Der Preis der Energiewende

Der Preis der Energiewende

Koloniale Machtgefüge und die Kohlemine »El Cerrejón« in Kolumbien

von Theresa Bachmann

Weltgeschichtlich betrachtet ist die Zeit der Kolonialreiche längst vorbei. De facto aber prägen neokoloniale Beziehungsmuster bis heute die Beziehungen zwischen Staaten und Konzernen aus dem sogenannten Globalen Norden und dem Globalen Süden. Ausgehend von Überlegungen kritischer Intellektueller des Globalen Südens zur Rolle von Kolonialität im globalen Machtgefüge, zeigt dieser Beitrag am Beispiel der Cerrejón-Mine auf, welch hohen Preis Kolumbien für Deutschlands Energiesicherheit bezahlt.

Der bereits eingeleitete Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom ist ein zentraler Bestandteil von Deutschlands Energiewende. Während die stärkere Förderung erneuerbarer Energien alternativlos ist, muss gleichzeitig jedoch auch die Energiesicherheit gewährleistet werden. In der aktuellen Übergangsphase heißt das, dass eine geringe Stromproduktion durch deutsche Windkraftanlagen durch vermehrte Importe, beispielsweise von französischem Atom- oder polnischem Kohlestrom, kompensiert wird. In einer zunehmend globalisierten Welt bleibt Deutschlands Energiemix also nicht ohne Folgen für und in anderen Staaten. Diese Verflechtungen spielen zwar in der öffentlichen Debatte in Deutschland zumeist nur eine untergeordnete Rolle, sind aber zum Teil gerade deswegen sozial-ökologisch, ökonomisch wie politisch besonders problematisch. Der globale Abbau und Handel mit Kohle zu Stromgewinnungszwecken ist diesbezüglich ein Paradebeispiel.

Obwohl in Deutschland der Steinkohleabbau bereits beendet wurde, stammt ein signifikanter Anteil in Deutschland verbrauchten Stroms weiterhin aus Steinkohle. Angaben des Vereins der Kohlen­importeure (VDKi 2022) zufolge, betrug dieser 2021 ca. 8,6 % am gesamten Primärenergieverbrauch. Die dafür notwendigen Kohleimporte steigerten sich allein im letzten Jahr um 24,5 % – das entspricht einer Menge von 7,2 Mio. Tonnen – auf insgesamt 39 Mio. Tonnen (Ibid.). Während in Deutschland intensiviert über einen früheren Kohleausstieg diskutiert wird, wird dabei kaum thematisiert, dass dasselbe Deutschland seit Jahren mit großem Abstand größter Steinkohleimporteur Europas ist. Die Steinkohle wird dabei nicht nur aus Australien oder den USA eingekauft, sondern auch aus Südafrika und Kolumbien, wo niedrigere Förderstandards mit großen Umweltschäden sowie zum Teil schwersten Menschenrechtsverletzungen in direktem Zusammenhang mit dem Export von Kohle stehen. So werden in Förderregionen lebende Gemeinschaften vertrieben, von der Wasserversorgung abgeschnitten, Proteste kriminalisiert sowie Gegner*innen aktiv mundtot gemacht. Selektive Gewalt in Form von gezielten Tötungen von Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen erreicht – global gesehen – derzeit einen traurigen Höchststand. Global Witness (2020) beschreibt die Lage in Kolumbien, Zentralamerika und den Philippinen, gerade für die indigene Bevölkerung, als besonders prekär. Nichtsdestotrotz beziehen Deutschlands fünf größte Stromversorger allesamt auch Kohle aus Kolumbien.

Neokolonialismus und globale Machtgefüge

Auf dem Höhepunkt der »Dekolonisierung«, während immer mehr Staaten formal ihre Unabhängigkeit erlangten, wies Ghanas Unabhängigkeitsheld Kwame Nkrumah bereits auf die reale Möglichkeit des Neokolonialismus hin. In seinen Worten ist die „Essenz des Neokolonialismus, dass der Staat, der ihm unterworfen ist, theoretisch unabhängig ist und nach außen hin internationale Souveränität genießt. Praktisch jedoch ist sein ökonomisches System und damit einhergehend seine Politik von außen gesteuert“ (Nkrumah 1963: ix). Für Nkrumah sind die Regierungen neokolonial regierter Staaten dabei nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, da sie „ihre Autorität zum Regieren von der Unterstützung ihrer neokolonialen Vorgesetzten ableiten. Sie haben daher nur wenig Interesse daran, […] Schritte jedweder Art einzuleiten, die koloniale Handelsbeziehungen herausfordern würden“ (Ibid., S. 1). Wenngleich die Hochphase der Kolonialreiche weltgeschichtlich passé ist, so setzen sich koloniale Beziehungsmuster – mit denselben, klar definierten Gewinner*innen und Verlierer*innen – demnach bis in die Gegenwart fort.

Die Auseinandersetzung mit dem Konzept des Neokolonialismus galt in akademischen Kreisen lange Zeit als marxistisch und nicht zeitgemäß. Manche assoziierten Neokolonialismus „mit modernen Tyrannen wie Robert Mugabe, die das Konzept in ihren politischen Diskurs eingebunden haben. Und für viele wird es zu Unrecht als dreistes polemisches Mittel angesehen, um den „Westen“ für die anhaltende Misswirtschaft afrikanischer Eliten verantwortlich zu machen“ (Langan 2018, S. 4). Nichtsdestotrotz erscheinen Überlegungen wie die oben dargelegten angesichts der politischen und ökonomischen Realität in weiten Teilen des Erdballs hoch relevant und haben daher in den letzten Jahren zu einem klaren Umschwung beigetragen.

In Anbetracht der Thematik dieses Beitrages1 ist dabei die intellektuelle Arbeit im sogenannten Globalen Süden besonders hervorzuheben: Lange bevor sich kritische Forschende in Universitäten des Globalen Nordens verstärkt post- und dekolonialen Theorien zuwandten, dekonstruierten zahlreiche Denker*innen weit über den afrikanischen Kontext hinaus anhaltende koloniale Kontinuitäten. An dependenztheoretische Arbeiten anknüpfend, ist für Lateinamerika in diesem Zusammenhang insbesondere die interdisziplinäre Forschungsgruppe »Modernität/Kolonialität« von Bedeutung. Den ihr angehörenden Autor*innen zufolge kann das Phänomen scheinbar universeller Formeln wie »Modernität« und »Fortschritt« nicht „ohne Bezugnahme auf die damit einhergehenden Kolonialität von Macht sowie die Marginalisierung von Kulturen und Wissen subalterner Gruppen“ (Escobar 2008, S. 181) verstanden werden. Das global aktuell dominierende Machtgefüge entsteht dem peruanischen Soziologen Aníbal Quijano (2019, S. 1) zufolge aus dem Zusammenspiel von: „1) der Kolonialität der Macht, d. h. die Idee von „Rasse“ als universeller Grundlage sozialer Klassifizierung und Herrschaft; 2) Kapitalismus als universelle[m] Muster sozialer Ausbeutung; 3) dem Staat als universeller, zentraler Kontrollinstanz kollektiver Autorität und dem modernen Nationalstaat als seiner hegemonialen Variante; 4) dem Eurozentrismus als besondere[r] Form der Wissensproduktion.“ Die im lateinamerikanischen Fall zumeist von europäischstämmigen, weißen Eliten vorangetriebenen Unabhängigkeitsbestrebungen von den Mutterländern ist dabei nicht als Bruch zu verstehen, da diese nicht mit einer „Dekolonisierung der Gesellschaft einhergingen (Quijano 2019, S. 34). Stattdessen veränderten diese lediglich die institutionellen Grundlagen, auf Basis derer sich Macht innerhalb und zwischen Staaten ungleich verteilt und Gesellschaften, Wirtschaften und Politik prägt.

Eine Einordnung am Beispiel von »El Cerrejón«

Die konkreten Wirkungsmechanismen und die Auswirkungen dieses Machtgefüges werden mit Blick auf Kolumbiens Kohlesektor im Allgemeinen und den Fall »El Cerrejón« im Besonderen schnell sichtbar. Seit Kolonialtagen ist der Abbau und Export von natürlichen Rohstoffen eine tragende Säule der kolumbianischen Wirtschaft. Bedingt durch stark ansteigende Weltmarktpreise, nahm der Abbau und die wirtschaftliche Relevanz von Rohstoffexporten Anfang des Jahrtausends weiter zu. Wurden zu Beginn der 1980er Jahre noch weniger als 5 Mio. Tonnen Kohle jährlich abgebaut, so stieg die Fördermenge zwischen 2010 und 2020 auf jährliche 80 bis 91 Mio. Tonnen (Urrego 2021). Der weitaus größte Teil wird dabei in den beiden nördlichen Bundesstaaten La Guajira und Cesar abgebaut, wo ausländische Bergbauunternehmen einige der größten Kohleminen weltweit betreiben und von dort aus in die ganze Welt verschiffen.2 Alle kolumbianischen Regierungen der letzten Jahrzehnte haben diese Entwicklung explizit gefördert. So wird in den nationalen Entwicklungsplänen das durch die sogenannte »Bergbau-Energie-Lokomotive« erzielte wirtschaftliche Wachstum und damit einhergehende Staatseinnahmen als zentral für die Reduzierung von Armut und Ungleichheit dargestellt.

Die Lebensrealität vieler Kolumbianer*innen widerspricht dieser Argumentation. Trotz konstantem ökonomischem Wachstum seit 2000 lebt mindestens ein Drittel der Bevölkerung in Armut, mit stark ansteigender Tendenz und verschärft durch die Effekte der Covid-19-Pandemie. Gerade die Regionen, in denen die meisten natürlichen Reichtümer liegen, sind besonders stark betroffen. Besonders extrem ist die Lage in dem bereits genannten La Guajira, wo 63 % der Bevölkerung in Armut lebt und rund ein Viertel in extremer Armut. Die Lage der indigenen Bevölkerung der Wayúu – die rund 45 % der Bevölkerung La Guajiras ausmacht – ist noch prekärer: Allein zwischen 2010 und 2018 verhungerten ca. 5.000 Kinder unter 5 Jahren, die meisten davon Wayúus (Guerrero 2018). Die an der Grenze zu Venezuela gelegenen Halbinsel La Guajira ist zu 97 % von Wüste bedeckt. Seit 1983 beherbergt sie den größten Kohletagebau Lateinamerikas. Bis zuletzt wurde die gemeinhin nur als »El Cerrejón« bekannte Mine vom schweizerischen Konzern Glencore, dem britischen BHP und dem US-Konzern Anglo American betrieben.3

Die Geschichte El Cerrejóns liest sich bis dato wie eine Chronologie der Gewalt und Straflosigkeit. Mehrere tausend Menschen und Gemeinden wurden aus dem »Kohlekorridor« zwangsumgesiedelt bzw. vertrieben. Den damit einhergehenden Verpflichtungen, beispielsweise für adäquaten Ersatz zu sorgen, kamen weder Betreiber noch staatliche Behörden nach. Während die Mine in einer der trockensten Regionen des Landes täglich 24 Mio. Liter Wasser verbraucht bzw. verschmutzt, wird der Zugang zu Wasser für die Bevölkerung immer schwieriger. Trotz gerichtlicher Verbote wurden seit 2016 Teile der letzten für die Bevölkerung noch zugänglichen Wasserzuflüsse zugunsten der Mine umgeleitet. Eine durch den Klimawandel begünstigte Dürre hat die humanitäre Krise in den letzten Jahren weiter verschärft und Befürchtungen eines Ethnozids sowie eines Ökozids an den Wayúus und mehreren afrokolumbianischen Gemeinschaften geweckt. Deren Rechte sind durch die kolumbianische Verfassung und die ILO-Konvention 169 eigentlich besonders gut geschützt, doch wurden diese seit Inbetriebnahme missachtet und entsprechende Gerichtsurteile nicht oder nur stark verzögert umgesetzt. Mittlerweile 14 Gerichtsurteile (Stand: 25. Januar 2022) bestätigen den Betroffenen allesamt, dass u.a. ihre territorialen Rechte, ihr Recht auf Wasser und auf Gesundheit durch El Cerrejón verletzt werden und damit drohen, ihren angestammten Lebensraum unbewohnbar zu machen.

Betroffene und ihre Unterstützer*innen leisten seit Jahren Widerstand. Angesichts miserabler Arbeitsbedingungen solidarisierten sich zuletzt auch Minenarbeiter*innen mit ihnen. Dennoch zieht sich die Kriminalisierung von Protest und Repression wie ein roter Faden durch die Geschichte El Cerrejóns. In Einklang mit Kwame Nkrumahs Befürchtungen, ist das Handeln des kolumbianischen Staates für die Betroffenen nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, da dieser gemeinsame Sache mit den Betreibern macht. Häufig zeichnen Armee und Polizei für gewaltsame Räumungen und Vertreibungen verantwortlich. Lokale Armeeeinheiten werden durch die Minenbetreiber direkt mit Lebensmitteln und Logistik unterstützt. Anwohner*innen wurden in der Vergangenheit durch den Konzern zudem Subventionen aus staatlichen Kompensationsprogrammen angeboten, der behauptete, diese Mittel stammten aus seinen eigenen Entschädigungszahlungen an den kolumbianischen Staat. Die Vorzugsbehandlung der El Cerrejón-Betreiber durch den Staat wird auch durch eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des australischen Centre for International Corporate Tax Accountability and Research (CICTAR) (2021) belegt, die aufdeckt, dass Glencore in Kolumbien so drastische Steuernachlässe gewährt bekommt, dass das Unternehmen nahezu zum Nulltarif die Reichtümer La Guajiras ausbeuten darf. Gleichzeitig müssen die Anführer*innen der Proteste mit Bedrohungen, Verschwindenlassen oder ihrer gezielten Ermordung rechnen. Oft genug sind dafür direkt Paramilitärs zu verantworten, zu denen sowohl Minenbetreiber als auch der Staat zweifelhafte Kontakte pfleg(t)en.

Fazit

Seit Jahrhunderten bestehende Machtgefälle und „weiße Privilegien“ (Escobar 2008, S. 38) werden im Namen von »Globalisierung« und »Fortschritt« weiter zementiert. Nicht nur in Kolumbien, weltweit wird diese neokoloniale Ordnung mithilfe von Gewalt durchgesetzt. Mitnichten eine veraltete, marxistische Debatte, beeinflussen in der Kolonialzeit entstandene Beziehungsgefüge weiterhin Politik, Wirtschaft und Gesellschaften und konsolidieren die dramatische Ungleichheit zwischen Gewinner*innen und Verlierer*innen dieses globalen Systems. Unwissenheit und/oder Ignoranz kann dieses System durchaus begünstigen, wie das El Cerrejón-Beispiel zeigt. Obwohl die Vorgänge in der Region sehr gut dokumentiert und international bekannt sind, gibt es in Deutschland, der Schweiz und anderen Staaten, wo die zu Strom verarbeitete kolumbianische Kohle verbraucht wird, nur wenig substantiellen öffentlichen Druck, diese Kohle nicht mehr zu importieren. Dies ermöglicht die aktuelle paradoxe Situation, in der in Deutschland im Rahmen der Energiewende möglicherweise der vorgezogene Kohleausstieg bis 2030 durchgesetzt wird, während durch die dadurch steigende Nachfrage nach Kohle in Kolumbien und anderswo mehr Umweltschäden, Treibhausgasemissionen und Menschenrechtsverletzungen verursacht werden: „Das ist globale Kolonialität in ihrem unmittelbarsten Sinne“ (Escobar 2008, S. 38).

Anmerkungen

1) Viele der hier zitierten Autor*innen weisen in ihrer Arbeit auch auf die geopolitische Dimension von Wissen und seiner Produktion hin (s. folgender Absatz). Die »Kolonialität des Wissens« drückt sich demnach u. a. darin aus, dass global als relevant betrachtetes Wissen sowie die Art, es zu produzieren, bis heute ausschließlich in Zentren des Weltsystems definiert und hervorgebracht wird, während die Peripherien des Globalen Südens lediglich Forschungsobjekt oder Empfänger*innen von Wissen sind.

2) Ungefähr 95 % der in Kolumbien geförderten Kohle wird exportiert.

3) Seit Januar 2022 ist Glencore der einzige Betreiber.

Literatur

CICTAR (2021) Broke: Coal mining giant games global tax system. 26.10.2021. cictar.org/glencore.

Escobar, A. (2008): Territories of difference: Place, movements, life, redes. Durham/ London: Duke University Press.

Global Witness (2020): Defending tomorrow: The climate crisis and threats against land and environmental defenders. London: Global Witness.

Guerrero, S. (2018): “4.770 niños muertos en La Guajira es una barbarie”: Corte. El Heraldo, 15.10.2018.

Langan, M. (2018): Neo-colonialism and the poverty of ‘development’ in Africa. Cham: Palgrave Macmillan.

Nkrumah, K. (1963): Neo-colonialism: The last stage of imperialism. New York: International Publishers.

Quijano, A. (2019): Colonialidad del poder, eurocentrismo y América Latina. Espacio abierto, Vol. 28, Nr. 1, S. 260-301.

Urrego, A. (2021): Colombia ya es el tercer exportador de carbón coque y metalúrgico a nivel mundial. La República, 26.08.2021.

Verein der Kohlenimporteure (2022): Pressemitteilung 1/2022. Berlin, 14.01.2022.

Theresa Bachmann ist Doktorandin der Friedens- und Konfliktforschung an der University of Kent (GB). Im Rahmen ihrer Dissertation forscht sie zu Räumen der Bürger*innenbeteiligung im Kontext des aktuellen kolumbianischen Friedensprozesses.

Statthalter in Zeiten von Krieg und Frieden

Statthalter in Zeiten von Krieg und Frieden

Die Rolle der »Comités de Autodefensa Civil« in Peru

von Eva Willems

Die gängige Einteilung in Opfer und Täter*innen, die das Handeln in Kriegszeiten beschreibt, übersieht oft die Ambivalenzen der zivilen Beteiligung an bewaffneten Konflikten. Ein Blick auf die bäuerlichen Gemeinschaften, die während des internen bewaffneten Konflikts in Peru (1980-2000) in zivilen Selbstverteidigungskomitees organisiert waren, gibt Aufschluss über einige dieser Zweideutigkeiten. Die Selbstverteidigungskomitees trugen dazu bei, das tägliche Leben über die rein militärischen Angelegenheiten hinaus zu organisieren, einschließlich Strategien zur Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer*innen des »Leuchtenden Pfads«.

1980 nahm die maoistische Rebellengruppe »Leuchtender Pfad« (Sendero Luminoso) in der Region Ayacucho in Peru ihren bewaffneten Kampf auf, um die Zentralregierung zu stürzen und ein kommunistisches Regime zu errichten. Der Aufstand des Leuchtenden Pfads wurde von den staatlichen Streitkräften mit einer brutalen Kampagne der Aufstandsbekämpfung beantwortet. Nach Angaben der Wahrheits- und Versöhnungskommission (CVR), die nach der politischen Wende im Jahr 2000 eingesetzt wurde, wurden während des Konflikts ca. 69.000 Peruaner*innen getötet oder verschwanden (CVR 2003a). Im Laufe dieses internen bewaffneten Konflikts entstand im Apurímac-Tal, im nördlichen subtropischen Wald der Region Ayacucho, ein weiterer nichtstaatlicher bewaffneter Akteur, der sich den maoistischen Aufständischen entgegenstellte: die zivilen Selbstverteidigungskomitees (»Comités de Autodefensa Civil« oder CADs). Mit dem Gesetzesdekret 741 aus dem Jahr 1991 wurden die CADs als juristische Personen anerkannt und ihre Erlaubnis zum Gebrauch von Schusswaffen formalisiert. Bis 1993 registrierte die Armee 1.564 CADs mit 61.450 Mitgliedern und 5.583 Schusswaffen für das gesamte Departement Ayacucho (Del Pino 1996, S. 181). Die CADs spielten schließlich eine entscheidende Rolle im Kampf an der Seite der staatlichen Streitkräfte, um die militärische Niederlage des Leuchtenden Pfades im Apurímac-Tal zu erreichen. Nach dem Ende des internen bewaffneten Konflikts wurde keine Entwaffnungs- oder Demobilisierungsstrategie eingeführt, und einige CADs fungieren heute noch als lokale Sicherheitskräfte auf der Grundlage des oben genannten Rechtsrahmens.

