Keine Bewegung mit Ugandas »Movement«

Keine Bewegung mit Ugandas »Movement«

Ein politischer Reisebericht aus dem Land des alten Mannes mit dem Hut

von Johannes Maaser und Lydia Koblofsky

Als Yoweri Museveni am 18. Februar 2011 mit fast 70 prozentiger Mehrheit die Präsidentschaftswahlen in Uganda gewann, gratulierte ihm EU-Präsident Manuel Barroso für seine Erfolge und ermutigte ihn, den „eingeschlagenen Weg Richtung Demokratie“ fortzusetzen.1 Noch vor der feierlichen Vereidigung des neuen und alten ugandischen Staatsoberhauptes am 12. Mai sollten diese Worte allerdings eine bittere Ironie offenbaren: Nur sieben Wochen nach der Stimmabgabe treibt der Unmut über ihre Regierung die Menschen2 in Ugandas Städten auf die Straßen. Die Demonstrationen, die als friedliche Form des Protests gegen steigende Benzin- und Lebensmittelpreise im Rahmen einer »Walk-to-Work«-Kampagne geplant waren, wurden nicht zuletzt aufgrund des repressiven Vorgehens der Sicherheitskräfte zu gewaltsamen Ausschreitungen. Lydia Koblofsky und Johannes Maaser konnten während ihres sechsmonatigen Ugandaaufenthalts einen denkwürdigen Prozess beobachten und haben ihn für W&F dokumentiert.

Die Ankunft am Flughafen in Entebbe im Dezember 2010 ist eindrucksvoll. Es ist 8.00 Uhr morgens, und beim Verlassen des klimatisierten Flugzeugs fühlt es sich an, als würde uns eine Decke aus flüssiger Luft um die Schultern gewickelt: „Uganda ist das einzige Land der Welt, in dem alle Flugzeuge auf Wasser landen“, wird uns ein einheimischer Kommilitone wenig später lachend erklären.

Nach der tropischen Feuchte auf dem Rollfeld begrüßt uns außerhalb des Flughafengebäudes ein freundlicher Herr mit Hut. Vor strahlend gelbem Hintergrund lächelt uns sein Konterfei in dutzendfacher Ausführung entgegen. Geklebt auf Wände, Masten und Koffer, hinter Autoscheiben oder auf T-Shirts ist der vitale Mittsechziger allgegenwärtig. Selbst dem unpolitischsten Besucher Ugandas wird auf den ersten Metern schnell deutlich: 2011 steht im Zeichen des Präsidentschaftswahlkampfes, und der aktuelle Amtsinhaber, Yoweri Kaguta Museveni, will wiedergewählt werden.

Auf der Fahrt vom Internationalen Flughafen Entebbe in die ugandische Hauptstadt Kampala führt uns der Weg am Statehouse vorbei. Das schneeweiße Gebäude auf dem Hügel in den mit Stacheldraht umfassten Grünflächen schwebt wie das Sinnbild eines fernen Machtzentrums über der bunten Anarchie der Straße. Während die Kalaschnikows der Soldaten über die Leere des englischen Rasens vor dem Regierungssitz wachen, strecken sich die langen Zungen der Kühe am Fahrbahnrand nach den Halmen im Staub der roten Erde.

Wir sind unterwegs zur Makerere University. Der Mann hinterm Steuer des Wagens strahlt eine Ruhe aus, die angesichts der aufregenden Lebendigkeit, die an uns vorbei pulsiert, beeindruckend erscheint. Dr. Musana ist früh aufgestanden, um seine deutschen Gäste vom Flughafen abzuholen. Nur vorsichtig trauen wir uns, über Politik zu sprechen: „Die Opposition weiß, wo die Fehler der Regierung liegen, und verspricht deshalb Krankenversorgung und Schulbildung. In Wirklichkeit passiert nicht viel, egal wer welche Wahl gewinnt. Die Politik kümmert sich hier vor allem um sich selbst.“

Vom »Movement« zum Mehrparteiensystem

Staat und Volk in Uganda haben ein schwieriges Verhältnis. Wahlen, insbesondere wenn es um die Besetzung des obersten Staatsamtes geht, sind historisch betrachtet alles andere als eine Selbstverständlichkeit in dem am Äquator gelegenen ostafrikanischen Binnenland. Seit der Unabhängigkeit 1962 gestanden die jeweiligen Regierungen der Bevölkerung erst sechsmal einen Urnengang zur Bestimmung des Präsidenten zu: 1962, 1980, 1996, 2001, 2006 und 2011. Seit dem letzten Coup d‘État durch die National Resistance Army (NRA) im Januar 1986 heißt der höchste Repräsentant des ugandischen Volkes ununterbrochen Yoweri K. Museveni. Er führte nach der Machtübernahme ein 20 Jahre währendes »No-Party«-System ein. Die vormalige Guerilla NRA wurde dabei in eine konkurrenzlose politische Basisorganisation, das so genannte National Resistance Movement (NRM), umgeformt.3

Nicht zuletzt aufgrund des Drucks von internationaler Seite4 wurden 2006 zwar erstmalig auch andere Parteien neben der regierenden NRM zur Präsidentschaftswahl zugelassen. Die Verfassungsänderung zur Einführung des Mehrparteiensystems 2005 fiel jedoch mit einer Aufhebung der Begrenzung für die Amtsperioden des Regierungsoberhauptes zusammen.5 Bei den Wahlen im Februar 2011 konkurrierten acht Bewerber. Einziger ernstzunehmender Gegenkandidat war Kizza Besigye unter dem Banner seiner Partei Forum for Democratic Change (FDC).6 Besigye war mehrfacher NRM-Minister, ehemaliger Leibarzt und Revolutionsgefährte Musevenis, mit dem er gemeinsam gegen das Regime Milton Obotes gekämpft hatte. Nach einem fundamentalen Streit über die Grundausrichtung der Movement-Politik trennte sich Besigye 1999 von Museveni, wurde dessen politischer Antagonist. 2011 trat er bereits zum dritten Mal als Herausforderer des Präsidenten an.

Tag der Entscheidung?

Zwei Tage vor der Abstimmung am 18. Februar 2011 befinden wir uns ganz in der Nähe von Besigyes Geburtsort Rukungiri. Mit einem Kollegen sind wir in den ruralen Südwesten Ugandas gereist. Die Bevölkerung ist sehr mobil in der Woche der Wahlen. Viele fahren für den Urnengang aus den urbanen Zentren zu ihren Familien aufs Land oder verlassen aus Angst vor erwarteten Unruhen die Städte. Bereits seit Jahresbeginn werden die Schlagzeilen der großen Zeitungen von Themen aus dem Umfeld der Präsidentschaftswahlen dominiert. Während sich die Presse im Januar auf Berichte über Korruptionsskandale, Affären und Manipulationsvorwürfe konzentriert, häufen sich im Februar Prognosen und Prophezeiungen über den Ausbruch von Gewalt. Über den Email-Verteiler der Deutschen Botschaft in Kampala werden „Hinweise zur Zusammenstellung von Evakuierungsgepäck“ und Pläne von Fluchtrouten verschickt. Gut 10 km von der nächsten Teerstraße entfernt, im Heimatdorf unseres Kollegen, scheint die Notwendigkeit von Fluchtplänen und Notfallversorgung weit entfernt.

Als uns unser Gastgeber am Vorabend der Wahlen seiner Nachbarschaft vorstellt, sind auch andere Besucher im Dorf unterwegs: Wahlagenten mobilisieren für ihre Kandidaten. „Die Menschen verkaufen ihre Stimmen für Schnaps und 1000 Schilling“ (das sind ca. 30 Eurocent), erklärt unser Kollege frustriert, nachdem wir zufällige Zeugen dieser zweifelhaften Praxis der Wahlwerbung geworden sind.

Der Wahltag ist ein großes Ereignis in der Abgeschiedenheit des Dorfes. Neben allen drei Wahlstationen der Region, die als eine Art Parcours unter freiem Himmel aufgebaut sind, haben sich etliche Schaulustige im Gras niedergelassen. Die Stimmung ist gut, die Wählerbildung offenbart jedoch gewaltige Lücken: Mehrmals werden wir gefragt, welchem der Kandidaten wir unsere Stimme geben werden. Ein Herr von der Electoral Commission schaut auf einem Boda Boda, dem landesüblichen Motorradtaxi, vorbei. Auch unser Freund ist als offizieller nationaler Wahlbeobachter im Einsatz, doch außer einer 60-minütigen Verzögerung bei der Schließung der Wahlstationen kann er von keinen formalen Fehlern bei der Durchführung der Wahl berichten. Die Parteiagenten haben das Dorf inzwischen längst verlassen. Am Abend des Wahltages hören wir im Radio BBC. Höhepunkt ist die Meldung von Protesten in Libyen. „Wenn Gaddafi tatsächlich abtreten muss, könnte auch Uganda einen Wandel erleben“, äußert einer unserer Mitzuhörer seine leise Hoffnung.

Noch vor Ablauf der angekündigten 48-Stunden-Frist gibt die Wahlkommission das Ergebnis der Auszählung bekannt. Erwartungsgemäß heißt der Sieger Yoweri Kaguta Museveni. Ihm werden gut 68% der Stimmen zugeschrieben; Besigye kommt auf 26, alle übrigen Kandidaten bleiben unter zwei Prozent.7 Die Deutsche Botschaft verschickt wieder eine SMS: „Jubelfeier bisher friedlich. Innenstadt meiden, weitere Entwicklung abwarten. Ausschreitungen nicht auszuschließen.“ Am Tag unserer achtstündigen Rückreise nach Kampala dominiert die Farbe des »Movement« die Straßen – Häuser, Busse, Menschen sind in strahlendem Gelb geschmückt. Im Radio laufen die Protestankündigungen der Opposition. An einzelnen Wahlstationen kommt es zu Übergriffen wegen so genannter Unregelmäßigkeiten.

Frei aber nicht fair

Wie zuvor in 2001 und 2006 war auch 2011 bereits der Vorbereitungsprozess für die Präsidentschaftswahlen hoch umstritten. Qua Artikel 60 der Landesverfassung verfügt Uganda zwar über eine Wahlkommission, die die Durchführung regelmäßiger, freier und fairer Wahlen und Referenden beaufsichtigen soll. Allerdings wird diese Kommission selbst kontrovers gesehen – nicht zuletzt deswegen, weil ihre sieben Mitglieder von Präsident Museveni persönlich ernannt werden. Des Weiteren gab das Verfahren zur Erstellung der Wahlregister viel Anlass zur Diskussion, da es keine ausreichende Identifikation der Wähler ermöglichte. Statt der versprochenen Voter’s Cards – einem amtlichen Dokument mit Passbild und persönlichen Daten – erstellte die Kommission lediglich ein Namensverzeichnis mit Geburtsort und -datum; offizielle Ausweispapiere gibt es in Uganda nicht. Damit war die Möglichkeit, im Namen Anderer zu wählen, ebenso gegeben wie die zur mehrfachen Stimmabgabe. Die Inter-Party Cooperation (IPC), ein Zusammenschluss der Oppositionsparteien, berichtete beispielsweise von Mehrfachwählung und dem Ausstaffieren von Wahlurnen mit angekreuzten Stimmzetteln in mehr als der Hälfte der von ihnen beobachteten 80 Wahldistrikte.8 Ein zusätzliches Problem war dabei das „aufgeblasene Register“.9 Laut der Democracy Monitoring Group (DEMGroup), einem Bündnis lokaler Nichtregierungsorganisationen zur Wahlbeobachtung, haben sich in einigen Regionen mehr als 100% der wahlberechtigten Bevölkerung registriert. Außerdem fanden sich über 5.000 Personen älter als 110 Jahre in der Wählerliste10 (die durchschnittliche Lebenserwartung in Uganda liegt bei ca. 52 Jahren).11 Die European Union Election Observation Mission (EU EOM) sprach diesbezüglich in ihrem am 6. Mai herausgegebenen Abschlussbericht von „vermeidbaren administrativen und logistischen Fehlern, die zu einer inakzeptablen Anzahl von dadurch entrechteten ugandischen Bürgern geführt haben“.12 Neben diesen Unzulänglichkeiten in der Organisation der Wahl war auch der Wahlkampf von zweifelhaften Praktiken geprägt. Vor allem die regierende NRM verteilte im großen Stil Geld und Naturalien an die Bevölkerung, was von den Beobachtern der Commenwealth Group als „Kommerzialisierung“ der Stimmabgabe beschrieben wurde.13 Bereits in einer kurz vor der Wahl veröffentlichten Erklärung bezeichnete DEMGroup die Wahl somit treffend als „überwiegend frei aber nicht fair“.14

Auf dem Weg zur Arbeit

Nach der Wahl feiern die regierungsnahen und -eigenen Medien den souveränen Triumph des Präsidenten. Die Opposition spricht und schreibt offen und scharf von Betrug. Besigye veröffentlicht rund zwei Wochen nach der Bekanntgabe der Ergebnisse seine eigene Auszählung der Stimmen, nach der er sich mit rund 47% zum Sieger erklärt.15 Doch die Opposition ist zerstritten, allseits und lauthals getätigten Protestankündigungen folgen lange keine Taten.

Als wir uns Anfang April drei Flaschen Wasser kaufen und – wie am Vortag – dafür 3000 Schilling (ca. 80 Eurocent) auf den Tresen legen, bleibt die Hand der Verkäuferin ausgestreckt: „Dreitausendsechshundert.“ Offenbar hat sich der Preis für Mineralwasser über Nacht um rund 20% verteuert. Die 1,5-Liter-Plastikflaschen mit sauberem Wasser sind bei Weitem nicht das einzige Produkt, dessen Kosten sich dramatisch gesteigert haben. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters erfuhr der Ugandische Schilling in den vergangenen 12 Monaten einen Wertverlust von mehr als 15% gegenüber dem US-Dollar.16 Der Preis der Kochbananen Matoke, die das Grundnahrungsmittel schlechthin in Uganda darstellen, hat sich seit November 2010 verdoppelt.

Am 11. April ist unser täglicher Weg entlang der Gaddafi Road, die zum Makerere Hill hinauf führt, mit schwer bewaffneten Soldaten und Polizisten gesäumt. Die Activists for Change, ein loses Oppositionsbündnis um Kizza Besigye, haben wegen der teuren Lebenshaltungskosten für heute »Walk-to-Work«-Proteste angekündigt. Als symbolische Benzinsparmaßnahme wollen die Spitzenpolitiker sämtlicher Oppositionsparteien zweimal wöchentlich aus ihren Wohnorten in Kampalas Vorstädten zu ihren Geschäftszimmern in der Innenstadt laufen – in der Hoffnung, dass sich ihnen möglichst viele Gleichgesinnte anschließen. Im Büro sitzen wir nachmittags mit den Kollegen vor dem Fernseher und verfolgen Szenen von Straßenschlachten, die uns in den kommenden Wochen begleiten werden. Einer der Mitarbeiter hat auf dem Weg zur Arbeit den Tränengaseinsatz der Polizei zu spüren bekommen. Alle ahnen, dass der Beginn von »Walk-to-Work« einen Wendepunkt im gegenseitigen Umgang zwischen Regierung und Regierungskritikern markiert. Die Bilder, die das Vorgehen der Sicherheitskräfte im Verlauf der Proteste noch produzieren wird, rufen bei vielen Beobachtern Erinnerungen an die Ära Idi Amins wach. Der Vergleich mit der Zeit, als einer der berüchtigsten afrikanischen Diktatoren Uganda regierte, wird zukünftig auch in den Medien immer wieder auftauchen.17

Exzessive Exekutive

Bereits am ersten Tag der »Walk-to-Work«-Kampagne wurden die Demonstrationen unter Tränengaseinsatz aufgelöst und sämtliche daran teilnehmende Politiker verhaftet, jedoch gegen Kaution wieder freigelassen. Drei Tage später, beim erneuten Versuch »zur Arbeit zu laufen«, trug Oppositionsführer Besigye eine Schussverletzung an der Hand davon. Zum bisherigen negativen Höhepunkt der Gewalt kam es am 28. und 29. April: Zunächst wurde Besigye auf dem Weg in Kampalas Innenstadt von Sicherheitskräften gestoppt. Bevor er auf die Ladefläche eines Polizei-Pickup geworfen und zum fünften Male seit Beginn der »Walk-Aktion verhaftet wurde, schlugen Polizisten in Zivil die Scheiben seines Autos ein und sprühten Reizgas in den Innenraum des Wagens. Als Folge dieses Angriffs verlor Besigye zwischenzeitlich sein Sehvermögen und musste zur medizinischen Behandlung ins Nachbarland Kenia ausgeflogen werden. Das Vorgehen der Exekutive löste am nächsten Tag Proteste und Ausschreitungen im ganzen Land aus. In Kampala schossen Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten.18 UN-Menschenrechtskommissar Navi Pillay bezeichnete den Einsatz von Gewalt durch die staatlichen Sicherheitsorgane in Uganda in einer Stellungnahme als „exzessiv“ 19. Besigyes Rückkehr aus Kenia am Tag von Musevenis Vereidigung im Präsidentenamt am 12. Mai stand erneut im Zeichen von Polizeigewalt, diesmal wurden gezielt Journalisten und Fotografen zusammengeschlagen und ihre Ausrüstung zerstört.20 Die Polizeieinsätze haben im April und Mai mindestens neun Menschen das Leben gekostet – darunter ein zweijähriges Mädchen! Human Rights Watch spricht von einem Klima der Straflosigkeit, das zu ernsthaften Menschenrechtsverletzungen und Amtsmissbrauch seitens der ugandischen Polizei und des Militärs geführt habe.21 Der Direktor des Institute for Social Research der Makerere University, Prof. Mahmood Mamdani, sieht im massiven Einsatz militärischer Ressourcen eine gänzliche Auflösung der Grenze zwischen Polizeieinheiten und Armee: „Die Machthaber behandeln sogar die einfachste Form ziviler Proteste wie eine bewaffnete Rebellion.“22

Quo vadis »Walk-to-Work«?

Anders als die Wahlen bündelt die aktuelle Situation Ängste und Interessen großer Teile der ethnisch und religiös stark fragmentierten Bevölkerung Ugandas. Die Auswirkungen von Inflation und Preissteigerungen betreffen nicht nur bestimmte Personen, Parteien oder Regionen. Dies bietet Mobilisierungspotenzial bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Doch die „Politik der starken Männer“, wie sie ein Kollege der Makerere University mit einer griffigen Metapher beschreibt, dient nicht dem Aufbau einer starken Zivilgesellschaft: „Ein Haus, das nur auf wenigen Säulen gebaut ist, wird einstürzen, wenn zentrale Pfeiler weg brechen.“ Obwohl die Proteste nicht nur von Besigye, sondern von einer wachsenden Gruppe Kritiker getragen werden, ist die Frage angebracht, wie tragfähig das ugandische Widerstandsbündnis ist. Ansätze für eine Verwurzelung der Proteste in der Bevölkerung könnten im Zusammenschluss verschiedener Berufsgruppen liegen, der sich in den letzten Wochen zeigte. So bezogen etwa Juristen und Frauenrechtlerinnen Position.23 Ob sich der »Weg zur Arbeit« aber wirklich zu einer Bewegung ausdehnt und Museveni das Schicksal der Dauerpräsidenten in der Maghreb-Region und Ägypten bescheren wird, bleibt abzuwarten. Ein innerer Wandel des System Museveni scheint jedenfalls nicht in Sicht.

Anmerkungen

1) Alle im Text angeführten Zitate wurden von Johannes Maaser und Lydia Koblofsky aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt; Quellenangaben verweisen auf den englischen Wortlaut. Manuel Barroso wird zitiert nach einer offiziellen EU-Pressemeldung vom 22. Februar 2011.

2) Lediglich aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in diesem Artikel ausschließlich die männlichen Begriffsformen. Bei allgemeiner Verwendung sind dabei ausdrücklich weibliche Personen mit eingeschlossen.

3) Vgl. Kakuba Sultan Juma: Multiparty politics dynamics in Uganda. In: African Journal of Political Science and International Relations, Bd. 4(3), März 2010. S.109-114.

4) Nach wie vor deckt Uganda mehr als ein Viertel seines Staatshaushaltes durch Entwicklungshilfe: Angaben der ugandischen Finanzministerin Syda Bbumba zufolge betrug der durch externe Geldgeber (Donor) gedeckte Anteil des Jahreshaushalts 2010 27%. Zahl zitiert nach der Budget Speech Financial Year 2010/11vom 10. Juni 2010; parliament.go.ug.

5) In der ersten Wahl im Mehrparteiensystem setzte sich Museveni 2006 mit gut 59% der gültigen Stimmen gegen vier weitere Kandidaten durch, doch selbst das Oberste Gericht Ugandas mahnte zahlreiche Unregelmäßigkeiten an. Vgl.: Freedom House: Freedom House, Country Report Uganda 2010; freedomhouse.org.

6) Insgesamt wurde die Opposition bereits im Vorfeld schwächer eingeschätzt als vor den Wahlen 2006. Für viel Aufsehen in Uganda sorgten beispielsweise die Veröffentlichung von Kommentaren des US-amerikanischen Botschafters Jerry Lanier über die ugandische Opposition auf der Internetplattform Wikileaks. Lanier beschrieb im Vorfeld der Wahl die Herausforderer Musevenis als zersplittert, inkompetent und unstrukturiert; vgl. UGPulse.com: Uganda Government News: Uganda opposition divided over Wikileaks reports, 12.10.2010.

7) Das amtliche Endergebnis der Wahlen, veröffentlicht am 20. Februar 2011, ist einzusehen auf der offiziellen Internetseite der ugandischen Wahlkommission; www.ec.or.ug.

8) Uganda zählte zur Präsidentschaftswahl 112 Wahldistrikte. Die Stellungnahme von IPC wird zitiert nach Gerald Bareebe: Free and Fair Election? In: Daily Monitor vom 23. Februar 2011, S.3; monitor.co.ug.

9) Vgl. Emmanuel Mulondo: Why No-Card Voting Unsettles Opposition. In: Daily Monitor vom 13. Dezember 2010; allafrica.com.

10) Zitiert nach den Angaben von DEMGroup; demgroup.org/node/80.

11) Nach der Länderstatistik der Vereinten Nationen liegt die Lebenserwartung in Uganda bei 53 Jahren für Frauen und 51,8 Jahren für Männer. Vgl. UN Data: Country Profile: Uganda; data.un.org.

12) Vgl. European Union Election Observation Mission (Hrsg.): Uganda. Final Report. General Elections 18 February 2011. Fertiggestellt am 10.03.2011, veröffentlicht auf eueom.eu. am 06.05.2011, S.4. Im Original heißt es: „[…]avoidable administrative and logistical failures which led to an unacceptable number of Ugandan citizens being disenfranchised“.

13) Zum Begriff der „Kommerzialisierung“ der Wahl vgl. Commonwealth Secretariat (Hrsg.): Report of the Commonwealth Observer Group. Uganda Presidential and Parliamentary Elections. 18 February 2011. Fertiggestellt am 24.02.2011, veröffentlicht auf thecommonwealth.org am 11.04.2011, S.19 und 38. Es gibt Indizien dafür, dass öffentliche Gelder in den Wahlkampf Musevenis bzw. der Regierungspartei NRM geflossen sind; siehe dazu ebd. S.15. Wenige Wochen vor den Wahlen wurde im Parlament ein »Notfallbudget« verabschiedet, das 150% über dem ursprünglichen Jahresbudget liegt. Die Vermutung liegt nahe, dass die zusätzlichen Mittel für den Wahlkampf der NRM genutzt wurden, auch wenn dies von der Partei bestritten wurde. „Wir haben nicht vor, öffentliche Gelder [für den Wahlkampf] zu nutzen, wir haben genug,“ teilte der Generalsekretär der NRM, Amama Mbabazi, mit, nachdem er im Januar 2011 im Parlament mit diesen Anschuldigungen konfrontiert wurde. Dennoch machte Museveni kein Geheimnis aus seinen »Geschenken«: Das Verteilen brauner Geldumschläge war ein fester Bestandteil seiner Kampagnen. Vgl. Joseph Were: Museveni, donors lock horns over election money. In: The Independent, Ausgabe 146, 21.-27. Januar 2011; independent.co.ug.

14) Zitiert nach einer offiziellen Presseerklärung von DEMGroup; siehe DEMGroup Secretariat: DEMGroup Long Term Observation Finds Elections Mostly Free but not Fair. 15.02.2011, S.1.

15) Angaben nach Mercy Nalugo und Phillipa Croome: Besigye gives self 47% of votes cast. In: Daily Monitor vom 02.03.2011.

16) Vgl. Reuters: Uganda shilling hits new record low against dollar. Reuters Meldung vom 15.03.2011.

17) In Deutschland titelte etwa Arne Peras in der Süddeutschen Zeitung am 11.05.2011: »Der Geist von Idi Amin«.

18) Dabei wurden 84 Menschen verletzt, 64 davon trugen Schussverletzungen davon: Rights body condemns brutal suppression of protests. In: Daily Monitor vom 11.05.2011.

19) Zitiert nach UN News Service: Uganda: UN rights chief deplores „excessive“ use of force by authorities. 01 .05.2011; unhcr.org.

20) Vgl. Monitor Team: Security agents beat journalists. In: Daily Monitor vom 02.03.2011;

21) Human Rights Watch: Uganda: Launch Independent Inquiry Into Killings. No Lethal Force was Needed in at Least 9 Fatal Shootings. HRW Report vom 08.05.2011; hrw.org.

22) Im Original heißt es: „The sight of military resources deployed to maintain civil order in the streets, has come to blur the line between civil police and military forces as those in power insist on treating even the simplest of civil porstst as if it were an armed rebellion.“ Zitiert nach The Independent, no. 161. May 06-12, 2011.

23) Sheila Naturinda: Lawyers call strike over government brutality. In: Daily Monitor vom 03.05.2011. Emmanuel Mulondo und Mercy Nalugo: Women to march over brutal arrests. In: Daily Monitor vom 09.05.2011.

Lydia Koblofsky und Johannes Maaser sind KulturwissenschaftlerInnen und AbsolventInnen des Marburger Masterstudiengangs Friedens- und Konfliktforschung. Von Dezember 2010 bis Juni 2011 arbeiteten sie als Volunteers für das Peace and Conflict Studies Program der Makerere University in Ugandas Hauptstadt Kampala.

