtsbeobachtung. So entstanden beweiskräftige Protokolle über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die per Fax direkt an die Unterstützer weltweit verschickt werden konnten.

Lokale Militärkommandanten mussten plötzlich damit rechnen, dass ihre Verbrechen bekannt wurden. Als im März 1997 dreiundzwanzig Gläubige und der Priester bei der Frühmesse in der Kathedrale von Moundou (Süd-Tschad) überfallen und verschleppt wurden, waren die internationalen Partner um 8:00 Uhr darüber informiert und forderten die Weltbank und die eigenen Regierungen zum Handeln auf. Schon gegen 12:00 Uhr lagen die ersten internationalen Reaktionen in N’Djaména vor, darunter die des Vatikans. Am frühen Nachmittag wurden die noch lebenden Entführungsopfer in Moundou freigelassen.

…und mit internationalen Strukturen

Damit solche Aktionen rasch und zuverlässig geschehen konnten, waren hauptamtliche Strukturen nötig, die in Deutschland, Kamerun und dem Tschad mit Finanzierung der Hilfswerke Brot für die Welt, MISEREOR und des Friedensdienstes EIRENE geschaffen wurden. Die NRO-Vertreterinnen (Frauen spielten dabei eine zentrale Rolle, vor allem im Tschad) schauten sich zunächst an, wer in dem Projekt Interessen verfolgt und welche Zugänge es zu diesen »Stakeholders« gibt.

Da waren zunächst die drei Ölfirmen, die sich im Konsortium zusammengeschlossen hatten, die französische Staatsfirma Elf Aquitaine, die niederländische Royal Dutch Shell plc und ESSO als Konsortialführer (operator). Zumindest zu den europäischen Firmen sollte ein Zugang möglich sein, zumal die Ölkonzerne u.a. durch die Brent-Spar-Affäre3 und die Ermordung Ken Saro Wiwas unter starkem Legitimierungsdruck standen. Elf und Shell zogen sich dann auch 1999 aus dem Projekt zurück und wurden durch Chevron und PETRONAS ersetzt. Welche Gründe für den Rückzug ausschlaggebend waren, wurde nicht öffentlich bekannt. Shell hatte aber schon 1998 in einem Brief an die AG Erdöl angekündigt, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, wenn sich die Menschenrechtssituation im Tschad nicht verbessern sollte. Die Vermutung liegt nahe, dass zwei europäische Konzerne, die sich nicht den Unwillen der Verbraucher zuziehen wollten, gegen zwei Konzerne ausgetauscht wurden, denen die Reaktionen sensibilisierter europäischer Verbraucher egal sind.

Noch zu einem weiteren Akteur, der Weltbank, hatten die deutschen Gruppen, wie andere europäische und US-amerikanische Organisationen auch, eine Zugangsmöglichkeit. Die in das Projekt involvierten Internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, International Finance Corporation) werden von der deutschen Bundesregierung als Anteilseigner mit gestaltet und kontrolliert. Als wenig zugänglich erwiesen sich die Regierungen Kameruns und des Tschad.

Mit dieser Struktur konnten die zivilgesellschaftlichen Gruppen in Kamerun und im Tschad verlässliche Informationen an die Partnerorganisationen weltweit liefern. Diese nutzten das Material zur Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Umgekehrt lieferten die internationalen NROen Informationen an ihre lokalen Partner.

Erste Erfolge im Vorfeld des Pipelinebaus

Einen ersten Eindruck von der Effektivität dieser Strategie bekamen Konsortium, Weltbank und Regierung des Tschad im Januar 1998. Brot für die Welt hatte in Donia, einem Marktflecken im Ölfördergebiet, eine Konferenz finanziert. Dort kamen erstmals alle Akteure an einen Tisch, korrekter ausgedrückt: in den Saal einer katholischen Missionsstation. Dabei waren NRO-Vertreter und Journalisten aus Nigeria, Kamerun, Europa und den USA. Sie trafen auf etwa 100 Vertreter lokaler Gruppen. In Arbeitsgruppen zu Einzelthemen hatten sie die Umweltverträglichkeitsstudie durchgearbeitet, die Esso vorgelegt hatte. Diese enthielt unter anderem eine Liste von 64 Dörfern, deren Bewohnern konsultiert worden seien. Ein Mann meldete sich zu Wort und stellte sich als Bürgermeister eines der Dörfer vor, das in dieser Liste genannt würde. Er könne sich an keine Konsultation erinnern. Es seien wohl mal zwei Jeeps vorbeigekommen. In einem hätten Soldaten gesessen, in dem anderen eine weiße Frau. Sie habe erklärt, dass hier Öl gefördert werden solle, und gefragt, ob wir was dagegen hätten. „Wir wissen, was wir in Gegenwart von Soldaten zu sagen haben“, sagte der Bürgermeister, „auf keinen Fall etwas, was den ESSO-Leuten nicht gefallen könnte.“

Ein Bauer meldete sich zu Wort und verwies auf ein bereits im tschadischen Parlament verabschiedetes Gesetz, nach dem ESSO für jeden Mangobaum, den es für ein Bohrloch oder die Pipeline fällt, 3.000 CFA (4,58 Euro) Entschädigung zahlen muss. „Meine Mangobäume bringen pro Ernte einen Ertrag von ca. 50.000 CFA pro Baum, bei zwei Ernten im Jahr“, erklärte der Bauer. „Was soll ich da mit 3.000 CFA?“

Für die Firma ESSO-Tschad waren solche Aussagen desaströs, da die Konsultation der Betroffenen und angemessene Entschädigungen zu den Richtlinien der Weltbank gehören. Eine Vertreterin der deutschen Umweltschutzorganisation »urgewald« informierte bei der Konferenz über diese Richtlinien der Weltbank sowie über die Rechte, die betroffene Bürger auch gegenüber dieser Institution haben. Dazu gab es einen Leitfaden, wie genau man diese Rechte praktisch wahrnimmt. In der Region leben auch einige Akademiker, die nach einem Studium mangels Alternativen in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Zum großen Erstaunen der Vertreter des Konsortiums waren diese in der Lage, die komplizierten Studien zu beurteilen. Ihre Erkenntnis: Es handelt sich um reine Literaturstudien, die mit der Realität der Region nicht viel zu tun haben. „ESSO muss seine Hausaufgaben neu machen!“ titelte die größte Zeitung des Landes nach der Konferenz von Donia.

Durch die Präsenz von Vertretern internationaler Medien wurde auch in Europa und den USA berichtet. Einmal mehr erwies sich die enorme Bedeutung von Bildern und Symbolen für die politische Arbeit, denn in keinem Bericht fehlte die Geschichte vom Mangobaum. Innerhalb eines Jahres legte ESSO 19 weitere Studien vor, und die Entschädigungsleistungen wurden neu verhandelt. Die Weltbank richtete eine Internationale Beratergruppe ein, die den Fortgang des Projektes regelmäßig beobachten sollte, und als »Sahnehäubchen« ließ sich die Regierung des Tschad darauf ein, ein weltweit einmaliges Gesetz zu erlassen. In diesem Gesetz über die Verwendung und Kontrolle der Öleinnahmen (Gesetz #001/99) wurde festgelegt, dass 80% der Öleinnahmen für prioritäre Sektoren der Armutsbekämpfung ausgegeben werden, 15% in einen Fonds für zukünftige Generationen eingezahlt werden und 5% der Förderregion direkt zugute kommen.

…und neue Probleme nach dem Baubeginn

Der 6. Juni 2000 markiert einen Wendepunkt des TKEPP. Das Direktionsgremium der Weltbank akzeptierte das Projekt, und das Konsortium begann sofort mit den Bauarbeiten. Für die mit dem Projekt befassten NROen änderte sich die Zielsetzung. Bis zum letzten Moment hatte man auf verschiedenen Wegen versucht, Verbesserungen im Projektdesign und Garantien dafür zu erreichen. Ab sofort galt es nur noch, die bescheidenen Erfolge zu verteidigen. In der Praxis bedeutete das, von der Lobbyarbeit auf das Monitoring umzustellen. Das ursprüngliche Ziel, die Menschen der Region vor Krieg und Menschenrechtsverletzungen zu bewahren, rückte wieder in den Mittelpunkt.

Die Internationale Beratergruppe4 (International Advisory Group/IAG) nahm im Sommer 2001 ihre Arbeit auf. Sie stellte rasch fest, dass das Projekt in „zwei Geschwindigkeiten“ voranschreitet. Während die Bauarbeiten in einem raschem Tempo voranschritten, schleppten sich die flankierenden Maßnahmen zur Abfederung der Folgen oder zur Einbindung der Bevölkerung in die wirtschaftliche Entwicklung sehr langsam dahin. Die Berichte der IAG haben reinen Empfehlungscharakter, sind aber eine gute Dokumentation der Fakten rund um das Projekt und damit eine glaubwürdige Quelle für kritische Nachfragen.

