Hunderttausende auf der Flucht

Hunderttausende auf der Flucht

Hintergründe der Flüchtlingsströme im Tschad

von Martin Zint

Politisch gehört der Tschad zu Westafrika, geographisch liegt er im Herzen Afrikas und seine von den Kolonialherren gezogenen Grenzen zum ostafrikanischen Sudan und zur Zentralafrikanischen Republik scheinen nur auf Landkarten zu existieren. Die dort lebenden Menschen nehmen sie kaum wahr. Bewaffnete Gruppen überschreiten sie regelmäßig in jede Richtung. Zuletzt am 29. Januar 2008 als sich im Sudan ca. 3.000 Aufständische mit über 200 Pickups auf den Weg nach N'Djaména, der Hauptstadt des Tschad, machten, um den tschadischen Präsidenten Idriss Déby zu stürzen. Die folgenden Kämpfe kosteten mehrere hundert Menschenleben, verursachten enorme Sachschäden und endeten am 3. Februar 2008, so sagen die angreifenden Aufständischen, mit dem „Sieg der französischen Truppen“. Der despotische Präsident Déby ist weiter im Amt.

„Wenn Elefanten kämpfen, dann leidet das Gras“

afrikanisches Sprichwort

Auch Déby war 1990 mit seinen Kämpfern aus dem Sudan gekommen und hatte mit Waffengewalt die Macht über den Tschad erobert. Seitdem hält er sie fest, gegen alle inneren und äußeren Widerstände. Mehr noch, er weitet seine Macht ständig aus. Zielstrebig betrieb er die Ausbeutung der nicht unbedeutenden Ölvorkommen des Tschad. Nachdem die Franzosen an der Förderung nicht interessiert schienen, bewog Déby ein Konsortium aus zwei US-amerikanischen und einer malaysischen Firma (ExxonMobil, Chevron, Petronas) vier Milliarden US Dollar zu investieren. Seit 2003 fließt Öl durch die erste Pipeline aus Zentralafrika an die den USA zugewandte Westküste Afrikas. Trotz skandalös niedriger Lizenzgebühren spülte der hohe Ölpreis im Jahr 2007 über eine Milliarde US-Dollar in die von Déby kontrollierte Staatskasse. Schon von der ersten Zahlung des Konsortiums bei Baubeginn hatte der ehemalige Hubschrauberpilot seiner Armee drei Kampfhubschrauber spendiert. Deren Wracks rosten bereits seit langem im Wüstensand. Aber Dank der Petrodollar konnten weitere Flugzeuge und andere Waffen gekauft werden. Um das Ölgeld geht es letztlich auch bei den aktuellen Angriffen auf die Regierung Déby. Politische Forderungen der Aufständischen über die Abtretung von Macht hinaus sind nicht bekannt.

Parallel zur Ölförderung versuchte Déby auch die regionale Vorherrschaft zu erringen. Im März 2003 gelang es seinem Freund Francois Boizizé durch einen Putsch die Macht in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik zu erringen. Die Vorbereitung dieses Putsches geschah in aller Ruhe auf tschadischem Territorium, von wo aus der Angriff dann auch gestartet wurde.

Auch der Nachbar im Osten sah sich mit Störmanövern aus dem Tschad konfrontiert. Idriss Déby gehört zur Volksgruppe der Zaghawa, die auf beiden Seite der Grenze Tschad/Sudan siedelt. Eine Miliz aus Angehörigen dieser Gruppe im Sudan versucht seit einigen Jahren die Unabhängigkeit des Darfur von Khartum zu erkämpfen. Der Präsident des Sudan, Ahmad al Bashir, vermutet, dass Déby seine Verwandtschaft kräftig unterstützt. Das entzweite die ehemals guten Freunde. Al Bashir nutzte bestehende Animositäten zwischen den Bevölkerungsgruppen der Region, um die ihm feindlich gesonnenen Milizen zu bekämpfen und gleich auch noch den Tschad zu destabilisieren. Von der Zentralregierung Sudans unterstützte Reitermilizen wüteten grausam unter der Zivilbevölkerung. Seit 2003 sind im Darfur 250.000 Menschen gestorben, über zwei Millionen Menschen mussten fliehen. Die Zahlen sind gigantisch, vor allem wenn man sie in Relation setzt zu der geringen Bevölkerungsdichte in der Region am Übergang von Wüste zur Savanne.

Die Lage im Osten des Tschad

Wer ins Nachbarland Tschad floh, etwa 240.000 Menschen bisher, kam vom Regen in die Traufe. Auch dort marodieren wilde Haufen Bewaffneter, die keinen Deut besser sind als die, vor denen die Menschen geflohen sind. Über die Region schreibt die hier tätige Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz): „…die natürlichen Ressourcen (sind nur) begrenzt verfügbar und teilweise erschöpft, es fehlt an Straßen, Schulen, Krankenstationen, Märkten, Wasserversorgung und anderer Infrastruktur. Der Staat trägt mit seinen Leistungen wenig zur Daseinsfürsorge bei. Die verarmte Bevölkerung selbst ist nur bedingt fähig, den sozialen und ökonomischen Wandel mit zu gestalten, geschweige denn aktiv und selbstbestimmt zu planen, zu organisieren oder gar zu finanzieren.“

Der Tschad ist ein Binnenland ohne nennenswerte Infrastruktur, wenn man mal von zwei Mobilfunknetzen absieht. Nicht einmal 1.000 Kilometer Asphaltstraße erschließen ein Staatsgebiet, das dreieinhalb Mal so groß ist wie Deutschland. Das macht die Versorgung der Flüchtlinge sehr schwierig, zumal die meisten im schwer zugänglichen Osten des Landes leben. Zu Beginn des Flüchtlingsdramas gab es Überlegungen, die Lager in anderen, besser erschlossenen Regionen anzulegen. Dieses Dilemma im Umgang mit Flüchtlingen ist bekannt. Man muss sie zunächst dort versorgen, wo sie gerade sind. Aber das birgt die Tendenz, sie dort festzuhalten, wo ihr langfristiger Aufenthalt schwierig ist. Außerdem wehren sich die Flüchtlinge gegen Maßnahmen, von denen sie meinen, sie würden ihren dauerhaften Aufenthalt vorbereiten. Als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in einem Lager Bäume pflanzen wollten, wurden sie schon 2003 von den Flüchtlingen mit Steinen beworfen und vertrieben. An Umzug ist da nicht zu denken.

Ein Großteil der Versorgung erfolgt auf dem Luftweg, in der dreimonatigen Regenzeit ist das der ausschließliche Weg zu den Lagern. Nach eigenen Angaben wurden 2007 durch die United Nations Humanitarian Air Service (UNHAS) 26.352 Passagiere für über 70 humanitäre Organisationen transportiert. 1.500 ausländische Helfer kümmern sich um die Flüchtlinge allein im Osten des Tschad. Nur wenige Organisationen setzen einheimisches Personal ein. Die katholischen Hilfsorganisationen versuchen das, denn sie verfügen über die notwendigen Kontakte im Land. Vor allem, als in der Krisenlage Anfang Februar alle ausländischen Mitarbeiter evakuiert wurden, konnten sie ihre Arbeit aufrechterhalten. Aber auch die Beschäftigung von Einheimischen stößt an Grenzen. Es gibt im Tschad viel zu wenig qualifiziertes Personal. Die Analphabeten-Quote im Tschad liegt bei über 60%.

Gegenwärtig befinden sich über 240.000 Flüchtlinge aus dem Sudan in 12 Flüchtlingslagern im Osten des Tschad. Dazu kommen 50.000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in vier Lagern im Süden des Tschad. 29 Anlaufstellen haben etwa ca. 170.000 interne Vertriebene im Tschad aufgenommen.

Immerhin bekommen die Flüchtlinge im Osten unter dem Stichwort »Darfur« internationale Aufmerksamkeit. Bis Januar 2008 erbrachte der Aufruf an die Geberländer US$ 264 Millionen für die Tschad- Flüchtlingshilfe, das sind 97% der erbetenen Mittel. Das macht den Mittelaufruf zum Tschad zum weltweit erfolgreichsten in 2007. Aber während einige Bereiche sehr gut finanziert sind, fehlt es in anderen: Für Lebensmittel wurden 132% der benötigten Mittel zugesagt, 100% für Schutz und Non-Food items. Für Wasser und Gesundheitsprojekte gab es nur Zusagen von 45%, 12% für das Bildungswesen.

Ungleich schwieriger ist es, für die Flüchtlinge in anderen Regionen Mittel aufzutreiben, z.B. für die 50.000 Menschen, die aus der Zentralafrikanischen Republik in den Tschad geflohen sind und in Lagern im äußersten Süden leben. Unter anderem die deutsche Johanniter-Auslandhilfe versorgt die Menschen dort in vier Flüchtlingscamps mit lebensnotwendigen Basismaterialien. Das Projekt wird durch Mittel des Auswärtigen Amts ko-finanziert. Der UNHCR (UN Hochkommissar für Flüchtlinge) musste schon mehrfach nachdrücklich an das Schicksal dieser wenig beachteten Flüchtlinge erinnern, um wenigstens die absolut notwendigen Zusagen zu bekommen.

Für die Hilfsorganisationen ist die Kriminalität das größte Problem. Lohngelder und andere Barmittel können nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen transportiert werden, Banken gibt es in der Region nicht. Und auch die Transportmittel selber sind in Gefahr. Die Entführung von Allrad-Pickups ist an der Tagesordnung. Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation schätzt dass allein im letzten Vierteljahr 2007 an die 200 Pickups gestohlen wurden. Im wüstenhaften Osten des Tschad, aber auch auf den belebten Straßen der Hauptstadt. Bisher durften Fahrer und Fahrgäste noch immer aussteigen.

Aber spätestens seit der Affäre um die französische Organisation Arche de Zoe – sie wollte 103 angebliche Darfur-Waisen zu Pflegeeltern nach Frankreich ausfliegen – ist das Verhältnis von Einheimischen und Flüchtlingen zum Personal der Hilfsorganisationen sehr gespannt.

In den Flüchtlingslagern funktionieren die bisherigen sozialen Strukturen nicht mehr. Die Alten verlieren an Autorität und besonders Jugendliche sehen ihre einzige Perspektive in der Kriminalität. Waffen sind leicht zu bekommen und solange man nicht selbst ihr Opfer wird, bieten sie spontanen Machtzuwachs. Latente Konflikte entlang äußerer Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit oder Sprache gewinnen dann schnell an Bedeutung. Söldnertum stellt zunehmend ein Problem dar. Die Grenzen zwischen politischen Gruppen schwinden, wenn »Kleinunternehmer« mit einem Gewehr als einzigem Geschäftskapital für 500 Euro am Tag mal für den einen und dann wieder für einen anderen kämpfen.

Der Tschad hat ca. 10 Millionen Einwohner. Nicht wenige dieser Bürger des Tschad leben dauerhaft unter Bedingungen, die Flüchtlingen nach internationalen Standards nicht zuzumuten sind. Zudem waren sie in den vergangenen Jahren verschiedenen Krisen ausgesetzt. Heuschrecken, Trockenheit und Vogelgrippe, nichts blieb ihnen erspart und alles hatte desaströse Folgen.

Auf Anregung des UNHCR wurde im Tschad eine »Nationale Kommission zum Beistand für Vertriebene/CNCAPD« gegründet. Das Arbeitsprogramm dieser Kommission, der zahlreiche Hilfswerke angehören, klingt viel versprechend. In 2008 und 2009 soll für über 90% der Flüchtlinge Zugang zu Schulbildung organisiert werden, das Verhältnis Jungen/Mädchen soll dabei 50/50 sein. Opfer von sexueller Gewalt bekommen juristische, medizinische und psychologische Unterstützung. Jeder Flüchtling soll mindestens 15 Liter Wasser pro Tag bekommen. Generell haben nur 42% der tschadischen Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser. Jeder Flüchtling soll Zugang zur einfachen medizinischen Grundversorgung bekommen, das genießen nur 9% der tschadischen Bevölkerung. Und das ist nur ein kleiner Auszug aus einer Liste, die die Tschader zum Träumen bringen könnte. Aber sie kennen ihr Land. Öldollar in Milliardenhöhe haben die Lage des Landes noch nicht einmal ansatzweise verbessert. Im Gegenteil, seit dem Beginn der Ölförderung sank der Tschad im Human Development Index von Platz 165 im Jahr 2003 auf 171 im Jahr 2006. Auch das ambitionierte Vorhaben CNCAPD wird voraussichtlich in Korruption und Misswirtschaft versinken. Aus Kreisen der beteiligten internationalen Hilfswerke ist schon zu hören, dass es an Transparenz bei der Verteilung von Finanzmitteln fehlt und sich die konkrete Arbeit schwierig gestaltet. Die Realität vor Ort ist jedenfalls weit von den Verheißungen entfernt.

Vertreter von Hilfsorganisationen sind zunehmend besorgt über den Ernährungsstatus von Neugeborenen und Kleinkindern, besonders im Westen des Tschad, besonders in der Region Kanem. Die Ursachen dafür sind die Armut der Menschen und unzureichende Ernten der Kleinbauern.

Eine von den Vereinten Nationen und ihren Partnern im November 2007 durchgeführte Untersuchung hat ergeben, dass nur 40% aller lokalen Haushalte für mehr als drei Monate mit Lebensmitteln versorgt sind. Unter den Vertriebenen können dagegen 95% nicht mehr als drei Monate mit den zur Verfügung stehenden Lebensmitteln auskommen. Als Gründe werden Mangel an bebaubarem Land genannt, Mangel an Saatgut und schlechte Wetterbedingungen. 2007 verteilte das Welternährungsprogramm 12.208 Tonnen Lebensmittel an mehr als 170.000 intern Vertriebene und Anwohner im östlichen Tschad.

Angesichts der schlechten Sicherheitslage und als Ergänzung der UN-Mission im sudanesischen Darfur wird gegenwärtig der Einsatz einer Truppe der EU vorbereitet. An der Operation nehmen 21 von 27 Länder der Europäischen Union teil: Frankreich, Irland, Belgien, Polen, Schweden, Österreich, Spanien, Italien, Portugal, Niederlande, Finnland, Griechenland, Slowenien, Rumänien, Ungarn, Litauen, Großbritannien, Deutschland, Tschechien, Slowakei und Zypern. Italien stellt ein Feldhospital, das in Abeché errichtet werden wird. Auch Österreich wird medizinisches Personal zur Verfügung stellen. Belgien beteiligt sich zusätzlich mit einer Transportmaschine und einem Flugzeug für Sanitätstransporte. Polen stellt zwei Transporthubschrauber für Sanitätsdienste. Frankreich liefert zusätzlich neun Transport-Hubschrauber und etwa 500 Soldatinnen und Soldaten für den Bereich Logistik.

Der EUFOR-Truppe sind laut der UNO-Resolution 1778 insbesondere folgende Aufgaben zugedacht: Schutz von Zivilpersonen, insbesondere von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage, um humanitäre Hilfsleistungen zu erleichtern, Schutz von Personal, Einrichtungen und Ausrüstung der UNO sowie Gewährleistung der Bewegungsfreiheit von UNO-Personal. Die zögerliche und wiederholt verschobene Stationierung einer EU Truppe im Osten des Tschad führt zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung bevor die Truppe überhaupt in Erscheinung tritt. Dazu trägt auch die unzulängliche Informationspolitik von EUFOR bei, die es versäumt, die direkt betroffene Bevölkerung über Ziele und Maßnahmen von EUFOR zu unterrichten. Der Zugang zu verlässlicher Information ist generell schwierig. Das verschärft die unsichere Lage zusätzlich. Verschiedene Rebellenbewegungen haben bereits angekündigt, die EUFOR-Truppen als Feinde anzusehen und sie zu bekämpfen.

Perspektiven

Um die Sicherheit für alle in der Region zu erhöhen, ist nach Ansicht von NRO-Vertretern vor allem eine wirksame Kontrolle der zirkulierenden Kleinwaffen sehr wichtig. Dabei könnte eine engere Verzahnung der Arbeit von humanitären Hilfsorganisationen und anderen NRO hilfreich sein. In der praktischen Zusammenarbeit vor Ort haben die Beteiligten festgestellt, dass es oft üble Folgen hat, wenn humanitäre Helfer Gemeinwesenarbeit betreiben oder Menschenrechtsorganisationen Lebensmittel verteilen. Also wenn sich die einen auf das Terrain der anderen begeben, ohne über die notwendigen Erfahrungen und Kompetenzen zu verfügen. Dabei können sich bei einer sinnvollen Abstimmung die Kompetenzen der zivilgesellschaftlichen Gruppen gut mit dem Know-how der Humanitären ergänzen. Insbesondere die im Tschad recht gut aufgestellten Menschenrechtsorganisationen oder der »Aufruf zu Frieden und Versöhnung /CSAPR«, dem 150 Organisationen der Zivilgesellschaft angehören, könnten sehr gut die Kluft zwischen der Welt der Flüchtlinge und der sie umgebenden Gesellschaft überwinden helfen. Außerdem sollten unabhängige Medien gestärkt werden. Verlässliche Information ist in Krisensituationen so wichtig wie Wasser und ärztliche Hilfe.

Besser informiert werden sollte auch über den Einsatz der EU-Truppen mit UN-Mandat. Bisher herrscht noch große Unklarheit über Zeitpunkt, Ort und exaktes Mandat der erwarteten Truppen. CSAPR fordert insbesondere, dass diese Truppen nicht von den Franzosen dominiert werden und einen echten multilateralen Charakter haben. Außerdem sollte die Absicherung eines politischen Friedensprozesses zum Mandat der Truppen gehören. Ob es der UN/EU Truppe gelingt, zumindest im Tschad für den Schutz der Menschen zu sorgen, muss sich erst noch erweisen. Die Skepsis der Betroffenen gegenüber der angekündigten Truppe ist mindestens so groß wie ihre Hoffnung.

Seit Anfang Februar sind auch Tschader auf der Flucht. Nach dem anfangs erwähnten Angriff auf N'Djaména kam es am 1. und 2. Februar zu heftigen Kämpfen. Nachdem sich die Aufständischen aus der Hauptstadt zurückziehen mussten, nutzte Präsident Déby die Gelegenheit, um mit seinen Kritikern aufzuräumen. Soldaten durchkämmten Wohnviertel auf der Suche nach Rebellen und ihren Unterstützern. Etwa 30.000 Menschen flohen vor den Razzien und den damit verbundenen willkürlichen Erschießungen und Vergewaltigungen nach Kamerun.

Martin Zint, Journalist, beschäftigt sich seit 1996 mit dem Tschad/Kamerun Erdölprojekt. Er hielt sich bis Anfang Februar im Tschad auf.

Demobilisierung am Horn von Afrika

Demobilisierung am Horn von Afrika

von Kiflemariam Gebrewold • Kees Kingma

Das Horn von Afrika hat viele Kriege und zivile Unruhen erlebt, die sich in Ausmaß, Intensität und Art unterscheiden. Äthiopien erlebte einen »dreifachen Krieg« in den letzten drei Jahrzehnten auf seinem Territorium. Militarisierung und Kriege führten zum Anschwellen der Zahl des militärischen Personals von 240.000 Anfang der 80er Jahre auf fast eine halbe Million in 1991. Nach der Machtübernahme durch Mengistu Haile Mariam (1974) führten bewaffnete Konflikte zwischen verschiedenen Oppositionsgruppen und Gegnern des Militärregimes (Derg) zu viel Blutvergießen vor allem unter den Jugendlichen und zur massiven Militarisierung der gesamten Gesellschaft. Ein bewaffnetes »Blockwartsystem« wurde im ganzen Land etabliert, mit dem Ziel, die Bevölkerung politisch zu kontrollieren.

Äthiopien führte auch einen externen Krieg – Ende der 70er Jahre – gegen Somalia. Dieser Krieg war zum Teil Resultat der Innenpolitik, was widersprüchliche Einschätzungen der militärischen Strategie Äthiopiens zur Folge hatte. Die Invasion Somalias in Äthiopien (Ogaden) führte zu einer starken Solidarisierung der Äthiopier untereinander, in der Hoffnung, so die Eindringlinge vertreiben zu können. Die Sowjetunion und Kuba haben in bis dahin unbekanntem Maße mit Mensch und Material geholfen. Der dramatischste Konflikt war aber wohl der zwischen Eritrea und Äthiopien. Dieser Konflikt hat auf beiden Seiten zu erheblichen menschlichen Verlusten geführt. Während Eritrea den Krieg als nationalen Befreiungskampf sah, war er für die äthiopische Regierung nur eine interne Revolte.

Das Ende der Kriege in Djibouti, Eritrea und Äthiopien

Im Mai 1991 fiel das Derg-Regime. Anfang 1991 umzingelten die »Ethiopian People's Revolutionary Democratic Forces« (EPRDF) Addis Abeba und die »Eritrean People's Liberation Front« (EPLF) näherte sich Asmara. Mit dem Verlust mehrerer wichtiger Städte verlor die äthiopische Armee ihre Manövrierfähigkeit. Während ihrer militärischen Erfolge wurden Anfang 1991 die EPRDF, die EPLF und die »Oromo Liberation Front« (OLF) zu einer Konferenz (London) unter der Ägide der USA eingeladen. Andere nichtbewaffnete Gruppierungen wurden von diesem Prozeß zur Übernahme der Regierung ausgeschlossen. Die realpolitische Herangehensweise der USA im Frühjahr 1991 bedeutete de facto die Anerkennung der bewaffneten Gruppierungen, die im Mai 1991 ermutigt wurden, die Hauptstadt einzunehmen. Der Zerfall des Regimes hatte bereits Ende der achtziger Jahre eingesetzt und selbst die Einführung quasi marktwirtschaftlicher Strukturen, die vorher immer abgelehnt wurde, hatte nicht den erwünschten Meinungsumschwung in der Bevölkerung zur Folge. Mit dem politischen Umschwung in der DDR und in der UdSSR unter Gorbatschow verlor das Mengistu-Regime seine Waffenlieferanten und Berater.1

Nach etwa drei Jahrzehnten sind die Bürgerkriege in Eritrea und Äthiopien heute beendet. Jedoch bedeutet der »krieglose« Zustand nicht, daß Frieden in der Region eingekehrt ist. Auch nach dem Krieg gab es noch bewaffnete Konflikte mit den Nachbarstaaten. Verschiedene Meldungen weisen darauf hin, daß es in Äthiopien und Eritrea nach wie vor bewaffnete Oppositionsgruppen gibt.

Der interne Konflikt in Djibouti war hauptsächlich ein Kampf um die politische Macht zwischen den Volksgruppen der Afar und Issa. Eine der Hauptfiguren in diesem Konflikt ist der seit der Unabhängigkeit herrschende Präsident, der mit Hilfe französischer Truppen2 Oppositionsbewegungen niederschlug. 1991 bis 1994 haben die in der »Front Uni de l'Opposition Djiboutienne« (FUOD) vereinigten Kräfte gegen die Regierung gekämpft. Während des Konfliktes wuchs die Zahl der Soldaten von 3.000 auf 18.000 (Africa Confidential, 06.07.97, S. 7). Durch Vermittlung Frankreichs wurde 1994 schließlich ein Friedensabkommen unterzeichnet (Matthies 1997).

Kriege im Sudan und in Somalia

Somalia befindet sich seit der blutigen Schlacht Anfang 1991, die zu der Vertreibung von Präsident Siad Basse führte, nahezu ununterbrochen im Bürgerkrieg. Gleichzeitig zerfielen die nationalen Streitkräfte. Die wichtigsten bewaffneten Fraktionen, die um die Macht kämpfen, entstammen verschiedenen Clans. Sie variieren je nach politischem Bündnis, strategischen Notwendigkeiten und dem Gemüt ihres Führers. Somalias interne Kämpfe sind zu einem Sicherheitsproblem auch für die Nachbarstaaten geworden. Eine von den USA geführte Invasion begann Ende 1992 – später bekannt und fortgeführt als »United Nations Operations in Somalia« (UNOSOM I&II)- und wurde Ende 1995 beendet, ohne daß die gesetzten Ziele erreicht wurden. Die UNO schätzte Anfang 1995 die Zahl der bewaffneten Männer auf 134.000. Äthiopien ist gegenwärtig Gastgeber von (scheinbar) fruchtbaren Friedensverhandlungen. Bisher vorgelegte Lösungen wurden allerdings kürzlich von einigen Fraktionen abgelehnt.

Die Regierung des Sudans, die von der »National Islamic Front« (NIF), einer politisch-religiösen Partei, kontrolliert wird, befindet sich im Krieg mit der »Sudanese People Liberation Front« (SPLA) und anderen Gruppen, die sich gegen die »Arabisierung« und »Islamisierung« wenden. Die Regierung betreibt eine systematische Kampagne gegen ihre Gegner und besteht auf der zwangsweisen Einberufung zur Miliz und Armee. Während die bewaffnete Hauptopposition (SPLA) gegen die Regierung kämpft, haben andere Gruppen kürzlich eine Friedensvereinbarung erzielt. Doch diese Vereinbarung ist weit von dem entfernt, was ein »Friedensprozeß« beinhalten müßte, nämlich eine Teilnahme aller Betroffenen und klar erkennbare Schritte in Richtung friedenschaffende Maßnahmen. Diese Vereinbarung wird wohl noch nicht zu einem Ende des Konflikts führen.

Demobilisierung

Als Resultat der Beendigung einiger Konflikte am Horn von Afrika haben seit 1991 mehrere Demobilisierungen stattgefunden. Zunächst wurde in Äthiopien die Armee des Derg-Regimes, etwa eine halbe Million Soldaten, vollständig abgebaut. Sie wurde durch die Armee der EPRDF ersetzt und entsprechend in »Ethiopian National Defense Force« (ENDF) umbenannt. Diese besteht zur Zeit aus ca. 120.000 Soldaten.3 Nachdem die OLF die Regierungskoalition verließ und gegen die Regierungstruppen kämpfte, wurden zwischen 1992 und 1994 weitere 22.200 Kombattanten der OLF demobilisiert. Die neue Regierung hat 1995 ca. 20.000 Soldaten entlassen (hauptsächlich Tigreer), um einen Prozeß zur Herstellung einer »ethnischen Balance« in den Streitkräften einzuleiten (Horn of Africa Bulletin, 6/1995, S. 6). Da diese mit anderen Nationalitäten ersetzt wurden, sollte dies nicht als Demobilisierungsmaßnahme aufgefaßt werden, auch wenn dieser Vorgang ähnliche Reintegrationshilfsmaßnahmen erforderte.

Als das Regime von Mengistu im Mai 1991 fiel, waren die Streitkräfte in der Auflösung begriffen. Einige Soldaten flüchteten und landeten in Flüchtlingslagern in benachbarten Ländern (Djibouti, Kenia und Sudan). Die ehemaligen Derg-Soldaten wurden im Juli 1991 offiziell zur Demobilisierung aufgerufen und anschließend in Demobilisierungslagern zusammengefaßt. Viele Soldaten wurden per Luft und Straße von Nachbarländern mit Hilfe des UNHCRs in ihr Heimatland zurückgeschickt. In den Lagern wurden die Soldaten registriert, erhielten medizinische Versorgung und Nahrungsmittel. Das Internationale und das äthiopische Rote Kreuz unterstützten den Aufbau und die Verwaltung der Lager. Die ehemaligen Soldaten wurden nach Dienstgrad und gesundheitlicher Verfassung und Ihren Siedlungswünschen (städtisch bzw. ländlich) kategorisiert (Coletta et al, 1996).

Etwa 71.000 ehemalige Soldaten, die weniger als 18 Monate gedient hatten, wurden direkt in ihren Gemeinden angesiedelt. Andere, die mehr als 18 Monate gedient hatten, wurden für maximal 6 Monate kaserniert und unterzogen sich während dieser Zeit einem Reorientierungskurs und anderen Bildungsmaßnahmen, die sie auf die Rückkehr in das zivile Leben vorbereiten sollten. Weitere 90.000 Soldaten, die sich allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt bei den neuen Behörden gemeldet hatten, wurden mit ähnlichen Rehabilitationsmaßnahmen bedacht (Kingma and Sayers, 1995). Bis Januar 1992 waren alle demobilisierten Soldaten, entweder in ihrer ursprünglichen Heimatgemeinde oder in Gebieten, in denen sie sich vorzugsweise niederlassen wollten, angekommen. Alles in allem hat die äthiopische Regierung ca. 475.000 Soldaten demobilisiert.

Mehrere Programme wurden aufgestellt, um die Reintegration der Ex-Soldaten zu fördern. Die Regierung stellte ein Übergangspaket für die ehemaligen Soldaten zur Verfügung, das aus Bargeld und Gütern bestand. Jeder ehemalige Derg-Soldat erhielt zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Armee eine Bargeldsumme in Höhe von 137 Birr (2,07 Birr=1 US-Dollar). Die 158.710 ehemaligen Derg-Soldaten, die in städtische Zentren zurückkehrten, erhielten für sieben Monate einen zusätzlichen monatlichen Betrag von 50 Birr (Coletta et al, 1996). Die Reintegration wurde auch von ausländischen Organisationen, wie der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), den »Catholic Relief Services« (CRS) und Oxfam unterstützt. Die GTZ beispielsweise unterstützte den Reintegrationsprozeß u.a. durch die Finanzierung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, arbeitskraftintensiven Konstruktionsvorhaben, Ausbildungsmaßnahmen, um die selbständige Beschäftigung zu fördern, und bot kostengünstige Wohnungsbauprojekte an.

Die neue Regierung in Eritrea hat seit der Unabhängigkeit in 1993 ca. 55.000 der 95.000 Kämpfer demobilisiert. Die erste demobilisierte Gruppe (1993) betraf 26.000 Soldaten. Dabei handelte es sich hauptsächlich um junge Kämpfer, die der Unabhängigkeitsbewegung nach der entscheidenden Schlacht um Massawa (Februar 1990) beigetreten waren. 1994 und 1995 wurden 22.000 Kämpfer, die bereits länger gedient hatten – einige länger als zwei Jahrzehnte – und 1996 weitere 6.000 Kämpfer schrittweise demobilisiert. (Bruchhaus und Mehreteab, erscheint in Kürze). Diese in Eritrea demobilisierten Kämpfer unterschieden sich erheblich von den Soldaten in Äthiopien. Sie waren alle sehr diszipliniert und engagiert und hatten gerade einen drei Jahrzehnte langen Krieg siegreich beendet. Für die Bevölkerung waren sie die Befreier. Sie selber hatten im allgemeinen Vertrauen in ihre Regierung und Geduld, wenn erforderlich. Etwa ein Drittel der Kämpfer waren Frauen. Viele der Kämpfer (8.000-10.000) wurden im öffentlichen Dienst eingesetzt, um die zurückgekehrten Äthiopier zu ersetzen. Formal waren sie während dieser Zeit nicht demobilisiert und erhielten nur ein Taschengeld. Die Kämpfer, die in der ersten Phase demobilisiert wurden, erhielten zwischen 1.000 und 5.000 Birr (je nach Dauer der Zugehörigkeit zur EPLF) und Nahrungsmittelrationen für sechs Monate. Die der zweiten Phase, erhielten 10.000 Birr und Nahrungsmittelrationen für ein Jahr. (Bruchhaus und Mehreteab, erscheint in Kürze) Die Zahlungen wurden durch ein Darlehen finanziert, das die Regierung bei der Commercial Bank aufnahm. Da Eritrea weiterhin die äthiopische Währung verwendet (Birr), bedeutet dies im Endeffekt, daß die Zentralbank Äthiopiens die Aktion subventioniert hat. Die Demobilisierungsmaßnahmen wurden mit erheblicher Unterstützung seitens der »Abteilung für die Reintegration von demobilisierten Kämpfern« des Verteidigungsministerium durchgeführt.

Das Friedensabkommen von Djibouti beinhaltete die Verpflichtung, die 18.000 Mann starke Streitmacht auf die Hälfte zu reduzieren (La Nation, 02.06.1996). Die Regierung versucht weiterhin, die Finanzierung durch ausländische Geldgeber abzudecken. Sie beabsichtigt den Ex-Soldaten pro Kopf 1.500 US Dollar zu zahlen. Sie hofft, daß viele der demobilisierten Issas nach Südwestäthiopien zurückkehren, von wo sie 1991 rekrutiert wurden (Africa Confidential, 06.06.1997, S.7).