Liberia unter Afrikas erster Präsidentin

Liberia unter Afrikas erster Präsidentin

von Rita Schäfer

Liberia gilt als Musterland für geschlechtergerechte Nachkriegsentwicklungen. Zahlreiche Gesetzesnovellen und Reformprogramme scheinen den Grundstein für umfassende Gesellschaftsveränderungen zu legen. Die Lebensrealität der meisten Frauen und Mädchen in dem kleinen westafrikanischen Küstenstaat ist jedoch weit von den ehrgeizigen Vorhaben entfernt. Besonders groß ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in infrastrukturell schlecht erschlossenen ländlichen Gebieten, wo die Bevölkerungsmehrheit lebt. Fraglich ist, ob die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf bei den im Oktober 2011 geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Amt bestätigt wird.

Am 16. Januar 2006 ist die erfahrene Finanzexpertin und frühere UN-Mitarbeiterin Ellen Johnson-Sirleaf als erste Frau auf dem afrikanischen Kontinent in das Präsidentenamt eingeführt worden. Seitdem lastet nicht nur der Erwartungsdruck der internationalen Gemeinschaft, sondern auch der einheimischen Bevölkerung – insbesondere der Wählerinnen – auf ihr. Es waren vor allem Frauen, die Ellen Johnson-Sirleaf in einer Stichwahl am 8. November 2005 an die Macht brachten. Ihrem Gegner, dem beliebte Fußballspieler George Weah, trauten sie nicht wirklich zu, das Land zu befrieden. Zu seinen Anhängern zählten vorrangig junge Männer; zahllose hatten zuvor als Kindersoldaten gekämpft, wobei der Bürgerkrieg in Liberia als einer der grausamsten Kriege der 1990er Jahre auf dem afrikanischen Kontinent gilt.

Zu den Kriegsgründen zählten historische, politische und sozio-ökonomische Ursachen. Liberia war bereits 1847 eine eigenständige Republik. Freigekaufte Sklaven/-innen aus der Neuen Welt wurden an der Küste angesiedelt. Sie bildeten die neue urbane politische Elite, die die Ressourcen im Landesinneren ausbeutete. Auch von Diktator Samuel Do (1980-1989), der aus dem ländlichen Liberia kam, profitierten nur wenige alte Machthaber in seinem Herkunftsgebiet. Deshalb schlossen sich in den 1990er Jahren auch perspektivlose Jugendliche, soweit sie nicht zwangsrekrutiert wurden, freiwillig den Guerillagruppen an.

Aus der Perspektive vieler Liberianer/-innen galten die jungen Ex-Kämpfer weiterhin als gewaltbereit, denn die Demobilisierungsprogramme hatten ihnen kaum neue wirtschaftliche Perspektiven geboten. Weah versprach ihnen eine bessere Zukunft, schließlich war er selbst in großer Armut aufgewachsen. Allerdings verfügte er weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene über politische Erfahrungen.

Die Mehrheit der Wähler/-innen gab Johnson-Sirelaf ihre Stimme, um das Land zu stabilisieren und den schwierigen Wiederaufbau in Gang zu bringen. In den 1970er Jahren war sie Finanzsekretärin und Finanzministerin unter Präsident William Tolbert gewesen; nach der Machtübernahme Does 1980 floh sie nach Kenia, wo sie in den 1980er Jahren als stellvertretende Bankdirektorin arbeitete. Zwischen 1992 und 1997 leitete sie das Afrika-Büro des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, und 1999 wurde sie von der Afrikanischen Union gemeinsam mit anderen ranghohen Persönlichkeiten mit der Aufarbeitung des Genozids in Ruanda beauftragt. 2002 erstellte sie für den UN-Frauenförderfond UNIFEM eine weltweite Studie über Frauen in Kriegen, die geschlechtsspezifische Gewalt dokumentierte und Forderungen zur Situationsverbesserung von Frauen in Nachkriegsgesellschaften formulierte. Die Aufdeckung von Gräueltaten schrieb sich Johnson-Sirleaf auch in ihrem Heimatland Liberia auf die Fahnen, wo der vierzehnjährige Bürgerkrieg erst Mitte August 2003 mit einem Friedensvertrag endete.

Krieg und Demobilisierung

Bereits 1989 hatte der frühere Warlord Charles Taylor den Krieg angezettelt, um an Macht und Ressourcen zu gelangen. Dafür rüstete er Guerillagruppen aus und weitete den Krieg auf das Nachbarland Sierra Leone aus, wo er sich an dessen Diamanten bereicherte. Taylor regierte Liberia zwischen August 1997 und August 2003 als Präsident. Seit Juni 2007 muss er sich vor dem internationalen Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Sierra Leone verantworten, das aus Sicherheitsgründen in Den Haag tagt.

Auch in Liberia erschütterte der grenzübergreifende Krieg die Gesellschaft zutiefst: Bis zu 250.000 der ca. 3,3 Millionen Einwohner/-innen des Landes starben, etwa 1,4 Millionen wurden landesintern vertrieben, und ca. 750.000 flohen in die Nachbarländer. Über zwei Drittel der Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Alle Guerillagruppen rekrutierten junge Mädchen; ihr Anteil wird auf mindestens 30% geschätzt. Sie mussten kämpfen und foltern, plündern, spionieren und Waffen oder Munition über weitere Strecken tragen. Mehrheitlich wurden sie auch sexuell missbraucht, als Folge wurden viele geschwängert und mit Geschlechtskrankheiten infiziert. Für die meisten gab es keine medizinische Hilfe, was bei den Überlebenden schwere Gesundheitsschäden zur Folge hat.

Bereits 1994 gründeten Anwältinnen, Händlerinnen und Lehrerinnen die Liberian Women’s Initiative (LWI). Im Jahr 2000 kamen ranghohe Frauen aus Liberia, Sierra Leone und Guinea für das Mano River Women’s Peace Network (MARWOPNET) zusammen und verlangten von ihren Regierungen ein Ende der Gewalt. 2001 bildeten Friedensaktivistinnen das Women in Peacebuilding Network (WIPNET), es einte Frauen unterschiedlichen Alters und Status. 2003 reisten WIPNET-Vertreterinnen in die ghanaische Hauptstadt Accra, wo die liberianischen Kriegsherren einen Friedensvertrag ausarbeiteten. Ihnen wurde der Zugang zu den Gesprächen verweigert, jedoch setzten sie die Beteiligten während der Verhandlungspausen unter Druck, den Vertrag zu unterzeichnen. MARWOPNET-Repräsentantinnen waren am Verhandlungstisch zugelassen worden. Sie forderten, Frauen und Kinder sollten bei den Demobilisierungsprogrammen berücksichtigt werden.

Während des Entwaffnungs- und Demobilisierungsprozesses, der auf der Grundlage der UN-Resolution 1509 vom 19. September 2003 sowie der UN-Standards zur Gender-Integration in Demobilisierungsprogrammen und sonstiger internationaler Abkommen und Resolutionen auch Frauen und Mädchen einbeziehen sollte, wurden Ex-Kämpferinnen zunächst kaum erreicht. Die Planer ignorierten, dass über 70% allein erziehende Mütter waren und oft mehrere Kinder zu versorgen hatten (AI 2008, S.19). Die am 7. Dezember 2003 begonnene erste Phase der Entwaffnung, die von der United Nations Missions in Liberia (UNMIL) kontrolliert werden sollte, war insgesamt schlecht geplant und verlief gewaltsam; deshalb wurde sie bereits am 17. Dezember 2003 offiziell abgebrochen (Forsström/Sundberg 2007, S.19).

Unterschiedliche Frauenorganisationen verlangten einen Neubeginn. Sie nahmen die schweren Logistik- und Kommunikationsfehler während der ersten Demobilisierungsphase zum Anlass, um konkrete Verbesserungsvorschläge zu formulieren. Ihre Forderungen umfassten die Trennung von Ex-Kämpferinnen und -Kämpfern, Schutz vor sexualisierter Gewalt, Angebote für Mütter und deren Kinder sowie gezielte Programme zur reproduktiven Gesundheit.

Mitte April 2004 begann eine neue Phase der Demobilisierung, die nicht mehr mit einer eng gefassten Definition von bewaffneten Kämpferinnen arbeitete, sondern mit dem Konzept »Frauen und Mädchen, die mit Kampfeinheiten assoziiert waren«. Eine neu eingesetzte Gender-Beraterin der UNMIL sollte an der Umsetzung mitwirken. Ihre Arbeit wurde durch zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch durch UNMIL-Soldaten beeinträchtigt; sie nutzten die Notlage der jungen Ex-Kämpferinnen aus und verbreiteten Geschlechtskrankheiten. Aus der Perspektive etlicher Liberianer/-innen sicherten die Blauhelmsoldaten nicht den labilen Frieden, sondern bildeten ein Unruhepotenzial, weil ihr Besitz ergreifendes Sexualverhalten ein Affront gegen die demobilisierten Ex-Kämpfer war. Deren martialische Männlichkeitsvorstellungen wurden von den Demobilisierungsprogrammen völlig ignoriert, weshalb Gewalt als Machtbeweis ungebrochen in den Nachkriegsalltag übernommen wurde. Das betraf insbesondere geschlechtsspezifische Gewaltformen. Die Blauhelmsoldaten waren denkbar schlechte Vorbilder, um diese Einstellungen und Verhaltensmuster zu ändern.

Viele Frauen und Mädchen waren skeptisch gegenüber den Demobilisierungsangeboten, zudem stigmatisierte ihr soziales Umfeld sie; deshalb dauerte es Wochen und Monate, bis etliche sich bei den Anlaufstellen meldeten. Viele mussten feststellen, dass die dortige medizinische Versorgung trotz aller Versprechungen oft miserabel war und das zuständige Gesundheitspersonal sie inkompetent und unsensibel behandelte (AI 2008, S.10). Die Programme für die reproduktive Gesundheit, die die United Nations Family Planning Association (UNFPA) anderen Organisationen übertrug, waren ideologisch beeinflusst, denn neben dem International Rescue Committee (IRC) war die pfingstkirchliche Missionsgesellschaft Pentecostal Mission Unlimited (PMU) zuständig (Forsström/Sundberg 2007, S.15).

Nach Abschluss der Demobilisierung Ende 2004 waren schließlich 2.440 Mädchen unter 18 Jahren und 22.370 Frauen offiziell registriert, die Demobilisierten bezifferten sich insgesamt auf 103.325 (ILO 2006:5ff.). Auch vom Reintegrationsprogramm, das offiziell Geschlechtergerechtigkeit zu seinen Leitlinien erhob, profitierte nur eine Minderheit der Ex-Kämpferinnen. Sie wurden während der Planungen nicht konsultiert; deshalb waren die Alphabetisierungs- und Bildungsangebote nicht an ihre Bedürfnisse, Interessen und Probleme angepasst.

Übergangsjustiz

Wenige Jahre nach dem Abschluss offizieller Reintegrationsmaßnahmen sollte eine Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission/TRC, 2006-2009) die Kriegsverbrechen aufdecken, sie war aber schlecht ausgestattet. Die ab Januar 2008 anberaumten öffentlichen Anhörungen brachten nur einen Teil der verübten Gräueltaten zu Tage. Nur wenige Täter sagten vor der TRC aus, sie fürchteten strafrechtliche Verfolgungen. Für viele Kriegsopfer aus ländlichen Gebieten waren die Anhörungen wegen der schlechten Infrastruktur unerreichbar. Außerdem waren Zahllose so schwer traumatisiert, dass sie nicht über ihr Leid sprechen konnten (AI 2008, S.11). Das TRC-Mandat enthielt die Aufdeckung von Kriegsverbrechen an Frauen, und es wurde ein Gender-Komitee eingesetzt, das Frauen ermutigte, Zeugnis über die erlittene Gewalt abzulegen. Trotz großer Schwierigkeiten stammten 47% der 22.000 gesammelten und schriftlich aufgezeichneten Aussagen von Frauen; allerdings berichteten viele über Gewaltakte an anderen Menschen. Zwar erwähnten etliche Zeuginnen – etwa 200 von insgesamt 500 Personen traten bei öffentlichen Anhörungen auf – sexualisierte Kriegsgewalt, diese wurde aber von der Wahrheits- und Versöhnungskommission in ihrem erste Bericht 2008 kaum thematisiert. Einzelne Gender-Expertinnen verlangten Nachbesserungen, um die geschlechtsspezifischen Macht- und Gewaltmuster aufzudecken, die den Vergewaltigungen im Krieg zugrunde lagen (Pillay 2009, S.95ff.); der Mitte 2009 veröffentlichte Abschlußbericht enthält ein entsprechendes Kapitel. Die TRC veröffentlichte eine Liste mit namentlich bekannten Kriegsverbrechern, die jedoch nicht verfolgt werden sollten, weil sie ihre Taten bereut hätten. Sie legte nahe, dass diese Personen 30 Jahre lang keine öffentlichen Ämter bekleiden sollten, wogegen einige der früheren Kriegsherren vehement protestierten. Die Empfehlung der TRC, Reparationen an Kriegsopfer zu zahlen, wurde bislang nicht umgesetzt. Viele haben schwere gesundheitliche Schäden und fühlen sich von der Regierung ungerecht behandelt; sie interpretieren die Reintegrationszahlungen und –programme für Ex-Kämpfer/-innen als Belohnung für Mörder/-innen.

Umso wichtiger waren Gesprächsforen, die der Dachverband liberianischer Frauenorganisationen während der letzten Jahre organisierte. Hier konnten die Teilnehmerinnen kritisch die Erfolge und Mängel der offiziellen Wahrheitsfindung und Versöhnung diskutieren. Zu ihren Forderungen zählten Strafverfolgung, Reparationen und Entwicklungsprogramme (Pillay/Goodfrey 2009, S.10ff.).

Gender-Politik und Sicherheitssektorreform

Daran muss sich die Präsidentin Johnson-Sirleaf messen lassen, zumal sie 2006 mit ehrgeizigen politischen und wirtschaftlichen Zielen angetreten war. Frauenrechte und Gender-Politik sollten den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Nachkriegsordnung bilden. Die Verzahnung von Gesetzesnovellen, Quotensystemen und Aktionsplänen brachte ihr internationale Anerkennung, weil sie auf die ebenfalls konsequent vorgenommene Ratifizierung zahlreicher internationaler Abkommen zur Geschlechtergleichheit Bezug nahmen. Hervorzuheben sind das Gleichheitsgesetz, der Gender-Aktionsplan, ein neues Ministerium für Gender und Entwicklung, Gender-Koordinationsstellen in allen Ministerien sowie Quotenregelungen zur Steigerung des Frauenanteils in Parlament und Verwaltung.

Bereits am 17. Januar 2006, einen Tag nach der Amtseinführung der Präsidentin, trat ein neues Vergewaltigungsgesetz in Kraft. Daran hatte die Juristinnenvereinigung Association of Female Lawyers of Liberia mitgewirkt (Bruthus 2007, S.35). Sie hatte auch nationale Standards für die Bearbeitung von Vergewaltigungsfällen verlangt. Diese sind Teil eines Aktionsplans und eines multi-sektoralen Ansatzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Eine Gender-Abteilung in der Polizei und neu eingerichtete Anlaufstellen zum Schutz von Frauen und Kindern sollen den Gewaltopfern den Zugang zu staatlichen Hilfsangeboten erleichtern. Ein Verhaltenscode für Polizisten und Juristen soll sekundäre Viktimisierungen durch sexistische Befragungen von Gewaltopfern und sexuelle Belästigungen von Hilfesuchenden in staatlichen Institutionen vermeiden; Verstöße sollen geahndet werden.

Solche Veränderungen sind zwingend notwendig, denn die Polizei genießt wegen ihrer Gewaltbereitschaft, Inkompetenz, Korruption und ihrer Verflechtungen mit den diktatorischen Regimen vor und während des Bürgerkrieges nicht das Vertrauen der Bevölkerung. Zur Überwindung dieser Strukturprobleme wurden lokale Community-Policing-Foren eingerichtet, in denen Gemeindemitglieder und Polizei zusammenarbeiten. Darüber hinaus sollten Gender-Trainings für alle Polizisten Abhilfe schaffen.

Im Rahmen der Sicherheitssektorreform wirbt ein spezielles Rekrutierungsprogramm junge Frauen für den Polizeidienst an; seit Anfang 2007 gibt es ein Ausbildungsangebot für Analphabetinnen. Wie in vielen anderen staatlichen Institutionen wurde auch für die Polizei ein Quotensystem erlassen. Es nimmt auf den Einsatz von über einhundert indischen Polizistinnen Bezug, die im Rahmen der UN-Friedensmission in der Hauptstadt Monrovia patrouillierten. Sie sollten Vorbilder für junge Liberianerinnen sein. Im Januar 2010 betrug der Frauenanteil in der Polizei 17%, Ziel ist eine Erhöhung auf mindestens 20%.

Für die Justiz wurde ebenfalls ein weitreichendes Reformprogramm konzipiert. Signalwirkung soll das Ende 2008 eröffnete Spezialgericht für Vergewaltigungsfälle in Monrovia haben. Zudem sind fünf Richterinnen an mobilen Gerichten tätig, und für dezentrale Gerichte werden Laienanwältinnen geschult. Darüber hinaus wird die universitäre Ausbildung von Juristen/-innen reformiert. Eine Arbeitsgruppe, der Regierungsabteilungen, die Juristinnen-Vereinigung Association of Female Lawyers of Liberia und weitere Nichtregierungsorganisationen angehören, sollen die Reformprozesse kritisch begleiten.

Nationaler Aktionsplan zur UN-Resolution 1325

Die Sicherheitssektorreform ist Teil des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit«. Am 8. März 2009, dem internationalen Frauentag, erläuterte Johnson-Sirleaf, wie der bis 2013 gültige Plan zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen soll. Er umfasst den Schutz von Frauen und Kindern, die Gewaltprävention, die Förderung von Frauenrechten und die Partizipation von Frauen im Friedensprozess. Des weiteren sollen Jugendliche an politischen Entscheidungen mitwirken, um möglichen Konflikteskalationen vorzubeugen. Mit der Koordination dieser unterschiedlichen Schwerpunkte wurde das Gender-Ministerium beauftragt.

Auch andere staatliche Institutionen sind gefordert, zur Überwindung von Gewalt und Ungleichheit beizutragen. Dazu zählen die nationale Menschenrechtskommission, die Anti-Korruptionskommission, die Arbeitsgruppe zur Verfassungsreform und die Landreformkommission – schließlich ist der Zugang zu Land die Grundlage zur Selbstversorgung und wirtschaftlichen Eigenständigkeit. Deshalb wird auch das nationale Strategiepapier zur Armutsreduzierung mit dem nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 in Beziehung gesetzt. Unabhängige Frauenorganisationen werden explizit ermutigt, als kritische Beobachterinnen am Monitoring mitzuwirken.

Umsetzung der UN-Resolution 1325

Wie notwendig Kontrollen sind, zeigen unzählige Korruptionsskandale bei Vergewaltigungsfällen. Vor allem in ländlichen Gebieten verlangen Polizisten hohe Bearbeitungsgebühren. Die Polizeireform wird verschleppt; die meisten Polizisten sind nach wie vor schlecht ausgebildet und erhalten nur ein geringes Gehalt, was der Korruption Vorschub leistet. Auch Richter lassen sich von Vergewaltigern bestechen und sprechen sie frei. Angesichts des gravierenden Personalmangels und der völlig unzureichenden Ausstattung sind sie überlastet, deshalb bevorzugen etliche Richter außergerichtliche Einigungen. Sie meinen, Vergewaltigungen seien ein Familienproblem und stimmen Eheschließungen zwischen Opfern und Tätern zu. So leisten sie der Retraditionalisierung Vorschub. Außerdem teilen viele Richter und Polizisten die Meinung zahlloser Liberianer und bewerten Vergewaltigungen – ähnlich wie im Krieg – als Ausdruck von Virilität und Macht. Solche Einstellungen können die neu rekrutierten Polizistinnen und Richterinnen kaum ändern, denn sie müssen sich den männlich dominierten Hierarchien fügen und werden oft selbst von Kollegen oder Vorgesetzten sexuell belästigt.

Die Straffreiheit fördert die ungebrochene Fortsetzung sexualisierter Gewalt im Nachkriegsalltag. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Landbewohnerinnen keinen Zugang zum staatlichen Rechtssystem haben. Falls ein Vergewaltiger verurteilt und inhaftiert wird, müssen die Vergewaltigten oft für seine Ernährung in der Haft sorgen. Die Gefängnisse sind miserabel ausgestattet, und das Personal ist bestechlich; deshalb kommen zahllose Gefangene rasch frei.

Um so mehr sind Frauen auf gegenseitige Unterstützung angewiesen, doch soziale Gegensätze wurden im Krieg verschärft, und insbesondere Ex-Kämpferinnen werden marginalisiert. Ranghohe Frauen – allen voran Leiterinnen traditioneller Frauenbünde – verlangen von jungen Mädchen, die Genitalien beschneiden zu lassen, was als Beitrag zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung gilt. Die hohe Müttersterblichkeit ist nicht nur auf die schlechte Ausstattung der Gesundheitsstationen zurückzuführen, sondern auch auf Komplikationen, die durch genitale Beschneidungen verursacht werden. Dennoch sind die Rituale eine Machtbasis der Beschneiderinnen, sie wollen junge Mädchen umfassend kontrollieren, was Polizei und Justiz dulden. Auch Politiker/-innen tragen dazu bei: Im Wahlkampf sind Reisgeschenke an Beschneiderinnen wichtig, um Wählerinnenstimmen zu gewinnen (Fuest 2009, S.201ff.).

Dieser Machtmissbrauch steht der im nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 und im Gender-Aktionsplan geforderten Mitbestimmung von Landfrauen in lokalen Gremien entgegen; die propagierte Mitwirkung von Frauen in Entwicklungsprogrammen und das wirtschaftliche Empowerment von Mädchen zur Überwindung von Armut werden ebenfalls eingeschränkt. Solche Widersprüche beeinträchtigen auch die Bildungsprogramme für Mädchen: Einerseits soll eine bessere Schulbildung ihre Kapazitäten stärken, andererseits behindern alte einflussreiche Frauen ihre Selbstständigkeit und unterstellen ihnen, bei Vergewaltigungen die Männer provoziert zu haben.

Um diese Einstellungen zu ändern und den Machtmissbrauch zu stoppen, müssten Regierung, staatliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen kooperieren. Doch vielerorts mangelt es am politischen Willen der Verantwortlichen.

Einige Frauenrechtsexpertinnen befürchten, dass diese Strukturprobleme sich im Vorfeld der für Oktober 2011 anberaumten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen verschärfen. Das betrifft nicht nur den Einsatz sexualisierter Gewalt als Machtmittel, sondern auch die fortbestehende Gewaltbereitschaft junger Ex-Kämpfer. Über 1.700 waren an politisch motivierten Gewaltakten in der Elfenbeinküste beteiligt. Über 100.000 Flüchtlinge aus dem krisengeschüttelten Nachbarland verschärfen die Versorgungsprobleme im verarmten ländlichen Liberia. In den letzten Jahren eskalierten lokale Konflikte über unklare Landbesitztitel mancherorts gewaltsam, da die Regierung untätig blieb, diese zu regeln. Waffen waren durch die unkontrollierten Grenzen immer leicht zugänglich und werden auch bei geschlechtsspezifischen Gewaltakten eingesetzt.

Literatur

AI – Amnesty International: A flawed process discriminates against women and girls. AI Index AFR 34/004/2008, London 2008.

Lois Bruthus: Zero tolerance for Liberian rapists. In: Forced Migration Review, 27, 2007, S.35.

David Forsström/Alexandra Sundberg: Designing gender-sensitive demobilisation exercises – The Liberian case. Arbeitspapier Nr. 2, Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Universität Hamburg, Hamburg, 2007.

Veronika Fuest: »This is the time to get in front«. Changing roles and opportunities for women in Liberia. In: African Affairs, 107/427, 2008, S.201-224.

Anu Pillay: Truth seeking and gender. The Liberian experience. In: African Journal on Conflict Resolution, vol. 9, no. 2, 2009, S.92-100.

Anu Pillay/Lizzie Goodfriend: Evaluating women’s participation in transtional justice and governance – A community dialogue process in Liberia. In: Conflict Trends, 2, 2009, S.10-16.

ILO – International Labour Organisation: Red shoes. Experiences of girl combatants in Liberia. Geneva 2006.

Dr. Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin des Buches »Frauen und Kriege in Afrika« (2008); frauen-und-kriege-afrika.de.

Ein neuer Staat

Ein neuer Staat

von Jürgen Nieth

Vier Millionen Südsudanesen waren aufgerufen, in der zweiten Januarwoche in einem Referendum für oder gegen die Unabhängigkeit von der Islamischen Republik Sudan zu stimmen. Das Endergebnis wird zwar erst Mitte Februar erwartet, dennoch teilen bereits während des Referendums die deutschen Presseorgane die Einschätzung von Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, in der Süddeutschen Zeitung (SZ 07.01.11): „Mit dem Referendum … wird der Südsudan die Unabhängigkeit wählen.

Zur Vorgeschichte

Das Referendum „wurde 2005 mit einem Friedensvertrag vereinbart, der den längsten (21 Jahre) Bürgerkrieg Afrikas beendete. Er kostete über zwei Millionen Menschen das Leben und sorgte für vier Millionen Vertriebene… Um einen neuen Staat bilden zu können, müssen 51 Prozent für die Unabhängigkeit stimmen bei einer Beteiligung von mindestens 60 Prozent“ der registrierten Wähler (Freitag, 9.12.10). Die Quote wurde nach Angaben des Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) bereits am dritten Tag erreicht (taz 13.01.11).

In den letzten fünf Jahren regierte ein Kabinett der nationalen Einheit den Sudan, in dem die Regierungspartei des Nordens, der National Congress (NCP), und das SPLM aus dem Süden zusammenarbeiteten. Das SPLM verwaltete den Südsudan weitgehend selbstständig, die islamische Gesetzgebung des Nordens war im Süden ausgesetzt, und UN-Blauhelme (UNMIS) überwachten die Vereinbarungen des Friedensvertrages. Trotzdem kam es immer wieder zu Spannungen. Die Süddeutsche Zeitung verwies darauf, dass „der Norden und der Süden… all die Jahre neues Kriegsgerät eingekauft (haben), um sich zu wappnen für den Tag X“, und es wurde in Frage gestellt „ob das Regime von General Omar al-Baschir in Khartum diesen Schritt [das Referendum] verkraften wird“ (SZ 26.11.10).