Auf die peruanischen CADs lässt sich am besten die von Jentzsch, Kalyvas und Schubiger aufgestellte Definition von Milizen anwenden: „bewaffnete Gruppen, die neben regulären Sicherheitskräften operieren oder unabhängig vom Staat arbeiten, um die lokale Bevölkerung vor Aufständischen zu schützen“ (2015, S. 755). Obwohl in der Vergangenheit in Konflikten auf der ganzen Welt Anti-Rebellen-Milizen aufgetaucht sind, werden sie nur selten untersucht, da die Verbreitung nichtstaatlicher bewaffneter Akteure meist aus der Perspektive der Rebellen betrachtet wird. Milizen werden in der Regel entweder als staatsnahe paramilitärische Gruppen oder als staatlich geförderte bewaffnete Beteiligung von Zivilist*innen an Militäroperationen betrachtet. Ein solcher Ansatz birgt jedoch die Gefahr, den autonomen Charakter und die antistaatlichen Eigenschaften einiger Milizen zu verschleiern. Gleichzeitig besteht in der Konflikt- und Postkonfliktforschung die Tendenz, die Handlungsformen während Kriegen in exklusiven Kategorien von Zivilist*innen und Kombattant*innen oder Opfern und Täter*innen zu beschreiben. Die genaue Art und die Beweggründe für die Beteiligung von Zivilist*innen an bewaffneten Konflikten – sei es in Form von Kollaboration, Widerstand oder Selbstverteidigung – sind noch immer mangelhaft konzipiert.

Auch im Postkonflikt-Peru ist die Rolle der CADs sowohl unterbelichtet als auch umstritten. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission kam zu dem Schluss, dass „bei keinem anderen Akteur des Krieges die Grenze zwischen Täter und Opfer, zwischen Held und Schurke, so dünn und durchlässig ist wie bei den Selbstverteidigungskomitees“ (CVR 2003b, S. 74). Dieser Artikel, der auf meiner Doktorarbeit basiert1, beleuchtet die Ambivalenzen der zivilen Beteiligung an bewaffneten Konflikten, indem er ein Gegengewicht zur einseitigen Fokussierung auf den destruktiven Charakter der Milizen schafft (Fumerton 2018, S. 63; Willems 2020). Dies geschieht, indem ich zeige, wie die CADs das tägliche Leben während des Krieges über die rein militärischen Angelegenheiten hinaus regelten, beispielsweise durch die Verwaltung öffentlicher Dienstleistungen, die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts und die Reintegration ehemaliger Kämpfer*innen des Leuchtenden Pfads. Die Ergebnisse sind eingebettet in verschiedene Episoden der Feld- und Archivforschung im Tal des Apurímac-Flusses, die zwischen 2015 und 2021 durchgeführt wurden.

Entstehung bäuerlicher Selbstverteidigung

Während des internen bewaffneten Konflikts änderte sich die Governance-Struktur der bäuerlichen Gesellschaft im Apurímac-Tal drastisch. Während die unterscheidungslose Aufstandsbekämpfung der staatlichen Streitkräfte der unmittelbare Auslöser für die Organisation der bäuerlichen Selbstverteidigung war, hinterließ die Strategie des Leuchtenden Pfads aus Angriffen auf bestehende Regierungs- und Autoritätsstrukturen ein »Governance-Vakuum«, das von den CADs gefüllt wurde (Fumerton 2018, S. 68). Inmitten des Kreuzfeuers begannen die Bäuer*innen, eine alternative und starke lokale Regierungs- und Verwaltungsstruktur aufzubauen. Bis zum Beginn des Krieges hatten viele Bäuer*innen verstreut auf ihrem Land oder in kleinen Weilern gelebt. Wie ein ehemaliger CAD-Kommandant im Bezirk Pichari beschreibt:

„Damals [vor dem Krieg] lebten wir alle getrennt in unserem Haus auf unserem Land. Es gab kein Dorf, das war nicht so wie jetzt. Jeder von uns lebte auf seinem Land.“ (Interview der Autorin 2018)

Um der durch den Konflikt verursachten zunehmenden Unsicherheit zu begegnen, beschlossen die Bäuer*innen an verschiedenen Orten, sich in befestigten Siedlungskernen, den so genannten »zivilen Antisubversionsstützpunkten«, zu sammeln und die Selbstverteidigung in Form von Patrouillen zu organisieren. Ab 1984 entstand im gesamten Apurímac-Tal ein Netz ziviler Selbstverteidigungskomitees mit einem zentralen Hauptquartier in der Stadt Pichiwillca.

Milizverwaltung auch jenseits militärischer Belange

Die Organisation in streng bewachten Stützpunkten oder Selbstverteidigungskomitees ermöglichte es den Bäuer*innen, die Bewegung von Personen auf ihrem Gebiet zu kontrollieren. Pro Familie war mindestens ein Mitglied verpflichtet, sich an den Selbstverteidigungsaufgaben zu beteiligen. Für das Verlassen oder Betreten der Stützpunkte aus anderen Gründen als der Arbeit auf dem Land war eine schriftliche Genehmigung erforderlich.

Auf dem Höhepunkt des Konflikts im Apurímac-Tal in den späten 1980er Jahren beteiligte sich fast jedes aktive Mitglied der Gemeinschaft an Aufgaben im Zusammenhang mit der Selbstverteidigung. Folglich verschmolzen die Gemeinde und die CAD de facto zu einer einzigen Einheit. Die Selbstverteidigungskomitees verteidigten somit die Interessen der Gemeinschaft, was eine ihrer organisatorischen Stärken war, da es ihre Legitimität erhöhte. Die Funktion der zivilen Selbstverteidigungskomitees, die eindeutig in einem Kriegskontext entstanden, ging über die Kriegsangelegenheiten hinaus, da die CADs die wichtigsten Organisatoren des täglichen Lebens im Apurímac-Tal wurden. Sowohl die Archivunterlagen der Selbstverteidigungskomitees als auch die Interviews mit ehemaligen Milizionär*innen und Gemeindemitgliedern deuten darauf hin, dass die CADs während des internen bewaffneten Konflikts weitreichend und systematisch in die Verwaltung der bäuerlichen Gemeinden eingriffen. Dazu gehörten die Verwaltung öffentlicher Dienstleistungen wie der Gesundheitsversorgung, die Organisation von Freizeitaktivitäten wie Fußballturnieren, sowie die Koordinierung der inner- und zwischengemeindlichen Solidarität, beispielsweise die Hungerhilfe oder die Versorgung von Waisen und Witwen. Dazu kamen der Umgang mit Kleinkriminalität, häuslicher Gewalt oder lokalen Konflikten um Land.

Reintegration durch Reue

So wurden die CADs durch die Regelung sowohl kriegsbezogener als auch anderer alltäglicher Angelegenheiten zu wichtigen Trägern der sozialen Ordnung: Inmitten des Kriegschaos institutionalisierte die Bevölkerung durch die Selbstverteidigungskomitees Strategien für das Überleben und Zusammenleben. Das wichtigste Beispiel dafür ist die Praxis des »arrepentimiento« (»Reue«), das die Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer*innen des Leuchtenden Pfades in die Gemeinschaft und das Selbstverteidigungskomitee umfasste. Das bedeutete, dass Mitglieder des Leuchtenden Pfades, die von den CADs gefangen genommen wurden, nicht an die staatlichen Streitkräfte ausgeliefert wurden, sondern die Möglichkeit erhielten, durch eine schriftliche Erklärung Reue zu zeigen, manchmal gefolgt von einer öffentlichen körperlichen Bestrafung. Indem sie ihre Loyalität gegenüber der Gemeinschaft durch aktive Teilnahme an der Selbstverteidigung unter Beweis stellten, konnten die »arrepentidos« anschließend Vertrauen gewinnen oder wiederherstellen. Um ihren Wiedereingliederungsprozess zu erleichtern, bürgten Landbesitzer*innen für die arrepentidos, indem sie ihnen Zugang zu einem Stück Land gewährten oder ihnen eine Anstellung als Lohnarbeiter*innen auf ihrem eigenen Land anboten. Sobald die Gemeinschaft beschlossen hatte, dass sie bleiben konnten, wurden die arrepentidos (wieder) in das Zivilregister eingetragen. Ein ehemaliges CAD-Mitglied beschreibt diesen Prozess wie folgt:

„Es gab zum Beispiel immer wieder Personen, die auf [arrepentidos] trafen, während sie auf ihrem Land arbeiteten, und sie brachten diese dann zur Selbstverteidigungs-Einheit, und die informierten sie, dass sie einen arrepentido gefunden hätten. Und dann haben sie [die arrepentidos] gestanden […], aber die Selbstverteidigung hat verziehen.“ (Interview der Autorin 2018)

Die arrepentidos hätten auch ehemalige Mitglieder derselben Gemeinde sein können, aber aufgrund des Kriegsverlaufs und der Rekrutierungsstrategie des Leuchtenden Pfads landeten viele von ihnen in Gemeinden, aus denen sie nicht stammten. Ein Forschungsteilnehmer berichtet zum Beispiel, wie die arrepentidos aus dem Hochland kamen, um im subtropischen Apurímac-Tal Zuflucht zu suchen:

„Oft kamen sie aus dem Hochland, viele Leute mit ihrer weißen Fahne, die ein Baby trugen, andere gerade erst erwachsen geworden, oder auch eine hochschwangere Frau. Und das Kommando wartete auf sie und wir riefen: ‚Kommen die terrucos [Terroristen], oder was?‘ – ‚Nein, das sind arrepentidos‘, das sagten sie damals. Sie kamen in Herden, wie Tiere, in jedes Dorf.“ (Interview der Autorin 2018)

Die Praxis des »arrepentimiento« kann sowohl als Kampf- als auch als Überlebensstrategie gesehen werden. Der Drang der Bäuer*innen, sich vor den staatlichen Kräften vom Leuchtenden Pfad zu distanzieren, war einer der Hauptgründe für die Existenz der Selbstverteidigungskomitees. Indem sie auf ihre eigenen Wiedereingliederungsstrategien zurückgriffen, anstatt ihre zu Guerriller@s gewordenen Nachbar*innen an die staatlichen Streitkräfte oder die Justiz auszuliefern, vermieden die bäuerlichen Gemeinschaften, als »rote Zone« abgestempelt zu werden, die mit den maoistischen Aufständischen sympathisiert hätten. Gleichzeitig motivierte die Notwendigkeit, die fragile Koexistenz zwischen den Gemeindemitgliedern aufrechtzuerhalten, und die Möglichkeit, wertvolle Informationen über die Position des Leuchtenden Pfads zu erhalten, die Bauern zur Wiedereingliederung der ehemaligen Gueriller@s.

Das durch die Existenz der Selbstverteidigungskomitees verbesserte Sicherheitsgefühl milderte zudem – bis zu einem gewissen Grad – das Gefühl der gegenseitigen Angst und des Misstrauens zwischen den Dorfbewohner*innen, was wiederum das soziale Kapital der Bevölkerung für die Wiedereingliederung stärkte. Darüber hinaus wurde ein großer Teil der arrepentidos vom Leuchtenden Pfad zwangsrekrutiert. Diesen Rekrut*innen, die unter sehr schlechten Bedingungen in Lagern des Leuchtenden Pfades tief im Wald lebten, wurde bei ihrer Rückkehr in die Gemeinschaft oft mit Mitgefühl begegnet. Ein ehemaliger CAD-Kommandant ist gerührt, wenn er sich an die arrepentidos erinnert:

Dort [beim Leuchtenden Pfad] waren die Beteiligten bescheidene Leute, es waren keine vorbereiteten Leute. Es waren bescheidene Bauern, arme Mocositos [rotznasige Kinder]. Sie wurden rekrutiert. Was hatten sie sich zuschulden kommen lassen? Also konnten wir sie auch nicht töten. Das Einzige, was uns blieb, war zu versuchen, sie zu retten. […] Wenn ich mich daran erinnere, was [geschehen ist], so viel Kummer… [fängt an zu weinen]. Wir brachten sie sehr krank, wie hätten wir sie töten können? Man musste sie retten.“ (Interview der Autorin 2018)

Die Bedeutung von Wiedereingliederungsstrategien als grundlegendem Element der Regierungsführung der CADs zeigt, dass die Bevölkerung in einem Kriegskontext, der Druck auf die bestehenden Strukturen der Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts ausübt, ein Bedürfnis nach der Gestaltung von Gemeinschaftsbeziehungen hatte.

Schlussfolgerung

Die Zivilbevölkerung wird meist als Opfer dargestellt, das in bewaffneten Konflikten ins Kreuzfeuer der Kriegsparteien gerät. Damit wird die Komplexität ihrer Beteiligung an oder ihre Reaktionen auf Kriegsgewalt und Unsicherheit übersehen. Die CADs waren zwar in der Tat bewaffnete Akteure, die bis zu einem gewissen Grad zur Spirale der Kriegsgewalt beitrugen, aber ihre Rolle unterschied sich grundlegend von der der staatlichen Streitkräfte oder des Leuchtenden Pfads. Ein besseres Verständnis der Art und Weise, wie Milizen während des Krieges für die Regierungsführung sorgen, kann uns nicht nur helfen, bestimmte Konfliktdynamiken besser zu verstehen, sondern auch Erkenntnisse über den Wiederaufbau nach einem Konflikt liefern. Die Untersuchung der (post-)konfliktiven Rolle von bäuerlichen Selbstverteidigungsmilizen wie den CADs – die kein ausschließlich peruanisches Phänomen sind – kann uns helfen, unser Verständnis darüber zu erweitern, wer als konfliktverändernde Akteure während eines bestimmten Konflikts und seiner Folgen gelten kann. Während sich die traditionellen Ansätze zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (DDR) hauptsächlich darauf konzentriert haben, durch die Arbeit mit den Täter*innen wieder Sicherheit zu erlangen, hat das opferzentrierte Feld der Transitional Justice dabei versagt, die potenzielle Rolle bewaffneter Akteure bei der Erleichterung von Prozessen der Reintegration, des sozialen Wiederaufbaus und der Koexistenz (nach dem Konflikt) anzuerkennen. Die Erforschung der Rolle von Milizen beim Wiederaufbau nach Konflikten muss daher eine Brücke zwischen diesen beiden Bereichen schlagen und die vielfältigen Schattierungen von Opfer- und Täter*innenschaft berücksichtigen, die für bewaffnete Konflikte und deren Folgen charakteristisch sind.

Anmerkung

1) Finanziert von der Forschungsstiftung Flandern und dem Sonderforschungsfonds der Universität Gent.

Literatur

CVR (2003a): Informe Final. Lima.

CVR (2003b): Informe Final, Tomo 4. Lima.

Del Pino, P. (1996): Tiempos de Guerra y de Dioses: Ronderos, Evangélicos y Senderistas en el valle del Río Apurímac. In: Degregori, C. I. (Hrsg.): Las rondas campesinas y la derrota de sendero luminoso. Instituto de Estudios Peruanos, S. 117-88.

Fumerton, M. (2018): Beyond counterinsurgency: Peasant militias and wartime social order in Peru’s civil war. European Review of Latin American and Caribbean Studies 105, S. 61-86.

Jentzsch, C.; Kalyvas, S. N.; Schubiger, L. I. (2015): Militias in civil wars. Journal of Conflict Resolution 59 (5), S. 755-69.

Willems, E. (2020): Open secrets & hidden heroes: Violence, citizenship and transitional justice in (post-)conflict Peru. Ghent: Ghent University.

Dr. Eva Willems ist PostDoc Forscherin am ZfK Marburg. Ihre Dissertation zu »Transitional Justice in (Post-)Conflict Peru« wurde 2020 mit den Christiane-Rajewsky-Preis der AFK und dem Romain-Yakemtchouk-Preis der Königlich Belgischen Akademie für Überseestudien ausgezeichnet.

Aus dem Englischen übersetzt von David Scheuing.

Die Kinderschlacht bei Acosta-ñu

Die Kinderschlacht bei Acosta-ñu

Der Tripelallianz-Krieg und die Rolle von Kindersoldaten

von Jörg Becker

Der Krieg der Tripelallianz gegen Paraguay von 1864-1870 ist gut aufgearbeitet, wenn auch in Europa wenig bekannt. Das Ende fand dieser Krieg mit einem Kampf, der als Kinderschlacht bei Acosta-ñu bekannt wurde. Sie ist eine der ersten dokumentierten Einsätze von Kindersoldaten auf einer größeren Maßstabsebene. Aus diesem historischen Beispiel zeigen sich Herausforderungen der Fassung von Kindern als Täter*innen, die noch heute thematisiert werden: die Freiwilligkeit des Handelns, die Tat an sich und der Umgang mit minderjährigen Kombattant*innen.

Von 1864 bis 1870 gab es in Südamerika einen sehr langen und besonders grausamen Krieg. Die drei Mächte Brasilien, Argentinien und Uruguay kämpften gegen Paraguay. Im historischen und gegenwärtigen Bewusstsein in Europa ist dieser Krieg kaum vorhanden. Das ist in Südamerika völlig anders. Zahlreiche Bücher aus allen vier an diesem Krieg beteiligten Ländern haben die Kriegsursachen, den Kriegsverlauf, das Kriegsende und die Kriegsfolgen für Paraguay, das diesen Krieg verlor, gut aufgearbeitet.1 Von deutschsprachiger Seite liegen zu diesem Krieg erst jüngst Arbeiten von Ralph Rotte (2011) und Barbara Potthast (2005) vor.

Kriegsursachen und Verlauf

Es gab mehrere Kriegsursachen: eine ­Divide-et-Impera-Politik von sowohl Großbritannien als auch den USA, territoriale Konflikte, innere Unruhen, für deren Beruhigung ein Ablenken auf äußere Feinde sinnvoll erschien, und ein starkes Modernisierungsgefälle zwischen einem modernen Paraguay und den rückständigen und halbfeudalen Republiken Argentinien und Uruguay sowie dem Kaiserreich Brasilien.

Im Laufe des Krieges war das kleine Paraguay im Oktober 1866 schon derartig geschwächt, dass die Armee „schließlich die gesamte männliche Bevölkerung in Anspruch“ nahm. „17-jährige Jungen dienten als Ochsenkarrenfahrer und Unter-14-Jährige sollten im öffentlichen Dienst die eingezogenen Männer ersetzen. Im März 1867 wurde die Mobilisierung aller 13- bis 16-Jährigen befohlen und im Mai wurden sogar Leprakranke eingezogen. Nach dem Fall von Humaitá, einer paraguayischen Kleinstadt, die nach dem Krieg an Brasilien fiel, wurden mangels Ersatz 14-Jährige zu Unteroffizieren befördert und 70-Jährige als Offiziere eingestellt. […] [Seit 1868] leisteten paraguayische Frauen nicht nur freiwillige Hilfsdienste im Heer, sondern nahmen bisweilen auch an den Kämpfen teil – insbesondere an der Seite ihrer minderjährigen Söhne. Hunderte Frauen sollen dabei getötet worden sein.“ (Rotte 2011, S. 175f.).

Paraguay war nicht nur bezüglich seiner Einwohner*innen völlig am Boden, sondern außerdem auch infrastrukturell. Epidemien, Hungersnöte und Krankheiten hatten das Land in die Knie gezwungen. Von allen Seiten umzingelt und vom Außenhandel abgeschlossen, musste Paraguay alles selbst produzieren: Kugeln für Geschütze, Gewehre, Kanonen und andere Waffen.

Kinder spielten in diesem Krieg und auf allen Seiten eine Rolle. Bei allen Truppen zogen »vivandières« mit, also Weinverkäuferinnen und Kellnerinnen der Feldküchen. Bei ihnen waren auch Kinder, deren Väter unbekannt waren. Es kam durchaus auch vor, dass Kinder mitten in einer Schlacht geboren wurden. Man nannte diese Kinder »regimental children« oder Truppenkinder. Sie wurden oft in kleine Uniformen gesteckt. Sie halfen ihren Müttern oder den Soldaten bei ihrer Arbeit.

Die Kinderschlacht von Acosta-ñu

Den Höhepunkt und das Ende des Tripel-Allianz-Krieges bildete die sogenannte Kinderschlacht von Acosta-ñu (auch »Campo Grande« oder »Los Niños«) am 16. August 1869 in Paraguay. Dafür hatte der in Europa als liberal und fortschrittlich angesehene brasilianische Kaiser Dom Pedro II. als Kriegsminister und Befehlshaber auf brasilianischer Seite Herzog Caxias, Luís Alves de Lima e Silva (1803-1880) ernannt, einen rücksichtslosen Militär. Dieser hatte verkündet, man müsse im Krieg gegen Paraguay „sogar den Fötus einer Frau im Mutterleib töten“ und danach trachten, „die gesamte paraguayische Bevölkerung in Rauch und Staub umzuwandeln“ (Chiavenatto 1979, S. 154).