Der »Ressourcenfluch«

Seit dem 10. Oktober 2003 fließt das Öl aus dem Tschad. Seitdem ist das Land ein weiteres Beispiel für den so genannten Ressourcenfluch. Er bezeichnet das Phänomen, dass Ressourcenreichtum in den Förderländern anscheinend zwangsläufig zu autoritären Regimen und zu wirtschaftlichem Niedergang führt.5 Pünktlich mit Beginn der Ölförderung kam es im Tschad zu Engpässen in der Energieversorgung, die Zahlungsschwierigkeiten des Staates verschärften sich und damit auch die innenpolitischen Spannungen. Die Zahl der bewaffneten Rebellenbewegungen nahm sprunghaft zu. Der Konflikt im benachbarten Darfur, der Heimatregion des derzeitigen Präsidenten Déby, verschärfte die Situation weiter. Die Massaker im Sudan setzten Präsident Déby unter den Druck seiner eigenen Ethnie, der Zaghawa. Sie werfen ihm mangelnde Hilfe gegen die Angriffe durch Milizen vor, die von der sudanesischen Regierung unterstützt werden. Im Dezember 2005 liefen große Teile seiner Präsidentengarde zu den Rebellen über, darunter mehrere Generäle.

Die Regierung warf der Weltbank, der Zivilgesellschaft und dem Konsortium vor, die wirtschaftliche Misere des Landes durch den restriktiven Umgang mit den Ölgeldern verursacht zu haben. Am 29. 12.2005 änderte das Parlament das Gesetz über die Verwendung der Öleinnahmen und kippte damit den Grundstein des so genannten Modellprojektes. Auf diplomatischer Ebene setzte hektische Betriebsamkeit ein. Am 6. Januar 2006 kündigte die Weltbank an, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Tschad suspendiert und Kredite im Wert von 124 Million US$ einfriert. Trotzdem unterschrieb Präsident Déby am 11.1.2006 das neue Gesetz und setzte es in Kraft. Damit löste er den Fonds für zukünftige Generationen auf. Ab sofort konnten Ölgelder auch für die Bereiche nationale Sicherheit und allgemeine Verwaltung ausgegeben werden. Die Weltbank stand vor dem Scherbenhaufen ihres Modellprojektes.

Für den 3. Mai 2006 waren im Tschad Präsidentschaftswahlen angesetzt. Um für eine dritte Amtszeit kandidieren zu können, hatte der amtierende Präsident Déby die Verfassung ändern lassen. Am 26. April 2006, eine Woche vor den Wahlen, gab die Weltbank bekannt, dass sie sich mit der Regierung des Tschad über eine Fortsetzung der Zusammenarbeit geeinigt habe. Der volle Text der Vereinbarung ist nicht bekannt. Die Weltbank teilte lediglich mit, dass 70% der Öleinnahmen in die prioritären Sektoren der Armutsbekämpfung fließen sollen. Militärausgaben dürfen nach Angaben der Weltbank nicht aus den Öleinnahmen bestritten werden.

Die Opposition boykottierte diese Wahlen fast geschlossen. Unabhängige Wahlbeobachter stellten eine extrem geringe Beteiligung an den Wahlen fest sowie gravierende Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung. Das von Präsident Déby ernannte Verfassungsgericht kam zu der Ansicht, Déby habe 64,67% der Stimmen erreicht. Damit blieb es weit hinter dem Ergebnis der »unabhängigen« Wahlkommission zurück, die die Wahlen organisiert hatte. Sie hatte Déby bereits mit 77,53% zum Sieger erklärt. Oppositionspolitiker nannten das eine Farce, die sie nicht anerkennen. Frankreich und die USA erkennen das Wahlergebnis allerdings an. Präsident Déby gilt damit für weitere fünf Jahre als legitimer Präsident der Republik Tschad.

Trotz der guten Dokumentation sind die Einschätzungen des TKEPP sehr kontrovers. Weltbank- und Industrievertreter sehen weiter ein Modellprojekt. Noch nie habe die Zivilgesellschaft so viel Einfluss auf das gesamt Design eines solchen Projektes gehabt. Zentrale Forderungen seien im Tschad Gesetz geworden, viele Förderprogramme in Arbeit, insbesondere für die Ölregion. Internationale Spezialisten kümmern sich unter Einsatz von viel Geld um den Aufbau effektiver Verwaltungsstrukturen.

Armutsbekämpfung nach wie vor mangelhaft

Nur, der Einfluss der NROen reichte bei weiten nicht aus, um aus dem Projekt ein Vorhaben zu machen, dass die Rechte der Betroffenen wahrt. Das im Gesetz über die Verwendung der Öleinnahmen vorgesehene Kontrollgremium funktioniert zwar und legt aussagekräftige Berichte vor.6 Die belegen eindrucksvoll, wie Ölgelder veruntreut werden. In jedem anderem Land würde sich die Justiz der Fälle annehmen. Seit der Veröffentlichung des besonders brisanten Berichtes zum Jahr 2004 ist bis heute jedoch noch nicht eine Person zur Rechenschaft gezogen worden.

Das Inspection Panel, die Inspektionsinstanz der Weltbank, hat sich zweimal mit dem TKEPP befasst. Die entstandenen Berichte sind eindrucksvolle Dokumente, wie unvorteilhaft für die Betroffenen die Weltbank ihre Arbeit verrichtet. Das vernichtende Urteil des Inspection Panel, „unter den gegebenen Verhältnissen wird das Projekt auf absehbare Zeit nicht zur Armutsbekämpfung beitragen“,7 konterte der damalige Weltbankpräsident Wolfensohn mit der Bemerkung, diese Feststellung komme viel zu früh, die Ölförderung sei auf dreißig Jahre angelegt. Da könne sich noch viel tun.

Die Diskussion zum TKEPP hat die Gesamtdiskussion um die Problematik der extraktiven Industrien belebt und die Weltbank veranlasst, ihre Politik in diesem Bereich zu evaluieren. Am Extractive Industries Review Process8 (EIR, 2001–2003) wirkten auch NRO-Vertreter aus dem Bereich des TKEPP mit. Der Abschlussbericht enthält einige sehr wichtige Empfehlungen, so z.B. die Erkenntnis, dass funktionierende staatliche Strukturen Voraussetzung sind, damit Ressourcenproduktion armutsbekämpfend und entwicklungsfördernd wirksam werden kann. Alle Versuche, diese Strukturen mit den Einnahmen aus der Ressourcenvermarktung aufzubauen, wie im Falle des Tschad, sind bisher gescheitert. Norwegen bspw. füllt seine Rentenkasse mit Öleinnahmen. Aber dort wird von den Regierenden Rechenschaft über die effektive Verwendung der Öleinahmen gefordert. Das schafft Zufriedenheit bei den Wählern und nicht Putschgelüste. Stärkerer Druck der internationalen Gemeinschaft könnte vielleicht wirksam sein. Reiseverbote für Despoten und ihre Familien wären eine weitere Möglichkeit, um Einfluss zu nehmen9. Dazu gehört auch das Einfordern demokratischer Standards, statt offenkundigen Betrügereien ein legitimatorisches Mäntelchen umzuhängen.

Das TKEPP macht außerdem klar, dass Einheimische keine lästigen Störenfriede sind, sondern Experten für ihre eigenen Belange. Gut ausgebildete und engagierte Betroffene können viel zur Entwicklung ihrer Region beitragen, wenn es gelingt, sie aus der Arbeitslosigkeit zu holen. Eine Lösung könnte ein von den Ölfirmen alimentierter Fonds sein, aus dem die Kosten für die Abfederung sozialer Nebenwirkungen der Projekte finanziert werden. Leider werden aber bisher auch hier die Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.

Großprojekte mit weit reichenden Auswirkungen auf die sozialen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse müssen von möglichst demokratisch legitimierten Gremien begleitet werden, deren Ergebnisse für die Beteiligten verbindlich sind. Das verlangt eine funktionierende nationale und internationale Gerichtsbarkeit.

»Good Governance« ist die Voraussetzung, damit wirtschaftliches Engagement armutsmindernd wirksam werden kann. Diese Erkenntnis aus dem Abschlussbericht des EIR-Prozesses muss ernst genommen werden. Good Governance lässt sich nicht nachträglich herstellen, das Beharrungsvermögen der Machthaber an der sprudelnden Geldquelle ist erwiesenermaßen zu groß.

Deshalb werden wir Öl-Verbraucher im Norden die bestehenden Probleme solange weiter verschärfen, wie wir bereit sind, jeden Preis für unsere »Droge« Öl zu bezahlen. Geld alleine löst keine Problem, es schafft sie eher.

Literatur

Martin Petry: Wem gehört das schwarze Gold? Engagement für Frieden und Gerechtigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Erdölprojekt Tschad/Kamerun, Brandes & Apsel, Frankfurt 2003

Barbara Dietrich, Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte, Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 29, 1998; www.erdoel-tschad.de

Anmerkungen

1) Die Tochterfirma von ExxonMobil im Tschad firmiert als »ESSO Exploration and Production Chad Inc.«, kurz ESSO, www.essochad.com.

2) Noel K. Tshiani: Rede bei der Weltbank-Evaluierungskonferenz 10/2005 in N’Djaména, Bericht der AG-Erdöl 2005.

3) Geplante Verschrottung einer Bohrinsel durch Versenken in der Nordsee (Shell).

4) www.gic-iag.org.

5) Siehe unter anderen: Terry Lynn Karl: The Paradox of Plenty (Oil Booms and Petro-States), 1997-09-01, Studies in International Political Economy , No 26; Michael Ross: A Closer Look at Oil, Diamonds, and Civil War, Department of Political Science, University of California, Los Angeles, 2006.