Versprechen…

Sechs Wochen später heißt es in derselben Zeitung: „Staatspräsident Omar al-Baschir und seine Regierung wiederholen jeden Tag, dass sie das Ergebnis des Referendums respektieren werden. Ja man werde der erste Staat sein, der einen Botschafter nach Juba, die Hauptstadt des zukünftigen südsudanesischen Staates, senden werde.“ Und die taz (05.01.11) zitiert den Präsidenten: „Selbst wenn die Ergebnisse schmerzhaft sein werden, werden wir ihnen mit Vergebung, Geduld, Akzeptanz sowie mit offenem Herzen und gutem Willen begegnen.“ Doch die Zweifel bleiben. Bettina Gaus in der taz (08.01.11): „Präsident Omar Hassan al-Baschir schreckt vor Gewalt nicht zurück. Wegen Völkermord in der Region Darfur besteht gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs.“.

…und viele offene Fragen

Es sind „noch nicht alle offenen Grenzfragen geklärt, und es ist kaum zu erwarten, dass dies in der sechsmonatigen Übergangsphase nach dem Referendum geschehen wird. Der Süden beherbergt einen Teil der Darfur Rebellen, der Norden einige Oppositionsführer aus dem Süden“ (SZ 07.01.11).

Nach wie vor ungeklärt ist die Zukunft von Abyei, einer Region an der Grenze zwischen Nord- und Südsudan. „Ob das ölreiche Gebiet zum Norden oder Süden gehört, hätte ebenfalls am 9. Januar per Referendum geklärt werden sollen.“ (taz 04.01.11) Aber dieses Referendum findet nicht statt, da sich der Norden und der Süden nicht über die Abstimmungsberechtigten einigen konnten – nur die dort sesshafte Bevölkerung (so der Süden) oder auch das nordsudanesische Nomadenvolk der Misserija, das jedes Jahr mehrere Monate sein Vieh in dieser Region weiden lässt. Für Thomas Scheen (FAZ 10.01.11) ist der zukünftige Grenzverlauf in dieser Region „nach wie vor ungeklärt, weil beide Seiten nicht nur die Ölfelder von Heglig beanspruchen, sondern auch Weidegründe.“ Tatsächlich ist es in dieser Region dann auch zum Auftakt des Referendums zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Die Angaben schwanken zwischen 30 und 60 Opfern. (SZ 12.01.11).

Konflikt- oder Schmierstoff Öl?

„Südsudan mit seinen 8,5 Millionen Einwohnern wird nach der Unabhängigkeit eine der ärmsten Nationen der Welt sein; ein Land, das… größer als Frankreich ist und auf gewaltigen Ölreserven sitzt, aber über keine Infrastruktur verfügt… (FAZ 10.01.11). Ölreserven, die der Norden nicht hat. Dieser besitzt aber „die Raffinerien und die nötige Pipeline, um den teuren Stoff nach Port Sudan ans Rote Meer zu transportieren und von dort aus in die Welt zu verschiffen“ (SZ 26.11.10). Für die SZ heißt das: „Beide Seiten sind durch die Ausbeutung der Ressourcen gleichsam aneinander gekettet. Der eine kann ohne den anderen kein Geld verdienen.“ Sie zitiert Wirtschaftsexperten, nach denen im günstigsten Fall damit „ausgerechnet das Öl den Rückfall in einen großen Krieg“ blockieren könnte.

Blauhelme zur Grenzsicherung

Andere sind nicht ganz so optimistisch. Der Stern (13.01.11) berichtet, etliche Prominente hätten „für einen Satelliten gespendet, der Überwachungsbilder von der Demarkationslinie zwischen den verfeindeten Landesteilen sendet und so einen neuen Ausbruch des jahrzehntelangen Bürgerkriegs verhindern soll.“ Volker Perthes: „Zwischen Nord und Süd wird es eine neue Blauhelmmission der Vereinten Nationen geben müssen, um Zwischenfälle an der Grenze zu verhindern.“ (SZ 07.01.11) Doch wie groß ist die Einsatzbereitschaft der UN? Der Kommandeur der UN-Truppen, Alain Le Roy, hat bereits den Vorschlag von Salva Kiir, dem aller Voraussicht nach ersten Präsidenten des Südsudan, abgelehnt, „einen 16 km breiten Puffer entlang der Demarkationslinie“ einzurichten. „Man werde zwar Soldaten nach Abyei verlegen, aber zu mehr sei man mit 10.000 Mann nicht fähig.“ (Freitag, 09.12.10)

Fazit

Der Völkerrechtler Norman Paech schreibt im Dezember nach einer Reise in den Sudan: „Sollte trotz aller warnenden Vorzeichen das Referendum planmäßig und friedlich verlaufen, könnten alle von den Sudanesen lernen, wie man auf demokratischem Weg einen neuen Staat zustande bringt.“ (Freitag, 09.12.10)

Während diese Zeilen geschrieben werden, läuft der letzte Tag des Referendums. Im Großen und Ganzen kann man von einem friedlichen Verlauf sprechen, den 4.000 ausländische Beobachter aufmerksam begleitet haben. Bleibt zu hoffen, dass das Referendum allseitig akzeptiert wird und dass beide Länder internationale Unterstützung erhalten, die sie stabilisiert und von militärischen Abenteuern abhält.

Konflikt und Umwelt im Sudan

Konflikt und Umwelt im Sudan

Aus dem Bericht der UN-Umweltprogramms 2007

von UNO, Albert Fuchs

Im Juni 2007 hat das UN-Umweltprogramm (UNEP) einen umfänglichen Bericht über Umweltprobleme und militärische Konfliktaustragung im Sudan vorgelegt.1 Im Vorwort wird betont, damit solle nicht zuletzt eine Grundlage geschaffen werden für »recovery, reconstruction and development«, nachdem Anfang 2005 nach einem rund 20-jährigen Krieg zwischen dem vorwiegend arabisch-muslimischen Norden und dem schwarzafrikanisch-christlichen Süden ein umfassendes Friedensabkommen (Comprehensive Peace Agreement/CPA) zustande gekommen war. UNEP sieht »recovery, reconstruction and development« zwar durch den anhaltenden und seit 2006 verschärften Darfur-Konflikt weiterhin gefährdet, erhofft sich jedoch von seiner Analyse auch einen Beitrag zur Regelung dieses Konfliktes. Wir veröffentlichen die wesentlichen Teile des zentralen Kapitels 4 des UNEP-Reports. Es könnte ein Korrektiv darstellen für die herrschende undifferenzierte und voreingenommen moralisierende Sicht der Dinge.

Der Sudan wurde über die meiste Zeit des letzten halben Jahrhunderts von Bürgerkriegen und regionalen Auseinandersetzungen heimgesucht und aktuell wütet ein größerer Konflikt in Darfur. Zur gleichen Zeit leidet der Sudan unter gravierenden Umweltproblemen innerhalb wie außerhalb der aktuellen und historischen Konfliktzonen. Nach Einschätzung des UN-Umweltprogramms sind die Konflikt-Umwelt-Zusammenhänge komplex und tiefgreifend. Viele Konflikte entstanden teilweise aus Spannungen um gemeinsam in Anspruch genommene Ressourcen und zugleich werden diese Ressourcen durch die Konflikte in Mitleidenschaft gezogen. Im Folgenden geht es zunächst um einen geschichtlichen Überblick über Konflikte jüngeren Datums im Sudan. Sodann wird die Rolle natürlicher Ressourcen für Entstehung und Fortdauer historischer und aktueller Konflikte dargestellt. Schließlich werden die direkten und indirekten ökologischen Konfliktauswirkungen kurz dargestellt. Dabei ist davon auszugehen, dass die Grenzen zwischen chronischen und konflikt-bezogenen Umweltproblemen vielfach unklar sind.

Konflikte im Sudan

Konflikte haben in den letzten 50 Jahren im Sudan mehr als 60 Prozent des Landes direkt betroffen und seine Entwicklung erheblich beeinflusst. Um die Konflikt-Umwelt-Verbindungen zu klären, muss man das bestehende komplexe Konflikt-Mosaik zur Kenntnis nehmen.

Konflikttypen

Zu Stammes- und nur mit Kleinwaffen ausgetragenen Konflikten geringer Reichweite kam es immer wieder in der Geschichte des Sudan. Kein Teil des Landes blieb verschont davon; aber in den letzten dreißig Jahren konzentrierten sie sich auf den Süden, den Westen und den Norden des Landes. Ihre Ursachen sind im Allgemeinen nur dürftig erfasst, darunter jedoch Viehdiebstahl, Streit um Wasser und Weideland, lokalpolitische Auseinandersetzungen. Viele – keineswegs alle – Konflikte großer Reichweite sind mit Friktionen auf Stammesebene verbunden.

Die meisten größeren Konflikte im Sudan waren länger (fünf oder mehr Jahre) andauernde Konfrontationen zwischen Streitkräften auf Seiten der Zentralregierung in Khartum und einer Vielzahl von regierungsfeindlichen Kräften. Die Regierungsseite umfasste konventionelle Land- und Luftstreitkräfte und alliierte Milizen. Die gegnerischen Kräfte bestanden aus lokalen Milizen, die sich – im Falle der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) im Süd-Sudan – zu einer vereinigten Armee mit paralleler Regierungs- und Verwaltungs-Struktur (dem Sudan People’s Liberation Movement, SPLM) – entwickelten. Größer Konflikte erfassten zeitweise bis zu 60 Prozent des Territoriums, vor allem in den südlichen Teil-Staaten, aber auch im Westen (alle drei Darfur-Staaten), im Zentrum (die Staaten Blauer Nil und Süd-Kordofan), im Osten (Kassala) und im Nord-Osten (Roter Nil). Insgesamt waren mehr als 15 Millionen Menschen direkt davon betroffen, nicht eingeschlossen die ungefähr 6 Millionen, die z.Z. in Darfur noch davon betroffen sind. Die Gesamtzahl der konfliktbedingten Opfer ist unbekannt, wird aber von mehreren Quellen auf zwei bis drei Millionen geschätzt. Obwohl die Regierungs-Streitkräfte über Panzer und schwere Artillerie verfügen, wurden die Kämpfe hauptsächlich mit leichten Waffen wie AK47 Sturm-Gewehren ausgetragen. Die gegnerischen Kräfte waren durchgehend nur leicht bewaffnet, abgesehen von ein paar Panzern und anderen schweren Waffen. Nur die Regierungskräfte verfügten über eine Luftwaffe. In den meisten größeren Konflikten wurde ausgiebig von Landminen Gebrauch gemacht. In der Folge leidet der Sudan unter einer gravierenden Landminen-Hinterlassenschaft, die immer noch zivile Opfer fordert.

Hauptkonflikte

Aus der Sicht von UNEP stellen sich Geschichte und Stand der Dinge in jedem der Hauptkonfliktgebiete wie folgt dar:

Darfur

Die Kämpfe in Darfur ziehen sich mit Unterbrechungen seit wenigsten 30 Jahren hin. Bis 2003 waren sie im Wesentlichen auf eine Reihe teilweise zusammenhängender tribaler und lokaler Auseinandersetzungen beschränkt. In den ersten Monaten des Jahres 2003 eskalierten diese Feindseligkeiten zu einer regelrechten militärischen Konfrontation in allen drei Darfur-Staaten, die vielfach auf den benachbarten Tschad und die Zentralafrikanische Republik übergreift. Charakteristisch für den aktuellen Konfliktverlauf ist die von Milizen über ausgedehnte Gebiete angewandte Strategie der »verbrannten Erde«. Sie führt zu einer weiträumigen Zerstörung von Dörfern und Wäldern und zur Vertreibung in Schutz- und Versorgungslager. Die Zahl der Vertriebenen beläuft sich z.Z. auf mehr als zwei Millionen, die Opferzahl wird von verschiedenen Quellen auf 200 000 bis 500 000 geschätzt.

Süd-Sudan

In den 50 Jahren seit der Unabhängigkeit des Sudan hat der Süden nur 11 Jahre Frieden genossen. Während der längsten Zeit des Bürgerkriegs hielt die zentralsudanesische Regierung mehrere größere Städte besetzt und startete Luftangriffe und in Trockenzeiten Bodenoffensiven in die Umgebung. Die gegnerischen Streitkräfte der SPLA und ihre Verbündeten rekurrierten auf Guerilla-Aktionen, belagerten Städte und führten in Regen- wie in Trockenzeiten Bodenoffensiven durch. Ländliche Gegenden bekamen großteils keine oder wenig Militäraktivität zu Gesicht. Die Frontlinien, an denen anhaltend aktiv gekämpft wurde, waren beschränkt auf die zentral-nördlichen Grenzregionen und die belagerten Städte. Zu den härtesten Kämpfen kam es in den 1990er Jahren, als der Frontverlauf ständig wechselte und mehrere Städte oftmals eingenommen wurden. Der Konflikt griff über auf Gebiete in Zentral-Sudan, wie Abyei-Distrikt, Blauer Nil und Nuba-Berge in Süd-Kordofan. Diese sog. »Drei Gebiete« sind immer noch politisch hoch instabil. Zu kleineren, der ugandischen Lord’s Resistance Army (LRA) zuzuschreibenden Konflikten kam es hin und wieder im tiefen Süden auch nach Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) im Januar 2005, und eine gewissen Instabilität besteht weiter in anderen Grenzgebieten, insbesondere am Oberen Nil.

Nuba-Berge

Die Nuba-Berge waren in den 1990er Jahren eine Hochburg der SPLA. Sie hatte die Wald- und Berggebiete in Besitz, während die Regierungs-Streitkräfte das offene Gelände und die Ebenen in der Umgebung weitgehend kontrollierten. Das Gebiet war ausgedehnten Kämpfen und Bombardierungen ausgesetzt.

Kassala/Ostfront

Die Gegend an der Grenze zu Eritrea im Teil-Staat Kassala war fest im Besitz der mit der SPLA verbündeten Bedscha. Der Konflikt loderte in den 1990er Jahren auf, aber im Oktober 2006 wurde ein als Eastern Sudan Peace Agreement bekannter Separat-Friedensvertrag zwischen der Zentralregierung und den Streitkräften im Osten geschlossen.

Rotes Meer/Eritrea

Das Gebiet Tokar im Staat Rotes Meer wurde von einem 1992 einsetzenden und 12 Jahre andauernden Konflikt geringer Intensität zwischen Sudan und Eritrea und lokalen Verbündeten in Mitleidenschaft gezogen. Die Feindseligkeiten erloschen erst mit dem Abschluss des CPA.

Uganda/LRA

Ursprünglich verankert in Nord-Uganda, unmittelbar südlich von Ost-Äquatorial-Sudan, kämpft die Lord’s Resistance Army (LRA) seit über 20 Jahre gegen die Streitkräfte Ugandas. 2005 und 2006 breitete sich der Konflikt nach Süd-Sudan und in die Demokratische Republik Kongo aus. Seit Juni 2007 ist ein Waffenstillstand in Kraft, aber Friedensverhandlungen sind festgefahren und sporadisch wird der Konflikt weiter ausgetragen.

Umweltfaktoren als Konfliktdeterminanten

Viele Faktoren tragen zu Konfliktkonstellationen im Sudan bei, die wenig oder nichts mit der Umwelt oder natürlichen Ressourcen zu tun haben. Dazu zählen politische, religiöse, ethnische und Stammes- und Clan-Spaltungen, ökonomische Faktoren, unzulängliche Landbesitztitel, historische Fehden. Wo zudem Umweltfragen und Fragen der Ressourcenbewirtschaftung von Bedeutung sind, handelt es sich im Allgemeinen um Kontextfaktoren, nicht um (alleinige) Konfliktursachen.

Konfliktrelevanz von Ressourcen im Allgemeinen

Vier Kategorien natürlicher Ressourcen stehen im Sudan in enger Beziehung zu den Konflikten: Öl- und Gasreserven, Nilwasser, Nutzholz sowie offenes Weideland und nicht bewässertes Ackerland. Potenzielle Konflikte wegen Öl, Nilwasser und Hart-Nutzholz sind eine landesweite Angelegenheit. Konflikte um Weide- und nicht bewässertes Ackerland sind grundsätzlich lokaler Natur, können aber eskalieren und Konflikte anderen Ursprungs so verschärfen, dass sie zu landesweiten Problemen werden, wie z.Z. im Fall Darfur.

Öl- und Gasreserven: Obwohl der große Nord-Süd-Konflikt lange vor der Entdeckung von Öl in Zentral-Sudan einsetzte, war die Konkurrenz um den Besitz der Öl- und Gasreserven des Landes und die Beteiligung am Gewinn daraus doch eine Triebfeder und bleibt bis heute eine Quelle politischer Spannungen. Diese Verbindung gilt allerdings hauptsächlich als wirtschaftliche, politische und soziale Frage und wird daher hier nicht eingehender thematisiert. Von größerer Bedeutung für UNEP sind hier die Auswirkungen der Ölindustrie auf die Umwelt und das daraus resultierende Konfliktpotenzial.

Wasserrechte und Nil-Nutzung: Konkurrenz um den Gewinn aus der Nutzung von Oberflächenwasser trug ebenfalls in bedeutsamer Weise zum Bürgerkrieg bei, wie aus dem Jonglei Kanal-Projekt hervorgeht, das sowohl Ursache wie »Opfer« des Konflikts war, der 1983 in Süd-Sudan aufloderte.2 Die Bedeutung dieser Angelegenheit hat mit der Zeit nicht abgenommen und nach wie vor bestehen starke Spannungen wegen der Versuche, das Projekt wieder in Gang zusetzen

Nutzholz und Kriegsökonomie: Zwar gibt es keine Hinweise darauf, dass Nutzholz wesentlich zur Konfliktentstehung im Sudan beigetragen hat, wohl aber eindeutige Belege dafür, dass Einkünfte aus dem Verkauf von Hart-Nutzholz mit dazu geführt haben, den Nord-Süd-Bürgerkrieg in Gang zu halten. Nutzholz war Teil der Kriegökonomie und das scheint sich jetzt in Darfur mit der Holzkohle zu wiederholen. Insgesamt aber gilt die Nutzholz-Konflikt-Verbindung eher als Aspekt umweltbezogener Konfliktauswirkungen, weniger als Aspekt der Konfliktauslösung.

Weideland und nicht-bewässertes Ackerland: Zu lokalen Auseinandersetzungen um Weideland und nicht-bewässertes Ackerland kam es während der gesamten aufgezeichneten Geschichte des Sudan. Bei demographischer Stabilität und ohne Umweltveränderung gelten solche Konflikte in der Regel als gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Angelegenheiten, die aus rein umweltbezogenen Gründen keine besondere Beachtung rechtfertigen. Umweltfragen wie Desertifikation, Landdegradation und Klimawandel werden allerdings mehr und mehr zu bedeutsamen Konfliktfaktoren.

Umweltfaktoren und lokale Konflikte

Umweltprobleme beeinträchtigen zwar Weideland und nicht-bewässertes Ackerland im gesamten Sudan, stehen jedoch nur in einer geringen Anzahl von Fällen und Regionen eindeutig und fest mit Konflikten in Verbindung. Belastbare Evidenz für einen starken Zusammenhang von Umweltschäden bei Weideland und nicht-bewässertem Ackerland und lokalen Konflikten jüngeren Datums gibt es für die trockeneren Gegenden.

Die wissenschaftliche Erforschung und Erörterung der Rolle von Ressourcenknappheit als Konfliktursache hat sich im Laufe der letzten 10 Jahre bedeutsam entwickelt. Vor dem Hintergrund der Darfur-Krise ist der Sudan ein herausragendes Beispiel für Bedeutung, Komplexität und Brisanz dieses Themas. Zur Strukturierung der Diskussion wurden die im Zusammenhang von Konflikten um Weideland und nicht-bewässertes Ackerland relevanten Umweltfaktoren von führenden Forschern in diesem Bereich in vier Gruppen eingeteilt: a) Bestand: die verfügbaren Ressourcen als solche beeinflussende Faktoren, b) Bedarf: den Ressourcenbedarf beeinflussende Faktoren, c) Land-Verwendung: die Verfügung über verbleibende Ressourcen beeinflussende Veränderung und d) Institutionelle und Entwicklungsfaktoren. Während alle Umweltfaktoren im engeren Sinn zum Thema Bestand gehören, müssen sie doch in den Kontext von Bedarf und institutionellen Bedingungen gesetzt werden.

Alle Umweltprobleme, die für die Landwirtschaft im Sudan von Bedeutung sind, führen zu einem abnehmenden Ressourcen-Bestand:

Desertifikation, Bodenerosion und Bodenerschöpfung verringern die landwirtschaftliche Produktivität und entziehen das Land auf längere Sicht der landwirtschaftlichen Nutzung.

Waldzerstörung, vor allem in den Trockengebieten, hat zu einem nahezu kontinuierlichen Ressourcenverlust geführt.

Bisheriger Klimawandel hat in einigen Gebieten die Produktivität aufgrund abnehmenden Niederschlags vermindert.

Absehbarer Klimawandel wird aufgrund abnehmenden Niederschlags und zunehmender Niederschlagsvariabilität, insbesondere in der Sahel-Zone, die Produktivität weiter vermindern. Für die am meisten betroffenen Gebiete wird ein Rückgang um 70 Prozent erwartet.

Der Ressourcen-Bedarf nimmt aufgrund eines kontinuierlichen Bevölkerungswachstums ständig zu. Der Sudan hat eine Gesamtwachstumsrate von jährlich 2,6 Prozent, unter der allerdings viel höhere lokale Raten verbergen. Damit einher geht starke Vergrößerung des Viehbestands seit den 1960er Jahren. Man schätzt, dass er zwischen 1961 und 2004 allein in Nord- und Zentral-Sudan um 400 Prozent zugenommen hat.

Land-Verwendung: Die Ausbreitung des Ackerbaus in früheres Weideland oder Waldgebiet über die letzten vier Jahrzehnte ist wohlbekannt. Die Ausbreitung von Regen-Feldbau nach Norden in Randgebiete, die historisch nur zu Weidezwecken verwandt wurden, ist besonders schädlich. Hinzu kommt, dass die Ausbreitung des Ackerbaus die Wanderrouten des Viehs zwischen den weit auseinander liegenden Trocken- und Regenzeit-Weiden versperrt und ebenso die Wege zu den täglichen Wasserstellen. Zudem halten sesshafte Bauern zunehmend ihr eigenes Vieh und sind daher immer weniger bereit, umherziehenden Nomaden Weiderechte einzuräumen.

Die ländlichen Bezirke sind schließlich auch belastet durch eine Kombination problematischer Reform- und Entwicklungsprogramme und durch gesetzgeberische Reformen und mangelhafte Umweltverwaltung. Ein zentrales Problem besteht darin, in einer ethnisch komplexen, mit sesshaften Bauern und Nomaden durchmischten Gesellschaft ein brauchbares gerechtes und stabiles System des bäuerlichen Landbesitzes zu entwickeln und implementieren. Dieses Problem ist im Sudan bisher nicht gelöst. Außerhalb der größeren städtischen Gebiete ist der Sudan weiterhin sehr arm und unterentwickelt. Die Landbevölkerung hat demnach kaum Möglichkeiten, die landwirtschaftlichen Krisen zu bewältigen. Setzt man die verschiedenen Elemente in Beziehung zueinander, ergibt sich ein eindeutiger Trend: Eine signifikante Zunahme des Viehbestands und die gleichzeitige Abnahme des Gesamtweidelands sowie seiner Erreichbarkeit und Qualität. Im Hinblick auf die Umwelt bedeutet das Netto-Ergebnis Überweidung und Landzerstörung, im Hinblick auf die Gesellschaft kontinuierlicher Verlust von Lebensgrundlagen und tief verwurzelte Armut.

Viehhüter-Gesellschaften im Sudan waren infolge unregelmäßigen Niederschlags immer vergleichsweise anfällig für den Verlust ihrer Lebensgrundlagen. Die skizzierte Faktorenkombination hat jedoch viele Viehhüter in eine Negativspirale von Armut, Verdrängung und, im schlimmsten Fall, Gewaltkonflikten getrieben.

Auswirkungen von Konflikten auf die Umwelt

Unter diesem Titel geht es darum, ob und wie sich bewaffnete Konflikte im Sudan negativ oder positiv auf die Umwelt ausgewirkt haben. Hier werden direkte Auswirkungen sowie indirekte Folgen und konfliktbezogene Schlüsselfragen unterschieden. Direkte Auswirkungen ergeben sich unmittelbar und allein aus militärischen Aktionen. Dazu gehören: Landminen und explosionsgefährliche Kriegsrelikte, Angriffszielzerstörungen, Verteidigungsanlagen, gezielte Ressourcenvernichtung. Indirekte und sekundäre Auswirkungen können insgesamt oder in Teilen verlässlich auf Konflikte und die damit verbundene Kriegsökonomie zurückgeführt werden, ohne direkt daraus hervorzugehen. Dazu gehören: Umweltveränderung im Zusammenhang von Flucht und Vertreibung, Ressourcenplünderung und kriegsökonomische Ressourcenausbeutung, defizitäre Umweltverwaltung und Informationsversorgung, Finanzierungskrisen und Stornierung von Entwicklungs- und Naturschutzprogrammen.

Direkte Auswirkungen

Landminen und explosionsgefährliche Kriegsrelikte stellen ein großes Problem dar. Zweiunddreißig Prozent des Landes gelten als dadurch beeinträchtig, mit Schwerpunkt im Süden. Mindestens 21 der 25 Bundesstaaten dürften betroffen sein. Das wahre Ausmaß des Landminen-Problems ist allerdings unbekannt ist, da bisher noch keine umfassende Untersuchung der Frage durchgeführt wurde. Die Zahl der registrierten und dokumentierten Landminen-Opfer in den letzten 5 Jahren beläuft sich auf 2.200 – wobei es abermals keine systematische Datenerhebung und -überprüfung gibt. Abgesehen von den Opfern beeinträchtigen Landminen seit Jahrzehnten für Mensch und Vieh den Zugang zu ausgedehnten Gebieten in vielen Landesteilen.

In allen Regionen außer den besonders trockenen führte diese eingeschränkte Zugänglichkeit allerdings zu einem relativ ungehinderten Wachstum der Vegetation. Dieser Neubewuchs kann einen günstigen Einfluss auf die betroffenen Gebiete haben und insbesondere auf den Bestand wild lebender Tiere, aber die Vorteile für die Bevölkerung halten sich in der Regel in engen Grenze, da die Ressourcen (wie Wasser, Brennholz, Futter) nicht verfügbar sind.