Trotz des Anhaltens von Gewalt und einem akuten Regierungsmangel in Somalia wurden in den letzten Jahren vereinzelt Demobilisierungsbemühungen unternommen. Nachdem nach der Borama-Konferenz (1992) eine relativ stabile Situation im Nordwesten Somalias erreicht wurde, unternahm die selbsternannte Regierung von Somaliland teilweise erfolgreiche Versuche, die Zahl der Waffen und bewaffneten Männer im Land zu reduzieren. Mit Hilfe einer kleinen UNDP-Beratergruppe begann ein nationales Demobilisierungskommittee damit, den Demobilisierungs- und Abrüstungsprozeß zu fördern und zu organisieren. Es gab erste Erfolge, bis Spannungen zwischen den verschiedenen Parteien auftraten und erneut Kampfhandlungen entflammten.

Im Januar 1993 versuchte die UNO-Aktionstruppe (UNITAF) in Somalia ein sogenanntes »Nahrung-für-Waffen«-Programm zu starten. Das Programm wurde aber schnell abgebrochen, als es zu Spannungen kam zwischen der UNITAF-Führung und Nothilfeorganisationen, die die Nahrungsmittel bereitstellen sollten (Adibe, 1995). Demobilisierungsbemühungen der UNOSOM scheiterten wegen fortwährender Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen. Die Erwartung, daß die UNO nicht in der Lage sein würde ihr Abrüstungsprogramm durchzusetzen und die Tatsache, daß die Macht auch weiterhin von der militärischen Fähigkeit der Milizen abhängen würde, machte wirksame Demobilisierungsmaßnahmen unmöglich. Dennoch sind kürzlich einige Versuche unternommen worden junge Männer aus den Milizen herauszuholen. Gegen Anreize werden diese Männer ermutigt ihre Waffen abzugeben und sich weiterzubilden oder andere Aktivitäten aufzunehmen. Ein Ziel dieser Maßnahmen ist es, einen Beitrag zum Versöhnungsprozeß zu leisten. Die meisten dieser Projekte werden von ausländischen Entwicklungshilfeagenturen, wie z.B. der Europäischen Union und des UN-Entwicklungshilfeprogramms (UNDP), unterstützt und von lokalen und internationalen NGOs umgesetzt.

Reintegration

Der Umzug der ehemaligen Soldaten in die neuen Gemeinden, um dort ein neues Leben zu beginnen, ist der Beginn des Reintegrationsprozesses. Es muß festgehalten werden, daß der größte Teil der Last der Reintegrationsbemühungen auf den Schultern der ehemaligen Kombattanten4 und denen ihrer Familien und Gemeinden liegt. Zumindest die oben genannten Demobilisierungsmaßnahmen wurden durch Regierungen, NGOs oder internationale Entwicklungsagenturen unterstützt. Hier sahen sich die Entscheidungsträger mit der Frage konfrontiert, ob sie die Ex-Soldaten als eine spezielle Zielgruppe betrachten sollten. Bei der Entwicklung der Unterstützungsmaßnahmen mußten einerseits die spezifischen Interessen der ehemaligen Kombattanten berücksichtigt werden, auf der anderen Seite mußte aber verhindert werden, eine Unzufriedenheit bei den oftmals armen Gemeinden hervorzurufen, denn dies hätte eine wirkliche Integration gefährdet (Kingma, 1995). Die Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen fanden nicht isoliert statt, sondern im Zusammenspiel mit Bemühungen die Wirtschaft zu stabilisieren, lokale Institutionen zu stärken, die Infrastruktur, die Landwirtschaft und die Industrie wieder aufzubauen sowie zurückkehrenden Flüchtlingen und anderen vom Krieg betroffenen Gruppen Hilfestellung zu leisten.5

Reintegration ist nicht nur ein ökonomischer Prozeß, um den Lebensunterhalt zu sichern. Sie hat auch wichtige soziale und psychologische Aspekte. Die Ex-Kombattanten müssen in ihren Gemeinden akzeptiert werden und in der Regel fällt es ihnen schwer, ihre Einstellungen und Erwartungen der neuen Situation anzupassen. Für eritreische Kämpfer beispielsweise war es anfangs schwer mit Geld umzugehen, da sie in ihrer Zeit bei der EPLF über keines verfügten. In Eritrea ist die Reintegration besonders für Frauen schwierig. Sie haben während des Krieges neue Rollen übernommen, aber nach dem Krieg erwarteten viele Männer, daß sie zu ihren traditionellen Rollen zurückkehren, was automatisch zu Spannungen führte. Unter den Ex-Kämpfern wurde eine hohe Scheidungsrate festgestellt (Klingebiel et al, 1995). Eine andere Gruppe mit besonders großen Problemen sich zu reintegrieren stellen die behinderten Ex-Kombattanten dar. Sowohl in Äthiopien als auch in Eritrea waren viele der demobilisierten Soldaten auf irgendeine Art behindert, von der halben Million ehemaligen Soldaten Äthiopiens waren es ca. 45.000.

Nach Beendigung des Konfliktes und während der Demobilisierungphase tauchten zwei eng miteinander verbundene und auf die Waffen bezogene Probleme auf. In den Lagern der (neuen) Regierungen verblieben große Mengen an Waffen, für die es keine Verwendung gab. Sowohl in Eritrea als auch in Äthiopien ist eine große Menge von Waffen und Waffenschrott vorhanden, der vor sich hinrostet und zu schwerwiegenden Umweltproblemen führen kann. Eine weitaus größere Gefahr ist aber, daß diese Waffen gestohlen oder exportiert werden (beispielsweise in andere afrikanische Staaten). Es gibt Hinweise darauf, daß z.B. Waffen aus Äthiopien und Eritrea an die SPLA in den Sudan verschifft wurden und große Mengen äthiopischer Waffen nach Somalia gelangt sind.

Das Risiko, daß Waffen bei den Ex-Kombattanten bleiben oder in die Hände Dritter geraten, stellt das zweite Sicherheitsproblem dar. Es wird vermutet, daß zahlreiche Waffen aufgrund des Umfangs des Demobilisierungsprozesses und der lückenhaften Vorbereitung in Äthiopien bei ehemaligen Soldaten verblieben sind. Es wird angenommen, daß einige Überfälle auf Lastwagen von ehemaligen Derg-Soldaten verübt wurden (Africa Confidential, 05.01.1996, S. 4). Die genauen Zahlen der Waffen, die sich in Umlauf befinden, kennt niemand, zumal sie leicht über die durchlässigen nationalen Grenzen geschmuggelt werden können. Die Entwaffnung der eritreischen Kämpfer stellte hingegen kein großes Problem dar, da die EPLF alle während des Befreiungskrieges verwendeten Waffen registriert hatte (Klingebiel et al, 1995). Waffenkontrolle und Abrüstung wird am Horn von Afrika oftmals auch dadurch erschwert, daß der Waffenbesitz zum Teil gesellschaftlich akzeptiert ist. In einigen Gegenden ist nur ein bewaffneter Mann ein »richtiger Mann«.

Schlußbetrachtung

Alle Demobilisierungsmaßnahmen fanden in einem spezifischen historischen Kontext statt. Die Entscheidung zu demobilisieren beruhte auf spezifischen militärischen, politischen und sozio-ökonomischen Umständen und Ereignissen.6 Die äthiopische Derg-Armee wurde geschlagen und abgebaut. In Eritrea wurde die EPLF zur nationalen Armee des neuen unabhängigen Staates. Das heißt, hier beschloß die siegreiche Armee zu demobilisieren. Im Falle von Djibouti wurde die geplante Demobilisierung in einem Friedensabkommen vereinbart. Die nur teilweise erfolgreichen Demobilisierungsversuche in Somalia sind vor Ort vereinbart worden, sind aber ständig durch neue Kampfwellen gefährdet.

In Eritrea und Äthiopien haben sich die ehemaligen Kombattanten im allgemeinen gut reintegriert.7 Die auftretenden Probleme stehen in direkter Beziehung zu der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Unterstützung für die Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen hat es in den meisten Fällen deshalb gegeben, weil der langfristige Schaden für die Gesellschaft höher gewesen wäre, wenn die ehemaligen Soldaten nicht in der Lage gewesen wären, außerhalb der Streitkräfte für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und sich in ihren Gemeinden sozial zu reintegrieren. Dies hätte zu einer höheren Verbrechensrate und politischer Instabilität geführt.

Trotz anhaltender Unruhen und dem grenzüberschreitenden Charakter einiger Konflikte, hat sich die Demobilisierung positiv auf die regionale Sicherheit ausgewirkt und Entwicklungschancen eröffnet. Während der Wissensstand in der praktischen Handhabung von Demobilisierung und Reintegration wächst, bleibt der komplexe Aspekt der Förderung von Frieden und Stabilität eine Herausforderung für die Regierungen und Bevölkerung des Horns.

Reintegration ist eine Entwicklungsbemühung, die langfristig angelegt ist. Es ist deshalb entscheidend, daß alle am Konflikt Beteiligten, sich bereits während eines Krieges Gedanken darüber machen, was mit den diversen Kämpfern nach Beendigung des Konflikts geschehen soll. Weiterhin ist es wichtig, daß sich die Geldgeber auf die Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen vorbereiten. Dies kann u.a. durch die Koppelung von Notstands- und Entwicklungsaktivitäten geschehen und durch die Schaffung von Flexibilität und effektiver Koordination innerhalb der Organisationen (Spencer, 1996).

Demobilisierung am Horn von Afrika
Äthiopien fast eine halbe Million Soldaten der besiegten Derg-Armee wurden nach 1991
demobilisiert; zwischen 1991-1994 weitere 22.200 OLF-Kombattanten
Djibouti die Demobilisierung von 9.000 Soldaten ist geplant
Eritrea 55.000 ehemalige Kämpfer der EPLF sind seit 1993 demobilisiert worden
Somalia seit 1992 sind mehrere – bisher weitestgehend erfolglose –
Demobilisierungsmaßnahmen unternommen worden.

Literatur

Adibe, Clement 1995: Managing Arms in Peace Processes: Somalia. Disarmament and Conflict Resolution Project. Geneva: UN Institute for Disarmament Research (UNIDIR).

Bonn International Center for Conversion (BICC) 1996: Conversion Survey 1996; Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization. Oxford: Oxford University Press.

Bruchhaus, Eva-Maria / Mehreteab, Amanuel (forthcoming): The Impact of Demobilization in Eritrea. Bonn: BICC.

Colletta, Nat J. / Kostner, Markus / Wiederhofer, Ingo 1996: Case Studies in War-to-Peace Transition; The Demobilization and Reintegration of Ex-Combatants in Ethiopia, Namibia and Uganda._ World Bank Discussion Paper no. 331. Africa Technical Department Series. Washington D.C.: World Bank.

Kingma, Kees 1995: Demobilisierung und Wiedereingliederung von Soldaten: Wichtige Schritte im Friedensprozeß. In Hanne-Margret Birckenbach, Uli Jäger and Christian Wellmann (Hrsg.) 1996: Jahrbuch Frieden. München, S. 177188.

Kingma, Kees / Sayers, Vanessa 1995: Demobilization in the Horn of Africa. Proceedings of the IRG workshop, Addis Ababa, December 1994. Brief 4. Bonn: BICC.

Klingebiel, Stephan / Gärke, Inge / Kreidler, Corinna / Lobner, Sabine / Schütte, Haje 1995: Promoting the Reintegration of Former Female and Male Combatants in Eritrea. Berlin: German Development Institute.

Matthies, Volker 1997: Äthiopien, Eritrea, Somalia, Djibouti: Das Horn von Afrika, 3., überarb. und erw. Aufl. München.

Spencer, Denise 1995: Donor Response to Demobilization and Reintegration in the Horn of Africa. Report of Seminar organized by the International Resource Group on Disarmament and Security in the Horn of Africa (IRG) and the Bonn International Center for Conversion (BICC), Copenhagen, 11 September 1995.

Vogt, Margaret A. 1994: Demobilization in Somalia: Problems and Prospects. Life & Peace Review. Vol. 8, No. 4, pp. 2629.

Anmerkungen

1) Anfang der 90er Jahre waren noch 900 von ehemals einigen Tausend Beratern verblieben. Zurück

2) Gegenwärtig sind ca. 3 500 französische Soldaten in Djibouti stationiert (Süddeutsche Zeitung,09.07.97) Zurück

3) An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß mit der Unabhängigkeit Eritreas die äthiopische Marine überflüssig wurde und die Schiffe verkauft werden mußten. Anfang 1996 hatten die 16 Schiffe eine Besatzung von nur noch 250 Mann – die letzten Mitglieder einer Marine, die 1990 noch 4.000 Mann zählte. Zurück

4) Der Begriff Kombattant umfaßt sowohl Soldaten als auch Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen. Zurück

5) Rückkehrende Flüchtlinge und innerhalb des Landes vertriebene Menschen übertreffen in ihrer Zahl bei weitem die ehemaligen Kombattanten, sowohl in Eritrea als auch in Äthiopien. In Äthiopien sind ca. 8 Millionen Menschen durch den Krieg zu Flüchtlingen innerhalb ihres Landes geworden (Coletta et al, 1996, S.30). Zurück

6) Hinsichtlich der sechs Hauptfaktoren, die zu Demobilisierung führen können siehe BICC, 1996, S. 153. Zurück

7) Eine Einschätzung der tatsächlichen Auswirkungen der Demobilisierung in Äthiopien und Eritrea (als auch in Mozambique und Uganda) wird zur Zeit vom BICC erarbeitet. Zurück

Kiflemariam Gebrewold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des BICC. Von 1994 bis 1996 war er technischer Berater bei einer äthiopischen Nichtregierungsorganisation im Auftrag von Dienste in Übersee.
Kees Kingma ist seit 1994 Leiter des Demobilisierungsprojektes im BICC. Zur Zeit ist er mit der Veröffentlichung einer Studie zu »Auswirkungen von Demobilisierung in Afrika südlich der Sahara« befaßt.

Wahrheit und Versöhnung

Wahrheit und Versöhnung

Vergangenheitsaufarbeitung in Südafrika

von Hein Möllers

Alle Wahrheitskommissionen sind das Ergebnis politischer Verhandlungen und Kompromisse. Die »Truth and Reconcialiation Commission« (TRC) in Südafrika ist da keine Ausnahme. Alle Parteien waren der Meinung, daß Südafrikas Geschichte voller Konflikte und Zerissenheit war. Der einzige Weg zu einer dauerhaften verfassungsrechtlichen Lösung war ein quasi-Vertrauensvorschuß auf nationale Einheit und Versöhnung zwischen vormals verfeindeten Gruppen. Man hatte allgemein das Gefühl, daß Ermittlungen die Stabilität gefährden würden, die für eine fragile Demokratie aber notwendig war. Zum anderen wollte die Nationale Partei für sich und ihre Ausführungsorgane die Garantie, daß die neue Regierung diejenigen, die die weiße Minderheitenherrschaft verteidigt hatten, nicht verfolgen würde. In der Tat hat die Nationale Partei kategorisch jede Erlaubnis für einen Übergang zur Demokratie und freie Wahlen abgelehnt ohne diese verfassungsmäßige Garantie einer Amnestie.

Die Frage der Verantwortung für alte Vergehen blieb eines der umstrittensten Themen der Mehrparteienberatungen über die neue Verfassung. Während die NP sich vehement für die Aufnahme einer Amnestieklausel für Sicherheitskräfte starkmachte, bestand der ANC darauf, die Frage der Straffreiheit der neuen Regierung zu überlassen.

Schließlich fand sich als letzte Klausel in der Übergangsverfassung eine sogenannte »Postambel« wieder, die die Notwendigkeit einer nationalen Versöhnung betont. Diese Verfassungsklausel sieht Amnestie vor „bei Taten… und Delikten mit politischen Zielen und im Zusammenhang mit den Konflikten der Vergangenheit.“ 1 Ein entsprechendes vom Parlament zu verabschiedendes Gesetz sollte für die Gewährung von Amnestie einen Stichtag zwischen dem 8. Oktober 1990 und 6. Dezember 1993 bestimmen und Kriterien sowie das Prozedere zur Behandlung der Amnestiefrage, darunter Tribunale, festlegen.

Dieses »Gesetz zur Förderung der nationalen Einheit und der Versöhnung« wurde Ende Juni 1995 vom Parlament verabschiedet. Während der nächsten anderthalb Jahre soll eine Wahrheitskommission die politisch motivierten Menschenrechtsverletzungen der Apartheidzeit untersuchen und den Tätern Straffreiheit gewähren, sofern sie ihre Taten öffentlich eingestehen.

Die »Kommission für Wahrheit- und Versöhnung« hat drei Hauptfunktionen:

  • die massiven Verletzungen der Menschenrechte, die stattgefunden haben und von den Konflikten der Vergangenheit herrühren, vollständig darstellen;
  • den Opfern zur Wiedererlangung ihrer menschlichen und bürgerrechtlichen Würde verhelfen, indem man sie ihre Geschichte erzählen läßt und Empfehlungen für ihre Unterstützung ausspricht;
  • die Gewährung von Amnestie überlegen für jene Täter, die Mißhandlungen aus politischen Gründen begangen haben und ihre Taten der Kommission vollständig mitteilen.

Um diese Ziele zu erreichen, arbeitet die TRC durch ihre Ausschüsse für Menschenrechtsverletzungen, für Wiedergutmachung und Rehabilitation und für Amnestie.

Der Ausschuß für Menschenrechtsverletzungen hat die Aufgabe, konkrete Fälle zu untersuchen und einen umfangreichen »Bericht zu groben Menschenrechtsverletzungen« während der 30 Jahre vor dem Übergang zu einer demokratischen Regierung in Südafrika zu erstellen.

Grobe Menschenrechtsverletzung wird definiert als: „Verletzung von Menschenrechten durch a) die Tötung, Entführung, Folter oder schwere Mißhandlung einer Person; oder b) jeder Versuch, Komplott, Anstiftung, Aufwiegelung, Befehl oder Veranlassung, eine in Paragraph a) erwähnte Tat zu begehen, die aus den Konflikten der Vergangenheit hervorgegangen ist und in der Zeitspanne vom 1. März 1960 bis zum Stichtag (schließlich auf den 5. Dezember 1993, dem Tag vor Verabschiedung der Übergangsverfassung, festgelegt. H.M.) in oder außerhalb der Republik begangen wurde und deren Ausübung von einer Person empfohlen, geplant, gelenkt, befohlen oder beauftragt wurde, die aus politischen Motiven handelte.“ 2

Dieser Ausschuß steht vor einer heiklen politischen Aufgabe und sah sich wiederholt unter Druck, seine Unparteilichkeit unter Beweis zu stellen. So nutzte er nur zögerlich seine vollen Machtbefugnisse bei Ermittlungen, Verhaftungen und Vorladungen aus.

Das beeinträchtigte auch die Beziehungen zu den Opfern, die ihre verständliche Frustration darüber äußerten, daß sie keine volle Gerechtigkeit erwarten können – nämlich die Verurteilung derer, die bekanntermaßen für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich waren. Insbesondere die (zurückgewiesenen) Verfassungsklagen von den Angehörigen Steve Bikos, der ANC-Aktivisten Dr. Griffiths und Victoria Mxenge und des erschlagenen Dr. Fabian Ribeiro, wurden von einigen Ausschußmitgliedern als dem Versöhnungsprozeß zuwiderlaufend dargestellt.

Der Ausschuß zur Wiedergutmachung und Versöhnung behandelt die Anträge auf Entschädigung für die Opfer von groben Menschenrechtsverletzungen. Der Ausschuß gibt Empfehlungen „im Bestreben, die menschliche und bürgerliche Würde des Opfers wiederherzustellen.“ 3 Die Verfasser des Gesetzes waren sorgsam darauf bedacht die Gewährung von Wiedergutmachungsleistungen nicht zu einer endlosen Verpflichtung werden zu lassen. Der Wortlaut des Gesetzes zielt darauf ab, dem Staatspräsidenten und Parlament Zeit einzuräumen, um die auszuzahlenden Beträge erst nach Feststellung der Anzahl der angemeldeten Ansprüche festzusetzen.

Die Anhörungen haben eine eigene Kraft entfaltet, sind zu einer eigentümlichen Mischung aus individueller und kollektiver Therapie, Tribunal und Messe geworde<14>n

Diese stillste Unterabteilung der TRC – »Wiedergutmachung und Versöhnung« – zeigte sich bisher unfähig, hier eine sinnvolle Politik zu entwickeln. Das ließ viele Opfer – vor allem angesichts der Ungewißheit über die Höhe des Geldes, das die Regierung zur Verfügung stellen würde – doch sehr am Wert und an der Bedeutung ihrer Aussagen zweifeln.

Der Amnestieausschuß behandelt die eingehenden Anträge und gewährt Amnestie „bei jeder Tat… oder Vergehen auf der Grundlage, daß es sich um eine Tat handelt, die mit politischer Zielsetzung in Zusammenhang steht“ 4 und die zwischen März 1960 und Dezember 1993 begangen wurde.

Die große Stärke der gesamten TRC lag bisher in dieser Abteilung, die keine moralische Unterscheidung zwischen Opfern auf allen Seiten des Konflikts zu machen brauchte. Das Ergebnis war ein einmalig machtvoller Prozeß, in dessen Verlauf diejenigen, die massive Menschenrechtsverletzungen erleiden mußten, vor der Kommission und vor der südafrikanischen Öffentlichkeit aussagten. Die Auswirkungen dieser öffentlichen Zeugenaussagen sind der größte Erfolg der TRC und werden zweifelsohne auch in den nächsten Jahren tiefgreifenden Einfluß auf die südafrikanische Gesellschaft haben.

Seit Mitte April 1996 reist die 17köpfige Wahrheitskommission unter Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Bischof Desmond Tutu durch ganz Südafrika, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Hunderte von Geschichten von Mord, Folter, Verfolgung und Leid mußten sich die Kommissionsmitglieder seither anhören, »kleine« und »große«, alltägliche und außergewöhnliche Verfolgung im Apartheid-Staat. Längst haben die Anhörungen eine eigene Kraft entfaltet, sind nicht zuletzt aufgrund der Persönlichkeit Tutus zu einer eigentümlichen Mischung aus individueller und kollektiver Therapie, Tribunal und Messe geworden. Die Emotionen schlagen oft hoch, viele Ehefrauen und Mütter brachen schreiend vor der Kommission zusammen, wenn sie ihre Geschichte öffentlich erzählen durften, und auch einzelnen Kommissionsmitgliedern laufen oft die Tränen herunter.

Vor allem für die schwarze Bevölkerungsmehrheit hat die Kommission eine gar nicht zu unterschätzende kathartische Wirkung. Zwar sind viele Fälle, die referiert werden, bekannt, hatten bereits früher gerichtliche Untersuchungen nach sich gezogen. Die meisten allerdings waren im Nichts verlaufen, von den verschwundenen Ehemännern und Söhnen fehlt bis heute jede Spur. In afrikanischen Kulturen hat es eine besondere Bedeutung, wenn die Hinterbliebenen die Toten nicht begraben können, denn solange zürnen die Ahnen. Immer wieder flehten weinende Frauen deshalb die Kommission an, ihnen die Toten zurückzubringen, damit sie sie endlich begraben können.

Hier erfüllt die TRC ihre Aufgabe, die klassische Form der Gerechtigkeit zu ergänzen. Der Wahrheits- und Versöhnungsprozeß, wie er in Südafrika angestrebt wird, hat auch etwas mit afrikanischer Spiritualität zu tun. Verletzer und Verletzte und ihre Familien verhandeln miteinander. Und das Opfer steht viel stärker im Mittelpunkt, als dies eine normale Prozeßordnung zuläßt. Sie haben nicht nur die Gelegenheit zu berichten, sie befreien sich auch. Der Wunsch, den sie haben, ist zu wissen, wo ihre Frauen, Männer und Kinder geblieben sind. Und wenn sie gefunden werden, wo sie verscharrt wurden, dann werden sie nach Hause gebracht und in Würde beerdigt.

Was die Seite der Täter angeht, ist die Bilanz eher mager

Was allerdings die andere Seite, die der Täter angeht, ist die Bilanz bisher eher mager. Weiße Rechtsextreme haben die Kommission deshalb bereits höhnisch als »Kleenex-Kommission« tituliert – nach dem Motto: geweint wird ausgiebig, mehr aber auch nicht. Der Vorsitzende der TRC, Desmond Tutu, sagte bei seinem Amtsantritt: „Wir können keine moralischen Werte diktieren, daß die Täter Reue empfinden. Wir gehen ein Risiko ein. Wir hoffen, daß jemand der darüber spricht, einen Menschen getötet zu haben, erkennt, daß dieser Mensch keine bloße Nummer, keine Ziffer in der Statistik ist. Dieser war die Mutter, der Vater, das Kind von jemand anderem. Ich hoffe, daß die Täter nicht hochnäsig auftreten und sich ins Fäustchen lachen, daß sie sich im klaren sind, daß sie über etwas sprechen, das viele Menschen in diesem Land traumatisiert hat.“ 5

Wer gehofft hatte, daß durch die spezielle Amnestieregelung die Täter zu Tausenden hervortreten und sich zu ihren Taten bekennen würden, sieht sich bislang getäuscht.

Und so sehen sich viele Opfer überfordert, ihrerseits einen Schlußstrich zu ziehen. Alex Boraine, stellvertretender Vorsitzende der TRC, berichtet über eine Verhandlung: Eine schwarze Frau hört den Aussagen des Mörders ihres Mannes zu. Zum ersten Mal erfährt sie, wie ihr Mann umgebracht wurde. Und als sie gefragt wurde, ob sie vergeben könne, antwortete sie in ihrer Sprache, übersetzt von einem Dolmetscher: „Keine Regierung kann vergeben (Pause) Keine Kommission kann vergeben (Pause) Nur ich kann vergeben (Pause) Und ich bin nicht bereit, zu vergeben.“ 6

Andere Opfer sind grundsätzlich der Ansicht, daß Schwerverbrechen von den Gerichten verfolgt und bestraft werden müssen, wie etwa die Familie von Steve Biko. Sie argumentieren, die Strafe für den Täter sei für das seelische Weiterleben der überlebenden Opfer, bzw. der betroffenen Angehörigen von entscheidender Bedeutung; denn diese Strafe demonstriere die Solidarität des Sozialverbandes mit dem Opfer.

Stabilität und Nationale Einheit stehen gegen die Forderungen nach Gerechtigkeit durch Strafe. Verfolgung, Verurteilung und Haft stehen gegen Versöhnung. Einige meinen, Strafe könne zukünftige Repression verhindern, denn Strafe schrecke die Täter ab. Auch heißt es, daß Tyrannei da beginne, wo das Gesetz ende – Straffreiheit für Verbrecher entwerte und untergrabe die Geltung der Gesetze. Strafverfolgung dagegen zeige, daß niemand über dem Gesetz stehe.

Amnestie könne also auch zu Desillusionierung und Zynismus in der Bevölkerung führen und die moralische Autorität der Regierung schwächen. Amnestie sei außerdem eine verhängnisvolle Kapitulation vor den Forderungen der Sicherheitskräfte. Sie behielten dadurch unverhältnismäßig viel Macht in der erst entstehenden Demokratie.

Natürlich gibt es starke Gegenargumente. Das wichtigste darunter ist, daß Strafverfolgung zu Destabilisierung oder sogar offener Rebellion führen könne. Das würde eine fragile Demokratie schwächen und in einem Militärputsch enden.

Die Amnestiebefürworter glauben, Amnestie ist das kleinere von zwei Übeln, die Alternative sei Militärherrschaft. Sie vertreten die Meinung, es sei besser, kurzfristig Kompromisse einzugehen, um die langfristigen Ziele von Stabilität, Frieden und Achtung der Menschenrechte zu sichern.

Die Wahrheitskommission beschreitet hier einen Mittelweg. Denn Amnestie gibt es nicht automatisch. Besonders brutale, heimtückische oder barbarische Verbrechen werden nicht amnestiert. Die Namen und Taten der Amnestierten werden veröffentlicht. Das ist an sich schon eine Art der Bestrafung und kann auch Konsequenzen für Beschäftigung oder Amt haben.

Unter realpolitischen Gesichtspunkten ist Südafrikas Amnestieregelung der Preis für den friedlichen Übergang zur Demokratie. Aber ist Versöhnung zu diesem Preis zu haben? Der Politologe Steven Friedman schreibt: „Eine Kommission alleine kann vielleicht zur Wahrheit gelangen – obwohl auch das schon fraglich ist, denn Wahrheit ist in unserer polarisierten Gesellschaft nur allzuoft eine Frage des Standpunkts. Aber sie kann keine Versöhnung verordnen. Nur die Menschen, die miteinander versöhnt werden müssen, können das tun. Die TRC kann zu Versöhnung und Demokratie beitragen, wenn sie einen Prozeß in Gang setzt, in dem Südafrikaner zu einem gemeinsamen Verständnis von Wahrheit gelangen – oder, was vermutlich noch wichtiger ist, zu einer gemeinsamen Auffassung von Gerechtigkeit.“ 7

Anmerkungen

1) Constitution of the Republik of South Africa, Bill Act 251. 1993. Zurück

2) Promotion of National Unity and Reconciliation Act 1995. Zitiert nach Human Rights Comittee, Human Rights Update Week 26, 24-30 June 1995. Zurück

3) dito Zurück

4) dito Zurück

5) Sapa, 04.04.1996. Zurück

6) Alex Boraine am 17.05.1997 im Gespräch mit dem Autor. Zurück

7) Mail & Guardian, 17-23. January 1997. Zurück

Hein Möllers ist Mitarbeiter der »informationsstelle südliches afrika« und Redakteur der Zeitschrift »afrika süd«.

Militanter Islamismus in Algerien und Ägypten

Militanter Islamismus in Algerien und Ägypten

Das Kriegsgeschehen in Nordafrika

von Jürgen Endres

Die Politisierung des Islam in Form von islamistischen Organisationen ist in Ägypten durch eine relativ lange Tradition geprägt. Die im Jahr 1928 von Hassan al-Banna gegründete Muslimbruderschaft (arab. al-ikhwan al-muslimun) gilt zu Recht als erste islamistische Bewegung. Ihr Programm von 1936 umfaßte summarisch folgende Punkte: Beendigung des Parteienwesens, Einführung der islamischen sharia1, kulturelle Zensur sowie Wahrung islamischer Moralvorstellungen, Verbot von Zins und Profit und sozial orientierte Verteilung des Reichtums. Nach Jahren militanter Aktionen gegen die britische Vorherrschaft in Ägypten und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Repräsentanten des Nasser-Regimes korrigierte die Bruderschaft den von ihr verfolgten Kurs der gewaltsamen Konfrontation und beschloß einen Marsch durch die Institutionen, der sich zu einem wahren Hindernislauf entwickeln sollte.

Allerdings vollzogen nicht alle Mitglieder der zu einer Massenorganisation angewachsenen Muslimbruderschaft die ideologische Kurskorrektur. Resultat dieser Entwicklung war die Abspaltung militanter islamistischer Organisationen von der Muslimbruderschaft, die heute den bewaffneten Kampf gegen das bestehende System fortsetzen. Derzeit werden in Ägypten einige Dutzend militante islamistische Organisationen vermutet, die jedoch unabhängig voneinander agieren. Die bekanntesten dieser Organisationen sind al-jihad (heiliger Kampf), al-jama'a al-islamiyya (islamische Gemeinschaft), hizb at-tahrir al-islami (Partei der islamischen Befreiung) sowie jama'a at-takfir wa-l-hijra (Gemeinschaft der Bezichtigung des Unglaubens und der Auswanderung).