Bei der Schlacht von Acosta-ñu stand auf der Seite des Dreierbündnisses eine gestandene und gut ausgebildete Armee aus 20.000 erwachsenen Männern – auf der Seite Paraguays standen 3.500 Kindersoldaten im Alter von neun bis fünfzehn Jahren, angeführt von 500 älteren Veteranen (siehe Abbildung 2). Die Kinder hatten sich zur Tarnung Bärte auf ihre Backen gemalt. Als sie in einem Kreis zusammenstanden, wurden sie von allen Seiten angegriffen.

„Entsetzte Kinder von sechs bis acht Jahren klammerten sich in der Hitze des Kampfes an die Beine der brasilianischen Soldaten, weinten und baten sie, sie nicht zu töten. Und sie wurden sofort geköpft. Die Mütter versteckten sich im nahen Dschungel und beobachteten, wie sich der Kampf abspielte. Einige von ihnen erhoben Speere und führten sogar den Widerstand der Kindertruppen an. (Chiavenatto 1979, S. 158)

Bei dieser Schlacht starben auf paraguayischer Seite 2.000 Soldaten und 1.400 wurden verwundet oder kamen in Gefangenschaft. Auf der Seite der brasilianisch-argentinischen Armee unter Leitung von Prinz Gaston von Orleans (1842-1922), einem Schwiegersohn des brasilianischen Kaisers Dom Pedro II., starben 182 Soldaten und 420 wurden verwundet. Nach dieser grausamen Kinderschlacht war der Tripel-Allianz-Krieg 1870 zu Ende.

Der Tripel-Allianz-Krieg war für das besiegte Paraguay verheerend. Für Paraguay war dieser Krieg ein „totaler Krieg“ gewesen, so die Bewertung von Rotte (2011, S. 170). Neben den Landabtretungen an Brasilien (Teile von Mato Grosso) und Argentinien (Region Misiones und Teile der Chaco-Region) war die zentrale verheerende Konsequenz, dass die gesamte Gesellschaft in Paraguay nach zehn Jahren des Krieges traumatisiert zurückblieb. Paraguay mit seiner kleinen Einwohnerzahl von 0,5 Mio. Menschen hatte etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verloren – nicht wenige davon waren Kinder.2

Nicht nur ist dieser Krieg gut erforscht. Er ist außerdem fotografisch gut dokumentiert, war es doch nach dem Krim-Krieg (1853-1856) und dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) der erst dritte Krieg, an dem die neue Technologie aktiv zum Einsatz kam. Berühmt für diesen Tripel-Allianz-Krieg wurde die »Carte de visite«. Das war ein in einem eleganten Foto-Studio hergestelltes Porträtfoto auf Hartpappe. Im Mittelpunkt steht jeweils ein Offizier in Galauniform und mit Orden und Säbel. Eine Reihe dieser Fotos zeigen Offiziere zusammen mit Truppenkindern (vgl. Abbildung 1). Gegenüber diesen Reputationsfotos gibt es auch einige wenige Fotos aus dem realen Kriegsgeschehen (siehe erneut Abbildung 2).

Altes Bild – Kindersoldat und Soldat

Abbildung 1: »Carte de visite«

Altes Bild – Kindersoldaten im Gefecht

Abbildung 2: Kindersoldat im Gefecht (Quelle der Bilder: Nationalbibliothek, Montevideo)

Friedenswissenschaftliche Überlegungen zum Einsatz von Kindersoldat*innen

Vor dem Hintergrund dieses Krieges steht nun natürlich die Frage, wie der Einsatz der Kindersoldat*innen zu bewerten ist. Inwiefern sind diese Kinder Täter*innen? Kann ihrem kriegerischen Handeln, den Taten, die sie begehen, das gleiche Verständnis von Täter*innen zugrunde gelegt werden wie bei Erwachsenen?

Dass der Einsatz von Kindersoldaten in einem Krieg damals wie heute problematisch ist, lässt sich übereinstimmend festhalten. Außerhalb ethischer Bedenken steht zunächst einmal das reine Effizienzdenken: Der Einsatz von Kindersoldat*innen ist oft verlustreich, ohne entsprechende Erfolgsaussichten. Das Beispiel der Kinderschlacht von Acosta-ñu verdeutlicht das wie kaum eine andere Auseinandersetzung. Über 2.000 Kinder starben in dieser Schlacht, der politische Hass der Gegner auf die Paraguayer*innen scheint alle »moralischen« Bedenken überdeckt zu haben, diese Kinder nicht zu töten. Der schiere Umstand, dass so wenige erwachsene Soldaten zur Verfügung standen, dass tatsächlich Kinder rekrutiert wurden, muss über die ideologische Rahmung des »totalen Krieges«, wie oben erwähnt, verstanden werden. Der Effizienzgedanke stand für Paraguay nicht zur Frage, da die Rahmung der »Existenzfrage« alle Mittel zu rechtfertigen schien. Die Schlacht macht deutlich: Stehen sich ungleiche Kriegsgegner*innen gegenüber – hier also Erwachsene versus Kinder – dann verlieren die Kinder. Für die weitere Forschung zum Einsatz von Kindersoldaten muss aber auch gefragt werden können: Wie ungleich sind die Verhältnisse, wenn kleine Menschen schneller laufen können als große Menschen, wenn die Kleinen skrupelloser als die Großen sind? In vielen Kontexten im 20. Jahrhundert stellt sich diese Frage direkt und mit erschreckender Konkretion.

Nicht zu vernachlässigen ist die Ebene der Ökonomie des Einsatzes von Kindersoldat*innen. Kindersoldat*innen erhalten einen kleineren Sold als erwachsene Soldat*innen – wenn sie überhaupt einen erhalten. Besonders beim Einsatz von Söldner*innen – im Dreißigjährigen Krieg genauso wie jetzt beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik (CAR) – kommen den »warlords«, die die Söldner bezahlen müssen, Kindersoldat*innen billiger als erwachsene Soldat*innen. Das ist wichtig bei der Betrachtung der Gründe für die Anwesenheit von Kindersoldat*innen – diese sind keineswegs alle oder auch nur zu einem großen Teil aus eigenen niederen Motiven in diese Kriege eingetreten. Die Verpflichtung von Kindern geschieht auch oft aus schlicht ökonomischen Motiven. Dies scheint im Kontext von Acosta-ñu eine weniger bedeutsame Dimension gewesen zu sein.

Nicht zuletzt steht noch der schwierige Punkt der Moral im Raum. Auch wenn es zeit-, raum- und kulturübergreifend keine Einigkeit darüber gibt, ob Kinder schützenswertere Menschen seien als Erwachsene, so kann man aber normativ sagen, dass heute in einer globalisierten Welt eine solche Moral anzustreben ist. Ausfluss einer solchen globalen Moralvernunft ist die UN-Kinderrechtskonvention von 1989, die mit ihren Fakultativprotokollen den Einsatz von Menschen unter 18 Jahren verbietet. Eine interkulturelle Kommunikation ist nur dann friedensstiftend, wenn vor einer Kritik an Zuständen in anderen Ländern eine Selbstkritik zuhause vorangeht. So äußerte sich 2014 der UN-Kinderrechtsausschuss besorgt darüber, dass in Deutschland Jugendliche ab 17 Jahren eine militärische Ausbildung bei den Streitkräften beginnen können. Aber die Bundesregierung wies sämtliche Bedenken der UN zurück. Wer diese Kritik an Deutschland formuliert, kann sich in einem zweiten Schritt kritisch mit dem Brasilianer Luís Alves de Lima e Silva auseinandersetzen. Dieser Oberbefehlshaber der Kinderschlacht von Acosta-ñu aus Brasilien war ein ausgesprochen brutaler Militärbefehlshaber, der sich außerdem nach der Schlacht auf einem riesengroßen Ölgemälde hoch zu Ross verherrlichen ließ und das noch heute im Museu Nacional de Belas Artes in Rio de Janeiro einen herausragenden Platz einnimmt.

Dass Kinder in ihrem Tun – wie alle Menschen überhaupt – Opfer struktureller Bedingungen (Gewalt, Ausbeutung, staatlicher Zwang usw.) sind, versteht sich von selbst. Doch diese banal richtige analytische Einordnung kann die Verantwortung für individuelles Handeln nicht unberücksichtigt lassen. Selbstverständlich unterscheidet das Strafrecht zwischen der Schuld von Erwachsenen und Kindern nach Altersgrenzen. Gleichzeitig kennt die Pädagogik durchaus das Konzept von verantwortungsbewusstem Handeln auch bei Kindern. Verstöße gegen diese Verantwortung werden durch eine pädagogisch orientierte »Grenzziehung« ausgeglichen und schlimmstenfalls auch bestraft. Besser als Strafe ist Resozialisierung, aber Kindersoldat*innen sind (auch) Täter*innen – ihre Taten dürfen sozial und individuell nicht folgenlos bleiben.

Für Paraguay bedeutete dieser Krieg, dass das Land in vielen Dimensionen weit zurückgeworfen wurde. Das einst so moderne und früh industrialisierte Paraguay schneidet noch heute wegen dieses desaströsen Kriegs vor 150 Jahren auf dem Human Development Index sehr viel schlechter ab als die anderen kriegführenden Länder.

Die gesellschaftliche Dimension dieses Krieges war durchweg traumatisierend – für die Bewohner*innen Paraguays wie auch die hier beschriebenen Kinder. Niemals sollte vergessen werden, welche dramatischen Folgen ein Kriegseinsatz auf die psychische Gesundheit der Kinder hat – doch ebenso sollten die hier aufgeworfenen Fragen nach dem Handeln und den Hintergründen des Einsatzes von Kindersoldaten bei der Täter*innen-Forschung nicht ausgeblendet werden.

Was bleibt? Eine positive friedenswissenschaftliche Konsequenz aus dem Tripelallianz-Krieg und der Kinderschlacht zog der paraguayische Historiker Andrés Aguirre (Aguirre und Samaniego 1979). Ihm ist es zu verdanken, dass der 16. August jeden Jahres in Paraguay feierlich als »Tag des Kindes« begangen wird.

Anmerkungen

1) Ich danke María La Manna aus Montevideo für ihre Hilfe, mir diesen Krieg verständlich zu machen. In der Nationalbibliothek von Uruguay in Montevideo konnte ich Anfang Oktober 2019 viele originale Kindersoldatenfotos aus dem Tripel-Allianz-Krieg einsehen. Dieses mir unvergessliche Erlebnis verdanke ich den Archivarinnen Anilán Nievas, Adriana De León und Carla Fusaro. Gerade ihnen sei an dieser Stelle herzlich für ihre Hilfe gedankt und dafür, dass Fotos aus diesem Krieg kostenfrei veröffentlicht werden dürfen. Geisa Fernandes aus Rio de Janeiro danke ich für die Übersetzung des Kinderkriegskapitels aus dem Buch von Julio José Chiavenatto aus dem Portugiesischen ins Deutsche. Zu diesem Krieg sind vor allem die folgenden Bücher zu studieren: Chiavenatto, J. J. (1979): Genocídio americano: A Guerra do Paraguai. 5. Aufl., São Paulo: Ed. Brasiliense; Cuarterolo, M. A. (2000): Soldades de la Memoria. Imagenes y Hombres de la Guerra del Paraguay. Buenos Aires: Planeta.; Pino Menck, A., et al. (Hrsg.) (2008): La guerra del Paraguay en fotografías. Montevideo: Biblioteca Nacional; Esposito, G. (2017): Armies of the War of the Triple Alliance War 1864-1870. Oxford: Ospreys.

2) Anekdoten berichten, dass der Erzbischof von Asunción nach Kriegsende die Vielehe erlaubt haben soll, da es keine erwachsenen Männer mehr gab und die Obrigkeit soll ferner den Frauen Paraguays erlaubt haben, Männer auf im Hafen von Asunción einlaufenden Schiffen zu vergewaltigen. Anekdoten können – aber sie müssen es nicht – einen Kern von Wahrheit enthalten.

Literatur

Aguirre, A.; Samaniego, M. (1979): Acosta-ñu, epopeya de los siglos, Asunción: Municipalidad de Eusebio Ayala.

Chiavenatto, J. J. (1979): Genocídio americano: A guerra do Paraguai. 5. Aufl., São Paulo: Ed. Brasiliense.

Potthast, B. (2005): Niños soldados y niñas famélicas en la guerra del Paraguay. In: Potthast, B.; Carreras, S. (Hrsg.): Entre familia, sociedad y estado: Niños y jóvenes en América Latina (siglos XIX y XX), Madrid: Iberoamericana, S. 89-114; dem Autor stand das deutsche Originalmanuskript zu Verfügung.

Rotte, R. (2011): Paraguays „Großer Krieg“ gegen die Tripel-Allianz, 1864-1870. Österreichische Militärische Zeitschrift, Nr. 2/2011, S. 170-179.

Jörg Becker, Mitglied im Beirat von W&F, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg und lebt im Ruhestand in Solingen. Früher als Kommunikationswissenschaftler tätig, arbeitet er seit langem als Historiker.

Narcas

Narcas

Frauen als Täter*innen im mexikanischen Drogenkrieg

von Sylvia Karl

Frauen werden ebenso wie Männer zu Täter*innen. Dies zeigen viele Forschungen zu Kriegen und Konflikten. Entgegen dem weitläufigen Bild von Frauen als Opfer ist es meist eine bewusste und strategische Entscheidung der Frauen, in gewalttätige Strukturen einzutreten. Ein Einblick in die Motivationen und das Handeln von Täter*innen im mexikanischen Drogenkrieg soll einen Diskussionsbeitrag zur Problematik der verzerrten Wahrnehmung von Frauen als Täter*innen liefern und darüber hinaus eine eher unsichtbare Seite des mexikanischen Drogenkrieges zeigen.

Mein Geschäft ist töten und Drogen verkaufen1, soll Melissa Margarita Calderón Ojeda, bekannt als La China, oft gesagt haben. Auf Fotos in den sozialen Medien zeigt sich die 1984 geborene Mexikanerin mit zwei Sturmgewehren AK47 in jeweils einer Hand. Sie wurde im Jahr 2008 zur Kommandantin von Los Damasco, einem Tötungskommando des mächtigen Sinaloa-Kartells von El Chapo Guzmán. Im Jahr 2015 gründete sie ihre eigene bewaffnete Organisation und schuf sich damit das Sinaloa-Kartell als Feind. In nur drei Monaten kontrollierte sie die von verschiedenen Drogenkartellen umkämpfte nordmexikanische Stadt La Paz in Baja California. Sie war verantwortlich für zahlreiche Morde, ließ Leichen zerstückeln oder in Geheimgräbern verscharren. Ende 2015 wurde sie verhaftet und zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Von mexikanischen Medien wird sie beschrieben als eine der brutalsten Sicarias (Auftragsmörderin) und Narcas (Drogenhändlerin), vor der sogar die männlichen Narcos Angst hätten, als schöne Chefin von Sicarios oder als sadistisches, irres Monster.

Solche Narrative und Beschreibungen gab es auch für andere Narcas. Ein weiteres Beispiel ist Claudia Ochoa Felix (1987-2019), die ebenfalls Kommandantin eines Exekutionsarms des Sinaloa-Kartells war. Genannt die »Königin von Los Antrax«, zeigte sie sich in sozialen Medien mit ihren mit Edelsteinen dekorierten Waffen, in luxuriösen Villen und Autos und präsentierte dem Schönheitsideal der patriarchal-sexistischen Welt entsprechend ihren durch Operationen geformten Körper. Sie wurde im Jahr 2019 tot in einem Hotelzimmer aufgefunden. In einer für sie nach ihrem Tod komponierten Drogen-Ballade heißt es: „Ich war eine starke Guerrillera!“ 2

Immer noch mag es erstaunen, dass Frauen derartige Gewalttaten durchführen, Exekutionskommandos anführen oder Befehle zum Zerstückeln und Verschwindenlassen von Leichen geben. Diese zwei Beispiele weiblicher Täter*innen im mexikanischen Drogenkrieg sind jedoch keineswegs Ausnahmen. Im Gegenteil, sie zeigen nur einen kleinen Ausschnitt zahlreicher Frauen in mexikanischen Drogenkartellen, die seit jeher jenseits vorherrschender femininer Stereotype agieren und das traditionell männlich transportierte Bild der mexikanischen Narcos aufbrechen. Sie widersprechen damit vor allem dem immer noch weit verbreiteten Bild der friedlichen Frau und des aggressiven Mannes.

Die Rollen von Frauen in der Narco-Welt

Die mediale Öffentlichkeit und auch eine Vielzahl an wissenschaftlichen Studien zum mexikanischen Drogenkrieg und der organisierten Kriminalität zeichnen eine männlich dominierte Welt, in der Frauen zumeist zwei ganz spezifische Rollen zukommen: Zum einen sind sie Opfer der Gewalttaten der Narcos – die hohe Zahl an Femiziden und die aktuelle »Krise der Verschwundenen«, in der unter den Opfern viele Frauen sind, stellen ohne Zweifel eine der gravierendsten humanitären Tragödien in Mexiko dar, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann (vgl. dazu Karl 2022). Zum anderen wird auf jene Frauen fokussiert, die als hypersexualisierte, passive Objekte der Begierde als Liebhaberinnen und Ehefrauen an der Seite von Macho-Drogenbossen stehen. Allerdings gibt es auch zahlreiche andere Rollen von Frauen in der Drogenwelt, die weniger öffentlich sichtbar sind. Lassen wir diese unsichtbar, können wir nur einen Teil dieses Konfliktfelds verstehen.

Frauen sind seit Beginn des Drogenhandels am Anfang des 20. Jahrhunderts im mexikanischen Drogengeschäft tätig: als Kleinbäuerinnen und Produzentinnen von Marihuana oder Schlafmohn, als Drogenschmugglerinnen, als Auftragsmörderinnen, Geldwäscherinnen oder auch als Anführerinnen von mächtigen, transnationalen Drogennetzwerken. Letztere sind vor allem La Nacha oder Lola La Chata, aktiv in den 1930er bis 1950er Jahren, welche bis heute gültige (Gewalt-)Strategien und Allianzen begründeten (vgl. Carey 2014). Die im deutschen Exil lebende mexikanische Journalistin Anabel Hernández (2021) fordert in ihrem Buch zu Frauen in der organisierten Kriminalität, dass auch mehr Frauen und Töchter der aktuellen Drogenbosse in Mexiko vor Gericht gebracht werden sollten. Sie sind es, die entgegen der öffentlichen Meinung oft eine komplexe und fundamentale Rolle in diesem System spielen, indem sie für Gewalttaten (mit-)verantwortlich sind und diese durch mächtige familiäre Netzwerke perpetuieren. Aktuelles Beispiel ist Emma Coronel, die im Jahr 2021 verurteilte und inhaftierte Ehefrau von El Chapo Guzmán vom Sinaloa Kartell.

Im Gegensatz zu den historischer Frauenfiguren im mexikanischen Drogenhandel, die sich als Geschäftsfrauen verstanden, eher im Hintergrund und mit Vorsicht mächtige (transnationale) Netzwerke aufbauten und sich nie zu Gewalttaten bekannten – obwohl sie zahlreiche anordneten – gibt es seit einigen Jahren ein neues soziales Phänomen: Es gibt zwar (noch) keine Zahlen, aber immer mehr junge Frauen werden zu Sicarias und führen Tötungskommandos an, die aus männlichen und weiblichen Täter*innen bestehen und im Auftrag der großen Kartelle handeln. Sie zeigen sich in dieser Rolle als Täter*innen in den sozialen Medien und inszenieren sich als selbstbewusste, gewalttätige und mächtige Frauen mit ihren Waffen. Es sind Frauen wie La Tosca vom Kartell der Zetas, Rosalinda vom Cártel Jalisco Nueva Generación oder die zu Beginn erwähnte La China.3 Was sind die Beweggründe dieser Frauen, in das gewalttätige Feld der Drogenökonomie einzusteigen und die Interessen des jeweiligen Kartells mit der Waffe zu verteidigen? Und warum schockieren uns ihre Gewalttaten und Selbstrepräsentationen mehr als jene von Männern?

Mütter, Monster, Huren: Täter*innen und feministische Konfliktforschung

Wenn wir uns mit Täter*innen beschäftigen, müssen wir auch Widersprüche und Ambivalenzen zulassen. Eine dieser Ambivalenzen ist die häufige Annahme, auch von feministischen Stimmen, dass die Fokussierung auf Frauen als Täter*innen und Männern als Opfer die Errungenschaften emanzipatorischer Befreiungsbewegungen von Frauen untergraben könnte. Aber genau das Gegenteil würde damit erreicht werden, nämlich das Aufbrechen der Stereotype der passiven, friedlichen Frau und des aggressiven, gewalttätigen Mannes und eine realitätsgetreuere Beschreibung des gesamten Konfliktfeldes. Frauen werden paradoxerweise durch die Beschreibung als ebenso gewalttätig handelnde Täter*innen wie Männer von stereotypen Frauenbildern befreit und als ebenbürtige Akteur*innen positioniert. Denn: Frauen können ebenso gewalttätig agieren wie Männer friedlich sein können (vgl. Sjoberg und Gentry 2007).

