Die verfahrenen Jahre

Die verfahrenen Jahre

Ein pazifistisches Gedankenspiel zu den 1920er-Jahren in Österreich

von Wolfgang Weilharter

Wie vermeidet man den Eintritt in eine destruktive Eskalationsspirale? In den Jahren 1923/24, also vor 100 Jahren, gründete die Sozialdemokratische Partei Österreichs eine bewaffnete Wehrformation, den Republikanischen Schutzbund. Auch wenn der Entschluss zur Gründung des Schutzbundes verständlich ist, so war er auch ein Beitrag, das Desaster eines zunehmenden Rechtsdralls Österreichs zu beschleunigen. Ob ein Blick über die österreichischen Grenzen bis nach Indien, zu Gandhi und den gewaltfreien Kampagnen sowie deren Schutzgarantie an die Gegner*innen geholfen hätte? Der Beitrag erkundet diese Möglichkeit.

Die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts: Die verfahrenen Jahre, in denen es einfach nicht gelang, die Weichen richtig zu stellen, aber auch die magischen und faszinierenden Jahre. Magie, Faszination und Verfahrenheit, alles Eigenschaften, die auch und besonders auf das Österreich und das Wien der Ersten Republik von 1918 bis 1934 zutreffen.1 Mit einer gewissen journalistischen Lässigkeit wird in diesem Essay nun gefragt, warum es – angesichts der sonstigen modernen Kreativität und Innovation – nicht möglich war, den Weg in eine sich aufbauende Eskalationsspirale zu vermeiden.

Mit dem Ausdruck »Eskalationsspirale« wird auf ein spezielles Ereignis in den Anfangsjahren der Ersten Republik Österreichs angespielt. In den Jahren 1923/24 beschloss die Sozialdemokratische Partei Österreichs den »Republikanischen Schutzbund« zu gründen. Dabei handelte es sich um eine bewaffnete Formation, eine Privatarmee von beachtlicher Größe, als verständliche Reaktion auf die Bedrohung durch bewaffnete konservative, monarchistische und faschistische Wehrformationen. Mehr darüber weiter unten. In diesem Essay, der sich einem qualifizierten Pazifismus verpflichtet weiß, wird gefragt: Hätte es einen Weg gegeben, auf die Gründung des Schutzbundes zu verzichten, ohne politischen Selbstmord zu begehen?

Und das ist der Hintergrund dieser Frage: Die Sozialdemokratie wird hier als unser Vorfahr betrachtet. Auch dann, wenn man heute liberal, konservativ, grün, oder weiter links steht, wobei die Sache beim Rechtspopulismus kompliziert ist. Wenn oben von einer Welle der Kreativität und der Innovation die Rede war, dann war diese Welle, oberflächlich formuliert, modern – und der politische Ausdruck dieser Modernität war die Sozialdemokratie. (Parlamentarische) Demokratie, Autoritäts- und Traditionskritik, Säkularismus, Wissenschaftsorientierung, Vorbehalte gegen heteronome Religiosität, Neutralität gegenüber ethnischer Herkunft, vor allem gegenüber dem Judentum, Aufwertung des öffentlichen Status der Frau usw. waren überwiegend bei ihr beheimatet. Wobei einzuschränken ist: Ihre Auffassungen von Sozialismus und Klassenkampf, die sich in ihrer verbalen Radikalität auch deutlich von der deutschen SPD unterschieden, zählen nicht zu jenem Erbe, das heute allgemeiner Konsens ist. Aber hier interessiert gleichsam der moderne Anteil am »austromarxistischen« Sozialismus.2 Mit Rückgriff auf eine Strategie in Gandhis Satyagraha-Bewegung wird im Folgenden eine mögliche pazifistische Lösung der Konfliktsituation, die zur Gründung des Schutzbundes hinführte, reflektiert.

Zum Kontext der Gründung des Republikanischen Schutzbundes

Die Geschichte der politischen Auseinandersetzungen in der Ersten Österreichischen Republik reduziert sich über weite Strecken auf die Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien, der Sozialdemokratischen Partei auf der linken Seite und der Christlichsozialen Partei auf der rechten Seite. Es handelte sich im Wesentlichen also nur um zwei und nicht um mehrere maßgebliche »Player«, denn eine kommunistische Partei konnte sich in Österreich neben der Sozialdemokratie nicht etablieren. Auf der konservativen Seite gab es keinen organisierten Liberalismus mehr, und die ansonsten noch vorhandene Großdeutsche Volkspartei war immer wieder Mehrheitsbeschafferin für die Christlichsozialen, hatte aber wenig eigenes Profil.

Das Österreich von 1918 entstand als einer der Nachfolgestaaten der – aufgrund der Niederlage im Ersten Weltkrieg zerfallenden – österreichisch-ungarischen Monarchie. In diesem Jahr wurde in Österreich sodann die Republik ausgerufen und ein sozialdemokratischer Kanzler, Karl Renner, regierte in Koalition mit der Christlichsozialen Partei bis 1920. In dieser ersten Zeit des Umbruchs herrschte einerseits das Elend und die Orientierungslosigkeit, andererseits war die linke Seite tendenziell in der Offensive und die Frage, welcher Sozialismus auf welche Weise zu erreichen sei, dominierte das politische Geschehen. Da sich die Sozialdemokratische Partei für die parlamentarische Demokratie aussprach, hatten bewaffnete Versuche für eine sozialistische Revolution wenig Chance. Parallel dazu bildete sich aber eine komplizierte Vielzahl an paramilitärischen Verbänden auf der konservativen Seite, die entweder christlichsozial, großdeutsch, monarchistisch oder nationalsozialistisch waren. Ihnen allen gemein war die antisozialistische Agenda mit besonderer Sorge vor einer sozialistischen Revolution, die offene oder subtile Gegnerschaft gegen alle Formen der Demokratie, der aggressive Antisemitismus, sowie die Finanzierung durch Teile der Industrie und verwandter Gruppen aus Deutschland. Später kamen als Geldgeber noch das faschistische Italien und Ungarn hinzu.

Gegenläufig zur Konsolidierung der parlamentarischen Demokratie Anfang der 20er-Jahre wuchsen diese konservativen Paramilitärs aber weiter heran, bis sich die Sozialdemokratie im Jahr 1923 nun in der Tat einer bedrohlichen Situation gegenübersah. Denn zusätzlich zu den paramilitärischen Verbänden verlor die Sozialdemokratie im Jahr 1920 erst einmal aufgrund einer Wahlniederlage ihre Regierungsbeteiligung und somit auch ihren Zugriff auf das Verteidigungsministerium samt Armee, die dann unter dem rechten Scharfmacher Karl Vaugoin zu einer christlichsozial geprägten Streitmacht wurde. Im Oktober 1922 fand sodann Mussolinis Marsch auf Rom und damit die faschistische Machtübernahme in Italien statt, was den antidemokratischen und faschistischen Kräften in Österreich Aufwind verschaffte.

Das war nun also die Situation, die die Sozialdemokratische Partei ab 1923 veranlasste, den Republikanischen Schutzbund zu gründen. Wie gesagt: Man kann sie verstehen. Noch dazu war der Schutzbund weitgehend defensiv ausgerichtet, und ihm gebührt der Ehrentitel, überhaupt als erste Kraft in Europa, im Jahr 1934, militärischen Widerstand gegen den Faschismus des christlichsozialen Kanzlers Dollfuss geleistet zu haben, als dieser das Parlament in Österreich ausschaltete.

Doch gab es innerhalb der Partei auch kritische Stimmen. Am interessantesten für den Zusammenhang dieses Essays, ist eine „gemäßigte Gruppe“, von der in einem unveröffentlichten Manuskript eines unbekannten Autors3, wahrscheinlich verfasst in den letzten Monate des Jahres 1922 (vgl. Vlcek 1972, S. 60f.) die Rede ist. Dort lesen wir, dass die Gruppe Vorbehalte anmeldete, nämlich dass ein zukünftiger Schutzbund das Ergebnis einer „streng militärischen Auffassung“ wäre, der „Ausfluss des k.u.k. Militarismus“ 4 und ein Abklatsch der Frontkämpfer und Hakenkreuzler“. Der militärische Charakter des Schutzbundes würde eine „unnötige Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze“ und ein „immer größeres Wettrüsten“ nach sich ziehen. Die Lösung, die angeboten wurde, lautete: Den Aufbau einer militärischen Formation hinauszuschieben und nur den Rohbau einer militärischen Organisation zu errichten, die erst im Ernstfall zu aktivieren wäre.

Doch dieser Einwand, auf den wir noch zu sprechen kommen werden, blieb wirkungslos. Der Schutzbund wurde gegründet und einige Jahre später, gegen die eigene Intention, zu einem Faktor der Eskalation. Denn im Lauf der Jahre wuchsen die Wehrverbände an, sodass die konservativen Heimwehren Ende der 20er Jahre zwischen 20.000 und 50.000 bewaffnetes Personal umfassten, der Schutzbund könnte sich auf 40.000 Mann belaufen haben. All das bei einer Einwohnerzahl der Republik von nur etwa 6,5 Millionen Menschen (Edmondson 1995, S. 265ff.).

Die genannte Eskalation führte sodann 1934 zur Ausschaltung des Parlaments und zum österreichischen Sonderweg des austrofaschistischen, aber anti-nationalsozialistischen Ständestaates und schließlich, 1938 zum widerstandslos akzeptierten Einmarsch Hitlers.5

Dem Gegner ernsthaft umfas­sende Sicherheit garantieren

Zur weiteren Überlegung, ob die Gründung des Schutzbundes hätte vermieden werden können, soll nun ein Sprung, einige tausend Kilometer entfernt, nach Indien in das Jahr 1919 gemacht werden. Dort baute sich ebenfalls, aufgrund der legitimen, indischen Emanzipationsbestrebungen, eine Eskalationsspirale auf. Und so wie im Österreich der frühen 20er Jahre soll hier eine Episode mit beispielhaftem Charakter beleuchtet werden. Im April 1919 kam es unter anderem im Raum der indischen Stadt Ahmedabad zu Ausschreitungen. Diese fanden anlässlich der von Gandhi maßgeblich mitinitiierten Satyagraha-Kampagne gegen die von der englischen Kolonialregierung erlassenen Gesetze, einem Bündel präventiver Notstandsgesetze, der »Rowlatt-Gesetze« statt. Diese Gesetze riefen auf indischer Seite Empörung hervor. Die indienweite Satyagraha-Kampagne wurde durch die britische Kolonialregierung mit der Erschießung indischer Zivilist*innen durch die Polizei beantwortet, was wiederum Protest auf indischer Seite zur Folge hatte. Im Großraum Ahmedabad wurden im Zuge dieser indischen Gegenproteste sodann mindestens zwei Engländer getötet, sowie Gebäude, Eisenbahn- und Telegrafenanlagen verwüstet. Darüber hinaus wurden britische Zivilist*innen Opfer von Vertreibungen (Brown 1972, S. 175; Rothermund 1997, S. 124). Entsprechend Gandhis Bestreben, Kampagnen wesentlich, nicht nur beiläufig, von Gewalt freizuhalten, und dafür auch Verantwortung zu übernehmen, hielt er am 14. April 1919 eine Rede. In dieser drückte er nur seine Empörung aus, dass Engländer bedroht und vertrieben wurden – er äußerte kein Verständnis für die Gewalt, forderte unbedingte Gewaltlosigkeit ein, und zeigte sich nachgerade entsetzt von den Taten. Die Rede hatte ihren Höhepunkt in folgenden, denkwürdigen Worten:

„Sie [die Engländer] sind unsere Brüder und es ist unsere Pflicht, in Ihnen den Glauben zu wecken, dass ihre Personen uns so heilig sind wie unsere eigenen (…)“ 6 (Gandhi 1999, S. 222).