Der bewaffnete Konflikt in Ägypten

Seit 1992 haben sich die Auseinandersetzungen zwischen den militanten islamistischen Organisationen und den ägyptischen Sicherheitskräften intensiviert. Durch Attentate auf Repräsentanten der Regierung und Vertreter der Sicherheitskräfte, Angehörige der koptisch-christlichen Minderheit und Touristen sowie Bombenanschläge auf öffentliche Einrichtungen erstreben die militanten islamistischen Organisationen eine Destabilisierung der ägyptischen Regierung, um auf diesem Weg deren innen- und außenpolitische Legitimität zu untergraben.

Der durch den islamistischen Terrorismus herausgeforderte Staat reagiert stets mit unerbittlicher Härte (landesweite Razzien, Verstoße gegen die Menschenrechte, Schußwechsel mit meist zahlreichen Verletzten und Toten, Massenverhaftungen und Militärtribunale) und trägt durch diese Strategie zu einer Eskalation der Auseinandersetzungen bei. Dabei gelang es jedoch weder den Sicherheitskräften, die den säkularen Staat herausfordernden militanten islamistischen Organisationen zu eliminieren, noch erreichten die etwa 10.000 Mitglieder dieser Organisation ihr Ziel, die ägyptische Regierung tatsächlich zu destabilisieren. Somit ist weder ein Ende des Konflikts noch ein Sturz des ägyptischen Regimes in Sicht.

Parallel zur militärischen Auseinandersetzung mit den militanten islamistischen Organisationen des Landes führt die ägyptische Regierung einen weit weniger spektakulären für die zukünftige Entwicklung des bewaffneten Konflikts jedoch entscheidenden Kampf gegen die Muslimbruderschaft. Mit einer Mitgliederzahl von etwa 100.000 zählt diese zu den bedeutendsten politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes. Etwa eine Million Ägypter sollen mit der Bruderschaft sympathisieren.

Die ideologische Kurskorrektur der Bruderschaft könnte im Vergleich zu ihren Anfangsjahren drastischer nicht sein. Im Gegensatz zu ihrer Gründungszeit tritt sie heute für ein freies Parteiensystem ein, in dessen Rahmen sie als islamistische Partei zu partizipieren bereit ist. Sowohl das politische System als auch die ägyptische Gesellschaft wird von der Muslimbruderschaft als islamkonform charakterisiert. Zudem bekennt sie sich zu einer sozialen Marktwirtschaft und zeigt alle Züge einer politischen Partei. Seit geraumer Zeit jedoch wird der gesellschaftliche und politische Einfluß der seit 1954 offiziell verbotenen Bruderschaft, die unter Sadat relative politische Freiheit und Partizipation genoß, trotz der Integrationsbereitschaft und des Bekenntnisses zu demokratischen Strukturen systematisch zurückgedrängt. Im Jahr 1993 änderte die ägyptische Regierung die Wahlgesetze für Berufsvereinigungen, die der Bruderschaft als Plattform für eine politische Partizipation dienten und schränkte dadurch die Möglichkeiten politischer Partizipation drastisch ein. Zudem erhebt das ägyptische Regime vermehrt den Vorwurf des Zusammenschlusses zu einer terroristischen Vereinigung gegen prominente Muslimbrüder und läßt diese von Militärgerichten verurteilen.

Die Konsequenzen dieser staatlichen Konfliktstrategie könnten sich als fatal erweisen. Denn die massive staatliche Repression im Verein mit einer forcierten Politik des Entzugs der Möglichkeiten der politischen Partizipation und Integration in bestehende Strukturen drohen wie in der Ära Nassers bereits geschehen zu einer Radikalisierung bisher friedlich agierender Muslimbrüder beizutragen. Eine weitere Eskalation des Konflikts ist somit aufgrund einer steten Einschränkung friedlicher politischer Alternativen zum bewaffneten Konfliktaustrag nicht auszuschließen.

Der Krieg in Algerien

Die Geschichte des seit 1992 herrschenden Krieges in Algerien ist wie die des bewaffneten Konflikts in Ägypten eine Geschichte der Verweigerung politischer Freiheit und Partizipation. Von besonderer Bedeutung für den Krieg in Algerien ist jedoch, daß die staatssozialistische Entwicklungsdiktatur Algeriens in eine klientelistische Kleptokratie der Front de Liberation Nationale (FLN) mündete, die sich seit der Unabhängigkeit Algeriens 1962 Staat und Wirtschaft angeeignet hat.

Die unmittelbare Vorgeschichte des innerstaatlichen Krieges beginnt mit dem Wahlsieg der im Februar 1989 konstituierten Front Islamique du Salut (FIS) bei den ersten freien Kommunalwahlen im Sommer des Jahres 1990 sowie bei der ersten Runde der Parlamentswahlen im Dezember des Jahres 1991. Wie schon zahlreiche Male zuvor in Krisensituationen betrat das algerische Militär die politische Bühne und setzte den für März 1992 vorgesehenen zweiten Wahlgang aus. Zudem zwangen die Militärs den amtierenden Staatspräsidenten Chadli Benjedid zum Rücktritt und verboten kurze Zeit später die FIS. Der durch das Militär zum Präsidenten ernannte Muhammad Boudiaf, der 30 Jahre im marokkanischen Exil lebte, fiel im Sommer 1992 einem Attentat seiner eigenen Sicherheitskräfte zum Opfer, für das zunächst jedoch die FIS verantwortlich gemacht wurde. Das abrupte Ende des durch die Wahlen eingeleiteten Demokratisierungsprozesses mündete in einem innerstaatlichen Krieg, der seit 1992 zwischen 50.000 und 80.000 Todesopfer gefordert hat und der im Gegensatz zu Ägypten zu einem partiellen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung geführt hat.

Auf seiten der militanten Islamisten, die sich um ihren Wahlsieg betrogen fühlen und auf staatliche Repression mit Terror antworten, sind es zwei Organisationen, die insbesondere in die Kämpfe mit den staatlichen Sicherheitskräften verwickelt sind: zum einen die Mitglieder der Organisation Mouvement Islamique Armé (MIA), die als bewaffneter Arm der verbotenen FIS angesehen wird und die sich seit dem Frühjahr 1994 Armée Islamique du Salut (AIS) nennt. Die zweite intensiv an der militärischen Auseinandersetzung mit dem Staatsapparat beteiligte Organisation ist die Groupe Islamique Armé (GIA), die im Sommer des Jahres 1992 infolge der Ermordung und Verhaftung zahlreicher islamistischer Untergrundführer entstand.

Über die Anzahl der Mitglieder dieser Organisationen existieren stark divergierende Angaben. Einige Schätzungen gehen von etwa 2.500 Mitgliedern aus, andere reichen bis zu 20.000. Ihnen stehen 40.000 Militärs gegenüber, die aus der insgesamt 130.000 Mann starken Armee speziell zu Terrorismusbekämpfung bereitgestellt wurden.

Weder die zwischen der FIS, der FLN und der Front des Forces Socialistes (FFS) im Januar des Jahres 1995 im Rahmen der »Plattform von Rom« verabschiedete »Nationale Charta«, die der Wiederherstellung eines souveränen, demokratischen und sozialen Algeriens im Sinne der Prinzipien des Islam dienen sollte, noch die Präsidentschaftswahlen vom November des selben Jahres, aus denen der seit Januar 1994 amtierende Staatschef General Liamine Zeroual als deutlicher Sieger hervorging, führten zu einem Rückgang der Intensität der militärischen Auseinandersetzungen. Dies gilt auch für das Referendum über eine neue Verfassung, in der u.a. die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten erheblich erweitert und politische Parteien, die sich als religiös definieren, verboten wurden sowie für die Parlamentswahlen vom Juni 1997, die die Staatschef Zeroual nahestehende Rassemblement National Démocratique (RND) gewann. Sie erhielt 156 von 380 Parlamentssitzen. Zweitstärkste Kraft wurde das Mouvement de la Société pour la Paix (MSP), die Nachfolgeorganisation der algerischen Hamas2.

Die Tatsache, daß die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen gleich blieb, obwohl sich die Regierung um eine höhere Legitimation bemühte, liegt zum einen darin begründet, daß insbesondere die GIA jegliche Form des Dialogs mit der algerischen Regierung ablehnt. Zum anderen – und dies ist von entscheidender Bedeutung – wurde die islamistische Opposition von der Regierung vollkommen aus dem politischen Prozeß ausgeschlossen und somit ein Großteil der oppositionellen Kräfte des Landes der Möglichkeiten politischer Partizipation beraubt.

Parallelen und Unterschiede zwischen Algerien und Ägypten

Prägnanteste Parallelen in beiden bewaffneten Konflikten sind sicherlich die diesen zugrundeliegenden Hauptkonfliktlinien und Ursachen sowie die Konstellation der Konfliktparteien. Beide Konflikte sind Folgen einer als illegitim empfundenen staatlichen Herrschaft und einer in beiden Staaten existierenden tiefen sozialen Krise, die aus der Transformation traditionaler Gesellschaften resultiert.

In beiden Fällen wird ein korruptes und mehr oder minder autoritäres Regime durch reformorientierte Organisationen – in Ägypten ist dies insbesondere die Muslimbruderschaft, in Algerien die FIS – oder militante islamistische Gruppierungen herausgefordert. Die Artikulation des Protests und die Legitimation des bewaffneten Widerstandes geschieht jeweils unter Rückgriff auf den Islam, der zugleich vages Programm für die angestrebte Gesellschaftsform ist: al-islam hua al-hall (der Islam ist die Lösung). Sowohl in Ägypten als auch in Algerien soll das von den militanten islamistischen Organisationen als unislamisch perzipierte politische System durch ein an den Idealen der medinensischen umma3 zu Lebzeiten Muhammads ausgerichtetes System ersetzt werden, das auf dem Koran und der sunna4 des Propheten Muhammad basieren soll. Den säkularen Gesellschafts- und Staatsmodellen der Moderne wird ein an traditionalen Elementen orientiertes islamistisches Modell entgegengesetzt, von dem man sich eine Form einer autochthonen Moderne verspricht und das an die Hochzeit der islamischen Kultur anknüpfen soll.

Weitere Parallelen weist die Mitgliederstruktur der militanten islamistischen Organisationen Ägyptens und Algeriens auf. In beiden Staaten rekrutieren sich diese Organisationen vorwiegend aus jungen Erwachsenen, die nur über wenig formale Bildung verfügen und aus ruralen Gebieten oder den Armutsvierteln urbaner Zentren stammen. Des weiteren werden an den Universitäten Studenten rekrutiert, deren Zukunft trotz ihrer formalen Ausbildung meist ungesichert ist. Angesichts des Scheiterns säkularer Strategien perzipieren diese den Rückgriff auf traditionelle Bezugssysteme (hier der Islam) als einzig wahre Alternative und erfahren zudem in den islamistischen Organisationen ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft.

Die Unterschiede in der Größe der Konfliktparteien und der Zahl der Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen lassen sich u.a. durch das unterschiedliche Maß an politischen und gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten erklären. Während in Algerien der islamistischen Opposition eine politische Partizipation an den bestehenden Strukturen vollkommen verwehrt wird, bleiben der islamistischen Opposition in Ägypten dazu – wenn auch geringer werdende – Möglichkeiten.

Die Unterschiede resultieren aber auch aus den verschiedenen historischen Verläufen der Modernisierung Ägyptens und Algeriens. Im Vergleich zu Algerien ist die ägyptische Gesellschaft deutlich stärker mit Momenten moderner kapitalistischer Gesellschaft durchdrungen, wie auch die Staatlichkeit Ägyptens auf eine deutlich ältere Tradition zurückblicken kann. Beide Faktoren sind für die unterschiedlichen Entwicklungen der bewaffneten Auseinandersetzungen von entscheidender Bedeutung.

Sowohl für Ägypten als auch für Algerien ist der Kassandraruf eines drohenden aggressiven islamistischen Regimes ungerechtfertigt. Denn in beiden Staaten sympathisiert das Gros der Bevölkerung in keiner Art und Weise mit den militanten Islamisten, sondern sehnt vor allem ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen herbei.

Literatur

Borchardt, Ulrike 1994: Bürgerkrieg in Algerien, Arbeitspapier Nr. 75 der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Universität Hamburg (out of print).

Endres, Jürgen 1997: Die islamistische Opposition in Ägypten zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Muslimbruderschaft und militante Islamisten, Arbeitspapier der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Universität Hamburg (in print).

Keppel, Gilles 1985: The Prophet and Pharao. Muslim Extremism in Egypt, London.

Manousakis, Gregor M. 1994: Algerien, der erste Dominostein? In: Europäische Sicherheit, Jg. 43, Nr. 7, S. 335-337.

Meier, Andreas 1994: Der politische Auftrag des Islam: Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen. Originalstimmen aus der Islamischen Welt, Wuppertal.

Mitchell, Richard P. 1969: The Society of the Muslim Brothers, London.

Riesenbrodt, Martin 1993: Islamischer Fundamentalismus aus soziologischer Sicht. In: APuZ, B 33, S. 11-16.

Anmerkungen

1)sharia: islamische Rechtsordnung. Zurück

2) Die algerische Hamas darf mit der palästinensischen Hamas nicht verwechselt werden. Während Hamas in Palästina als Akronym für harakat al-muqawama al-islamiyya (Bewegung des islamischen Widerstands) steht und die Organisation ihre Ziele mittels physischer Gewalt zu erreichen sucht, steht der Name der gewaltverneinenden algerischen Partei für das arabische Wort „Eifer“. Zurück

3) umma: Gemeinschaft der Gläubigen. Zurück

4) sunna: überlieferte beispielgebende Verhaltensweisen des Propheten; die zu verbindlichen Präzedenzfällen erhobenen überlieferten Aussagen und Handlungen des Propheten. Zurück

Jürgen Endres ist Mitglied der AKUF

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Südafrika nach den Wahlen

von Jens Peter Steffen

In beeindruckender Weise ist nach vier Jahren hart geführter Verhandlungen der Anspruch des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), des größten Widerstandsbündnisses gegen die Apartheid, auf die Führung des Landes durch die Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner bestätigt worden.

Hinter den 252 Sitzen des ANC fallen die vormalige Regierungspartei, die Nationale Partei (NP) und die Inkatha Freiheitspartei der Zulus (IFP) mit 82, bzw. 43 Sitzen in der Nationalversammlung weit zurück. Vier weitere Parteien werden einen schweren Stand haben, sich Gehör zu verschaffen. Mit neun Sitzen und ca. 425.000 Stimmen wird die burische Freiheitsfront (FF) von Constand Viljoen dennoch ein vehementer Vertreter für die Schaffung eines Afrikaander-Volksstaates sein. Enttäuscht ist der Pan-Afrikanistische Kongress (PAC) ob seiner fünf Sitze. Seine Führung hatte die eigene Gefolgschaft und das Stimmpotential der mit der kompromißbereiten Verhandlungslinie des ANC unzufriedenen als wesentlich höher eingeschätzt. Die Demokratische Partei (DP), einst die liberale Vorzeigeopposition der Apartheid, hat mit sieben Sitzen (1,7<0> <>%) ihr Ziel einer Regierungsbeteiligung, die mit fünf Prozent der Stimmen möglich gewesen wäre, weit verfehlt. Zwei Sitze erhielt die dubiose Afrikanische Christlich Demokratische Partei (ACDP), von dessen Hauptbetreiber in der Presse berichtet wurde, er sei ein erfahrener Organisator der »dritten Kolonne« der Machtorgane des Apartheidsystems gewesen. Mit mikroskopischen Stimmenanteilen von unter 0,2 Prozent blieben die Parteien der ehemaligen Homelandführer, ethnisch-religiöse Parteien und diverse weitere Zusammenschlüsse und Kandidaten am Ende der Stimmenauszählung außerhalb der Nationalversammlung.

Der Wahlerfolg des ANC bestätigt seinen Charakter als ein breites gesellschaftliches Bündnis, daß die Grenzen von Klasse, Rasse und Religion überschreitet. Damit hat sich die Wahlkampfstrategie, nicht alleine als die ehemalige Befreiungsbewegung aufzutreten, sondern vielmehr als Bündnis mit der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), dem Gewerkschaftsdachverband (COSATU), der Südafrikanischen Nationalen Organisation der Bürgerorganisationen und via der Patriotischen Front mit den Resten der Arbeiterpartei des Allan Hendrickse, Vertretern des Indischen Kongresses und weiteren Bürgerrechtsorganisationen, als fruchtbar erwiesen. Das Wahlergebnis zeigt aber auch, daß nur geringe Teile der weißen Wählerschaft für den ANC votierten, während das Bündnis unter indischen, farbigen (provinziell unterschiedlich) und diversen afrikanischen Wählern Mehrheiten mobilisieren konnte. Praktisch-taktisch war die ANC-Bündnisstrategie durch die Ergänzung der Großveranstaltungen mit zahllosen auf spezifische Zielgruppen und Themen zugeschnittenen Zusammenkünften umgesetzt worden. Wichtig waren auch lokale, regionale und thematische Bürgerforen, die der Aufnahme der Wünsche der Bevölkerung dienten und von denen die ANC-Führung zu Wahlzeiten sagte, daß sie fortgesetzt würden.

Die Schwierigkeiten des ANC, sich nach der Legalisierung auf die veränderten Bedingungen der politischen Arbeit einzustellen und die vor Ort verbliebenen Kämpfer und zurückkehrenden Exilanten zu einer Partei zu verschmelzen, haben sich bislang in einer moderaten und auf Kompromiß ausgelegten politischen Ausrichtung der ANC-Führung gelöst, die sich in den Augen der Wähler als mehrheitsfähig erwiesen hat. Für diese Linie stehen Persönlichkeiten wie Cyril Ramaphosa, Thabo Mbeki und natürlich Nelson Mandela. Die Regierungspositionen, die radikale Wortführer wie Winnie Mandela, Peter Mokaba und Harry Gwala erhalten haben, zeigen aber auch, daß der kompromißloseren Stimmung der Basis – und besonders der Jugend – Rechnung getragen wird. Für diesen Wahlsieg hat der ANC alles eingesetzt und verbraucht, was er an Ressourcen aufbringen konnte. Die Notwendigkeit, die Organisation zu straffen und zu stabilisieren wird schwer zu erfüllen sein. Der große Wahlerfolg bedingt, daß Führungskräfte auf nationaler und provinzieller Ebene in Regierungsämter abwandern. Cyril Ramaphosas Rückbesinnung auf seine Aufgabe als Generalsekretär des ANC muß der Reorganisation des ANC wichtige Impulse geben, auch wenn sein Fehlen im Regierungszirkel – als Chefunterhändler des Übergangs wurde er zum Nachfolger Nelson Mandelas stilisiert – als Zurücksetzung gekennzeichnet wurde.

Der NP (Nationale Partei), die verfassungsgemäß einen Vizepräsidenten und sechs Minister stellt, ist besonders im Westkap die Erschließung neuer Wählergruppen unter den Farbigen gelungen. Der NP-Premier Hernus Kriel, als wertkonservativer Bure ein Opponent de Klerks, spielte in seinem Wahlkampf besonders mit der Angst der Farbigen vor einer für sie unkontrollierbar erscheinenden Beherrschung durch Schwarzafrikaner. Die Mehrheitsverhältnisse in der Provinzversammlung sind aber nicht eindeutig und drei kleineren Parteien kommt eine eventuell ausschlaggebende Bedeutung zu. National drängte die Wahlkampfstrategie der NP bei den Wählern auf die Einsicht, daß eine starke Opposition von Nöten sei, um den despotischen Zügen des ANC entgegenzuwirken. Dabei wurden Reizworte des traditionellen Anti-Kommunismus ebenso wie rassistische Vorurteile benutzt. Die NP versuchte sich das Image einer völlig reformierten Partei zu geben, dessen Denken an westlichen Wertvorstellungen orientiert sei. Bis auf medial ausgeschlachtete Einzelfälle schwarzer Kandidatinnen, Kandidaten und Unterstützung, zeigt das Wahlergebnis, daß die NP unter Schwarzafrikanern nur wenig Erfolg hatte.

Die IFP (Inkatha Freiheitspartei) konnte nur spät in den Wahlprozeß eingebunden werden, was zu erheblichen technischen Problemen und im Endeffekt zu Anschuldigungen der Wahlmanipulation führte. Zumindest aus der öffentlichen Darstellung der Zusagen zur künftigen Verfassungsdiskussion und der Änderung der Übergangsverfassung im Sinne einer Garantie eines Zulu-Königreichs ist nicht zu ersehen, was Buthelezi durch seine anhaltende Verweigerung mehr gewonnen hat, als ihm zuvor schon zugesagt wurde. Der im wesentlichen in KwaZulu/Natal erlangte Erfolg der IFP bringt die Führung Inkathas in die nationale Regierung, die dort gegen die von ihr verspürten zentralistischen Interessen des ANC arbeiten will, während in der Provinz selbst die Zusammenarbeit mit dem ANC gesucht werden muß. Die Provinzführung des ANC ist aber nach wie vor mit der Entscheidung unzufrieden, die Wahlen allgemein als fair und frei anzuerkennen und überlegt Schritte, das Ergebnis in KwaZulu/Natal vor Gericht anzufechten. In der Provinz, in der der aufgrund blutiger Zusammenstöße verhängte Notstand nach wie vor gilt, werden bezüglich der gewaltsamen Auseinandersetzungen unterschiedliche Prognosen abgegeben: während IFP-Stimmen das Problem der politischen Gewalt zwischen ANC und IFP-Anhängern gerne zu einem »historischen« machen würden, befürchten ANC-Anhänger eine Bestrafung ihrer Wählerbasis, um für zukünftige Wahlen das Terrain der IFP zu bereiten.

Das Wirtschafts- und Sozialprogramm

In Artikel 88ff der Übergangsverfassung wird vorgeschrieben, daß Parteien mit mehr als fünf Prozent Wahlergebnis an der Regierung der Nationalen Einheit beteiligt werden müssen. Der in der ersten Sitzung der Nationalversammlung proklamierte Präsident Nelson Mandela steht damit einem Kabinett vor, daß er proportional aus Kräften des ANC, der NP und der IFP gebildet hat. Sowohl das nationale als auch die neun Provinz-Kabinette wollen sich für die nächsten fünf Jahre einem Kode gemeinsamer Verantwortung unterwerfen. Nichtsdestoweniger hat die mehr oder minder im Alleingang durch die ANC-Führung erstellte und dabei die Wünsche der anderen Parteien weitgehend ignorierende Kabinettsliste bereits viel Unmut hervorgerufen. Die besonders umstrittenen »Sicherheitsministerien«, wie Verteidigung und Polizei, aber auch die für das Rekonstruktions- und Entwicklungsprogramm des ANC zentralen Ministerien hat der ANC besetzt. Den wichtigen Ministerien, die an die NP und die IFP gingen, wurden ANC Junior-Minister als »Aufpasser« zugestellt. Zusätzlich dazu gibt es eine zweite Linie an Einfluß und Kontrolleuren, wenn die Generaldirektoren der Ministerien – erneut nach Parteienproporz – ernannt werden.

Nelson Mandela hat nach dem Wahlerfolg bekräftigt, daß das Rekonstruktions- und Entwicklungsprogramm des ANC die Grundlage für die Regierung der nationalen Einheit sein wird. Seine Erklärung richtete sich besonders gegen die NP, die im Wahlkampf eine wirtschaftliche Programmatik paternalistisch kaschierter und unkontrollierter Marktwirtschaft favorisierte. Obwohl besonders aus den Reihen der Gewerkschaften das mehrmalige Umschreiben des Programms mit seiner zunehmenden Verwässerung gleichgesetzt wurde, formuliert das ANC-Programm immer noch den einzigen kohärenten praktisch-politischen Maßnahmenkatalog zu Bildung einer sozial gerechteren und gleichwertigeren südafrikanischen Gesellschaft. Wie die Balance zwischen der von der Wählerschaft des ANC erwarteten Umverteilung der Reichtümer des Landes, den geerbten ökonomischen Problemen, den Vorbehalten und Bedingungen der Wirtschaftsführer und der internationalen Wirtschaftszentren, im Rahmen der Regierung der nationalen Einheit gefunden wird, muß abgewartet werden. Selbst bedächtigste strukturelle Reformen Südafrikas werden sich gegen das traditionelle anti-kommunistische Sentiment durch die noch immer von Weißen kontrollierten Medien und Wirtschaftskartelle behaupten müssen. Nach der Wahl sind aus der NP und der IFP vermehrt Stimmen zu hören, die im Gegensatz zu Wahlkampfzeiten vorgeben, mit dem Programm keine Probleme zu haben – solange es zu finanzieren sei. Zu erwartende Streitpunkte in der neuen Regierung werden aber sicherlich die Breite und Tiefe der sozialen Komponente des Neuen Südafrikas sein, sowie divergierende Vorstellungen monetären Managements und weitgehender Deregulation mit den staatsinterventionistischen Ideen gesellschaftlicher Transformation. Dennoch: zwischen den wichtigen politischen Kräften herrscht zumindest Einigkeit über die marktwirtschaftliche Grundausrichtung. ANC-Sprecher betonten im Wahlkampf immer wieder, daß es Aufgabe des demokratischen Staates sei, für die Entwicklung und Pflege des Marktes zu sorgen. Der ANC habe sich von den Nationalisierungsforderungen der Freedom Charter entfernt, wenn man auch die Notwendigkeit sehe, zur Stärkung von Wachstum und Entwicklung interventionistisch einzugreifen.

Es gibt eine Reihe positiver Grunddaten der südafrikanischen Wirtschaft, die Hoffnungen auf ein wirtschaftliches Wachstum als Grundlage des gesellschaftlichen Umbaus machen. Das Land hat eine für das südliche Afrika gut entwickelte wirtschaftliche Infrastruktur, wenn diese auch in ihrer Qualität in den Provinzen sehr unterschiedlich ist. Sowohl die menschlichen als auch die natürlichen Ressourcen des Landes sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft, zudem erholt sich das Land sichtbar von den Folgen jahrelanger Dürre.

Konkret malen die Rahmendaten der Wirtschaft dagegen ein düsteres Bild. Die Produktivität ist niedrig, Investitionen sind in den letzten Jahren vernachlässigt worden und die Rezession, Sanktionen und die jahrelange Dürre haben ihre Spuren im Land hinterlassen. Die Staatsverschuldung von 229,4 Milliarden Rand (58,8<0> <>% des Bruttosozialprodukts) belasten den gegenwärtigen Staatshaushalt mit einer Schuldentilgung von 25,3 Milliarden Rand, wobei Fachleute von einer realistischen Belastung von 30 Milliarden sprechen.

Der zur Jahreswende 1993/94 unter 10<0> <>% gefallenen Inflationsrate steht ein prognostiziertes jährliches Wachstum von 2 bis 2,5<0> <>% entgegen. Allerdings erwarten Wirtschaftsvertreter mit Blick auf das Wirtschaftsprogramm des ANC den erneuten Anstieg der Inflationsrate auf über 10<0> <>%.

Im Januar wurden erschreckende Zahlen zum Arbeitsmarkt vorgelegt. Demnach hätten 46<0> <>% des wirtschaftlich aktiven Bevölkerungsanteils keine Arbeit, wobei in bestimmten Gebieten die Arbeitslosigkeit bis an 90<0> <>% heranreiche. Besonders zu Buche schlagen Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierungen und Entlassungen: Seit 1986 sind von ehemals einer halben Million Bergarbeiter in den Goldminen ein Viertel entlassen worden; betroffen sind zudem die Bereiche Textil-, Schuhindustrie und der Maschinenbau. Konkret bedeutet dies im formalen Sektor, daß von 100 auf den Arbeitsmarkt kommenden jungen Menschen nur sechs (23.000 von 440.000) eine Stelle finden würden.

Neuerdings mehren sich auch die Zahlen von Weißen, die als Squatter ihr Dasein fristen. Immer noch sind es aber die Schwarzen, die von der südafrikanischen Rezession am schwersten getroffen werden. Die Hilfsorganisation »Operation Hunger«, Träger von Ernährungs- und sozialen Entwicklungsprojekten der Regierung, versorgt z.B. in der Transkei 220.000, in der Ciskei 136.000 und in der Karoo, in Port Elizabeth und im nord-östlichen Kap weitere 180.000 Menschen mit Grundnahrungsmitteln. In diesen Regionen soll die Arbeitslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung über 55<0> <>% liegen und oft sind rentenempfangende alte Menschen die alleinigen Versorger großer Familien.

Angesichts dieser Lage gab der ANC seinem Wahlkampfslogan die Reihenfolge »Arbeit, Frieden und Freiheit«. Aus seiner Wahlprogrammatik und dem Restrukturierungs- und Entwicklungsprogramm lassen sich eine Reihe wirtschafts- und sozialpolitische Ziele herausfiltern, an deren Verwirklichung die neue Regierung gemessen werden kann.

  • Die gesamtwirtschaftliche Steuerung soll ein für ausländische Investoren günstiges Klima erzeugen. Eine Handelsreform mit vereinfachten Tarifen und reduzierten Schutzmaßnahmen soll den Export einheimischer Güter fördern, wobei Sorge getragen würde, daß Auswirkungen auf Arbeitsplätze und andere sensitive sozio-ökonomische Bereiche minimal blieben. Eine Anti-Trust-Gesetzgebung diene der Unterbindung wettbewerbsbehindernden Verhaltens der Unternehmen. Spezielle Programme würden die Entwicklung neuer Technologien in den Unternehmen unterstützen. Ein wichtiges Ziel sei eine Lohnpolitik, die den ArbeiterInnen eine existenzfähige Entlohnung garantiere. Angedacht sind auch Maßnahmen, die Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft Mitspracherechte in den Unternehmensvorständen geben.
  • Ein öffentlich gefördertes nationales Arbeitsbeschaffungsprogramm soll in den nächsten zehn Jahren 2,5 Millionen Menschen Arbeit und Ausbildung bieten. Das Programm würde im Zeitraum 1994-5 eine Milliarde Rand für 100.000 Menschen einsetzen und bis 1999 (dem Jahr des voraussichtlich nächsten Wahltermins) eine halbe Million SüdafrikanerInnen erreichen. Weiterhin ist ein Jugenddienst-Programm geplant, daß 1994-5 ca. 50.000 und bis 1999 insgesamt 300.000 Freiwillige mobilisieren soll.
  • Die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, wie Milch, Zucker und Mehl ist angekündigt.
  • Ein neues Besteuerungssystem, das Jahreseinkommen unter 4.000 Rand begünstigt und die unfaire Besteuerung von Frauen beendet, ist geplant.
  • Regierungsaufträge sollen besonders an kleine und mittlere Unternehmen vergeben und repressive Gesetzgebung zuungunsten kleinerer Unternehmen abgebaut werden.
  • Ein ländliches Entwicklungsprogramm mit einem Haushalt von 100 Millionen Rand, soll durch Investitionen im Bereich von Wasser, Krankenhäusern, Elektrizität und Straßen Arbeitsplätze und einen besseren Versorgungsstandard schaffen. Dieses Programm zielt in fünf Jahren auf die Versorgung von einer Million Familien mit fließend Wasser und Sanitäreinrichtungen und von 2,5 Millionen ländlichen und städtischen Heimstätten mit Strom.
  • In fünf Jahren sollen fünf Millionen neue Wohnungen geschaffen werden.
  • Die Landreform wird vorrangig Land aus Staatsbesitz verteilen und kleinen Landwirten den Zugang zu Krediten und Märkten erleichtern, sowie ihre Ausbildung fördern. Die landwirtschaftlichen Marketingorganisationen sollen zum Nutzen der kleinen Landwirte und der Konsumenten restrukturiert werden. Für die Opfer noch kürzlich erzwungener Landexpropriation wird es Wiedereinsetzungsmaßnahmen geben. Im Bereich der Landreform spielt zudem die Verbesserung der Gesundheitsversorgung auf dem Lande eine wichtige Rolle.
  • Grundsätzlich will der ANC jene bevorzugen, die unter dem System der Apartheid besonders diskriminiert wurden. Ein Ombuds-System wird überprüfen, ob Afrikaner, Farbige, Inder, Frauen, Behinderte und Menschen aus den ländlichen Gebieten auch in den Genuß dieser staatlichen und privaten Institutionen kommen.
  • Der gesellschaftliche Frieden soll einerseits durch den Umbau der Sicherheitsorgane, wie der Einführung einer Freiwilligenarmee und durch eine bürgernahe Polizei erreicht werden. Der ANC strebt zudem eine Verschärfung der Waffengesetze an.