Allerdings hinkt die öffentliche Wahrnehmung hinterher, Frauen als Täter*innen zu begreifen. So tauchen auch in Mexiko problematische und realitätsverzerrende Phänomene auf, wenn etwa fast jede aufgefundene Frauenleiche automatisch von den Behörden als Opfer eines Mannes und daher als Femizid in die Statistiken eingeht. Diese ermordete Frau kann jedoch Narca und somit Täter*in gewesen sein, die zum Opfer einer anderen Sicaria eines verfeindeten Drogenkartells wurde. Diese Besorgnis äußerte etwa die Mexikanerin Rosa Obdulia in einem Kommentar im Jahr 2021 zu einem Video der jungen Sicaria »La Cholita« vom Drogenkartell Carteles Unidos, die den Anführer eines verfeindeten Drogenkartells provozierte. Kurz darauf wurde die Sicaria entführt und als verschwunden gemeldet: „Ich hoffe nur, dass sie nicht in die Femizid-Statistiken aufgenommen wird, wenn sie ihre Leiche finden.4

Warum ist es immer noch so schwer, Frauen als Täter*innen zu begreifen? Gender und die Konstruktion von bestimmten weiblichen Rollen- und Charakterzuschreibungen spielen hier eine wichtige Rolle. Es dauerte einige Zeit, bis die meisten männlichen Täter, vor allem nach dem Nationalsozialismus, als ganz gewöhnliche Menschen und nicht als Psychopathen begriffen wurden. Während Gewalttaten von Männern zwar als nicht legitim, aber als weitgehend normal beschrieben werden, werden Gewalttaten von Frauen immer noch als überaus schockierend empfunden. Caron Gentry und Laura Sjoberg (2007) geben interessante Einblicke in ihrer Analyse zahlreicher Kriege und Konflikte, in denen Frauen als Täter*innen agierten. Seien es nun KZ-Aufseher*innen in der NS-Zeit, weibliche Selbstmordkommandos im Nahen Osten, US-amerikanische Soldatinnen in Abu Ghraib, serbische Täter*innen im bosnischen Genozid oder Täter*innen in Ruanda – es sind stets drei vorherrschende Narrative, mit denen gewalttätige Frauen beschrieben werden: als Mütter, Monster oder Huren. Das Mutter-Narrativ sieht gewalttätige Frauen stets in Abhängigkeit zu einem Mann, den sie beschützt, verteidigt und dem sie loyal ist. Das Monster-Narrativ beschreibt gewalttätige Frauen als psychisch krank, als inhuman und als keine richtigen Frauen. Dieses Narrativ spricht den Frauen jegliches rationales Verhalten oder ideologische Motivationen ab. Das Huren-Narrativ gibt der dämonischen weiblichen Sexualität die Schuld an ihrem abnormen Verhalten.

All diese Narrative sprechen Täter*innen eigenständiges Handeln und bewusste Entscheidungen ab, und oft werden sie auch als Opfer von Männern dargestellt, die zu Gewalttaten gezwungen werden. Eine Tatsache, die natürlich oftmals zutrifft, aber nicht immer. Frauen als Täter*innen können ebenso wie Männer gleichzeitig oder über die Zeit hinweg multiple Rollen einnehmen: als Opfer, Täter*in, Retter*in oder Widerstandskämpfer*in. Dies haben auch zahlreiche Forschungen der feministischen Konfliktforschung etwa zum Holocaust, zum Genozid in Ruanda oder zu Ex-Jugoslawien gezeigt (vgl. Brown 2020).

Die oben genannten Mütter-Monster-Huren-Narrative werden herangezogen, da in den meisten kulturellen Kontexten das Bild der Frau als friedlich, fürsorglich und passiv vorherrscht. Gewalttätige Frauen brechen mit diesen weiblichen Stereotypen und werden daher immer noch als böser und dämonischer im Vergleich zu gewalttätigen Männer wahrgenommen, obwohl dies keineswegs den Tatsachen entspricht. Im Fall der gewalttätigen Narcas werden diese drei Narrative ebenfalls bedient. Sie werden in den Medien im Gegensatz zu den männlichen Narcos viel öfter zur Sensation gemacht und in Verbindung zu ihrer Rolle als Frau beschrieben: als sadistische, irre Monster, als Huren, als schönste Killerinnen der Welt, als Opfer eines Narco-Mannes, den sie beschützen wollte oder dessen Geschäfte sie fortführte. Betrachten wir jedoch nun die Beweggründe, warum Frauen zu gewalttätigen Narcas werden, sehen wir, dass es meist bewusste Entscheidungen waren, die wir nur durch die Analyse von individuellen Täter*innenbiographien erkennen können.

Die Perspektive der Täter*innen

In der anthropologischen Konfliktforschung stehen seit jeher die handelnden Menschen auf einer lokalen Ebene eines Konfliktes im Zentrum der Forschung. Sie richtet den Blick auf die Mikroebene eines von Gewalt geprägten Feldes und versucht die Perspektive der handelnden Individuen und Gruppen einzunehmen, ohne das Handeln moralisch zu bewerten. Sie fokussiert vordergründig auf Motivationen, lokale sozio-kulturelle Werte und das Selbstverständnis der individuellen Akteur*innen, um ein möglichst differenziertes Verständnis von Gewaltkontexten zu erlangen. Betrachtet man zudem einzelne Täter*innen-Biographien, können wichtige Einblicke in die Handlungsoptionen gewonnen werden, die Rückschlüsse auf individuelle und strukturelle Bedingungen der Täter*innenschaft ermöglichen (vgl. Nordstrom 2007).

Um nun das Handeln der Narcas zu verstehen, kann etwa das Konzept der sozialen Navigationen von Mats Utas (2005) herangezogen werden. Mats Utas forschte zu weiblichen Täter*innen in Rebellengruppen in Sierra Leone. Dabei bezeichnete er nicht nur das gesamte Handlungsspektrum der Täter*innen in einem spezifischen Gewaltkontext als soziale Navigationen, sondern inkludierte damit auch die biographischen Hintergründe, die individuellen Beweggründe und die sozialen Netzwerke, die sie aufbauten, um sich Vorteile zu verschaffen. Mats Utas beobachtete, dass für viele marginalisierte Frauen die bewusste Entscheidung zur freiwilligen Teilnahme an gewalttätigen Strukturen eine Form von Empowerment bedeutete.

Die Möglichkeit der persönlichen Ermächtigung ist auch ein zentraler Beweggrund, warum viele Frauen in Mexiko freiwillig Teil eines Drogenkartells werden (vgl. Campbell 2008). Da es nicht einfach ist, sich in den dominanten patriarchalen Strukturen Mexikos als finanziell unabhängige Frau auf legalem Weg Respekt und Macht zu verschaffen, bedarf die Erlangung von Unabhängigkeit meist guter finanzieller Ressourcen, einer Ausbildung und einer angemessenen sozialen Vernetzung. Doch wie auch aus anderen Kontexten bekannt, entstehen durch Kriege Gewaltmärkte, die vielen Frauen in patriarchalen Systemen mit festen Genderrollen neue Handlungsspielräume, finanzielle Ressourcen und relative Unabhängigkeit von dominanten Männern eröffnen. Auch Narcas navigieren in einem lukrativen Konfliktfeld. Es ist dies ein sozialer, ökonomischer und kultureller Raum in der Grauzone von Legalität und Illegalität, in der Drogenhändler*innen eigene Verhaltenscodes und Werte schaffen. Die kriminellen Tätigkeiten der Narc@s werden in diesem kulturellen Raum aus deren Perspektive als legitim und für ihre Anhänger*innen als erstrebenswert erachtet. Was als kriminell und illegal wahrgenommen wird, verändert sich so im Auge der Betrachter*innen, wie auch Studien zu anderen Gewaltkontexten zeigen (vgl. Parnell und Kane 2003, Nordstrom 2007).

La vida loca

Armut ist keine Erklärung für Täter*innenschaft. Armut, soziale Marginalisierung, fehlende Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten begünstigen allerdings im Fall der meisten hier beschriebenen Frauen den Eintritt in die Welt der Narc@s. Viele dieser Narcas wuchsen entweder bereits in Familien auf, die im Drogengeschäft in den unterschiedlichsten Hierarchiestufen tätig sind, oder kommen durch Freund*innen oder Ehemänner in Kontakt mit einem Drogenkartell. Oftmals kommen sie aber auch damit in Berührung, weil es im sozialen Umfeld ihres Dorfes oder Stadtviertels ein attraktives ökonomisches Angebot der dort agierenden Drogenkartelle gibt. Der ökonomische Aspekt und die soziale Verankerung der Narc@s in Mexiko ist daher zentral für das Verständnis der Teilnahme in einem Drogennetzwerk. Schätzungen zufolge sind Drogenkartelle mittlerweile zum fünftgrößten Arbeitgeber Mexikos aufgestiegen. Die Teilnahme an gewalttätigen Gruppen kann also jenseits moralischer Bewertungen als eine Form der sozialen Mobilität und der Arbeit gesehen werden. Dies trifft auch auf die Selbstwahrnehmung vieler Narcas zu, wie das zu Beginn erwähnte Zitat von Melissa Ojeda zeigt.

Für viele Mädchen und Frauen sind Narc@s keine weit entfernten bösen und kriminellen Akteur*innen, sondern oftmals Verwandte, Nachbar*innen, Freund*innen oder Bekannte, die ihnen ein lukratives Angebot machen. Ihnen also eine Form der Arbeit vermitteln. So werden jungen Mädchen und Burschen für Tätigkeiten in der untersten Hierarchiestufe der Drogenkartelle als Halcones (Spitzel) oder Sicarias im Monat Summen zwischen 5.000,- und 7.000,- Pesos ausgezahlt und ihnen lukrative Aufstiegschancen versprochen. Dies sind Summen, die bei einem Mindestlohn von etwa 170 Pesos (ca. sieben Euro) für acht Stunden Arbeit ein enorm attraktives Angebot sind. Die Option Narca zu werden verspricht also einen weitaus besseren und schnelleren ökonomischen und auch sozialen Aufstieg. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass jedes Mädchen aus schwachen Einkommensgruppen zur Narca wird. Es sind immer strukturelle aber auch individuelle Faktoren, die diese Entscheidung beeinflussen. Außer Frage steht auch, dass es zahlreiche gewaltsame Zwangsrekrutierungen von Mädchen und Frauen in Drogenkartelle gibt. Aber es gibt auch viele Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, den Schritt in ein gewalttätiges Leben mit hohem Risiko eines gewaltsamen Todes oder einer Gefängnisstrafe zu wagen. Die Entscheidung für das Leben in der Illegalität folgt oft einem in Mexiko weitverbreiteten Spruch: „Lieber fünf Jahre als König, als fünfzig als Ochse!“

Wie erwähnt streben viele Mädchen durch den Eintritt in die Narco-Welt danach, neben dem ökonomischen Aspekt auch struktureller Gewalt und patriarchalen Strukturen der Unterdrückung zu entkommen, denn Narcas stehen außerhalb der traditionellen weiblichen Rollenbilder in Mexiko. Eine Narca wird nicht von einem Mann unterdrückt, eine Narca bestimmt über Männer und teilt Männern Befehle aus. In der Drogenballade für La China heißt es: „Wo sie hinkommt, wird getan, was sie sagt.“ 5 Und ebenso wie männliche Narcos nimmt sie sich das Recht auf sexuelle Beziehungen zu mehreren Männern, auf exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum und Gewalttaten. Sie entscheiden sich bewusst für „la vida loca“, wie viele von ihnen in den sozialen Medien und in Videos auf YouTube sagen. Junge Frauen aus sozial marginalisierten Familien, die aus den vorherrschenden dominanten Rollenbildern ausbrechen wollen, sehen daher Narcas, die sich vor allem in den sozialen Medien als starke, befreite, respektierte und mit Macht und Geld ausgestattete Frauen präsentieren, als erstrebenswerte Vorbilder.

„Ich bin eine Guerrillera“

Die Beschreibung der anfangs erwähnten Narca Claudia Ochoa Félix als Guerrillera zeigt eine Selbstwahrnehmung als Kämpferin, die nur im Kontext der kolonialen und postkolonialen Geschichte Mexikos zu verstehen ist. In diesem Narrativ werden nur jene respektiert, die Macht und Geld haben, jedoch nicht die Armen. Frauen und Männer in Drogenkartellen reihen sich daher oftmals in die Tradition der Widerstandskämpfer*innen gegen einen als korrupt und gewalttätig wahrgenommenen Staat ein, der Armut und soziale Ungerechtigkeit produziert und nur den ökonomischen und politischen Eliten des Landes dient. Diese selbsternannten Guerrilleras kämpfen unter der Fahne des jeweiligen Drogenkartells, um aus ihrer Perspektive Gerechtigkeit und Respekt für sich selbst und ihre Familien zu schaffen. Sie wollen außerdem ökonomischen Gewinn und sozialen Aufstieg erreichen, der ihnen aus ihrer Sicht von der hierarchisch strukturierten Gesellschaft verwehrt wird. Sie kämpfen auch für eine bessere Zukunft ihres sozialen Umfeldes, indem sie großzügig Armen und Bedürftigen helfen und sich so auch Loyalitäten schaffen. Sie begreifen sich als „mutige Frauen, die sich nichts gefallen lassen und ebenso kämpfen können.“ 6 Gewalt scheint dabei nur ein legitimes Mittel, diese Ziele zu erreichen.

Narcas sind selbst zentrale Akteur*innen in einem gut durchorganisierten Narco-Staat, der mit enormen Gewinnen aus der transnationalen Drogenökonomie eine Vielzahl an Menschen an sich bindet. Immer schon navigierten Frauen in diesen gewalttätigen Strukturen, um die lukrativen Gewinne mit der Waffe zu verteidigen und Menschenrechtsverletzungen zu befehligen. Es ist an der Zeit, sie ohne Pathos und Sensationalisierung als gewöhnliche Täter*innen zu begreifen und sie ebenso für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.

Anmerkungen

1) De Otálora, O.: ‚La China‘, el mito ‚feminista‘ de la narco cultura, 1.11.2015. In: El correo.com.

2) Drogen-Ballade (Narcocorrido): En memoria de Claudia Ochoa Félix.

3) Für Informationen und Videos siehe auch das Informationsportal: El Blog del Narco (blogdelnarcomexico.com).

4) Youtube-Video: “La Cholita” Sicaria de Carteles Unidos que se burló del Mencho.

5) Drogen-Ballade von Javier Rosas: En la Sierra y la Ciudad (La China).

6) Drogen-Ballade: En memoria de Claudia Ochoa Félix.

Literatur

Brown, S. (2020): ‘They forgot their role’: Women perpetrators of the Holocaust and the genocide against the Tutsi in Rwanda. Journal of Perpetrator Research 3(1), S. 156-185.

Campbell, H. (2008): Female drug smugglers on the U.S.-Mexico border: Gender, crime, and empowerment. Anthropological Quarterly 81(1), S. 233-267.

Carey, E. (2014): Women drug traffickers. Mules, bosses & organized crime. Albuquerque: University of New Mexico Press.

Hernández, A. (2021): Emma y las otras señoras del narco. Mexiko-Stadt: Grijalbo.

Karl, S. (im Erscheinen, 2022): Massengräber in Mexiko: Nekropolitik, Narco-Staat und der Kampf um Rehumanisierung der Verschwundenen. In: Gunsenheimer, A.; Wehrheim, M. (Hrsg.): Narcotráfico y narcocultura en América Latina. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Nordstrom, C. (2007): Global outlaws. Crime, money, power in the contemporary world. Berkeley: University of California Press.

Parnell, P.; Kane, S. (2003): Crime´s power. Anthropologists and the ethnography of crime. New York: Palgrave Macmillan.

Sjoberg, L.; Gentry, C. (2007): Mothers, monsters, whores: Women’s violence in global politics. London/New York: Zed Books.

Smeulers, A. (2015): Female perpetrators: Ordinary or extra-ordinary women? International Criminal Law Review 15(2), S. 207-253.

Utas, M. (2005): West-African warscapes. Victimcy, girlfriending, soldiering: Tactic agency in a young woman’ s social navigation of the Liberian war zone. Anthropological Quarterly 78(2), S. 403-430.

Sylvia Karl ist Kultur- und Sozialanthropologin. Sie lehrte an den Universitäten Marburg, Zürich und Wien und führte zahlreiche Forschungen in Mexiko durch. Derzeit ist sie für SOS-Kinderdorf Österreich tätig.

Aufstand in Kolumbien

Aufstand in Kolumbien

Krisen, Proteste und der Friedensprozess

von Stefan Peters

Kolumbien ist in Aufruhr. Ende April begann ein wilder Generalstreik, der bereits jetzt seinen Platz in den Geschichtsbüchern des Landes sicher hat. Überraschend war nicht nur die Breite der Proteste, die praktisch das ganze Land erfassten, sondern auch der lange Atem der Protestierenden. Erschreckend ist die Gewalt gegen die Protestierenden: Die kolumbianischen Sicherheitskräfte gingen mit Brutalität gegen die teils militanten Proteste vor. Doch die Ursachen für die Proteste liegen in den vielen Krisen des Landes. Der Beitrag zeigt diese auf und eröffnet Perspektiven für eine friedlichere Zukunft.

Kolumbien ist in Aufruhr. Die Bilder von vermummten Protestierenden, die sich nur mit Schutzschilden aus Benzinfässern ausgerüstet den kolumbianischen Sicherheitskräften und der berüchtigten Demopolizei des ESMAD entgegenstellten, gingen um die Welt und lassen keinen Zweifel: Kolumbien erlebt die heftigste Protestwelle seit Jahrzehnten. Millionen von Kolumbianer*innen gehen mittlerweile seit Monaten auf die Straße, um gegen die Regierungspolitik zu protestieren. Die Proteste wurden wesentlich von Jugendlichen getragen, die aus den urbanen Marginalvierteln der Großstädte stammen und wenig politische Erfahrung, aber eine tief verankerte Skepsis gegenüber der aktuellen Politik und dem Politikbetrieb mit sich bringen. In der Konsequenz versagten die politischen Seismographen und die Regierung wurde von den heftigen Protesten ebenso überrascht wie die streikerfahrenen Gewerkschaften und sämtliche Beobachter*innen. Die Fehleinschätzungen betrafen nicht nur die quantitativen Mobilisierungserfolge, sondern auch die Radikalität eines Teils der Proteste.

Die Militanz der Protestformen (u.a. wochenlange Straßensperren, Sturz von Statuen, Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel und Polizist*innen) steht dabei in einem erstaunlichen Kontrast zu den meist moderaten inhaltlichen Forderungen. In erster Linie geht es den Protestierenden um die Einhaltung ohnehin verbriefter sozialer Rechte in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit und in Teilen um die Implementierung des Friedensvertrags. Die Regierung reagierte auf diese Selbstverständlichkeiten mit einem Amalgam aus Repression, Unverständnis und kleineren Zugeständnissen für Teilgruppen. Gerade die Polizeigewalt wurde bald zum allgegenwärtigen Zeichen des Versagens der Politik. Kriminalisierung und Stigmatisierung der Proteste heizte diese zusätzlich an und beförderte die weitere Erosion des Vertrauens der kolumbianischen Bevölkerung in die staatlichen Institutionen.

Das dilettantische ­Krisenmanagement der Regierung könnte als anekdotische Randnotiz abgeheftet werden, wären nicht der enorme Blutzoll und die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch die unverhältnismäßige Reaktion der Sicherheitskräfte. Je nach Angaben kamen bis Ende Juni 2021 mindestens 20 Menschen durch Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte (Polizei, Spezialeinheiten und Militär) um. Wahrscheinlich liegt die Zahl jedoch höher und es ist zu befürchten, dass bis zu 60 Menschen im Kontext der Proteste ums Leben gekommen sind (vgl. JEP-UIA 2021, Temblores, Indepaz und ­PAIIS 2021, DW 2021). Hinzu kommen Verschwundene, viele Schwerverletzte und unzählige Berichte über Polizeigewalt. Hierzu gehört auch der Gebrauch scharfer Munition sowie Fälle sexualisierter Gewalt.