6) www.ccsrp.td; leider ist der Jahresbericht 2004 nicht online verfügbar, liegt aber dem Autor in französisch vor und kann über m.zint@zintweb.de angefordert werden.

7) The Inspection Panel: Investigation Report – Chad-Cameroon Petroleum and Pipeline Project (Loan No. 4558-CD), Weltbank, 17.07. 2002.

8) www.eireview.org/.

9) Brahim Déby, Sohn des Präsidenten Idriss Déby, wurde am 4.6.06 von einem Pariser Gericht wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitz zu sechs Monaten Gefängnis und 2.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Aber er darf in Frankreich bleiben.

Martin Zint ist Journalist und Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Erdölprojekt Tschad-Kamerun.

Es geht um EU-Interessen

Kongo-Militäreinsatz:

Es geht um EU-Interessen

von Tobias Pflüger

Das Europäische Parlament hat formal kein Mitentscheidungsrecht bei Militäreinsätzen der Europäischen Union. Dennoch wurde am 22. und 23. März 2006 eine Debatte und Abstimmung über den EU-Militäreinsatz im Kongo durchgeführt, quasi als Einstimmung für die einzelstaatlichen Parlamente. Eine große Koalition von Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechtsnationalen stimmte für eine EU-Militärintervention in die Demokratische Republik Kongo. Interessant dabei war, dass genau zum Zeitpunkt der Debatte die eigentliche Entscheidung fiel, aber an anderem Ort: Das »Politische und Sicherheitspolitische Komitee« (PSK) votierte für eine Entsendung von damals noch 1.500 Soldaten. Im PSK sitzen die Botschafter der EU-Staaten oder deren für Militärpolitik zuständige Stellvertreter. Formal bestätigte dann – wie üblich – noch der EU-Ministerrat dieses Votum für eine Kongo-Militärintervention.

Anfang Juni gab dann auch der Bundestag, sozusagen als »Grüßaugust«, seine Zustimmung. Die Vorbereitungen, die auf EU-Ebene begannen, waren nicht mehr zu stoppen, während der Abstimmung im Bundestag liefen die Vorbereitungen des Militäreinsatzes bereits auf Hochtouren. Sie entfalteten einen enormen Druck für eine parlamentarische Zustimmung und so wurde auch die vorgesehene Mannschaftsstärke erneut heraufgesetzt. Jetzt sollen von insgesamt 2.000 Soldaten 780 aus Deutschland kommen. Am deutschen Oberkommando für den Einsatz und der operativen Verantwortlichkeit Frankreichs in Kinshasa wurde selbstverständlich nicht mehr gerüttelt.

Mit dieser Vorgehensweise wurden nicht einmal minimale demokratische Standards eingehalten. Die EU hat gegenüber Drittstaaten Kriterien für die parlamentarische Kontrolle von Militär aufgestellt. Sie selbst erfüllt diese Vorgaben aber nicht. Die Exekutive und dort ausgerechnet die Botschafter bei der EU oder deren Stellvertreter preschen vor, die einzelstaatlichen Parlamente nicken einen Einsatz ab, der de facto schon läuft.

Deckmantel Wahlhilfe

Offiziell geht es beim geplanten EU-Militäreinsatz im Kongo um die militärische Absicherung der bevorstehenden Wahlen. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden mehrfach verschoben. Derzeit ist das Datum der 31. Juli 2006. Die größte Oppositionspartei UDPS boykottiert jedoch die Wahlen, weil es bei der Wählerregistrierung eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Der Wahlsieger steht mit dem autokratischen Präsidenten Joseph Kabila damit praktisch schon fest. Kabila wird von der EU massiv unterstützt, dies obwohl seine Armee für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird und er zahlreiche Ressourcen des bitterarmen Landes an Verwandte privatisiert und vergeben hat. Die Wahlabsicherung ist also ein Vorwand, um was geht es tatsächlich?

Der deutsche Verteidigungsminister Franz-Josef Jung sagt ganz offen, dass es „um zentrale Sicherheitsinteressen unseres Landes“ ginge und „wir es mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen“, sollte es den Einsatz nicht geben. Und weiter: „Stabilität in der rohstoffreichen Region nützt auch der deutschen Wirtschaft.“1 Gemeint sind strategische Rohstoffe wie Wolfram, Cobalt und Mangan. Das passt auch zum Entwurf des Weissbuchs der Bundeswehr von Franz-Josef Jung, in dem Militärinterventionen zur Rohstoffsicherung verankert wurden.2 Der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff schreibt: „Kongo ist eines der ressourcenreichsten Länder der Welt und verfügt vor allem über strategische Rohstoffe, die für Europa wichtig sind: Wolfram, Mangan- und Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Coltan, Beryllium. Europa und Deutschland haben ein Interesse daran, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Kongo ist das mit Abstand wasserreichste Land auf dem Kontinent…“3

Schon jetzt wird der geplante EU-Militäreinsatz von vielen zu Recht als Unterstützung des autoritär regierenden Präsidenten Kabila und der War-Lords vor Ort angesehen gegen die Opposition und auch gegen viele in der Bevölkerung. Dazu passt, dass den – von der EU ausgebildeten – kongolesischen Sicherheitskräften zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Der „arme, geschundene Kontinent ist auch von den Europäern kaputt gemacht worden,“4 stellte Jungs Vorgänger Peter Struck laut einer Meldung im Tagesspiegel fest, um damit einen Militäreinsatz der EU zu rechtfertigen: „Wer denn, wenn nicht wir, soll dahin?“, fragte Struck.

Der SPD-Politiker Johannes Kahrs meinte zur Stärke des Kongo-Einsatzes: „Das wäre so, als würden 750 Soldaten in Lissabon landen und sagen, damit würden sie ganz Westeuropa stabilisieren.“5 Auch militärisch gesehen macht dieser Einsatz also keinen Sinn. Selbst hochrangige Militärs, wie beispielsweise Generalmajor Jan Oerding, der Chef der neuen EU-Einrichtung »Kommando Operative Führung Eingreifkräfte« in Ulm, konnte keine klare Antwort auf die Frage geben, welchen Erfolg aus militärisch-strategischer Sicht 2.000 im Kongo eingesetzte Soldaten verbuchen können. In den Reihen der deutschen Militärs steigt die Ablehnung gegen diese „reine Show, die das Leben deutscher Soldaten nicht wert ist,“6 wie Bernhard Gertz, Sprecher des Bundeswehrverbands den Kongo-Einsatz in der Welt am Sonntag charakterisierte. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe hatte indes die Bundesregierung aufgefordert, vor einem etwaigen Kongo-Einsatz der Bundeswehr die Bedingungen genauestens zu klären.

Demonstrierte Interventionsfähigkeit

Nicht einmal die drei wesentlichen internen Bedingungen für den Kongo-Einsatz sind erfüllt.

  • Erstens stand am Anfang nicht ein Beschluss der UNO, erst auf ausdrückliche Bitte Frankreichs im UN-Sicherheitsrat wurde die EU zu einer militärischen Intervention im Kongo berufen.
  • Zweitens wurde keine wirkliche Anforderung seitens der kongolesischen Regierung ausgesprochen. Präsident Kabila hat lediglich zu verstehen gegeben , dass er nichts gegen einen EU-Militäreinsatz habe, was bestenfalls als Unterstützung, aber keinesfalls als Anforderung zu bewerten ist.
  • Drittens fehlt weiterhin eine exakte zeitliche und räumliche Begrenzung für diesen Einsatz. Zur Dauer heißt es: vier Monate oder vielleicht doch länger, und eine räumliche Begrenzung wird in dem Beschluss des PSK nicht festgelegt, auch wenn im Bundestagsbeschluss von einer Beschränkung deutscher Soldaten auf den Raum Kinshasa die Rede ist.

Deutschland wird führend am EU-Militäreinsatz im Kongo beteiligt sein. Das im Potsdamer Einsatzführungskommando bereitgestellte »Operation Headquarter« (OHQ) der EU soll den Einsatz leiten. Das sogenannte »Force Headquarters« (FHQ) dafür, also eine verlegbare Befehlszentrale im Einsatzland wird bei diesem Einsatz das Pariser FHQ sein. Auch Deutschland verfügt seit knapp einem halben Jahr über ein FHQ, dem »Kommando Operative Führung Eingreifkräfte « in Ulm. Dass für den Kongo-Einsatz nun nicht das deutsche FHQ, sondern das französische ausgewählt wurde, ist der politische Deal, der Arbeitsteilung zwischen Deutschland und Frankreich. Das Kommando in Ulm wird für den Kongo-Einsatz mehrere Verbindungsoffiziere in das Potsdamer OHQ abstellen, damit ist Ulm in den Kongo-Militäreinsatz involviert.

Mit dem Kongo-Einsatz will die EU ihre Interventionsfähigkeit beweisen. Das ist auch Teil des neuen »großen Spiels« um Afrika, bei dem EU-Mitgliedstaaten, China und die USA um die Rohstoffausbeute konkurrieren. Die neuen Battle Groups der Europäischen Union, von denen zwischen 2007 und 2010 dreizehn mit einer Starke von jeweils 1.500 Soldaten gebildet werden sollen, haben nach EU-Strategiepapieren Afrika als Hauptziel. Die EU will zeigen, dass „Europas Sicherheitspolitik beginnt, handlungsfähig zu werden,“ denn „dies ist der einzige entscheidende Grund für diesen Einsatz,“ 7 wie es Klaus Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses offen sagt.

