Militanter Islamismus in Algerien und Ägypten

Militanter Islamismus in Algerien und Ägypten

Das Kriegsgeschehen in Nordafrika

von Jürgen Endres

Die Politisierung des Islam in Form von islamistischen Organisationen ist in Ägypten durch eine relativ lange Tradition geprägt. Die im Jahr 1928 von Hassan al-Banna gegründete Muslimbruderschaft (arab. al-ikhwan al-muslimun) gilt zu Recht als erste islamistische Bewegung. Ihr Programm von 1936 umfaßte summarisch folgende Punkte: Beendigung des Parteienwesens, Einführung der islamischen sharia1, kulturelle Zensur sowie Wahrung islamischer Moralvorstellungen, Verbot von Zins und Profit und sozial orientierte Verteilung des Reichtums. Nach Jahren militanter Aktionen gegen die britische Vorherrschaft in Ägypten und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Repräsentanten des Nasser-Regimes korrigierte die Bruderschaft den von ihr verfolgten Kurs der gewaltsamen Konfrontation und beschloß einen Marsch durch die Institutionen, der sich zu einem wahren Hindernislauf entwickeln sollte.

Allerdings vollzogen nicht alle Mitglieder der zu einer Massenorganisation angewachsenen Muslimbruderschaft die ideologische Kurskorrektur. Resultat dieser Entwicklung war die Abspaltung militanter islamistischer Organisationen von der Muslimbruderschaft, die heute den bewaffneten Kampf gegen das bestehende System fortsetzen. Derzeit werden in Ägypten einige Dutzend militante islamistische Organisationen vermutet, die jedoch unabhängig voneinander agieren. Die bekanntesten dieser Organisationen sind al-jihad (heiliger Kampf), al-jama'a al-islamiyya (islamische Gemeinschaft), hizb at-tahrir al-islami (Partei der islamischen Befreiung) sowie jama'a at-takfir wa-l-hijra (Gemeinschaft der Bezichtigung des Unglaubens und der Auswanderung).

Der bewaffnete Konflikt in Ägypten

Seit 1992 haben sich die Auseinandersetzungen zwischen den militanten islamistischen Organisationen und den ägyptischen Sicherheitskräften intensiviert. Durch Attentate auf Repräsentanten der Regierung und Vertreter der Sicherheitskräfte, Angehörige der koptisch-christlichen Minderheit und Touristen sowie Bombenanschläge auf öffentliche Einrichtungen erstreben die militanten islamistischen Organisationen eine Destabilisierung der ägyptischen Regierung, um auf diesem Weg deren innen- und außenpolitische Legitimität zu untergraben.

Der durch den islamistischen Terrorismus herausgeforderte Staat reagiert stets mit unerbittlicher Härte (landesweite Razzien, Verstoße gegen die Menschenrechte, Schußwechsel mit meist zahlreichen Verletzten und Toten, Massenverhaftungen und Militärtribunale) und trägt durch diese Strategie zu einer Eskalation der Auseinandersetzungen bei. Dabei gelang es jedoch weder den Sicherheitskräften, die den säkularen Staat herausfordernden militanten islamistischen Organisationen zu eliminieren, noch erreichten die etwa 10.000 Mitglieder dieser Organisation ihr Ziel, die ägyptische Regierung tatsächlich zu destabilisieren. Somit ist weder ein Ende des Konflikts noch ein Sturz des ägyptischen Regimes in Sicht.

Parallel zur militärischen Auseinandersetzung mit den militanten islamistischen Organisationen des Landes führt die ägyptische Regierung einen weit weniger spektakulären für die zukünftige Entwicklung des bewaffneten Konflikts jedoch entscheidenden Kampf gegen die Muslimbruderschaft. Mit einer Mitgliederzahl von etwa 100.000 zählt diese zu den bedeutendsten politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes. Etwa eine Million Ägypter sollen mit der Bruderschaft sympathisieren.

Die ideologische Kurskorrektur der Bruderschaft könnte im Vergleich zu ihren Anfangsjahren drastischer nicht sein. Im Gegensatz zu ihrer Gründungszeit tritt sie heute für ein freies Parteiensystem ein, in dessen Rahmen sie als islamistische Partei zu partizipieren bereit ist. Sowohl das politische System als auch die ägyptische Gesellschaft wird von der Muslimbruderschaft als islamkonform charakterisiert. Zudem bekennt sie sich zu einer sozialen Marktwirtschaft und zeigt alle Züge einer politischen Partei. Seit geraumer Zeit jedoch wird der gesellschaftliche und politische Einfluß der seit 1954 offiziell verbotenen Bruderschaft, die unter Sadat relative politische Freiheit und Partizipation genoß, trotz der Integrationsbereitschaft und des Bekenntnisses zu demokratischen Strukturen systematisch zurückgedrängt. Im Jahr 1993 änderte die ägyptische Regierung die Wahlgesetze für Berufsvereinigungen, die der Bruderschaft als Plattform für eine politische Partizipation dienten und schränkte dadurch die Möglichkeiten politischer Partizipation drastisch ein. Zudem erhebt das ägyptische Regime vermehrt den Vorwurf des Zusammenschlusses zu einer terroristischen Vereinigung gegen prominente Muslimbrüder und läßt diese von Militärgerichten verurteilen.

Die Konsequenzen dieser staatlichen Konfliktstrategie könnten sich als fatal erweisen. Denn die massive staatliche Repression im Verein mit einer forcierten Politik des Entzugs der Möglichkeiten der politischen Partizipation und Integration in bestehende Strukturen drohen wie in der Ära Nassers bereits geschehen zu einer Radikalisierung bisher friedlich agierender Muslimbrüder beizutragen. Eine weitere Eskalation des Konflikts ist somit aufgrund einer steten Einschränkung friedlicher politischer Alternativen zum bewaffneten Konfliktaustrag nicht auszuschließen.

Der Krieg in Algerien

Die Geschichte des seit 1992 herrschenden Krieges in Algerien ist wie die des bewaffneten Konflikts in Ägypten eine Geschichte der Verweigerung politischer Freiheit und Partizipation. Von besonderer Bedeutung für den Krieg in Algerien ist jedoch, daß die staatssozialistische Entwicklungsdiktatur Algeriens in eine klientelistische Kleptokratie der Front de Liberation Nationale (FLN) mündete, die sich seit der Unabhängigkeit Algeriens 1962 Staat und Wirtschaft angeeignet hat.

Die unmittelbare Vorgeschichte des innerstaatlichen Krieges beginnt mit dem Wahlsieg der im Februar 1989 konstituierten Front Islamique du Salut (FIS) bei den ersten freien Kommunalwahlen im Sommer des Jahres 1990 sowie bei der ersten Runde der Parlamentswahlen im Dezember des Jahres 1991. Wie schon zahlreiche Male zuvor in Krisensituationen betrat das algerische Militär die politische Bühne und setzte den für März 1992 vorgesehenen zweiten Wahlgang aus. Zudem zwangen die Militärs den amtierenden Staatspräsidenten Chadli Benjedid zum Rücktritt und verboten kurze Zeit später die FIS. Der durch das Militär zum Präsidenten ernannte Muhammad Boudiaf, der 30 Jahre im marokkanischen Exil lebte, fiel im Sommer 1992 einem Attentat seiner eigenen Sicherheitskräfte zum Opfer, für das zunächst jedoch die FIS verantwortlich gemacht wurde. Das abrupte Ende des durch die Wahlen eingeleiteten Demokratisierungsprozesses mündete in einem innerstaatlichen Krieg, der seit 1992 zwischen 50.000 und 80.000 Todesopfer gefordert hat und der im Gegensatz zu Ägypten zu einem partiellen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung geführt hat.

Auf seiten der militanten Islamisten, die sich um ihren Wahlsieg betrogen fühlen und auf staatliche Repression mit Terror antworten, sind es zwei Organisationen, die insbesondere in die Kämpfe mit den staatlichen Sicherheitskräften verwickelt sind: zum einen die Mitglieder der Organisation Mouvement Islamique Armé (MIA), die als bewaffneter Arm der verbotenen FIS angesehen wird und die sich seit dem Frühjahr 1994 Armée Islamique du Salut (AIS) nennt. Die zweite intensiv an der militärischen Auseinandersetzung mit dem Staatsapparat beteiligte Organisation ist die Groupe Islamique Armé (GIA), die im Sommer des Jahres 1992 infolge der Ermordung und Verhaftung zahlreicher islamistischer Untergrundführer entstand.

Über die Anzahl der Mitglieder dieser Organisationen existieren stark divergierende Angaben. Einige Schätzungen gehen von etwa 2.500 Mitgliedern aus, andere reichen bis zu 20.000. Ihnen stehen 40.000 Militärs gegenüber, die aus der insgesamt 130.000 Mann starken Armee speziell zu Terrorismusbekämpfung bereitgestellt wurden.

Weder die zwischen der FIS, der FLN und der Front des Forces Socialistes (FFS) im Januar des Jahres 1995 im Rahmen der »Plattform von Rom« verabschiedete »Nationale Charta«, die der Wiederherstellung eines souveränen, demokratischen und sozialen Algeriens im Sinne der Prinzipien des Islam dienen sollte, noch die Präsidentschaftswahlen vom November des selben Jahres, aus denen der seit Januar 1994 amtierende Staatschef General Liamine Zeroual als deutlicher Sieger hervorging, führten zu einem Rückgang der Intensität der militärischen Auseinandersetzungen. Dies gilt auch für das Referendum über eine neue Verfassung, in der u.a. die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten erheblich erweitert und politische Parteien, die sich als religiös definieren, verboten wurden sowie für die Parlamentswahlen vom Juni 1997, die die Staatschef Zeroual nahestehende Rassemblement National Démocratique (RND) gewann. Sie erhielt 156 von 380 Parlamentssitzen. Zweitstärkste Kraft wurde das Mouvement de la Société pour la Paix (MSP), die Nachfolgeorganisation der algerischen Hamas2.

Die Tatsache, daß die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen gleich blieb, obwohl sich die Regierung um eine höhere Legitimation bemühte, liegt zum einen darin begründet, daß insbesondere die GIA jegliche Form des Dialogs mit der algerischen Regierung ablehnt. Zum anderen – und dies ist von entscheidender Bedeutung – wurde die islamistische Opposition von der Regierung vollkommen aus dem politischen Prozeß ausgeschlossen und somit ein Großteil der oppositionellen Kräfte des Landes der Möglichkeiten politischer Partizipation beraubt.

Parallelen und Unterschiede zwischen Algerien und Ägypten

Prägnanteste Parallelen in beiden bewaffneten Konflikten sind sicherlich die diesen zugrundeliegenden Hauptkonfliktlinien und Ursachen sowie die Konstellation der Konfliktparteien. Beide Konflikte sind Folgen einer als illegitim empfundenen staatlichen Herrschaft und einer in beiden Staaten existierenden tiefen sozialen Krise, die aus der Transformation traditionaler Gesellschaften resultiert.

In beiden Fällen wird ein korruptes und mehr oder minder autoritäres Regime durch reformorientierte Organisationen – in Ägypten ist dies insbesondere die Muslimbruderschaft, in Algerien die FIS – oder militante islamistische Gruppierungen herausgefordert. Die Artikulation des Protests und die Legitimation des bewaffneten Widerstandes geschieht jeweils unter Rückgriff auf den Islam, der zugleich vages Programm für die angestrebte Gesellschaftsform ist: al-islam hua al-hall (der Islam ist die Lösung). Sowohl in Ägypten als auch in Algerien soll das von den militanten islamistischen Organisationen als unislamisch perzipierte politische System durch ein an den Idealen der medinensischen umma3 zu Lebzeiten Muhammads ausgerichtetes System ersetzt werden, das auf dem Koran und der sunna4 des Propheten Muhammad basieren soll. Den säkularen Gesellschafts- und Staatsmodellen der Moderne wird ein an traditionalen Elementen orientiertes islamistisches Modell entgegengesetzt, von dem man sich eine Form einer autochthonen Moderne verspricht und das an die Hochzeit der islamischen Kultur anknüpfen soll.

Weitere Parallelen weist die Mitgliederstruktur der militanten islamistischen Organisationen Ägyptens und Algeriens auf. In beiden Staaten rekrutieren sich diese Organisationen vorwiegend aus jungen Erwachsenen, die nur über wenig formale Bildung verfügen und aus ruralen Gebieten oder den Armutsvierteln urbaner Zentren stammen. Des weiteren werden an den Universitäten Studenten rekrutiert, deren Zukunft trotz ihrer formalen Ausbildung meist ungesichert ist. Angesichts des Scheiterns säkularer Strategien perzipieren diese den Rückgriff auf traditionelle Bezugssysteme (hier der Islam) als einzig wahre Alternative und erfahren zudem in den islamistischen Organisationen ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft.

Die Unterschiede in der Größe der Konfliktparteien und der Zahl der Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen lassen sich u.a. durch das unterschiedliche Maß an politischen und gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten erklären. Während in Algerien der islamistischen Opposition eine politische Partizipation an den bestehenden Strukturen vollkommen verwehrt wird, bleiben der islamistischen Opposition in Ägypten dazu – wenn auch geringer werdende – Möglichkeiten.

Die Unterschiede resultieren aber auch aus den verschiedenen historischen Verläufen der Modernisierung Ägyptens und Algeriens. Im Vergleich zu Algerien ist die ägyptische Gesellschaft deutlich stärker mit Momenten moderner kapitalistischer Gesellschaft durchdrungen, wie auch die Staatlichkeit Ägyptens auf eine deutlich ältere Tradition zurückblicken kann. Beide Faktoren sind für die unterschiedlichen Entwicklungen der bewaffneten Auseinandersetzungen von entscheidender Bedeutung.

Sowohl für Ägypten als auch für Algerien ist der Kassandraruf eines drohenden aggressiven islamistischen Regimes ungerechtfertigt. Denn in beiden Staaten sympathisiert das Gros der Bevölkerung in keiner Art und Weise mit den militanten Islamisten, sondern sehnt vor allem ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen herbei.

Literatur

Borchardt, Ulrike 1994: Bürgerkrieg in Algerien, Arbeitspapier Nr. 75 der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Universität Hamburg (out of print).

Endres, Jürgen 1997: Die islamistische Opposition in Ägypten zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Muslimbruderschaft und militante Islamisten, Arbeitspapier der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Universität Hamburg (in print).

Keppel, Gilles 1985: The Prophet and Pharao. Muslim Extremism in Egypt, London.

Manousakis, Gregor M. 1994: Algerien, der erste Dominostein? In: Europäische Sicherheit, Jg. 43, Nr. 7, S. 335-337.

Meier, Andreas 1994: Der politische Auftrag des Islam: Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen. Originalstimmen aus der Islamischen Welt, Wuppertal.

Mitchell, Richard P. 1969: The Society of the Muslim Brothers, London.

Riesenbrodt, Martin 1993: Islamischer Fundamentalismus aus soziologischer Sicht. In: APuZ, B 33, S. 11-16.

Anmerkungen

1)sharia: islamische Rechtsordnung. Zurück

2) Die algerische Hamas darf mit der palästinensischen Hamas nicht verwechselt werden. Während Hamas in Palästina als Akronym für harakat al-muqawama al-islamiyya (Bewegung des islamischen Widerstands) steht und die Organisation ihre Ziele mittels physischer Gewalt zu erreichen sucht, steht der Name der gewaltverneinenden algerischen Partei für das arabische Wort „Eifer“. Zurück

3) umma: Gemeinschaft der Gläubigen. Zurück

4) sunna: überlieferte beispielgebende Verhaltensweisen des Propheten; die zu verbindlichen Präzedenzfällen erhobenen überlieferten Aussagen und Handlungen des Propheten. Zurück

Jürgen Endres ist Mitglied der AKUF

Südafrika nach den Wahlen

Südafrika nach den Wahlen

von Jens Peter Steffen

In beeindruckender Weise ist nach vier Jahren hart geführter Verhandlungen der Anspruch des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), des größten Widerstandsbündnisses gegen die Apartheid, auf die Führung des Landes durch die Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner bestätigt worden.

Hinter den 252 Sitzen des ANC fallen die vormalige Regierungspartei, die Nationale Partei (NP) und die Inkatha Freiheitspartei der Zulus (IFP) mit 82, bzw. 43 Sitzen in der Nationalversammlung weit zurück. Vier weitere Parteien werden einen schweren Stand haben, sich Gehör zu verschaffen. Mit neun Sitzen und ca. 425.000 Stimmen wird die burische Freiheitsfront (FF) von Constand Viljoen dennoch ein vehementer Vertreter für die Schaffung eines Afrikaander-Volksstaates sein. Enttäuscht ist der Pan-Afrikanistische Kongress (PAC) ob seiner fünf Sitze. Seine Führung hatte die eigene Gefolgschaft und das Stimmpotential der mit der kompromißbereiten Verhandlungslinie des ANC unzufriedenen als wesentlich höher eingeschätzt. Die Demokratische Partei (DP), einst die liberale Vorzeigeopposition der Apartheid, hat mit sieben Sitzen (1,7<0> <>%) ihr Ziel einer Regierungsbeteiligung, die mit fünf Prozent der Stimmen möglich gewesen wäre, weit verfehlt. Zwei Sitze erhielt die dubiose Afrikanische Christlich Demokratische Partei (ACDP), von dessen Hauptbetreiber in der Presse berichtet wurde, er sei ein erfahrener Organisator der »dritten Kolonne« der Machtorgane des Apartheidsystems gewesen. Mit mikroskopischen Stimmenanteilen von unter 0,2 Prozent blieben die Parteien der ehemaligen Homelandführer, ethnisch-religiöse Parteien und diverse weitere Zusammenschlüsse und Kandidaten am Ende der Stimmenauszählung außerhalb der Nationalversammlung.

Der Wahlerfolg des ANC bestätigt seinen Charakter als ein breites gesellschaftliches Bündnis, daß die Grenzen von Klasse, Rasse und Religion überschreitet. Damit hat sich die Wahlkampfstrategie, nicht alleine als die ehemalige Befreiungsbewegung aufzutreten, sondern vielmehr als Bündnis mit der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), dem Gewerkschaftsdachverband (COSATU), der Südafrikanischen Nationalen Organisation der Bürgerorganisationen und via der Patriotischen Front mit den Resten der Arbeiterpartei des Allan Hendrickse, Vertretern des Indischen Kongresses und weiteren Bürgerrechtsorganisationen, als fruchtbar erwiesen. Das Wahlergebnis zeigt aber auch, daß nur geringe Teile der weißen Wählerschaft für den ANC votierten, während das Bündnis unter indischen, farbigen (provinziell unterschiedlich) und diversen afrikanischen Wählern Mehrheiten mobilisieren konnte. Praktisch-taktisch war die ANC-Bündnisstrategie durch die Ergänzung der Großveranstaltungen mit zahllosen auf spezifische Zielgruppen und Themen zugeschnittenen Zusammenkünften umgesetzt worden. Wichtig waren auch lokale, regionale und thematische Bürgerforen, die der Aufnahme der Wünsche der Bevölkerung dienten und von denen die ANC-Führung zu Wahlzeiten sagte, daß sie fortgesetzt würden.

Die Schwierigkeiten des ANC, sich nach der Legalisierung auf die veränderten Bedingungen der politischen Arbeit einzustellen und die vor Ort verbliebenen Kämpfer und zurückkehrenden Exilanten zu einer Partei zu verschmelzen, haben sich bislang in einer moderaten und auf Kompromiß ausgelegten politischen Ausrichtung der ANC-Führung gelöst, die sich in den Augen der Wähler als mehrheitsfähig erwiesen hat. Für diese Linie stehen Persönlichkeiten wie Cyril Ramaphosa, Thabo Mbeki und natürlich Nelson Mandela. Die Regierungspositionen, die radikale Wortführer wie Winnie Mandela, Peter Mokaba und Harry Gwala erhalten haben, zeigen aber auch, daß der kompromißloseren Stimmung der Basis – und besonders der Jugend – Rechnung getragen wird. Für diesen Wahlsieg hat der ANC alles eingesetzt und verbraucht, was er an Ressourcen aufbringen konnte. Die Notwendigkeit, die Organisation zu straffen und zu stabilisieren wird schwer zu erfüllen sein. Der große Wahlerfolg bedingt, daß Führungskräfte auf nationaler und provinzieller Ebene in Regierungsämter abwandern. Cyril Ramaphosas Rückbesinnung auf seine Aufgabe als Generalsekretär des ANC muß der Reorganisation des ANC wichtige Impulse geben, auch wenn sein Fehlen im Regierungszirkel – als Chefunterhändler des Übergangs wurde er zum Nachfolger Nelson Mandelas stilisiert – als Zurücksetzung gekennzeichnet wurde.

Der NP (Nationale Partei), die verfassungsgemäß einen Vizepräsidenten und sechs Minister stellt, ist besonders im Westkap die Erschließung neuer Wählergruppen unter den Farbigen gelungen. Der NP-Premier Hernus Kriel, als wertkonservativer Bure ein Opponent de Klerks, spielte in seinem Wahlkampf besonders mit der Angst der Farbigen vor einer für sie unkontrollierbar erscheinenden Beherrschung durch Schwarzafrikaner. Die Mehrheitsverhältnisse in der Provinzversammlung sind aber nicht eindeutig und drei kleineren Parteien kommt eine eventuell ausschlaggebende Bedeutung zu. National drängte die Wahlkampfstrategie der NP bei den Wählern auf die Einsicht, daß eine starke Opposition von Nöten sei, um den despotischen Zügen des ANC entgegenzuwirken. Dabei wurden Reizworte des traditionellen Anti-Kommunismus ebenso wie rassistische Vorurteile benutzt. Die NP versuchte sich das Image einer völlig reformierten Partei zu geben, dessen Denken an westlichen Wertvorstellungen orientiert sei. Bis auf medial ausgeschlachtete Einzelfälle schwarzer Kandidatinnen, Kandidaten und Unterstützung, zeigt das Wahlergebnis, daß die NP unter Schwarzafrikanern nur wenig Erfolg hatte.

Die IFP (Inkatha Freiheitspartei) konnte nur spät in den Wahlprozeß eingebunden werden, was zu erheblichen technischen Problemen und im Endeffekt zu Anschuldigungen der Wahlmanipulation führte. Zumindest aus der öffentlichen Darstellung der Zusagen zur künftigen Verfassungsdiskussion und der Änderung der Übergangsverfassung im Sinne einer Garantie eines Zulu-Königreichs ist nicht zu ersehen, was Buthelezi durch seine anhaltende Verweigerung mehr gewonnen hat, als ihm zuvor schon zugesagt wurde. Der im wesentlichen in KwaZulu/Natal erlangte Erfolg der IFP bringt die Führung Inkathas in die nationale Regierung, die dort gegen die von ihr verspürten zentralistischen Interessen des ANC arbeiten will, während in der Provinz selbst die Zusammenarbeit mit dem ANC gesucht werden muß. Die Provinzführung des ANC ist aber nach wie vor mit der Entscheidung unzufrieden, die Wahlen allgemein als fair und frei anzuerkennen und überlegt Schritte, das Ergebnis in KwaZulu/Natal vor Gericht anzufechten. In der Provinz, in der der aufgrund blutiger Zusammenstöße verhängte Notstand nach wie vor gilt, werden bezüglich der gewaltsamen Auseinandersetzungen unterschiedliche Prognosen abgegeben: während IFP-Stimmen das Problem der politischen Gewalt zwischen ANC und IFP-Anhängern gerne zu einem »historischen« machen würden, befürchten ANC-Anhänger eine Bestrafung ihrer Wählerbasis, um für zukünftige Wahlen das Terrain der IFP zu bereiten.

Das Wirtschafts- und Sozialprogramm

In Artikel 88ff der Übergangsverfassung wird vorgeschrieben, daß Parteien mit mehr als fünf Prozent Wahlergebnis an der Regierung der Nationalen Einheit beteiligt werden müssen. Der in der ersten Sitzung der Nationalversammlung proklamierte Präsident Nelson Mandela steht damit einem Kabinett vor, daß er proportional aus Kräften des ANC, der NP und der IFP gebildet hat. Sowohl das nationale als auch die neun Provinz-Kabinette wollen sich für die nächsten fünf Jahre einem Kode gemeinsamer Verantwortung unterwerfen. Nichtsdestoweniger hat die mehr oder minder im Alleingang durch die ANC-Führung erstellte und dabei die Wünsche der anderen Parteien weitgehend ignorierende Kabinettsliste bereits viel Unmut hervorgerufen. Die besonders umstrittenen »Sicherheitsministerien«, wie Verteidigung und Polizei, aber auch die für das Rekonstruktions- und Entwicklungsprogramm des ANC zentralen Ministerien hat der ANC besetzt. Den wichtigen Ministerien, die an die NP und die IFP gingen, wurden ANC Junior-Minister als »Aufpasser« zugestellt. Zusätzlich dazu gibt es eine zweite Linie an Einfluß und Kontrolleuren, wenn die Generaldirektoren der Ministerien – erneut nach Parteienproporz – ernannt werden.

Nelson Mandela hat nach dem Wahlerfolg bekräftigt, daß das Rekonstruktions- und Entwicklungsprogramm des ANC die Grundlage für die Regierung der nationalen Einheit sein wird. Seine Erklärung richtete sich besonders gegen die NP, die im Wahlkampf eine wirtschaftliche Programmatik paternalistisch kaschierter und unkontrollierter Marktwirtschaft favorisierte. Obwohl besonders aus den Reihen der Gewerkschaften das mehrmalige Umschreiben des Programms mit seiner zunehmenden Verwässerung gleichgesetzt wurde, formuliert das ANC-Programm immer noch den einzigen kohärenten praktisch-politischen Maßnahmenkatalog zu Bildung einer sozial gerechteren und gleichwertigeren südafrikanischen Gesellschaft. Wie die Balance zwischen der von der Wählerschaft des ANC erwarteten Umverteilung der Reichtümer des Landes, den geerbten ökonomischen Problemen, den Vorbehalten und Bedingungen der Wirtschaftsführer und der internationalen Wirtschaftszentren, im Rahmen der Regierung der nationalen Einheit gefunden wird, muß abgewartet werden. Selbst bedächtigste strukturelle Reformen Südafrikas werden sich gegen das traditionelle anti-kommunistische Sentiment durch die noch immer von Weißen kontrollierten Medien und Wirtschaftskartelle behaupten müssen. Nach der Wahl sind aus der NP und der IFP vermehrt Stimmen zu hören, die im Gegensatz zu Wahlkampfzeiten vorgeben, mit dem Programm keine Probleme zu haben – solange es zu finanzieren sei. Zu erwartende Streitpunkte in der neuen Regierung werden aber sicherlich die Breite und Tiefe der sozialen Komponente des Neuen Südafrikas sein, sowie divergierende Vorstellungen monetären Managements und weitgehender Deregulation mit den staatsinterventionistischen Ideen gesellschaftlicher Transformation. Dennoch: zwischen den wichtigen politischen Kräften herrscht zumindest Einigkeit über die marktwirtschaftliche Grundausrichtung. ANC-Sprecher betonten im Wahlkampf immer wieder, daß es Aufgabe des demokratischen Staates sei, für die Entwicklung und Pflege des Marktes zu sorgen. Der ANC habe sich von den Nationalisierungsforderungen der Freedom Charter entfernt, wenn man auch die Notwendigkeit sehe, zur Stärkung von Wachstum und Entwicklung interventionistisch einzugreifen.

Es gibt eine Reihe positiver Grunddaten der südafrikanischen Wirtschaft, die Hoffnungen auf ein wirtschaftliches Wachstum als Grundlage des gesellschaftlichen Umbaus machen. Das Land hat eine für das südliche Afrika gut entwickelte wirtschaftliche Infrastruktur, wenn diese auch in ihrer Qualität in den Provinzen sehr unterschiedlich ist. Sowohl die menschlichen als auch die natürlichen Ressourcen des Landes sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft, zudem erholt sich das Land sichtbar von den Folgen jahrelanger Dürre.

Konkret malen die Rahmendaten der Wirtschaft dagegen ein düsteres Bild. Die Produktivität ist niedrig, Investitionen sind in den letzten Jahren vernachlässigt worden und die Rezession, Sanktionen und die jahrelange Dürre haben ihre Spuren im Land hinterlassen. Die Staatsverschuldung von 229,4 Milliarden Rand (58,8<0> <>% des Bruttosozialprodukts) belasten den gegenwärtigen Staatshaushalt mit einer Schuldentilgung von 25,3 Milliarden Rand, wobei Fachleute von einer realistischen Belastung von 30 Milliarden sprechen.

Der zur Jahreswende 1993/94 unter 10<0> <>% gefallenen Inflationsrate steht ein prognostiziertes jährliches Wachstum von 2 bis 2,5<0> <>% entgegen. Allerdings erwarten Wirtschaftsvertreter mit Blick auf das Wirtschaftsprogramm des ANC den erneuten Anstieg der Inflationsrate auf über 10<0> <>%.

Im Januar wurden erschreckende Zahlen zum Arbeitsmarkt vorgelegt. Demnach hätten 46<0> <>% des wirtschaftlich aktiven Bevölkerungsanteils keine Arbeit, wobei in bestimmten Gebieten die Arbeitslosigkeit bis an 90<0> <>% heranreiche. Besonders zu Buche schlagen Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierungen und Entlassungen: Seit 1986 sind von ehemals einer halben Million Bergarbeiter in den Goldminen ein Viertel entlassen worden; betroffen sind zudem die Bereiche Textil-, Schuhindustrie und der Maschinenbau. Konkret bedeutet dies im formalen Sektor, daß von 100 auf den Arbeitsmarkt kommenden jungen Menschen nur sechs (23.000 von 440.000) eine Stelle finden würden.

Neuerdings mehren sich auch die Zahlen von Weißen, die als Squatter ihr Dasein fristen. Immer noch sind es aber die Schwarzen, die von der südafrikanischen Rezession am schwersten getroffen werden. Die Hilfsorganisation »Operation Hunger«, Träger von Ernährungs- und sozialen Entwicklungsprojekten der Regierung, versorgt z.B. in der Transkei 220.000, in der Ciskei 136.000 und in der Karoo, in Port Elizabeth und im nord-östlichen Kap weitere 180.000 Menschen mit Grundnahrungsmitteln. In diesen Regionen soll die Arbeitslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung über 55<0> <>% liegen und oft sind rentenempfangende alte Menschen die alleinigen Versorger großer Familien.

Angesichts dieser Lage gab der ANC seinem Wahlkampfslogan die Reihenfolge »Arbeit, Frieden und Freiheit«. Aus seiner Wahlprogrammatik und dem Restrukturierungs- und Entwicklungsprogramm lassen sich eine Reihe wirtschafts- und sozialpolitische Ziele herausfiltern, an deren Verwirklichung die neue Regierung gemessen werden kann.

  • Die gesamtwirtschaftliche Steuerung soll ein für ausländische Investoren günstiges Klima erzeugen. Eine Handelsreform mit vereinfachten Tarifen und reduzierten Schutzmaßnahmen soll den Export einheimischer Güter fördern, wobei Sorge getragen würde, daß Auswirkungen auf Arbeitsplätze und andere sensitive sozio-ökonomische Bereiche minimal blieben. Eine Anti-Trust-Gesetzgebung diene der Unterbindung wettbewerbsbehindernden Verhaltens der Unternehmen. Spezielle Programme würden die Entwicklung neuer Technologien in den Unternehmen unterstützen. Ein wichtiges Ziel sei eine Lohnpolitik, die den ArbeiterInnen eine existenzfähige Entlohnung garantiere. Angedacht sind auch Maßnahmen, die Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft Mitspracherechte in den Unternehmensvorständen geben.
  • Ein öffentlich gefördertes nationales Arbeitsbeschaffungsprogramm soll in den nächsten zehn Jahren 2,5 Millionen Menschen Arbeit und Ausbildung bieten. Das Programm würde im Zeitraum 1994-5 eine Milliarde Rand für 100.000 Menschen einsetzen und bis 1999 (dem Jahr des voraussichtlich nächsten Wahltermins) eine halbe Million SüdafrikanerInnen erreichen. Weiterhin ist ein Jugenddienst-Programm geplant, daß 1994-5 ca. 50.000 und bis 1999 insgesamt 300.000 Freiwillige mobilisieren soll.
  • Die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, wie Milch, Zucker und Mehl ist angekündigt.
  • Ein neues Besteuerungssystem, das Jahreseinkommen unter 4.000 Rand begünstigt und die unfaire Besteuerung von Frauen beendet, ist geplant.
  • Regierungsaufträge sollen besonders an kleine und mittlere Unternehmen vergeben und repressive Gesetzgebung zuungunsten kleinerer Unternehmen abgebaut werden.
  • Ein ländliches Entwicklungsprogramm mit einem Haushalt von 100 Millionen Rand, soll durch Investitionen im Bereich von Wasser, Krankenhäusern, Elektrizität und Straßen Arbeitsplätze und einen besseren Versorgungsstandard schaffen. Dieses Programm zielt in fünf Jahren auf die Versorgung von einer Million Familien mit fließend Wasser und Sanitäreinrichtungen und von 2,5 Millionen ländlichen und städtischen Heimstätten mit Strom.
  • In fünf Jahren sollen fünf Millionen neue Wohnungen geschaffen werden.
  • Die Landreform wird vorrangig Land aus Staatsbesitz verteilen und kleinen Landwirten den Zugang zu Krediten und Märkten erleichtern, sowie ihre Ausbildung fördern. Die landwirtschaftlichen Marketingorganisationen sollen zum Nutzen der kleinen Landwirte und der Konsumenten restrukturiert werden. Für die Opfer noch kürzlich erzwungener Landexpropriation wird es Wiedereinsetzungsmaßnahmen geben. Im Bereich der Landreform spielt zudem die Verbesserung der Gesundheitsversorgung auf dem Lande eine wichtige Rolle.
  • Grundsätzlich will der ANC jene bevorzugen, die unter dem System der Apartheid besonders diskriminiert wurden. Ein Ombuds-System wird überprüfen, ob Afrikaner, Farbige, Inder, Frauen, Behinderte und Menschen aus den ländlichen Gebieten auch in den Genuß dieser staatlichen und privaten Institutionen kommen.
  • Der gesellschaftliche Frieden soll einerseits durch den Umbau der Sicherheitsorgane, wie der Einführung einer Freiwilligenarmee und durch eine bürgernahe Polizei erreicht werden. Der ANC strebt zudem eine Verschärfung der Waffengesetze an.

Die Verfasser des ANC-Programms wissen, daß die erklärten Ziele – die zu Wahlkampfzeiten auf etwa 39 Mrd. und nach dem Wahlsieg auf ca. 80 Mrd. Rand geschätzt wurden – weder die Inflation anschieben, noch zu einer Wechselkurskrise führen dürfen. Angesichts der Staatsverschuldung wird zur Finanzierung an eine zeitlich begrenzte Belastung höherer Einkommensgruppen, der Einführung einer Grundbesitzsteuer zur Unterstützung der Landreform, einer Zusammenlegung und Straffung verschiedener Ministerien, der verstärkten Inpflichtnahme örtlicher und provinzieller Institutionen, sowie der privatwirtschaftlichen Einbindung insbesondere beim Wohnungsbau gedacht. Jay Naidoo, ehemals COSATU und als Mitverfasser des Programms zukünftig als Minister ohne Amtsbereich im Präsidialbüro Mandelas mit dessen politischer Koordinierung betraut, vertraut zudem auf eine »Apartheid-Dividende«, wenn die Restrukturierung der Bantu-Ministeriumsbereiche, der nach Rassen und Homelands separat gehaltenen Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen, zusätzliche Mittel freisetzen wird. Er erwartet auch, daß der Militärhaushalt in den nächsten zwei Jahren bis zu einem Drittel gekürzt und militärische Versorgungseinrichtungen der zivilen Nutzung geöffnet würden. Die zu erwartende Kreditaufnahme beim IWF beabsichtigt der ANC in engen Grenzen halten. Besonders die notwendigen Steuererhöhungen zur Umverteilung und Hebung des Lebensstandard der Ärmsten und die Umwidmung der knappen Mittel werden in der Regierung der nationalen Einheit heftige Diskussionen auslösen. Obendrein ist zu bedenken, daß der ANC zu Wahlkampfzeiten nicht nur seiner afrikanischen Basis positive Perspektiven, sondern z.B. auch den weißen Staatsdienern und Soldaten den Schutz ihrer Arbeitsplätze versprochen hat.

Zu Wahlkampfzeiten reagierten die Medien auf das ANC-Programm mit der Veröffentlichung fallender Johannesburger Aktienkurse und der Zahl von 15 Milliarden Rand Fluchtkapital im Jahr 1993. Von dieser Summe sind sieben Milliarden sicherlich zu Denken gebende Abflüsse, die durch illegale Transaktionen und den Abzug ausländischer Investoren entstanden, während über sechs Milliarden Rand zur Schuldentilgung und ca. zwei Milliarden als Dividendenauszahlungen der Goldminen an ausländische Investoren dienten. Vor Verkündung des Wahlergebnisses beleuchtete es die in Wirtschaftskreisen vorherrschende Stimmung, wenn nicht nur der Kommentar des afrikaans-sprachigen »Burger« die Daten nutzte, um vor den obsoleten »marxistischen Ideologien, wie Nationalisierung und einem schleichenden Sozialismus« des ANC zu warnen. Ausländische Investitionsankündigungen und das politische Alltagsgeschäft wird die Wirtschaftsführer wohl zu realistischeren Einschätzungen über den sozialreformerischen Charakter der Wirtschaftsprogrammatik des ANC bringen. Dabei kann die Aufgabe, das ökonomische, soziale und politische Ungleichgewicht unter den Bevölkerungsgruppen zumindest im Ansatz auszugleichen und menschenwürdige Grundstandards zu erreichen, Millionen von Menschen in deprimierender Armut nicht nur Hoffnung, sondern eine bessere Realität zu geben, m.E. nur durch staatsinterventionistische Maßnahmen initiiert werden. Die Entwicklung eines demokratischen Staatsgefüges wird nur auf der Grundlage einer erfolgreichen Inangriffnahme dieser Grundprobleme Südafrikas erfolgen. Ob die ernsthaften Ansätze aus dem Programm des ANC im politischen Ausgleich mit den anderen Regierungsparteien Bestand haben werden, ist abzuwarten. Die Personalpolitik des Präsidenten läßt seine Vorsätze zu einem möglichst rigorosen Neuanfang erahnen, was die Regierungserklärung vor dem Parlament bestätigen mag.

Politische Gewalt und der Zerfall der Apartheid

Die politische Gewalt in Südafrika addiert nicht nur täglich neue Opfer zu den alten Zahlen, sie verändert sich zudem beständig in ihren Formen und Auswüchsen, die die unterschiedlichen Gründe überlagern. Klassifizierungen, wie Gewalt von Schwarz gegen Schwarz, Weiß gegen Schwarz oder umgekehrt, »rival black factions«, etc. bleiben deskriptiv und bieten für ein Verständnis der Ursachen und damit möglicher Eindämmungsvorschläge keinen produktiven Beitrag. Erklärungen der Gewalt durch ethnische oder Stammeszugehörigkeiten – sicherlich ein wichtiger Aspekt, aber nicht die grundsätzliche Ursache – leisten einen erneuten Vorschub für eine weitere Instrumentalisierung der Gewalt. Die wechselnden Fronten in den Vorkommnissen tödlicher Aggressionen können linguistische und kulturelle Symbole ebenso durchschneiden, wie die Mitgliedschaft in diversen politischen Organisationen. Besonders in urbanen Gegenden bilden nach wie vor die materiellen Gegensätze von Hostel-, Township-Bewohnern und Squattern die mit ethnischen, stammesgemäßen und politischen Symbolen manipulierbaren Grundlagen solcher Konflikte. Dabei soll keineswegs gesagt werden, daß Verarmung zwangsläufig zu langanhaltender Gewalt führen muß, wie auch politische Profilierung nicht alleine durch Gewalt gesucht wird. Wie aber besonders die Entwicklungen in Natal zeigten, können sich die Konflikte auch innerhalb einer Sprache und Kultur – hier zwischen pro-Wahl-Zulus und den Wahlgegnern der IFP – entwickeln. Nicht vergessen werden sollte auch die bleibende Gefahr der weißen Rechten, die alle Möglichkeiten haben, den Transformationsprozeß nachhaltig zu stören. Wenn es wirklich so wäre, daß die politische Gewalt Form und Ursache ist, könnte sie durch einen militärischen Sieg oder einen politischen Vergleich der kämpfenden Seiten beendet werden. Da die Ursachen der gesellschaftlichen Gewalt in Südafrika aber komplex-verwobener sind, gibt es keine einfachen Lösungen.

Leider machte es sich aber auch der ANC und ausdrücklich Nelson Mandela in seiner öffentlichen Diskussion der politischen Gewalt sehr einfach. Für den ANC war das Problem der Gewalt im dreifachen Sinne eine Sache der Regierung, die einmal im Bereich von »law and order« versage und zum anderen politische Gewalt direkt durch ihre Organe und zudem durch die »Dritte Kraft« provoziere. Leider reagieren alle politischen Kräfte auf die Stimmung der Menschen mit Polarisierung und wollen Sicherheit zuerst durch militärische und polizeiliche Mittel erreichen. Sie rechnen Gewalt auf, während die so wichtigen Versöhnungsprojekte und -gesten dagegen oftmals hohl und als staatsmännische Attitüden erscheinen, abgehoben von den gewaltbereiten Vorstellungen der Basis und des Mittelbaus ihrer Organisationen. (Dabei gibt es beeindruckende Projekte der Aussöhnung, in denen Menschen sich mit allem einsetzen was sie haben – und das kann in Südafrika das Leben sein.) Die Gewaltfrage wurde im Wahlkampf immer wieder tagespolitisch instrumentalisiert, selbst wenn dies der langfristigen Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Sicherheitsapparate zuwider lief. Ein katastrophales Modell der Integration der diversen Befreiungs- und Homelandarmeen ist die bei Bloemfontein zusammengezogene und ausgebildete Nationale Friedenstruppe (NPKF), die nur durch Skandale von sich reden machte und beim Einsatz in KwaZulu/Natal hoffnungslos überfordert war.

Sicherlich ist für eine grundlegende Restrukturierung der Sicherheitsapparate hinderlich, daß es keine Schonzeit dafür gibt. Die explosive Situation in Südafrika ist mit dem Wahlergebnis nicht aufgelöst, was den Erhalt staatlicher Gewaltmittel in seinen alten Strukturen und Grundlagen fördert. So ist die von der Allparteienkonferenz beschlossene Abschaffung der Sondergesetze, ausdrücklich der berüchtigten Abteilung 29 des Internal Security Act als Grundlage der Haft ohne Gerichtsverhandlung, immer noch nicht vollzogen worden. Das Verhalten von Ex-Präsident de Klerk und der Parteienvertreter in der Übergangsexekutive erschien äußerst dubios und es entstand der Eindruck, daß auch ehemalige Freiheitskämpfer diese Gesetzgebung als Notnagel beibehalten wollten.

Anlässe und Möglichkeiten politischer Gewalt bleiben in Südafrika genügend vorhanden. Auch wenn die Apartheid – als politisches und soziales System eines verzweigten und institutionalisierten Rassismus – sein Ende findet, ein abgrundtiefer individueller und struktureller Rassismus wird der Gesellschaft erhalten bleiben. Einmal verniedlichend »petit apartheid« genannt, ist der dieser Gesellschaft inhärente Rassismus aller »Kulturen« durch seinen Irrationalismus das größte Hindernis zu einer konsensfähigen gesellschaftlichen Entwicklung. Mit der Auflösung der Strukturen und der Vorgaben der Apartheid geht der Verlust definierter und sanktionierter gesellschaftlicher, politischer und sozialer Positionen einher, für deren Erhalt oder Erlangung in der »Übergangssituation« und auch zukünftig gekämpft werden wird. Existentielle Unsicherheiten und Zukunftsängste treffen auf eine niveaulose mediale und in der Regel parteiische Präsentation und eine hohe Bereitschaft, eigene Gruppeninteressen auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Selbst wenn das Ende des Kalten Krieges eine Ausrüstung der Konfliktparteien mit schweren Waffen erschweren sollte, so sind kleinere Waffentechnologien in unbekannten Mengen vorhanden. Alle Gegenmaßnahmen gegen die gesellschaftliche Gewalt müssen dem Ziel dienen, eine konsequente Entwaffnung der südafrikanischen Gesellschaft zu erreichen. Dazu gehören der Aufbau eines Vertrauenverhältnisses zwischen den Ordnungsmächten und der Bevölkerung, eine restriktive Verschärfung der Waffenlizensierung und eine stichhaltige Gesetzgebung, die gegen Gewaltaufrufe und Volksverhetzung eingesetzt werden kann.