Seit Mitte Juni büßten die Proteste deutlich an Intensität ein: Bei vielen der Protestierenden hat sich Erschöpfung breit gemacht. Gerade die Blockaden, die weite Teile des Landes lahmlegten, verloren bald an Unterstützung. Die Konflikt­ursachen bestehen jedoch fort und ein Wiederaufflammen der Proteste in den kommenden Monaten ist wahrscheinlich – nicht zuletzt aufgrund der Politisierung vieler Demonstrant*innen während der Proteste. Doch was führte zu den Protesten und wie kann diesen Herausforderungen begegnet werden?

Der unmittelbare Anlass für die heftigen Proteste war die Ankündigung einer Steuerreform, die die leeren Staatskassen füllen sollte und hierfür vor allem die (untere) Mittelschicht belastet hätte. Doch schnell wurde deutlich, dass sich die Proteste nicht alleine gegen dieses Reformprojekt richteten, denn die Rücknahme der Reform konnte die Proteste ebenso wenig eindämmen wie der Rücktritt des Finanzministers. Dies lag auch an den vielfältigen Protesten und ihrer heterogenen Trägerschaft.

Es reicht! Heterogene Proteste

Verschiedene internationale Beobachter*innen fokussierten sich auf die Jugend als Trägerin der Proteste. So schrieb beispielsweise die FAZ (2021) im Mai: »Wütende Jugend trifft auf repressive Polizei«. Auch der kolumbianische Präsident Iván Duque wollte die Proteste mit einem »Pakt für die Jugend« einhegen. Zweifellos beteiligten sich vor allem Jugendliche und junge Erwachsene an den Protesten. Dies war allerdings auch in der Vergangenheit der Fall und kann angesichts der Bevölkerungsstruktur des Landes kaum verwundern.

Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Gruppe der Protestierenden sehr heterogen ist: Viele der Protestierenden kommen aus den urbanen Armenvierteln und sind in der Vergangenheit meist nicht in politischen Prozessen oder sozialen Bewegungen aktiv gewesen. Neben ihnen sind Studierende und junge Berufstätige (auch bis weit in die Mittelschicht) aktiv. Nicht zuletzt beteiligen sich Gewerkschaften, indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften, Kleinbauern, Feminist*innen und Queers an den Protesten (vgl. Cortés und Cárdenas 2021)

Diese Breite der Proteste ebenso wie die Entschlossenheit der Protestierenden überraschten die Regierung, die politischen Parteien, soziale Bewegungen und politische Analyst*innen. Die erfahrenen Mitglieder des Streikkommittee (»Comité de Paro«) wollten angesichts der Pandemie den Streik bereits zum 1. Mai in den virtuellen Raum verlagern und wurden von der Straße schlicht ignoriert. Einige Vertreter*innen oppositioneller Parteien boten sich als Vermittler*innen an und erlitten Schiffbruch. Schon an diesem Punkt wurde klar: Die Protestdynamik unterscheidet sich von früheren Mobilisierungen. Die Proteste haben oft keine klaren Hierarchien und allenfalls ein kleiner Teil der Protestierenden ist durch etablierte Protestführer*innen beeinflussbar bzw. kontrollierbar.

In der Heterogenität der Formen und Träger der Proteste wird auch das breite Panorama der Forderungen sichtbar: die Einforderung grundlegender sozialer Rechte (Bildung, Gesundheit, Arbeit) und der Zukunftsperspektiven für ein Leben in Würde, die Ablehnung der etablierten Politiker*innen sowie die Anklage von Korruption, Klientelismus und der fortwährenden Gewalt gegen soziale Aktvist*innen. Die repressive Beantwortung der Proteste durch die Sicherheitskräfte wirkt zudem als Brandbeschleuniger der Proteste, verlieh dies doch Forderungen nach einer grundlegenden Reform des Sicherheitssektors zusätzlichen Auftrieb. Schließlich fällt auch die schleppende Implementierung des 2016 geschlossenen Friedensvertrags mit der ehemaligen Guerrilla der FARC-EP unter die Kritik der Protestierenden. Gemeinsam ist den Forderungen der Aufschrei: Es reicht!

Denn keinesfalls kommt die ­soziale Eruption aus dem Nichts. Zentrale Konfliktursachen sind die strukturellen Entwicklungsprobleme des Landes. Bereits unter dem letzten Präsident Santos (2010-2018) gab es vermehrt Proteste für mehr soziale Gerechtigkeit. Noch kurz vor Beginn der Covid-19-Pandemie wurde die Regierung von Ivan Duque Ende 2019 von massiven Protesten in die Enge getrieben und reagierte mit Ausgangssperren. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie waren ein willkommenes Mittel, um den Protest zu beenden. Diese trugen jedoch auch zur weiteren Zuspitzung der Protestursachen bei. Sozial benachteiligte Gruppen wurden von den Auswirkungen der Pandemie überproportional hart getroffen und die Politiken zur Abfederung der Krise waren und sind bei weitem nicht ausreichend (Peters 2020). In der Konsequenz nahmen Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit im Jahr 2020 in Kolumbien deutlich zu (vgl. CEPAL 2021).

Friede den Palästen, Krieg den Hütten?

Im Zentrum der Proteste stehen daher soziale Forderungen. Der Friedensprozess ist auf den ersten Blick allenfalls ein untergeordnetes Thema der Mobilisierungen. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, dass die Proteste auf zwei Weisen eng mit den ebenso offensichtlichen, wie wenig diskutierten Problemen des kolumbianischen Friedensprozesses zusammenhängen.

  • Erstens begegnet der Friedensprozess weder den extremen sozialen Ungleichheiten noch den Ungleichheiten im Landbesitz oder dem Mangel an sozialer Mobilität in adäquater Form (vgl. OECD 2018, S. 27; World Economic Forum 2020, S. 7). Diese strukturellen Konfliktursachen wurden entweder nicht ausreichend adressiert oder – wie im Falle der Reform der ländlichen Entwicklung – bestenfalls im Schneckentempo bearbeitet (vgl. Instituto Kroc 2021).
  • Zweitens hat der Friedensprozess zwar nicht das Land, wohl aber die großen Städte jenseits der Marginalviertel und die wohlhabenden Orte der Fincas befriedet. Pointiert ausgedrückt liest sich die vorläufige Bilanz des Friedensprozess wie eine Umkehrung von Georg Büchners Forderung aus dem Vormärz: Friede den Palästen, Krieg den Hütten. Denn gerade Teile der privilegierten sozialen Gruppen profitieren vom Friedensprozess, etwa durch neue Entwicklungspotenziale. Eine Infragestellung ihrer Privilegien brauchen die Eliten des Landes ebenso wenig zu befürchten, wie direkte Konsequenzen für ihre Privilegien aus der hervorragenden Arbeit der Transitional-­Justice-Institutionen des Landes.

Ein großer Teil der historisch marginalisierten Bevölkerung wartet hingegen bisher vergeblich auf die Materialisierung einer Friedensdividende. Insbesondere in den durch historische Marginalisierung geprägten Regionen der kolumbianischen Peripherie – etwa an der Pazifikküste, im Norden des Landes, an der Grenze zu Venezuela oder in Teilen des Amazonasgebietes – aber auch in vielen Armenvierteln der großen Städte ist der Frieden in weiter Ferne.

Nach dem Ende des bewaffneten Konfliktes mit der FARC-EP 2016 stießen andere alte und neue Gewaltakteure in das Machtvakuum. Heute liefern sich verschiedene bewaffnete Gruppen Machtkämpfe in der kolumbianischen Peripherie. Dabei geht es auch um die Kontrolle des florierenden Drogengeschäfts, einschließlich der Transportwege in Kolumbien. Die vielen Morde an sozialen Aktivist*innen, Umweltschützer*innen und ehemaligen FARC-Kämpfer*innen zeigen, dass in weiten Teilen des peripheren und marginalisierten Kolumbiens kaum von Frieden gesprochen werden kann. Gleichzeitig kann die Aussicht auf symbolische Reparationen der wachsenden materiellen Not von vielen der über 9 Millionen Opfer des bewaffneten Konfliktes nicht adäquat begegnen.

Perspektiven für eine kon­struk­tive Bearbeitung der Krisen

Eine konstruktive Bearbeitung dieser Multikrise erfordert einen Paradigmenwechsel. Kriminalisierung und Repression müssen durch Dialog und konstruktive Lösungsvorschläge ersetzt werden. Der Schlüssel liegt in der Implementierung des Friedensvertrags sowie in der Bearbeitung der sozialen Frage.

  • Ersteres betrifft vor allem die Umsetzung der Reform der ländlichen Entwicklung, einschließlich der Verbesserung der Lebensbedingungen im ländlichen Kolumbien, den effektiven Schutz sozialer Aktivist*innen sowie vermehrte Anstrengungen zur Substitution des Anbaus illegaler Drogen durch legale Alternativen.
  • Dennoch muss klar sein, dass der Friedensvertrag alleine ein allzu stumpfes Schwert für die Bearbeitung der immensen Herausforderungen Kolumbiens ist. Die zunehmende Gewalt im Land kann nur durch eine Kombination aus Gesprächen mit verhandlungsbereiten bewaffneten Gruppen und einem Paradigmenwechsel in der internationalen Drogenpolitik mit dem Ziel der Reduzierung der unermesslichen Gewinnmargen bekämpft werden.
  • Ergänzend ist eine Reform des kolumbianischen Sicherheitsapparats mit dem Ziel der Professionalisierung und der Stärkung von Deeskalationsstrategien der Polizei unabdingbar.
  • Doch vor allem braucht es einen Wandel der Perspektive: Gerade das Führungspersonal scheint die Protestierenden bisweilen nicht als engagierte Bürger*innen, sondern als inneren Feind wahrzunehmen.

Gleichzeitig gilt es auch und insbesondere die soziale Frage vermehrt ins Zentrum zu rücken. Die sozialen Ungleichheiten in Kolumbien sind bei der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Landbesitz jeweils extrem. Hinzu kommt, dass es kaum Möglichkeiten der sozialen Aufwärtsmobilität gibt. Die sozialen Ungerechtigkeiten haben sich in der Pandemie noch weiter verschärft. Die sozialen Härten trafen die Armen und die untere Mittelschicht. Dem gilt es entgegenzusteuern, beispielsweise indem die Belastungen auf die »starken Schultern« der Gesellschaft konzentriert werden: Lateinamerikanische Eliten werden traditionell kaum über Steuern in die gesellschaftliche Pflicht genommen. Kolumbien ist hier keine Ausnahme. Diese Tatsache wird mittlerweile auch von internationalen Finanzinstitutionen wie dem IWF als Problem erkannt (vgl. Financial Times 2021). Die massiven Proteste haben der Regierung gezeigt, dass es nunmehr an der Zeit ist, die berechtigten Forderungen nach der Einhaltung sozialer Rechte und damit die Finanzierung von Perspektiven, durch eine Steuerreform, die endlich die privilegierten Teile der Bevölkerung in die Pflicht nimmt, zu finanzieren.

Die Menschen auf der Straße fordern lautstark drängende Reformen für eine nachhaltige und friedliche Entwicklung in Kolumbien ein. Es bleibt abzuwarten, ob die kolumbianische Politik diese Stimmen hört und die Weichen in Richtung auf eine bessere Zukunft stellt.

Literatur

CEPAL (2021): Panorama Social de América Latina y el Caribe. Santiago de Chile.

Cortés, G.; Cárdenas, M. (2021): Die Zivilbevölkerung in Kolumbien darf uns nicht egal sein. Aktueller Beitrag, Wissenschaft und Frieden online, 18.05.2021.

Deutsche Welle/DW (2021): Colombia cumple dos meses de estallido social entre protestas y vandalismo. 29.06.2021.

FAZ (2021): Konflikt in Kolumbien: Wütende Jugend trifft auf repressive Polizei. 12.05.2021.

Financial Times (2021): Richest Latin Americans should pay ‘much more’ tax, says IMF. 21.06.2021.

Instituto Kroc (2021): El Acuerdo Final de Colombia en tiempos del Covid-19: Apropiación institucional y ciudadana como clave de la implementación.

JEP-UIA (2021): Gravedad de la situación de derechos humanos en Colombia. El caso del paro nacional y sus repercusiones sobre el Sistema Integral para la Paz (28 de abril al 30 de mayo de 2021).

OECD (2018): A broken social elevator? How to promote social mobility? Paris.

Peters, Stefan (2020): Ungleichheit tötet. Internationale Politik und Gesellschaft, 26.03.2020.

Temblores, Indepaz und PAIIS (2021): Resumen Ejecutivo Informe de Temblores ONG, Indepaz y PAIIS a la CIDH sobre la violación sistemática de la Convención Americana y los alcances jurisprudenciales de la Corte IDH con respecto al uso de la fuerza pública contra la sociedad civil en Colombia, en el marco de las protestas acontecidas entre el 28 de abril y el 26 de junio de 2021. URL: indepaz.org.co.

World Economic Forum (2020): The global social mobility report 2020: Equality, opportunity and a new economic imperative. Genf.

Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und leitet das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ.

Leben mit der Pandemie:

Leben mit der Pandemie:

Klappt nur in privilegierten Zonen

von Katja Maurer

Gerade haben mich Freunde aus Chile besucht. Sie berichteten aus ihrem Dorf, ca. 150 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt. In der ersten Welle von Covid-19 bewachten die Anwohner*innen alle Eingänge zum Dorf, um niemand Auswärtigen hineinzulassen. „Wir können hier nicht schwer krank werden. Das ist ein Todesurteil“, sagten sie mir. Das nächste Krankenhaus mit Sauerstoff und Lungenmaschine befindet sich nämlich erst in Santiago.

In Chile wurde ein großer Teil der Bevölkerung mit dem chinesischen Impfstoff »Sinovac« geimpft. Der schützt aber nur vor einem schweren Verlauf, also stiegen im chilenischen Winter die Ansteckungsraten wieder in schwindel­erregende Höhen. Nun könnten noch andere Kriterien als die Inzidenzraten herangezogen und mehr getestet werden, um so hohe Inzidenzen verkraften zu können. In Chile geht das leider nicht. Denn es gibt keine frei verfügbaren Tests. Es lässt sich nur testen, wer sich krank fühlt – und das möglichst heimlich.

Die Regierung reagierte mit autoritären Maßnahmen. Seit fast anderthalb Jahren herrschen mit Unterbrechungen eine abendliche Ausgangssperre und Notzustand, kontrolliert von schwer bewaffneter Polizei und Sondereinheiten des Militärs. Dies ruft keine guten Erinnerungen bei vielen Chilen*innen wach. Alle Maßnahmen sind notgedrungen löchrig, weil die Leute arbeiten müssen, um zu überleben. Busse und Bahnen sind weiter gestopft voll. Eine vollständige Ausgangssperre gilt oft nur am Wochenende, was keinen gesundheitspolitischen Sinn ergibt. Die Schulen und Universitäten sind seit anderthalb Jahren geschlossen. Doch selbst bei vorsichtigen Versuchen sie zu öffnen, weigern sich die Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Die meisten können sich nicht gegen Covid-19 schützen. Krank zu werden birgt ein großes, wenn nicht tödliches Risiko.

Chile ist vergleichsweise wohlhabend. Was dieses Beispiel über andere ärmere Länder erzählt, in denen es nicht einmal Impfstoff gibt, lässt sich ausmalen. Die Welt wird künftig in voneinander unabhängige räumliche Blasen mit unterschiedlichen Gesundheitsmöglichkeiten aufgeteilt sein. Alle Hoffnungen, dass wir aus der Pandemie auch für zukünftige Krisen lernen könnten, haben sich zerschlagen.

Für diese gesundheitspolitische Spaltung der Welt gibt es verschiedene Gründe. Die Gesundheitssysteme wurden in den vergangenen Jahren in vielen Staaten dem Gesundheitsmarkt zugeführt. Die „öffentliche Gesundheitsinfrastruktur“, so der Gesundheitswissenschaftler Remco van der Pas, sei im Süden in den vergangenen Jahrzehnten
„fast völlig verschwunden“. So leidet die Gesundheitsprävention, die nur funktionieren kann, wenn Aufklärung, Heilungsmöglichkeiten und demokratische Beteiligung an den Formen der Prävention Hand in Hand gehen. Die AIDS-Pandemie ist der historische Beweis dafür. Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Die aktuelle Pandemiebewältigung ist eine Mischung aus medizinischen und autoritären Maßnahmen – zu wenig, wenn man mit dem Virus leben muss.

Die zweite Katastrophe in der globalen Krisenbewältigung ist die Weigerung, die Patente auf den Impfstoff wenigstens zeitweise freizugeben. Allen voran Deutschland und die EU setzen ihre Wirtschaftsinteressen vor die globalen Interessen der Gesundheit. Doch nur mit lokalen Produktionen des Impfstoffes wäre es möglich, diese Pandemie weltweit einzudämmen. Deutschland lädt sich mit seiner Weigerung eine hohe moralische Schuld auf. Eine Initiative deutscher Bürger*innen verlangt nun, wenigstens mit dem einstigen Kolonialstaat Namibia Impfstoff zu teilen. Hier habe man schließlich eine historische Verantwortung aus dem Kolonialismus. Ob das Bewegung in die festgefahrene Haltung bringt? Es wäre eine Überraschung.

Denn in der globalen Gesundheitspolitik hat längst eine weitgehende Versicherheitlichung eingesetzt. Statt über Formen der Demokratisierung von Weltgesundheit nachzudenken, in der ein öffentliches Gut eine wesentliche Rolle spielen würde, ist der Diskurs über »Gesundheitssicherheit« immer stärker geworden. Dabei geht es hauptsächlich um die Sicherheit der Privilegierten in den Ländern mit höherem Einkommen. Gesundheitssicherheit ist das Gegenmodell zur »Gesundheit für alle«, dem einstigen Leitmotto der WHO. Gesundheitssicherheit dämmt ein und schottet ab. Darin bildet sich eine künftige Weltpolitik ab, die kein Problem mehr lösen kann. Schlechte Aussichten also für eine solidarische Gesundheitspolitik.

Katja Maurer ist Chefredakteurin der Zeitschrift „rundschreiben“, die von der sozialmedinischen Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international herausgegeben wird.

Das grüne Gold


Das grüne Gold

Konflikte um die Avocado in Mexiko

von Jana Mara Burke, Dana Milena Enss und Friederike Hildebrandt

Die Avocado hat in den letzten Jahren eine Entzauberung erlebt, wie schon viele andere Exportfrüchte vor ihr: Im positiven Bild vom »Superfood«, das für einen gesunden, jungen und weltgewandten Lebensstil steht, haben sich Nachrichten von ökologischen Schäden, Landraub und blutigen Konflikten in den Anbauregionen festgesetzt. Doch die Konsument*innen zeigen sich weitgehend unbeeindruckt: Das globale Exportvolumen der Avocado ist selbst während der Corona-Pandemie weiter gestiegen (Bernal 2020).

Mexiko ist weltweit sowohl der größte Produzent als auch Exporteur von Avocados. Rund 77 Prozent der mexikanischen Produktion befindet sich im Bundesstaat Michoacán (USDA 2019).1 Im Rahmen eines explorativen, ethnographischen Forschungsprojektes in Mexiko im Jahr 2019 wurden daher Gespräche mit Exporteur*innen, Landwirt*innen, Staatsangestellten und Wissenschaftler*innen aus der Region geführt, um ermöglichende Faktoren und Auswirkungen des Avocado­booms nachzuzeichnen.2 Dabei erklärten sich ausschließlich Personen zu Interviews bereit, die Profiteur*innen des Avocadohandels oder externe Beobachter*innen sind.3 In dieser Forschung zeigte sich, dass die Konflikte um das sogenannte »grüne Gold« nicht nur Begleiterscheinung, sondern auch Antrieb des exportorientierten Anbaus in Michoacán sind.

In diesem Artikel werden drei zentrale Konflikte im Kontext des Avocadohandels hervorgehoben: Erstens die nahezu allmächtige Stellung der Produzent*innen- und Exporteur*innenvereinigung APEAM; Zweitens die anhaltenden Gewaltkonflikte im Bundesstaat Michoacán aufgrund der Aktivitäten der Drogenkartelle im Avocadohandel; Drittens die ökologischen und ökonomischen Risiken durch die Avocadoproduktion, die das Fortbestehen des Avocadoexportbooms an sich gefährden.

Die Geschichte des modernen Avocadoanbaus in Michoacán beginnt mit einem Naturereignis: Dort, wo heute das Hauptanbaugebiet für Avocados liegt, entstand 1943 der jüngste Vulkan Amerikas, der Paricutín. An dessen Hängen herrschen Mikroklimata, die jährlich bis zu vier Blütezeiten der Avocadobäume und damit eine ganzjährige Ernte ermöglichen. Im Rahmen eines von 1942 bis 1964 bestehenden Farmarbeiterabkommens priorisierte Mexiko in Folge des Vulkanausbruchs die Entsendung von Arbeiter*innen aus Michoacán in die USA. Interviewte betonten, dass besonders aus diesen Familien heutzutage Remissen zurück in die Heimatregion fließen und in Avocadoplantagen investiert werden.