Wie human die humanitäre Intervention im Kongo wirklich ist, lässt sich aus folgender Meldung der NZZ vom 28. Januar 2006 ersehen: „Während die UNO in ihrem Spendenaufruf für 2005 47 Millionen Dollar für die Republik Zentralafrika, 40,5 für Cote d’Ivoire und 33 Millionen für Guinea verlangte, versprachen die Geber an der Konferenz für die Hilfe an diese Länder nur je eine Million Dollar. Für die Demokratische Republik Kongo wurden 36,5 von 738 Millionen zugesagt, für den Sudan 106 Millionen von 1,5 Milliarden, für Somalia sogar nur 5 Millionen von den notwendigen 174 Millionen.“ 8 Allein der Bundeswehreinsatz im Kongo wird aber für die ersten Monate 56 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten verschlingen.

Die EU-Militärintervention in der DR Kongo schreibt sich in die post-koloniale Tradition der militärinterventionistischen Afrikapolitik europäischer Kolonialmächte ein. Dazu passt, dass Frankreich seine Militärstützpunkte in Afrika, wie in Senegal, Djibouti, Gabun und der Elfenbeinküste europäisieren möchte.9 Während der Kongo-Mission sollen 400 deutsche Fallschirmjäger in Libréville/Gabun auf einem französischen Militärstützpunkt stationiert werden. Mit der EU-Militärintervention in der DR Kongo droht ein Exempel für die Europäisierung französisch/belgischer Hegemonialpolitik in Afrika.

AP schreibt in einer Agenturmeldung vom 07.06.2006: „Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana hat den bevorstehenden Kongo-Einsatz europäischer Soldaten als Beispiel für die künftigen Aufgaben der EU bezeichnet.“ Wenn der Kongo das Probebeispiel ist, was soll dann alles noch folgen?

Anmerkungen

1) http://www.bundesregierung.de/Interview/,-975779/dokument.print.htm

2) http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5519118_REF1,00.html

3) http://www.andreas-schockenhoff.de/politisches/standpunkte?template=detail&entryid=64

4) Tagesspiegel 29.03.2006

5) Deutschlandfunk, 21.03.2006, zitiert nach „Gute demokratische Tradition“, Grüne und Seeheimer Kreis für und gegen Kongo-Einsatz in: ngo-online, 21.03.2006

6) http://www.wams.de/data/2006/03/26/865573.html

7) Osnabrücker Zeitung, 03. April 2006

8) Neue Züricher Zeitung vom 28.01.2006

9) Vgl. http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?id=1410

Tobias Pflüger ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und Mitglied des Europäischen Parlaments, dort Mitglied der Linksfraktion GUE/NGL, des Auswärtigen Ausschusses, des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung und der NATO-Parlamentarier-Delegation.

Unternehmen für den Krieg

Unternehmen für den Krieg

Die Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

von Marc von Boemcken

Im März 2004 stellten die Behörden am Flughafen von Harare eine aus Südafrika kommende Boeing 727 sicher und verhafteten 70 Männer. Diese Männer wollten in Simbabwe Waffen einkaufen, um dann nach Äquatorialguinea weiter zu fliegen und in dem kleinen, ölreichen Land einen Staatsstreich durchzuführen. Dieser bemerkenswerte Vorfall ist nur einer von vielen Hinweisen auf einen komplexen und sehr ausdifferenzierten Gewaltmarkt, der sich spätestens seit Ende des Kalten Krieges auf dem afrikanischen Kontinent etabliert hat. Der Autor beleuchtet zuerst das Feld profitorientierter Gewalt- und Sicherheitsakteure in Afrika. Danach erörtert er die wichtigsten Ursachen für die wachsende Bedeutung des Söldnertums sowie seine sich verändernden Erscheinungsformen seit Ende des Kalten Krieges. Schließlich unterzieht er die Rolle kommerzieller Gewaltanbieter bei der Verschärfung und Förderung gewaltsamer Konfliktdynamiken einer kritischen Bewertung. Insgesamt wird so der Bedarf nach effektiveren internationalen und nationalen Maßnahmen zur Einhegung afrikanischer Gewaltmärkte aufgezeigt.

Bis in die 1970er Jahre hinein gab es praktisch keine Verregelung von Söldneraktivitäten in der internationalen Rechtssprechung. Ein 1977 angenommenes Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen klassifizierte Söldner erstmalig als „illegale Kombattanten“, die nicht den Status eines Kriegsgefangenen für sich in Anspruch nehmen dürfen. Ein Söldner ist nach diesem Protokoll wer sich 1) anwerben lässt, um in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen; 2) unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt; 3) dabei hauptsächlich von einem Begehren nach persönlichem, materiellem Gewinn angetrieben wird; sowie 4) weder ein Bürger noch 5) ein Mitglied der Streitkräfte einer Konfliktpartei ist.1 Diese Definition bildete die Grundlage für zwei internationale Abkommen zur Bekämpfung des Söldnertums: Die Convention for the Elimination of Mercenaries in Africa (CEMA) der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) von 1977 und die International Convention against the Recruitment, Use, Financing and Training of Mercenaries der Vereinten Nationen (VN) von 1989.

Es ist keineswegs ein Zufall, dass der erste internationale Versuch zur Eindämmung des Söldnertums gerade in Afrika seinen Anfang nahm. Ehemaligen Kolonialmächten und dem Apartheid-Regime in Südafrika war während des Kalten Krieges die Finanzierung von Söldnern als ein opportunes Instrument der Außenpolitik erschienen, um ihre machtpolitischen oder ideologischen Interessen auf dem Kontinent gewaltsam durchsetzen zu können. Bewaffnete Gruppierungen um berüchtigte Anführer wie z.B. Michael »Mad Mike« Hoare, Bob Denard oder den ehemaligen Wehrmachtsoffizier »Kongo-Müller« hatten während der 1960er und 1970er Jahre nicht selten dazu beigetragen, die staatliche Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker – etwa im Kongo, Angola oder auf den Komoren – zu unterwandern.2 Da die CEMA im Wesentlichen darauf abzielte, die klandestine Interventionspolitik ausländischer Mächte im südlichen Afrika einzudämmen, propagierte sie kein generelles Verbot des Söldnertums. Vielmehr kriminalisierte sie lediglich den Gebrauch von Söldnern gegen die territoriale Integrität afrikanischer Staaten sowie gegen »legitime« Befreiungsbewegungen. Es war und ist den Mitgliedsstaaten also weiterhin erlaubt, Söldner zur Bekämpfung von als »illegitim« angesehenen Aufständen innerhalb ihrer eigenen Grenzen einzusetzen.3 Trotzdem blieb das Interesse afrikanischer Staaten an der CEMA eher mäßig. Bis Oktober 2005 hatten nur 26 der 53 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) das Abkommen ratifiziert.

Im Unterschied zu der CEMA strebt die Anti-Söldner Konvention der VN von 1989 ein Verbot jeglicher Söldneraktivitäten an. Zwar genießt sie die Unterstützung vieler VN Organisationen, auch hier ist das nationalstaatliche Interesse aber gering. Tatsächlich konnte die VN Konvention nicht bis September 2001 in Kraft treten, da ihr bis dahin die nötigen 22 Ratifikationen fehlten. Vier Jahre später waren ihr weltweit nur 27 Länder beigetreten, davon 9 aus Afrika.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die internationalen Mechanismen zur Kriminalisierung des Söldnertums – entgegen verbreiteter Meinung –noch immer schwach sind.4 Auch nationale Gesetze zur Einhegung von Söldneraktivitäten bleiben eher die Ausnahme als die Regel.5 So konnte ein florierender Handel mit militärischen Dienstleistungen entstehen, von dem vor allem der afrikanische Kontinent stark betroffen ist.

Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

Söldneraktivitäten haben auf dem afrikanischen Kontinent im Laufe der letzten Jahrzehnte stetig zugenommen. Abdel-Fatau Musah und Kayode Fayemi registrieren in ihrem Buch »Mercenaries – An African Security Dilemma« für den Zeitraum zwischen 1950 und 1989 insgesamt 15 Söldnereinsätze bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika, für den Zeitraum zwischen 1990 und 1998 haben sie immerhin 65 Einträge.6

Die wichtigste Ursache für die Ausbreitung kommerzieller Kriegsakteure liegt in der Unfähigkeit vieler afrikanischer Staaten, einen effektiven öffentlichen Sicherheitsapparat zu unterhalten, der die gewaltfreie Austragung innergesellschaftlicher Konflikte und ökonomischer Konkurrenz gewährleisten könnte. So findet z.B. die Ausbeutung natürlicher Ressourcen häufig in »staatsfreien« oder »gewaltoffenen« Räumen statt, in denen die wirtschaftlichen Interessen sowohl staatlicher als auch nicht-staatlicher Akteure u.a. von modernen Söldnern und privaten Sicherheitsunternehmen gewaltsam verteidigt und durchgesetzt werden.