Beim Thema Angriffszielzerstörungen geht es um Auswirkungen auf die Umwelt infolge militärischer Aktionen gegen bestimmte Ziele, gleichgültig welcher Art. Die physische Umweltzerstörung durch konventionelle Waffen (Bomben, Artilleriegranaten und Mörser) besteht grundsätzlich in Kraterbildung, Beschädigung oder Zerstörung von Gebäuden, Bäumen, Industrieanlagen. Obwohl vom Minenräum-Personal über Kraterbildung im Süd-Sudan berichtet wurde, gibt es keine Hinweise, dass mehr als ein paar Hektar an jedem Austragungsort betroffen sind. Ebenso ist die Zerstörung des Baumbestands durch direkte militärische Aktionen im Vergleich zu anderen Ursachen der Entwaldung vernachlässigbar. Anhaltende Umweltschäden sind auch nicht aufgrund der Zerstörung von Gebäuden zu erwarten, abgesehen von Entwaldung durch Schutterzeugung. Weder die Ölfelder im Süden noch die Pipeline nach Port Sudan wurden jemals so effektiv attackiert, dass bedeutsame Umweltschäden entstanden wären. Das Fehlen militärisch angreifbarer industrieller Ziele hat verhindert, dass irgendeine größere Umweltverschmutzung durch Chemieunfälle entstanden ist.

Verteidigungsanlagen wie Schützengräben- und Bunkersysteme gibt es im gesamten Land offensichtlich nicht, aber das Minenräum-Personal im Süd-Sudan berichtete über begrenzte Verteidigungsanlagen in Außenbezirken belagerter Garnisonsstädte. Gemeinden im Süden haben verlässlich berichtet, dass Regierungsstreitkräfte Bäume aus der Peripherie von Garnisonsstädten beseitigt haben, um Angreifern keine Deckung zu lassen.

Durch Berichte von NGOs und der AU-Mission im Sudan sind in Darfur gezielte Angriffe auf mit natürlichen Ressourcen in Verbindung stehende Infrastruktur wie ländliche Wasserpumpanlagen gut belegt. Von Lokalbevölkerungen in Darfur wird auch über zahlreiche Fälle gezielter Ressourcenzerstörung bei Milizüberfällen berichtet. Vor allem geht es dabei um den Baumbestand, Ernten und Viehweiden. Ernten und Viehweiden werden niedergebrannt, Bäume abgeholzt. Mangels statistischer Daten auf der Basis von Felduntersuchungen lässt sich die Tragweite dieses Phänomens kaum einschätzen.

Indirekte und sekundäre Auswirkungen

Nach den getöteten und verletzten Zivilisten sind Flucht und Vertreibung die bedeutendste Konfliktfolge für die Bevölkerung. Man schätzt, dass bis zum Zeitpunkt der Erhebungen für den vorliegenden Bericht fünf Millionen (das sind 7 bis 12 Prozent der vermutlichen Gesamtbevölkerung) vertrieben wurden und weniger als eine Million zurückgekehrt sind. Die Zahl steigt aufgrund des anhaltenden Konflikts in Darfur. Die meisten Vertriebenen kommen aus ländlichen Gegenden und zogen in Lager in den Außenbezirken von Ortschaften und Städten, über zwei Millionen in die Hauptstadt Khartum.

Zu den ernsten und komplexen Auswirkungen auf die Umwelt gehören:

Entwaldung in Lagerbereichen;

Zerstörung der Vegetation in Lagerbereichen;

nicht-nachhaltiger Grundwasserentnahme in den Lager;

Wasserverschmutzung in Lagerbereichen;

unkontrolliertes Wachstum der städtischen Elendsviertel;

Entwicklung einer Fürsorge-Ökonomie (die den lokalen Bedarf an natürlichen Ressourcen verschlimmern kann);

Neubildung von Brachland und Unkrautflächen;

rückkehr- und wiederaufbaubedingte Entwaldung.

Nicht jede Umsiedlung im Sudan ist allerdings konfliktbedingt; Dürre und ökonomische Faktoren tragen in großem Ausmaß ebenfalls dazu bei.

Unter Ressourcenplünderung und -ausbeutung versteht man die unkontrollierte und vielfach illegale Entnahme von Naturschätzen, die zu Zeiten ausgedehnter Konflikte zu beobachten ist. Die Ressourcen unterliegen dann Beeinträchtigungen und begünstigen zugleich die Aufrechterhaltung des Konflikts. Im Sudan sind die fraglichen Ressourcen Nutzholz (Bauholz und Holzkohle), Elfenbein und Wildfleisch. Obwohl Öl ein im Sudan umstrittener Bodenschatz ist, kann es hier unberücksichtigt bleiben, weil es keine Belege für unkontrollierte, geheime oder illegale Förderung gibt.

Zur Plünderung von Nutzholz kam es im Nord-Süd-Konflikt auf beiden Seiten. Die bedeutsamsten Entnahmen betrafen hochwertiges Nutzholz im Süden und Brennholz zur Holzkohlegewinnung in den Nuba-Bergen. Die Elefantenpopulation im Süd-Sudan wurde während des Nord-Süd-Konflikts dezimiert. Obwohl das Elfenbein sehr wahrscheinlich großteils nach Khartum, dem Zentrum der Elfenbeinschnitzerei in der gesamten Gegend, befördert wurde, gibt es keine verlässliche Information über die Hauptakteure der Elefanten-Wilderei und des Elfenbeintransports. Bemerkenswerterweise war Rhinozeroshorn zwar während der frühen Konfliktphasen ein Ziel von Wilderei im Süd-Sudan, der Handel damit wurde aber eingestellt, als die Auslöschung des Nashorns in der Region bevorstand. UNEP fand keine Belege für einen ausgedehnten kommerziellen Handel mit Wildfleisch; Einheimische im Süd-Sudan berichteten allerdings, beide Parteien hätten ihre Streitkräfte mit Wildfleisch ernährt, so dass die größeren essbaren Säugetiere wie Büffel, Giraffen, Zebras und Antilopen in bestimmten Gebieten eines großen Teils von Süd-Sudan ausgelöscht sind. Alles in allem gab es ohne Zweifel Plünderung natürlicher Ressourcen, die zu gravierenden Schäden führte. Die Unterzeichnung des CPA hat das Ausmaß solcher Aktivitäten verringert. Gleichwohl bleibt Ressourcenplünderung ein Problem in Darfur und in gewissem Maße auch in den Nuba-Bergen.

Konfliktzonen leiden in der Regel unter dem Fehlen einer stabilen Amtsgewalt und unter nur beschränkter Beachtung rechtlicher Regelungen. Das bedeutet vollkommenes Fehlen von Umweltschutz und Straflosigkeit für alle – ob Militär oder andere –, die Naturschätze unkontrolliert entnehmen oder verarbeiten oder die Umwelt anderweitig schädigen. Konfliktzonen sind zudem für gewöhnlich unzugänglich für wissenschaftliche Datenerhebungen. Im Sudan war der Umweltwissenschaft der Zugang zu mehr als der Hälfte des Landes über zwei Jahrzehnte wegen konflikt-bezogener Sicherheitsbeschränkungen verwehrt. Infolgedessen ist der tatsächliche Zustand umweltbasierter Ressourcen unbekannt oder Gegenstand von bloßen Vermutungen. Rationales Entscheiden zum Zweck der Ressourcen-Bewirtschaftung und des Ressourcen-Schutzes ist demnach nur begrenzt möglich.

Ausgedehnte und gravierende Konflikte kanalisieren schließlich den Fluss nationaler Mittel und können zur Isolation auf internationaler Ebene führen. Der jahrzehntelange Krieg im Sudan hat dazu beigetragen, dass das Land eins der ärmsten Länder geblieben ist. Politische Streitfragen haben auch den Fluss weltweit verfügbaren Wissens und internationaler Unterstützung eingeschränkt. Umweltschutz und nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen wurden infolgedessen seit der Unabhängigkeit nicht priorisiert. Und selbst wenn sie berücksichtigt wurden, wurden sie im Allgemeinen nicht hinreichend finanziert, um ein positiven Wandel herbeizuführen. Die finanzielle Belastung durch die effektiv ununterbrochene Kriegführung und die daraus resultierende Armut ist mit eine der Hauptursachen für die herrschende Umweltmisere im Sudan.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Die Konflikt-Umwelt-Beziehungen im Sudan sind zweifältig. Einerseits hat die lange Konfliktgeschichte des Landes bedeutsame Auswirkungen auf die Umwelt gehabt. Zu den gravierendsten gehören bis heute die indirekten Auswirkungen über Flucht und Vertreibung, konflikt-bezogene Ressourcen-Ausbeutung und fehlende Investitionen in nachhaltige Entwicklung. Anderseits trugen und tragen Umweltfragen zur Konfliktentstehung bei. Konkurrenz um Öl- und Gasreserven, Nil-Wasser und Nutzholz sowie Landnutzungsfragen sind wichtige Faktoren für Ausbruch und Fortdauer von Konflikten. Auseinandersetzungen um Weideland und nicht-bewässertes Ackerland in den trockeneren Landesteilen exemplifizieren besonders eindrucksvoll die Verbindung zwischen Ressourcenknappheit und Gewaltkonflikten. Umweltaspekte sind allerdings durchgehend verwoben mit zahlreichen anderen sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren.

Nach der UNEP-Analyse besteht im Darfur-Konflikt eine sehr starke Verbindung zwischen Landdegradation, Wüstenbildung und Konflikt. Nord-Darfur – wo ein exponentielles Bevölkerungswachstum und eine entsprechende Umweltbelastung die Voraussetzungen dafür darstellen, dass Konflikte durch politische, tribale und ethnische Differenzen hervorgerufen und in Gang gehalten werden – kann als tragisches Beispiel für sozialen Zusammenbruch infolge eines ökologisches Zusammenbruchs gelten. Anhaltender Frieden in dieser Region ist nur möglich, wenn die zugrundeliegenden und in enger Beziehung dazu stehenden Umwelt- und Lebensunterhaltprobleme gelöst werden.

Die Analyse der Konflikt-Umwelt-Verbindung im Sudan war bisher weitgehend auf akademische Kreise beschränkt. Nur USAID hat ausdrücklich Peacebuilding in sein umweltpolitisches Programm in Süd-Sudan integriert.3 Diese Diskussion muss so erweitert werden, dass Zentral-Regierung und Vereinte Nationen einbezogen sind. Im Besonderen müssen Internationale Peacekeeping-Initiativen und Aufbau-Organisationen wie AMIS (African Union Mission to Sudan) und UNMIS (United Nations Mission to Sudan) diese Thematik berücksichtigen.

Über die politischen Lösungen hinaus sind dringend praktische Maßnahmen zur Verminderung der Konkurrenz um natürliche Ressourcen erforderlich, um aktuelle Konflikte einzudämmen und dem ländlichen Raum in Darfur eine realistische langfristige Entwicklungsperspektive zu geben. Im übrigen Sudan sollten die Anstrengungen auf klar erkannte Umwelt-Schwachstellen konzentriert werden, d.h. auf spezifische Probleme, die den Konflikt erneut auslösen könnten. Zu den bedeutendsten Schwachstellen dieser Art gehören die ökologischen Auswirkungen der Öl-Industrie, aber auch der Holzkohle-Industrie in Zentral-Sudan, die Elfenbein-Wilderei und die Entwicklung einer Nutzholz-Mafia in Süd-Sudan. Mögliche Maßnahmen schließen agrarpolitische Reformen ein, die Entwicklung einer Nutzholzindustrie und eine Stärkung der Umweltverwaltung. Solche Maßnahmen sollten als grundlegende Investitionen in Konflikt-Prävention und -Lösung gelten und nicht nur als Umweltschutzprojekte.

Anmerkungen (Red.)

1) United Nations Environmental Programme (UNEP) (Ed.) (2007): Sudan – Post-Conflict Environmental Assessment. Nairobi, Kenya. URL: http://www.unep.org/sudan

2) Der Jonglei-Kanal ist ein seit 1974 in Bau befindlicher Kanal am Weißen Nil. Er soll schließlich sich über 360 km erstrecken und die Städte Bur und Malakal verbinden. Aufgrund des Bürgerkriegs ist der Bau jedoch ins Stocken geraten und bis dato (2009) erst zu 70% fertig gestellt.

3) United States Agency for International Development (USAID): US-amerikanische Behörde für internationale Entwicklung – koordiniert die gesamten Aktivitäten der Vereinigten Staaten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.

Das Umweltprogramm der UNO (UNEP) wurde 1972 als »Stimme der Umwelt« bei den Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Hauptssitz: Nairobi, Kenia.

Übersetzung und Bearbeitung: Albert Fuchs

Migration and Displacement in Sub-Saharan Africa

Migration and Displacement in Sub-Saharan Africa

The Security – Migration Nexus II

von Clara Fischer

Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung übersteigt in Afrika südlich der Sahara die Süd-Süd Migration die Süd-Nord Migration um ein erhebliches Maß. Über 2/3 aller Migrantinnen und Migranten aus Ländern südlich der Sahara migrieren innerhalb der Region. Unfreiwillige Migration macht dabei einen großen Anteil der Bevölkerungsbewegungen aus. Etwa 20 Prozent der weltweiten Flüchtlingsbevölkerung (ca. 2,3 Millionen; UNHCR, 2008) und etwa die Hälfte der weltweit 25 Millionen Binnenvertriebenen (IDPs) (12,7 Mio; IDMC, 2007) leben in Afrika. Neben Flüchtlingen und Binnenvertriebenen aufgrund von Konflikten gelten zunehmend auch durch Umweltkatastrophen, Umweltzerstörung und Entwicklungsprojekte Vertriebene als unfreiwillige Migrantinnen und Migranten.

Am 13. und 14. Februar 2009 führte das Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC) in Bonn eine internationale Konferenz »Migration and Displacement in Sub-Saharan Africa. The Security – Migration Nexus II« durch. Die Veranstaltung fand im Haus der Deutschen Welle statt und wurde unterstützt vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Rund 150 Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft waren der Einladung des BICC gefolgt und diskutierten Ursachen und Erscheinungsformen der Süd-Süd-Migration in Afrika. Zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz, die von Dr. Doris Witteler-Stiepelmann, BMZ, Winfried Mengelkamp, MGFFI (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen), und Peter J. Croll, BICC, eröffnet wurde, gehörten u.a. prominente Vertreterinnen und Vertreter aus Forschung, relevanten Ministerien und afrikanischen Regionalorganisationen sowie lokalen und internationalen humanitären Organisationen.

Der erste Konferenztag hatte einen wissenschaftlich-analytischen Fokus und befasste sich primär mit Ursachen und unterschiedlichen Formen unfreiwilliger Migration in Afrika südlich der Sahara sowie mit den sozialen und politischen Auswirkungen auf betroffenen Länder der Region. Die Abgrenzung von freiwilliger und unfreiwilliger Migration – sei es innerhalb eines Staates oder grenzüberschreitend – ist vor allem aufgrund der Komplexität von Migrationsursachen schwierig und die Anwendung wissenschaftlicher Konzepte in der Praxis nicht immer sinnvoll. In seinem Impulsreferat betonte Dr. John Oucho (Universität von Warwick, Coventry), dass es sich bei beiden Phänomenen weniger um einen Gegensatz denn um ein Kontinuum handele.

Dr. Wim Naudé (UNU-WIDER, Helsinki) präsentierte seine Forschungsergebnisse zu den Ursachen internationaler Migration in Afrika südlich der Sahara. Demnach stellen Konflikte den wichtigsten Faktor, der zur Entstehung von Flüchtlingsströmen führt, dar. Umweltfaktoren können auch, insofern sie die Wahrscheinlichkeit für das Ausbrechen von Konflikten erhöhen und das wirtschaftliche Wachstum der betroffenen Staaten behindern, eine indirekte Ursache für internationale Migration darstellen. Dr. Koko Warner (UNU-EHS, Bonn) widmete sich in ihrem Vortrag insbesondere dem Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und Migration in Westafrika.

Darüber hinaus diskutierte die Konferenz humanitäre, legale und soziale Konsequenzen von unfreiwilliger Migration auf die betroffenen Menschen sowie die Auswirkungen unfreiwilliger Zu- und Abwanderung, Umsiedlung und Rückkehr auf die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen der Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländer. Joseph Chilengi (Africa IDP Voice, Lusaka) ging in seinem Vortrag auf die soziale Vulnerabilität von Flüchtlingen und IDPs ein. Nuur Mohamud Sheekh vom Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Genf konzentrierte sich auf die Situation und die besonderen Bedürfnisse von Binnenvertriebenen sowie auf Fortschritte und Hindernisse bei der Implementierung der vor zehn Jahren verabschiedeten »Guiding Principles on Internal Displacement« anhand der Fallbeispiele Somalia und Kenia.

Dr. Sadia Hassanen vom Centre for Research in International Migration and Ethnic Relations (CEIFO), Stockholm, widmete sich in ihrem Vortrag der Rückkehr, Wiederansiedlung und Reintegration eritreischer Flüchtlinge im Sudan. Die von Andrea Warnecke (BICC) moderierte Podiumsdiskussion zum Nexus zwischen Migration und Sicherheit hatte die Auswirkungen unfreiwilliger Migration auf die betroffenen Menschen und die Aufnahmegemeinschaften von Flüchtlingen unter dem besonderen Aspekt der menschlichen Sicherheit zum Inhalt.

Am zweiten Konferenztag standen konkrete Handlungsansätze und Instrumente der »Migration Governance« im Mittelpunkt. Dr. Khoti Kamanga (Centre for the Study of Forced Migration (CSFM), University of Dar es Salaam) präsentierte zusammenfassend die am ersten Tag diskutierten Ansätze und die sich daraus ergebenden Herausforderungen an Politik, Zivilgesellschaft und internationale Organisationen. Dr. Loren B. Landau (Universität von Witwatersrand, Johannesburg) hielt ein Impulsreferat zur politischen Agenda und hinterfragte kritisch die Rolle der internationalen Akteure. Anschließend diskutierten Vertreterinnen und Vertreter nationaler Regierungen und Regionalorganisationen auf dem von Dimitria Clayton (MGFFI) moderierten Podium konkrete Instrumente und Handlungsansätze auf nationaler und regionaler Ebene. Busisiwe J. Mkhwebane-Tshehla (South African Department of Home Affairs, Pretoria) erläuterte unter anderem die in der Republik Südafrika entwickelte Integrationsstrategie für Flüchtlinge. Veronica Eragu Bichetero, ehemaliges Mitglied der Menschenrechtskommission in Uganda (UHRC, Kampala) stellte die Lage von Flüchtlingen und IDPs in Uganda sowie die ugandische Gesetzgebung zu Flüchtlingen und IDPs vor. Dr. Anthony Barclay (Economic Community Of West African States (ECOWAS), Abuja) diskutierte die Ansätze, die ECOWAS als Regionalorganisation zur Begegnung von Flüchtlingsaufkommen in der Region entwickelt hat. Dr. Kamel Esseghairi (African Mediterranean Institute of Peace and Sustainable Development, Bardo) sowie Mehari Taddele Maru (Afrikanische Union, Addis Ababa) stellten Initiativen der Afrikanischen Union, Flucht und Vertreibung zu begegnen, vor.

Schließlich sprachen auf einem Podium zur Rolle von Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen Steven Corliss (UNHCR, Genf), Anne Zeidan, International Committee of the Red Cross (ICRC), Genf), Lisbeth Pilegaard (Norwegian Refugee Council (NRC), Oslo), Sicel’mpilo Shange-Buthane (Consortium for Refugees and Migrants in South Africa (CoRMSA), Johannesburg), Charles A. Kwenin (International Organization for Migration (IOM), Addis Ababa) sowie als Vertreterin der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Claudia Bürkin (KfW Entwicklungsbank, Frankfurt a.M.) über unterschiedliche Perspektiven und komplementäre Ansätze im Bereich Flucht und Vertreibung in Subsahara-Afrika. Betont wurde insbesondere die Notwendigkeit des »burden-sharing« zwischen Aufnahmeländern von Flüchtlingen und der internationalen Gemeinschaft.

Eine Zusammenfassung der während der Konferenz erarbeiteten Empfehlungen und einen Ausblick gab Baffour Amoa vom West African Action Network on Small Arms (WAANSA), Accra. Er rief dazu auf, die Forschung zu Migration in Afrika voranzutreiben sowie Forschung und Politik enger zu verknüpfen. Von großer Dringlichkeit sei es, die Datenlage zu Flucht und Vertreibung in Afrika sowie den Daten- und Informationsaustausch zwischen allen beteiligten Akteuren zu verbessern. Er betonte zudem, dass unfreiwillige Migration ein Phänomen sei, das eines interdisziplinären Ansatzes und der Einbeziehung aller beteiligten Akteure, einschließlich der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen selbst, bedürfe. Unfreiwillige Migration sei vor allem ein Menschenrechtsthema, für das primär die betroffenen Staaten Verantwortung tragen müssten. Die Konferenz regte zudem ein Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit an. Prävention und die Bearbeitung der Fluchtursachen müssten mehr in den Fokus der internationalen Gemeinschaft rücken und das Thema Migration zum festen Bestandteil der Entwicklungspolitik werden.

In seinem Schlusswort kündigte BICC Direktor Peter Croll an, die Konferenz zum Ausgangspunkt für die Etablierung eines Netzwerkes von Wissenschaftlern und Praktikern zur Förderung von Austausch und Kooperation im Bereich Migration und Vertreibung zu machen. BICC plant zudem weitere Workshops im Themenfeld Migration und Konflikte sowie eine Folgekonferenz, die 2010 nach Möglichkeit in Afrika stattfinden soll.

Alle Konferenzbeiträge werden in Form eines BICC briefs Anfang Mai 2009 veröffentlicht.

Von Clara Fischer

Von Fischen, Fischern und Piraten

Von Fischen, Fischern und Piraten

von Francisco Mari und Wolfgang Heinrich

Eine ganze Armada von Kriegsschiffen tummelt sich gegenwärtig im Golf von Aden. Sie machen Jagd auf neuzeitliche Piraten. Wie zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts gerät dabei Somalia in den Mittelpunkt einer militärischen Strategie zur Lösung eines im Kern politischen Problems. Damals ging es um »Terrorismus«, heute geht es um Handelsrouten. Dabei rangiert das Gebiet um den Golf von Aden weltweit erst an dritter Stelle in Bezug auf Piraterie. An der Spitze liegt Nigeria, dicht gefolgt vom Ursprungsgebiet der modernen Piraterie, Indonesien mit der Straße von Malakka.

In der Hysterie über die Folgen der Piraterie für unsere Handelsströme und die Freiheit der Kreuzfahrtschiffe werden die eigentlichen Ursachen, die dazu führen, dass gerade an Afrikas Küsten die Überfälle auf Handelsschiffe zunehmen, nur selten erwähnt. Außen vor bleibt, dass die jahrzehntelange Ausbeutung von Fischgründen und Bodenschätzen durch die Industrienationen an den afrikanischen Küsten eine vielschichtige Basis für die Organisierung von kriminellen Aktivitäten geliefert haben. „Früher waren wir ehrliche Fischer, aber seit Fremde unsere Meere leer fischen, müssen wir nach anderen Wegen suchen, um zu überleben“, sagt Abdullah Hassan, 39 Jahre alt. Er ist Chef einer Gruppe aus 350 ehemaligen Fischern und Milizangehörigen, die sich »Küstenwache« nennt.1 Er lebt in der sogenannten Welthauptstadt der Piraterie, dem ehemalige Fischerdorf Eyl 2 mit seinen 18.000 Einwohnern im halbautonomen Gebiet Puntland im früheren Somalia.

Was nach einer beschönigenden Ausrede für kriminelles Handeln klingt, hat leider handfeste Ursachen. Mit dem Zusammenbruch der staatlichen Autorität in Somalia, noch mehr aber nach dem Rückgang der Thunfischbestände im östlichen Pazifik, wurde die fischreiche Küste vor Somalia interessant für asiatische und europäische Trawler. Die Fischer Somalias hatten keine reale Chance mehr, selbst Thunfisch zu fangen; ihre Boote sind zu klein, sie erreichen kaum die Schwärme weit vor der Küste. Auch der lukrative küstennahe Krabben- und Hummer-Fang wurde ihnen in den letzten Jahren durch die Trawlerflotten Europas und Asiens weggeschnappt. Kommt hinzu, dass – wie überall auf der Welt, nur in Somalia vollkommen unkontrolliert – die Unmengen Beifang auch die küstennahen Fischsorten extrem reduziert haben.

Die Plünderung der afrikanischen Fischbestände.

Somalia ist kein Einzellfall. Die jahrzehntelange Plünderung der Gewässer vor Afrikas Küsten hat auch die Konflikte im Fischereibereich entlang der westafrikanischen Küste drastisch erhöht. Auslöser dafür ist, dass die Ausbeutung der eigenen Fanggründe in Europa, Korea und Japan – diese stellen nach dem pro Kopf Verbrauch das Gros der Fischkonsumenten dar (gefolgt von Kanada und den USA) – ihre Grenzen erreicht hat. Zusätzlich beschränken hier die Kontrolle der Küstengewässer sowie die Überwachung von Fangmethoden und Fangmengen die Profite der Fischerei erheblich.

Durch die Erweiterung der Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen in den 1980er Jahren standen die Gewässer vor den afrikanischen Küsten nicht mehr ohne weiteres als billige Alternative zur Verfügung. Allerdings ließ der damalige UN-Beschluss die Tür zu den Fischreichtümern der Welt für die Fischfangflotten der Industriestaaten weit offen, indem festgelegt wurde, dass die Zone zwischen 12 und 200 Seemeilen zur wirtschaftlichen Nutzung ausgeschrieben werden muss, wenn die Staaten selbst diese nicht abfischen können. Aber welches Entwicklungsland hatte damals hochseefähige Fischkutter? In Westafrika war das nur Ghana.

Also boten europäische Länder mit ihren Fangflotten vielen afrikanischen Ländern Fischereiabkommen an. Es wurde Kompensation vereinbart – basierend auf einer Begrenzung der Anzahl von Trawlern, aber ohne Nennung von Quoten. Gleichzeitig wurde in Europa der Bau von neuen, größeren Trawlern subventioniert. Nur Ghana weigerte sich, ein solches Abkommen zu unterschreiben.

Meist ging es in den letzten Jahren nur um die Folgen der Fischereiabkommen auf das ökologische Gleichgewicht und die Lebensbedingungen der Kleinfischer. Mauretanien, Senegal, Guinea – um nur die Länder mit den höchsten Kompensationen zu benennen – hatten ihre Küsten den europäischen Trawlern zum Abfischen geöffnet und dafür einen finanziellen Ausgleich bekommen. Die Kleinfischer und die gerade entstandene kleine industrielle Fischerei in diesen Ländern haben von diesen Geldern nichts gesehen.

