Schwarze Ohnmacht – Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht

Schwarze Ohnmacht – Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht

von Klaus Schlichte, Dirk Hansohm und Peter Körner

zum Anfang | Kriege und Konflikte in Afrika

von Klaus Schlichte

Die »Chaosmacht Afrika« sorgt seit der Dekolonisationsphase für die gleichen Schlagzeilen: Hunger, Krieg, Flüchtlingselend und Despotismus scheinen die herausragenden Besonderheiten afrikanischer Gesellschaften zu sein. Das Ende der kolonialen Epoche hat daran nichts geändert. Weder konnten im subsaharischen Afrika1 die Entwicklungsträume der sechziger Jahre verwirklicht werden, noch haben sich die nachkolonialen Staaten zu wirklichen Nationalstaaten entwickeln können. Das Charakteristikum des Kriegsgeschehens auf dem afrikanischen Kontinent wie anderswo ist, daß zwischenstaatliche Kriege an Bedeutung verloren haben, während innenpolitische Konflikte sich häufig zu Bürgerkriegen entwickeln. Das ist keineswegs in allen afrikanischen Staaten der Fall, doch die Staaten, deren Geschichte seit 1960 ohne Kriege, Revolten und ethnische Massaker verlaufen ist, können in der Tat fast an einer Hand abgezählt werden: Botswana, Benin, Côte d'Ivoire, Ghana und die Inselstaaten der Kapverden, Sao Tomé und Principe beispielsweise blieben bisher von größeren gewaltsam ausgetragenen Konflikten verschont.

Doch dieser Abriß soll nicht die Vielzahl der gewaltsamen Eskalationen in der nachkolonialen Geschichte Afrikas südlich der Sahara behandeln, sondern lediglich einen Überblick über die am Ende des Jahres 1993 laufenden Kriege geben. Zu diesem Zeitpunkt fanden in dieser Region 14 Kriege statt, den Bürgerkrieg in Algerien dabei allerdings eingeschlossen.2 Ergänzend zu kurzen Beschreibungen dieser Kriege findet sich am Ende des Beitrags eine Auflistung weiterer sechs innenpolitischer Konflikte, deren Einschätzung als »Krieg«3 nach Angaben der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung« (AKUF), Universität Hamburg, noch zweifelhaft ist. Denn gemäß der verwendeten operationalen Definition können gewaltsam ausgetragene Massenkonflikte nur dann als Kriege gelten, wenn es sich bei mindestens einer der kampfbeteiligten Parteien um reguläre Streitkräfte einer Regierung handelt, wenn beide Seiten mit einem Mindestmaß an zentraler Organisation agieren und wenn die bewaffneten Zusammenstöße mit einer gewissen Kontinuität auftreten.

Neben dem durch die internationale Intervention bekannt gewordenen Krieg in Somalia gibt es eine Reihe von Kriegen auf dem afrikanischen Kontinent, die ihrer langen Dauer wegen ebenfalls einem breiteren Publikum zumindest ihrem Schauplatz nach bekannt sind. Hierzu zählen die Kriege in Angola und Mosambik, Sudan und Tschad, aber auch der Anti-Apartheids-Krieg in der Republik Südafrika.

Angola

Die Konflikte in den ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik weisen in einiger Hinsicht Parallelen auf. Nach dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches, zu dem die Befreiungskriege in den Kolonien wesentlich beitrugen, erhielten die dortigen Ereignisse einerseits deshalb eine besondere Brisanz, weil sie in unmittelbarer Nähe zu den fortdauernden Dekolonisationskriegen im südlichen Afrika stattfanden (Namibia, Südafrika, Rhodesien). Zum anderen standen schon die Staatsgründungen Mosambiks und Angolas unter dem Stern des Ost-West-Konflikts, der eine wesentliche Bedingung für die Persistenz der Bürgerkriege in diesen Ländern war. Im Sommer 1975 brach in Angola der Krieg zwischen den Befreiungsbewegungen noch vor der offiziellen Erlangung der Unabhängigkeit aus. Schon zu diesem Zeitpunkt hatten die weltpolitischen Mächte ihre Karten verteilt: Während die MPLA4 weiterhin von der Sowjetunion und Kuba Unterstützung erfuhr, lieferten die USA und die Republik Südafrika Waffen an die UNITA und FNLA. Diese Konstellation dauerte bis zum Ende der achtziger Jahre fort, um zwischenzeitig zu der weltpolitischen Absurdität zu führen, daß von US-amerikanischen Gesellschaften betriebene Ölförderanlagen von kubanischen Soldaten beschützt wurden, weil die Exporterlöse der MPLA-Regierung zugute kamen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes machte im südlichen Afrika aber nicht nur die Unabhängigkeit Namibias möglich, sondern erlaubte auch ein Ende des Krieges in Angola. Die UNITA erkannte jedoch den im September 1992 erlangten Wahlsieg der MPLA nicht an. Nach nur eineinhalb Jahren Waffenruhe wurde der Krieg im Oktober fortgesetzt. Mittlerweile hat die UNITA jedoch auf die offizielle externe Unterstützung aus den USA und durch Südafrika verzichten müssen. Doch soll die UNITA nach wie vor von privaten südafrikanischen Kreisen und von Zaire unterstützt werden.

Angola zählt infolge des nunmehr über dreißigjährigen Kriegszustandes zu den am stärksten von Kriegsfolgen betroffenen Ländern der Welt. Noch am Ende des Jahres 1993 fordert dieser Krieg pro Woche Tausende von Opfern.

Auch während der kurzen Waffenruhe in Angola blieb dort ein Landesteil weiter umkämpft: in der ölreichen Enklave Cabinda führt eine Sezessionsbewegung einen bislang erfolglosen Guerillakrieg. Diese Bewegung hat sich vor allem durch Bombenanschläge und die Entführung von Ausländern Gehör verschafft. Für das vom Krieg zerstörte Angola bleiben die Öleinnahmen aus der Enklave aber unabhängig vom weiteren Schicksal des Landes unverzichtbar.

Mosambik

Der Krieg in Mosambik fand durch die Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen der FRELIMO-Regierung und der RENAMO im Oktober 1992 ein vorläufiges Ende. Auch dieser Krieg wurde durch den Ost-West-Konflikt und seine Auswirkungen auf die Subregion des südlichen Afrika wesentlich verschärft. Die RENAMO war ursprünglich eine Kreation des rhodesischen Geheimdienstes, die dann von Südafrika unterhalten wurde. Ob der opferreiche Krieg in Mosambik dauerhaft beendet ist, muß noch bezweifelt werden. Bisher sind die kämpfenden Fraktionen weder kaserniert noch entwaffnet, und die von der RENAMO mit terroristischen Mitteln errichtete Kriegswirtschaft wird nur sehr schwer zu zivilen Formen zurückfinden können. Mehrere Millionen Mosambikaner sind vor dem Krieg in die Nachbarländer geflohen. Ihrer Remigration steht nicht nur eine völlig ruinierte Ökonomie entgegen, sondern auch die unbeseitigte Menge von 2,5 Millionen Landminen. Mosambiks Rückkehr zur Normalität wird länger dauern als geplant. Die für Oktober 1993 vorgesehenen Wahlen wurden bereits um ein Jahr verschoben.

Tschad

Auch die Regierung Idriss Deby konnte den seit 1966 im Kriegszustand befindlichen Tschad nicht befrieden. Stattdessen wird sie international vor allem wegen umfangreicher Menschenrechtsverletzungen kritisiert: Sie soll in zwei Jahren über 500 Hinrichtungen vollstreckt haben und über 1000 politische Gefangene festhalten. Neben Übergriffen von Polizisten auf Demonstranten ereigneten sich auch 1993 Massaker zwischen diversen »ethnischen Gruppen«, angeführt von amtierenden oder ehemaligen Mitgliedern der Staatsklasse. Eine internationale Dimension erhielt dieser Krieg nicht nur durch die großen Flüchtlingsbewegungen, die er auslöste, sondern auch durch den Anspruch Libyens auf den Aouzou-Streifen im Norden des Tschad, was zwischenzeitig Frankreich und die USA auf den Plan rief, die die wechselnden Regime in N'Djamena unterstützten.

Nach Versuchen, am Jahresbeginn 1993 mit einer Nationalkonferenz zur Befriedung des Landes zu gelangen, ist der Krieg mittlerweile wieder im vollen Gange: Seit August 1993 wird im Gebiet des Tschadsees gekämpft.

Sudan

Der seit 1983 geführte Krieg in den südlichen Landesteilen des Sudan, der schon einen von 1956 bis 1972 dauernden Vorläufer hatte, nahm in der jüngeren Vergangenheit insofern eine Wende, als die Regierungstruppen seit 1992 große Geländegewinne erzielen konnten. Die im Süden kämpfende Bewegung hatte sich 1991 gespalten, später kam es auch zu Kämpfen zwischen diesen Flügeln, so daß die Truppen der Zentralregierung rasch vordringen konnten. In diesem Krieg sind bisher über eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen, rund 3,5 Nationen sind in die Nachbarländer geflohen. Große Teile der Bevölkerung sind periodisch von Hungerkatastrophen bedroht.

Republik Südafrika

Auch die Auseinandersetzungen im Verlauf der Umwandlung des Apartheidsystems in der Republik Südafrika haben nach wie vor Kriegscharakter. Zwar hat der African National Congress (ANC) schon 1990 den bewaffneten Kampf gegen das Minderheitsregime suspendiert, der systematische Terror der konservativen Zulu-Organsation Inkatha gegen den ANC wird aber von Staatsorganen unterstützt. Mittlerweile gibt es Bündnisse zwischen Homeland-Führern und burischen Rechtsparteien, während die blutigsten Kämpfe zwischen Anhängern des ANC und der Inkatha stattfinden. Die Allianzen in diesem seit 1976 andauernden Krieg haben sich also verschoben, am Konfliktgegenstand, der Abschaffung des Apartheidsystems, hat sich jedoch nichts geändert. Über 14.000 Menschen kamen in diesem Krieg bisher ums Leben.

Somalia

Unter mindestens ebenso großer internationaler Beachtung entwickelte sich der Krieg in Somalia, vor allem seit Beginn der Intervention im Dezember 1992. Eine friedliche Regelung dieses Krieges wird vor allem dadurch erschwert, daß der somalische Staat schon seit geraumer Zeit aufgehört hat zu existieren. Der seit 1988 laufende Krieg hat die ohnehin stark fraktionierte somalische Gesellschaft ohne jede übergeordnete politische Institution zurückgelassen. Auch die von der internationalen Staatengemeinschaft getragene Intervention hat bisher keine tragfähigen Ansätze zu einer politischen Regelung des Konflikts erkennen lassen. Das weitere Schicksal Somalias ist schon insofern völlig ungewiß, als die territoriale Integrität des Landes durch die Proklamation eines unabhängigen »Somalilands« im Nordwesten in Frage gestellt ist.

Die vergessenen Kriege

Neben diesen international viel beachteten Kriegen gibt es auf dem afrikanischen Kontinent aber noch eine Vielzahl von Bürgerkriegen, über die in der deutschen Publizistik nur vereinzelt etwas zu erfahren ist. Die Auseinandersetzungen in der Casamance (Senegal), in Mali, Niger, Algerien, Liberia, Sierra Leone, Rwanda, Uganda, Äthiopien und Djibouti haben gleichwohl schon vor Jahren die Schwelle vom Konflikt zum Krieg überschritten.

Ein Beispiel für solch einen »vergessenen Krieg«, ist der Kampf unterschiedlicher Gruppen der Tuareg in der südlichen Sahara, von dem vor allem die Länder Mali und Niger betroffen sind. Die ökologische und ökonomische Degradation in den nördlichen Provinzen dieser Länder hat in den siebziger und achtziger Jahren zu Fluchtbewegungen nach Libyen, Algerien und in verschiedene westafrikanische Länder geführt. Von dort ausgewiesen, kehrten Ende der achtziger Jahre viele Tuareg nach Mali und Niger zurück, ohne dort indes verbesserte Bedingungen vorzufinden. Im Mai 1990 kam es in Niger schließlich erstmals zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Tuareg-Organisationen und Regierungstruppen, wenig später auch in Mali. Neben einer Verbesserung der Versorgung forderten die Tuareg den Abzug der Regierungstruppen aus ihren Siedlungsgebieten sowie Autonomiebestimmungen. Auch die demokratischen Umgestaltungen, die Mali und Niger zu Beginn der neunziger Jahre erfuhren, konnten die Kämpfe zunächst nicht beenden. Die traditionell hohe Mobilität der Tuareg und die Fluchtbewegungen infolge des Kriegsausbruchs haben den Konflikt zudem zu einem sicherheitspolitischen Problem für die Nachbarstaaten Algerien, Libyen und Mauretanien werden lassen. In Mali wurde 1992 zwar ein »Nationalpakt« von der neuen demokratischen Regierung und den Tuareg-Organisationen unterzeichnet, Anschläge auf Regierungseinrichtungen gab es aber weiterhin. Die starke Fraktionierung der Tuareg macht ein heftigeres Wiederaufflammen der Kämpfe durchaus möglich. Auch in Niger gingen die Kämpfe 1993 weiter.

Die Regierung in Algerien hat schon deshalb ein Interesse an der Regelung des Tuaregproblems, weil sie selbst in einen Krieg mit islamischen Fundamentalisten verwickelt ist. Mit über 250 Hinrichtungen allein im Jahr 1993 hat die Regierung versucht, auf die Attentatswelle der FIS zu reagieren, die sich vor allem gegen Intellektuelle und politische Funktionsträger richtet.

Durch die Unabhängigkeit Eritreas und das Ende des Krieges in der Provinz Tigray hat sich die innenpolitische Lage in Äthiopien zwar entspannt, doch als befriedet kann auch dieses Land nicht gelten. Nach großen Schwierigkeiten bei den Regionalwahlen und der demokratischen Umgestaltung im Sommer 1992 nahmen die Sezessionisten aus der Provinz Oromo den Kampf gegen die Zentralregierung wieder auf.

Im benachbarten Djibouti führt die Ethnie der Afar mit ca. 5000 Kämpfern einen Aufstand gegen das Regime. Dieses wurde zeitweilig von den USA und Frankreich militärisch und finanziell unterstützt. Die französischen Truppen, die zur Überwachung eines Waffenstillstands eingesetzt worden waren, wurden allerdings bis Ende 1992 wieder abgezogen. Die neu aufgerüstete Armee führte bis zum Sommer 1993 eine Offensive gegen die Aufständischen durch. Da die Ziele dieser Offensive aber nicht erreicht werden konnten, weil die Afar sich zunehmend auf Guerrillataktiken verlegten, gingen die Regierungsssoldaten im Spätsommer 1993 zunehmend zu Übergriffen auf Zivilisten über. 20.000 Menschen sind aus Djibouti nach Äthiopien geflohen, während die 120.000 somalischen Flüchtlinge in Djibouti dort etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Im ostafrikanischen Rwanda führt eine Rebellenorganisation seit Oktober 1990 Krieg gegen das amtierende Regime, das vorübergehend mit Kontingenten aus Zaire und Belgien unterstützt wurde. Nach wie vor befinden sich französische Soldaten in Rwanda, vorgeblich, um die dort lebenden französischen Staatsangehörigen zu beschützen. Die Rebellen rekrutieren sich vor allem aus Flüchtlingen, die sich seit den sechziger Jahren nach Uganda abgesetzt hatten. Im Verlauf des Konflikts schlugen sich aber auch andere Oppositionsgruppen auf ihre Seite, so daß der gemeinhin als ursächlich betrachtete Konflikt zwischen den Ethnien der Tutsi und Hutu kaum zur Erklärung dieses Krieges dienen kann. Auch in Rwanda hat der Krieg die innenpolitische Entwicklung verschärft. So mußte das Regime Juvénal Habyarimanas 1992 schließlich eine Beteiligung der Oppositionsparteien an der Regierung akzeptieren. Im August 1993 wurde unter Vermittlung der Nachbarstaaten und der OAU erneut ein Friedensabkommen unterzeichnet, dessen Erfolg allerdings abzuwarten bleibt. Noch im Herbst 1993 war das innenpolitische Klima in Rwanda durch Bombenanschläge und Attentate gekennzeichnet.

Der seit 1981 laufende Krieg in Uganda kann ebenfalls noch nicht als beendet betrachtet werden. Zwar gelang es der Regierung Museveni im Verlauf des Jahres 1992, die Aktivitäten von Rebellen und Banditen im Norden und Nordosten auf ein Minimum zu beschränken. Die innere Sicherheit blieb aber schon wegen der Rückwirkungen der Konflikte in den Nachbarstaaten Rwanda, Sudan und Zaire beeinträchtigt. Über eine halbe Million Menschen fanden im Verlauf des ugandischen Bürgerkriegs den Tod. Auch soll der Krieg wesentlich zur beschleunigten Ausbreitung von AIDS in Uganda beigetragen haben: Mehr als eine Million der 16 Millionen Einwohner sollen davon infiziert sein.

Im westafrikanischen Liberia herrscht seit Ende 1989 Krieg. Mittlerweile hat die Rebellengruppe, die von Côte d'Ivoire kommend das alte Regime angriff, rund zwei Drittel des Territoriums unter die Kontrolle ihrer »warlords« bringen können, während eine Interventionstruppe der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS, die sich vor allem aus Kontingenten der anglophonen Staaten zusammensetzt, die Hauptstadt Monrovia kontrolliert.5 Dort wurde eine Interimsregierung installiert, die nach einem vielversprechenden Abkommen im Sommer 1993 um Vertreter aller Kriegsparteien erweitert werden sollte. Die fortdauernden Kämpfe zwischen den Getreuen des alten Regimes und den Rebellen haben aber die Umsetzung des Abkommens bisher verhindert. Nigeria, das das größte Kontingent der ECOWAS-Eingreiftruppe stellt, hat inzwischen den Rückzug seiner Truppen zum März 1994 angekündigt. Die Erweiterung der Interventionstruppe um Kontingente aus Uganda, Zimbabwe, Tansania und Ägypten war zwar im Friedensabkommen im Sommer 1993 vereinbart worden, hat aber zum geplanten Zeitpunkt im Herbst nicht stattgefunden. Dennoch konstituierte sich Anfang Oktober 1993 das Übergangsparlament unter Beteiligung aller Kriegsparteien in der Hauptstadt, während auf dem Lande eine neue Welle von Plünderungen und Massakern an Zivilisten anhob.

Von den Auseinandersetzungen in Liberia sind auch die Nachbarstaaten Guinea und vor allem Sierra Leone betroffen. Die Übergriffe der Kämpfe auf das Territorium Sierra Leones haben dort die innenpolitische Krise so verschärft, daß es im April 1992 zu einem Militärputsch mit über hundert Todesopfern kam. Das neue, sich äußerst repressiv gerierende Regime machte durch Hinrichtungen vermeintlicher Putschisten von sich reden, erzielte aber militärische Erfolge gegen die mit den liberianischen Rebellen kooperierenden Aufständischen im eigenen Land.

Auch das gemeinhin als demokratisch bezeichnete Senegal kennt seit 1990 einen Guerillakrieg in der südwestlichen Provinz Casamance. Zwar hatte es schon 1991 ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Separatisten und der Zentralregierung gegeben, doch seit Mitte 1992 kam es zu erneuten Auseinandersetzungen. Eine friedliche Beilegung des Konflikts ist umso schwieriger geworden, als Teile der bewaffneten Separatisten sich der Kontrolle des politischen Teils ihrer Organisation entzogen zu haben scheinen.

Nachdem es 1989 in Senegal und Mauretanien Auseinandersetzungen zwischen Schwarzafrikanern und Mauren gegeben hatte, haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten zwar wieder verbessert. In Senegal lebende Exil-Mauretanier sollen sich aber in jüngerer Zeit ebenfalls zu bewaffneten Organisationen zusammengeschlossen haben, ohne daß dies indes bereits zu Angriffen auf mauretanisches Territorium geführt hätte.

Entstehende Kriege

Neben all diesen als Kriege zu bezeichnenden Konflikten in afrikanischen Staaten gibt es noch eine Reihe von innenpolitischen Entwicklungen, die bisher erst auf die Gefahr entstehender Kriege hindeuten.6 Dabei lassen sich zwei grobe Kategorien unterscheiden: Staaten wie Nigeria oder Burundi haben hinsichtlich ihrer ethnischen Diversität schlechte Erfahrungen hinter sich. Dort gibt es innenpolitische Konflikte im ethnischen Gewande trotz der politischen Bemühungen, sie einzudämmen.

In Zaire und Kenya hingegen sind es die autoritären Regime selbst, die ethnische Gegensätze zu ihrem Vorteil instrumentalisieren, während Demokratisierungsprozesse nur zur Währung der ohnehin bescheidenen Reste des internationalen Ansehens durchgeführt werden.

Burundi hatte gerade die wesentlichen Schritte zur demokratischen Umgestaltung absolviert, als am 21. Oktober 1993 durch einen Coup des Militärs die gerade viermonatige Herrschaft der demokratisch gewählten Regierung beendet wurde. Die auf ethnische Unterschiede reduzierten Gegensätze des Landes hatten schon in den Jahren 1972 und 1988 zu großen Massakern geführt. So gab es auch im Verlauf des Jahres 1992 im Nordosten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Militärs und der Zivilbevölkerung. Der Abbruch der Demokratisierung verhindert gerade den Prozeß, der weitere Gewalteskalationen langfristig vielleicht hätte unterbinden können: die Ausbildung eines politischen Systems, das die Gegensätze mit friedlichen Mitteln ausbalancieren könnte.

In Nigeria hat sich unter fortdauernder Militärherrschaft nicht nur in und zwischen den politischen Partien ein Klima der Gewalt breitgemacht. Auch die Willkür von Polizei und Armee und die Zunahme des organisierten Verbrechens veminderten die innere Sicherheit. Zu Beginn der neunziger Jahre hat es in Nigeria wiederholt gewaltsame Konflikte zwischen ethnischen und religiösen Gruppen um Land und andere Ressourcen gegeben. Möglichkeiten, diese Konflikte friedlich beizulegen, werden durch die repressive Politik des Regimes erschwert, das die Bildung und Artikulation von religiösen, regionalen und ethnischen Interessengruppen untersagt hat.

Auch in Kenya kommt es seit Herbst 1991 wiederholt zu »ethnisch« motivierten Übergriffen im Rift Valley. Diese Ereignisse haben bisher Hunderte Tote gefordert und die Vertreibung von Zehntausenden verursacht. Hier steht allerdings das amtierende Regime im begründeten Verdacht, die vermeintlich »ethnisch motivierten« Übergriffe inszeniert zu haben, um aus einem »law-and-order«-Argument innenpolitisch rigider verfahren zu können und den wachsenden internationalen Legitimationsdruck abzuschwächen.

In Zaire blockiert das lange vom Westen unterstützte Regime Mobutus die demokratische Umgestaltung und Konsolidierung des Landes. Spätenstens seit 1992 steht Zaire am Rande eines neuen Bürgerkrieges. Insbesondere Zugriffe der Armee gefährden die innere Sicherheit. Ausbleibende Soldzahlungen veranlassen die Soldateska regelmäßig zu Übergriffen auf Zivilisten, 1992 soll es auch Scharmützel zwischen militanten Regimegegnern und Regierungssoldaten gegeben haben. Das Militär ist offenbar auch in die Kämpfe zwischen ethnischen Gruppen im Nordosten und in den Provinzen Kivu und Shaba beteiligt. In diesen Auseinandersetzungen kamen Schätzungen zufolge im Laufe des vergangenen Jahres mehr als 9000 Menschen ums Leben. Andere Schätzungen gehen mittlerweile von mindestens 150.000 Vertriebenen allein aus der Provinz Shaba aus. Die Ereignisse im südlichen Zaire sind allerdings in engem Zusammenhang mit dem Krieg in Angola zu sehen, wo noch loyal zu Mobutu stehende Regierungssoldaten auf der Seite der UNITA kämpfen. Die Herrschaft Mobutu Sese Sekus, der über Jahrzehnte westliche Unterstützung genoß, ist in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Es bestehen wenig Aussichten, daß in diesen in die Anarchie verfallenen Landesteilen eine friedliche Umgestaltung möglich sein wird.

Auch in Togo haben innenpolitische Konflikte ein ethnisches Gepräge angenommen. Die privilegierte ethnische Gruppe des Präsidenten Eyadéma dominiert in den zivilen Schlüsselpositionen des Regimes, aber auch im Offizierkorps. Das Regime hat die Demokratisierungsbewegung bisher erfolgreich destabilisiert, so daß die seit 1991 erreichten Demokratisierungserfolge teilweise wieder rückgängig gemacht wurden. Nach zahllosen Übergriffen durch Polizei und Militär auf Demonstranten hat auch ein weitgehend befolgter Generalstreik über acht Monate der Demokratiebewegung nicht geholfen; zu sehr scheint die politische Szene vom Patronagenetz Eyadémas umspannt zu sein. Bei den Präsidentschaftswahlen, die nach vielen Verzögerungen doch im Sommer 1993 stattfanden, blieb der aussichtsreichste Kandidat der Opposition, Gilchrist Olympio, ausgeschlossen.

Gefahr droht dem Regime auch aus den eigenen Reihen: Im März 1993 waren es Offiziere und Soldaten der Armee Togos, die eine Absetzung des alten Regimes erreichen wollten. Ihr Putschversuch scheiterte jedoch. Mit den Putschisten sympathisierende Militärs flohen ins Ausland oder fielen anschließenden Säuberungen zum Opfer. Daß der Konflikt um die Beseitung des Eyadéma-Regimes damit noch nicht zu einem Ende gekommen ist, zeigte sich noch im Oktober 1993 durch einen Bombenanschlag auf das französische Kulturzentrum in Lomé.

Der Norden Afrikas

Grundsätzlich anders sind die Konflikte im Norden des Kontinents, in Ägypten gestaltet: Neben den Aktivitäten von islamischen Fundamentalisten, deren Konfrontation mit dem ägyptischen Staat aber bisher noch nicht zum Krieg eskaliert ist, hat sich zwischen Ägypten und Sudan ein zwischenstaatlicher Streit um die Hala'ib-Region entwickelt. Die Kontroverse bewirkte schon Einschränkungen im diplomatischen Verkehr der beiden Staaten, die sich anbahnenden Wiederannäherungen zwischen den Regierungen haben bisher nicht zum gewünschten Erfolg geführt.

Literatur

Afrika Jahrbuch (1987ff.), hrsg. v. Institut für Afrika-Kunde Hamburg, Opladen: Leske u. Budrich

Gantzel, K.J. / Meyer-Stamer, Jörg (Hg.) 1986: Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1984. Daten und erste Analysen. München u.a.: Weltforum

Gantzel, K.J. / Schwinghammer, T. / Siegelberg, J. 1992: Kriege der Welt. Ein systematisches Register der kriegerischen Konflikte 1985 bis 1992, Interdependenz Nr. 13, Bonn: Stiftung Entwicklung u. Frieden

Hofmeier, Rolf / Matthies, Volker (Hg.) 1992: Vergessene Kriege in Afrika, Göttingen: Lamuv

Siegelberg, Jens (Red.) 1991: Die Kriege 1985 bis 1990. Analyse ihrer Ursachen, Münster u. Hamburg: Lit

zum Anfang | Entwicklungshilfe in Afrika – Die Interessen der Geber und Nehmer

von Dirk Hansohm

Dieser Artikel stellt zunächst ein paar Zahlen zur Bedeutung Afrikas in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) dar. Entgegen der letztlich naiven Hoffnungen auf eine Friedensdividende ist Ausmaß und Art der EZ natürlich auch weiterhin durch die Interessen der Geber bestimmt, die schlaglichtartig beleuchtet werden, bevor die Ergebnisse der EZ für die afrikanischen Nehmer und deren Ursachen diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund werden die neuen Leitlinien des BMZ für die EZ mit Afrika bewertet. Abschließend werden einige Folgerungen gezogen.

Die »Zeitenwende«, die das Ende des Ostblocks und damit des Kalten Krieges Ende der 80er Jahre bedeutete, hat auch Afrika und die Politik gegenüber Afrika in vielfältiger Weise berührt. Wie anderswo zeigt sich auch dort, daß das Ende des »kommunistischen Modells« keineswegs das »Ende der Geschichte« bedeutete, sondern nur das Ende alter Gewißheiten und Sicherheiten – eine neue Unübersichtlichkeit. Dies zeigt sich auch in Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten in den Einschätzungen hinsichtlich der EZ mit afrikanischen Ländern.

Afrika steckt nicht länger in der Zwangsjacke des Ost-West-Konfliktes, der die Politik der Weltmächte gegenüber Afrika – einschließlich der EZ – nach der Unabhängigkeit von Anfang an bestimmt hatte. Dies bedeutet eine Chance, da damit der Weg offen zu sein scheint für einen schablonenfreien Blick auf die Entwicklung Afrikas (vgl. Hansohm/Kappel 1993). Die Hoffnung wird gehegt, daß die EZ sich nun stärker an den Interessen der Nehmer orientieren könne. Neben dieser qualitativen Verbesserung wird vor allem auch eine quantitative Erhöhung erhofft, eine »Friedensdividende«, ermöglicht durch die Reduzierung der Militärausgaben der Geberländer.

Andererseits ist mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes auch ein Hauptinteresse der westlichen Geber am afrikanischen Kontinent entfallen. Daher ist die Befürchtung eines zunehmenden Desinteresses an Afrika nicht unbegründet. Dieses könnte sich zum einen in einer Reduzierung der Mittel für EZ niederschlagen, zum anderen in einer Konzentration auf Maßnahmen der EZ, die kommerzielle Interessen der Geber fördern, also einer qualitativen Verschlechterung (Griffin 1991).

Der Stellenwert Afrikas in der Entwicklungshilfe

Tab. 1 zeigt die Entwicklungshilfezahlungen einiger Industrieländer (Mitglieder im Development Assistance Committee (DAC) der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), der die wichtigsten Industrieländer angehören) in ausgewählten Jahren seit 1980. Es ist erkennbar, daß das von den Industrieländern selbst gesetzte Ziel – EZ-Mittel in Höhe von 0,7 % am Sozialprodukt – nicht erreicht wurde. Wenn überhaupt ein Trend erkennbar ist, dann ein negativer – von 0,37 % im Jahr 1980 auf 0,34 % im Jahr 1991. Die Erwartung einer »Friedensdividende« hat sich bislang nicht bewahrheitet. Deutschland liegt mit seinen relativen Ausgaben leicht über dem DAC-Durchschnitt, jedoch ebenfalls weit unter dem angestrebten Ziel. Nur die skandinavischen Länder und die Niederlande übertreffen die 0,7 %-Marke, Frankreich als ehemalige Kolonialmacht tat dies zeitweise und liegt über dem Schnitt der anderen Länder. Die USA waren zwar bis 1991 der größte EZ-Geber, wiesen aber im Verhältnis zu ihrer ökonomischen Macht die geringste Leistung auf.