Das Abklingen US-amerikanischer und sowjetischer Finanzhilfen nach Ende des Kalten Krieges beschleunigte die Erosion staatlicher Gewaltstrukturen, da von schrumpfenden öffentlichen Haushalten auch die Militär- und Sicherheitsbudgets betroffen waren. Zwischen 1985 und 1995 sanken die Militärausgaben in Afrika südlich der Sahara um fast 20 Prozent.7 Die Verschiebung von Militärleistungen in den Privatsektor erschien als die billigere Alternative zum – ohnehin in weiten Teilen Afrikas nie vorhandenen – öffentlichen Gewaltmonopol. Während stehende Heere nämlich langfristig unterhalten werden wollen, müssen Söldner nur für eine begrenzt andauernde Militäroperation bezahlt werden. Auch die innere Sicherheit wurde zum Teil gänzlich privatisiert, um öffentliche Kassen zu entlasten. In vielen afrikanischen Ländern müssen Firmen, Internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) für ihre Sicherheit selbst aufkommen.8

Das Wachstum privater Gewaltmärkte wurde zusätzlich durch die weltweite Demobilisierung von Soldaten nach Ende des Kalten Krieges begünstigt. Allein die südafrikanischen Streitkräfte reduzierten zwischen 1990 und 2003 ihren Personalbestand um mehr als 30.000 Soldaten.9 Vielen arbeitslosen Ex-Militärs kam die gestiegene Nachfrage nach kommerziellen Militär- und Sicherheitsleistungen sehr gelegen. Ganze Kompanien der ehemaligen South African Defence Force traten fast geschlossen in die Dienste von neu gegründeten Söldnerfirmen.10

Bei näherer Betrachtung lassen sich mindestens drei Gruppen kommerzieller Gewaltanbieter in Afrika voneinander unterschieden:11

Söldner

Nach wie vor gibt es kleine und konspirative Söldnerbanden, die ihre Waffenfertigkeiten an den meistbietenden Interessenten verkaufen. Ein Beispiel wäre die sogenannte Weiße Legion – eine lose Gruppe aus Franzosen und Serben, die 1996/7 vom Mobutu Regime in Zaire zur Bekämpfung von Rebellen angeheuert wurde. Auch der Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, beschäftigte Berichten zufolge zwischen 2002 und 2003 eine Vielzahl osteuropäischer und südafrikanischer Söldner, meist Piloten von Kampfhubschraubern, welche direkt dem Präsidentenbüro unterstanden.12

Söldnerfirmen

Neben diesen kleineren Banden bildeten sich in den 1990er Jahren auch registrierte Firmen, die militärische Dienstleistungen verkauften – sogenannte Military Provider Firms (MPFs) oder »Söldnerfirmen«. Von klassischen Söldnern unterschieden sie sich vor allem durch ihre Organisationsform als Unternehmen bzw. durch ihr tendenziell angeblich eher offenes als verdecktes Gebahren auf dem internationalen Markt.13 MPFs konnten in kurzer Zeit eine große Zahl bewaffneter Experten in ein afrikanisches Konfliktgebiet entsenden und durch eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen den weiteren Kriegsverlauf entscheidend beeinflussen. Die wohl bekanntesten Beispiele waren die südafrikanische Firma Executive Outcomes (EO) und ihr britisches Schwesterunternehmen Sandline International, welche die Regierungen von Angola und Sierra Leone im Kampf gegen Rebellengruppen unterstützen. Beide Firmen waren Teil eines komplexen Firmenkonsortiums, welches auch in die Rohstoffindustrie hineinreichte. Für ihre teuren Dienste konnten sie sich so mit Lizenzen für Schürfrechte an Diamantenminen entlohnen lassen.14

Sicherheitsfirmen

Söldner und Söldnerfirmen werden meist nur für einen kurzen Zeitraum und mit der spezifischen Absicht, an offensiven Kampfhandlungen teilzunehmen angeworben. Im Unterschied dazu sind die in afrikanischen Krisen- und Kriegsgebieten tätigen privaten Sicherheitsfirmen in der Regel für eine längere Zeitspanne im Land aktiv und ausschließlich mit dem Schutz von bedrohten Einrichtungen oder Personen betraut. Zu ihren Auftraggebern gehören nicht nur Regierungen, sondern auch Firmen der Privatwirtschaft oder NROs. Dabei können Sicherheitsfirmen entweder international tätig sein, wie z.B. die britische Firma ArmorGroup mit eigenen Büros in zehn afrikanischen Staaten, oder lokal begrenzt wie die Firmen LifeGuard und Southern Cross in Sierra Leone. Die jährliche Wachstumsrate der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika beträgt vermutlich zwischen 10 und 30 Prozent.15 Der Markt ist damit ungleich größer als der für Söldner oder Söldnerfirmen.

Kritische Bewertung

Söldnerfirmen und Sicherheitsunternehmen erfreuen sich heute einer erstaunlich großen Akzeptanz, da sie in der Wahrnehmung vieler die einzig mögliche Alternative zum ineffektiven öffentlichen Sicherheitssektor in Teilen Afrikas darstellen. Die Diskussion wird von der Frage dominiert, wie derartige Gewaltmärkte wohl reguliert und kontrolliert werden können. Möglichkeiten diese Märkte einzudämmen oder gar zu verbieten, werden hingegen meist kategorisch als unrealistisch oder kontraproduktiv abgelehnt.16 Tatsächlich waren die Einsätze von EO und Sandline in militärischer Hinsicht sehr effektiv und konnten dazu beitragen, zerfallende Bürgerkriegsstaaten kurzfristig zu stabilisieren. Es gibt auch keine Indizien dafür, dass Angestellte von Söldner- und Sicherheitsfirmen eher zu Menschenrechtsverletzungen neigen als etwa Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte.

Trotzdem sind kommerzielle Anbieter von Kriegs- und Sicherheitsleistungen alles andere als neutrale »Werkzeuge«. Im Gegenteil, ihr Einsatz hat profunde Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation von Gewalt und Sicherheit. In vielen Fällen schaffen sie mehr Probleme als sie zu lösen in der Lage sind.

Söldner und Angestellte von MPFs sind weder in eine feste Befehlshierarchie eingebunden, noch unterliegen sie militärischer Gerichtsbarkeit. Obwohl sie meist von Staaten angeheuert werden, agieren sie also – anders als nationale Streitkräfte – unabhängig von einer unmittelbaren rechtlichen Verantwortlichkeit. Dies erschwert es Regierungen, eine effektive Kontrolle über die Implementierung ihrer Kriegsentscheidungen auszuüben. Als ihnen die Situation in Sierra Leone zu gefährlich wurde, konnte z.B. die Firma Gurkha Security Guards 1994 einfach ihren Vertrag kündigen und das Land verlassen.17

Wie vergangene Beispiele zeigen, war die Abhängigkeit von MPFs der langfristigen Konsolidierung staatlicher Sicherheitsapparate keineswegs dienlich. Im Gegenteil: Da sich ärmere Staaten diese Firmen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum leisten konnten, flammte der Gewaltkonflikt nach deren Rückzug meist in alter Intensität wieder auf. Es ist wenig wahrscheinlich, dass MPFs an einer wirklichen und nachhaltigen Lösung von Gewaltkonflikten interessiert sind, da sie sich dadurch ihrer eigenen Existenzgrundlage berauben würden. Zerfallende Staaten, die dazu gezwungen waren, immer wieder auf die Hilfe von MPFs zurückzugreifen, fanden sich vielmehr bald in einem gefährlichen Kreislauf der Gewaltreproduktion wieder: Um die MPFs bezahlen zu können, wurden Rohstoffe durch Konzessionsvergabe der Volkswirtschaft entzogen. Dadurch nahm die Armut im Land jedoch zu, was wiederum neues Konfliktpotenzial schaffte bzw. bestehendes verschärfte, und somit die zukünftige Abhängigkeit der Regierung von MPFs weiter untermauerte.

Nicht nur Söldner und MPFs, auch private Sicherheitsfirmen haben eine tendenziell gewaltfördernde Funktion, da ihre Ausbreitung das Gefühl gesamtgesellschaftlicher Unsicherheit mittel- bis langfristig erhöht. Sie befreien Regierungen in aller Regel von der kostspieligen Erfordernis, eigene – also öffentliche – Sicherheitskräfte auf- oder auszubauen. Das Gut Sicherheit verwandelt sich so von einem allgemeinen Grundrecht zu einer Ware, die sich nur wenige leisten können.18 Gerade in instabilen Post-Konflikt-Gesellschaften birgt eine solche Entwicklung womöglich ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial.

Die Regelungen im Internationalen Recht sind derzeit nicht geeignet, die Privatisierung und Kommerzialisierung staatlicher Gewaltfunktionen wirksam einzudämmen. So waren sowohl die von Laurent Gbagho angeheuerten Piloten, als auch die Angestellten von EO und Sandline zwar Söldner nach den Kriterien der Genfer Konvention. Da sie alle für afrikanische Regierungen im Landesinneren arbeiteten, fiel ihr Gebrauch jedoch nicht unter die Bestimmungen der CEMA. Nach der seit 2001 gültigen Anti-Söldner Konvention der VN wäre ein derartiger Einsatz von Söldnern zwar dennoch verboten, allerdings sind bisher weder die Elfenbeinküste noch Angola und Sierra Leone diesem Abkommen beigetreten.