Was Gandhi in religiös gefärbter Sprache ausdrückte, war die öffentliche Garantie der Unversehrtheit des Gegners. Dabei handelte es sich gerade nicht um schöne Worte, um die die Politik ja nie verlegen ist, sondern die ernstgemeinte Zusicherung der Sicherheit der Gegenseite – innerhalb einer Krisensituation. Gandhi und die Satyagraha-Bewegung waren sowohl an diesem 14. April 1919 aber auch in den nachfolgenden Jahren imstande, diese Garantie aufrechtzuerhalten, als sich die Situation drastisch verschärfte. Die Bedeutung dieser Worte lag nicht unmittelbar darin, dass Gandhi einen bewaffneten Gegenschlag ausschloss. Das tat er zwar implizit auch, aber ein solcher Gegenschlag stand in den damaligen Tagen nicht zur Debatte. Ihre Bedeutung lag darin, dass er als politischer Führer, inmitten eines Kampfes, und gerade nicht als außenstehender Mediator, Vermittler oder Peace-Builder, dem bedrohlichen Gegner die umfassende Sicherheit garantierte. Es ist für den Einfluss der Satyagraha-Bewegung zu beachten, dass die Mobilisierungsfähigkeit – und damit der Aufbau politischer Macht – durch diese Zusicherung und Garantie keinen Schaden erlitt. Die indische Emanzipationsbewegung wurde dadurch nicht als harmloser Gegner „beiseite geschoben.“ 7

Das Gedankenspiel: Gandhis Haltung in der Ersten Republik?

„Das Proletariat, in seinem innersten Wesen friedlich gesinnt, möchte am liebsten nur jene Kampfmittel anwenden, die dem friedlichen Charakter der Demokratie entsprechen. Aber die Wahl der Kampfmittel ist ihm nicht gegeben. Es muss, ob es will oder nicht, mit jenen Waffen kämpfen, die seine Klassengegner ihm auferlegen“ (Deutsch 1926, S. 118)

Dieses Zitat des führenden sozialdemokratischen Politikers und Obmannes des Schutzbundes Julius Deutsch spricht in sozialistischer Tonart die Sprache der von der Diktatur bedrohten Demokratie. Aus dieser Haltung heraus erscheint die Schutzbundgründung also wirklich alternativlos. Doch lässt sich dies zwangsläufig schlussfolgern?

Wir erinnern uns an die Einwände der »gemäßigten Gruppe«, dass der Schutzbund unter anderem eine „unnötige Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze“ und ein „immer größeres Wettrüsten“ nach sich ziehen würde. Es gab also Stimmen, die die Problematik erkannten und sogar Schlüsse daraus zogen: Die Gründung einer militärischen Formation sollte hinausgeschoben werden. Bis hierher hören wir die klassischen pazifistischen Argumente, wie sie angesichts von drohenden Eskalationen auch richtig sind. Aber mir als Autor, mit dem unverdienten Verdienst, 100 Jahre später auf die Situation blicken zu können und das noch dazu mit dem Gandhi’schen Beispiel ausgerüstet, drängt sich die Ansicht auf, dass hier ein unvollständiger Pazifismus am Werk war. Mut und Ratlosigkeit treten hier Hand in Hand auf. Mut, weil angesichts des gefährlichen Gegners nicht Zuflucht in der Hysterie gesucht wurde, Ratlosigkeit aber, weil das simple Aufschieben der Schutzbundgründung sicher keine Lösung war, und den Verdacht bestätigt, dass der Pazifismus in seiner Not einfach zum Zurückweichen neigt.

Man vermisst zwei Dinge: Warum wurde nicht der (General-)Streik erwogen, das sozialistische Pendant zu den Satyagraha-Aktionen des Gandhi’schen, zivilen Ungehorsams? Dieser, also der Streik, war der Sozialdemokratie und ihren Gewerkschaften vertraut, es hätte sich also keineswegs um eine Innovation aus dem Nichts gehandelt und eine funktionierende, disziplinierte Organisation, die den Streik getragen hätte, war vorhanden. Was den Streik betrifft, hätte es also eine weitgehende Übereinstimmung mit Gandhi gegeben.

Aber wie wäre der Streik begründet worden? Es ist das Anliegen dieses Essays, besonders diesen Punkt herauszustellen. Es ist nicht vorstellbar, dass die sozialdemokratischen Führer, denen von mir ein moderner Humanismus zugebilligt wird, einen Streik als Alternativoption zu einem militärischen Vorgehen damit begründet hätten, dass das Leben der gegnerischen Personen eben »heilig« wäre. Oder denselben Inhalt zumindest in säkularer Sprache (»schützenswert«) wiedergegeben hätten. Geschweige denn, dass eine solche Begründung von der sozialdemokratischen Gefolgschaft verstanden worden wäre. Vielleicht hätte man noch gesagt, dass man friedliche Mitteln bevorzuge, dass man Blutvergießen verhindern möchte, dass man gegen Gewalt sei. Doch in einer solchen Formulierung liegt ein feiner, aber wichtiger Unterschied zu einer Formulierung, in der man sich als politischer Akteur selber unmissverständlich zur Garantie der Sicherheit der Gegenseite verpflichtet.

Diese Garantie könnte, wie es Gandhi im XIII. Kapitel seines Buches »Satyagraha in Südafrika« erläutert, eine schlechte und eine gute Form haben (Gandhi 1972, S. 103ff.). Die schlechte Form hat das Merkmal von nachlaufender, ängstlicher Besänftigung des Gegners, sie wäre Ausdruck von Schwäche, Angst und Kleinbeigeben und hätte wohl wirklich die befürchtete Niederlage zur Folge.

Die gute Form wäre, dass man diese Garantie aus eigenem Antrieb und mit der Motivation ausspricht, einem selbstgesetzten Maßstab gerecht zu werden. In diesem Fall würde der Garantie der Unversehrtheit des Gegners nicht der zu Recht befürchtete Makel der Schwäche, des bettelnden Nachlaufens, der Nachgiebigkeit und des Relativismus anhaften.

Weiter: Die Garantie hätte ernst gemeint sein und in ihrer Begründung über den kalkulierten Eigennutz hinausgehen müssen. Sie hätte deshalb den Charakter eines nicht mehr weiter begründbaren Bekenntnisses gehabt.8 Wie wird sie für den Gegner glaubwürdig? Diejenigen, die die Garantie aussprechen, brauchen eine Vorgeschichte, die sie glaubwürdig macht. Und, je weiter fortgeschritten der Konflikt ist, umso schwieriger wird es sein, die Sicherheit der Gegenseite mit zu bedenken.

Es wird also einen Kairos, eine günstige Gelegenheit brauchen und nun spricht einiges dafür, dass dieser Kairos 1923/1924 bestand, der allerdings nah und fern zugleich war. Nah: Es bestand aufseiten der Sozialdemokratie eine starke, disziplinierte Organisation, die nur schwer zu übergehen gewesen wäre, hätte sie die Energie statt in den Aufbau des Schutzbundes in die Vorbereitung des Generalstreiks samt akkurater Begründung und Zusicherung der Sicherheit gesteckt. Auch gab es das umfassende, sozialistische Friedensdenken, mit seinen Stärken und seinen Schwächen, das immerhin so gelagert war, dass die Argumente der »gemäßigten Gruppe« nicht als exotisch erschienen. Fern: Dass das Leben der (bewaffneten) Gegner gleich viel wert sei wie das der eigenen Leute, diese Begründung öffentlich abzugeben, lag außerhalb der Vorstellungskraft sowohl der damaligen Führung als auch ihrer Gefolgschaft. Und auch im Kontext zeitgenössischer Geschichtsbetrachtung hat dieses Gedankenspiel für uns Heutige gewiss einen fremdartigen und irrealen Charakter.

So bleibt als Ergebnis eine Frage: Unser sozialdemokratisch-moderner Vorfahr wäre wahrscheinlich eher imstande gewesen, die Garantie der Unversehrtheit auszusprechen als sein vormoderner Gegner christlichsozialer Prägung. Warum aber war er dazu trotzdem nicht imstande?

Anmerkungen

1) Der englische Autor R. Cockett (2023) weist in seinem neuen Buch »Vienna. How the city of ideas created the modern world« wieder einmal, wie schon C.E. Schorske (1993) und W.M. Johnston (2011) auf den erstaunlichen Innovationsgeist in Wien, aber auch in Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg hin. Hingewiesen sei u.a. auf Namen wie Freud, Jahoda, Kelsen, Mach, Meitner, Popper, Schönberg, Wittgenstein.

2) Als »Austromarxismus« wird sowohl die theoretische als auch die praktische Seite der österreichischen Sozialdemokratie, vor allem zwischen 1918 und 1934 bezeichnet.

3) Das Manuskript hat folgenden archivarischen Fundort: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Aktenbestand „Verschiedene Schriften zur Geschichte des österreichischen Bundesheeres“ AB 584-4-34, Faszikel 23, Akten und Pläne über Waffen im Arsenal und deren Beschlagnahme 1923-1929.

4) K.u.k meint „kaiserlich und königlich“, gemeint ist die Armee der gerade untergegangenen Monarchie.

5) Man kann gegen diese Darstellung nachvollziehbarerweise einwenden, dass hier das Opfer zum Schuldigen gemacht wird. Das soll keineswegs geschehen. Aber es ist dennoch das Anliegen des Essays zu prüfen, ob die Sozialdemokratie, als schwächere, aber aufsteigende Repräsentantin einer modernen Zukunft einen Beitrag zur Deeskalation hätte leisten können.

6) Einen Tag vorher, am 13. April fand etwa 1.000 km entfernt das Massaker von Amritsar mit 379 Toten statt, ebenfalls im Zusammenhang mit der »Rowlatt-Satyagraha-Kampagne« verursacht von englischen Truppen. In seiner Rede geht Gandhi darauf nicht ein, wahrscheinlich, weil er über keine oder nur unzureichende Informationen verfügte.

7) Ich zitiere hier Viktor Klemperer, der über Gustav Landauers Engagement in der Münchener Räteregierung in seinem Tagebuch schreibt: „Landauer (…) scheint wieder lebendig, (…) allen politischen Notwendigkeiten und Selbstverständlichkeiten meilenfern (…) mit Fingern, die von Blut und Gier rein sind (…) und sicherlich bald (…) zu Gewalttaten gedrängt oder von Gewalttaten beiseite geschoben.“ (Klemperer 2015, S. 113)

8) Damit geht die Garantie der Unversehrtheit des Gegners über eine pragmatische Begründung hinaus. Wäre die Garantie nur pragmatisch begründet, bleibt im vorliegenden Fall der Verdacht, dass sie in einem günstigen Moment wieder fallengelassen wird. Damit wird in der Diskussion pragmatische vs. prinzipielle Gewaltfreiheit für letztere Stellung bezogen. Allerdings im Hinblick auf eine konkrete historische Situation, in der ein relatives Machtgleichgewicht herrschte. Die Sozialdemokratie war die schwächere Seite, hatte aber reale Chancen, die Macht zu erobern. Zur genannten Diskussion siehe z.B. Müller und Schweitzer (2011).