Deutschland leistet weiterhin den überwiegenden Teil (etwa 2/3) der EZ in bilateraler Form – dem Ziel der wichtigen und allseits geforderten Geberkoordination ist es damit nicht näher gekomen (siehe Tab. 2).

Afrika hatte seit jeher den größten Anteil an EZ-Mitteln Deutschlands sowie der Industrieländer als Gruppe mit rund 2/5 der Gesamtmittel (siehe Tab. 2 und 3). Im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl ist der Kontinent dabei überproportional berücksichtigt. Aus den zur Zeit zur Verfügung stehenden Zahlen (Stand: 1991) ist keine Veränderung zu erkennen. Aufgrund der veränderten Interessenlage der Geberländer wird jedoch von den meisten Beobachtern mit eher nachlassendem Engagement in der EZ und speziell in Afrika gerechnet.

Funktionen der Entwicklungszusammenarbeit für die Geber

Bei aller entwicklungspolitischen Rhetorik darf man nicht vergessen, daß die EZ der Industrieländer mit Afrika (wie die mit den anderen Kontinenten) ganz eindeutig in erster Linie außen- und sicherheitspolitischen Interessen entsprang, konkret den Ost-West-Gegensätzen des Kalten Krieges. Die Entkolonisierung führte zu einem Wettbewerb der politischen Systeme, die um die Gunst der Länder der sog. Dritten Welt buhlten. Dazu kam ein ideologisches Interesse, die Überlegenheit des eigenen Systems unter Beweis zu stellen. In diesem Wettbewerb war die EZ ein Mittel unter anderen, nicht das einzige und oft auch nicht das wichtigste, aber doch nicht ohne Bedeutung.

Natürlich hat die EZ auch andere Funktionen für die Geber:

  • das ökonomische Interesse, eine expandierende Weltwirtschaft zu schaffen;
  • das direktere Anliegen, die eigene Wirtschaft durch Exporte zu fördern (hierzu dient die Lieferbindung, aber auch ohne diese können zumindest die stärkeren Industrieländer wie die Bundesrepublik ihr Ziel erreichen) und die Erschließung von Märkten;
  • die Erschließung und Sicherung der Rohstoffquellen.

Gerade in bezug auf Afrika ist aber festzuhalten, daß das oben genannte außen- und sicherheitspolitische Interesse dominant war. Diese Interessenlage gab den Empfängerländern einen großen Spielraum. Sie waren in der Lage, Geber gegeneinander auszuspielen (prominentestes Beispiel: Äthipien/Somalia, die wechselseitig von USA und UdSSR unterstützt wurden) und konnten sich einen hohen Freiheitsgrad in ihrer Politik erhalten.

Eine Analyse der EZ muß von der Interessenlage auf Seiten der Geber ausgehen. Die landläufige Analyse der EZ, die sie lediglich an ihren offiziellen entwicklungspolitischen Ansprüchen mißt, weist hier einen blinden Fleck auf. Ein beträchtlicher Teil des Mißerfolgs der EZ in der »Dritten Welt« im allgemeinen und in Afrika im besonderen läßt sich durch diese Interessenlage erklären.

Diese Fremdbestimmung heißt allerdings nicht, daß die EZ von vornherein nicht erfolgreich in der Erreichung ihrer Ziele sein kann, wie ihr von radikaler Seite unterstellt wird, die die EZ lediglich als Mittel begreift, Armut, Unterdrückung und Abhängigkeit aufrechtzuerhalten (z.B. Hayter 1971). Dazu kommt, daß es auch humanitäre Ziele und Interessen, z.B. auf Seiten der Entwicklungshelfer gibt.

Die Unterstellung, daß EZ aufgrund ihrer Fremdbestimmung durch die Interessen der Geber nicht helfen könne, ist genauso naiv wie die Vermutung, daß nach dem Ende des Kalten Krieges rein humanitäre Interessen die Politik des Westens bestimmen würden. Der Sinn von EZ läßt sich zum einen aus humanitären/moralischen Gründen belegen, aber auch und genauso gut aus den eigenen Sicherheitsinteressen der Bevölkerung der Geberländer: Spätestens Ende der 80er Jahre ist nicht nur die zweite Welt verschwunden, sondern auch die Dritte Welt als weit entfernte und abgeschottete Welt. Der Prozeß der Weltintegration geht immer rapider voran, wie es nicht nur durch Berichte im Fernsehen, sondern viel stärker durch die Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge, die die Industrieländer erreichen, immer stärker ins Bewußtsein der Bevölkerung gerät.

Es ist kaum noch zu bestreiten, daß die zunehmende Ungleichheit auf der Welt und Verarmung vieler Länder, in erster Linie in Afrika, nicht nur für die Betroffenen dramatische Folgen hat, sondern auch die Sicherheit auf der ganzen Welt nachhaltig bedroht.

Ergebnisse der Entwicklungszusammenarbeit für die afrikanischen Empfängerländer

Gerade in Afrika ist das Ergebnis der EZ äußerst ernüchternd, was sowohl auf Seiten der Geber wie auch der Nehmer u.a. Positionen einer spektakulären radikalen Ablehnung provoziert hat (vgl. Erler 1985; Kabou 1993). Diejenigen, die trotz allem die EZ positiv beurteilen (Cassen 1990, Riddell 1987), sind in der Diskussion zur Zeit in der Minderheit. In den letzten Jahren gibt es nun auch eine radikale Selbstkritik auf Seiten von EZ-Institutionen, beispielsweise Weltbank und BMZ (s.u.).

Nimmt man die Entwicklungsindikatoren der letzten 3 Jahrzehnte als Maßstab, scheint die EZ ihre wichtigsten Ziele – wirtschaftliche Entwicklung und Überwindung der Armut – nicht erreicht zu haben – eher im Gegenteil. Sieht man näher hin, läßt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen EZ und Wachstum oder Entwicklung nicht herstellen – weder positiv noch negativ. Ein Vergleich der Weltregionen scheint eher auf einen negativen Zusammenhang hinzuweisen: Afrika und Lateinamerika wiesen in den 80er Jahren negative Wachstumsraten auf, obwohl ihnen zuvor große Kapitalmengen zugeflossen waren. Während der gleichen Periode konnten jedoch eine Reihe asiatischer Länder hohe Wachstumsraten aufrechterhalten, ohne daß ihnen nennenswerte Beträge an Mitteln der EZ zuflossen (Singapur, Thailand, Malaysia; vgl. Griffin 1991).

Es wäre jedoch verfrüht, aus den verfügbaren Daten den generellen Schluß zu ziehen, die EZ habe negative Wirkung auf die Entwicklung, wie dies z.B. Griffin (1991) und Kabou (1993) tun – ein statistischer Zusammenhang muß kein kausaler sein, außerdem ist die Richtung der Kausalität unklar. Der Zusammenhang zwischen EZ und Entwicklung ist zum einen zu vielschichtig und zu wenig erforscht. Zum anderen ist zur Zeit wenig Klarheit und Konsens zu der Frage sichtbar, was unter Entwicklung verstanden wird. Offensichtlich ist nur zweierlei:

  • der »westliche Entwicklungsweg« hat sich als Sackgasse herausgestellt: ein Festhalten an der inneren Logik der gegenwärtigen, einzig profitorientierten Wirtschaftsweise würde nur zu bald die ökologischen Grenzen durchbrechen; eine tiefgreifende Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft hier ist unausweichlich.
  • damit hat dieser Weg praktisch seine eindeutige Modellfunktion für Afrika verloren. Weder ist ein Ressourcenverbrauch der ganzen Menschheit auf dem Niveau des Westens ökologisch möglich, noch ist mittelfristig für viele Länder Afrikas ein Weg sichtbar, der eine erfolgreiche weltmarktorientierte Entwicklung eröffnen könnte.

Trotz aller berechtigten Kritik an der EZ ist vorauszusehen, daß sie zwar zurückgehen, aber nicht gänzlich versiegen oder zur Wohltätigkeitsgeste verkommen wird. EZ wird jedoch nur nach einer Verarbeitung und Berücksichtigung der Lehren aus 30 Jahren EZ in Afrika auch entwicklungspolitisch sinnvoll sein (vgl. Hansohm/Kappel 1993).

  1. EZ tendiert dazu, eine konservative Wirkung zu haben, indem sie die Empfängerregierungen stärkt – gegenüber (potentieller) Opposition, aber auch dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft im allgemeinen. Die Staatsapparate haben sich jedoch nur zu oft als die entscheidenden Entwicklungshindernisse herausgestellt. Diese Einschätzung gilt auch für projektgebundene Mittel, da sie den Regierungen erlauben, eigene Mittel woanders zu verplanen (Fungibilität von Ressourcen). Dadurch hat EZ nur zu oft dazu beigetragen, daß gesellschaftlicher Wandel verhindert wurde.
  2. Trotz aller Bemühungen um Armutsorientierung ist die EZ vorwiegend den Mittel- und Oberschichten zugute gekommen.
  3. Die EZ geht im Grunde davon aus, daß Afrika das braucht, was die Geber haben: Kapital, Wissen, Fähigkeiten. Dies ist jedoch problematisch.

    • Kapital: Entgegen landläufiger Vorstellungen ist die Sparrate keineswegs notwendigerweise in Ländern der Dritten Welt niedriger. EZ war nun häufig ein Ersatz für einheimische Ersparnisse (durch eine Senkung der Zinsrate, also des Anreizes zu sparen), hat also einen wichtigen Faktor der Entwicklungsfähigkeit eher reduziert. Es hat sich auch gezeigt, daß die EZ keineswegs gleichbedeutend mit Investition ist – ein beträchtlicher Teil wird konsumiert. Andere negative Begleiterscheinungen waren eine Verzerrung des einheimischen Preissystems und des Wechselkurses (Überbewertung der einheimischen Währung). Die Überbewertung wurde selbst zum wichtigsten Grund für den Kapitalmangel, führte damit zu einer weiteren Abhängigkeit von EZ und entmutigte Exporte.
    • Wissen, Fähigkeiten: Es ist inzwischen klargeworden, daß das in den Industrieländern erworbene Wissen nur modifiziert in der Dritten Welt anwendbar ist. Kaum jemals haben EZ-Projekte dies ausreichend berücksichtigt.
  4. EZ unterminiert oft die innere Entwicklungsdynamik. »Entwicklung« wird mit Hilfe aus dem Ausland identifiziert und nicht als eigene Aufgabe erkannt (vgl. Kabou 1993). Die EZ führt in diesem Sinn zur Entmündigung der Afrikaner. Einige Beobachter inner- und außerhalb Afrikas gehen soweit, eine Einstellung der EZ zu fordern, da dies die einzige Möglichkeit sei, Initiative zur Entwicklung zu fördern (Griffin 1991, Kabou 1993).
  5. Konventionelle Planungen wie auch Bewertungen der EZ klammern die langfristige Dynamik, die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Umfeld, aus, insbesondere die Bedeutung des »grauen Staatshaushaltes« der Entwicklungshilfe (vgl. Bierschenk und Elwert 1993). In vielen Ländern Afrikas machen die Mittel der EZ hohe Werte im Vergleich zu den Staatseinnahmen aus. Dieser Bereich ist praktisch unter Kontrolle der Geber und wird von den Empfängern bestenfalls schwach kontrolliert.
  6. Die statische Sicht von afrikanischen Gesellschaften (»traditionell«), die der EZ-Planung zugrundeliegt, wird ihrer komplexen Gesellschaftsstruktur nicht gerecht. Die Auswirkungen der EZ gehen weit über die angenommenen hinaus. Insgesamt läßt sich sagen, daß Gesellschaften nur sehr bedingt gezielt zu verändern sind. Die Forschung über die Folgen der EZ auf die Empfängerländer stecken noch in den Kinderschuhen.

Folgerungen für die Praxis der EZ sind daher: Sie sollten weniger Ideologie-bestimmt sein, mehr Realitätssinn haben, pragmatischer und bescheidener sein, und vor allem mehr mit afrikanischen Fachkräften arbeiten.

Die neuen BMZ-Richtlinien der EZ mit Afrika: ein Kommentar

Die enttäuschenden Erfahrungen mit der EZ in Afrika wurden vom BMZ in seinen Richtlinien von 1992 reflektiert (siehe Kasten). Diese stellt in der Tat eine erfrischende Abkehr von überkommenen Glaubensgrundsätzen dar, zeichnet sich durch einen sehr viel höheres Maß an Realismus aus und könnte die Grundlage für einen positiven Neuanfang sein:

  • Es beendet die politisch bedingte Rücksichtnahme der »Nichteinmischung in innere Verhältnisse« und benennt die internen Ursachen der Stagnation.
  • Es erkennt den unangepaßten Charakter der EZ und die Notwendigkeit zu grundsätzlichen Änderungen an. Die Notwendigkeit entwicklungspolitischer Arbeit auch im Norden wird gesehen – Veränderung ist nicht allein Sache der afrikanischen Länder, Entwicklungspolitik erschöpft sich nicht in »Entwicklungshilfe«.
  • Die kritische Situation (Ressourcenverfügbarkeit) in vielen Ländern auch über längere Zeit und die Notwendigkeit, ggf. auch über längere Zeit Staatsausgaben mitzufinanzieren, wird benannt.
  • Die Armutsbekämpfung wird wieder erste Priorität. Die anderen Schwerpunkte beziehen sich ebenfalls auf die z.Z. drängendsten Bereiche (Ökologie) bzw. auf die entwicklungspolitisch bedeutsamsten Bereiche (Bildung, Förderung des Privatsektors, regionale Integration).

Zu bedenken ist jedoch:

  • Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Grundsätze tatsächlich in der praktischen Politik und Praxis vor Ort widerspiegeln. In der Vergangenheit hat sich nur zu oft eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit gezeigt.
  • Die Glaubwürdigkeit der Kriterien, bspw. zu den Menschenrechten, ist dadurch eingeschränkt, daß dieser Grundsatz im Fall von Ländern, die auch wirtschaftlich von Bedeutung für die Bundesrepublik sind, praktisch außer Kraft gesetzt wird.
  • Die Existenz von Mehrparteiensystemen ist kaum ein geeignetes Kriterium; zu oft haben diese ihr Versagen gezeigt und unweigerlich zur Militärherrschaft geführt (Nigeria, Sudan). Das Element der Rechenschaftspflicht ist weitaus wichtiger.
  • Gerade weil es bei den »internen Rahmenbedingungen« mangelt, kann dies durch externen Druck nur zum kleineren Teil behoben werden. Vorschläge, Afrika wieder unter eine Treuhandschaft zu stellen, sind der Entwicklung nicht förderlich (vgl. Menzel 1991). Es muß vielmehr versucht werden, die internen reformorientierten Kräfte zu unterstützen, anstatt negative Politik zu bestrafen (positive Diskriminierung). Des weiteren muß mehr Gewicht auf die Einbeziehung einheimischer Fachkräfte gelegt werden.
  • Der »Politikdialog«, d.h. die Einflußnahme auf die inneren Verhältnisse der Empfängerländer ist legitim und notwendig. Insofern bieten die Grundsätze eine notwendige Weiterentwicklung der ausschließlich ökonomischen Einflußnahme. Allerdings werden damit oft Illusionen bezüglich des Ausmaßes verbunden, in dem gesellschaftliche Prozesse von außen herbeigeführt und gesteuert werden können (vgl. die Auseinandersetzung von Waller und Weiss 1991). Wie sich nicht zuletzt in Somalia gezeigt hat, können massive Interventionen, die scheinbar schnelle Lösungen in Aussicht stellen, in Wirklichkeit langfristige Akzeptanz verspielen, zur Verstärkung tribalistischer und »nationaler« Emotionen führen und damit der Entwicklung einen Bärendienst leisten. Der Sudan ist ein trauriges Beispiel dafür, daß diktatorische Regimes auch ohne die Unterstützung des Westens überleben können – die hohen Kosten der Isolation tragen nicht die gesellschaftlichen Kräfte, die hinter dem Regime stehen, sondern eher die breite Masse einschließlich der Armen. Die Isolation verhilft dem Regime sogar teilweise zu dringend notwendiger Legitimität, da nationale Gefühle über die »äußere Bedrohung« mobilisiert werden können. Hier ist der Sudan leider keineswegs ein Einzelfall.

Letzten Endes ist die für Entwicklung notwendige Voraussetzung ein interner Prozeß der Interessenartikulation. Die externe Einflußnahme, sei es durch »Politikdialog«, sei es durch militärische Intervention, kann zwar aus humanitären Gründen angemessen und notwendig sein, sie hat aber auch Kosten in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklung. Diese Kosten sollten durch behutsames Vorgehen und vorherige Analyse der gesellschaftlichen Lage minimiert werden. Ohne die Identifizierung gesellschaftlicher Kräfte, die einen Reformprozeß tragen können, hat eine Intervention entwicklungspolitisch gesehen wenig Erfolgschancen.

Resumée

Die Bilanz der EZ in Afrika ist bestenfalls bescheiden. Trotzdem wird sie bleiben, wenn auch nicht auf dem Niveau, auf dem Weltbank und andere internationale Organisationen es wünschen – und es ist auch wünschenswert, daß sie bleibt.

Das Interesse an globaler Sicherheit gebietet es den reichen Ländern, sich für die Belange der Armen zu interessieren. Ganz abgesehen von ihrer moralischen Fragwürdigkeit, reicht die militärische Option auch sicherheitspolitisch gesehen nicht aus. Nur eine Politik, die auf globale Armutsbekämpfung und Wohlstandssteigerung zielt, verspricht langfristig Erfolg. Nach dem jetzigen Wissensstand können nur so die Probleme von Armutsflucht, Bevölkerungswachstum und Ökologie gelöst werden. EZ ist daher von essentiellem Interesse für die Sicherheitsinteressen der reichen Länder. Wenn auch momentan die Probleme Ostdeutschlands sowie Osteuropas uns näher liegen, so wird sich doch das Bewußtsein verbreiten, daß eine Abschottung vor den Problemen der anderen Erdteile langfristig nicht machbar ist.

Ein systematischer Zusammenhang zwischen EZ und Entwicklung läßt sich zwar kaum aufzeigen, genauso wenig ist es aber erwiesen, daß EZ unmöglich helfen kann oder daß Entwicklung besser ohne EZ funktionieren würde (vgl. Riddell 1987). Moralisch ist eine EZ daher weiterhin gerechtfertigt und geboten. Genauso klar ist aber, daß nicht jede EZ hilft: nur eine reformierte EZ kann in Afrika Erfolg haben und Legitimität aufweisen.

Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara in den neunziger Jahren

Zentrale Aussagen der neuen Grundsätze des BMZ

  1. Ungünstige interne Rahmenbedingungen wie politische Entmündigung, mangelhafte Regierungsführung, fehlgeleitete staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, Korruption, die Unterdrückung von Minderheiten, ethnische Konflikte und Bürgerkriege haben entscheidend zum Scheitern von Entwicklung beigetragen.
  2. Sie sind wichtiger als die negativen externen Rahmenbedingungen (sinkende Terms of Trade, steigende Zinsen, steigende Verschuldung), aber auch eine unangepaßte EZ hat zur Verschuldungskrise beigetragen.
  3. Die ärmsten Ländern in ASS verfügen nur über sehr begrenzte Ressourcen.
  4. Alle drei Faktoren führten zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage (ökologische Zerstörung, ungehemmte Bevölkerungsexplosion, mangelnde Kreditfähigkeit, Abkoppelung von der Weltwirtschaft).
  5. Das Schwergewicht der EZ muß von der Projekthilfe, die nur isolierte Beiträge leisten kann, auf die Programmhilfe verlagert werden, die Teil von international koordinierten Strukturanpassungsprogrammen sein soll.
  6. Der Politikdialog soll intensiviert werden. Eine laufende Kontrolle der Mittelverwendung durch die Geber ist notwendig.
  7. Hilfe soll zwar im Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe sein, viele Gebiete in ASS sind aber auch auf Dauer wenig entwicklungsfähig. Dort ist auch eine längerfristige Mitfinanzierung von Sozialausgaben und laufenden Kosten notwendig.
  8. Die Kriterien für Umfang und Gestaltung der EZ sind:

    • Einhaltung der Menschenrechte (andernfalls Beschränkung auf humanitäre Maßnahmen)
    • Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess (Mehrparteiensysteme, Dezentralisierung)
    • Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit
    • Marktfreundliche Wirtschaftsordnung
    • Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns (Umschichtung der öffentlichen Ausgaben)
  9. Schwerpunkte der EZ sind:
  10. Armutsbekämpfung
  11. Umwelt- und Ressourcenschutz, Nutzung der natürlichen Ressourcen
  12. Bildung und Beschäftigung
  13. Förderung der privatwirtschaftlichen Entwicklung
  14. Regionale Integration
  15. Eine wichtige Aufgabe der Entwicklungspolitik ist es auch, sich innerhalb der Bundesregierung, im multinationalen Bereich und in der Öffentlichkeit für die Interessen der Entwicklungsländer einzusetzen (Reform der europäischen Agrarpolitik, Anpassung der Rückzahlungsverpflichtungen an Schuldendienstfähigkeit).

Literatur

Bierschenk, Thomas und Georg Elwert (Hrsg.), 1993, Entwicklungshilfe und ihre Folgen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika, Frankfurt/New York

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), 1992a, Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara in den 90er Jahren

BMZ, 1992b, Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik 1993, Bonn

BMZ, 1993, Neunter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung

Cassen, Robert, 1980, Entwicklungszusammenarbeit (engl. Originalausgabe: Does aid help?)

Griffin, Keith, 1991, Foreign aid after the Cold War, in: Development and Change, Vol. 22, S. 645-685

Hansohm, Dirk und Robert Kappel, 1993, Schwarz-weiße Mythen. Afrika und der entwicklungspolitische Diskurs, Hamburg/Münster

Hayter, Teresa, 1971, Aid as imperialism, Harmondsworth

Kabou, Axelle, 1993, Weder arm noch ohnmächtig. Eine Streitschrift gegen schwarze Eliten und weiße Helfer, Basel: Lenos

Menzel, Ulrich, 1991, Die Hilfe hilft nicht, Treuhandschaft wäre ein Weg, in: Frankfurter Rundschau, 3.Juni, S. 9

Riddell, Roger C., 1987, Foreign aid reconsidered, Baltimore/London

Waller, Peter P, 1991, Internationale Unterstützung des Reformprozesses in Entwicklungsländern im Rahmen von Auflagenpolitik und Politikdialog – das Beispiel patrimonialer Regime in Afrika, in: Hermann Sautter (Hrsg.), Wirtschaftliche Reformen in Entwicklungsländern, Berlin, S. 191-212

Weiss, Dieter, 1991, Korreferat zum Referat von Peter P. Waller, in: Hermann Sautter (Hrsg.), Wirtschaftliche Reformen in Entwicklungsländern, Berlin, S. 213-224

Quelle: BMZ (1992); Zusammenstellung: D. Hansohm

zum Anfang | Regionale Konfliktregulierung – Beispiel: Die Intervention der von Nigeria dominierten ECOMOG in Liberia

von Peter Körner

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist in Afrika – u.a. auf der Ebene der OAU7 – eine Diskussion entbrannt, ob nicht unter bestimmten Bedingungen das bisher sakrosankte Prinzip der nationalen Souveränität, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung durch übergeordnete Ziele außer Kraft gesetzt werden kann. Das Augenmerk richtete sich dabei vor allem auf jene Fälle, in denen die Menschenrechte auf das gröbste verletzt werden, Hungerkatastrophen abzuwenden oder staatliche Strukturen einem fortschreitenden Zerfallsprozeß ausgesetzt sind8. Im folgenden Artikel werden Grundzüge des Krieges in Liberia, der Intervention der ECOMOG und der Friedenssuche auf der Ebene der ECOWAS dargestellt.

Die Diskussion über das Prinzip der Nichteinmischung und über Fragen wie Konfliktregulierung und Kriegsprävention wird nicht nur mit Worten geführt, sie hat bereits durch Taten – spätestens seit der von den USA geführten UNO-Intervention in Somalia (1992/93) – zusätzliche Dynamik erhalten. Ein außerhalb Afrikas bisher weniger beachteter Versuch, einen Krieg durch eine Militärintervention zu beenden, begann bereits im August 1990 in Liberia: Dort griff unter Federführung der Regionalmacht Nigeria eine rein afrikanische – genauer: westafrikanische – Streitmacht ein, um mit militärischen Mitteln eine Friedensregelung zu erzwingen. Offiziell erhielt diese Streitmacht die Bezeichnung ECOWAS (= Economic Community of West African States) Ceasefire Monitoring Group – kurz: ECOMOG9.

Dem seit Weihnachten 1989 dauernden Krieg in Liberia fielen nach Schätzungen der UNO mindestens 150.000 Menschen – fast 5 Prozent der 2,7-Mio.-Bevölkerung – zum Opfer. Der überwiegende Teil der Bevölkerung wurde durch den Krieg entwurzelt. Zahlreiche Flüchtlinge suchten im Ausland Unterschlupf. Im Juni 1993 lebten nach Angaben des UNHCR 450.000 Liberia-Flüchtlinge in Guinea, 250.000 in Côte d'Ivoire und 8.000 in Sierra Leone, weitere 10.000 in Ghana, 1.500 in Nigeria. Da der Krieg im März 1991 auf angrenzende Regionen Sierra Leones übergegriffen hatte, waren auch von dort Menschen geflüchtet, darunter 150.000 ausgerechnet nach Liberia10. Darüber hinaus wurden das Wirtschaftsleben, das soziale Gefüge und die Lebenschancen der Menschen schwer geschädigt. Die Produktion von Nahrungsmitteln und Exportprodukten ging in den vom Krieg betroffenen Landesteilen in Liberia und Sierra Leone drastisch zurück. Häufig trat an die Stelle der Geldwirschaft der Tauschhandel; Schwarzmarkt, informelle Wirtschaft, Kriminalität und Prostitution erlangten einen hohen Stellenwert. Nationale und internationale Hilfsorganisationen mußten aktiv werden, um das Überleben zu ermöglichen, konnten aber die Ausbreitung von Hunger und Krankheiten nicht verhindern.

Als am 1. August 1993 ein Waffenstillstand in Kraft trat, dem die Entwaffnung der Kriegsparteien, die Demobilisierung der Kämpfer und 1994 ein Frieden durch allgemeine demokratische Wahlen folgen sollen11, war Liberia faktisch ein militärisch geteiltes Land:

  • Das Gebiet südöstlich einer gedachten Linie parallel zur sierraleonischen Grenze von Monrovia zur guineischen Grenze stand unter Kontrolle der National Patriotic Front of Liberia (NPFL) Charles Taylors, die 1989 zu den Waffen gegriffen hatte, um das Regime von Samuel Doe zu beseitigen. Die NPFL hatte 1990-92 fast das gesamte Territorium mit Ausnahme der Hauptstadt Monrovia erobert, war aber von den anderen Kriegsparteien 1992/93 militärisch in die Defensive gezwungen worden.
  • Das Gebiet nordwestlich dieser Linie wurde weitgehend von der Organisation United Liberation Movement for Democracy in Liberia (ULIMO) kontrolliert, in der sich nach dem Tode Does (September 1990) etwa um Mitte 1991 Doe-Anhänger und ehemalige Mitglieder der im Krieg aufgeriebenen Doe-Armee versammelt hatten mit dem Ziel, die NPFL militärisch zu besiegen.
  • Die Hauptstadt Monrovia und ein schmaler Küstenstreifen von Monrovia bis zur Hafenstadt Buchanan stand unter Kontrolle der 1990 eingesetzten Interimsregierung von Amos Sawyer, der ihr unterstellten kasernierten Überreste der regulären Armee und vor allem der im August 1990 entsandten westafrikanischen Streitmacht ECOMOG12.
  • Die 1990 von der NPFL abgespaltene Independent National Patriotic Front of Liberia (INPFL) unter dem Warlord Prince Yormie Johnson ist seit der NPFL-Offensive auf Monrovia im Herbst 1992 faktisch nicht mehr existent. Die INPFL hatte im September 1990 den Diktator Doe getötet.

Die Anfänge der ECOMOG-Intervention

Die militärische Intervention der ECOMOG im August 1990 erfolgte vor dem Hintergrund, daß sich der Krieg – damals vorwiegend zwischen der NPFL Charles Taylors und der Armee des Regimes von Diktator Samuel Doe – zu einem blutigen Gemetzel entwickelt hatte, in dem Menschen allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit massakriert wurden13. Während das Doe-Regime und später die ULIMO sich hauptsächlich auf die Ethnien der Krahn und Mandingo stützten, entstammten die NPFL-Rebellen vorwiegend den Völkern der Gio und Mano aus der ökonomisch ausgebeuteten und politisch diskriminierten Provinz Nimba County. In den NPFL-Führungszirkeln gab es zudem einige Vertreter der bis zur Doe-Machtübernahme im Jahre 1980 politisch herrschenden Gruppe der Ameriko-Liberianer, Nachkommen freigelassener US-Sklaven, die 1847 den Staat Liberia gegründet hatten. (Taylor selbst ist Sohn einer Gio-Mutter und eines schwarzen US-Amerikaners.)

Aufgrund der bestialischen Ausprägung des Krieges ergingen im Mai/Juni 1990 Hilferufe verschiedener liberianischer Kreise – sowohl des Doe-Regimes als auch von regimekritischen Exil-Liberianern – an die traditionelle Vormacht USA, dem Blutvergießen durch eine Militärintervention Einhalt zu gebieten. Auf Seiten Does war damit nicht zuletzt die Hoffnung verbunden, seine Herrschaft retten zu können. Die USA jedoch lehnten ein militärisches Engagement ab und entsandten lediglich kleinere Marineeinheiten, deren Aufgabe es war, Einrichtungen der USA in Liberia (Botschaft, militärische Kommunikationseinrichtungen, CIA-Relaisstation etc.) zu schützen und bedrohte ausländische (vor allem US-) Bürger aus Liberia zu evakuieren14. Eines der Hauptargumente für die Zurückhaltung lautete, man befürchte eine unübersichtliche Situation wie im Libanon, in der auch eine militärische Großmacht mit Waffengewalt nicht allzuviel auszurichten vermochte. Im August 1990 schließlich sahen sich die USA in der Golfregion nach der irakischen Besetzung Kuwaits einer militärischen Herausforderung gegenüber, die weniger bedeutsamen Krisenfällen wie Liberia nur wenig Aufmerksamkeit ließ.