Wandel aus Schwäche

Trotz aller alten und neuen Polarisierungen der südafrikanischen Gesellschaft ist immer wieder beeindruckend, daß und wie die diversen politischen und sozialen Kräfte, die sich über 342 Jahre so viel Böses zugefügt haben, miteinander zu Kompromissen finden. Natürlich sind die Menschen auch von Ängsten beherrscht, die beim Bedenken aller Widrigkeiten nicht ausbleiben können. Aber immer wieder bricht der Wunsch nach einer kreativen Entwicklung der Heimat hervor. Sicherlich hört man noch immer – besonders von erst jüngst zurückgekehrten Exilanten und den jungen Aktivisten in den Townships – Unverständnis über »de Klerk und seinen Freund«. Der Mythos des Befreiungskampfes, der mit dem Slogan »Sieg oder Tod« das Ziel der militärischen Niederlage des Gegners propagierte, kollidiert mit der Strategie der verhandelten Veränderung Südafrikas. Der Beitrag des aufgeklärten Afrikaander-Establishment zum Abbau der Apartheid stellt die Opfer der Aktivisten in den Schatten, was von diesen schwer zu akzeptieren ist. Entgegen den anfänglichen Behauptungen, daß die Buren durch eine militärische Niederlage in Angola in die Knie gezwungen worden seien, haben noch Chris Hani und jüngst wieder Joe Slovo den bewaffneten Befreiungskampf zu einer Propagandawaffe erklärt, die nur im Zusammenwirken mit der demokratischen Massenbewegung Erfolg gehabt hätte.

ANC-Aktivisten, die schon länger im Land und eingebunden in die politische und gewerkschaftliche Arbeit sind, erklären dem Ausländer dagegen die konkreten Rahmenbedingungen politischer Machbarkeit. Diese Argumentationen halte ich für ehrlich, sie entsprechen einem Lernprozeß, den die Organisation seit 1990 durchlaufen hat. Damit einher geht das Zurückhalten des massenhaften schwarzen Schreis nach Rache für die erlittene Geschichte, was für mich das menschlich Überzeugendste am Neuen Südafrika ist. Um so mehr, als aus den Gesprächen mit Weißen die Angst vor dieser Rache immer wieder anklingt. Aber es finden sich auch Weiße, die darauf hoffen, daß sie in Zukunft in einem Land leben können, in dem sie allein aufgrund ihrer Hautfarbe keine Schuldgefühle mehr haben müssen. In ihrer Mehrheit sucht diese noch zu bildende »Nation« gegen extremistische Minderheits- und Partikularinteressen nach einem gesellschaftlichen Kompromiß.

Das Besondere am südafrikanischen Transformationsprozeß ist sicherlich, daß alle gesellschaftlichen Protagonisten bislang eher durch Schwäche als durch Stärke gekennzeichnet waren. Der ANC ist aus dem Wahlgang als dominante Kraft hervorgegangen, aber ein Ergebnis des verhandelten Übergangs ist seine Einbindung in eine politische Kompromißstruktur, was die Etablierung einer hegemonialen Vorherrschaft erschweren sollte. Die Veränderung der südafrikanischen Gesellschaft ist bislang ohne tiefgehende Zäsur geblieben. Ihre Bezeichnung als eine »verhandelte Revolution«1 erscheint zumindest verfrüht, denn noch sind die alte soziale Ordnung und die politische Gewalt des Apartheidstaates nicht aufgehoben worden. Die ausgehandelte Machtbeteiligung von Teilen der Befreiungsbewegung erzeugt ihre eigenen ideologischen Alltagsvorstellungen. So fordert die Mehrheit der Weißen, allen voran Ex-Präsident de Klerk, die Stunde Null für Südafrika: natürlich könne man nicht vergessen, aber man müsse vergeben. Die Schlechtigkeit der Apartheid wird in einer Art und Weise zugegeben, die ihre Folgeerscheinungen von den gesellschaftlichen und historischen Ursachen trennt. Mehrheitlich wird nicht akzeptiert, daß das Apartheidsystem kriminell gewesen sei, wie Mandela in seiner Friedensnobelpreisansprache erklärte.

Die Strategie der aufgeklärten Afrikaander hat in der historisch optimalen Situation auf eine ganze Reihe das Land beschränkende Probleme reagieren können. Dazu gehörte, die beständig steigende Last zunehmender Kosten des Krieges in Angola angesichts der sich stark verschlechternden wirtschaftlichen Lage abzuschütteln. Zusätzlich wurde gegen die Wünsche der eigenen Militärs die koloniale Herrschaft über Namibia aufgegeben, was zusammen mit dem Abbau der Apartheid Vorbedingung für eine Anbindung des Landes an die wirtschaftlichen und politischen Strukturen des südlichen Afrika und einer erneuten Verstärkung der Bindungen an die hochindustrialisierten Zentren war. Zu einer Zeit, als die veränderte Haltung Moskaus und Washingtons zu regionalen Konflikten die internationalen Partnerschaften der Befreiungsbewegung unterminierte, wurden letztere mit dem Angebot der Machtteilung in ihrer nationalen Ausrichtung dazu gebracht, die Legalität und schließlich die Legitimität des südafrikanischen Staates anzuerkennen. Eine Konsequenz ist, daß das Apartheidsystem so seine eigene Veränderung legitimieren kann. Angesichts dringender sozialer Probleme und der Gewaltbereitschaft soll dies nicht überbewertet werden, aber die politische Machbarkeit des Umbaus des Landes wird auch wesentlich davon abhängen, ob und wie das Neue vor dem Hintergrund der Geschichte der Apartheid im Alltagsbewußtsein der Menschen legitimiert werden kann.

Laut Übergangsverfassung ist die vornehmste Aufgabe der Nationalversammlung in gemeinsamer Sitzung mit dem Senat als Vertretung der Provinzen, innerhalb von zwei Jahren eine endgültige Verfassung für Südafrika zu verabschieden. Da der ANC die dazu notwendige Zweidrittel-Mehrheit nicht erhalten hat, wird es in der Frage der föderalen Struktur sicherlich wichtige Auseinandersetzungen in der und mit der Regierung geben. Noch ist nicht abzusehen, wie die neu geschaffenen neun Provinzen, sieben davon mit einem ANC-Premier, sich zur Zentralregierung stellen werden. Die Gefahr des Sezessionismus als eine Auflösungserscheinung der Apartheid ist mit der Wahl nicht beendet und kann den Übergang zu einer demokratischen und gerechten Gesellschaftsformation nach wie vor in Blut ersticken.

Die Repräsentation von Minderheiten wird für Südafrika ein dauerndes Problem bleiben. Die historischen Ableitungen völliger Selbständigkeit, wie der Zulus für KwaZulu/Natal und der Buren für einen eigenen Volkstaat, sind aus vielen Gründen problematisch und in ihrer politischen und gesellschaftlichen Konsequenz für die Demokratie nicht zu rechtfertigen. Ein sezessionistischer Zerfall Südafrikas kann nur zu neuer Unterdrückung führen, keiner der nach völliger Autonomie strebenden Kräfte in Südafrika hat eine Geschichte demokratischer Tradition. Das Potential jener Kräfte, die die ethnische und kulturelle Karte mit aller blutigen Konsequenz für das Land ausspielen wollen, muß entschärft werden. Ist der sezessionistische Konflikt einmal offen ausgebrochen, ist er mehr als nur ein Ersatzschlachtfeld um die gesamtgesellschaftliche Macht in Südafrika. Die weitere Eskalation wäre garantiert, weder stimmen die bisherigen Grenzen mit dem proklamierten ethnischen oder kulturellen Selbstverständnis überein, noch sind die Grenzen der Provinzen, oder die Zuordnung wichtiger wirtschaftlicher Zentren endgültig geklärt. Die Garantie föderaler Vielfalt mit expliziten Minderheitenrechten zur Wahrung der Identitäten der vielen Ethnien Südafrikas birgt die Zukunft für das Land. Diese Aufgabe des »Aufbaus der Nation in der Vielfalt« steht noch ganz am Anfang und muß auch aus dem Ausland unterstützt werden. Die Akzeptanz eigener Wege gesellschaftlicher Entwicklung aus Tradition und Moderne, nicht die reine Abbildkonstruktion westlicher Demokratie- und Wirtschaftsvorstellungen, muß sich gegen die Politik von IWF und Weltbank behaupten können.

Anmerkungen

1) Adam, Heribert; Moodley, Kogila, The Negotiated Revolution. Society and Politics in Post-Apartheid South Africa. Johannesburg: Jonathan Ball 1993. Zurück

Dr. Jens Peter Steffen ist Politikwissenschaftler und war als freier Journalist längere Zeit in Südafrika. (Bei Nachfragen: Hakenfelderstr. 8, 13587 Berlin)

Selbstbestimmung für Sahrauis?

Selbstbestimmung für Sahrauis?

Gefährdet die UNO ihre Beschlüsse und Prinzipien?

von Ralf Mattes

Die Staaten des Maghreb (Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien) sind, was ihre territorialen Grenzen und zum größten Teil ihre gesellschaftspolitische Entwicklung betrifft, ein Produkt des europäischen Kolonialismus. Bedingt durch diese Situation ergeben sich trotz der Arabischen Maghreb-Union, die am 17.2.1989 in Marrakesch gegründet wurde, eine Reihe von Problemen und zwischenstaatlichen Konflikten auf politischer, ökonomischer und militärischer Ebene.

Einer der zentralsten und augenfälligsten Konflikte in dieser Region ist der Befreiungskampf des Sahrauischen Volkes unter der Führung ihrer politischen Organisation Frente Polisario (Frente Popular para la Liberacion de Saguia el Hamra y Rio de Oro: Volksfront für die Befreiung von Saqiya al-Hamra und Rio de Oro) gegen die militärische und administrative Okkupation ihres staatlichen Territoriums Mitte der siebziger Jahre durch Marokko. Mit Ausnahme Tunesiens sind alle Staaten der Maghreb-Union mehr oder weniger in diesen postkolonialen Konflikt involviert.

Die überstürzte und unkontrollierte Dekolonialisation der ehemaligen Spanisch-Westsahara durch die spanischen Kolonialherren verleitete Marokko und Mauretanien, ihre schon seit den 60er Jahren proklamierten Annektionspläne umzusetzen. Nachdem beide Nationen ihre territorialen Interessen abgestimmt hatten, begann die systematische Besetzung des Gebietes. Der marokkanische König Hassan II entsandte heimlich erste Armeeeinheiten in das schwer zu kontrollierende Areal im Norden der Westsahara und veranstaltete am 6. November 1975 ein logistisch und inhaltlich vom Staatsapparat organisiertes Medienspektakel. 350.000 Marokkaner überschritten »spontan« die Grenzen der Spanisch-Westsahara. Diese offiziell als »Grüner Marsch« bezeichnete Demonstration des marokkanischen Machtanspruches wurde als Verbrüderung des durch die Kolonialzeit geteilten marokkanischen Volkes dargestellt. Hinter den Kulissen wurde am 14. November 1975 ein trilaterales Abkommen in Madrid unterzeichnet, in dem Mauretanien und Marokko ihre territorialen Ansprüche absteckten und Spanien die billige Versorgung mit Phosphat, dem wichtigsten Exportrohstoff der West-Sahara garantiert wurde. Die Ausbeutung der größten Phosphatlagerstätten der Welt bei Bou Craa im Norden der Westsahara sollte ohne Beteiligung der einheimischen Bevölkerung geschehen. Arbeitskräfte aus Marokko sollten die in ihrem eigenen Land bestehende Massenarbeitslosigkeit verringern. Durch den Zuzug der Familien in das extrem dünn besiedelte Gebiet erhoffte sich die marokkanische Regierung eine Entschärfung der wachsenden sozialen und ökonomischen Probleme, die durch die Überbevölkerung entstanden waren. Die zu erwartenden Profite sollten in die Kassen Königs Hassan II sowie einiger internationaler Konzerne fließen.

Am 26. Februar 1976 endete offiziell die spanische Herrschaft, zwei Tage vor dem vereinbarten Termin. Das Sahrauische Volk durfte nicht selbst über seine eigene Zukunft bestimmen. Die Frente Polisario, die schon zuvor gegen die spanische Besatzung gekämpft hatte, rief am darauffolgenden Tag, dem 27. Februar, durch den provisorischen sahrauischen Nationalrat die Demokratische Republik Sahara (DARS) aus.

Die anschließende Okkupation des ehemaligen Kolonialgebietes (die nördlichen 2/3 durch Marokko, das südliche Drittel durch Mauretanien) stellten einen eklatanten Bruch der in der Charta der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) manifestierten Unverletzlichkeit der Kolonialgrenzen dar.

Zunächst konzentrierte die Frente Polisario ihre militärischen Aktionen gegen das militärisch und ökonomisch schwache Mauretanien – mit Erfolg, denn am 10. Juli 1978 stürzte ein Militärputsch den mauretanischen Staatspräsidenten Mokhtar Ould Daddah, der sein Land durch diesen Konflikt ruinierte. Am 5. August 1979 unterzeichneten schließlich der stellvertretende Generalsekretär der Frente Polisario Bachir Mustapha Sayed und der Vize-Präsident des regierenden Militärrats von Mauretanien, Ahmed Salem Ould Sidi einen formellen Friedensvertrag.

Dadurch veränderte sich die politische und militärische Konstellation des Konflikts. Marokko besetzte sofort die restlichen Gebiete der Westsahara und wurde nun zum einzig verbleibenden, aber übermächtigen Gegner der Frente Polisario. Mauretanien muß seitdem die diplomatische Balance zwischen Marokko und Algerien, dem Verbündeten der Befreiungsorganisation, halten.

Die militärische Situation

Die großen Anfangserfolge der sahrauischen Armee (Ejercito de Liberacion Popular Sahraui), die bis Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre weite Teile des ehemaligen Spanisch-Westsahara, aufgrund ihrer besseren Ortskenntnisse sowie ihrer Guerilla-Taktik kontrollierte, wurden durch eine immer weiter voranschreitende massive Präsenz der marokkanischen Streitkräfte gestoppt. Hassan II entledigte sich dadurch auch unliebsamer, oppositioneller und ihm schon durch mehrere gescheiterte Putschversuche innenpolitisch gefährlich werdender Offiziere, indem er sie zum Einsatz an die »Nationale Front« befahl und dort band. Des weiteren ließ der marokkanische Diktator seine Truppen Befestigungswälle aus Sand und Steinen errichten und »dank« westlicher Militärhilfe mit elektronischen Bodenfrühwarnsystemen und Minenfeldern ausstatten, so daß sich bis Mitte der 80er Jahre allmählich eine militärische Pattsituation herauskristallisierte. Die insgesamt sechs marokkanischen Befestigungswälle umschließen rund zwei Drittel des Territoriums der ehemaligen Kolonie, ein Drittel wird von der Sahrauischen Befreiungsfront kontrolliert, die sogenannten befreiten Gebiete.

Die diplomatische Situation

Die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) wurde seit ihrer Proklamation 1976 von insgesamt 74 Staaten (Stand 1991) völkerrechtlich anerkannt. Den wichtigsten diplomatischen Erfolg gegenüber Marokko konnte die Frente Polisario 1984 erringen. Auf der 20. Gipfelkonferenz der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) in Addis Abeba (Äthopien) wurde die DARS als 51. Vollmitglied aufgenommen, worauf Marokko die Organisation verließ. Das seit 1983 jedes Jahr wieder verabschiedete Grundsatzpapier (OAU-Resolution 104 AHG) welches das Recht der sahrauischen Bevölkerung auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung anerkannte, wurde 1985 inhaltlich von den Vereinten Nationen übernommen. 1989 stimmte sogar Marokko der Resolution auf der UN-Vollversammlung zu.

Der sich mittlerweile abzeichnende internationale Konsens zur Lösung des Konflikts mündete in den UN/OAU-Friedensplan für die ehemalige Spanisch-Westsahara, mit dessen Durchführung der Generalsekretär der Vereinten Nationen beauftragt wurde, und dem 1988 beide kriegführenden Parteien im Prinzip zustimmten.

Der UN/OAU-Friedensplan

Der ursprüngliche, vom Weltsicherheitsrat am 29. April 1991 gebilligte Zeitplan des UN/OAU-Friedensplanes sah neben einem Waffenstillstand, der Stationierung von MINURSO (Mission der Vereinten Nationen für die Organisation eines Referendums in der West-Sahara) Verwaltungs- und Logistik-Einheiten, der Stationierung von UN-Blauhelmen sowie dem Austausch der Kriegsgefangenen die Erstellung einer Liste der für das Referendum stimmberechtigten Personen vor. Als Grundlage der Wählerlisten sollte der von der spanischen Kolonialverwaltung 1974 erstellte Zensus dienen. Einen Tag später, am 30. April stimmt das Führungsgremium der Frente Polisario sowie die Regierung der DARS dem Friedensplan zu. Das Finanzbudget für die Durchführung des Referendums passiert am 17. Mai die UN-Vollversammlung, einen Tag später erklärt sich Marokko bereit, ebenfalls den Plan anzunehmen. In Genf vereinbarten am 30. Juni Vertreter beider Konfliktparteien einen Waffenstillstand, der am 6. September 1991 – der sogenannte D-Day – in Kraft treten soll, und von dem alle weiteren terminlichen Schritte bis zum Referendum abhängen. Im Juni 1991 werden schließlich die Listen der im spanischen Zensus erfaßten Stimmberechtigten sowie die Regeln für die Beantragung zur Aufnahme in die Wählerlisten veröffentlicht. Für Mitte Juli wurde das Ende der Antragsfrist festgesetzt. Bis August 1991 sollte der Großteil der MINURSO-Einheiten eingetroffen sein.

Ab dem D-Day, 6. September 1991, sollte die Reduzierung der marokkanischen Truppen auf 65.000 Mann beginnen. (Derzeit sind nach marokkanischen Angaben 167.000 Mann in der West-Sahara stationiert; die Frente Polisario verfügt über rund 30.000 Kämpfer.) Überdies sollten die Konfliktparteien ihre verbleibenden Einheiten auf vorgegebene Standorte zurückziehen. Des weiteren wurde vereinbart, mit der Ausgabe von Ausweiskarten durch eine Identifizierungskommission zu beginnen sowie Einsprüche gegen das Verfahren und Beschwerden zu behandeln. CIVPOL-Kräfte (Zivilpolizei der MINURSO) sowie das Infanteriebattaillon der MINURSO sollten zur Verstärkung eintreffen. Gesetze und Maßnahmen, die das Referendum behindern, sollten außer Kraft gesetzt und eine Amnestie für zurückkehrende Flüchtlinge verkündet werden. Der UN-Generalsekretär sollte Mitte November über die endgültige Wahlliste entscheiden. Bis Januar 1992 wurde festgesetzt, soll die Repatriierung der sahrauischen Flüchtlinge aus den Lagern bei Tindouf in Algerien abgeschlossen sein und die Referendums-Kampagne beginnen. Ende Januar sollte endlich die Abstimmung durchgeführt werden. Anschließend, nach Bekanntgabe des Ergebnisses, für dessen Umsetzung gesorgt werden und die MINURSO abziehen.

Der Streit um den Zensus

All diese Schritte zur Umsetzung des UN/OAU-Friedensplans sind in groben zeitlichen Verzug geraten. Die marokkanische Regierung läßt nichts unversucht, das Referendum hinauszuzögern und die Bedingungen für die organisatorische Durchführung unmöglich zu machen. Mitte 1993, also eineinhalb Jahre nachdem das Referendum hätte stattfinden sollen, ist ein endgültiger Termin noch lange nicht in Sicht.

Der Hauptgrund für die Verzögerung ist nach wie vor der Streit um die Kriterien für die Aufnahme in die Wahllisten und der Versuch der marokkanischen Regierung, diese zu ihren Gunsten zu umgehen bzw. eine Erweiterung der Wahlberechtigung auf marokkanische Staatsbürger, die in der Westsahara leben, zu erreichen.

Wahlberechtigt sollten nach UN/OAU-Friedensplan alle Sahrauis sein, die 1974 im Zensus von den spanischen Behörden registriert und 18 Jahre und älter sind und zur Zeit im Territorium leben oder außerhalb, sei es als Flüchtlinge oder aus anderen Gründen. Damit auch Sahrauis an dem Referendum teilnehmen können, die zwar auf dem Territorium der Westsahara leben, jedoch 1974 nicht erfaßt wurden, richtete die MINURSO die Identifizierungskommission ein. Genau hier setzt der Plan Hassan II, die Abstimmung zugunsten Marokkos zu entscheiden, an. Neben den schon seit langem in der Westsahara arbeitenden Marokkanern karrt die marokkanische Regierung tausende von Menschen in die besetzten Gebiete und erklärt sie kurzerhand zu Sahrauis – insgesamt rund 350.000 Menschen (inklusive Soldaten), die zum Teil in Zeltlagern mit dem zynischen Namen »Camps de l`Unite« leben.

Die Frente Polisario würde hingegen drei Kriterien zur Ergänzung des Zensus um Personen, die 1974 nicht berücksichtigt wurde, akzeptieren, von denen mindestens eine erfüllt sein müßte:

a) ein enges Familienmitglied (Vater, Mutter, Sohn, Tochter) muß in der Liste von 1974 registriert sein;

b) die Person muß im Jahr des Zensus im Territorium ansässig gewesen sein;

c) die Person ist im Territorium geboren, und zwar als Sohn/Tochter eines Vaters, der ebenfalls im Gebiet der Westsahara geboren wurde.

Die seltsame Definition des marokkanischen Königs, daß alle, die im Augenblick in der Westsahara leben, auch Sahrauis seien und am Referendum teilnehmen dürften, lehnt die Frente Polisario entschieden und zu recht ab. Doch hier kommt die UNO Hassan II entgegen. Sie erweiterte die Kriterien für eine Aufnahme in die Wahllisten um zwei entscheidende Punkte. Zusätzlich zu den im Zensus erfaßten Personen dürfen am Referendum Personen teilnehmen, deren Vater im Territorium geboren ist, die vor dem 1.12.1974 im Territorium gelebt haben sowie entweder sechs Jahre in Folge oder zwölf Jahre mit Unterbrechungen in der Westsahara ansässig waren. Diese Neu-Definition der Kriterien – vor allem die Erweiterung um Personen, die eine gewisse Zeit in der Westsahara gelebt haben – spielt Hassan II einen großen Trumpf in die Hand. Er muß schließlich nur genügend Untertanen in den besetzten Gebiete ansiedeln, das Referendum um mittlerweile nur noch vier bis fünf Jahre verzögern und letztendlich die Volksabstimmung durchführen.

Dieser wohl entscheidende Punkt verzögert die Durchführung des Friedensplans. Hassan II spielt auf Zeit, seine wohl besseren Kontakte zu den Vereinten Nationen und seine politische, ökonomische und militärische Orientierung zur Weltmacht USA halten ihm den Rücken frei. Der UN-Sonderbeauftragte für die Westsahara, der Schweizer Diplomat Johannes Manz, legte Ende 1991 sein Mandat nieder, da Marokko allen formalen Zusicherungen zum Trotz die Vorbereitungen eines Referendums in einer Weise behindere, die schließlich den Rücktritt aufdrängten. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Außenminister von Pakistan, Sahabzada Yaqub-Khan, der dem marokkanischem König nachweislich in entscheidenden Fragen des Konfliktes zugeneigt ist.

Hassan II gibt sich schon jetzt siegesgewiß. Zum 16. Jahrestag des »Grünen Marsches« erklärte er: „Ich versichere erneut mit Nachdruck, daß das konfirmative Referendum, so Gott es will, uns die Ergebnisse liefert, die wir erwarten und erhoffen. Das Spiel um das Referendum ist gewonnen. Die Sahara ist marokkanisch. Es stimmt, daß es noch einige Nachbesserungen gibt, die wir bezüglich der Kriterien machen müssen, die festlegen, ob eine Person Sahraui ist und an der Abstimmung teilnehmen darf oder nicht. Abgesehen davon, Gott sei es gedankt, läuft alles so, wie wir es wünschen und wie wir es akzeptieren.“ (Sahara-Info der Gesellschaft der Freunde des Sahrauischen Volkes e.V., April 1992, 13. Jahrgang, Nr.1)

Darüberhinaus wird den Mitarbeitern der MINURSO sowie den Militärbeobachtern der UNO die Arbeit so gut wie unmöglich gemacht. Sie stehen unter ständiger Beobachtung und Kontrolle der marokkanischen Polizei und des Geheimdienstes. Unter der Überschrift „Die Westsahara vor dem Referendum – UNO-Truppen im goldenen Käfig des marokkanischen Königs“ erschien in der Neuen Züricher Zeitung vom 8.12.1991 ein Artikel des Schweizer Journalisten Michael M. Roman, in dem er die Situation der MINURSO-Mitarbeiter folgendermaßen beschreibt: óDie Offiziere und die Kommandostellen der Minurso sind in den beiden Luxushotels von Laayoune einquartiert. Über den beiden der UNO vorbehaltenen Hotels weht nicht das UNO-Emblem, sondern die marokkanische Flagge. Die fabrikneuen Fahrzeuge der Minurso leuchten in Weiss, doch auch hier fehlt jeglicher Hinweis auf die UNO. Jegliche Kommunikation mit den Minurso-Angehörigen wird von der marokkanischen Polizei unterbunden. … Er sei schon weit in der Welt herumgekommen, meint ein Minurso-Mitglied, aber so etwas habe er noch nie erlebt. Jeder Schritt werde von der Polizei überwacht, jedes Gespräch abgehört – sogar das Satellitentelefon sei von den Marokkanern angezapft worden. Einen Polizisten auf rund 150 Einwohner, vermutet ein UNO-Angehöriger, gebe es zur Zeit in der Westsahara.“ Aber nicht nur das: Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung ziehen Repressalien für letztere nach sich.

Der marokkanische König Hassan II hält alle Trümpfe in der Hand. Seine Truppen beherrschen den Großteil der Westsahara durch ihre weit den Polisario-Kämpfern überlegene Militärtechnik. Internationale Konzerne, die sich an der Ausbeutung der Bodenschätze in den besetzten Gebieten beteiligen sowie befreundete Regierungen allen voran die Vereinigten Staaten helfen Hassan II, den Konflikt für sich zu entscheiden.

Auf die Bindung von EG-Finanzhilfen für Marokko an die Beachtung von Menschenrechten und die Respektierung des Friedensplans reagiert die marokkanische Führung mit dem Hinweis, daß die Verhandlungen zur Erneuerung des Fischereiabkommens mit der EG für die Fanggebiete vor der Küste Marokkos und der Westsahara die Gelegenheit bieten werden, diese Haltung zu ändern. Auf Druck Spaniens, das wirtschaftlich am meisten von einer Aussetzung des Fischereiabkommens betroffen wäre, gewährt die EG weiterhin Finanzhilfen.

Die Situation der Frente Polisario

Ein Sieg in diesem Konflikt für die Frente Polisario und das sahrauische Volk scheint immer aussichtsloser zu werden. Die diplomatischen und militärischen Erfolge werden durch die Nachgiebigkeit der Vereinten Nationen gegenüber der marokkanischen Regierung langsam zunichte gemacht. Hinzu kommt eine stetige politische und diplomatische Annäherung der algerischen Regierung an die marokkanische. Die Führung in Algier, bisher treuester Verbündeter der Sahrauis, dokumentierte diese Politik mit dem Eintritt in die von Marokko angeregte Maghreb-Union. Im August 1992 begrüßte deshalb der Präsident der DARS und gleichzeitige Generalsekretär der Frente Polisario, Mohamed Abdelaziz, das Ausscheiden des algerischen Innenministers Larbi Belcheir, der eine nach Aussage der Frente Polisario zu pro-marokkanische Politik betrieben habe. Bisher mischte sich die Frente Polisario nicht in die Innenpolitik Algeriens ein, auf deren Territorium sich die großen Flüchtlingslager der Befreiungsorganisation bei Tindouf in der südwest-algerischen Wüste mit rund 170.000 Menschen befinden. Doch wenn sich die Politik Algeriens zu sehr an Marokko anlehnen würde, könnte die Polisario ihren einzigen Fürsprecher von internationaler und vor allem lokaler Bedeutung verlieren. Die militärische Stärke verhinderte einen Übergriff auf die sahrauischen Flüchtlingslager, die durch ihre autonome Organisation die Keimzelle für die DARS darstellen. Die Frente Polisario ist deshalb auf eine Konfrontationspolitik zwischen den beiden Nachbarstaaten angewiesen. Der Kurswechsel in Algier mag hauptsächlich der Grund sein, daß der Polisario eine heimliche Unterstüzung der islamisch-fundamentalistischen F.I.S. nachgesagt wird, da die Fundamentalisten keinen Hehl aus ihrer bedingslosen Ablehnung des feudalistischen marokkanischen Königreiches machen. Des weiteren häufen sich die Berichte, daß es innerhalb der Führung der Befreiungsorganisation zu Richtungskämpfen gekommen sei, die ein geschlossenes Vorgehen bei den weiteren Verhandlungen über die Souveränität der DARS in Frage stellen. Die Zeit läuft gegen die Freiheit des sahrauischen Volkes und ihr Recht auf Selbstbestimmung. Es ist für die Frente Polisario überlebenswichtig geworden aus ihrer gegenwärtigen defensiven diplomatischen Position in die Offensive zu gehen. Sie muß die Vereinten Nationen drängen, kompromißloser in ihrer Angelegenheit gegen die marokkanische Regierung vorzugehen.

Perspektiven

Doch eine friedliche Lösung wird es vielleicht nicht geben. Während meines Aufenthaltes in den sahrauischen Flüchtlingslagern im Oktober 1992 hatte ich die Gelegenheit mit dem Generalsekretär der UJSARIO (Union de la Juventud de Saguiat el Hamra y Rio de Oro), Ahmed Mulay Ali, zu sprechen. Für die Zukunft konnte sich Ahmed Mulay Ali nur zwei Alternativen vorstellen: Frieden, wenn Hassan II und die UNO sich an den Kriterien der Polisario für die Wahllisten orientieren; Krieg, der Bewegung in die augenblicklich stagnierenden Verhandlungen bringen würde und immer stärker gerade von den jugendlichen Kämpfern gefordert wird.

Für die UNO stellt sich letztendlich die Frage ob sie politisch willens ist, ihre eigenen Beschlüsse ernst zu nehmen und das Referendum trotz der marokkanischen Schikanen durchzusetzen. Ansonsten muß sie sich wieder einmal vorwerfen lassen, nichts anderes zu sein als ein Spielball US-amerikanischer Interessen. Zu diesen Interessen zählen auch die Erdölvorkommen, die schon in den sechziger Jahren von Ölkonzernen erforscht wurden und deren Nutzungsrechte alle sechs Jahre stillschweigend verlängert werden.

Über die Zukunft des sahrauischen Volkes und der Demokratischen Arabischen Republik Sahara entscheidet nicht allein das Referendum in der Wüste, die Entscheidung, ob ein Volk in der Dritten Welt über sich selbstbestimmen darf, wird in Washington, Brüssel, Tokio und Bonn sowie in den Vorstandsetagen der multinationalen Konzerne getroffen. Eine bittere Erkenntnis, nicht nur für das sahrauische Volk.

Ralf Mattes ist Student der politischen Wissenschaften in München. Er war als Mitglied der Juso-Bundeskommission »Entwicklungspolitik« auf Einladung der Jugendorganisation der Polisario im Oktober '92 in der Westsahara.

Gescheitert

Gescheitert

30 Jahre Organisation für Afrikanische Einheit

von Abdulrahman Mohamed Babu

Als die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) 1963 gegründet wurde, weckte dies auf dem Kontinent große Hoffnungen. Die Mehrheit seiner Bewohner glaubte, daß Afrika endlich die vom Kolonialismus geschaffene, auf der Berliner Konferenz von 1884 mit der künstlichen Grenzziehung festgeschriebene Aufteilung des Kontinents in künstliche »Territorien« beseitigen würde, die mit der Unabhängigkeit neue Staaten geworden waren. Aber dazu sollte es wegen der innerhalb der OAU bestehenden ideologischen Differenzen nie kommen. In Afrika besteht heute die Teilung genauso fort wie vor 30 Jahren, mit all den verheerenden Auswirkungen auf das Wohlergehen der Völker und die nationale Würde.

Die Idee der »afrikanischen Einheit« wurde als ein Mittel im Kampf gegen zwei Geißeln verstanden, die der Kolonialismus Afrika aufgebürdet hat. Eine war die Zersplitterung des Kontinents, die schwache und wirtschaftlich nicht lebensfähige Staaten nach sich zog. Die zweite war Armut, ihrerseits eine Folge der Zersplitterung, der extensiven kolonialen Ausbeutung und einer vernunftswidrigen und primitiven, jegliche Entwicklung verhindernde koloniale Wirtschaftsstruktur. Diese beiden Geißeln waren miteinander verknüpft, um die koloniale Unterwerfung und Ausbeutung zu erleichtern. Es war deshalb nicht möglich, ein Übel ohne das andere zu beseitigen – beide mußten gleichzeitig angegangen werden, indem man damit begann, die Grundlage für die Einheit des Kontinents oder, wie es Nkrumah nannte, Afrikas „vereinigtes Kommando“ zu errichten.

Kwame Nkrumah, Ghanas damaliger Präsident, war der Urheber dieser radikalen Formulierung. Es war sein unermüdliches Bemühen, das zur Gründung der OAU führte. Aber um dies trotz der damals unter den unabhängigen afrikanischen Staaten bestehenden Kluft zwischen radikalen und konservativen Strömungen zu erreichen, mußten die Radikalen bei einigen ihrer Prinzipien Zugeständnisse machen. Nur so konnten die Konservativen dazu gebracht werden, mit an Bord zu gehen. Das erwies sich als verhängnisvoll, weil es gerade die Einbeziehung der konservativen Staaten in die OAU war, die diese Organisation zu einer, wie sich heute zeigt, im Sterben liegenden Institution gemacht hat.

Ihren ersten Erfolg bei der Verhinderung der afrikanischen Einheit erzielten die Konservativen auf dem OAU-Gipfel 1964 in Kairo. Es war diese entscheidende Konferenz, auf der Nyerere, der damalige Präsident Tansanias, geschickt zur Annahme einer Resolution drängte, nach der die OAU die koloniale Grenzziehung absegnen und sie als unveränderliche Grundlage ihrer Mitgliedsstaaten anerkennen sollte. Dieser Schritt erfolgte im Einvernehmen mit Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, der zwei Jahre zuvor Eritrea annektiert und es mit brutaler Gewalt unterworfen hatte. Er war damals bemüht, diesen barbarischen Akt durch die OAU legitimieren zu lassen. Aber das eigentliche Motiv der Resolution bestand darin, Nkrumah mit seinen panafrikanischen Idealen auflaufen zu lassen, obwohl der Antragsteller vorgab, daß er die Zahl der Grenzkonflikte in Afrika niedrig halten möchte. Die Entschließung wurde mit einfacher Mehrheit angenommen und zu einem wichtigen, bindenden Grundsatz der OAU-Charta. Somit hat die OAU statt Afrikas erste Geißel, die Uneinigkeit zu überwinden, diese ironischerweise verfestigt.

Zweitens waren die Konservativen bestrebt, aus der OAU eine Institution zu machen, die ihren Interessen und nicht denen Afrikas insgesamt dient. Sie wollten das Machtgleichgewicht auf dem Kontinent zu Lasten der Radikalen verändern, die damals noch die afrikanische Politik beherrschten. Folglich fädelten sie im Zusammenwirken mit ihren früheren Kolonialherren den Sturz der radikalen Führer durch die Militärs ein.

Von der afrikanischen Einheit zum Club der Militärstaatschefs

Nur zwei bzw. drei Jahre nach Gründung der OAU fiel einer nach dem anderen, zuerst Algeriens Ben Bella 1965 und dann Nkrumah selbst im Februar 1966. Von nun an hörte die Organisation auf, ein Instrument des panafrikanischen revolutionären Wandels zu sein und wurde zum Verteidiger des Status quo. Selbst die Befreiung der verbliebenen Kolonien erfolgte im Kontext des Bemühens um die Aufrechterhaltung des Status quo. Es dauerte selbst für Nyerere, den Architekten der OAU, nicht lange, bis er 1972 öffentlich eingestand, daß aus der OAU lediglich eine „Gewerkschaft der afrikanischen Staatsoberhäupter“ geworden war.

Als Folge einer Reihe von Staatsstreichen gegen progressive Regierungschefs und insbesondere seit dem Tod des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser im Jahre 1970 geriet die OAU vollständig in die Hand reaktionärer Militärstaatschefs, die meist politische Analphabeten waren und von Wirtschaft nur so viel verstanden, um ihre Taschen zu füllen. Es war eine Katastrophe für Afrika, da dem Kontinent in einer entscheidenden Phase (1972/73) eine kampferprobte und entschlossene Führung fehlte, in der die Weltwirtschaft mit dem Auftreten Europas und Japans als starke Handelsblöcke eine entscheidende Veränderung erfuhr und der Dollarverfall zur Ölpreisexplosion führte. Die OAU hatte kein politisches Konzept. Sie beschränkte sich darauf, kraftlos und bescheiden mehr Hilfe und Kredite zu erbitten, damit die Staaten Afrikas, die ohne Ölvorkommen sind, ihre durch den astronomischen Anstieg der Erdölpreise erlittenen Devisenverluste ausgleichen könnten.

Da die OAU vor allem daran gescheitert ist, das Hauptproblem der afrikanischen Einheit gleich zu Beginn anzugehen, verkam sie zu einer riesigen und teuren Bürokratie, der jeglicher Orientierungssinn fehlt. Sicherlich hat sie dabei geholfen, den Entkolonisierungsprozeß zu beschleunigen, aber mit oder ohne OAU war dieser Prozeß bereits mit Ghanas Unabhängigkeit im Jahr 1957 und dem »Wind des Wandels« angestoßen worden, den sie in Afrikas politische Arena gebracht hat.

Viele Beobachter glauben inzwischen, daß die OAU 1972 in einigen Fällen, wie bei der Befreiung des südlichen Afrikas, tatsächllich schwere strategische Fehler begangen hat, die die Unabhängigkeit Namibias und Südafrikas verzögerten und zur Verwüstung von Angola und Mosambik durch Südafrika führten. Diese »Strategie«, die man auch »Salami-Taktik« nennen kann, wies der OAU die Aufgabe zu, sich zuerst auf die Befreiung des sogenannten »schwächsten Gliedes«, also auf die portugiesischen Kolonien, dann Rhodesien (Simbabwe), Namibia und schließlich Südafrika zu konzentrieren. Dies hat sich als verhängnisvoll erwiesen, da man Südafrika, als dem letzten Ziel, die Möglichkeit ließ, die sozioökonomischen Grundlagen in Angola, Mosambik und zu einem gewissen Grad auch in Simbabwe zu zerstören.

Die OAU unternahm mehrere Versuche, Institutionen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ihrer Mitgliedsländer zu schaffen. Alle scheiterten aber aus dem einfachen Grund, daß kein afrikanischer Staat seit der Unabhängigkeit seine koloniale Wirtschaftsstruktur verändert hat. Es gab und gibt keine objektive ökonomische Komplementarität unter den Mitgliedsländern, was die Vorbedingung für eine sinnvolle wirtschaftliche Zusammenarbeit ist. Der Ruf der OAU nach einem »gemeinsamen afrikanischen Markt« hört sich folglich eher wie ein Hirngespinst an.

30 Jahre danach

Jetzt, an ihrem dreißigsten Geburtstag, ist die OAU trotz der dynamischen Führungsqualität von Generalsekretär Salim zu einer unnützen Institution verkommen, die, politisch und wirtschaftlich bankrott, keine Rolle mehr spielt und selbst die Entkolonialisierung verloren hat. Sie ist inzwischen nicht mehr als ein Instrument zur Vorbeugung und Lösung von »Konflikten«. Die Konflikte, die die Resolution von 1964 minimieren wollte, stehen aber genau aufgrund dieser Entschließung auf der Tagesordnung. Das edle Ziel der afrikanischen Einheit scheint noch weiter entrückt zu sein. Tatsächlich besteht jetzt die Gefahr, daß sich Afrika einer weiteren Desintegration einiger seiner bestehenden Staaten gegenübersieht. Und dennoch hat die OAU keine Vision, welche Gestalt Afrika in der kommenden Dekade etwa annehmen könnte. Sie ist mittlerweile auf »Krisenmanagement« beschränkt. Ihre Vision ist verdeckt von den festgefügten Vorurteilen der bestimmenden Staaten.

Beispielsweise haben die Eritreer 30 Jahre – so lange wie die OAU besteht – unter großen menschlichen und materiellen Opfern für ihre Unabhängigkeit gekämpft, und doch blieb dieser Kampf von der OAU unbeachtet. Somalia verblutete und tut es noch heute, aber die OAU hat keinen Flnger gekrümmt, um den Konflikt zu lösen. Die Nigerianer zerbomben liberianische Dörfer in tausend Stücke und töten im Namen der westafrikanischen Einheit unter ECOWAS-Kommando, sanktioniert von der OAU, unschuldige Kinder, Frauen und Alte.

Zukünftige Rolle der OAU

Wird sie in Zukunft irgendeine sinnvolle Rolle spielen? Wenn die OAU nicht aufhört, das »Hauptquartier der Intrigen« und Förderband für ehrgeizige afrikanische Diplomaten zu sein, wird sie nicht mehr lange den Muskelschwund überleben. Die OAU ist die Summe ihrer Mitgliedsländer, und diese sind jetzt vereinzelt, schwach, erschöpft und ihrerseits ohne jede Vision. Diese Situation spiegelt sich notwendigerweise in der OAU wider. Wenn sie sich reaktivieren und eine maßgebliche Rolle spielen will, muß sie sich zum Volk hinab begeben. Sie muß aufhören, lediglich Instrument der Staatsoberhäupter zu sein, die zumeist ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie sollte wieder den Geist des Panafrikanismus entfachen, der ihr den mit der Begeisterung der Völker verbundenen Schwung und Elan verschafft, statt der kalten Leere der pompös auftretenden Diplomaten, die nur sich selbst dienen.

Dies sind die notwendigen Voraussetzungen für jede afrikanische Organisation, die sich bemüht, angemessene Antworten für das zu finden, was auf dem Kontinent geschieht. Leider scheint die Zukunft der OAU, wie es aussieht, dunkel zu sein.

Anmerkung

Der Artikel konnte mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift epd-entwicklungspolitik in unserer Zeitschrift nachgedruckt werden (epd-entwicklungsplitik 11/93, Mai).

Abdulrahman Mohamed Babu hat als einer der Emmissäre von Julius Nyerere maßgeblich an der Gründung der OAU mitgewirkt. Er lebt heute in England.

Eingebettete Gewalt

Eingebettete Gewalt

Der Bürgerkrieg in Darfur

von Kurt Beck

Am 31. Juli 2007 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig die lange erwartete Resolution 1769 zur Situation in Darfur verabschiedet. Die Resolution, ursprünglich schärfer gefasst und mit Sanktionsmöglichkeiten gegen die Regierung des Sudans versehen, dann aber nach Widerstand der sudanesischen Regierung und ihrer Verbündeten, hauptsächlich Chinas, entschärft, ermächtigt die Vereinten Nationen, eine Blauhelmtruppe zur Unterstützung des Friedensprozesses und zum Schutz von Zivilpersonen nach Darfur zu entsenden.

Die zunächst auf ein Jahr befristete Mission (UNAMID) soll 26.000 Personen (knapp 20.000 Militär und ca. 6.000 Polizei) umfassen und bis Ende des Jahres die 7.000 Mann starke Truppe der Afrikanischen Union (AMIS), welche seit Herbst 2004 in Darfur stationiert ist, vollständig assimiliert haben. Im Vergleich zur Beobachtermission der Afrikanischen Union verfügt UNAMID über ein weiter gehendes Mandat, ist etwa ausdrücklich aufgefordert, auch mit militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilpersonen vorzugehen.1 Damit keimt erneut die Hoffnung auf Beilegung eines der blutigsten Bürgerkriege in Afrika, der seit 2003 über 2 Mio der 7 Mio Darfuris zur Flucht gezwungen und bis zu 300.000 das Leben gekostet haben soll.