Literatur

Brown, J. (1972): Gandhi’s Rise to Power. Indian Politics 1915-1922. Cambridge: University Press.

Deutsch, J. (1926): Antifaschismus. Proletarische Wehrhaftigkeit im Kampf gegen den Faschismus. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlungen.

Edmondson, C. E. (1995): Heimwehren und andere Wehrverbände. In: Talos, E. u.a. (1995): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933. Wien: Manz, S. 261 – 277.

Gandhi, M. (1972 [1928]): Satyagraha in South Africa. Ahmedabad: Navajivan Publishing House.

Gandhi, M. (1999): The collected works of Mahatma Gandhi. Band 15. New Delhi: Publications Divisions Government of India.

Gandhi, M. (2011): Die Stimme der Wahrheit. Ausgewählte Werke in 5 Bänden. Hrsg. von Narayan S. Göttingen: Wallstein Verlag.

Johnson, W.M. (2011 [1972]): The Austrian Mind. An Intellectual and Social History 1848-1938. Oakland: University of California Press.

Klemperer, V. (2015): Revolutionstagebuch 1919. Berlin: Aufbau.

Müller, B.; Schweitzer, C., (2011): Gewaltfreiheit als dritter Weg zwischen Konfliktvermeidung und gewaltsamer Konfliktaustragung. In: Meyer, B. (Hrsg.): Konfliktregelung und Friedensstrategien. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Springer, S. 101-124.

Rothermund, D. (1997): Mahatma Gandhi. Eine politische Biographie. München: C.H.Beck.

Schorske, C. E., (1993 [1980]): Fin-de-siecle Vienna. Politics and culture. New York: Random House.

Vlcek, C. (1972): Der Republikanische Schutzbund in Österreich. Geschichte, Aufbau und Organisation. Wien: Univ. Dissertation.

Wolfgang Weilharter ist Projektmanager und Mediator am »Austrian Institute for Peace/Österreichisches Friedenszentrum« in Stadtschlaining und Wien mit dem Schwerpunkt »Kommunale Friedens- und Konfliktarbeit«.

Zukunft des politischen Pazifismus


Zukunft des politischen Pazifismus

Symposium der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK, 28./29. Januar 2017, Frankfurt am Main

von Thomas Mickan

Der politische Pazifismus ist tot … zu dieser Schlussfolgerung könnte kommen, wer sich die Publikationen und Äußerungen in der deutschen Friedens- und Konfliktforschung anschaut. Zwar gibt es vereinzelte Arbeiten zum Thema, mitunter auch Zeitschriftenschwerpunkte (wie in W&F 1-2017, »Facetten des Pazifismus«), aber nur selten wird der politische Pazifismus in Arbeiten unserer Zunft aufgegriffen. Mit seiner Abhandlung in Heftschwerpunkten teilt der Pazifismus zuweilen etwas mit feministischen oder postkolonialen Ansätzen in der Friedensforschung: Sie sind entweder explizit im Fokus oder gar nicht.

Vom 28. bis 29. Januar 2017 führte die Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK ein Symposium durch, das sich, eher abseits akademischer Pfade, der Frage widmete, wie es denn nun explizit um die »Zukunft des politischen Pazifismus»« bestellt sei. Dieses Symposium bildete auch den Auftakt zum 125-jährigen Jubiläum der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) – heute Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). 1892 wurde die DFG u.a. durch die erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin (1905) Bertha von Suttner und durch Alfred Hermann Fried, ebenfalls Preisträger (1911), ins Leben gerufen.

Die zweitägige Veranstaltung spürte am ersten Tag der Historie und den Strömungen des Pazifismus nach und beschäftigte sich am zweiten Tag mit aktuellen Handlungsfeldern des politischen Pazifismus. Diese Aufteilung war zwar einerseits spannend, weil es am ersten Tag konzeptionell um die Ideen des politischen Pazifismus ging und am zweiten Tag – quasi als dessen Urenkel – die heutige Praxis zu Wort kommen konnte. Andererseits blieb das Symposium damit aber auch ein wenig in ausgetretenen Pfaden, da gerade das Programm des zweiten Tages in ähnlicher Form auch auf anderen friedenspolitischen Tagungen, wie dem Kasseler Friedensratschlag oder dem Tübinger Kongress der Informationsstelle Militarisierung, jährlich vorzufinden ist. Hier wäre es spannend gewesen, die Betrachtung herumzudrehen und konkrete historische Anwendungsfelder zu diskutieren, um sich anschließend tatsächlich auch konzeptionell und begrifflich über die Zukunft des politischen Pazifismus auszutauschen.

Nichtsdestotrotz war das Symposium im gut gefüllten Saalbau Gutleut in Frankfurt am Main mit rund 70-100 Teilnehmer*innen gut besucht, und während des Symposiums mit seinem dicht gedrängten Programm konnte eine gute und erkenntnisreiche Diskussionskultur gepflegt werden. Exemplarisch seien hier nun zwei Beiträge herausgegriffen. Für einen dritten – den von Prof. Dr. Norman Paech zu Pazifismus und Völkerrecht – sei auf die letzte Ausgabe von W&F verwiesen, in der sein Beitrag in etwas überarbeiteter Form bereits erschien.

Den Auftakt zum Symposium gestaltete Dr. Susanne Jalka, die an der Universität für angewandte Kunst in Wien lehrt und unter anderem am Onlineprojekt »discoverpeace/vienna« mitgewirkt und zur Friedensgeschichte Wiens und Bertha von Suttners gearbeitet hat. Sie versteht „Frieden als eine Geisteshaltung“, eine Vorstellung also, die sich zunächst mit einem Pazifismusbegriff deckt, der so wahrscheinlich von vielen geteilt wird. Jalka führt den Begriff des Friedens am eigenen Bewusstsein, am Denken von Frieden, aus, wobei Frieden „kreative Ideen von Differenzen“ sei. Anhand des Projektes »Imagine Peace« illustrierte sie dies. Dabei wurden Schul- und Jugendgruppen aus ganz Europa zum 100. Jahrestag der Nobelpreisverleihung an Bertha von Suttner gebeten, ihre ganz persönlichen »Bilder« von Frieden zu Papier zu bringen. Die eingereichten Zeichnungen waren in der Regel entweder sehr harmonisch oder zeigten ganz im Gegenteil Bilder vom Krieg. Nur sehr wenige Bilder verdeutlichten die „Spannung von Frieden“ und zeigten damit, dass das Denken von Frieden, so Jalka, noch viel zu wenig Raum gewonnen hat und dieser nur in Abgrenzung zum Krieg oder als Harmonie gedacht werde. Der Referentin gelang es so, im Publikum die eigenen Vorstellungen von Frieden und Pazifismus aufzurufen und zu fragen: Wie stellt ihr euch Frieden vor und wie müssen wir an solchen Vorstellungen arbeiten.

Einen anderen Zugang bot Dr. Gernot Lennert an, der sich in seinem Beitrag mit den (historischen) Strömungen des Pazifismus beschäftigte. Lennert ist Historiker und Politologe und arbeitet als Bildungsreferent des DFG-VK Bildungswerks Hessen. Er verdeutlichte, dass Friedensbewegung, Antimilitarismus und Pazifismus nicht identisch sein müssen, und differenzierte dann zwischen Strömungen des Pazifismus. Vor dem Ersten Weltkrieg bildeten sich insbesondere vier Strömungen heraus: Erstens der bürgerliche Pazifismus oder organisatorische Pazifismus, der auf friedliche Konfliktlösungen zwischen Staaten, auf Abrüstung, Schiedsgerichte und internationale Organisationen setzte. Die vor 125 Jahren gegründete DFG sei das Paradebeispiel für eine Haltung, die den Staat und das Staatensystem nicht abgelehnt habe, die Kriegsdienstverweigerung (KDV) hingegen schon, und in der Verteidigungs-, mitunter auch Befreiungskriege opportun waren. Zweitens der radikale Pazifismus, der in seiner konsequenten Ablehnung jeglicher Gewalt vor allem religiös begründet war, aber – etwa durch die Quäker als politisch religiöse Bewegung – gewaltfreie Ideen in die Politik hineintrug. Auch Ideen von Leo Tolstoi oder Mahatma Gandhi oder auch der War Resisters’ International, deren Symbol das zerbrochene Gewehr ist, fanden hier ihre Heimat. Eine dritte Strömung war der anarchistische Pazifismus, der den Staat und den Kapitalismus ablehnte, die KDV vorantrieb und auf gewaltfreie direkte Aktionen, wie Produktionsniederlegung, setzte. Viertens schließlich, so Lennert, entstand noch der marxistische Pazifismus, der sich zwar auch gegen den Kapitalismus wandte, aber in der ersten Zeit die KDV ablehnte und Volksheere statt stehender Heere als Lösungsstrategie gegen den grassierenden Militarismus anbot.

Nach dem Ersten Weltkrieg näherten sich die Strömungen, so Lennert, einander an, besonders bei der Frage der KDV. Bemühungen, diese Ansätze etwa zum »revolutionären Pazifismus« zusammenzubringen, führten bei den Friedenstagungen zu heftigen Debatten, die Carl von Ossietzky, selbst Mitglied der DFG, 1924 als „ungeheures Blutbad“ beschrieb. Konfliktthema war u.a. die Rolle des Krieges: „Krieg als Störfaktor“, so verstanden es die bürgerlichen Pazifist*innen, die lediglich den geregelten Ablauf eines Staates in Gefahr sahen, versus der „kranke Staat“, bei dem der Militarismus nur ein Symptom einer tieferliegenden Krankheit ist und die Fehler nicht im System zu beheben waren, sondern dieses selbst der Fehler war.

Auch heute seien diese gewachsenen Strömungen in den „Denktraditionen immer noch vorhanden, aber nicht säuberlich getrennt“. Es gebe, so Lennert, jedoch ganz unterschiedliche Mischungsverhältnisse. Dem Referenten gelang es durch seine Ausführungen, mit der Vorstellung zu brechen, dass Pazifismus neben einer Geisteshaltung auch in verschiedenen Traditionen verschiedene ganz praktische Antworten zu verschiedenen Formen von Gewalt anbot und anbietet.

Nach weiteren, eher theoretischen Ausführungen anderer Referent*innen, etwa zu den »Anforderungen eines wirksamen Pazifismus« (Andreas Zumach), skizzierte dann der zweite Tag des Symposiums mit seinem friedenspolitischen Potpourri zahlreiche Anwendungsfelder des Pazifismus. Hier blieb u.a. der kurze Impuls der Öko-/Friedens-/Kletteraktivistin Cécile Lecomte im Gedächtnis, die über die Kraft der gewaltfreien Aktion sprach. Persönliche Authentizität und ihr Mut waren die Merkmale, die zu beeindrucken wussten, inspirierten und aus einem Erfahrungsschatz heraus »Wissen schafften«.

Nach den zwei Tagen konnte mensch zumindest konstatieren, dass der politische Pazifismus noch keineswegs an seinem Ende angelangt ist. Auch wenn das Symposium engagiert versuchte, eine historische Inventur zu führen und aktuelle Handlungsfelder aufzuzeigen, so blieben die theoretischen Zugänge doch eher konventionell. Tatsächlich neue und innovative Impulse oder Zugänge bot das Symposium leider kaum. Für den nächsten Anlauf wäre mehr Mut wünschenswert, beispielsweise für post- und dekoloniale Ansätze, popkulturelle Zugänge oder auch die Frage, warum pazifistische Ideen in wissenschaftlichen Debatten eher unterrepräsentiert stehen, das heißt in welcher Form hier epistemische Gewalt wirkt. Das Symposium hat so auf mehrfache Weise gezeigt, dass Potenziale für (neue) Ideen zum politischen Pazifismus gewiss vorhanden sind.