In den neuen, nun »Fischereipartnerschaftsabkommen« genannten Verträgen wird zumeist festgeschrieben, dass ein Teil der Mittel zur Unterstützung der Kleinfischer verwendet werden soll. Dabei geht es aber meist darum, ihnen technische Hilfe zu leisten, damit sie ihren Fang der industriellen Fischerei und damit dem Export – sprich dem europäischen Bedarf – zuführen können. Besonders in Mauretanien wird das durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Nicht einmal die EU-Kommission behauptet, dass diese Abkommen auf wirklich unabhängigen Untersuchungen über die Situation der Bestände beruhen, obwohl sie sich durch Ruhezeiten, Vorgaben bei den Fangtechniken und Zulassung von Kontrolleuren auf den Trawlern der Problematik bewusst ist. Entsprechend haben die Abkommen zu einem großen Rückgang der Meeresressourcen geführt. Wie in Somalia nicht nur bei dem Fisch, der für die europäischen Märkte interessant ist, sondern eben auch bei den küstennahen Beständen, die früher den lokalen Bedarf gedeckt haben.

Wie Ghana um seine Reichtümer gebracht wurde

Ghana ist ein Beispiel dafür, wie sehr ein Land ohne Abkommen genauso um seine Bestände gebracht werden kann und dann noch nicht einmal einen kleinen Sold dafür erhält. Ghana war vor der Erweiterung der 12 Meilen Zone Westafrikas Fischereination Nr.1. Ghana fischte überall in Westafrika. Vom einstigen Stolz der 140 Fischtrawler, die nach der Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion an Ghana geliefert wurden, sind noch 45 geblieben. Davon sind höchstens noch 20 Thunfischboote wirklich in ghanaischem Besitz. Ghana wurde systematisch um seine Reichtümer gebracht:

Durch die Erweiterung der Hoheitsgewässer durften die ghanaischen Fischer nicht mehr wie früher in den Nachbargewässern fischen, da die Fischereirechte in diesen an Europa verkauft wurden.

Die Weltbank zwang Ghana zum Verkauf, zu Privatisierung und zum Abwracken der staatlichen Flotte. Im Rahmen seiner Entschuldung musste Ghana ausländischen Investoren den Zugang zur Fischerei gewähren. Immerhin musste es nur bis zu 49% seiner Besitzanteile an den Fischerbooten abgeben. In der ghanaischen Hauptstadt Accra ist es aber kein Geheimnis, dass auch die restlichen 51% überwiegend koreanische und chinesische Besitzer haben, die sich ghanaischer »Strohpuppen« bedienen.

Die küstenfernen Fischschwärme werden illegal von europäischen Trawlern, die aus ihren legalen Nachbarpositionen in die Gewässer eindringen, abgefischt. Das führt dazu, dass die ghanaischen Kutter mit koreanischen oder chinesischen Mannschaften in die für die Kleinfischer reservierten küstennahen Zonen eindringen. Mit illegalen Fangtechniken zerstören sie die Bestände und den Jungfisch sowie die Netze der Kleinfischer.

Die Existenzgrundlagen der Kleinfischer werden so vernichtet. Hinzu kommt, dass aus den Fischtrawlern der minderwertige Beifang in Eisblöcken angelandet und billig auf den Markt geworfen wird, so dass er die Preise kaputt macht, die die Kleinfischer für ihre geringen Mengen an Frischfisch bisher erzielen konnten.

Illegal in Küstennähe fischende ausländische Fischerboote, die Netze zerstören, in Kollisionen oder sogar tödliche Unfälle verwickelt sind, werden nur selten zur Rechenschaft gezogen. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht einer Menschenrechtsorganisation in Johannesburg wird detailliert beschrieben, dass der gesamte Fischereisektor Afrikas durchsetzt ist mit Korruption, Begünstigung und mafiösen Strukturen, die von europäischen und asiatischen Unternehmen genutzt werden, um sich den letzten Fang zu sichern.

Rebellion im Nigerdelta

Die großen Mangrovenwälder vor Nigerias Küste sind die Laichgründe für die meisten Fischarten im Golf von Guinea. Sie boten jahrhundertelang den Küstenbewohnern eine ausreichende und sichere Nahrungsgrundlage. Nigerias Gewässer blieben auch nach der Erweiterung der Hoheitsgewässer mangels ausreichender Fischvorkommen für die EU uninteressant für ein Fischereiabkommen. In Nigeria ist man an anderen Vorkommen interessiert, die allerdings viel gefährlicher geworden sind für die nigerianischen Küstenbewohner.

Die Erdölvorkommen sind zum weltweit bekannten Fluch einer Region rund um das Nigerdelta geworden. Von Anbeginn wurden die Küstenbewohner von ausländischen Investoren und den von ihnen geförderten korrupten nigerianischen Eliten vom Reichtum ausgeschlossen. Selbst einfache Arbeitsplätze wurden der Küstenbevölkerung nicht angeboten. Stattdessen wurden große Teile des Landes ökologisch verseucht, die küstennahe See verschmutzt und die gesamte soziale und kulturelle Lebenswelt zerstört.

Chibuike Rotimi Amaechi, Gouverneur des River State, klagt in einem Interview, dass die Manager der Ölfirmen ihre ausländischen Freunde auf die leitenden Positionen setzen, die nun „in teuren Wohnanlagen mit modernen Klimaanlagen, Tennisplätzen und Schwimmbädern hinter Stacheldrahtzäunen und bewacht von schwer bewaffneten

Widerstand gegen Plünderung

Zum ersten organisierten Widerstand gegen die weitere legalisierte Plünderung seiner Gewässer hatte im Jahre 2005 das Angebot der EU für einen neuen Vertrag mit Senegal geführt. Die EU bot einen Vertrag mit reduzierter Kompensation an, mit der zynischen Begründung, die Fischgründe wären nicht mehr so ergiebig wie früher. Dies brachte nicht nur die Kleinfischer in Rage. Nachdem sich 15 Jahre lang die europäischen Trawler billig am Fischbestand Senegals bedient hatten, empfand es auch die ansonsten neo-liberal agierende Regierung von Präsident Wade als Provokation, dass die durch diesen Raub und die Überfischung verursachte Verringerung der Fischbestände nun als Begründung für die Reduzierung der Zahlungen benutzt wurde. Bis heute hat Senegal kein neues Abkommen unterschrieben. Ob das Land und vor allem die Kleinfischer damit besser fahren, ist aber – das zeigt das Beispiel Ghana – nicht ausgemacht. Kommt hinzu, dass die Vergabe von Einzellizenzen an private Fischereiflotten noch undurchsichtiger ist. Jedenfalls findet man im Hafen von Dakar nach wie vor modernste Trawler unter spanischer Flagge, was eigentlich nicht mehr sein darf, weil nur noch Fischerboote mit senegalesischer Flagge in Senegals Gewässern fischen dürfen.

Vom Fischer zum Flüchtling…

Wie lange werden sich Kleinfischer das noch gefallen lassen? Noch vor kurzem war für viele jugendliche Kleinfischer Westafrikas die Migration über das offene Meer ein Ausweg aus ihrer verzweifelten Situation. Aber auch hier beweist Europa, ähnlich wie in Somalia, wie effektiv es seine Interessen zu schützen weiß. Die »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen«, kurz FRONTEX, sorgte mit modernster Technologie für einen deutlichen Rückgang der Flüchtlinge, die sich Richtung Kanarischer Inseln auf den Weg machen. Offiziell nur außerhalb der Hoheitsgewässer Afrikas tätig, spürt sie den kleinen überfüllten Booten nach, schickt sie zurück oder bringt sie zur Abschiebung der Bootsflüchtlinge kurz ans Festland. Sie bildet die Polizei in Senegal und Mauretanien in der Bekämpfung von Fluchtversuchen und Schlepperringen aus. Kleinfischer berichten, dass die Agentur – ohne rechtliche Grundlage – auch an afrikanischen Küstenabschnitten aktiv ist und Fischerboote zerstört, wenn sie annimmt, dass diese zur Flucht verwendet werden sollen. Die Familien der Kleinfischer sind verzweifelt. Eine ältere Fischerfrau aus Kayar/Senegal brachte es gegenüber einer Delegation des Evangelischen Entwicklungsdienstes im September 2008 auf den Punkt: „Erst raubt ihr unseren Fisch, dann schickt ihr unsere Kinder zurück, für die wir alle zusammengelegt haben, damit sie bei euch arbeiten und uns unterstützen. Wovon sollen wir nun leben?“

Dao Gaye, der Vorsitzende des senegalesischen Fischereiverbandes, kritisiert: „Ihr habt Geld, eine Armada gegen Piraten in Ostafrika loszuschicken, und Milliarden, um Euch unsere Jugendlichen vom Hals zu schaffen. Wenn wir Euch aber bitten, effektiv gegen Eure eigenen Fischpiraten in unseren Gewässern vorzugehen, dann entdeckt Ihr auf einmal unsere Souveränität, schenkt unserer Marine zwei abgewrackte Schnellboote, mit denen wir uns selber um Eure Kriminellen kümmern sollen. Das ist blanker Zynismus und es gibt nicht wenige, die hinüber nach Nigeria schauen, wie dort auch ehemalige Fischer am Nigerdelta sich durch Lösegelder Entschädigung dafür holen, was die Ölverschmutzung vor ihren Gewässern und in ihren Dörfern angerichtet haben.“

… oder in den Drogenhandel

Dass sie auch ganz schnell und anders als mit sicherheitstechnischen und militärischen Mitteln handeln kann, demonstrierte die EU in Guinea Bissau. Dort sieht das Fischereiabkommen vor, dass 30% der Mittel genutzt werden, um die Kleinfischer zu unterstützen. Die EU-Delegation vor Ort überwacht die Regierung, damit das Geld wirklich dort ankommt. Sie fordert die Kleinfischerverbände und Vertreter der Zivilgesellschaft an den Tisch. Warum das Alles? Nun, die Kleinfischer haben angefangen, die kolumbianische Drogenmafia dabei zu unterstützen, ihre mit Flugzeugen und Booten angelandeten Drogen von den vielen Inseln an Land zu bringen, von wo aus sie auf den Weg nach Europa gebracht werden. Der Streit in der Armee um die Verteilung dieser Gewinne aus dem Drogengeschäft soll auch der Hintergrund für den Putsch und die Ermordung von Präsident Viera im Februar 2009 sein. Nicht wenige Kleinfischer an Afrikas Küsten hoffen auf kolumbianische Emissäre. In Guinea/Conakry, wo vor wenigen Wochen ebenfalls geputscht wurde und die EU ein Fischereiabkommen wegen nicht mehr ausreichender Fischgründe hinauszögert, konnten sich die ausländischen Gäste eines Kongresses der westafrikanischen Kleinfischerverbände persönlich am Flughafen überzeugen, dass die südamerikanischen Gesandten schon auf dem Weg in das Land sind.

… oder in die Piraterie

Vor Somalia wurden die Fischbestände in einem solchen Ausmaß überfischt, dass die Lebensgrundlagen der somalischen Fischer vernichtet wurden. Die UN schätzen den jährlichen Marktwert des Fischfangs, der in somalischen Hoheitsgewässern kostenlos abgefischt wird, auf ca. 300 Millionen US-Dollar. Diesem gesellschaftlichen Verlust an Einnahmen standen in 2008 ca. 120 Millionen US-Dollar Einnahmen in Form von Lösegeldern für gekaperte Schiffe gegenüber. Clive Schofield vom Australian National Centre for Ocean Resources and Security und Autor einer Studie über die Plünderung der somalischen Fischbestände hat ausgerechnet, dass die fremden Fangflotten erheblich mehr Protein aus Somalias Gewässern entnommen haben als die Welt den Menschen in Somalia in Form von humanitärer Hilfe zur Verfügung gestellt hat. Es sei schon „ausgesprochen ironisch“, so Schofield in der ZEIT am 27.11.08, „dass viele der Nationen, deren Kriegsschiffe derzeit am Horn von Afrika patrouillieren oder auf dem Weg dorthin sind, unmittelbar mit den Fischereiflotten verbunden sind, die geschäftig Somalias Meeresschätze plündern“.3

Die ökologischen Folgen der Überfischung durch Trawlerflotten sind ebenso katastrophal wie die wirtschaftlichen und sozialen. Der Thunfischbestand wird unwiederbringlich zerstört, da die Laichzeiten vor Somalias Küsten selbstredend nicht respektiert werden. Die Tsunami Katastrophe 2005 brachte eine weitere Folge der Rechtlosigkeit in somalischen Gewässern buchstäblich aus den Tiefen hervor. Seit den 1990er Jahren, als das Regime Siad Barrés in Somalia kollabierte, haben wohl vor allem italienische Schiffe Chemieabfälle und auch zumindest schwach radioaktiven Müll vor Somalias Küste verklappt. Der Tsunami spülte Hunderte von Fässern an die Küste. Der nun so aufgeregten Weltpresse waren die damaligen Warnungen der Weltgesundheitsorganisation vor einer Gesundheitskatastrophe mit bisher mindestens dreihundert nachweislich an den Vergiftungen gestorbenen KüstenbewohnerInnen nur wenige Zeilen Wert. Schlimmer noch, auch die EU weigert sich, die nachweislich aus Europa stammenden toxischen Abfälle zu untersuchen und auf eigene Kosten fachgerecht zu entsorgen. Inwieweit die restlichen Fischbestände betroffen sind, wurde bisher nicht untersucht.

Wie überall führen nun auch die somalischen Kleinfischer direkt vor ihren Küsten einen aussichtslosen Kampf gegen ausländische Fischerboote in den für sie reservierten 6 bis 12 Meilen Zonen. Die Trawler finden nämlich nun nicht mehr genügend Fang außerhalb dieser Zonen und rauben mit besonders brutalen Methoden, wie dem Grundfischen, die letzten Fischgründe aus. Mit dem Eindringen der ausländischen Fischtrawler in die küstennahen Gewässer hat auch in Somalia der Kampf um das Überleben der Küstenfischer und der Kampf zum Schutz der eigenen Küste begonnen, den wir nun Piraterie nennen. Vorher aber hat die internationale Staatengemeinschaft nichts gegen die rechtswidrigen Fischfangmethoden der Trawlerflotten unternommen, die die Lebensgrundlage der Küstenfischer zerstörten. Im Gegenteil: durch EU-Subventionen in der Fischerei wurde es sogar noch gefördert, dass die Eigentümer der Trawler ihre riesigen Überkapazitäten durch die Weltmeere ziehen und wo immer möglich die Schiffsbäuche für den rasant ansteigen Fischkonsum in Europa füllen ließen.

Die somalischen Küstenfischer, die sich in Gruppen wie der »Küstenwache« organisierten, wollten wenigsten einen Teil der Gewinne aus dem gestohlenen Fisch in die Fischerdörfer lenken – durch das Kapern und »Besteuern« der Trawler. Der Erfolg ihrer Aktionen lockte finanzstarke Warlords im regierungslosen Somalia an. Deren Milizen sind es, die die schweren Waffen besorgten, deren Hintermänner sind es, die die internationalen Finanztransfers regeln. Neue maritime und militärische Technologie (Schnellboote und moderne Waffensysteme) gekoppelt mit den nautischen Kenntnissen der Fischer ermöglichten es, immer weiter in den Golf von Aden einzudringen und Erlöse zu erzielen, von denen die Kleinfischer für ihre früheren Fangaktivitäten nur träumen konnten.

Es kam der EU, der NATO und auch den neuen maritimen Weltmächten, der VR China und Indien, nie in den Sinn, ihre eigenen »Fischpiraten« vor der somalischen Küste zu bekämpfen. Im Gegenteil, ihre Häfen – etwa in Europa Las Palmas (Kanarische Inseln) – dienen als Geldwaschanlagen dieser räuberischen Fischerei. Jetzt patrouillieren alle gemeinsam auf der Jagd nach den Piraten und sichern, wie Berichte der französischen Marine zeigen, genau diese illegale Fischereipraxis militärisch ab. Denn die Fischpiraten werden zwar, wie schon von der im Rahmen von »Enduring Freedom« durchgeführten Marineoperation am Horn von Afrika gegen den internationalen Terrorismus, gelegentlich angehalten, wenn Verdacht besteht, sie könnten Waffen an Bord haben. Haben sie nur geraubten Fisch an Bord, lässt man die Schiffe unbehelligt weiter ziehen. Die gleiche Verhaltensregel gilt nun auch für die NATO-Aktion »Atalanta«.

Europäische Fischpiraten werden vor somalischen Kriminellen geschützt. Es ist kaum zu erwarten, dass die EU/NATO dafür an der Küste viel Verständnis findet. Wie unzählige Male schon seit dem Sturz der Regierung vor 18 Jahren werden den Menschen an den Küsten zwar entwicklungspolitische Programme für einen Ausstieg aus der Piraterie angeboten. Doch rasches Handeln sehen sie nur dann, wenn es um den Schutz der Interessen der Industrieländer geht.

Sicherheitsdiensten im Luxus leben“. Seit Jahren kämpfen sowohl zivilgesellschaftliche als auch staatliche Akteure gegen Korruption und Machtmissbrauch und haben in letzter Zeit einige Erfolge verbuchen können. So wurden mehrere Gouverneure von Bundesstaaten im letzten Jahr ihres Amtes enthoben, nachdem Gerichte ihnen Wahlbetrug nachgewiesen hatten. Trotzdem prangert Amaechi die Ungerechtigkeit an, die der Ölreichtum des Landes den Menschen in Nigeria gebracht hat: „Seit das Wettrennen auf das nigerianische Öl in den 1950er Jahren begonnen hat“, so Amaechi, „wurden Hunderte Millionen Dollar verschwendet, durch Misswirtschaft vergeudet, wurde der Reichtum des Landes von korrupten Behörden und Politikern ausgeplündert. Während diese korrupten Eliten das Leben in ihren teuren Villen in vollen Zügen genießen, leben die Menschen in den Dörfern wie Ogboinbiro, einem Fischerdorf in Nigerias südwestlicher Ecke, in Lehmhütten unter steinzeitlichen Bedingungen“.

Erst kämpften Rebellengruppen wie die MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) für eine Beteiligung der Bevölkerung an den Gewinnen aus dem Ölgeschäft und entführten dafür Mitarbeiter ausländischer Ölgesellschaften. Danach verlegte man sich auf das Ausrauben von Schiffen, die Nachschub für die Ölindustrie bringen. Mit moderner Bewaffnung – aus den Rauberlösen finanziert – werden heute gleich ganze Schiffe gekapert und Lösegelder erpresst. In den schwierigen Gewässern am Nigerdelta und den undurchsichtigen Mangrovenwäldern sind natürlich die Kenntnisse der Kleinfischer gefragt. Es darf aber bezweifelt werden, dass die Bevölkerung aus den Einnahmen dieses modernen Geschäftsbereichs einen Nutzen hat.

Die Ölgesellschaften reagieren mit der Aufrüstung der Sicherheitskräfte auf ihren Schiffen und Ölplattformen und machen es den geschäftsmäßig agierenden Piraten immer schwieriger. Diese gehen jetzt dazu über, nigerianische Fischkutter zu kapern. Deren Ausrüstung und Bargeld wird geraubt oder gar ganze Boote entführt. Das hatte bereits in Lagos einen Mangel an Frischfisch zur Folge, den die Regierung durch Importe auszugleichen versucht. Zusätzlich rüstet nun auch die Küstenwache auf, um diese »Binnenpiraterie« zu beenden. Wer Nigeria und seine fragile innenpolitische Situation kennt, weiß um die Explosivität dieser Situation. Dass es noch nicht zu massiven Gewalteskalationen gekommen ist, liegt vor allem daran, dass die nigerianische Regierung im Nigerdelta bisher nicht sehr effektiv vorgeht. Sie hält sich offensichtlich zurück, solange die Ölexporte nicht wirklich gefährdet werden.

Anmerkungen

1) http://www.stern.de/panorama/:Piraten-Somalia-Frueher-Fischer/647843.html

2) http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7623329.stm

3) Andrea Böhm und Heinrich Wefing: Wer ist hier der Pirat? in DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49 http://www.zeit.de/2008/49/Piraten (eingesehen am 29.12.2008).

Francisco Mari ist Experte für Landwirtschaft, Agrarexport und Fischerei. Er unterstützt Kleinbauern und Kleinfischer in Westafrika, sich zum Schutz ihrer Lebensgrundlagen und Durchsetzung ihrer Interessen zu organisieren. Er ist Mitarbeiter des Referats Entwicklungspolitik des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED). Dr. Wolfgang Heinrich verfolgt seit über 25 Jahren die politischen Entwicklungen am Horn von Afrika. Er ist im Referat Entwicklungspolitik des EED zuständig für Fragen der zivilen Konfliktbearbeitung und entwicklungspolitischen Friedensarbeit.

Ressourcenkonflikte in Afrika

Ressourcenkonflikte in Afrika

von Jürgen Oßenbrügge

Die Ressourcenabhängigkeit afrikanischer Staaten wird im entwicklungspolitischen Diskurs als Auslöser verschiedener wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme angesehen. Ressourcenprobleme entladen sich häufig auch in militanten Auseinandersetzungen, Bürgerkriegen und Dauerkonflikten mit internationaler Beteiligung. Dabei können sowohl Ressourcenverknappungen als auch die Ausbeutungsformen ressourcenreicher Regionen den Ausschlag geben.

Der immer wieder aufflammende Krieg im östlichen Kongo ist als afrikanischer Weltkrieg um Rohstoffe bezeichnet worden, das Nigerdelta ist ein Prototyp für Krieg um Öl, der Darfurkonflikt gilt als erster Klimakrieg, die Bezeichnung Blutdiamanten spricht für sich selbst. Es ist nahe liegend, das Krisen- und Konfliktgeschehen in Afrika als Ausgangspunkt für Überlegungen darüber zu wählen, in welchen Formen Ressourcen als Ausgangspunkt für konflikthafte Zuspitzungen und gewaltförmige Auseinandersetzungen anzusehen sind. Dieses soll hier in zwei Schritten erfolgen. Zunächst wird auf das Argument des »Ressourcenfluchs« eingegangen. Hierzu besteht eine breite Forschung, deren Ergebnisse am Beispiel der weltwirtschaftlichen Integration der Kriege im Kongobecken dargestellt werden. Danach werden Konflikttypen präsentiert, die auf Verknappungsphänomene zurückgeführt werden können. Hier werden Beispiele aus Kenia verwendet.

Der Ressourcenfluch als Konfliktursache

Die heutige Debatte über »schwache Staaten« beruht im afrikanischen Kontext häufig auf einem Faktorenkomplex, der mit der Bezeichnung »Ressourcenfluch« die scheinbar paradoxe Wirkung eines natürlichen Reichtums betont. Die Argumentationskette kann vereinfacht folgendermaßen zusammengefasst werden: Ressourcenreiche Staaten realisieren durch den Export des Rohöls oder der Mineralien hohe Renten. Diese werten die einheimische Währung auf, wodurch sich einerseits Exporte der weiterverarbeitenden Güter verteuern, andererseits Importe billiger werden. Beide Wirkungen befördern die monostrukturelle Abhängigkeit von Primärgütern und erhöhen die Anfälligkeit von Preisschwanken für Rohstoffe. Weiterhin etablieren sich Bereicherungsnetzwerke, die sich die Renten überproportional aneignen und entsprechende politische Macht ausüben. Diese Verteilungsmuster führen zu ausgeprägten gesellschaftlichen Polarisierungen und behindern die Ausbildung einer starken Staatlichkeit und damit Möglichkeiten, die partikulare Rentenaneignung zu unterbinden. Folglich sind ressourcenreiche Staaten in Afrika fragil und latent gewaltsamen Konflikten ausgesetzt (Kappel 1999, Auty 2004, Bulte u.a. 2005).

Politische Geographie des Ressourcenfluchs

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ressourcenreichtum politische Verwerfungen und gewaltsame Konflikte auslöst oder zumindest beschleunigt, wird durch weitere geographische Faktoren verstärkt. Eine interessante Typologie hat beispielsweise Le Billon (2004) vorgelegt, der zwischen der Art der Lagerstätten und regionalen geopolitischen Ausstattungsmerkmalen unterscheidet. In Hinblick auf Lagerstätten sieht er eine wesentliche Differenzierung, ob es sich um sogenannte »point resources« handelt, d.h. Lagerstätten, die von einem oder wenigen Standorten mit hohem Kapitalaufwand erschlossen werden müssen. Dieses ist beispielsweise bei der Mineralölförderung oder großen Erzlagerstätten der Fall. Solche Ressourcenextraktion kann staatlicherseits vergleichsweise leicht kontrolliert werden. Eine Übernahme durch gegnerische Parteien setzt die territoriale Kontrolle der Lagerstätten voraus und ist daher verbunden mit Bestrebungen zur Sezession, wie es beispielsweise in Nigeria, im Sudan oder in Angola mit unterschiedlichen Ergebnissen versucht worden ist. Die zweite Kategorie bilden die sogenannten »diffuse resources«, also Rohstoffe, die vergleichsweise großflächig verteilt sind und daher leicht extrahiert werden können. Dazu gehören hochwertige Mineralien, aber auch wertvolle Holzbestände oder der Anbau pflanzlicher Drogen. Um die Ausbeutung derartiger Ressourcenbestände haben sich besonders im Kongo, aber auch in westafrikanischen Konfliktgebieten lokale Kriegsökonomien entwickelt, in denen sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit ressourcenbezogenen Geschäftsinteressen vermischen. Besonders alluviale Fundorte für Gold und Diamanten, aber auch Coltan und Zinnstein sind häufig auch Standorte von lokalen und regionalen »Warlords« mit ihren Söldnern, die über schattenökonomische Netzwerke an die Weltwirtschaft angeschlossen sind und auf diese Weise ihr Kriegsgeschäft finanzieren.

Neben der Art der Lagerstätten ist auch die Frage entscheidend, ob der Staat sein Gewaltmonopol territorial durchsetzen kann. Im afrikanischen Kontext ist die innerstaatliche Geopolitik fragmentiert. Schwer zugängliche Gebiete, poröse Grenzen, aber auch große Distanzen, die Erreichbarkeitsbarrieren darstellen, geben den Raum für die Entfaltung gewaltbereiter Gruppen. Während die Förderstandorte von Öl noch vergleichsweise leicht zu kontrollieren sind, können beim Transport zu den Exportterminals wie in Nigeria Zugriffe erfolgen. Flüsse, Berge, Urwälder sowie die Möglichkeiten der Distanzüberwindung (Verkehrsinfrastruktur) bilden einen wesentlichen Faktorenkomplex, der erklären hilft, warum, wo und in welcher Intensität und Dauer Konflikte um die Extraktion und den Transport von Ressourcen auftreten.