Obwohl sich die private Sicherheitsindustrie zunehmend internationalisiert und militarisiert, bleibt sie im Internationalen Recht praktisch unsichtbar. Die Angestellten dieser Firmen werden meist vor Ort und nicht mit der speziellen Absicht, aktiv an Kampfhandlungen teilzunehmen, angeworben. Sie sind somit weder Ausländer noch Kombattaten im herkömmlichen Sinn und deshalb auch keine Söldner im rechtlichen Sinn. Gleichwohl können Sicherheitsfirmen gerade in Kriegs- und Krisengebieten schnell in größere Gefechte verwickelt werden. Während des Einsatzes selber kann die Grenze zwischen defensivem und offensivem Verhalten – und damit der qualitative Unterschied zwischen Sicherheitsfirmen und Söldnerfirmen – also leicht verschwimmen.

Wirkliche Fortschritte bei der rechtlichen Eindämmung des Söldnertums und der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika konnten bisher nur vereinzelt und auf nationaler Ebene gemacht werden. So erließ die Regierung Südafrikas 1998 ein Gesetz, das südafrikanischen Staatsbürgern nicht nur untersagte, als Söldner tätig zu werden, sondern auch sich von Sicherheitsfirmen in bewaffneten Konflikten anstellen zu lassen. Ein Jahr später sah sich EO gezwungen, alle Geschäfte einzustellen. Zur Zeit wird im südafrikanischen Parlament über eine Verschärfung dieses Foreign Military Assistance Act diskutiert nach der selbst Ausländer mit Verbindungen zu Söldner- und Sicherheitsfirmen in Kriegsgebieten bei einem Aufenthalt in Südafrika der Prozess gemacht werden könnte.

Schlußbetrachtung und Ausblick

Die hohen Kosten von MPFs haben die meisten afrikanischen Staaten in den letzten Jahren davon abgehalten, derartige Dienstleistungen einzukaufen. So sah sich im April 2004 auch Sandline aufgrund der schlechten Auftragslage zur Firmenauflösung gezwungen. Es scheint als verpflichten die Kriegsparteien Afrikas inzwischen lieber billigere Söldnerbanden. Ehemalige Mitarbeiter von MPFs wechselten entweder in den wachsenden Sicherheitsmarkt oder beteiligten sich an klandestinen Söldneroperationen. So war einer der führenden Köpfe des geplanten Staatsstreiches in Äquatorial-Guinea, Simon Mann, ein Mitbegründer von sowohl EO als auch Sandline.

Zweifellos besteht ein großer Bedarf an weiteren Forschungsvorhaben zur Untersuchung der Auswirkungen von Söldnern und Sicherheitsfirmen auf schwache Staaten. Vieles deutet darauf hin, dass die langfristigen gesellschaftlichen Folgen zur Förderung von Gewaltkonflikten beitragen. Der schleichenden Legitimierung dieser Gewaltmärkte müsste dann – nach dem Vorbild der südafrikanischen Gesetzgeber – entschieden entgegengewirkt werden. Oberste Priorität wäre es, bei gleichzeitiger Kriminalisierung des Söldnertums bzw. privater Gewaltakteure in Konfliktgebieten, afrikanische Staaten dazu zu befähigen, wirksame Strukturen zur Herstellung öffentlicher Sicherheit aufzubauen, die demokratisch legitimiert und internationalen Standards verpflichtet sind.

Anmerkungen

1) Vgl. Artikel 47 im Zusatzprotokoll 1 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikt.

2) Vgl. Guy Arnold (1999): Mercenaries: The Scourge of the Thirld World. Palgrave Macmillan.

3) Vgl. Peter W. Singer (2004): War, Profits, and the Vacuum of Law. Columbia Journal of TransnationalLaw.Vol. 42. Nr. 2. S. 529.

4) Ebd. S. 524.

5) Caroline Holmqvist (2005): Private Security Companies: The Case for Regulation.SIPRI Policy Paper No. 9. Januar. S. 50.

6) Abdel-Fatau Musah & J. Kayode Fayemi (2000): Mercenaries: An African Security Dilemma. Pluto Press. S. 265-274.

7) Vgl. The International Institute for Strategic Studies (IISS) (1996): The Military Balance 1996/7. Oxford University Press. S. 310-311.

8) Vgl. Anna Leander (2003): The Commodification of Violence, Private Military Companies and African States. COPRI Working Paper 11/2003. S. 4.

9) IISS (2004): The Military Balance 2004/5. Oxford University Press.

10) Kevin A. O’Brien (2000): Private Military Companies and African Security 1990-98. In Musah & Fayemi. 2000. S. 50.

11) Vgl. Alex Vines (2000): Mercenaries, Human Rights and Legality. In Musah & Fayemi. 2000. S. 169.

12) Vgl. Patrice Dutertre (2005): Die Neuen Söldner. Dokumentarfilm. Frankreich.

13) Vgl. Peter W. Singer (2003): Corporate Warriors. Cornell University Press.

14) Vgl. Khareen Pech (1999): Executive Outcomes – A corporate conquest & Ian Douglas: Fighting for diamonds – Private military companies in Sierra Leone. In Jakkie Cilliers & Peggy Mason (Eds.) (1999): Peace, Profit or Plunder? Institute for Security Studies (ISS).

15) Peter Lock (1999): Africa, Military Downsizing and the Growth in the Security Industry. In Cilliers & Mason (1999).

16) Vgl. Holmqvist (2005): S. 42.

17) Anna Leander (2003): S. 6.

18) Vgl. Peter Lock (2000): Söldner und Rebellen: Zur Rolle der Gewalt in afrikanischen Ökonomien. In Internationales Afrikaforum. Vol. 36. Nr. 1.

Marc von Boemcken ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bonn International Center for Conversion (BICC)

Gewaltsame Konflikte in Somalia:

Gewaltsame Konflikte in Somalia:

Lehren aus einem Dutzend gescheiterter Friedensprozesse

von Thania Paffenholz

Alle Bemühungen, Frieden in Somalia zu schaffen, sind bislang gescheitert. Das, obwohl im Land am Horn von Afrika schon fast alle Optionen der zivilen und militärischen Konfliktbearbeitung zur Anwendung kamen: Von der militärischen Intervention, über Vermittlung durch internationale Akteure wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Union oder die Staaten der Region (Äthiopien, Ägypten, Kenia) sowie zuletzt durch die Regionalorganisation »Intergovernmental Agency for Development« (IGAD). Weiterhin hat es zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen gegeben sowie verschiedene Versuche, Frieden durch traditionelle Akteure wie Ältestenräte zu erzielen. Letztere waren erfolgreich in der Befriedung des nordwestlichen Teils Somalias, Somaliland. Hier herrscht seit fast zehn Jahren Frieden und die Region befindet sich im Wiederaufbau. Leider ist es nicht gelungen, dieses Erfolgsmodell auf den Rest Somalias zu übertragen. Denn seit 1991 ist Somalia de facto und de jure ohne einen Staat.

Ziel des vorliegenden Artikels ist es, die Gründe dieses Scheiterns der vielen Friedensbemühungen zu analysieren, um Vorschläge für weitere Bemühungen in Somalia zu entwickeln.

Krieg und Frieden in Somalia

Der bewaffnete Kampf in Somalia begann bereits 1988 mit dem Kampf von Widerstandsgruppen in Somaliland gegen den Zentralstaat im Süden.1 Dem langjährigen Diktator Somalias Siad Barre war es nicht gelungen, die ehemalige britische Kolonie Somalialand gleichwertig in den somalischen Staatsverbund zu integrieren. Das Machtzentrum im Staat lag in den Regionen um die Hauptstadt Mogadischu im Süden. Somaliland und seine Klans wurden benachteiligt. Dies führte zu Widerstand gegen den Staat, den die nationale Armee mit massiver Gegengewalt beantwortete.

Vom Anti-Regime Krieg zum Kampf um die Macht

Anfang der 90er Jahre weitete sich der bewaffnete Kampf auf den Süden aus: 1991 rückten verschiedene Widerstandsgruppen auf die Hauptstadt zu und zwangen den Diktator Barre das Land zu verlassen. Somaliland erklärte daraufhin seine Unabhängigkeit, die allerdings bis heute international nicht anerkannt wird. In Somaliland vermittelten die Klanältesten im Friedensprozess, der 1994 erneut von blutigen Kämpfen unterbrochen wurde. Nach einem erneuten Vermittlungsprozess der Ältesten wurde Somalialand dauerhaft befriedet und ist nunmehr ein klassisches Nachkriegsland/region.

1992 weitete sich der bewaffnete Kampf im Süden aus, da die verschiedenen Gruppen sich nicht auf eine für alle interessante Verteilung der Macht im Staat, einigen konnten. So entstand ein Kampf um die Macht in einem Staat, der nicht mehr existierte.

Die Kombination von Hungersnot und Krieg zog das Interesse der internationalen Medien auf Somalia. Die USA intervenierten zum Schutz der Hilfskonvois vor Plünderungen. Die anschließende UN-Mission, UNOSOM, erhielt auch ein weitreichendes politisches Mandat zur Befriedigung des Landes. Mehrere Verhandlungen mit den verschiedenen Warlords fanden im Laufe der Jahre statt. Alle scheiterten.