Thomas Mickan

Der Pazifist Erasmus von Rotterdam

Der Pazifist Erasmus von Rotterdam

von Till Bastian

Pazifismus steht derzeit nicht hoch im Kurs – weder in Deutschland noch weltweit (siehe dazu W&F 1-2017). Dies ist um so bedauerlicher, als es gerade in Mitteleuropa eine Tradition des pazifistischen Argumentierens gibt, die seit 500 Jahren nicht abgerissen ist. Eröffnet wurde sie mit der Friedensschrift des Erasmus von Rotterdam aus dem Jahr 1517. Gerade im »Reformationsjahr 2017« ist dieses Traktat des Erinnerns wert und würdig – nicht zuletzt wegen der heftigen Auseinandersetzung des Erasmus mit Martin Luther, der sich zu der Frage von Krieg und Frieden auf recht fragwürdige Art und Weise geäußert hat.

Erasmus Desiderius, genannt Erasmus von Rotterdam, ist – so sein Biograph Stefan Zweig – „unter allen Schreibenden und Schaffenden des Abendlandes der erste bewusste Europäer, der erste streitbare Friedensfreund“ gewesen.1 Geboren wurde er in Rotterdam, vielleicht auch in Gouda, vermutlich im Jahre 1466 (aber auch das steht nicht zweifelsfrei fest) als Sohn der Arzttochter Margarete Rogers und eines Priesters, war also ein uneheliches Kind. Gestorben ist er 1536 in Basel.

Seine pazifistische Haltung wurde von ihm schon früh kundgetan: In sein erstes Buch, die anno 1500 in Paris erschienenen »Adagia« (eine ausführlich kommentierte Sammlung griechischer und römischer Sprichworte, zweite Auflage Venedig 1508) reihte er in die dritte Auflage von 1515 die Redensart „Dulce bellum inexpertis“ (frei übersetzt „Süß ist der Krieg nur für den, der ihn nicht kennt“ ) ein und schrieb dazu, im Krieg verhielten sich die Menschen schlimmer als die Tiere, die ja nur für Nahrung oder zur Verteidigung ihrer Jungen kämpften, während sich die Menschen von Ehrgeiz, Zorn, Lust oder anderen extremen Gefühlen zur Gewalttätigkeit verleiten ließen.

Erasmus hielt sich während der Arbeit an diesem Text noch in England auf, wurde aber von der Kriegsbereitschaft des jungen Königs Heinrich VIII., der im Sommer 1512 zu einem Feldzug nach Frankreich aufgebrochen war, zunehmend verstört. „Der Krieg, für den man hier rüstet, hat plötzlich den Geist dieser Insel verändert“, hatte er schon im Frühjahr 1514 in einem Brief an den Abt von Saint-Omer geschrieben. Im Sommer 1514 verließ er England, um nach Basel zu reisen; eine zweite Reise rheinaufwärts im Sommer 1515 schloss sich an. Wichtig war ihm vor allem der Kontakt mit dem Drucker Froben, bei dem im Februar 1516 seine lateinische Ausgabe des griechischen Neuen Testaments erschien – ein Foliant von über tausend Seiten, der in 1.200 Exemplaren gedruckt worden war.

Nur wenig später wurde der bereits erwähnte Abschnitt der »Adagia« von 1515 unter dem Titel »Der Krieg ist süß allein dem Unerfahrenen« als erster Text des Erasmus überhaupt von Ulrich Varnbühler, einem kaiserlichen Rat am Reichskammergericht (damals noch in Worms ansässig), ins Deutsche übersetzt (Basel: Cratander 1519; Straßburg: Schürer 1520). In diesen Jahren avancierte Erasmus zum meistgedruckten Autor in deutscher Sprache nach Martin Luther.

Die »Querela pacis« – Klage des Friedens

Bereits ein Jahr nach der Abfassung des Textes zu »Dulce bellum inexpertis« arbeitete Erasmus an seiner »Querela pacis« (Klage des Friedens), einer Auftragsarbeit für den burgundischen Kanzler Jean Le Sauvage (1455-1518). Anlass war ein für 1517 geplanter Friedenskongress in Cambrai, auf dem sich die Könige Maximilian I. (Heiliges Römisches Reich), Franz I. (Frankreich) und Heinrich VIII. (England) hätten miteinander versöhnen sollen; das Treffen kam allerdings nie zustande. Erasmus schickte am 5. Oktober 1517 ein handschriftliches Exemplar des Textes an den Bischof von Utrecht, Philipp von Burgund (1464-1524); gedruckt erschien das Werk im Dezember 1517, wiederum bei Johannes Froben in Basel; zwei deutsche Übersetzungen wurden 1521 veröffentlicht. Während er an der »Querela pacis« arbeitete, hielt sich Erasmus in Brabant auf, zunächst in Brüssel und Antwerpen, dann ab Juni 1517 in Löwen.

Auch in seiner »Querela pacis« betont Erasmus, dass Krieg der außermenschlichen Natur fremd, mithin Menschenwerk sei: „Der Eber stößt seine mörderischen Zähne nicht in einen Eber, der Luchs hat Frieden mit dem Luchs, die Schlange versehrt nicht die Schlangen, die Eintracht der Wölfe ist sogar sprichwörtlich.“ 2 Und weiter: „Die Tiere setzen auch nur zum Kampf an, wenn sie durch Hunger oder durch Sorge um die Jungen in Erregung geraten. Welches Unrecht ist dagegen den Christen zu gering, um nicht als geeignete Kriegsgelegenheit betrachtet zu werden?“ 3 An diese allgemeinen Betrachtungen schließt sich eine scharfe Kritik der damals herrschenden Zustände an: „Falls man sich nun früherer Kriege nicht erinnert, vergegenwärtige sich, wer will, die im Zeitraum der letzten zwölf Jahre geführten Kriege, möge er die Ursachen prüfen, er würde erfahren, daß alle um der Fürsten willen unternommen und mit großem Unheil für das Volk geführt wurden, obwohl sie das Volk gewiß nicht das geringste angingen.“ 4

Freilich kritisiert Erasmus ebenso scharf wie die Fürstenwillkür auch den zu seiner Zeit bereits aufkommenden Nationalismus (im Kölner Reichstagsabschied von 1512 war erstmals die Redewendung vom »Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation« benutzt worden): „Um dem Haß Nahrung zu geben, werden die Namen der Gebiete missbraucht. Und die einflussreichen Größen nähren diesen Irrtum des dummen Volkes, und auch einige Priester nähren ihn, um des eigenen Vorteils willen. Der Engländer ist dem Franzosen feind, aus keinem anderen Grund, als weil er Franzose ist. Dem Schotten zürnt der Brite aus keiner anderen Ursache, als daß er ein Schotte ist. Der Deutsche ist mit dem Franzosen zerfallen, der Spanier mit den beiden. O Verrücktheit, bringt der bloße Name eines Ortes auseinander, warum mögen nicht eher so viele verbinden? Du willst als Brite dem Franzosen übel. Warum willst Du als Mensch nicht lieber dem Menschen wohl? Als Christ dem Christen? Warum kann eine unbedeutende Sache bei diesen da mehr bewirken als so viele Knüpfungen der Natur?“ 5

In diesen Sätzen klingt das Weltbürgertum des Erasmus an, das dieser fünf Jahre nach der Niederschrift der »Querela pacis« ausdrücklich beim Namen nannte. Denn im Jahre 1522 bot der Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) dem damals in Basel lebenden Erasmus als dem berühmtesten Gelehrten seiner Zeit das Bürgerrecht der Stadt Zürich an, wo Zwingli als Geistlicher am Großmünster soeben eine Kirchenreformation eingeleitet hatte. Erasmus lehnte dieses Angebot in einem Brief an Zwingli ab, in dem er unter anderem schrieb: „Ich danke dir sehr für deine Zuneigung und die deiner Stadt. Ich wünsche, ein Bürger der Welt zu sein, allen gemeinsam, oder besser, für alle ein Fremder.“ 6

Der berühmteste Satz aus der »Querla pacis« des Erasmus ist aber wohl dieser: „Kaum kann je ein Friede so ungerecht sein, dass er nicht besser wäre als selbst der gerechteste Krieg.“ 7

Die Mahnrede des Erasmus – heute so aktuell wie eh und je – hat das bis 1945 andauernde Blutvergießen in Europa nicht zu verhindern vermocht, aber sie verhallte auch nicht ungehört. Schon 1518 erschien in Basel die zweite Auflage; es folgten Publikationen unter anderen in Krakau (1518), Venedig (1518), Florenz (1519), Straßburg (1522), Paris (1525). In den folgenden 150 Jahren wurde die »Querela pacis« in 35 Ausgaben in lateinischer Sprache veröffentlicht.8 Die beiden deutschen Übersetzungen von 1521 wurden schon erwähnt. 1520 erschien die erste Übersetzung ins Spanische, 1559 ins Englische, 1567 ins Niederländische. Dass Erasmus sich auf gefährliches Terrain gewagt hatte, zeigte sich in Frankreich: Lous de Berquin (um 1485-1529), der frühere Sekretär des Königs Franz I., hatte den Text ins Französische übertragen und wurde 1529 in Paris als rückfälliger Ketzer und Parteigänger Luthers öffentlich verbrannt; schon 1525 war sein Manuskript der Erasmus-Übersetzung auf Geheiß der theologischen Fakultät der Sorbonne den Flammen übergeben worden.

Jedenfalls wurde Erasmus mit seiner Friedensschrift zum Geburtshelfer einer pazifistischen Literaturtradition,9 die seit 1517 aus der europäischen Geistesgeschichte nicht mehr zu vertreiben war.10

Ein Jahr nach der »Querela pacis« lancierte Erasmus die anonyme Schrift »Dialogus, Julius exclusus e coelis« (Dialog, Der aus dem Himmel ausgeschlossene Julius), die 1518 gedruckt bei Dirk Martens in Löwen erschien (die erste deutsche Übersetzung wurde 1521 veröffentlicht).11 Den Papst Julius II. hatte Erasmus bei seinem Aufenthalt in Italien erlebt, als der »Kriegerpapst« am 11. November 1508 in vollem Harnisch mit seinen Truppen in Bologna eingezogen war. Im genannten Dialog will Petrus den Papst, der mit einem Schwert bewaffnet ist, nicht ins Himmelreich einlassen. Nach einem längeren Zwiegespräch fragt Julius: „Du schließt mir also nicht auf?“ Petrus antwortet: „Jedem Beliebigen eher als solch einer Pestgestalt. Denn wir sind ja alle von dir exkommuniziert. Aber willst du einen guten Rat? Du hast eine Schar tüchtiger Männer, du hast unermessliche Geldmittel, du selbst bist ein guter Bauherr. Errichte dir ein neues Paradies, aber befestige es gut, damit es nicht von den Dämonen erobert werden kann.12