Aufgrund der Zurückhaltung der USA befaßte sich auf Initiative Nigerias ab Mai 1990 die ECOWAS mit dem Liberia-Konflikt. Zuständig wurde das neu gegründete ECOWAS Standing Mediation Committee (ESMC), das künftig in ähnlichen Konfliktfällen wie Liberia – eventuell sogar präventiv – vermitteln soll15. Dem ESMC gehören, ernannt für jeweils drei Jahre, fünf der insgesamt 16 ECOWAS-Staaten an – zunächst Nigeria, Ghana, Gambia, Togo und Mali. Die ESMC-Gründung stützte sich völkerrechtlich auf die 1978 und 1981 in der ECOWAS geschlossenen Abkommen zum Nichtangriff und gegenseitigen Beistand im Falle einer externen Aggression16. Die Befassung mit dem Liberiakonflikt ergab sich aus mehreren Faktoren: Zum einen hatte Diktator Doe als völkerrechtlicher Vertreter seines Landes ein Eingreifen der ECOWAS gefordert. Zum zweiten waren Bürger verschiedener ECOWAS-Staaten in Liberia akut an Leib und Leben bedroht – nach klassischem Völkerrecht war eine Aktion zu ihrer Rettung zulässig. Zum dritten ging vom Liberia-Krieg – u.a. durch grenzüberschreitende Flüchtlingsströme und die Beteiligung von Söldnern aus verschiedenen westafrikanischen Staaten auf Seiten der NPFL – eine latente Gefahr für die Stabilität der gesamten Region aus, die eine gemeinsame Strategie der Konflikteindämmung legitim erscheinen ließ. Schließlich wurde die Befassung der ECOWAS mit dem Liberiakonflikt auch humanitär gerechtfertigt: Namentlich Nigerias Staatschef Babangida trat mit dem Argument an die Öffentlichkeit, Afrika habe dem Blutvergießen unter afrikanischen Brüdern nicht länger tatenlos zuschauen dürfen17.

Das ESMC arbeitete einen Friedensplan aus, der u.a. einen Waffenstillstand, die Entwaffnung der Kriegsparteien und ein geregeltes Kriegsende durch allgemeine Wahlen und Installierung einer legitimen Regierung herbeiführen sollte. Eine gemeinsam von verschiedenen ECOWAS-Mitgliedern gebildete »Peace-keeping«-Truppe sollte den Übergangsprozeß absichern. Der Beschluß zur Umsetzung des Planes, der auch die Gründung der ECOMOG beinhaltete, wurde am 7. August 1990 von einer ESMC-Zusammenkunft gefaßt, an der zusätzlich Liberias von Flüchtlingsströmen stark betroffene Nachbarstaaten Guinea und Sierra Leone teilnahmen. Während die ESMC-Mitglieder Togo und Mali im Gleichklang mit anderen frankophonen Staaten die Zustimmung zu dem Beschluß mit dem Argument verweigerten, eine so weitreichende Vereinbarung dürfe nur von der Gesamtheit der ECOWAS-Mitglieder getroffen werden18, entsandten Nigeria, Ghana, Gambia, Sierra Leone und Guinea – alle anglophonen und nur einer von neun frankophonen ECOWAS-Staaten – Ende August 1990 insgesamt 2.500 ECOMOG-Soldaten nach Liberia19.

Umstrittene Legitimation der Intervention

Während die USA, die UNO und die OAU die Intervention als einen regionalen Beitrag zur Konfliktregulierung würdigten und billigten, kritisierten frankophone Staaten diese Intervention als Verstoß gegen das Völkerrechtsprinzip der Nichteinmischung20. Die ECOMOG trug zwar die Bezeichnung »ECOWAS« in ihrem Namen, tatsächlich jedoch wurde ihr von frankophonen Mitgliedsstaaten die Legitimität abgesprochen. Die Kritik verbarg, daß mit Côte d'Ivoire und Burkina Faso zwei aus ihren Reihen – gedeckt durch das mit Nigeria auf westafrikanischer Ebene machtpolitisch rivalisierende Frankreich21 – die NPFL unterstützten. Hinter der Ablehnung der ECOMOG verbargen sich einerseits ökonomische und politische Interessen Frankreichs und seiner Ex-Kolonien an einer Zusammenarbeit mit der NPFL, andererseits die Furcht vor der regionalen Dominanz Nigerias22. Charles Taylor und die mit Frankreich kooperierenden Regierungen der Côte d'Ivoire und Burkina Fasos favorisierten statt eines ECOWAS-Engagements die Einschaltung der UNO – was aber die USA und die UNO selbst zunächst ablehnten.

Waffenstillstand in Liberia und Ausdehnung der Kampfhandlungen auf Sierra Leone

Da die Voraussetzung des Liberia-Einsatzes der ECOMOG, ein Waffenstillstand, nicht gleich zustande kam, die ECOMOG-Teilnehmer ihre Truppen dennoch in das Kriegsland entsandten, wurde das »Peace-keeping«-Mandat in einen »Peace-enforcement«-Auftrag umgewandelt. Zugleich entschwand der Begriff »Ceasefire« aus der Langfassung der Bezeichnung ECOMOG. Außerdem übernahm Nigeria das ECOMOG-Oberkommando, das zunächst Ghana zugesprochen worden war. Durch den Kampfeinsatz vertrieb die Interventionsstreitmacht die NPFL aus Monrovia und verhinderte so die Machtübernahme durch Charles Taylor; zudem nahm sie die Überreste der militärisch geschlagenen liberianischen Armee und die Verbände der INPFL in der Hauptstadt unter Kontrolle, erreichte die Trennung der Kriegsparteien, erzwang – per Ende November 1990 – einen Waffenstillstand und setzte eine Interimsregierung unter dem Politikprofessor Amos Sawyer ein, die durch eine Nationalkonferenz aller relevanten politischen Kräfte Liberias mit Ausnahme der NPFL getragen wurde.

Die ECOMOG konnte indes nicht verhindern, daß die NPFL nach dem Waffenstillstand weiterhin militärische Nadelstiche setzte und im März 1991 den Krieg in Grenzregionen des Nachbarstaates und ECOMOG-Teilnehmers Sierra Leone hineintrug, wo sie mit einer einheimischen Rebellenorganisation namens Revolutionary United Front (RUF) kooperierte. Dies führte dort im April 1992 zum Zusammenbruch der Herrschaft von Präsident Momoh und zur Machtübernahme durch eine Militärjunta unter Hauptmann Valentine Strasser. In Reaktion auf den NPFL/RUF-Überfall bildete sich aus Überresten der Doe-Armee und Doe-Sympathisanten, die nach Sierra Leone und Guinea geflüchtet waren, die ULIMO, die in einer Allianz mit der sierraleonischen Armee sowie auf bilateraler Basis entsandten Truppen aus Guinea und Nigeria gegen die NPFL-RUF-Koalition vorging.

Das Abkommen von Yamoussoukro

Da zwischenzeitlich in Liberia ein militärisches Patt entstanden war, war der Versuch einer politischen Konfliktlösung unumgänglich. Mit massivem finanziellen und politischen Druck zwangen die USA die NPFL-Unterstützer Côte d'Ivoire und Burkina Faso, einer solchen Lösung eine Chance zu geben. Als Konzession durfte Côte d'Ivoire die Federführung bei den politischen Verhandlungen zur Beilegung der Liberiakrise übernehmen. Die ivorische Hauptstadt Yamoussoukro wurde Schauplatz von insgesamt vier Treffen, die im Oktober 1991 zum sog. Yamoussoukro-Abkommen führten. Da der Kurswechsel der Côte d'Ivoire und Burkina Fasos die NPFL politisch isoliert hatte, blieb dieser kaum eine andere Wahl, als sich an der Übereinkunft zu beteiligen.

In dem Yamoussoukro-Abkommen, das neben NPFL-Chef Taylor die liberianische Interimsregierung, Nigeria, Côte d'Ivoire, Burkina Faso und Senegal unterzeichneten, wurde eine politische Lösung vereinbart, die einen Waffenstillstand, die Entwaffnung und Demobilisierung der Kriegsparteien sowie allgemeine Wahlen vorsah. Die ECOMOG sollte den Friedensprozeß militärisch absichern, d.h. die Waffenruhe überwachen und die Entwaffnung vornehmen. Um das bisherige, für die NPFL inakzeptable Übergewicht Nigerias in der ECOMOG zu relativieren, entsandte Senegal ein militärisches Kontingent von 1.500 Mann nach Liberia, das dem nigerianischen Oberkommando unterstellt wurde. Damit hatte die ECOMOG im Herbst 1991 eine Stärke von fast 10.000 Mann erreicht, darunter 5.000 aus Nigeria und ebenfalls 1.500 aus Ghana23. Darüber hinaus beteiligte sich das ESMC-Mitglied Mali mit einigen Offizieren symbolisch an der ECOMOG.

Die Yamoussoukro-Vereinbarungen, die im April 1992 durch eine weitere Übereinkunft in Genf bekräftigt und konkretisiert wurden, hatten entscheidende Schwächen, die zum Scheitern führten:

  • Die Kriegspartei ULIMO war an dem Abkommen nicht beteiligt worden und fühlte sich an die Verpflichtung zur Entwaffnung nicht gebunden. Von Sierra Leone aus setzte sie den Krieg gegen die NPFL bald auch auf liberianischem Territorium fort. Die NPFL ihrerseits hatte dadurch einen Vorwand, die Vereinbarungen zurückzuweisen und den Kampf um die Macht in Monrovia wiederaufzunehmen.
  • Die ECOMOG sollte in Liberia als neutrale Konfliktschlichtungstruppe auftreten, während ihre Teilnehmer Nigeria, Guinea und Sierra Leone in Sierra Leone weiterhin Kriegsgegner der NPFL blieben. Dieser Widerspruch blieb unauflösbar.
  • Das Yamoussoukro-Abkommen sah vor, die Kriegsschauplätze in Liberia und Sierra Leone durch eine von der ECOMOG zu errichtende Pufferzone an der Grenze zu trennen. Eine solche Zielsetzung unterschätzte die grenzüberschreitende Dynamik des Krieges und den wechselseitigen Zusammenhang der Kriegsschauplätze.

Die erneute Eskalation des Krieges

Als die NPFL im Herbst 1992, von Sierra Leone her durch die ULIMO militärisch zunehmend bedrängt, eine erneute Offensive auf Monrovia unternahm, schlug die auf 16.000 Mann aufgestockte24 ECOMOG sie in die Defensive. Das offene Auftreten der ECOMOG als Kriegspartei ließ indes die Kluft zwischen anglophonen und frankophonen Staaten wiederaufreißen und eine politische Lösung in weite Ferne rücken. Der 1992 zum ECOWAS-Vorsitzenden gewählte Präsident des frankophonen Staates Benin, Soglo, kritisierte die Parteilichkeit der ECOMOG, Burkina Faso geißelte die ECOMOG als Aggressionstruppe und verlangte ihren Abzug aus Liberia, Senegal zog im Januar 1993 – mit dem vagen Hinweis auf militärischen Eigenbedarf in seiner Konfliktregion Casamance – sein Kontingent ab. Côte d'Ivoire bekannte sich formal zu den Beschlüssen von Yamoussoukro, nahm aber offenbar gemeinsam mit Burkina Faso heimlich die Unterstützung der NPFL wieder auf.25

Die Einschaltung der UNO und das Abkommen von Cotonou

Im Frühjahr 1993 stellte sich erneut heraus, daß keine der Kriegsparteien den Krieg militärisch zu entscheiden vermochte. Abermals mußten Anstrengungen unternommen werden, eine politische Lösung der Krise zu erreichen. Da die ECOWAS aufgrund des Zerwürfnisses zwischen den anglophonen und der Mehrheit der frankophonen Staaten nicht in der Lage war, aus eigener Kraft eine solche Lösung herbeizuführen, beantragte sie die Einschaltung der UNO und der OAU. Die UNO unterstrich in den Sicherheitsratsresolutionen 813 vom November 1992 und 856 vom März 1993 zunächst die Option auf eine regionale Konfliktlösung und bekundete Unterstützung für die ECOMOG, erkannte jedoch im Zuge langwieriger Sondierungen von Sonderbotschaftern der UNO und der OAU, daß nicht nur die militärische Situation im Patt gemündet war, sondern auch ein Entgegenkommen gegenüber den Positionen der NPFL und frankophoner Staaten erforderlich war, um einen Ausweg aus der Krise zu weisen.

Resultat war das – auf einer einwöchigen Konferenz in Genf vorbereitete – Abkommen von Cotonou/Benin im Juli 1993. Wie in Yamoussoukro wurden auch diesmal ein Waffenstillstand (per 1. August 1993), die Entwaffnung und Demobilisierung der Kriegsparteien und ein Friedensschluß durch allgemeine Wahlen vereinbart. Die Übergangsregierung sollte durch einen Übergangsstaatsrat abgelöst werden, in den die NPFL, die ULIMO und die bisherige Interimsregierung Vertreter entsenden sollten. Die ULIMO war also, wie von der NPFL und den frankophonen Staaten gefordert, Vertragspartei. Der Waffenstillstand, die Entwaffnung und der Friedensprozeß bis zu den Wahlen sollten durch eine modifizierte ECOMOG überwacht werden. Der Anteil Nigerias an der Streitmacht sollte – auch dies entsprach den Forderungen der NPFL und der frankophonen Staaten – erheblich reduziert, militärische Kontingente von Staaten außerhalb der westafrikanischen Region zusätzlich eingegliedert werden. Dafür kamen die anglophonen Staaten Uganda, Tanzania, Zambia, und Zimbabwe sowie Ägypten und vorübergehend Marokko ins Gespräch. Schließlich wurde – ebenfalls eine Konzession an die NPFL und die frankophonen Staaten – vereinbart, daß die UNO den gesamten Friedensprozeß einschließlich der für Februar 1994 in Aussicht gestellten Wahlen zu überwachen und die Neutralität der »Peace-keeping«-Streitmacht, die trotz Erweiterung die Bezeichnung ECOMOG behalten sollte, zu garantieren hatte.

Versuche zur Umsetzung des Abkommens von Cotonou

Die Umsetzung des Cotonou-Abkommens gestaltete sich sehr schwierig, weil sich die Vertragsparteien mißtrauisch belauerten, die Modifizierung der ECOMOG zunächst nicht in Gang kam und die Entsendung eines UNO-Beobachterteams auf sich warten ließ. Zwar hielt der am 1. August eingetretene Waffenstillstand in weiten Teilen des Landes, jedoch gab es einige Verstöße von Seiten der ULIMO und der NPFL. Zudem entwickelten sich Kämpfe zwischen rivalisierenden NPFL-Gruppierungen einerseits, sowie der ULIMO-Abspaltung Liberia Peace Council (LPC) gegen die NPFL nahe der ivorischen Grenze andererseits. Dennoch konstituierten sich – mit Verzögerung gegenüber dem Zeitplan – der Interimsstaatsrat und ein Interimsparlament. Außerdem bildete die UNO – mit Geldern vor allem der USA – einen Liberia-Treuhandfonds, der ECOMOG-Zusatzkontingente aus Ägypten, Uganda, Tanzania und Zimbabwe finanzieren soll. Derzeit erscheint allerdings noch immer ungewiß, ob die bisher ergriffenen Schritte dynamisch und konsensfähig genug sind, um den Friedensprozeß zu tragen. Es wäre eine Überraschung, wenn sich der Wahltermin im Februar 1994 realisieren ließe. Darüber hinaus blieb durch das Cotonou-Abkommen unklar, wie mit dem Kriegsschauplatz Sierra Leone zu verfahren war.

Vorläufige Bilanz

Die von Nigeria geführte ECOMOG-Intervention in Liberia ist in ihrem rein regionalen Zuschnitt gescheitert, hatte dennoch aber einige beachtliche Teilerfolge: Daß überhaupt eine solche Militäraktion auf regionaler Basis realisiert werden konnte, hätte noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Die beträchtlichen ökonomischen, militärischen und logistischen Kapazitäten der Regionalmacht Nigeria haben die Intervention ermöglicht. Ohne nigerianisches Engagement wäre eine solche Aktion undenkbar. Am Horn von Afrika zum Beispiel fehlt eine solche Regionalmacht. Deshalb kam dort zunächst nur eine von außerafrikanischen Mächten getragene Intervention in Frage. Die ECOMOG-Intervention hat in Liberia 1990 das bestialische Blutvergießen beendet und die – sonst kaum zu vermeidende – Machtübernahme durch Charles Taylor verhindert.

Negativ schlug zu Buche, daß Nigeria ebenso wie Frankreich und die USA vor der Aufgabe des »Peace-keeping« und politischen Bemühungen zur Beendigung der Krise nationale Interessen verfolgte, die auf einen militärischen Sieg über die NPFL zielten. Führte einerseits die fehlende Friedensbereitschaft der liberianischen Kriegsparteien zur Verlängerung des Krieges, so waren es andererseits neben den Interessen der USA und Frankreichs auch die Interessen Nigerias, die eine überparteiliche Konfliktschlichtungsaktion der ECOMOG verhinderten. Zudem haben die USA und die UNO – sowie auch die OAU – zu lange dem Politikansatz vertraut, trotz der Kenntnis über die Kluft zwischen Nigeria und der Mehrheit der frankophonen Staaten mittels der ECOWAS eine regionale Lösung für ein regionales Problem zu finden. Erst Mitte 1993 hat die UNO einen Kurswechsel vollzogen, als das Scheitern des regionalen Krisenlösungsansatzes seit langem offensichtlich war. Trotzdem ist noch offen, ob die UNO nunmehr die Überparteilichkeit der (modifizierten) »Peace-keeping«-Streitmacht wird garantieren können. Partikularinteressen verschiedener in den Liberiakonflikt involvierter Staaten (Nigeria, frankophone Staaten, USA, Frankreich) könnten dies verhindern.

zum Anfang | Das externe wirtschaftliche Umfeld: Afrika zwischen Schuldenfalle, Rohstoffpreisverfall, nachlassender Entwicklungshilfe, zerstörerischer Nahrungsmittelhilfe und ungebrochenem Protektionismus des Nordens

von Cord Jakobeit

Nach dem Ausklingen der ersten Welle der Demokratisierungsbemühungen ist in den meisten Staaten Afrikas die anfängliche Euphorie inzwischen allgemeiner Ernüchterung gewichen. Dennoch sehnt sich sicher nur eine Minderheit nach repressiver Diktatur, Folter, willkürlichen Verhaftungen und der Friedhofsruhe der Vergangenheit zurück. Allerdings ist in den meisten Fällen eine der wichtigen Stufen im Demokratisierungsprozeß, die mit freien Wahlen ermöglichte Ablösung der alten Herrscher durch die demokratische Opposition, eher die Ausnahme als die Regel geblieben. Wo sie dennoch erreicht wurde, mußte die Bevölkerung – ebenso wie bei den Fällen nunmehr formal demokratisch legitimierter alter Herrschaft – rasch einsehen, daß zwischen Versprechungen des Wahlkampfes und deren Realisierung in der Zeit danach vielfach eine große Lücke besteht. Selbst die Respektierung der individuellen Menschenrechte ist längst noch nicht allgemein gewährleistet. Im wirtschaftlichen Bereich mußten überspannte Erwartungen angesichts fehlender Ressourcen fast zwangsläufig enttäuscht werden. Damit stellt sich die Frage, welche Rolle das wirtschaftliche Umfeld für die Zukunft des Demokratisierungsprozesses in Afrika spielt. (…)

Analytisch könnte man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach internen Faktoren, die eine demokratische Regierung entscheidend beeinflussen kann, und externen Faktoren, die sich einer direkten Beeinflussung weitgehend entziehen, unterscheiden. Natürlich sind Maßnahmen gegen die Korruption, die schlechte Qualität der öffentlichen Dienstleistungen und die vielfach falschen Signale in der heimischen Preis- und Wirtschaftsstruktur notwendig und möglich. Selbstverständlich haben fehlende Diversifizierung, Verschuldung durch Kapitalflucht, Prestigeinvestitionen sowie falscher Umgang mit Entwicklungshilfe handfeste interne Ursachen. Dennoch verlangt ein effektives Vorgehen gegen diese Mißstände im wirtschaftlichen und politischen Bereich kurzfristig finanzielle Mittel, die im notwendigen Umfang zunächst nur von außen kommen können. (…) Dieser Beitrag befaßt sich daher mit den Entwicklungen, die das externe Wirtschaftsumfeld der Demokratisierungsbemühungen bestimmen. Eine Untersuchung der Verschuldungsproblematik, der Rohstoffpreisentwicklung, der Höhe der finanziellen Gebertransfers, der Auswirkungen von Nahrungsmittelhilfe und der Chancen auf eine Minderung des Handelsprotektionismus der Industrieländer erlaubt zumindest kurz- bis mittelfristig eine Einschätzung darüber, inwiefern von außen eher mit Rückenwind zu rechnen wäre, bzw. ob der schwierige und sicher langwierige Demokratisierungsprozeß in Afrika auch weiterhin mit starkem Gegenwind rechnen muß.

Verschuldungsmisere ohne Ende: Kosmetik statt Korrektur

Am Anfang der Überlegungen zur Verschuldung in Afrika südlich der Sahara müssen deren Struktur und relative Bedeutung erläutert werden. Afrikas Verschuldung hat sich seit 1980 auf inzwischen US-$ 183,4 Mrd. mehr als verdreifacht (vgl. die Zahlenangaben der Weltbank zur Verschuldung in Afrika, hier nach Böhmer 1993: 7 f.). Zwar liegt Afrikas Anteil an der Gesamtverschuldung der Dritten Welt nur bei rund 13%, wobei Nigeria allein rund 20% der Verschuldung des Kontinents abdeckt, aber alle Verschuldungsindikatoren zeigen, daß die Dramatik des Problems in Afrika mit Abstand am größten ist. Im Vergleich zur gegenwärtigen Produktions- und Rückzahlungsfähigkeit hat Afrikas Verschuldung längst ein Ausmaß angenommen, das eine vollständige Rückzahlung definitiv ausschließt. Während in Lateinamerika und der Karibik bzw. in Südasien die Gesamtverschuldung nur rund 35% des Bruttosozialprodukts ausmacht, liegt dieser Wert in Afrika bei fast 110%. Afrika muß jährlich rund US-$ 10 Mrd. für den Schuldendienst aufbringen. Zwischen 1983 und 1992 floßen US-$ 96,8 Mrd. an Zins- und Tilgungszahlungen ab, ohne daß alle Forderungen der Gläubiger bedient werden konnten. Die Gesamtverschuldung stieg daher weiter an. Im afrikanischen Durchschnitt müssen fast 20% der Exporteinnahmen für die Bedienung der Schulden aufgewendet werden. Das sind Mittel, die dringend für die Reparatur der Infrastruktur, für Krankenhäuser, Schulen usw. gebraucht würden. Während jedoch in Südamerika nur rund ein Drittel der Verschuldung auf öffentliche bzw. öffentlich garantierte Kredite entfällt, besteht Afrikas Verschuldung zu über 80% aus Krediten, die von bilateralen bzw. multilateralen Gebern gewährt wurden. Da sich private Geber bisher beharrlich weigern, Entschuldung und Schuldenstreichung ernsthaft und umfassend zu diskutieren, (…) hat Afrika angesichts der sehr viel größeren Bedeutung der bi- und multilateralen Geber wenigstens in diesem Punkt einen Vorteil, da seine Verschuldungssituation potentiell durch direktes staatliches Handeln der Geber verbessert werden kann.

Für Afrika stellt sich schon seit langem nicht mehr nur die Frage, ob Schulden gestrichen werden sollen. Es kommt vielmehr darauf an, daß Schulden nicht unkoordiniert, zu gering und zu spät gestrichen werden, sondern so, daß dadurch ökonomische und politische Reformen gefördert und die Lebensbedingungen für die Menschen verbessert werden. Wird das bisherige Handeln der bi- und multilateralen Geber einem solchen Anspruch gerecht?

Zwar haben zwischen 1986 und 1990 über 30 afrikanische Staaten Umschuldungsvereinbarungen unterzeichnet, darunter etliche mehrfach, dennoch ist in diesem Zeitraum die Gesamtverschuldung um 48% gestiegen. Umschuldungen ohne Schuldenstreichung erhöhen nur die Gesamtverschuldung, da die geänderten Zahlungsfristen und -modalitäten durch höhere Verzugszinsen und Gebühren erkauft werden müssen. Im Rahmen des sogenannten Toronto-Paketes wurde daher ab 1988 erstmals in größerem Umfang damit begonnen, bei Umschuldungen Teile der Schuld zu erlassen. Die Toronto-Konditionen enthalten ein Schenkungselement von rund 20% und wurden bis Mitte 1991 bei 18 afrikanischen Staaten mit niedrigem Einkommen angewendet. Weitergehende Vorschläge, wie die Trinidad- und die Bangkok-Konditionen, haben das Schuldenstreichungselement erweitert. Bis Ende 1992 haben mit Ausnahme der USA und Japans alle westlichen Industriestaaten Schuldenstreichungen bei den ärmeren afrikanischen Staaten vorgenommen, die etliche ärmere Staaten entlastet haben. Außerdem gehörten 1992 nach der Klassifizierung der Weltbank schon zehn Staaten in die Gruppe der Staaten ohne Verschuldungsprobleme. Da auf diese Gruppe jedoch nur 4,4% der gesamten Auslandsverschuldung des Kontinents entfällt, muß dennoch festgestellt werden, daß die bisherigen Schuldenstreichungen im Vergleich zur Gesamtverschuldung marginal geblieben sind. (…) Um dem Demokratisierungsprozeß nachhaltig von außen unter die Arme zu greifen, reichen die bisherigen Zugeständnisse und die bisherigen Modelle einer erweiterten Schuldenstreichung jedoch für rund die Hälfte der Staaten des Kontinents nicht aus.

Forderungen an die multilateralen Geber: Kontrollierte Streichung statt endlose Streckung

Im Vergleich zu den bilateralen Gebern ist die Lage bei den multilateralen Gebern noch problematischer. Obwohl sich deren Anteil an der Gesamtverschuldung seit 1980 im Durchschnitt auf inzwischen 24,2% fast verdoppelt hat, und obwohl der Anteil von Weltbank und Währungsfonds am gesamten jährlichen Schuldendienst Afrikas inzwischen bei fast 50% liegt, beharren die beiden wichtigsten multilateralen Geber weiter darauf, daß ihre Kredite nicht abgeschrieben bzw. reduziert werden können. Mit dem Ausbruch der Schuldenkrise zogen sich die privaten Geber fast vollständig vom Kontinent zurück, während gleichzeitig die bilateralen Geber ihre Entwicklungshilfeleistungen von Strukturanpassungsprogrammen der jeweiligen Staaten mit Währungsfonds und Weltbank abhängig machten. Da die Kredite des Währungsfonds auf die Beseitigung kurzfristiger Zahlungsbilanzprobleme abzielen, die afrikanische Verschuldungskrise – und nicht nur die – aber zum dauerhaften Problem geworden ist, fließen seit Mitte der 80er Jahre mehr Mittel an den IWF zurück als umgekehrt an neuen Krediten von ihm vergeben werden (vgl. Tab. 2). Lediglich den »weichen« Konditionen der Weltbanktochter IDA ist es zu verdanken, daß der Mittelfluß durch die multilateralen Geber insgesamt positiv geblieben ist.

(…)

Statt den ökonomischen und politischen Reformprozeß durch Schuldenstreichung zu unterstützen, ziehen sich die multilateralen Geber auf ihre Satzungen zurück, die Schuldenstreichungen ausschließen. Es werden lediglich neue konzessionäre Mittel bereitgestellt und die alten Zahlungsunfähigkeitskriterien neu definiert. Daneben wird jedoch unverändert argumentiert, daß weitergehende Schritte, insbesondere Schuldenstreichung bzw. Schuldenverzicht, die eigene Bonität an den internationalen Finanzmärkten einschränken, zu gefährlichen Präzedenzfällen in anderen Kontinenten führen und die reformorientierten und zahlungsbereiten Staaten benachteiligen müßten.

In der Tat wäre eine Schuldenstreichung, die es afrikanischen Staatsklassen problemlos erlaubt, zu den Fehlern der Vergangenheit zurückzukehren, eindeutig die denkbar schlechteste Alternative. Angesichts der besonderen Schwäche afrikanischer Volkswirtschaften sollte jedoch eine an politische und ökonomische Bedingungen geknüpfte Schuldenstreichung in Etappen weder zu Prestigeverlusten der beiden wichtigen multilateralen Geber an den Finanzmärkten noch zu einem Dammbruch in der Zahlungsmoral der Schuldner führen. (…) Die bestehende ökonomische Konditionalität in der Strukturanpassungspolitik – Steigerung der Deviseneinnahmen, Abwertung der Währung, Abbau des Staatsdefizits durch drastische Ausgabenkürzungen, usw. – klammert die mittel- und langfristige Brisanz der Verschuldungssituation aus. Dies kann leicht zum paradoxen Ergebnis führen, daß selbst ein Staat, der die bittere Medizin der multilateralen Geber willig schluckt, schon mittelfristig von seiner Schuldenlawine überrollt wird. Es ist lange überfällig, daß die multilateralen Geber und die sie kontrollierenden Staaten des Nordens ihre Schuldenpolitik gegenüber Afrika grundlegend modifizieren, wenn der Demokratisierungsprozeß nicht weiter in der Verschuldungsfalle stranguliert werden soll.

Rohstoffpreisentwicklung – Freier Fall ohne Netz

Ohne steigende Deviseneinnahmen läßt sich weder der notwendige Schuldendienst aufbringen noch können die dringend benötigten Importe und Investitionen finanziert werden, um die Wirtschaft neu zu beleben. Der Kontinent hängt jedoch seit den Tagen der kolonialen Inwertsetzung wesentlich vom Export seiner agrarischen und mineralischen Rohstoffe in Richtung Norden ab, da es weder gelungen ist, die industrielle Entwicklung voranzutreiben noch den regionalen Handel nachhaltig zu beleben. Afrika ist weiterhin in besonderem Maße von der Preisentwicklung auf den Internationalen Rohstoffmärkten abhängig. Tab. 1 zeigt, daß sich seit Mitte der 80er Jahre aus der Perspektive aller Entwicklungsländer keine Verbesserung der Lage ergeben hat, (…). Selbst bei den landwirtschaftlichen Rohstoffen und den Metallen und Mineralien, deren Preisniveau relativ besser zu sein scheint, stagnieren die Notierungen um das höhere Niveau, das schon 1987/88 erreicht wurde.