Um die genozidale und rassistische Dimension hervorzuheben, haben einige Beobachter den Darfurkonflikt zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda als »Ruanda im Zeitlupe« bezeichnet. »Südsudan im Zeitraffer« wäre treffender, wenn auch weniger dramatisch. Gewiss, es hat blutige Massaker unter den Ethnien Fur und Masalit gegeben, z.B. Massenexekutionen an mehreren hundert wahllos zusammengetriebenen Bauern im Wadi Salih in den südwestlichen Vorbergen des Jabal Marra. Regierungstruppen und Milizen haben tausende, vermutlich zehntausende Zivilisten getötet. Mädchen und Frauen wurden massenhaft vergewaltigt, Kinder geraubt, zehntausende Stück Vieh weggetrieben, Moscheen geschändet, Dörfer und Ernten verbrannt, Brunnen und öffentliche Gebäude zerstört. Was sich in Darfur ereignet, kann kaum anders denn als ethnische Säuberung durch Zerstörung, Vertreibung und Töten begriffen werden.2 Dennoch ist die große Mehrzahl der Opfer nicht in einem gewaltigen Blutrausch abgeschlachtet worden wie in Ruanda, sondern sie sind aufgrund von Unterernährung und Krankheiten ums Leben gekommen. Einige Kommentatoren haben daher von Genozid durch Auszehrung gesprochen.

Aufstandsunterdrückung und Vernichtungsfeldzug

Ende 2002 kamen vereinzelte Gerüchte über eine Rebellenorganisation namens »Darfur Liberation Front« im Jabal Marra-Bergland im Herzen der Region Darfur auf. Im Frühling schließlich wurde bekannt, dass die Rebellen, nun unter dem Namen »Sudan Liberation Movement/Army« und JEM (Justice and Equality Movement), einige kleinere Städte im Gebiet der Fur im Jabal Marra-Massiv und im Gebiet der Zaghawa nahe der Grenze zum Tschad erobert hatten. Ende April 2003 gelang es ihnen sogar, El Fasher, die alte Hauptstadt Darfurs einzunehmen und die Stadt einige Tage zu halten. Dies waren keine tribalen Konflikte oder das Werk von Banditen, sondern ein Aufstand und eine öffentliche Kriegserklärung an die Regierung in Khartum.

Die Reaktion aus Khartum kam spät, dafür aber brutal. Obwohl ein großer Teil der Regierungstruppen im Bürgerkrieg gegen die »Sudan Peoples’ Liberation Army« (SPLA) im Süden des Landes gebunden war, hatte die Armee bis Juli 2003 genügend Truppen verlegt, um eine groß angelegte Offensive in Norddarfur zu beginnen. Angesichts der Bomberangriffe auf Dörfer und der systematischen Zerstörung von Siedlungen der Fur und Zaghawa wurde bald deutlich, dass die Kriegsführung einer Strategie der verbrannten Erde folgte. Die zweite Strategie sollte sich allerdings als weit verheerender erweisen. Sie bestand darin, arabische Milizen, die seither der Weltöffentlichkeit unter dem Namen Janjawid bekannt wurden, zu rekrutieren und zu bewaffnen. Diese Strategie ist von einem Beobachter treffend als Aufstandsunterdrückung auf die billige Art beschrieben worden3 – auf die schmutzige Art wäre auch eine treffende Bezeichnung, denn die Kriegsführung der Janjawid lässt sich nur in Termini eines ungehemmten Vernichtungsfeldzugs gegen die Ethnien begreifen, aus denen sich die Rebellengruppen rekrutieren. Zum Verständnis der Entwicklung ist ein Blick auf den politischen Kontext und die Geschichte hilfreich.4

Darfur, ein marginalisiertes Grenzland

Darfur ist die westlichste Region der Republik Sudan, flächenmäßig etwa so groß wie Frankreich, mit einer Bevölkerung von rund 7 Mio. Einwohnern allerdings sehr dünn besiedelt. Es hat gemeinsame Grenzen mit dem Südsudan im Süden, mit der zentralafrikanischen Republik im Südwesten, im Westen mit dem Tschad und ganz im Norden mit Libyen. Diese Grenzen sind Teil des Konflikts. Sowohl der Südsudankonflikt hatte seine Auswirkungen, als auch die Politik Libyens, das seit den achtziger Jahren die unzufriedenen Abenteurer aus der ganzen Sahelregion in seine Islamische Legion rekrutierte, um damit in die regionalen Konflikte zu intervenieren.

Der nördliche Teil Darfurs ist Wüste. Hier leben Kamelnomaden, arabische Nomaden wie die nördlichen Rizaiqat und nichtarabische Nomaden wie die Zaghawa, deren Siedlungsgebiete sich weit über die Grenze in den Tschad ziehen. Der Norden Darfurs leidet wie die ganze Sahelregion unter Austrocknung und Desertifikation. Auch dies ist Teil des Problems, denn die Nomaden drängen seit Mitte der 1980er Jahre mit ihren Herden auf die fetteren Weiden Zentraldarfurs, was zu erheblichen Ressourcenkonflikten mit den dortigen Bauern geführt hat.

Zentral- und Westdarfur erhalten genügend Niederschläge für Hirseanbau und Gartenbau. Hier leben die bäuerlichen Ethnien Fur, ferner die Masalit, deren Gebiete sich im Tschad fortsetzen, die Berti und einige weitere nichtarabische Ethnien. Seit den 1980er Jahren fand dort in den begünstigten Lagen eine massive landwirtschaftliche Expansion statt, in deren Folge auch Wanderwege von Nomaden versperrt, Weiden unzugänglich gemacht und der Zugang zu Brunnen erschwert wurden, und dies gerade in einer Zeit, in der die Nomaden Norddarfurs ihre Herden vor den Dürren retten wollten.

Der Süden Darfurs ist für Rinderzucht und Hirseanbau geeignet. Hier befindet sich das Gebiet der unter der Bezeichnung Baqqara (Rinderleute) zusammengefassten Rizaiqat, Maaliya und Beni Halba sowie Salamat, letztere in ihrer Mehrheit bereits über der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik. Historische Migrationen und nachbarschaftliches Zusammenleben haben allerdings dazu geführt, dass alle diese Ethnien zu einem gewissen Maß miteinander vermischt lebten, zumindest bis in die 1980er Jahre, bevor nach einer langen Periode relativen Friedens die großen Stammeskriege ausbrachen. Ferner brachten die Wanderungen der Nomaden eine gewisse Mobilität in die Siedlungsstruktur.

Diese Wanderungen verursachen immer wieder Reibungen, sei es wegen Flurschäden oder gestohlenen Tieren, und massive Verlagerungen wie 1983/4 infolge mangelnden Regens oder schlechter Weide haben immer wieder die Gefahr gewaltsamer Ressourcenkonflikte heraufbeschworen. Die Gesellschaft der Savanne hat nie konfliktfrei funktioniert; individuelle gewaltsame Konflikte und manches Mal Stammeskriege gehörten als ein integraler Teil zur Sozialstruktur der Savanne. Aber es existierten eben auch politische und rechtliche Institutionen, um die aufkommenden Konflikte zu zähmen. Von Fall zu Fall mögen diese Institutionen sehr alt sein, sicher ist aber, dass die englische Kolonialverwaltung sie im Rahmen ihrer Eingeborenenverwaltung in den 1920er Jahren in der Form von Stammesgerichtsbarkeit und intertribalen Verhandlungen regularisierte und dass sie bis in die 1980er Jahre die kleine alltägliche Gewalt in der Savanne zwar nicht verhinderten, aber doch allgemein akzeptiere Verfahren zu ihrer Eindämmung bereitstellten und – dies ist der springende Punkt – einer militärischen Eskalation vorbeugten. Letztliche Voraussetzung dafür war aber immer der Rückhalt durch die Macht des Staats.

Der Staat und die Savanne – die Wiederkehr der Vorgeschichte

Selbst wenn man nicht bis in pharaonische und meroitische Zeiten zurückgeht, ist der Staat doch eine alte Institution im Sudan. Das Sultanat Darfur (ca. 1650 bis 1916) und westlich davon das Sultanat Masalit fügten sich in die Kette der Staaten in der afrikanischen Savanne, die von Westafrika bis zum äthiopischen Hochland reichte, alle mehr oder weniger auf dem Handel, insbesondere dem Sklavenhandel nach Nordafrika und die Levante gegründet. Historisch lag das Sultanat Darfur mit seinem Zentrum im Jabal Marra in Konkurrenz mit einer ganzen Abfolge von östlichen Nachbarn am Nil, angefangen vom Schwarzen Sultanat der Funj (1501-1820), über den ägyptischen Kolonialstaat (1820-1881) und den mahdistischen Staat (1882-1898) bis zum anglo-ägyptischen Kolonialstaat (1898-1955). Erst im Ersten Weltkrieg wurde Darfur in den anglo-ägyptischen Sudan integriert.

Keiner dieser Staaten sollte mit einem modernen Nationalstaat verwechselt werden. Dennoch ist diese Art von Vorgeschichte lehrreich für ein Verständnis des aktuellen Konflikts. Die Staaten besaßen ihre Machtzentren am Fuß des Jabal Marra oder am Zusammenfluss des Weißen und des Blauen Nils, aber auf dem Land nahm die Macht ihrer Herrscher mit zunehmender Entfernung von den Zentren schnell ab. Die Savannen bildeten ein tribales Grenzgebiet zwischen den Staaten, das nur sehr punktuell durch Allianzen mit lokalen Kriegsherren, die im Austausch wiederum Anerkennung als Stammesführer erhielten, und durch militärische Kampagnen regiert wurde. Stammesführer und ihre Kavallerien waren aus einer Reihe von Gründen nützlich: um die eigenen Handelsrouten zu schützen, um die der konkurrierenden Nachbarn zu stören, um das Grenzgebiet im Vorfeld des Staates abzuschirmen, um die tribalen Allianzpartner der Konkurrenten in Schach zu halten und Krieg in das Vorfeld des konkurrierenden Staats zu tragen. Aber diese Allianzen waren immer zweischneidig, denn Stammesführer und ihre Milizen beschränkten sich nie auf Gewaltausübung im Namen des Staats. Sie hatten ganz im Gegenteil ihre eigenen lokalen Ambitionen, u. a. Brunnen und Weidegebiete zu erobern, Vieh und Sklaven zu rauben, und dies mit Rückendeckung, aber bei Gelegenheit auch gegen den Willen ihrer Sultane.

Damit soll nicht impliziert sein, dass die Janjawid von heute umstandslos einer ungebrochenen Tradition in der Savanne folgen. Denn erstens blüht die Gewalt heute in einer historisch unvorstellbaren Dimension. Und zweitens hat der Staat, angefangen mit der kolonialen Pazifizierung und der Einrichtung der Eingeborenenverwaltung, über mehrere koloniale und postkoloniale Verwaltungsreformen hinweg bewiesen, dass die Gewalt im Grenzland des Staats zähmbar ist. Aber dies gilt eben nur, solange der Staat den politischen Willen und die Ressourcen dazu tatsächlich auch besitzt. Das Gegenteil ist heute der Fall! Der Staat hat seinen mit Mühe errungenen Anspruch auf das Monopol legitimer Gewaltausübung aufgegeben, die lokalen Verwaltungen in Darfur sind nach der Abschaffung der auf die Kolonialzeit zurückgehenden Verwaltungsinstitutionen im Jahr 1982 und der finanziellen Ausblutung derjenigen Institutionen, die ihren Platz einnehmen sollten, geschwächt. Wiewohl formell innerhalb staatlicher Grenzen, sind die Savannen doch wieder offen für die Gewalt aus den benachbarten Staaten. Die zeitgenössischen Sultane, ob sie nun in Tschad, Libyen oder Sudan herrschen oder die Herrschaft an sich reißen wollen, haben wieder begonnen, Allianzpartner in der Savanne für ihre Kriege zu sammeln. Und zu den Allianzpartnern der sudanesischen Regierung gehören die Janjawid.5

Das historische Muster kommt wieder zum Vorschein, seit sich die Struktur der gewaltoffenen Grenze seit den frühen 1980er Jahren wieder ausgebildet hat. Die tschadischen Bürgerkriege wurden weitgehend auf darfurischem Gebiet ausgefochten, angefangen mit dem Sturz der Regierung Goukouni im Juni 1982 durch Hissène Habre mithilfe der Zaghawa aus dem sudanesischen Grenzland und Gadhafis Rekrutierung für seine islamische Legion aus den arabischen Ethnien. Im Dezember 1990 stürzte Idriss Déby seinerseits die Regierung Habre. Zur selben Zeit versuchte die SPLA eine zweite Front in Darfur zu etablieren und die tribalen Milizen, welche die sudanesische Zentralregierung gegen die SPLA ausgerüstet hatte, wandten sich auch Darfur zu. Seit 2005 sammeln sich wieder die tschadischen Rebellen mit Unterstützung der sudanesischen Regierung im darfurischen Grenzland6. Die tschadische Regierung dagegen unterstützt gezielt darfurische Rebellenmilizen, die aus den Flüchtlingslagern im Tschad rekrutieren und im Gegenzug die arabischen tschadischen Rebellenmilizen binden sollen. Angehörige arabischer Ethnien wie Mahamid und Salamat, aus dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik vertrieben, besiedeln inzwischen Gebiete in Darfur, aus denen vorher die arabischen Milizen Fur und Masalit vertrieben haben, u. a. das Gebiet der Massaker im Wadi Salih.

In der gesamten Region werden wieder die Konflikte zwischen den Herrschern und den Prätendenten auf die Herrschaft ausgefochten. Der Krieg ist von den Herrschern als Stellvertreterkrieg oder als Aufstandsunterdrückung auf die billige Art gedacht, wird aber eben auch mit lokalen Ambitionen geführt. Das Grenzland hat sich zu einem Schlachtfeld entwickelt, auf dem allerhand Kriegerbanden agieren, seien dies Regierungstruppen oder Rebellen, dörfliche und nomadische Milizen, oder einfach nur Banditen oder Banden von Stammeskriegern, welche die Gelegenheit wahrnehmen, straflos ihre kleinen Kriege und Raubzüge unter dem Schirm der großen Konflikte zu führen. Eingebettete Gewalt könnte man dies wegen der Dynamik mehrfach ineinander verschachtelter Konflikte nennen.

Ethnizität, Tribalismus, Rassismus

Besonders blutig werden diese Konflikte, wenn sie gebündelt und auf einen ideologischen Generalnenner gebracht werden. Der Gesamteffekt all dieser Entwicklungen – Dürre, Migrationen und Ressourcenkonflikte, importierte Gewalt, Schwächung der lokalen Verwaltungen – war ein erster Ausbruch von ethnischer Gewalt in den späten 1980er Jahren. Ethnizität ist unter gewissen Umständen leicht anfällig für Militarisierung, zumindest bietet ethnische Zugehörigkeit ein ideales Rekrutierungsmuster. Darfur zur Zeit der Renaissance der Fur in den 1980er Jahren bietet ein Lehrbuchbeispiel für politische Ethnizität und die Ausbildung eines militanten Tribalismus. Ähnlich exemplarisch – diesmal für Rekrutierung über religiöse Zugehörigkeit – ist der Südsudankonflikt. Aber im Gegensatz zu dem jihadistisch dargestellten Bürgerkrieg im Südsudan fehlen in Darfur, wo sich alle zum Islam bekennen, dafür die Voraussetzungen. Mit der Bündelung der ethnischen Antagonismen in ein Lager der Zurqa (Schwarze, mit einem Beiklang von Sklaven) und ein Lager der Araber blüht heute in Darfur jedoch der Rassismus. Auf der einen Seite stehen die Ethnien, die im Sudan als afrikanisch gelten und auf der anderen Seite diejenigen, die als arabisch gelten.

Nach der Unabhängigkeit des Sudans wurde Darfur durch Verwaltungsbeamte aus der politischen Elite des Niltals regiert. Intellektuelle aus Darfur betrachteten dies als internen Kolonialismus in Termini einer alten Opposition zwischen der einheimischen marginalisierten Bevölkerung und den besser entwickelten Gebieten des zentralen Niltals.7 Schon in den 1960er Jahren meldeten sich die ersten Organisationen zu Wort, die eine stärkere Berücksichtigung darfurischer Interessen forderten, die frühen 1980er Jahre sahen eine Reihe von Streiks und Demonstrationen in den darfurischen Städten und schließlich setzte die Zentralregierung 1981 einen Darfuri als Gouverneur ein. Der Gouverneur stammte aus der Ethnie der Fur, als sein Stellvertreter wurde der zahlenmäßigen Bedeutung der Ethnien entsprechend ein Zaghawi bestellt.

Im politischen Bewusstsein der Savanne erlebte damit die alte Herrschaft der Fur eine Renaissance. Was folgte, war eine massive Tribalisierung der Verwaltung. Dies war auch die Zeit der Expansion der Landwirtschaft am Jabal Marra. Dann aber kamen die Dürren bei Zaghawa und arabische Nomaden und der Zuzug der Herden aus dem Norden mit den begleitenden Ressourcenkonflikten. Die Fur-Bauern verteidigten ihre Felder, Nomaden versuchten Zugang zu Weiden und Wasserstellen zu erzwingen. Milizen formierten sich, die Zaghawa setzten auf ihre tschadischen Beziehungen, die Fur wandten sich an Armee und Polizei. Zwischen 1983 und 1987 herrschte praktisch Kriegszustand zwischen Fur und Zaghawa. Die Fur beriefen sich auf ihre einheimischen Landrechte aus der Zeit des Sultanats, die Nomaden forderten ihren nie ganz unumstrittenen, aber gewohnheitsmäßigen freien Zugang als sudanesische Bürger. Im Verlauf des Konflikts wurden Siedlungen der Zaghawa niedergebrannt und mehrere ihrer Führer von den Sicherheitskräften der Fur exekutiert. Und die arabischen Nomaden, von der darfurischen Verwaltung ausgeschlossen und von den Weiden ausgesperrt, mussten erbittert zusehen, wie ihre Tiere verendeten und ihre Lager von darfurischen Sicherheitskräften zerstört wurden. Sie wandten sich zunächst an die Regierung in Khartum und als von dort keine Hilfe kam, setzten sie auf die libysche Karte. In dieser Zeit formierte sich unter dem Einfluss der Heimkehrer aus der Islamischen Legion und ihrer panarabischen Ideologie die arabische Sammlungsbewegung und zum ersten Mal kam die Rede von Darfur als Teil eines arabischen oder eines schwarzen Gürtels in der Savanne auf. Im Jahr 1987 schließlich brach der Krieg der arabischen Milizen gegen die Fur aus, ein gebündelter Stammeskrieg unter Führung der arabischen Sammlungsbewegung, und daher lokal als „Krieg der Stämme“ bezeichnet. 1989 folgte eine Friedenskonferenz in Darfur, aber inzwischen waren die Kontrahenten klar in ethnischen Lagern aufgestellt, die Kriegsbeute, Darfur, wurde immer mehr unter rassistischen Gesichtspunkten betrachtet. Es ging nicht mehr nur um kleine Ressourcenkonflikte, auch nicht mehr um Stammeskriege, sondern um die Vorherrschaft entweder der Afrikaner oder der Araber über ganz Darfur.

Auch nach den Friedensvereinbarungen von 1989 setzte sich der Konflikt, wenn auch auf niedrigem Niveau, fort, intensivierte sich jedoch gegen Ende der neunziger Jahre insbesondere zwischen Masalit und arabischen Nomaden an der Grenze zum Tschad. Es wurde bald deutlich, dass die neue Zentralregierung des Sudans, 1989 durch einen Putsch an die Macht gekommen, mit ihrer islamistisch-arabischen Ideologie die rassistische Interpretation des Konflikts in Darfur weiter schürte. Die von der Militärregierung eingesetzten Kommissare aus dem Niltal bauten auf die Unterstützung der arabischen Ethnien und unterstützten sie ihrerseits. In dieser Zeit bereits entstand der militärisch-politische Komplex aus Milizen, Geheimdiensten und Armee. Arabische Milizen im Gebiet der Masalit konnten ungehindert Dörfer der Bauern überfallen und genossen sogar bei Gelegenheit die Unterstützung der Armee.

Schließlich vereinigten sich 2002 Milizen der Fur, der Masalit und der Zaghawa zur Darfur Liberation Front und begannen wie bereits geschildert ihre Rebellion gegen die Zentralregierung. Zu deren Ausbruch gerade zu diesem Zeitpunkt mag beigetragen haben, dass die Zentralregierung immer mehr als Feind der afrikanischen Bevölkerung in Darfur galt und der Moment, als gerade die Friedensverhandlungen zwischen der Zentralregierung und der SPLA aus dem Südsudan begannen, als besonders günstig erachtet wurde, um auch Darfur mit seinen Problemen einen Platz am Verhandlungstisch zu erzwingen. Wenn dies die politische Überlegung war, dann beruhte sie auf einer dramatischen Fehleinschätzung der Zentralregierung, die, statt Interesse an einer politischen Lösung zu zeigen, über ihren politisch-militärischen Komplex zur Strategie der Aufstandsunterdrückung auf die billige Art griff und damit den Vernichtungsfeldzug gegen die afrikanischen Ethnien Darfurs eröffnete.

Die Ausbreitung des Konflikts

Lange schon hat sich der Darfurkonflikt auf den Tschad ausgedehnt. Um die 300.000 Flüchtlinge aus den afrikanischen Ethnien Darfurs leben seit 2003/4 in Lagern und in Siedlungen im östlichen Tschad. Arabische Milizen haben sie häufig über die Grenze verfolgt. Und die Janjawid rekrutieren sich neben den nördlichen Rizaiqat wesentlich aus arabischen Nomaden, die aus dem Tschad zugewandert sind und inzwischen begonnen haben, sich in den entvölkerten Gebieten Westdarfurs niederzulassen. 2005 begannen sich im östlichen Tschad bewaffnete Rebellengruppen gegen die Regierung Deby zu formieren. Seit Oktober 2005 waren Teile der Armee, auch aus dem innersten Kreis seiner hauptsächlich aus Zaghawa bestehenden Regierung, offenbar aus Unzufriedenheit über die Verteilung des neuen Ölreichtums im Tschad zu den Rebellen übergelaufen. Im April 2006 versuchten sie aus dem darfurischen Grenzland heraus die Hauptstadt N’Djamena zu erobern, wurden aber mit Unterstützung der französischen Armee zurückgeschlagen und haben seither eine Reihe von Niederlagen erlitten, sich aber mit Unterstützung der Janjawid und der sudanesischen Armee im Grenzland zwischen der Zentralafrikanischen Republik, Sudan und Tschad eingenistet, wo sie inzwischen als integraler Teil des Konflikts agieren.

Im April 2004 unterzeichneten die Rebellen und die sudanesische Regierung einen von der tschadischen Regierung und der Afrikanischen Union vermittelten Waffenstillstandsvertrag im Hinblick auf spätere Friedensverhandlungen, aber keine Seite hielt sich lange an ihn, am wenigsten die arabischen Milizen. Nach lange hingezogenen Verhandlungen, die immer wieder durch Nachrichten von Überfällen und Kämpfen unterbrochen wurden, kam es schließlich zu einem Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und einer der Rebellengruppen im April 2006.

Aber bereits während der Verhandlungen hatten sich die Rebellengruppen in eine Vielzahl von unabhängig voneinander operierenden Milizen aufgespalten. Vorher überspielte Interessengegensätze waren aufgebrochen, Feldkommandeure hatten sich gegen ihre Führer im Exil aufgelehnt, Milizen hatten unkontrolliert zu marodieren begonnen; ferner hatten sich Rebellenorganisationen entlang ethnischer Linien gespalten und neue Organisationen waren aufgetaucht, um ebenfalls einen Platz am Verhandlungstisch zu beanspruchen. Dazu kommt, dass inzwischen die arabischen Milizen, hochgerüstet wie sie sind, wieder damit begonnen haben, ihre kleinen Kriege gegeneinander auszufechten. Heute, nach der Unterzeichnung des Abkommens erscheint der Konflikt unkontrollierbarer denn je. Jetzt besteht neue Hoffnung, dass die UNAMID-Mission die Gewalt in Darfur einzudämmen vermag.

Anmerkungen

1) Resolution 1769 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, siehe www.un.org/News/Press/docs/2007/sc9089.doc.htm. Der AMIS-Einsatz beruhte auf der Resolution 1556 des Sicherheitsrats von 30. Juli 2004, siehe www.un.org/Depts/german/sr/sr_03-04/sinf59final.pdf.

2) Die Ereignisse sind gut dokumentiert durch mehrere Berichterstattermissionen der Vereinten Nationen, durch AMIS und durch die Tätigkeit internationaler Menschenrechtsorganisationen, v. a. Human Rights Watch: Darfur in Flames. Atrocities in Western Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Darfur Destroyed. Ethnic Cleansing by Government and Militia Forces in Western Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Empty Promises? Continuing Abuses in Darfur. New York 2004; Human Rights Watch: „If We Return, We Will Be Killed“. Consolidation of Ethnic Cleansing in Darfur, Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Entrenching Impunity. Government Responsibility for International Crimes in Darfur. New York 2005; Amnesty International: Darfur – Rape as a Weapon of War, London 2004.

3) De Waal, Alex: Counterinsurgency on the Cheap, London Review of Books 26/15, vom 5.8.2004.

4) Für eine detailliertere Darstellung der Ereignisse und der Hintergründe sei verwiesen auf eine Reihe von ausführlicheren Veröffentlichungen: El Battahani, Ata: Ideologische, expansionistische Bewegungen und historische indigene Rechte in der Region Darfur, Sudan. Vom Massenmord zum Genozid. Zeitschrift für Genozidforschung 5, 2004, 8-51; Beck, Kurt: Die Massaker in Darfur. Zeitschrift für Genozidforschung 5, 2004, 52-80; De Waal, Alex und Julie Flint (2005): A Short History of a Long War. London (Zed Books); Prunier, Gérard (2005): Darfur, The Ambiguous Genozide. London (Hurst).

5) Die sudanesische Regierung hat das vor der Weltöffentlichkeit immer bestritten. Sie hat insofern Recht, als sie selbst nur unabhängige Banden Janjawid nennt. Die arabischen Nomadenmilizen, welche die Weltöffentlichkeit als Janjawid bezeichnet, sind inzwischen Teil der Volksmilizen (Peoples Defense Forces), welche die islamistische Regierung nach ihrem Putsch gegründet hat, um eine Sturmtruppe neben und als Gegengewicht zur Armee zu haben, oder Teil der leichten Grenztruppen (Border Intelligence Guard), die wiederum nicht in die Armeehierarchie eingeordnet, sondern direkt dem Direktor der militärischen Abwehr unterstellt sind. Die Volksmiliz und selbstverständlich die militärische Abwehr sind innerhalb des Sudans unantastbar.

6) Human Rights Watch (2006): Violence Beyond Borders. The Human Rights Crisis in Eastern Chad. New York; Human Rights Watch (2007): „They Came Here to Kill Us“. Militia Attacks and Ethnic Targeting of Civilians in Eastern Chad. New York.

7) Ein spätes Produkt dieser Sicht ist das anonyme Black Book, das im Jahr 2000 im Sudan unter der Hand zirkulierte und in dem die Autoren die Marginalisierung Darfurs durch Statistiken belegen. Eine englische Übersetzung findet sich unter www.sudanjem.com/sudan-alt/english/books/books.htm.

Prof. Dr. Kurt Beck ist Professor für Ethnologie an der Universität Bayreuth

»Medien-Blauhelme« in der DR Kongo

»Medien-Blauhelme« in der DR Kongo1

von Etienne Fopa und Christiane Lammers

Seit Jahrzehnten wird die Berichterstattung über Afrika durch die drei großen »K’s«: Kriege, Katastrophen und Krankheiten dominiert. Aber nicht nur das Fremdbild, d.h. die Berichterstattung im westlichen Ausland, ist einseitig und ideologisch geprägt. Auch in den afrikanischen Staaten selbst mangelt es oft an Medien, die sich dem Anspruch einer umfassenden, informativen Innensicht stellen. Der folgende Beitrag stellt ein solches Projekt vor.

Im Zeitalter der Massenmedien ist die Bedeutung der Massenkommunikationsmittel kaum zu unterschätzen, was ihre politische und politisierende Wirkung angeht. Dies umso mehr in Gesellschaften, in denen desolate Infrastrukturen und ökonomischer Mangel dazu führen, dass die gesellschaftliche Teilhabe der Bevölkerungsmehrheit auf ein Minimum reduziert wird bzw. werden kann. Demokratisierung und Entwicklung, verstanden als Prozesse von »unten«, sind wesentlich von einer Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten und -strategien abhängig.2 Nicht zuletzt geht es aber auch um die Anerkennung eines Menschenrechtes, nämlich des uneingeschränkten Rechtes auf Information.

1995 wurde in der Schweiz mit Hilfe des dortigen Entwicklungsministeriums, konkret der »Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit«, die Stiftung »Hirondelle« gegründet. Die Stiftung versteht sich als eine Journalisten-Organisation, die in Krisengebieten neue Medien aufbaut. Ihr Präsident, der Journalist Jean-Marie Etter, war zuvor als Generalsekretär der Schweizer Sektion von »Reporter ohne Grenzen« tätig und arbeitete bei »Radio Agatashya« in der Gegend der Grossen Seen in Afrika. Der Name der Stiftung deutet auf dieses erste Projekt der Stiftung hin: Agatashya bedeutet in Deutsch »Schwalbe«(franz. »Hirondelle«). Die Stiftung »Hirondelle« baute in den letzten 10 Jahren »Star Radio« in Liberia auf, »Radio Blue Sky« im Kosovo, »Radio Ndeke Luka« in Bangui (Republik Zentralafrika), und unterstützte das nationale Radio/Fernsehen RTTL in Osttimor. Das älteste Projekt von »Hirondelle« ist jedoch kein Radio, sondern die Presseagentur »Arusha« in Tansania, die die Arbeit des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Ruanda begleitete.

In einem Interview äußert sich Etter zu den die Arbeit der Stiftung bestimmenden Werten: »Es gibt einerseits professionelle Werte. Ich glaube an journalistische Grundsätze, die universelle Gültigkeit besitzen und in der Praxis angewendet werden müssen. Daneben gibt es ethische Werte wie den Respekt der Menschenwürde, Ehrlichkeit und Transparenz. Unser aller tiefster Grundsatz ist jedoch die Unabhängigkeit von wirtschaftlicher und politischer Macht3

Konkret heißt das: Die Stiftung will ihr Know-How, ihr Ansehen und ihre Erfahrung den Mitarbeitern/innen vor Ort vermitteln und ihnen somit helfen, unabhängige Medien auf Dauer betreiben und die volle Verantwortung übernehmen zu können. In der Regel arbeitet also die Stiftung mit lokalen Mitarbeitern/innen, mit Ausnahme der Projektleitung. Die Medien werden von Anfang an so konzipiert, dass sie den lokalen Mitarbeitern übergeben werden können. Die Budgets werden entsprechend ausgerichtet und erforderliche Ausbildungen vorgesehen, sowohl für die Journalisten, die Techniker wie auch für das Managementpersonal. Die Sicherung der Unabhängigkeit der Medien bedarf auch der Kontrolle des gesamten Produktionsprozesses, vom Papier zur Verteilung, vom Sammeln der Informationen bis zur Sendung. Um die Qualität dieser ganzen Ketten abzusichern, bemüht sich die Stiftung ständig darum, die notwendigen materiellen Grundvoraussetzungen zu schaffen.

Journalismus in Konfliktsituationen

Innergesellschaftliche Konflikte haben tiefgreifende politische Wurzeln, die seit Jahrzehnten gewachsen sind, wobei die aktuelle Situation nur ein Punkt mehr auf der Konfliktskala darstellt. Die Journalisten sind daher mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: »In times of political confrontation and internal conflicts in society, journalists – as allegedly objectives reporters, are more than ever in danger of becoming themselves part of the dispute by selecting an evaluating information.“4 Journalisten gehen, bei bestem Willen, ständig das Risiko ein, zu Mittätern zu werden: durch den unreflektierten Gebrauch von Sprachregelungen, bei der unzulänglichen Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, durch die Bedienung tradierter Klischees etc. Vor der Gefahr von Missverständnissen können sie sich nur schützen, indem sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich dieser stellen. Kompromisse sind hier nicht denkbar. Sie haben alle ihnen zur Verfügung stehenden Wege der Kommunikation intensiv und gewissenhaft zu prüfen, bevor sie sie nutzen, um Ereignisse und Zusammenhänge transparenter machen oder Konfliktparteien lösungsorientierte Wege vorzuschlagen5: »Conversely, the approach of crisis reporting know in the Anglo-Saxon world as peace journalism, which avoid any simple attribution of roles of victim/perpetrator and instead focuses on all sides of the conflict in an equal measure, is based on the assumption that communication via the media may also have a de-escalating effect and that journalists should deliberately assume a mediating position for the sake of peaceful solution.«6

Voraussetzung für diese Mediatorenfunktion ist allerdings neben einer entsprechend ausgerichteten professionellen Ausbildung auch die materielle Absicherung. Dies schließt auch den konkreten Schutz von Gebäuden und Personen mit ein. In Konfliktgebieten kann dies bedeuten, dass Medienprojekte darauf angewiesen sind, Unterstützung zum Beispiel von UNO-Missionen vor Ort zu erhalten.

»Radio Okapi«

Seit 2002 betreibt die Stiftung »Hirondelle« in Partnerschaft mit der UNO, konkret der MONUC, das »Radio Okapi« in der Demokratischen Republik Kongo. Es handelt sich um das größte Radioprojekt der UNO. Okapi gilt heute als das wichtigste Medium in der DR Kongo, da es als einziges Medium landesweit ausstrahlt und damit ca. 20 Mio. der 60 Mio. Einwohner des Landes erreicht, das etwa so groß wie ganz Westeuropa ist.

Für Kongo ist Radio Okapi längst mehr als »nur« eine glaubwürdige Informationsquelle, obwohl das allein eine reife Leistung in einem Land ist, in dem einst die Abendnachrichten mit dem Bild eines auf einer Wolke schwebenden Diktator zu beginnen pflegten. Der Radiosender ist zu einer nationalen Identitätsklammer geworden, weil er in einem Land ohne Straßen und doch so groß wie Westeuropa die Menschen wieder zusammengeführt hat. Knapp 200 Mitarbeiter in acht Regionalstudios und der Zentrale in Kinshasa sowie ein flächendeckendes Sendernetz sorgen dafür, dass »Radio Okapi« auch im entlegendsten Winkel Kongos zu empfangen ist. Zudem sendet »Radio Okapi« neben der normalen FM-Frequenz auf Kurzwelle und in fünf Sprachen: Französisch, Lingala, Swahili, Tshiluba und Kikongo. Das Hauptstadtstudio ist auf dem Gelände der MUNOC in Kinshasa untergebracht.

Die Qualität des Journalismus, die Aktualität und nicht zuletzt die Diskussionsforen unter Beteiligung der Bürger haben »Radio Okapi« nicht nur zum unumstrittenen Leitmedium im Land gemacht, sondern die Arbeit bei diesem Sender führt bei den Mitarbeitenden zu Lernprozessen, die durch ihre Multiplikatorenfunktion Einflüsse auf die Gesamtgesellschaft haben.

Okapi hat die Fähigkeit, neutral in der Berichterstattung zu bleiben. Mitarbeiter Okapis sollen auf diese Weise auch in ihrem Bürger-Bewusstsein gestärkt werden. Menschen im Kongo, wie in weiten Teilen Afrikas überhaupt, haben in ihrer Lebensgeschichte keinen positiven Bezug zum Nationalstaat entwickeln können. Jede/r fühlt sich mehr seiner Ethnie verbunden als dem Land selbst. Dazu kommen noch alle kulturellen Feinheiten der jeweiligen Regionen, schließlich die Familienzugehörigkeit und das Verbundensein mit einer politischen Partei. Und gerade die afrikanischen Parteien spielen stark mit der ethnischen Zugehörigkeit. Die Journalisten, z.B. des staatlichen Senders RTNC, wurden durch das System derart ›formatiert‹, nur eine Meinung zu vertreten: sie berichteten, was die Volks-Revolutionäre Partei von Mobutu (der man per Geburt angehörte!) verlangte. Trotzdem waren sie als Journalisten gut ausgebildete Leute, die jedoch jahrelang keine Möglichkeiten hatten, objektive Berichterstattung zu leisten. Sie waren es gewöhnt, neben ihrem Beruf, noch (Geld-)Geschenke zu bekommen und anzunehmen. Bei »Radio Okapi« bekamen viele von ihnen eine neue Chance als einheimische Mitarbeiter und hatten überraschend große Erfolge. »Sie sind sehr gute Journalisten und haben es nachgewiesen; unter Mobutu hatten sie auch sehr gut gearbeitet, aber mit gebundenen Füssen. Jetzt haben sie das Bewegungsrecht und die Kongolesenbehaupten, wir haben nur die besten ausgesucht.“7

Wahlen als Testfall

Ein wichtiger Prüfstein für eine qualifizierte Berichterstattung waren die Wahlen im Juli 2006. Die Verantwortung, zur politischen Information und Aufklärung beizutragen, war in dieser Situation besonders groß. Groß war aber auch die Gefahr, dass alte Bekanntschaften und Abhängigkeiten bis hin zur Korruption wieder zu einer manipulativen Berichterstattung führen würden. Um hier vorzubeugen, verschärfte Okapi die Arbeitsregelungen in Bezug auf die Wahlen. »Les employés de Radio Okapi doivent refuser les cadeaux, les bénéfices, l’argent ou toute autre compensation offerte. La finalité de ces propositions est toujours d’influencer la décision électorale de Radio Okapi. Les employés de radio Okapi ne doivent pas laisser penser, par leur tenue vestimentaire, qu’ils soutiennent tel ou tel parti ou candidat, par exemple en portant des vêtements ou accessoires au nom ou à l’effigie d’un parti ou d’un candidat.«8

Zusammengefasst wurden alle diese Bedingungen in den sogenannten Produktionsnormen. Für manch einen der Mitarbeiter waren diese Einschränkungen schwer zu akzeptieren, denn es bedeutete »frei« und doch »nicht frei« sein. Zum Beispiel forderte »Radio Okapi« jeden Mitarbeiter auf, zu den Wahlen zu gehen, da jeder verpflichtet sei, diese Aufgabe als Bürger zu erfüllen. Andererseits ist es den Mitarbeitern des Radios streng verboten, sich öffentlich zu positionieren – etwa zu einem aktuellen Referendum, einer Volksabstimmung oder einer Wahl. Die Mitarbeiter dürfen auch nicht als Aktivisten erscheinen oder ein politisches Wahlamt übernehmen.9

Zu den Wahlen hat »Radio Okapi« unter dem Titel »Das sind unsere Überzeugungen«10 10 Regeln aufgestellt:

  • Radio Okapi begleitet den Prozess der demokratischen Wahlen.
  • Radio Okapi begünstigt die Verbreitung der Ideen, Meinungen und Informationen.
  • Radio Okapi gewährleistet die Gesamtheit der aus seinem Haus gesendeten Informationen.
  • Radio Okapi sendet faire, exakte, vollständige und ausgewogene Informationen.
  • Radio Okapi sendet nur Tatsachen.
  • Radio Okapi überprüft die Tatsachen durch Berücksichtigung unterschiedlichster Quellen.
  • Radio Okapi kann überprüfte Informationen nicht zurückhalten.
  • Radio Okapi tritt nicht mit editorialen Stellungnahmen auf.
  • Radio Okapi behandelt jeden mit Respekt und Gerechtigkeit.
  • Radio Okapi lehnt alle Geschenke, Überschuss und »Coupages«11 ab.

Diese Regeln dienen als »Taschenbuch« für Okapi-Journalisten. Das bedeutet: ganz gleich woher sie kommen und welcher Ethnie sie angehören, sie müssen die Regeln des Radios anerkennen und sich an diese halten.

Das Verhalten der Journalisten von Okapi ist die konsequente Pflege des Images von Okapi, persönlich wie öffentlich, intern wie extern. Der Anspruch ist, dass die einheimischen Mitarbeiter in der DR Kongo keine einfachen Reporter des neuen Senders sind, sondern »Le nouvel Homme des media congolais«12, der als Vorbild den Journalisten im ganzen Land dienen soll.

Die Wahlen in der DR Kongo sind vorbei, sie sind überraschend friedlich verlaufen. Die Konsequenz: Der Kongo ist heute aus den westlichen Medien fast vollständig wieder verschwunden. »Radio Okapi« jedoch sendet weiter (www.radiookapi.net)13 und ist auch bei uns zu hören.

Anmerkungen

1) Der Beitrag beruht zum Teil auf der Diplomarbeit: von Etienne Simon Fopas: »Medien zwischen Konflikt und Frieden. Die Bedeutung der UNO und die ›Fondation Hirondelle‹ für eine Friedensförderung durch Medien in Afrika: Das Radio Okapi in Kongo Zaire« (April 2006; Institut für Journalistik, Universität Dortmund).

2) Vgl. Die Rolle der Medien, Magazin für Kommunikation, E+Z, Jg. 45 (2004), S.276.

3) www.swissinfo.org/ger/dossiers/portrait/detail/Die_Stimme_der_Schwalben_im_Kampf_fuer_Freiheit.html (26.06.2007).

4) Klussmann, Jürgen: Medien im Konflikt – Mittäter oder Mediatoren. Internationale Konferenz, Friedrich-Ebert–Stiftung, Berlin, 11. Mai 2000, S.8.

5) Vgl. Zint, Martin: Friedensjournalismus als Beruf, in: Wissenschaft & Frieden, Heft 4/2000.

6) Klussmann, Jürgen, a.a.O.

7) Schmidt, Christian, im Interview mit E. Fopa, siehe Fußnote 1.

8) Wahlcharta, Radio Okapi, Interne Schriften; Kap. 5, §2, Abs.2, Kinshasa 2005, S.8. gekürzte Übersetzung. Im Original heißt es, dass Mitarbeiter von Okapi keine Geschenke oder Geld annehmen dürfen. Dies erweckt den Eindruck der Beeinflussung der Meinungen. Mitarbeiter dürfen auch keine Gadjets (eine Art »Fanartikel« wie Kappen, Halstücher, etc.) tragen mit dem Foto von Kandidaten.

9) Wahlcharta, ebenda.

10) Wahlcharta, ebenda, S.10.

11) Coupage (franz. umgangssprachlich in Kongo) bedeutet »Bestechung«

12) Etter, Jean Marie, im Interview mit E. Fopa, siehe Fußnote 1

13) Auch die Wochenzeitung »Die Zeit« bietet seit längerem einen blog zum Kongo: http://blog.zeit.de/kongo/, in dem über Alltägliches und Politisches im Kongo berichtet wird. Die zuständige Redakteurin ist Andrea Böhm.

Etienne Fopa, geb. in Kamerun, ist Absolvent am Institut für Journalistik der Universität Dortmund und Trainer für Medien und Konflikt bei Pecojon Germany (peace and conflict journalism network). Christiane Lammers ist Redakteurin von Wissenschaft und Frieden.

Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte

Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte

von Barbara Dietrich

in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Frieden in Forschung und Lehre an den Fachhochschulen

„Shell: der schmutzige Krieg im Ogoni Land“, „ 30 Jahre Ölausbeutung contra Umweltschutz“, „Todesurteil gegen Ken Saro-Wiwa“ – so oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen, als im Oktober 1995 in den Medien über einen Strafprozeß in Nigeria berichtet wurde, in dessen Verlauf neun Angeklagte, darunter der bekannte Autor und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa, von einem Sondergericht zum Tode verurteilt worden waren und die Todesstrafe – trotz weltweiter Proteste – umgehend vollstreckt wurde.