Erasmus’ Pazifismus und das »Reformationsjahr 2017«

Trotz aller Kritik am Kriegspapst Julius, der 1513 gestorben war – zur Reformation hatte Erasmus ein zwiespältiges Verhältnis: Zwar teilte er die Kirchenkritik Luthers und anderer Reformatoren durchaus und nahm den Wittenberger mehrfach in Schutz (aus alledem erwuchs später die Redensart, Erasmus habe das Ei ausgebrütet, aus dem Luther geschlüpft sei),13 aber Luthers cholerisches Wesen, das er für Aufrührertum hielt, stieß ihn ab. Hier ist wohl seinem Biographen Willehad Paul Eckert zuzustimmen, wenn dieser schreibt: „Die von beiden Parteien in gleicher Weise geübte Intoleranz, die Verfolgung der Andersgläubigen mit Geldstrafen, Gefängnis und Hinrichtungen mißbilligt der Rotterdamer; nach seiner Überzeugung mußte sich die Zugehörigkeit zur unbekannten Kirche keineswegs mit der Zugehörigkeit zur sichtbaren, institutionellen Kirche decken. Auch Menschen, die außerhalb der Institution stehen, können zur unsichtbaren Kirche gehören, Ketzer und fromme Heiden.“ 14

Es wäre schade, wenn im »Reformationsjahr 2017«, das aus naheliegenden Gründen sehr stark auf Martin Luther und seinen »Thesenanschlag« (ebenfalls Oktober 1517) fokussiert, der pazifistische Beitrag des Erasmus zur europäischen Geschichte in den Hintergrund gedrängt würde. Dies insbesondere deshalb, weil Erasmus in der Frage von Krieg und Frieden sehr viel eindeutiger gewesen ist als der in dieser Hinsicht recht ambivalente Luther – man denke nur an dessen Schrift zur Bauernerhebung, »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«, darin unter anderem der Satz: „So wunderliche Zeiten sind jetzt, daß sich ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser als andere mit Beten […]“. Von ähnlicher Gewaltbereitschaft zeugt auch Luthers Empfehlung an den christlichen Söldner: „Willst du darauf den Glauben und ein »Vaterunser« sprechen, magst du es tun und lasse damit genug sein. Und befiehl damit Leib und Seele in Seine Hände und zeuch dann vom Leder und schlage drein in Gottes Namen.“ (»Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können«, 1526) Wie Brigitte Hannemann angemerkt hat, ist ein größerer Kontrast kaum denkbar als der zwischen diesen Luther-Sätzen und des Erasmus’ „eindringlicher Auseinandersetzung mit dem Vaterunser-betenden Soldaten“.15

Hierüber mögen sich Leserin und Leser ihr jeweils ganz persönliches Urteil bilden. Sicher ist jedenfalls, dass es sich – auch, ja, gerade im »Reformationsjahr 2017« – durchaus lohnt, sich der von Erasmus von Rotterdam begründeten pazifistischen Tradition zu erinnern und ebenso seiner so erstaunlich aktuellen, ein halbes Jahrtausend alten Friedensschrift aus dem Jahr 1517.

Anmerkungen

1) Zweig, S. (1935/2016): Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam. Köln: Anaconda, S. 9.

2) Die »Querela pacis« wird zitiert nach Hannemann, B. (Hrsg. und Übersetzerin) (1985): Erasmus von Rotterdam – die Klage des Friedens. München und Zürich: Piper, hier S. 50. Die Herausgeberin hat dem Text des Erasmus ein sehr lesenswertes Vorwort vorangestellt. Der Band wurde 2017 bei Diogenes (Zürich) neu aufgelegt, die Neuauflage lag dem Autor bei Drucklegung allerdings noch nicht vor.

3) Ibid., S. 73.

4) Ibid.

5) Ibid., S. 87

6) Zitiert nach Ribhegge, W. (2010): Erasmus von Rotterdam. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 121 f.
Zum Thema Erasmus von Rotterdam und Weltbürgertum siehe auch den Essay des Verfassers (2017): Das Erbe des Erasmus – Von der Ächtung des Krieges und der Hoffnung auf Weltbürgertum. Isny. Zu beziehen über ­t.bastian@wollmarshoehe.de.

7) Hannemann, op.cit., S. 80.

8) Die Angaben nach Hannemann, op.cit.

9) Zur Rezeption der »Querla pacis« während des Dreißigjährigen Krieges siehe Schwarz, A.-L.: „Des armen Manns sehnliche Klag“ – Friendensvisionen im Dreißigjährigen Krieg. W&F 1-2017.

10) Für das Studium dieses Traditionsstranges verdanke ich viel dem Buch von Kurt v. Raumer (1953): Ewiger Friede – Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. München: Alber. Die Freude an der Lektüre des verdienstvollen Werkes wird allerdings geschmälert, wenn man berücksichtigt, dass der Verfasser 1933 bis 1945 überzeugter Nationalsozialist war, was man – bei genauerem Hinsehen – seinem Text zwischen den Zeilen, bisweilen aber auch in den Zeilen durchaus anmerkt.

11) Der Text zirkulierte wohl schon vorher in europäischen Humanistenkreisen, denn im März 1517 schrieb Erasmus in einem Brief an Thomas Morus in London: „Jener Dialog über Julius und Petrus befindet sich, soviel ich weiß, bereits in den Händen des Kanzlers [Jean le Sauvage, T.B.]. Er gefällt ihm sehr.“ Zitiert nach Ribhegge, W. (2010): Erasmus von Rotterdam. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 94.

12) Ribhegge, op.cit., S. 95

13) Zuerst wohl geäußert von Hieronymus Aleander (1480-1542) in dessen Bericht vom Wormser Reichtag 1521.

14) Eckert, W.P. (1983): Erasmus von Rotterdam. In: Humanismus, Renaissance und Reformation. Forscher und Philosophen. Exempla historica – Epochen der Weltgeschichte in Biographien, Band 23. Frankfurt a.M.: Fischer, S. 60.

15) Hannemann, op.cit., S. 28.

Dr. Till Bastian, Arzt und Friedensforscher, ist langjähriges Vorstandsmitglied der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW). Er arbeitet an einer Fachklinik in der Nähe von Ravensburg.

Eine kleine Chronik des Pazifismus

Eine kleine Chronik des Pazifismus

von Corinna Hauswedell und Jürgen Nieth

Gedanken des Pazifismus finden wir in fast allen Religionen und in den philosophischen Denktraditionen seit der Antike. Zahlreiche Werke belegen eine kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg und das Streben nach Alternativen zum militärischen Umgang mit Konflikten. Cicero (106-43 vor unserer Zeitrechnung) beispielsweise wird das Zitat zugeschrieben: „Der ungerechteste Friede ist immer noch besser als der gerechteste Krieg.“

Die ersten organisatorischen Zusammenschlüsse, die einen Dienst mit der Waffe ablehnten, hatten eine religiöse Basis. Sie bildeten sich innerhalb der Orden der Franziskaner und Waldenser im 12. Jhd., der Hussiten (15. Jhd.), der Hutterer und Mennoniten (16. Jhd.). Um 1650 entstanden in England die Quäker, die als Religionsgemeinschaft geschlossen den Kriegsdienst ablehnen und bis heute in den Friedensbewegungen vieler Länder aktiv sind.

Die folgende Chronologie pazifistischer Akteure, Bewegungen und Diskurse ist notwendig selektiv und unvollständig und legt einen Schwerpunkt auf den deutschen Kontext.

1795 Immanuel Kant verfasst die Abhandlung »Zum ewigen Frieden«, in der er u.a. die Entwicklung eines vertraglich abgesicherten universellen Völkerrechts vorschlägt.

1815 Nach der Niederlage Napoleons bilden sich die ersten Friedensgesellschaften: 1815 die »Massachusetts Peace Society«, 1816 die europäische Friedensgesellschaft »London Peace Society«, 1821 die »Sociéte de la Morale Chrétienne« in Frankreich, 1828 die »American Peace Society«, 1830 die »Société de la Paix« in Genf, 1841 das »Comité de la Paix« in Frankreich.

1843 Erster Internationaler Friedenskongress in London. Es folgen internationale Kongresse in Brüssel 1848, Paris 1849, Frankfurt 1850, Manchester 1852 und Edinburgh 1853.

1845 Der Franzose J.B. Richard de Radonvillers setzt sich für die Etablierung des Wortes »Pazifismus« ein, für ein „System der Befriedung, des Friedens; alles, was den Frieden zu stiften und zu bewahren bestrebt ist“. Vorherrschend bleibt zunächst jedoch die Verwendung von Begriffen wie »Friedensfreunde« oder »Friedensbewegung«.

1850 Gründung der »Königsberger Friedensgesellschaft«, die aber bereits 1851 verboten wird.

1886 Gründung eines Friedensvereins in Frankfurt/Main. Es folgen schnell weitere in anderen deutschen Städten.

1889 Mit einem Weltfriedenskongress in Paris wird die 1853 unterbrochene Tradition internationaler Friedenskongresse wieder aufgenommen.

1892 Gründung der »Deutschen Friedensgesellschaft« (DFG).

1897 Bertha von Suttner begründet mit ihrem Antikriegsroman »Die Waffen nieder« den deutschen bürgerlichen Pazifismus.
Im gleichen Jahr Weltfriedenskongress in Hamburg.

1899 und 1907 Haager Friedenskonferenzen mit dem Ziel internationaler Abrüstung und nichtmilitärischer Regelung internationaler Konflikte.

1901 Henri Dunant (Gründer des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes) und Frédéric Passy (Gründer der »Société française pour l'arbitrage entre nations«) erhalten den ersten Friedensnobelpreis.

1901 Der französische Präsident der »Ligue internationale de la Paix et de la Liberté«, Emile Arnaud, setzt sich für den Begriff »Pazifist« ein, da er aussagestärker als »Friedensfreund« sei: „Wir sind nicht nur friedlich, wir sind nicht nur friedfertig, wir sind nicht nur friedensstiftend. Wir sind alles zusammen und noch mehr: Wir sind, in einem Wort, Pazifisten.“
Im gleichen Jahr plädiert auch der Vorsitzende der »Deutschen Friedensgesellschaft«, Alfred Hermann Fried, in Abstimmung mit Bertha von Suttner dafür, den Begriff »Friedensfreund« durch »Pazifist« zu ersetzen, um sich von „anderen platonischen Freunden des Friedens“ zu unterscheiden.

1905 Bertha von Suttner erhält als erste Frau den Friedensnobelpreis.

1907 Der Kongress der II. Internationale (mit Delegierten aus 23 Ländern) beschließt in Stuttgart eine Resolution, die die Arbeiter aller Länder aufruft, mit allen Mitteln gegen Militarismus und Kriegsgefahr zu kämpfen. Pazifistische Konzepte erreichen die Arbeiter- und sozialistische Bewegung.

1908 A.H. Fried propagiert einen »wissenschaftlichen Pazifismus« (vielfach auch »revolutionärer Pazifismus« genannt), um stärker die Ursachen der Gewalt (Kriege) ins Visier zu nehmen. Er kritisiert damit auch die Position Bertha von Suttners, die zu stark auf Gefühl und Moral setze.

1910 Der Kongress der II. Internationale in Kopenhagen bekräftigt die Beschlüsse des Stuttgarter Kongresses von 1907 gegen Militarismus und Kriegsgefahr und ruft alle sozialdemokratischen Parteien auf, sich für eine allgemeine Abrüstung und obligatorische Schiedsgerichte zur Lösung internationaler Konflikte einzusetzen.

1910 Mahatma Gandhi wird zum politischen Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Der von ihm propagierte gewaltfreie Widerstand, verbunden mit Aktionen des zivilen Ungehorsams und Hungerstreiks, führt 1947 zur Unabhängigkeit Indiens.