Die Verfasser des ANC-Programms wissen, daß die erklärten Ziele – die zu Wahlkampfzeiten auf etwa 39 Mrd. und nach dem Wahlsieg auf ca. 80 Mrd. Rand geschätzt wurden – weder die Inflation anschieben, noch zu einer Wechselkurskrise führen dürfen. Angesichts der Staatsverschuldung wird zur Finanzierung an eine zeitlich begrenzte Belastung höherer Einkommensgruppen, der Einführung einer Grundbesitzsteuer zur Unterstützung der Landreform, einer Zusammenlegung und Straffung verschiedener Ministerien, der verstärkten Inpflichtnahme örtlicher und provinzieller Institutionen, sowie der privatwirtschaftlichen Einbindung insbesondere beim Wohnungsbau gedacht. Jay Naidoo, ehemals COSATU und als Mitverfasser des Programms zukünftig als Minister ohne Amtsbereich im Präsidialbüro Mandelas mit dessen politischer Koordinierung betraut, vertraut zudem auf eine »Apartheid-Dividende«, wenn die Restrukturierung der Bantu-Ministeriumsbereiche, der nach Rassen und Homelands separat gehaltenen Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen, zusätzliche Mittel freisetzen wird. Er erwartet auch, daß der Militärhaushalt in den nächsten zwei Jahren bis zu einem Drittel gekürzt und militärische Versorgungseinrichtungen der zivilen Nutzung geöffnet würden. Die zu erwartende Kreditaufnahme beim IWF beabsichtigt der ANC in engen Grenzen halten. Besonders die notwendigen Steuererhöhungen zur Umverteilung und Hebung des Lebensstandard der Ärmsten und die Umwidmung der knappen Mittel werden in der Regierung der nationalen Einheit heftige Diskussionen auslösen. Obendrein ist zu bedenken, daß der ANC zu Wahlkampfzeiten nicht nur seiner afrikanischen Basis positive Perspektiven, sondern z.B. auch den weißen Staatsdienern und Soldaten den Schutz ihrer Arbeitsplätze versprochen hat.

Zu Wahlkampfzeiten reagierten die Medien auf das ANC-Programm mit der Veröffentlichung fallender Johannesburger Aktienkurse und der Zahl von 15 Milliarden Rand Fluchtkapital im Jahr 1993. Von dieser Summe sind sieben Milliarden sicherlich zu Denken gebende Abflüsse, die durch illegale Transaktionen und den Abzug ausländischer Investoren entstanden, während über sechs Milliarden Rand zur Schuldentilgung und ca. zwei Milliarden als Dividendenauszahlungen der Goldminen an ausländische Investoren dienten. Vor Verkündung des Wahlergebnisses beleuchtete es die in Wirtschaftskreisen vorherrschende Stimmung, wenn nicht nur der Kommentar des afrikaans-sprachigen »Burger« die Daten nutzte, um vor den obsoleten »marxistischen Ideologien, wie Nationalisierung und einem schleichenden Sozialismus« des ANC zu warnen. Ausländische Investitionsankündigungen und das politische Alltagsgeschäft wird die Wirtschaftsführer wohl zu realistischeren Einschätzungen über den sozialreformerischen Charakter der Wirtschaftsprogrammatik des ANC bringen. Dabei kann die Aufgabe, das ökonomische, soziale und politische Ungleichgewicht unter den Bevölkerungsgruppen zumindest im Ansatz auszugleichen und menschenwürdige Grundstandards zu erreichen, Millionen von Menschen in deprimierender Armut nicht nur Hoffnung, sondern eine bessere Realität zu geben, m.E. nur durch staatsinterventionistische Maßnahmen initiiert werden. Die Entwicklung eines demokratischen Staatsgefüges wird nur auf der Grundlage einer erfolgreichen Inangriffnahme dieser Grundprobleme Südafrikas erfolgen. Ob die ernsthaften Ansätze aus dem Programm des ANC im politischen Ausgleich mit den anderen Regierungsparteien Bestand haben werden, ist abzuwarten. Die Personalpolitik des Präsidenten läßt seine Vorsätze zu einem möglichst rigorosen Neuanfang erahnen, was die Regierungserklärung vor dem Parlament bestätigen mag.

Politische Gewalt und der Zerfall der Apartheid

Die politische Gewalt in Südafrika addiert nicht nur täglich neue Opfer zu den alten Zahlen, sie verändert sich zudem beständig in ihren Formen und Auswüchsen, die die unterschiedlichen Gründe überlagern. Klassifizierungen, wie Gewalt von Schwarz gegen Schwarz, Weiß gegen Schwarz oder umgekehrt, »rival black factions«, etc. bleiben deskriptiv und bieten für ein Verständnis der Ursachen und damit möglicher Eindämmungsvorschläge keinen produktiven Beitrag. Erklärungen der Gewalt durch ethnische oder Stammeszugehörigkeiten – sicherlich ein wichtiger Aspekt, aber nicht die grundsätzliche Ursache – leisten einen erneuten Vorschub für eine weitere Instrumentalisierung der Gewalt. Die wechselnden Fronten in den Vorkommnissen tödlicher Aggressionen können linguistische und kulturelle Symbole ebenso durchschneiden, wie die Mitgliedschaft in diversen politischen Organisationen. Besonders in urbanen Gegenden bilden nach wie vor die materiellen Gegensätze von Hostel-, Township-Bewohnern und Squattern die mit ethnischen, stammesgemäßen und politischen Symbolen manipulierbaren Grundlagen solcher Konflikte. Dabei soll keineswegs gesagt werden, daß Verarmung zwangsläufig zu langanhaltender Gewalt führen muß, wie auch politische Profilierung nicht alleine durch Gewalt gesucht wird. Wie aber besonders die Entwicklungen in Natal zeigten, können sich die Konflikte auch innerhalb einer Sprache und Kultur – hier zwischen pro-Wahl-Zulus und den Wahlgegnern der IFP – entwickeln. Nicht vergessen werden sollte auch die bleibende Gefahr der weißen Rechten, die alle Möglichkeiten haben, den Transformationsprozeß nachhaltig zu stören. Wenn es wirklich so wäre, daß die politische Gewalt Form und Ursache ist, könnte sie durch einen militärischen Sieg oder einen politischen Vergleich der kämpfenden Seiten beendet werden. Da die Ursachen der gesellschaftlichen Gewalt in Südafrika aber komplex-verwobener sind, gibt es keine einfachen Lösungen.

Leider machte es sich aber auch der ANC und ausdrücklich Nelson Mandela in seiner öffentlichen Diskussion der politischen Gewalt sehr einfach. Für den ANC war das Problem der Gewalt im dreifachen Sinne eine Sache der Regierung, die einmal im Bereich von »law and order« versage und zum anderen politische Gewalt direkt durch ihre Organe und zudem durch die »Dritte Kraft« provoziere. Leider reagieren alle politischen Kräfte auf die Stimmung der Menschen mit Polarisierung und wollen Sicherheit zuerst durch militärische und polizeiliche Mittel erreichen. Sie rechnen Gewalt auf, während die so wichtigen Versöhnungsprojekte und -gesten dagegen oftmals hohl und als staatsmännische Attitüden erscheinen, abgehoben von den gewaltbereiten Vorstellungen der Basis und des Mittelbaus ihrer Organisationen. (Dabei gibt es beeindruckende Projekte der Aussöhnung, in denen Menschen sich mit allem einsetzen was sie haben – und das kann in Südafrika das Leben sein.) Die Gewaltfrage wurde im Wahlkampf immer wieder tagespolitisch instrumentalisiert, selbst wenn dies der langfristigen Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Sicherheitsapparate zuwider lief. Ein katastrophales Modell der Integration der diversen Befreiungs- und Homelandarmeen ist die bei Bloemfontein zusammengezogene und ausgebildete Nationale Friedenstruppe (NPKF), die nur durch Skandale von sich reden machte und beim Einsatz in KwaZulu/Natal hoffnungslos überfordert war.

Sicherlich ist für eine grundlegende Restrukturierung der Sicherheitsapparate hinderlich, daß es keine Schonzeit dafür gibt. Die explosive Situation in Südafrika ist mit dem Wahlergebnis nicht aufgelöst, was den Erhalt staatlicher Gewaltmittel in seinen alten Strukturen und Grundlagen fördert. So ist die von der Allparteienkonferenz beschlossene Abschaffung der Sondergesetze, ausdrücklich der berüchtigten Abteilung 29 des Internal Security Act als Grundlage der Haft ohne Gerichtsverhandlung, immer noch nicht vollzogen worden. Das Verhalten von Ex-Präsident de Klerk und der Parteienvertreter in der Übergangsexekutive erschien äußerst dubios und es entstand der Eindruck, daß auch ehemalige Freiheitskämpfer diese Gesetzgebung als Notnagel beibehalten wollten.

Anlässe und Möglichkeiten politischer Gewalt bleiben in Südafrika genügend vorhanden. Auch wenn die Apartheid – als politisches und soziales System eines verzweigten und institutionalisierten Rassismus – sein Ende findet, ein abgrundtiefer individueller und struktureller Rassismus wird der Gesellschaft erhalten bleiben. Einmal verniedlichend »petit apartheid« genannt, ist der dieser Gesellschaft inhärente Rassismus aller »Kulturen« durch seinen Irrationalismus das größte Hindernis zu einer konsensfähigen gesellschaftlichen Entwicklung. Mit der Auflösung der Strukturen und der Vorgaben der Apartheid geht der Verlust definierter und sanktionierter gesellschaftlicher, politischer und sozialer Positionen einher, für deren Erhalt oder Erlangung in der »Übergangssituation« und auch zukünftig gekämpft werden wird. Existentielle Unsicherheiten und Zukunftsängste treffen auf eine niveaulose mediale und in der Regel parteiische Präsentation und eine hohe Bereitschaft, eigene Gruppeninteressen auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Selbst wenn das Ende des Kalten Krieges eine Ausrüstung der Konfliktparteien mit schweren Waffen erschweren sollte, so sind kleinere Waffentechnologien in unbekannten Mengen vorhanden. Alle Gegenmaßnahmen gegen die gesellschaftliche Gewalt müssen dem Ziel dienen, eine konsequente Entwaffnung der südafrikanischen Gesellschaft zu erreichen. Dazu gehören der Aufbau eines Vertrauenverhältnisses zwischen den Ordnungsmächten und der Bevölkerung, eine restriktive Verschärfung der Waffenlizensierung und eine stichhaltige Gesetzgebung, die gegen Gewaltaufrufe und Volksverhetzung eingesetzt werden kann.

Wandel aus Schwäche

Trotz aller alten und neuen Polarisierungen der südafrikanischen Gesellschaft ist immer wieder beeindruckend, daß und wie die diversen politischen und sozialen Kräfte, die sich über 342 Jahre so viel Böses zugefügt haben, miteinander zu Kompromissen finden. Natürlich sind die Menschen auch von Ängsten beherrscht, die beim Bedenken aller Widrigkeiten nicht ausbleiben können. Aber immer wieder bricht der Wunsch nach einer kreativen Entwicklung der Heimat hervor. Sicherlich hört man noch immer – besonders von erst jüngst zurückgekehrten Exilanten und den jungen Aktivisten in den Townships – Unverständnis über »de Klerk und seinen Freund«. Der Mythos des Befreiungskampfes, der mit dem Slogan »Sieg oder Tod« das Ziel der militärischen Niederlage des Gegners propagierte, kollidiert mit der Strategie der verhandelten Veränderung Südafrikas. Der Beitrag des aufgeklärten Afrikaander-Establishment zum Abbau der Apartheid stellt die Opfer der Aktivisten in den Schatten, was von diesen schwer zu akzeptieren ist. Entgegen den anfänglichen Behauptungen, daß die Buren durch eine militärische Niederlage in Angola in die Knie gezwungen worden seien, haben noch Chris Hani und jüngst wieder Joe Slovo den bewaffneten Befreiungskampf zu einer Propagandawaffe erklärt, die nur im Zusammenwirken mit der demokratischen Massenbewegung Erfolg gehabt hätte.

ANC-Aktivisten, die schon länger im Land und eingebunden in die politische und gewerkschaftliche Arbeit sind, erklären dem Ausländer dagegen die konkreten Rahmenbedingungen politischer Machbarkeit. Diese Argumentationen halte ich für ehrlich, sie entsprechen einem Lernprozeß, den die Organisation seit 1990 durchlaufen hat. Damit einher geht das Zurückhalten des massenhaften schwarzen Schreis nach Rache für die erlittene Geschichte, was für mich das menschlich Überzeugendste am Neuen Südafrika ist. Um so mehr, als aus den Gesprächen mit Weißen die Angst vor dieser Rache immer wieder anklingt. Aber es finden sich auch Weiße, die darauf hoffen, daß sie in Zukunft in einem Land leben können, in dem sie allein aufgrund ihrer Hautfarbe keine Schuldgefühle mehr haben müssen. In ihrer Mehrheit sucht diese noch zu bildende »Nation« gegen extremistische Minderheits- und Partikularinteressen nach einem gesellschaftlichen Kompromiß.

Das Besondere am südafrikanischen Transformationsprozeß ist sicherlich, daß alle gesellschaftlichen Protagonisten bislang eher durch Schwäche als durch Stärke gekennzeichnet waren. Der ANC ist aus dem Wahlgang als dominante Kraft hervorgegangen, aber ein Ergebnis des verhandelten Übergangs ist seine Einbindung in eine politische Kompromißstruktur, was die Etablierung einer hegemonialen Vorherrschaft erschweren sollte. Die Veränderung der südafrikanischen Gesellschaft ist bislang ohne tiefgehende Zäsur geblieben. Ihre Bezeichnung als eine »verhandelte Revolution«1 erscheint zumindest verfrüht, denn noch sind die alte soziale Ordnung und die politische Gewalt des Apartheidstaates nicht aufgehoben worden. Die ausgehandelte Machtbeteiligung von Teilen der Befreiungsbewegung erzeugt ihre eigenen ideologischen Alltagsvorstellungen. So fordert die Mehrheit der Weißen, allen voran Ex-Präsident de Klerk, die Stunde Null für Südafrika: natürlich könne man nicht vergessen, aber man müsse vergeben. Die Schlechtigkeit der Apartheid wird in einer Art und Weise zugegeben, die ihre Folgeerscheinungen von den gesellschaftlichen und historischen Ursachen trennt. Mehrheitlich wird nicht akzeptiert, daß das Apartheidsystem kriminell gewesen sei, wie Mandela in seiner Friedensnobelpreisansprache erklärte.

Die Strategie der aufgeklärten Afrikaander hat in der historisch optimalen Situation auf eine ganze Reihe das Land beschränkende Probleme reagieren können. Dazu gehörte, die beständig steigende Last zunehmender Kosten des Krieges in Angola angesichts der sich stark verschlechternden wirtschaftlichen Lage abzuschütteln. Zusätzlich wurde gegen die Wünsche der eigenen Militärs die koloniale Herrschaft über Namibia aufgegeben, was zusammen mit dem Abbau der Apartheid Vorbedingung für eine Anbindung des Landes an die wirtschaftlichen und politischen Strukturen des südlichen Afrika und einer erneuten Verstärkung der Bindungen an die hochindustrialisierten Zentren war. Zu einer Zeit, als die veränderte Haltung Moskaus und Washingtons zu regionalen Konflikten die internationalen Partnerschaften der Befreiungsbewegung unterminierte, wurden letztere mit dem Angebot der Machtteilung in ihrer nationalen Ausrichtung dazu gebracht, die Legalität und schließlich die Legitimität des südafrikanischen Staates anzuerkennen. Eine Konsequenz ist, daß das Apartheidsystem so seine eigene Veränderung legitimieren kann. Angesichts dringender sozialer Probleme und der Gewaltbereitschaft soll dies nicht überbewertet werden, aber die politische Machbarkeit des Umbaus des Landes wird auch wesentlich davon abhängen, ob und wie das Neue vor dem Hintergrund der Geschichte der Apartheid im Alltagsbewußtsein der Menschen legitimiert werden kann.

Laut Übergangsverfassung ist die vornehmste Aufgabe der Nationalversammlung in gemeinsamer Sitzung mit dem Senat als Vertretung der Provinzen, innerhalb von zwei Jahren eine endgültige Verfassung für Südafrika zu verabschieden. Da der ANC die dazu notwendige Zweidrittel-Mehrheit nicht erhalten hat, wird es in der Frage der föderalen Struktur sicherlich wichtige Auseinandersetzungen in der und mit der Regierung geben. Noch ist nicht abzusehen, wie die neu geschaffenen neun Provinzen, sieben davon mit einem ANC-Premier, sich zur Zentralregierung stellen werden. Die Gefahr des Sezessionismus als eine Auflösungserscheinung der Apartheid ist mit der Wahl nicht beendet und kann den Übergang zu einer demokratischen und gerechten Gesellschaftsformation nach wie vor in Blut ersticken.

Die Repräsentation von Minderheiten wird für Südafrika ein dauerndes Problem bleiben. Die historischen Ableitungen völliger Selbständigkeit, wie der Zulus für KwaZulu/Natal und der Buren für einen eigenen Volkstaat, sind aus vielen Gründen problematisch und in ihrer politischen und gesellschaftlichen Konsequenz für die Demokratie nicht zu rechtfertigen. Ein sezessionistischer Zerfall Südafrikas kann nur zu neuer Unterdrückung führen, keiner der nach völliger Autonomie strebenden Kräfte in Südafrika hat eine Geschichte demokratischer Tradition. Das Potential jener Kräfte, die die ethnische und kulturelle Karte mit aller blutigen Konsequenz für das Land ausspielen wollen, muß entschärft werden. Ist der sezessionistische Konflikt einmal offen ausgebrochen, ist er mehr als nur ein Ersatzschlachtfeld um die gesamtgesellschaftliche Macht in Südafrika. Die weitere Eskalation wäre garantiert, weder stimmen die bisherigen Grenzen mit dem proklamierten ethnischen oder kulturellen Selbstverständnis überein, noch sind die Grenzen der Provinzen, oder die Zuordnung wichtiger wirtschaftlicher Zentren endgültig geklärt. Die Garantie föderaler Vielfalt mit expliziten Minderheitenrechten zur Wahrung der Identitäten der vielen Ethnien Südafrikas birgt die Zukunft für das Land. Diese Aufgabe des »Aufbaus der Nation in der Vielfalt« steht noch ganz am Anfang und muß auch aus dem Ausland unterstützt werden. Die Akzeptanz eigener Wege gesellschaftlicher Entwicklung aus Tradition und Moderne, nicht die reine Abbildkonstruktion westlicher Demokratie- und Wirtschaftsvorstellungen, muß sich gegen die Politik von IWF und Weltbank behaupten können.

Anmerkungen

1) Adam, Heribert; Moodley, Kogila, The Negotiated Revolution. Society and Politics in Post-Apartheid South Africa. Johannesburg: Jonathan Ball 1993. Zurück

Dr. Jens Peter Steffen ist Politikwissenschaftler und war als freier Journalist längere Zeit in Südafrika. (Bei Nachfragen: Hakenfelderstr. 8, 13587 Berlin)

Selbstbestimmung für Sahrauis?

Selbstbestimmung für Sahrauis?

Gefährdet die UNO ihre Beschlüsse und Prinzipien?

von Ralf Mattes

Die Staaten des Maghreb (Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien) sind, was ihre territorialen Grenzen und zum größten Teil ihre gesellschaftspolitische Entwicklung betrifft, ein Produkt des europäischen Kolonialismus. Bedingt durch diese Situation ergeben sich trotz der Arabischen Maghreb-Union, die am 17.2.1989 in Marrakesch gegründet wurde, eine Reihe von Problemen und zwischenstaatlichen Konflikten auf politischer, ökonomischer und militärischer Ebene.

Einer der zentralsten und augenfälligsten Konflikte in dieser Region ist der Befreiungskampf des Sahrauischen Volkes unter der Führung ihrer politischen Organisation Frente Polisario (Frente Popular para la Liberacion de Saguia el Hamra y Rio de Oro: Volksfront für die Befreiung von Saqiya al-Hamra und Rio de Oro) gegen die militärische und administrative Okkupation ihres staatlichen Territoriums Mitte der siebziger Jahre durch Marokko. Mit Ausnahme Tunesiens sind alle Staaten der Maghreb-Union mehr oder weniger in diesen postkolonialen Konflikt involviert.

Die überstürzte und unkontrollierte Dekolonialisation der ehemaligen Spanisch-Westsahara durch die spanischen Kolonialherren verleitete Marokko und Mauretanien, ihre schon seit den 60er Jahren proklamierten Annektionspläne umzusetzen. Nachdem beide Nationen ihre territorialen Interessen abgestimmt hatten, begann die systematische Besetzung des Gebietes. Der marokkanische König Hassan II entsandte heimlich erste Armeeeinheiten in das schwer zu kontrollierende Areal im Norden der Westsahara und veranstaltete am 6. November 1975 ein logistisch und inhaltlich vom Staatsapparat organisiertes Medienspektakel. 350.000 Marokkaner überschritten »spontan« die Grenzen der Spanisch-Westsahara. Diese offiziell als »Grüner Marsch« bezeichnete Demonstration des marokkanischen Machtanspruches wurde als Verbrüderung des durch die Kolonialzeit geteilten marokkanischen Volkes dargestellt. Hinter den Kulissen wurde am 14. November 1975 ein trilaterales Abkommen in Madrid unterzeichnet, in dem Mauretanien und Marokko ihre territorialen Ansprüche absteckten und Spanien die billige Versorgung mit Phosphat, dem wichtigsten Exportrohstoff der West-Sahara garantiert wurde. Die Ausbeutung der größten Phosphatlagerstätten der Welt bei Bou Craa im Norden der Westsahara sollte ohne Beteiligung der einheimischen Bevölkerung geschehen. Arbeitskräfte aus Marokko sollten die in ihrem eigenen Land bestehende Massenarbeitslosigkeit verringern. Durch den Zuzug der Familien in das extrem dünn besiedelte Gebiet erhoffte sich die marokkanische Regierung eine Entschärfung der wachsenden sozialen und ökonomischen Probleme, die durch die Überbevölkerung entstanden waren. Die zu erwartenden Profite sollten in die Kassen Königs Hassan II sowie einiger internationaler Konzerne fließen.

Am 26. Februar 1976 endete offiziell die spanische Herrschaft, zwei Tage vor dem vereinbarten Termin. Das Sahrauische Volk durfte nicht selbst über seine eigene Zukunft bestimmen. Die Frente Polisario, die schon zuvor gegen die spanische Besatzung gekämpft hatte, rief am darauffolgenden Tag, dem 27. Februar, durch den provisorischen sahrauischen Nationalrat die Demokratische Republik Sahara (DARS) aus.

Die anschließende Okkupation des ehemaligen Kolonialgebietes (die nördlichen 2/3 durch Marokko, das südliche Drittel durch Mauretanien) stellten einen eklatanten Bruch der in der Charta der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) manifestierten Unverletzlichkeit der Kolonialgrenzen dar.

Zunächst konzentrierte die Frente Polisario ihre militärischen Aktionen gegen das militärisch und ökonomisch schwache Mauretanien – mit Erfolg, denn am 10. Juli 1978 stürzte ein Militärputsch den mauretanischen Staatspräsidenten Mokhtar Ould Daddah, der sein Land durch diesen Konflikt ruinierte. Am 5. August 1979 unterzeichneten schließlich der stellvertretende Generalsekretär der Frente Polisario Bachir Mustapha Sayed und der Vize-Präsident des regierenden Militärrats von Mauretanien, Ahmed Salem Ould Sidi einen formellen Friedensvertrag.

Dadurch veränderte sich die politische und militärische Konstellation des Konflikts. Marokko besetzte sofort die restlichen Gebiete der Westsahara und wurde nun zum einzig verbleibenden, aber übermächtigen Gegner der Frente Polisario. Mauretanien muß seitdem die diplomatische Balance zwischen Marokko und Algerien, dem Verbündeten der Befreiungsorganisation, halten.

Die militärische Situation

Die großen Anfangserfolge der sahrauischen Armee (Ejercito de Liberacion Popular Sahraui), die bis Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre weite Teile des ehemaligen Spanisch-Westsahara, aufgrund ihrer besseren Ortskenntnisse sowie ihrer Guerilla-Taktik kontrollierte, wurden durch eine immer weiter voranschreitende massive Präsenz der marokkanischen Streitkräfte gestoppt. Hassan II entledigte sich dadurch auch unliebsamer, oppositioneller und ihm schon durch mehrere gescheiterte Putschversuche innenpolitisch gefährlich werdender Offiziere, indem er sie zum Einsatz an die »Nationale Front« befahl und dort band. Des weiteren ließ der marokkanische Diktator seine Truppen Befestigungswälle aus Sand und Steinen errichten und »dank« westlicher Militärhilfe mit elektronischen Bodenfrühwarnsystemen und Minenfeldern ausstatten, so daß sich bis Mitte der 80er Jahre allmählich eine militärische Pattsituation herauskristallisierte. Die insgesamt sechs marokkanischen Befestigungswälle umschließen rund zwei Drittel des Territoriums der ehemaligen Kolonie, ein Drittel wird von der Sahrauischen Befreiungsfront kontrolliert, die sogenannten befreiten Gebiete.

Die diplomatische Situation

Die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) wurde seit ihrer Proklamation 1976 von insgesamt 74 Staaten (Stand 1991) völkerrechtlich anerkannt. Den wichtigsten diplomatischen Erfolg gegenüber Marokko konnte die Frente Polisario 1984 erringen. Auf der 20. Gipfelkonferenz der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) in Addis Abeba (Äthopien) wurde die DARS als 51. Vollmitglied aufgenommen, worauf Marokko die Organisation verließ. Das seit 1983 jedes Jahr wieder verabschiedete Grundsatzpapier (OAU-Resolution 104 AHG) welches das Recht der sahrauischen Bevölkerung auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung anerkannte, wurde 1985 inhaltlich von den Vereinten Nationen übernommen. 1989 stimmte sogar Marokko der Resolution auf der UN-Vollversammlung zu.

Der sich mittlerweile abzeichnende internationale Konsens zur Lösung des Konflikts mündete in den UN/OAU-Friedensplan für die ehemalige Spanisch-Westsahara, mit dessen Durchführung der Generalsekretär der Vereinten Nationen beauftragt wurde, und dem 1988 beide kriegführenden Parteien im Prinzip zustimmten.

Der UN/OAU-Friedensplan

Der ursprüngliche, vom Weltsicherheitsrat am 29. April 1991 gebilligte Zeitplan des UN/OAU-Friedensplanes sah neben einem Waffenstillstand, der Stationierung von MINURSO (Mission der Vereinten Nationen für die Organisation eines Referendums in der West-Sahara) Verwaltungs- und Logistik-Einheiten, der Stationierung von UN-Blauhelmen sowie dem Austausch der Kriegsgefangenen die Erstellung einer Liste der für das Referendum stimmberechtigten Personen vor. Als Grundlage der Wählerlisten sollte der von der spanischen Kolonialverwaltung 1974 erstellte Zensus dienen. Einen Tag später, am 30. April stimmt das Führungsgremium der Frente Polisario sowie die Regierung der DARS dem Friedensplan zu. Das Finanzbudget für die Durchführung des Referendums passiert am 17. Mai die UN-Vollversammlung, einen Tag später erklärt sich Marokko bereit, ebenfalls den Plan anzunehmen. In Genf vereinbarten am 30. Juni Vertreter beider Konfliktparteien einen Waffenstillstand, der am 6. September 1991 – der sogenannte D-Day – in Kraft treten soll, und von dem alle weiteren terminlichen Schritte bis zum Referendum abhängen. Im Juni 1991 werden schließlich die Listen der im spanischen Zensus erfaßten Stimmberechtigten sowie die Regeln für die Beantragung zur Aufnahme in die Wählerlisten veröffentlicht. Für Mitte Juli wurde das Ende der Antragsfrist festgesetzt. Bis August 1991 sollte der Großteil der MINURSO-Einheiten eingetroffen sein.

Ab dem D-Day, 6. September 1991, sollte die Reduzierung der marokkanischen Truppen auf 65.000 Mann beginnen. (Derzeit sind nach marokkanischen Angaben 167.000 Mann in der West-Sahara stationiert; die Frente Polisario verfügt über rund 30.000 Kämpfer.) Überdies sollten die Konfliktparteien ihre verbleibenden Einheiten auf vorgegebene Standorte zurückziehen. Des weiteren wurde vereinbart, mit der Ausgabe von Ausweiskarten durch eine Identifizierungskommission zu beginnen sowie Einsprüche gegen das Verfahren und Beschwerden zu behandeln. CIVPOL-Kräfte (Zivilpolizei der MINURSO) sowie das Infanteriebattaillon der MINURSO sollten zur Verstärkung eintreffen. Gesetze und Maßnahmen, die das Referendum behindern, sollten außer Kraft gesetzt und eine Amnestie für zurückkehrende Flüchtlinge verkündet werden. Der UN-Generalsekretär sollte Mitte November über die endgültige Wahlliste entscheiden. Bis Januar 1992 wurde festgesetzt, soll die Repatriierung der sahrauischen Flüchtlinge aus den Lagern bei Tindouf in Algerien abgeschlossen sein und die Referendums-Kampagne beginnen. Ende Januar sollte endlich die Abstimmung durchgeführt werden. Anschließend, nach Bekanntgabe des Ergebnisses, für dessen Umsetzung gesorgt werden und die MINURSO abziehen.

Der Streit um den Zensus

All diese Schritte zur Umsetzung des UN/OAU-Friedensplans sind in groben zeitlichen Verzug geraten. Die marokkanische Regierung läßt nichts unversucht, das Referendum hinauszuzögern und die Bedingungen für die organisatorische Durchführung unmöglich zu machen. Mitte 1993, also eineinhalb Jahre nachdem das Referendum hätte stattfinden sollen, ist ein endgültiger Termin noch lange nicht in Sicht.

Der Hauptgrund für die Verzögerung ist nach wie vor der Streit um die Kriterien für die Aufnahme in die Wahllisten und der Versuch der marokkanischen Regierung, diese zu ihren Gunsten zu umgehen bzw. eine Erweiterung der Wahlberechtigung auf marokkanische Staatsbürger, die in der Westsahara leben, zu erreichen.

Wahlberechtigt sollten nach UN/OAU-Friedensplan alle Sahrauis sein, die 1974 im Zensus von den spanischen Behörden registriert und 18 Jahre und älter sind und zur Zeit im Territorium leben oder außerhalb, sei es als Flüchtlinge oder aus anderen Gründen. Damit auch Sahrauis an dem Referendum teilnehmen können, die zwar auf dem Territorium der Westsahara leben, jedoch 1974 nicht erfaßt wurden, richtete die MINURSO die Identifizierungskommission ein. Genau hier setzt der Plan Hassan II, die Abstimmung zugunsten Marokkos zu entscheiden, an. Neben den schon seit langem in der Westsahara arbeitenden Marokkanern karrt die marokkanische Regierung tausende von Menschen in die besetzten Gebiete und erklärt sie kurzerhand zu Sahrauis – insgesamt rund 350.000 Menschen (inklusive Soldaten), die zum Teil in Zeltlagern mit dem zynischen Namen »Camps de l`Unite« leben.

Die Frente Polisario würde hingegen drei Kriterien zur Ergänzung des Zensus um Personen, die 1974 nicht berücksichtigt wurde, akzeptieren, von denen mindestens eine erfüllt sein müßte:

a) ein enges Familienmitglied (Vater, Mutter, Sohn, Tochter) muß in der Liste von 1974 registriert sein;

b) die Person muß im Jahr des Zensus im Territorium ansässig gewesen sein;

c) die Person ist im Territorium geboren, und zwar als Sohn/Tochter eines Vaters, der ebenfalls im Gebiet der Westsahara geboren wurde.