Ken Saro-Wiwa war führendes Mitglied einer Anfang der neunziger Jahre im Niger- Delta entstandenen »Bewegung für das Überleben der Ogoni« (Movement for the Survival of the Ogoni People – MOSOP), eines Zusammenschlusses von Intellektuellen und Ogoni-Dorfbevölkerung mit dem Ziel politischer Autonomie und gerechter Verteilung der Einnahmen aus der Ölförderung. Das Gebiet der Ogoni, ca. 1.000 km2 groß und von ca. 500.000 Menschen bewohnt, ist nur ein kleiner Teil des Niger-Deltas und eines der ersten Fördergebiete der Firma Shell-Niger, welche die Ölförderung dort bereits seit 1958 betreibt (Danler/Brunner, 1996: 34; Shell, 1995: 3) und die 14 % ihrer gesamten weltweit organisierten Ölproduktion aus dem Niger-Delta bezieht (Danler/Brunner, 1996: 11). Die durch die Ölausbeutung im Niger-Delta verursachten Umweltschäden sind massiv und vielfältig: permanente und zeitweilig auftretende Ölaustritte bewirken die Verschmutzung / Kontaminierung von Böden, Flüssen und schließlich des Trinkwassers, die Ölschicht auf Wasser und Land entzündete sich an manchen Stellen und brannte, ohne daß die Verantwortlichen bei Shell dagegen einschritten (Danler/Brunner, 1996: 26).

Durch das Abfackeln des mit dem Öl assoziierten Erdgases über 24 Stunden am Tag entsteht schwerer Ruß, der sich auf Haut, Schleimhäute und Atemwege der im Delta lebenden Bevölkerung legt, sich auf Feldern und Gewässern absetzt und somit auch in die Nahrung gelangt. Das mit der Abfackelung entstehende Methan-Gas – 12 Mio. t im Jahr – gilt als wichtigster Verursacher des Treibhauseffekts und wird – trotz seit 1996 bestehenden Verbots – fortgesetzt (Danler/Brunner, 1996: 28 f.).

Ein umweltverträgliches Konzept für die Müllentsorgung fehlt: Der bei den Bohrungen zutage geförderte – teilweise kontaminierte – Schlamm wird meist in die nahen Flußläufe gekippt oder im Land vergraben, darin enthaltene Salze, Chemikalien etc. geraten ebenfalls ins Wasser. Auch anderer Müll wird vergraben, verbrannt oder in Flüsse und Sümpfe entsorgt (Danler/Brunner, 1996: 25 ff.). Es ist nur folgerichtig, wenn 80 % der gemeldeten Krankheiten auf verunreinigtes Trinkwasser zurückgeführt worden sind (Danler/Brunner, 1996: 15).

Andere Folgeprobleme der Ölproduktion sind z.B. die Landnahme, die seitens Shell und anderer Ölgesellschaften (z.B. Chevron, Mobil etc. (Danler/Brunner, 1996: 5,10)) ohne weiteres erfolgt, seit durch das Landnutzungsdekret der nigerianischen Regierung im Jahre 1978 sämtliches Land einschließlich der darunter liegenden Rohstoffe – aller bisherigen Tradition zuwider – zu staatlichem Eigentum deklariert worden war (Danler/Brunner, 1996: 7,14 f.).

Nachdem im Januar 1993 etwa 300.000 Menschen an einem von der MOSOP initiierten Protestmarsch gegen die Umweltzerstörung teilgenommen hatten, wurde die Organisation und ihre Anliegen in weiten Teilen Nigerias und international bekannt und damit eine wachsende Gefahr für die Militärregierung, der es bislang gelungen war, etwaige Proteste mit militärischen Mitteln im Keim zu ersticken.

Nachdem Ken Saro-Wiwa als führender Oppositioneller seine Kandidatur für die Constitutional Conference erklärt und MOSOP zuvor Shell zur Zahlung von Gewinnanteilen und von Schadensersatz für die vergangenen 30 Jahre Ölförderung aufgefordert hatte, wurden Ken Saro-Wiwa und einige Mitstreiter unter dem Vorwurf der Anstiftung zum Mord an Gegnern der MOSOP verhaftet. Der Vorwurf gegen Ken Saro-Wiwa war insbesondere deshalb absurd, weil er sich zur Tatzeit nachweisbar nicht an Ort und Stelle aufgehalten hatte (Danler/Brunner, 1996: 35). Gegen die Todesurteile, die gegen Ken Saro-Wiwa und acht weitere Angeklagte ausgesprochen wurden, gab es keine Rechtsmittel, vielmehr wurden sie alsbald vom Obersten Militärrat bestätigt und am 10.11.1995 vollstreckt.

<-2>Die Verurteilung und Hinrichtung der Angeklagten wurde begleitet von einem Feldzug des Militärs gegen die BewohnerInnen der Ogoni-Dörfer: Mord, Schläge, Brandstiftungen waren an der Tagesordnung; Ziel war es, die MOSOP zu zerschlagen (Danler/Brunner, 1996: 35).

In einer von Shell-London im Jahre 1995 herausgegebenen Studie »Die Erdölindustrie in Nigeria« verweist Shell zu seiner Rechtfertigung darauf, Anfang 1995 eine Umweltstudie »Niger Environment Survey« in Auftrag gegeben, bis Ende 1994 Rohrleitungen im Umfang von 1.300 km Länge erneuert zu haben und neue Ansätze hinsichtlich des Exports von Erdgas mit zu entwickeln (Shell, 1995: 6 ff.). Was die politische Lage in Nigeria betrifft, so propagiert Shell als der größte und einflußreichste der in Nigeria tätigen Ölkonzerne (Danler/Brunner, 1996: 5,10; Shell, 1995: 2) die »stille Diplomatie« gegenüber der Militärregierung mit dem Ziel, mäßigend auf die sozialen Konflikte im Land einzuwirken bzw. mit der Bitte um Nachsicht „aus humanitären Gründen“ im Falle Ken Saro-Wiwas (Shell, 1995: 8 ff). Jedenfalls im letzteren Fall ohne Erfolg.

Tschad – (k)ein neues Ogoni-Land ?

Droht im Tschad eine Entwicklung, die der in Nigeria vergleichbar ist? Oder nutzt die Regierung im Tschad die Chance, maximale Gewinne aus der geplanten Ölförderung für das eigene Land zu reklamieren, zum Nutzen der benachteiligten Bevölkerung einzusetzen und damit auch die Demokratisierung zu entwickeln?

Tschad, seit 1960 formal unabhängig, Nachbarland von Nigeria, Nachbar auch von Sudan, Libyen, Niger, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik: ein Land ohne eigenen Zugang zum Meer.

Der äußerste Norden mit fast 50 der Gesamtfläche des Tschad – etwa zweieinhalbmal so groß wie Frankreich –, ist Wüste, der mittlere Teil – der Norden genannt wird – ist Teil der semiariden Sahelzone. Im Süden – tropisches bzw. randtropisches Gebiet – konzentrieren sich auf 25 der Gesamtfläche ca. 60 der insgesamt 6,4 Mio. Einwohner des Tschad (1995). An Verkehrswegen besitzt der Tschad insgesamt ca. 250 km asphaltierte Straßen; im Süden gibt es wegen des Baumwollanbaus und der Vermarktung dieses Produkts ein regelmäßig gewartetes Pistennetz (Matthes, 1993: 488; Fischer Weltalmanach, 1997: 705).

Im Tschad leben – Resultat der kolonialen Grenzziehung – ca. 200 Ethnien. Es gibt zwölf verschiedene Sprachgruppen mit mindestens 110 Sprachen und Dialekten. Französisch ist Amtssprache, seit 1982 auch arabisch.

<-2>In der Sahelzone leben Angehörige islamisch-sunnitischen Glaubens, die – teilweise nomadisierend – Viehzucht und Handel betreiben. Im Süden leben dagegen christlich und animistisch orientierte Ethnien, die Ackerbau treiben (Ki-Zerbo, 1992: 579). Die Ethnie der seßhaften Sara dominiert im Süden (1 Mio.) und stellt bis heute die administrative Elite, wiewohl seit 1982 ein Muslim Präsident ist (Matthes, 1993: 489; Nohlen, 1993: 679f.).

Wirtschaftlich zählt der Tschad zu den ärmsten Ländern der Welt und ist als LLDC (Least Developed Country) klassifiziert (Klassifikation nach UN-Kriterien, vgl. Michler, 1991: 42; ab 1992 gelten modifizierte Kriterien, vgl. Beermann, 1992: 58f.). Als Indikatoren hierfür seien genannt (Angaben für 1995):

  • Bevölkerungswachstum 1985 – 1995: durchschnittlich 2,5 pro Jahr.
  • Kindersterblichkeit: 15,2 (Fischer Weltalmanach, 1997: 705).
  • Schulbesuch der Kinder: 25 (Duppel/Petry, 1997: 1).
  • Analphabetenrate: 52 (Fischer Weltalmanach, 1997: 705).
  • <-3>Zugang zu sauberem Trinkwasser: 1/3 der Bevölkerung (Duppel/Petry, 1997: 1).
  • Durchschnittseinkommen pro Kopf 1993: 210 US $ jährlich (amnesty international, 1993: 6).
  • <-2>Bruttosozialprodukt: 1.144 Mio. US $.
  • Auslandsverschuldung: 908 Mio. US $ (Fischer Weltalmanach, 1997: 705f.).

Importprodukte sind Industriegüter, Maschinen, Transportausrüstungen, Nahrungsmittel, Brennstoffe. Exportgüter sind Baumwolle (mit 80 Anteil), Erdnüsse, Gummi Arabicum sowie Produkte aus der Viehzucht (Fischer Weltalmanach, 1997: 706).

Der Tschad besitzt bisher nicht erschlossene Bodenschätze: Uran, Gold, Zinn, Bauxit im äußersten Norden (Nohlen, 1993: 680), in dem von Libyen ehemals besetzten Azouzou-Streifen (SIPRI, 1988: 178 f.; Herz, 1988: 94 f.) sind es Wolfram, Zinn, Blei und Uran (Matthes, 1993: 488 f.), vor allem aber ist es Erdöl (dazu i. e. unten).

Der mehr als 30 Jahre dauernde Krieg und Bürgerkrieg und die Dürre der Jahre 1982 bis 1985, während der 80 des Viehbestandes zugrunde ging, haben zu Migrationsbewegungen größeren Umfangs geführt (Herz, 1988: 95): von Norden nach Süden (ca. 500.000 Flüchtlinge), dort vor allem in die Städte und in andere Nachbarländer. Dort lebten Tausende von Flüchtlingen in Lagern. Die Überschwemmungen durch die beiden großen Flüsse im Jahre 1988 machten ca. 50.000 Personen obdachlos, die ebenfalls im Süden Zuflucht suchten. Dadurch verschob sich das Ungleichgewicht zwischen Norden und Süden erneut nach Süden, mit der Folge, daß die ohnehin unzulänglich entwickelte Infrastruktur hier, z.B. im Hinblick auf Gesundheits- und Wohnungsversorgung, Ausbildungs- und Transportmöglichkeiten, total überlastet wurde (Matthes, 1993: 489; Nohlen, 1993: 680).

Politisch wird der Tschad durch den im Jahre 1990 nach einem Militärputsch an die Macht gekommenen Idriss Déby regiert, der durch die Wahl vom Juli 1996 in seinem Amt bestätigt wurde . Allerdings wurden bei Durchführung der Präsidentschaftswahlen u.a. zwei aussichtsreiche Kandidaten gerichtlich von der Teilnahme ausgeschlossen, ein anderer Kandidat wurde inhaftiert und mußte seinen Wahlkampf vom Gefängnis aus führen (Auswärtiges Amt, 1995: 1).

In der neuen Verfassung des Tschad vom März 1996 ist das Prinzip der Gewaltenteilung verankert. Der Katalog der Grundrechte enthält zugleich die Verpflichtung des Staates, diese zu achten und zu schützen. Willkürliche Verhaftungen sind verboten, es gilt die Unschuldsvermutung; die Möglichkeit der Verteidigung wird garantiert, ebenso wie der Anspruch des Einzelnen auf rechtliches Gehör. Auch Polizei und Gendarmerie werden zur Beachtung der Menschenrechte verpflichtet. Die Regierung des Tschad hat überdies die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948, die Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker von 1981, das Übereinkommen gegen Folter von 1984 sowie andere internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet und hat durch Gesetz vom August 1994 eine nationale Menschenrechtskommission etabliert, welche die Regierung in Angelegenheiten der Menschenrechte, in Frauen- und Minderheitenfragen beraten soll (Auswärtiges Amt, 1995: 1f.).

Menschenrechte stehen nur auf dem Papier

Diese rechtsstaatlich-liberalen Grundpositionen stehen jedoch nur auf dem Papier. Das von Déby bei Amtsantritt und in Abgrenzung zu seinem Vorgänger, dem seit 1982 diktatorisch herrschenden Oberst Hissène Habré, abgegebene Versprechen der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft wurde nicht umgesetzt (amnesty international, 1993: 4 ff.). Vertreter von tschadischen Menschenrechtsorganisationen sowie MitarbeiterInnen von amnesty international und anderen Organisationen berichten seit Débys Amtsantritt kontinuierlich und detailliert von

  • willkürlichen Verhaftungen
  • Langzeitinhaftierungen ohne Anklage bzw. Gerichtsverfahren
  • Isolationshaft
  • Verschwinden von Personen
  • Überfällen auf Häuser, Wohnungen oder ganze Dörfer
  • Morddrohungen
  • außergerichtlichen und öffentlichen Hinrichtungen
  • Vergewaltigungen und Mißhandlungen von Frauen

seitens der Sicherheitskräfte, von einer Zunahme unterschiedlicher Erscheinungsformen von Gewalt also, bei der die Täter unverfolgt und unbestraft blieben (amnesty international, 1993; amnesty international, 1996a; Beassemda: 3 f.; amnesty international, 1997b: 1; amnesty international, 1997c). Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Gewaltspirale Ende 1996, als der Generaldirektor der Gendarmerie mit Unterstützung des Präsidenten Déby anordnete, Taschendiebe, die auf frischer Tat ertappt werden, sofort zu erschießen, ein Befehl, dem Anfang 1997 seitens Polizei und Militär in zahlreichen Fällen Folge geleistet wurde (amnesty international, 1996b: 1; Fischer Weltalmanach,1997: 706; amnesty international, 1997c: 1).

Die Ursachen für die gravierende Mißachtung der Menschenrechte sind vielfältig: Sie resultieren aus der kolonialen Vergangenheit ebenso wie aus bestehenden krassen ökonomischen und politischen Disparitäten. Nicht zuletzt aber sind die Ende der achtziger Jahre entdeckten Ölvorkommen im Umfang von ca. 930 Mio. t Grund für eine weitere Zunahme von massiven Verletzungen der Menschenrechte (Horta, 1997: 1; Bauchmüller, 1997: 63). Die Ölfelder, deren Ausbeutung anvisiert wird, liegen im Tschad-See (Sidigui) und im Doba-Becken im südlichen Tschad (Miandoum, Bolobo, Komé) (Zint, 1997: 3; Ngarlejy, 1997: 1). Ein Konsortium von Esso (Exxon; 40 ), Shell (40 ) und elf aquitaine (20 ) (Horta, 1997: 3) bereitet auf der Grundlage eines Vertrages mit der Regierung des Tschad vom Februar 1995 die Ölförderung vor: Die Vorkommen sollen mit 300 Bohrbrunnen erschlossen und ab dem Jahr 2001 täglich 225.000 barrel gefördert werden (Horta, 1997: 2; Rademaker, 1997: 1). Der Abtransport des Öls wird mittels einer neuen unterirdisch geplanten Pipeline erfolgen, die 170 km durch tschadisches und knapp 1.000 km durch kamerunisches Territorium geführt werden soll. Sie geht mitten durch das Siedlungsgebiet von Pygmäen und endet in Kribi, einer kamerunischen Hafenstadt, die von Naturschutzgebiet umgeben ist (Leurres, 1997: 6 ff.; Horta, 1997: 9). Dort wird das Öl zum Weitertransport auf Schiffe verladen (Bauchmüller, 1997: 63). Die Mitbenutzung der bereits vorhandenen Pipeline nach Limbé, die ausschließlich durch anglophones kamerunisches Gebiet führt, wurde von elf aquitaine abgelehnt, weil die neue Pipeline ausschließlich durch den frankophonen Teil Kameruns geführt und damit gleichzeitig dem französischen Militär ein rascher Zugangsweg zum Tschad für den Fall künftig notwendiger Kriseninterventionen eröffnet werden soll (Horta, 1997: 9; Ngarlejy, 1997: 1).

Die Weltbank soll mitfinanzieren

Nach Vorbereitungsarbeiten für die Ölförderung wird die Durchführung des mindestens 3,5 Mrd. US $ teuren Projekts seitens des Konsortiums von der externen Mitfinanzierung durch die Weltbank und ihre Tochtergesellschaften IDA (International Development Association) und IFC (International Finance Corporation) abhängig gemacht (Rademaker, 1997: 1; Ngarlejy, 1997: 1; Deutsche Bundesbank, 1992: 54 f.). Dabei wollen sich die Ölgesellschaften den Ruf der Weltbank, nur ethisch integere Projekte zu fördern, zunutze machen (Bauchmüller, 1997: 1). Nicht zuletzt sichert eine Beteiligung seitens der Weltbank ihnen auch die Möglichkeit, nachfolgend weitere Kredite auf dem internationalen Kapitalmarkt zu erlangen (Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998a: 1).

Von seiten der Weltbank wurde das Projekt als eines der Kategorie A identifiziert, als ein Projekt also, dessen Umweltverträglichkeit fraglich ist und vor der Entscheidung über die Kreditvergabe umfassender Prüfung bedarf (Tschad-Kamerun, 1998: 1; Commission for environmental impact assessment, 1998: 2).

Riesige Probleme für Menschen und Umwelt

Die Probleme, die durch die Erdölförderung im Tschad hervorgerufen werden, sind immens. Das Doba-Becken, als Zentrum der Ölförderung vorgesehen, ist das fruchtbarste Gebiet im Tschad: Hier wird der größte Teil der Nahrungsmittel, vor allem Hirse, Sorghum, Maniok, Süßkartoffeln produziert – ebenso wie Baumwolle, das wichtigste Exportprodukt (Zint, 1997: 2; Nohlen, 1993: 680).

Landenteignungen für die Herstellung der erforderlichen Infrastruktur haben bereits begonnen: Aus den Fördergebieten werden mindestens 1.500 Familien vertrieben werden, weitere werden der projektierten Pipeline weichen müssen (Ngarlejy,1997; Horta, 1997). Damit einher geht die Zerstörung von Häusern, Bäumen, fruchtbaren Feldern, also die Gefährdung der ausreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln (Rademaker, 1997: 2; WEED, 1997: 2). Der von ESSO zur Vorlage bei der Weltbank konzipierte »Compensation and Resettlement Plan« vom Februar 1998 wirft vielfältige Probleme auf hinsichtlich der Voraussetzungen, des Umfangs und des Verfahrens der Entschädigung. Bemerkenswert erscheint zudem, daß die Bevölkerung vor Ort in die Kontrolle der Entschädigungs- und Umsiedlungsprogramme nicht einbezogen wird, die Kontrolle selber nur punktuell stattfinden soll. Es besteht begründeter Anlaß zu der Annahme, daß die zuvor für die Betroffenen vorhandenen Reproduktionsmöglichkeiten mittels dieser Programme nicht adäquat ersetzt bzw. wiederhergestellt werden (Schönegg, 1998: 1 ff.).

Es ist außerdem – auch wiederum mit Rücksicht auf die im Niger-Delta gemachten Erfahrungen – vorhersehbar, daß sich die bestehenden sozialen Strukturen grundlegend verändern werden: Die geplante Erdölförderung wird zusätzliche Arbeitskräfte erfordern, zusätzliches Geld wird in die Region fließen, Korruption, Kriminalität und auch die Ausbreitung von AIDS werden damit wahrscheinlich einher gehen, bisher bestehende Familien- und Dorfstrukturen zerstört werden (Danler/Brunner, 1996: 15,19; 36, S.2).

Experten gehen überdies davon aus, daß – auch bei Einsatz modernster Technik – Lecks entstehen, Öl in den Boden sickern wird, und Grundwasser, Flüsse sowie Böden im Umfeld der Pipeline kontaminiert werden, eine Konsequenz, die besonders schwer wiegt, weil der Tschad mit seinem trockenen und heißen Klima auf das vorhandene Wasser existentiell angewiesen ist. Daß die Pipeline unterirdisch verlegt wird, erschwert zudem Reparaturen, die angesichts erhöhter Korrosionsgefahren um so notwendiger sein werden (36, S.2; Horta, 1997: 9f.).

Das Ölprojekt birgt aber auch politische Gefahren, wurde es doch – gemessen an den von der Weltbank aufgestellten Kriterien partizipatorischer Entwicklung (Adams/Rietbergen-McCracken, 1994: 36 f.) – ohne Einbeziehung der Betroffenen vorbereitet (Dames and Moore, 1997: 15; Zint/Petry, 1997: 19 f.; urgewald, 1998a: 2.; Tschad-Kamerun, 1998: 1) bzw. wurden Ansätze zur Information der betroffenen Bevölkerung vor Ort unter militärischer Präsenz durchgeführt (Commission for environmental impact assessment, 1998: 9; Zint, 1998a), eine Konstellation, die eher geeignet ist, die Bevölkerung abzuschrecken bzw. zu vertreiben. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist die Tatsache, daß die Angehörigen der Armee überwiegend aus der Ethnie rekrutiert werden, welcher der Präsident angehört, bzw. aus verbündeten Ethnien (Horta, 1997: 5; amnesty international, 1993: 23).

Schließlich gibt es in verschiedenen Landesteilen einen bewaffneten Widerstand: Z.B. die in der südlich gelegenen Doba-Region operierende Rebellenbewegung, die einen föderativen Staatsaufbau zu ihrem Hauptziel erklärt hat. Der in Aussicht stehende Ölreichtum aus den Förderquellen des Südens hat nämlich Forderungen nach größerer Autonomie dieses Landesteils bzw. nach einem föderativen Staatsaufbau reaktualisiert, nicht zuletzt, weil die Entscheidungen über die Verwendung der Gewinne aus der Ölförderung ausschließlich im Norden gefällt werden (Horta, 1997: 5; WEED, 1997: 2).

Die Bevölkerung – soweit sie über die Ölvorkommen informiert ist – verbindet Hoffnung mit deren Ausbeutung: Hoffnung auf Förderung des Wirtschaftswachstums und der Infrastruktur, auf Arbeitsplätze und eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Chancen hierfür sind minimal. Zum einen, weil die Gelder der Weltbank-Organisationen nicht in konkrete soziale Projekte fließen, sondern in den Bau der Pipeline und anderer Infrastruktureinrichtungen im Kontext des Ölprojekts bzw. an das Konsortium direkt ausbezahlt werden sollen (WEED, 1997: 1; Bauchmüller, 1997: 64). Erst Einnahmen aus dem Ölgeschäft sollen in einen staatlichen Entwicklungsfonds zur Bekämpfung der Armut eingezahlt werden. Doch allein die tschadische Regierung entscheidet über die Verwendung dieses Geldes, so daß begründete Zweifel bestehen, ob es tatsächlich all jenen zugute kommt, die es am dringendsten brauchen (Horta, 1997: 3 f.; Bauchmüller, 1997: 64f.).

Diese Zweifel werden verstärkt durch die Tatsache, daß die Regierung dem Konsortium – mit Rücksicht auf die hohen Kosten für den Bau der Pipeline und den Erdölhafen von Kribi – hohe und total unangemessene Steuervorteile eingeräumt hat: Während der ersten dreißig Jahre der Ölförderung resultiert daraus ein Verzicht auf Steuereinnahmen in Höhe von 21 Mrd. US $. De facto bezahlt somit der Tschad dafür, daß elf aquitaine sich geweigert hat, die bereits vorhandene Pipeline zu nutzen. 3 Mrd. US $ – Tantiemen aus dem Verkauf des Erdöls – bezahlt die Regierung außerdem an das Konsortium für die Errichtung einer kleinen Raffinerie am Tschad-See, von der aus das dort gewonnene Öl nach N’Djamena gepumpt und im Tschad verbraucht werden soll (Ngarlejy, 1997: 1 f.). Schließlich sieht das Übereinkommen zwischen der tschadischen Regierung und dem Konsortium vor, daß der Tschad Ausgleichszahlungen leisten muß im Fall, daß der Ölpreis 17 $ pro Barrel unterschreiten wird (Le pipeline Phantom, 1997). Die derzeitigen jährlichen Einnahmen des Staates betragen hingegen lediglich etwa 100 Mio. US $ für die Erteilung der Erdöllizenzen (Ngarlejy, 1997: 1f; 36, S.2).

Pipeline Verträge im Interesse der Ölkonzerne

An dieser Stelle sollen wichtige Regelungen vorgestellt werden, die in dem Vertrag zwischen der Regierung der Republik Kamerun einerseits und der Cameroon Oil Transportation Company (COTCO) andererseits enthalten sind und der am 7.8.1997 per Gesetz anerkannt worden ist (FERN, 1998: 1).

In COTCO sind auf der einen Seite die Regierungen Tschads und Kameruns zu je 25 vertreten, auf der anderen Seite ein Konsortium der Ölgesellschaften Shell, ESSO und elf aquitaine zu insgesamt 50 (FERN, 1998: 1). Der Vertrag zwischen den Parteien wird als privater Vertrag verstanden, der 25 Jahre lang gelten soll und auf Wunsch von COTCO um 25 Jahre verlängert werden kann: Eine demokratische Mitbestimmung Betroffener zumindest bei der Festlegung der Nutzungsbedingungen für die folgenden 25 Jahre ist nicht vorgesehen, so daß zwischenzeitlich aufgetretene Probleme keine Berücksichtigung finden (FERN, 1998: 1).

Der Vertrag selbst enthält umfangreiche Ermächtigungen zugunsten von COTCO, z.B. was die Nutzung der Umwelt betrifft. Darüber hinaus erhält COTCO das Recht, sich in dringenden Notfällen oder im Falle plötzlicher Gefahr für Menschen oder Umwelt in ausschließlich eigener Verantwortung Zugang zu jedwedem privaten oder öffentlichen Land zu verschaffen, um die Ursachen für die Gefahrenlage herauszufinden bzw. ihr abzuhelfen. Nach Ansicht von FERN, einer NGO in Belgien, die den Vertrag analysiert hat, handelt es sich hier um eine Ermächtigung, die COTCO weitestreichende Kompetenzen verleiht, bis hin zu paramilitärischen Interventionen, z.B. für den Fall, daß sich irgendein Widerstand gegen das Pipeline-Projekt oder seine Folgen entwickeln wird (FERN, 1998: 3).

Abschließend legt der Vertrag zwischen der Regierung Kameruns und COTCO fest, daß nationales Recht der Republik Kamerun gegenüber dem Vertrag nachrangig ist, soweit es diesem Vertrag widerspricht . Die gleiche Regelung wird im Verhältnis zum internationalen Recht getroffen (FERN, 1998: 3). Unabhängig davon, ob dieser Vertrag oder einzelne seiner Bestimmungen überhaupt rechtswirksam sind, dokumentieren sie jedenfalls eindeutig die Machtverhältnisse und das Rechtsverständnis der beteiligten Vertragsparteien.

Ein analoger Vertrag zwischen der Regierung des Tschad und der privaten Gesellschaft TOTCO (Tchad Oil Transportation Company) ist in Vorbereitung (Commission for environmental impact assessement, 1998, Appendix 2), sein Inhalt bisher nicht bekannt. Es besteht allerdings Grund zu der Annahme, daß in ihm ebenso weitreichende Befugnisse zugunsten des Ölkonsortiums enthalten sein werden.

Wege aus der Gewalt: Die Arbeit der Menschenrechts- organisation ATNV (Association Tchadienne Non Violente)

Die krassen Erscheinungsformen physischer und struktureller Gewalt haben zur Entstehung aktiver zivilgesellschaftlicher Organisationen im Tschad geführt. Sie arbeiten mit dem Ziel, der Gewalt entgegenzuwirken, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt zu sichern, zur Entwicklung der Demokratie im Land beizutragen und für die bestehende Pressefreiheit zu kämpfen (Horta, 1997: 4; amnesty international, 1993: 7; EIRENE, 1998a: 2).

Stellvertretend soll hier die ATNV vorgestellt werden, die im Jahre 1991, kurz nachdem sich Präsident Déby an die Macht geputscht hatte, von Christen im südlichen Tschad als erste gewaltfreie Organisation in Anknüpfung an Theorie und Praxis der Gewaltlosigkeit bei Gandhi und in der christlichen Tradition gegründet wurde.

Die Gründer setzen sich für den Frieden im Land, für Freiheit und Menschenrechte, für Versöhnung und Demokratie, gegen Unwissenheit, Elend und Unterentwicklung ein. Heute hat die Organisation 5.000 aktive Mitglieder und 61 lokale Komitees. Auch Frauen sind in dieser Organisation aktiv (Beassemda, 1997).

Die ATNV hat im Konflikt zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern aktiv vermittelt mit dem Ziel, ihn ohne weitere Gewalt einer Lösung zuzuführen. Nachdem die lokalen »Dialog-Komitees« zunächst mit beiden Parteien getrennt zusammen gekommen waren, um die jeweiligen Sichtweisen kennenzulernen, und nachdem sie die durch die Nomaden-Viehzüchter verursachten Schäden auf den Feldern inspiziert hatten, brachten sie die Konfliktparteien zusammen, um über Schaden und Entschädigung gemeinsam zu beraten und zu beschließen.

Ähnlich ging die Organisation bei der Konfliktvermittlung zwischen Rebellen und Regierung vor, jeweils Schlichtungstraditionen, wie sie in afrikanischen Gesellschaften existieren, mit einbeziehend. Im April 1997 führte diese Mediation zum Friedensschluß zwischen der Regierung und den Rebellen. Ein Friedensschluß, der zwar nur wenige Monate andauerte, der aber dennoch ein erstes Beispiel praktischer und – zumindest zeitweilig – effektiver Mediations- und Friedensarbeit darstellt. Vor allem aber wird daran deutlich, welche Bedeutung und Einflußmöglichkeiten zivilgesellschaftliche Organisationen im Tschad inzwischen erlangt haben.

Neben der aktuellen Konfliktlösung ist es Ziel der Arbeit von ATNV, dauerhafte Strukturen zu entwickeln, die dazu geeignet sind, immer dann, wenn Konflikte erstmals auftreten oder erneut aufbrechen, zwischen den Kontrahenten zu vermitteln. Den in diesem Zusammenhang auftauchenden Gegensatz zwischen dem neu geschaffenen »Dialog der Kontrahenten« und den gesellschaftlich tradierten »Chef-Strukturen« , bei denen die Dorfchefs – oftmals stark parteiisch – als Schlichter fungieren, versuchen die Mitglieder der ATNV produktiv aufzulösen. Sie führten z.B. Seminare für die Chefs du Village und Unterpräfekten durch und legten dabei das inhaltliche Hauptgewicht auf die Verwirklichung der Menschenrechte für alle am Konflikt Beteiligten und auf die Entwicklung und Förderung gewaltfreier Konfliktlösungen zwischen ihnen (FR, 1998: 1f.).

Neben Mediationsarbeit ist die ATNV bestrebt, in die Öffentlichkeit hineinzuwirken: Sie prangert Menschenrechtsverletzungen an, appelliert an die Regierung, die in der Verfassung garantierten Grundrechte zu beachten, fordert die Ahndung repressiver und gewaltsamer Menschenrechtsverstöße seitens der Sicherheitskräfte und macht der Bevölkerung ihre Rechte und Pflichten als Staatsbürger in einer Demokratie bewußt. So übersetzt sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN in lokale Sprachen und macht die Menschen in öffentlichen Versammlungen mit deren Inhalt vertraut. Sie macht die Frauen mit ihren spezifischen Rechten nach tschadischen Gesetzen und aufgrund internationaler Konventionen bekannt (Beassemda, S.2; Equipe du CEFOD, 1994; Association pour la promotion).

Im Kontext der Öffentlichkeitsarbeit ist auch das Bildungszentrum vorzustellen, das ATNV in Moundou seit 1996 einrichtet mit dem Ziel, der Idee der gewaltlosen Konfliktregelung weiterreichende Geltung zu verschaffen. Dieses – Martin-Luther-King-Zentrum genannt – soll zu einem Treffpunkt in der Region werden und soll Raum bieten für eine Beratungsstelle, für Versammlungen und Bildungskonferenzen, sowie für eine Dokumentationsstelle zu Menschenrechten, Gewaltlosigkeit, Erdölförderung, etc.. Außerdem sollen im MLK-Zentrum Menschen aus verschiedenen Teilen der Sahel-Zone und aus dem gesamten Land zusammengeführt werden, um miteinander ins Gespräch und in Austausch kommen zu können (Duppel/Petry, 1997: 4; Beassemda, S.4).

<-3>Aus Protest gegen schwere Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär organisierten ATNV und andere Menschenrechtsorganisationen seit 1993 immer wieder die Aktion »ville morte« – gestorbene Stadt, eine afrikanische Version gewaltfreien Widerstandes. Alle in einer Region oder Stadt lebenden Menschen verweigern die Arbeit, bleiben zu Hause, kaufen nicht ein. Die Form des Generalstreiks wurde von vielen Menschen mitgetragen und machte die Organisationen und ihre Zielsetzungen in der Bevölkerung bekannt (Duppel/Petry, 1997: 3; 38; amnesty international, 1998b: 1).

<-2>Die Organisation hat auch gegen die Einführung der Todesstrafe für Taschendiebe öffentlich und scharf protestiert und erreicht, daß sie zumindest vorübergehend suspendiert wurde (Beassemda, 1997).

Bereits seit 1994 beschäftigen sich die MitarbeiterInnen von ATNV – ebenso wie andere Menschenrechts- und Umweltorganisationen im Tschad – mit dem Erdölprojekt. Anlaß hierfür war damals die Erschießung eines Bauern, der zu einem Esso-Flugplatz gelaufen kam, weil er die Landung eines Flugzeugs beobachten wollte. Die Erschießung durch die für die Sicherheit von ESSO zuständige Gendarmerie wurde mit der Behauptung legitimiert, es habe sich bei dem Getöteten um einen Rebellen gehandelt. Nachforschungen durch ATNV und andere Organisationen ergaben die Unwahrheit dieser Behauptung; eine Strafverfolgung der Täter und eine Entschädigung der Familie des getöteten Bauern blieben trotzdem aus (Beassemda: 4; Zint, 1997: 6).

Folgeschäden des Erdölprojekts minimieren

ATNV geht nicht davon aus, daß das Erdölprojekt verhindert werden kann. Im Gegenteil: Auch ihre MitarbeiterInnen versprechen sich davon einen wirtschaftlichen Aufschwung im Lande, vorausgesetzt, ein großer Teil des erwarteten Gewinns kommt dem Tschad zugute und wird insbesondere zugunsten der Betroffenen verwendet (Beassemda, 1997: 5). Vor allem aber geht es ATNV und anderen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) darum, die vorprogrammierten Folgeschäden des Ölabbaus zu verhindern bzw. zu minimieren. Durch beharrliche Öffentlichkeitsarbeit und Forderung nach Offenlegung hat ATNV in Kooperation mit anderen bereits einige Erfolge zu verzeichnen. So wurde z.B. die Entscheidung der Weltbank über deren finanzielle Beteiligung am Ölprojekt von September 1997 auf Ende 1998 verschoben, nachdem die NGOs darauf hingewiesen hatten, daß die tschadische Bevölkerung über das Projekt bisher so gut wie nicht informiert wurde (Collectif des Assiciations, 1998: 2; Beassemda, 1997; Bauchmüller, 1997: 64 f.), dies aber im Widerspruch zu den Förderrichtlinien der Weltbank stehe, in denen als Voraussetzung für die Kreditvergabe u.a. die Information und Partizipation der betroffenen Bevölkerung festgeschrieben sei (Adams/Rietbergen-McCracken, 1994: 36 ff.; Rademaker, 1997: 1; Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998a: S.2). Eine Umweltverträglichkeitsstudie wurde – statt von der tschadischen Regierung – von Esso, der führenden Gesellschaft innerhalb des Konsortiums, in Auftrag gegeben (urgewald, 1998a: 2), Ende 1997 der Weltbank überreicht und veröffentlicht. Auch hier wurde der Forderung der zivilgesellschaftlichen Organisationen nach Information Rechnung getragen (Dames and Moore, 1997; EIRENE, 1997).

Liest man allerdings die zusammenfassenden Ergebnisse dieser Auftragsstudie, so entsteht der Eindruck, daß eine Reihe von Problemen, die das Ölprojekt mit sich bringt (Sicherheitslage, Folgen des Projekts für die ansässige Bevölkerung, insbesondere im Hinblick auf Reproduktionsbedingungen, Folgen für die Umwelt), thematisiert, sie aber zugleich als mehr oder minder gelöst dargestellt bzw. verharmlost werden (Dames and Moore, 1997): Eine »Verträglichkeitsstudie« also, im wahrsten Sinne dieses Wortes.

Im Kontext des Ölförderungsprojekts haben sich die tschadischen Menschenrechts- bzw. Umweltorganisationen untereinander vernetzt und verstärkt. Gleichermaßen ist die Kooperation mit anderen afrikanischen und europäischen Organisationen weiterentwickelt worden, um die Probleme in Tschad und Kamerun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und vielseitige Unterstützung zu initiieren. Um die Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit in der BRD zu intensivieren, haben sich amnesty international, Brot für die Welt, WEED, urgewald, Misereor und andere NGOs auf die Durchführung gemeinsamer Aktionen -vor allem bezogen auf Öffentlichkeitsarbeit – verständigt (EIRENE, 1997: 1; Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998a).

Im Januar 1998 organisierten ATNV und andere lokale Organisationen eine Zusammenkunft im südtschadischen Donia – in der Förderregion gelegen –, an der Repräsentanten von Esso, der Weltbank, der tschadischen Regierung, Gäste aus Nigeria, Kamerun und Europa sowie mehr als 100 Repräsentanten/innen von NGOs teilnahmen.

Wiederum die Erfahrungen in Nigeria als Präzedenzfall vor Augen, wurde die Umweltverträglichkeitsstudie auf der Konferenz seitens der NGO-Vertreter heftig kritisiert. Auf der Grundlage dieser Kritikpunkte und ihres Selbstverständnisses initiierten sie den Dialog mit Regierung, Konsortium und Weltbank und forderten u.a. Rahmenbedingungen für die friedliche und sichere Durchführung des Ölprojekts zu schaffen unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung und der Nutzung ihrer Kompetenzen vor Ort. Dazu müßten gesetzliche Regelungen bezüglich des Umweltschutzes und der Ölgewinnung formuliert, die Einnahmen aus dem Projekt kontrolliert werden und eine Entschädigung in adäquater Höhe erfolgen. Außerdem müßten weitere Untersuchungen zu den soziokulturellen und anderen Folgeproblemen seitens der Regierung in Auftrag gegeben werden. Die Weltbank wird aufgefordert, strengstens auf Einhaltung der von ihr aufgestellten Verfahrensregelungen und Vergabekriterien zu bestehen und die Regierung in Richtung auf eine Verhandlungslösung mit der Rebellenbewegung zu beeinflussen. Kompetente und erfahrene Fachleute sollten eingesetzt werden, um die Kontrolle der Ölförderung zu sichern (Zint, 1998a; Zint, 1998b; Zint, 1998c; siehe auch Erklärung von Donia im Kasten).

Diese Forderungen werden mittlerweile auch von der GCA (Groupe de Concertation et d’Action sur le Projét Pétrolier et d’Oléoduc Tchad-Cameroun), einem Zusammenschluß tschadischer und kamerunischer NGOs, und von fachkompetenten Organisationen im Ausland vertreten, nachhaltig unterstützt und um weitere Forderungen ergänzt (Commission for environmental impact assessment, 1998; Centre pour l’Environment, 1998; Tschad-Kamerun, 1998).

Brutale Gewalt soll Widerstand brechen

Seit Ende des Jahres 1997 hat sich die politische Situation im Tschad nochmals dramatisch und kontinuierlich verschärft:

Im November 1997 führten die Sicherheitskräfte eine geplante Militäraktion in der Region Moundou durch, bei der es 98 Tote sowie Verletzte, Verhaftete, Gefolterte und Verschleppte gab. Auch das Haus des Vorsitzenden der ATNV wurde zerstört. Anlaß dieser Gewaltaktion war der Aufenthalt führender Mitglieder der Rebellenbewegung FARF (Forces Armées pour la République Fédérale), die sich zur Unterzeichnung des mit der Regierung im April 1997 geschlossenen Friedensabkommens in Moundou aufhielten (EIRENE, 1998a: 2; amnesty international, 1997a: 1; amnesty international, 1998a: 1; Collectif des Associations, 1997).

Ende März 1998 verbot die Regierung jegliche Aktivitäten von Menschenrechts-Organisationen (amnesty international, 1998b). Zuvor – Anfang März – wurden bei Kämpfen im Süden des Landes mehr als 100 Menschen, zumeist unbewaffnete Zivilisten, getötet (amnesty international, 1998a; FR, 1998).

Mitte März wurden 12 Dorfvorsteher und andere Personen vom stellvertretenden Präfekten von Benoye, einem Ort nördlich von Moundou, zu Gesprächen über Steuerprobleme geladen. Am Ort der Zusammenkunft wurden sie von Sicherheitskräften festgenommen und mit anderen Personen zusammen erschossen. Uniformierte Truppen durchsuchten etwa zur gleichen Zeit das Dorf Talade – ebenfalls in der Region der Ölförderung gelegen –, 25 Einwohner wurden gefesselt und ermordet (amnesty international, 1998c: 2).

<-2>Am 18.3.1998 stürmten Militärs die Kathedrale von Moundou, nahmen den Abt und die anwesenden Personen fest. Der Abt wurde nach schweren Mißhandlungen mit einigen anderen freigelassen, die übrigen GottesdienstbesucherInnen verschwanden spurlos (AG Erdölförderung, 1998). Am folgenden Tag wurde ein Stadtteil in Moundou von Militärs durchsucht. Alle Jugendlichen wurden zusammengetrieben und ermordet, ihre Beerdigung vom Militär verboten (Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998b).

Am 22.3.1998 stürmten Militärs das Haus eines führenden Menschenrechtlers. Er mußte fliehen, ebenso wie Vertreter anderer lokaler Menschenrechtsorganisationen und der Vorsitzende des ATNV, der vorübergehend aus Angst um sein Leben untertauchen mußte (Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998b; amnesty international, 1998b).

All die genannten schwersten Menschenrechtsverletzungen weisen darauf hin, daß die Regierung neuerdings und mit großer Zielgenauigkeit daran geht, jegliche Opposition, insbesondere den Widerstand gegen das Ölprojekt, mit brutalster militärischer Gewalt niederzuschlagen bzw. im Keim zu ersticken, um so die Region zu befrieden und den Weg für die Ölförderung freizumachen (EIRENE, 1998b; 38; FR, 1998; FAZ, 1998).

Das Europäische Parlament hat in seinen Sitzungen vom Februar 1997 und Juni 1998 die anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte im Tschad scharf verurteilt und die Regierung aufgefordert, für die Einführung rechtsstaatlicher Verhältnisse, insbesondere in Polizei und Justiz zu sorgen (Zint, 1998d: 2).

<-3>Für den Fall einer positiven Entscheidung der Weltbank fordert das Europäische Parlament von der tschadischen Regierung bzw. dem Konsortium u.a. eine umfassende Information der Öffentlichkeit, Inkraftsetzung und Einhaltung strengster Vorschriften zum Schutz der Umwelt, lokale Reinvestition eines angemessenen Anteils der Gewinne aus der Ölförderung. Die Mitgliedstaaten der EU werden aufgefordert, Druck auf die Regierung des Tschad auszuüben, damit sie die Militäraktionen im Süden des Landes beende. Das EP verlangt überdies von den EU-Staaten, ihre weitere Kooperation mit und Hilfe für den Tschad von der Einhaltung der Menschenrechte seitens der tschadischen Regierung abhängig zu machen (Europäisches Parlament, 1998: Ziff. F).

Europäische Bedenken gegen Erdölprojekt

Am 13. Februar 1998 war der Außenminister des Tschad, Annadi, zu Gesprächen mit dem Außenminister und dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn. Von deutscher Seite wurden Bedenken gegen das Projekt zur Ölförderung im Hinblick auf potentielle Umweltschäden geäußert, Bedenken auch im Hinblick darauf, daß die Erträge möglicherweise nicht der Bevölkerung zugute kämen, daß gegen die Opposition mit Repressionen vorgegangen werde und ein neuer Bürgerkrieg entstehen könne (FAZ, 1998).