1913 Ein Außerordentlicher Kongress der II. Internationale bestätigt in Basel die Antikriegspositionen der beiden vorhergegangen Kongresse und ruft die Sozialisten aller Länder auf, „der kapitalistischen Welt der Ausbeutung und des Massenmordes die proletarische Welt des Friedens und der Verbrüderung der Völker“ entgegenzustellen.

1914 Auf dem Deutschen Friedenskongress setzt sich Ludwig Quidde für eine Verbindung der Positionen des »wissenschaftlichen Pazifismus« mit denen des »moralischen Pazifismus« ein.
Nach der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich verlässt die deutsche Sozialdemokratie die Antkriegsposition der früheren internationalen Kongresse und stimmt am 4. August den Kriegskrediten zu. Bei einer zweiten Abstimmung im November beugt sich Karl Liebknecht nicht mehr der Parteidisziplin und stimmt als einziger Abgeordneter dagegen.

1918 Rechtsextreme Kräfte werfen den Pazifisten nach dem Ersten Weltkrieg Landesverrat vor. Kurt Eisner (1919), Hans Paasche (1920), Alexander Futran (1920) u.a. werden ermordet, einige entgehen nur knapp Attentaten.

1920 Kurt Hiller gründet die Gruppe »Revolutionärer Pazifisten«, der auch Kurt Tucholsky beitritt.

1922 Zusammenschluss von 13 deutschen Friedensorganisationen zum »Deutschen Friedenskartell«, das 1928 rund 100.000 Mitglieder repräsentiert.

1927 Ludwig Quidde erhält zusammen mit Ferdinand Buisson, Mitbegründer der Französischen Liga für Menschenrechte, den Friedensnobelpreis.

1933 Die DFG wird bereits im Februar verboten und die Pazifisten gehören im Dritten Reich neben Kommunisten und Sozialdemokraten zur Gruppe der politisch Verfolgten. Viele von ihnen – wie Carl von Ossietzky, Kurt Hiller, Paul von Schoenaich und Gerhard Seger – werden inhaftiert. Andere, wie Albert Einstein, Kurt Tucholsky, Ludwig Quidde, Helene Stöcker, können sich der Verfolgung nur durch Exil entziehen.

1935 Kurt Tucholsky fordert aus dem schwedischen Exil eine entschlossenere Haltung der Westmächte gegenüber dem deutschen Faschismus: „Boykott. Blockade. Innere Einmischung in diese Barbarei, ohne Krieg zu führen.?
Der Friedensnobelpreis wird an Carl von Ossietzky verliehen.

1939-45 Der Zweite Weltkrieg zerstört alle Hoffnungen auf friedliche Konfliktbeilegung; die Niederlage Nazi-­Deutschlands und der Achsenmächte ­öffnet den Weg zur Gründung der Vereinten Nationen. Die Charta der Vereinten Nationen setzt erstmals die Sicherung des Weltfriedens als ein anerkanntes Völkerrechtssubjekt auf die Agenda.

1945 Der Atombombeneinsatz der US-Führung auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki wird zum Fanal für den Beginn der Anti-Atombewegung (Atompazifismus) und eröffnet zugleich eine neue Front: den Ost-West-Konflikt in Gestalt des Kalten Krieges.

1947 Gründung der »Internationale der Kriegsdienstgegner« (IdK) als deutschen Zweig der »War Resisters' International« (1921). Die antimilitaristische Organisation fusionierte 1968 mit der »Deutschen Friedensgesellschaft« zur DFG-IdK und diese 1974 mit dem »Verband der Kriegsdienstverweigerer« (VK) zur DFG-VK.

1952 Willi Agatz, Manfred von Brauchitsch, Wilhelm Elfes, Edith Menge u.a. gründen einen Ausschuss für die Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland. Die Initiative wird von der Bundesregierung verboten.

1956 Parallel zur Bildung der Bundeswehr und zur Einführung der Wehrpflicht entsteht die »Ohne-mich«-Bewegung, getragen vor allem von den Kriegsdienstverweigern. Im gleichen Jahr setzt Zukunftsforscher Robert Jungk mit seinem Werk »Heller als Tausend Sonnen – Das Schicksal der Atomforscher« ein Signal für die Friedensverantwortung der Wissenschaftler.

1957 Die »Göttinger 18«, eine Gruppe Atomforscher aus der BRD – unter ihnen Carl Friedrich von Weizsäcker und die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn und Werner Heisenberg –, wenden sich in einem Appell gegen die beabsichtigte Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen (Kontroverse um zivile vs. militärische Nutzung). Es folgen erste größere Aktionen im Rahmen der Bewegung »Kampf dem Atomtod«.

1955 Russell-Einstein-Manifest gegen die Folgen der Nuklearrüstung; Grundstein für die Pugwash-Konferenzen.

1958 Erster Ostermarsch der britischen »Campaign for Nuclear Disarmament« (CND) von London zum Atomforschungszentrum Aldermaston.

1960 Angelehnt an das britische Vorbild findet in der BRD der erste Ostermarsch gegen die atomare Bedrohung statt. In den Folgejahren kommen als Themen der Kampf gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze dazu. Die Tradition der deutschen Ostermärsche wird 1969 unterbrochen; im Zuge der Entspannungspolitik unter Willy Brandt kommt es Ende der 1970er Jahre zu einer Wiederbelebung mit vielfältigen weiteren Aktionen, die sich gegen ein erneutes Wettrüsten im Kalten Krieg wenden (u.a. gegen die Neutronenbombe und den »NATO-Doppelbeschluss« von 1979).

1980 Verabschiedung des »Krefelder Appell« gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa. Zu den Initiatoren zählen Martin Niemöller, Helmut Ridder, Gösta von Uexküll, Petra Kelly und Gert Bastian (bis 1983 über sechs Millionen Unterschriften).1980-1983 – Die Atomrüstung und die Abschreckungslogik des Kalten Krieges dominieren die außen- und innenpolitische Debatte; Westeuropa und USA erleben die breiteste Friedensbewegung mit Großdemonstrationen in Bonn, Amsterdam, New York u.a. (Teilnehmerzahlen zwischen 300.000 und eine Million). Es entstehen neue Protestformen des Zivilen Ungehorsams (Menschenketten, Blockaden, Sitzstreiks); pazifistische Positionen auch in Gestalt eines (internationalen) friedenswissenschaftlichen »Gegenexpertentums« (Pugwash, Naturwissenschaftler-, Mediziner-, Juristen-, Pädagogen- und andere Initiativen) werden gesellschaftlich relevant und politisch zeitweise mehrheitsfähig.
Die sozialliberale Bundesregierung scheitert an der Raketenfrage, die Grünen ziehen in den Bundestag ein, die neue Kohl-Genscher-Regierung setzt im Herbst 1983 die Raketenstationierung gegen die öffentliche Meinung durch.

1985 Die »Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW) erhalten den Friedensnobelpreis.

1987-90 Mit der Unterzeichnung des Mittelstreckenvertrages (INF) im Dezember 1987 wird, durch weitreichende Zugeständnisse des sowjetischen Generalsekretärs Michael Gorbatschow vorbereitet, eine wichtige Forderung der Friedensbewegung späte Realität und ein Ende der Blockkonfrontation eingeleitet; die Charta von Paris (1990) besiegelt eine Ära der Hochrüstung und zugleich eines rational neu begründeten Pazifismus.

Seit den 1990er Jahren mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, besonders seit dem Kosovokrieg 1999 und dem Völkermord in Ruanda 1994, sind Fragen des Menschenrechtsschutzes und der Legitimität des Einsatzes militärischer Gewalt zu einer neuen Herausforderung internationaler Politik geworden.

Mit dem Erstarken des transnationalen Terrorismus und dem »war on ­terror«, wie er seit 2001 unter US-Führung etabliert wurde, erleben wir sowohl eine Erosion des Völkerrechts als auch Versuche einer neuen Normensetzung (u.a. durch die »Responsibility to Protect/Schutzverantwortung«). Im Gefolge so genannter »neuer Kriege« nach dem Kalten Krieg wurden aber auch neue Erfahrungen mit Friedensschlüssen gemacht.

Pazifistinnen und Pazifisten sind gefragt, in diese Kontexte kreative Impulse einer zivilen Streit(beilegungs)­kultur einzubringen.

Zusammengestellt von Corinna Hauswedell und Jürgen Nieth

Pazifismus und Völkerrecht

Pazifismus und Völkerrecht

von Norman Paech

Pazifismus als Grundhaltung ist vielfältig und nicht auf einen einzigen Nenner zu bringen. Außerdem ist er keineswegs auf Individuen beschränkt; sondern manifestiert sich auch in Verfassungsdokumenten, wie dem deutschen Grundgesetz, und in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen. Wie sich der völkerrechtliche Pazifismus entwickelt hat, wodurch er heute bedroht ist und wie er sich speziell in Deutschland manifestiert – oder eben auch nicht mehr –, zeigt der Autor im Folgenden auf.

Ein Bekenntnis zum Pazifismus ist in diesen Zeiten ständiger Kriege und unverhüllter Kriegsdrohungen, in denen selbst Bundespräsident Gauck noch in seiner »Rede zum Ende der Amtszeit« eine demokratische Verantwortung der Bürger*innen mit der Bereitschaft zum militärischen Engagement einfordert, ein schwieriges und ziemlich unmodernes Bekenntnis.

Unklar ist zudem, welche Haltung den Namen »Pazifismus« zu Recht trägt. Drei Beispiele mögen das beleuchten:

  • In der Partei DIE LINKE, die einzige im Bundestag, die kompromisslos jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr ablehnt, gab es unlängst eine kontroverse Diskussion, ob den syrischen Kurden in ihrem Abwehrkampf gegen die Angriffe des Daesh (IS – Islamischer Staat) auf die Stadt Kobane Waffen zur Verteidigung geliefert werden sollten. Die Waffenlieferung der Bundesregierung an die Kurden im Norden des Irak hatte sie abgelehnt. Die Verteidigung der Stadt Kobane im Norden Syriens, die von keinem Staat der irakischen Anti-IS-Koalition unterstützt und von der Türkei sogar blockiert wurde, setzte jedoch in der LINKEN eine Debatte in Gang, ob die militärische Unterstützung eines Verteidigungskampfes – völkerrechtlich legitimiert als kollektive Verteidigung im Sinne des Art. 51 UN-Charta – nicht auch politisch legitim sei. Die Mehrheit lehnte dies ab. Ein Beispiel für radikalen Pazifismus?
  • Derzeit läuft in deutschen Kinos der Film »Hacksaw Ridge« von Mel Gibson. In ihm wird der historisch überlieferte Fall des Soldaten Desmond T. Doss geschildert, der sich während des Zweiten Weltkriegs an die Front meldete, jedoch den Dienst an der Waffe verweigerte. Er rettete bei der Schlacht um Okinawa das Leben von ungefähr 75 seiner Kameraden und wurde später mit der »Medal of Honor« ausgezeichnet. Ist das der wahre, verantwortungsvolle Pazifismus?
  • 2015 wurde in Hamburg das schon lange geforderte Denkmal für Deserteure errichtet. Es steht zwischen dem so genannten Kriegsklotz, dem1936 errichteten Denkmal für das 76. Infanterieregiment, und dem vom österreichischen Bildhauer Hrdlicka entworfenen Anti­kriegsdenkmal. Dieses konnte dort jedoch nur unvollendet aufgestellt werden, da der Hamburger Senat nicht bereit war, Mehrkosten für die Vollendung des Denkmals zu zahlen. Ein Deserteursdenkmal zwischen einem Kriegsdenkmal und seinem Gegendenkmal, ein Zeichen landespolitischen Pazifismus?