Unverändert dramatisch ist dagegen weiter die Situation für die tropischen Genußmittel, die als klassische Kolonialwaren in vielen Ländern West-, Zentral- und Ostafrikas eine besondere Bedeutung haben, weil sie vorwiegend als kleinbäuerliche Familienkulturen angebaut werden. Während die Teepreise bei dieser Untergruppe noch ein gewisses Gegengewicht liefern konnten, fehlen für die Preisstürze bei Kakao und Kaffee sogar die historischen Parallelen. So war der 1992 für Kakao ausgewiesene durchschnittliche Weltmarktpreis real der niedrigste seit 1854, d.h. dem Jahr, seit verläßliche Weltmarktnotierungen für Kakao statistisch erfaßt werden.

(…)

Die Gründe für das massive Überangebot von Kakao und Kaffee auf den Weltmärkten liegen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Die Anbieter haben auf die vergleichsweise hohen Weltmarktpreise Ende der 70er Jahre z.T. mit massiven Neuanpflanzungen reagiert. Bei einigen landwirtschaftlichen Produkten sind außerdem in Südostasien neue Anbieter in die Märkte eingestiegen, wodurch sich der Preisdruck verstärkt hat. Im Rahmen der Strukturanpassungspolitik seit Beginn der 80er Jahre haben die multilateralen Geber unterschiedslos alle bisherigen Anbieter zunächst zur Wiederherstellung und Verbesserung der traditionellen Exportprodukte gedrängt und damit zum Überangebot beigetragen. So wurde pro-zyklisch gehandelt, statt anti-zyklisch das Angebot zu verknappen. Hinzu kommt, daß vielen der kleinbäuerlichen Anbieter häufig kurz- oder mittelfristig die Alternative für den Gelderwerb schlicht fehlt,

(…)

Als Folge der ökonomischen Einbrüche nach dem revolutionären Wandel in Mittel- und Osteuropa zeichnen sich zudem zwei weitere, für Afrika nachteilige Entwicklungen ab. Erstens fallen diese Märkte bis auf weiteres für die Aufnahme afrikanischer Rohstoffe aus, und zweitens verfügen sie mittelfristig mit ihren Mineralien und verarbeiteten Erzeugnissen über das Potential, sich zu ernsthaften Mitbewerbern auf den Märkten der Industrieländer zu entwickeln.

Langfristig dürfte für Afrika kaum etwas an der Notwendigkeit vorbeiführen, über Diversifizierung, Weiterverarbeitung und zunächst agrar-orientierte Industrialisierung die Abhängigkeit von den traditionellen Agrarprodukten zu reduzieren, um den tendenziellen Bedeutungsverlust der landwirtschaftlichen Rohstoffe auffangen zu können.

Die Position der Industrieländer bei den Rohstoffverhandlungen: Neues Verständnis statt Beibehaltung der Ideologie der Vergangenheit

Wie steht es um die Bereitschaft der Industrieländer, den Entwicklungsländern im Demokratisierungsprozeß bei den laufenden Rohstoffverhandlungen entgegenzukommen? Zunächst ist es erstaunlich, daß seit einigen Monaten überhaupt wieder ernsthaft über neue internationale Kakao- und Kaffeeabkommen verhandelt wird. Noch Ende der 80er Jahre waren in der Bundesrepublik die Industrieverbände, deren Mitglieder tropische Genußmittel importieren und verarbeiten, der Meinung, daß nur das freie Spiel von Angebot und Nachfrage über den Preis bestimmen sollte. Ausgerechnet für diesen Teil des Weltmarktes sollte gelten, was bei den eigenen Industrieexporten längst keine Gültigkeit mehr beanspruchen konnte. (…)

Woher also nun der plötzliche Sinneswandel? Festzuhalten ist zunächst, daß er nichts mit einer politisch gewollten ökonomischen Unterstützung der Demokratisierungs- und Strukturanpassungsbemühungen zu tun hat. Sonst würden nicht relativ sinkende Ausgaben für die Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik in so eklatanter Weise mit den gestiegenen Steuereinnahmen aus dem Rohstoffimport in Widerspruch stehen. Beispielsweise erzielte die Bundesrepublik 1980 bei einem Gesamtwert der Rohkaffeeimporte von DM 2,8 Mrd. Einnahmen aus der Kaffeesteuer in Höhe von DM 1,5 Mrd. Im Jahre 1991 hatte sich dagegen der Gesamtwert der Rohkaffeeimporte auf DM 1,8 Mrd. verringert, während gleichzeitig die Einnahmen aus der Kaffeesteuer auf DM 2,2 Mrd. angestiegen waren. Die niedrigen Preise für die Rohstoffe der Dritten Welt haben den Besteuerungsspielraum der Bundesregierung verbessert, während gleichzeitig die Ausgaben für die Entwicklungshilfe bezogen auf die Wirtschaftskraft des Landes relativ zurückgingen.

Ursache für den Sinneswandel bei den Rohstoffverhandlungen ist eine andere Befürchtung. Die Preise haben sich nach dem Auslaufen des internationalen Kaffeeabkommens keineswegs stabilisiert, sondern sind drastisch gefallen. Die Gefahr wird immer größer, daß vorhandene Plantagen nicht mehr gepflegt und abgeerntet werden, und daß Neuanpflanzungen mangels Kapital gänzlich unterbleiben, so daß es schon mittelfristig zu erheblichen Preissprüngen auf dem Weltmarkt kommen könnte. Wenn diese Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben werden müssen, entbrennt in der Branche der Verdrängungswettbewerb wieder mit voller Kraft. Wenn man jetzt wenigstens wieder miteinander spricht, geht es also nicht primär um die Interessen der Produzenten, sondern vornehmlich um die Partikularinteressen des Zwischenhandels auf Seiten der Konsumenten. (…) Funktionierende Rohstoffabkommen sind jedoch die Voraussetzung dafür, daß das Integrierte Rohstoffprogramm der UNCTAD – 1976 konzipiert und 1989 endlich in Kraft gesetzt – zumindest versuchen kann, den freien Fall der Rohstoffpreise zu stoppen.

Trotz gewisser Hoffnungsschimmer muß das Fazit für wichtige Rohstoffe daher ebenso lauten wie bei der Verschuldungsproblematik. Daran können auch die verschiedenen Kompensationsbemühungen der multilateralen Geber – die Lomé-Vereinbarungen mit der EG, die Ausgleichsfazilitäten des IWF sowie die diversen Hilfsprogammen speziell für Afrika – wenig ändern, da die bereitgestellten Mittel bei weitem nicht ausreichen, um dem Rohstoffpreisverfall wirkungsvoll begegnen zu können.(…)

Afrika am Tropf: Die Konkurrenz Osteuropas um knapper werdende Mittel

Wenn weder eine Lösung der Verschuldungskrise bevorsteht noch mit einer nachhaltigen Preisbelebung auf den Rohstoffmärkten zu rechnen ist, wird der schwierige Demokratisierungsprozeß dann wenigstens durch einen kräftigen Mittelzufluß aus öffentlichen und privaten Quellen gefördert? Auch die Initiatoren der Strukturanpassung hatten in ihren theoretischen Vorüberlegungen erkannt, daß ein massiver Zufluß von Direktinvestitionen und finanziellen Hilfen eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der Reformpolitik wäre. Tab. 2 zeigt, daß sich diese Hoffnungen kaum oder nur in Ansätzen erfüllt haben.

Entgegen einem verbreiteten Vorurteil hat es zwar für den Kontinent insgesamt keinen Nettokapitalabfluß gegeben, aber die z.T. hohen Nettoabflüsse an den IWF, beim Vermögenstransfer und bei der Bedienung der Schuldenlast werden inzwischen fast ausschließlich von der internationalen Entwicklungshilfe aufgefangen. Aufgrund der politischen und ökonomischen Instabilität sowie wegen der dramatischen Verschuldungssituation spielt Afrika im internationalen Vergleich sowohl bei den Direktinvestitionen als auch im Kalkül der privaten Banken praktisch keine Rolle mehr. Als Investitionsstandort, als Zielregion für Exportkredite und als Empfänger öffentlicher, Entwicklungshilfe schiebt sich gerade aus der westeuropäischen Perspektive Mittel- und Osteuropa immer stärker in den Vordergrund, wo im Zweifel auf schneller sichtbare Erfolge gesetzt wird. So sind im Haushalt für die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik für 1993 nicht nur reale Kürzungen zu verzeichnen, sondern auch Umschichtungen zugunsten der Osteuropahilfe.

Natürlich bedeutet der Wandel in Osteuropa auch, daß die früher sozialistischen Staaten weitgehend als Geber ausgefallen sind. Wenn die Entwicklungszusammenarbeit nicht gänzlich eingestellt wurde, so wurde sie in jedem Fall auf kleine Programme der Technischen Hilfe reduziert. Drastische Kürzungen gab es in jüngster Zeit auch bei der Hilfe aus arabischen Quellen, da die Unterstützung der Golfstaaten nach dem zweiten Golfkrieg zwangsläufig zurückgegangen ist.

Bleibt also nur die Internationale Entwicklungshilfe von Seiten der OECD-Länder. Zwar hat sie sich seit Beginn der 80er Jahre mehr als verdoppelt und dabei auch das Zuschußelement immer weiter gesteigert, aber der Nettoressourcenfluß hat sich seit Ende der 80er Jahre nicht mehr deutlich verbessert. Berücksichtigt man dann das Sinken der Entwicklungshilfe aus den Staaten des ehemals sozialistischen Lagers sowie aus der arabischen Welt, so muß Afrika südlich der Sahara seit Beginn des Demokratisierungsprozesses faktisch mit geringeren Hilfen von außen kalkulieren.

Zerstörerische Nahrungsmittelhilfe: Das Beispiel der EG-Fleischexporte nach Westafrika

Ein Plädoyer gegen das schleichende Herausstehlen der Industrieländer aus der Verantwortung, für Afrika darf jedoch nicht vor einer Kritik an bestimmten Formen der Hilfe zurückschrecken. Zwar wird niemand ernsthaft die moralische Verpflichtung zur Katastrophen- und Soforthilfe bei akuten Notlagen in Frage stellen, aber wenn diese Hilfe, zu einer institutionalisierten Nahrungsmittelhilfe wird, bewirkt dies häufig eine dauerhafte Nachfrage nach Lebensmitteln, die nicht oder nicht in ausreichenden Mengen im Land produziert werden können, wodurch wiederum die eigenen Bauern mit ihren Produkten vom lokalen Markt verdrängt werden. Inzwischen werden mindestens drei Viertel aller Nahrungsmittelhilfen in einer institutionalisierten Dauerform, also unabhängig von akuter Not, vergeben. Diese Form der Hilfe trägt nicht zu Lösungen bei; sie ist selbst Teil und Ursache vieler Probleme.

(…)

Eine unrühmliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang besonders die Europäische Gemeinschaft. Sie verwendete in den 1980er Jahren im Durchschnitt über 30% ihrer Entwicklungshilfe für die Nahrungsmittelhilfe, wobei es primär darum ging, die chronischen Überschüsse der verfehlten gemeinsamen Agrarpolitik auf Drittmärkten abzustoßen. So hat die EG z.B. mit massiv subventionierten Rindfleischexporten nach Westafrika die Existenzgrundlage von Millionen von Nomaden existentiell bedroht bzw. zerstört. Während der Verbraucher in der EG durchschnittlich DM 15 pro kg Rindfleisch zahlt, wird es für den Export nach Westafrika auf weniger als DM 3,40 pro kg heruntersubventioniert. Mit diesem Dumpingpreis wird die lokale Konkurrenz aus der westafrikanischen Savanne ausgeschaltet, da hier Frischfleisch kaum unter DM 4,40 pro kg angeboten werden kann. Auf diese Weise hat die EG ihre Rindfleischexporte nach Westafrika in den 1980er Jahren versiebenfacht. Die Schizophrenie dieser Politik wird dadurch komplettiert, daß im gleichen Zeitraum mit bilateralen und EGMitteln Projekte zur Förderung der Fleischproduktion in mehreren Staaten Westafrikas finanziert wurden, ohne daß eine Aussicht auf wirtschaftliche Tragfähigkeit bei dem gegebenen Rindfleisch-Dumping der EG abzusehen wäre. Zwar wird von verschiedener Seite inzwischen auf diese Mißstände hingewiesen, aber die politische Korrektur steht in der Sache immer noch aus. Für den subventionierten Weizenexport der USA oder für den von Japan finanzierten Export asiatischer Reisüberschüsse nach Afrika lassen sich ähnliche Mißstände auch bei den anderen großen Gebern aufzeigen. Statt die eigenen Überschüsse zu Lasten afrikanischer Produzenten auf die Märkte zu werfen, sollte eine sinnvolle Politik dafür sorgen, daß im Katastrophenfall zunächst die in zahlreichen Staaten Afrikas produzierten Überschüsse bei den lokalen Grundnahrungsmitteln aufgekauft werden. Die institutionalisierte Nahrungsmittelhilfe trägt in ihrer jetzigen Form dagegen dazu bei, daß das wirtschaftliche Umfeld für einen politischen und ökonomischen Neubeginn mit einer weiteren Hypothek belastet bleibt.

Handelsprotektionismus des Nordens: Von einer Öffnung der Märkte weit entfernt

Zwar lassen sich die durch den Protektionismus der Industrieländer verursachten Export- und Wohlstandseinbußen nur schwer abschätzen, alle Studien stimmen jedoch darin überein, daß ein konsequenter Abbau des Protektionismus z.T. erhebliche Wohlstandseffekte für die Entwicklungsländer mit sich brächte. Selbst die niedrigsten Schätzungen kommen zu dem Schluß, daß die Entwicklungsländer bei einer umfassenden Handelsliberalisierung – einschließlich einer weiteren substantiellen Zollsenkung und eines konsequenten Abbaus der nicht-tarifären Handelshemmnisse – den Export von Gütern und Dienstleistungen um mindestens 5% erhöhen könnten, was Mehreinnahmen in Höhe von rund US-$ 60 Mrd. bedeuten würde. Diese Summe entspricht in etwa den gesamten jährlichen Entwicklungshilfeleistungen der Industrieländer.

Wie steht es um die Realisierungschancen eines solchen Schrittes? Als Indiz für die geringe Bereitschaft der Industrieländer zum Abbau des Protektionismus mag der Verweis auf den mehr als schleppenden Verlauf der GATT-Verhandlungen genügen. Das GATT wird von den Zynikern nur noch als »General Agreement to Talk and Talk« bezeichnet. (…) Die Interessen und die Gegensätze der Industrieländer bestimmen Ablauf und Gegenstand der Verhandlungen, während gleichzeitig die Tendenzen in Richtung auf eine regionale Blockbildung immer unübersehbarer werden.

Außerdem muß klargestellt werden, daß Afrika von einer umfassenden Liberalisierung des Welthandels weniger begünstigt würde, als die besser gestellten Entwicklungsländer. Es wären lediglich indirekte Vorteile zu erwarten. Afrika exportiert primär unverarbeitete Rohstoffe auf die Märkte der EG, die schon jetzt im Rahmen der Lomé-Assoziierung unbeschränkten Zugang erlauben. Profitieren könnte der Kontinent nur von der Mehrnachfrage nach Rohstoffen, die in der Folge eines liberalisierungsbedingten Wachstumsschubs für die Weltwirtschaft zu erwarten wären.

(…)

Insgesamt sollte Afrika einen möglichen Protektionsabbau dennoch begrüßen, denn dadurch stiege die Chance für eine Industrialisierung, die bei der Weiterverarbeitung der eigenen Rohstoffbasis ansetzt.

Die Perspektiven: Demokratisierungschancen bei einem schwierigen außenwirtschaftlichen Umfeld

Es gibt im außenwirtschaftlichen Umfeld zwar einige Hoffnungsschimmer, der fundamentale Wandel der Rahmenbedingungen, der für einen schnellen Erfolg des ökonomischen und politischen Reformprozesses notwendig wäre – umfangreiche Schuldenstreichungen, Kompensationszahlungen für Rohstoffpreiseinbrüche und höhere Bereitschaft zum Abschluß von internationalen Rohstoffvereinbarungen sowie Steigerung der Entwicklungshilfe bei gezielter Konditionalität zum Erreichen der Armutsgruppen und entschlossenem Abbau kontraproduktiver Nahrungsmittelhilfe –, läßt aber weiter auf sich warten. Auch was den Marktzugang in den Ländern des Nordens betrifft, zeigen sich die Industrieländer weiterhin nicht bereit, den weltweiten Prozeß der Demokratisierung ökonomisch abzusichern. Der afrikanische Demokratisierungsprozeß findet in einem außenwirtschaftlichen Umfeld statt, das die spezifischen Probleme des Kontinents weitgehend außer acht läßt. Ist er damit notwendigerweise zum Scheitern verurteilt?

Ob durch Revolution, Militärputsch oder durch Abwahl, Regierungen scheitern dann, wenn es ihnen nicht gelingt, die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung zu verbessern bzw. sie mindestens zu stabilisieren. Umgekehrt erhalten sie große politische Legitimität, wenn es gelingt, das Los einer Mehrheit nachhaltig zu verbessern. Selbst bei ökonomischen Erfolgen geht die Legitimität durch permanente Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Partizipation an den Entscheidungen verloren, wenn damit nicht sogar auch die Dauerhaftigkeit des ökonomischen Erfolges ernsthaft in Frage gestellt wird.

Selbst bei fehlender außenwirtschaftlicher Unterstützung erscheint es daher nicht unmöglich, durch interne Reformpolitik politische Legitimität zu halten und zu gewinnen. Eine demokratisch gewählte Regierung, die die Menschenrechte respektiert, sich eine Armutsbekämpfungs- und Entwicklungsorientierung auf die Fahnen schreibt, vom zentralen Kommandostaat abrückt, dezentralen und föderalen Strukturen eine Chance gibt und zudem ernsthaft versucht, diese Ziele auch umzusetzen, muß nicht notwendigerweise scheitern. Der Spielraum für eine andere Akzentsetzung bei internen ökonomischen Entscheidungen ist sicher noch nicht ausgereizt. Diese Aufgabe ist allerdings ungleich schwerer zu lösen, als wenn sie gezielt von außen unterstützt würde. Angesichts der bleiernen Schwere der außenwirtschaftlichen Faktoren muß unter den gegenwärtigen Bedingungen daher davor gewarnt werden, den politischen Demokratisierungs- und Lernprozeß in Afrika allzu optimistisch zu beurteilen. Selbst bei allerbestem Willen einer demokratisch legitimierten Regierung in Afrika bleiben die Hürden hoch. Es deutet wenig darauf hin, daß der Norden seiner besonderen Verantwortung für diesen Prozeß gerecht wird.

Tab. 1: Rohstoffpreisindices
des IWF,
Jahresdurchschnittswerte, 1985-1992
Jahr Gesamt-
index
IL EL Nahrungs-
mittel
trop. Genuß-
mittel
landwirt.
Rohst.
Metalle u.
Min.
1985 100 100 100 100 100 100 100
1986 96 94 99 88 115 102 94
1987 104 107 102 90 83 136 112
1988 128 135 120 115 83 149 161
1989 127 136 117 119 69 145 164
1990 118 125 109 108 60 139 150
1991 112 118 105 107 56 135 134
1992 112 119 103 109 49 139 130
Anteile am Gesamtindex in %     31,4 18,2 22,5 27,9
ohne Erdöl und Gold; Nahrungsmittel: Öle und Ölsaaten, Getreide, Zucker, Fleisch, Bananen; Tropische Genußmittel: Kaffee, Kakao, Tee;
Landwirtschaftliche Rohstoffe: Baumwolle, Wolle, Kautschuk, Häute und Felle, Jute und Sisal;
Metalle und Mineralien: Kupfer, Eisenerz, Zinn, Aluminium, Zink, Nickel, Blei
Quelle: IMF, International Financial Statistics, Washington, D.C.: IMF, versch. Jhg.
Tab. 2: Öffentlicher und privater Nettokapitaltransfer nach Afrika südlich der Sahara, 1982-1991,(in Mrd. US-$)
Transfer / Jahr 1983 1985 1987 1989 1990 19911
Nettoressourcenfluß2 12,8 14,5 22,3 23,5 24,1 24,6
Davon:
Öffentl. Finanzhilfe (ODF) 10,5 11,8 17,9 19,4 23,1 23,8
– öffentl. Entwicklungshilfe (ODA) 8,9 10,7 14,9 17,5 20,2 k.A.
– bilateral 6,4 7,5 10,6 12,2 14,2 k.A.
– multilateral 2,5 3,2 4,3 5,3 6,0 k.A.
Exportkredite 0,3 1,1 0,4 2,2 -0,6 -0,3
Private Transfers 2,0 1,6 4,0 1,9 1,6 1,1
– Direktinvestitionen 0,3 -0,2 1,2 2,5 1,1 k.A.
– Bankkredite 1,1 0,8 1,7 -1,6 -1,0 k.A.
– Zuschüße von NRO3 0,6 0,9 1,0 1,0 1,5 k.A.
Zusatzangaben:
Netto-Kreditfluß vom IWF 1,5 k.A. -0,5 -0,4 -0,3 k.A.
Vermögenstransfers -1,3 -3,3 -1,9 -3,3 -3,2 k.A.
Zins- und Dividendenzahlungen (brutto) -6,3 -6,3 -6,6 -8,0 -6,3 k.A.
Offizielle Zuschüsse 5,6 7,4, 9,2 11,5 15,2 k.A.
1) Schätzungen;
2) Nettoressourcenfluß: ODF + Exportkredite + Private Transfers;
3) NROs: Nichtregierungsorganisationen ; k.A.: Keine Angaben .

Quelle: OECD, Financing and External Debt of Developing Countries, 1991 Survey, Paris: OECD 1992

Literatur

Bierschenk. T. u.a.(Hrsg.): Entwicklungshilfe und ihre Folgen: Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika. Frankfurt/Main u.a. 1993

Böhmer, J.: Die Auslandsverschuldung Subsahara-Afrikas: Entwicklung, neuere Initiativen der Gläubiger und Ansatzpunkte für eine Problembewältigung. In: Afrika Spectrum 28 (1993) 1, S. 5-35

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Konsequenzen eines Protektionismusabbaus der EG für die Entwicklungsländer. Informationsvermerk für den Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bonn, 4. 2. 1993

Ekzenwe, U.: The African Debt Crisis and the Challenge of Development. In: Intereconomies 28 (1993) 1, S. 35-43

Herbst, J.: U.S. Economic Policy Toward Africa. New York: Council on Foreign Relations, Press 1992

Jakobeit, C.: Die Zukunft der Rohstoffökonomien in Afrika. In: Hofmeier, R./Tetzlaff, R./ Wegemund, R. (Hrsg.): Afrika – Überleben in einer ökologisch gefährdeten Umwelt. Münster und Hamburg 1992, S. 90-102

Kühne, W.: Demokratisierung in Vielvölkerstaaten unter schlechten wirtschaftlichen Bedingungen. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel Afrikas. In: Nord-Süd aktuell 6 (1992) 2, S. 290-300

Meyns, P./Nuscheler, F.: Struktur- und Entwicklungsprobleme von Subsahara-Afrika. In: Nohlen, D./Nuscheler, F. (Hrs.): Handbuch der Dritten Welt. Band 4: Westafrika und Zentralafrika, 3. Auflage, Bonn 1993, S.13-101

Molt, P.: Chancen und Voraussetzungen der Demokratisierung Afrikas. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament (1993), B 12-l3, S. 12-21,

Schmieg, E.: Factors Influencing Price Developments of Commodities. In: Intereconomics 28 (1993), S. 138-143

Tetzlaff, R.: Demokratisierung von Herrschaft und gesellschaftlicher Wandel in Afrika: Perspektiven der 90er Jahre. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1991

Anmerkung

Durch die freundliche Genehmigung des Autors und des Herausgebers konnte dieser Artikel aus dem »Afrika Jahrbuch 1992. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara« (Hrg. Institut für Afrika-Kunde, Rolf Hofmeier, Leske + Budrich, Opladen 1993) übernommen werden.

Anmerkungen

1) Im folgenden wird, soweit aus dem Kontext nichts anderes hervorgeht, unter »Afrika« die Region des Kontinents südlich der Sahara verstanden. Die Entwicklungen in Ägypten und Algerien werden gleichwohl erwähnt. Zurück

2) Alle numerischen Angaben sind Daten der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung«. Die AKUF, eine Gruppe von fortgeschrittenen Studierenden und Graduierten, widmet sich unter der Leitung von Prof. Dr. K.J. Gantzel der systematischen Beobachtung und Analyse des laufenden Kriegsgeschehens. Zurück

3) Zur hier verwendeten operationalen Definition des Begriffs vgl. Gantzel/MeyerStamer 1986 oder knapper: Gantzel/Schwinghammer/Siegelberg 1992. Zurück

4) Die ausgeschriebenen Formen der Vielzahl von Befreiungsbewegungen und Kampfverbänden auf dem afrikanischen Kontinent würden den Rahmen dieses Textes sprengen. Für die Eigennamen dieser Organisationen wende man sich an die Länderkapitel der diversen Ausgaben des »Afrika Jahrbuch« (1987ff.). Zurück

5) Siehe hierzu den Beitrag von P. Körner in diesem Dossier. Zurück

6) Einige dieser Fälle sind hier nur deshalb nicht als »Kriege« kategorisiert, weil nicht alle der oben genannten Kriterien der operationalen Definition erfüllt sind. Das sollte indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Konflikte von den Betroffenen als Kriegssituationen erlebt werden. Zurück

7) Organization of African Unity, 1963 gegründet, über 50 Mitglieder Zurück

8) Siehe insbesondere Africa Leadership Forum, Kampala Document for a Proposed Conference on Security, Stability, Development and Cooperation in Africa (CSSDCA), Kampala 1991 sowie die Berichterstattung über den OAU-Gipfel 1993 in »West Africa«, »Jeune Afrique« und anderen Medien mit Afrikabezug Zurück

9) Siehe dazu auch: Kathrin Eikenberg/ Peter Körner, Bewaffnete Humanität oder Interessenpolitik? Militärinterventionen in Liberia und Somalia, in: Institut für Afrika-Kunde, Rolf Hofmeier (Hrsg.), Afrika Jahrbuch 1992, Opladen 1993: 34-45 Zurück

10) Siehe UNHCR Bulletin, 1 Oct. 1993: 9-10 Zurück

11) Siehe Le Monde 27.7.1993 Zurück

12) Siehe Margaret A. Vogt (Ed.), The Liberian crisis and ECOMOG: a bold attempt at regional peace keeping, Lagos 1992 Zurück

13) Die nachfolgende Darstellung orientiert sich im wesentlichen an der detaillierteren Aufbereitung von Fakten in den Ausgaben 1990 bis 1992 des »Afrika Jahrbuchs« (hrsg. v. Institut für Afrika-Kunde). Siehe dort die Länderartikel Liberia, Sierra Leone, Nigeria/Außenpolitik, Ghana/Außenpolitik, Senegal/Außenpolitik, Côte d'Ivoire/Außenpolitik, Burkina Faso/Außenpolitik, Guinea/Außenpolitik, Benin/Außenpolitik, Gambia/Außenpolitik sowie die Regionalüberblicke »Westafrika«. Für 1993 siehe besonders »West Africar« und »BBC Summary of World Broadcasts«. Zurück

14) Siehe Michael Clough, The United States and Africa: the policy of cynical disengagement, in: Current History, Vol. 91, No. 565, May 1992: 193-198 Zurück

15) Gründungstext im Anhang von Vogt 1992 Zurück

16) Texte im Anhang von Vogt 1992 Zurück

17) Siehe Margaret A. Vogt, Nigeria's participation in the ECOWAS Monitoring Group – ECOMOG, in: Nigerian Journal of International Affairs, Vol. 17, No. 1, 1991: 101-121 Zurück

18) Am deutlichsten formulierte Burkina Fasos Staatschef Compaoré die Position; siehe Jeune Afrique, 22.5.1991: 53. Zurück

19) Siehe West Africa, 20.8.1990: 2329 Zurück

20) Siehe Emeka Nwokedi, Regional integration and regional security: ECOMOG, Nigeria and the Liberian crisis, Centre d'Etude d'Afrique Noire, Univ. de Bordeaux, Travaux et Documents, No. 35, 1992, passim; Vogt 1991: 105ff Zurück

21) Siehe Patrick de Saint Exupéry/ Sophie Roquelle, La France parie sur le Libéria de Charles Taylor: La »montagne de fer« que convoite l'Elysée, in: Le Figaro 8.1.1992 4 Zurück

22) Siehe Nwokedi 1992: 12 Zurück

23) Siehe West Africa, 11.11.1991: 1886 Zurück

24) Siehe Economist Intelligence Unit (EIU), Country Report Liberia 2/1993: 27 Zurück

25) Siehe Detailinformationen in diversen Ausgaben von »West Africa« und »BBC Summary of World Broadcasts« seit August 1992 Zurück

Dr. Peter Körner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Afrika-Kunde, Hamburg.
Klaus Schlichte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung« an der Uni Hamburg.
Dirk Hansohm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Aufbaustudiengang „Small Enterprise Promotion and Training» und in der Afrika-Studiengruppe an der Universität Bremen.
Dr. Cord Jakobeit ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Internationale Politik der FU Berlin.

Burundi: Zurück zum zivilen Leben?