Bedenken sind keine Bedingungen – das hat die Entwicklung nach diesen Gesprächen allzu deutlich gezeigt. Die Regierung der BRD könnte eine gewichtige Rolle im Hinblick auf die von der Weltbank zu treffende Entscheidung über die Beteiligung am Ölprojekt im Tschad übernehmen, ist Bonn doch einer der größten Geldgeber der Weltbank und ihrer Tochtergesellschaften IDA und IFC und ständiges Mitglied in den Exekutivdirektorien dieser Organisationen mit Stimmrecht in Relation zur Höhe des eingezahlten Kapitalanteils (Deutsche Bundesbank, 1992: 56 ff., 83 ff., 88 ff.).

Demgemäß hat der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages im Juni 1998 einem Entschließungsantrag zugestimmt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ihre Zustimmung zu einer Beteiligung der Weltbank am Tschad-Kamerun-Ölprojekt davon abhängig zu machen, daß das Vorhaben umweltverträglich und unter Beteiligung der Betroffenen durchgeführt wird, daß es zur Entwicklung der Volkswirtschaft und zur Bekämpfung der Armut beiträgt und die Menschenrechte Beachtung finden (Deutscher Bundestag, 1998: 3).

Immerhin hat die Bundesregierung inzwischen die von ESSO vorgelegte Umweltverträglichkeits-Studie überprüfen lassen und das Ergebnis an die Weltbank übersandt.

Die Regierung der Niederlande hat ein unabhängiges Fachgremium mit der Erstellung einer Expertise beauftragt: Sie bezieht sich auf die Umweltprobleme in Tschad und Kamerun. Die Autoren empfehlen im Falle der Förderung des Projekts seitens der Weltbank, eine internationale interdisziplinäre Beraterkommission einzusetzen, die dazu beitragen soll, die Weltbank in der Umsetzung ihrer Politik des Umweltschutzes, der Armutsbekämpfung, der Wiederansiedlung und der Partizipation der Betroffenen zu unterstützen (Commission for environmental impact assessment, 1998: 2). Die Regierung der Niederlande selbst hat der Weltbank eine Vertagung der Entscheidung empfohlen (urgewald, 1998a: 2f.).

Am 3.6.1998 wurde der Parlamentarier Ngarlejy Yorongar zusammen mit zwei Journalisten wegen angeblicher Verleumdung des Präsidenten der Nationalversammlung verhaftet. Er hatte jenem vorgeworfen, Geld zur Finanzierung seines Wahlkampfes von elf aquitaine angenommen zu haben. Die Interparlamentarische Union in Genf untersuchte diesen Fall und kam zum Ergebnis, daß Yorongars Meinungsäußerung durch das Abgeordnetenmandat gedeckt sei (Resolution zu Cas No. CHD/01- Ngarlejy Yorongar – Tchad) (amnesty international, 1998e; AG Erdölprojekt Tschad-Kamerun, 1998). Yorongar ist schärfster Kritiker der tschadischen Regierung und des Ölprojekts: Er stand damals kurz vor einer Reise nach Brüssel zum Vortrag über die Probleme dieses Vorhabens (urgewald, 1998b; Telkämper, 1998; Collectif des Associations, 1998).

Das Europäische Parlament hat auch die Verhaftung Yorongars entschieden verurteilt und die tschadische Regierung aufgefordert, ihn sofort frei- sowie eine demokratische Diskussion über die Lage im Land und über das Ölprojekt zuzulassen (Europäisches Parlament, 1998: Ziff.F 2). Am 20. Juli 1998 wurde Yorongar nach einem Verfahren unter Vorenthaltung elementarer Verteidigungsrechte zu 3 Jahren Haft verurteilt: Das Strafmaß übersteigt die gesetzlich für Beleidigung vorgesehene Haftstrafe um ein Jahr! Die beiden Journalisten erhielten jeweils eine Geldstrafe: auch sie ist doppelt so hoch wie die gesetzlich vorgeschriebene Höchstsumme (amnesty international, 1998e).

Nach Ansicht des Generaldirektors von ESSO-Tschad, Jean-Pierre Petit, handelt es sich bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverletzungen um eine innere Angelegenheit des tschadischen Staates, welche die Planungen des Konsortiums nicht tangiert (Zint, 1998d). Aus dieser Sicht ist es nur konsequent, daß mit den Vorbereitungsarbeiten – Bau der Camps und der Zufahrtsstraßen – für die Verlegung der Pipeline bereits begonnen wurde (AG Erdölprojekt Tschad-Kamerun, 1998b). Die Röhren für die Pipeline werden von Mannesmann und Preußag geliefert.

Menschenrechtsverletzungen im Tschad

Entschließung des Europa-Parlaments vom 20.02.1997

Das Europäische Parlament,

A…beunruhigt über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im Tschad, einem Land, in dem Militär- und Polizeiangehörige systematisch ohne vorheriges Gerichtsverfahren Hinrichtungen an Bürgern vornehmen, die der Zugehörigkeit zu Oppositionsgruppen verdächtigt oder als Straftäter angesehen werden,

B…bestürzt darüber, daß Vergewaltigung auch zu den üblichen Repressions- und Einschüchterungsmitteln gegenüber Opfern gehört, und über die alltägliche Anwendung der Folter, bei der einige traditionelle und besonders grausame Formen – wie »Arbatachar« von den Ordnungskräften als völlig normale Amtshandlungen betrachtet werden,

C…betroffen über das Telegramm mit Weisungen an die »Gruppierungen der Spezialeinheiten«, durch das mit dem Befehl zur physischen Vernichtung aller auf frischer Tat ertappten Diebe willkürlichste staatliche Gewalt legalisiert wurde,

D…in der Erwägung, daß einige Mitgliedstaaten der Regierung des Tschad politische, finanzielle und vor allem militärische Hilfe gewährt haben, ohne die Folgen der Menschenrechtsverletzungen für die Opfer zu berücksichtigen,

E…unter Hinweis auf die derzeit im Land laufenden Wahlen und die Tatsache, daß der Tschad das Abkommen von Lomé unterzeichnet hat, das zur vollen Achtung der Menschenrechte verpflichtet,

Das Europäische Parlament,

1…verurteilt alle im Tschad gegenwärtig weiterbestehenden Formen der Gewalt wie Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, Folter und Vergewaltigung;

2…verlangt die sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Häftlinge, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten;

3…fordert die Behörden des Tschad auf, die Weisungen an die »Gruppierungen der Spezialeinheiten« unverzüglich zu widerrufen und sich für einen Rechtsstaat und eine auf die Achtung der Menschenwürde gegründete Justiz einzusetzen;

4…betont, daß es unerläßlich ist, den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen, die dafür Verantwortlichen vor Gericht zu stellen und das Gerichtssystem und die Ordnungskräfte zu reformieren, und fordert den Rat und die Kommission auf, diese Reformen im Richtprogramm des Tschad vordringlich zu unterstützen;

5…fordert den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihrer Verantwortung angesichts der Lage im Tschad nachzukommen, ihre Zusammenarbeit von der Einhaltung der Menschenrechte durch die Behörden abhängig zu machen und insbesondere darüber zu wachen, daß die Militärhilfe nicht zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen mißbraucht wird;

6…ist der Auffassung, daß der Status des Tschad als Empfänger von Hilfsleistungen gemäß dem Abkommen von Lomé im Lichte der Fortschritte, die die künftigen Machthaber des Landes hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte erzielen, überprüft werden muß;

7…beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Regierung des Tschad, den Kopräsidenten der Paritätischen Versammlung AKP-EU, der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und der OAE zu übermitteln.

Deklaration des Seminares von Donia

Am 20.-25.1.1998 trafen sich in Donia im Süden des Tschad ca. 130 Teilnehmer aus Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, Bauernvereinigungen, religiöse und lokale Führer zu einem Informationsseminar über das Erdölprojekt. ESSO-Vertreter, ein Weltbankmitarbeiter und Mitarbeiter des Energie- und des Umweltministeriums standen Rede und Antwort. Im Mittelpunkt stand die Umweltverträglichkeitsstudie. Am Ende des Seminares erklärten die Teilnehmenden:

Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Informations- und Austauschseminars über das tschadische und kamerunische Erdöl, versammelt am 20.-25.1.1998 in Donia im Tschad haben folgenden Zustand festgestellt:

Die Dokumentation der Zone – genauer gesagt: präzise Daten über die natürlichen Ressourcen und die Bevölkerung, Karten der Förderzone, die Größe der zu erwartenden Auswirkungen des Erdöls – steht jetzt zur Verfügung.

Zweiter positiver Aspekt ist die geistige Offenheit für den Dialog bei der Regierung, den Mitgliedern des Konsortiums, der Weltbank und der Zivilgesellschaft, die Fähigkeit der Vertreter der Regierung, des Konsortiums, der Zivilgesellschaft, der Weltbank und der Basisgemeinden zuzuhören und sich positiv auszutauschen.

Demgegenüber haben wir folgende Mängel festgestellt:

  • Einige Etappen des Verfahrens der Weltbank im Bereich der Konsultation und Leitung des Projektes wurden von dem Konsortium und der Regierung nicht respektiert.
  • Es gibt Mängel in der Umweltverträglichkeitsstudie und im Umweltmanagementplan.
  • Vernachlässigung sozio-kultureller Aspekte.
  • Die schwache Bewertung und Bedeutung lokaler Kompetenzen, namentlich des CIRAD, des ONDR (Organisation National pour la Development Rural) und der Nichtregierungsorganisationen.
  • Die Nichtexistenz eines Umweltrechts.
  • Das permanente Klima der Unsicherheit, das den Tschad und insbesondere die Zone, in der das Öl gefördert wird, regiert.
  • Unangemessene Entschädigungs- und Ausgleichsmaßnahmen.
  • Fehlende Klarheit über die Verwaltung der Einnahmen aus der Erdölförderung.
  • Negative Effekte, die das Erdölprojekt auf biophysischer, sozio-ökonomischer und kultureller Ebene haben könnte.

Aus dem, was voraus geht, haben wir einige Vorschläge gewonnen…:

Wir schlagen der Weltbank vor, die Einhaltung ihrer Richtlinien und Verfahrensweisen schärfstens zu kontrollieren.

Wir schlagen der Regierung vor:

  • vor Beginn des Erdölprojektes eine Studie über sozio-ökonomische Begleitauswirkungen durchzuführen,
  • juristische Texte über das Umweltmanagement und die Erdölförderung zu erarbeiten,
  • alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Frieden und Sicherheit zu schaffen,
  • die Zivilgesellschaft in der Verwaltung, Begleitung und Kontrolle der Erdöleinnahmen zu beteiligen,
  • eine kompetente und erfahrene Equipe einzusetzen, um die Begleitung und Kontrolle des Projektes sicherzustellen.

Wir schlagen der Regierung und dem Konsortium vor, ein System angemessener Entschädigungen und Ausgleichszahlungen zu schaffen, das allen betroffenen Werten, Gütern und Erbgütern Rechnung trägt.

Die Nichtregierungsorganisationen laden wir ein,

  • ihre Informationsprogramme zu intensivieren, um die betroffenen Gemeinschaften zu sensibilisieren und zu informieren,
  • Mechanismen zu schaffen, um bei der Verwaltung der Ressourcen – bei Kompensationen und Entschädigungen – zu helfen,
  • ein Informationsnetzwerk über das Erdölthema auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu entwickeln.

Zuletzt laden wir die Nichtregierungsorganisationen und die lokalen Gemeinschaften ein, eine neue Strategie für den Umgang mit der Umwelt vor Ort zu entwickeln.

Donia, den 25.1.1998.

(Abschrift vom Band auf Französisch: Martin Zint, Übersetzung: Günter Schönegg)

Europa-Parlament zur Lage im Tschad

Das Europäische Parlament beschloß am 18.6.1998 „unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zur Lage im Tschad,

  • in Anbetracht der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Tschad seit Oktober 1997, die mit dem Massaker an 100 unbewaffneten Zivilisten in der Region Logone im März 1998 ihren Höhepunkt gefunden haben und gekennzeichnet durch Hinrichtungen, willkürliche Inhaftierungen und Folter durch die tschadischen Sicherheitskräfte, wie Amnesty International und tschadische Menschenrechtsorganisationen anprangern,
  • in der Erwägung, daß Ngarlejv Yorongar, Mitglied der Opposition im tschadischen Parlament, am 2. Juni 1998 aufgrund einer Anklage wegen Diffamierung verhaftet wurde,
  • zutiefst besorgt über die kürzliche Inhaftierung der Journalisten Koumbo Synga und Polycarpe Togamessi,
  • in der Erwägung, daß Ngarlejv Yorongar ein vehementer Kritiker des Tschad-Kamerun-Ölförderungs- und Pipelineprojektes gewesen ist, das von einem internationalen Konsortium angeführt wird und bei der Weltbank anhängig ist, die ihre Bewilligung an den Abschluß einer Umweltverträglichkeitsprüfung geknüpft hat, die noch vor Herbst 1998 erfolgen soll,
  • in der Erwägung, daß das internationale Konsortium öffentlich erklärt hat, daß es ohne Beteiligung der Weltbank das Projekt nicht weiterbetreiben will,
  • unter Hinweis auf die prekäre Situation der örtlichen Gemeinschaften in dem Projektgebiet, die auf die fortdauernde politische Instabilität und die Menschenrechtsverletzungen zurückzuführen ist, sowie unter Hinweis auf die Bedeutung dieser Region für die nationale Landwirtschaft,
  • fordert (das Europäische Parlament) den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Druck auf die tschadische Regierung auszuüben, die Menschenrechte und die Gesetze im ganzen Land anzuerkennen und die militärischen Aktionen im Süden unverzüglich zu beenden;
  • verlangt (das europäische Parlament) die sofortige Freilassung von Ngarlejv Yorongar und fordert die tschadische Regierung ferner auf, demokratische Diskussionen sowohl über die Lage im Land als auch über das geplante Ölprojekt in der Doba-Region zuzulassen;
  • fordert (das Europäische Parlament) die tschadische Regierung und das internationale Konsortium auf, das Ölförderprojekt nur im Falle einer positiven Bewertung durch die Weltbank fortzusetzen und u.a. folgende Garantien zu geben:
  • umfassendere Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Ölförderprojekt;
  • Schutz der einheimischen Bevölkerungsgruppen und angemessener Ausgleich für die Menschen, die gezwungen sind, ihren Wohnort zu verlassen, und zwar unter strikter Wahrung der Menschenrechte;
  • überaus strenge Umweltschutzvorschriften, die sich auf Verhütung von Ölaustritt, Streckenführung der Pipelines, Luftqualität, »Disease-Control« und Unfallverhütung erstrecken;
  • lokale Reinvestition eines angemessenen Anteils der Projektgewinne;
  • beauftragt (das Europäische Parlament) seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten, den Regierungen und Parlamenten des Tschad und Kameruns sowie der Weltbank zu übermitteln.“

Für die Überlassung von Materialien und Dokumenten und für Diskussion bei der Abfassung des Manuskripts danke ich Susanne Breitkopf (urgewald), Martin Petry (Brot für die Welt), Günter Schönegg (EIRENE) und Martin Zint (Journalist).

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Prof. Dr. Barbara Dietrich lehrt am FB Sozialwesen der FH Wiesbaden

Schwarze Ohnmacht – Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht

Schwarze Ohnmacht – Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht

von Klaus Schlichte, Dirk Hansohm und Peter Körner

zum Anfang | Kriege und Konflikte in Afrika

von Klaus Schlichte

Die »Chaosmacht Afrika« sorgt seit der Dekolonisationsphase für die gleichen Schlagzeilen: Hunger, Krieg, Flüchtlingselend und Despotismus scheinen die herausragenden Besonderheiten afrikanischer Gesellschaften zu sein. Das Ende der kolonialen Epoche hat daran nichts geändert. Weder konnten im subsaharischen Afrika1 die Entwicklungsträume der sechziger Jahre verwirklicht werden, noch haben sich die nachkolonialen Staaten zu wirklichen Nationalstaaten entwickeln können. Das Charakteristikum des Kriegsgeschehens auf dem afrikanischen Kontinent wie anderswo ist, daß zwischenstaatliche Kriege an Bedeutung verloren haben, während innenpolitische Konflikte sich häufig zu Bürgerkriegen entwickeln. Das ist keineswegs in allen afrikanischen Staaten der Fall, doch die Staaten, deren Geschichte seit 1960 ohne Kriege, Revolten und ethnische Massaker verlaufen ist, können in der Tat fast an einer Hand abgezählt werden: Botswana, Benin, Côte d'Ivoire, Ghana und die Inselstaaten der Kapverden, Sao Tomé und Principe beispielsweise blieben bisher von größeren gewaltsam ausgetragenen Konflikten verschont.

Doch dieser Abriß soll nicht die Vielzahl der gewaltsamen Eskalationen in der nachkolonialen Geschichte Afrikas südlich der Sahara behandeln, sondern lediglich einen Überblick über die am Ende des Jahres 1993 laufenden Kriege geben. Zu diesem Zeitpunkt fanden in dieser Region 14 Kriege statt, den Bürgerkrieg in Algerien dabei allerdings eingeschlossen.2 Ergänzend zu kurzen Beschreibungen dieser Kriege findet sich am Ende des Beitrags eine Auflistung weiterer sechs innenpolitischer Konflikte, deren Einschätzung als »Krieg«3 nach Angaben der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung« (AKUF), Universität Hamburg, noch zweifelhaft ist. Denn gemäß der verwendeten operationalen Definition können gewaltsam ausgetragene Massenkonflikte nur dann als Kriege gelten, wenn es sich bei mindestens einer der kampfbeteiligten Parteien um reguläre Streitkräfte einer Regierung handelt, wenn beide Seiten mit einem Mindestmaß an zentraler Organisation agieren und wenn die bewaffneten Zusammenstöße mit einer gewissen Kontinuität auftreten.

Neben dem durch die internationale Intervention bekannt gewordenen Krieg in Somalia gibt es eine Reihe von Kriegen auf dem afrikanischen Kontinent, die ihrer langen Dauer wegen ebenfalls einem breiteren Publikum zumindest ihrem Schauplatz nach bekannt sind. Hierzu zählen die Kriege in Angola und Mosambik, Sudan und Tschad, aber auch der Anti-Apartheids-Krieg in der Republik Südafrika.

Angola

Die Konflikte in den ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik weisen in einiger Hinsicht Parallelen auf. Nach dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches, zu dem die Befreiungskriege in den Kolonien wesentlich beitrugen, erhielten die dortigen Ereignisse einerseits deshalb eine besondere Brisanz, weil sie in unmittelbarer Nähe zu den fortdauernden Dekolonisationskriegen im südlichen Afrika stattfanden (Namibia, Südafrika, Rhodesien). Zum anderen standen schon die Staatsgründungen Mosambiks und Angolas unter dem Stern des Ost-West-Konflikts, der eine wesentliche Bedingung für die Persistenz der Bürgerkriege in diesen Ländern war. Im Sommer 1975 brach in Angola der Krieg zwischen den Befreiungsbewegungen noch vor der offiziellen Erlangung der Unabhängigkeit aus. Schon zu diesem Zeitpunkt hatten die weltpolitischen Mächte ihre Karten verteilt: Während die MPLA4 weiterhin von der Sowjetunion und Kuba Unterstützung erfuhr, lieferten die USA und die Republik Südafrika Waffen an die UNITA und FNLA. Diese Konstellation dauerte bis zum Ende der achtziger Jahre fort, um zwischenzeitig zu der weltpolitischen Absurdität zu führen, daß von US-amerikanischen Gesellschaften betriebene Ölförderanlagen von kubanischen Soldaten beschützt wurden, weil die Exporterlöse der MPLA-Regierung zugute kamen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes machte im südlichen Afrika aber nicht nur die Unabhängigkeit Namibias möglich, sondern erlaubte auch ein Ende des Krieges in Angola. Die UNITA erkannte jedoch den im September 1992 erlangten Wahlsieg der MPLA nicht an. Nach nur eineinhalb Jahren Waffenruhe wurde der Krieg im Oktober fortgesetzt. Mittlerweile hat die UNITA jedoch auf die offizielle externe Unterstützung aus den USA und durch Südafrika verzichten müssen. Doch soll die UNITA nach wie vor von privaten südafrikanischen Kreisen und von Zaire unterstützt werden.

Angola zählt infolge des nunmehr über dreißigjährigen Kriegszustandes zu den am stärksten von Kriegsfolgen betroffenen Ländern der Welt. Noch am Ende des Jahres 1993 fordert dieser Krieg pro Woche Tausende von Opfern.

Auch während der kurzen Waffenruhe in Angola blieb dort ein Landesteil weiter umkämpft: in der ölreichen Enklave Cabinda führt eine Sezessionsbewegung einen bislang erfolglosen Guerillakrieg. Diese Bewegung hat sich vor allem durch Bombenanschläge und die Entführung von Ausländern Gehör verschafft. Für das vom Krieg zerstörte Angola bleiben die Öleinnahmen aus der Enklave aber unabhängig vom weiteren Schicksal des Landes unverzichtbar.

Mosambik

Der Krieg in Mosambik fand durch die Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen der FRELIMO-Regierung und der RENAMO im Oktober 1992 ein vorläufiges Ende. Auch dieser Krieg wurde durch den Ost-West-Konflikt und seine Auswirkungen auf die Subregion des südlichen Afrika wesentlich verschärft. Die RENAMO war ursprünglich eine Kreation des rhodesischen Geheimdienstes, die dann von Südafrika unterhalten wurde. Ob der opferreiche Krieg in Mosambik dauerhaft beendet ist, muß noch bezweifelt werden. Bisher sind die kämpfenden Fraktionen weder kaserniert noch entwaffnet, und die von der RENAMO mit terroristischen Mitteln errichtete Kriegswirtschaft wird nur sehr schwer zu zivilen Formen zurückfinden können. Mehrere Millionen Mosambikaner sind vor dem Krieg in die Nachbarländer geflohen. Ihrer Remigration steht nicht nur eine völlig ruinierte Ökonomie entgegen, sondern auch die unbeseitigte Menge von 2,5 Millionen Landminen. Mosambiks Rückkehr zur Normalität wird länger dauern als geplant. Die für Oktober 1993 vorgesehenen Wahlen wurden bereits um ein Jahr verschoben.

Tschad

Auch die Regierung Idriss Deby konnte den seit 1966 im Kriegszustand befindlichen Tschad nicht befrieden. Stattdessen wird sie international vor allem wegen umfangreicher Menschenrechtsverletzungen kritisiert: Sie soll in zwei Jahren über 500 Hinrichtungen vollstreckt haben und über 1000 politische Gefangene festhalten. Neben Übergriffen von Polizisten auf Demonstranten ereigneten sich auch 1993 Massaker zwischen diversen »ethnischen Gruppen«, angeführt von amtierenden oder ehemaligen Mitgliedern der Staatsklasse. Eine internationale Dimension erhielt dieser Krieg nicht nur durch die großen Flüchtlingsbewegungen, die er auslöste, sondern auch durch den Anspruch Libyens auf den Aouzou-Streifen im Norden des Tschad, was zwischenzeitig Frankreich und die USA auf den Plan rief, die die wechselnden Regime in N'Djamena unterstützten.

Nach Versuchen, am Jahresbeginn 1993 mit einer Nationalkonferenz zur Befriedung des Landes zu gelangen, ist der Krieg mittlerweile wieder im vollen Gange: Seit August 1993 wird im Gebiet des Tschadsees gekämpft.

Sudan

Der seit 1983 geführte Krieg in den südlichen Landesteilen des Sudan, der schon einen von 1956 bis 1972 dauernden Vorläufer hatte, nahm in der jüngeren Vergangenheit insofern eine Wende, als die Regierungstruppen seit 1992 große Geländegewinne erzielen konnten. Die im Süden kämpfende Bewegung hatte sich 1991 gespalten, später kam es auch zu Kämpfen zwischen diesen Flügeln, so daß die Truppen der Zentralregierung rasch vordringen konnten. In diesem Krieg sind bisher über eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen, rund 3,5 Nationen sind in die Nachbarländer geflohen. Große Teile der Bevölkerung sind periodisch von Hungerkatastrophen bedroht.

Republik Südafrika

Auch die Auseinandersetzungen im Verlauf der Umwandlung des Apartheidsystems in der Republik Südafrika haben nach wie vor Kriegscharakter. Zwar hat der African National Congress (ANC) schon 1990 den bewaffneten Kampf gegen das Minderheitsregime suspendiert, der systematische Terror der konservativen Zulu-Organsation Inkatha gegen den ANC wird aber von Staatsorganen unterstützt. Mittlerweile gibt es Bündnisse zwischen Homeland-Führern und burischen Rechtsparteien, während die blutigsten Kämpfe zwischen Anhängern des ANC und der Inkatha stattfinden. Die Allianzen in diesem seit 1976 andauernden Krieg haben sich also verschoben, am Konfliktgegenstand, der Abschaffung des Apartheidsystems, hat sich jedoch nichts geändert. Über 14.000 Menschen kamen in diesem Krieg bisher ums Leben.

Somalia

Unter mindestens ebenso großer internationaler Beachtung entwickelte sich der Krieg in Somalia, vor allem seit Beginn der Intervention im Dezember 1992. Eine friedliche Regelung dieses Krieges wird vor allem dadurch erschwert, daß der somalische Staat schon seit geraumer Zeit aufgehört hat zu existieren. Der seit 1988 laufende Krieg hat die ohnehin stark fraktionierte somalische Gesellschaft ohne jede übergeordnete politische Institution zurückgelassen. Auch die von der internationalen Staatengemeinschaft getragene Intervention hat bisher keine tragfähigen Ansätze zu einer politischen Regelung des Konflikts erkennen lassen. Das weitere Schicksal Somalias ist schon insofern völlig ungewiß, als die territoriale Integrität des Landes durch die Proklamation eines unabhängigen »Somalilands« im Nordwesten in Frage gestellt ist.

Die vergessenen Kriege

Neben diesen international viel beachteten Kriegen gibt es auf dem afrikanischen Kontinent aber noch eine Vielzahl von Bürgerkriegen, über die in der deutschen Publizistik nur vereinzelt etwas zu erfahren ist. Die Auseinandersetzungen in der Casamance (Senegal), in Mali, Niger, Algerien, Liberia, Sierra Leone, Rwanda, Uganda, Äthiopien und Djibouti haben gleichwohl schon vor Jahren die Schwelle vom Konflikt zum Krieg überschritten.

Ein Beispiel für solch einen »vergessenen Krieg«, ist der Kampf unterschiedlicher Gruppen der Tuareg in der südlichen Sahara, von dem vor allem die Länder Mali und Niger betroffen sind. Die ökologische und ökonomische Degradation in den nördlichen Provinzen dieser Länder hat in den siebziger und achtziger Jahren zu Fluchtbewegungen nach Libyen, Algerien und in verschiedene westafrikanische Länder geführt. Von dort ausgewiesen, kehrten Ende der achtziger Jahre viele Tuareg nach Mali und Niger zurück, ohne dort indes verbesserte Bedingungen vorzufinden. Im Mai 1990 kam es in Niger schließlich erstmals zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Tuareg-Organisationen und Regierungstruppen, wenig später auch in Mali. Neben einer Verbesserung der Versorgung forderten die Tuareg den Abzug der Regierungstruppen aus ihren Siedlungsgebieten sowie Autonomiebestimmungen. Auch die demokratischen Umgestaltungen, die Mali und Niger zu Beginn der neunziger Jahre erfuhren, konnten die Kämpfe zunächst nicht beenden. Die traditionell hohe Mobilität der Tuareg und die Fluchtbewegungen infolge des Kriegsausbruchs haben den Konflikt zudem zu einem sicherheitspolitischen Problem für die Nachbarstaaten Algerien, Libyen und Mauretanien werden lassen. In Mali wurde 1992 zwar ein »Nationalpakt« von der neuen demokratischen Regierung und den Tuareg-Organisationen unterzeichnet, Anschläge auf Regierungseinrichtungen gab es aber weiterhin. Die starke Fraktionierung der Tuareg macht ein heftigeres Wiederaufflammen der Kämpfe durchaus möglich. Auch in Niger gingen die Kämpfe 1993 weiter.

Die Regierung in Algerien hat schon deshalb ein Interesse an der Regelung des Tuaregproblems, weil sie selbst in einen Krieg mit islamischen Fundamentalisten verwickelt ist. Mit über 250 Hinrichtungen allein im Jahr 1993 hat die Regierung versucht, auf die Attentatswelle der FIS zu reagieren, die sich vor allem gegen Intellektuelle und politische Funktionsträger richtet.

Durch die Unabhängigkeit Eritreas und das Ende des Krieges in der Provinz Tigray hat sich die innenpolitische Lage in Äthiopien zwar entspannt, doch als befriedet kann auch dieses Land nicht gelten. Nach großen Schwierigkeiten bei den Regionalwahlen und der demokratischen Umgestaltung im Sommer 1992 nahmen die Sezessionisten aus der Provinz Oromo den Kampf gegen die Zentralregierung wieder auf.

Im benachbarten Djibouti führt die Ethnie der Afar mit ca. 5000 Kämpfern einen Aufstand gegen das Regime. Dieses wurde zeitweilig von den USA und Frankreich militärisch und finanziell unterstützt. Die französischen Truppen, die zur Überwachung eines Waffenstillstands eingesetzt worden waren, wurden allerdings bis Ende 1992 wieder abgezogen. Die neu aufgerüstete Armee führte bis zum Sommer 1993 eine Offensive gegen die Aufständischen durch. Da die Ziele dieser Offensive aber nicht erreicht werden konnten, weil die Afar sich zunehmend auf Guerrillataktiken verlegten, gingen die Regierungsssoldaten im Spätsommer 1993 zunehmend zu Übergriffen auf Zivilisten über. 20.000 Menschen sind aus Djibouti nach Äthiopien geflohen, während die 120.000 somalischen Flüchtlinge in Djibouti dort etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Im ostafrikanischen Rwanda führt eine Rebellenorganisation seit Oktober 1990 Krieg gegen das amtierende Regime, das vorübergehend mit Kontingenten aus Zaire und Belgien unterstützt wurde. Nach wie vor befinden sich französische Soldaten in Rwanda, vorgeblich, um die dort lebenden französischen Staatsangehörigen zu beschützen. Die Rebellen rekrutieren sich vor allem aus Flüchtlingen, die sich seit den sechziger Jahren nach Uganda abgesetzt hatten. Im Verlauf des Konflikts schlugen sich aber auch andere Oppositionsgruppen auf ihre Seite, so daß der gemeinhin als ursächlich betrachtete Konflikt zwischen den Ethnien der Tutsi und Hutu kaum zur Erklärung dieses Krieges dienen kann. Auch in Rwanda hat der Krieg die innenpolitische Entwicklung verschärft. So mußte das Regime Juvénal Habyarimanas 1992 schließlich eine Beteiligung der Oppositionsparteien an der Regierung akzeptieren. Im August 1993 wurde unter Vermittlung der Nachbarstaaten und der OAU erneut ein Friedensabkommen unterzeichnet, dessen Erfolg allerdings abzuwarten bleibt. Noch im Herbst 1993 war das innenpolitische Klima in Rwanda durch Bombenanschläge und Attentate gekennzeichnet.

Der seit 1981 laufende Krieg in Uganda kann ebenfalls noch nicht als beendet betrachtet werden. Zwar gelang es der Regierung Museveni im Verlauf des Jahres 1992, die Aktivitäten von Rebellen und Banditen im Norden und Nordosten auf ein Minimum zu beschränken. Die innere Sicherheit blieb aber schon wegen der Rückwirkungen der Konflikte in den Nachbarstaaten Rwanda, Sudan und Zaire beeinträchtigt. Über eine halbe Million Menschen fanden im Verlauf des ugandischen Bürgerkriegs den Tod. Auch soll der Krieg wesentlich zur beschleunigten Ausbreitung von AIDS in Uganda beigetragen haben: Mehr als eine Million der 16 Millionen Einwohner sollen davon infiziert sein.

Im westafrikanischen Liberia herrscht seit Ende 1989 Krieg. Mittlerweile hat die Rebellengruppe, die von Côte d'Ivoire kommend das alte Regime angriff, rund zwei Drittel des Territoriums unter die Kontrolle ihrer »warlords« bringen können, während eine Interventionstruppe der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS, die sich vor allem aus Kontingenten der anglophonen Staaten zusammensetzt, die Hauptstadt Monrovia kontrolliert.5 Dort wurde eine Interimsregierung installiert, die nach einem vielversprechenden Abkommen im Sommer 1993 um Vertreter aller Kriegsparteien erweitert werden sollte. Die fortdauernden Kämpfe zwischen den Getreuen des alten Regimes und den Rebellen haben aber die Umsetzung des Abkommens bisher verhindert. Nigeria, das das größte Kontingent der ECOWAS-Eingreiftruppe stellt, hat inzwischen den Rückzug seiner Truppen zum März 1994 angekündigt. Die Erweiterung der Interventionstruppe um Kontingente aus Uganda, Zimbabwe, Tansania und Ägypten war zwar im Friedensabkommen im Sommer 1993 vereinbart worden, hat aber zum geplanten Zeitpunkt im Herbst nicht stattgefunden. Dennoch konstituierte sich Anfang Oktober 1993 das Übergangsparlament unter Beteiligung aller Kriegsparteien in der Hauptstadt, während auf dem Lande eine neue Welle von Plünderungen und Massakern an Zivilisten anhob.

Von den Auseinandersetzungen in Liberia sind auch die Nachbarstaaten Guinea und vor allem Sierra Leone betroffen. Die Übergriffe der Kämpfe auf das Territorium Sierra Leones haben dort die innenpolitische Krise so verschärft, daß es im April 1992 zu einem Militärputsch mit über hundert Todesopfern kam. Das neue, sich äußerst repressiv gerierende Regime machte durch Hinrichtungen vermeintlicher Putschisten von sich reden, erzielte aber militärische Erfolge gegen die mit den liberianischen Rebellen kooperierenden Aufständischen im eigenen Land.

Auch das gemeinhin als demokratisch bezeichnete Senegal kennt seit 1990 einen Guerillakrieg in der südwestlichen Provinz Casamance. Zwar hatte es schon 1991 ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Separatisten und der Zentralregierung gegeben, doch seit Mitte 1992 kam es zu erneuten Auseinandersetzungen. Eine friedliche Beilegung des Konflikts ist umso schwieriger geworden, als Teile der bewaffneten Separatisten sich der Kontrolle des politischen Teils ihrer Organisation entzogen zu haben scheinen.

Nachdem es 1989 in Senegal und Mauretanien Auseinandersetzungen zwischen Schwarzafrikanern und Mauren gegeben hatte, haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten zwar wieder verbessert. In Senegal lebende Exil-Mauretanier sollen sich aber in jüngerer Zeit ebenfalls zu bewaffneten Organisationen zusammengeschlossen haben, ohne daß dies indes bereits zu Angriffen auf mauretanisches Territorium geführt hätte.

Entstehende Kriege

Neben all diesen als Kriege zu bezeichnenden Konflikten in afrikanischen Staaten gibt es noch eine Reihe von innenpolitischen Entwicklungen, die bisher erst auf die Gefahr entstehender Kriege hindeuten.6 Dabei lassen sich zwei grobe Kategorien unterscheiden: Staaten wie Nigeria oder Burundi haben hinsichtlich ihrer ethnischen Diversität schlechte Erfahrungen hinter sich. Dort gibt es innenpolitische Konflikte im ethnischen Gewande trotz der politischen Bemühungen, sie einzudämmen.

In Zaire und Kenya hingegen sind es die autoritären Regime selbst, die ethnische Gegensätze zu ihrem Vorteil instrumentalisieren, während Demokratisierungsprozesse nur zur Währung der ohnehin bescheidenen Reste des internationalen Ansehens durchgeführt werden.

Burundi hatte gerade die wesentlichen Schritte zur demokratischen Umgestaltung absolviert, als am 21. Oktober 1993 durch einen Coup des Militärs die gerade viermonatige Herrschaft der demokratisch gewählten Regierung beendet wurde. Die auf ethnische Unterschiede reduzierten Gegensätze des Landes hatten schon in den Jahren 1972 und 1988 zu großen Massakern geführt. So gab es auch im Verlauf des Jahres 1992 im Nordosten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Militärs und der Zivilbevölkerung. Der Abbruch der Demokratisierung verhindert gerade den Prozeß, der weitere Gewalteskalationen langfristig vielleicht hätte unterbinden können: die Ausbildung eines politischen Systems, das die Gegensätze mit friedlichen Mitteln ausbalancieren könnte.

In Nigeria hat sich unter fortdauernder Militärherrschaft nicht nur in und zwischen den politischen Partien ein Klima der Gewalt breitgemacht. Auch die Willkür von Polizei und Armee und die Zunahme des organisierten Verbrechens veminderten die innere Sicherheit. Zu Beginn der neunziger Jahre hat es in Nigeria wiederholt gewaltsame Konflikte zwischen ethnischen und religiösen Gruppen um Land und andere Ressourcen gegeben. Möglichkeiten, diese Konflikte friedlich beizulegen, werden durch die repressive Politik des Regimes erschwert, das die Bildung und Artikulation von religiösen, regionalen und ethnischen Interessengruppen untersagt hat.

Auch in Kenya kommt es seit Herbst 1991 wiederholt zu »ethnisch« motivierten Übergriffen im Rift Valley. Diese Ereignisse haben bisher Hunderte Tote gefordert und die Vertreibung von Zehntausenden verursacht. Hier steht allerdings das amtierende Regime im begründeten Verdacht, die vermeintlich »ethnisch motivierten« Übergriffe inszeniert zu haben, um aus einem »law-and-order«-Argument innenpolitisch rigider verfahren zu können und den wachsenden internationalen Legitimationsdruck abzuschwächen.

In Zaire blockiert das lange vom Westen unterstützte Regime Mobutus die demokratische Umgestaltung und Konsolidierung des Landes. Spätenstens seit 1992 steht Zaire am Rande eines neuen Bürgerkrieges. Insbesondere Zugriffe der Armee gefährden die innere Sicherheit. Ausbleibende Soldzahlungen veranlassen die Soldateska regelmäßig zu Übergriffen auf Zivilisten, 1992 soll es auch Scharmützel zwischen militanten Regimegegnern und Regierungssoldaten gegeben haben. Das Militär ist offenbar auch in die Kämpfe zwischen ethnischen Gruppen im Nordosten und in den Provinzen Kivu und Shaba beteiligt. In diesen Auseinandersetzungen kamen Schätzungen zufolge im Laufe des vergangenen Jahres mehr als 9000 Menschen ums Leben. Andere Schätzungen gehen mittlerweile von mindestens 150.000 Vertriebenen allein aus der Provinz Shaba aus. Die Ereignisse im südlichen Zaire sind allerdings in engem Zusammenhang mit dem Krieg in Angola zu sehen, wo noch loyal zu Mobutu stehende Regierungssoldaten auf der Seite der UNITA kämpfen. Die Herrschaft Mobutu Sese Sekus, der über Jahrzehnte westliche Unterstützung genoß, ist in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Es bestehen wenig Aussichten, daß in diesen in die Anarchie verfallenen Landesteilen eine friedliche Umgestaltung möglich sein wird.

Auch in Togo haben innenpolitische Konflikte ein ethnisches Gepräge angenommen. Die privilegierte ethnische Gruppe des Präsidenten Eyadéma dominiert in den zivilen Schlüsselpositionen des Regimes, aber auch im Offizierkorps. Das Regime hat die Demokratisierungsbewegung bisher erfolgreich destabilisiert, so daß die seit 1991 erreichten Demokratisierungserfolge teilweise wieder rückgängig gemacht wurden. Nach zahllosen Übergriffen durch Polizei und Militär auf Demonstranten hat auch ein weitgehend befolgter Generalstreik über acht Monate der Demokratiebewegung nicht geholfen; zu sehr scheint die politische Szene vom Patronagenetz Eyadémas umspannt zu sein. Bei den Präsidentschaftswahlen, die nach vielen Verzögerungen doch im Sommer 1993 stattfanden, blieb der aussichtsreichste Kandidat der Opposition, Gilchrist Olympio, ausgeschlossen.

Gefahr droht dem Regime auch aus den eigenen Reihen: Im März 1993 waren es Offiziere und Soldaten der Armee Togos, die eine Absetzung des alten Regimes erreichen wollten. Ihr Putschversuch scheiterte jedoch. Mit den Putschisten sympathisierende Militärs flohen ins Ausland oder fielen anschließenden Säuberungen zum Opfer. Daß der Konflikt um die Beseitung des Eyadéma-Regimes damit noch nicht zu einem Ende gekommen ist, zeigte sich noch im Oktober 1993 durch einen Bombenanschlag auf das französische Kulturzentrum in Lomé.

Der Norden Afrikas

Grundsätzlich anders sind die Konflikte im Norden des Kontinents, in Ägypten gestaltet: Neben den Aktivitäten von islamischen Fundamentalisten, deren Konfrontation mit dem ägyptischen Staat aber bisher noch nicht zum Krieg eskaliert ist, hat sich zwischen Ägypten und Sudan ein zwischenstaatlicher Streit um die Hala'ib-Region entwickelt. Die Kontroverse bewirkte schon Einschränkungen im diplomatischen Verkehr der beiden Staaten, die sich anbahnenden Wiederannäherungen zwischen den Regierungen haben bisher nicht zum gewünschten Erfolg geführt.

Literatur

Afrika Jahrbuch (1987ff.), hrsg. v. Institut für Afrika-Kunde Hamburg, Opladen: Leske u. Budrich

Gantzel, K.J. / Meyer-Stamer, Jörg (Hg.) 1986: Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1984. Daten und erste Analysen. München u.a.: Weltforum

Gantzel, K.J. / Schwinghammer, T. / Siegelberg, J. 1992: Kriege der Welt. Ein systematisches Register der kriegerischen Konflikte 1985 bis 1992, Interdependenz Nr. 13, Bonn: Stiftung Entwicklung u. Frieden

Hofmeier, Rolf / Matthies, Volker (Hg.) 1992: Vergessene Kriege in Afrika, Göttingen: Lamuv

Siegelberg, Jens (Red.) 1991: Die Kriege 1985 bis 1990. Analyse ihrer Ursachen, Münster u. Hamburg: Lit

zum Anfang | Entwicklungshilfe in Afrika – Die Interessen der Geber und Nehmer

von Dirk Hansohm

Dieser Artikel stellt zunächst ein paar Zahlen zur Bedeutung Afrikas in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) dar. Entgegen der letztlich naiven Hoffnungen auf eine Friedensdividende ist Ausmaß und Art der EZ natürlich auch weiterhin durch die Interessen der Geber bestimmt, die schlaglichtartig beleuchtet werden, bevor die Ergebnisse der EZ für die afrikanischen Nehmer und deren Ursachen diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund werden die neuen Leitlinien des BMZ für die EZ mit Afrika bewertet. Abschließend werden einige Folgerungen gezogen.

Die »Zeitenwende«, die das Ende des Ostblocks und damit des Kalten Krieges Ende der 80er Jahre bedeutete, hat auch Afrika und die Politik gegenüber Afrika in vielfältiger Weise berührt. Wie anderswo zeigt sich auch dort, daß das Ende des »kommunistischen Modells« keineswegs das »Ende der Geschichte« bedeutete, sondern nur das Ende alter Gewißheiten und Sicherheiten – eine neue Unübersichtlichkeit. Dies zeigt sich auch in Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten in den Einschätzungen hinsichtlich der EZ mit afrikanischen Ländern.

Afrika steckt nicht länger in der Zwangsjacke des Ost-West-Konfliktes, der die Politik der Weltmächte gegenüber Afrika – einschließlich der EZ – nach der Unabhängigkeit von Anfang an bestimmt hatte. Dies bedeutet eine Chance, da damit der Weg offen zu sein scheint für einen schablonenfreien Blick auf die Entwicklung Afrikas (vgl. Hansohm/Kappel 1993). Die Hoffnung wird gehegt, daß die EZ sich nun stärker an den Interessen der Nehmer orientieren könne. Neben dieser qualitativen Verbesserung wird vor allem auch eine quantitative Erhöhung erhofft, eine »Friedensdividende«, ermöglicht durch die Reduzierung der Militärausgaben der Geberländer.