Es gibt eine Vielfalt unterschiedlicher pazifistischer Bewegungen. Schaut man sich in der Literatur um, so findet man den religiösen Pazifismus, den bürgerlichen, wissenschaftlichen, politischen, organisatorischen, radikalen, revolutionären, anarchistischen und Nuklear-Pazifismus, wobei damit die Nuancierungen der einzelnen pazifistischen Haltungen nicht vollständig erfasst sind.1 Für jede dieser Richtungen gibt es eine spezifische historische Epoche, je eigene Motive und Begründungen sowie besonders hervortretende Persönlichkeiten.

Wurzeln und Ausprägungen des (deutschen) Pazifismus

Die historischen Wurzeln des Pazifismus reichen bis in die frühe Neuzeit, bis zu Erasmus von Rotterdam mit seinem Buch »Querela pacis« (Die Klage des Friedens, 1517) und den für König Heinrich IV. von seinem Finanzminister, dem Herzog de Sully, entworfenen »Geheimplan für einen dauerhaften Frieden« (1638)2 zurück. Aber erst mit der Schrift »Zum ewigen Frieden« von Immanuel Kant (1795)3 bekam eine bestimmte Strömung, die als Rechtspazifismus bezeichnet wird, gleichsam ihre Geburtsurkunde. Kant ging vom Krieg als dem Naturzustand der Menschheit aus. Der Frieden müsse gestiftet werden, und zwar mit den Mitteln eines vertraglich garantierten universellen Völkerrechts. Voraussetzung und Bedingung dafür sei allerdings eine republikanische Staatsverfassung. Friedrich Schlegel sollte das in der Formel zuspitzen: „Der universelle und vollkommene Republikanismus und der ewige Friede sind unzertrennliche Wechselbegriffe.“4 Und auch Friedrich von Gentz, der Berater Metternichs, betonte in seiner Schrift »Über den ewigen Frieden« die juristische Perspektive des Friedens. Sie liege in der internationalen Rechtsordnung eines „freien Bundes der Völker“ mit der Garantie für die Menschenrechte aller Andersdenkenden.

Der Rechtspazifismus bekam eine starke Basis im bürgerlichen Pazifismus, für den Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried stehen. Die bürgerlichen Pazifist*innen propagierten die Friedenskonferenzen, ob 1897 in Hamburg, 1899 in Paris und Den Haag oder die Folgekonferenz 1907. Die Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft 1892 und die Herausgabe der noch heute existierenden Zeitschrift »Friedenswarte« bildeten für den bürgerlichen Pazifismus neben den Friedenskonferenzen den Kern seiner Friedensaktivitäten. Sie reichten bis in die Universitäten, wo Walter Schücking und Hans Wehberg die aktivsten Vertreter des Pazifismus in der Völkerrechtslehre waren. Sie forderten und begrüßten den Eintritt Deutschlands 1926 in den Völkerbund ebenso wie die Unterschrift unter den Briand-Kellogg-Pakt 1928, in dem die damals militärisch stärksten Mächte „feierlich im Namen ihrer Völker“ erklärten, „dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten“.

Der Rechtspazifismus ist ein »relativer«, ein »pragmatischer« Pazifismus, der die Existenz und Legitimation bestimmter Kriegsformen anerkennt. So wird der Verteidigungskrieg als berechtigte Gegenwehr gegen einen Angriff ebenso akzeptiert wie die nationalen Befreiungskriege gegen koloniale Unterdrückung. Erinnern wir uns daran, dass der Pazifist Einstein 1939 den US-amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt aufforderte, den Bau der Atombombe gegen die Aufrüstung und Kriegspläne der deutschen Nazi-Regierung zu forcieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki lebten die verschiedenen Positionen des Pazifismus wieder auf. Eine allgemeine »Nie wieder Krieg«-Stimmung artikulierte sich nicht nur in der »Ohne mich«-Bewegung und über sechs Millionen Stimmen gegen die Wiederbewaffnung. Es gründeten sich friedensorientierte Organisationen, wie die DFG (1946), neu; die Ostermärsche, die in England begonnen hatten, wurden seit 1960 auch in der BRD sehr populär. Vor allem fand das Friedensgebot in einzelnen Landesverfassungen, der Verfassung der DDR und im Grundgesetz Eingang, wenn auch in sehr unterschiedlicher Form. Artikel 26 GG verbietet die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Art. 25 GG verfügt den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor den Bundesgesetzen, d.h. diese „erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“. Und schließlich kann sich der Bund „zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“ (Art. 24 GG). Das war 1949 als Staat ohne Armee direkt auf die erstrebte Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen hin formuliert. Dass das Bundesverfassungsgericht fast 50 Jahre später auch die allmählich zum Interventionsbündnis gewandelte NATO als ein System kollektiver Sicherheit einordnete, gehört zu dem eher traurigen Kapitel justizieller Abschmelzung und Eindämmung der pazifistischen Grundhaltung der deutschen Bevölkerung. Doch dazu später. Das 1968 in Artikel 12a GG verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung hingegen ist nach dem Scheitern des Widerstandes gegen die Wiederbewaffnung ein Zeichen dafür, dass die Pazifisten sich durch diese Niederlage nicht haben entmutigen lassen.

Und damit zum zweiten Teil meines Themas, zum Völkerrecht.

UN-Charta: Völkerrecht zur Wahrung des Friedens

Als Roosevelt und Winston Churchill sich bereits 1941 gemeinsam Gedanken machten über die Neugestaltung einer Nachkriegsordnung, wurde alsbald klar, dass diese trotz des Scheiterns des Völkerbundes eine ähnliche Organisation erforderte, um die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit zu garantieren. Nur wollte man die erkennbaren Fehler und Defizite des Völkerbundes vermeiden. So unterzeichneten bereits am 1. Januar 1942 26 Staaten die Atlantik-Charta, in der die Prinzipien für die Vereinten Nationen nach dem Sieg über den deutschen Faschismus vorformuliert waren. Sie bildete die Blaupause für die Charta der Vereinten Nationen, die drei Jahre später in San Francisco von 50 Staaten verabschiedet wurde. Ihr oberstes Ziel, dem alles nachgeordnet wurde: die Wahrung des künftigen Friedens.

Der Friedensstrategie der UN-Charta liegt als Konzeption der »Rechtspazifismus« zugrunde, ein relativer Pazifismus in der Tradition der großen Friedenskonferenzen und Konventionen des humanitären Völkerrechts. Bereits in Artikel 1 wird dies in der Zielsetzung der Organisation deutlich: „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen“.

Mit dem Briand-Kellogg-Pakt war schon 1928 versucht worden, den Krieg in den internationalen Beziehungen zu bannen. Vergeblich, wie am deutlichsten der Zweite Weltkrieg bewies. Das ließ die Gründungsmächte der Vereinten Nationen jedoch nicht resignieren und auf das Verbot im neuen Vertrag verzichten. Im Gegenteil, sie verschärften das Kriegsverbot zu einem allgemeinen Gewaltverbot, welches auch bereits die Androhung der Gewalt – heute weitgehend vergessen – mit umfasst (Art. 2(4) UN-Charta). Der Pragmatismus dieses »UNO-Pazifismus« liegt nicht so sehr darin, dass die UN-Charta den Staaten, die mit militärischen Mitteln angegriffen werden, erlaubt, sich mit gleichen Waffen zu verteidigen (Art. 51 UN-Charta). Der Pragmatismus liegt vielmehr in dem Eingeständnis, dass immer dann, wenn der Frieden bedroht oder bereits gebrochen ist und eine Angriffshandlung vorliegt (Art. 39 UN-Charta), Gewalt notwendig sein kann, um den Frieden zu wahren oder wiederherzustellen (Art. 42 UN-Charta). Allerdings wird die Entscheidung über den Einsatz der »Zwangsmaßnahmen« (Art. 42 UN-Charta) allein dem UN-Sicherheitsrat vorbehalten. Die zusätzliche Absicht, die Zwangsmaßnahmen auch mit Streitkräften durchführen zu können, die zwar von den Staaten zur Verfügung gestellt werden, aber unter dem Oberkommando des UN-Sicherheitsrats stehen (Art. 43 UN-Charta), konnte nie realisiert werden. Kein Staat fand sich bereit, seine Truppen zu diesem Zweck einem fremden Oberkommando zu unterstellen.

Die Grenzen für den Einsatz von Militär waren trotz dieser zwei Ausnahmen so eng gesetzt worden wie nie zuvor. Praktisch erlaubte das Völkerrecht den Staaten nach 1945 den Einsatz ihrer eigenen Streitkräfte ohne Erlaubnis der Vereinten Nationen nur zur Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff (Art. 51 UN-Charta). Doch die desillusionierende Geschichte der Kriege seither, vom Vietnamkrieg bis zum Krieg in Syrien, bietet nicht nur ein trauriges Bild von unermesslicher Zerstörung und Leiden, sondern auch der langsamen Erosion des Völkerrechts durch seine ständige Verletzung. Da die militärischen Interventionen und Kriege nicht als Verteidigungsmaßnahmen legitimiert und in den seltensten Fällen durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats gedeckt werden konnten, versuchten die Staaten und die ihnen dienstbaren Völkerrechtler, neue Doktrinen zu entwickeln, die ihre Kriege auch außerhalb der UN-Charta legitimierten.

Figuren zur Rechtfertigung des Krieges entgegen der UN-Charta

Erstmals 1999 wurde insbesondere von der deutschen Bundesregierung die »humanitäre Intervention« zur Rechtfertigung der Bombardierung Jugoslawiens durch die Streitkräfte der NATO ins Feld geführt. Die Figur war keineswegs neu, denn bereits 1983 und 1989 zuvor hatten die USA versucht, ihre militärischen Überfälle auf Grenada und Panama als »humanitäre Interventionen« zu legitimieren. Jugoslawien hatte keinen Staat angegriffen, und die NATO hatte bewusst die Vereinten Nationen nicht um ein Mandat ersucht, da sie befürchtete, statt eines Mandats sich ein Veto der Russischen Föderation und der Volksrepublik China einzuhandeln. Denn ihre Begründung, mit der Bombardierung Serbiens eine »humanitäre Katastrophe« im Kosovo verhindern zu wollen, war der Öffentlichkeit schon damals nur mit etlichen »fakes« und Lügen zu vermitteln. Dass der Krieg gegen Jugoslawien jedoch eindeutig völkerrechtswidrig war und die Figur der »humanitären Intervention« keine völkerrechtliche Legitimation für Krieg verschaffen kann, musste später selbst der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einräumen.

Eine weitere Rechtfertigungslinie wird derzeit mit der »Responsibility to protect« gezogen. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte eine Arbeitsgruppe von Diplomaten beauftragt, eine Formel zu finden, die in Zukunft die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen stärken könnte, um ihre Umgehung durch die Staaten, wie im Fall Jugoslawien, zu verhindern. In ihrer Studie aus dem Jahr 2000 präzisierten sie die Pflicht eines jeden Staates, die Grund- und Menschenrechte ihrer Bevölkerung zu schützen. Sei der Staat dazu allerdings nicht in der Lage, gehe die Verantwortung für den Schutz der Menschen auf die Staatengemeinschaft über. Die Studie ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass für den Fall, dass dieser Schutz nur militärisch zu verwirklichen sei, allein der Sicherheitsrat gemäß Art. 39 und 42 UN-Charta darüber entscheiden könne. Diese Voraussetzung wurde 2005 von der Generalversammlung auf ihrem World Summit ausdrücklich bestätigt. Dennoch gibt es immer wieder Versuche, diese Formel zur Legitimation einseitiger Interventionen zu missbrauchen, in der Hoffnung, einen langsamen Prozess völkergewohnheitsrechtlicher Anerkennung zu erreichen.