Burundi: Zurück zum zivilen Leben?

von Friederike Fuhlrott

Das Gebiet der Großen Seen in Ostafrika ist bei uns aus Schlagzeilen über Krieg und brutale Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Genozid bekannt. Das kleine Land Burundi wurde und wird dabei aber oft übersehen, was vor allem an dem alles überschattenden Völkermord im Nachbarland Ruanda vom April 1994 liegt. Obwohl in Burundi seit 1993 Bürgerkrieg herrschte, berichteten weder die weltweiten Medien ausführlich darüber, noch versuchte die internationale Gemeinschaft intensiv den Konflikt zu regeln. Bei den Kämpfen und Massakern sind ca. 300.000 Menschen getötet worden, bevor der Waffenstillstand, der dem Unterzeichnen des Arusha Peace Agrement´s im Jahre 2000 folgte, dem Töten 2002 ein Ende setzte. 2001 schickte Südafrika Truppen, um die Sicherheitsbedingungen zum Umsetzen des Friedensvertrags zu gewährleisten. Diese wurden 2003 durch Truppen der Afrikanischen Union (AU) ersetzt, die 2004 von der Operation der Vereinten Nationen in Burundi (ONUB) abgelöst wurden. Das Mandat der ONUB läuft Ende 2006 aus, verschiedene Länder haben ihre Kontingente bereits abgezogen1. Burundi steht also vor der Herausforderung der Friedenskonsolidierung. Die Wiedereingliederung ehemaliger Kombattanten und Kombattantinnen ist eine der Aufgaben, deren Bewältigung oder Scheitern die Zukunft des Landes prägen wird. Um Fortschritte und Probleme der Wiedereingliederung zu verfolgen, hat die Autorin in diesem Jahr einen viermonatigen Forschungsaufenthalt in Burundi durchgeführt.

Zur Ablösung der Übergangsregierung fanden 2005 Wahlen auf verschiedenen Ebenen statt. Die Burunderinnen und Burunder wählten auf lokaler, kommunaler und nationaler Ebene, gleichzeitig wurden die Mitglieder des Senats und der Präsident ernannt. In der Geschichte Burundis entluden sich machtpolitische Kämpfe entlang ethnischer Linien. 85% der burundischen Bevölkerung gehören der Gruppe der Hutu an und 14% sind Tutsi. Anders als in Ruanda waren in Burundi durchgängig Tutsi an der Macht. 1993 kam der erste gewählte Hutu Präsident, Melchior Ndadaye, bei einem Attentat durch Tutsi Militärs vier Monate nach seiner Amtsübernahme ums Leben. Da das Militär nur aus Tutsi bestand, formierten sich verschiedene Rebellengruppen, die aus Rache und mit dem Anspruch auf Regierungsbeteiligung gegen das Militär und den damaligen burundischen Staat kämpften. Die neue Regierung wird von der größten ehemaligen Rebellenpartei geführt, die auch den Präsidenten, Pierre Nkurunziza, stellt. Die ebenfalls 2005 abgestimmte neue Verfassung sieht eine Hutu – Tutsi Machtteilung im Parlament von 60 zu 40% vor. Darüber hinaus wird das Militär ethnisch gesehen 50 zu 50% gemischt. Internationale Beobachter attestierten allen Wahldurchgängen 2005 einen überwiegend freien und fairen Verlauf.

Um die Wahlen nicht durch die Präsenz bewaffneter ehemaliger Kämpferinnen und Kämpfer zu gefährden, begann deren offizielle Wiedereingliederung bereits Ende 2004. Von Anfang an gab es viele Fragen: Wie werden die Zurückkehrenden wohl zu Hause von der Bevölkerung aufgenommen, der sie während des Krieges Leid angetan haben? Wie ist ein Zusammenleben möglich? Welche Aspekte beeinflussen die Reintegration? Dazu kommt, dass die Ex-Kombattantinnen und -Kombattanten mit anderen Bevölkerungsgruppen wie Flüchtlingen, intern Vertriebenen und mit denen, die während des Krieges zu Hause geblieben sind, um äußerst knappe Ressourcen und öffentliche Unterstützung konkurrieren. Die Betroffenen werden aber in diesem Prozess nicht allein gelassen. Neben verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen engagieren sich auch Nichtregierungs-Organisationen (NRO), bilaterale Partner des Landes und kirchliche Einrichtungen im Bereich der Repatriierung durch den Krieg geschädigter Bevölkerungsgruppen. Auf der letzten Geberkonferenz im Februar 2006 in Burundi, wurde dem Land eine Unterstützung von 170 Mio. US$ zugesagt. Die Geber sind die Europäische Union, die Weltbank, Großbritanniens Ministerium für internationale Entwicklung, Frankreich, Italien, Japan, Niederlande, Nigeria, die Schweiz und die Vereinigten Staaten. Das Geld soll in den Wiederaufbau, in die Bekämpfung der Nahrungsmittelknappheit, in die Verbesserung des Gesundheitssystems und in gute Regierungsführung investiert werden. 2 Neben diesen Gebern gibt es einzelne Länder, wie auch Deutschland, die auf bilateraler Ebene Wiederaufbaumaßnahmen und klassische Entwicklungszusammenarbeit durchführen. Das Engagement ganz verschiedener Organisationen beeinflusst die Art der Unterstützung die die jeweiligen Bevölkerungsgruppen z.B. im Bereich der Reintegration erhalten. Dies betrifft den Verlauf der Rückführung und Wiedereingliederung der betroffenen Bevölkerung allgemein und der ehemaliger Kombattantinnen und Kombattanten im Besonderen.

Das Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm

Die hauptverantwortliche Einrichtung in Burundi für die Durchführung von Demobilisierung und Reintegration ist das exekutive Sekretariat der nationalen Demobilisierungskommission »Commission Nationale chargée de la Démobilisation, de la Réinsertion et de la Réintégration des ex-combattants«(SE/CNDRR). Parallel zum Prinzip des national ownership ist von internationaler Seite die Weltbank durch ihr regionales »Multi-Country Demobilisation and Reintegration Program« (MDRP) in Burundi engagiert. Das SE/CNDRR hat in Kooperation mit dem MDRP das nationale Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm entwickelt. Es wird im Landesinneren mit Hilfe von lokalen NRO durchgeführt. Außerhalb des nationalen Programms beteiligen sich zahlreiche nationale sowie internationale NRO und bilaterale Partner an der Unterstützung der Wiedereingliederung der Demobilisierten in ihre Heimatprovinzen.

Die Demobilisierungsphase beginnt mit dem Besuch des Demobilisierungszentrums. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass gewisse Identifikationskriterien erfüllt werden.3 In diesen ca. zehn Tagen im »Camp der Hoffnung« soll nicht nur die Uniform abgelegt werden, sondern auch militärische Verhaltensweisen und Einstellungen. In verschiedenen Modulen werden die Demobilisierten über die Möglichkeiten ökonomischer Projekte sowie über soziales Verhalten als Zivilpersonen informiert. Darüber hinaus lernen sie mit Konflikten gewaltfrei umzugehen und erhalten einen Gesundheits-Check sowie ggf. Behandlung. Nach diesem Aufenthalt wird ihnen ein so genanntes »reinsertion payment« von ca. 500US$ in Raten ausgezahlt, um ihre Transport- und Lebenshaltungskosten in den ersten 9 Monaten zu decken. Theoretisch folgt direkt im Anschluss die Reintegrationsbeihilfe. Dabei handelt es sich um eine Leistung im Wert von ca. 600US$, die sich auf das im Demobilisierungszentrum vorbereitete ökonomische Projekt bezieht und in Form von Naturalien ausgezahlt wird.4 Ehemalige Kindersoldaten und –soldatinnen sowie Behinderte werden in Spezialprogrammen aufgenommen.

Im Juni 2006 waren 20.298 Personen demobilisiert, darunter 482 Frauen und 3.015 Kinder (ONUB, 06/06).5 Von den Erwachsenen hatten bis zu diesem Zeitpunkt ca. 2.500 Reintegrationsbeihilfe erhalten. Offiziell strebt das nationale Programm eine Demobilisierung von 55.000 Ex-Kombattantinnen und –Kombattanten an. Die Betroffenen kommen aus allen Altersgruppen, wobei die Gruppe der 25-34jährigen am stärksten vertreten ist. Vom beruflichen Hintergrund her sind die meisten Bauern und Viehzüchter, einige auch Handwerker oder sie arbeiteten in Jobs wie z.B. Taxifahrer. Es ist davon auszugehen, dass die berufliche Repräsentanz in der Gruppe der Ex-Kombattantinnen und –Kombattanten der der burundischen Gesamtbevölkerung entspricht.

Bis jetzt gibt es kaum gesicherte Daten über Faktoren, die die Reintegration von Demobilisierten in Burundi beeinflussen. Die vorläufigen Ergebnisse des Forschungsaufenthalts geben diesbezügliche erste Aufschlüsse.

Generell kann gesagt werden, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung die soziale Reintegration der Demobilisierten in ihre Heimatprovinzen als relativ positiv eingeschätzt wurde und die ökonomische überwiegend noch nicht begonnen hatte. Zwar hatten alle Befragten ihr »reinsertion payment« erhalten, jedoch bis auf wenige Ausnahmen noch niemand die anschließende Reintegrationsbeihilfe.

Soziale Integration

Was heißt relativ erfolgreiche soziale Reintegration? Die Demobilisierten und die zivile Bevölkerung erwähnten keine sozialen Schwierigkeiten miteinander. Es gab weder vermehrte Überfälle, Racheakte, Gewalttaten noch ein Ansteigen krimineller Aktivitäten allgemein. Dies ist besonders hervorzuheben, da es in Burundi (noch) keine systematisch eingesetzten Mechanismen für Versöhnung gibt. Die von den Vereinten Nationen vorgeschlagene und von der burundischen Regierung akzeptierte Wahrheits- und Versöhnungskommission ist noch nicht operativ. Es gilt eine Teilamnestie, lediglich Kriegsverbrechen und Verletzung von Menschenrechten sollen juristisch verfolgt werden. Wie dies in die Tat umgesetzt werden soll ist weiterhin unklar. Bisher ist noch niemand verurteilt worden.

In den Interviews bezeichneten die Befragten verschiedene Aktivitäten des nationalen Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramms als positiv, beispielsweise auch den sehr kurzen Aufenthalt im Demobilisierungszentrum. Die ehemals Kämpfenden konnten die dort gewonnenen Kenntnisse oftmals hilfreich im praktischen Leben einsetzen. Auf die zivile Bevölkerung hatte allein das Wissen um diesen Aufenthalt einen beruhigenden Einfluss, denn die Zurückkehrenden hatten ja, nach teilweise mehr als zehn Jahren »im Busch«, gelernt, wie sie sich als Zivilpersonen zu verhalten haben. Einen ähnlichen Effekt hat das Wissen um das Geld, welches die Demobilisierten in bar erhielten. Unabhängig davon, wofür es tatsächlich ausgegeben wurde, beruhigte es die Bevölkerung, denn sie hatte weniger Angst vor Überfällen und Diebstählen. Die Tatsache, dass fast alle zurück in ihre Herkunftsdörfer oder zumindest -provinzen gingen, führte dazu, dass die Ex-Kombattantinnen und -Kombattanten relativ einfach an ihre alten Bekanntschaften anknüpfen konnten und die zivile Bevölkerung überwiegend der Auffassung ist, „es sind unsere Kinder, die zurückkommen“. Die lokale ethnische Aufteilung scheint ähnlich der vor dem Krieg, jedoch wird von der Bevölkerung hervorgehoben, dass heute keine Gruppe mehr vor der anderen Angst haben muss. Die jeweils geflohene Gruppe kehrt langsam zurück in ihre Heimatdörfer und dies ist auch von der restlichen Bevölkerung gewollt. Prinzipiell gibt es immer eine Durchmischung der Ethnien, wobei es traditionell Bereiche gibt, vor allem Viertel in der Stadt, in denen überwiegend Tutsi leben und Dörfer auf dem Land, in denen mehrheitlich Hutu leben. Da die Gruppe der Hutu die große Bevölkerungsmehrheit bildet, spiegelt sich dies auch in der Siedlungsstruktur wider.

Ökonomische Integration

Es gibt aber auch ökonomische Aspekte, die die Reintegration negativ beeinflussen. Die Demobilisierten haben keine Mittel, um sich wirtschaftlich zu integrieren. Dies unterscheidet sie erst einmal nicht vom Rest der Bevölkerung, der auch in Armut lebt. Allerdings hat die Tatsache, dass versprochene Unterstützung auf sich warten lässt, besondere Effekte. Dazu gehört, dass die Betroffenen ihre Zeit mit Warten verbringen und selten eigene, von der finanziellen Unterstützung unabhängige Initiativen, ergreifen. Des Weiteren führen das Warten und das Versprechen an sich zu der Überzeugung, dass die Reintegrationsbeihilfen auch tatsächlich zu einer nachhaltigen Verbesserung der ökonomischen Situation führen würden. Dass dies eine Fehlannahme ist, zeigt sich an den Erfahrungen derer, die die Leistungen bereits erhalten haben und an der schlechten gesamtökonomischen Lage des Landes. Wenn auch die Reintegrationsbeihilfe ein wichtiges start-up Kapital darstellt, darf ihre ökonomische Wirkung nicht überschätzt und die beschriebene psychische Wirkung von nicht oder spät erfüllten Versprechen nicht unterschätzt werden.

Aus der zivilen Bevölkerung gibt es vor allem Kritik daran, dass die Ex-Kombattantinnen und –Kombattanten nicht ausreichend auf die Verwendung der Unterstützung vorbereitet wurden und Unterstützung in Form von Naturalien ausgezahlt wird. Darüber hinaus wird kritisiert, dass einige Demobilisierte nicht arbeiten, wobei unklar bleibt, wie groß dieser Anteil ist. Dabei geht es nicht um formelle Arbeit, die generell selten ist, sondern hauptsächlich um Feldarbeit. Eigentlich beteiligt sich jeder und jede zumindest an der familiären Bestellung der Felder. Wird dies nicht getan, gilt die Person in der burundischen Gesellschaft als faul und als potentiell gefährlich und kriminell. Da sie weder etwas zu tun noch Einkünfte hat, sei es auch nur in Form von ein paar Knollen Maniok, könnte diese Person zu einer Gefahr für die Gemeinschaft werden. Gleichzeitig gab es Bedenken, was passiert, wenn die Unterstützung ausläuft. Die zivile Bevölkerung befürchtet, dass die Betroffenen dann kriminell werden könnten, da sie vermutlich bis zu dem Zeitpunkt (noch) keine stabile wirtschaftliche Basis aufgebaut haben und weil sie daran gewöhnt sind, mit Waffen umzugehen.

Fazit

Diese kurzen Einblicke in einige Bereiche der Untersuchung lassen bereits erste Schlüsse zu. Zum Gelingen des Reintegrationsprozesses ist es wichtig, positive Aspekte zu fördern, und die Wirkung negativer zu unterbinden. Interessanterweise kann dem Bereich, der bisher vom SE/CNDRR und vom MDRP keine bis wenig Unterstützung erfahren hat, nämlich der der sozialen Reintegration, aufgrund der Forschungsergebnisse eine bisher erfolgreiche Entwicklung zugeschrieben werden. Dies zeigt sich besonders in der von den Befragten als positiv beurteilten Situation des Zusammenlebens, deren friedliche Entwicklung durch den Aufenthalt im Demobilisierungszentrum und den »reinsertion payments« unterstützt wurde.

In dem Bereich hingegen, der im Zentrum der SE/CNDRR und MDRP Aktivitäten steht, der ökonomischen Reintegration, muss leider eine nicht befriedigende Entwicklung festgestellt werden, was allerdings nicht die durchweg pünktlich ausbezahlten »reinsertion payments« betrifft. Die Probleme der Verzögerung der ökonomischen Reintegrationsmaßnahmen und ihre Betonung gegenüber der sozialen Reintegrationsförderung zeigen die Schwierigkeiten, auf die ein theoretisch durchdachtes Wiedereingliederungsprogramm in der Realität stößt und die es teilweise selbst verursacht. Diese liegen nicht nur in der Sache an sich, sondern auch an der Kommunikation über die Sachverhalte und an der mangelnden Transparenz. Viele Verwirrungen und Animositäten auf Seiten der Demobilisierten sowie auf Seiten der zivilen Bevölkerung sind durch mangelnde Information begründet und könnten dementsprechend relativ einfach verhindert werden. Dies betrifft vor allem die Aufklärung darüber, wer Zugang zu welcher Art von Unterstützung hat und warum. Auch die Förderung der sozialen Reintegration könnte mit relativ einfachen Mitteln verbessert werden. Die in den Interviews genannten positiven Maßnahmen, die allerdings nicht alle systematisch sondern nur vereinzelt stattfanden, waren Informations- und Aufklärungsveranstaltungen bezüglich der Rückkehr der Demobilisierten, Vorbereitung der Demobilisierten selbst, Treffen zur Versöhnung sowie gemeinschaftliche Aktivitäten zum Wiederaufbau des gemeinsamen Lebensraums.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die ersten Schritte hin zur Reintegration der ehemals Kämpfenden in Burundi trotz Hindernissen erfolgreich verlaufen sind, wobei es in Zukunft gilt, strukturelle Hürden abzubauen und positive Reintegrationsansätze verstärkt zu unterstützen.

Anmerkungen

1) http://www.un.org/Depts/dpko/missions/onub/index.html, Abrufdatum: 13.09.06

2) http://www.irinnews.org/report.asp?ReportID=51969, Abrufdatum: 13.09.06

3) Siehe dazu: http://www.mdrp.org/PDFs/Country_PDFs/BurundiDoc_TechAnnex.pdf, S.17. Abrufdatum: 24.08.06

4) 68% der BurunderInnen leben von weniger als einem Dollar pro Tag (http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/COUNTRIES/AFRICAEXT/BURUNDIEXTN/0,,menuPK:343761~pagePK:141132~piPK:141107~theSitePK:343751,00.html, Abrufdatum: 04.09.06); demzufolge erscheint die finanzielle Unterstützung hoch, trägt jedoch aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Gesamtsituation nicht zur langfristigen Existenzsicherung bei.

5) ONUB (United Nations Operation in Burundi): DDR-SSR Newsletter, 01 to 30 June 2006 – Issue 28/2006, Bujumbura, Juni 2006

Friederike Fuhlrott ist Promotionsstipendiatin am Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung der Philipps Universität Marburg

Liberia, ein Prototyp?

Integrierte Missionen der Vereinten Nationen

Liberia, ein Prototyp?

von Tobias Pietz und Diana Burghardt

Die Schaffung so genannter »integrierter Missionen« ist ein aktueller Versuch, die Effizienz des Friedensengagements der Vereinten Nationen zu steigern. Er gründet auf der Erkenntnis, dass politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Akteure so weit wie möglich an einem Strang ziehen müssen, um nachhaltig friedliche Strukturen schaffen zu können. Im Folgenden wird das Konzept der Integration zunächst theoretisch vorgestellt und anhand einiger Ausführungen zum Spannungsfeld zwischen peacekeeping und humanitärer Hilfe problematisiert. Anschließend wird der Blick auf die praktische Umsetzung von »Integration« gelenkt und die Frage behandelt, ob bzw. inwieweit die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) als »Prototyp« für künftige komplexe Friedensmissionen der Vereinten Nationen gelten kann. Den Schluss des Artikels bildet ein kurzer Ausblick.

Die heutigen Friedenseinsätze der Vereinten Nationen sind darauf ausgerichtet, Konfliktursachen zu überwinden.1 Dabei wird das robuste peacekeeping nach Kapitel VII der VN-Charta mit dem so genannten post-conflict peacebuilding verbunden, das neben der Beobachtung von Waffenstillständen auch Polizeiaufgaben, die Vorbereitung von Wahlen, humanitäre Hilfe, die Beobachtung der Menschenrechtssituation, den Aufbau der zivilen Verwaltung und des Justizwesens, die Rückführung von Flüchtlingen, die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Ex-Kombattanten etc. umfasst. Seit Beginn der 1990er Jahre ist damit die politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Kompetenz der Vereinten Nationen zunehmend gleichzeitig in »komplexen« Friedensmissionen gefragt.

Von der Koordination zur Integration

Im Laufe der 1990er Jahre zeigte sich jedoch durch eine Reihe von Debakeln die nur sehr begrenzte Fähigkeit der VN zur Schaffung nachhaltig friedlicher Strukturen – und dies wurde auf die Fragmentierung des VN-Systems zurückgeführt. Da zahlreiche Abteilungen, Programme und Sonderorganisationen der VN mehr oder weniger getrennt voneinander arbeiteten, entstand der Ruf nach verbesserter Koordination innerhalb der VN-Familie und schließlich das Konzept zur »Integration« aller relevanten VN-Akteure. Den Anfang zur Entwicklung des Konzepts der Integration machte der im August 2000 veröffentlichte Report of the Panel on United Nations Peace Operations (der Brahimi-Bericht, benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission, dem ehemaligen Außenminister von Algerien), der in der Öffentlichkeit große Beachtung und Anerkennung fand. Der Brahimi-Bericht stellte fest, dass es im UN Department of Peacekeeping Operations (DPKO) keine Einheit gebe, in der Vertreter aller in einer Friedensmission wichtigen Themenbereiche – Politische Analyse, Militäreinsätze, Polizei, Wahlhilfe, Menschenrechte, Entwicklung, humanitäre Hilfe, Flüchtlinge, Öffentlichkeitsarbeit, Logistik, Finanzen und Rekrutierung – zusammenkommen.2 Er schlug daher die Schaffung so genannter Integrated Mission Task Forces (IMTF) vor, die aus hochrangigen Vertretern aller genannter Bereiche bestehen und (jeweils für den Einsatz in einem Land) als zentraler Kontaktpunkt die interne Koordination der VN verbessern sollten. Trotz einiger anfänglicher Schwierigkeiten dieser thematisch breit gefächerten und gleichzeitig regional auf ein Land fokussierten Expertengremien gelten die Integrated Mission Task Forces heute als Weg der Zukunft. Sie sind zu einem integralen Bestandteil und zu Schlüsselgremien des Integrated Mission Planning Process (IMPP) geworden – einem klar strukturierten, sechsstufigen Planungsprozess für (künftige) VN-Friedensmissionen.

Der Entwurf des neuesten IMPP (vom Juni 2006) definiert das Ideal der Zukunft, die »Integrierten Missionen«, als solche, in denen es eine von der gesamten VN-Familie geteilte Vision (a shared vision) für eine Krisenregion gibt, d.h. ein Konzept, das die Ziele bzw. Prioritäten (center of gravity, main effort), die Begründung und die Strategie für das vielfältige Engagement der VN deutlich macht.3 Ähnlich spricht das Executive Committee on Humanitarian Affairs in seinem Definitionsversuch für Integrierte Missionen von einer »system-wide UN response«, die durch die Zusammenführung aller VN-Akteure und Ansätze innerhalb eines einzigen »overall political-strategic crisis management framework« gelingen soll.4 Dieses umfassende Rahmenwerk bzw. diese von allen geteilte Vision soll durch die Integrated Mission Task Forces entwickelt werden. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Maßnahmen zur Schaffung von Sicherheit und Entwicklung in einem Land einander bedingen. Die breit gefächerte Expertise in den IMTFs, d.h. auch die genaue Kenntnis der verschiedenen Mandate, Funktionen und Möglichkeiten der diversen Abteilungen der VN, soll dann dazu beitragen, aus der Vision eine sinnvolle und abgestimmte Arbeitsteilung gemäß komparativer Vorteile innerhalb der VN-Familie abzuleiten. Knapp gefasst könnte man wohl von vielgestaltiger Friedensarbeit aus einem Guss sprechen, durch die die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des VN-Friedensengagements erhöht werden soll.

Zwischen Peacekeeping und Humanitärer Hilfe

Das Konzept der Integration und der darin enthaltene Gedanke, dass alle VN-Akteure zur Umsetzung gemeinsamer Prioritäten an einem Strang ziehen sollten, ist nicht unproblematisch, da zwischen »peacekeepern« und humanitären Helfern (theoretisch) ein Spannungsverhältnis besteht. Zwar sind sich beide Gruppen in der Zielsetzung einig, Frieden schaffen und Menschenleben retten zu wollen, doch ihre (zumindest idealtypischen) Ansätze sind grundverschieden. Das heutige, multidimensionale und mit peacebuilding- Maßnahmen verknüpfte peacekeeping ist ein politischer und damit »parteiischer« Akt, während humanitäre Hilfe zwar in einem politischen Umfeld geleistet wird, sich aber nach den Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit richtet. Konkret bedeutet dies, dass humanitäre Hilfe ohne Ansehen der ethnischen, religiösen oder politischen Zugehörigkeit der Opfer, vielmehr ausschließlich nach dem Kriterium der Hilfsbedürftigkeit geleistet wird (Unparteilichkeit), dass niemals eine Konfliktpartei unterstützt oder bei ideologischen Disputen Partei ergriffen wird (Neutralität), und dass die politische und finanzielle Autonomie der Hilfsorganisationen gewahrt wird (Unabhängigkeit). Für humanitäre Helfer ist ein weitgehendes Festhalten an diesen Prinzipien wichtig, um ihren Zugang zu den Opfern auf allen Seiten eines Konflikts sichern zu können, statt selbst in Auseinandersetzungen hineingezogen und zu einem potenziellen Angriffsziel zu werden.5 Wichtig ist außerdem, dass der Zugang zu humanitärer Hilfe als Recht der Opfer bzw. die Gewährung von humanitärer Hilfe als internationale Verpflichtung begriffen wird.6 Humanitäre Helfer sehen in ihrer Arbeit in erster Linie kein Mittel zur Erreichung eines abstrakten politischen Ziels – auch nicht des Friedens –, sondern stellen die Rettung des individuellen Menschenlebens in den Vordergrund. Das theoretische Spannungsfeld zwischen peacekeepern und humanitären Helfern besteht also darin, dass peacekeeper stets das langfristige Ziel des Friedens und der Stabilisierung als erste Priorität vor Augen haben und die Auswahl der Menschen, denen sie helfen, entsprechend ausrichten. Humanitäre Helfer hingegen machen ihre Hilfe tendenziell nicht von langfristigen politischen Überlegungen, sondern (eher kurzfristig) von der unmittelbaren Bedürftigkeit der Opfer abhängig.7

Tatsächlich kann heute natürlich keine klare Trennlinie zwischen »politischen« peacekeepern und »unpolitischen« Hilfsorganisationen mehr gezogen werden. Kaum eine Hilfsorganisation kann von sich behaupten, allen oben genannten humanitären Prinzipien zu entsprechen. Besonders eine echte finanzielle Unabhängigkeit ist bei den meisten Hilfsorganisationen (mit Ausnahme solch etablierter Organisationen wie dem International Committee of the Red Cross oder Médicins sans Frontières) nicht gegeben. Zudem übernimmt die große Mehrheit ziviler Hilfsorganisationen heute parallel Aufgaben der humanitären Hilfe und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Die Aufgabenfelder von humanitären Hilfsorganisationen und Einrichtungen der EZ, sowie die der mit weitreichenden Mandaten ausgestatteten peacekeeper, überschneiden sich damit zunehmend. Spannungen gibt es allerdings trotzdem – auch in der Praxis. Dies liegt daran, dass die humanitär ausgerichteten Organisationen der VN (z.B. die Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO; das United Nations Development Programm, UNDP; der United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR; der United Nations Children’s Fund, UNICEF; das World Food Programme, WFP; oder die World Health Organization, WHO) meist schon Jahre vor einem Friedenseinsatz als UN Country Team in einer Region arbeiten. Ihre Mitarbeiter, und auch die zahlreichen internationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen (NROs), mit denen sie zusammenarbeiten, kennen daher die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation im Land sehr gut. Ihre Expertise – so der Vorwurf – finde aber nicht genügend Beachtung.8 Statt mit ihnen als gleichberechtigten Partnern zusammenzuarbeiten, würden sowohl der militärische als auch der zivile Part der neu im Land eintreffenden VN-Missionen die Landeskenntnisse und Ratschläge der Country Teams ignorieren und ihnen stattdessen autoritär und arrogant gegenübertreten. Der Gegenvorwurf von Mitarbeitern des Department of Peacekeeping Operations geht dahin, dass sich die »old-timer« aus den UN Country Teams neuen Realitäten nicht anpassen würden. Sie verstünden oft nicht, wie sehr sich der »politische Wind« aufgrund eines Friedensabkommens, einer anerkannten Übergangsregierung und einem Mandat durch den Sicherheitsrat verändere. Denn typischerweise verändere sich die grundsätzlich »unparteiische« Arbeit der VN dann insofern in eine »parteiische« Haltung, als ein spezifischer Friedensprozess gefördert wird.9

»Integrieren« vor Ort: das Beispiel Liberia

In der Diskussion um Integrierte Missionen der Vereinten Nationen wird oft auf Liberia verwiesen, denn die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) gilt als erste wirklich integrierte Mission und damit auch als möglicher Prototyp für die Zukunft komplexer Friedensmissionen.10 Dabei war UNMIL nicht von Anfang an als eine integrierte Mission konzipiert worden, sondern veränderte sich erst als Reaktion auf angebliche Spannungen zwischen dem Senior Management von UNMIL und dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) in Liberia.11 Es scheint, als habe sich der zivile Teil von UNMIL (1.000 von 16.000 Personen) ohne nennenswerte Konsultationen mit anderen VN-Stellen im Bereich Nationbuilding engagiert, während militärische Einheiten – ebenfalls ohne Absprache – neben Aufgaben der Friedenssicherung auch in starkem Maße Quick Impact Projects durchführten. Dabei hätten beide Bereiche von existierender Länderkompetenz profitieren können. In einem Bericht der Peacekeeping Best Practices Unit von DPKO über die Anfangsphase von UNMIL heißt es, die Ressourcen der bereits bestehenden politischen Mission in Liberia (dem UN Office in Liberia, UNOL) seien nur „unzureichend genutzt“ worden, und UNMIL sei „nicht in ausreichendem Maße“ an einer Abstimmung mit dem UN Country Team interessiert gewesen.12 Dies hat zu Verärgerung und Frustration und nicht zu einem Gefühl von Partnerschaft geführt. Trotzdem ist der Vorwurf einiger NROs in Liberia, dass die Hilfe der militärischen und zivilen UNMIL-Einheiten auf einem qualitativ niedrigen Standard erfolgt sei, kaum nachzuweisen. Die Literatur kennt nur wenige Beispiele, u. a. die Problematik eines Militärkrankenhauses von UNMIL, in dem südasiatische Peacekeeper es ablehnten, Frauen zu behandeln, da es keinen weiblichen Arzt im Team gebe.13 Angeblich hat diese Diskriminierung eine negative Wirkung auf die Haltung der Bevölkerung nicht nur gegenüber UNMIL, sondern gegenüber der humanitären Hilfe insgesamt gehabt. Eine intensivere Beschäftigung mit der Qualität der durch UNMIL geleisteten Hilfe und möglichen Auswirkungen »schlechten« Peacebuildings steht allerdings noch aus: die bisherigen Beschreibungen einzelner Fälle erlauben noch keinerlei allgemeine Rückschlüsse.