Ressourcenfluch: Konflikte um Mineralien in der Demokratischen Republik Kongo

Ressourcenbezogene Konflikte haben in der DR Kongo eine lange und sehr gewalttätige Tradition. Diese begann mit der brutalen Ausbeutung der Rohstoffe durch den belgischen König Leopold II (v.a. Kautschuk und Elfenbein). Sie setzte sich im 20. Jahrhundert als belgische Staatskolonie und während der Unabhängigkeit Kongos (Zaire) in der Kleptokratie Mobutus fort. Internationale Verflechtungen der Rohstoffwirtschaft spielen auch in den jüngeren Konflikten eine Rolle, die im Zuge der Flüchtlingsbewegungen aus Ruanda und dem Aufstand gegen Mobutu Mitte der 90er Jahre ausgebrochen sind. Eine ergiebige Informationsquelle zur Aufdeckung dieser Bereicherungsnetzwerke jenseits gewalttätiger Warlords und lokaler Milizen stellt das »Panel of Experts on the illegal exploitation of the natural resources and other forms of wealth of the Democratic Republic of Congo« dar (Oßenbrügge 2007). Diese Expertengruppe ist von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 eingesetzt worden und hat bis Ende 2003 die weltwirtschaftlichen Beziehungen der Kriegsökonomien in Zentralafrika untersucht. Sie hat aufgezeigt, dass die Ausbeutung von Diamanten, Gold, Coltan, Zinnstein und Kupfer mit ihren gewalttätigen Begleiterscheinungen im hohen Maße außengesteuert erfolgt, was die Expertengruppe sehr anschaulich an der Produktions- und Wertekette von Coltan aus dem Ostkongo aufzeigt.

Die Coltanvorkommen im östlichen Kongo entsprechen nach der Einteilung von Le Billon dem Typ disperser, staatsferner Ressourcen und sind mit vergleichsweise einfachen Gerätschaften zu heben. Coltan erzielte Anfang 2000 Rekordpreise auf den internationalen Märkten. In dieser Zeit intensivierten sich die ressourcenbezogenen Auseinandersetzungen im östlichen Kongo und besonders Milizen mit Unterstützung aus Ruanda und Uganda begannen im großen Stil die Coltanlager zu plündern bzw. den Abbau zu organisieren. Ein wichtiger Indikator dafür sind die Exportzunahmen aus den Nachbarländern. Sie belegen, dass Coltan aus dem Kongo geschmuggelt und aus den Nachbarländern als legalisierter Rohstoff auf den Weltmarkt gebracht worden ist. Mit dem in Analogie zur Geldwäsche gefassten Begriff »Ressourcenwäsche« lässt sich dieser Zusammenhang beschreiben, denn der grenzüberschreitende Schmuggel und die geringe Kontrolle bzw. die Unterstützung staatlicher Stellen der Nachbarstaaten verleihen den Ressourcen eine Herkunft aus konfliktfreien Staaten und können daher – politisch korrekt – von internationalen Unternehmen weiterverarbeitet werden (vgl. Global Witness 2005; Human Rights Watch 2005).

Vor dem Hintergrund der transnationalen Akteurs- und Produktionsnetze, die Gewaltmärkte prägen, sind Kriegsökonomien als »gewaltsame Knoten in globalen Netzwerken« anzusehen. Denn nur über die »erfolgreiche« Integration der gewaltförmigen Extraktion von Ressourcen ist diese Form der Kriegsökonomie aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt, dass globale Vernetzungen auch Voraussetzungen für Gewaltmärkte sind, indem besonders Kleinwaffen und logistisches Material in die Krisengebiete geliefert werden. Wenn Ressourcen wie Coltan, Gold, Diamanten, Öl etc den Output der Gewaltmärkte bilden, sind Handfeuerwaffen, Landminen, Fahrzeuge und manchmal auch die Kombattanten notwendige Elemente des Input. Die verschlungenen Wege der Ausrüstungsgegenstände in die Konfliktregionen und der nichtformellen Ressourcen in die Weltwirtschaft und die dabei auftretenden Formen der Ressourcenwäsche sind bisher eher unterbelichtete Forschungsfragen. Einige Autoren wie z. B. Carolyn Nordstrom (2004) gehen in ihrer Interpretation afrikanischer Gewaltökonomien soweit, in diesen Netzwerkkonfigurationen ein strukturierendes Moment zukünftiger globaler Veränderungen zu sehen: „Man mag der Meinung sein, dass sich die Internationalisierung am stärksten in den kosmopolitischen Zentren dieser Welt manifestiert. Aber vielleicht sind Mozambique und Angola, Afrika und Asien die Orte, wo die neuen Machtkonstellationen, die die Welt prägen, am deutlichsten sichtbar sind“ (Nordstrom 2004:130f.).

Ressourcenverknappung als Konfliktursache

Neben der These des Ressourcenfluchs wird seit einigen Jahren auch das Argument der Ressourcenverknappung verfolgt. Dabei bilden zwei Überlegungen den Ausgangspunkt für Erklärungen von Ressourcenkriegen. Die erste knüpft an Erscheinungsformen des globalen Wandels an und leitet bestehende und zukünftige Ressourcenkonflikte aus der abnehmenden Verfügbarkeit von Süßwasser, zunehmender Bodendegradation und häufigerem Auftreten von Extremereignissen wie Dürre, Stürmen oder auch Starkregen mit Überschwemmungen ab. Die Forschungsergebnisse von Th. Homer Dixon und G. Baechler haben bereits in den 1990er Jahren auf Folgen derartiger Verknappungen aufmerksam gemacht, die zur gewaltsamen Aneignung verbliebener Ressourcen durch einzelne Gruppen, Clans oder Ethnien führen. Die Szenarien, die dem Klimawandel zugeschrieben werden, ergeben weitere Brennpunkte in Afrika, so beispielsweise in Nordafrika, in der Sahelzone, in flachen Küstenzonen des westlichen Afrikas und im südlichen Afrika mit der Ausweitung der Trockengebiete der Kalahari (WBGU 2007, Scheffran 2008). Das zweite Argument zielt auf das demographische Wachstum ab und verweist auf das Überschreiten der regionalen Tragfähigkeit, die sich in einem Kampf um landwirtschaftlich nutzbares Land, um energetische Rohstoffe oder um den Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln artikuliert. Allerdings ist der Begriff der Tragfähigkeit schwierig und sollte nicht als absolut bestimmbare Größe angesehen werden. Auslöser von Konflikten sind in der Regel umstrittene Verfügungs- und Eigentumsrechte um Wasserressourcen oder um Land. Unabhängig davon sind aus dem Zusammenspiel geo- und bioökologischer Veränderung und dem demographischen Wachstum erhebliche Folgeeffekte für afrikanische Gesellschaften zu erwarten, die das Potential für zukünftige auch gewaltsam ausgetragene Konflikte erhöhen.

Ressourcenverknappung: Konflikte um Land und Wasser in Kenia

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat in einer aktuellen Nachricht vom 2. Februar 2009 gemeldet, dass es im Nordosten Kenias zu zahlreichen gewalttätigen Konflikten besonders zwischen Viehzüchtern wegen der anhaltenden Trockenheit kommt. Die Auseinandersetzungen haben zu zahlreichen Toten, Vertriebenen und Flüchtlingen sowie zu Folgeproblemen der Nahrungsmittelversorgung und medizinischen Hilfe geführt. Derartige Konflikte sind leider nicht neu, sondern wiederkehrendes Moment der Dürregefahren in ariden und semiariden Regionen. Die regionale Vulnerabilität Kenias ist allerdings differenzierter und Möglichkeiten zur Identifizierung besonderer Problemräume lassen sich anschaulich am Vorgehen einer Arbeitsgruppe der Universität Mailand aufzeigen. Sie nutzen das Konfliktmodell von Thomas Homer Dixon (1999), das Konfliktkonstellationen auf drei Ursachen komplex zurückführt: a) Knappheiten durch zunehmende Nachfrage nach Ressourcen, die durch hohes Bevölkerungswachstum hervorgerufen werden; b) Angebotsverknappung durch Veränderungen der geo- und bioökologischen Systeme; c) gesellschaftliche Ungleichheit in Form von Einkommensdisparitäten und Verfügungsrechten.

Das gewählte Vorgehen zur Aufdeckung latenter Regionalkonflikte basiert auf der Integration raumbezogener Daten in einem Geographischen Informationssystem (GIS). Dadurch wird eine kartographische Zusammenschau verschiedener Einzelkarten ermöglicht, die Bodendegradation, Wasserpotential, Entwaldung, Bevölkerungsvariablen sowie Entwicklungsindikatoren abbilden. GIS-Anwendungen erlauben somit eine Annährung an mögliche Konfliktregionen unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenverknappung. Sicherlich ist der Ausbruch eines gewaltsamen Konflikts von weiteren Faktoren abhängig, die sich nicht einfach kartographisch lokalisieren lassen, aber als Werkzeug für die Benennung von Maßnahmen der Konfliktprävention und der Modellierung verschärfender Effekte des Klimawandels sind derartige Systeme hilfreich.

Konfliktursache Kenia: Potentielle Konfliktregion
  Mount Kenya Mount Elgon / Viktoriasee Mombasa Nordgebiete (östlich des Turkanasees Somalisch-äthiopischer Grenzsaum
Nachfrageinduzierte Knappheit
Bevökerungsdichte und -wachstum Hohe Dichte / starkerAnstieg Hohe Dichte / starker Anstieg Hohe Dichte in der Stadtregion Geringe Dichte Geringe Dichte
Angebotsinduzierte Knappheit
Böden Hohe / zunehmende Bodendegradation Hohe / zunehmende Bodendegradation Geringe Degradation Degradation durch Überweidung Degradation durch Überweidung
Wasser Folgeeffekte der Gletscherschmelze Knappheiten Knappheiten Wassermangel Wassermangel
Wald Massive Entwaldung Massive Entwaldung Nicht vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden
Ungleichheit
  Gebiete mit relativer Deprivation Sozialräumliche Ungleichheiten Gebiete mit relativer Deprivation Verbreitete Armut Sozialräumliche Ungleichheiten
Tabelle: Identifikation potentieller Ressourcenkonfliktregionen in Kenia nach Bocchi u.a. 2004

Die in der Tabelle aufgezeigten potentiellen Konfliktregionen Kenias verweisen auf drei mögliche Konflikttypen, die sich in Afrika als Folge von Ressourcenverknappungen ergeben können. Der erste Typ nimmt die eingangs geschilderten gegenwärtigen Gewaltformen auf, die in den Nordregionen Kenias und dem nordöstlichen Grenzsaum zu Somalia zu finden sind. Hier führen geo- und bioökologische Angebotsverknappungen zu Konflikten besonders um den Zugang zu Wasser und Weideflächen. Als Gewaltakteure können hier Gruppen mit gleichen ökologischen Raumansprüchen (Viehzüchter) und konfligierenden Landnutzungsinteressen (Viehzüchter gegen Ackerbauern) auftreten. Derartige Konflikte bilden auch einen wichtigen Hintergrund für den Krieg im Darfur und finden sich in unterschiedlichen Intensitätsstufen in den tropischen und subtropischen Trockenräumen, die durch Dürre- und Desertifikationserscheinungen geprägt sind.

Der zweite Typ veranschaulicht den demographisch-ökologischen Verknappungskonflikt, der durch Bevölkerungswachstum (Kombination aus natürlichem Bevölkerungswachstum und Zuwanderung) und die Überbeanspruchung bestehender ökologischer Potentiale hervorgerufen wird. Entscheidend ist hier der konkurrierende Zugang zur landwirtschaftlichen Nutzfläche, der Landkonflikte erzeugt. Neben den konfliktträchtigen, allerdings auch abnehmenden Möglichkeiten zur inneren Kolonisation, d.h. die Erweiterung agrarwirtschaftlicher Nutzfläche durch Rodung von Primärwälder, spielen auch Landrechte eine große Rolle, da sie über die Verteilungs- und Zugangsmodi entscheiden. In Kenia bestehen private, staatliche und diverse traditionelle Landrechte nebeneinander, auf die sich Akteure im Konfliktfall berufen und gewalttätige Aktionen legitimieren. Ähnliches gilt für unterschiedliche ethnisch oder territorial definierte Gemeinschaften, die angestammte Rechte zur Geltung bringen. Derartige demographisch-ökologische Konflikte finden sich nicht nur in Kenia am Berg Elgon, sondern im gesamten zentralafrikanischen Konfliktraum und auch im feuchttropischen Westafrika. In einer beeindruckenden Studie weisen André und Platteau (1998) nach, dass Zugang zu Land auch im Hintergrund des Genozids in Ruanda 1994 eine wichtige Rolle gespielt hat.

Urbane Räume stellen den dritten Typ potentieller Konfliktregionen dar, die von Ressourcenverknappungen massiv betroffen sein können und in denen als Folge massive gewaltförmige Auseinandersetzungen ausbrechen können. Mombasa steht hier stellvertretend für die Proteste und Revolten, die als Folge der Preiserhöhungen und Knappheiten in verschiedenen afrikanischen Städten aufgetreten sind. Sicherlich handelt es sich dabei um vermittelte Konflikte, die nicht linear auf umliegende Ökosysteme zurück bezogen werden können. Jedoch ist die Ressourcenlage für urbane Räume angesichts der rapiden Verstädterung in Afrika und der schnell anwachsenden und sich räumlich ausbreitenden Stadtregionen generell sehr prekär.

Fazit

Die Geschichte der Kolonisierung Afrikas, das Eindringen der Siedler und die koloniale Aufteilung im Zuge der Berliner Konferenz 1884/85 ist gleichzeitig eine Geschichte der Aneignung von Ressourcen durch externe Akteure und Mächte. Gewalttätige Beziehungen bei der Extraktion von Rohstoffen, der territorialen Kontrolle und dem Transport von Rohstoffen und harte Konflikte über die Aneignung und Verteilung der Renten gehören seit Jahrhunderten zur afrikanischen Alltagsrealität. Diese problematischen Strukturen haben sich in der postkolonialen Phase nahezu ungebrochen fortgesetzt und damit von Beginn an die Eliten in den nun formal unabhängigen Staaten kompromittiert und auf struktureller Ebene verhindert, dass sich Formen moderner Staatlichkeit ausbilden konnten. Gegenwärtig erfahren die Ressourcenbestände in Afrika durch das zunehmende Interesse der USA, Europas und neuerdings Chinas an Rohstoff- und Energiesicherung eine geopolitische Neubewertung (Kneissl 2008). Neue Verbindungen von Militär- und Entwicklungspolitik bilden sich aus und artikulieren sich beispielsweise in Forderungen nach robusten Eingriffsrechten von Blauhelmsoldaten, um illegale Ressourcenausbeutungen zu unterbinden oder in der Errichtung eines eigenständigen U.S. Kommandos AFRICOM, um die Präsenz der USA in Afrika zu erhöhen wie in verschiedenen Initiativen der EU, eine aktive Energiesicherheitspolitik zu etablieren. Neben der in diesem Beitrag in den Vordergrund gestellten lokalen und regionalen Ebene besteht demnach ein geopolitischer Diskurs, der auf die Interventionsbereitschaft der Welt- und Großmächte abzielt. Die militärische Option scheint für sie nach wie vor naheliegender zu sein als die Abkehr von ressourcenintensiven Entwicklungsstilen. Dieses steigert sich zu einem schwer erträglichen Zynismus, wenn der im Norden verursachte Klimawandel zur sicherheitspolitisch legitimierten Kontrolle der Ressourcenverknappung im Südens aufruft (vgl. dazu Beiträge im Friedensgutachten 2008, v.a. Brzoska).

Literatur

André, Catharine/Platteau, Jean (1998): Land relations under unbearable stress: Rwanda caught in the Malthusian trap. Journal of Economic Behavior and Organization 34 (1), 1-47.

Auty, Richard M. (2004) Natural Resources and Civil Strife: A Two-Stage Process. Geopolitics 9, 29-49.

Bocchi, Stefano/Disperati, Stefano/Rossi, Simone (2006): Environmental Security: A Geographic Information System Analysis Approach – The Case of Kenya. Environmental Management 37 (2), 186–199.

Brzoska, Michael (2008): Der konfliktträchtige Klimawandel – ein Sicherheitsproblem. Friedensgutachten 2008, 195-207

Bulte, Erwin H./Damania, Richard/Deacon, Robert T. (2005): Resource Intensity, Institutions and Development. World development 33 (7), 1029-1044.

Global Witness (2005): Same Old Story. A background study on natural resources in the Democratic Republic of Congo. Washington D.C.

Homer-Dixon, Thomas (1999): Environment, Scarcity, and Violence. Princeton, NJ.

Human Rights Watch (2005) The Curse of Gold. Democratic Republic of Congo. New York.

Le Billon, Phillip (2004): The Geopolitical Economy of Resource Wars. Geopolitics 9, 1-28.

Kappel, Robert (1999): Wirtschaftsperspektiven Afrikas zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Strukturfaktoren und Informalität. In: ders. (Hrsg.): Afrikas Wirtschaftsperspektiven. Strukturen, Reformen und Tendenzen. Hamburg.

Kneissl, Karin (2008): Die neue Kolonialisierung Afrikas: China, die USA und Europa im Kampf um die Rohstoffe. In: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.) Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen? Münster: LIT, S.177-191.

Nordstrom, Carolyn (2005): Leben mit dem Krieg. Menschen, Gewalt und Geschäfte jenseits der Front. Frankfurt.

Oßenbrügge, Jürgen (2007): Ressourcenkonflikte ohne Ende?. Zur Politischen Ökonomie afrikanischer Gewaltökonomien. Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 51, 150-162.

Scheffran, Jürgen (2008): Climate Change and Security. Bulletin of the Atomic Scientists 64, 19-25.

WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung – Globale Umweltveränderungen) (2007): Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel. Berlin.

Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge lehrt Wirtschaftsgeographie und Politische Ökologie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkten zur Stadt- und Konfliktforschung europäischer und afrikanischer Regionen.

Hunderttausende auf der Flucht

Hunderttausende auf der Flucht

Hintergründe der Flüchtlingsströme im Tschad

von Martin Zint

Politisch gehört der Tschad zu Westafrika, geographisch liegt er im Herzen Afrikas und seine von den Kolonialherren gezogenen Grenzen zum ostafrikanischen Sudan und zur Zentralafrikanischen Republik scheinen nur auf Landkarten zu existieren. Die dort lebenden Menschen nehmen sie kaum wahr. Bewaffnete Gruppen überschreiten sie regelmäßig in jede Richtung. Zuletzt am 29. Januar 2008 als sich im Sudan ca. 3.000 Aufständische mit über 200 Pickups auf den Weg nach N'Djaména, der Hauptstadt des Tschad, machten, um den tschadischen Präsidenten Idriss Déby zu stürzen. Die folgenden Kämpfe kosteten mehrere hundert Menschenleben, verursachten enorme Sachschäden und endeten am 3. Februar 2008, so sagen die angreifenden Aufständischen, mit dem „Sieg der französischen Truppen“. Der despotische Präsident Déby ist weiter im Amt.

„Wenn Elefanten kämpfen, dann leidet das Gras“

afrikanisches Sprichwort

Auch Déby war 1990 mit seinen Kämpfern aus dem Sudan gekommen und hatte mit Waffengewalt die Macht über den Tschad erobert. Seitdem hält er sie fest, gegen alle inneren und äußeren Widerstände. Mehr noch, er weitet seine Macht ständig aus. Zielstrebig betrieb er die Ausbeutung der nicht unbedeutenden Ölvorkommen des Tschad. Nachdem die Franzosen an der Förderung nicht interessiert schienen, bewog Déby ein Konsortium aus zwei US-amerikanischen und einer malaysischen Firma (ExxonMobil, Chevron, Petronas) vier Milliarden US Dollar zu investieren. Seit 2003 fließt Öl durch die erste Pipeline aus Zentralafrika an die den USA zugewandte Westküste Afrikas. Trotz skandalös niedriger Lizenzgebühren spülte der hohe Ölpreis im Jahr 2007 über eine Milliarde US-Dollar in die von Déby kontrollierte Staatskasse. Schon von der ersten Zahlung des Konsortiums bei Baubeginn hatte der ehemalige Hubschrauberpilot seiner Armee drei Kampfhubschrauber spendiert. Deren Wracks rosten bereits seit langem im Wüstensand. Aber Dank der Petrodollar konnten weitere Flugzeuge und andere Waffen gekauft werden. Um das Ölgeld geht es letztlich auch bei den aktuellen Angriffen auf die Regierung Déby. Politische Forderungen der Aufständischen über die Abtretung von Macht hinaus sind nicht bekannt.

Parallel zur Ölförderung versuchte Déby auch die regionale Vorherrschaft zu erringen. Im März 2003 gelang es seinem Freund Francois Boizizé durch einen Putsch die Macht in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik zu erringen. Die Vorbereitung dieses Putsches geschah in aller Ruhe auf tschadischem Territorium, von wo aus der Angriff dann auch gestartet wurde.

Auch der Nachbar im Osten sah sich mit Störmanövern aus dem Tschad konfrontiert. Idriss Déby gehört zur Volksgruppe der Zaghawa, die auf beiden Seite der Grenze Tschad/Sudan siedelt. Eine Miliz aus Angehörigen dieser Gruppe im Sudan versucht seit einigen Jahren die Unabhängigkeit des Darfur von Khartum zu erkämpfen. Der Präsident des Sudan, Ahmad al Bashir, vermutet, dass Déby seine Verwandtschaft kräftig unterstützt. Das entzweite die ehemals guten Freunde. Al Bashir nutzte bestehende Animositäten zwischen den Bevölkerungsgruppen der Region, um die ihm feindlich gesonnenen Milizen zu bekämpfen und gleich auch noch den Tschad zu destabilisieren. Von der Zentralregierung Sudans unterstützte Reitermilizen wüteten grausam unter der Zivilbevölkerung. Seit 2003 sind im Darfur 250.000 Menschen gestorben, über zwei Millionen Menschen mussten fliehen. Die Zahlen sind gigantisch, vor allem wenn man sie in Relation setzt zu der geringen Bevölkerungsdichte in der Region am Übergang von Wüste zur Savanne.

Die Lage im Osten des Tschad

Wer ins Nachbarland Tschad floh, etwa 240.000 Menschen bisher, kam vom Regen in die Traufe. Auch dort marodieren wilde Haufen Bewaffneter, die keinen Deut besser sind als die, vor denen die Menschen geflohen sind. Über die Region schreibt die hier tätige Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz): „…die natürlichen Ressourcen (sind nur) begrenzt verfügbar und teilweise erschöpft, es fehlt an Straßen, Schulen, Krankenstationen, Märkten, Wasserversorgung und anderer Infrastruktur. Der Staat trägt mit seinen Leistungen wenig zur Daseinsfürsorge bei. Die verarmte Bevölkerung selbst ist nur bedingt fähig, den sozialen und ökonomischen Wandel mit zu gestalten, geschweige denn aktiv und selbstbestimmt zu planen, zu organisieren oder gar zu finanzieren.“

Der Tschad ist ein Binnenland ohne nennenswerte Infrastruktur, wenn man mal von zwei Mobilfunknetzen absieht. Nicht einmal 1.000 Kilometer Asphaltstraße erschließen ein Staatsgebiet, das dreieinhalb Mal so groß ist wie Deutschland. Das macht die Versorgung der Flüchtlinge sehr schwierig, zumal die meisten im schwer zugänglichen Osten des Landes leben. Zu Beginn des Flüchtlingsdramas gab es Überlegungen, die Lager in anderen, besser erschlossenen Regionen anzulegen. Dieses Dilemma im Umgang mit Flüchtlingen ist bekannt. Man muss sie zunächst dort versorgen, wo sie gerade sind. Aber das birgt die Tendenz, sie dort festzuhalten, wo ihr langfristiger Aufenthalt schwierig ist. Außerdem wehren sich die Flüchtlinge gegen Maßnahmen, von denen sie meinen, sie würden ihren dauerhaften Aufenthalt vorbereiten. Als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in einem Lager Bäume pflanzen wollten, wurden sie schon 2003 von den Flüchtlingen mit Steinen beworfen und vertrieben. An Umzug ist da nicht zu denken.

Ein Großteil der Versorgung erfolgt auf dem Luftweg, in der dreimonatigen Regenzeit ist das der ausschließliche Weg zu den Lagern. Nach eigenen Angaben wurden 2007 durch die United Nations Humanitarian Air Service (UNHAS) 26.352 Passagiere für über 70 humanitäre Organisationen transportiert. 1.500 ausländische Helfer kümmern sich um die Flüchtlinge allein im Osten des Tschad. Nur wenige Organisationen setzen einheimisches Personal ein. Die katholischen Hilfsorganisationen versuchen das, denn sie verfügen über die notwendigen Kontakte im Land. Vor allem, als in der Krisenlage Anfang Februar alle ausländischen Mitarbeiter evakuiert wurden, konnten sie ihre Arbeit aufrechterhalten. Aber auch die Beschäftigung von Einheimischen stößt an Grenzen. Es gibt im Tschad viel zu wenig qualifiziertes Personal. Die Analphabeten-Quote im Tschad liegt bei über 60%.

Gegenwärtig befinden sich über 240.000 Flüchtlinge aus dem Sudan in 12 Flüchtlingslagern im Osten des Tschad. Dazu kommen 50.000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in vier Lagern im Süden des Tschad. 29 Anlaufstellen haben etwa ca. 170.000 interne Vertriebene im Tschad aufgenommen.

Immerhin bekommen die Flüchtlinge im Osten unter dem Stichwort »Darfur« internationale Aufmerksamkeit. Bis Januar 2008 erbrachte der Aufruf an die Geberländer US$ 264 Millionen für die Tschad- Flüchtlingshilfe, das sind 97% der erbetenen Mittel. Das macht den Mittelaufruf zum Tschad zum weltweit erfolgreichsten in 2007. Aber während einige Bereiche sehr gut finanziert sind, fehlt es in anderen: Für Lebensmittel wurden 132% der benötigten Mittel zugesagt, 100% für Schutz und Non-Food items. Für Wasser und Gesundheitsprojekte gab es nur Zusagen von 45%, 12% für das Bildungswesen.

Ungleich schwieriger ist es, für die Flüchtlinge in anderen Regionen Mittel aufzutreiben, z.B. für die 50.000 Menschen, die aus der Zentralafrikanischen Republik in den Tschad geflohen sind und in Lagern im äußersten Süden leben. Unter anderem die deutsche Johanniter-Auslandhilfe versorgt die Menschen dort in vier Flüchtlingscamps mit lebensnotwendigen Basismaterialien. Das Projekt wird durch Mittel des Auswärtigen Amts ko-finanziert. Der UNHCR (UN Hochkommissar für Flüchtlinge) musste schon mehrfach nachdrücklich an das Schicksal dieser wenig beachteten Flüchtlinge erinnern, um wenigstens die absolut notwendigen Zusagen zu bekommen.