Die seltsame Definition des marokkanischen Königs, daß alle, die im Augenblick in der Westsahara leben, auch Sahrauis seien und am Referendum teilnehmen dürften, lehnt die Frente Polisario entschieden und zu recht ab. Doch hier kommt die UNO Hassan II entgegen. Sie erweiterte die Kriterien für eine Aufnahme in die Wahllisten um zwei entscheidende Punkte. Zusätzlich zu den im Zensus erfaßten Personen dürfen am Referendum Personen teilnehmen, deren Vater im Territorium geboren ist, die vor dem 1.12.1974 im Territorium gelebt haben sowie entweder sechs Jahre in Folge oder zwölf Jahre mit Unterbrechungen in der Westsahara ansässig waren. Diese Neu-Definition der Kriterien – vor allem die Erweiterung um Personen, die eine gewisse Zeit in der Westsahara gelebt haben – spielt Hassan II einen großen Trumpf in die Hand. Er muß schließlich nur genügend Untertanen in den besetzten Gebiete ansiedeln, das Referendum um mittlerweile nur noch vier bis fünf Jahre verzögern und letztendlich die Volksabstimmung durchführen.

Dieser wohl entscheidende Punkt verzögert die Durchführung des Friedensplans. Hassan II spielt auf Zeit, seine wohl besseren Kontakte zu den Vereinten Nationen und seine politische, ökonomische und militärische Orientierung zur Weltmacht USA halten ihm den Rücken frei. Der UN-Sonderbeauftragte für die Westsahara, der Schweizer Diplomat Johannes Manz, legte Ende 1991 sein Mandat nieder, da Marokko allen formalen Zusicherungen zum Trotz die Vorbereitungen eines Referendums in einer Weise behindere, die schließlich den Rücktritt aufdrängten. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Außenminister von Pakistan, Sahabzada Yaqub-Khan, der dem marokkanischem König nachweislich in entscheidenden Fragen des Konfliktes zugeneigt ist.

Hassan II gibt sich schon jetzt siegesgewiß. Zum 16. Jahrestag des »Grünen Marsches« erklärte er: „Ich versichere erneut mit Nachdruck, daß das konfirmative Referendum, so Gott es will, uns die Ergebnisse liefert, die wir erwarten und erhoffen. Das Spiel um das Referendum ist gewonnen. Die Sahara ist marokkanisch. Es stimmt, daß es noch einige Nachbesserungen gibt, die wir bezüglich der Kriterien machen müssen, die festlegen, ob eine Person Sahraui ist und an der Abstimmung teilnehmen darf oder nicht. Abgesehen davon, Gott sei es gedankt, läuft alles so, wie wir es wünschen und wie wir es akzeptieren.“ (Sahara-Info der Gesellschaft der Freunde des Sahrauischen Volkes e.V., April 1992, 13. Jahrgang, Nr.1)

Darüberhinaus wird den Mitarbeitern der MINURSO sowie den Militärbeobachtern der UNO die Arbeit so gut wie unmöglich gemacht. Sie stehen unter ständiger Beobachtung und Kontrolle der marokkanischen Polizei und des Geheimdienstes. Unter der Überschrift „Die Westsahara vor dem Referendum – UNO-Truppen im goldenen Käfig des marokkanischen Königs“ erschien in der Neuen Züricher Zeitung vom 8.12.1991 ein Artikel des Schweizer Journalisten Michael M. Roman, in dem er die Situation der MINURSO-Mitarbeiter folgendermaßen beschreibt: óDie Offiziere und die Kommandostellen der Minurso sind in den beiden Luxushotels von Laayoune einquartiert. Über den beiden der UNO vorbehaltenen Hotels weht nicht das UNO-Emblem, sondern die marokkanische Flagge. Die fabrikneuen Fahrzeuge der Minurso leuchten in Weiss, doch auch hier fehlt jeglicher Hinweis auf die UNO. Jegliche Kommunikation mit den Minurso-Angehörigen wird von der marokkanischen Polizei unterbunden. … Er sei schon weit in der Welt herumgekommen, meint ein Minurso-Mitglied, aber so etwas habe er noch nie erlebt. Jeder Schritt werde von der Polizei überwacht, jedes Gespräch abgehört – sogar das Satellitentelefon sei von den Marokkanern angezapft worden. Einen Polizisten auf rund 150 Einwohner, vermutet ein UNO-Angehöriger, gebe es zur Zeit in der Westsahara.“ Aber nicht nur das: Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung ziehen Repressalien für letztere nach sich.

Der marokkanische König Hassan II hält alle Trümpfe in der Hand. Seine Truppen beherrschen den Großteil der Westsahara durch ihre weit den Polisario-Kämpfern überlegene Militärtechnik. Internationale Konzerne, die sich an der Ausbeutung der Bodenschätze in den besetzten Gebieten beteiligen sowie befreundete Regierungen allen voran die Vereinigten Staaten helfen Hassan II, den Konflikt für sich zu entscheiden.

Auf die Bindung von EG-Finanzhilfen für Marokko an die Beachtung von Menschenrechten und die Respektierung des Friedensplans reagiert die marokkanische Führung mit dem Hinweis, daß die Verhandlungen zur Erneuerung des Fischereiabkommens mit der EG für die Fanggebiete vor der Küste Marokkos und der Westsahara die Gelegenheit bieten werden, diese Haltung zu ändern. Auf Druck Spaniens, das wirtschaftlich am meisten von einer Aussetzung des Fischereiabkommens betroffen wäre, gewährt die EG weiterhin Finanzhilfen.

Die Situation der Frente Polisario

Ein Sieg in diesem Konflikt für die Frente Polisario und das sahrauische Volk scheint immer aussichtsloser zu werden. Die diplomatischen und militärischen Erfolge werden durch die Nachgiebigkeit der Vereinten Nationen gegenüber der marokkanischen Regierung langsam zunichte gemacht. Hinzu kommt eine stetige politische und diplomatische Annäherung der algerischen Regierung an die marokkanische. Die Führung in Algier, bisher treuester Verbündeter der Sahrauis, dokumentierte diese Politik mit dem Eintritt in die von Marokko angeregte Maghreb-Union. Im August 1992 begrüßte deshalb der Präsident der DARS und gleichzeitige Generalsekretär der Frente Polisario, Mohamed Abdelaziz, das Ausscheiden des algerischen Innenministers Larbi Belcheir, der eine nach Aussage der Frente Polisario zu pro-marokkanische Politik betrieben habe. Bisher mischte sich die Frente Polisario nicht in die Innenpolitik Algeriens ein, auf deren Territorium sich die großen Flüchtlingslager der Befreiungsorganisation bei Tindouf in der südwest-algerischen Wüste mit rund 170.000 Menschen befinden. Doch wenn sich die Politik Algeriens zu sehr an Marokko anlehnen würde, könnte die Polisario ihren einzigen Fürsprecher von internationaler und vor allem lokaler Bedeutung verlieren. Die militärische Stärke verhinderte einen Übergriff auf die sahrauischen Flüchtlingslager, die durch ihre autonome Organisation die Keimzelle für die DARS darstellen. Die Frente Polisario ist deshalb auf eine Konfrontationspolitik zwischen den beiden Nachbarstaaten angewiesen. Der Kurswechsel in Algier mag hauptsächlich der Grund sein, daß der Polisario eine heimliche Unterstüzung der islamisch-fundamentalistischen F.I.S. nachgesagt wird, da die Fundamentalisten keinen Hehl aus ihrer bedingslosen Ablehnung des feudalistischen marokkanischen Königreiches machen. Des weiteren häufen sich die Berichte, daß es innerhalb der Führung der Befreiungsorganisation zu Richtungskämpfen gekommen sei, die ein geschlossenes Vorgehen bei den weiteren Verhandlungen über die Souveränität der DARS in Frage stellen. Die Zeit läuft gegen die Freiheit des sahrauischen Volkes und ihr Recht auf Selbstbestimmung. Es ist für die Frente Polisario überlebenswichtig geworden aus ihrer gegenwärtigen defensiven diplomatischen Position in die Offensive zu gehen. Sie muß die Vereinten Nationen drängen, kompromißloser in ihrer Angelegenheit gegen die marokkanische Regierung vorzugehen.

Perspektiven

Doch eine friedliche Lösung wird es vielleicht nicht geben. Während meines Aufenthaltes in den sahrauischen Flüchtlingslagern im Oktober 1992 hatte ich die Gelegenheit mit dem Generalsekretär der UJSARIO (Union de la Juventud de Saguiat el Hamra y Rio de Oro), Ahmed Mulay Ali, zu sprechen. Für die Zukunft konnte sich Ahmed Mulay Ali nur zwei Alternativen vorstellen: Frieden, wenn Hassan II und die UNO sich an den Kriterien der Polisario für die Wahllisten orientieren; Krieg, der Bewegung in die augenblicklich stagnierenden Verhandlungen bringen würde und immer stärker gerade von den jugendlichen Kämpfern gefordert wird.

Für die UNO stellt sich letztendlich die Frage ob sie politisch willens ist, ihre eigenen Beschlüsse ernst zu nehmen und das Referendum trotz der marokkanischen Schikanen durchzusetzen. Ansonsten muß sie sich wieder einmal vorwerfen lassen, nichts anderes zu sein als ein Spielball US-amerikanischer Interessen. Zu diesen Interessen zählen auch die Erdölvorkommen, die schon in den sechziger Jahren von Ölkonzernen erforscht wurden und deren Nutzungsrechte alle sechs Jahre stillschweigend verlängert werden.

Über die Zukunft des sahrauischen Volkes und der Demokratischen Arabischen Republik Sahara entscheidet nicht allein das Referendum in der Wüste, die Entscheidung, ob ein Volk in der Dritten Welt über sich selbstbestimmen darf, wird in Washington, Brüssel, Tokio und Bonn sowie in den Vorstandsetagen der multinationalen Konzerne getroffen. Eine bittere Erkenntnis, nicht nur für das sahrauische Volk.

Ralf Mattes ist Student der politischen Wissenschaften in München. Er war als Mitglied der Juso-Bundeskommission »Entwicklungspolitik« auf Einladung der Jugendorganisation der Polisario im Oktober '92 in der Westsahara.

Gescheitert

Gescheitert

30 Jahre Organisation für Afrikanische Einheit

von Abdulrahman Mohamed Babu

Als die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) 1963 gegründet wurde, weckte dies auf dem Kontinent große Hoffnungen. Die Mehrheit seiner Bewohner glaubte, daß Afrika endlich die vom Kolonialismus geschaffene, auf der Berliner Konferenz von 1884 mit der künstlichen Grenzziehung festgeschriebene Aufteilung des Kontinents in künstliche »Territorien« beseitigen würde, die mit der Unabhängigkeit neue Staaten geworden waren. Aber dazu sollte es wegen der innerhalb der OAU bestehenden ideologischen Differenzen nie kommen. In Afrika besteht heute die Teilung genauso fort wie vor 30 Jahren, mit all den verheerenden Auswirkungen auf das Wohlergehen der Völker und die nationale Würde.

Die Idee der »afrikanischen Einheit« wurde als ein Mittel im Kampf gegen zwei Geißeln verstanden, die der Kolonialismus Afrika aufgebürdet hat. Eine war die Zersplitterung des Kontinents, die schwache und wirtschaftlich nicht lebensfähige Staaten nach sich zog. Die zweite war Armut, ihrerseits eine Folge der Zersplitterung, der extensiven kolonialen Ausbeutung und einer vernunftswidrigen und primitiven, jegliche Entwicklung verhindernde koloniale Wirtschaftsstruktur. Diese beiden Geißeln waren miteinander verknüpft, um die koloniale Unterwerfung und Ausbeutung zu erleichtern. Es war deshalb nicht möglich, ein Übel ohne das andere zu beseitigen – beide mußten gleichzeitig angegangen werden, indem man damit begann, die Grundlage für die Einheit des Kontinents oder, wie es Nkrumah nannte, Afrikas „vereinigtes Kommando“ zu errichten.

Kwame Nkrumah, Ghanas damaliger Präsident, war der Urheber dieser radikalen Formulierung. Es war sein unermüdliches Bemühen, das zur Gründung der OAU führte. Aber um dies trotz der damals unter den unabhängigen afrikanischen Staaten bestehenden Kluft zwischen radikalen und konservativen Strömungen zu erreichen, mußten die Radikalen bei einigen ihrer Prinzipien Zugeständnisse machen. Nur so konnten die Konservativen dazu gebracht werden, mit an Bord zu gehen. Das erwies sich als verhängnisvoll, weil es gerade die Einbeziehung der konservativen Staaten in die OAU war, die diese Organisation zu einer, wie sich heute zeigt, im Sterben liegenden Institution gemacht hat.

Ihren ersten Erfolg bei der Verhinderung der afrikanischen Einheit erzielten die Konservativen auf dem OAU-Gipfel 1964 in Kairo. Es war diese entscheidende Konferenz, auf der Nyerere, der damalige Präsident Tansanias, geschickt zur Annahme einer Resolution drängte, nach der die OAU die koloniale Grenzziehung absegnen und sie als unveränderliche Grundlage ihrer Mitgliedsstaaten anerkennen sollte. Dieser Schritt erfolgte im Einvernehmen mit Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, der zwei Jahre zuvor Eritrea annektiert und es mit brutaler Gewalt unterworfen hatte. Er war damals bemüht, diesen barbarischen Akt durch die OAU legitimieren zu lassen. Aber das eigentliche Motiv der Resolution bestand darin, Nkrumah mit seinen panafrikanischen Idealen auflaufen zu lassen, obwohl der Antragsteller vorgab, daß er die Zahl der Grenzkonflikte in Afrika niedrig halten möchte. Die Entschließung wurde mit einfacher Mehrheit angenommen und zu einem wichtigen, bindenden Grundsatz der OAU-Charta. Somit hat die OAU statt Afrikas erste Geißel, die Uneinigkeit zu überwinden, diese ironischerweise verfestigt.

Zweitens waren die Konservativen bestrebt, aus der OAU eine Institution zu machen, die ihren Interessen und nicht denen Afrikas insgesamt dient. Sie wollten das Machtgleichgewicht auf dem Kontinent zu Lasten der Radikalen verändern, die damals noch die afrikanische Politik beherrschten. Folglich fädelten sie im Zusammenwirken mit ihren früheren Kolonialherren den Sturz der radikalen Führer durch die Militärs ein.

Von der afrikanischen Einheit zum Club der Militärstaatschefs

Nur zwei bzw. drei Jahre nach Gründung der OAU fiel einer nach dem anderen, zuerst Algeriens Ben Bella 1965 und dann Nkrumah selbst im Februar 1966. Von nun an hörte die Organisation auf, ein Instrument des panafrikanischen revolutionären Wandels zu sein und wurde zum Verteidiger des Status quo. Selbst die Befreiung der verbliebenen Kolonien erfolgte im Kontext des Bemühens um die Aufrechterhaltung des Status quo. Es dauerte selbst für Nyerere, den Architekten der OAU, nicht lange, bis er 1972 öffentlich eingestand, daß aus der OAU lediglich eine „Gewerkschaft der afrikanischen Staatsoberhäupter“ geworden war.

Als Folge einer Reihe von Staatsstreichen gegen progressive Regierungschefs und insbesondere seit dem Tod des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser im Jahre 1970 geriet die OAU vollständig in die Hand reaktionärer Militärstaatschefs, die meist politische Analphabeten waren und von Wirtschaft nur so viel verstanden, um ihre Taschen zu füllen. Es war eine Katastrophe für Afrika, da dem Kontinent in einer entscheidenden Phase (1972/73) eine kampferprobte und entschlossene Führung fehlte, in der die Weltwirtschaft mit dem Auftreten Europas und Japans als starke Handelsblöcke eine entscheidende Veränderung erfuhr und der Dollarverfall zur Ölpreisexplosion führte. Die OAU hatte kein politisches Konzept. Sie beschränkte sich darauf, kraftlos und bescheiden mehr Hilfe und Kredite zu erbitten, damit die Staaten Afrikas, die ohne Ölvorkommen sind, ihre durch den astronomischen Anstieg der Erdölpreise erlittenen Devisenverluste ausgleichen könnten.

Da die OAU vor allem daran gescheitert ist, das Hauptproblem der afrikanischen Einheit gleich zu Beginn anzugehen, verkam sie zu einer riesigen und teuren Bürokratie, der jeglicher Orientierungssinn fehlt. Sicherlich hat sie dabei geholfen, den Entkolonisierungsprozeß zu beschleunigen, aber mit oder ohne OAU war dieser Prozeß bereits mit Ghanas Unabhängigkeit im Jahr 1957 und dem »Wind des Wandels« angestoßen worden, den sie in Afrikas politische Arena gebracht hat.

Viele Beobachter glauben inzwischen, daß die OAU 1972 in einigen Fällen, wie bei der Befreiung des südlichen Afrikas, tatsächllich schwere strategische Fehler begangen hat, die die Unabhängigkeit Namibias und Südafrikas verzögerten und zur Verwüstung von Angola und Mosambik durch Südafrika führten. Diese »Strategie«, die man auch »Salami-Taktik« nennen kann, wies der OAU die Aufgabe zu, sich zuerst auf die Befreiung des sogenannten »schwächsten Gliedes«, also auf die portugiesischen Kolonien, dann Rhodesien (Simbabwe), Namibia und schließlich Südafrika zu konzentrieren. Dies hat sich als verhängnisvoll erwiesen, da man Südafrika, als dem letzten Ziel, die Möglichkeit ließ, die sozioökonomischen Grundlagen in Angola, Mosambik und zu einem gewissen Grad auch in Simbabwe zu zerstören.

Die OAU unternahm mehrere Versuche, Institutionen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ihrer Mitgliedsländer zu schaffen. Alle scheiterten aber aus dem einfachen Grund, daß kein afrikanischer Staat seit der Unabhängigkeit seine koloniale Wirtschaftsstruktur verändert hat. Es gab und gibt keine objektive ökonomische Komplementarität unter den Mitgliedsländern, was die Vorbedingung für eine sinnvolle wirtschaftliche Zusammenarbeit ist. Der Ruf der OAU nach einem »gemeinsamen afrikanischen Markt« hört sich folglich eher wie ein Hirngespinst an.

30 Jahre danach

Jetzt, an ihrem dreißigsten Geburtstag, ist die OAU trotz der dynamischen Führungsqualität von Generalsekretär Salim zu einer unnützen Institution verkommen, die, politisch und wirtschaftlich bankrott, keine Rolle mehr spielt und selbst die Entkolonialisierung verloren hat. Sie ist inzwischen nicht mehr als ein Instrument zur Vorbeugung und Lösung von »Konflikten«. Die Konflikte, die die Resolution von 1964 minimieren wollte, stehen aber genau aufgrund dieser Entschließung auf der Tagesordnung. Das edle Ziel der afrikanischen Einheit scheint noch weiter entrückt zu sein. Tatsächlich besteht jetzt die Gefahr, daß sich Afrika einer weiteren Desintegration einiger seiner bestehenden Staaten gegenübersieht. Und dennoch hat die OAU keine Vision, welche Gestalt Afrika in der kommenden Dekade etwa annehmen könnte. Sie ist mittlerweile auf »Krisenmanagement« beschränkt. Ihre Vision ist verdeckt von den festgefügten Vorurteilen der bestimmenden Staaten.

Beispielsweise haben die Eritreer 30 Jahre – so lange wie die OAU besteht – unter großen menschlichen und materiellen Opfern für ihre Unabhängigkeit gekämpft, und doch blieb dieser Kampf von der OAU unbeachtet. Somalia verblutete und tut es noch heute, aber die OAU hat keinen Flnger gekrümmt, um den Konflikt zu lösen. Die Nigerianer zerbomben liberianische Dörfer in tausend Stücke und töten im Namen der westafrikanischen Einheit unter ECOWAS-Kommando, sanktioniert von der OAU, unschuldige Kinder, Frauen und Alte.

Zukünftige Rolle der OAU

Wird sie in Zukunft irgendeine sinnvolle Rolle spielen? Wenn die OAU nicht aufhört, das »Hauptquartier der Intrigen« und Förderband für ehrgeizige afrikanische Diplomaten zu sein, wird sie nicht mehr lange den Muskelschwund überleben. Die OAU ist die Summe ihrer Mitgliedsländer, und diese sind jetzt vereinzelt, schwach, erschöpft und ihrerseits ohne jede Vision. Diese Situation spiegelt sich notwendigerweise in der OAU wider. Wenn sie sich reaktivieren und eine maßgebliche Rolle spielen will, muß sie sich zum Volk hinab begeben. Sie muß aufhören, lediglich Instrument der Staatsoberhäupter zu sein, die zumeist ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie sollte wieder den Geist des Panafrikanismus entfachen, der ihr den mit der Begeisterung der Völker verbundenen Schwung und Elan verschafft, statt der kalten Leere der pompös auftretenden Diplomaten, die nur sich selbst dienen.

Dies sind die notwendigen Voraussetzungen für jede afrikanische Organisation, die sich bemüht, angemessene Antworten für das zu finden, was auf dem Kontinent geschieht. Leider scheint die Zukunft der OAU, wie es aussieht, dunkel zu sein.

Anmerkung

Der Artikel konnte mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift epd-entwicklungspolitik in unserer Zeitschrift nachgedruckt werden (epd-entwicklungsplitik 11/93, Mai).

Abdulrahman Mohamed Babu hat als einer der Emmissäre von Julius Nyerere maßgeblich an der Gründung der OAU mitgewirkt. Er lebt heute in England.

Eingebettete Gewalt

Eingebettete Gewalt

Der Bürgerkrieg in Darfur

von Kurt Beck

Am 31. Juli 2007 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig die lange erwartete Resolution 1769 zur Situation in Darfur verabschiedet. Die Resolution, ursprünglich schärfer gefasst und mit Sanktionsmöglichkeiten gegen die Regierung des Sudans versehen, dann aber nach Widerstand der sudanesischen Regierung und ihrer Verbündeten, hauptsächlich Chinas, entschärft, ermächtigt die Vereinten Nationen, eine Blauhelmtruppe zur Unterstützung des Friedensprozesses und zum Schutz von Zivilpersonen nach Darfur zu entsenden.

Die zunächst auf ein Jahr befristete Mission (UNAMID) soll 26.000 Personen (knapp 20.000 Militär und ca. 6.000 Polizei) umfassen und bis Ende des Jahres die 7.000 Mann starke Truppe der Afrikanischen Union (AMIS), welche seit Herbst 2004 in Darfur stationiert ist, vollständig assimiliert haben. Im Vergleich zur Beobachtermission der Afrikanischen Union verfügt UNAMID über ein weiter gehendes Mandat, ist etwa ausdrücklich aufgefordert, auch mit militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilpersonen vorzugehen.1 Damit keimt erneut die Hoffnung auf Beilegung eines der blutigsten Bürgerkriege in Afrika, der seit 2003 über 2 Mio der 7 Mio Darfuris zur Flucht gezwungen und bis zu 300.000 das Leben gekostet haben soll.

Um die genozidale und rassistische Dimension hervorzuheben, haben einige Beobachter den Darfurkonflikt zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda als »Ruanda im Zeitlupe« bezeichnet. »Südsudan im Zeitraffer« wäre treffender, wenn auch weniger dramatisch. Gewiss, es hat blutige Massaker unter den Ethnien Fur und Masalit gegeben, z.B. Massenexekutionen an mehreren hundert wahllos zusammengetriebenen Bauern im Wadi Salih in den südwestlichen Vorbergen des Jabal Marra. Regierungstruppen und Milizen haben tausende, vermutlich zehntausende Zivilisten getötet. Mädchen und Frauen wurden massenhaft vergewaltigt, Kinder geraubt, zehntausende Stück Vieh weggetrieben, Moscheen geschändet, Dörfer und Ernten verbrannt, Brunnen und öffentliche Gebäude zerstört. Was sich in Darfur ereignet, kann kaum anders denn als ethnische Säuberung durch Zerstörung, Vertreibung und Töten begriffen werden.2 Dennoch ist die große Mehrzahl der Opfer nicht in einem gewaltigen Blutrausch abgeschlachtet worden wie in Ruanda, sondern sie sind aufgrund von Unterernährung und Krankheiten ums Leben gekommen. Einige Kommentatoren haben daher von Genozid durch Auszehrung gesprochen.

Aufstandsunterdrückung und Vernichtungsfeldzug

Ende 2002 kamen vereinzelte Gerüchte über eine Rebellenorganisation namens »Darfur Liberation Front« im Jabal Marra-Bergland im Herzen der Region Darfur auf. Im Frühling schließlich wurde bekannt, dass die Rebellen, nun unter dem Namen »Sudan Liberation Movement/Army« und JEM (Justice and Equality Movement), einige kleinere Städte im Gebiet der Fur im Jabal Marra-Massiv und im Gebiet der Zaghawa nahe der Grenze zum Tschad erobert hatten. Ende April 2003 gelang es ihnen sogar, El Fasher, die alte Hauptstadt Darfurs einzunehmen und die Stadt einige Tage zu halten. Dies waren keine tribalen Konflikte oder das Werk von Banditen, sondern ein Aufstand und eine öffentliche Kriegserklärung an die Regierung in Khartum.

Die Reaktion aus Khartum kam spät, dafür aber brutal. Obwohl ein großer Teil der Regierungstruppen im Bürgerkrieg gegen die »Sudan Peoples’ Liberation Army« (SPLA) im Süden des Landes gebunden war, hatte die Armee bis Juli 2003 genügend Truppen verlegt, um eine groß angelegte Offensive in Norddarfur zu beginnen. Angesichts der Bomberangriffe auf Dörfer und der systematischen Zerstörung von Siedlungen der Fur und Zaghawa wurde bald deutlich, dass die Kriegsführung einer Strategie der verbrannten Erde folgte. Die zweite Strategie sollte sich allerdings als weit verheerender erweisen. Sie bestand darin, arabische Milizen, die seither der Weltöffentlichkeit unter dem Namen Janjawid bekannt wurden, zu rekrutieren und zu bewaffnen. Diese Strategie ist von einem Beobachter treffend als Aufstandsunterdrückung auf die billige Art beschrieben worden3 – auf die schmutzige Art wäre auch eine treffende Bezeichnung, denn die Kriegsführung der Janjawid lässt sich nur in Termini eines ungehemmten Vernichtungsfeldzugs gegen die Ethnien begreifen, aus denen sich die Rebellengruppen rekrutieren. Zum Verständnis der Entwicklung ist ein Blick auf den politischen Kontext und die Geschichte hilfreich.4

Darfur, ein marginalisiertes Grenzland

Darfur ist die westlichste Region der Republik Sudan, flächenmäßig etwa so groß wie Frankreich, mit einer Bevölkerung von rund 7 Mio. Einwohnern allerdings sehr dünn besiedelt. Es hat gemeinsame Grenzen mit dem Südsudan im Süden, mit der zentralafrikanischen Republik im Südwesten, im Westen mit dem Tschad und ganz im Norden mit Libyen. Diese Grenzen sind Teil des Konflikts. Sowohl der Südsudankonflikt hatte seine Auswirkungen, als auch die Politik Libyens, das seit den achtziger Jahren die unzufriedenen Abenteurer aus der ganzen Sahelregion in seine Islamische Legion rekrutierte, um damit in die regionalen Konflikte zu intervenieren.

Der nördliche Teil Darfurs ist Wüste. Hier leben Kamelnomaden, arabische Nomaden wie die nördlichen Rizaiqat und nichtarabische Nomaden wie die Zaghawa, deren Siedlungsgebiete sich weit über die Grenze in den Tschad ziehen. Der Norden Darfurs leidet wie die ganze Sahelregion unter Austrocknung und Desertifikation. Auch dies ist Teil des Problems, denn die Nomaden drängen seit Mitte der 1980er Jahre mit ihren Herden auf die fetteren Weiden Zentraldarfurs, was zu erheblichen Ressourcenkonflikten mit den dortigen Bauern geführt hat.

Zentral- und Westdarfur erhalten genügend Niederschläge für Hirseanbau und Gartenbau. Hier leben die bäuerlichen Ethnien Fur, ferner die Masalit, deren Gebiete sich im Tschad fortsetzen, die Berti und einige weitere nichtarabische Ethnien. Seit den 1980er Jahren fand dort in den begünstigten Lagen eine massive landwirtschaftliche Expansion statt, in deren Folge auch Wanderwege von Nomaden versperrt, Weiden unzugänglich gemacht und der Zugang zu Brunnen erschwert wurden, und dies gerade in einer Zeit, in der die Nomaden Norddarfurs ihre Herden vor den Dürren retten wollten.

Der Süden Darfurs ist für Rinderzucht und Hirseanbau geeignet. Hier befindet sich das Gebiet der unter der Bezeichnung Baqqara (Rinderleute) zusammengefassten Rizaiqat, Maaliya und Beni Halba sowie Salamat, letztere in ihrer Mehrheit bereits über der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik. Historische Migrationen und nachbarschaftliches Zusammenleben haben allerdings dazu geführt, dass alle diese Ethnien zu einem gewissen Maß miteinander vermischt lebten, zumindest bis in die 1980er Jahre, bevor nach einer langen Periode relativen Friedens die großen Stammeskriege ausbrachen. Ferner brachten die Wanderungen der Nomaden eine gewisse Mobilität in die Siedlungsstruktur.

Diese Wanderungen verursachen immer wieder Reibungen, sei es wegen Flurschäden oder gestohlenen Tieren, und massive Verlagerungen wie 1983/4 infolge mangelnden Regens oder schlechter Weide haben immer wieder die Gefahr gewaltsamer Ressourcenkonflikte heraufbeschworen. Die Gesellschaft der Savanne hat nie konfliktfrei funktioniert; individuelle gewaltsame Konflikte und manches Mal Stammeskriege gehörten als ein integraler Teil zur Sozialstruktur der Savanne. Aber es existierten eben auch politische und rechtliche Institutionen, um die aufkommenden Konflikte zu zähmen. Von Fall zu Fall mögen diese Institutionen sehr alt sein, sicher ist aber, dass die englische Kolonialverwaltung sie im Rahmen ihrer Eingeborenenverwaltung in den 1920er Jahren in der Form von Stammesgerichtsbarkeit und intertribalen Verhandlungen regularisierte und dass sie bis in die 1980er Jahre die kleine alltägliche Gewalt in der Savanne zwar nicht verhinderten, aber doch allgemein akzeptiere Verfahren zu ihrer Eindämmung bereitstellten und – dies ist der springende Punkt – einer militärischen Eskalation vorbeugten. Letztliche Voraussetzung dafür war aber immer der Rückhalt durch die Macht des Staats.

Der Staat und die Savanne – die Wiederkehr der Vorgeschichte

Selbst wenn man nicht bis in pharaonische und meroitische Zeiten zurückgeht, ist der Staat doch eine alte Institution im Sudan. Das Sultanat Darfur (ca. 1650 bis 1916) und westlich davon das Sultanat Masalit fügten sich in die Kette der Staaten in der afrikanischen Savanne, die von Westafrika bis zum äthiopischen Hochland reichte, alle mehr oder weniger auf dem Handel, insbesondere dem Sklavenhandel nach Nordafrika und die Levante gegründet. Historisch lag das Sultanat Darfur mit seinem Zentrum im Jabal Marra in Konkurrenz mit einer ganzen Abfolge von östlichen Nachbarn am Nil, angefangen vom Schwarzen Sultanat der Funj (1501-1820), über den ägyptischen Kolonialstaat (1820-1881) und den mahdistischen Staat (1882-1898) bis zum anglo-ägyptischen Kolonialstaat (1898-1955). Erst im Ersten Weltkrieg wurde Darfur in den anglo-ägyptischen Sudan integriert.