Durch eine Entscheidung des Generalsekretärs im Juli 2004 wurde das bis dahin selbstständig operierende Office for the Coordination of Humanitarian Affairs formal in die Strukturen von UNMIL integriert, offiziell, um die Koordinierung der humanitären Hilfe zu verbessern.14 Das neu gebildete Humanitarian Action Committee (HAC) innerhalb UNMILs wurde jedoch nicht von OCHA Personal gestellt, sondern durch die Humanitarian Officers von UNMIL, die zuvor als Verbindung zu OCHA gewirkt hatten und damit nur indirekt mit den weiteren humanitären und entwicklungspolitischen Akteuren im Land kommuniziert hatten. Komplementär zu diesem Schritt wurden die Kompetenzen des Resident Coordinator (RC) und des Humanitarian Coordinator (HC) in der Position eines Deputy Special Representative of the Secretary General (DSRSG) zusammengeführt. Dieser Stellvertreter des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs ist gleichzeitig auch für die Bereiche Rehabilitation und Wiederaufbau innerhalb von UNMIL zuständig. Damit wurde die neutrale Position des Koordinators der humanitären Hilfe mit der politischen Position des Hauptpartners für die lokale Regierung im Bereich Wiederaufbau vermischt, und insgesamt wurde die humanitäre Hilfe – aufgrund der Zusammenführung der Positionen des HC und RC und der Integration von OCHA in die Struktur der Mission – dem mit einem eindeutig politischen Mandat ausgestatteten Leiter von UNMIL, dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs (SRSG), unterstellt.

In der Folge kam es immer wieder zu Vorwürfen dahingehend, dass die humanitäre Hilfe genutzt würde, um politische Ziele der Mission zu erreichen, oder aber dass die humanitäre Hilfe enorm an Priorität verloren hätte. Als Beleg für diese These wurde von verschiedenen Autoren die Vorbereitung der Wahlen im Winter 2005 angeführt. Um die Durchführung erfolgreicher Wahlen sichern zu können, drängten UNMIL und die internationalen Geldgeber darauf, alle Flüchtlinge vor dem gesetzten Wahltermin, d.h. noch innerhalb der Regenzeit, in ihre Heimatregionen zu bringen – und setzten dies trotz des großen Protestes von humanitären Organisationen, die vor den schwierigen klimatischen Bedingungen für die Rückführung warnten, auch durch. Manche mögen sich in dieser Situation an ein Zitat des Leiters der VN Mission in Liberia im Jahre 1993 erinnert gefühlt haben, der trocken festgestellt hatte: „If relief gets in the way of peacemaking then there will be no relief.“15 Aber auch diese Episode ist, wie so viele, nur anekdotischer Art. Ob, wie und mit welchen Folgen humanitäre Hilfe innerhalb integrierter VN-Missionen stärker als in anderen Strukturen politisch instrumentalisiert wird, harrt weiterhin einer eindeutigen Analyse.

Die Realität der Mission

Zu Beginn der Mission in Liberia war die Mitnutzung militärischer Kapazitäten von UNMIL durch humanitäre VN-Programme laut dem World Food Programme notwendig. Mangels ausreichender eigener Kapazitäten (insbesondere im Bereich Logistik, aber auch zur Absicherung von Aktivitäten im Feld), sei die Unterstützung durch UNMIL essentiell gewesen. Mittlerweile versuchen sich jedoch einige VN-Programme in Liberia etwas von UNMIL zu distanzieren. Sie tun dies u. a. durch eine farbliche Unterscheidung: während (militärische und zivile) UNMIL Einheiten einen schwarzen Schriftzug benutzen, tragen Fahrzeuge von UNDP und anderen Programmen allein blaue Symbole. Dies ist für viele internationale humanitäre Organisationen wichtig, denn in ihren Augen ist die »black UN« militärisch und politisch in Liberia tätig, und dementsprechend kein Kooperationspartner für ihre Arbeit. Die liberianische Bevölkerung macht laut Umfragen aber keine Unterscheidung zwischen schwarzer und blauer VN. Überhaupt scheint die Bevölkerung der komplexen Diskussion um zivil-militärische Kooperation, politische Instrumentalisierung von humanitärer Hilfe oder Integration nur wenig Interesse beizumessen. Bemerkenswert ist, dass eine Umfrage mit knapp 800 Teilnehmern in Liberia im Januar 2006 eine überwältigend positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber UNMIL zeigte.16 91 Prozent sagten, dass UNMIL bislang gute Arbeit geleistet habe, besonders hinsichtlich Stabilisierung und Sicherheit, aber auch bei der Implementierung von Quick Impact Projects, sowie bei der Durchführung der ersten freien Wahlen. Im Gegensatz dazu wurde die Arbeit der NROs meist viel kritischer betrachtet.17

Insgesamt kann man feststellen, dass die Idee der Integration innerhalb von UNMIL grundsätzlich begrüßt wird, sich aber derzeit noch in wenig mehr als einem erhöhten Austausch an Informationen äußert. Im Hinblick auf die VN-Programme außerhalb von UNMIL könnte sich die kritische und vielfach auf Unabhängigkeit bestehende Haltung langsam abschwächen. Konkret bahnt sich diese Änderung an, seit der Leiter von UNMIL ausgewechselt worden ist. Jaques Klein, der erste Leiter von UNMIL, war früher beim Militär, während der ihm nachfolgende Alan Doss einen zivilen Hintergrund hat – er kommt aus der humanitären Hilfe. Viele Akteure der humanitären Hilfe sehen darin eine große Chance, da Schlüsselfiguren an der Spitze integrierter Missionen enormen Einfluss darauf nehmen könnten, wie stark auf Missions-Externe zugegangen wird.

Kritik und Ausblick

Die Schaffung integrierter Missionen ist ein Versuch zur Steigerung der Effizienz des Friedensengagements der VN, der nach den Fehlschlägen in den 1990er Jahren unternommen werden musste. Um nachhaltig friedliche Strukturen schaffen zu können, müssen politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Akteure so weit wie möglich zusammenarbeiten. Es geht also nicht so sehr um das Ob, sondern mehr um das Wie der Integration.18 Die Art und Weise, in der komplexe Friedensmissionen mit den Anliegen der humanitären Gemeinschaft umgehen, steht im Mittelpunkt. Dabei werden die Missionen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Sorgen bezüglich der Instrumentalisierung und Unterordnung von humanitärer Hilfe abzubauen. Andererseits sollten die UN Country Teams sowie die internationalen und lokalen NROs ihre bisweilen absolut gesetzten humanitären Prinzipien (Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit) erneut beleuchten – denn faktisch hat sich die klassische humanitäre Hilfe bei vielen Akteuren hin zu eindeutig politischen Aufgaben des langfristigen Wiederaufbaus gewandelt.

Die eingangs aufgeworfene Frage, ob die VN-Mission in Liberia ein Prototyp für kommende komplexe Friedensmissionen der Vereinten Nationen ist, kann bejaht werden. Allerdings steht bei den meisten aktuellen Friedensmissionen (bspw. in Afghanistan, Bosnien oder dem Kosovo) die militärische Komponente nicht unter der Kontrolle der VN. Liberia ist somit ein Idealfall für die Vereinten Nationen. Anstelle von integrierten Missionen nach liberianischem Vorbild könnte das Bild internationaler Friedensmissionen auch künftig eher von Situationen bestimmt werden, in denen militärische oder zivile Aufgabenbereiche einer VN-Mission von der NATO, der Weltbank, der EU oder der OSZE übernommen werden.

Anmerkungen

1) Winrich Kühne (2003): UN-Friedenseinsätze verbessern – Die Empfehlungen der Brahimi Kommission, S. 717, http://www.zif-berlin.org/Downloads/Analysen/Praxishandbuch_UNO_2003.pdf.

2) Brahimi Report, Paragraph 198, http://www.un.org/peace/reports/peace_operations/.

3) Draft UN Integrated Mission Planning Process (2006).

4) Espen Barth Eide et al. (2005): Report on Integrated Missions. Practical Perspectives and Recommendations, S. 14, www.globalpolicy.org/security/peacekpg/general/2005/05integrated.pdf.

5) Vgl. Andreas Heinemann-Grüder und Diana Burghardt (2006): Zivil-Militärische Zusammenarbeit – Der Wiederaufbau von Nachkriegsgesellschaften, S. 113, http://www.reader-sipo.de/artikel/0602_AII1.htm.

6) Principles of Conduct for The International Red Cross and Red Crescent Movement and NGOs in Disaster Response Programmes, http://www.ifrc.org/publicat/conduct/code.asp.

7) Vgl. Volker Franke (2006): The Peacebuilding Dilemma. Civil-Military Cooperation in Stability Operations, International Journal of Peace Studies (im Erscheinen).

8) Eide, S. 17-18.

9) Eide, S. 18.

10) Vgl. Georg Frerks et al. (2006): Principles and Pragmatism. Civil-Military Action in Afghanistan and Liberia, S. 75, http://www.reliefweb.int/library/documents/2006/cordaid-gen-02jun.pdf.

11) Vgl. Lewis Sida (2005): Challenges to Humanitarian Space. A Review of Humanitarian Issues Related to the UN Integrated Mission in Liberia and to the Relationship between Humanitarian and Military Actors in Liberia, S. 8, http://www.humanitarianinfo.org/Liberia/infocentre/general/docs/Challenges%20to%20humanitarian%20space%20in%20Liberia.pdf.

12) Peacekeeping Best Practice Section (PBPS) of the United Nations (2004): Lessons Learned Study on the Start-up Phase of the United Nations Mission in Liberia, S. 15, http://pbpu.unlb.org/pbpu/library/Liberia%20Lessons%20Learned%20(Final).pdf.

13) Erin A. Weir (2006): Conflict and Compromise. UN Integrated Missions and the Humanitarian Imperative, KAIPTC Monograph No 4, S. 42, http://www.kaiptc.org/_upload/general/Mono_4_weir.pdf.

14) Secretary General´s 4<^>th<^*> Report to the Security Council on Liberia. S/2004/725.

15) Zitiert nach Weir, S. 38.

16) Vgl. Jean Krasno (2006): Public Opinion Survey of UNMIL´s Work in Liberia, http://pbpu.unlb.org/pbpu/library/Liberia_POS_final_report_Mar_29.pdf.

17) Frerks, S. 95.

18) Vgl. Weir, S. 46.

Tobias Pietz, M.A. und Diana Burghardt, M.A. sind Mitarbeiter des Bonn International Center for Conversion (BICC) im Forschungsbereich Peacebuilding. Tobias Pietz studierte Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg und Peace and Security Studies am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH). Diana Burghardt, studierte Nordamerikastudien, Politische Wissenschaft und Öffentliches Recht an der Universität Bonn und der University of California, San Diego.

Widerstand gegen Ressourcenaneignung

Widerstand gegen Ressourcenaneignung

von Martin Zint

Am 10.11.1995 wurde der nigerianische Schriftsteller Ken Saro Wiwa in Port Harcourt, Nigeria, gehängt und mit ihm acht seiner Mitstreiter von MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People). Es waren kaltblütige Morde mit Hilfe der nigerianischen Justiz, die auf diese Weise korrupte Politiker und unverantwortliche Manager schützte. Ken Saro Wiwa hatte die Zerstörung seiner Heimat, des Niger-Deltas, und das Leiden seines Volkes, der Ogoni, unter den Folgen der Ölförderung zum Gegenstand seiner literarischen Arbeit gemacht. Dadurch gerieten die desaströsen Bedingungen, unter denen Erdöl produziert wird, in den Blick einer interessierten internationalen Öffentlichkeit.

Genau zu dieser Zeit wurden die Pläne der Firma ESSO1 bekannt, Ölfelder im zentralafrikanischen Tschad zu erschließen. Auch im Tschad war und ist die Menschenrechtssituation erschreckend. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 haben sich im Tschad verschiedene Präsidenten mit Gewalt an die Macht gebracht und diese mit brutaler Gewalt behauptet. Als in den 1990er Jahren nach einer vordergründigen Demokratisierungsphase eine Verbesserung der Lage erwartet wurde, überschrieb Amnesty International im Jahr 1993 seinen Bericht zur Lage im Tschad: „Der Alptraum geht weiter.

In diesem Umfeld wollte ein Konsortium aus den Firmen ESSOMobil, elf und Shell 3,4 Milliarden US$ investieren, und zwar für ca. 300 Bohrlöcher und eine 1.070 Kilometer lange Pipeline aus dem Dorf Komé im Süden des Tschad an die Atlantikküste Kameruns – die erste Pipeline aus Zentralafrika an die Westküste Afrikas.

Das Tschad/Kamerun Erdöl- und Pipelineprojekt (TKEPP) ist ein Beispiel für den Versuch zivilgesellschaftlicher Gruppen, Einfluss auf ein industrielles Großprojekt zu nehmen. Seit den 1990er Jahre hatten sich die sozialen Bewegungen professionalisiert. Methoden der Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und politischer Lobbyarbeit wurden zu zielgerichteten Kampagnen gebündelt. Nichtregierungsorganisationen (NRO) versuchten auf verschiedenen Ebenen, politische Prozesse zu steuern. Dies war u. a. eine Reaktion auf eine zunehmende Privatisierung des politischen Handelns. Wichtige Entscheidungen über die Lebensbedingungen der Bewohner eines ganzen Landes werden von den Managern privater Konzerne gefällt. Dadurch und durch den Zerfall staatlicher Strukturen in einigen Ländern Afrikas gingen Regierungen als verantwortliche Ansprechpartner verloren. An ihre Stelle traten in manchen Bereichen privatwirtschaftliche Unternehmen und zwischenstaatliche Organisationen, zuvorderst die internationalen Finanzinstitutionen.

Weltbank im Boot der Ölmultis

3,4 Milliarden US$ Investitionssumme für das TKEPP bedeuten die bisher größte privatwirtschaftliche Investition im subsaharischen Afrika. Privatbanken hatten abgewunken, die Risiken schienen ihnen zu groß. Da beschloss ESSO, die Weltbank ins Boot zu holen.2 Die letztlich gewährten 150 US$ Weltbankkredit (0,04%) erscheinen zwar angesichts der Gesamtsumme sehr gering. Bedeutsam ist aber die Tatsache, dass die Weltbank überhaupt finanziell in das Projekt involviert ist. Als Projektbeteiligte wacht sie darüber, dass die Projektvereinbarungen eingehalten werden. Damit ist das Konsortium u.a. faktisch gegen Enteignung geschützt, zumindest solange die Regierung des Tschad die Kooperation der Weltbank braucht. Die Verwendung von Mitteln aus dem Armutsbekämpfungsfonds der Weltbank für die Absicherung des wirtschaftlichen Risikos einer Privatfirma stellt allerdings einen Missbrauch dar. „Sozialhilfe für Ölmultis“ nannte der amerikanische Environmental Defense Fund die Kredite.

Weltbank und Konsortium konterten durch die Betonung der Chancen zur Armutsbekämpfung, die mit dem Projekt verbunden sein sollten. Weltbank und Exxon Mobil wollten aus dem TKEPP ein Modellprojekt für Armutsbekämpfung in öffentlich-privater Partnerschaft machen. Die steile Rhetorik bot weitere Ansatzpunkte für die Arbeit der NROen. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen setzten gewisse Hoffnungen auf das Engagement der Weltbank. Deren Richtlinien führten immerhin auch einige umweltschutz- und entwicklungsorientierte Aspekte in das Gesamtprojekt ein.

Ziviler Widerstand vor Ort

Im Jahr 1997 waren in der Ölregion im Tschad unter dem Vorwand der Rebellenbekämpfung mehrere hundert Menschen von staatlichen Sicherheitskräften umgebracht worden. Es brauchte viel Mut, um unter diesen Umständen den Widerstand gegen die Art und Weise, in der das TKEPP betrieben wurde, zu organisieren. Die internationalen Unterstützer bemühten sich deshalb besonders um Schutz für die lokalen Akteure. Dazu wurden die Kommunikationsmöglichkeiten verbessert. Die Spende einer deutschen Kirchengemeinde erlaubte einer kleinen Organisation, der »Association Tchadien pour La Non-Violence/ATNV«, die Anschaffung eines Faxgerätes. Diese lokale Menschenrechtsorganisation schulte Bewohner der Ölregion in Methoden der Menschenrechtsbeobachtung. So entstanden beweiskräftige Protokolle über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die per Fax direkt an die Unterstützer weltweit verschickt werden konnten.

Lokale Militärkommandanten mussten plötzlich damit rechnen, dass ihre Verbrechen bekannt wurden. Als im März 1997 dreiundzwanzig Gläubige und der Priester bei der Frühmesse in der Kathedrale von Moundou (Süd-Tschad) überfallen und verschleppt wurden, waren die internationalen Partner um 8:00 Uhr darüber informiert und forderten die Weltbank und die eigenen Regierungen zum Handeln auf. Schon gegen 12:00 Uhr lagen die ersten internationalen Reaktionen in N’Djaména vor, darunter die des Vatikans. Am frühen Nachmittag wurden die noch lebenden Entführungsopfer in Moundou freigelassen.

…und mit internationalen Strukturen

Damit solche Aktionen rasch und zuverlässig geschehen konnten, waren hauptamtliche Strukturen nötig, die in Deutschland, Kamerun und dem Tschad mit Finanzierung der Hilfswerke Brot für die Welt, MISEREOR und des Friedensdienstes EIRENE geschaffen wurden. Die NRO-Vertreterinnen (Frauen spielten dabei eine zentrale Rolle, vor allem im Tschad) schauten sich zunächst an, wer in dem Projekt Interessen verfolgt und welche Zugänge es zu diesen »Stakeholders« gibt.

Da waren zunächst die drei Ölfirmen, die sich im Konsortium zusammengeschlossen hatten, die französische Staatsfirma Elf Aquitaine, die niederländische Royal Dutch Shell plc und ESSO als Konsortialführer (operator). Zumindest zu den europäischen Firmen sollte ein Zugang möglich sein, zumal die Ölkonzerne u.a. durch die Brent-Spar-Affäre3 und die Ermordung Ken Saro Wiwas unter starkem Legitimierungsdruck standen. Elf und Shell zogen sich dann auch 1999 aus dem Projekt zurück und wurden durch Chevron und PETRONAS ersetzt. Welche Gründe für den Rückzug ausschlaggebend waren, wurde nicht öffentlich bekannt. Shell hatte aber schon 1998 in einem Brief an die AG Erdöl angekündigt, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, wenn sich die Menschenrechtssituation im Tschad nicht verbessern sollte. Die Vermutung liegt nahe, dass zwei europäische Konzerne, die sich nicht den Unwillen der Verbraucher zuziehen wollten, gegen zwei Konzerne ausgetauscht wurden, denen die Reaktionen sensibilisierter europäischer Verbraucher egal sind.

Noch zu einem weiteren Akteur, der Weltbank, hatten die deutschen Gruppen, wie andere europäische und US-amerikanische Organisationen auch, eine Zugangsmöglichkeit. Die in das Projekt involvierten Internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, International Finance Corporation) werden von der deutschen Bundesregierung als Anteilseigner mit gestaltet und kontrolliert. Als wenig zugänglich erwiesen sich die Regierungen Kameruns und des Tschad.

Mit dieser Struktur konnten die zivilgesellschaftlichen Gruppen in Kamerun und im Tschad verlässliche Informationen an die Partnerorganisationen weltweit liefern. Diese nutzten das Material zur Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Umgekehrt lieferten die internationalen NROen Informationen an ihre lokalen Partner.

Erste Erfolge im Vorfeld des Pipelinebaus

Einen ersten Eindruck von der Effektivität dieser Strategie bekamen Konsortium, Weltbank und Regierung des Tschad im Januar 1998. Brot für die Welt hatte in Donia, einem Marktflecken im Ölfördergebiet, eine Konferenz finanziert. Dort kamen erstmals alle Akteure an einen Tisch, korrekter ausgedrückt: in den Saal einer katholischen Missionsstation. Dabei waren NRO-Vertreter und Journalisten aus Nigeria, Kamerun, Europa und den USA. Sie trafen auf etwa 100 Vertreter lokaler Gruppen. In Arbeitsgruppen zu Einzelthemen hatten sie die Umweltverträglichkeitsstudie durchgearbeitet, die Esso vorgelegt hatte. Diese enthielt unter anderem eine Liste von 64 Dörfern, deren Bewohnern konsultiert worden seien. Ein Mann meldete sich zu Wort und stellte sich als Bürgermeister eines der Dörfer vor, das in dieser Liste genannt würde. Er könne sich an keine Konsultation erinnern. Es seien wohl mal zwei Jeeps vorbeigekommen. In einem hätten Soldaten gesessen, in dem anderen eine weiße Frau. Sie habe erklärt, dass hier Öl gefördert werden solle, und gefragt, ob wir was dagegen hätten. „Wir wissen, was wir in Gegenwart von Soldaten zu sagen haben“, sagte der Bürgermeister, „auf keinen Fall etwas, was den ESSO-Leuten nicht gefallen könnte.“

Ein Bauer meldete sich zu Wort und verwies auf ein bereits im tschadischen Parlament verabschiedetes Gesetz, nach dem ESSO für jeden Mangobaum, den es für ein Bohrloch oder die Pipeline fällt, 3.000 CFA (4,58 Euro) Entschädigung zahlen muss. „Meine Mangobäume bringen pro Ernte einen Ertrag von ca. 50.000 CFA pro Baum, bei zwei Ernten im Jahr“, erklärte der Bauer. „Was soll ich da mit 3.000 CFA?“

Für die Firma ESSO-Tschad waren solche Aussagen desaströs, da die Konsultation der Betroffenen und angemessene Entschädigungen zu den Richtlinien der Weltbank gehören. Eine Vertreterin der deutschen Umweltschutzorganisation »urgewald« informierte bei der Konferenz über diese Richtlinien der Weltbank sowie über die Rechte, die betroffene Bürger auch gegenüber dieser Institution haben. Dazu gab es einen Leitfaden, wie genau man diese Rechte praktisch wahrnimmt. In der Region leben auch einige Akademiker, die nach einem Studium mangels Alternativen in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Zum großen Erstaunen der Vertreter des Konsortiums waren diese in der Lage, die komplizierten Studien zu beurteilen. Ihre Erkenntnis: Es handelt sich um reine Literaturstudien, die mit der Realität der Region nicht viel zu tun haben. „ESSO muss seine Hausaufgaben neu machen!“ titelte die größte Zeitung des Landes nach der Konferenz von Donia.

Durch die Präsenz von Vertretern internationaler Medien wurde auch in Europa und den USA berichtet. Einmal mehr erwies sich die enorme Bedeutung von Bildern und Symbolen für die politische Arbeit, denn in keinem Bericht fehlte die Geschichte vom Mangobaum. Innerhalb eines Jahres legte ESSO 19 weitere Studien vor, und die Entschädigungsleistungen wurden neu verhandelt. Die Weltbank richtete eine Internationale Beratergruppe ein, die den Fortgang des Projektes regelmäßig beobachten sollte, und als »Sahnehäubchen« ließ sich die Regierung des Tschad darauf ein, ein weltweit einmaliges Gesetz zu erlassen. In diesem Gesetz über die Verwendung und Kontrolle der Öleinnahmen (Gesetz #001/99) wurde festgelegt, dass 80% der Öleinnahmen für prioritäre Sektoren der Armutsbekämpfung ausgegeben werden, 15% in einen Fonds für zukünftige Generationen eingezahlt werden und 5% der Förderregion direkt zugute kommen.

…und neue Probleme nach dem Baubeginn

Der 6. Juni 2000 markiert einen Wendepunkt des TKEPP. Das Direktionsgremium der Weltbank akzeptierte das Projekt, und das Konsortium begann sofort mit den Bauarbeiten. Für die mit dem Projekt befassten NROen änderte sich die Zielsetzung. Bis zum letzten Moment hatte man auf verschiedenen Wegen versucht, Verbesserungen im Projektdesign und Garantien dafür zu erreichen. Ab sofort galt es nur noch, die bescheidenen Erfolge zu verteidigen. In der Praxis bedeutete das, von der Lobbyarbeit auf das Monitoring umzustellen. Das ursprüngliche Ziel, die Menschen der Region vor Krieg und Menschenrechtsverletzungen zu bewahren, rückte wieder in den Mittelpunkt.

Die Internationale Beratergruppe4 (International Advisory Group/IAG) nahm im Sommer 2001 ihre Arbeit auf. Sie stellte rasch fest, dass das Projekt in „zwei Geschwindigkeiten“ voranschreitet. Während die Bauarbeiten in einem raschem Tempo voranschritten, schleppten sich die flankierenden Maßnahmen zur Abfederung der Folgen oder zur Einbindung der Bevölkerung in die wirtschaftliche Entwicklung sehr langsam dahin. Die Berichte der IAG haben reinen Empfehlungscharakter, sind aber eine gute Dokumentation der Fakten rund um das Projekt und damit eine glaubwürdige Quelle für kritische Nachfragen.

Der »Ressourcenfluch«

Seit dem 10. Oktober 2003 fließt das Öl aus dem Tschad. Seitdem ist das Land ein weiteres Beispiel für den so genannten Ressourcenfluch. Er bezeichnet das Phänomen, dass Ressourcenreichtum in den Förderländern anscheinend zwangsläufig zu autoritären Regimen und zu wirtschaftlichem Niedergang führt.5 Pünktlich mit Beginn der Ölförderung kam es im Tschad zu Engpässen in der Energieversorgung, die Zahlungsschwierigkeiten des Staates verschärften sich und damit auch die innenpolitischen Spannungen. Die Zahl der bewaffneten Rebellenbewegungen nahm sprunghaft zu. Der Konflikt im benachbarten Darfur, der Heimatregion des derzeitigen Präsidenten Déby, verschärfte die Situation weiter. Die Massaker im Sudan setzten Präsident Déby unter den Druck seiner eigenen Ethnie, der Zaghawa. Sie werfen ihm mangelnde Hilfe gegen die Angriffe durch Milizen vor, die von der sudanesischen Regierung unterstützt werden. Im Dezember 2005 liefen große Teile seiner Präsidentengarde zu den Rebellen über, darunter mehrere Generäle.

Die Regierung warf der Weltbank, der Zivilgesellschaft und dem Konsortium vor, die wirtschaftliche Misere des Landes durch den restriktiven Umgang mit den Ölgeldern verursacht zu haben. Am 29. 12.2005 änderte das Parlament das Gesetz über die Verwendung der Öleinnahmen und kippte damit den Grundstein des so genannten Modellprojektes. Auf diplomatischer Ebene setzte hektische Betriebsamkeit ein. Am 6. Januar 2006 kündigte die Weltbank an, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Tschad suspendiert und Kredite im Wert von 124 Million US$ einfriert. Trotzdem unterschrieb Präsident Déby am 11.1.2006 das neue Gesetz und setzte es in Kraft. Damit löste er den Fonds für zukünftige Generationen auf. Ab sofort konnten Ölgelder auch für die Bereiche nationale Sicherheit und allgemeine Verwaltung ausgegeben werden. Die Weltbank stand vor dem Scherbenhaufen ihres Modellprojektes.

Für den 3. Mai 2006 waren im Tschad Präsidentschaftswahlen angesetzt. Um für eine dritte Amtszeit kandidieren zu können, hatte der amtierende Präsident Déby die Verfassung ändern lassen. Am 26. April 2006, eine Woche vor den Wahlen, gab die Weltbank bekannt, dass sie sich mit der Regierung des Tschad über eine Fortsetzung der Zusammenarbeit geeinigt habe. Der volle Text der Vereinbarung ist nicht bekannt. Die Weltbank teilte lediglich mit, dass 70% der Öleinnahmen in die prioritären Sektoren der Armutsbekämpfung fließen sollen. Militärausgaben dürfen nach Angaben der Weltbank nicht aus den Öleinnahmen bestritten werden.

Die Opposition boykottierte diese Wahlen fast geschlossen. Unabhängige Wahlbeobachter stellten eine extrem geringe Beteiligung an den Wahlen fest sowie gravierende Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung. Das von Präsident Déby ernannte Verfassungsgericht kam zu der Ansicht, Déby habe 64,67% der Stimmen erreicht. Damit blieb es weit hinter dem Ergebnis der »unabhängigen« Wahlkommission zurück, die die Wahlen organisiert hatte. Sie hatte Déby bereits mit 77,53% zum Sieger erklärt. Oppositionspolitiker nannten das eine Farce, die sie nicht anerkennen. Frankreich und die USA erkennen das Wahlergebnis allerdings an. Präsident Déby gilt damit für weitere fünf Jahre als legitimer Präsident der Republik Tschad.

Trotz der guten Dokumentation sind die Einschätzungen des TKEPP sehr kontrovers. Weltbank- und Industrievertreter sehen weiter ein Modellprojekt. Noch nie habe die Zivilgesellschaft so viel Einfluss auf das gesamt Design eines solchen Projektes gehabt. Zentrale Forderungen seien im Tschad Gesetz geworden, viele Förderprogramme in Arbeit, insbesondere für die Ölregion. Internationale Spezialisten kümmern sich unter Einsatz von viel Geld um den Aufbau effektiver Verwaltungsstrukturen.

Armutsbekämpfung nach wie vor mangelhaft

Nur, der Einfluss der NROen reichte bei weiten nicht aus, um aus dem Projekt ein Vorhaben zu machen, dass die Rechte der Betroffenen wahrt. Das im Gesetz über die Verwendung der Öleinnahmen vorgesehene Kontrollgremium funktioniert zwar und legt aussagekräftige Berichte vor.6 Die belegen eindrucksvoll, wie Ölgelder veruntreut werden. In jedem anderem Land würde sich die Justiz der Fälle annehmen. Seit der Veröffentlichung des besonders brisanten Berichtes zum Jahr 2004 ist bis heute jedoch noch nicht eine Person zur Rechenschaft gezogen worden.

Das Inspection Panel, die Inspektionsinstanz der Weltbank, hat sich zweimal mit dem TKEPP befasst. Die entstandenen Berichte sind eindrucksvolle Dokumente, wie unvorteilhaft für die Betroffenen die Weltbank ihre Arbeit verrichtet. Das vernichtende Urteil des Inspection Panel, „unter den gegebenen Verhältnissen wird das Projekt auf absehbare Zeit nicht zur Armutsbekämpfung beitragen“,7 konterte der damalige Weltbankpräsident Wolfensohn mit der Bemerkung, diese Feststellung komme viel zu früh, die Ölförderung sei auf dreißig Jahre angelegt. Da könne sich noch viel tun.