Andererseits ist mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes auch ein Hauptinteresse der westlichen Geber am afrikanischen Kontinent entfallen. Daher ist die Befürchtung eines zunehmenden Desinteresses an Afrika nicht unbegründet. Dieses könnte sich zum einen in einer Reduzierung der Mittel für EZ niederschlagen, zum anderen in einer Konzentration auf Maßnahmen der EZ, die kommerzielle Interessen der Geber fördern, also einer qualitativen Verschlechterung (Griffin 1991).

Der Stellenwert Afrikas in der Entwicklungshilfe

Tab. 1 zeigt die Entwicklungshilfezahlungen einiger Industrieländer (Mitglieder im Development Assistance Committee (DAC) der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), der die wichtigsten Industrieländer angehören) in ausgewählten Jahren seit 1980. Es ist erkennbar, daß das von den Industrieländern selbst gesetzte Ziel – EZ-Mittel in Höhe von 0,7 % am Sozialprodukt – nicht erreicht wurde. Wenn überhaupt ein Trend erkennbar ist, dann ein negativer – von 0,37 % im Jahr 1980 auf 0,34 % im Jahr 1991. Die Erwartung einer »Friedensdividende« hat sich bislang nicht bewahrheitet. Deutschland liegt mit seinen relativen Ausgaben leicht über dem DAC-Durchschnitt, jedoch ebenfalls weit unter dem angestrebten Ziel. Nur die skandinavischen Länder und die Niederlande übertreffen die 0,7 %-Marke, Frankreich als ehemalige Kolonialmacht tat dies zeitweise und liegt über dem Schnitt der anderen Länder. Die USA waren zwar bis 1991 der größte EZ-Geber, wiesen aber im Verhältnis zu ihrer ökonomischen Macht die geringste Leistung auf.

Deutschland leistet weiterhin den überwiegenden Teil (etwa 2/3) der EZ in bilateraler Form – dem Ziel der wichtigen und allseits geforderten Geberkoordination ist es damit nicht näher gekomen (siehe Tab. 2).

Afrika hatte seit jeher den größten Anteil an EZ-Mitteln Deutschlands sowie der Industrieländer als Gruppe mit rund 2/5 der Gesamtmittel (siehe Tab. 2 und 3). Im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl ist der Kontinent dabei überproportional berücksichtigt. Aus den zur Zeit zur Verfügung stehenden Zahlen (Stand: 1991) ist keine Veränderung zu erkennen. Aufgrund der veränderten Interessenlage der Geberländer wird jedoch von den meisten Beobachtern mit eher nachlassendem Engagement in der EZ und speziell in Afrika gerechnet.

Funktionen der Entwicklungszusammenarbeit für die Geber

Bei aller entwicklungspolitischen Rhetorik darf man nicht vergessen, daß die EZ der Industrieländer mit Afrika (wie die mit den anderen Kontinenten) ganz eindeutig in erster Linie außen- und sicherheitspolitischen Interessen entsprang, konkret den Ost-West-Gegensätzen des Kalten Krieges. Die Entkolonisierung führte zu einem Wettbewerb der politischen Systeme, die um die Gunst der Länder der sog. Dritten Welt buhlten. Dazu kam ein ideologisches Interesse, die Überlegenheit des eigenen Systems unter Beweis zu stellen. In diesem Wettbewerb war die EZ ein Mittel unter anderen, nicht das einzige und oft auch nicht das wichtigste, aber doch nicht ohne Bedeutung.

Natürlich hat die EZ auch andere Funktionen für die Geber:

  • das ökonomische Interesse, eine expandierende Weltwirtschaft zu schaffen;
  • das direktere Anliegen, die eigene Wirtschaft durch Exporte zu fördern (hierzu dient die Lieferbindung, aber auch ohne diese können zumindest die stärkeren Industrieländer wie die Bundesrepublik ihr Ziel erreichen) und die Erschließung von Märkten;
  • die Erschließung und Sicherung der Rohstoffquellen.

Gerade in bezug auf Afrika ist aber festzuhalten, daß das oben genannte außen- und sicherheitspolitische Interesse dominant war. Diese Interessenlage gab den Empfängerländern einen großen Spielraum. Sie waren in der Lage, Geber gegeneinander auszuspielen (prominentestes Beispiel: Äthipien/Somalia, die wechselseitig von USA und UdSSR unterstützt wurden) und konnten sich einen hohen Freiheitsgrad in ihrer Politik erhalten.

Eine Analyse der EZ muß von der Interessenlage auf Seiten der Geber ausgehen. Die landläufige Analyse der EZ, die sie lediglich an ihren offiziellen entwicklungspolitischen Ansprüchen mißt, weist hier einen blinden Fleck auf. Ein beträchtlicher Teil des Mißerfolgs der EZ in der »Dritten Welt« im allgemeinen und in Afrika im besonderen läßt sich durch diese Interessenlage erklären.

Diese Fremdbestimmung heißt allerdings nicht, daß die EZ von vornherein nicht erfolgreich in der Erreichung ihrer Ziele sein kann, wie ihr von radikaler Seite unterstellt wird, die die EZ lediglich als Mittel begreift, Armut, Unterdrückung und Abhängigkeit aufrechtzuerhalten (z.B. Hayter 1971). Dazu kommt, daß es auch humanitäre Ziele und Interessen, z.B. auf Seiten der Entwicklungshelfer gibt.

Die Unterstellung, daß EZ aufgrund ihrer Fremdbestimmung durch die Interessen der Geber nicht helfen könne, ist genauso naiv wie die Vermutung, daß nach dem Ende des Kalten Krieges rein humanitäre Interessen die Politik des Westens bestimmen würden. Der Sinn von EZ läßt sich zum einen aus humanitären/moralischen Gründen belegen, aber auch und genauso gut aus den eigenen Sicherheitsinteressen der Bevölkerung der Geberländer: Spätestens Ende der 80er Jahre ist nicht nur die zweite Welt verschwunden, sondern auch die Dritte Welt als weit entfernte und abgeschottete Welt. Der Prozeß der Weltintegration geht immer rapider voran, wie es nicht nur durch Berichte im Fernsehen, sondern viel stärker durch die Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge, die die Industrieländer erreichen, immer stärker ins Bewußtsein der Bevölkerung gerät.

Es ist kaum noch zu bestreiten, daß die zunehmende Ungleichheit auf der Welt und Verarmung vieler Länder, in erster Linie in Afrika, nicht nur für die Betroffenen dramatische Folgen hat, sondern auch die Sicherheit auf der ganzen Welt nachhaltig bedroht.

Ergebnisse der Entwicklungszusammenarbeit für die afrikanischen Empfängerländer

Gerade in Afrika ist das Ergebnis der EZ äußerst ernüchternd, was sowohl auf Seiten der Geber wie auch der Nehmer u.a. Positionen einer spektakulären radikalen Ablehnung provoziert hat (vgl. Erler 1985; Kabou 1993). Diejenigen, die trotz allem die EZ positiv beurteilen (Cassen 1990, Riddell 1987), sind in der Diskussion zur Zeit in der Minderheit. In den letzten Jahren gibt es nun auch eine radikale Selbstkritik auf Seiten von EZ-Institutionen, beispielsweise Weltbank und BMZ (s.u.).

Nimmt man die Entwicklungsindikatoren der letzten 3 Jahrzehnte als Maßstab, scheint die EZ ihre wichtigsten Ziele – wirtschaftliche Entwicklung und Überwindung der Armut – nicht erreicht zu haben – eher im Gegenteil. Sieht man näher hin, läßt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen EZ und Wachstum oder Entwicklung nicht herstellen – weder positiv noch negativ. Ein Vergleich der Weltregionen scheint eher auf einen negativen Zusammenhang hinzuweisen: Afrika und Lateinamerika wiesen in den 80er Jahren negative Wachstumsraten auf, obwohl ihnen zuvor große Kapitalmengen zugeflossen waren. Während der gleichen Periode konnten jedoch eine Reihe asiatischer Länder hohe Wachstumsraten aufrechterhalten, ohne daß ihnen nennenswerte Beträge an Mitteln der EZ zuflossen (Singapur, Thailand, Malaysia; vgl. Griffin 1991).

Es wäre jedoch verfrüht, aus den verfügbaren Daten den generellen Schluß zu ziehen, die EZ habe negative Wirkung auf die Entwicklung, wie dies z.B. Griffin (1991) und Kabou (1993) tun – ein statistischer Zusammenhang muß kein kausaler sein, außerdem ist die Richtung der Kausalität unklar. Der Zusammenhang zwischen EZ und Entwicklung ist zum einen zu vielschichtig und zu wenig erforscht. Zum anderen ist zur Zeit wenig Klarheit und Konsens zu der Frage sichtbar, was unter Entwicklung verstanden wird. Offensichtlich ist nur zweierlei:

  • der »westliche Entwicklungsweg« hat sich als Sackgasse herausgestellt: ein Festhalten an der inneren Logik der gegenwärtigen, einzig profitorientierten Wirtschaftsweise würde nur zu bald die ökologischen Grenzen durchbrechen; eine tiefgreifende Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft hier ist unausweichlich.
  • damit hat dieser Weg praktisch seine eindeutige Modellfunktion für Afrika verloren. Weder ist ein Ressourcenverbrauch der ganzen Menschheit auf dem Niveau des Westens ökologisch möglich, noch ist mittelfristig für viele Länder Afrikas ein Weg sichtbar, der eine erfolgreiche weltmarktorientierte Entwicklung eröffnen könnte.

Trotz aller berechtigten Kritik an der EZ ist vorauszusehen, daß sie zwar zurückgehen, aber nicht gänzlich versiegen oder zur Wohltätigkeitsgeste verkommen wird. EZ wird jedoch nur nach einer Verarbeitung und Berücksichtigung der Lehren aus 30 Jahren EZ in Afrika auch entwicklungspolitisch sinnvoll sein (vgl. Hansohm/Kappel 1993).

  1. EZ tendiert dazu, eine konservative Wirkung zu haben, indem sie die Empfängerregierungen stärkt – gegenüber (potentieller) Opposition, aber auch dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft im allgemeinen. Die Staatsapparate haben sich jedoch nur zu oft als die entscheidenden Entwicklungshindernisse herausgestellt. Diese Einschätzung gilt auch für projektgebundene Mittel, da sie den Regierungen erlauben, eigene Mittel woanders zu verplanen (Fungibilität von Ressourcen). Dadurch hat EZ nur zu oft dazu beigetragen, daß gesellschaftlicher Wandel verhindert wurde.
  2. Trotz aller Bemühungen um Armutsorientierung ist die EZ vorwiegend den Mittel- und Oberschichten zugute gekommen.
  3. Die EZ geht im Grunde davon aus, daß Afrika das braucht, was die Geber haben: Kapital, Wissen, Fähigkeiten. Dies ist jedoch problematisch.

    • Kapital: Entgegen landläufiger Vorstellungen ist die Sparrate keineswegs notwendigerweise in Ländern der Dritten Welt niedriger. EZ war nun häufig ein Ersatz für einheimische Ersparnisse (durch eine Senkung der Zinsrate, also des Anreizes zu sparen), hat also einen wichtigen Faktor der Entwicklungsfähigkeit eher reduziert. Es hat sich auch gezeigt, daß die EZ keineswegs gleichbedeutend mit Investition ist – ein beträchtlicher Teil wird konsumiert. Andere negative Begleiterscheinungen waren eine Verzerrung des einheimischen Preissystems und des Wechselkurses (Überbewertung der einheimischen Währung). Die Überbewertung wurde selbst zum wichtigsten Grund für den Kapitalmangel, führte damit zu einer weiteren Abhängigkeit von EZ und entmutigte Exporte.
    • Wissen, Fähigkeiten: Es ist inzwischen klargeworden, daß das in den Industrieländern erworbene Wissen nur modifiziert in der Dritten Welt anwendbar ist. Kaum jemals haben EZ-Projekte dies ausreichend berücksichtigt.
  4. EZ unterminiert oft die innere Entwicklungsdynamik. »Entwicklung« wird mit Hilfe aus dem Ausland identifiziert und nicht als eigene Aufgabe erkannt (vgl. Kabou 1993). Die EZ führt in diesem Sinn zur Entmündigung der Afrikaner. Einige Beobachter inner- und außerhalb Afrikas gehen soweit, eine Einstellung der EZ zu fordern, da dies die einzige Möglichkeit sei, Initiative zur Entwicklung zu fördern (Griffin 1991, Kabou 1993).
  5. Konventionelle Planungen wie auch Bewertungen der EZ klammern die langfristige Dynamik, die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Umfeld, aus, insbesondere die Bedeutung des »grauen Staatshaushaltes« der Entwicklungshilfe (vgl. Bierschenk und Elwert 1993). In vielen Ländern Afrikas machen die Mittel der EZ hohe Werte im Vergleich zu den Staatseinnahmen aus. Dieser Bereich ist praktisch unter Kontrolle der Geber und wird von den Empfängern bestenfalls schwach kontrolliert.
  6. Die statische Sicht von afrikanischen Gesellschaften (»traditionell«), die der EZ-Planung zugrundeliegt, wird ihrer komplexen Gesellschaftsstruktur nicht gerecht. Die Auswirkungen der EZ gehen weit über die angenommenen hinaus. Insgesamt läßt sich sagen, daß Gesellschaften nur sehr bedingt gezielt zu verändern sind. Die Forschung über die Folgen der EZ auf die Empfängerländer stecken noch in den Kinderschuhen.

Folgerungen für die Praxis der EZ sind daher: Sie sollten weniger Ideologie-bestimmt sein, mehr Realitätssinn haben, pragmatischer und bescheidener sein, und vor allem mehr mit afrikanischen Fachkräften arbeiten.

Die neuen BMZ-Richtlinien der EZ mit Afrika: ein Kommentar

Die enttäuschenden Erfahrungen mit der EZ in Afrika wurden vom BMZ in seinen Richtlinien von 1992 reflektiert (siehe Kasten). Diese stellt in der Tat eine erfrischende Abkehr von überkommenen Glaubensgrundsätzen dar, zeichnet sich durch einen sehr viel höheres Maß an Realismus aus und könnte die Grundlage für einen positiven Neuanfang sein:

  • Es beendet die politisch bedingte Rücksichtnahme der »Nichteinmischung in innere Verhältnisse« und benennt die internen Ursachen der Stagnation.
  • Es erkennt den unangepaßten Charakter der EZ und die Notwendigkeit zu grundsätzlichen Änderungen an. Die Notwendigkeit entwicklungspolitischer Arbeit auch im Norden wird gesehen – Veränderung ist nicht allein Sache der afrikanischen Länder, Entwicklungspolitik erschöpft sich nicht in »Entwicklungshilfe«.
  • Die kritische Situation (Ressourcenverfügbarkeit) in vielen Ländern auch über längere Zeit und die Notwendigkeit, ggf. auch über längere Zeit Staatsausgaben mitzufinanzieren, wird benannt.
  • Die Armutsbekämpfung wird wieder erste Priorität. Die anderen Schwerpunkte beziehen sich ebenfalls auf die z.Z. drängendsten Bereiche (Ökologie) bzw. auf die entwicklungspolitisch bedeutsamsten Bereiche (Bildung, Förderung des Privatsektors, regionale Integration).

Zu bedenken ist jedoch:

  • Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Grundsätze tatsächlich in der praktischen Politik und Praxis vor Ort widerspiegeln. In der Vergangenheit hat sich nur zu oft eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit gezeigt.
  • Die Glaubwürdigkeit der Kriterien, bspw. zu den Menschenrechten, ist dadurch eingeschränkt, daß dieser Grundsatz im Fall von Ländern, die auch wirtschaftlich von Bedeutung für die Bundesrepublik sind, praktisch außer Kraft gesetzt wird.
  • Die Existenz von Mehrparteiensystemen ist kaum ein geeignetes Kriterium; zu oft haben diese ihr Versagen gezeigt und unweigerlich zur Militärherrschaft geführt (Nigeria, Sudan). Das Element der Rechenschaftspflicht ist weitaus wichtiger.
  • Gerade weil es bei den »internen Rahmenbedingungen« mangelt, kann dies durch externen Druck nur zum kleineren Teil behoben werden. Vorschläge, Afrika wieder unter eine Treuhandschaft zu stellen, sind der Entwicklung nicht förderlich (vgl. Menzel 1991). Es muß vielmehr versucht werden, die internen reformorientierten Kräfte zu unterstützen, anstatt negative Politik zu bestrafen (positive Diskriminierung). Des weiteren muß mehr Gewicht auf die Einbeziehung einheimischer Fachkräfte gelegt werden.
  • Der »Politikdialog«, d.h. die Einflußnahme auf die inneren Verhältnisse der Empfängerländer ist legitim und notwendig. Insofern bieten die Grundsätze eine notwendige Weiterentwicklung der ausschließlich ökonomischen Einflußnahme. Allerdings werden damit oft Illusionen bezüglich des Ausmaßes verbunden, in dem gesellschaftliche Prozesse von außen herbeigeführt und gesteuert werden können (vgl. die Auseinandersetzung von Waller und Weiss 1991). Wie sich nicht zuletzt in Somalia gezeigt hat, können massive Interventionen, die scheinbar schnelle Lösungen in Aussicht stellen, in Wirklichkeit langfristige Akzeptanz verspielen, zur Verstärkung tribalistischer und »nationaler« Emotionen führen und damit der Entwicklung einen Bärendienst leisten. Der Sudan ist ein trauriges Beispiel dafür, daß diktatorische Regimes auch ohne die Unterstützung des Westens überleben können – die hohen Kosten der Isolation tragen nicht die gesellschaftlichen Kräfte, die hinter dem Regime stehen, sondern eher die breite Masse einschließlich der Armen. Die Isolation verhilft dem Regime sogar teilweise zu dringend notwendiger Legitimität, da nationale Gefühle über die »äußere Bedrohung« mobilisiert werden können. Hier ist der Sudan leider keineswegs ein Einzelfall.

Letzten Endes ist die für Entwicklung notwendige Voraussetzung ein interner Prozeß der Interessenartikulation. Die externe Einflußnahme, sei es durch »Politikdialog«, sei es durch militärische Intervention, kann zwar aus humanitären Gründen angemessen und notwendig sein, sie hat aber auch Kosten in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklung. Diese Kosten sollten durch behutsames Vorgehen und vorherige Analyse der gesellschaftlichen Lage minimiert werden. Ohne die Identifizierung gesellschaftlicher Kräfte, die einen Reformprozeß tragen können, hat eine Intervention entwicklungspolitisch gesehen wenig Erfolgschancen.

Resumée

Die Bilanz der EZ in Afrika ist bestenfalls bescheiden. Trotzdem wird sie bleiben, wenn auch nicht auf dem Niveau, auf dem Weltbank und andere internationale Organisationen es wünschen – und es ist auch wünschenswert, daß sie bleibt.

Das Interesse an globaler Sicherheit gebietet es den reichen Ländern, sich für die Belange der Armen zu interessieren. Ganz abgesehen von ihrer moralischen Fragwürdigkeit, reicht die militärische Option auch sicherheitspolitisch gesehen nicht aus. Nur eine Politik, die auf globale Armutsbekämpfung und Wohlstandssteigerung zielt, verspricht langfristig Erfolg. Nach dem jetzigen Wissensstand können nur so die Probleme von Armutsflucht, Bevölkerungswachstum und Ökologie gelöst werden. EZ ist daher von essentiellem Interesse für die Sicherheitsinteressen der reichen Länder. Wenn auch momentan die Probleme Ostdeutschlands sowie Osteuropas uns näher liegen, so wird sich doch das Bewußtsein verbreiten, daß eine Abschottung vor den Problemen der anderen Erdteile langfristig nicht machbar ist.

Ein systematischer Zusammenhang zwischen EZ und Entwicklung läßt sich zwar kaum aufzeigen, genauso wenig ist es aber erwiesen, daß EZ unmöglich helfen kann oder daß Entwicklung besser ohne EZ funktionieren würde (vgl. Riddell 1987). Moralisch ist eine EZ daher weiterhin gerechtfertigt und geboten. Genauso klar ist aber, daß nicht jede EZ hilft: nur eine reformierte EZ kann in Afrika Erfolg haben und Legitimität aufweisen.

Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara in den neunziger Jahren

Zentrale Aussagen der neuen Grundsätze des BMZ

  1. Ungünstige interne Rahmenbedingungen wie politische Entmündigung, mangelhafte Regierungsführung, fehlgeleitete staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, Korruption, die Unterdrückung von Minderheiten, ethnische Konflikte und Bürgerkriege haben entscheidend zum Scheitern von Entwicklung beigetragen.
  2. Sie sind wichtiger als die negativen externen Rahmenbedingungen (sinkende Terms of Trade, steigende Zinsen, steigende Verschuldung), aber auch eine unangepaßte EZ hat zur Verschuldungskrise beigetragen.
  3. Die ärmsten Ländern in ASS verfügen nur über sehr begrenzte Ressourcen.
  4. Alle drei Faktoren führten zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage (ökologische Zerstörung, ungehemmte Bevölkerungsexplosion, mangelnde Kreditfähigkeit, Abkoppelung von der Weltwirtschaft).
  5. Das Schwergewicht der EZ muß von der Projekthilfe, die nur isolierte Beiträge leisten kann, auf die Programmhilfe verlagert werden, die Teil von international koordinierten Strukturanpassungsprogrammen sein soll.
  6. Der Politikdialog soll intensiviert werden. Eine laufende Kontrolle der Mittelverwendung durch die Geber ist notwendig.
  7. Hilfe soll zwar im Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe sein, viele Gebiete in ASS sind aber auch auf Dauer wenig entwicklungsfähig. Dort ist auch eine längerfristige Mitfinanzierung von Sozialausgaben und laufenden Kosten notwendig.
  8. Die Kriterien für Umfang und Gestaltung der EZ sind:

    • Einhaltung der Menschenrechte (andernfalls Beschränkung auf humanitäre Maßnahmen)
    • Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess (Mehrparteiensysteme, Dezentralisierung)
    • Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit
    • Marktfreundliche Wirtschaftsordnung
    • Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns (Umschichtung der öffentlichen Ausgaben)
  9. Schwerpunkte der EZ sind:
  10. Armutsbekämpfung
  11. Umwelt- und Ressourcenschutz, Nutzung der natürlichen Ressourcen
  12. Bildung und Beschäftigung
  13. Förderung der privatwirtschaftlichen Entwicklung
  14. Regionale Integration
  15. Eine wichtige Aufgabe der Entwicklungspolitik ist es auch, sich innerhalb der Bundesregierung, im multinationalen Bereich und in der Öffentlichkeit für die Interessen der Entwicklungsländer einzusetzen (Reform der europäischen Agrarpolitik, Anpassung der Rückzahlungsverpflichtungen an Schuldendienstfähigkeit).

Literatur

Bierschenk, Thomas und Georg Elwert (Hrsg.), 1993, Entwicklungshilfe und ihre Folgen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika, Frankfurt/New York

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), 1992a, Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara in den 90er Jahren

BMZ, 1992b, Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik 1993, Bonn

BMZ, 1993, Neunter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung

Cassen, Robert, 1980, Entwicklungszusammenarbeit (engl. Originalausgabe: Does aid help?)

Griffin, Keith, 1991, Foreign aid after the Cold War, in: Development and Change, Vol. 22, S. 645-685

Hansohm, Dirk und Robert Kappel, 1993, Schwarz-weiße Mythen. Afrika und der entwicklungspolitische Diskurs, Hamburg/Münster

Hayter, Teresa, 1971, Aid as imperialism, Harmondsworth

Kabou, Axelle, 1993, Weder arm noch ohnmächtig. Eine Streitschrift gegen schwarze Eliten und weiße Helfer, Basel: Lenos

Menzel, Ulrich, 1991, Die Hilfe hilft nicht, Treuhandschaft wäre ein Weg, in: Frankfurter Rundschau, 3.Juni, S. 9

Riddell, Roger C., 1987, Foreign aid reconsidered, Baltimore/London

Waller, Peter P, 1991, Internationale Unterstützung des Reformprozesses in Entwicklungsländern im Rahmen von Auflagenpolitik und Politikdialog – das Beispiel patrimonialer Regime in Afrika, in: Hermann Sautter (Hrsg.), Wirtschaftliche Reformen in Entwicklungsländern, Berlin, S. 191-212

Weiss, Dieter, 1991, Korreferat zum Referat von Peter P. Waller, in: Hermann Sautter (Hrsg.), Wirtschaftliche Reformen in Entwicklungsländern, Berlin, S. 213-224

Quelle: BMZ (1992); Zusammenstellung: D. Hansohm

zum Anfang | Regionale Konfliktregulierung – Beispiel: Die Intervention der von Nigeria dominierten ECOMOG in Liberia

von Peter Körner

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist in Afrika – u.a. auf der Ebene der OAU7 – eine Diskussion entbrannt, ob nicht unter bestimmten Bedingungen das bisher sakrosankte Prinzip der nationalen Souveränität, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung durch übergeordnete Ziele außer Kraft gesetzt werden kann. Das Augenmerk richtete sich dabei vor allem auf jene Fälle, in denen die Menschenrechte auf das gröbste verletzt werden, Hungerkatastrophen abzuwenden oder staatliche Strukturen einem fortschreitenden Zerfallsprozeß ausgesetzt sind8. Im folgenden Artikel werden Grundzüge des Krieges in Liberia, der Intervention der ECOMOG und der Friedenssuche auf der Ebene der ECOWAS dargestellt.

Die Diskussion über das Prinzip der Nichteinmischung und über Fragen wie Konfliktregulierung und Kriegsprävention wird nicht nur mit Worten geführt, sie hat bereits durch Taten – spätestens seit der von den USA geführten UNO-Intervention in Somalia (1992/93) – zusätzliche Dynamik erhalten. Ein außerhalb Afrikas bisher weniger beachteter Versuch, einen Krieg durch eine Militärintervention zu beenden, begann bereits im August 1990 in Liberia: Dort griff unter Federführung der Regionalmacht Nigeria eine rein afrikanische – genauer: westafrikanische – Streitmacht ein, um mit militärischen Mitteln eine Friedensregelung zu erzwingen. Offiziell erhielt diese Streitmacht die Bezeichnung ECOWAS (= Economic Community of West African States) Ceasefire Monitoring Group – kurz: ECOMOG9.

Dem seit Weihnachten 1989 dauernden Krieg in Liberia fielen nach Schätzungen der UNO mindestens 150.000 Menschen – fast 5 Prozent der 2,7-Mio.-Bevölkerung – zum Opfer. Der überwiegende Teil der Bevölkerung wurde durch den Krieg entwurzelt. Zahlreiche Flüchtlinge suchten im Ausland Unterschlupf. Im Juni 1993 lebten nach Angaben des UNHCR 450.000 Liberia-Flüchtlinge in Guinea, 250.000 in Côte d'Ivoire und 8.000 in Sierra Leone, weitere 10.000 in Ghana, 1.500 in Nigeria. Da der Krieg im März 1991 auf angrenzende Regionen Sierra Leones übergegriffen hatte, waren auch von dort Menschen geflüchtet, darunter 150.000 ausgerechnet nach Liberia10. Darüber hinaus wurden das Wirtschaftsleben, das soziale Gefüge und die Lebenschancen der Menschen schwer geschädigt. Die Produktion von Nahrungsmitteln und Exportprodukten ging in den vom Krieg betroffenen Landesteilen in Liberia und Sierra Leone drastisch zurück. Häufig trat an die Stelle der Geldwirschaft der Tauschhandel; Schwarzmarkt, informelle Wirtschaft, Kriminalität und Prostitution erlangten einen hohen Stellenwert. Nationale und internationale Hilfsorganisationen mußten aktiv werden, um das Überleben zu ermöglichen, konnten aber die Ausbreitung von Hunger und Krankheiten nicht verhindern.

Als am 1. August 1993 ein Waffenstillstand in Kraft trat, dem die Entwaffnung der Kriegsparteien, die Demobilisierung der Kämpfer und 1994 ein Frieden durch allgemeine demokratische Wahlen folgen sollen11, war Liberia faktisch ein militärisch geteiltes Land:

  • Das Gebiet südöstlich einer gedachten Linie parallel zur sierraleonischen Grenze von Monrovia zur guineischen Grenze stand unter Kontrolle der National Patriotic Front of Liberia (NPFL) Charles Taylors, die 1989 zu den Waffen gegriffen hatte, um das Regime von Samuel Doe zu beseitigen. Die NPFL hatte 1990-92 fast das gesamte Territorium mit Ausnahme der Hauptstadt Monrovia erobert, war aber von den anderen Kriegsparteien 1992/93 militärisch in die Defensive gezwungen worden.
  • Das Gebiet nordwestlich dieser Linie wurde weitgehend von der Organisation United Liberation Movement for Democracy in Liberia (ULIMO) kontrolliert, in der sich nach dem Tode Does (September 1990) etwa um Mitte 1991 Doe-Anhänger und ehemalige Mitglieder der im Krieg aufgeriebenen Doe-Armee versammelt hatten mit dem Ziel, die NPFL militärisch zu besiegen.
  • Die Hauptstadt Monrovia und ein schmaler Küstenstreifen von Monrovia bis zur Hafenstadt Buchanan stand unter Kontrolle der 1990 eingesetzten Interimsregierung von Amos Sawyer, der ihr unterstellten kasernierten Überreste der regulären Armee und vor allem der im August 1990 entsandten westafrikanischen Streitmacht ECOMOG12.
  • Die 1990 von der NPFL abgespaltene Independent National Patriotic Front of Liberia (INPFL) unter dem Warlord Prince Yormie Johnson ist seit der NPFL-Offensive auf Monrovia im Herbst 1992 faktisch nicht mehr existent. Die INPFL hatte im September 1990 den Diktator Doe getötet.

Die Anfänge der ECOMOG-Intervention

Die militärische Intervention der ECOMOG im August 1990 erfolgte vor dem Hintergrund, daß sich der Krieg – damals vorwiegend zwischen der NPFL Charles Taylors und der Armee des Regimes von Diktator Samuel Doe – zu einem blutigen Gemetzel entwickelt hatte, in dem Menschen allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit massakriert wurden13. Während das Doe-Regime und später die ULIMO sich hauptsächlich auf die Ethnien der Krahn und Mandingo stützten, entstammten die NPFL-Rebellen vorwiegend den Völkern der Gio und Mano aus der ökonomisch ausgebeuteten und politisch diskriminierten Provinz Nimba County. In den NPFL-Führungszirkeln gab es zudem einige Vertreter der bis zur Doe-Machtübernahme im Jahre 1980 politisch herrschenden Gruppe der Ameriko-Liberianer, Nachkommen freigelassener US-Sklaven, die 1847 den Staat Liberia gegründet hatten. (Taylor selbst ist Sohn einer Gio-Mutter und eines schwarzen US-Amerikaners.)

Aufgrund der bestialischen Ausprägung des Krieges ergingen im Mai/Juni 1990 Hilferufe verschiedener liberianischer Kreise – sowohl des Doe-Regimes als auch von regimekritischen Exil-Liberianern – an die traditionelle Vormacht USA, dem Blutvergießen durch eine Militärintervention Einhalt zu gebieten. Auf Seiten Does war damit nicht zuletzt die Hoffnung verbunden, seine Herrschaft retten zu können. Die USA jedoch lehnten ein militärisches Engagement ab und entsandten lediglich kleinere Marineeinheiten, deren Aufgabe es war, Einrichtungen der USA in Liberia (Botschaft, militärische Kommunikationseinrichtungen, CIA-Relaisstation etc.) zu schützen und bedrohte ausländische (vor allem US-) Bürger aus Liberia zu evakuieren14. Eines der Hauptargumente für die Zurückhaltung lautete, man befürchte eine unübersichtliche Situation wie im Libanon, in der auch eine militärische Großmacht mit Waffengewalt nicht allzuviel auszurichten vermochte. Im August 1990 schließlich sahen sich die USA in der Golfregion nach der irakischen Besetzung Kuwaits einer militärischen Herausforderung gegenüber, die weniger bedeutsamen Krisenfällen wie Liberia nur wenig Aufmerksamkeit ließ.

Aufgrund der Zurückhaltung der USA befaßte sich auf Initiative Nigerias ab Mai 1990 die ECOWAS mit dem Liberia-Konflikt. Zuständig wurde das neu gegründete ECOWAS Standing Mediation Committee (ESMC), das künftig in ähnlichen Konfliktfällen wie Liberia – eventuell sogar präventiv – vermitteln soll15. Dem ESMC gehören, ernannt für jeweils drei Jahre, fünf der insgesamt 16 ECOWAS-Staaten an – zunächst Nigeria, Ghana, Gambia, Togo und Mali. Die ESMC-Gründung stützte sich völkerrechtlich auf die 1978 und 1981 in der ECOWAS geschlossenen Abkommen zum Nichtangriff und gegenseitigen Beistand im Falle einer externen Aggression16. Die Befassung mit dem Liberiakonflikt ergab sich aus mehreren Faktoren: Zum einen hatte Diktator Doe als völkerrechtlicher Vertreter seines Landes ein Eingreifen der ECOWAS gefordert. Zum zweiten waren Bürger verschiedener ECOWAS-Staaten in Liberia akut an Leib und Leben bedroht – nach klassischem Völkerrecht war eine Aktion zu ihrer Rettung zulässig. Zum dritten ging vom Liberia-Krieg – u.a. durch grenzüberschreitende Flüchtlingsströme und die Beteiligung von Söldnern aus verschiedenen westafrikanischen Staaten auf Seiten der NPFL – eine latente Gefahr für die Stabilität der gesamten Region aus, die eine gemeinsame Strategie der Konflikteindämmung legitim erscheinen ließ. Schließlich wurde die Befassung der ECOWAS mit dem Liberiakonflikt auch humanitär gerechtfertigt: Namentlich Nigerias Staatschef Babangida trat mit dem Argument an die Öffentlichkeit, Afrika habe dem Blutvergießen unter afrikanischen Brüdern nicht länger tatenlos zuschauen dürfen17.

Das ESMC arbeitete einen Friedensplan aus, der u.a. einen Waffenstillstand, die Entwaffnung der Kriegsparteien und ein geregeltes Kriegsende durch allgemeine Wahlen und Installierung einer legitimen Regierung herbeiführen sollte. Eine gemeinsam von verschiedenen ECOWAS-Mitgliedern gebildete »Peace-keeping«-Truppe sollte den Übergangsprozeß absichern. Der Beschluß zur Umsetzung des Planes, der auch die Gründung der ECOMOG beinhaltete, wurde am 7. August 1990 von einer ESMC-Zusammenkunft gefaßt, an der zusätzlich Liberias von Flüchtlingsströmen stark betroffene Nachbarstaaten Guinea und Sierra Leone teilnahmen. Während die ESMC-Mitglieder Togo und Mali im Gleichklang mit anderen frankophonen Staaten die Zustimmung zu dem Beschluß mit dem Argument verweigerten, eine so weitreichende Vereinbarung dürfe nur von der Gesamtheit der ECOWAS-Mitglieder getroffen werden18, entsandten Nigeria, Ghana, Gambia, Sierra Leone und Guinea – alle anglophonen und nur einer von neun frankophonen ECOWAS-Staaten – Ende August 1990 insgesamt 2.500 ECOMOG-Soldaten nach Liberia19.

Umstrittene Legitimation der Intervention

Während die USA, die UNO und die OAU die Intervention als einen regionalen Beitrag zur Konfliktregulierung würdigten und billigten, kritisierten frankophone Staaten diese Intervention als Verstoß gegen das Völkerrechtsprinzip der Nichteinmischung20. Die ECOMOG trug zwar die Bezeichnung »ECOWAS« in ihrem Namen, tatsächlich jedoch wurde ihr von frankophonen Mitgliedsstaaten die Legitimität abgesprochen. Die Kritik verbarg, daß mit Côte d'Ivoire und Burkina Faso zwei aus ihren Reihen – gedeckt durch das mit Nigeria auf westafrikanischer Ebene machtpolitisch rivalisierende Frankreich21 – die NPFL unterstützten. Hinter der Ablehnung der ECOMOG verbargen sich einerseits ökonomische und politische Interessen Frankreichs und seiner Ex-Kolonien an einer Zusammenarbeit mit der NPFL, andererseits die Furcht vor der regionalen Dominanz Nigerias22. Charles Taylor und die mit Frankreich kooperierenden Regierungen der Côte d'Ivoire und Burkina Fasos favorisierten statt eines ECOWAS-Engagements die Einschaltung der UNO – was aber die USA und die UNO selbst zunächst ablehnten.

Waffenstillstand in Liberia und Ausdehnung der Kampfhandlungen auf Sierra Leone

Da die Voraussetzung des Liberia-Einsatzes der ECOMOG, ein Waffenstillstand, nicht gleich zustande kam, die ECOMOG-Teilnehmer ihre Truppen dennoch in das Kriegsland entsandten, wurde das »Peace-keeping«-Mandat in einen »Peace-enforcement«-Auftrag umgewandelt. Zugleich entschwand der Begriff »Ceasefire« aus der Langfassung der Bezeichnung ECOMOG. Außerdem übernahm Nigeria das ECOMOG-Oberkommando, das zunächst Ghana zugesprochen worden war. Durch den Kampfeinsatz vertrieb die Interventionsstreitmacht die NPFL aus Monrovia und verhinderte so die Machtübernahme durch Charles Taylor; zudem nahm sie die Überreste der militärisch geschlagenen liberianischen Armee und die Verbände der INPFL in der Hauptstadt unter Kontrolle, erreichte die Trennung der Kriegsparteien, erzwang – per Ende November 1990 – einen Waffenstillstand und setzte eine Interimsregierung unter dem Politikprofessor Amos Sawyer ein, die durch eine Nationalkonferenz aller relevanten politischen Kräfte Liberias mit Ausnahme der NPFL getragen wurde.

Die ECOMOG konnte indes nicht verhindern, daß die NPFL nach dem Waffenstillstand weiterhin militärische Nadelstiche setzte und im März 1991 den Krieg in Grenzregionen des Nachbarstaates und ECOMOG-Teilnehmers Sierra Leone hineintrug, wo sie mit einer einheimischen Rebellenorganisation namens Revolutionary United Front (RUF) kooperierte. Dies führte dort im April 1992 zum Zusammenbruch der Herrschaft von Präsident Momoh und zur Machtübernahme durch eine Militärjunta unter Hauptmann Valentine Strasser. In Reaktion auf den NPFL/RUF-Überfall bildete sich aus Überresten der Doe-Armee und Doe-Sympathisanten, die nach Sierra Leone und Guinea geflüchtet waren, die ULIMO, die in einer Allianz mit der sierraleonischen Armee sowie auf bilateraler Basis entsandten Truppen aus Guinea und Nigeria gegen die NPFL-RUF-Koalition vorging.

Das Abkommen von Yamoussoukro

Da zwischenzeitlich in Liberia ein militärisches Patt entstanden war, war der Versuch einer politischen Konfliktlösung unumgänglich. Mit massivem finanziellen und politischen Druck zwangen die USA die NPFL-Unterstützer Côte d'Ivoire und Burkina Faso, einer solchen Lösung eine Chance zu geben. Als Konzession durfte Côte d'Ivoire die Federführung bei den politischen Verhandlungen zur Beilegung der Liberiakrise übernehmen. Die ivorische Hauptstadt Yamoussoukro wurde Schauplatz von insgesamt vier Treffen, die im Oktober 1991 zum sog. Yamoussoukro-Abkommen führten. Da der Kurswechsel der Côte d'Ivoire und Burkina Fasos die NPFL politisch isoliert hatte, blieb dieser kaum eine andere Wahl, als sich an der Übereinkunft zu beteiligen.

In dem Yamoussoukro-Abkommen, das neben NPFL-Chef Taylor die liberianische Interimsregierung, Nigeria, Côte d'Ivoire, Burkina Faso und Senegal unterzeichneten, wurde eine politische Lösung vereinbart, die einen Waffenstillstand, die Entwaffnung und Demobilisierung der Kriegsparteien sowie allgemeine Wahlen vorsah. Die ECOMOG sollte den Friedensprozeß militärisch absichern, d.h. die Waffenruhe überwachen und die Entwaffnung vornehmen. Um das bisherige, für die NPFL inakzeptable Übergewicht Nigerias in der ECOMOG zu relativieren, entsandte Senegal ein militärisches Kontingent von 1.500 Mann nach Liberia, das dem nigerianischen Oberkommando unterstellt wurde. Damit hatte die ECOMOG im Herbst 1991 eine Stärke von fast 10.000 Mann erreicht, darunter 5.000 aus Nigeria und ebenfalls 1.500 aus Ghana23. Darüber hinaus beteiligte sich das ESMC-Mitglied Mali mit einigen Offizieren symbolisch an der ECOMOG.

Die Yamoussoukro-Vereinbarungen, die im April 1992 durch eine weitere Übereinkunft in Genf bekräftigt und konkretisiert wurden, hatten entscheidende Schwächen, die zum Scheitern führten:

  • Die Kriegspartei ULIMO war an dem Abkommen nicht beteiligt worden und fühlte sich an die Verpflichtung zur Entwaffnung nicht gebunden. Von Sierra Leone aus setzte sie den Krieg gegen die NPFL bald auch auf liberianischem Territorium fort. Die NPFL ihrerseits hatte dadurch einen Vorwand, die Vereinbarungen zurückzuweisen und den Kampf um die Macht in Monrovia wiederaufzunehmen.
  • Die ECOMOG sollte in Liberia als neutrale Konfliktschlichtungstruppe auftreten, während ihre Teilnehmer Nigeria, Guinea und Sierra Leone in Sierra Leone weiterhin Kriegsgegner der NPFL blieben. Dieser Widerspruch blieb unauflösbar.
  • Das Yamoussoukro-Abkommen sah vor, die Kriegsschauplätze in Liberia und Sierra Leone durch eine von der ECOMOG zu errichtende Pufferzone an der Grenze zu trennen. Eine solche Zielsetzung unterschätzte die grenzüberschreitende Dynamik des Krieges und den wechselseitigen Zusammenhang der Kriegsschauplätze.

Die erneute Eskalation des Krieges

Als die NPFL im Herbst 1992, von Sierra Leone her durch die ULIMO militärisch zunehmend bedrängt, eine erneute Offensive auf Monrovia unternahm, schlug die auf 16.000 Mann aufgestockte24 ECOMOG sie in die Defensive. Das offene Auftreten der ECOMOG als Kriegspartei ließ indes die Kluft zwischen anglophonen und frankophonen Staaten wiederaufreißen und eine politische Lösung in weite Ferne rücken. Der 1992 zum ECOWAS-Vorsitzenden gewählte Präsident des frankophonen Staates Benin, Soglo, kritisierte die Parteilichkeit der ECOMOG, Burkina Faso geißelte die ECOMOG als Aggressionstruppe und verlangte ihren Abzug aus Liberia, Senegal zog im Januar 1993 – mit dem vagen Hinweis auf militärischen Eigenbedarf in seiner Konfliktregion Casamance – sein Kontingent ab. Côte d'Ivoire bekannte sich formal zu den Beschlüssen von Yamoussoukro, nahm aber offenbar gemeinsam mit Burkina Faso heimlich die Unterstützung der NPFL wieder auf.25

Die Einschaltung der UNO und das Abkommen von Cotonou

Im Frühjahr 1993 stellte sich erneut heraus, daß keine der Kriegsparteien den Krieg militärisch zu entscheiden vermochte. Abermals mußten Anstrengungen unternommen werden, eine politische Lösung der Krise zu erreichen. Da die ECOWAS aufgrund des Zerwürfnisses zwischen den anglophonen und der Mehrheit der frankophonen Staaten nicht in der Lage war, aus eigener Kraft eine solche Lösung herbeizuführen, beantragte sie die Einschaltung der UNO und der OAU. Die UNO unterstrich in den Sicherheitsratsresolutionen 813 vom November 1992 und 856 vom März 1993 zunächst die Option auf eine regionale Konfliktlösung und bekundete Unterstützung für die ECOMOG, erkannte jedoch im Zuge langwieriger Sondierungen von Sonderbotschaftern der UNO und der OAU, daß nicht nur die militärische Situation im Patt gemündet war, sondern auch ein Entgegenkommen gegenüber den Positionen der NPFL und frankophoner Staaten erforderlich war, um einen Ausweg aus der Krise zu weisen.