Mehr als ein Dutzend gescheiterter Friedensinitiativen

1995 verließen die VN ohne Erfolg Somalia (siehe dazu Diehl 2003, Sahnoun 1994, Rahmesh 1994). Die Europäische Kommission setzte einen Sonderbotschafter für den politischen Prozess in Somalia ein und unternahm in den darauf folgenden Jahren verschiedene Versuche, eine politische Regelung für Somalia zu erreichen (Paffenholz 1998). Ab 1997 bemühten sich die Staaten der Region, nämlich Äthiopien, Ägypten und Kenia, um eine politische Regelung. Zu den vermittelnden Akteuren stieß von europäischer Seite noch Italien hinzu, die ehemalige Kolonialmacht im Süden Somalias.

Nachdem alle Friedensinitiativen gescheitert waren, begannen die internationalen Akteure ab 1997 sich mehr auf zivilgesellschaftliche Akteure zu konzentrieren (näheres Paffenholz 2003). Dabei zeigte sich das Problem, das es wenig klan-unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen gab. Dennoch ist es damals gelungen, eine neue Dynamik für Friedensförderung zu schaffen, die nicht mehr allein auf die Warlords abzielte.

Während bis Mitte der 90er Jahre die Warlords die dominanten Kräfte im Land waren, setze nach dem Rückzug von UNOSOM eine Machtverschiebung ein: Der Anti-Regime-Krieg wandelte sich ab 1991 zunächst in einen Krieg zwischen den größeren Klans vor allem im Süden Somalias, dann in bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb dieser Klans bzw. zwischen Unterklangruppen (Sub-Sub-Clans). Dadurch wurde die Macht der Klans geschwächt. An ihre Stelle traten vor allem die Geschäftsleute, die zunehmend Milizen der Klans für ihre Sicherheit und den Schutz ihrer Interessen rekrutierten. Auch traten zivilgesellschaftliche Akteure stärker hervor, aber nicht vergleichbar mit dem Geschäftssektor (siehe Menkhaus 2003).

Neue Friedensinitiativen stellen die Klans in den Mittelpunkt

Im Jahre 2000 begann auf Initiative der Regierung in Djibuti ein neuer Friedensprozess, der Vertreterinnen und Vertreter der vielen somalischen Klans in den Mittelpunkt rückte und die Warlords ausschloss. In mehrere Monate dauernde Verhandlungen entstand daraufhin eine neue somalische Übergangsregierung (Transitional National Government, TNG). Somaliland hielt sich im Wesentlichen fern vom diesem Prozess. Obwohl einige internationale Akteure die neue Regierung politisch (VN) und finanziell (Golfstaaten) unterstützten, gelang es dieser aber nicht, ihren Herrschaftsbereich über einen Teil der Hauptstadt Mogadischu hinaus auszuweiten (siehe International Crisis Group 2002).

Die Regionalorganisation IGAD lancierte unter Führung von Kenia im Jahr 2002 einen neuen Friedensprozess. Dieser basierte auf dem Djibuti-Prozess und stellte ebenfalls die Klans in den Mittelpunkt, bezog aber auch die Warlords mit ein. Mehrere Verhandlungsrunden in Kenia führten zur Unterzeichnung von Waffenstillstandsabkommen, zuletzt im Juli 2003. Erneute Kämpfe im Süden des Landes untermauern, dass auch dieser Prozess höchst instabil ist (siehe Terlinden 2003).

Warum sind alle Friedensbemühungen bislang gescheitert?

Hier liegen die Wurzeln des ursprünglichen Anti-Regime Krieges Ende der 80er Jahre. Die Gründe sind aber nach wie vor relevant und erklären, warum Somaliland sich von allen nationalen Friedensregelungen bisher fern gehalten hat.

Hinzukommt, dass die große Macht des einstigen Zentralstaates zu einer wesentlichen Blockade aller Friedensbemühungen wurde. Obwohl jeder der beteiligten somalischen Akteure dezentralisierten Strukturen zustimmt, bleibt aufgrund der Historie eine Konkretisierung schwierig.

Um seine Macht abzustützen, hatte Siad Barre ein komplexes, klientelistisches System basierend auf den alten Klanstrukturen aufgebaut. Dies führte dazu, dass die Entstehung eines modernen politischen Staates blockiert wurde, da immer wieder die Interessen der Klans statt anderer Interessensverbände gestärkt wurden. Diese Entwicklung schürte Rivalitäten unter den Klans und hat den Aufbau klan-unabhängiger Strukturen verhindert, was bis heute eine Blockade für den Friedensprozess im Süden darstellt.

Divergierende Interessen der Regionalstaaten

Obwohl viele Vermittlungsinitiativen in der Regel auch viele Optionen für den Frieden bergen, sind im Falle Somalias die divergierenden Interessen, vor allem der Regionalstaaten, für den Friedensprozess insgesamt nicht von Vorteil gewesen. Äthiopien unterstützt beispielsweise lange Zeit nur eine bestimmte Gruppe von somalischen Warlords und positionierte sich gezielt gegen andere. Damit wurde vor allem von 1997 bis 2000 mehr Konflikte geschürt als geregelt. Dies liegt am ambivalenten Verhältnis Äthiopiens zu seinem Nachbarn Somalia. Denn Äthiopien war in der Zeit von Siad Barre Opfer der somalischen regionalen Hegemonialansprüche. Siad Barre wollte alle somalisch-sprachigen Terroritorien in der Region zu einem »Greater Somalia« zusammenführen. Dies betraf Teile von Nordkenia sowie den Süden Äthiopiens (Region 5). In einem Feldzug wurde deshalb die Region 5 Äthiopiens von der somalische Armee kurzzeitig besetzt. Die Staatenlosigkeit Somalias bietet für Äthiopien mehrere Vorteile. Zunächst ist, wie oben erläutert, ein nicht- handlungsfähiger Staat ohne Armee keine Bedrohung. Des Weiteren konnte Äthiopien seine Kontrolle der bewaffneten äthiopischen Opposition aus dem Ogaden, die in Somalia über Basen verfügten, militärisch ausdehnen. Denn keiner protestierte als die äthiopische Armee nach dem Abzug der VN Schritt für Schritt nach Somalia einzog und weite Teile der Grenzregion mit dem Süden besetzte.2

Kenia verfolgte eine ambivalente Politik gegenüber Somalia. Grundsätzlich besteht aus demselben Grund wie im Falle Äthiopien keine sehr positive allgemeine Einstellung gegenüber Somalia. Dies wird noch verstärkt, da Kenia die Hauptlast der somalischen Flüchtlinge trägt. Die kenianische Regierung ist daher einerseits an einer Friedensregelung für Somalia interessiert und hofft auf eine Rückführung der Flüchtlinge.

Auch Ägypten spielte eine ambivalente Rolle. Einerseits wollte es sich durch eine erfolgreiche Friedensregelung in Somalia als Führungsmacht in der Region etablieren und den Einfluss der Arabischen Liga im Horn von Afrika steigern. So entstand eine Rivalität um die regionale Führung zwischen Äthiopien und Ägypten. Dies führte dazu, dass Ägypten gezielt solche somalischen Kriegsparteien unterstützte, die nicht von Äthiopien unterstützt wurden. Dies schürte den Konflikt weiter.

Hinzukommen auch Rivalitäten zwischen den IGAD Staaten um die Führung in den regionalen Friedensprozessen.

So entstand aus vielen Vermittlungsbemühungen ein Nullsummenspiel für den Frieden!

Mangelhafte Vermittlungsstrategien

Alle Vermittlungsstrategien vor Djibuti waren wenig an die realen Bedingungen in Somalia angepasst. Der Fokus wurde viel zu lange auf die zersplitterten Warlord Fraktionen gelegt. Zu wenig wurden Alternativen ausgelotet wie beispielsweise der Fokus auf die Klans, die Zivilgesellschaft, die Diaspora oder die Geschäftswelt. Obwohl in einigen Teilen Somalias immer wieder Zonen des Friedens etabliert worden sind (am deutlichsten im Norden), wurde darauf wenig zurückgegriffen für die weitere Befriedung des Landes.

Auch waren und sind die vermittelnden Staaten viel zu sehr auf das Konzept eines somalischen Gesamtstaates fixiert. Friedensförderung wird mit Neugestaltung von Staatlichkeit gleichgesetzt (siehe Menkhaus 2003). Zwar werden seit Beginn der von der Europäischen Kommission 1996 initiierten Diskussion um dezentrale Strukturen (siehe London Scholl 1996), die bis zum heutigen Tage von allen Beteiligten gutgeheißen, doch wurden solche Strukturen ausschließlich innerhalb eines Gesamtstaates weitergedacht. Real ist es aber unklar, wie dieser Staat – fern der formalen Regelungen – funktionieren wird. Daher optieren viele somalische Gruppen lieber für eine klare und schwierige Gegenwart, als für eine unsichere Zukunft.

Einige Nicht-Regierungsorganisationen, allen voran das schwedische »Life and Peace Institute« (LPI), unterstützten schon seit Beginn der Auseinandersetzungen immer wieder die somalische Zivilgesellschaft (Pfaffenholz 2003). LPI machte auch Lobby- und Advocacy-Arbeit für den Einbezug der Zivilgesellschaft in den Friedensprozess in verschiedenen internationalen Gremien. Nach einer kurzen Phase eines parallelen Warlord/zivilgesellschaftlichen Prozesses 1993/94, den die VN zusammen mit LPI durchführten, fokussierten die VN und andere Vermittler wieder auf die Warlords (siehe Sahnoun 1994). Erst als alle diese Friedensbemühungen gescheitert waren, richteten die Vermittler ab 1996 ihr Augenmerk auf die Zivilgesellschaft (Djibuti-Prozess). Der aktuelle IGAD-Prozess unter kenianischer Führung versucht die verschiedenen Gruppen mit einzubeziehen, wobei der Schwerpunkt bei den Warlords liegt und das Konzept des Einbezugs der Zivilgesellschaft nicht ausgereift ist.