Für die Hilfsorganisationen ist die Kriminalität das größte Problem. Lohngelder und andere Barmittel können nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen transportiert werden, Banken gibt es in der Region nicht. Und auch die Transportmittel selber sind in Gefahr. Die Entführung von Allrad-Pickups ist an der Tagesordnung. Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation schätzt dass allein im letzten Vierteljahr 2007 an die 200 Pickups gestohlen wurden. Im wüstenhaften Osten des Tschad, aber auch auf den belebten Straßen der Hauptstadt. Bisher durften Fahrer und Fahrgäste noch immer aussteigen.

Aber spätestens seit der Affäre um die französische Organisation Arche de Zoe – sie wollte 103 angebliche Darfur-Waisen zu Pflegeeltern nach Frankreich ausfliegen – ist das Verhältnis von Einheimischen und Flüchtlingen zum Personal der Hilfsorganisationen sehr gespannt.

In den Flüchtlingslagern funktionieren die bisherigen sozialen Strukturen nicht mehr. Die Alten verlieren an Autorität und besonders Jugendliche sehen ihre einzige Perspektive in der Kriminalität. Waffen sind leicht zu bekommen und solange man nicht selbst ihr Opfer wird, bieten sie spontanen Machtzuwachs. Latente Konflikte entlang äußerer Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit oder Sprache gewinnen dann schnell an Bedeutung. Söldnertum stellt zunehmend ein Problem dar. Die Grenzen zwischen politischen Gruppen schwinden, wenn »Kleinunternehmer« mit einem Gewehr als einzigem Geschäftskapital für 500 Euro am Tag mal für den einen und dann wieder für einen anderen kämpfen.

Der Tschad hat ca. 10 Millionen Einwohner. Nicht wenige dieser Bürger des Tschad leben dauerhaft unter Bedingungen, die Flüchtlingen nach internationalen Standards nicht zuzumuten sind. Zudem waren sie in den vergangenen Jahren verschiedenen Krisen ausgesetzt. Heuschrecken, Trockenheit und Vogelgrippe, nichts blieb ihnen erspart und alles hatte desaströse Folgen.

Auf Anregung des UNHCR wurde im Tschad eine »Nationale Kommission zum Beistand für Vertriebene/CNCAPD« gegründet. Das Arbeitsprogramm dieser Kommission, der zahlreiche Hilfswerke angehören, klingt viel versprechend. In 2008 und 2009 soll für über 90% der Flüchtlinge Zugang zu Schulbildung organisiert werden, das Verhältnis Jungen/Mädchen soll dabei 50/50 sein. Opfer von sexueller Gewalt bekommen juristische, medizinische und psychologische Unterstützung. Jeder Flüchtling soll mindestens 15 Liter Wasser pro Tag bekommen. Generell haben nur 42% der tschadischen Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser. Jeder Flüchtling soll Zugang zur einfachen medizinischen Grundversorgung bekommen, das genießen nur 9% der tschadischen Bevölkerung. Und das ist nur ein kleiner Auszug aus einer Liste, die die Tschader zum Träumen bringen könnte. Aber sie kennen ihr Land. Öldollar in Milliardenhöhe haben die Lage des Landes noch nicht einmal ansatzweise verbessert. Im Gegenteil, seit dem Beginn der Ölförderung sank der Tschad im Human Development Index von Platz 165 im Jahr 2003 auf 171 im Jahr 2006. Auch das ambitionierte Vorhaben CNCAPD wird voraussichtlich in Korruption und Misswirtschaft versinken. Aus Kreisen der beteiligten internationalen Hilfswerke ist schon zu hören, dass es an Transparenz bei der Verteilung von Finanzmitteln fehlt und sich die konkrete Arbeit schwierig gestaltet. Die Realität vor Ort ist jedenfalls weit von den Verheißungen entfernt.

Vertreter von Hilfsorganisationen sind zunehmend besorgt über den Ernährungsstatus von Neugeborenen und Kleinkindern, besonders im Westen des Tschad, besonders in der Region Kanem. Die Ursachen dafür sind die Armut der Menschen und unzureichende Ernten der Kleinbauern.

Eine von den Vereinten Nationen und ihren Partnern im November 2007 durchgeführte Untersuchung hat ergeben, dass nur 40% aller lokalen Haushalte für mehr als drei Monate mit Lebensmitteln versorgt sind. Unter den Vertriebenen können dagegen 95% nicht mehr als drei Monate mit den zur Verfügung stehenden Lebensmitteln auskommen. Als Gründe werden Mangel an bebaubarem Land genannt, Mangel an Saatgut und schlechte Wetterbedingungen. 2007 verteilte das Welternährungsprogramm 12.208 Tonnen Lebensmittel an mehr als 170.000 intern Vertriebene und Anwohner im östlichen Tschad.

Angesichts der schlechten Sicherheitslage und als Ergänzung der UN-Mission im sudanesischen Darfur wird gegenwärtig der Einsatz einer Truppe der EU vorbereitet. An der Operation nehmen 21 von 27 Länder der Europäischen Union teil: Frankreich, Irland, Belgien, Polen, Schweden, Österreich, Spanien, Italien, Portugal, Niederlande, Finnland, Griechenland, Slowenien, Rumänien, Ungarn, Litauen, Großbritannien, Deutschland, Tschechien, Slowakei und Zypern. Italien stellt ein Feldhospital, das in Abeché errichtet werden wird. Auch Österreich wird medizinisches Personal zur Verfügung stellen. Belgien beteiligt sich zusätzlich mit einer Transportmaschine und einem Flugzeug für Sanitätstransporte. Polen stellt zwei Transporthubschrauber für Sanitätsdienste. Frankreich liefert zusätzlich neun Transport-Hubschrauber und etwa 500 Soldatinnen und Soldaten für den Bereich Logistik.

Der EUFOR-Truppe sind laut der UNO-Resolution 1778 insbesondere folgende Aufgaben zugedacht: Schutz von Zivilpersonen, insbesondere von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage, um humanitäre Hilfsleistungen zu erleichtern, Schutz von Personal, Einrichtungen und Ausrüstung der UNO sowie Gewährleistung der Bewegungsfreiheit von UNO-Personal. Die zögerliche und wiederholt verschobene Stationierung einer EU Truppe im Osten des Tschad führt zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung bevor die Truppe überhaupt in Erscheinung tritt. Dazu trägt auch die unzulängliche Informationspolitik von EUFOR bei, die es versäumt, die direkt betroffene Bevölkerung über Ziele und Maßnahmen von EUFOR zu unterrichten. Der Zugang zu verlässlicher Information ist generell schwierig. Das verschärft die unsichere Lage zusätzlich. Verschiedene Rebellenbewegungen haben bereits angekündigt, die EUFOR-Truppen als Feinde anzusehen und sie zu bekämpfen.

Perspektiven

Um die Sicherheit für alle in der Region zu erhöhen, ist nach Ansicht von NRO-Vertretern vor allem eine wirksame Kontrolle der zirkulierenden Kleinwaffen sehr wichtig. Dabei könnte eine engere Verzahnung der Arbeit von humanitären Hilfsorganisationen und anderen NRO hilfreich sein. In der praktischen Zusammenarbeit vor Ort haben die Beteiligten festgestellt, dass es oft üble Folgen hat, wenn humanitäre Helfer Gemeinwesenarbeit betreiben oder Menschenrechtsorganisationen Lebensmittel verteilen. Also wenn sich die einen auf das Terrain der anderen begeben, ohne über die notwendigen Erfahrungen und Kompetenzen zu verfügen. Dabei können sich bei einer sinnvollen Abstimmung die Kompetenzen der zivilgesellschaftlichen Gruppen gut mit dem Know-how der Humanitären ergänzen. Insbesondere die im Tschad recht gut aufgestellten Menschenrechtsorganisationen oder der »Aufruf zu Frieden und Versöhnung /CSAPR«, dem 150 Organisationen der Zivilgesellschaft angehören, könnten sehr gut die Kluft zwischen der Welt der Flüchtlinge und der sie umgebenden Gesellschaft überwinden helfen. Außerdem sollten unabhängige Medien gestärkt werden. Verlässliche Information ist in Krisensituationen so wichtig wie Wasser und ärztliche Hilfe.

Besser informiert werden sollte auch über den Einsatz der EU-Truppen mit UN-Mandat. Bisher herrscht noch große Unklarheit über Zeitpunkt, Ort und exaktes Mandat der erwarteten Truppen. CSAPR fordert insbesondere, dass diese Truppen nicht von den Franzosen dominiert werden und einen echten multilateralen Charakter haben. Außerdem sollte die Absicherung eines politischen Friedensprozesses zum Mandat der Truppen gehören. Ob es der UN/EU Truppe gelingt, zumindest im Tschad für den Schutz der Menschen zu sorgen, muss sich erst noch erweisen. Die Skepsis der Betroffenen gegenüber der angekündigten Truppe ist mindestens so groß wie ihre Hoffnung.

Seit Anfang Februar sind auch Tschader auf der Flucht. Nach dem anfangs erwähnten Angriff auf N'Djaména kam es am 1. und 2. Februar zu heftigen Kämpfen. Nachdem sich die Aufständischen aus der Hauptstadt zurückziehen mussten, nutzte Präsident Déby die Gelegenheit, um mit seinen Kritikern aufzuräumen. Soldaten durchkämmten Wohnviertel auf der Suche nach Rebellen und ihren Unterstützern. Etwa 30.000 Menschen flohen vor den Razzien und den damit verbundenen willkürlichen Erschießungen und Vergewaltigungen nach Kamerun.

Martin Zint, Journalist, beschäftigt sich seit 1996 mit dem Tschad/Kamerun Erdölprojekt. Er hielt sich bis Anfang Februar im Tschad auf.

Demobilisierung am Horn von Afrika

Demobilisierung am Horn von Afrika

von Kiflemariam Gebrewold • Kees Kingma

Das Horn von Afrika hat viele Kriege und zivile Unruhen erlebt, die sich in Ausmaß, Intensität und Art unterscheiden. Äthiopien erlebte einen »dreifachen Krieg« in den letzten drei Jahrzehnten auf seinem Territorium. Militarisierung und Kriege führten zum Anschwellen der Zahl des militärischen Personals von 240.000 Anfang der 80er Jahre auf fast eine halbe Million in 1991. Nach der Machtübernahme durch Mengistu Haile Mariam (1974) führten bewaffnete Konflikte zwischen verschiedenen Oppositionsgruppen und Gegnern des Militärregimes (Derg) zu viel Blutvergießen vor allem unter den Jugendlichen und zur massiven Militarisierung der gesamten Gesellschaft. Ein bewaffnetes »Blockwartsystem« wurde im ganzen Land etabliert, mit dem Ziel, die Bevölkerung politisch zu kontrollieren.

Äthiopien führte auch einen externen Krieg – Ende der 70er Jahre – gegen Somalia. Dieser Krieg war zum Teil Resultat der Innenpolitik, was widersprüchliche Einschätzungen der militärischen Strategie Äthiopiens zur Folge hatte. Die Invasion Somalias in Äthiopien (Ogaden) führte zu einer starken Solidarisierung der Äthiopier untereinander, in der Hoffnung, so die Eindringlinge vertreiben zu können. Die Sowjetunion und Kuba haben in bis dahin unbekanntem Maße mit Mensch und Material geholfen. Der dramatischste Konflikt war aber wohl der zwischen Eritrea und Äthiopien. Dieser Konflikt hat auf beiden Seiten zu erheblichen menschlichen Verlusten geführt. Während Eritrea den Krieg als nationalen Befreiungskampf sah, war er für die äthiopische Regierung nur eine interne Revolte.

Das Ende der Kriege in Djibouti, Eritrea und Äthiopien

Im Mai 1991 fiel das Derg-Regime. Anfang 1991 umzingelten die »Ethiopian People's Revolutionary Democratic Forces« (EPRDF) Addis Abeba und die »Eritrean People's Liberation Front« (EPLF) näherte sich Asmara. Mit dem Verlust mehrerer wichtiger Städte verlor die äthiopische Armee ihre Manövrierfähigkeit. Während ihrer militärischen Erfolge wurden Anfang 1991 die EPRDF, die EPLF und die »Oromo Liberation Front« (OLF) zu einer Konferenz (London) unter der Ägide der USA eingeladen. Andere nichtbewaffnete Gruppierungen wurden von diesem Prozeß zur Übernahme der Regierung ausgeschlossen. Die realpolitische Herangehensweise der USA im Frühjahr 1991 bedeutete de facto die Anerkennung der bewaffneten Gruppierungen, die im Mai 1991 ermutigt wurden, die Hauptstadt einzunehmen. Der Zerfall des Regimes hatte bereits Ende der achtziger Jahre eingesetzt und selbst die Einführung quasi marktwirtschaftlicher Strukturen, die vorher immer abgelehnt wurde, hatte nicht den erwünschten Meinungsumschwung in der Bevölkerung zur Folge. Mit dem politischen Umschwung in der DDR und in der UdSSR unter Gorbatschow verlor das Mengistu-Regime seine Waffenlieferanten und Berater.1

Nach etwa drei Jahrzehnten sind die Bürgerkriege in Eritrea und Äthiopien heute beendet. Jedoch bedeutet der »krieglose« Zustand nicht, daß Frieden in der Region eingekehrt ist. Auch nach dem Krieg gab es noch bewaffnete Konflikte mit den Nachbarstaaten. Verschiedene Meldungen weisen darauf hin, daß es in Äthiopien und Eritrea nach wie vor bewaffnete Oppositionsgruppen gibt.

Der interne Konflikt in Djibouti war hauptsächlich ein Kampf um die politische Macht zwischen den Volksgruppen der Afar und Issa. Eine der Hauptfiguren in diesem Konflikt ist der seit der Unabhängigkeit herrschende Präsident, der mit Hilfe französischer Truppen2 Oppositionsbewegungen niederschlug. 1991 bis 1994 haben die in der »Front Uni de l'Opposition Djiboutienne« (FUOD) vereinigten Kräfte gegen die Regierung gekämpft. Während des Konfliktes wuchs die Zahl der Soldaten von 3.000 auf 18.000 (Africa Confidential, 06.07.97, S. 7). Durch Vermittlung Frankreichs wurde 1994 schließlich ein Friedensabkommen unterzeichnet (Matthies 1997).

Kriege im Sudan und in Somalia

Somalia befindet sich seit der blutigen Schlacht Anfang 1991, die zu der Vertreibung von Präsident Siad Basse führte, nahezu ununterbrochen im Bürgerkrieg. Gleichzeitig zerfielen die nationalen Streitkräfte. Die wichtigsten bewaffneten Fraktionen, die um die Macht kämpfen, entstammen verschiedenen Clans. Sie variieren je nach politischem Bündnis, strategischen Notwendigkeiten und dem Gemüt ihres Führers. Somalias interne Kämpfe sind zu einem Sicherheitsproblem auch für die Nachbarstaaten geworden. Eine von den USA geführte Invasion begann Ende 1992 – später bekannt und fortgeführt als »United Nations Operations in Somalia« (UNOSOM I&II)- und wurde Ende 1995 beendet, ohne daß die gesetzten Ziele erreicht wurden. Die UNO schätzte Anfang 1995 die Zahl der bewaffneten Männer auf 134.000. Äthiopien ist gegenwärtig Gastgeber von (scheinbar) fruchtbaren Friedensverhandlungen. Bisher vorgelegte Lösungen wurden allerdings kürzlich von einigen Fraktionen abgelehnt.

Die Regierung des Sudans, die von der »National Islamic Front« (NIF), einer politisch-religiösen Partei, kontrolliert wird, befindet sich im Krieg mit der »Sudanese People Liberation Front« (SPLA) und anderen Gruppen, die sich gegen die »Arabisierung« und »Islamisierung« wenden. Die Regierung betreibt eine systematische Kampagne gegen ihre Gegner und besteht auf der zwangsweisen Einberufung zur Miliz und Armee. Während die bewaffnete Hauptopposition (SPLA) gegen die Regierung kämpft, haben andere Gruppen kürzlich eine Friedensvereinbarung erzielt. Doch diese Vereinbarung ist weit von dem entfernt, was ein »Friedensprozeß« beinhalten müßte, nämlich eine Teilnahme aller Betroffenen und klar erkennbare Schritte in Richtung friedenschaffende Maßnahmen. Diese Vereinbarung wird wohl noch nicht zu einem Ende des Konflikts führen.

Demobilisierung

Als Resultat der Beendigung einiger Konflikte am Horn von Afrika haben seit 1991 mehrere Demobilisierungen stattgefunden. Zunächst wurde in Äthiopien die Armee des Derg-Regimes, etwa eine halbe Million Soldaten, vollständig abgebaut. Sie wurde durch die Armee der EPRDF ersetzt und entsprechend in »Ethiopian National Defense Force« (ENDF) umbenannt. Diese besteht zur Zeit aus ca. 120.000 Soldaten.3 Nachdem die OLF die Regierungskoalition verließ und gegen die Regierungstruppen kämpfte, wurden zwischen 1992 und 1994 weitere 22.200 Kombattanten der OLF demobilisiert. Die neue Regierung hat 1995 ca. 20.000 Soldaten entlassen (hauptsächlich Tigreer), um einen Prozeß zur Herstellung einer »ethnischen Balance« in den Streitkräften einzuleiten (Horn of Africa Bulletin, 6/1995, S. 6). Da diese mit anderen Nationalitäten ersetzt wurden, sollte dies nicht als Demobilisierungsmaßnahme aufgefaßt werden, auch wenn dieser Vorgang ähnliche Reintegrationshilfsmaßnahmen erforderte.

Als das Regime von Mengistu im Mai 1991 fiel, waren die Streitkräfte in der Auflösung begriffen. Einige Soldaten flüchteten und landeten in Flüchtlingslagern in benachbarten Ländern (Djibouti, Kenia und Sudan). Die ehemaligen Derg-Soldaten wurden im Juli 1991 offiziell zur Demobilisierung aufgerufen und anschließend in Demobilisierungslagern zusammengefaßt. Viele Soldaten wurden per Luft und Straße von Nachbarländern mit Hilfe des UNHCRs in ihr Heimatland zurückgeschickt. In den Lagern wurden die Soldaten registriert, erhielten medizinische Versorgung und Nahrungsmittel. Das Internationale und das äthiopische Rote Kreuz unterstützten den Aufbau und die Verwaltung der Lager. Die ehemaligen Soldaten wurden nach Dienstgrad und gesundheitlicher Verfassung und Ihren Siedlungswünschen (städtisch bzw. ländlich) kategorisiert (Coletta et al, 1996).

Etwa 71.000 ehemalige Soldaten, die weniger als 18 Monate gedient hatten, wurden direkt in ihren Gemeinden angesiedelt. Andere, die mehr als 18 Monate gedient hatten, wurden für maximal 6 Monate kaserniert und unterzogen sich während dieser Zeit einem Reorientierungskurs und anderen Bildungsmaßnahmen, die sie auf die Rückkehr in das zivile Leben vorbereiten sollten. Weitere 90.000 Soldaten, die sich allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt bei den neuen Behörden gemeldet hatten, wurden mit ähnlichen Rehabilitationsmaßnahmen bedacht (Kingma and Sayers, 1995). Bis Januar 1992 waren alle demobilisierten Soldaten, entweder in ihrer ursprünglichen Heimatgemeinde oder in Gebieten, in denen sie sich vorzugsweise niederlassen wollten, angekommen. Alles in allem hat die äthiopische Regierung ca. 475.000 Soldaten demobilisiert.

Mehrere Programme wurden aufgestellt, um die Reintegration der Ex-Soldaten zu fördern. Die Regierung stellte ein Übergangspaket für die ehemaligen Soldaten zur Verfügung, das aus Bargeld und Gütern bestand. Jeder ehemalige Derg-Soldat erhielt zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Armee eine Bargeldsumme in Höhe von 137 Birr (2,07 Birr=1 US-Dollar). Die 158.710 ehemaligen Derg-Soldaten, die in städtische Zentren zurückkehrten, erhielten für sieben Monate einen zusätzlichen monatlichen Betrag von 50 Birr (Coletta et al, 1996). Die Reintegration wurde auch von ausländischen Organisationen, wie der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), den »Catholic Relief Services« (CRS) und Oxfam unterstützt. Die GTZ beispielsweise unterstützte den Reintegrationsprozeß u.a. durch die Finanzierung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, arbeitskraftintensiven Konstruktionsvorhaben, Ausbildungsmaßnahmen, um die selbständige Beschäftigung zu fördern, und bot kostengünstige Wohnungsbauprojekte an.

Die neue Regierung in Eritrea hat seit der Unabhängigkeit in 1993 ca. 55.000 der 95.000 Kämpfer demobilisiert. Die erste demobilisierte Gruppe (1993) betraf 26.000 Soldaten. Dabei handelte es sich hauptsächlich um junge Kämpfer, die der Unabhängigkeitsbewegung nach der entscheidenden Schlacht um Massawa (Februar 1990) beigetreten waren. 1994 und 1995 wurden 22.000 Kämpfer, die bereits länger gedient hatten – einige länger als zwei Jahrzehnte – und 1996 weitere 6.000 Kämpfer schrittweise demobilisiert. (Bruchhaus und Mehreteab, erscheint in Kürze). Diese in Eritrea demobilisierten Kämpfer unterschieden sich erheblich von den Soldaten in Äthiopien. Sie waren alle sehr diszipliniert und engagiert und hatten gerade einen drei Jahrzehnte langen Krieg siegreich beendet. Für die Bevölkerung waren sie die Befreier. Sie selber hatten im allgemeinen Vertrauen in ihre Regierung und Geduld, wenn erforderlich. Etwa ein Drittel der Kämpfer waren Frauen. Viele der Kämpfer (8.000-10.000) wurden im öffentlichen Dienst eingesetzt, um die zurückgekehrten Äthiopier zu ersetzen. Formal waren sie während dieser Zeit nicht demobilisiert und erhielten nur ein Taschengeld. Die Kämpfer, die in der ersten Phase demobilisiert wurden, erhielten zwischen 1.000 und 5.000 Birr (je nach Dauer der Zugehörigkeit zur EPLF) und Nahrungsmittelrationen für sechs Monate. Die der zweiten Phase, erhielten 10.000 Birr und Nahrungsmittelrationen für ein Jahr. (Bruchhaus und Mehreteab, erscheint in Kürze) Die Zahlungen wurden durch ein Darlehen finanziert, das die Regierung bei der Commercial Bank aufnahm. Da Eritrea weiterhin die äthiopische Währung verwendet (Birr), bedeutet dies im Endeffekt, daß die Zentralbank Äthiopiens die Aktion subventioniert hat. Die Demobilisierungsmaßnahmen wurden mit erheblicher Unterstützung seitens der »Abteilung für die Reintegration von demobilisierten Kämpfern« des Verteidigungsministerium durchgeführt.

Das Friedensabkommen von Djibouti beinhaltete die Verpflichtung, die 18.000 Mann starke Streitmacht auf die Hälfte zu reduzieren (La Nation, 02.06.1996). Die Regierung versucht weiterhin, die Finanzierung durch ausländische Geldgeber abzudecken. Sie beabsichtigt den Ex-Soldaten pro Kopf 1.500 US Dollar zu zahlen. Sie hofft, daß viele der demobilisierten Issas nach Südwestäthiopien zurückkehren, von wo sie 1991 rekrutiert wurden (Africa Confidential, 06.06.1997, S.7).

Trotz des Anhaltens von Gewalt und einem akuten Regierungsmangel in Somalia wurden in den letzten Jahren vereinzelt Demobilisierungsbemühungen unternommen. Nachdem nach der Borama-Konferenz (1992) eine relativ stabile Situation im Nordwesten Somalias erreicht wurde, unternahm die selbsternannte Regierung von Somaliland teilweise erfolgreiche Versuche, die Zahl der Waffen und bewaffneten Männer im Land zu reduzieren. Mit Hilfe einer kleinen UNDP-Beratergruppe begann ein nationales Demobilisierungskommittee damit, den Demobilisierungs- und Abrüstungsprozeß zu fördern und zu organisieren. Es gab erste Erfolge, bis Spannungen zwischen den verschiedenen Parteien auftraten und erneut Kampfhandlungen entflammten.

Im Januar 1993 versuchte die UNO-Aktionstruppe (UNITAF) in Somalia ein sogenanntes »Nahrung-für-Waffen«-Programm zu starten. Das Programm wurde aber schnell abgebrochen, als es zu Spannungen kam zwischen der UNITAF-Führung und Nothilfeorganisationen, die die Nahrungsmittel bereitstellen sollten (Adibe, 1995). Demobilisierungsbemühungen der UNOSOM scheiterten wegen fortwährender Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen. Die Erwartung, daß die UNO nicht in der Lage sein würde ihr Abrüstungsprogramm durchzusetzen und die Tatsache, daß die Macht auch weiterhin von der militärischen Fähigkeit der Milizen abhängen würde, machte wirksame Demobilisierungsmaßnahmen unmöglich. Dennoch sind kürzlich einige Versuche unternommen worden junge Männer aus den Milizen herauszuholen. Gegen Anreize werden diese Männer ermutigt ihre Waffen abzugeben und sich weiterzubilden oder andere Aktivitäten aufzunehmen. Ein Ziel dieser Maßnahmen ist es, einen Beitrag zum Versöhnungsprozeß zu leisten. Die meisten dieser Projekte werden von ausländischen Entwicklungshilfeagenturen, wie z.B. der Europäischen Union und des UN-Entwicklungshilfeprogramms (UNDP), unterstützt und von lokalen und internationalen NGOs umgesetzt.