Resultat war das – auf einer einwöchigen Konferenz in Genf vorbereitete – Abkommen von Cotonou/Benin im Juli 1993. Wie in Yamoussoukro wurden auch diesmal ein Waffenstillstand (per 1. August 1993), die Entwaffnung und Demobilisierung der Kriegsparteien und ein Friedensschluß durch allgemeine Wahlen vereinbart. Die Übergangsregierung sollte durch einen Übergangsstaatsrat abgelöst werden, in den die NPFL, die ULIMO und die bisherige Interimsregierung Vertreter entsenden sollten. Die ULIMO war also, wie von der NPFL und den frankophonen Staaten gefordert, Vertragspartei. Der Waffenstillstand, die Entwaffnung und der Friedensprozeß bis zu den Wahlen sollten durch eine modifizierte ECOMOG überwacht werden. Der Anteil Nigerias an der Streitmacht sollte – auch dies entsprach den Forderungen der NPFL und der frankophonen Staaten – erheblich reduziert, militärische Kontingente von Staaten außerhalb der westafrikanischen Region zusätzlich eingegliedert werden. Dafür kamen die anglophonen Staaten Uganda, Tanzania, Zambia, und Zimbabwe sowie Ägypten und vorübergehend Marokko ins Gespräch. Schließlich wurde – ebenfalls eine Konzession an die NPFL und die frankophonen Staaten – vereinbart, daß die UNO den gesamten Friedensprozeß einschließlich der für Februar 1994 in Aussicht gestellten Wahlen zu überwachen und die Neutralität der »Peace-keeping«-Streitmacht, die trotz Erweiterung die Bezeichnung ECOMOG behalten sollte, zu garantieren hatte.

Versuche zur Umsetzung des Abkommens von Cotonou

Die Umsetzung des Cotonou-Abkommens gestaltete sich sehr schwierig, weil sich die Vertragsparteien mißtrauisch belauerten, die Modifizierung der ECOMOG zunächst nicht in Gang kam und die Entsendung eines UNO-Beobachterteams auf sich warten ließ. Zwar hielt der am 1. August eingetretene Waffenstillstand in weiten Teilen des Landes, jedoch gab es einige Verstöße von Seiten der ULIMO und der NPFL. Zudem entwickelten sich Kämpfe zwischen rivalisierenden NPFL-Gruppierungen einerseits, sowie der ULIMO-Abspaltung Liberia Peace Council (LPC) gegen die NPFL nahe der ivorischen Grenze andererseits. Dennoch konstituierten sich – mit Verzögerung gegenüber dem Zeitplan – der Interimsstaatsrat und ein Interimsparlament. Außerdem bildete die UNO – mit Geldern vor allem der USA – einen Liberia-Treuhandfonds, der ECOMOG-Zusatzkontingente aus Ägypten, Uganda, Tanzania und Zimbabwe finanzieren soll. Derzeit erscheint allerdings noch immer ungewiß, ob die bisher ergriffenen Schritte dynamisch und konsensfähig genug sind, um den Friedensprozeß zu tragen. Es wäre eine Überraschung, wenn sich der Wahltermin im Februar 1994 realisieren ließe. Darüber hinaus blieb durch das Cotonou-Abkommen unklar, wie mit dem Kriegsschauplatz Sierra Leone zu verfahren war.

Vorläufige Bilanz

Die von Nigeria geführte ECOMOG-Intervention in Liberia ist in ihrem rein regionalen Zuschnitt gescheitert, hatte dennoch aber einige beachtliche Teilerfolge: Daß überhaupt eine solche Militäraktion auf regionaler Basis realisiert werden konnte, hätte noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Die beträchtlichen ökonomischen, militärischen und logistischen Kapazitäten der Regionalmacht Nigeria haben die Intervention ermöglicht. Ohne nigerianisches Engagement wäre eine solche Aktion undenkbar. Am Horn von Afrika zum Beispiel fehlt eine solche Regionalmacht. Deshalb kam dort zunächst nur eine von außerafrikanischen Mächten getragene Intervention in Frage. Die ECOMOG-Intervention hat in Liberia 1990 das bestialische Blutvergießen beendet und die – sonst kaum zu vermeidende – Machtübernahme durch Charles Taylor verhindert.

Negativ schlug zu Buche, daß Nigeria ebenso wie Frankreich und die USA vor der Aufgabe des »Peace-keeping« und politischen Bemühungen zur Beendigung der Krise nationale Interessen verfolgte, die auf einen militärischen Sieg über die NPFL zielten. Führte einerseits die fehlende Friedensbereitschaft der liberianischen Kriegsparteien zur Verlängerung des Krieges, so waren es andererseits neben den Interessen der USA und Frankreichs auch die Interessen Nigerias, die eine überparteiliche Konfliktschlichtungsaktion der ECOMOG verhinderten. Zudem haben die USA und die UNO – sowie auch die OAU – zu lange dem Politikansatz vertraut, trotz der Kenntnis über die Kluft zwischen Nigeria und der Mehrheit der frankophonen Staaten mittels der ECOWAS eine regionale Lösung für ein regionales Problem zu finden. Erst Mitte 1993 hat die UNO einen Kurswechsel vollzogen, als das Scheitern des regionalen Krisenlösungsansatzes seit langem offensichtlich war. Trotzdem ist noch offen, ob die UNO nunmehr die Überparteilichkeit der (modifizierten) »Peace-keeping«-Streitmacht wird garantieren können. Partikularinteressen verschiedener in den Liberiakonflikt involvierter Staaten (Nigeria, frankophone Staaten, USA, Frankreich) könnten dies verhindern.

zum Anfang | Das externe wirtschaftliche Umfeld: Afrika zwischen Schuldenfalle, Rohstoffpreisverfall, nachlassender Entwicklungshilfe, zerstörerischer Nahrungsmittelhilfe und ungebrochenem Protektionismus des Nordens

von Cord Jakobeit

Nach dem Ausklingen der ersten Welle der Demokratisierungsbemühungen ist in den meisten Staaten Afrikas die anfängliche Euphorie inzwischen allgemeiner Ernüchterung gewichen. Dennoch sehnt sich sicher nur eine Minderheit nach repressiver Diktatur, Folter, willkürlichen Verhaftungen und der Friedhofsruhe der Vergangenheit zurück. Allerdings ist in den meisten Fällen eine der wichtigen Stufen im Demokratisierungsprozeß, die mit freien Wahlen ermöglichte Ablösung der alten Herrscher durch die demokratische Opposition, eher die Ausnahme als die Regel geblieben. Wo sie dennoch erreicht wurde, mußte die Bevölkerung – ebenso wie bei den Fällen nunmehr formal demokratisch legitimierter alter Herrschaft – rasch einsehen, daß zwischen Versprechungen des Wahlkampfes und deren Realisierung in der Zeit danach vielfach eine große Lücke besteht. Selbst die Respektierung der individuellen Menschenrechte ist längst noch nicht allgemein gewährleistet. Im wirtschaftlichen Bereich mußten überspannte Erwartungen angesichts fehlender Ressourcen fast zwangsläufig enttäuscht werden. Damit stellt sich die Frage, welche Rolle das wirtschaftliche Umfeld für die Zukunft des Demokratisierungsprozesses in Afrika spielt. (…)

Analytisch könnte man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach internen Faktoren, die eine demokratische Regierung entscheidend beeinflussen kann, und externen Faktoren, die sich einer direkten Beeinflussung weitgehend entziehen, unterscheiden. Natürlich sind Maßnahmen gegen die Korruption, die schlechte Qualität der öffentlichen Dienstleistungen und die vielfach falschen Signale in der heimischen Preis- und Wirtschaftsstruktur notwendig und möglich. Selbstverständlich haben fehlende Diversifizierung, Verschuldung durch Kapitalflucht, Prestigeinvestitionen sowie falscher Umgang mit Entwicklungshilfe handfeste interne Ursachen. Dennoch verlangt ein effektives Vorgehen gegen diese Mißstände im wirtschaftlichen und politischen Bereich kurzfristig finanzielle Mittel, die im notwendigen Umfang zunächst nur von außen kommen können. (…) Dieser Beitrag befaßt sich daher mit den Entwicklungen, die das externe Wirtschaftsumfeld der Demokratisierungsbemühungen bestimmen. Eine Untersuchung der Verschuldungsproblematik, der Rohstoffpreisentwicklung, der Höhe der finanziellen Gebertransfers, der Auswirkungen von Nahrungsmittelhilfe und der Chancen auf eine Minderung des Handelsprotektionismus der Industrieländer erlaubt zumindest kurz- bis mittelfristig eine Einschätzung darüber, inwiefern von außen eher mit Rückenwind zu rechnen wäre, bzw. ob der schwierige und sicher langwierige Demokratisierungsprozeß in Afrika auch weiterhin mit starkem Gegenwind rechnen muß.

Verschuldungsmisere ohne Ende: Kosmetik statt Korrektur

Am Anfang der Überlegungen zur Verschuldung in Afrika südlich der Sahara müssen deren Struktur und relative Bedeutung erläutert werden. Afrikas Verschuldung hat sich seit 1980 auf inzwischen US-$ 183,4 Mrd. mehr als verdreifacht (vgl. die Zahlenangaben der Weltbank zur Verschuldung in Afrika, hier nach Böhmer 1993: 7 f.). Zwar liegt Afrikas Anteil an der Gesamtverschuldung der Dritten Welt nur bei rund 13%, wobei Nigeria allein rund 20% der Verschuldung des Kontinents abdeckt, aber alle Verschuldungsindikatoren zeigen, daß die Dramatik des Problems in Afrika mit Abstand am größten ist. Im Vergleich zur gegenwärtigen Produktions- und Rückzahlungsfähigkeit hat Afrikas Verschuldung längst ein Ausmaß angenommen, das eine vollständige Rückzahlung definitiv ausschließt. Während in Lateinamerika und der Karibik bzw. in Südasien die Gesamtverschuldung nur rund 35% des Bruttosozialprodukts ausmacht, liegt dieser Wert in Afrika bei fast 110%. Afrika muß jährlich rund US-$ 10 Mrd. für den Schuldendienst aufbringen. Zwischen 1983 und 1992 floßen US-$ 96,8 Mrd. an Zins- und Tilgungszahlungen ab, ohne daß alle Forderungen der Gläubiger bedient werden konnten. Die Gesamtverschuldung stieg daher weiter an. Im afrikanischen Durchschnitt müssen fast 20% der Exporteinnahmen für die Bedienung der Schulden aufgewendet werden. Das sind Mittel, die dringend für die Reparatur der Infrastruktur, für Krankenhäuser, Schulen usw. gebraucht würden. Während jedoch in Südamerika nur rund ein Drittel der Verschuldung auf öffentliche bzw. öffentlich garantierte Kredite entfällt, besteht Afrikas Verschuldung zu über 80% aus Krediten, die von bilateralen bzw. multilateralen Gebern gewährt wurden. Da sich private Geber bisher beharrlich weigern, Entschuldung und Schuldenstreichung ernsthaft und umfassend zu diskutieren, (…) hat Afrika angesichts der sehr viel größeren Bedeutung der bi- und multilateralen Geber wenigstens in diesem Punkt einen Vorteil, da seine Verschuldungssituation potentiell durch direktes staatliches Handeln der Geber verbessert werden kann.

Für Afrika stellt sich schon seit langem nicht mehr nur die Frage, ob Schulden gestrichen werden sollen. Es kommt vielmehr darauf an, daß Schulden nicht unkoordiniert, zu gering und zu spät gestrichen werden, sondern so, daß dadurch ökonomische und politische Reformen gefördert und die Lebensbedingungen für die Menschen verbessert werden. Wird das bisherige Handeln der bi- und multilateralen Geber einem solchen Anspruch gerecht?

Zwar haben zwischen 1986 und 1990 über 30 afrikanische Staaten Umschuldungsvereinbarungen unterzeichnet, darunter etliche mehrfach, dennoch ist in diesem Zeitraum die Gesamtverschuldung um 48% gestiegen. Umschuldungen ohne Schuldenstreichung erhöhen nur die Gesamtverschuldung, da die geänderten Zahlungsfristen und -modalitäten durch höhere Verzugszinsen und Gebühren erkauft werden müssen. Im Rahmen des sogenannten Toronto-Paketes wurde daher ab 1988 erstmals in größerem Umfang damit begonnen, bei Umschuldungen Teile der Schuld zu erlassen. Die Toronto-Konditionen enthalten ein Schenkungselement von rund 20% und wurden bis Mitte 1991 bei 18 afrikanischen Staaten mit niedrigem Einkommen angewendet. Weitergehende Vorschläge, wie die Trinidad- und die Bangkok-Konditionen, haben das Schuldenstreichungselement erweitert. Bis Ende 1992 haben mit Ausnahme der USA und Japans alle westlichen Industriestaaten Schuldenstreichungen bei den ärmeren afrikanischen Staaten vorgenommen, die etliche ärmere Staaten entlastet haben. Außerdem gehörten 1992 nach der Klassifizierung der Weltbank schon zehn Staaten in die Gruppe der Staaten ohne Verschuldungsprobleme. Da auf diese Gruppe jedoch nur 4,4% der gesamten Auslandsverschuldung des Kontinents entfällt, muß dennoch festgestellt werden, daß die bisherigen Schuldenstreichungen im Vergleich zur Gesamtverschuldung marginal geblieben sind. (…) Um dem Demokratisierungsprozeß nachhaltig von außen unter die Arme zu greifen, reichen die bisherigen Zugeständnisse und die bisherigen Modelle einer erweiterten Schuldenstreichung jedoch für rund die Hälfte der Staaten des Kontinents nicht aus.

Forderungen an die multilateralen Geber: Kontrollierte Streichung statt endlose Streckung

Im Vergleich zu den bilateralen Gebern ist die Lage bei den multilateralen Gebern noch problematischer. Obwohl sich deren Anteil an der Gesamtverschuldung seit 1980 im Durchschnitt auf inzwischen 24,2% fast verdoppelt hat, und obwohl der Anteil von Weltbank und Währungsfonds am gesamten jährlichen Schuldendienst Afrikas inzwischen bei fast 50% liegt, beharren die beiden wichtigsten multilateralen Geber weiter darauf, daß ihre Kredite nicht abgeschrieben bzw. reduziert werden können. Mit dem Ausbruch der Schuldenkrise zogen sich die privaten Geber fast vollständig vom Kontinent zurück, während gleichzeitig die bilateralen Geber ihre Entwicklungshilfeleistungen von Strukturanpassungsprogrammen der jeweiligen Staaten mit Währungsfonds und Weltbank abhängig machten. Da die Kredite des Währungsfonds auf die Beseitigung kurzfristiger Zahlungsbilanzprobleme abzielen, die afrikanische Verschuldungskrise – und nicht nur die – aber zum dauerhaften Problem geworden ist, fließen seit Mitte der 80er Jahre mehr Mittel an den IWF zurück als umgekehrt an neuen Krediten von ihm vergeben werden (vgl. Tab. 2). Lediglich den »weichen« Konditionen der Weltbanktochter IDA ist es zu verdanken, daß der Mittelfluß durch die multilateralen Geber insgesamt positiv geblieben ist.

(…)

Statt den ökonomischen und politischen Reformprozeß durch Schuldenstreichung zu unterstützen, ziehen sich die multilateralen Geber auf ihre Satzungen zurück, die Schuldenstreichungen ausschließen. Es werden lediglich neue konzessionäre Mittel bereitgestellt und die alten Zahlungsunfähigkeitskriterien neu definiert. Daneben wird jedoch unverändert argumentiert, daß weitergehende Schritte, insbesondere Schuldenstreichung bzw. Schuldenverzicht, die eigene Bonität an den internationalen Finanzmärkten einschränken, zu gefährlichen Präzedenzfällen in anderen Kontinenten führen und die reformorientierten und zahlungsbereiten Staaten benachteiligen müßten.

In der Tat wäre eine Schuldenstreichung, die es afrikanischen Staatsklassen problemlos erlaubt, zu den Fehlern der Vergangenheit zurückzukehren, eindeutig die denkbar schlechteste Alternative. Angesichts der besonderen Schwäche afrikanischer Volkswirtschaften sollte jedoch eine an politische und ökonomische Bedingungen geknüpfte Schuldenstreichung in Etappen weder zu Prestigeverlusten der beiden wichtigen multilateralen Geber an den Finanzmärkten noch zu einem Dammbruch in der Zahlungsmoral der Schuldner führen. (…) Die bestehende ökonomische Konditionalität in der Strukturanpassungspolitik – Steigerung der Deviseneinnahmen, Abwertung der Währung, Abbau des Staatsdefizits durch drastische Ausgabenkürzungen, usw. – klammert die mittel- und langfristige Brisanz der Verschuldungssituation aus. Dies kann leicht zum paradoxen Ergebnis führen, daß selbst ein Staat, der die bittere Medizin der multilateralen Geber willig schluckt, schon mittelfristig von seiner Schuldenlawine überrollt wird. Es ist lange überfällig, daß die multilateralen Geber und die sie kontrollierenden Staaten des Nordens ihre Schuldenpolitik gegenüber Afrika grundlegend modifizieren, wenn der Demokratisierungsprozeß nicht weiter in der Verschuldungsfalle stranguliert werden soll.

Rohstoffpreisentwicklung – Freier Fall ohne Netz

Ohne steigende Deviseneinnahmen läßt sich weder der notwendige Schuldendienst aufbringen noch können die dringend benötigten Importe und Investitionen finanziert werden, um die Wirtschaft neu zu beleben. Der Kontinent hängt jedoch seit den Tagen der kolonialen Inwertsetzung wesentlich vom Export seiner agrarischen und mineralischen Rohstoffe in Richtung Norden ab, da es weder gelungen ist, die industrielle Entwicklung voranzutreiben noch den regionalen Handel nachhaltig zu beleben. Afrika ist weiterhin in besonderem Maße von der Preisentwicklung auf den Internationalen Rohstoffmärkten abhängig. Tab. 1 zeigt, daß sich seit Mitte der 80er Jahre aus der Perspektive aller Entwicklungsländer keine Verbesserung der Lage ergeben hat, (…). Selbst bei den landwirtschaftlichen Rohstoffen und den Metallen und Mineralien, deren Preisniveau relativ besser zu sein scheint, stagnieren die Notierungen um das höhere Niveau, das schon 1987/88 erreicht wurde.

Unverändert dramatisch ist dagegen weiter die Situation für die tropischen Genußmittel, die als klassische Kolonialwaren in vielen Ländern West-, Zentral- und Ostafrikas eine besondere Bedeutung haben, weil sie vorwiegend als kleinbäuerliche Familienkulturen angebaut werden. Während die Teepreise bei dieser Untergruppe noch ein gewisses Gegengewicht liefern konnten, fehlen für die Preisstürze bei Kakao und Kaffee sogar die historischen Parallelen. So war der 1992 für Kakao ausgewiesene durchschnittliche Weltmarktpreis real der niedrigste seit 1854, d.h. dem Jahr, seit verläßliche Weltmarktnotierungen für Kakao statistisch erfaßt werden.

(…)

Die Gründe für das massive Überangebot von Kakao und Kaffee auf den Weltmärkten liegen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Die Anbieter haben auf die vergleichsweise hohen Weltmarktpreise Ende der 70er Jahre z.T. mit massiven Neuanpflanzungen reagiert. Bei einigen landwirtschaftlichen Produkten sind außerdem in Südostasien neue Anbieter in die Märkte eingestiegen, wodurch sich der Preisdruck verstärkt hat. Im Rahmen der Strukturanpassungspolitik seit Beginn der 80er Jahre haben die multilateralen Geber unterschiedslos alle bisherigen Anbieter zunächst zur Wiederherstellung und Verbesserung der traditionellen Exportprodukte gedrängt und damit zum Überangebot beigetragen. So wurde pro-zyklisch gehandelt, statt anti-zyklisch das Angebot zu verknappen. Hinzu kommt, daß vielen der kleinbäuerlichen Anbieter häufig kurz- oder mittelfristig die Alternative für den Gelderwerb schlicht fehlt,

(…)

Als Folge der ökonomischen Einbrüche nach dem revolutionären Wandel in Mittel- und Osteuropa zeichnen sich zudem zwei weitere, für Afrika nachteilige Entwicklungen ab. Erstens fallen diese Märkte bis auf weiteres für die Aufnahme afrikanischer Rohstoffe aus, und zweitens verfügen sie mittelfristig mit ihren Mineralien und verarbeiteten Erzeugnissen über das Potential, sich zu ernsthaften Mitbewerbern auf den Märkten der Industrieländer zu entwickeln.

Langfristig dürfte für Afrika kaum etwas an der Notwendigkeit vorbeiführen, über Diversifizierung, Weiterverarbeitung und zunächst agrar-orientierte Industrialisierung die Abhängigkeit von den traditionellen Agrarprodukten zu reduzieren, um den tendenziellen Bedeutungsverlust der landwirtschaftlichen Rohstoffe auffangen zu können.

Die Position der Industrieländer bei den Rohstoffverhandlungen: Neues Verständnis statt Beibehaltung der Ideologie der Vergangenheit

Wie steht es um die Bereitschaft der Industrieländer, den Entwicklungsländern im Demokratisierungsprozeß bei den laufenden Rohstoffverhandlungen entgegenzukommen? Zunächst ist es erstaunlich, daß seit einigen Monaten überhaupt wieder ernsthaft über neue internationale Kakao- und Kaffeeabkommen verhandelt wird. Noch Ende der 80er Jahre waren in der Bundesrepublik die Industrieverbände, deren Mitglieder tropische Genußmittel importieren und verarbeiten, der Meinung, daß nur das freie Spiel von Angebot und Nachfrage über den Preis bestimmen sollte. Ausgerechnet für diesen Teil des Weltmarktes sollte gelten, was bei den eigenen Industrieexporten längst keine Gültigkeit mehr beanspruchen konnte. (…)

Woher also nun der plötzliche Sinneswandel? Festzuhalten ist zunächst, daß er nichts mit einer politisch gewollten ökonomischen Unterstützung der Demokratisierungs- und Strukturanpassungsbemühungen zu tun hat. Sonst würden nicht relativ sinkende Ausgaben für die Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik in so eklatanter Weise mit den gestiegenen Steuereinnahmen aus dem Rohstoffimport in Widerspruch stehen. Beispielsweise erzielte die Bundesrepublik 1980 bei einem Gesamtwert der Rohkaffeeimporte von DM 2,8 Mrd. Einnahmen aus der Kaffeesteuer in Höhe von DM 1,5 Mrd. Im Jahre 1991 hatte sich dagegen der Gesamtwert der Rohkaffeeimporte auf DM 1,8 Mrd. verringert, während gleichzeitig die Einnahmen aus der Kaffeesteuer auf DM 2,2 Mrd. angestiegen waren. Die niedrigen Preise für die Rohstoffe der Dritten Welt haben den Besteuerungsspielraum der Bundesregierung verbessert, während gleichzeitig die Ausgaben für die Entwicklungshilfe bezogen auf die Wirtschaftskraft des Landes relativ zurückgingen.

Ursache für den Sinneswandel bei den Rohstoffverhandlungen ist eine andere Befürchtung. Die Preise haben sich nach dem Auslaufen des internationalen Kaffeeabkommens keineswegs stabilisiert, sondern sind drastisch gefallen. Die Gefahr wird immer größer, daß vorhandene Plantagen nicht mehr gepflegt und abgeerntet werden, und daß Neuanpflanzungen mangels Kapital gänzlich unterbleiben, so daß es schon mittelfristig zu erheblichen Preissprüngen auf dem Weltmarkt kommen könnte. Wenn diese Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben werden müssen, entbrennt in der Branche der Verdrängungswettbewerb wieder mit voller Kraft. Wenn man jetzt wenigstens wieder miteinander spricht, geht es also nicht primär um die Interessen der Produzenten, sondern vornehmlich um die Partikularinteressen des Zwischenhandels auf Seiten der Konsumenten. (…) Funktionierende Rohstoffabkommen sind jedoch die Voraussetzung dafür, daß das Integrierte Rohstoffprogramm der UNCTAD – 1976 konzipiert und 1989 endlich in Kraft gesetzt – zumindest versuchen kann, den freien Fall der Rohstoffpreise zu stoppen.

Trotz gewisser Hoffnungsschimmer muß das Fazit für wichtige Rohstoffe daher ebenso lauten wie bei der Verschuldungsproblematik. Daran können auch die verschiedenen Kompensationsbemühungen der multilateralen Geber – die Lomé-Vereinbarungen mit der EG, die Ausgleichsfazilitäten des IWF sowie die diversen Hilfsprogammen speziell für Afrika – wenig ändern, da die bereitgestellten Mittel bei weitem nicht ausreichen, um dem Rohstoffpreisverfall wirkungsvoll begegnen zu können.(…)

Afrika am Tropf: Die Konkurrenz Osteuropas um knapper werdende Mittel

Wenn weder eine Lösung der Verschuldungskrise bevorsteht noch mit einer nachhaltigen Preisbelebung auf den Rohstoffmärkten zu rechnen ist, wird der schwierige Demokratisierungsprozeß dann wenigstens durch einen kräftigen Mittelzufluß aus öffentlichen und privaten Quellen gefördert? Auch die Initiatoren der Strukturanpassung hatten in ihren theoretischen Vorüberlegungen erkannt, daß ein massiver Zufluß von Direktinvestitionen und finanziellen Hilfen eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der Reformpolitik wäre. Tab. 2 zeigt, daß sich diese Hoffnungen kaum oder nur in Ansätzen erfüllt haben.

Entgegen einem verbreiteten Vorurteil hat es zwar für den Kontinent insgesamt keinen Nettokapitalabfluß gegeben, aber die z.T. hohen Nettoabflüsse an den IWF, beim Vermögenstransfer und bei der Bedienung der Schuldenlast werden inzwischen fast ausschließlich von der internationalen Entwicklungshilfe aufgefangen. Aufgrund der politischen und ökonomischen Instabilität sowie wegen der dramatischen Verschuldungssituation spielt Afrika im internationalen Vergleich sowohl bei den Direktinvestitionen als auch im Kalkül der privaten Banken praktisch keine Rolle mehr. Als Investitionsstandort, als Zielregion für Exportkredite und als Empfänger öffentlicher, Entwicklungshilfe schiebt sich gerade aus der westeuropäischen Perspektive Mittel- und Osteuropa immer stärker in den Vordergrund, wo im Zweifel auf schneller sichtbare Erfolge gesetzt wird. So sind im Haushalt für die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik für 1993 nicht nur reale Kürzungen zu verzeichnen, sondern auch Umschichtungen zugunsten der Osteuropahilfe.

Natürlich bedeutet der Wandel in Osteuropa auch, daß die früher sozialistischen Staaten weitgehend als Geber ausgefallen sind. Wenn die Entwicklungszusammenarbeit nicht gänzlich eingestellt wurde, so wurde sie in jedem Fall auf kleine Programme der Technischen Hilfe reduziert. Drastische Kürzungen gab es in jüngster Zeit auch bei der Hilfe aus arabischen Quellen, da die Unterstützung der Golfstaaten nach dem zweiten Golfkrieg zwangsläufig zurückgegangen ist.

Bleibt also nur die Internationale Entwicklungshilfe von Seiten der OECD-Länder. Zwar hat sie sich seit Beginn der 80er Jahre mehr als verdoppelt und dabei auch das Zuschußelement immer weiter gesteigert, aber der Nettoressourcenfluß hat sich seit Ende der 80er Jahre nicht mehr deutlich verbessert. Berücksichtigt man dann das Sinken der Entwicklungshilfe aus den Staaten des ehemals sozialistischen Lagers sowie aus der arabischen Welt, so muß Afrika südlich der Sahara seit Beginn des Demokratisierungsprozesses faktisch mit geringeren Hilfen von außen kalkulieren.

Zerstörerische Nahrungsmittelhilfe: Das Beispiel der EG-Fleischexporte nach Westafrika

Ein Plädoyer gegen das schleichende Herausstehlen der Industrieländer aus der Verantwortung, für Afrika darf jedoch nicht vor einer Kritik an bestimmten Formen der Hilfe zurückschrecken. Zwar wird niemand ernsthaft die moralische Verpflichtung zur Katastrophen- und Soforthilfe bei akuten Notlagen in Frage stellen, aber wenn diese Hilfe, zu einer institutionalisierten Nahrungsmittelhilfe wird, bewirkt dies häufig eine dauerhafte Nachfrage nach Lebensmitteln, die nicht oder nicht in ausreichenden Mengen im Land produziert werden können, wodurch wiederum die eigenen Bauern mit ihren Produkten vom lokalen Markt verdrängt werden. Inzwischen werden mindestens drei Viertel aller Nahrungsmittelhilfen in einer institutionalisierten Dauerform, also unabhängig von akuter Not, vergeben. Diese Form der Hilfe trägt nicht zu Lösungen bei; sie ist selbst Teil und Ursache vieler Probleme.

(…)

Eine unrühmliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang besonders die Europäische Gemeinschaft. Sie verwendete in den 1980er Jahren im Durchschnitt über 30% ihrer Entwicklungshilfe für die Nahrungsmittelhilfe, wobei es primär darum ging, die chronischen Überschüsse der verfehlten gemeinsamen Agrarpolitik auf Drittmärkten abzustoßen. So hat die EG z.B. mit massiv subventionierten Rindfleischexporten nach Westafrika die Existenzgrundlage von Millionen von Nomaden existentiell bedroht bzw. zerstört. Während der Verbraucher in der EG durchschnittlich DM 15 pro kg Rindfleisch zahlt, wird es für den Export nach Westafrika auf weniger als DM 3,40 pro kg heruntersubventioniert. Mit diesem Dumpingpreis wird die lokale Konkurrenz aus der westafrikanischen Savanne ausgeschaltet, da hier Frischfleisch kaum unter DM 4,40 pro kg angeboten werden kann. Auf diese Weise hat die EG ihre Rindfleischexporte nach Westafrika in den 1980er Jahren versiebenfacht. Die Schizophrenie dieser Politik wird dadurch komplettiert, daß im gleichen Zeitraum mit bilateralen und EGMitteln Projekte zur Förderung der Fleischproduktion in mehreren Staaten Westafrikas finanziert wurden, ohne daß eine Aussicht auf wirtschaftliche Tragfähigkeit bei dem gegebenen Rindfleisch-Dumping der EG abzusehen wäre. Zwar wird von verschiedener Seite inzwischen auf diese Mißstände hingewiesen, aber die politische Korrektur steht in der Sache immer noch aus. Für den subventionierten Weizenexport der USA oder für den von Japan finanzierten Export asiatischer Reisüberschüsse nach Afrika lassen sich ähnliche Mißstände auch bei den anderen großen Gebern aufzeigen. Statt die eigenen Überschüsse zu Lasten afrikanischer Produzenten auf die Märkte zu werfen, sollte eine sinnvolle Politik dafür sorgen, daß im Katastrophenfall zunächst die in zahlreichen Staaten Afrikas produzierten Überschüsse bei den lokalen Grundnahrungsmitteln aufgekauft werden. Die institutionalisierte Nahrungsmittelhilfe trägt in ihrer jetzigen Form dagegen dazu bei, daß das wirtschaftliche Umfeld für einen politischen und ökonomischen Neubeginn mit einer weiteren Hypothek belastet bleibt.

Handelsprotektionismus des Nordens: Von einer Öffnung der Märkte weit entfernt

Zwar lassen sich die durch den Protektionismus der Industrieländer verursachten Export- und Wohlstandseinbußen nur schwer abschätzen, alle Studien stimmen jedoch darin überein, daß ein konsequenter Abbau des Protektionismus z.T. erhebliche Wohlstandseffekte für die Entwicklungsländer mit sich brächte. Selbst die niedrigsten Schätzungen kommen zu dem Schluß, daß die Entwicklungsländer bei einer umfassenden Handelsliberalisierung – einschließlich einer weiteren substantiellen Zollsenkung und eines konsequenten Abbaus der nicht-tarifären Handelshemmnisse – den Export von Gütern und Dienstleistungen um mindestens 5% erhöhen könnten, was Mehreinnahmen in Höhe von rund US-$ 60 Mrd. bedeuten würde. Diese Summe entspricht in etwa den gesamten jährlichen Entwicklungshilfeleistungen der Industrieländer.

Wie steht es um die Realisierungschancen eines solchen Schrittes? Als Indiz für die geringe Bereitschaft der Industrieländer zum Abbau des Protektionismus mag der Verweis auf den mehr als schleppenden Verlauf der GATT-Verhandlungen genügen. Das GATT wird von den Zynikern nur noch als »General Agreement to Talk and Talk« bezeichnet. (…) Die Interessen und die Gegensätze der Industrieländer bestimmen Ablauf und Gegenstand der Verhandlungen, während gleichzeitig die Tendenzen in Richtung auf eine regionale Blockbildung immer unübersehbarer werden.

Außerdem muß klargestellt werden, daß Afrika von einer umfassenden Liberalisierung des Welthandels weniger begünstigt würde, als die besser gestellten Entwicklungsländer. Es wären lediglich indirekte Vorteile zu erwarten. Afrika exportiert primär unverarbeitete Rohstoffe auf die Märkte der EG, die schon jetzt im Rahmen der Lomé-Assoziierung unbeschränkten Zugang erlauben. Profitieren könnte der Kontinent nur von der Mehrnachfrage nach Rohstoffen, die in der Folge eines liberalisierungsbedingten Wachstumsschubs für die Weltwirtschaft zu erwarten wären.

(…)

Insgesamt sollte Afrika einen möglichen Protektionsabbau dennoch begrüßen, denn dadurch stiege die Chance für eine Industrialisierung, die bei der Weiterverarbeitung der eigenen Rohstoffbasis ansetzt.

Die Perspektiven: Demokratisierungschancen bei einem schwierigen außenwirtschaftlichen Umfeld

Es gibt im außenwirtschaftlichen Umfeld zwar einige Hoffnungsschimmer, der fundamentale Wandel der Rahmenbedingungen, der für einen schnellen Erfolg des ökonomischen und politischen Reformprozesses notwendig wäre – umfangreiche Schuldenstreichungen, Kompensationszahlungen für Rohstoffpreiseinbrüche und höhere Bereitschaft zum Abschluß von internationalen Rohstoffvereinbarungen sowie Steigerung der Entwicklungshilfe bei gezielter Konditionalität zum Erreichen der Armutsgruppen und entschlossenem Abbau kontraproduktiver Nahrungsmittelhilfe –, läßt aber weiter auf sich warten. Auch was den Marktzugang in den Ländern des Nordens betrifft, zeigen sich die Industrieländer weiterhin nicht bereit, den weltweiten Prozeß der Demokratisierung ökonomisch abzusichern. Der afrikanische Demokratisierungsprozeß findet in einem außenwirtschaftlichen Umfeld statt, das die spezifischen Probleme des Kontinents weitgehend außer acht läßt. Ist er damit notwendigerweise zum Scheitern verurteilt?

Ob durch Revolution, Militärputsch oder durch Abwahl, Regierungen scheitern dann, wenn es ihnen nicht gelingt, die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung zu verbessern bzw. sie mindestens zu stabilisieren. Umgekehrt erhalten sie große politische Legitimität, wenn es gelingt, das Los einer Mehrheit nachhaltig zu verbessern. Selbst bei ökonomischen Erfolgen geht die Legitimität durch permanente Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Partizipation an den Entscheidungen verloren, wenn damit nicht sogar auch die Dauerhaftigkeit des ökonomischen Erfolges ernsthaft in Frage gestellt wird.

Selbst bei fehlender außenwirtschaftlicher Unterstützung erscheint es daher nicht unmöglich, durch interne Reformpolitik politische Legitimität zu halten und zu gewinnen. Eine demokratisch gewählte Regierung, die die Menschenrechte respektiert, sich eine Armutsbekämpfungs- und Entwicklungsorientierung auf die Fahnen schreibt, vom zentralen Kommandostaat abrückt, dezentralen und föderalen Strukturen eine Chance gibt und zudem ernsthaft versucht, diese Ziele auch umzusetzen, muß nicht notwendigerweise scheitern. Der Spielraum für eine andere Akzentsetzung bei internen ökonomischen Entscheidungen ist sicher noch nicht ausgereizt. Diese Aufgabe ist allerdings ungleich schwerer zu lösen, als wenn sie gezielt von außen unterstützt würde. Angesichts der bleiernen Schwere der außenwirtschaftlichen Faktoren muß unter den gegenwärtigen Bedingungen daher davor gewarnt werden, den politischen Demokratisierungs- und Lernprozeß in Afrika allzu optimistisch zu beurteilen. Selbst bei allerbestem Willen einer demokratisch legitimierten Regierung in Afrika bleiben die Hürden hoch. Es deutet wenig darauf hin, daß der Norden seiner besonderen Verantwortung für diesen Prozeß gerecht wird.

Tab. 1: Rohstoffpreisindices
des IWF,
Jahresdurchschnittswerte, 1985-1992
Jahr Gesamt-
index
IL EL Nahrungs-
mittel
trop. Genuß-
mittel
landwirt.
Rohst.
Metalle u.
Min.
1985 100 100 100 100 100 100 100
1986 96 94 99 88 115 102 94
1987 104 107 102 90 83 136 112
1988 128 135 120 115 83 149 161
1989 127 136 117 119 69 145 164
1990 118 125 109 108 60 139 150
1991 112 118 105 107 56 135 134
1992 112 119 103 109 49 139 130
Anteile am Gesamtindex in %     31,4 18,2 22,5 27,9
ohne Erdöl und Gold; Nahrungsmittel: Öle und Ölsaaten, Getreide, Zucker, Fleisch, Bananen; Tropische Genußmittel: Kaffee, Kakao, Tee;
Landwirtschaftliche Rohstoffe: Baumwolle, Wolle, Kautschuk, Häute und Felle, Jute und Sisal;
Metalle und Mineralien: Kupfer, Eisenerz, Zinn, Aluminium, Zink, Nickel, Blei
Quelle: IMF, International Financial Statistics, Washington, D.C.: IMF, versch. Jhg.
Tab. 2: Öffentlicher und privater Nettokapitaltransfer nach Afrika südlich der Sahara, 1982-1991,(in Mrd. US-$)
Transfer / Jahr 1983 1985 1987 1989 1990 19911
Nettoressourcenfluß2 12,8 14,5 22,3 23,5 24,1 24,6
Davon:
Öffentl. Finanzhilfe (ODF) 10,5 11,8 17,9 19,4 23,1 23,8
– öffentl. Entwicklungshilfe (ODA) 8,9 10,7 14,9 17,5 20,2 k.A.
– bilateral 6,4 7,5 10,6 12,2 14,2 k.A.
– multilateral 2,5 3,2 4,3 5,3 6,0 k.A.
Exportkredite 0,3 1,1 0,4 2,2 -0,6 -0,3
Private Transfers 2,0 1,6 4,0 1,9 1,6 1,1
– Direktinvestitionen 0,3 -0,2 1,2 2,5 1,1 k.A.
– Bankkredite 1,1 0,8 1,7 -1,6 -1,0 k.A.
– Zuschüße von NRO3 0,6 0,9 1,0 1,0 1,5 k.A.
Zusatzangaben:
Netto-Kreditfluß vom IWF 1,5 k.A. -0,5 -0,4 -0,3 k.A.
Vermögenstransfers -1,3 -3,3 -1,9 -3,3 -3,2 k.A.
Zins- und Dividendenzahlungen (brutto) -6,3 -6,3 -6,6 -8,0 -6,3 k.A.
Offizielle Zuschüsse 5,6 7,4, 9,2 11,5 15,2 k.A.
1) Schätzungen;
2) Nettoressourcenfluß: ODF + Exportkredite + Private Transfers;
3) NROs: Nichtregierungsorganisationen ; k.A.: Keine Angaben .

Quelle: OECD, Financing and External Debt of Developing Countries, 1991 Survey, Paris: OECD 1992

Literatur

Bierschenk. T. u.a.(Hrsg.): Entwicklungshilfe und ihre Folgen: Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika. Frankfurt/Main u.a. 1993

Böhmer, J.: Die Auslandsverschuldung Subsahara-Afrikas: Entwicklung, neuere Initiativen der Gläubiger und Ansatzpunkte für eine Problembewältigung. In: Afrika Spectrum 28 (1993) 1, S. 5-35

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Konsequenzen eines Protektionismusabbaus der EG für die Entwicklungsländer. Informationsvermerk für den Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bonn, 4. 2. 1993

Ekzenwe, U.: The African Debt Crisis and the Challenge of Development. In: Intereconomies 28 (1993) 1, S. 35-43

Herbst, J.: U.S. Economic Policy Toward Africa. New York: Council on Foreign Relations, Press 1992

Jakobeit, C.: Die Zukunft der Rohstoffökonomien in Afrika. In: Hofmeier, R./Tetzlaff, R./ Wegemund, R. (Hrsg.): Afrika – Überleben in einer ökologisch gefährdeten Umwelt. Münster und Hamburg 1992, S. 90-102

Kühne, W.: Demokratisierung in Vielvölkerstaaten unter schlechten wirtschaftlichen Bedingungen. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel Afrikas. In: Nord-Süd aktuell 6 (1992) 2, S. 290-300

Meyns, P./Nuscheler, F.: Struktur- und Entwicklungsprobleme von Subsahara-Afrika. In: Nohlen, D./Nuscheler, F. (Hrs.): Handbuch der Dritten Welt. Band 4: Westafrika und Zentralafrika, 3. Auflage, Bonn 1993, S.13-101

Molt, P.: Chancen und Voraussetzungen der Demokratisierung Afrikas. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament (1993), B 12-l3, S. 12-21,

Schmieg, E.: Factors Influencing Price Developments of Commodities. In: Intereconomics 28 (1993), S. 138-143

Tetzlaff, R.: Demokratisierung von Herrschaft und gesellschaftlicher Wandel in Afrika: Perspektiven der 90er Jahre. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1991

Anmerkung

Durch die freundliche Genehmigung des Autors und des Herausgebers konnte dieser Artikel aus dem »Afrika Jahrbuch 1992. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara« (Hrg. Institut für Afrika-Kunde, Rolf Hofmeier, Leske + Budrich, Opladen 1993) übernommen werden.