Die Diskussion zum TKEPP hat die Gesamtdiskussion um die Problematik der extraktiven Industrien belebt und die Weltbank veranlasst, ihre Politik in diesem Bereich zu evaluieren. Am Extractive Industries Review Process8 (EIR, 2001–2003) wirkten auch NRO-Vertreter aus dem Bereich des TKEPP mit. Der Abschlussbericht enthält einige sehr wichtige Empfehlungen, so z.B. die Erkenntnis, dass funktionierende staatliche Strukturen Voraussetzung sind, damit Ressourcenproduktion armutsbekämpfend und entwicklungsfördernd wirksam werden kann. Alle Versuche, diese Strukturen mit den Einnahmen aus der Ressourcenvermarktung aufzubauen, wie im Falle des Tschad, sind bisher gescheitert. Norwegen bspw. füllt seine Rentenkasse mit Öleinnahmen. Aber dort wird von den Regierenden Rechenschaft über die effektive Verwendung der Öleinahmen gefordert. Das schafft Zufriedenheit bei den Wählern und nicht Putschgelüste. Stärkerer Druck der internationalen Gemeinschaft könnte vielleicht wirksam sein. Reiseverbote für Despoten und ihre Familien wären eine weitere Möglichkeit, um Einfluss zu nehmen9. Dazu gehört auch das Einfordern demokratischer Standards, statt offenkundigen Betrügereien ein legitimatorisches Mäntelchen umzuhängen.

Das TKEPP macht außerdem klar, dass Einheimische keine lästigen Störenfriede sind, sondern Experten für ihre eigenen Belange. Gut ausgebildete und engagierte Betroffene können viel zur Entwicklung ihrer Region beitragen, wenn es gelingt, sie aus der Arbeitslosigkeit zu holen. Eine Lösung könnte ein von den Ölfirmen alimentierter Fonds sein, aus dem die Kosten für die Abfederung sozialer Nebenwirkungen der Projekte finanziert werden. Leider werden aber bisher auch hier die Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.

Großprojekte mit weit reichenden Auswirkungen auf die sozialen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse müssen von möglichst demokratisch legitimierten Gremien begleitet werden, deren Ergebnisse für die Beteiligten verbindlich sind. Das verlangt eine funktionierende nationale und internationale Gerichtsbarkeit.

»Good Governance« ist die Voraussetzung, damit wirtschaftliches Engagement armutsmindernd wirksam werden kann. Diese Erkenntnis aus dem Abschlussbericht des EIR-Prozesses muss ernst genommen werden. Good Governance lässt sich nicht nachträglich herstellen, das Beharrungsvermögen der Machthaber an der sprudelnden Geldquelle ist erwiesenermaßen zu groß.

Deshalb werden wir Öl-Verbraucher im Norden die bestehenden Probleme solange weiter verschärfen, wie wir bereit sind, jeden Preis für unsere »Droge« Öl zu bezahlen. Geld alleine löst keine Problem, es schafft sie eher.

Literatur

Martin Petry: Wem gehört das schwarze Gold? Engagement für Frieden und Gerechtigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Erdölprojekt Tschad/Kamerun, Brandes & Apsel, Frankfurt 2003

Barbara Dietrich, Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte, Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 29, 1998; www.erdoel-tschad.de

Anmerkungen

1) Die Tochterfirma von ExxonMobil im Tschad firmiert als »ESSO Exploration and Production Chad Inc.«, kurz ESSO, www.essochad.com.

2) Noel K. Tshiani: Rede bei der Weltbank-Evaluierungskonferenz 10/2005 in N’Djaména, Bericht der AG-Erdöl 2005.

3) Geplante Verschrottung einer Bohrinsel durch Versenken in der Nordsee (Shell).

4) www.gic-iag.org.

5) Siehe unter anderen: Terry Lynn Karl: The Paradox of Plenty (Oil Booms and Petro-States), 1997-09-01, Studies in International Political Economy , No 26; Michael Ross: A Closer Look at Oil, Diamonds, and Civil War, Department of Political Science, University of California, Los Angeles, 2006.

6) www.ccsrp.td; leider ist der Jahresbericht 2004 nicht online verfügbar, liegt aber dem Autor in französisch vor und kann über m.zint@zintweb.de angefordert werden.

7) The Inspection Panel: Investigation Report – Chad-Cameroon Petroleum and Pipeline Project (Loan No. 4558-CD), Weltbank, 17.07. 2002.

8) www.eireview.org/.

9) Brahim Déby, Sohn des Präsidenten Idriss Déby, wurde am 4.6.06 von einem Pariser Gericht wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitz zu sechs Monaten Gefängnis und 2.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Aber er darf in Frankreich bleiben.

Martin Zint ist Journalist und Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Erdölprojekt Tschad-Kamerun.

Es geht um EU-Interessen

Kongo-Militäreinsatz:

Es geht um EU-Interessen

von Tobias Pflüger

Das Europäische Parlament hat formal kein Mitentscheidungsrecht bei Militäreinsätzen der Europäischen Union. Dennoch wurde am 22. und 23. März 2006 eine Debatte und Abstimmung über den EU-Militäreinsatz im Kongo durchgeführt, quasi als Einstimmung für die einzelstaatlichen Parlamente. Eine große Koalition von Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechtsnationalen stimmte für eine EU-Militärintervention in die Demokratische Republik Kongo. Interessant dabei war, dass genau zum Zeitpunkt der Debatte die eigentliche Entscheidung fiel, aber an anderem Ort: Das »Politische und Sicherheitspolitische Komitee« (PSK) votierte für eine Entsendung von damals noch 1.500 Soldaten. Im PSK sitzen die Botschafter der EU-Staaten oder deren für Militärpolitik zuständige Stellvertreter. Formal bestätigte dann – wie üblich – noch der EU-Ministerrat dieses Votum für eine Kongo-Militärintervention.

Anfang Juni gab dann auch der Bundestag, sozusagen als »Grüßaugust«, seine Zustimmung. Die Vorbereitungen, die auf EU-Ebene begannen, waren nicht mehr zu stoppen, während der Abstimmung im Bundestag liefen die Vorbereitungen des Militäreinsatzes bereits auf Hochtouren. Sie entfalteten einen enormen Druck für eine parlamentarische Zustimmung und so wurde auch die vorgesehene Mannschaftsstärke erneut heraufgesetzt. Jetzt sollen von insgesamt 2.000 Soldaten 780 aus Deutschland kommen. Am deutschen Oberkommando für den Einsatz und der operativen Verantwortlichkeit Frankreichs in Kinshasa wurde selbstverständlich nicht mehr gerüttelt.

Mit dieser Vorgehensweise wurden nicht einmal minimale demokratische Standards eingehalten. Die EU hat gegenüber Drittstaaten Kriterien für die parlamentarische Kontrolle von Militär aufgestellt. Sie selbst erfüllt diese Vorgaben aber nicht. Die Exekutive und dort ausgerechnet die Botschafter bei der EU oder deren Stellvertreter preschen vor, die einzelstaatlichen Parlamente nicken einen Einsatz ab, der de facto schon läuft.

Deckmantel Wahlhilfe

Offiziell geht es beim geplanten EU-Militäreinsatz im Kongo um die militärische Absicherung der bevorstehenden Wahlen. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden mehrfach verschoben. Derzeit ist das Datum der 31. Juli 2006. Die größte Oppositionspartei UDPS boykottiert jedoch die Wahlen, weil es bei der Wählerregistrierung eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Der Wahlsieger steht mit dem autokratischen Präsidenten Joseph Kabila damit praktisch schon fest. Kabila wird von der EU massiv unterstützt, dies obwohl seine Armee für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird und er zahlreiche Ressourcen des bitterarmen Landes an Verwandte privatisiert und vergeben hat. Die Wahlabsicherung ist also ein Vorwand, um was geht es tatsächlich?

Der deutsche Verteidigungsminister Franz-Josef Jung sagt ganz offen, dass es „um zentrale Sicherheitsinteressen unseres Landes“ ginge und „wir es mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen“, sollte es den Einsatz nicht geben. Und weiter: „Stabilität in der rohstoffreichen Region nützt auch der deutschen Wirtschaft.“1 Gemeint sind strategische Rohstoffe wie Wolfram, Cobalt und Mangan. Das passt auch zum Entwurf des Weissbuchs der Bundeswehr von Franz-Josef Jung, in dem Militärinterventionen zur Rohstoffsicherung verankert wurden.2 Der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff schreibt: „Kongo ist eines der ressourcenreichsten Länder der Welt und verfügt vor allem über strategische Rohstoffe, die für Europa wichtig sind: Wolfram, Mangan- und Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Coltan, Beryllium. Europa und Deutschland haben ein Interesse daran, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt. Kongo ist das mit Abstand wasserreichste Land auf dem Kontinent…“3

Schon jetzt wird der geplante EU-Militäreinsatz von vielen zu Recht als Unterstützung des autoritär regierenden Präsidenten Kabila und der War-Lords vor Ort angesehen gegen die Opposition und auch gegen viele in der Bevölkerung. Dazu passt, dass den – von der EU ausgebildeten – kongolesischen Sicherheitskräften zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Der „arme, geschundene Kontinent ist auch von den Europäern kaputt gemacht worden,“4 stellte Jungs Vorgänger Peter Struck laut einer Meldung im Tagesspiegel fest, um damit einen Militäreinsatz der EU zu rechtfertigen: „Wer denn, wenn nicht wir, soll dahin?“, fragte Struck.

Der SPD-Politiker Johannes Kahrs meinte zur Stärke des Kongo-Einsatzes: „Das wäre so, als würden 750 Soldaten in Lissabon landen und sagen, damit würden sie ganz Westeuropa stabilisieren.“5 Auch militärisch gesehen macht dieser Einsatz also keinen Sinn. Selbst hochrangige Militärs, wie beispielsweise Generalmajor Jan Oerding, der Chef der neuen EU-Einrichtung »Kommando Operative Führung Eingreifkräfte« in Ulm, konnte keine klare Antwort auf die Frage geben, welchen Erfolg aus militärisch-strategischer Sicht 2.000 im Kongo eingesetzte Soldaten verbuchen können. In den Reihen der deutschen Militärs steigt die Ablehnung gegen diese „reine Show, die das Leben deutscher Soldaten nicht wert ist,“6 wie Bernhard Gertz, Sprecher des Bundeswehrverbands den Kongo-Einsatz in der Welt am Sonntag charakterisierte. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe hatte indes die Bundesregierung aufgefordert, vor einem etwaigen Kongo-Einsatz der Bundeswehr die Bedingungen genauestens zu klären.

Demonstrierte Interventionsfähigkeit

Nicht einmal die drei wesentlichen internen Bedingungen für den Kongo-Einsatz sind erfüllt.

  • Erstens stand am Anfang nicht ein Beschluss der UNO, erst auf ausdrückliche Bitte Frankreichs im UN-Sicherheitsrat wurde die EU zu einer militärischen Intervention im Kongo berufen.
  • Zweitens wurde keine wirkliche Anforderung seitens der kongolesischen Regierung ausgesprochen. Präsident Kabila hat lediglich zu verstehen gegeben , dass er nichts gegen einen EU-Militäreinsatz habe, was bestenfalls als Unterstützung, aber keinesfalls als Anforderung zu bewerten ist.
  • Drittens fehlt weiterhin eine exakte zeitliche und räumliche Begrenzung für diesen Einsatz. Zur Dauer heißt es: vier Monate oder vielleicht doch länger, und eine räumliche Begrenzung wird in dem Beschluss des PSK nicht festgelegt, auch wenn im Bundestagsbeschluss von einer Beschränkung deutscher Soldaten auf den Raum Kinshasa die Rede ist.

Deutschland wird führend am EU-Militäreinsatz im Kongo beteiligt sein. Das im Potsdamer Einsatzführungskommando bereitgestellte »Operation Headquarter« (OHQ) der EU soll den Einsatz leiten. Das sogenannte »Force Headquarters« (FHQ) dafür, also eine verlegbare Befehlszentrale im Einsatzland wird bei diesem Einsatz das Pariser FHQ sein. Auch Deutschland verfügt seit knapp einem halben Jahr über ein FHQ, dem »Kommando Operative Führung Eingreifkräfte « in Ulm. Dass für den Kongo-Einsatz nun nicht das deutsche FHQ, sondern das französische ausgewählt wurde, ist der politische Deal, der Arbeitsteilung zwischen Deutschland und Frankreich. Das Kommando in Ulm wird für den Kongo-Einsatz mehrere Verbindungsoffiziere in das Potsdamer OHQ abstellen, damit ist Ulm in den Kongo-Militäreinsatz involviert.

Mit dem Kongo-Einsatz will die EU ihre Interventionsfähigkeit beweisen. Das ist auch Teil des neuen »großen Spiels« um Afrika, bei dem EU-Mitgliedstaaten, China und die USA um die Rohstoffausbeute konkurrieren. Die neuen Battle Groups der Europäischen Union, von denen zwischen 2007 und 2010 dreizehn mit einer Starke von jeweils 1.500 Soldaten gebildet werden sollen, haben nach EU-Strategiepapieren Afrika als Hauptziel. Die EU will zeigen, dass „Europas Sicherheitspolitik beginnt, handlungsfähig zu werden,“ denn „dies ist der einzige entscheidende Grund für diesen Einsatz,“ 7 wie es Klaus Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses offen sagt.

Wie human die humanitäre Intervention im Kongo wirklich ist, lässt sich aus folgender Meldung der NZZ vom 28. Januar 2006 ersehen: „Während die UNO in ihrem Spendenaufruf für 2005 47 Millionen Dollar für die Republik Zentralafrika, 40,5 für Cote d’Ivoire und 33 Millionen für Guinea verlangte, versprachen die Geber an der Konferenz für die Hilfe an diese Länder nur je eine Million Dollar. Für die Demokratische Republik Kongo wurden 36,5 von 738 Millionen zugesagt, für den Sudan 106 Millionen von 1,5 Milliarden, für Somalia sogar nur 5 Millionen von den notwendigen 174 Millionen.“ 8 Allein der Bundeswehreinsatz im Kongo wird aber für die ersten Monate 56 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten verschlingen.

Die EU-Militärintervention in der DR Kongo schreibt sich in die post-koloniale Tradition der militärinterventionistischen Afrikapolitik europäischer Kolonialmächte ein. Dazu passt, dass Frankreich seine Militärstützpunkte in Afrika, wie in Senegal, Djibouti, Gabun und der Elfenbeinküste europäisieren möchte.9 Während der Kongo-Mission sollen 400 deutsche Fallschirmjäger in Libréville/Gabun auf einem französischen Militärstützpunkt stationiert werden. Mit der EU-Militärintervention in der DR Kongo droht ein Exempel für die Europäisierung französisch/belgischer Hegemonialpolitik in Afrika.

AP schreibt in einer Agenturmeldung vom 07.06.2006: „Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana hat den bevorstehenden Kongo-Einsatz europäischer Soldaten als Beispiel für die künftigen Aufgaben der EU bezeichnet.“ Wenn der Kongo das Probebeispiel ist, was soll dann alles noch folgen?

Anmerkungen

1) http://www.bundesregierung.de/Interview/,-975779/dokument.print.htm

2) http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5519118_REF1,00.html

3) http://www.andreas-schockenhoff.de/politisches/standpunkte?template=detail&entryid=64

4) Tagesspiegel 29.03.2006

5) Deutschlandfunk, 21.03.2006, zitiert nach „Gute demokratische Tradition“, Grüne und Seeheimer Kreis für und gegen Kongo-Einsatz in: ngo-online, 21.03.2006

6) http://www.wams.de/data/2006/03/26/865573.html

7) Osnabrücker Zeitung, 03. April 2006

8) Neue Züricher Zeitung vom 28.01.2006

9) Vgl. http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?id=1410

Tobias Pflüger ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und Mitglied des Europäischen Parlaments, dort Mitglied der Linksfraktion GUE/NGL, des Auswärtigen Ausschusses, des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung und der NATO-Parlamentarier-Delegation.

Unternehmen für den Krieg

Unternehmen für den Krieg

Die Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

von Marc von Boemcken

Im März 2004 stellten die Behörden am Flughafen von Harare eine aus Südafrika kommende Boeing 727 sicher und verhafteten 70 Männer. Diese Männer wollten in Simbabwe Waffen einkaufen, um dann nach Äquatorialguinea weiter zu fliegen und in dem kleinen, ölreichen Land einen Staatsstreich durchzuführen. Dieser bemerkenswerte Vorfall ist nur einer von vielen Hinweisen auf einen komplexen und sehr ausdifferenzierten Gewaltmarkt, der sich spätestens seit Ende des Kalten Krieges auf dem afrikanischen Kontinent etabliert hat. Der Autor beleuchtet zuerst das Feld profitorientierter Gewalt- und Sicherheitsakteure in Afrika. Danach erörtert er die wichtigsten Ursachen für die wachsende Bedeutung des Söldnertums sowie seine sich verändernden Erscheinungsformen seit Ende des Kalten Krieges. Schließlich unterzieht er die Rolle kommerzieller Gewaltanbieter bei der Verschärfung und Förderung gewaltsamer Konfliktdynamiken einer kritischen Bewertung. Insgesamt wird so der Bedarf nach effektiveren internationalen und nationalen Maßnahmen zur Einhegung afrikanischer Gewaltmärkte aufgezeigt.

Bis in die 1970er Jahre hinein gab es praktisch keine Verregelung von Söldneraktivitäten in der internationalen Rechtssprechung. Ein 1977 angenommenes Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen klassifizierte Söldner erstmalig als „illegale Kombattanten“, die nicht den Status eines Kriegsgefangenen für sich in Anspruch nehmen dürfen. Ein Söldner ist nach diesem Protokoll wer sich 1) anwerben lässt, um in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen; 2) unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt; 3) dabei hauptsächlich von einem Begehren nach persönlichem, materiellem Gewinn angetrieben wird; sowie 4) weder ein Bürger noch 5) ein Mitglied der Streitkräfte einer Konfliktpartei ist.1 Diese Definition bildete die Grundlage für zwei internationale Abkommen zur Bekämpfung des Söldnertums: Die Convention for the Elimination of Mercenaries in Africa (CEMA) der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) von 1977 und die International Convention against the Recruitment, Use, Financing and Training of Mercenaries der Vereinten Nationen (VN) von 1989.

Es ist keineswegs ein Zufall, dass der erste internationale Versuch zur Eindämmung des Söldnertums gerade in Afrika seinen Anfang nahm. Ehemaligen Kolonialmächten und dem Apartheid-Regime in Südafrika war während des Kalten Krieges die Finanzierung von Söldnern als ein opportunes Instrument der Außenpolitik erschienen, um ihre machtpolitischen oder ideologischen Interessen auf dem Kontinent gewaltsam durchsetzen zu können. Bewaffnete Gruppierungen um berüchtigte Anführer wie z.B. Michael »Mad Mike« Hoare, Bob Denard oder den ehemaligen Wehrmachtsoffizier »Kongo-Müller« hatten während der 1960er und 1970er Jahre nicht selten dazu beigetragen, die staatliche Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker – etwa im Kongo, Angola oder auf den Komoren – zu unterwandern.2 Da die CEMA im Wesentlichen darauf abzielte, die klandestine Interventionspolitik ausländischer Mächte im südlichen Afrika einzudämmen, propagierte sie kein generelles Verbot des Söldnertums. Vielmehr kriminalisierte sie lediglich den Gebrauch von Söldnern gegen die territoriale Integrität afrikanischer Staaten sowie gegen »legitime« Befreiungsbewegungen. Es war und ist den Mitgliedsstaaten also weiterhin erlaubt, Söldner zur Bekämpfung von als »illegitim« angesehenen Aufständen innerhalb ihrer eigenen Grenzen einzusetzen.3 Trotzdem blieb das Interesse afrikanischer Staaten an der CEMA eher mäßig. Bis Oktober 2005 hatten nur 26 der 53 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) das Abkommen ratifiziert.

Im Unterschied zu der CEMA strebt die Anti-Söldner Konvention der VN von 1989 ein Verbot jeglicher Söldneraktivitäten an. Zwar genießt sie die Unterstützung vieler VN Organisationen, auch hier ist das nationalstaatliche Interesse aber gering. Tatsächlich konnte die VN Konvention nicht bis September 2001 in Kraft treten, da ihr bis dahin die nötigen 22 Ratifikationen fehlten. Vier Jahre später waren ihr weltweit nur 27 Länder beigetreten, davon 9 aus Afrika.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die internationalen Mechanismen zur Kriminalisierung des Söldnertums – entgegen verbreiteter Meinung –noch immer schwach sind.4 Auch nationale Gesetze zur Einhegung von Söldneraktivitäten bleiben eher die Ausnahme als die Regel.5 So konnte ein florierender Handel mit militärischen Dienstleistungen entstehen, von dem vor allem der afrikanische Kontinent stark betroffen ist.

Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

Söldneraktivitäten haben auf dem afrikanischen Kontinent im Laufe der letzten Jahrzehnte stetig zugenommen. Abdel-Fatau Musah und Kayode Fayemi registrieren in ihrem Buch »Mercenaries – An African Security Dilemma« für den Zeitraum zwischen 1950 und 1989 insgesamt 15 Söldnereinsätze bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika, für den Zeitraum zwischen 1990 und 1998 haben sie immerhin 65 Einträge.6

Die wichtigste Ursache für die Ausbreitung kommerzieller Kriegsakteure liegt in der Unfähigkeit vieler afrikanischer Staaten, einen effektiven öffentlichen Sicherheitsapparat zu unterhalten, der die gewaltfreie Austragung innergesellschaftlicher Konflikte und ökonomischer Konkurrenz gewährleisten könnte. So findet z.B. die Ausbeutung natürlicher Ressourcen häufig in »staatsfreien« oder »gewaltoffenen« Räumen statt, in denen die wirtschaftlichen Interessen sowohl staatlicher als auch nicht-staatlicher Akteure u.a. von modernen Söldnern und privaten Sicherheitsunternehmen gewaltsam verteidigt und durchgesetzt werden.

Das Abklingen US-amerikanischer und sowjetischer Finanzhilfen nach Ende des Kalten Krieges beschleunigte die Erosion staatlicher Gewaltstrukturen, da von schrumpfenden öffentlichen Haushalten auch die Militär- und Sicherheitsbudgets betroffen waren. Zwischen 1985 und 1995 sanken die Militärausgaben in Afrika südlich der Sahara um fast 20 Prozent.7 Die Verschiebung von Militärleistungen in den Privatsektor erschien als die billigere Alternative zum – ohnehin in weiten Teilen Afrikas nie vorhandenen – öffentlichen Gewaltmonopol. Während stehende Heere nämlich langfristig unterhalten werden wollen, müssen Söldner nur für eine begrenzt andauernde Militäroperation bezahlt werden. Auch die innere Sicherheit wurde zum Teil gänzlich privatisiert, um öffentliche Kassen zu entlasten. In vielen afrikanischen Ländern müssen Firmen, Internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) für ihre Sicherheit selbst aufkommen.8

Das Wachstum privater Gewaltmärkte wurde zusätzlich durch die weltweite Demobilisierung von Soldaten nach Ende des Kalten Krieges begünstigt. Allein die südafrikanischen Streitkräfte reduzierten zwischen 1990 und 2003 ihren Personalbestand um mehr als 30.000 Soldaten.9 Vielen arbeitslosen Ex-Militärs kam die gestiegene Nachfrage nach kommerziellen Militär- und Sicherheitsleistungen sehr gelegen. Ganze Kompanien der ehemaligen South African Defence Force traten fast geschlossen in die Dienste von neu gegründeten Söldnerfirmen.10

Bei näherer Betrachtung lassen sich mindestens drei Gruppen kommerzieller Gewaltanbieter in Afrika voneinander unterschieden:11

Söldner

Nach wie vor gibt es kleine und konspirative Söldnerbanden, die ihre Waffenfertigkeiten an den meistbietenden Interessenten verkaufen. Ein Beispiel wäre die sogenannte Weiße Legion – eine lose Gruppe aus Franzosen und Serben, die 1996/7 vom Mobutu Regime in Zaire zur Bekämpfung von Rebellen angeheuert wurde. Auch der Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, beschäftigte Berichten zufolge zwischen 2002 und 2003 eine Vielzahl osteuropäischer und südafrikanischer Söldner, meist Piloten von Kampfhubschraubern, welche direkt dem Präsidentenbüro unterstanden.12

Söldnerfirmen

Neben diesen kleineren Banden bildeten sich in den 1990er Jahren auch registrierte Firmen, die militärische Dienstleistungen verkauften – sogenannte Military Provider Firms (MPFs) oder »Söldnerfirmen«. Von klassischen Söldnern unterschieden sie sich vor allem durch ihre Organisationsform als Unternehmen bzw. durch ihr tendenziell angeblich eher offenes als verdecktes Gebahren auf dem internationalen Markt.13 MPFs konnten in kurzer Zeit eine große Zahl bewaffneter Experten in ein afrikanisches Konfliktgebiet entsenden und durch eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen den weiteren Kriegsverlauf entscheidend beeinflussen. Die wohl bekanntesten Beispiele waren die südafrikanische Firma Executive Outcomes (EO) und ihr britisches Schwesterunternehmen Sandline International, welche die Regierungen von Angola und Sierra Leone im Kampf gegen Rebellengruppen unterstützen. Beide Firmen waren Teil eines komplexen Firmenkonsortiums, welches auch in die Rohstoffindustrie hineinreichte. Für ihre teuren Dienste konnten sie sich so mit Lizenzen für Schürfrechte an Diamantenminen entlohnen lassen.14

Sicherheitsfirmen

Söldner und Söldnerfirmen werden meist nur für einen kurzen Zeitraum und mit der spezifischen Absicht, an offensiven Kampfhandlungen teilzunehmen angeworben. Im Unterschied dazu sind die in afrikanischen Krisen- und Kriegsgebieten tätigen privaten Sicherheitsfirmen in der Regel für eine längere Zeitspanne im Land aktiv und ausschließlich mit dem Schutz von bedrohten Einrichtungen oder Personen betraut. Zu ihren Auftraggebern gehören nicht nur Regierungen, sondern auch Firmen der Privatwirtschaft oder NROs. Dabei können Sicherheitsfirmen entweder international tätig sein, wie z.B. die britische Firma ArmorGroup mit eigenen Büros in zehn afrikanischen Staaten, oder lokal begrenzt wie die Firmen LifeGuard und Southern Cross in Sierra Leone. Die jährliche Wachstumsrate der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika beträgt vermutlich zwischen 10 und 30 Prozent.15 Der Markt ist damit ungleich größer als der für Söldner oder Söldnerfirmen.

Kritische Bewertung

Söldnerfirmen und Sicherheitsunternehmen erfreuen sich heute einer erstaunlich großen Akzeptanz, da sie in der Wahrnehmung vieler die einzig mögliche Alternative zum ineffektiven öffentlichen Sicherheitssektor in Teilen Afrikas darstellen. Die Diskussion wird von der Frage dominiert, wie derartige Gewaltmärkte wohl reguliert und kontrolliert werden können. Möglichkeiten diese Märkte einzudämmen oder gar zu verbieten, werden hingegen meist kategorisch als unrealistisch oder kontraproduktiv abgelehnt.16 Tatsächlich waren die Einsätze von EO und Sandline in militärischer Hinsicht sehr effektiv und konnten dazu beitragen, zerfallende Bürgerkriegsstaaten kurzfristig zu stabilisieren. Es gibt auch keine Indizien dafür, dass Angestellte von Söldner- und Sicherheitsfirmen eher zu Menschenrechtsverletzungen neigen als etwa Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte.

Trotzdem sind kommerzielle Anbieter von Kriegs- und Sicherheitsleistungen alles andere als neutrale »Werkzeuge«. Im Gegenteil, ihr Einsatz hat profunde Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation von Gewalt und Sicherheit. In vielen Fällen schaffen sie mehr Probleme als sie zu lösen in der Lage sind.

Söldner und Angestellte von MPFs sind weder in eine feste Befehlshierarchie eingebunden, noch unterliegen sie militärischer Gerichtsbarkeit. Obwohl sie meist von Staaten angeheuert werden, agieren sie also – anders als nationale Streitkräfte – unabhängig von einer unmittelbaren rechtlichen Verantwortlichkeit. Dies erschwert es Regierungen, eine effektive Kontrolle über die Implementierung ihrer Kriegsentscheidungen auszuüben. Als ihnen die Situation in Sierra Leone zu gefährlich wurde, konnte z.B. die Firma Gurkha Security Guards 1994 einfach ihren Vertrag kündigen und das Land verlassen.17

Wie vergangene Beispiele zeigen, war die Abhängigkeit von MPFs der langfristigen Konsolidierung staatlicher Sicherheitsapparate keineswegs dienlich. Im Gegenteil: Da sich ärmere Staaten diese Firmen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum leisten konnten, flammte der Gewaltkonflikt nach deren Rückzug meist in alter Intensität wieder auf. Es ist wenig wahrscheinlich, dass MPFs an einer wirklichen und nachhaltigen Lösung von Gewaltkonflikten interessiert sind, da sie sich dadurch ihrer eigenen Existenzgrundlage berauben würden. Zerfallende Staaten, die dazu gezwungen waren, immer wieder auf die Hilfe von MPFs zurückzugreifen, fanden sich vielmehr bald in einem gefährlichen Kreislauf der Gewaltreproduktion wieder: Um die MPFs bezahlen zu können, wurden Rohstoffe durch Konzessionsvergabe der Volkswirtschaft entzogen. Dadurch nahm die Armut im Land jedoch zu, was wiederum neues Konfliktpotenzial schaffte bzw. bestehendes verschärfte, und somit die zukünftige Abhängigkeit der Regierung von MPFs weiter untermauerte.

Nicht nur Söldner und MPFs, auch private Sicherheitsfirmen haben eine tendenziell gewaltfördernde Funktion, da ihre Ausbreitung das Gefühl gesamtgesellschaftlicher Unsicherheit mittel- bis langfristig erhöht. Sie befreien Regierungen in aller Regel von der kostspieligen Erfordernis, eigene – also öffentliche – Sicherheitskräfte auf- oder auszubauen. Das Gut Sicherheit verwandelt sich so von einem allgemeinen Grundrecht zu einer Ware, die sich nur wenige leisten können.18 Gerade in instabilen Post-Konflikt-Gesellschaften birgt eine solche Entwicklung womöglich ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial.