In all den Jahren mangelte es zudem an einer Gesamtstrategie für den somalischen Friedensprozess. Erst mit dem aktuellen Prozess wurde dieses Versäumnis nachgeholt. Doch auch der aktuellen Strategie unter dem erfahrenen kenianischen Vermittler Bethuel Kiplagat mangelt es an einem Gesamtkonzept für den Einbezug der Zivilgesellschaft, das sich an konstruktiven Erfahrungsmodellen aus anderen Ländern orientiert. Ebenfalls mangelt es an einer klaren Vision für die Zukunft Somalias nach dem Krieg.

Eigendynamik: Konfliktverschärfende Faktoren

Bewaffnete Konflikte und Kriege sind keine neue Form der Auseinandersetzung unter den somalischen Klans. Von jeher haben die unterschiedlichen Nomadenklans ihre Weidegründe verteidigt, wenn es aus ihrer Sicht nötig war auch gewaltsam.

Auch zeigt sich, dass der Großteil der somalischen Bevölkerung einigermaßen gut überleben kann im Krieg. Dies liegt neben der lokalen Begrenztheit der Auseinandersetzungen vor allem an der großen somalischen Diaspora im Ausland, die die Daheimgebliebenen mitfinanziert. Hier hat sich eine Art Diasporaklientelismus entwickelt. Zu einem geringen Anteil leben Somalis auch von den Einnahmen aus der Hilfsindustrie.

Im Laufe der Jahre haben sich viele Somalis mit dem Zustand der Staatenlosigkeit gut arrangiert. In einer Gesellschaft ohne Staat entfallen Dinge wie Zoll, Steuern oder die staatliche Regulierung des Marktes, was auch Vorteile für die Geschäftswelt hat. Beispielsweise verfügt Somalia über eines der modernsten Telekommunikationssysteme der Welt. Somalia ist deshalb ein interessanter Fall von konsequenter Marktwirtschaft. Mit der Weiterentwicklung der somalischen Ökonomie scheint die Staatenlosigkeit allerdings nicht mehr größere Vorteile zu bringen. Denn die Geschäftsleute in Somalia investieren viel Geld in den Schutz ihrer Investitionen. Sie rekrutieren beispielsweise Milizen und finanzieren Gerichte (Sharia Courts) zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit. Dass die Staatenlosigkeit von vielen Somalis immer noch als ein Vorteil gesehen wird, liegt vor allem in der Unsicherheit über die Gegebenheiten in einem zukünftigen Staat und stellt damit eine Blockade für den Friedensprozess dar (siehe Menkhaus 2003). Diese Haltung blendet systematisch die Nachteile der Staatenlosigkeit aus: Somalia ist international nicht vertreten, und niemand nimmt die Rechte des somalischen Staates wahr. So fischen beispielsweise koreanische und japanische Konzerne mit ihren Flotten die somalischen Küstengewässer leer, einige internationale Firmen laden hemmungslos radioaktiven Müll an der Küste ab. Für den Friedensprozess ist es deshalb wichtig, dass die Nachteile der Staatenlosigkeit den verschiedenen Interessensgruppen klarer vermittelt werden und Vorteile für die Geschäftswelt innerhalb eines Staates aufgezeigt werden.

Ein weiterer konflikteskalierender Faktor liegt in der Art und Weise wie an vielen Orten die Humanitäre Hilfe vergeben wurde. Obwohl die Arbeit des »Somalia Aid Coordination Body« (SACB) eine wichtige Koordinationshilfe für die internationalen Geber darstellt, ist es insgesamt nicht gelungen, die vergangene Fehler der humanitären Hilfe in Somalia zu überwinden.

In Somalia nahm die höchst problematische Tradition des bewaffneten Schutzes von Hilfskonvois und Hilfsprojekten Anfang der 90er Jahre ihren Anfang und hat sich gewohnheitsmäßig verstetigt. Denn so wurde ein neuer Arbeitszweig für bewaffnete junge Männer eröffnet, die keine andere Ausbildung erhalten hatten. Da der Schutz von Hilfsprojekten zu einer Einkommensbeschaffungsmaßnahme geworden war, kam es immer wieder dort, wo sich die Sicherheitslage verbessert hatte, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diese zielten darauf zu verdeutlichen, dass der bewaffnete Schutz nach wie vor notwendig ist. In anderen Fällen bekriegten sich die bewaffneten Schutztruppen der einzelnen Hilfs-Agenturen gegenseitig, da sie zu unterschiedlichen Klans gehörten.

Konkrete Vorschläge für den weiteren Friedensprozess

Wichtig ist jetzt trotz erster Rückschläge am Konzept des IGAD Friedensprozesses unter kenianischer Führung festzuhalten. Es bedarf aber einer Weiterentwicklung der Gesamtstrategie. Diese muss zu allererst um die Erarbeitung einer klaren Vision für ein Nachkriegs-Somalia angereichert werden. Hierzu bedarf es eines Prozesses, der alle relevanten Akteure auch auf der lokalen Ebene mit einbezieht. Die jetzige Form ist nicht ausreichend. Dies heißt nicht, dass alle Akteure mit am Verhandlungstisch sitzen müssen. Es geht vielmehr darum, geeignete Mechanismen und Prozesse der Rückkoppelung in beide Richtungen zu schaffen. Wichtig ist dabei, dass ein solcher Prozess mit Advocacy für diese Vision begleitet wird. Ziel ist es, Unsicherheiten und Zweifel über die konkrete Ausgestaltung der Zukunft Somalias bei den relevanten Interessengruppen zu beseitigen.

Der aktuelle Friedensprozess hat den Warlords wieder viel Macht im Prozess gegeben. Dies entspricht nicht mehr den realen Machtverhältnissen in Somalia. Der Einbezug der Warlords als größte potentielle und aktuelle »Spoiler« ist aber dennoch wichtig. Jedoch ist genauso zentral, wie der Einbezug der anderen Akteure geregelt ist und welche Legitimität diese Akteure haben. Dazu muss der Einbezug der Zivilgesellschaft auf eine transparente und legitime Basis gestellt werden und durch einen offiziellen Diskurs in Somalia abgestützt werden (siehe vorheriger Punkt).

Aufgrund der historischen Erfahrungen der somalischen Akteure mit einem Gesamtstaat gilt es in einer Vermittlungsstrategie zu vermeiden, die Perspektive unmittelbar auf die Schaffung eines Gesamtstaats zu richten. Dies entspricht einer westlichen Logik vom demokratischen, dezentralen Verfassungsstaat. Interessanterweise sind aber die meisten europäischen dezentralen Staaten wie beispielsweise die Schweiz oder auch Deutschland gar nicht so entstanden: Diese Staaten entstanden durch das stückweise, nacheinander Zusammenwachsen verschiedener Einzelgebilde, die sich aus gemeinsamen Interessen zusammenschlossen. Dieses Modell der »Building Blocks« wurde Ende der 90er Jahre im somalischen Kontext auch diskutiert, dann aber teilweise wieder fallengelassen. Die Frage muss ernsthaft gestellt werden, inwieweit ein solches Modell nicht einmal in ganzer Konsequenz durchdacht werden sollte. Tut man dies, so müsste Somaliland die staatliche Anerkennung und die offizielle Vertretung Somalias in den VN gewährt werden, mit einer Klausel, die den Beitritt anderer Teilgebilde Somalias zum somalischen Staat vorsieht. Ebenfalls würde eine solche Konstruktion besondere Regelungen zum Schutz vor Dominanz der später beitretenden Gebiete vor der Gründungsregion Somalialand nötig machen. Auch müsste ein solcher Staat internationale Schutzgarantien erhalten. Es wäre interessant zu sehen, ob ein solcher Schritt nicht einen friedenspolitischen Sog auf andere Regionen ausüben würde. Der Vorschlag hört sich auf den ersten Blick ungewöhnlich an. Doch birgt er wenige Risiken. Scheitert er, erhielte Somaliland die staatliche Anerkennung, was langfristig ohnehin schwer zu vermeiden ist, wenn die Situation im Süden sich nicht verbessert.

Literatur

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Websites: www.crisisweb.org

Anmerkungen

1) Zur politischen Entwicklung in Somalia siehe die Dokumentation der IGAD: sowie die Reports der International Crisis Group (ICG) unter www.crisisweb.org/projects/project.cfm?subtypeid=31

2) Der genaue Zeitpunkt des Beginns der Besetzung ist schwierig zu benennen, da er schleichend von statten ging und die äthiopische Regierung die Tatsache in internationalen Gremien lange leugnete.

Dr. Tanja Paffenholz lehrt Entwicklungs- und Friedenspolitik am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Bern in der Schweiz und unterhält das politische Beratungsbüro »Peacebuilding Research and Advice« ebenfalls in Bern. Sie war von 1996 bis Ende 1999 friedenspolitische Beraterin der Europäischen Kommission in Somalia. Eine längere Version des vorliegenden Artikels wurde im September verfasst für eine Veröffentlichung beim Afrika-Kunde Institut in Hamburg.