Keiner dieser Staaten sollte mit einem modernen Nationalstaat verwechselt werden. Dennoch ist diese Art von Vorgeschichte lehrreich für ein Verständnis des aktuellen Konflikts. Die Staaten besaßen ihre Machtzentren am Fuß des Jabal Marra oder am Zusammenfluss des Weißen und des Blauen Nils, aber auf dem Land nahm die Macht ihrer Herrscher mit zunehmender Entfernung von den Zentren schnell ab. Die Savannen bildeten ein tribales Grenzgebiet zwischen den Staaten, das nur sehr punktuell durch Allianzen mit lokalen Kriegsherren, die im Austausch wiederum Anerkennung als Stammesführer erhielten, und durch militärische Kampagnen regiert wurde. Stammesführer und ihre Kavallerien waren aus einer Reihe von Gründen nützlich: um die eigenen Handelsrouten zu schützen, um die der konkurrierenden Nachbarn zu stören, um das Grenzgebiet im Vorfeld des Staates abzuschirmen, um die tribalen Allianzpartner der Konkurrenten in Schach zu halten und Krieg in das Vorfeld des konkurrierenden Staats zu tragen. Aber diese Allianzen waren immer zweischneidig, denn Stammesführer und ihre Milizen beschränkten sich nie auf Gewaltausübung im Namen des Staats. Sie hatten ganz im Gegenteil ihre eigenen lokalen Ambitionen, u. a. Brunnen und Weidegebiete zu erobern, Vieh und Sklaven zu rauben, und dies mit Rückendeckung, aber bei Gelegenheit auch gegen den Willen ihrer Sultane.

Damit soll nicht impliziert sein, dass die Janjawid von heute umstandslos einer ungebrochenen Tradition in der Savanne folgen. Denn erstens blüht die Gewalt heute in einer historisch unvorstellbaren Dimension. Und zweitens hat der Staat, angefangen mit der kolonialen Pazifizierung und der Einrichtung der Eingeborenenverwaltung, über mehrere koloniale und postkoloniale Verwaltungsreformen hinweg bewiesen, dass die Gewalt im Grenzland des Staats zähmbar ist. Aber dies gilt eben nur, solange der Staat den politischen Willen und die Ressourcen dazu tatsächlich auch besitzt. Das Gegenteil ist heute der Fall! Der Staat hat seinen mit Mühe errungenen Anspruch auf das Monopol legitimer Gewaltausübung aufgegeben, die lokalen Verwaltungen in Darfur sind nach der Abschaffung der auf die Kolonialzeit zurückgehenden Verwaltungsinstitutionen im Jahr 1982 und der finanziellen Ausblutung derjenigen Institutionen, die ihren Platz einnehmen sollten, geschwächt. Wiewohl formell innerhalb staatlicher Grenzen, sind die Savannen doch wieder offen für die Gewalt aus den benachbarten Staaten. Die zeitgenössischen Sultane, ob sie nun in Tschad, Libyen oder Sudan herrschen oder die Herrschaft an sich reißen wollen, haben wieder begonnen, Allianzpartner in der Savanne für ihre Kriege zu sammeln. Und zu den Allianzpartnern der sudanesischen Regierung gehören die Janjawid.5

Das historische Muster kommt wieder zum Vorschein, seit sich die Struktur der gewaltoffenen Grenze seit den frühen 1980er Jahren wieder ausgebildet hat. Die tschadischen Bürgerkriege wurden weitgehend auf darfurischem Gebiet ausgefochten, angefangen mit dem Sturz der Regierung Goukouni im Juni 1982 durch Hissène Habre mithilfe der Zaghawa aus dem sudanesischen Grenzland und Gadhafis Rekrutierung für seine islamische Legion aus den arabischen Ethnien. Im Dezember 1990 stürzte Idriss Déby seinerseits die Regierung Habre. Zur selben Zeit versuchte die SPLA eine zweite Front in Darfur zu etablieren und die tribalen Milizen, welche die sudanesische Zentralregierung gegen die SPLA ausgerüstet hatte, wandten sich auch Darfur zu. Seit 2005 sammeln sich wieder die tschadischen Rebellen mit Unterstützung der sudanesischen Regierung im darfurischen Grenzland6. Die tschadische Regierung dagegen unterstützt gezielt darfurische Rebellenmilizen, die aus den Flüchtlingslagern im Tschad rekrutieren und im Gegenzug die arabischen tschadischen Rebellenmilizen binden sollen. Angehörige arabischer Ethnien wie Mahamid und Salamat, aus dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik vertrieben, besiedeln inzwischen Gebiete in Darfur, aus denen vorher die arabischen Milizen Fur und Masalit vertrieben haben, u. a. das Gebiet der Massaker im Wadi Salih.

In der gesamten Region werden wieder die Konflikte zwischen den Herrschern und den Prätendenten auf die Herrschaft ausgefochten. Der Krieg ist von den Herrschern als Stellvertreterkrieg oder als Aufstandsunterdrückung auf die billige Art gedacht, wird aber eben auch mit lokalen Ambitionen geführt. Das Grenzland hat sich zu einem Schlachtfeld entwickelt, auf dem allerhand Kriegerbanden agieren, seien dies Regierungstruppen oder Rebellen, dörfliche und nomadische Milizen, oder einfach nur Banditen oder Banden von Stammeskriegern, welche die Gelegenheit wahrnehmen, straflos ihre kleinen Kriege und Raubzüge unter dem Schirm der großen Konflikte zu führen. Eingebettete Gewalt könnte man dies wegen der Dynamik mehrfach ineinander verschachtelter Konflikte nennen.

Ethnizität, Tribalismus, Rassismus

Besonders blutig werden diese Konflikte, wenn sie gebündelt und auf einen ideologischen Generalnenner gebracht werden. Der Gesamteffekt all dieser Entwicklungen – Dürre, Migrationen und Ressourcenkonflikte, importierte Gewalt, Schwächung der lokalen Verwaltungen – war ein erster Ausbruch von ethnischer Gewalt in den späten 1980er Jahren. Ethnizität ist unter gewissen Umständen leicht anfällig für Militarisierung, zumindest bietet ethnische Zugehörigkeit ein ideales Rekrutierungsmuster. Darfur zur Zeit der Renaissance der Fur in den 1980er Jahren bietet ein Lehrbuchbeispiel für politische Ethnizität und die Ausbildung eines militanten Tribalismus. Ähnlich exemplarisch – diesmal für Rekrutierung über religiöse Zugehörigkeit – ist der Südsudankonflikt. Aber im Gegensatz zu dem jihadistisch dargestellten Bürgerkrieg im Südsudan fehlen in Darfur, wo sich alle zum Islam bekennen, dafür die Voraussetzungen. Mit der Bündelung der ethnischen Antagonismen in ein Lager der Zurqa (Schwarze, mit einem Beiklang von Sklaven) und ein Lager der Araber blüht heute in Darfur jedoch der Rassismus. Auf der einen Seite stehen die Ethnien, die im Sudan als afrikanisch gelten und auf der anderen Seite diejenigen, die als arabisch gelten.

Nach der Unabhängigkeit des Sudans wurde Darfur durch Verwaltungsbeamte aus der politischen Elite des Niltals regiert. Intellektuelle aus Darfur betrachteten dies als internen Kolonialismus in Termini einer alten Opposition zwischen der einheimischen marginalisierten Bevölkerung und den besser entwickelten Gebieten des zentralen Niltals.7 Schon in den 1960er Jahren meldeten sich die ersten Organisationen zu Wort, die eine stärkere Berücksichtigung darfurischer Interessen forderten, die frühen 1980er Jahre sahen eine Reihe von Streiks und Demonstrationen in den darfurischen Städten und schließlich setzte die Zentralregierung 1981 einen Darfuri als Gouverneur ein. Der Gouverneur stammte aus der Ethnie der Fur, als sein Stellvertreter wurde der zahlenmäßigen Bedeutung der Ethnien entsprechend ein Zaghawi bestellt.

Im politischen Bewusstsein der Savanne erlebte damit die alte Herrschaft der Fur eine Renaissance. Was folgte, war eine massive Tribalisierung der Verwaltung. Dies war auch die Zeit der Expansion der Landwirtschaft am Jabal Marra. Dann aber kamen die Dürren bei Zaghawa und arabische Nomaden und der Zuzug der Herden aus dem Norden mit den begleitenden Ressourcenkonflikten. Die Fur-Bauern verteidigten ihre Felder, Nomaden versuchten Zugang zu Weiden und Wasserstellen zu erzwingen. Milizen formierten sich, die Zaghawa setzten auf ihre tschadischen Beziehungen, die Fur wandten sich an Armee und Polizei. Zwischen 1983 und 1987 herrschte praktisch Kriegszustand zwischen Fur und Zaghawa. Die Fur beriefen sich auf ihre einheimischen Landrechte aus der Zeit des Sultanats, die Nomaden forderten ihren nie ganz unumstrittenen, aber gewohnheitsmäßigen freien Zugang als sudanesische Bürger. Im Verlauf des Konflikts wurden Siedlungen der Zaghawa niedergebrannt und mehrere ihrer Führer von den Sicherheitskräften der Fur exekutiert. Und die arabischen Nomaden, von der darfurischen Verwaltung ausgeschlossen und von den Weiden ausgesperrt, mussten erbittert zusehen, wie ihre Tiere verendeten und ihre Lager von darfurischen Sicherheitskräften zerstört wurden. Sie wandten sich zunächst an die Regierung in Khartum und als von dort keine Hilfe kam, setzten sie auf die libysche Karte. In dieser Zeit formierte sich unter dem Einfluss der Heimkehrer aus der Islamischen Legion und ihrer panarabischen Ideologie die arabische Sammlungsbewegung und zum ersten Mal kam die Rede von Darfur als Teil eines arabischen oder eines schwarzen Gürtels in der Savanne auf. Im Jahr 1987 schließlich brach der Krieg der arabischen Milizen gegen die Fur aus, ein gebündelter Stammeskrieg unter Führung der arabischen Sammlungsbewegung, und daher lokal als „Krieg der Stämme“ bezeichnet. 1989 folgte eine Friedenskonferenz in Darfur, aber inzwischen waren die Kontrahenten klar in ethnischen Lagern aufgestellt, die Kriegsbeute, Darfur, wurde immer mehr unter rassistischen Gesichtspunkten betrachtet. Es ging nicht mehr nur um kleine Ressourcenkonflikte, auch nicht mehr um Stammeskriege, sondern um die Vorherrschaft entweder der Afrikaner oder der Araber über ganz Darfur.

Auch nach den Friedensvereinbarungen von 1989 setzte sich der Konflikt, wenn auch auf niedrigem Niveau, fort, intensivierte sich jedoch gegen Ende der neunziger Jahre insbesondere zwischen Masalit und arabischen Nomaden an der Grenze zum Tschad. Es wurde bald deutlich, dass die neue Zentralregierung des Sudans, 1989 durch einen Putsch an die Macht gekommen, mit ihrer islamistisch-arabischen Ideologie die rassistische Interpretation des Konflikts in Darfur weiter schürte. Die von der Militärregierung eingesetzten Kommissare aus dem Niltal bauten auf die Unterstützung der arabischen Ethnien und unterstützten sie ihrerseits. In dieser Zeit bereits entstand der militärisch-politische Komplex aus Milizen, Geheimdiensten und Armee. Arabische Milizen im Gebiet der Masalit konnten ungehindert Dörfer der Bauern überfallen und genossen sogar bei Gelegenheit die Unterstützung der Armee.

Schließlich vereinigten sich 2002 Milizen der Fur, der Masalit und der Zaghawa zur Darfur Liberation Front und begannen wie bereits geschildert ihre Rebellion gegen die Zentralregierung. Zu deren Ausbruch gerade zu diesem Zeitpunkt mag beigetragen haben, dass die Zentralregierung immer mehr als Feind der afrikanischen Bevölkerung in Darfur galt und der Moment, als gerade die Friedensverhandlungen zwischen der Zentralregierung und der SPLA aus dem Südsudan begannen, als besonders günstig erachtet wurde, um auch Darfur mit seinen Problemen einen Platz am Verhandlungstisch zu erzwingen. Wenn dies die politische Überlegung war, dann beruhte sie auf einer dramatischen Fehleinschätzung der Zentralregierung, die, statt Interesse an einer politischen Lösung zu zeigen, über ihren politisch-militärischen Komplex zur Strategie der Aufstandsunterdrückung auf die billige Art griff und damit den Vernichtungsfeldzug gegen die afrikanischen Ethnien Darfurs eröffnete.

Die Ausbreitung des Konflikts

Lange schon hat sich der Darfurkonflikt auf den Tschad ausgedehnt. Um die 300.000 Flüchtlinge aus den afrikanischen Ethnien Darfurs leben seit 2003/4 in Lagern und in Siedlungen im östlichen Tschad. Arabische Milizen haben sie häufig über die Grenze verfolgt. Und die Janjawid rekrutieren sich neben den nördlichen Rizaiqat wesentlich aus arabischen Nomaden, die aus dem Tschad zugewandert sind und inzwischen begonnen haben, sich in den entvölkerten Gebieten Westdarfurs niederzulassen. 2005 begannen sich im östlichen Tschad bewaffnete Rebellengruppen gegen die Regierung Deby zu formieren. Seit Oktober 2005 waren Teile der Armee, auch aus dem innersten Kreis seiner hauptsächlich aus Zaghawa bestehenden Regierung, offenbar aus Unzufriedenheit über die Verteilung des neuen Ölreichtums im Tschad zu den Rebellen übergelaufen. Im April 2006 versuchten sie aus dem darfurischen Grenzland heraus die Hauptstadt N’Djamena zu erobern, wurden aber mit Unterstützung der französischen Armee zurückgeschlagen und haben seither eine Reihe von Niederlagen erlitten, sich aber mit Unterstützung der Janjawid und der sudanesischen Armee im Grenzland zwischen der Zentralafrikanischen Republik, Sudan und Tschad eingenistet, wo sie inzwischen als integraler Teil des Konflikts agieren.

Im April 2004 unterzeichneten die Rebellen und die sudanesische Regierung einen von der tschadischen Regierung und der Afrikanischen Union vermittelten Waffenstillstandsvertrag im Hinblick auf spätere Friedensverhandlungen, aber keine Seite hielt sich lange an ihn, am wenigsten die arabischen Milizen. Nach lange hingezogenen Verhandlungen, die immer wieder durch Nachrichten von Überfällen und Kämpfen unterbrochen wurden, kam es schließlich zu einem Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und einer der Rebellengruppen im April 2006.

Aber bereits während der Verhandlungen hatten sich die Rebellengruppen in eine Vielzahl von unabhängig voneinander operierenden Milizen aufgespalten. Vorher überspielte Interessengegensätze waren aufgebrochen, Feldkommandeure hatten sich gegen ihre Führer im Exil aufgelehnt, Milizen hatten unkontrolliert zu marodieren begonnen; ferner hatten sich Rebellenorganisationen entlang ethnischer Linien gespalten und neue Organisationen waren aufgetaucht, um ebenfalls einen Platz am Verhandlungstisch zu beanspruchen. Dazu kommt, dass inzwischen die arabischen Milizen, hochgerüstet wie sie sind, wieder damit begonnen haben, ihre kleinen Kriege gegeneinander auszufechten. Heute, nach der Unterzeichnung des Abkommens erscheint der Konflikt unkontrollierbarer denn je. Jetzt besteht neue Hoffnung, dass die UNAMID-Mission die Gewalt in Darfur einzudämmen vermag.

Anmerkungen

1) Resolution 1769 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, siehe www.un.org/News/Press/docs/2007/sc9089.doc.htm. Der AMIS-Einsatz beruhte auf der Resolution 1556 des Sicherheitsrats von 30. Juli 2004, siehe www.un.org/Depts/german/sr/sr_03-04/sinf59final.pdf.

2) Die Ereignisse sind gut dokumentiert durch mehrere Berichterstattermissionen der Vereinten Nationen, durch AMIS und durch die Tätigkeit internationaler Menschenrechtsorganisationen, v. a. Human Rights Watch: Darfur in Flames. Atrocities in Western Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Darfur Destroyed. Ethnic Cleansing by Government and Militia Forces in Western Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Empty Promises? Continuing Abuses in Darfur. New York 2004; Human Rights Watch: „If We Return, We Will Be Killed“. Consolidation of Ethnic Cleansing in Darfur, Sudan. New York 2004; Human Rights Watch: Entrenching Impunity. Government Responsibility for International Crimes in Darfur. New York 2005; Amnesty International: Darfur – Rape as a Weapon of War, London 2004.

3) De Waal, Alex: Counterinsurgency on the Cheap, London Review of Books 26/15, vom 5.8.2004.

4) Für eine detailliertere Darstellung der Ereignisse und der Hintergründe sei verwiesen auf eine Reihe von ausführlicheren Veröffentlichungen: El Battahani, Ata: Ideologische, expansionistische Bewegungen und historische indigene Rechte in der Region Darfur, Sudan. Vom Massenmord zum Genozid. Zeitschrift für Genozidforschung 5, 2004, 8-51; Beck, Kurt: Die Massaker in Darfur. Zeitschrift für Genozidforschung 5, 2004, 52-80; De Waal, Alex und Julie Flint (2005): A Short History of a Long War. London (Zed Books); Prunier, Gérard (2005): Darfur, The Ambiguous Genozide. London (Hurst).

5) Die sudanesische Regierung hat das vor der Weltöffentlichkeit immer bestritten. Sie hat insofern Recht, als sie selbst nur unabhängige Banden Janjawid nennt. Die arabischen Nomadenmilizen, welche die Weltöffentlichkeit als Janjawid bezeichnet, sind inzwischen Teil der Volksmilizen (Peoples Defense Forces), welche die islamistische Regierung nach ihrem Putsch gegründet hat, um eine Sturmtruppe neben und als Gegengewicht zur Armee zu haben, oder Teil der leichten Grenztruppen (Border Intelligence Guard), die wiederum nicht in die Armeehierarchie eingeordnet, sondern direkt dem Direktor der militärischen Abwehr unterstellt sind. Die Volksmiliz und selbstverständlich die militärische Abwehr sind innerhalb des Sudans unantastbar.

6) Human Rights Watch (2006): Violence Beyond Borders. The Human Rights Crisis in Eastern Chad. New York; Human Rights Watch (2007): „They Came Here to Kill Us“. Militia Attacks and Ethnic Targeting of Civilians in Eastern Chad. New York.

7) Ein spätes Produkt dieser Sicht ist das anonyme Black Book, das im Jahr 2000 im Sudan unter der Hand zirkulierte und in dem die Autoren die Marginalisierung Darfurs durch Statistiken belegen. Eine englische Übersetzung findet sich unter www.sudanjem.com/sudan-alt/english/books/books.htm.

Prof. Dr. Kurt Beck ist Professor für Ethnologie an der Universität Bayreuth

»Medien-Blauhelme« in der DR Kongo

»Medien-Blauhelme« in der DR Kongo1

von Etienne Fopa und Christiane Lammers

Seit Jahrzehnten wird die Berichterstattung über Afrika durch die drei großen »K’s«: Kriege, Katastrophen und Krankheiten dominiert. Aber nicht nur das Fremdbild, d.h. die Berichterstattung im westlichen Ausland, ist einseitig und ideologisch geprägt. Auch in den afrikanischen Staaten selbst mangelt es oft an Medien, die sich dem Anspruch einer umfassenden, informativen Innensicht stellen. Der folgende Beitrag stellt ein solches Projekt vor.

Im Zeitalter der Massenmedien ist die Bedeutung der Massenkommunikationsmittel kaum zu unterschätzen, was ihre politische und politisierende Wirkung angeht. Dies umso mehr in Gesellschaften, in denen desolate Infrastrukturen und ökonomischer Mangel dazu führen, dass die gesellschaftliche Teilhabe der Bevölkerungsmehrheit auf ein Minimum reduziert wird bzw. werden kann. Demokratisierung und Entwicklung, verstanden als Prozesse von »unten«, sind wesentlich von einer Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten und -strategien abhängig.2 Nicht zuletzt geht es aber auch um die Anerkennung eines Menschenrechtes, nämlich des uneingeschränkten Rechtes auf Information.

1995 wurde in der Schweiz mit Hilfe des dortigen Entwicklungsministeriums, konkret der »Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit«, die Stiftung »Hirondelle« gegründet. Die Stiftung versteht sich als eine Journalisten-Organisation, die in Krisengebieten neue Medien aufbaut. Ihr Präsident, der Journalist Jean-Marie Etter, war zuvor als Generalsekretär der Schweizer Sektion von »Reporter ohne Grenzen« tätig und arbeitete bei »Radio Agatashya« in der Gegend der Grossen Seen in Afrika. Der Name der Stiftung deutet auf dieses erste Projekt der Stiftung hin: Agatashya bedeutet in Deutsch »Schwalbe«(franz. »Hirondelle«). Die Stiftung »Hirondelle« baute in den letzten 10 Jahren »Star Radio« in Liberia auf, »Radio Blue Sky« im Kosovo, »Radio Ndeke Luka« in Bangui (Republik Zentralafrika), und unterstützte das nationale Radio/Fernsehen RTTL in Osttimor. Das älteste Projekt von »Hirondelle« ist jedoch kein Radio, sondern die Presseagentur »Arusha« in Tansania, die die Arbeit des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Ruanda begleitete.

In einem Interview äußert sich Etter zu den die Arbeit der Stiftung bestimmenden Werten: »Es gibt einerseits professionelle Werte. Ich glaube an journalistische Grundsätze, die universelle Gültigkeit besitzen und in der Praxis angewendet werden müssen. Daneben gibt es ethische Werte wie den Respekt der Menschenwürde, Ehrlichkeit und Transparenz. Unser aller tiefster Grundsatz ist jedoch die Unabhängigkeit von wirtschaftlicher und politischer Macht3

Konkret heißt das: Die Stiftung will ihr Know-How, ihr Ansehen und ihre Erfahrung den Mitarbeitern/innen vor Ort vermitteln und ihnen somit helfen, unabhängige Medien auf Dauer betreiben und die volle Verantwortung übernehmen zu können. In der Regel arbeitet also die Stiftung mit lokalen Mitarbeitern/innen, mit Ausnahme der Projektleitung. Die Medien werden von Anfang an so konzipiert, dass sie den lokalen Mitarbeitern übergeben werden können. Die Budgets werden entsprechend ausgerichtet und erforderliche Ausbildungen vorgesehen, sowohl für die Journalisten, die Techniker wie auch für das Managementpersonal. Die Sicherung der Unabhängigkeit der Medien bedarf auch der Kontrolle des gesamten Produktionsprozesses, vom Papier zur Verteilung, vom Sammeln der Informationen bis zur Sendung. Um die Qualität dieser ganzen Ketten abzusichern, bemüht sich die Stiftung ständig darum, die notwendigen materiellen Grundvoraussetzungen zu schaffen.

Journalismus in Konfliktsituationen

Innergesellschaftliche Konflikte haben tiefgreifende politische Wurzeln, die seit Jahrzehnten gewachsen sind, wobei die aktuelle Situation nur ein Punkt mehr auf der Konfliktskala darstellt. Die Journalisten sind daher mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: »In times of political confrontation and internal conflicts in society, journalists – as allegedly objectives reporters, are more than ever in danger of becoming themselves part of the dispute by selecting an evaluating information.“4 Journalisten gehen, bei bestem Willen, ständig das Risiko ein, zu Mittätern zu werden: durch den unreflektierten Gebrauch von Sprachregelungen, bei der unzulänglichen Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, durch die Bedienung tradierter Klischees etc. Vor der Gefahr von Missverständnissen können sie sich nur schützen, indem sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich dieser stellen. Kompromisse sind hier nicht denkbar. Sie haben alle ihnen zur Verfügung stehenden Wege der Kommunikation intensiv und gewissenhaft zu prüfen, bevor sie sie nutzen, um Ereignisse und Zusammenhänge transparenter machen oder Konfliktparteien lösungsorientierte Wege vorzuschlagen5: »Conversely, the approach of crisis reporting know in the Anglo-Saxon world as peace journalism, which avoid any simple attribution of roles of victim/perpetrator and instead focuses on all sides of the conflict in an equal measure, is based on the assumption that communication via the media may also have a de-escalating effect and that journalists should deliberately assume a mediating position for the sake of peaceful solution.«6

Voraussetzung für diese Mediatorenfunktion ist allerdings neben einer entsprechend ausgerichteten professionellen Ausbildung auch die materielle Absicherung. Dies schließt auch den konkreten Schutz von Gebäuden und Personen mit ein. In Konfliktgebieten kann dies bedeuten, dass Medienprojekte darauf angewiesen sind, Unterstützung zum Beispiel von UNO-Missionen vor Ort zu erhalten.

»Radio Okapi«

Seit 2002 betreibt die Stiftung »Hirondelle« in Partnerschaft mit der UNO, konkret der MONUC, das »Radio Okapi« in der Demokratischen Republik Kongo. Es handelt sich um das größte Radioprojekt der UNO. Okapi gilt heute als das wichtigste Medium in der DR Kongo, da es als einziges Medium landesweit ausstrahlt und damit ca. 20 Mio. der 60 Mio. Einwohner des Landes erreicht, das etwa so groß wie ganz Westeuropa ist.

Für Kongo ist Radio Okapi längst mehr als »nur« eine glaubwürdige Informationsquelle, obwohl das allein eine reife Leistung in einem Land ist, in dem einst die Abendnachrichten mit dem Bild eines auf einer Wolke schwebenden Diktator zu beginnen pflegten. Der Radiosender ist zu einer nationalen Identitätsklammer geworden, weil er in einem Land ohne Straßen und doch so groß wie Westeuropa die Menschen wieder zusammengeführt hat. Knapp 200 Mitarbeiter in acht Regionalstudios und der Zentrale in Kinshasa sowie ein flächendeckendes Sendernetz sorgen dafür, dass »Radio Okapi« auch im entlegendsten Winkel Kongos zu empfangen ist. Zudem sendet »Radio Okapi« neben der normalen FM-Frequenz auf Kurzwelle und in fünf Sprachen: Französisch, Lingala, Swahili, Tshiluba und Kikongo. Das Hauptstadtstudio ist auf dem Gelände der MUNOC in Kinshasa untergebracht.

Die Qualität des Journalismus, die Aktualität und nicht zuletzt die Diskussionsforen unter Beteiligung der Bürger haben »Radio Okapi« nicht nur zum unumstrittenen Leitmedium im Land gemacht, sondern die Arbeit bei diesem Sender führt bei den Mitarbeitenden zu Lernprozessen, die durch ihre Multiplikatorenfunktion Einflüsse auf die Gesamtgesellschaft haben.

Okapi hat die Fähigkeit, neutral in der Berichterstattung zu bleiben. Mitarbeiter Okapis sollen auf diese Weise auch in ihrem Bürger-Bewusstsein gestärkt werden. Menschen im Kongo, wie in weiten Teilen Afrikas überhaupt, haben in ihrer Lebensgeschichte keinen positiven Bezug zum Nationalstaat entwickeln können. Jede/r fühlt sich mehr seiner Ethnie verbunden als dem Land selbst. Dazu kommen noch alle kulturellen Feinheiten der jeweiligen Regionen, schließlich die Familienzugehörigkeit und das Verbundensein mit einer politischen Partei. Und gerade die afrikanischen Parteien spielen stark mit der ethnischen Zugehörigkeit. Die Journalisten, z.B. des staatlichen Senders RTNC, wurden durch das System derart ›formatiert‹, nur eine Meinung zu vertreten: sie berichteten, was die Volks-Revolutionäre Partei von Mobutu (der man per Geburt angehörte!) verlangte. Trotzdem waren sie als Journalisten gut ausgebildete Leute, die jedoch jahrelang keine Möglichkeiten hatten, objektive Berichterstattung zu leisten. Sie waren es gewöhnt, neben ihrem Beruf, noch (Geld-)Geschenke zu bekommen und anzunehmen. Bei »Radio Okapi« bekamen viele von ihnen eine neue Chance als einheimische Mitarbeiter und hatten überraschend große Erfolge. »Sie sind sehr gute Journalisten und haben es nachgewiesen; unter Mobutu hatten sie auch sehr gut gearbeitet, aber mit gebundenen Füssen. Jetzt haben sie das Bewegungsrecht und die Kongolesenbehaupten, wir haben nur die besten ausgesucht.“7

Wahlen als Testfall

Ein wichtiger Prüfstein für eine qualifizierte Berichterstattung waren die Wahlen im Juli 2006. Die Verantwortung, zur politischen Information und Aufklärung beizutragen, war in dieser Situation besonders groß. Groß war aber auch die Gefahr, dass alte Bekanntschaften und Abhängigkeiten bis hin zur Korruption wieder zu einer manipulativen Berichterstattung führen würden. Um hier vorzubeugen, verschärfte Okapi die Arbeitsregelungen in Bezug auf die Wahlen. »Les employés de Radio Okapi doivent refuser les cadeaux, les bénéfices, l’argent ou toute autre compensation offerte. La finalité de ces propositions est toujours d’influencer la décision électorale de Radio Okapi. Les employés de radio Okapi ne doivent pas laisser penser, par leur tenue vestimentaire, qu’ils soutiennent tel ou tel parti ou candidat, par exemple en portant des vêtements ou accessoires au nom ou à l’effigie d’un parti ou d’un candidat.«8

Zusammengefasst wurden alle diese Bedingungen in den sogenannten Produktionsnormen. Für manch einen der Mitarbeiter waren diese Einschränkungen schwer zu akzeptieren, denn es bedeutete »frei« und doch »nicht frei« sein. Zum Beispiel forderte »Radio Okapi« jeden Mitarbeiter auf, zu den Wahlen zu gehen, da jeder verpflichtet sei, diese Aufgabe als Bürger zu erfüllen. Andererseits ist es den Mitarbeitern des Radios streng verboten, sich öffentlich zu positionieren – etwa zu einem aktuellen Referendum, einer Volksabstimmung oder einer Wahl. Die Mitarbeiter dürfen auch nicht als Aktivisten erscheinen oder ein politisches Wahlamt übernehmen.9

Zu den Wahlen hat »Radio Okapi« unter dem Titel »Das sind unsere Überzeugungen«10 10 Regeln aufgestellt:

  • Radio Okapi begleitet den Prozess der demokratischen Wahlen.
  • Radio Okapi begünstigt die Verbreitung der Ideen, Meinungen und Informationen.
  • Radio Okapi gewährleistet die Gesamtheit der aus seinem Haus gesendeten Informationen.
  • Radio Okapi sendet faire, exakte, vollständige und ausgewogene Informationen.
  • Radio Okapi sendet nur Tatsachen.
  • Radio Okapi überprüft die Tatsachen durch Berücksichtigung unterschiedlichster Quellen.
  • Radio Okapi kann überprüfte Informationen nicht zurückhalten.
  • Radio Okapi tritt nicht mit editorialen Stellungnahmen auf.
  • Radio Okapi behandelt jeden mit Respekt und Gerechtigkeit.
  • Radio Okapi lehnt alle Geschenke, Überschuss und »Coupages«11 ab.

Diese Regeln dienen als »Taschenbuch« für Okapi-Journalisten. Das bedeutet: ganz gleich woher sie kommen und welcher Ethnie sie angehören, sie müssen die Regeln des Radios anerkennen und sich an diese halten.

Das Verhalten der Journalisten von Okapi ist die konsequente Pflege des Images von Okapi, persönlich wie öffentlich, intern wie extern. Der Anspruch ist, dass die einheimischen Mitarbeiter in der DR Kongo keine einfachen Reporter des neuen Senders sind, sondern »Le nouvel Homme des media congolais«12, der als Vorbild den Journalisten im ganzen Land dienen soll.

Die Wahlen in der DR Kongo sind vorbei, sie sind überraschend friedlich verlaufen. Die Konsequenz: Der Kongo ist heute aus den westlichen Medien fast vollständig wieder verschwunden. »Radio Okapi« jedoch sendet weiter (www.radiookapi.net)13 und ist auch bei uns zu hören.

Anmerkungen

1) Der Beitrag beruht zum Teil auf der Diplomarbeit: von Etienne Simon Fopas: »Medien zwischen Konflikt und Frieden. Die Bedeutung der UNO und die ›Fondation Hirondelle‹ für eine Friedensförderung durch Medien in Afrika: Das Radio Okapi in Kongo Zaire« (April 2006; Institut für Journalistik, Universität Dortmund).

2) Vgl. Die Rolle der Medien, Magazin für Kommunikation, E+Z, Jg. 45 (2004), S.276.

3) www.swissinfo.org/ger/dossiers/portrait/detail/Die_Stimme_der_Schwalben_im_Kampf_fuer_Freiheit.html (26.06.2007).