Reintegration

Der Umzug der ehemaligen Soldaten in die neuen Gemeinden, um dort ein neues Leben zu beginnen, ist der Beginn des Reintegrationsprozesses. Es muß festgehalten werden, daß der größte Teil der Last der Reintegrationsbemühungen auf den Schultern der ehemaligen Kombattanten4 und denen ihrer Familien und Gemeinden liegt. Zumindest die oben genannten Demobilisierungsmaßnahmen wurden durch Regierungen, NGOs oder internationale Entwicklungsagenturen unterstützt. Hier sahen sich die Entscheidungsträger mit der Frage konfrontiert, ob sie die Ex-Soldaten als eine spezielle Zielgruppe betrachten sollten. Bei der Entwicklung der Unterstützungsmaßnahmen mußten einerseits die spezifischen Interessen der ehemaligen Kombattanten berücksichtigt werden, auf der anderen Seite mußte aber verhindert werden, eine Unzufriedenheit bei den oftmals armen Gemeinden hervorzurufen, denn dies hätte eine wirkliche Integration gefährdet (Kingma, 1995). Die Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen fanden nicht isoliert statt, sondern im Zusammenspiel mit Bemühungen die Wirtschaft zu stabilisieren, lokale Institutionen zu stärken, die Infrastruktur, die Landwirtschaft und die Industrie wieder aufzubauen sowie zurückkehrenden Flüchtlingen und anderen vom Krieg betroffenen Gruppen Hilfestellung zu leisten.5

Reintegration ist nicht nur ein ökonomischer Prozeß, um den Lebensunterhalt zu sichern. Sie hat auch wichtige soziale und psychologische Aspekte. Die Ex-Kombattanten müssen in ihren Gemeinden akzeptiert werden und in der Regel fällt es ihnen schwer, ihre Einstellungen und Erwartungen der neuen Situation anzupassen. Für eritreische Kämpfer beispielsweise war es anfangs schwer mit Geld umzugehen, da sie in ihrer Zeit bei der EPLF über keines verfügten. In Eritrea ist die Reintegration besonders für Frauen schwierig. Sie haben während des Krieges neue Rollen übernommen, aber nach dem Krieg erwarteten viele Männer, daß sie zu ihren traditionellen Rollen zurückkehren, was automatisch zu Spannungen führte. Unter den Ex-Kämpfern wurde eine hohe Scheidungsrate festgestellt (Klingebiel et al, 1995). Eine andere Gruppe mit besonders großen Problemen sich zu reintegrieren stellen die behinderten Ex-Kombattanten dar. Sowohl in Äthiopien als auch in Eritrea waren viele der demobilisierten Soldaten auf irgendeine Art behindert, von der halben Million ehemaligen Soldaten Äthiopiens waren es ca. 45.000.

Nach Beendigung des Konfliktes und während der Demobilisierungphase tauchten zwei eng miteinander verbundene und auf die Waffen bezogene Probleme auf. In den Lagern der (neuen) Regierungen verblieben große Mengen an Waffen, für die es keine Verwendung gab. Sowohl in Eritrea als auch in Äthiopien ist eine große Menge von Waffen und Waffenschrott vorhanden, der vor sich hinrostet und zu schwerwiegenden Umweltproblemen führen kann. Eine weitaus größere Gefahr ist aber, daß diese Waffen gestohlen oder exportiert werden (beispielsweise in andere afrikanische Staaten). Es gibt Hinweise darauf, daß z.B. Waffen aus Äthiopien und Eritrea an die SPLA in den Sudan verschifft wurden und große Mengen äthiopischer Waffen nach Somalia gelangt sind.

Das Risiko, daß Waffen bei den Ex-Kombattanten bleiben oder in die Hände Dritter geraten, stellt das zweite Sicherheitsproblem dar. Es wird vermutet, daß zahlreiche Waffen aufgrund des Umfangs des Demobilisierungsprozesses und der lückenhaften Vorbereitung in Äthiopien bei ehemaligen Soldaten verblieben sind. Es wird angenommen, daß einige Überfälle auf Lastwagen von ehemaligen Derg-Soldaten verübt wurden (Africa Confidential, 05.01.1996, S. 4). Die genauen Zahlen der Waffen, die sich in Umlauf befinden, kennt niemand, zumal sie leicht über die durchlässigen nationalen Grenzen geschmuggelt werden können. Die Entwaffnung der eritreischen Kämpfer stellte hingegen kein großes Problem dar, da die EPLF alle während des Befreiungskrieges verwendeten Waffen registriert hatte (Klingebiel et al, 1995). Waffenkontrolle und Abrüstung wird am Horn von Afrika oftmals auch dadurch erschwert, daß der Waffenbesitz zum Teil gesellschaftlich akzeptiert ist. In einigen Gegenden ist nur ein bewaffneter Mann ein »richtiger Mann«.

Schlußbetrachtung

Alle Demobilisierungsmaßnahmen fanden in einem spezifischen historischen Kontext statt. Die Entscheidung zu demobilisieren beruhte auf spezifischen militärischen, politischen und sozio-ökonomischen Umständen und Ereignissen.6 Die äthiopische Derg-Armee wurde geschlagen und abgebaut. In Eritrea wurde die EPLF zur nationalen Armee des neuen unabhängigen Staates. Das heißt, hier beschloß die siegreiche Armee zu demobilisieren. Im Falle von Djibouti wurde die geplante Demobilisierung in einem Friedensabkommen vereinbart. Die nur teilweise erfolgreichen Demobilisierungsversuche in Somalia sind vor Ort vereinbart worden, sind aber ständig durch neue Kampfwellen gefährdet.

In Eritrea und Äthiopien haben sich die ehemaligen Kombattanten im allgemeinen gut reintegriert.7 Die auftretenden Probleme stehen in direkter Beziehung zu der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Unterstützung für die Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen hat es in den meisten Fällen deshalb gegeben, weil der langfristige Schaden für die Gesellschaft höher gewesen wäre, wenn die ehemaligen Soldaten nicht in der Lage gewesen wären, außerhalb der Streitkräfte für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und sich in ihren Gemeinden sozial zu reintegrieren. Dies hätte zu einer höheren Verbrechensrate und politischer Instabilität geführt.

Trotz anhaltender Unruhen und dem grenzüberschreitenden Charakter einiger Konflikte, hat sich die Demobilisierung positiv auf die regionale Sicherheit ausgewirkt und Entwicklungschancen eröffnet. Während der Wissensstand in der praktischen Handhabung von Demobilisierung und Reintegration wächst, bleibt der komplexe Aspekt der Förderung von Frieden und Stabilität eine Herausforderung für die Regierungen und Bevölkerung des Horns.

Reintegration ist eine Entwicklungsbemühung, die langfristig angelegt ist. Es ist deshalb entscheidend, daß alle am Konflikt Beteiligten, sich bereits während eines Krieges Gedanken darüber machen, was mit den diversen Kämpfern nach Beendigung des Konflikts geschehen soll. Weiterhin ist es wichtig, daß sich die Geldgeber auf die Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen vorbereiten. Dies kann u.a. durch die Koppelung von Notstands- und Entwicklungsaktivitäten geschehen und durch die Schaffung von Flexibilität und effektiver Koordination innerhalb der Organisationen (Spencer, 1996).

Demobilisierung am Horn von Afrika
Äthiopien fast eine halbe Million Soldaten der besiegten Derg-Armee wurden nach 1991
demobilisiert; zwischen 1991-1994 weitere 22.200 OLF-Kombattanten
Djibouti die Demobilisierung von 9.000 Soldaten ist geplant
Eritrea 55.000 ehemalige Kämpfer der EPLF sind seit 1993 demobilisiert worden
Somalia seit 1992 sind mehrere – bisher weitestgehend erfolglose –
Demobilisierungsmaßnahmen unternommen worden.

Literatur

Adibe, Clement 1995: Managing Arms in Peace Processes: Somalia. Disarmament and Conflict Resolution Project. Geneva: UN Institute for Disarmament Research (UNIDIR).

Bonn International Center for Conversion (BICC) 1996: Conversion Survey 1996; Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization. Oxford: Oxford University Press.

Bruchhaus, Eva-Maria / Mehreteab, Amanuel (forthcoming): The Impact of Demobilization in Eritrea. Bonn: BICC.

Colletta, Nat J. / Kostner, Markus / Wiederhofer, Ingo 1996: Case Studies in War-to-Peace Transition; The Demobilization and Reintegration of Ex-Combatants in Ethiopia, Namibia and Uganda._ World Bank Discussion Paper no. 331. Africa Technical Department Series. Washington D.C.: World Bank.

Kingma, Kees 1995: Demobilisierung und Wiedereingliederung von Soldaten: Wichtige Schritte im Friedensprozeß. In Hanne-Margret Birckenbach, Uli Jäger and Christian Wellmann (Hrsg.) 1996: Jahrbuch Frieden. München, S. 177188.

Kingma, Kees / Sayers, Vanessa 1995: Demobilization in the Horn of Africa. Proceedings of the IRG workshop, Addis Ababa, December 1994. Brief 4. Bonn: BICC.

Klingebiel, Stephan / Gärke, Inge / Kreidler, Corinna / Lobner, Sabine / Schütte, Haje 1995: Promoting the Reintegration of Former Female and Male Combatants in Eritrea. Berlin: German Development Institute.

Matthies, Volker 1997: Äthiopien, Eritrea, Somalia, Djibouti: Das Horn von Afrika, 3., überarb. und erw. Aufl. München.

Spencer, Denise 1995: Donor Response to Demobilization and Reintegration in the Horn of Africa. Report of Seminar organized by the International Resource Group on Disarmament and Security in the Horn of Africa (IRG) and the Bonn International Center for Conversion (BICC), Copenhagen, 11 September 1995.

Vogt, Margaret A. 1994: Demobilization in Somalia: Problems and Prospects. Life & Peace Review. Vol. 8, No. 4, pp. 2629.

Anmerkungen

1) Anfang der 90er Jahre waren noch 900 von ehemals einigen Tausend Beratern verblieben. Zurück

2) Gegenwärtig sind ca. 3 500 französische Soldaten in Djibouti stationiert (Süddeutsche Zeitung,09.07.97) Zurück

3) An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß mit der Unabhängigkeit Eritreas die äthiopische Marine überflüssig wurde und die Schiffe verkauft werden mußten. Anfang 1996 hatten die 16 Schiffe eine Besatzung von nur noch 250 Mann – die letzten Mitglieder einer Marine, die 1990 noch 4.000 Mann zählte. Zurück

4) Der Begriff Kombattant umfaßt sowohl Soldaten als auch Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen. Zurück

5) Rückkehrende Flüchtlinge und innerhalb des Landes vertriebene Menschen übertreffen in ihrer Zahl bei weitem die ehemaligen Kombattanten, sowohl in Eritrea als auch in Äthiopien. In Äthiopien sind ca. 8 Millionen Menschen durch den Krieg zu Flüchtlingen innerhalb ihres Landes geworden (Coletta et al, 1996, S.30). Zurück

6) Hinsichtlich der sechs Hauptfaktoren, die zu Demobilisierung führen können siehe BICC, 1996, S. 153. Zurück

7) Eine Einschätzung der tatsächlichen Auswirkungen der Demobilisierung in Äthiopien und Eritrea (als auch in Mozambique und Uganda) wird zur Zeit vom BICC erarbeitet. Zurück

Kiflemariam Gebrewold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des BICC. Von 1994 bis 1996 war er technischer Berater bei einer äthiopischen Nichtregierungsorganisation im Auftrag von Dienste in Übersee.
Kees Kingma ist seit 1994 Leiter des Demobilisierungsprojektes im BICC. Zur Zeit ist er mit der Veröffentlichung einer Studie zu »Auswirkungen von Demobilisierung in Afrika südlich der Sahara« befaßt.

Wahrheit und Versöhnung

Wahrheit und Versöhnung

Vergangenheitsaufarbeitung in Südafrika

von Hein Möllers

Alle Wahrheitskommissionen sind das Ergebnis politischer Verhandlungen und Kompromisse. Die »Truth and Reconcialiation Commission« (TRC) in Südafrika ist da keine Ausnahme. Alle Parteien waren der Meinung, daß Südafrikas Geschichte voller Konflikte und Zerissenheit war. Der einzige Weg zu einer dauerhaften verfassungsrechtlichen Lösung war ein quasi-Vertrauensvorschuß auf nationale Einheit und Versöhnung zwischen vormals verfeindeten Gruppen. Man hatte allgemein das Gefühl, daß Ermittlungen die Stabilität gefährden würden, die für eine fragile Demokratie aber notwendig war. Zum anderen wollte die Nationale Partei für sich und ihre Ausführungsorgane die Garantie, daß die neue Regierung diejenigen, die die weiße Minderheitenherrschaft verteidigt hatten, nicht verfolgen würde. In der Tat hat die Nationale Partei kategorisch jede Erlaubnis für einen Übergang zur Demokratie und freie Wahlen abgelehnt ohne diese verfassungsmäßige Garantie einer Amnestie.

Die Frage der Verantwortung für alte Vergehen blieb eines der umstrittensten Themen der Mehrparteienberatungen über die neue Verfassung. Während die NP sich vehement für die Aufnahme einer Amnestieklausel für Sicherheitskräfte starkmachte, bestand der ANC darauf, die Frage der Straffreiheit der neuen Regierung zu überlassen.

Schließlich fand sich als letzte Klausel in der Übergangsverfassung eine sogenannte »Postambel« wieder, die die Notwendigkeit einer nationalen Versöhnung betont. Diese Verfassungsklausel sieht Amnestie vor „bei Taten… und Delikten mit politischen Zielen und im Zusammenhang mit den Konflikten der Vergangenheit.“ 1 Ein entsprechendes vom Parlament zu verabschiedendes Gesetz sollte für die Gewährung von Amnestie einen Stichtag zwischen dem 8. Oktober 1990 und 6. Dezember 1993 bestimmen und Kriterien sowie das Prozedere zur Behandlung der Amnestiefrage, darunter Tribunale, festlegen.

Dieses »Gesetz zur Förderung der nationalen Einheit und der Versöhnung« wurde Ende Juni 1995 vom Parlament verabschiedet. Während der nächsten anderthalb Jahre soll eine Wahrheitskommission die politisch motivierten Menschenrechtsverletzungen der Apartheidzeit untersuchen und den Tätern Straffreiheit gewähren, sofern sie ihre Taten öffentlich eingestehen.

Die »Kommission für Wahrheit- und Versöhnung« hat drei Hauptfunktionen:

  • die massiven Verletzungen der Menschenrechte, die stattgefunden haben und von den Konflikten der Vergangenheit herrühren, vollständig darstellen;
  • den Opfern zur Wiedererlangung ihrer menschlichen und bürgerrechtlichen Würde verhelfen, indem man sie ihre Geschichte erzählen läßt und Empfehlungen für ihre Unterstützung ausspricht;
  • die Gewährung von Amnestie überlegen für jene Täter, die Mißhandlungen aus politischen Gründen begangen haben und ihre Taten der Kommission vollständig mitteilen.

Um diese Ziele zu erreichen, arbeitet die TRC durch ihre Ausschüsse für Menschenrechtsverletzungen, für Wiedergutmachung und Rehabilitation und für Amnestie.

Der Ausschuß für Menschenrechtsverletzungen hat die Aufgabe, konkrete Fälle zu untersuchen und einen umfangreichen »Bericht zu groben Menschenrechtsverletzungen« während der 30 Jahre vor dem Übergang zu einer demokratischen Regierung in Südafrika zu erstellen.

Grobe Menschenrechtsverletzung wird definiert als: „Verletzung von Menschenrechten durch a) die Tötung, Entführung, Folter oder schwere Mißhandlung einer Person; oder b) jeder Versuch, Komplott, Anstiftung, Aufwiegelung, Befehl oder Veranlassung, eine in Paragraph a) erwähnte Tat zu begehen, die aus den Konflikten der Vergangenheit hervorgegangen ist und in der Zeitspanne vom 1. März 1960 bis zum Stichtag (schließlich auf den 5. Dezember 1993, dem Tag vor Verabschiedung der Übergangsverfassung, festgelegt. H.M.) in oder außerhalb der Republik begangen wurde und deren Ausübung von einer Person empfohlen, geplant, gelenkt, befohlen oder beauftragt wurde, die aus politischen Motiven handelte.“ 2

Dieser Ausschuß steht vor einer heiklen politischen Aufgabe und sah sich wiederholt unter Druck, seine Unparteilichkeit unter Beweis zu stellen. So nutzte er nur zögerlich seine vollen Machtbefugnisse bei Ermittlungen, Verhaftungen und Vorladungen aus.

Das beeinträchtigte auch die Beziehungen zu den Opfern, die ihre verständliche Frustration darüber äußerten, daß sie keine volle Gerechtigkeit erwarten können – nämlich die Verurteilung derer, die bekanntermaßen für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich waren. Insbesondere die (zurückgewiesenen) Verfassungsklagen von den Angehörigen Steve Bikos, der ANC-Aktivisten Dr. Griffiths und Victoria Mxenge und des erschlagenen Dr. Fabian Ribeiro, wurden von einigen Ausschußmitgliedern als dem Versöhnungsprozeß zuwiderlaufend dargestellt.

Der Ausschuß zur Wiedergutmachung und Versöhnung behandelt die Anträge auf Entschädigung für die Opfer von groben Menschenrechtsverletzungen. Der Ausschuß gibt Empfehlungen „im Bestreben, die menschliche und bürgerliche Würde des Opfers wiederherzustellen.“ 3 Die Verfasser des Gesetzes waren sorgsam darauf bedacht die Gewährung von Wiedergutmachungsleistungen nicht zu einer endlosen Verpflichtung werden zu lassen. Der Wortlaut des Gesetzes zielt darauf ab, dem Staatspräsidenten und Parlament Zeit einzuräumen, um die auszuzahlenden Beträge erst nach Feststellung der Anzahl der angemeldeten Ansprüche festzusetzen.

Die Anhörungen haben eine eigene Kraft entfaltet, sind zu einer eigentümlichen Mischung aus individueller und kollektiver Therapie, Tribunal und Messe geworde<14>n

Diese stillste Unterabteilung der TRC – »Wiedergutmachung und Versöhnung« – zeigte sich bisher unfähig, hier eine sinnvolle Politik zu entwickeln. Das ließ viele Opfer – vor allem angesichts der Ungewißheit über die Höhe des Geldes, das die Regierung zur Verfügung stellen würde – doch sehr am Wert und an der Bedeutung ihrer Aussagen zweifeln.

Der Amnestieausschuß behandelt die eingehenden Anträge und gewährt Amnestie „bei jeder Tat… oder Vergehen auf der Grundlage, daß es sich um eine Tat handelt, die mit politischer Zielsetzung in Zusammenhang steht“ 4 und die zwischen März 1960 und Dezember 1993 begangen wurde.

Die große Stärke der gesamten TRC lag bisher in dieser Abteilung, die keine moralische Unterscheidung zwischen Opfern auf allen Seiten des Konflikts zu machen brauchte. Das Ergebnis war ein einmalig machtvoller Prozeß, in dessen Verlauf diejenigen, die massive Menschenrechtsverletzungen erleiden mußten, vor der Kommission und vor der südafrikanischen Öffentlichkeit aussagten. Die Auswirkungen dieser öffentlichen Zeugenaussagen sind der größte Erfolg der TRC und werden zweifelsohne auch in den nächsten Jahren tiefgreifenden Einfluß auf die südafrikanische Gesellschaft haben.

Seit Mitte April 1996 reist die 17köpfige Wahrheitskommission unter Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Bischof Desmond Tutu durch ganz Südafrika, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Hunderte von Geschichten von Mord, Folter, Verfolgung und Leid mußten sich die Kommissionsmitglieder seither anhören, »kleine« und »große«, alltägliche und außergewöhnliche Verfolgung im Apartheid-Staat. Längst haben die Anhörungen eine eigene Kraft entfaltet, sind nicht zuletzt aufgrund der Persönlichkeit Tutus zu einer eigentümlichen Mischung aus individueller und kollektiver Therapie, Tribunal und Messe geworden. Die Emotionen schlagen oft hoch, viele Ehefrauen und Mütter brachen schreiend vor der Kommission zusammen, wenn sie ihre Geschichte öffentlich erzählen durften, und auch einzelnen Kommissionsmitgliedern laufen oft die Tränen herunter.

Vor allem für die schwarze Bevölkerungsmehrheit hat die Kommission eine gar nicht zu unterschätzende kathartische Wirkung. Zwar sind viele Fälle, die referiert werden, bekannt, hatten bereits früher gerichtliche Untersuchungen nach sich gezogen. Die meisten allerdings waren im Nichts verlaufen, von den verschwundenen Ehemännern und Söhnen fehlt bis heute jede Spur. In afrikanischen Kulturen hat es eine besondere Bedeutung, wenn die Hinterbliebenen die Toten nicht begraben können, denn solange zürnen die Ahnen. Immer wieder flehten weinende Frauen deshalb die Kommission an, ihnen die Toten zurückzubringen, damit sie sie endlich begraben können.

Hier erfüllt die TRC ihre Aufgabe, die klassische Form der Gerechtigkeit zu ergänzen. Der Wahrheits- und Versöhnungsprozeß, wie er in Südafrika angestrebt wird, hat auch etwas mit afrikanischer Spiritualität zu tun. Verletzer und Verletzte und ihre Familien verhandeln miteinander. Und das Opfer steht viel stärker im Mittelpunkt, als dies eine normale Prozeßordnung zuläßt. Sie haben nicht nur die Gelegenheit zu berichten, sie befreien sich auch. Der Wunsch, den sie haben, ist zu wissen, wo ihre Frauen, Männer und Kinder geblieben sind. Und wenn sie gefunden werden, wo sie verscharrt wurden, dann werden sie nach Hause gebracht und in Würde beerdigt.

Was die Seite der Täter angeht, ist die Bilanz eher mager

Was allerdings die andere Seite, die der Täter angeht, ist die Bilanz bisher eher mager. Weiße Rechtsextreme haben die Kommission deshalb bereits höhnisch als »Kleenex-Kommission« tituliert – nach dem Motto: geweint wird ausgiebig, mehr aber auch nicht. Der Vorsitzende der TRC, Desmond Tutu, sagte bei seinem Amtsantritt: „Wir können keine moralischen Werte diktieren, daß die Täter Reue empfinden. Wir gehen ein Risiko ein. Wir hoffen, daß jemand der darüber spricht, einen Menschen getötet zu haben, erkennt, daß dieser Mensch keine bloße Nummer, keine Ziffer in der Statistik ist. Dieser war die Mutter, der Vater, das Kind von jemand anderem. Ich hoffe, daß die Täter nicht hochnäsig auftreten und sich ins Fäustchen lachen, daß sie sich im klaren sind, daß sie über etwas sprechen, das viele Menschen in diesem Land traumatisiert hat.“ 5

Wer gehofft hatte, daß durch die spezielle Amnestieregelung die Täter zu Tausenden hervortreten und sich zu ihren Taten bekennen würden, sieht sich bislang getäuscht.

Und so sehen sich viele Opfer überfordert, ihrerseits einen Schlußstrich zu ziehen. Alex Boraine, stellvertretender Vorsitzende der TRC, berichtet über eine Verhandlung: Eine schwarze Frau hört den Aussagen des Mörders ihres Mannes zu. Zum ersten Mal erfährt sie, wie ihr Mann umgebracht wurde. Und als sie gefragt wurde, ob sie vergeben könne, antwortete sie in ihrer Sprache, übersetzt von einem Dolmetscher: „Keine Regierung kann vergeben (Pause) Keine Kommission kann vergeben (Pause) Nur ich kann vergeben (Pause) Und ich bin nicht bereit, zu vergeben.“ 6

Andere Opfer sind grundsätzlich der Ansicht, daß Schwerverbrechen von den Gerichten verfolgt und bestraft werden müssen, wie etwa die Familie von Steve Biko. Sie argumentieren, die Strafe für den Täter sei für das seelische Weiterleben der überlebenden Opfer, bzw. der betroffenen Angehörigen von entscheidender Bedeutung; denn diese Strafe demonstriere die Solidarität des Sozialverbandes mit dem Opfer.

Stabilität und Nationale Einheit stehen gegen die Forderungen nach Gerechtigkeit durch Strafe. Verfolgung, Verurteilung und Haft stehen gegen Versöhnung. Einige meinen, Strafe könne zukünftige Repression verhindern, denn Strafe schrecke die Täter ab. Auch heißt es, daß Tyrannei da beginne, wo das Gesetz ende – Straffreiheit für Verbrecher entwerte und untergrabe die Geltung der Gesetze. Strafverfolgung dagegen zeige, daß niemand über dem Gesetz stehe.

Amnestie könne also auch zu Desillusionierung und Zynismus in der Bevölkerung führen und die moralische Autorität der Regierung schwächen. Amnestie sei außerdem eine verhängnisvolle Kapitulation vor den Forderungen der Sicherheitskräfte. Sie behielten dadurch unverhältnismäßig viel Macht in der erst entstehenden Demokratie.

Natürlich gibt es starke Gegenargumente. Das wichtigste darunter ist, daß Strafverfolgung zu Destabilisierung oder sogar offener Rebellion führen könne. Das würde eine fragile Demokratie schwächen und in einem Militärputsch enden.

Die Amnestiebefürworter glauben, Amnestie ist das kleinere von zwei Übeln, die Alternative sei Militärherrschaft. Sie vertreten die Meinung, es sei besser, kurzfristig Kompromisse einzugehen, um die langfristigen Ziele von Stabilität, Frieden und Achtung der Menschenrechte zu sichern.

Die Wahrheitskommission beschreitet hier einen Mittelweg. Denn Amnestie gibt es nicht automatisch. Besonders brutale, heimtückische oder barbarische Verbrechen werden nicht amnestiert. Die Namen und Taten der Amnestierten werden veröffentlicht. Das ist an sich schon eine Art der Bestrafung und kann auch Konsequenzen für Beschäftigung oder Amt haben.

Unter realpolitischen Gesichtspunkten ist Südafrikas Amnestieregelung der Preis für den friedlichen Übergang zur Demokratie. Aber ist Versöhnung zu diesem Preis zu haben? Der Politologe Steven Friedman schreibt: „Eine Kommission alleine kann vielleicht zur Wahrheit gelangen – obwohl auch das schon fraglich ist, denn Wahrheit ist in unserer polarisierten Gesellschaft nur allzuoft eine Frage des Standpunkts. Aber sie kann keine Versöhnung verordnen. Nur die Menschen, die miteinander versöhnt werden müssen, können das tun. Die TRC kann zu Versöhnung und Demokratie beitragen, wenn sie einen Prozeß in Gang setzt, in dem Südafrikaner zu einem gemeinsamen Verständnis von Wahrheit gelangen – oder, was vermutlich noch wichtiger ist, zu einer gemeinsamen Auffassung von Gerechtigkeit.“ 7

Anmerkungen

1) Constitution of the Republik of South Africa, Bill Act 251. 1993. Zurück

2) Promotion of National Unity and Reconciliation Act 1995. Zitiert nach Human Rights Comittee, Human Rights Update Week 26, 24-30 June 1995. Zurück

3) dito Zurück

4) dito Zurück

5) Sapa, 04.04.1996. Zurück

6) Alex Boraine am 17.05.1997 im Gespräch mit dem Autor. Zurück

7) Mail & Guardian, 17-23. January 1997. Zurück

Hein Möllers ist Mitarbeiter der »informationsstelle südliches afrika« und Redakteur der Zeitschrift »afrika süd«.