Die Regelungen im Internationalen Recht sind derzeit nicht geeignet, die Privatisierung und Kommerzialisierung staatlicher Gewaltfunktionen wirksam einzudämmen. So waren sowohl die von Laurent Gbagho angeheuerten Piloten, als auch die Angestellten von EO und Sandline zwar Söldner nach den Kriterien der Genfer Konvention. Da sie alle für afrikanische Regierungen im Landesinneren arbeiteten, fiel ihr Gebrauch jedoch nicht unter die Bestimmungen der CEMA. Nach der seit 2001 gültigen Anti-Söldner Konvention der VN wäre ein derartiger Einsatz von Söldnern zwar dennoch verboten, allerdings sind bisher weder die Elfenbeinküste noch Angola und Sierra Leone diesem Abkommen beigetreten.

Obwohl sich die private Sicherheitsindustrie zunehmend internationalisiert und militarisiert, bleibt sie im Internationalen Recht praktisch unsichtbar. Die Angestellten dieser Firmen werden meist vor Ort und nicht mit der speziellen Absicht, aktiv an Kampfhandlungen teilzunehmen, angeworben. Sie sind somit weder Ausländer noch Kombattaten im herkömmlichen Sinn und deshalb auch keine Söldner im rechtlichen Sinn. Gleichwohl können Sicherheitsfirmen gerade in Kriegs- und Krisengebieten schnell in größere Gefechte verwickelt werden. Während des Einsatzes selber kann die Grenze zwischen defensivem und offensivem Verhalten – und damit der qualitative Unterschied zwischen Sicherheitsfirmen und Söldnerfirmen – also leicht verschwimmen.

Wirkliche Fortschritte bei der rechtlichen Eindämmung des Söldnertums und der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika konnten bisher nur vereinzelt und auf nationaler Ebene gemacht werden. So erließ die Regierung Südafrikas 1998 ein Gesetz, das südafrikanischen Staatsbürgern nicht nur untersagte, als Söldner tätig zu werden, sondern auch sich von Sicherheitsfirmen in bewaffneten Konflikten anstellen zu lassen. Ein Jahr später sah sich EO gezwungen, alle Geschäfte einzustellen. Zur Zeit wird im südafrikanischen Parlament über eine Verschärfung dieses Foreign Military Assistance Act diskutiert nach der selbst Ausländer mit Verbindungen zu Söldner- und Sicherheitsfirmen in Kriegsgebieten bei einem Aufenthalt in Südafrika der Prozess gemacht werden könnte.

Schlußbetrachtung und Ausblick

Die hohen Kosten von MPFs haben die meisten afrikanischen Staaten in den letzten Jahren davon abgehalten, derartige Dienstleistungen einzukaufen. So sah sich im April 2004 auch Sandline aufgrund der schlechten Auftragslage zur Firmenauflösung gezwungen. Es scheint als verpflichten die Kriegsparteien Afrikas inzwischen lieber billigere Söldnerbanden. Ehemalige Mitarbeiter von MPFs wechselten entweder in den wachsenden Sicherheitsmarkt oder beteiligten sich an klandestinen Söldneroperationen. So war einer der führenden Köpfe des geplanten Staatsstreiches in Äquatorial-Guinea, Simon Mann, ein Mitbegründer von sowohl EO als auch Sandline.

Zweifellos besteht ein großer Bedarf an weiteren Forschungsvorhaben zur Untersuchung der Auswirkungen von Söldnern und Sicherheitsfirmen auf schwache Staaten. Vieles deutet darauf hin, dass die langfristigen gesellschaftlichen Folgen zur Förderung von Gewaltkonflikten beitragen. Der schleichenden Legitimierung dieser Gewaltmärkte müsste dann – nach dem Vorbild der südafrikanischen Gesetzgeber – entschieden entgegengewirkt werden. Oberste Priorität wäre es, bei gleichzeitiger Kriminalisierung des Söldnertums bzw. privater Gewaltakteure in Konfliktgebieten, afrikanische Staaten dazu zu befähigen, wirksame Strukturen zur Herstellung öffentlicher Sicherheit aufzubauen, die demokratisch legitimiert und internationalen Standards verpflichtet sind.

Anmerkungen

1) Vgl. Artikel 47 im Zusatzprotokoll 1 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikt.

2) Vgl. Guy Arnold (1999): Mercenaries: The Scourge of the Thirld World. Palgrave Macmillan.

3) Vgl. Peter W. Singer (2004): War, Profits, and the Vacuum of Law. Columbia Journal of TransnationalLaw.Vol. 42. Nr. 2. S. 529.

4) Ebd. S. 524.

5) Caroline Holmqvist (2005): Private Security Companies: The Case for Regulation.SIPRI Policy Paper No. 9. Januar. S. 50.

6) Abdel-Fatau Musah & J. Kayode Fayemi (2000): Mercenaries: An African Security Dilemma. Pluto Press. S. 265-274.

7) Vgl. The International Institute for Strategic Studies (IISS) (1996): The Military Balance 1996/7. Oxford University Press. S. 310-311.

8) Vgl. Anna Leander (2003): The Commodification of Violence, Private Military Companies and African States. COPRI Working Paper 11/2003. S. 4.

9) IISS (2004): The Military Balance 2004/5. Oxford University Press.

10) Kevin A. O’Brien (2000): Private Military Companies and African Security 1990-98. In Musah & Fayemi. 2000. S. 50.

11) Vgl. Alex Vines (2000): Mercenaries, Human Rights and Legality. In Musah & Fayemi. 2000. S. 169.

12) Vgl. Patrice Dutertre (2005): Die Neuen Söldner. Dokumentarfilm. Frankreich.

13) Vgl. Peter W. Singer (2003): Corporate Warriors. Cornell University Press.

14) Vgl. Khareen Pech (1999): Executive Outcomes – A corporate conquest & Ian Douglas: Fighting for diamonds – Private military companies in Sierra Leone. In Jakkie Cilliers & Peggy Mason (Eds.) (1999): Peace, Profit or Plunder? Institute for Security Studies (ISS).

15) Peter Lock (1999): Africa, Military Downsizing and the Growth in the Security Industry. In Cilliers & Mason (1999).

16) Vgl. Holmqvist (2005): S. 42.

17) Anna Leander (2003): S. 6.

18) Vgl. Peter Lock (2000): Söldner und Rebellen: Zur Rolle der Gewalt in afrikanischen Ökonomien. In Internationales Afrikaforum. Vol. 36. Nr. 1.

Marc von Boemcken ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bonn International Center for Conversion (BICC)

Gewaltsame Konflikte in Somalia:

Gewaltsame Konflikte in Somalia:

Lehren aus einem Dutzend gescheiterter Friedensprozesse

von Thania Paffenholz

Alle Bemühungen, Frieden in Somalia zu schaffen, sind bislang gescheitert. Das, obwohl im Land am Horn von Afrika schon fast alle Optionen der zivilen und militärischen Konfliktbearbeitung zur Anwendung kamen: Von der militärischen Intervention, über Vermittlung durch internationale Akteure wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Union oder die Staaten der Region (Äthiopien, Ägypten, Kenia) sowie zuletzt durch die Regionalorganisation »Intergovernmental Agency for Development« (IGAD). Weiterhin hat es zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen gegeben sowie verschiedene Versuche, Frieden durch traditionelle Akteure wie Ältestenräte zu erzielen. Letztere waren erfolgreich in der Befriedung des nordwestlichen Teils Somalias, Somaliland. Hier herrscht seit fast zehn Jahren Frieden und die Region befindet sich im Wiederaufbau. Leider ist es nicht gelungen, dieses Erfolgsmodell auf den Rest Somalias zu übertragen. Denn seit 1991 ist Somalia de facto und de jure ohne einen Staat.

Ziel des vorliegenden Artikels ist es, die Gründe dieses Scheiterns der vielen Friedensbemühungen zu analysieren, um Vorschläge für weitere Bemühungen in Somalia zu entwickeln.

Krieg und Frieden in Somalia

Der bewaffnete Kampf in Somalia begann bereits 1988 mit dem Kampf von Widerstandsgruppen in Somaliland gegen den Zentralstaat im Süden.1 Dem langjährigen Diktator Somalias Siad Barre war es nicht gelungen, die ehemalige britische Kolonie Somalialand gleichwertig in den somalischen Staatsverbund zu integrieren. Das Machtzentrum im Staat lag in den Regionen um die Hauptstadt Mogadischu im Süden. Somaliland und seine Klans wurden benachteiligt. Dies führte zu Widerstand gegen den Staat, den die nationale Armee mit massiver Gegengewalt beantwortete.

Vom Anti-Regime Krieg zum Kampf um die Macht

Anfang der 90er Jahre weitete sich der bewaffnete Kampf auf den Süden aus: 1991 rückten verschiedene Widerstandsgruppen auf die Hauptstadt zu und zwangen den Diktator Barre das Land zu verlassen. Somaliland erklärte daraufhin seine Unabhängigkeit, die allerdings bis heute international nicht anerkannt wird. In Somaliland vermittelten die Klanältesten im Friedensprozess, der 1994 erneut von blutigen Kämpfen unterbrochen wurde. Nach einem erneuten Vermittlungsprozess der Ältesten wurde Somalialand dauerhaft befriedet und ist nunmehr ein klassisches Nachkriegsland/region.

1992 weitete sich der bewaffnete Kampf im Süden aus, da die verschiedenen Gruppen sich nicht auf eine für alle interessante Verteilung der Macht im Staat, einigen konnten. So entstand ein Kampf um die Macht in einem Staat, der nicht mehr existierte.

Die Kombination von Hungersnot und Krieg zog das Interesse der internationalen Medien auf Somalia. Die USA intervenierten zum Schutz der Hilfskonvois vor Plünderungen. Die anschließende UN-Mission, UNOSOM, erhielt auch ein weitreichendes politisches Mandat zur Befriedigung des Landes. Mehrere Verhandlungen mit den verschiedenen Warlords fanden im Laufe der Jahre statt. Alle scheiterten.

Mehr als ein Dutzend gescheiterter Friedensinitiativen

1995 verließen die VN ohne Erfolg Somalia (siehe dazu Diehl 2003, Sahnoun 1994, Rahmesh 1994). Die Europäische Kommission setzte einen Sonderbotschafter für den politischen Prozess in Somalia ein und unternahm in den darauf folgenden Jahren verschiedene Versuche, eine politische Regelung für Somalia zu erreichen (Paffenholz 1998). Ab 1997 bemühten sich die Staaten der Region, nämlich Äthiopien, Ägypten und Kenia, um eine politische Regelung. Zu den vermittelnden Akteuren stieß von europäischer Seite noch Italien hinzu, die ehemalige Kolonialmacht im Süden Somalias.

Nachdem alle Friedensinitiativen gescheitert waren, begannen die internationalen Akteure ab 1997 sich mehr auf zivilgesellschaftliche Akteure zu konzentrieren (näheres Paffenholz 2003). Dabei zeigte sich das Problem, das es wenig klan-unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen gab. Dennoch ist es damals gelungen, eine neue Dynamik für Friedensförderung zu schaffen, die nicht mehr allein auf die Warlords abzielte.

Während bis Mitte der 90er Jahre die Warlords die dominanten Kräfte im Land waren, setze nach dem Rückzug von UNOSOM eine Machtverschiebung ein: Der Anti-Regime-Krieg wandelte sich ab 1991 zunächst in einen Krieg zwischen den größeren Klans vor allem im Süden Somalias, dann in bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb dieser Klans bzw. zwischen Unterklangruppen (Sub-Sub-Clans). Dadurch wurde die Macht der Klans geschwächt. An ihre Stelle traten vor allem die Geschäftsleute, die zunehmend Milizen der Klans für ihre Sicherheit und den Schutz ihrer Interessen rekrutierten. Auch traten zivilgesellschaftliche Akteure stärker hervor, aber nicht vergleichbar mit dem Geschäftssektor (siehe Menkhaus 2003).

Neue Friedensinitiativen stellen die Klans in den Mittelpunkt

Im Jahre 2000 begann auf Initiative der Regierung in Djibuti ein neuer Friedensprozess, der Vertreterinnen und Vertreter der vielen somalischen Klans in den Mittelpunkt rückte und die Warlords ausschloss. In mehrere Monate dauernde Verhandlungen entstand daraufhin eine neue somalische Übergangsregierung (Transitional National Government, TNG). Somaliland hielt sich im Wesentlichen fern vom diesem Prozess. Obwohl einige internationale Akteure die neue Regierung politisch (VN) und finanziell (Golfstaaten) unterstützten, gelang es dieser aber nicht, ihren Herrschaftsbereich über einen Teil der Hauptstadt Mogadischu hinaus auszuweiten (siehe International Crisis Group 2002).

Die Regionalorganisation IGAD lancierte unter Führung von Kenia im Jahr 2002 einen neuen Friedensprozess. Dieser basierte auf dem Djibuti-Prozess und stellte ebenfalls die Klans in den Mittelpunkt, bezog aber auch die Warlords mit ein. Mehrere Verhandlungsrunden in Kenia führten zur Unterzeichnung von Waffenstillstandsabkommen, zuletzt im Juli 2003. Erneute Kämpfe im Süden des Landes untermauern, dass auch dieser Prozess höchst instabil ist (siehe Terlinden 2003).

Warum sind alle Friedensbemühungen bislang gescheitert?

Hier liegen die Wurzeln des ursprünglichen Anti-Regime Krieges Ende der 80er Jahre. Die Gründe sind aber nach wie vor relevant und erklären, warum Somaliland sich von allen nationalen Friedensregelungen bisher fern gehalten hat.

Hinzukommt, dass die große Macht des einstigen Zentralstaates zu einer wesentlichen Blockade aller Friedensbemühungen wurde. Obwohl jeder der beteiligten somalischen Akteure dezentralisierten Strukturen zustimmt, bleibt aufgrund der Historie eine Konkretisierung schwierig.

Um seine Macht abzustützen, hatte Siad Barre ein komplexes, klientelistisches System basierend auf den alten Klanstrukturen aufgebaut. Dies führte dazu, dass die Entstehung eines modernen politischen Staates blockiert wurde, da immer wieder die Interessen der Klans statt anderer Interessensverbände gestärkt wurden. Diese Entwicklung schürte Rivalitäten unter den Klans und hat den Aufbau klan-unabhängiger Strukturen verhindert, was bis heute eine Blockade für den Friedensprozess im Süden darstellt.

Divergierende Interessen der Regionalstaaten

Obwohl viele Vermittlungsinitiativen in der Regel auch viele Optionen für den Frieden bergen, sind im Falle Somalias die divergierenden Interessen, vor allem der Regionalstaaten, für den Friedensprozess insgesamt nicht von Vorteil gewesen. Äthiopien unterstützt beispielsweise lange Zeit nur eine bestimmte Gruppe von somalischen Warlords und positionierte sich gezielt gegen andere. Damit wurde vor allem von 1997 bis 2000 mehr Konflikte geschürt als geregelt. Dies liegt am ambivalenten Verhältnis Äthiopiens zu seinem Nachbarn Somalia. Denn Äthiopien war in der Zeit von Siad Barre Opfer der somalischen regionalen Hegemonialansprüche. Siad Barre wollte alle somalisch-sprachigen Terroritorien in der Region zu einem »Greater Somalia« zusammenführen. Dies betraf Teile von Nordkenia sowie den Süden Äthiopiens (Region 5). In einem Feldzug wurde deshalb die Region 5 Äthiopiens von der somalische Armee kurzzeitig besetzt. Die Staatenlosigkeit Somalias bietet für Äthiopien mehrere Vorteile. Zunächst ist, wie oben erläutert, ein nicht- handlungsfähiger Staat ohne Armee keine Bedrohung. Des Weiteren konnte Äthiopien seine Kontrolle der bewaffneten äthiopischen Opposition aus dem Ogaden, die in Somalia über Basen verfügten, militärisch ausdehnen. Denn keiner protestierte als die äthiopische Armee nach dem Abzug der VN Schritt für Schritt nach Somalia einzog und weite Teile der Grenzregion mit dem Süden besetzte.2

Kenia verfolgte eine ambivalente Politik gegenüber Somalia. Grundsätzlich besteht aus demselben Grund wie im Falle Äthiopien keine sehr positive allgemeine Einstellung gegenüber Somalia. Dies wird noch verstärkt, da Kenia die Hauptlast der somalischen Flüchtlinge trägt. Die kenianische Regierung ist daher einerseits an einer Friedensregelung für Somalia interessiert und hofft auf eine Rückführung der Flüchtlinge.

Auch Ägypten spielte eine ambivalente Rolle. Einerseits wollte es sich durch eine erfolgreiche Friedensregelung in Somalia als Führungsmacht in der Region etablieren und den Einfluss der Arabischen Liga im Horn von Afrika steigern. So entstand eine Rivalität um die regionale Führung zwischen Äthiopien und Ägypten. Dies führte dazu, dass Ägypten gezielt solche somalischen Kriegsparteien unterstützte, die nicht von Äthiopien unterstützt wurden. Dies schürte den Konflikt weiter.

Hinzukommen auch Rivalitäten zwischen den IGAD Staaten um die Führung in den regionalen Friedensprozessen.

So entstand aus vielen Vermittlungsbemühungen ein Nullsummenspiel für den Frieden!

Mangelhafte Vermittlungsstrategien

Alle Vermittlungsstrategien vor Djibuti waren wenig an die realen Bedingungen in Somalia angepasst. Der Fokus wurde viel zu lange auf die zersplitterten Warlord Fraktionen gelegt. Zu wenig wurden Alternativen ausgelotet wie beispielsweise der Fokus auf die Klans, die Zivilgesellschaft, die Diaspora oder die Geschäftswelt. Obwohl in einigen Teilen Somalias immer wieder Zonen des Friedens etabliert worden sind (am deutlichsten im Norden), wurde darauf wenig zurückgegriffen für die weitere Befriedung des Landes.

Auch waren und sind die vermittelnden Staaten viel zu sehr auf das Konzept eines somalischen Gesamtstaates fixiert. Friedensförderung wird mit Neugestaltung von Staatlichkeit gleichgesetzt (siehe Menkhaus 2003). Zwar werden seit Beginn der von der Europäischen Kommission 1996 initiierten Diskussion um dezentrale Strukturen (siehe London Scholl 1996), die bis zum heutigen Tage von allen Beteiligten gutgeheißen, doch wurden solche Strukturen ausschließlich innerhalb eines Gesamtstaates weitergedacht. Real ist es aber unklar, wie dieser Staat – fern der formalen Regelungen – funktionieren wird. Daher optieren viele somalische Gruppen lieber für eine klare und schwierige Gegenwart, als für eine unsichere Zukunft.

Einige Nicht-Regierungsorganisationen, allen voran das schwedische »Life and Peace Institute« (LPI), unterstützten schon seit Beginn der Auseinandersetzungen immer wieder die somalische Zivilgesellschaft (Pfaffenholz 2003). LPI machte auch Lobby- und Advocacy-Arbeit für den Einbezug der Zivilgesellschaft in den Friedensprozess in verschiedenen internationalen Gremien. Nach einer kurzen Phase eines parallelen Warlord/zivilgesellschaftlichen Prozesses 1993/94, den die VN zusammen mit LPI durchführten, fokussierten die VN und andere Vermittler wieder auf die Warlords (siehe Sahnoun 1994). Erst als alle diese Friedensbemühungen gescheitert waren, richteten die Vermittler ab 1996 ihr Augenmerk auf die Zivilgesellschaft (Djibuti-Prozess). Der aktuelle IGAD-Prozess unter kenianischer Führung versucht die verschiedenen Gruppen mit einzubeziehen, wobei der Schwerpunkt bei den Warlords liegt und das Konzept des Einbezugs der Zivilgesellschaft nicht ausgereift ist.

In all den Jahren mangelte es zudem an einer Gesamtstrategie für den somalischen Friedensprozess. Erst mit dem aktuellen Prozess wurde dieses Versäumnis nachgeholt. Doch auch der aktuellen Strategie unter dem erfahrenen kenianischen Vermittler Bethuel Kiplagat mangelt es an einem Gesamtkonzept für den Einbezug der Zivilgesellschaft, das sich an konstruktiven Erfahrungsmodellen aus anderen Ländern orientiert. Ebenfalls mangelt es an einer klaren Vision für die Zukunft Somalias nach dem Krieg.

Eigendynamik: Konfliktverschärfende Faktoren

Bewaffnete Konflikte und Kriege sind keine neue Form der Auseinandersetzung unter den somalischen Klans. Von jeher haben die unterschiedlichen Nomadenklans ihre Weidegründe verteidigt, wenn es aus ihrer Sicht nötig war auch gewaltsam.

Auch zeigt sich, dass der Großteil der somalischen Bevölkerung einigermaßen gut überleben kann im Krieg. Dies liegt neben der lokalen Begrenztheit der Auseinandersetzungen vor allem an der großen somalischen Diaspora im Ausland, die die Daheimgebliebenen mitfinanziert. Hier hat sich eine Art Diasporaklientelismus entwickelt. Zu einem geringen Anteil leben Somalis auch von den Einnahmen aus der Hilfsindustrie.

Im Laufe der Jahre haben sich viele Somalis mit dem Zustand der Staatenlosigkeit gut arrangiert. In einer Gesellschaft ohne Staat entfallen Dinge wie Zoll, Steuern oder die staatliche Regulierung des Marktes, was auch Vorteile für die Geschäftswelt hat. Beispielsweise verfügt Somalia über eines der modernsten Telekommunikationssysteme der Welt. Somalia ist deshalb ein interessanter Fall von konsequenter Marktwirtschaft. Mit der Weiterentwicklung der somalischen Ökonomie scheint die Staatenlosigkeit allerdings nicht mehr größere Vorteile zu bringen. Denn die Geschäftsleute in Somalia investieren viel Geld in den Schutz ihrer Investitionen. Sie rekrutieren beispielsweise Milizen und finanzieren Gerichte (Sharia Courts) zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit. Dass die Staatenlosigkeit von vielen Somalis immer noch als ein Vorteil gesehen wird, liegt vor allem in der Unsicherheit über die Gegebenheiten in einem zukünftigen Staat und stellt damit eine Blockade für den Friedensprozess dar (siehe Menkhaus 2003). Diese Haltung blendet systematisch die Nachteile der Staatenlosigkeit aus: Somalia ist international nicht vertreten, und niemand nimmt die Rechte des somalischen Staates wahr. So fischen beispielsweise koreanische und japanische Konzerne mit ihren Flotten die somalischen Küstengewässer leer, einige internationale Firmen laden hemmungslos radioaktiven Müll an der Küste ab. Für den Friedensprozess ist es deshalb wichtig, dass die Nachteile der Staatenlosigkeit den verschiedenen Interessensgruppen klarer vermittelt werden und Vorteile für die Geschäftswelt innerhalb eines Staates aufgezeigt werden.

Ein weiterer konflikteskalierender Faktor liegt in der Art und Weise wie an vielen Orten die Humanitäre Hilfe vergeben wurde. Obwohl die Arbeit des »Somalia Aid Coordination Body« (SACB) eine wichtige Koordinationshilfe für die internationalen Geber darstellt, ist es insgesamt nicht gelungen, die vergangene Fehler der humanitären Hilfe in Somalia zu überwinden.

In Somalia nahm die höchst problematische Tradition des bewaffneten Schutzes von Hilfskonvois und Hilfsprojekten Anfang der 90er Jahre ihren Anfang und hat sich gewohnheitsmäßig verstetigt. Denn so wurde ein neuer Arbeitszweig für bewaffnete junge Männer eröffnet, die keine andere Ausbildung erhalten hatten. Da der Schutz von Hilfsprojekten zu einer Einkommensbeschaffungsmaßnahme geworden war, kam es immer wieder dort, wo sich die Sicherheitslage verbessert hatte, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diese zielten darauf zu verdeutlichen, dass der bewaffnete Schutz nach wie vor notwendig ist. In anderen Fällen bekriegten sich die bewaffneten Schutztruppen der einzelnen Hilfs-Agenturen gegenseitig, da sie zu unterschiedlichen Klans gehörten.

Konkrete Vorschläge für den weiteren Friedensprozess

Wichtig ist jetzt trotz erster Rückschläge am Konzept des IGAD Friedensprozesses unter kenianischer Führung festzuhalten. Es bedarf aber einer Weiterentwicklung der Gesamtstrategie. Diese muss zu allererst um die Erarbeitung einer klaren Vision für ein Nachkriegs-Somalia angereichert werden. Hierzu bedarf es eines Prozesses, der alle relevanten Akteure auch auf der lokalen Ebene mit einbezieht. Die jetzige Form ist nicht ausreichend. Dies heißt nicht, dass alle Akteure mit am Verhandlungstisch sitzen müssen. Es geht vielmehr darum, geeignete Mechanismen und Prozesse der Rückkoppelung in beide Richtungen zu schaffen. Wichtig ist dabei, dass ein solcher Prozess mit Advocacy für diese Vision begleitet wird. Ziel ist es, Unsicherheiten und Zweifel über die konkrete Ausgestaltung der Zukunft Somalias bei den relevanten Interessengruppen zu beseitigen.

Der aktuelle Friedensprozess hat den Warlords wieder viel Macht im Prozess gegeben. Dies entspricht nicht mehr den realen Machtverhältnissen in Somalia. Der Einbezug der Warlords als größte potentielle und aktuelle »Spoiler« ist aber dennoch wichtig. Jedoch ist genauso zentral, wie der Einbezug der anderen Akteure geregelt ist und welche Legitimität diese Akteure haben. Dazu muss der Einbezug der Zivilgesellschaft auf eine transparente und legitime Basis gestellt werden und durch einen offiziellen Diskurs in Somalia abgestützt werden (siehe vorheriger Punkt).

Aufgrund der historischen Erfahrungen der somalischen Akteure mit einem Gesamtstaat gilt es in einer Vermittlungsstrategie zu vermeiden, die Perspektive unmittelbar auf die Schaffung eines Gesamtstaats zu richten. Dies entspricht einer westlichen Logik vom demokratischen, dezentralen Verfassungsstaat. Interessanterweise sind aber die meisten europäischen dezentralen Staaten wie beispielsweise die Schweiz oder auch Deutschland gar nicht so entstanden: Diese Staaten entstanden durch das stückweise, nacheinander Zusammenwachsen verschiedener Einzelgebilde, die sich aus gemeinsamen Interessen zusammenschlossen. Dieses Modell der »Building Blocks« wurde Ende der 90er Jahre im somalischen Kontext auch diskutiert, dann aber teilweise wieder fallengelassen. Die Frage muss ernsthaft gestellt werden, inwieweit ein solches Modell nicht einmal in ganzer Konsequenz durchdacht werden sollte. Tut man dies, so müsste Somaliland die staatliche Anerkennung und die offizielle Vertretung Somalias in den VN gewährt werden, mit einer Klausel, die den Beitritt anderer Teilgebilde Somalias zum somalischen Staat vorsieht. Ebenfalls würde eine solche Konstruktion besondere Regelungen zum Schutz vor Dominanz der später beitretenden Gebiete vor der Gründungsregion Somalialand nötig machen. Auch müsste ein solcher Staat internationale Schutzgarantien erhalten. Es wäre interessant zu sehen, ob ein solcher Schritt nicht einen friedenspolitischen Sog auf andere Regionen ausüben würde. Der Vorschlag hört sich auf den ersten Blick ungewöhnlich an. Doch birgt er wenige Risiken. Scheitert er, erhielte Somaliland die staatliche Anerkennung, was langfristig ohnehin schwer zu vermeiden ist, wenn die Situation im Süden sich nicht verbessert.

Literatur

Anderson, Mary B. (1999): Do no harm, How aid can affect peace or war, Lynne Rienner Publisher Boulder.

Bryden, Matt (2003): Security Challenges and the International Dimension of the Somali Crisis, in: Journal of Conflict Studies, im Erscheinen (Herbst 2003).

Diehl, Paul F. (1996): With the Best Intentions. Lessons from UNOSOM I and II, in: Studies in Conflict and Terrorism, 19, 2, pp. 153-177.

International Crisis Group (2002): Salvaging Somalia’s Chance for Peace, Report 9 December 2002.

International Crisis Group (2002): Counteracting terrorism in a failed state, Report 23 May 2002.

Lessons Learned Unit. [UN] Department of Peacekeeping Operations (1995): Comprehensive Report on Lessons Learned from United Nations Operations in Somalia, April 1992-March 1995.

London School of Economics (1996): A Menu of Options, Report für die Europäischen Kommission.

Menkhaus, Ken (2003): State Collapse in Somalia: Second Thoughts, in: Review of African Political Economy 9/2003, im Erscheinen.

Paffenholz, Thania (1998): The European Union and the practice of peacebuilding in Africa. The European Commission in Somalia: Challenges, problems and the way forward, in: Engler, Ulf/Mehler, Andreas, Gewaltkonflikte und ihre Prävention in Afrika, Institut für Afrikakunde, Hamburg, S. 119-133.

Paffenholz, Thania (2003): Community bottom-up Peacebuilding. The role of the Life and Peace Institute in Somalia (1990-2000), Horn of Africa Series LPI Uppsala.

Ramesh, Thakur (1994): From Peacekeeping to Peace Enforcement. The UN Operation in Somalia, in: Journal of Modern African Studies, 32, 3, pp. 387-410.

Sahnoun, Mohamed (1994): Somalia. The Missed Opportunities, US Institute of Peace, Washington/D.C.

Terlinden, Ulf/Debiel, Tobias (2003): Trügerische Friedenshoffnung? Das Horn von Afrika zwischen Krisendiplomatie und Entwicklungsblockaden, in: Hofmeier R./Mehler, A., Afrika-Jahrbuch 2002, im Erscheinen.

Websites: www.crisisweb.org

Anmerkungen

1) Zur politischen Entwicklung in Somalia siehe die Dokumentation der IGAD: sowie die Reports der International Crisis Group (ICG) unter www.crisisweb.org/projects/project.cfm?subtypeid=31

2) Der genaue Zeitpunkt des Beginns der Besetzung ist schwierig zu benennen, da er schleichend von statten ging und die äthiopische Regierung die Tatsache in internationalen Gremien lange leugnete.

Dr. Tanja Paffenholz lehrt Entwicklungs- und Friedenspolitik am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Bern in der Schweiz und unterhält das politische Beratungsbüro »Peacebuilding Research and Advice« ebenfalls in Bern. Sie war von 1996 bis Ende 1999 friedenspolitische Beraterin der Europäischen Kommission in Somalia. Eine längere Version des vorliegenden Artikels wurde im September verfasst für eine Veröffentlichung beim Afrika-Kunde Institut in Hamburg.