Anmerkungen

1) Im folgenden wird, soweit aus dem Kontext nichts anderes hervorgeht, unter »Afrika« die Region des Kontinents südlich der Sahara verstanden. Die Entwicklungen in Ägypten und Algerien werden gleichwohl erwähnt. Zurück

2) Alle numerischen Angaben sind Daten der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung«. Die AKUF, eine Gruppe von fortgeschrittenen Studierenden und Graduierten, widmet sich unter der Leitung von Prof. Dr. K.J. Gantzel der systematischen Beobachtung und Analyse des laufenden Kriegsgeschehens. Zurück

3) Zur hier verwendeten operationalen Definition des Begriffs vgl. Gantzel/MeyerStamer 1986 oder knapper: Gantzel/Schwinghammer/Siegelberg 1992. Zurück

4) Die ausgeschriebenen Formen der Vielzahl von Befreiungsbewegungen und Kampfverbänden auf dem afrikanischen Kontinent würden den Rahmen dieses Textes sprengen. Für die Eigennamen dieser Organisationen wende man sich an die Länderkapitel der diversen Ausgaben des »Afrika Jahrbuch« (1987ff.). Zurück

5) Siehe hierzu den Beitrag von P. Körner in diesem Dossier. Zurück

6) Einige dieser Fälle sind hier nur deshalb nicht als »Kriege« kategorisiert, weil nicht alle der oben genannten Kriterien der operationalen Definition erfüllt sind. Das sollte indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Konflikte von den Betroffenen als Kriegssituationen erlebt werden. Zurück

7) Organization of African Unity, 1963 gegründet, über 50 Mitglieder Zurück

8) Siehe insbesondere Africa Leadership Forum, Kampala Document for a Proposed Conference on Security, Stability, Development and Cooperation in Africa (CSSDCA), Kampala 1991 sowie die Berichterstattung über den OAU-Gipfel 1993 in »West Africa«, »Jeune Afrique« und anderen Medien mit Afrikabezug Zurück

9) Siehe dazu auch: Kathrin Eikenberg/ Peter Körner, Bewaffnete Humanität oder Interessenpolitik? Militärinterventionen in Liberia und Somalia, in: Institut für Afrika-Kunde, Rolf Hofmeier (Hrsg.), Afrika Jahrbuch 1992, Opladen 1993: 34-45 Zurück

10) Siehe UNHCR Bulletin, 1 Oct. 1993: 9-10 Zurück

11) Siehe Le Monde 27.7.1993 Zurück

12) Siehe Margaret A. Vogt (Ed.), The Liberian crisis and ECOMOG: a bold attempt at regional peace keeping, Lagos 1992 Zurück

13) Die nachfolgende Darstellung orientiert sich im wesentlichen an der detaillierteren Aufbereitung von Fakten in den Ausgaben 1990 bis 1992 des »Afrika Jahrbuchs« (hrsg. v. Institut für Afrika-Kunde). Siehe dort die Länderartikel Liberia, Sierra Leone, Nigeria/Außenpolitik, Ghana/Außenpolitik, Senegal/Außenpolitik, Côte d'Ivoire/Außenpolitik, Burkina Faso/Außenpolitik, Guinea/Außenpolitik, Benin/Außenpolitik, Gambia/Außenpolitik sowie die Regionalüberblicke »Westafrika«. Für 1993 siehe besonders »West Africar« und »BBC Summary of World Broadcasts«. Zurück

14) Siehe Michael Clough, The United States and Africa: the policy of cynical disengagement, in: Current History, Vol. 91, No. 565, May 1992: 193-198 Zurück

15) Gründungstext im Anhang von Vogt 1992 Zurück

16) Texte im Anhang von Vogt 1992 Zurück

17) Siehe Margaret A. Vogt, Nigeria's participation in the ECOWAS Monitoring Group – ECOMOG, in: Nigerian Journal of International Affairs, Vol. 17, No. 1, 1991: 101-121 Zurück

18) Am deutlichsten formulierte Burkina Fasos Staatschef Compaoré die Position; siehe Jeune Afrique, 22.5.1991: 53. Zurück

19) Siehe West Africa, 20.8.1990: 2329 Zurück

20) Siehe Emeka Nwokedi, Regional integration and regional security: ECOMOG, Nigeria and the Liberian crisis, Centre d'Etude d'Afrique Noire, Univ. de Bordeaux, Travaux et Documents, No. 35, 1992, passim; Vogt 1991: 105ff Zurück

21) Siehe Patrick de Saint Exupéry/ Sophie Roquelle, La France parie sur le Libéria de Charles Taylor: La »montagne de fer« que convoite l'Elysée, in: Le Figaro 8.1.1992 4 Zurück

22) Siehe Nwokedi 1992: 12 Zurück

23) Siehe West Africa, 11.11.1991: 1886 Zurück

24) Siehe Economist Intelligence Unit (EIU), Country Report Liberia 2/1993: 27 Zurück

25) Siehe Detailinformationen in diversen Ausgaben von »West Africa« und »BBC Summary of World Broadcasts« seit August 1992 Zurück

Dr. Peter Körner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Afrika-Kunde, Hamburg.
Klaus Schlichte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der »Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung« an der Uni Hamburg.
Dirk Hansohm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Aufbaustudiengang „Small Enterprise Promotion and Training» und in der Afrika-Studiengruppe an der Universität Bremen.
Dr. Cord Jakobeit ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Internationale Politik der FU Berlin.

Burundi: Zurück zum zivilen Leben?

Burundi: Zurück zum zivilen Leben?

von Friederike Fuhlrott

Das Gebiet der Großen Seen in Ostafrika ist bei uns aus Schlagzeilen über Krieg und brutale Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Genozid bekannt. Das kleine Land Burundi wurde und wird dabei aber oft übersehen, was vor allem an dem alles überschattenden Völkermord im Nachbarland Ruanda vom April 1994 liegt. Obwohl in Burundi seit 1993 Bürgerkrieg herrschte, berichteten weder die weltweiten Medien ausführlich darüber, noch versuchte die internationale Gemeinschaft intensiv den Konflikt zu regeln. Bei den Kämpfen und Massakern sind ca. 300.000 Menschen getötet worden, bevor der Waffenstillstand, der dem Unterzeichnen des Arusha Peace Agrement´s im Jahre 2000 folgte, dem Töten 2002 ein Ende setzte. 2001 schickte Südafrika Truppen, um die Sicherheitsbedingungen zum Umsetzen des Friedensvertrags zu gewährleisten. Diese wurden 2003 durch Truppen der Afrikanischen Union (AU) ersetzt, die 2004 von der Operation der Vereinten Nationen in Burundi (ONUB) abgelöst wurden. Das Mandat der ONUB läuft Ende 2006 aus, verschiedene Länder haben ihre Kontingente bereits abgezogen1. Burundi steht also vor der Herausforderung der Friedenskonsolidierung. Die Wiedereingliederung ehemaliger Kombattanten und Kombattantinnen ist eine der Aufgaben, deren Bewältigung oder Scheitern die Zukunft des Landes prägen wird. Um Fortschritte und Probleme der Wiedereingliederung zu verfolgen, hat die Autorin in diesem Jahr einen viermonatigen Forschungsaufenthalt in Burundi durchgeführt.

Zur Ablösung der Übergangsregierung fanden 2005 Wahlen auf verschiedenen Ebenen statt. Die Burunderinnen und Burunder wählten auf lokaler, kommunaler und nationaler Ebene, gleichzeitig wurden die Mitglieder des Senats und der Präsident ernannt. In der Geschichte Burundis entluden sich machtpolitische Kämpfe entlang ethnischer Linien. 85% der burundischen Bevölkerung gehören der Gruppe der Hutu an und 14% sind Tutsi. Anders als in Ruanda waren in Burundi durchgängig Tutsi an der Macht. 1993 kam der erste gewählte Hutu Präsident, Melchior Ndadaye, bei einem Attentat durch Tutsi Militärs vier Monate nach seiner Amtsübernahme ums Leben. Da das Militär nur aus Tutsi bestand, formierten sich verschiedene Rebellengruppen, die aus Rache und mit dem Anspruch auf Regierungsbeteiligung gegen das Militär und den damaligen burundischen Staat kämpften. Die neue Regierung wird von der größten ehemaligen Rebellenpartei geführt, die auch den Präsidenten, Pierre Nkurunziza, stellt. Die ebenfalls 2005 abgestimmte neue Verfassung sieht eine Hutu – Tutsi Machtteilung im Parlament von 60 zu 40% vor. Darüber hinaus wird das Militär ethnisch gesehen 50 zu 50% gemischt. Internationale Beobachter attestierten allen Wahldurchgängen 2005 einen überwiegend freien und fairen Verlauf.

Um die Wahlen nicht durch die Präsenz bewaffneter ehemaliger Kämpferinnen und Kämpfer zu gefährden, begann deren offizielle Wiedereingliederung bereits Ende 2004. Von Anfang an gab es viele Fragen: Wie werden die Zurückkehrenden wohl zu Hause von der Bevölkerung aufgenommen, der sie während des Krieges Leid angetan haben? Wie ist ein Zusammenleben möglich? Welche Aspekte beeinflussen die Reintegration? Dazu kommt, dass die Ex-Kombattantinnen und -Kombattanten mit anderen Bevölkerungsgruppen wie Flüchtlingen, intern Vertriebenen und mit denen, die während des Krieges zu Hause geblieben sind, um äußerst knappe Ressourcen und öffentliche Unterstützung konkurrieren. Die Betroffenen werden aber in diesem Prozess nicht allein gelassen. Neben verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen engagieren sich auch Nichtregierungs-Organisationen (NRO), bilaterale Partner des Landes und kirchliche Einrichtungen im Bereich der Repatriierung durch den Krieg geschädigter Bevölkerungsgruppen. Auf der letzten Geberkonferenz im Februar 2006 in Burundi, wurde dem Land eine Unterstützung von 170 Mio. US$ zugesagt. Die Geber sind die Europäische Union, die Weltbank, Großbritanniens Ministerium für internationale Entwicklung, Frankreich, Italien, Japan, Niederlande, Nigeria, die Schweiz und die Vereinigten Staaten. Das Geld soll in den Wiederaufbau, in die Bekämpfung der Nahrungsmittelknappheit, in die Verbesserung des Gesundheitssystems und in gute Regierungsführung investiert werden. 2 Neben diesen Gebern gibt es einzelne Länder, wie auch Deutschland, die auf bilateraler Ebene Wiederaufbaumaßnahmen und klassische Entwicklungszusammenarbeit durchführen. Das Engagement ganz verschiedener Organisationen beeinflusst die Art der Unterstützung die die jeweiligen Bevölkerungsgruppen z.B. im Bereich der Reintegration erhalten. Dies betrifft den Verlauf der Rückführung und Wiedereingliederung der betroffenen Bevölkerung allgemein und der ehemaliger Kombattantinnen und Kombattanten im Besonderen.

Das Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm

Die hauptverantwortliche Einrichtung in Burundi für die Durchführung von Demobilisierung und Reintegration ist das exekutive Sekretariat der nationalen Demobilisierungskommission »Commission Nationale chargée de la Démobilisation, de la Réinsertion et de la Réintégration des ex-combattants«(SE/CNDRR). Parallel zum Prinzip des national ownership ist von internationaler Seite die Weltbank durch ihr regionales »Multi-Country Demobilisation and Reintegration Program« (MDRP) in Burundi engagiert. Das SE/CNDRR hat in Kooperation mit dem MDRP das nationale Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm entwickelt. Es wird im Landesinneren mit Hilfe von lokalen NRO durchgeführt. Außerhalb des nationalen Programms beteiligen sich zahlreiche nationale sowie internationale NRO und bilaterale Partner an der Unterstützung der Wiedereingliederung der Demobilisierten in ihre Heimatprovinzen.

Die Demobilisierungsphase beginnt mit dem Besuch des Demobilisierungszentrums. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass gewisse Identifikationskriterien erfüllt werden.3 In diesen ca. zehn Tagen im »Camp der Hoffnung« soll nicht nur die Uniform abgelegt werden, sondern auch militärische Verhaltensweisen und Einstellungen. In verschiedenen Modulen werden die Demobilisierten über die Möglichkeiten ökonomischer Projekte sowie über soziales Verhalten als Zivilpersonen informiert. Darüber hinaus lernen sie mit Konflikten gewaltfrei umzugehen und erhalten einen Gesundheits-Check sowie ggf. Behandlung. Nach diesem Aufenthalt wird ihnen ein so genanntes »reinsertion payment« von ca. 500US$ in Raten ausgezahlt, um ihre Transport- und Lebenshaltungskosten in den ersten 9 Monaten zu decken. Theoretisch folgt direkt im Anschluss die Reintegrationsbeihilfe. Dabei handelt es sich um eine Leistung im Wert von ca. 600US$, die sich auf das im Demobilisierungszentrum vorbereitete ökonomische Projekt bezieht und in Form von Naturalien ausgezahlt wird.4 Ehemalige Kindersoldaten und –soldatinnen sowie Behinderte werden in Spezialprogrammen aufgenommen.

Im Juni 2006 waren 20.298 Personen demobilisiert, darunter 482 Frauen und 3.015 Kinder (ONUB, 06/06).5 Von den Erwachsenen hatten bis zu diesem Zeitpunkt ca. 2.500 Reintegrationsbeihilfe erhalten. Offiziell strebt das nationale Programm eine Demobilisierung von 55.000 Ex-Kombattantinnen und –Kombattanten an. Die Betroffenen kommen aus allen Altersgruppen, wobei die Gruppe der 25-34jährigen am stärksten vertreten ist. Vom beruflichen Hintergrund her sind die meisten Bauern und Viehzüchter, einige auch Handwerker oder sie arbeiteten in Jobs wie z.B. Taxifahrer. Es ist davon auszugehen, dass die berufliche Repräsentanz in der Gruppe der Ex-Kombattantinnen und –Kombattanten der der burundischen Gesamtbevölkerung entspricht.

Bis jetzt gibt es kaum gesicherte Daten über Faktoren, die die Reintegration von Demobilisierten in Burundi beeinflussen. Die vorläufigen Ergebnisse des Forschungsaufenthalts geben diesbezügliche erste Aufschlüsse.

Generell kann gesagt werden, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung die soziale Reintegration der Demobilisierten in ihre Heimatprovinzen als relativ positiv eingeschätzt wurde und die ökonomische überwiegend noch nicht begonnen hatte. Zwar hatten alle Befragten ihr »reinsertion payment« erhalten, jedoch bis auf wenige Ausnahmen noch niemand die anschließende Reintegrationsbeihilfe.

Soziale Integration

Was heißt relativ erfolgreiche soziale Reintegration? Die Demobilisierten und die zivile Bevölkerung erwähnten keine sozialen Schwierigkeiten miteinander. Es gab weder vermehrte Überfälle, Racheakte, Gewalttaten noch ein Ansteigen krimineller Aktivitäten allgemein. Dies ist besonders hervorzuheben, da es in Burundi (noch) keine systematisch eingesetzten Mechanismen für Versöhnung gibt. Die von den Vereinten Nationen vorgeschlagene und von der burundischen Regierung akzeptierte Wahrheits- und Versöhnungskommission ist noch nicht operativ. Es gilt eine Teilamnestie, lediglich Kriegsverbrechen und Verletzung von Menschenrechten sollen juristisch verfolgt werden. Wie dies in die Tat umgesetzt werden soll ist weiterhin unklar. Bisher ist noch niemand verurteilt worden.

In den Interviews bezeichneten die Befragten verschiedene Aktivitäten des nationalen Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramms als positiv, beispielsweise auch den sehr kurzen Aufenthalt im Demobilisierungszentrum. Die ehemals Kämpfenden konnten die dort gewonnenen Kenntnisse oftmals hilfreich im praktischen Leben einsetzen. Auf die zivile Bevölkerung hatte allein das Wissen um diesen Aufenthalt einen beruhigenden Einfluss, denn die Zurückkehrenden hatten ja, nach teilweise mehr als zehn Jahren »im Busch«, gelernt, wie sie sich als Zivilpersonen zu verhalten haben. Einen ähnlichen Effekt hat das Wissen um das Geld, welches die Demobilisierten in bar erhielten. Unabhängig davon, wofür es tatsächlich ausgegeben wurde, beruhigte es die Bevölkerung, denn sie hatte weniger Angst vor Überfällen und Diebstählen. Die Tatsache, dass fast alle zurück in ihre Herkunftsdörfer oder zumindest -provinzen gingen, führte dazu, dass die Ex-Kombattantinnen und -Kombattanten relativ einfach an ihre alten Bekanntschaften anknüpfen konnten und die zivile Bevölkerung überwiegend der Auffassung ist, „es sind unsere Kinder, die zurückkommen“. Die lokale ethnische Aufteilung scheint ähnlich der vor dem Krieg, jedoch wird von der Bevölkerung hervorgehoben, dass heute keine Gruppe mehr vor der anderen Angst haben muss. Die jeweils geflohene Gruppe kehrt langsam zurück in ihre Heimatdörfer und dies ist auch von der restlichen Bevölkerung gewollt. Prinzipiell gibt es immer eine Durchmischung der Ethnien, wobei es traditionell Bereiche gibt, vor allem Viertel in der Stadt, in denen überwiegend Tutsi leben und Dörfer auf dem Land, in denen mehrheitlich Hutu leben. Da die Gruppe der Hutu die große Bevölkerungsmehrheit bildet, spiegelt sich dies auch in der Siedlungsstruktur wider.

Ökonomische Integration

Es gibt aber auch ökonomische Aspekte, die die Reintegration negativ beeinflussen. Die Demobilisierten haben keine Mittel, um sich wirtschaftlich zu integrieren. Dies unterscheidet sie erst einmal nicht vom Rest der Bevölkerung, der auch in Armut lebt. Allerdings hat die Tatsache, dass versprochene Unterstützung auf sich warten lässt, besondere Effekte. Dazu gehört, dass die Betroffenen ihre Zeit mit Warten verbringen und selten eigene, von der finanziellen Unterstützung unabhängige Initiativen, ergreifen. Des Weiteren führen das Warten und das Versprechen an sich zu der Überzeugung, dass die Reintegrationsbeihilfen auch tatsächlich zu einer nachhaltigen Verbesserung der ökonomischen Situation führen würden. Dass dies eine Fehlannahme ist, zeigt sich an den Erfahrungen derer, die die Leistungen bereits erhalten haben und an der schlechten gesamtökonomischen Lage des Landes. Wenn auch die Reintegrationsbeihilfe ein wichtiges start-up Kapital darstellt, darf ihre ökonomische Wirkung nicht überschätzt und die beschriebene psychische Wirkung von nicht oder spät erfüllten Versprechen nicht unterschätzt werden.

Aus der zivilen Bevölkerung gibt es vor allem Kritik daran, dass die Ex-Kombattantinnen und –Kombattanten nicht ausreichend auf die Verwendung der Unterstützung vorbereitet wurden und Unterstützung in Form von Naturalien ausgezahlt wird. Darüber hinaus wird kritisiert, dass einige Demobilisierte nicht arbeiten, wobei unklar bleibt, wie groß dieser Anteil ist. Dabei geht es nicht um formelle Arbeit, die generell selten ist, sondern hauptsächlich um Feldarbeit. Eigentlich beteiligt sich jeder und jede zumindest an der familiären Bestellung der Felder. Wird dies nicht getan, gilt die Person in der burundischen Gesellschaft als faul und als potentiell gefährlich und kriminell. Da sie weder etwas zu tun noch Einkünfte hat, sei es auch nur in Form von ein paar Knollen Maniok, könnte diese Person zu einer Gefahr für die Gemeinschaft werden. Gleichzeitig gab es Bedenken, was passiert, wenn die Unterstützung ausläuft. Die zivile Bevölkerung befürchtet, dass die Betroffenen dann kriminell werden könnten, da sie vermutlich bis zu dem Zeitpunkt (noch) keine stabile wirtschaftliche Basis aufgebaut haben und weil sie daran gewöhnt sind, mit Waffen umzugehen.

Fazit

Diese kurzen Einblicke in einige Bereiche der Untersuchung lassen bereits erste Schlüsse zu. Zum Gelingen des Reintegrationsprozesses ist es wichtig, positive Aspekte zu fördern, und die Wirkung negativer zu unterbinden. Interessanterweise kann dem Bereich, der bisher vom SE/CNDRR und vom MDRP keine bis wenig Unterstützung erfahren hat, nämlich der der sozialen Reintegration, aufgrund der Forschungsergebnisse eine bisher erfolgreiche Entwicklung zugeschrieben werden. Dies zeigt sich besonders in der von den Befragten als positiv beurteilten Situation des Zusammenlebens, deren friedliche Entwicklung durch den Aufenthalt im Demobilisierungszentrum und den »reinsertion payments« unterstützt wurde.

In dem Bereich hingegen, der im Zentrum der SE/CNDRR und MDRP Aktivitäten steht, der ökonomischen Reintegration, muss leider eine nicht befriedigende Entwicklung festgestellt werden, was allerdings nicht die durchweg pünktlich ausbezahlten »reinsertion payments« betrifft. Die Probleme der Verzögerung der ökonomischen Reintegrationsmaßnahmen und ihre Betonung gegenüber der sozialen Reintegrationsförderung zeigen die Schwierigkeiten, auf die ein theoretisch durchdachtes Wiedereingliederungsprogramm in der Realität stößt und die es teilweise selbst verursacht. Diese liegen nicht nur in der Sache an sich, sondern auch an der Kommunikation über die Sachverhalte und an der mangelnden Transparenz. Viele Verwirrungen und Animositäten auf Seiten der Demobilisierten sowie auf Seiten der zivilen Bevölkerung sind durch mangelnde Information begründet und könnten dementsprechend relativ einfach verhindert werden. Dies betrifft vor allem die Aufklärung darüber, wer Zugang zu welcher Art von Unterstützung hat und warum. Auch die Förderung der sozialen Reintegration könnte mit relativ einfachen Mitteln verbessert werden. Die in den Interviews genannten positiven Maßnahmen, die allerdings nicht alle systematisch sondern nur vereinzelt stattfanden, waren Informations- und Aufklärungsveranstaltungen bezüglich der Rückkehr der Demobilisierten, Vorbereitung der Demobilisierten selbst, Treffen zur Versöhnung sowie gemeinschaftliche Aktivitäten zum Wiederaufbau des gemeinsamen Lebensraums.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die ersten Schritte hin zur Reintegration der ehemals Kämpfenden in Burundi trotz Hindernissen erfolgreich verlaufen sind, wobei es in Zukunft gilt, strukturelle Hürden abzubauen und positive Reintegrationsansätze verstärkt zu unterstützen.

Anmerkungen

1) http://www.un.org/Depts/dpko/missions/onub/index.html, Abrufdatum: 13.09.06

2) http://www.irinnews.org/report.asp?ReportID=51969, Abrufdatum: 13.09.06

3) Siehe dazu: http://www.mdrp.org/PDFs/Country_PDFs/BurundiDoc_TechAnnex.pdf, S.17. Abrufdatum: 24.08.06

4) 68% der BurunderInnen leben von weniger als einem Dollar pro Tag (http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/COUNTRIES/AFRICAEXT/BURUNDIEXTN/0,,menuPK:343761~pagePK:141132~piPK:141107~theSitePK:343751,00.html, Abrufdatum: 04.09.06); demzufolge erscheint die finanzielle Unterstützung hoch, trägt jedoch aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Gesamtsituation nicht zur langfristigen Existenzsicherung bei.

5) ONUB (United Nations Operation in Burundi): DDR-SSR Newsletter, 01 to 30 June 2006 – Issue 28/2006, Bujumbura, Juni 2006

Friederike Fuhlrott ist Promotionsstipendiatin am Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung der Philipps Universität Marburg

Liberia, ein Prototyp?

Integrierte Missionen der Vereinten Nationen

Liberia, ein Prototyp?

von Tobias Pietz und Diana Burghardt

Die Schaffung so genannter »integrierter Missionen« ist ein aktueller Versuch, die Effizienz des Friedensengagements der Vereinten Nationen zu steigern. Er gründet auf der Erkenntnis, dass politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Akteure so weit wie möglich an einem Strang ziehen müssen, um nachhaltig friedliche Strukturen schaffen zu können. Im Folgenden wird das Konzept der Integration zunächst theoretisch vorgestellt und anhand einiger Ausführungen zum Spannungsfeld zwischen peacekeeping und humanitärer Hilfe problematisiert. Anschließend wird der Blick auf die praktische Umsetzung von »Integration« gelenkt und die Frage behandelt, ob bzw. inwieweit die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) als »Prototyp« für künftige komplexe Friedensmissionen der Vereinten Nationen gelten kann. Den Schluss des Artikels bildet ein kurzer Ausblick.

Die heutigen Friedenseinsätze der Vereinten Nationen sind darauf ausgerichtet, Konfliktursachen zu überwinden.1 Dabei wird das robuste peacekeeping nach Kapitel VII der VN-Charta mit dem so genannten post-conflict peacebuilding verbunden, das neben der Beobachtung von Waffenstillständen auch Polizeiaufgaben, die Vorbereitung von Wahlen, humanitäre Hilfe, die Beobachtung der Menschenrechtssituation, den Aufbau der zivilen Verwaltung und des Justizwesens, die Rückführung von Flüchtlingen, die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Ex-Kombattanten etc. umfasst. Seit Beginn der 1990er Jahre ist damit die politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Kompetenz der Vereinten Nationen zunehmend gleichzeitig in »komplexen« Friedensmissionen gefragt.

Von der Koordination zur Integration

Im Laufe der 1990er Jahre zeigte sich jedoch durch eine Reihe von Debakeln die nur sehr begrenzte Fähigkeit der VN zur Schaffung nachhaltig friedlicher Strukturen – und dies wurde auf die Fragmentierung des VN-Systems zurückgeführt. Da zahlreiche Abteilungen, Programme und Sonderorganisationen der VN mehr oder weniger getrennt voneinander arbeiteten, entstand der Ruf nach verbesserter Koordination innerhalb der VN-Familie und schließlich das Konzept zur »Integration« aller relevanten VN-Akteure. Den Anfang zur Entwicklung des Konzepts der Integration machte der im August 2000 veröffentlichte Report of the Panel on United Nations Peace Operations (der Brahimi-Bericht, benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission, dem ehemaligen Außenminister von Algerien), der in der Öffentlichkeit große Beachtung und Anerkennung fand. Der Brahimi-Bericht stellte fest, dass es im UN Department of Peacekeeping Operations (DPKO) keine Einheit gebe, in der Vertreter aller in einer Friedensmission wichtigen Themenbereiche – Politische Analyse, Militäreinsätze, Polizei, Wahlhilfe, Menschenrechte, Entwicklung, humanitäre Hilfe, Flüchtlinge, Öffentlichkeitsarbeit, Logistik, Finanzen und Rekrutierung – zusammenkommen.2 Er schlug daher die Schaffung so genannter Integrated Mission Task Forces (IMTF) vor, die aus hochrangigen Vertretern aller genannter Bereiche bestehen und (jeweils für den Einsatz in einem Land) als zentraler Kontaktpunkt die interne Koordination der VN verbessern sollten. Trotz einiger anfänglicher Schwierigkeiten dieser thematisch breit gefächerten und gleichzeitig regional auf ein Land fokussierten Expertengremien gelten die Integrated Mission Task Forces heute als Weg der Zukunft. Sie sind zu einem integralen Bestandteil und zu Schlüsselgremien des Integrated Mission Planning Process (IMPP) geworden – einem klar strukturierten, sechsstufigen Planungsprozess für (künftige) VN-Friedensmissionen.

Der Entwurf des neuesten IMPP (vom Juni 2006) definiert das Ideal der Zukunft, die »Integrierten Missionen«, als solche, in denen es eine von der gesamten VN-Familie geteilte Vision (a shared vision) für eine Krisenregion gibt, d.h. ein Konzept, das die Ziele bzw. Prioritäten (center of gravity, main effort), die Begründung und die Strategie für das vielfältige Engagement der VN deutlich macht.3 Ähnlich spricht das Executive Committee on Humanitarian Affairs in seinem Definitionsversuch für Integrierte Missionen von einer »system-wide UN response«, die durch die Zusammenführung aller VN-Akteure und Ansätze innerhalb eines einzigen »overall political-strategic crisis management framework« gelingen soll.4 Dieses umfassende Rahmenwerk bzw. diese von allen geteilte Vision soll durch die Integrated Mission Task Forces entwickelt werden. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Maßnahmen zur Schaffung von Sicherheit und Entwicklung in einem Land einander bedingen. Die breit gefächerte Expertise in den IMTFs, d.h. auch die genaue Kenntnis der verschiedenen Mandate, Funktionen und Möglichkeiten der diversen Abteilungen der VN, soll dann dazu beitragen, aus der Vision eine sinnvolle und abgestimmte Arbeitsteilung gemäß komparativer Vorteile innerhalb der VN-Familie abzuleiten. Knapp gefasst könnte man wohl von vielgestaltiger Friedensarbeit aus einem Guss sprechen, durch die die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des VN-Friedensengagements erhöht werden soll.

Zwischen Peacekeeping und Humanitärer Hilfe

Das Konzept der Integration und der darin enthaltene Gedanke, dass alle VN-Akteure zur Umsetzung gemeinsamer Prioritäten an einem Strang ziehen sollten, ist nicht unproblematisch, da zwischen »peacekeepern« und humanitären Helfern (theoretisch) ein Spannungsverhältnis besteht. Zwar sind sich beide Gruppen in der Zielsetzung einig, Frieden schaffen und Menschenleben retten zu wollen, doch ihre (zumindest idealtypischen) Ansätze sind grundverschieden. Das heutige, multidimensionale und mit peacebuilding- Maßnahmen verknüpfte peacekeeping ist ein politischer und damit »parteiischer« Akt, während humanitäre Hilfe zwar in einem politischen Umfeld geleistet wird, sich aber nach den Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit richtet. Konkret bedeutet dies, dass humanitäre Hilfe ohne Ansehen der ethnischen, religiösen oder politischen Zugehörigkeit der Opfer, vielmehr ausschließlich nach dem Kriterium der Hilfsbedürftigkeit geleistet wird (Unparteilichkeit), dass niemals eine Konfliktpartei unterstützt oder bei ideologischen Disputen Partei ergriffen wird (Neutralität), und dass die politische und finanzielle Autonomie der Hilfsorganisationen gewahrt wird (Unabhängigkeit). Für humanitäre Helfer ist ein weitgehendes Festhalten an diesen Prinzipien wichtig, um ihren Zugang zu den Opfern auf allen Seiten eines Konflikts sichern zu können, statt selbst in Auseinandersetzungen hineingezogen und zu einem potenziellen Angriffsziel zu werden.5 Wichtig ist außerdem, dass der Zugang zu humanitärer Hilfe als Recht der Opfer bzw. die Gewährung von humanitärer Hilfe als internationale Verpflichtung begriffen wird.6 Humanitäre Helfer sehen in ihrer Arbeit in erster Linie kein Mittel zur Erreichung eines abstrakten politischen Ziels – auch nicht des Friedens –, sondern stellen die Rettung des individuellen Menschenlebens in den Vordergrund. Das theoretische Spannungsfeld zwischen peacekeepern und humanitären Helfern besteht also darin, dass peacekeeper stets das langfristige Ziel des Friedens und der Stabilisierung als erste Priorität vor Augen haben und die Auswahl der Menschen, denen sie helfen, entsprechend ausrichten. Humanitäre Helfer hingegen machen ihre Hilfe tendenziell nicht von langfristigen politischen Überlegungen, sondern (eher kurzfristig) von der unmittelbaren Bedürftigkeit der Opfer abhängig.7

Tatsächlich kann heute natürlich keine klare Trennlinie zwischen »politischen« peacekeepern und »unpolitischen« Hilfsorganisationen mehr gezogen werden. Kaum eine Hilfsorganisation kann von sich behaupten, allen oben genannten humanitären Prinzipien zu entsprechen. Besonders eine echte finanzielle Unabhängigkeit ist bei den meisten Hilfsorganisationen (mit Ausnahme solch etablierter Organisationen wie dem International Committee of the Red Cross oder Médicins sans Frontières) nicht gegeben. Zudem übernimmt die große Mehrheit ziviler Hilfsorganisationen heute parallel Aufgaben der humanitären Hilfe und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Die Aufgabenfelder von humanitären Hilfsorganisationen und Einrichtungen der EZ, sowie die der mit weitreichenden Mandaten ausgestatteten peacekeeper, überschneiden sich damit zunehmend. Spannungen gibt es allerdings trotzdem – auch in der Praxis. Dies liegt daran, dass die humanitär ausgerichteten Organisationen der VN (z.B. die Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO; das United Nations Development Programm, UNDP; der United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR; der United Nations Children’s Fund, UNICEF; das World Food Programme, WFP; oder die World Health Organization, WHO) meist schon Jahre vor einem Friedenseinsatz als UN Country Team in einer Region arbeiten. Ihre Mitarbeiter, und auch die zahlreichen internationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen (NROs), mit denen sie zusammenarbeiten, kennen daher die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation im Land sehr gut. Ihre Expertise – so der Vorwurf – finde aber nicht genügend Beachtung.8 Statt mit ihnen als gleichberechtigten Partnern zusammenzuarbeiten, würden sowohl der militärische als auch der zivile Part der neu im Land eintreffenden VN-Missionen die Landeskenntnisse und Ratschläge der Country Teams ignorieren und ihnen stattdessen autoritär und arrogant gegenübertreten. Der Gegenvorwurf von Mitarbeitern des Department of Peacekeeping Operations geht dahin, dass sich die »old-timer« aus den UN Country Teams neuen Realitäten nicht anpassen würden. Sie verstünden oft nicht, wie sehr sich der »politische Wind« aufgrund eines Friedensabkommens, einer anerkannten Übergangsregierung und einem Mandat durch den Sicherheitsrat verändere. Denn typischerweise verändere sich die grundsätzlich »unparteiische« Arbeit der VN dann insofern in eine »parteiische« Haltung, als ein spezifischer Friedensprozess gefördert wird.9

»Integrieren« vor Ort: das Beispiel Liberia

In der Diskussion um Integrierte Missionen der Vereinten Nationen wird oft auf Liberia verwiesen, denn die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) gilt als erste wirklich integrierte Mission und damit auch als möglicher Prototyp für die Zukunft komplexer Friedensmissionen.10 Dabei war UNMIL nicht von Anfang an als eine integrierte Mission konzipiert worden, sondern veränderte sich erst als Reaktion auf angebliche Spannungen zwischen dem Senior Management von UNMIL und dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) in Liberia.11 Es scheint, als habe sich der zivile Teil von UNMIL (1.000 von 16.000 Personen) ohne nennenswerte Konsultationen mit anderen VN-Stellen im Bereich Nationbuilding engagiert, während militärische Einheiten – ebenfalls ohne Absprache – neben Aufgaben der Friedenssicherung auch in starkem Maße Quick Impact Projects durchführten. Dabei hätten beide Bereiche von existierender Länderkompetenz profitieren können. In einem Bericht der Peacekeeping Best Practices Unit von DPKO über die Anfangsphase von UNMIL heißt es, die Ressourcen der bereits bestehenden politischen Mission in Liberia (dem UN Office in Liberia, UNOL) seien nur „unzureichend genutzt“ worden, und UNMIL sei „nicht in ausreichendem Maße“ an einer Abstimmung mit dem UN Country Team interessiert gewesen.12 Dies hat zu Verärgerung und Frustration und nicht zu einem Gefühl von Partnerschaft geführt. Trotzdem ist der Vorwurf einiger NROs in Liberia, dass die Hilfe der militärischen und zivilen UNMIL-Einheiten auf einem qualitativ niedrigen Standard erfolgt sei, kaum nachzuweisen. Die Literatur kennt nur wenige Beispiele, u. a. die Problematik eines Militärkrankenhauses von UNMIL, in dem südasiatische Peacekeeper es ablehnten, Frauen zu behandeln, da es keinen weiblichen Arzt im Team gebe.13 Angeblich hat diese Diskriminierung eine negative Wirkung auf die Haltung der Bevölkerung nicht nur gegenüber UNMIL, sondern gegenüber der humanitären Hilfe insgesamt gehabt. Eine intensivere Beschäftigung mit der Qualität der durch UNMIL geleisteten Hilfe und möglichen Auswirkungen »schlechten« Peacebuildings steht allerdings noch aus: die bisherigen Beschreibungen einzelner Fälle erlauben noch keinerlei allgemeine Rückschlüsse.

Durch eine Entscheidung des Generalsekretärs im Juli 2004 wurde das bis dahin selbstständig operierende Office for the Coordination of Humanitarian Affairs formal in die Strukturen von UNMIL integriert, offiziell, um die Koordinierung der humanitären Hilfe zu verbessern.14 Das neu gebildete Humanitarian Action Committee (HAC) innerhalb UNMILs wurde jedoch nicht von OCHA Personal gestellt, sondern durch die Humanitarian Officers von UNMIL, die zuvor als Verbindung zu OCHA gewirkt hatten und damit nur indirekt mit den weiteren humanitären und entwicklungspolitischen Akteuren im Land kommuniziert hatten. Komplementär zu diesem Schritt wurden die Kompetenzen des Resident Coordinator (RC) und des Humanitarian Coordinator (HC) in der Position eines Deputy Special Representative of the Secretary General (DSRSG) zusammengeführt. Dieser Stellvertreter des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs ist gleichzeitig auch für die Bereiche Rehabilitation und Wiederaufbau innerhalb von UNMIL zuständig. Damit wurde die neutrale Position des Koordinators der humanitären Hilfe mit der politischen Position des Hauptpartners für die lokale Regierung im Bereich Wiederaufbau vermischt, und insgesamt wurde die humanitäre Hilfe – aufgrund der Zusammenführung der Positionen des HC und RC und der Integration von OCHA in die Struktur der Mission – dem mit einem eindeutig politischen Mandat ausgestatteten Leiter von UNMIL, dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs (SRSG), unterstellt.

In der Folge kam es immer wieder zu Vorwürfen dahingehend, dass die humanitäre Hilfe genutzt würde, um politische Ziele der Mission zu erreichen, oder aber dass die humanitäre Hilfe enorm an Priorität verloren hätte. Als Beleg für diese These wurde von verschiedenen Autoren die Vorbereitung der Wahlen im Winter 2005 angeführt. Um die Durchführung erfolgreicher Wahlen sichern zu können, drängten UNMIL und die internationalen Geldgeber darauf, alle Flüchtlinge vor dem gesetzten Wahltermin, d.h. noch innerhalb der Regenzeit, in ihre Heimatregionen zu bringen – und setzten dies trotz des großen Protestes von humanitären Organisationen, die vor den schwierigen klimatischen Bedingungen für die Rückführung warnten, auch durch. Manche mögen sich in dieser Situation an ein Zitat des Leiters der VN Mission in Liberia im Jahre 1993 erinnert gefühlt haben, der trocken festgestellt hatte: „If relief gets in the way of peacemaking then there will be no relief.“15 Aber auch diese Episode ist, wie so viele, nur anekdotischer Art. Ob, wie und mit welchen Folgen humanitäre Hilfe innerhalb integrierter VN-Missionen stärker als in anderen Strukturen politisch instrumentalisiert wird, harrt weiterhin einer eindeutigen Analyse.

Die Realität der Mission

Zu Beginn der Mission in Liberia war die Mitnutzung militärischer Kapazitäten von UNMIL durch humanitäre VN-Programme laut dem World Food Programme notwendig. Mangels ausreichender eigener Kapazitäten (insbesondere im Bereich Logistik, aber auch zur Absicherung von Aktivitäten im Feld), sei die Unterstützung durch UNMIL essentiell gewesen. Mittlerweile versuchen sich jedoch einige VN-Programme in Liberia etwas von UNMIL zu distanzieren. Sie tun dies u. a. durch eine farbliche Unterscheidung: während (militärische und zivile) UNMIL Einheiten einen schwarzen Schriftzug benutzen, tragen Fahrzeuge von UNDP und anderen Programmen allein blaue Symbole. Dies ist für viele internationale humanitäre Organisationen wichtig, denn in ihren Augen ist die »black UN« militärisch und politisch in Liberia tätig, und dementsprechend kein Kooperationspartner für ihre Arbeit. Die liberianische Bevölkerung macht laut Umfragen aber keine Unterscheidung zwischen schwarzer und blauer VN. Überhaupt scheint die Bevölkerung der komplexen Diskussion um zivil-militärische Kooperation, politische Instrumentalisierung von humanitärer Hilfe oder Integration nur wenig Interesse beizumessen. Bemerkenswert ist, dass eine Umfrage mit knapp 800 Teilnehmern in Liberia im Januar 2006 eine überwältigend positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber UNMIL zeigte.16 91 Prozent sagten, dass UNMIL bislang gute Arbeit geleistet habe, besonders hinsichtlich Stabilisierung und Sicherheit, aber auch bei der Implementierung von Quick Impact Projects, sowie bei der Durchführung der ersten freien Wahlen. Im Gegensatz dazu wurde die Arbeit der NROs meist viel kritischer betrachtet.17

Insgesamt kann man feststellen, dass die Idee der Integration innerhalb von UNMIL grundsätzlich begrüßt wird, sich aber derzeit noch in wenig mehr als einem erhöhten Austausch an Informationen äußert. Im Hinblick auf die VN-Programme außerhalb von UNMIL könnte sich die kritische und vielfach auf Unabhängigkeit bestehende Haltung langsam abschwächen. Konkret bahnt sich diese Änderung an, seit der Leiter von UNMIL ausgewechselt worden ist. Jaques Klein, der erste Leiter von UNMIL, war früher beim Militär, während der ihm nachfolgende Alan Doss einen zivilen Hintergrund hat – er kommt aus der humanitären Hilfe. Viele Akteure der humanitären Hilfe sehen darin eine große Chance, da Schlüsselfiguren an der Spitze integrierter Missionen enormen Einfluss darauf nehmen könnten, wie stark auf Missions-Externe zugegangen wird.

Kritik und Ausblick

Die Schaffung integrierter Missionen ist ein Versuch zur Steigerung der Effizienz des Friedensengagements der VN, der nach den Fehlschlägen in den 1990er Jahren unternommen werden musste. Um nachhaltig friedliche Strukturen schaffen zu können, müssen politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Akteure so weit wie möglich zusammenarbeiten. Es geht also nicht so sehr um das Ob, sondern mehr um das Wie der Integration.18 Die Art und Weise, in der komplexe Friedensmissionen mit den Anliegen der humanitären Gemeinschaft umgehen, steht im Mittelpunkt. Dabei werden die Missionen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Sorgen bezüglich der Instrumentalisierung und Unterordnung von humanitärer Hilfe abzubauen. Andererseits sollten die UN Country Teams sowie die internationalen und lokalen NROs ihre bisweilen absolut gesetzten humanitären Prinzipien (Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit) erneut beleuchten – denn faktisch hat sich die klassische humanitäre Hilfe bei vielen Akteuren hin zu eindeutig politischen Aufgaben des langfristigen Wiederaufbaus gewandelt.

Die eingangs aufgeworfene Frage, ob die VN-Mission in Liberia ein Prototyp für kommende komplexe Friedensmissionen der Vereinten Nationen ist, kann bejaht werden. Allerdings steht bei den meisten aktuellen Friedensmissionen (bspw. in Afghanistan, Bosnien oder dem Kosovo) die militärische Komponente nicht unter der Kontrolle der VN. Liberia ist somit ein Idealfall für die Vereinten Nationen. Anstelle von integrierten Missionen nach liberianischem Vorbild könnte das Bild internationaler Friedensmissionen auch künftig eher von Situationen bestimmt werden, in denen militärische oder zivile Aufgabenbereiche einer VN-Mission von der NATO, der Weltbank, der EU oder der OSZE übernommen werden.

Anmerkungen

1) Winrich Kühne (2003): UN-Friedenseinsätze verbessern – Die Empfehlungen der Brahimi Kommission, S. 717, http://www.zif-berlin.org/Downloads/Analysen/Praxishandbuch_UNO_2003.pdf.

2) Brahimi Report, Paragraph 198, http://www.un.org/peace/reports/peace_operations/.

3) Draft UN Integrated Mission Planning Process (2006).

4) Espen Barth Eide et al. (2005): Report on Integrated Missions. Practical Perspectives and Recommendations, S. 14, www.globalpolicy.org/security/peacekpg/general/2005/05integrated.pdf.

5) Vgl. Andreas Heinemann-Grüder und Diana Burghardt (2006): Zivil-Militärische Zusammenarbeit – Der Wiederaufbau von Nachkriegsgesellschaften, S. 113, http://www.reader-sipo.de/artikel/0602_AII1.htm.

6) Principles of Conduct for The International Red Cross and Red Crescent Movement and NGOs in Disaster Response Programmes, http://www.ifrc.org/publicat/conduct/code.asp.

7) Vgl. Volker Franke (2006): The Peacebuilding Dilemma. Civil-Military Cooperation in Stability Operations, International Journal of Peace Studies (im Erscheinen).

8) Eide, S. 17-18.

9) Eide, S. 18.

10) Vgl. Georg Frerks et al. (2006): Principles and Pragmatism. Civil-Military Action in Afghanistan and Liberia, S. 75, http://www.reliefweb.int/library/documents/2006/cordaid-gen-02jun.pdf.

11) Vgl. Lewis Sida (2005): Challenges to Humanitarian Space. A Review of Humanitarian Issues Related to the UN Integrated Mission in Liberia and to the Relationship between Humanitarian and Military Actors in Liberia, S. 8, http://www.humanitarianinfo.org/Liberia/infocentre/general/docs/Challenges%20to%20humanitarian%20space%20in%20Liberia.pdf.

12) Peacekeeping Best Practice Section (PBPS) of the United Nations (2004): Lessons Learned Study on the Start-up Phase of the United Nations Mission in Liberia, S. 15, http://pbpu.unlb.org/pbpu/library/Liberia%20Lessons%20Learned%20(Final).pdf.

13) Erin A. Weir (2006): Conflict and Compromise. UN Integrated Missions and the Humanitarian Imperative, KAIPTC Monograph No 4, S. 42, http://www.kaiptc.org/_upload/general/Mono_4_weir.pdf.

14) Secretary General´s 4<^>th<^*> Report to the Security Council on Liberia. S/2004/725.

15) Zitiert nach Weir, S. 38.

16) Vgl. Jean Krasno (2006): Public Opinion Survey of UNMIL´s Work in Liberia, http://pbpu.unlb.org/pbpu/library/Liberia_POS_final_report_Mar_29.pdf.

17) Frerks, S. 95.

18) Vgl. Weir, S. 46.

Tobias Pietz, M.A. und Diana Burghardt, M.A. sind Mitarbeiter des Bonn International Center for Conversion (BICC) im Forschungsbereich Peacebuilding. Tobias Pietz studierte Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg und Peace and Security Studies am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH). Diana Burghardt, studierte Nordamerikastudien, Politische Wissenschaft und Öffentliches Recht an der Universität Bonn und der University of California, San Diego.