Die großflächige Avocadoproduktion entstand allerdings erst in den 1990er Jahren: Bis dahin wurde sie vom sogenannten »ejido-System« eingeschränkt. Ejidos sind in Parzellen geteiltes genossenschaftliches Gemeindeland, das in Michoacán insbesondere den indigenen Gemeinden der Purépecha zugeschrieben wird und bis 1992 unverkäuflich war. Mit der neoliberalen Politik des Präsidenten Salinas de Gortari in den 1990er Jahren wurden der Verkauf und die Verpachtung von Gemeindeland und damit die großflächige agrarindustrielle Produktion möglich. Mit diesem Wandel der Wirtschaftspolitik stieg auch der finanzielle Druck auf die Parzellenbesitzer*innen, ihr Land entweder landwirtschaftlich effizient zu nutzen oder abzugeben.

Die zentralisierte Macht des Verbandes APEAM

Trotz stark begünstigender Faktoren auf lokaler Ebene, wurde Michoacán im Avocadohandel erst durch Abkommen mit den USA, als größtem Abnehmer, international erfolgreich. Diese Verhandlungen rücken den einflussreichsten Akteur im Avocadohandel Michoacáns in den Mittelpunkt: Die Asociación de Productores y Empacadores Exportadores de Aguacate de México, kurz APEAM. Bis 1997 galt in den USA für Avocados aus Mexiko ein Einfuhrverbot zum Schutz vor Schädlingen. Seit 2007 ist der Export mexikanischer Avocados in alle US-Bundesstaaten erlaubt, bisher allerdings nur aus Michoacán. APEAM war von Beginn an den Verhandlungen beteiligt und ist ein zentrales Scharnier für den gesamten Handel. Der Verband fungiert als Kooperationspartner zwischen dem mexikanischen und dem US-amerikanischen Agrarministerium und den jeweiligen Behörden für Lebensmittelsicherheit. Außerdem erfüllt er die Funktion der Qualitätssicherung für den US-amerikanischen Markt, vergibt Zulassungen für neue Produktionen und Verpackungsstationen und ist an der Preissetzung beteiligt. Ein Interviewpartner, Experte für den mexikanischen Agrarsektor, bewertete APEAM als entscheidenden Faktor für die starke Position der mexikanischen Avocados auf dem US-amerikanischen Markt. Für alle Produzent*innen und Exporteur*innen in Mexiko bildet er ein unumgängliches Nadelöhr, um Avocados exportieren zu können. Kleinproduzent*innen, die sich die Mitgliedschaft bei APEAM nicht leisten können, verkaufen ihre Avocados häufig an andere, größere Produzent*innen, die sie dann über APEAM exportieren.

Gleichzeitig ist der Verband einer der Akteure, die im Avocadohandel Konflikte auszulösen oder zumindest zu fördern scheinen. Die Mitgliedsbeiträge seien, laut einiger Interviewten, so hoch, dass sich nur große Produzent*innen diese leisten könnten, womit Landwirt*innen kleinen Landbesitzes systematisch vom internationalen Handel mit den USA ausgeschlossen werden. Interviewte Wissenschaftler*innen warfen dem Verband zudem Intransparenz und undemokratische Entscheidungen vor. Einen Streik mehrerer Produzent*innen gegen zu niedrige Grundpreise beispielsweise beendete APEAM im Jahr 2018 mit dem schlichten Verweis auf den Arbeitsplan, an den alle beteiligten Parteien gebunden seien, ohne danach den Preis zu verändern. Hinzu kommt der geäußerte Verdacht, dass der Verband enge Beziehungen zu den Gruppen organisierter Kriminalität hat, die in Michoacán den Drogenhandel kontrollieren. Der Hauptsitz APEAMs in Uruapan, der Hochburg der Drogenkartelle, bestärkt diesen Eindruck laut einer Wissenschaftlerin.4

Drogengeld im Superfood

Schon vor dem internationalen Erfolg der Avocado war Michoacán ein strategischer Standort für die Produktion von Drogen und für den Schmuggel primär in die USA. Das Geschäft wird von konkurrierenden Gruppen der organisierten Kriminalität kontrolliert und führt kontinuierlich zu gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Gruppen und mit der Zivilbevölkerung. Im Jahr 2011 erreichte nicht nur das Geschäft mit den Avocados einen Höhepunkt, sondern auch die Mordrate durch Beteiligte am Drogenhandel in Mexiko und Michoacán. Der damalige Präsident Calderón hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2006 dem Drogenhandel den Krieg erklärt, was die Sicherheitslage jedoch weiter destabilisierte. Laut eines Wissenschaftlers aus der Region wurde Michoacán so zu einer »Kriegszone«.

Die Befragten wiesen mehrheitlich auf die Verwobenheit der organisierten Kriminalität mit dem Avocadosektor hin. Drogenhändler*innen profitieren demnach auf mehreren Ebenen von diesem Geschäft. Da die Bäume bis zur ersten fruchttragenden Blüte mindestens drei Jahre wachsen müssen, sind einige Jahre lang Investitionen nötig, bevor mit den Avocados Gewinne erzielt werden können. Neue Plantagen eignen sich daher zur Geldwäsche. Drogenkartelle nutzen und profitieren zudem von der für den Avocadohandel ausgebauten Infrastruktur, die sie für den Transport von Drogen nutzen (mitunter in der Avocadofracht versteckt).

Hier stellt sich auch die Frage, inwieweit Drogenkartelle den Ausbau der Infra­struktur genau für diese Zwecke förderten. Zudem erwies sich das Geschäft mit den Avocados bislang als so lukrativ, dass sich einige Gruppen sogar vom Drogenhandel abwandten, um sich auf Schutzgeld­erpressung bei Avocadoproduzent*innen und den eigenen Anbau zu konzentrieren. Die Zeitung »El Universal« berichtet, dass zwischen 2009 und 2013 umgerechnet etwa 454 Millionen Euro von Drogenkartellen aus dem Avocadohandel „gestohlen“ wurden (Carrión 2014).

Einige Gemeinden reagierten ab 2013 auf die zunehmende Gewalt (z.B. Schutzgelderpressungen, Besetzung von Avocadofeldern, Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, erzwungener Transport von Drogen in Avocadotransporten) mit dem Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen, sogenannten »autodefensas«, um sich und ihr Avocadogeschäft unabhängig von staatlichen Sicherheitskräften vor den Drogenkartellen zu schützen, wie ein Avocadoproduzent berichtete. Allerdings sind die Motive der autodefensa-Gruppen nicht immer klar skizzierbar, da einige selbst Strukturen organisierter Kriminalität aufbauen (Asfura-Heim und Espach 2013, S. 144).

Trotz dieser Sicherheitslage bedient Michoacán zuverlässig die Weltmarktnachfrage nach Avocados. Mehrere Befragte betonten, dass die Präsenz organisierter Kriminalität zwar für die Bevölkerung Unsicherheit schaffe, aber die wirtschaftliche Lage insgesamt stabil halte, da auch die Kartelle ein Interesse am Erfolg der Avocadoproduktion haben. Durch die Machtstrukturen der Drogenkartelle wird die staatliche Präsenz geschwächt, was einen noch ungehemmteren Wirtschaftsraum schafft, in dem Beschränkungen im Avocadosektor, beispielsweise Abholzungsverbote oder andere ökologische Auflagen, verhindert oder umgangen werden können.

Ambivalenter Wohlstand

Die Avocado hat Michoácan grundlegend verändert. Im Januar 2020 wurde international über den Mord am Umwelt­aktivisten Homero Gómez González (Gurk 2020) berichtet, der sich für den Schutz des berühmten Monarchfalters in Michoacán einsetzte, der zusehends durch die Entwaldung zugunsten des Avocadoanbaus bedroht wird. Trotz dieser Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist der ökonomische Wohlstand im Bundesstaat massiv gestiegen. Besonders in Infrastruktur, Bildung und Grundversorgung wurde investiert. Obwohl die neoliberalen Reformen seit den 1990er Jahren explizit ausländische Investitionen fördern, betonten die Befragten, dass das Kapital in der Avocadoproduktion zum größten Teil auf mexikanische Investor*innen und die Diaspora in den USA zurückgehe.

Die Aussagen der Interviewten deuten darauf hin, dass die gesamte Bevölkerung in Michoacán danach zu streben scheint, ein Stück vom »Superfood-Kuchen« abzubekommen. Doch das bleibt besonders Kleinbäuer*innen und weniger privilegierten Teilen der Bevölkerung einerseits durch den zunehmenden finanziellen Druck, Gemeindeland zu verkaufen oder zu verpachten, andererseits durch die Position APEAMs als Export-Nadelöhr sowie durch den hohen Investitionsaufwand verwehrt.

Es ist ebenfalls fraglich, ob der Wohlstand durch den Avocadohandel nachhaltig ist. Die Nachfrage nach der Avocado ist konstant, jedoch hat die Erfahrung mit anderen globalen Exportfrüchten gezeigt, dass politische Regulierungen in den Importländern einem Sektor langfristig schaden können.5 Zudem werden die ökologischen Grenzen der Avocado-Monokultur zusehends deutlich. Es scheint, als sei der Ausweitung der Avocadomonokulturen vor allem eine natürliche Grenze gesetzt. Interviewte berichteten von ihren Beobachtungen, dass die zunehmende Entwaldung für den Anbau sowie der Klimawandel die Mikroklimata verändern, die für das Wachsen der Avocadobäume entscheidend sind. Damit ist gleichzeitig die Monopolstellung Michoacáns im Avocadohandel gefährdet, was den Interviewten sowohl bewusst war als auch Sorgen bereitete. Weder der mexikanische Staat, die US-amerikanischen Importeure noch die Avocadoproduzent*innen möchten das Wachstum bislang freiwillig einschränken. Auch APEAM tut alles, um das gute Image der Avocado auch für die Zukunft zu bewahren. Denn ein Boykott durch Konsument*innen wäre für den Absatz gefährlich. Der Befragte des Verbands beschrieb deutlich, dass Mexiko zur Zeit die Oberhand auf dem US-amerikanischen Markt habe, aber konkurrierende Anbieter aus anderen Ländern in den Startlöchern stünden, sollte das Angebot aus Mexiko aus politischen, ökologischen oder sozialen Gründen einbrechen.

Es zeigt sich, dass die beschriebenen Konflikte um die Avocado den steigenden Umsätzen nicht schaden, sondern im Gegenteil stabile Strukturen für den Export und ökonomischen Wohlstand für Michoacán zu schaffen scheinen. Während Großproduzent*innen, der Verband APEAM oder auch Drogenkartelle am Handel verdienen und Konsument*innen im Globalen Norden damit immer Zugriff auf frische Avocados haben, schafft das „grüne Gold“ jedoch auch Ungleichheiten und Unterdrückungsstrukturen bis hin zu direkter Gewalt in Michoacán.

Anmerkungen

1) Trotz der steigenden medialen Aufmerksamkeit um die Avocado gibt es zur Thematik bisher nur wenige wissenschaftliche Publikationen im sozialwissenschaftlichen Kontext.

2) Die ganze Forschungsarbeit ist als Working Paper im Fachgebiet Demokratieforschung am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg erschienen (Burke et al. 2021).

3) Zur persönlichen Sicherheit der Befragten wurden alle Interviewten stark anonymisiert.

4) Spezifische Aussagen über die Verwebungen von Drogenkartellen mit dem Avocadohandel wurden von den Interviewten zu ihrer persönlichen Sicherheit trotz starker Anonymisierung vermieden und nur angedeutet.

5) Nachdem die Nutzung von Palmöl in europäischem Biodiesel von der EU verboten wurde, drohte der Sektor in den Hauptanbauländern Indonesien und Malaysia wegzubrechen (Hein 2019).

Literatur

Asfura-Heim, P.; Espach, R. (2013): The Rise of Mexico’s Self-Defense Forces. Vigilante Justice South of the Border, Foreign Affairs, Jg. 92, No. 4, S. 143-150.

Bernal, R. (2020): Mexican avocado imports booming during pandemic. The Hill, 02.12.2020.

Burke, J. M. et al. (2021): Der Avocado-Boom in Mexiko: Eine explorative Forschung, Working Paper 19, Forum. Demokratieforschung – Beiträge aus Studium und Lehre, Philipps-Universität Marburg.

Carrión, L. (2014): Templarios controlaron aguacate. El Universal, 08.08.2014.

Gurk, Ch. (2020): Der Beschützer der Schmetterlinge ist tot. Süddeutsche Zeitung, 21.01.2020.

Hein, Ch. (2019): Südostasien schlägt zurück im Palmölstreit mit der EU. FAZ, 11.04.2019.

USDA (2019): Avocado Annual. Foreign Agricultural Service, U.S. Department of Agriculture.

Jana Mara Burke hat einen Bachelor der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft und studiert im Master Friedens- und Konfliktforschung.
Dana Milena Enss hat einen Bachelor in Politikwissenschaft und einen Master in International Development Studies.
Friederike Hildebrandt hat einen Master in International Development Studies und einen Bachelor der Volkswirtschaftslehre.

Der Frieden in Kolumbien


Der Frieden in Kolumbien

„… ist nicht der Frieden, den wir wollen“

von Dorothea Hamilton und Matthias Grenz

Im November 2016 wurde mit dem »Friedensvertrag von Havanna« der längste Bürgerkrieg der Welt beendet. Seit der Entwaffnung der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) herrscht im Land offiziell »Frieden«. Jedoch zeigen vielerlei soziale Missstände, dass ein dauerhafter Friede noch weit entfernt ist. Dem Friedensvertrag wurde international sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch wie wird diese Friedenszeit von der betroffenen Bevölkerung wahrgenommen? Welche Elemente des Friedensvertrags führen dazu, dass ein »positiver Frieden« noch in weiter Ferne scheint? Und was können wir von Kolumbien lernen?

Kolumbien kann dank des Friedensvertrages zwischen den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und der kolumbianischen Regierung als ein »Labor für Frieden« betrachtet werden, denn hier lassen sich in Echtzeit und gemeinsam mit Betroffenen die unterschiedlichen Friedensvorstellungen beobachten. Der mehr als 50 Jahre andauernde bewaffnete Konflikt zwischen der Guerillaorganisation und Regierungstruppen wurde mit dem »Friedensvertrag von Havanna« vom November 2016 offiziell beendet. Dieser findet international große Anerkennung; dem verhandelnden Präsidenten Manuel Santos wurde dafür der Friedensnobelpreis verliehen. Kritiker*innen des Vertrages bemängeln, dass es sich lediglich um einen „Frieden auf dem Papier“ (Naucke und Oettler 2018) handle. Es gehe nur um die Entwaffnung der FARC, andere Vereinbarungen, wie eine gerechtere Verteilung von Land an Kleinbauern, würden nicht eingehalten: Der Frieden von Santos ist nicht der Frieden, den wir wollen, denn zum Frieden, den die Landbevölkerung sucht, gehören soziale, ökonomische und politische Veränderungen. Aber dieser Frieden von Santos bedeutet, die Guerilla zu entfernen, um unsere Territorien den multinationalen Konzernen zu geben.(Interview A).

Andauernde Probleme, wie das Aufkommen neuer bewaffneter Gruppen, die teilweise Wiederbewaffnung der FARC, die Ermordung von Menschen- und Umweltaktivist*innen sowie ehemaligen Kämpfer*innen und die mit der Ausweitung illegaler Ökonomien, wie Drogenanbau oder Goldabbau, verbundene Gewalt, werfen die Frage auf, ob die Abgabe der Waffen tatsächlich als »Frieden« bezeichnet werden kann. Bereits in der Vergangenheit wurden in Kolumbien mit verschiedenen bewaffneten Gruppen Friedensverträge ausgehandelt. Diese führten zwar zur offiziellen Auflösung bewaffneter Gruppen (z. B. 1991 der Guerillagruppen EPL, M-12 und Quintin Lame, 2005 der Paramilitärvereinigung AUC), jedoch nicht zur Beendigung des bewaffneten Konflikts, da sich viele bewaffnete Akteure lediglich umbenannten und neu formierten (Nussio 2016, S. 3).

Einen theoretischen Rahmen für die differenzierte Betrachtung des Verhältnisses von Friedensvertrag und »Frieden« bietet Johann Galtungs Konzept des positiven bzw. negativen Friedens. Negativer Frieden ist als Abwesenheit kriegerischer Gewalt“ (Galtung 1969, S. 161 f.) zu verstehen, wohingegen sich der positive Frieden durch eine gesellschaftliche Transformation und Mitsprache auszeichnet. In Kolumbien kann aufgrund der Abgabe der Waffen von einem negativen Frieden gesprochen werden. Das Eingangszitat macht deutlich, dass viele weitere Schritte fehlen, damit ein positiver Frieden entstehen kann. Dazu ist es notwendig einen „territorialen Frieden“ (Maihold 2016) anzustreben, also dem Subsidiaritätsprinzip folgend die Umsetzung eines Friedens »von unten«. Dazu gehört es auch, lokale Verständnisse dessen, was Frieden beinhalten sollte, einzubeziehen.

Positiver Frieden durch den Friedensvertrag?

In einer quantitativen repräsentativen Untersuchung befragten wir ein Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages in der Stadt Cali 144 Personen unterschiedlichen Geschlechts, Alters, sozioökonomischen Standes und Berufs dazu, wie sie die Umsetzung eines dauerhaften Friedens einschätzten. Die ernüchternden Ergebnisse der Erhebungen zeigten, dass lediglich 22 % der Befragten an einen dauerhaften Frieden unter den gegebenen Voraussetzungen glaubten. Nur knapp 17 % der Befragten glaubten an die friedliche Koexistenz aller ehemals beteiligten Konfliktakteure mit der Zivilgesellschaft (Grenz 2019).

Im Altersvergleich fielen insbesondere die Gruppe der 16- bis 25-jährigen, die unteren sozialen Schichten und die sehr Wohlhabenden durch ihre sehr pessimistische Haltung in Bezug auf den Frieden auf. Die kolumbianische Zivilgesellschaft kann sich kaum eine reale Umsetzung des Friedens vorstellen. Dies wirft die Frage auf, weshalb die Befragten gegenüber dem Friedensvertrag so pessimistisch eingestellt sind.

Extraktivismus als Hindernis für Frieden

Neben vielen weiteren Problemen der Umsetzung ist einer der Kernkritikpunkte am Friedensvertrag von Havanna, dass das extraktivistische Wirtschaftsmodells nicht benannt wird. Kritiker*innen sind der Meinung, dass die Entwaffnung der FARC vor allem eine politische Voraussetzung für die Ausweitung der extraktivistischen und neoliberalen Wirtschaftslogik sei (z.B. Colmenares 2016, Velasquez 2015). In den vormals von der FARC kontrollierten Gebieten können nun die vorhandenen Ressourcen auf Kosten der Umwelt und der lokalen Bevölkerung ausgebeutet werden. Ein Umweltaktivist fasste diese Position mit folgenden Worten zusammen: „Natürlich wollen wir Frieden, alle wollen Frieden, aber dieser Frieden begünstigt vor allem die Großkonzerne. (Interview B)

Kolumbiens Wirtschaft beruht traditionellerweise stark auf Kaffee und Kohle und soll auf Gold, Kupfer und Coltan ausgeweitet werden. Die Regierung betont, dass insbesondere die Ausbeutung nicht-regenerativer Ressourcen notwendig sei, um einen langfristigen Frieden finanzieren zu können. Die kapitalistische Inwertsetzung der vorhandenen »ungenutzen« Rohstoffe mineralischer oder agrarischer Art soll zur Reduzierung der sozialen Spaltung beitragen (Interview C).

Jedoch ist die Exportorientierung auf unverarbeitete Rohstoffe seit der Kolonialisierung Teil eines Wirtschaftssystems, das bestehende Machtasymmetrien reproduziert und mit Umweltzerstörung und Unterdrückung anderer, z.B. indigener, afrokolumbianischer oder kleinbäuerlicher, Lebensweisen einhergeht (Hamilton 2018). Selbstbestimmte Entwicklungsvorstellungen der Lokalbevölkerung über den Umgang mit ihrer Umwelt, die Voraussetzung für einen positiven Frieden wären, werden mit Verweis auf ihre »Fortschrittsfeindlichkeit« diffamiert und mitunter kriminalisiert. Die räumliche Ausweitung der vermeintlich produktiven Logik hat bereits jetzt den Verlust der Biodiversität in vormals durch den bewaffneten Konflikt geschützten Gebieten zur Folge (Reardon 2019).