4) Klussmann, Jürgen: Medien im Konflikt – Mittäter oder Mediatoren. Internationale Konferenz, Friedrich-Ebert–Stiftung, Berlin, 11. Mai 2000, S.8.

5) Vgl. Zint, Martin: Friedensjournalismus als Beruf, in: Wissenschaft & Frieden, Heft 4/2000.

6) Klussmann, Jürgen, a.a.O.

7) Schmidt, Christian, im Interview mit E. Fopa, siehe Fußnote 1.

8) Wahlcharta, Radio Okapi, Interne Schriften; Kap. 5, §2, Abs.2, Kinshasa 2005, S.8. gekürzte Übersetzung. Im Original heißt es, dass Mitarbeiter von Okapi keine Geschenke oder Geld annehmen dürfen. Dies erweckt den Eindruck der Beeinflussung der Meinungen. Mitarbeiter dürfen auch keine Gadjets (eine Art »Fanartikel« wie Kappen, Halstücher, etc.) tragen mit dem Foto von Kandidaten.

9) Wahlcharta, ebenda.

10) Wahlcharta, ebenda, S.10.

11) Coupage (franz. umgangssprachlich in Kongo) bedeutet »Bestechung«

12) Etter, Jean Marie, im Interview mit E. Fopa, siehe Fußnote 1

13) Auch die Wochenzeitung »Die Zeit« bietet seit längerem einen blog zum Kongo: http://blog.zeit.de/kongo/, in dem über Alltägliches und Politisches im Kongo berichtet wird. Die zuständige Redakteurin ist Andrea Böhm.

Etienne Fopa, geb. in Kamerun, ist Absolvent am Institut für Journalistik der Universität Dortmund und Trainer für Medien und Konflikt bei Pecojon Germany (peace and conflict journalism network). Christiane Lammers ist Redakteurin von Wissenschaft und Frieden.

Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte

Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte

von Barbara Dietrich

in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Frieden in Forschung und Lehre an den Fachhochschulen

„Shell: der schmutzige Krieg im Ogoni Land“, „ 30 Jahre Ölausbeutung contra Umweltschutz“, „Todesurteil gegen Ken Saro-Wiwa“ – so oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen, als im Oktober 1995 in den Medien über einen Strafprozeß in Nigeria berichtet wurde, in dessen Verlauf neun Angeklagte, darunter der bekannte Autor und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa, von einem Sondergericht zum Tode verurteilt worden waren und die Todesstrafe – trotz weltweiter Proteste – umgehend vollstreckt wurde.

Ken Saro-Wiwa war führendes Mitglied einer Anfang der neunziger Jahre im Niger- Delta entstandenen »Bewegung für das Überleben der Ogoni« (Movement for the Survival of the Ogoni People – MOSOP), eines Zusammenschlusses von Intellektuellen und Ogoni-Dorfbevölkerung mit dem Ziel politischer Autonomie und gerechter Verteilung der Einnahmen aus der Ölförderung. Das Gebiet der Ogoni, ca. 1.000 km2 groß und von ca. 500.000 Menschen bewohnt, ist nur ein kleiner Teil des Niger-Deltas und eines der ersten Fördergebiete der Firma Shell-Niger, welche die Ölförderung dort bereits seit 1958 betreibt (Danler/Brunner, 1996: 34; Shell, 1995: 3) und die 14 % ihrer gesamten weltweit organisierten Ölproduktion aus dem Niger-Delta bezieht (Danler/Brunner, 1996: 11). Die durch die Ölausbeutung im Niger-Delta verursachten Umweltschäden sind massiv und vielfältig: permanente und zeitweilig auftretende Ölaustritte bewirken die Verschmutzung / Kontaminierung von Böden, Flüssen und schließlich des Trinkwassers, die Ölschicht auf Wasser und Land entzündete sich an manchen Stellen und brannte, ohne daß die Verantwortlichen bei Shell dagegen einschritten (Danler/Brunner, 1996: 26).

Durch das Abfackeln des mit dem Öl assoziierten Erdgases über 24 Stunden am Tag entsteht schwerer Ruß, der sich auf Haut, Schleimhäute und Atemwege der im Delta lebenden Bevölkerung legt, sich auf Feldern und Gewässern absetzt und somit auch in die Nahrung gelangt. Das mit der Abfackelung entstehende Methan-Gas – 12 Mio. t im Jahr – gilt als wichtigster Verursacher des Treibhauseffekts und wird – trotz seit 1996 bestehenden Verbots – fortgesetzt (Danler/Brunner, 1996: 28 f.).

Ein umweltverträgliches Konzept für die Müllentsorgung fehlt: Der bei den Bohrungen zutage geförderte – teilweise kontaminierte – Schlamm wird meist in die nahen Flußläufe gekippt oder im Land vergraben, darin enthaltene Salze, Chemikalien etc. geraten ebenfalls ins Wasser. Auch anderer Müll wird vergraben, verbrannt oder in Flüsse und Sümpfe entsorgt (Danler/Brunner, 1996: 25 ff.). Es ist nur folgerichtig, wenn 80 % der gemeldeten Krankheiten auf verunreinigtes Trinkwasser zurückgeführt worden sind (Danler/Brunner, 1996: 15).

Andere Folgeprobleme der Ölproduktion sind z.B. die Landnahme, die seitens Shell und anderer Ölgesellschaften (z.B. Chevron, Mobil etc. (Danler/Brunner, 1996: 5,10)) ohne weiteres erfolgt, seit durch das Landnutzungsdekret der nigerianischen Regierung im Jahre 1978 sämtliches Land einschließlich der darunter liegenden Rohstoffe – aller bisherigen Tradition zuwider – zu staatlichem Eigentum deklariert worden war (Danler/Brunner, 1996: 7,14 f.).

Nachdem im Januar 1993 etwa 300.000 Menschen an einem von der MOSOP initiierten Protestmarsch gegen die Umweltzerstörung teilgenommen hatten, wurde die Organisation und ihre Anliegen in weiten Teilen Nigerias und international bekannt und damit eine wachsende Gefahr für die Militärregierung, der es bislang gelungen war, etwaige Proteste mit militärischen Mitteln im Keim zu ersticken.

Nachdem Ken Saro-Wiwa als führender Oppositioneller seine Kandidatur für die Constitutional Conference erklärt und MOSOP zuvor Shell zur Zahlung von Gewinnanteilen und von Schadensersatz für die vergangenen 30 Jahre Ölförderung aufgefordert hatte, wurden Ken Saro-Wiwa und einige Mitstreiter unter dem Vorwurf der Anstiftung zum Mord an Gegnern der MOSOP verhaftet. Der Vorwurf gegen Ken Saro-Wiwa war insbesondere deshalb absurd, weil er sich zur Tatzeit nachweisbar nicht an Ort und Stelle aufgehalten hatte (Danler/Brunner, 1996: 35). Gegen die Todesurteile, die gegen Ken Saro-Wiwa und acht weitere Angeklagte ausgesprochen wurden, gab es keine Rechtsmittel, vielmehr wurden sie alsbald vom Obersten Militärrat bestätigt und am 10.11.1995 vollstreckt.

<-2>Die Verurteilung und Hinrichtung der Angeklagten wurde begleitet von einem Feldzug des Militärs gegen die BewohnerInnen der Ogoni-Dörfer: Mord, Schläge, Brandstiftungen waren an der Tagesordnung; Ziel war es, die MOSOP zu zerschlagen (Danler/Brunner, 1996: 35).

In einer von Shell-London im Jahre 1995 herausgegebenen Studie »Die Erdölindustrie in Nigeria« verweist Shell zu seiner Rechtfertigung darauf, Anfang 1995 eine Umweltstudie »Niger Environment Survey« in Auftrag gegeben, bis Ende 1994 Rohrleitungen im Umfang von 1.300 km Länge erneuert zu haben und neue Ansätze hinsichtlich des Exports von Erdgas mit zu entwickeln (Shell, 1995: 6 ff.). Was die politische Lage in Nigeria betrifft, so propagiert Shell als der größte und einflußreichste der in Nigeria tätigen Ölkonzerne (Danler/Brunner, 1996: 5,10; Shell, 1995: 2) die »stille Diplomatie« gegenüber der Militärregierung mit dem Ziel, mäßigend auf die sozialen Konflikte im Land einzuwirken bzw. mit der Bitte um Nachsicht „aus humanitären Gründen“ im Falle Ken Saro-Wiwas (Shell, 1995: 8 ff). Jedenfalls im letzteren Fall ohne Erfolg.

Tschad – (k)ein neues Ogoni-Land ?

Droht im Tschad eine Entwicklung, die der in Nigeria vergleichbar ist? Oder nutzt die Regierung im Tschad die Chance, maximale Gewinne aus der geplanten Ölförderung für das eigene Land zu reklamieren, zum Nutzen der benachteiligten Bevölkerung einzusetzen und damit auch die Demokratisierung zu entwickeln?

Tschad, seit 1960 formal unabhängig, Nachbarland von Nigeria, Nachbar auch von Sudan, Libyen, Niger, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik: ein Land ohne eigenen Zugang zum Meer.

Der äußerste Norden mit fast 50 der Gesamtfläche des Tschad – etwa zweieinhalbmal so groß wie Frankreich –, ist Wüste, der mittlere Teil – der Norden genannt wird – ist Teil der semiariden Sahelzone. Im Süden – tropisches bzw. randtropisches Gebiet – konzentrieren sich auf 25 der Gesamtfläche ca. 60 der insgesamt 6,4 Mio. Einwohner des Tschad (1995). An Verkehrswegen besitzt der Tschad insgesamt ca. 250 km asphaltierte Straßen; im Süden gibt es wegen des Baumwollanbaus und der Vermarktung dieses Produkts ein regelmäßig gewartetes Pistennetz (Matthes, 1993: 488; Fischer Weltalmanach, 1997: 705).

Im Tschad leben – Resultat der kolonialen Grenzziehung – ca. 200 Ethnien. Es gibt zwölf verschiedene Sprachgruppen mit mindestens 110 Sprachen und Dialekten. Französisch ist Amtssprache, seit 1982 auch arabisch.

<-2>In der Sahelzone leben Angehörige islamisch-sunnitischen Glaubens, die – teilweise nomadisierend – Viehzucht und Handel betreiben. Im Süden leben dagegen christlich und animistisch orientierte Ethnien, die Ackerbau treiben (Ki-Zerbo, 1992: 579). Die Ethnie der seßhaften Sara dominiert im Süden (1 Mio.) und stellt bis heute die administrative Elite, wiewohl seit 1982 ein Muslim Präsident ist (Matthes, 1993: 489; Nohlen, 1993: 679f.).

Wirtschaftlich zählt der Tschad zu den ärmsten Ländern der Welt und ist als LLDC (Least Developed Country) klassifiziert (Klassifikation nach UN-Kriterien, vgl. Michler, 1991: 42; ab 1992 gelten modifizierte Kriterien, vgl. Beermann, 1992: 58f.). Als Indikatoren hierfür seien genannt (Angaben für 1995):

  • Bevölkerungswachstum 1985 – 1995: durchschnittlich 2,5 pro Jahr.
  • Kindersterblichkeit: 15,2 (Fischer Weltalmanach, 1997: 705).
  • Schulbesuch der Kinder: 25 (Duppel/Petry, 1997: 1).
  • Analphabetenrate: 52 (Fischer Weltalmanach, 1997: 705).
  • <-3>Zugang zu sauberem Trinkwasser: 1/3 der Bevölkerung (Duppel/Petry, 1997: 1).
  • Durchschnittseinkommen pro Kopf 1993: 210 US $ jährlich (amnesty international, 1993: 6).
  • <-2>Bruttosozialprodukt: 1.144 Mio. US $.
  • Auslandsverschuldung: 908 Mio. US $ (Fischer Weltalmanach, 1997: 705f.).

Importprodukte sind Industriegüter, Maschinen, Transportausrüstungen, Nahrungsmittel, Brennstoffe. Exportgüter sind Baumwolle (mit 80 Anteil), Erdnüsse, Gummi Arabicum sowie Produkte aus der Viehzucht (Fischer Weltalmanach, 1997: 706).

Der Tschad besitzt bisher nicht erschlossene Bodenschätze: Uran, Gold, Zinn, Bauxit im äußersten Norden (Nohlen, 1993: 680), in dem von Libyen ehemals besetzten Azouzou-Streifen (SIPRI, 1988: 178 f.; Herz, 1988: 94 f.) sind es Wolfram, Zinn, Blei und Uran (Matthes, 1993: 488 f.), vor allem aber ist es Erdöl (dazu i. e. unten).

Der mehr als 30 Jahre dauernde Krieg und Bürgerkrieg und die Dürre der Jahre 1982 bis 1985, während der 80 des Viehbestandes zugrunde ging, haben zu Migrationsbewegungen größeren Umfangs geführt (Herz, 1988: 95): von Norden nach Süden (ca. 500.000 Flüchtlinge), dort vor allem in die Städte und in andere Nachbarländer. Dort lebten Tausende von Flüchtlingen in Lagern. Die Überschwemmungen durch die beiden großen Flüsse im Jahre 1988 machten ca. 50.000 Personen obdachlos, die ebenfalls im Süden Zuflucht suchten. Dadurch verschob sich das Ungleichgewicht zwischen Norden und Süden erneut nach Süden, mit der Folge, daß die ohnehin unzulänglich entwickelte Infrastruktur hier, z.B. im Hinblick auf Gesundheits- und Wohnungsversorgung, Ausbildungs- und Transportmöglichkeiten, total überlastet wurde (Matthes, 1993: 489; Nohlen, 1993: 680).

Politisch wird der Tschad durch den im Jahre 1990 nach einem Militärputsch an die Macht gekommenen Idriss Déby regiert, der durch die Wahl vom Juli 1996 in seinem Amt bestätigt wurde . Allerdings wurden bei Durchführung der Präsidentschaftswahlen u.a. zwei aussichtsreiche Kandidaten gerichtlich von der Teilnahme ausgeschlossen, ein anderer Kandidat wurde inhaftiert und mußte seinen Wahlkampf vom Gefängnis aus führen (Auswärtiges Amt, 1995: 1).

In der neuen Verfassung des Tschad vom März 1996 ist das Prinzip der Gewaltenteilung verankert. Der Katalog der Grundrechte enthält zugleich die Verpflichtung des Staates, diese zu achten und zu schützen. Willkürliche Verhaftungen sind verboten, es gilt die Unschuldsvermutung; die Möglichkeit der Verteidigung wird garantiert, ebenso wie der Anspruch des Einzelnen auf rechtliches Gehör. Auch Polizei und Gendarmerie werden zur Beachtung der Menschenrechte verpflichtet. Die Regierung des Tschad hat überdies die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948, die Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker von 1981, das Übereinkommen gegen Folter von 1984 sowie andere internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet und hat durch Gesetz vom August 1994 eine nationale Menschenrechtskommission etabliert, welche die Regierung in Angelegenheiten der Menschenrechte, in Frauen- und Minderheitenfragen beraten soll (Auswärtiges Amt, 1995: 1f.).

Menschenrechte stehen nur auf dem Papier

Diese rechtsstaatlich-liberalen Grundpositionen stehen jedoch nur auf dem Papier. Das von Déby bei Amtsantritt und in Abgrenzung zu seinem Vorgänger, dem seit 1982 diktatorisch herrschenden Oberst Hissène Habré, abgegebene Versprechen der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft wurde nicht umgesetzt (amnesty international, 1993: 4 ff.). Vertreter von tschadischen Menschenrechtsorganisationen sowie MitarbeiterInnen von amnesty international und anderen Organisationen berichten seit Débys Amtsantritt kontinuierlich und detailliert von

  • willkürlichen Verhaftungen
  • Langzeitinhaftierungen ohne Anklage bzw. Gerichtsverfahren
  • Isolationshaft
  • Verschwinden von Personen
  • Überfällen auf Häuser, Wohnungen oder ganze Dörfer
  • Morddrohungen
  • außergerichtlichen und öffentlichen Hinrichtungen
  • Vergewaltigungen und Mißhandlungen von Frauen

seitens der Sicherheitskräfte, von einer Zunahme unterschiedlicher Erscheinungsformen von Gewalt also, bei der die Täter unverfolgt und unbestraft blieben (amnesty international, 1993; amnesty international, 1996a; Beassemda: 3 f.; amnesty international, 1997b: 1; amnesty international, 1997c). Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Gewaltspirale Ende 1996, als der Generaldirektor der Gendarmerie mit Unterstützung des Präsidenten Déby anordnete, Taschendiebe, die auf frischer Tat ertappt werden, sofort zu erschießen, ein Befehl, dem Anfang 1997 seitens Polizei und Militär in zahlreichen Fällen Folge geleistet wurde (amnesty international, 1996b: 1; Fischer Weltalmanach,1997: 706; amnesty international, 1997c: 1).

Die Ursachen für die gravierende Mißachtung der Menschenrechte sind vielfältig: Sie resultieren aus der kolonialen Vergangenheit ebenso wie aus bestehenden krassen ökonomischen und politischen Disparitäten. Nicht zuletzt aber sind die Ende der achtziger Jahre entdeckten Ölvorkommen im Umfang von ca. 930 Mio. t Grund für eine weitere Zunahme von massiven Verletzungen der Menschenrechte (Horta, 1997: 1; Bauchmüller, 1997: 63). Die Ölfelder, deren Ausbeutung anvisiert wird, liegen im Tschad-See (Sidigui) und im Doba-Becken im südlichen Tschad (Miandoum, Bolobo, Komé) (Zint, 1997: 3; Ngarlejy, 1997: 1). Ein Konsortium von Esso (Exxon; 40 ), Shell (40 ) und elf aquitaine (20 ) (Horta, 1997: 3) bereitet auf der Grundlage eines Vertrages mit der Regierung des Tschad vom Februar 1995 die Ölförderung vor: Die Vorkommen sollen mit 300 Bohrbrunnen erschlossen und ab dem Jahr 2001 täglich 225.000 barrel gefördert werden (Horta, 1997: 2; Rademaker, 1997: 1). Der Abtransport des Öls wird mittels einer neuen unterirdisch geplanten Pipeline erfolgen, die 170 km durch tschadisches und knapp 1.000 km durch kamerunisches Territorium geführt werden soll. Sie geht mitten durch das Siedlungsgebiet von Pygmäen und endet in Kribi, einer kamerunischen Hafenstadt, die von Naturschutzgebiet umgeben ist (Leurres, 1997: 6 ff.; Horta, 1997: 9). Dort wird das Öl zum Weitertransport auf Schiffe verladen (Bauchmüller, 1997: 63). Die Mitbenutzung der bereits vorhandenen Pipeline nach Limbé, die ausschließlich durch anglophones kamerunisches Gebiet führt, wurde von elf aquitaine abgelehnt, weil die neue Pipeline ausschließlich durch den frankophonen Teil Kameruns geführt und damit gleichzeitig dem französischen Militär ein rascher Zugangsweg zum Tschad für den Fall künftig notwendiger Kriseninterventionen eröffnet werden soll (Horta, 1997: 9; Ngarlejy, 1997: 1).

Die Weltbank soll mitfinanzieren

Nach Vorbereitungsarbeiten für die Ölförderung wird die Durchführung des mindestens 3,5 Mrd. US $ teuren Projekts seitens des Konsortiums von der externen Mitfinanzierung durch die Weltbank und ihre Tochtergesellschaften IDA (International Development Association) und IFC (International Finance Corporation) abhängig gemacht (Rademaker, 1997: 1; Ngarlejy, 1997: 1; Deutsche Bundesbank, 1992: 54 f.). Dabei wollen sich die Ölgesellschaften den Ruf der Weltbank, nur ethisch integere Projekte zu fördern, zunutze machen (Bauchmüller, 1997: 1). Nicht zuletzt sichert eine Beteiligung seitens der Weltbank ihnen auch die Möglichkeit, nachfolgend weitere Kredite auf dem internationalen Kapitalmarkt zu erlangen (Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998a: 1).

Von seiten der Weltbank wurde das Projekt als eines der Kategorie A identifiziert, als ein Projekt also, dessen Umweltverträglichkeit fraglich ist und vor der Entscheidung über die Kreditvergabe umfassender Prüfung bedarf (Tschad-Kamerun, 1998: 1; Commission for environmental impact assessment, 1998: 2).

Riesige Probleme für Menschen und Umwelt

Die Probleme, die durch die Erdölförderung im Tschad hervorgerufen werden, sind immens. Das Doba-Becken, als Zentrum der Ölförderung vorgesehen, ist das fruchtbarste Gebiet im Tschad: Hier wird der größte Teil der Nahrungsmittel, vor allem Hirse, Sorghum, Maniok, Süßkartoffeln produziert – ebenso wie Baumwolle, das wichtigste Exportprodukt (Zint, 1997: 2; Nohlen, 1993: 680).

Landenteignungen für die Herstellung der erforderlichen Infrastruktur haben bereits begonnen: Aus den Fördergebieten werden mindestens 1.500 Familien vertrieben werden, weitere werden der projektierten Pipeline weichen müssen (Ngarlejy,1997; Horta, 1997). Damit einher geht die Zerstörung von Häusern, Bäumen, fruchtbaren Feldern, also die Gefährdung der ausreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln (Rademaker, 1997: 2; WEED, 1997: 2). Der von ESSO zur Vorlage bei der Weltbank konzipierte »Compensation and Resettlement Plan« vom Februar 1998 wirft vielfältige Probleme auf hinsichtlich der Voraussetzungen, des Umfangs und des Verfahrens der Entschädigung. Bemerkenswert erscheint zudem, daß die Bevölkerung vor Ort in die Kontrolle der Entschädigungs- und Umsiedlungsprogramme nicht einbezogen wird, die Kontrolle selber nur punktuell stattfinden soll. Es besteht begründeter Anlaß zu der Annahme, daß die zuvor für die Betroffenen vorhandenen Reproduktionsmöglichkeiten mittels dieser Programme nicht adäquat ersetzt bzw. wiederhergestellt werden (Schönegg, 1998: 1 ff.).

Es ist außerdem – auch wiederum mit Rücksicht auf die im Niger-Delta gemachten Erfahrungen – vorhersehbar, daß sich die bestehenden sozialen Strukturen grundlegend verändern werden: Die geplante Erdölförderung wird zusätzliche Arbeitskräfte erfordern, zusätzliches Geld wird in die Region fließen, Korruption, Kriminalität und auch die Ausbreitung von AIDS werden damit wahrscheinlich einher gehen, bisher bestehende Familien- und Dorfstrukturen zerstört werden (Danler/Brunner, 1996: 15,19; 36, S.2).

Experten gehen überdies davon aus, daß – auch bei Einsatz modernster Technik – Lecks entstehen, Öl in den Boden sickern wird, und Grundwasser, Flüsse sowie Böden im Umfeld der Pipeline kontaminiert werden, eine Konsequenz, die besonders schwer wiegt, weil der Tschad mit seinem trockenen und heißen Klima auf das vorhandene Wasser existentiell angewiesen ist. Daß die Pipeline unterirdisch verlegt wird, erschwert zudem Reparaturen, die angesichts erhöhter Korrosionsgefahren um so notwendiger sein werden (36, S.2; Horta, 1997: 9f.).

Das Ölprojekt birgt aber auch politische Gefahren, wurde es doch – gemessen an den von der Weltbank aufgestellten Kriterien partizipatorischer Entwicklung (Adams/Rietbergen-McCracken, 1994: 36 f.) – ohne Einbeziehung der Betroffenen vorbereitet (Dames and Moore, 1997: 15; Zint/Petry, 1997: 19 f.; urgewald, 1998a: 2.; Tschad-Kamerun, 1998: 1) bzw. wurden Ansätze zur Information der betroffenen Bevölkerung vor Ort unter militärischer Präsenz durchgeführt (Commission for environmental impact assessment, 1998: 9; Zint, 1998a), eine Konstellation, die eher geeignet ist, die Bevölkerung abzuschrecken bzw. zu vertreiben. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist die Tatsache, daß die Angehörigen der Armee überwiegend aus der Ethnie rekrutiert werden, welcher der Präsident angehört, bzw. aus verbündeten Ethnien (Horta, 1997: 5; amnesty international, 1993: 23).

Schließlich gibt es in verschiedenen Landesteilen einen bewaffneten Widerstand: Z.B. die in der südlich gelegenen Doba-Region operierende Rebellenbewegung, die einen föderativen Staatsaufbau zu ihrem Hauptziel erklärt hat. Der in Aussicht stehende Ölreichtum aus den Förderquellen des Südens hat nämlich Forderungen nach größerer Autonomie dieses Landesteils bzw. nach einem föderativen Staatsaufbau reaktualisiert, nicht zuletzt, weil die Entscheidungen über die Verwendung der Gewinne aus der Ölförderung ausschließlich im Norden gefällt werden (Horta, 1997: 5; WEED, 1997: 2).

Die Bevölkerung – soweit sie über die Ölvorkommen informiert ist – verbindet Hoffnung mit deren Ausbeutung: Hoffnung auf Förderung des Wirtschaftswachstums und der Infrastruktur, auf Arbeitsplätze und eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Chancen hierfür sind minimal. Zum einen, weil die Gelder der Weltbank-Organisationen nicht in konkrete soziale Projekte fließen, sondern in den Bau der Pipeline und anderer Infrastruktureinrichtungen im Kontext des Ölprojekts bzw. an das Konsortium direkt ausbezahlt werden sollen (WEED, 1997: 1; Bauchmüller, 1997: 64). Erst Einnahmen aus dem Ölgeschäft sollen in einen staatlichen Entwicklungsfonds zur Bekämpfung der Armut eingezahlt werden. Doch allein die tschadische Regierung entscheidet über die Verwendung dieses Geldes, so daß begründete Zweifel bestehen, ob es tatsächlich all jenen zugute kommt, die es am dringendsten brauchen (Horta, 1997: 3 f.; Bauchmüller, 1997: 64f.).

Diese Zweifel werden verstärkt durch die Tatsache, daß die Regierung dem Konsortium – mit Rücksicht auf die hohen Kosten für den Bau der Pipeline und den Erdölhafen von Kribi – hohe und total unangemessene Steuervorteile eingeräumt hat: Während der ersten dreißig Jahre der Ölförderung resultiert daraus ein Verzicht auf Steuereinnahmen in Höhe von 21 Mrd. US $. De facto bezahlt somit der Tschad dafür, daß elf aquitaine sich geweigert hat, die bereits vorhandene Pipeline zu nutzen. 3 Mrd. US $ – Tantiemen aus dem Verkauf des Erdöls – bezahlt die Regierung außerdem an das Konsortium für die Errichtung einer kleinen Raffinerie am Tschad-See, von der aus das dort gewonnene Öl nach N’Djamena gepumpt und im Tschad verbraucht werden soll (Ngarlejy, 1997: 1 f.). Schließlich sieht das Übereinkommen zwischen der tschadischen Regierung und dem Konsortium vor, daß der Tschad Ausgleichszahlungen leisten muß im Fall, daß der Ölpreis 17 $ pro Barrel unterschreiten wird (Le pipeline Phantom, 1997). Die derzeitigen jährlichen Einnahmen des Staates betragen hingegen lediglich etwa 100 Mio. US $ für die Erteilung der Erdöllizenzen (Ngarlejy, 1997: 1f; 36, S.2).

Pipeline Verträge im Interesse der Ölkonzerne

An dieser Stelle sollen wichtige Regelungen vorgestellt werden, die in dem Vertrag zwischen der Regierung der Republik Kamerun einerseits und der Cameroon Oil Transportation Company (COTCO) andererseits enthalten sind und der am 7.8.1997 per Gesetz anerkannt worden ist (FERN, 1998: 1).

In COTCO sind auf der einen Seite die Regierungen Tschads und Kameruns zu je 25 vertreten, auf der anderen Seite ein Konsortium der Ölgesellschaften Shell, ESSO und elf aquitaine zu insgesamt 50 (FERN, 1998: 1). Der Vertrag zwischen den Parteien wird als privater Vertrag verstanden, der 25 Jahre lang gelten soll und auf Wunsch von COTCO um 25 Jahre verlängert werden kann: Eine demokratische Mitbestimmung Betroffener zumindest bei der Festlegung der Nutzungsbedingungen für die folgenden 25 Jahre ist nicht vorgesehen, so daß zwischenzeitlich aufgetretene Probleme keine Berücksichtigung finden (FERN, 1998: 1).

Der Vertrag selbst enthält umfangreiche Ermächtigungen zugunsten von COTCO, z.B. was die Nutzung der Umwelt betrifft. Darüber hinaus erhält COTCO das Recht, sich in dringenden Notfällen oder im Falle plötzlicher Gefahr für Menschen oder Umwelt in ausschließlich eigener Verantwortung Zugang zu jedwedem privaten oder öffentlichen Land zu verschaffen, um die Ursachen für die Gefahrenlage herauszufinden bzw. ihr abzuhelfen. Nach Ansicht von FERN, einer NGO in Belgien, die den Vertrag analysiert hat, handelt es sich hier um eine Ermächtigung, die COTCO weitestreichende Kompetenzen verleiht, bis hin zu paramilitärischen Interventionen, z.B. für den Fall, daß sich irgendein Widerstand gegen das Pipeline-Projekt oder seine Folgen entwickeln wird (FERN, 1998: 3).

Abschließend legt der Vertrag zwischen der Regierung Kameruns und COTCO fest, daß nationales Recht der Republik Kamerun gegenüber dem Vertrag nachrangig ist, soweit es diesem Vertrag widerspricht . Die gleiche Regelung wird im Verhältnis zum internationalen Recht getroffen (FERN, 1998: 3). Unabhängig davon, ob dieser Vertrag oder einzelne seiner Bestimmungen überhaupt rechtswirksam sind, dokumentieren sie jedenfalls eindeutig die Machtverhältnisse und das Rechtsverständnis der beteiligten Vertragsparteien.

Ein analoger Vertrag zwischen der Regierung des Tschad und der privaten Gesellschaft TOTCO (Tchad Oil Transportation Company) ist in Vorbereitung (Commission for environmental impact assessement, 1998, Appendix 2), sein Inhalt bisher nicht bekannt. Es besteht allerdings Grund zu der Annahme, daß in ihm ebenso weitreichende Befugnisse zugunsten des Ölkonsortiums enthalten sein werden.

Wege aus der Gewalt: Die Arbeit der Menschenrechts- organisation ATNV (Association Tchadienne Non Violente)

Die krassen Erscheinungsformen physischer und struktureller Gewalt haben zur Entstehung aktiver zivilgesellschaftlicher Organisationen im Tschad geführt. Sie arbeiten mit dem Ziel, der Gewalt entgegenzuwirken, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt zu sichern, zur Entwicklung der Demokratie im Land beizutragen und für die bestehende Pressefreiheit zu kämpfen (Horta, 1997: 4; amnesty international, 1993: 7; EIRENE, 1998a: 2).

Stellvertretend soll hier die ATNV vorgestellt werden, die im Jahre 1991, kurz nachdem sich Präsident Déby an die Macht geputscht hatte, von Christen im südlichen Tschad als erste gewaltfreie Organisation in Anknüpfung an Theorie und Praxis der Gewaltlosigkeit bei Gandhi und in der christlichen Tradition gegründet wurde.

Die Gründer setzen sich für den Frieden im Land, für Freiheit und Menschenrechte, für Versöhnung und Demokratie, gegen Unwissenheit, Elend und Unterentwicklung ein. Heute hat die Organisation 5.000 aktive Mitglieder und 61 lokale Komitees. Auch Frauen sind in dieser Organisation aktiv (Beassemda, 1997).

Die ATNV hat im Konflikt zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern aktiv vermittelt mit dem Ziel, ihn ohne weitere Gewalt einer Lösung zuzuführen. Nachdem die lokalen »Dialog-Komitees« zunächst mit beiden Parteien getrennt zusammen gekommen waren, um die jeweiligen Sichtweisen kennenzulernen, und nachdem sie die durch die Nomaden-Viehzüchter verursachten Schäden auf den Feldern inspiziert hatten, brachten sie die Konfliktparteien zusammen, um über Schaden und Entschädigung gemeinsam zu beraten und zu beschließen.