Vonseiten der Regierung wird ignoriert, dass die extraktivistische Logik mit zur gegenwärtigen Situation im Land geführt hat. Der Friedensvertrag klammert den Umgang mit den natürlichen Ressourcen, mit Ausnahme der Landfrage und der illegalen Drogen, komplett aus. Die Kritik am extraktivistischen Wirtschaftsmodell ist Kernbestandteil des so genannten »Acuerdo de Quito«, des angedachten Friedensvertrags mit der kleineren Guerillaeinheit ELN (Nationale Befreiungsarmee). Dessen Umsetzung ist allerdings aus verschiedenen Gründen fraglich (Maihold 2016).

Postkonflikt oder Post-Acuerdo?

In Kolumbien kursieren verschiedene Begriffe, welche die Zeit nach dem Friedensvertrag beschreiben. Während von offizieller Seite die derzeitige Phase als »Postkonflikt« bezeichnet wird, verwenden Kritiker*innen den Begriff »Post-Acuerdo«, also Zeit »nach dem Vertrag«, um damit auf die anhaltende Gewalt und den fehlenden positiven Frieden hinzuweisen. Die Bezeichnung »Post-Acuerdo« verweist auf den »negativen Frieden«, der zwar die Entwaffnung der FARC und eine generelle Abnahme der Gewalt mit sich bringt, aber die Bekämpfung der eigentlichen Konfliktursachen weitestgehend außer Acht lässt. Ein ehemaliger Kämpfer der demobilisierten M-19 beschrieb die Voraussetzung für einen positiven Frieden so: „Die Art der Veränderung, die das Land braucht, ist durch strukturelle Reformen bedingt, die nicht im Friedensvertrag festgelegt wurden, und würde voraussetzen, dass die Demokratie ausgebaut wird. Dazu gehört auch eine Transformation der Vorstellungen über Frieden und Gewalt […] Ich glaube, dass es sehr naiv ist, zu glauben, dass der Friedensvertrag mit den FARC allein zu einem stabilen und nachhaltigen Frieden führen wird. (Interview D)

Die Bezeichnung »Postkonflikt« hingegen ignoriert die anhaltenden sozialen Missstände und vergisst, auf die Folgekonflikte der so genannten Post-Bürgerkriegsgesellschaft einzugehen. Die Kernprobleme des Landes, wie Ungleichverteilung, anhaltende Gewalt und Ungleichheit, werden durch den bestehenden Vertrag nicht gelöst, sondern möglicherweise durch die zukünftige Ausweitung des extraktivistischen Wirtschaftsmodells noch verstärkt. Eine Kaffeebäuerin antwortete auf die Frage, ob der Friedensvertrag ihr Leben verändert habe, so: Ich würde sagen, dass es sehr wenig verändert hat, man sagt, dass jetzt, wo der Frieden unterschrieben wurde, alles normal wird, aber das stimmt nicht. Es ist nicht normal, es gibt weiterhin Kriege, die Unterstützung, die den Kleinbauern versprochen wurde, hat nicht stattgefunden. (Interview E)

Der bewaffnete Konflikt und somit auch der Friedensvertrag sollten vielmehr als Symptom einer weitaus größeren Problematik verstanden werden. Denn schon in den Zeiten vor dem offiziellen Konflikt befand sich Kolumbien kaum in einem Zustand des positiven Friedens. Im derzeitigen Friedensprozess werden jedoch die eigentlichen Ursprünge der Situation in Kolumbien kaum thematisiert. Durch die Entstehung von bewaffneten Guerillabewegungen, paramilitärischen Einheiten und einem bis heute florierenden Drogenhandel wird der Blick mehr auf die Symptome als auf die eigentlichen Ursachen der prekären Situation in Kolumbien gelenkt.

Somit ist der Friedensschluss mit den FARC zwar ein Schritt in Richtung Frieden, jedoch kommt davon in der Praxis vielerorts nichts an. Ein Vertreter einer Bauernorganisation verwies darauf wie folgt: „Dafür hat Santos den Friedensnobelpreis gewonnen. Das hilft ihm, aber uns hat es nichts geholfen. (Interview B) Und eine Bäuerin warf ein, dass Frieden nicht eine nationale, politische Entscheidung sei, sondern „den Frieden müssen wir bei uns zu Hause anfangen“ (Interview E).

Literatur

Colmenares, R. (2015): Naturaleza en disputa y paz. In: Giraldo Isaza, F., Revéiz, E. (Hrsg.): El posconflicto – Una mirada desde la academia. Bogotá: Academia Colombiana de Ciencias Económicas, S. 143-152.

Galtung, J. (1969): Violence, Peace, and Peace Research. Journal of Peace Research, Vol. 6, Nr. 3.

Grenz, M. (2019): Zur Perzeption des Friedensprozesses bei der kolumbianischen Bevölkerung. Wissenschaftliche Abschlussarbeit, Fachbereich Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen.

Hamilton, D. (2018): Ein neues El Dorado – In Kolumbien wehren sich lokale Gemeinden gegen den Goldabbau. iz3w, Nr. 365, S-10-11.

Maihold, G. (2016): Kolumbien und der »vollständige Frieden«. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 43.

Naucke, P.; Oettler, A. (2018): Kolumbien – Frieden in Gefahr? Wissenschaft und Frieden 2-2018, S. 5.

Nussio, E. (2016): Frieden und Gewalt in Kolumbien. Zürich: Center for Security Studies der ETH Zürich, CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr.191.

Reardon, S. (2018): Peace is killing Colombia’s jungle – and opening it up. Nature, Nr. 558.

Velásquez, F. (2015): Paz territorial e indústrias extractivas en Colombia. In: Giraldo Isaza, F., Revéiz, E. (Hrsg.): El posconflicto – Una mirada desde la academia. Bogotá: Academia Colombiana de Ciencias Económicas, S. 153-168.

Zitierte Interviews

Interview A, 5.10.2017, Cauca, Kolumbien: Führungsperson der Asociación Nacional de Usuarios Campesinos – Nationale Bauernvereinigung.

Interview B, 27.9.2019, Quindío, Kolumbien: Umweltaktivist.

Interview C, 26.10.2017, Bogotá, Kolumbien: Vorsitzende der Colombian Mining Association.

Interview D, 4.8.2017, Valle del Cauca, Kolumbien: Demobilisierter Kämpfer der ehemaligen Guerillagruppe M-19.

Interview E, 12.1.2018, Cauca, Kolumbien: Kleinbäuerin.

Dipl.-Geogr. Dorothea Hamilton ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie der JLU Gießen und hat in Marburg neben Geographie auch Friedens- und Konfliktforschung studiert. Sie promoviert zum Umgang mit Ressourcen in Postbürgerkriegssituationen in Lateinamerika. Im Rahmen ihrer Recherchen verbrachte sie zwischen 2017 und 2019 mehrere Aufenthalte in Kolumbien.
Matthias Grenz ist Geograph und Lehrer. Er absolvierte kurz nach der Unterschreibung des Friedensvertrages in Kolumbien ein Schulpraktikum an der Deutschen Schule Cali. Zudem forschte und studierte er an der öffentlichen Universität in Cali und gab in einem Camp ehemaliger FARC Kämpfer*innen Englisch- und Geographie­unterricht.

Gewalt trotz »Frieden«


Gewalt trotz »Frieden«

Status quo des liberalen Friedens in Lateinamerika

von Theresa Bachmann

Die Zeit der Bürgerkriege und der Militärdiktaturen in Lateinamerika scheint vorbei und doch hat Gewalt in verschiedensten Ausprägungen den Subkontinent fest im Griff. Der Beitrag argumentiert daher, dass das westlich-liberal geprägte Konzept des »liberalen Friedens« der Realität von Millionen Lateinamerikaner*innen nicht gerecht wird, und plädiert stattdessen für Kurtenbachs (2017) Verständnis von Frieden als Gewaltreduktion.

Liberale Demokratie und Ökonomie als Garant für Frieden und Stabilität in und zwischen Staaten – diese als »liberalen Frieden« bezeichnete Formel umschrieb Michael Doyle (2004) wie folgt: Liberale Staaten, gegründet auf individuellen Rechten, wie Gleichheit vor dem Gesetz, freie Meinungsäußerung und andere Freiheiten, Privateigentum und gewählte Repräsentant*innen, sind in ihrem tiefsten Inneren gegen Krieg. Wenn Bürger*innen, die die Lasten von Krieg zu tragen haben, ihre Regierungen wählen, werden Kriege unmöglich. Zudem profitieren Bürger*innen nur in Friedenszeiten vom Handel. Sprich, die schlichte Existenz liberaler Staaten […] sichert Frieden. Frieden und Demokratie sind daher zwei Seiten derselben Medaille.

Dieses Konzept leitet im Wesentlichen noch heute das Engagement der Vereinten Nationen in zahlreichen ehemaligen Kriegsgebieten weltweit. Liberalisierung bestimmt spätestens seit der Endphase des Kalten Krieges auch auf dem lateinamerikanischen Subkontinent die wirtschaftliche und politische Entwicklung zahlreicher Staaten. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint deren Umsetzung zunächst vielversprechend: 2014 erklärte die CELAC (Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten) Lateinamerika zur »Friedenszone«. Die bewaffneten Konflikte, die insbesondere Zentralamerika in den 1980er Jahren fest im Griff hatten, hatten ein Ende gefunden. Zwei Jahre später wurde zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) ein Friedensvertrag unterzeichnet. Mit Ausnahme Kubas sind zudem alle Staaten der Region Demokratien.1 Zwischenstaatliche Kriege, historisch gesehen ohnehin die Ausnahme in Lateinamerika, erscheinen trotz einiger Konflikte äußerst unwahrscheinlich. Ist Lateinamerika also ein friedlicher Kontinent?

Die Realität von Millionen Lateinamerikaner*innen spricht eine andere Sprache. Wenngleich die regionalen Unterschiede beträchtlich sind – omnipräsente Gewalt in verschiedensten Ausprägungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Region. Nur 9 % der Weltbevölkerung lebten 2017 auf dem Subkontinent, aber 42 % aller weltweiten Mordfälle passierten hier. Gemessen an der Zahl der Mordfälle pro 100.000 Einwohner*innen befinden sich die zehn gefährlichsten Städte der Welt in Lateinamerika (UNODC 2019). Insbesondere in zentralamerikanischen Staaten stellen anhaltend hohe Mordraten, die die Opferzahlen zu Bürgerkriegszeiten bei weitem übersteigen, sowie Drogenkartelle und Gangs, die ganze Städte kontrollieren, staatliche Behörden vor große Probleme.

Gewalt beschränkt sich nicht nur auf Kriminalität beziehungsweise organisiertes Verbrechen. Sabine Kurtenbach (2019) weist darauf hin, dass auch selektive politische Gewalt gegen Menschenrechtsaktivist*innen, soziale Bewegungen und Journalist*innen sowie staatliche Repression und die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit zunehmen. In Brasilien patrouillierte das Militär 2018 am Strand von Copacabana; in Chile beauftragte Präsident Piñera das Militär zu Beginn der aktuellen Proteste mit der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung in der Hauptstadt Santiago; in Guatemala hält das Militär weitgehend ohne internationale Aufmerksamkeit seit Ende letzten Jahres in Teilen des Landes unter Missachtung grundlegender Menschenrechte den Ausnahmezustand aufrecht. Quer durch die Region weisen die Teilnehmer*innen unter dem Motto »Ni una menos« (Keine weniger) auf Demonstrationen regelmäßig auf die anhaltende Gewalt gegen Frauen hin. In Kolumbien sieht sich Präsident Duque einer Massenprotestbewegung ausgesetzt, die unter anderem für die Einhaltung des Friedensabkommens mit den FARC und ein Ende der gezielten Tötungen von Menschenrechtsaktivist*innen auf die Straße geht.

Liberaler Frieden und Kriminalität in Lateinamerika

Nach Ende des Kalten Krieges veränderte sich nicht nur die Kriegsführung, sondern auch die Art bewaffneter Konflikte. Mary Kaldor (1999) prägte dafür den Begriff der »neuen Kriege«. Die meisten zeitgenössischen Konflikte sind innerstaatlicher Natur. Zeitgleich fand auch bei den Vereinten Nationen das Paradigma des »liberalen Friedens« zunehmend Akzeptanz, das auf der Theorie des demokratischen Friedens basiert. Seine Befürworter*innen2 teilen die Grund­annahme, dass eine Kombination aus Demokratie3 und freier Marktwirtschaft das beste Mittel für Frieden und Stabilität in und zwischen Staaten sei. Mit dem übergeordneten Ziel des nachhaltigen Friedens in vormaligen Kriegsgebieten weltweit gehen diverse Maßnahmen für die Stärkung von Sicherheit, den Aufbau von Institutionen sowie für im neo-liberalen Sinn verstandene wirtschaftliche Entwicklung einher (Newman et al. 2009, S. 8). Einen besonderen Schwerpunkt bildete dabei in den 1990er Jahren die (einmalige) Organisation freier Wahlen. Diese Maßnahmen werden im Wesentlichen von externen Akteuren getragen, darunter den Vereinten Nationen sowie ihren Unterorganisationen, bilateralen Geberstaaten, weiteren internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen.

Lateinamerikanische Staaten spielen in der anhaltenden Debatte um westlich inspiriertes »Peacebuilding« allerdings eine untergeordnete Rolle, obgleich 2016 mit dem Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC sogar das Ende des längsten bewaffneten Konflikts der Region greifbar nahe schien. Dennoch – oder gerade deswegen – lassen sich aus dem Status quo lateinamerikanischer Gesellschaften wertvolle Erkenntnisse für die Konzeption des liberalen Friedens gewinnen.

In Teilen der Literatur wird liberales »Peacebuilding« als ineffizient, kulturell insensibel, vom »Westen« aufoktroyiert und für ohnehin marginalisierte Bevölkerungsschichten schädlich abgelehnt (Duffield 2001; Richmond und MacGinty 2013). Anhaltende Gewalt, omnipräsente organisierte Kriminalität, Drogenkartelle und gewalttätige Gangs in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten sind die teils fatalen Konsequenzen des einseitigen Fokus‘ auf politische Gewalt, der dem liberalen Friedensbegriff zugrunde liegt. Aus der Perspektive von Institutionen wie der CELAC mögen die zu Zeiten des Kalten Krieges als »politisch« porträtierten Konflikte in der Region vorbei sein. Dennis Rodgers (2009) wies aber darauf hin, dass die heute als »kriminell« dargestellte Gewalt, insbesondere in Lateinamerikas Städten, lediglich eine strukturelle Fortsetzung von Konflikten sei, die in der Vergangenheit als »politisch« eingestuft wurden.

Einige Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Krise:4 In keiner anderen Weltregion geschehen absolut wie relativ mehr Morde. 2017 wurden auf dem amerikanischen Kontinent nach Angaben des UN Office on Drugs and Crime (UNODC 2019) rund 173.000 Menschen getötet, jedes Jahr allein in Brasilien etwa fünfzig- bis sechzigtausend. Aus Angst vor Mord, sexueller Gewalt, gewaltsamem Verschwinden und anderen Menschenrechtsverletzungen verlassen jährlich Tausende, vor allem zentralamerikanische, Bürger*innen ihre Heimatstaaten in Richtung USA. Die Anzahl der Asylanträge in den USA aus dem am stärksten betroffenen El Salvador wuchs nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen allein zwischen 2012 und 2017 um mehr als 1.000 % (Human Rights Watch 2020). Diese Zahlen sind Ausdruck der Angst von Millionen Lateinamerikaner*innen vor alltäglicher Gewalt. Sie zeigen, dass der Status quo des »liberalen Friedens« die multiplen Formen physischer Gewalt eher ausblendet und unsichtbar macht, als dass er sie reduziert oder gar eliminiert. Angesichts des zunehmenden Verwässerns der Grenzen zwischen politischer und krimineller Gewalt muss ein Friedensverständnis, das die Realität lateinamerikanischer Gesellschaften reflektieren will, diese Dimensionen jedoch miteinbeziehen.

Ein Verständnis von Frieden als Gewaltreduktion

Dies ist der Ausgangspunkt für Sabine Kurtenbachs (2017) Überlegungen zu einem globalen Friedenskonzept. In Anlehnung an Jenny Pearce (2016) wird Frieden darin nicht als das Gegenteil von Krieg verstanden, sondern als das Gegenteil von multiplen Formen physischer Gewalt. Primäres Ziel ist dementsprechend nicht nur die Beendigung von Kriegen und bewaffneten Konflikten, sondern die Reduzierung beziehungsweise Eliminierung aller Formen direkter physischer Gewalt. In der Annahme, dass Konflikte inhärenter Bestandteil jeder Gesellschaft sind, wird gewaltfreie Konflikttransformation als weiterer zentraler Bestandteil eines globalen Friedenskonzepts angesehen.

Globale Friedenskonsolidierung muss Kurtenbach (2017, S. 7) zufolge daher folgende Elemente beinhalten:

  • die Reduktion direkter physischer Gewalt sowie die Ermöglichung gewaltfreier Formen von Widerstand,
  • eine detaillierte Konfliktanalyse unter Einbeziehung wesentlicher Prozesse sozialen Wandels,
  • die Gewährleistung, dass »Peacebuilding«-Strategien flexibel und kontextspezifisch angepasst werden können.

Die Vorteile eines solchen Friedensverständnisses liegen auf der Hand. Während westlich geprägte Vorstellungen von »liberalem Frieden« normativ aufgeladen sind und vielfach abgelehnt werden, ist ein Fokus auf die Verringerung oder gar Vermeidung physische Gewalt kaum kontrovers. Dieses Friedensverständnis kann daher zumindest prinzipiell für alle Weltregionen angewandt und handhabbar gemacht werden (ibid., S. 4). Vor allem aber bezieht es Erfahrungen des Globalen Südens mit ein. Durch seinen menschen- statt staatszentrierten Fokus ermöglicht es, stärkere Aufmerksamkeit auf marginalisierte Gruppen zu legen und individuelle Erfahrungen mit physischer Gewalt einzubeziehen, anstatt deren Exklusion durch dominierende Friedensdiskurse weiter zu reproduzieren.

Kurtenbachs Ansatz verortet sich damit zu einem gewissen Grad in der Tradition Galtungs (1981) und dessen Hinweis auf ein breiteres Verständnis von Frieden in nicht-westlich geprägten historischen und kulturellen Kontexten. Wesentliche Unterschiede zu Galtung ergeben sich jedoch durch die Dimensionen von Gewalt: Galtungs positiver Friedensbegriff setzt die Abwesenheit von physischer, struktureller und kultureller Gewalt voraus, Kurtenbachs Friedensverständnis hingegen beschränkt sich auf physische Gewalt. Dies verhindert zwar eine Überdehnung und einen damit einhergehenden Verlust an inhaltlicher Substanz des Friedensbegriffes, doch sollten die strukturellen Ursachen von Gewalt, wie die omnipräsente extreme Ungleichheit auf dem gesamten lateinamerikanischen Subkontinent, dadurch nicht in den Hintergrund geraten.

Fazit

Jede Sprache der Welt kennt ein Wort, das dem deutschen »Frieden« entspricht, dahinter verbergen sich jedoch ganz unterschiedliche Vorstellungen. Die Schwierigkeit, einen globalen Friedensbegriff zu etablieren, ergibt sich u.a. aus der Vielzahl an Akteur*innen, sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen und konkreten Politiken, aus deren Interaktion Friedensdiskurse und -prozesse entstehen. Die westlich geprägte Idee des liberalen Friedens scheitert nicht nur an der konkreten Umsetzung, sondern auch an der Ausblendung von Erfahrungen des Globalen Südens. Vor diesem Hintergrund plädiert dieser Beitrag für Kurtenbachs Verständnis von Frieden als Gegenpol zu physischer Gewalt. Der Blick auf die aktuelle Situation in zahlreichen lateinamerikanischen Gesellschaften zeigt jedenfalls, wie »Frieden« in seiner liberalen Auslegung angesichts der grassierenden Gewalt, der sich Millionen Lateinamerikaner*innen täglich ausgesetzt sehen, zu einer leeren Worthülse werden kann.

Anmerkungen

1) Zum Teil erhebliche Defizite, beispielsweise in Bezug auf Korruption und schwache Institutionen, bestehen allerdings weiter (Kurtenbach 2019, S. 285). Aus Platzgründen werden diese in diesem Beitrag nicht näher betrachtet.

2) Für Informationen zu verschiedenen Strömungen innerhalb des »Liberal Peacebuilding«-Paradigmas siehe Richmond (2006).