Ähnlich ging die Organisation bei der Konfliktvermittlung zwischen Rebellen und Regierung vor, jeweils Schlichtungstraditionen, wie sie in afrikanischen Gesellschaften existieren, mit einbeziehend. Im April 1997 führte diese Mediation zum Friedensschluß zwischen der Regierung und den Rebellen. Ein Friedensschluß, der zwar nur wenige Monate andauerte, der aber dennoch ein erstes Beispiel praktischer und – zumindest zeitweilig – effektiver Mediations- und Friedensarbeit darstellt. Vor allem aber wird daran deutlich, welche Bedeutung und Einflußmöglichkeiten zivilgesellschaftliche Organisationen im Tschad inzwischen erlangt haben.

Neben der aktuellen Konfliktlösung ist es Ziel der Arbeit von ATNV, dauerhafte Strukturen zu entwickeln, die dazu geeignet sind, immer dann, wenn Konflikte erstmals auftreten oder erneut aufbrechen, zwischen den Kontrahenten zu vermitteln. Den in diesem Zusammenhang auftauchenden Gegensatz zwischen dem neu geschaffenen »Dialog der Kontrahenten« und den gesellschaftlich tradierten »Chef-Strukturen« , bei denen die Dorfchefs – oftmals stark parteiisch – als Schlichter fungieren, versuchen die Mitglieder der ATNV produktiv aufzulösen. Sie führten z.B. Seminare für die Chefs du Village und Unterpräfekten durch und legten dabei das inhaltliche Hauptgewicht auf die Verwirklichung der Menschenrechte für alle am Konflikt Beteiligten und auf die Entwicklung und Förderung gewaltfreier Konfliktlösungen zwischen ihnen (FR, 1998: 1f.).

Neben Mediationsarbeit ist die ATNV bestrebt, in die Öffentlichkeit hineinzuwirken: Sie prangert Menschenrechtsverletzungen an, appelliert an die Regierung, die in der Verfassung garantierten Grundrechte zu beachten, fordert die Ahndung repressiver und gewaltsamer Menschenrechtsverstöße seitens der Sicherheitskräfte und macht der Bevölkerung ihre Rechte und Pflichten als Staatsbürger in einer Demokratie bewußt. So übersetzt sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN in lokale Sprachen und macht die Menschen in öffentlichen Versammlungen mit deren Inhalt vertraut. Sie macht die Frauen mit ihren spezifischen Rechten nach tschadischen Gesetzen und aufgrund internationaler Konventionen bekannt (Beassemda, S.2; Equipe du CEFOD, 1994; Association pour la promotion).

Im Kontext der Öffentlichkeitsarbeit ist auch das Bildungszentrum vorzustellen, das ATNV in Moundou seit 1996 einrichtet mit dem Ziel, der Idee der gewaltlosen Konfliktregelung weiterreichende Geltung zu verschaffen. Dieses – Martin-Luther-King-Zentrum genannt – soll zu einem Treffpunkt in der Region werden und soll Raum bieten für eine Beratungsstelle, für Versammlungen und Bildungskonferenzen, sowie für eine Dokumentationsstelle zu Menschenrechten, Gewaltlosigkeit, Erdölförderung, etc.. Außerdem sollen im MLK-Zentrum Menschen aus verschiedenen Teilen der Sahel-Zone und aus dem gesamten Land zusammengeführt werden, um miteinander ins Gespräch und in Austausch kommen zu können (Duppel/Petry, 1997: 4; Beassemda, S.4).

<-3>Aus Protest gegen schwere Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär organisierten ATNV und andere Menschenrechtsorganisationen seit 1993 immer wieder die Aktion »ville morte« – gestorbene Stadt, eine afrikanische Version gewaltfreien Widerstandes. Alle in einer Region oder Stadt lebenden Menschen verweigern die Arbeit, bleiben zu Hause, kaufen nicht ein. Die Form des Generalstreiks wurde von vielen Menschen mitgetragen und machte die Organisationen und ihre Zielsetzungen in der Bevölkerung bekannt (Duppel/Petry, 1997: 3; 38; amnesty international, 1998b: 1).

<-2>Die Organisation hat auch gegen die Einführung der Todesstrafe für Taschendiebe öffentlich und scharf protestiert und erreicht, daß sie zumindest vorübergehend suspendiert wurde (Beassemda, 1997).

Bereits seit 1994 beschäftigen sich die MitarbeiterInnen von ATNV – ebenso wie andere Menschenrechts- und Umweltorganisationen im Tschad – mit dem Erdölprojekt. Anlaß hierfür war damals die Erschießung eines Bauern, der zu einem Esso-Flugplatz gelaufen kam, weil er die Landung eines Flugzeugs beobachten wollte. Die Erschießung durch die für die Sicherheit von ESSO zuständige Gendarmerie wurde mit der Behauptung legitimiert, es habe sich bei dem Getöteten um einen Rebellen gehandelt. Nachforschungen durch ATNV und andere Organisationen ergaben die Unwahrheit dieser Behauptung; eine Strafverfolgung der Täter und eine Entschädigung der Familie des getöteten Bauern blieben trotzdem aus (Beassemda: 4; Zint, 1997: 6).

Folgeschäden des Erdölprojekts minimieren

ATNV geht nicht davon aus, daß das Erdölprojekt verhindert werden kann. Im Gegenteil: Auch ihre MitarbeiterInnen versprechen sich davon einen wirtschaftlichen Aufschwung im Lande, vorausgesetzt, ein großer Teil des erwarteten Gewinns kommt dem Tschad zugute und wird insbesondere zugunsten der Betroffenen verwendet (Beassemda, 1997: 5). Vor allem aber geht es ATNV und anderen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) darum, die vorprogrammierten Folgeschäden des Ölabbaus zu verhindern bzw. zu minimieren. Durch beharrliche Öffentlichkeitsarbeit und Forderung nach Offenlegung hat ATNV in Kooperation mit anderen bereits einige Erfolge zu verzeichnen. So wurde z.B. die Entscheidung der Weltbank über deren finanzielle Beteiligung am Ölprojekt von September 1997 auf Ende 1998 verschoben, nachdem die NGOs darauf hingewiesen hatten, daß die tschadische Bevölkerung über das Projekt bisher so gut wie nicht informiert wurde (Collectif des Assiciations, 1998: 2; Beassemda, 1997; Bauchmüller, 1997: 64 f.), dies aber im Widerspruch zu den Förderrichtlinien der Weltbank stehe, in denen als Voraussetzung für die Kreditvergabe u.a. die Information und Partizipation der betroffenen Bevölkerung festgeschrieben sei (Adams/Rietbergen-McCracken, 1994: 36 ff.; Rademaker, 1997: 1; Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998a: S.2). Eine Umweltverträglichkeitsstudie wurde – statt von der tschadischen Regierung – von Esso, der führenden Gesellschaft innerhalb des Konsortiums, in Auftrag gegeben (urgewald, 1998a: 2), Ende 1997 der Weltbank überreicht und veröffentlicht. Auch hier wurde der Forderung der zivilgesellschaftlichen Organisationen nach Information Rechnung getragen (Dames and Moore, 1997; EIRENE, 1997).

Liest man allerdings die zusammenfassenden Ergebnisse dieser Auftragsstudie, so entsteht der Eindruck, daß eine Reihe von Problemen, die das Ölprojekt mit sich bringt (Sicherheitslage, Folgen des Projekts für die ansässige Bevölkerung, insbesondere im Hinblick auf Reproduktionsbedingungen, Folgen für die Umwelt), thematisiert, sie aber zugleich als mehr oder minder gelöst dargestellt bzw. verharmlost werden (Dames and Moore, 1997): Eine »Verträglichkeitsstudie« also, im wahrsten Sinne dieses Wortes.

Im Kontext des Ölförderungsprojekts haben sich die tschadischen Menschenrechts- bzw. Umweltorganisationen untereinander vernetzt und verstärkt. Gleichermaßen ist die Kooperation mit anderen afrikanischen und europäischen Organisationen weiterentwickelt worden, um die Probleme in Tschad und Kamerun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und vielseitige Unterstützung zu initiieren. Um die Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit in der BRD zu intensivieren, haben sich amnesty international, Brot für die Welt, WEED, urgewald, Misereor und andere NGOs auf die Durchführung gemeinsamer Aktionen -vor allem bezogen auf Öffentlichkeitsarbeit – verständigt (EIRENE, 1997: 1; Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998a).

Im Januar 1998 organisierten ATNV und andere lokale Organisationen eine Zusammenkunft im südtschadischen Donia – in der Förderregion gelegen –, an der Repräsentanten von Esso, der Weltbank, der tschadischen Regierung, Gäste aus Nigeria, Kamerun und Europa sowie mehr als 100 Repräsentanten/innen von NGOs teilnahmen.

Wiederum die Erfahrungen in Nigeria als Präzedenzfall vor Augen, wurde die Umweltverträglichkeitsstudie auf der Konferenz seitens der NGO-Vertreter heftig kritisiert. Auf der Grundlage dieser Kritikpunkte und ihres Selbstverständnisses initiierten sie den Dialog mit Regierung, Konsortium und Weltbank und forderten u.a. Rahmenbedingungen für die friedliche und sichere Durchführung des Ölprojekts zu schaffen unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung und der Nutzung ihrer Kompetenzen vor Ort. Dazu müßten gesetzliche Regelungen bezüglich des Umweltschutzes und der Ölgewinnung formuliert, die Einnahmen aus dem Projekt kontrolliert werden und eine Entschädigung in adäquater Höhe erfolgen. Außerdem müßten weitere Untersuchungen zu den soziokulturellen und anderen Folgeproblemen seitens der Regierung in Auftrag gegeben werden. Die Weltbank wird aufgefordert, strengstens auf Einhaltung der von ihr aufgestellten Verfahrensregelungen und Vergabekriterien zu bestehen und die Regierung in Richtung auf eine Verhandlungslösung mit der Rebellenbewegung zu beeinflussen. Kompetente und erfahrene Fachleute sollten eingesetzt werden, um die Kontrolle der Ölförderung zu sichern (Zint, 1998a; Zint, 1998b; Zint, 1998c; siehe auch Erklärung von Donia im Kasten).

Diese Forderungen werden mittlerweile auch von der GCA (Groupe de Concertation et d’Action sur le Projét Pétrolier et d’Oléoduc Tchad-Cameroun), einem Zusammenschluß tschadischer und kamerunischer NGOs, und von fachkompetenten Organisationen im Ausland vertreten, nachhaltig unterstützt und um weitere Forderungen ergänzt (Commission for environmental impact assessment, 1998; Centre pour l’Environment, 1998; Tschad-Kamerun, 1998).

Brutale Gewalt soll Widerstand brechen

Seit Ende des Jahres 1997 hat sich die politische Situation im Tschad nochmals dramatisch und kontinuierlich verschärft:

Im November 1997 führten die Sicherheitskräfte eine geplante Militäraktion in der Region Moundou durch, bei der es 98 Tote sowie Verletzte, Verhaftete, Gefolterte und Verschleppte gab. Auch das Haus des Vorsitzenden der ATNV wurde zerstört. Anlaß dieser Gewaltaktion war der Aufenthalt führender Mitglieder der Rebellenbewegung FARF (Forces Armées pour la République Fédérale), die sich zur Unterzeichnung des mit der Regierung im April 1997 geschlossenen Friedensabkommens in Moundou aufhielten (EIRENE, 1998a: 2; amnesty international, 1997a: 1; amnesty international, 1998a: 1; Collectif des Associations, 1997).

Ende März 1998 verbot die Regierung jegliche Aktivitäten von Menschenrechts-Organisationen (amnesty international, 1998b). Zuvor – Anfang März – wurden bei Kämpfen im Süden des Landes mehr als 100 Menschen, zumeist unbewaffnete Zivilisten, getötet (amnesty international, 1998a; FR, 1998).

Mitte März wurden 12 Dorfvorsteher und andere Personen vom stellvertretenden Präfekten von Benoye, einem Ort nördlich von Moundou, zu Gesprächen über Steuerprobleme geladen. Am Ort der Zusammenkunft wurden sie von Sicherheitskräften festgenommen und mit anderen Personen zusammen erschossen. Uniformierte Truppen durchsuchten etwa zur gleichen Zeit das Dorf Talade – ebenfalls in der Region der Ölförderung gelegen –, 25 Einwohner wurden gefesselt und ermordet (amnesty international, 1998c: 2).

<-2>Am 18.3.1998 stürmten Militärs die Kathedrale von Moundou, nahmen den Abt und die anwesenden Personen fest. Der Abt wurde nach schweren Mißhandlungen mit einigen anderen freigelassen, die übrigen GottesdienstbesucherInnen verschwanden spurlos (AG Erdölförderung, 1998). Am folgenden Tag wurde ein Stadtteil in Moundou von Militärs durchsucht. Alle Jugendlichen wurden zusammengetrieben und ermordet, ihre Beerdigung vom Militär verboten (Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998b).

Am 22.3.1998 stürmten Militärs das Haus eines führenden Menschenrechtlers. Er mußte fliehen, ebenso wie Vertreter anderer lokaler Menschenrechtsorganisationen und der Vorsitzende des ATNV, der vorübergehend aus Angst um sein Leben untertauchen mußte (Koordinationsbüro Erdölprojekt, 1998b; amnesty international, 1998b).

All die genannten schwersten Menschenrechtsverletzungen weisen darauf hin, daß die Regierung neuerdings und mit großer Zielgenauigkeit daran geht, jegliche Opposition, insbesondere den Widerstand gegen das Ölprojekt, mit brutalster militärischer Gewalt niederzuschlagen bzw. im Keim zu ersticken, um so die Region zu befrieden und den Weg für die Ölförderung freizumachen (EIRENE, 1998b; 38; FR, 1998; FAZ, 1998).

Das Europäische Parlament hat in seinen Sitzungen vom Februar 1997 und Juni 1998 die anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte im Tschad scharf verurteilt und die Regierung aufgefordert, für die Einführung rechtsstaatlicher Verhältnisse, insbesondere in Polizei und Justiz zu sorgen (Zint, 1998d: 2).

<-3>Für den Fall einer positiven Entscheidung der Weltbank fordert das Europäische Parlament von der tschadischen Regierung bzw. dem Konsortium u.a. eine umfassende Information der Öffentlichkeit, Inkraftsetzung und Einhaltung strengster Vorschriften zum Schutz der Umwelt, lokale Reinvestition eines angemessenen Anteils der Gewinne aus der Ölförderung. Die Mitgliedstaaten der EU werden aufgefordert, Druck auf die Regierung des Tschad auszuüben, damit sie die Militäraktionen im Süden des Landes beende. Das EP verlangt überdies von den EU-Staaten, ihre weitere Kooperation mit und Hilfe für den Tschad von der Einhaltung der Menschenrechte seitens der tschadischen Regierung abhängig zu machen (Europäisches Parlament, 1998: Ziff. F).

Europäische Bedenken gegen Erdölprojekt

Am 13. Februar 1998 war der Außenminister des Tschad, Annadi, zu Gesprächen mit dem Außenminister und dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn. Von deutscher Seite wurden Bedenken gegen das Projekt zur Ölförderung im Hinblick auf potentielle Umweltschäden geäußert, Bedenken auch im Hinblick darauf, daß die Erträge möglicherweise nicht der Bevölkerung zugute kämen, daß gegen die Opposition mit Repressionen vorgegangen werde und ein neuer Bürgerkrieg entstehen könne (FAZ, 1998).

Bedenken sind keine Bedingungen – das hat die Entwicklung nach diesen Gesprächen allzu deutlich gezeigt. Die Regierung der BRD könnte eine gewichtige Rolle im Hinblick auf die von der Weltbank zu treffende Entscheidung über die Beteiligung am Ölprojekt im Tschad übernehmen, ist Bonn doch einer der größten Geldgeber der Weltbank und ihrer Tochtergesellschaften IDA und IFC und ständiges Mitglied in den Exekutivdirektorien dieser Organisationen mit Stimmrecht in Relation zur Höhe des eingezahlten Kapitalanteils (Deutsche Bundesbank, 1992: 56 ff., 83 ff., 88 ff.).

Demgemäß hat der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages im Juni 1998 einem Entschließungsantrag zugestimmt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ihre Zustimmung zu einer Beteiligung der Weltbank am Tschad-Kamerun-Ölprojekt davon abhängig zu machen, daß das Vorhaben umweltverträglich und unter Beteiligung der Betroffenen durchgeführt wird, daß es zur Entwicklung der Volkswirtschaft und zur Bekämpfung der Armut beiträgt und die Menschenrechte Beachtung finden (Deutscher Bundestag, 1998: 3).

Immerhin hat die Bundesregierung inzwischen die von ESSO vorgelegte Umweltverträglichkeits-Studie überprüfen lassen und das Ergebnis an die Weltbank übersandt.

Die Regierung der Niederlande hat ein unabhängiges Fachgremium mit der Erstellung einer Expertise beauftragt: Sie bezieht sich auf die Umweltprobleme in Tschad und Kamerun. Die Autoren empfehlen im Falle der Förderung des Projekts seitens der Weltbank, eine internationale interdisziplinäre Beraterkommission einzusetzen, die dazu beitragen soll, die Weltbank in der Umsetzung ihrer Politik des Umweltschutzes, der Armutsbekämpfung, der Wiederansiedlung und der Partizipation der Betroffenen zu unterstützen (Commission for environmental impact assessment, 1998: 2). Die Regierung der Niederlande selbst hat der Weltbank eine Vertagung der Entscheidung empfohlen (urgewald, 1998a: 2f.).

Am 3.6.1998 wurde der Parlamentarier Ngarlejy Yorongar zusammen mit zwei Journalisten wegen angeblicher Verleumdung des Präsidenten der Nationalversammlung verhaftet. Er hatte jenem vorgeworfen, Geld zur Finanzierung seines Wahlkampfes von elf aquitaine angenommen zu haben. Die Interparlamentarische Union in Genf untersuchte diesen Fall und kam zum Ergebnis, daß Yorongars Meinungsäußerung durch das Abgeordnetenmandat gedeckt sei (Resolution zu Cas No. CHD/01- Ngarlejy Yorongar – Tchad) (amnesty international, 1998e; AG Erdölprojekt Tschad-Kamerun, 1998). Yorongar ist schärfster Kritiker der tschadischen Regierung und des Ölprojekts: Er stand damals kurz vor einer Reise nach Brüssel zum Vortrag über die Probleme dieses Vorhabens (urgewald, 1998b; Telkämper, 1998; Collectif des Associations, 1998).

Das Europäische Parlament hat auch die Verhaftung Yorongars entschieden verurteilt und die tschadische Regierung aufgefordert, ihn sofort frei- sowie eine demokratische Diskussion über die Lage im Land und über das Ölprojekt zuzulassen (Europäisches Parlament, 1998: Ziff.F 2). Am 20. Juli 1998 wurde Yorongar nach einem Verfahren unter Vorenthaltung elementarer Verteidigungsrechte zu 3 Jahren Haft verurteilt: Das Strafmaß übersteigt die gesetzlich für Beleidigung vorgesehene Haftstrafe um ein Jahr! Die beiden Journalisten erhielten jeweils eine Geldstrafe: auch sie ist doppelt so hoch wie die gesetzlich vorgeschriebene Höchstsumme (amnesty international, 1998e).

Nach Ansicht des Generaldirektors von ESSO-Tschad, Jean-Pierre Petit, handelt es sich bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverletzungen um eine innere Angelegenheit des tschadischen Staates, welche die Planungen des Konsortiums nicht tangiert (Zint, 1998d). Aus dieser Sicht ist es nur konsequent, daß mit den Vorbereitungsarbeiten – Bau der Camps und der Zufahrtsstraßen – für die Verlegung der Pipeline bereits begonnen wurde (AG Erdölprojekt Tschad-Kamerun, 1998b). Die Röhren für die Pipeline werden von Mannesmann und Preußag geliefert.

Menschenrechtsverletzungen im Tschad

Entschließung des Europa-Parlaments vom 20.02.1997

Das Europäische Parlament,

A…beunruhigt über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im Tschad, einem Land, in dem Militär- und Polizeiangehörige systematisch ohne vorheriges Gerichtsverfahren Hinrichtungen an Bürgern vornehmen, die der Zugehörigkeit zu Oppositionsgruppen verdächtigt oder als Straftäter angesehen werden,

B…bestürzt darüber, daß Vergewaltigung auch zu den üblichen Repressions- und Einschüchterungsmitteln gegenüber Opfern gehört, und über die alltägliche Anwendung der Folter, bei der einige traditionelle und besonders grausame Formen – wie »Arbatachar« von den Ordnungskräften als völlig normale Amtshandlungen betrachtet werden,

C…betroffen über das Telegramm mit Weisungen an die »Gruppierungen der Spezialeinheiten«, durch das mit dem Befehl zur physischen Vernichtung aller auf frischer Tat ertappten Diebe willkürlichste staatliche Gewalt legalisiert wurde,

D…in der Erwägung, daß einige Mitgliedstaaten der Regierung des Tschad politische, finanzielle und vor allem militärische Hilfe gewährt haben, ohne die Folgen der Menschenrechtsverletzungen für die Opfer zu berücksichtigen,

E…unter Hinweis auf die derzeit im Land laufenden Wahlen und die Tatsache, daß der Tschad das Abkommen von Lomé unterzeichnet hat, das zur vollen Achtung der Menschenrechte verpflichtet,

Das Europäische Parlament,

1…verurteilt alle im Tschad gegenwärtig weiterbestehenden Formen der Gewalt wie Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, Folter und Vergewaltigung;

2…verlangt die sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Häftlinge, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten;

3…fordert die Behörden des Tschad auf, die Weisungen an die »Gruppierungen der Spezialeinheiten« unverzüglich zu widerrufen und sich für einen Rechtsstaat und eine auf die Achtung der Menschenwürde gegründete Justiz einzusetzen;

4…betont, daß es unerläßlich ist, den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen, die dafür Verantwortlichen vor Gericht zu stellen und das Gerichtssystem und die Ordnungskräfte zu reformieren, und fordert den Rat und die Kommission auf, diese Reformen im Richtprogramm des Tschad vordringlich zu unterstützen;

5…fordert den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihrer Verantwortung angesichts der Lage im Tschad nachzukommen, ihre Zusammenarbeit von der Einhaltung der Menschenrechte durch die Behörden abhängig zu machen und insbesondere darüber zu wachen, daß die Militärhilfe nicht zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen mißbraucht wird;

6…ist der Auffassung, daß der Status des Tschad als Empfänger von Hilfsleistungen gemäß dem Abkommen von Lomé im Lichte der Fortschritte, die die künftigen Machthaber des Landes hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte erzielen, überprüft werden muß;

7…beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Regierung des Tschad, den Kopräsidenten der Paritätischen Versammlung AKP-EU, der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und der OAE zu übermitteln.

Deklaration des Seminares von Donia

Am 20.-25.1.1998 trafen sich in Donia im Süden des Tschad ca. 130 Teilnehmer aus Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, Bauernvereinigungen, religiöse und lokale Führer zu einem Informationsseminar über das Erdölprojekt. ESSO-Vertreter, ein Weltbankmitarbeiter und Mitarbeiter des Energie- und des Umweltministeriums standen Rede und Antwort. Im Mittelpunkt stand die Umweltverträglichkeitsstudie. Am Ende des Seminares erklärten die Teilnehmenden:

Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Informations- und Austauschseminars über das tschadische und kamerunische Erdöl, versammelt am 20.-25.1.1998 in Donia im Tschad haben folgenden Zustand festgestellt:

Die Dokumentation der Zone – genauer gesagt: präzise Daten über die natürlichen Ressourcen und die Bevölkerung, Karten der Förderzone, die Größe der zu erwartenden Auswirkungen des Erdöls – steht jetzt zur Verfügung.

Zweiter positiver Aspekt ist die geistige Offenheit für den Dialog bei der Regierung, den Mitgliedern des Konsortiums, der Weltbank und der Zivilgesellschaft, die Fähigkeit der Vertreter der Regierung, des Konsortiums, der Zivilgesellschaft, der Weltbank und der Basisgemeinden zuzuhören und sich positiv auszutauschen.

Demgegenüber haben wir folgende Mängel festgestellt:

  • Einige Etappen des Verfahrens der Weltbank im Bereich der Konsultation und Leitung des Projektes wurden von dem Konsortium und der Regierung nicht respektiert.
  • Es gibt Mängel in der Umweltverträglichkeitsstudie und im Umweltmanagementplan.
  • Vernachlässigung sozio-kultureller Aspekte.
  • Die schwache Bewertung und Bedeutung lokaler Kompetenzen, namentlich des CIRAD, des ONDR (Organisation National pour la Development Rural) und der Nichtregierungsorganisationen.
  • Die Nichtexistenz eines Umweltrechts.
  • Das permanente Klima der Unsicherheit, das den Tschad und insbesondere die Zone, in der das Öl gefördert wird, regiert.
  • Unangemessene Entschädigungs- und Ausgleichsmaßnahmen.
  • Fehlende Klarheit über die Verwaltung der Einnahmen aus der Erdölförderung.
  • Negative Effekte, die das Erdölprojekt auf biophysischer, sozio-ökonomischer und kultureller Ebene haben könnte.

Aus dem, was voraus geht, haben wir einige Vorschläge gewonnen…:

Wir schlagen der Weltbank vor, die Einhaltung ihrer Richtlinien und Verfahrensweisen schärfstens zu kontrollieren.

Wir schlagen der Regierung vor:

  • vor Beginn des Erdölprojektes eine Studie über sozio-ökonomische Begleitauswirkungen durchzuführen,
  • juristische Texte über das Umweltmanagement und die Erdölförderung zu erarbeiten,
  • alles in ihrer Macht stehende zu tun, um Frieden und Sicherheit zu schaffen,
  • die Zivilgesellschaft in der Verwaltung, Begleitung und Kontrolle der Erdöleinnahmen zu beteiligen,
  • eine kompetente und erfahrene Equipe einzusetzen, um die Begleitung und Kontrolle des Projektes sicherzustellen.

Wir schlagen der Regierung und dem Konsortium vor, ein System angemessener Entschädigungen und Ausgleichszahlungen zu schaffen, das allen betroffenen Werten, Gütern und Erbgütern Rechnung trägt.

Die Nichtregierungsorganisationen laden wir ein,

  • ihre Informationsprogramme zu intensivieren, um die betroffenen Gemeinschaften zu sensibilisieren und zu informieren,
  • Mechanismen zu schaffen, um bei der Verwaltung der Ressourcen – bei Kompensationen und Entschädigungen – zu helfen,
  • ein Informationsnetzwerk über das Erdölthema auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu entwickeln.

Zuletzt laden wir die Nichtregierungsorganisationen und die lokalen Gemeinschaften ein, eine neue Strategie für den Umgang mit der Umwelt vor Ort zu entwickeln.

Donia, den 25.1.1998.

(Abschrift vom Band auf Französisch: Martin Zint, Übersetzung: Günter Schönegg)

Europa-Parlament zur Lage im Tschad

Das Europäische Parlament beschloß am 18.6.1998 „unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zur Lage im Tschad,

  • in Anbetracht der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Tschad seit Oktober 1997, die mit dem Massaker an 100 unbewaffneten Zivilisten in der Region Logone im März 1998 ihren Höhepunkt gefunden haben und gekennzeichnet durch Hinrichtungen, willkürliche Inhaftierungen und Folter durch die tschadischen Sicherheitskräfte, wie Amnesty International und tschadische Menschenrechtsorganisationen anprangern,
  • in der Erwägung, daß Ngarlejv Yorongar, Mitglied der Opposition im tschadischen Parlament, am 2. Juni 1998 aufgrund einer Anklage wegen Diffamierung verhaftet wurde,
  • zutiefst besorgt über die kürzliche Inhaftierung der Journalisten Koumbo Synga und Polycarpe Togamessi,
  • in der Erwägung, daß Ngarlejv Yorongar ein vehementer Kritiker des Tschad-Kamerun-Ölförderungs- und Pipelineprojektes gewesen ist, das von einem internationalen Konsortium angeführt wird und bei der Weltbank anhängig ist, die ihre Bewilligung an den Abschluß einer Umweltverträglichkeitsprüfung geknüpft hat, die noch vor Herbst 1998 erfolgen soll,
  • in der Erwägung, daß das internationale Konsortium öffentlich erklärt hat, daß es ohne Beteiligung der Weltbank das Projekt nicht weiterbetreiben will,
  • unter Hinweis auf die prekäre Situation der örtlichen Gemeinschaften in dem Projektgebiet, die auf die fortdauernde politische Instabilität und die Menschenrechtsverletzungen zurückzuführen ist, sowie unter Hinweis auf die Bedeutung dieser Region für die nationale Landwirtschaft,
  • fordert (das Europäische Parlament) den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Druck auf die tschadische Regierung auszuüben, die Menschenrechte und die Gesetze im ganzen Land anzuerkennen und die militärischen Aktionen im Süden unverzüglich zu beenden;
  • verlangt (das europäische Parlament) die sofortige Freilassung von Ngarlejv Yorongar und fordert die tschadische Regierung ferner auf, demokratische Diskussionen sowohl über die Lage im Land als auch über das geplante Ölprojekt in der Doba-Region zuzulassen;
  • fordert (das Europäische Parlament) die tschadische Regierung und das internationale Konsortium auf, das Ölförderprojekt nur im Falle einer positiven Bewertung durch die Weltbank fortzusetzen und u.a. folgende Garantien zu geben:
  • umfassendere Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Ölförderprojekt;
  • Schutz der einheimischen Bevölkerungsgruppen und angemessener Ausgleich für die Menschen, die gezwungen sind, ihren Wohnort zu verlassen, und zwar unter strikter Wahrung der Menschenrechte;
  • überaus strenge Umweltschutzvorschriften, die sich auf Verhütung von Ölaustritt, Streckenführung der Pipelines, Luftqualität, »Disease-Control« und Unfallverhütung erstrecken;
  • lokale Reinvestition eines angemessenen Anteils der Projektgewinne;
  • beauftragt (das Europäische Parlament) seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten, den Regierungen und Parlamenten des Tschad und Kameruns sowie der Weltbank zu übermitteln.“

Für die Überlassung von Materialien und Dokumenten und für Diskussion bei der Abfassung des Manuskripts danke ich Susanne Breitkopf (urgewald), Martin Petry (Brot für die Welt), Günter Schönegg (EIRENE) und Martin Zint (Journalist).

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urgewald (1998b): To Mr. James D. Wolfensohn, President, The World Bank, Washington; Subject: Urgent – Arrest of Opposition Parlamentarian Mr. Yorongar in Connection with the Chad/Cameroon Oil and Pipeline Projekt, Brief vom 4.6.1998, Sassenberg.

WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung e.V.) (1997): Weltbankpräsident Wolfensohn zu Besuch in der Bundesrepublik, Der Tschad: Mit der Weltbank auf dem Weg in ein neues Ogoniland?, Pressemitteilung vom 14. November.

Yorongar à la barré (1998) in: N’Djaména Hebdo No. 331 du 28 Mai 1998.

Zint, Martin (1997): Ölrausch im Tschad – die Christen und das Erdöl, Hörfunkfeature, Hessischer Rundfunk, 2. Programm, Maschinen Manuskript, 12. Februar.

Zint, Martin (1998a): Neues aus Westafrika, Moundou, Maschinen Manuskript, 26. Januar.

Zint, Martin (1998b): Déclaration du séminaire de Donia, Donia, Maschinen Manuskript, 25 Januar.

Zint, Martin (1998c): Bedenken gegen Ölprojekt, Umweltschützer in Tschad sehen Landwirtschaft in Gefahr, in: Frankfurter Rundschau, 2. Februar 1998, S. 6.

Zint, Martin (1998d): Die tödliche Wohlstandsquelle, Milliardeneinnahmen aus dem Ölexport sollen den bitterarmen Wüstenstaat Tschad reich machen, in: die tageszeitung, 14. Mai, S. 13.

Zint, Martin/ Petry, Martin (1997): Manna oder Gift, in: Eine Welt 2/1997, S. 17 f.

Prof. Dr. Barbara Dietrich lehrt am FB Sozialwesen der FH Wiesbaden