3) In der »Liberal Peacebuilding«-Literatur wird Demokratie unter Rückgriff auf Dahls (1971) Polyarchie-Modell zumeist als Verfahrensdemokratie mit politischen Institutionen, Wahlen und allgemeinem Wahlrecht verstanden.

4) Es gibt zum Teil massive regionale Unterschiede. Hinzu kommt, dass Daten zu Gewalt äußerst umstritten und sogar ihrerseits Gegenstand eines Konflikts sein können (Kurtenbach, 2017, S. 286).

Literatur

Dahl, R. (1971): Polyarchy – Participation and Opposition. New Haven: Yale University Press.

Doyle, M. (2004): Liberal Internationalism – ­Peace, War and Democracy. nobelprize.org.

Duffield, M. (2001): Global Governance and the New Wars – The Merging of Development and Security. London: Zed.

Galtung, J. (1981): Social Cosmology and the Concept of Peace. Journal of Peace Research, Vol. 18, Nr. 2, S. 183-199.

Human Rights Watch (2020): Deported to Danger – United States Deportation Policies Expose Salvadorans to Death and Abuse. Washington, DC: Human Rights Watch.

Kaldor, M. (1999): New and Old Wars – Organ­ized Violence in a Global Era. Cambridge: Polity Press.

Kurtenbach, S. (2017): No One Size Fits All – A Global Approach to Peace. GIGA Focus, Nr. 5/2017, S. 1-11.

Kurtenbach, S. (2019): The Limits of Peace in Latin America. Peacebuilding, Vol. 7, Nr. 3, S. 283-296.

Newman, E; Paris, R.; Richmond, O. (2009): Introduction. In: dieselben (eds.): New Perspectives on Liberal Peacebuilding. Tokyo: United Nations University Press, S. 3-25.

Pearce, J. (2016): The »Violence Turn« in Peace Studies and Practice. In: Unger, B. et al. (eds.): Undeclared Wars – Exploring a Peacebuilding Approach to Armed Social Violence. Berlin: Berghof Handbook Dialogue Series 12, S. 31-40.

Richmond, O.; McGinty, R. (2013): The Local Turn in Peacebuilding – A Critical Agenda for Peace. Third World Quarterly, Vol. 34, Nr. 5, S. 763-783.

Rodgers, D. (2009): Slum Wars of the 21st Century – Gangs, Mano Dura and the New Urban Geography of Con?ict in Central America. Development and Change, Vol 40, Nr. 5, S. 949-976.

United Nations Office on Drugs and Crime/UNODC (2019): Global Study on Homicide. Wien.

Theresa Bachmann (B.A.), Marburg, studierte im Bachelor Lateinamerikastudien in Eichstätt und Belo Horizonte. Aktuell studiert sie im letzten Jahr des binationalen Masterstudiengangs »Peace and Conflict Studies« an der University of Kent und der Philipps-Universität Marburg.

Der zerbrochene Spiegel des Krieges

Der zerbrochene Spiegel des Krieges

Der kolumbianische Bürgerkrieg im Werk von Jesús Abad Colorado

von Claudia Maya und Stefan Peters

Kolumbien ist ein von Gewalt gezeichnetes Land. Auch deshalb waren die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Regierung und Guerilla (FARC-EP) im Jahr 2016 groß. Angesichts zahlreicher Herausforderungen benötigt der Friedensprozess heute allerdings die Unterstützung aus Politik und Zivilgesellschaft. Der vorliegende Artikel zeigt am Beispiel einer Ausstellung des Künstlers Jesús Abad Colorado, dass die künstlerische Repräsentation und Dokumentation der Verbrechen durch die Fotografie ein wirkmächtiges Plädoyer für den Frieden
sein kann, da es den Menschen die Gewalt der vergangenen Jahrzehnte und deren Konsequenzen aufzeigt.

Die Erforschung der Ursachen, Dynamiken und Folgen des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien brachte umfangreiches Material in Form von systematischen Berichten verschiedener Institutionen zur Aufarbeitung der Vergangenheit, wissenschaftlichen Abhandlungen, journalistischen Texten etc. hervor (z.B. CNMH 2013). Dessen ungeachtet besteht bei vielen Kolumbianer*innen eine breite Unkenntnis über den Konflikt und seine Opfer. Dieses Amalgam aus Indifferenz, Wegschauen und Ignorieren möchte der kolumbianische Fotograf und Journalist Jesús Abad Colorado in der von María
Belén Sáenz de Ibarra kuratierten Ausstellung »El Testigo« (Der Zeuge) aufbrechen. In den Worten von Abad Colorado hält die Ausstellung der Gesellschaft den Spiegel vor: einen vom Krieg zerbrochenen Spiegel. „Dies ist ein Land, das es nicht gewohnt war, sich selbst in dem zu betrachten, was ich den zerbrochenen Spiegel des Krieges nenne.1 Die Zerbrechlichkeit des Spiegels zeigt metaphorisch die Fragilität der von Gewalt zerrissenen Gesellschaft, und der zerbrochene Spiegel zeigt notwendigerweise ein
fragmentiertes und unvollständiges Bild. Die Kunst ist kein Ersatz für die wissenschaftliche Dokumentation und Systematisierung. Sie besitzt jedoch eine Eindringlichkeit, die es mehr als wissenschaftliche Abhandlungen, Statistiken oder offizielle Berichte vermag, der Gesellschaft die Gräuel des Krieges und damit die Notwendigkeit des Friedens vor Augen zu führen.

Die Fotoausstellung von Abad Colorado wird im ehemaligen Kloster San Agustín im Zentrum der Hauptstadt Bogotá direkt neben dem Präsidentenpalast gezeigt. Die Ortswahl ist kein Zufall. Für Abad Colorado haben nicht nur seine Fotos, sondern auch der Ausstellungsort eine politische Aussage: „Diese politische Klasse schloss die Augen, hielt sich die Ohren zu und hatte keine Stimme, um die Opfer des Krieges zu begleiten. Warum? Weil viele der Klasse der Politiquera2 unseres Landes Komplizen der bewaffneten Gruppen waren.3

Für seine politische Botschaft bedient sich Abad Colorado mit der Fotografie eines wirkmächtigen Mediums für die Konstruktion von Erinnerung: „Das Gedächtnis braucht […] Bilder, an die sich die Geschichte als eine erinnerte und erzählbare knüpft. (Welzer 1995, S. 8) Genau diese Bedeutung der Fotografie, die aufgrund der Authentizität der Darstellung zur Schaffung von Empathie und als Mittel gegen das Vergessen und Ignorieren wirkt, greift Abad Colorado in seiner Ausstellung auf. Etwa 500 seiner Fotografien aus den Jahren 1992 bis 2018 zeigen einen
Ausschnitt des kolumbianischen Bürgerkrieges. Die Fotos nehmen explizit die Sicht der Opfer ein und dokumentieren das Leid der gewaltsamen Vertreibung, der Entführungen, des Verschwindenlassens, der Massaker, sexueller Gewalt und weiterer Gewalttaten. Sie zeigen auch, dass der Krieg zwar alle gesellschaftlichen Gruppen zu Opfern gemacht hat, sich aber dennoch sozial nicht neutral auswirkt. Die Landbevölkerung, indigene und afro-kolumbianischen Bevölkerungsgruppen sowie im Allgemeinen sozial benachteiligte Menschen litten überproportional stark unter der Gewalt (Bello 2016) und prägen auch
die Fotos der Ausstellung. Dies ist keineswegs banal. Gerade das Leid dieser Opfergruppen wird oft vergessen bzw. beschwiegen, weil die soziale Benachteiligung ihre Möglichkeit einschränkt, eine Stimme zu haben bzw. sich Gehör zu verschaffen (Peters 2015).

Abad Colorado möchte dieses Schweigen brechen. In einem der Begleittexte erinnert er sich an die Situation nach einem Angriff der Guerillaorganisation ELN auf eine Ölpipeline, der in einem Brand endete und bis zu 84 Menschen das Leben kostete: „Sie sagten mir, dass ich die Kamera nicht auf sie richten sollte, und ich habe dies respektiert. Aber danach sagte ich zu ihnen: ‚Ich muss das machen. Denkt an die Bilder aus Vietnam und von den Konzentrationslagern der Nazis mit den Gaskammern und den Tausenden Toten. Ohne diese Zeugnisse würde man die Taten
nicht kennen, und irgendjemand würde sie abstreiten
.‘“ 4 (Abb. 1)

Kriegsfotografie zwischen Spektakel und Empathie

Das genannte Foto wirft die Frage der Ästhetik des Leids auf und verweist auf den Januscharakter der Gewalt: „Gewalt ist faszinierend. Sie wird universell verdammt und findet sich doch überall. Die meisten von uns sind von ihr fasziniert und entsetzt. (Litke 1992, S. 173) Insbesondere die Schöpfer*innen audiovisueller Repräsentationen von Krieg und Gewalt verfallen oft der Versuchung, diese Faszination für die Obszönität des Schreckens – etwa aus kommerziellen Gründen – auszuschlachten. Im Gegensatz dazu zeigen die Bilder von Abad
Colorado die Folgen der Gewalt auf eine Weise, die sich der Versuchung des Spektakulären widersetzt und stattdessen die Kamera als Werkzeug zur Erzeugung von Empathie nutzt: „[D]ie Fotos gehen uns nahe, sie schauen dem Gegenüber in die Augen. Mit anderen Worten, sie erzeugen Intimität und Komplizenschaft, Empathie. Und es sind Fotos, die jeder Mensch machen könnte, wenn er mit dem Herzen schaut.5

Die Mehrzahl seiner Fotos in der Ausstellung sind Schwarzweißaufnahmen. Für Abad Colorado ist dies eine Frage des Respekts für die Opfer. Die Ausstellung zeigt auch die Aktualität der Gewalt. Beispielweise findet sich am Beginn der Ausstellung ein überlebensgroßes Portrait, das an den kürzlich ermordeten sozialen Aktivisten Aquileo Mecheche erinnert. Die farbige Großaufnahme bezweckt genau das, was sich Abad Colorado mit der Ausstellung wünschte: den Opfern ein Gesicht geben. Ebenso sind Fotos von Menschen auf der Suche nach verschwundenen Familienangehörigen in Farbe zu sehen; sie zeigen
das fortwährende Leid der Angehörigen. Tatsächlich gelingt es den Bildern, die Menschen hinter der abstrakten Zahl von weit über acht Millionen Opfern des kolumbianischen Bürgerkrieges in den Fokus zu rücken. Die Fotos erzählen Geschichten, die es ermöglichen, sich in das Leid der Opfer hineinzuversetzen, und erzeugen so Empathie.

Anhand einer Bildreihe aus dem Jahr 2007, die die Ausgrabung der 2001 von den Paramilitärs ermordeten Gloria Milena Aristizábal dokumentiert, kann man Abad Colorados Arbeitsweise verdeutlichen: In vier verschieden Bildern wird der Ausgrabungsprozess durch die staatlichen Behörden dokumentiert. Das Augenmerk gilt nicht der forensischen Arbeit, sondern Gloria Milenas Tochter, Yeimy, und Mutter, Rosalba, die die Ausgrabung beobachten. Das erste Bild zeigt eine Halb-Nahaufnahme von Yeimy gemeinsam mit einem Militär während der Ausgrabung. Das kleine Mädchen, etwa sieben oder acht Jahre alt,
schaut fast teilnahmslos ins Grab. Es folgt eine Nahaufnahme, die Yeimy und ihre Großmutter zeigt, wie sie in das Grab schauen (Abb. 2). Das Kind hat seinen Kopf an den Arm der Großmutter gelehnt. Die Großmutter sieht, was das Kind nicht fassen kann. Die fehlende Generation wird in dem dritten Bild in einer Großaufnahme gezeigt: Ein im Grab gefundener Rosenkranz identifiziert die tote Mutter und Tochter (Abb. 3). Das vierte Bild, eine Halbtotale, zeigt die Beamten der Kriminalpolizei bei der Ausgrabung von Gloria Milena. Die Bildreihe folgt einem filmischen Ablauf und zieht die
Ausstellungsbesucher*innen in das Geschehen: das Heranzoomen an ein Ereignis, die Auflösung des Ereignisses durch ein Bild und das abschließende Herausgehen aus einer Szene, die sich in Kolumbien tagtäglich wiederholt.

Erinnerung und Repräsentation

Die Ausstellung zeigt die faszinierende Diversität und die schreienden Ungleichheiten Kolumbiens. Die Bilder sollten das Land aus der Bequemlichkeit des Nicht-sehen-wollens herausreißen und die Besucher*innen zur Erinnerung an die Gewalt sowie zur Reflektion über die Vergangenheit und Gegenwart animieren. Abad Colorado positioniert sich mit der Ausstellung explizit gegen die gerade sehr prominent diskutierten Thesen von David Rieff (2016) zur heilenden Kraft des Vergessens. Abad Colorado versteht seine Arbeit ausdrücklich als Beitrag gegen das weitverbreitete Verdrängen und Beschweigen der
Vergangenheit. Sein Fokus auf die historisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist überdies ein Beitrag zur Demokratisierung der Erinnerung. Seine Fotos laden dazu ein, den Friedensprozess als Chance zu nutzen, damit sich das Land über geographische, soziale und kulturelle Grenzen hinweg kennenlernt und gemeinsam über die Geschichte der Gewalt spricht und trauert.

Gleichzeitig drängt sich bei der Betrachtung des Werkes von Abad Colorado geradezu die zentrale Frage postkolonialer Kritik auf: „Can the Subaltern Speak (Spivak 2017) – haben die Subalternen eine Stimme? Tatsächlich bleibt Abad Colorado der dokumentierende Fotograf, vollzieht damit einen Akt der Repräsentation und verharrt bei einem vergleichsweise traditionellen Zugang. Er greift nicht auf partizipative Formen der Schaffung von Kunstwerken mit den Opfern à la Doris Salcedo6 zurück oder auf innovative Formen eines invertierten
Blicks, der die Subalternen zu Subjekten (statt Objekten) der Kunst macht (siehe hierzu Corona Berkin 2018). Dennoch findet sich in den Fotos eine besondere Nähe zu den Menschen, die sich aus seinem spezifischen Feldzugang ergibt. Abad Colorado ist kein Weltreisender auf der Jagd nach Kriegsfotos, er ist ein Kind des bewaffneten Konfliktes: Er ist der Sohn von gewaltsam Vertriebenen; zwei seiner Cousins gehören zu den mehr als 80.000 Verschwundenen in Kolumbien. Er selbst wurde von der FARC bei einer seiner Reisen in die abgelegenen Orte des Landes, in denen der Krieg besonders grausam
tobte, entführt.

Ihm erlaubt aber nicht nur sein persönlicher Hintergrund, sondern auch seine Arbeitsweise, eine besondere Nähe zu den Menschen herzustellen, die er fotografiert. Er begleitet die Menschen, hält Kontakt und kehrt zurück an die Orte seiner Fotografien. Diese Arbeitsweise unterscheidet sich vom Mainstream und ist auch jenseits des Journalismus, etwa für die Wissenschaft, instruktiv. Es geht ihm nicht um einen oft als wissenschaftlichen Extraktivismus beschriebenen Zugang, der das Wissen der lokalen Gemeinschaften für eigene wissenschaftliche oder journalistische Erfolge ausbeutet, sondern um
Reziprozität.

Kunst und Pädagogik

Die Ausstellung erfuhr ein breites und meist enthusiastisches Medienecho. Zudem wurde Abad Colorado im September 2019 mit dem Preis der Stiftung des verstorbenen kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez gewürdigt. Eine Dokumentation seines Werks mit dem Titel »El Testigo« (Horne 2018) war zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Kinoleinwänden und bei Netflix zu finden, wo sie dank englischer Untertitel auch einem internationalen Publikum einen intimen Einblick in den kolumbianischen Bürgerkrieg ermöglicht. Doch vor allem ist die Ausstellung im Herzen Bogotás ein
Publikumsmagnet: Bereits in den ersten Monaten besuchten weit über eine halbe Million Menschen seine Ausstellung. Das Publikum ist dabei äußerst divers: Hochrangige Politiker*innen und Intellektuelle besuchen die Ausstellung ebenso wie Tourist*innen, Opfer des bewaffneten Konfliktes, die interessierte Öffentlichkeit sowie unzählige Schulklassen.

In einem Land, das auf ein Schulfach Geschichte verzichtet und in dem die Diskussion über den Friedensprozess von einer heftigen Polarisierung gekennzeichnet ist,7 übernimmt die Ausstellung des Fotografen Jesús Abad Colorado eine wichtige pädagogische Funktion. Die Ausstellung endet mit einem klaren Plädoyer für den Frieden als Bedingung für ein Ende der Gewalt und des Leids der Opfer.

Abad Colorado versteht sich als Fotograf des kolumbianischen Konflikts, der andere Konflikte nicht dokumentieren könne. Dennoch geht sein Plädoyer für den Frieden über die kolumbianischen Grenzen hinaus. Seine Aufnahmen von geflüchteten kolumbianischen Kindern könnten auch in anderen Teilen der Welt aufgenommen werden. Abad Colorados Bilder zeigen die grausamen Konsequenzen eines Konflikts, der stets zuerst die Schwächsten der Gesellschaft trifft. Die Ausstellung und der Standort sind somit ein Statement gegen das Verdrängen des Leids der Opfer durch die Politik sowie eine Anklage gegen die
Teile der Politik, die mit der Gewalt verstrickt sind (Romero 2007). Abad Colorado sagt dazu: „Die Ausstellung hierherzubringen ist für mich eine Form [den Politikern] zu sagen: ‚Dies ist Teil Ihrer Verantwortung, Sie sind dafür verantwortlich, was in Kolumbien über Jahrzehnte passiert ist, weil Sie nicht das Herz und das Bewusstsein für die Bedeutung der Beendigung des Krieges hatten.‘“ 8

Die Bilder von Jesús Abad Colorado führen eindringlich vor Augen, warum Kolumbien die historische Chance des aktuellen Friedensprozesses nicht vergeben darf.

Anmerkungen

1) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

2) Politiquero*a bezeichnet in Kolumbien eine Person, die die Politik für ihre eigenen Interessen nutzt.

3) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

4) Begleittext zur Ausstellung »El Testigo« im Claustro de San Agustín in Bogotá.

5) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

6) Doris Salcedo ist eine kolumbianische Künstlerin, die mit Performanzaktionen sowie mit dem Kunstwerk »Fragmentos« aus eingeschmolzenen Waffen der FARC den bewaffneten Konflikt künstlerisch verarbeitet. Im August 2019 wurde sie mit dem Possehl-Preis für internationale Kunst ausgezeichnet.

7) Vgl dazu die folgenden Texte in W&F: Cárdenas, M.: „Nicht ohne uns!“,W&F 2-2019; Londoño, A: »Gender-Ideologie« in Kolumbien Oder: Wie man Ängste schürt, um den Frieden zu behindern, W&F 3-2018; Naucke P. und Oettler A.: Kolumbien – Frieden in Gefahr? W&F 2-2018.

8) Interview mit Jesús Abad Colorado, 18.6.2019 in Bogotá.

Literatur

Bello, M.N. (2016): Colombia – La guerra de los otros. Nueva Sociedad, N° 266, S. 140-146.

CNMH (2013): Basta ya! Colombia – memorias de guerra y dignidad. Bogotá: Centro Nacional de Memoria Histórica.

Corona Berkin, S. (2018): Del retrato al selfie wixárika – Una historia visual nuestra. Temáticas, Vol. 1, Nr. 2; encartesantropologicos.mx.

Horne, K. (2018): El Testigo. Dokumentarfilm, 73 Minuten.

Litke, Robert F. (1992): Violence and Power. International Social Science Journal, Vol. 44, Nr. 2, S. 173-183.

Peters, S. (2015): Die Zukunft der Erinnerung in Lateinamerika. In: ders.; Burchardt, H.-J.; Ohlschläger, R. (Hrsg.): Geschichte wird gemacht – Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika. Baden-Baden: Nomos, S. 185-197.

Rieff, D. (2016): In Praise of Forgetting – Historical Memory and its Ironies. New Haven: Yale University Press.

Romero, Mauricio (2007): Parapolítica – La ruta de la expansión paramilitar y los acuerdos políticos. Bogotá: Arco Iris-Asdi.

Spivak, G. (2017): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Turia + Kant.

Welzer, H.: Das Gedächtnis der Bilder – Eine Einleitung. In: ders. (Hrsg.): Das Gedächtnis der Bilder – Ästhetik und Nationalsozialismus. Tübingen: diskord.

Claudia Maya, Master of Arts in Media, Communication and Cultural Studies, Universität Kassel und Université Stendhal Grenoble 3, ist Assistentin der Öffentlichkeitsarbeit des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ).
Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Direktor des Instituto CAPAZ.