Die neueste Variante völkerrechtlicher Invention kommt aus den USA, um die weder vom UN-Sicherheitsrat noch von der Regierung in Damaskus legitimierten Kriegsoperationen in Syrien zu rechtfertigen. Sei ein Staat »unwillig oder unfähig«, die von seinem Territorium ausgehenden Angriffe auf einen anderen Staat zu bekämpfen und zu unterbinden, so müsse der angegriffene Staat das Recht haben, sich mit militärischen Mitteln gegen diese Angriffe auf dem Territorium selbst zu verteidigen.

Das Vorbild dieser Doktrin liefern die militärischen Operationen in Afghanistan nach dem Anschlag vom 11. September 2001, die vom UN-Sicherheitsrat seinerzeit mit dem Hinweis auf das Verteidigungsrecht geduldet wurden. Dort konnte man in der Tat die Angriffe von al-Qaida der Taliban-Regierung in Afghanistan anlasten, da diese der Terrororganisation einen »save haven«, eine sichere Operationsbasis auf dem eigenen Territorium, überlassen hatte. Eine derartige Verbindung ist jedoch zwischen der Regierung in Damaskus und dem Daesh nicht gegeben.

Der Vorwurf, Assad sei »unwillig«, Daesh zu bekämpfen, klingt aus dem Munde Washingtons wenig überzeugend, da Präsident Obama sich ausdrücklich geweigert hat, mit Assad über einen gemeinsamen Kampf zu sprechen, sondern immer wieder sein Ziel, Assad zu beseitigen (»regime change«) betonte. Die militärische »Unfähigkeit«, Daesh zu besiegen, hat Damaskus 2015 schließlich mit dem Hilferuf an Moskau und Teheran überwunden. Doch unabhängig von der Einschätzung des Willens und der Fähigkeit der syrischen Regierung, ist die Formel des »unwilling & unable« nirgends anerkannt, eine völkergewohnheitsrechtlich wirksame Ermächtigung für militärische Interventionen in fremde Territorien zu geben. Die Gründungsmächte der Vereinten Nationen haben nicht ohne Grund den Schutz der territorialen Unversehrtheit zusammen mit dem Gewaltverbot an vorderer Stelle der Charta (Art. 2(4) UN-Charta) verankert. Um diesen Schutz zu durchbrechen, bedarf es mehr als der Kopfgeburt einer Regierung und ihrer Rechtsberater.

Aufweichung des Völkerrechts per Gerichtsbeschluss

Erlauben Sie mir zum Schluss noch einige Anmerkungen zur Friedensstaatlichkeit in der deutschen Rechtsprechung.

Art. 25 und 26 GG geben auch den Gerichten ein klares Votum gegen den Krieg und für die Beachtung des Völkerrechts in ihrer täglichen Praxis vor. Die Gerichte werden jedoch nur in seltenen Fällen mit den internationalen Friedenskonflikten beschäftigt. Das Bundesverfassungsgericht allerdings musste sich gerade in den letzten Jahrzehnten, als sich die Bundesregierung zunehmend auf internationale Kriegseinsätze einließ und die Bundeswehr weit über die Grenzen der NATO entsandte, mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen dieser Militärpolitik auseinandersetzen.

Als erstes Verfahren landete 1984 ein Organstreit der GRÜNEN im Bundestag beim Bundesverfassungsgericht; sie fochten die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung US-amerikanischer Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles mit nuklearen Sprengköpfen in Deutschland an. Vergeblich, das Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass sie sich bei diesen Fragen nicht in die Handlungskompetenz der Bundesregierung einmischen wolle: „Einschätzungen und Wertungen außen- und sicherheitspolitischer Art obliegen der Bundesregierung […] Sie sind politisch zu verantworten.“5 Das Gericht berief sich auf die in der anglo-amerikanischen Rechtsprechung bekannte »political question«-Doktrin, die eine Zurückhaltung der Gerichte (judicial restraint) in Fragen, die das Gericht für vorwiegend politisch hält, einfordert. Da diese Entscheidung wiederum politisch ist, bestimmte das Gericht frei, inwieweit es sich in die Kontrolle des Regierungshandelns hineinbegeben will. Bei dieser Haltung ist es geblieben.

Zehn Jahre später hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit einer Klage von SPD und FDP auseinanderzusetzen, die den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes anfochten. Es handelte sich um Aufklärungsflüge über Jugoslawien und Somalia zur Unterstützung der dort kämpfenden Alliierten. Dieser Einsatz erweiterte nicht nur den territorialen Rahmen, sondern überschritt auch den grundgesetzlichen Auftrag für die Bundeswehr. Dies war nicht mehr Landesverteidigung, sondern bereits Krisenreaktion, welche weder im Grundgesetz noch im NATO-Vertrag vorgesehen war. In einem äußerst engen (4:4 Stimmen) Urteil6 wies der Senat die Klage ab, verfügte jedoch, dass bei so genannten »out of area«-Einsätzen eine vorherige Zustimmung des Bundestages eingeholt werden müsse. Zudem erklärte er die NATO entgegen der bis dahin vorherrschenden Meinung zu einem »System kollektiver Sicherheit«.

1998 wollte die PDS-Fraktion im Bundestag die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg der NATO gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) mit einem Eilantrag verhindern. Der Bundestag hatte allerdings im Oktober 1998 dem Einsatz zugestimmt, den die PDS für völkerrechtswidrig hielt. Es lag weder ein Mandat des Sicherheitsrats noch ein Fall der Selbstverteidigung vor. In seinem Beschluss von 1999 umging der Senat jedoch alle diese Fragen und lehnte den Antrag ab, da die PDS-Fraktion nicht antragsbefugt sei: „Der 13. Bundestag hat am 16. Oktober 1998 militärischen Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo zugestimmt […] Bei diesem Beschluss war dem Bundestag bewusst, dass der Einsatz aller Voraussicht nach ohne eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgeführt würde […] Zwar trägt die Antragstellerin vor, der Deutsche Bundestag habe selbst ultravires [jenseits seiner Befugniss; NP] gehandelt, als er die Beschlüsse zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefasst habe. Eine solche Rechtsverletzung könnte jedoch nicht im Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung, erst recht nicht gegen den Bundesminister der Verteidigung […] geltend gemacht werden, sondern allenfalls in einem Verfahren gegen den Deutschen Bundestag. Auch für dieses Verfahren fehlt es jedoch an der Antragsbefugnis, weil die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Bundes, Streitkräfte in einem System kollektiver Sicherheit einzusetzen, grundsätzlich geklärt ist“,7 wobei er auf sein früheres Out-of-area-Urteil verwies. Dies ist eine weitere Variante, wie man sich vor einer wichtigen juristischen Entscheidung über den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg drückte.

Nachdem es der PDS-Fraktion nicht gelungen war, die Beteiligung der Bundeswehr an dem völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien zu verhindern, klagte sie 1999 erneut gegen die Bundesregierung. Diesmal ging es um die Umwandlung der NATO von einem Verteidigungs- in ein Kriseninterventionsbündnis, welche die Staatschefs noch während des Krieges gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 in Washington vereinbart hatten. Die Bundesregierung hatte bei dieser Entscheidung den Bundestag übergangen, und die PDS-Fraktion forderte seine Beteiligung bei einer so entscheidenden Veränderung der Aufgaben des Militärbündnisses ein. Das Bundesverfassungsgericht sah das in seiner Entscheidung im November 2011 anders.8 In seiner Presseerklärung fasste es seine Entscheidung zusammen: „Zwar enthält das Konzept 1999 die im Ursprungsvertrag nicht implizierte Erweiterung auf Krisenreaktionseinsätze außerhalb des Bündnisgebiets. Hier ist das Konzept 1999 gegenüber dem NATO-Konzept von 1991 wesentlich verändert worden […] Dennoch ist eine objektive Vertragsänderung nicht festzustellen, es handelt sich um eine Fortentwicklung und Konkretisierung der offen formulierten Bestimmungen des NATO-Vertrages.“ Dafür sei aber die Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich. Auch diese Entscheidung passte in die Haltung des Gerichts, sich in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik der Exekutive unterzuordnen.

Schließlich versuchte es die Bundestagsfraktion DIE LINKE noch einmal – diesmal gemeinsam mit zwei Abgeordneten der CSU und CDU (Peter Gauweiler und Willy Wimmer). Sie wollten den Einsatz von Tornado-Aufklärungs­flugzeugen in Afghanistan verhindern. Das Bundesverfassungsgericht wies auch diese Klage zurück.9 Es ließ sich vom Generalinspekteur der Bundeswehr davon überzeugen, dass es zwischen dem Einsatzmandat für die vom UN-Sicherheitsrat abgesegnete International Security Assistance Force (ISAF) und der von den USA geleiteten Operation Enduring Freedom (OEF), die die Kläger für völkerrechtswidrig hielten, eine strenge Trennung gebe. Da der Einsatz der Bundeswehr auf die völkerrechtsgemäße ISAF begrenzt werde, sei eine Entscheidung darüber, ob OEF völkerrechtswidrig sei, nicht erforderlich.

Das Fazit dieses kurzen Blicks auf die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts ist nicht ermutigend. Selbst der relative Pazifismus der UN-Charta ist beim Bundesverfassungsgericht zum Erliegen gekommen. Der Geist dieser Rechtsprechung, der der Exekutive eine faktisch unkontrollierbare Prärogative in der Außen- und Sicherheitspolitik einräumt, hat sich von seinen Quellen im Kaiserreich noch immer nicht gelöst. Die Weigerung, trotz Art. 25 GG das Völkerrecht in die eigenen Erwägungen einzubeziehen, erinnert mich an die Worte des SPD-Politikers Carlo Schmid, die er 1948 im Parlamentarischen Rat zur künftigen Rolle des Völkerrechts in der Verfassung der Bundesrepublik gesprochen hat:

Die einzige wirksame Waffe des ganz Machtlosen ist das Recht, das Völkerrecht. Die Verrechtlichung eines Teiles des Bereichs des Politischen kann die einzige Chance in der Hand des Machtlosen sein, die Macht des Übermächtigen in ihre Grenzen zu zwingen. Selbst die Gesetze eines Drakon, von denen man das Wort »drakonisch« ableitet, waren ein Fortschritt, denn sie setzten der Macht wenigstens gewisse Grenzen. Die fürchterliche Peinliche Halsgerichtsordnung Karls des V., deren Lektüre uns heute schauern macht, war einmal ein Fortschritt, denn auch sie setzte der Macht wenigstens gewisse Grenzen. Der Vater des Völkerrechts, Hugo Grotius, hat genau gewußt, was er getan hat. Er hat erkannt, daß es, nachdem es der englischen Übermacht gelungen war, die holländische Flagge fast ganz von den Meeren zu verjagen, nur ein Mittel gab, Hollands Lebensmöglichkeit zu erhalten, nämlich die Lebensverhältnisse auf der hohen See zu verrechtlichen und gegen das englische mare clausum das mare liberum zu setzen. Die sog. kleinen Mächte sind nicht umsonst die großen Pioniere des Völkerrechts gewesen; das hat einen – oft uneingestandenen und unerkannten – politischen Grund. Daher sollten wir Deutsche, gerade weil wir heute so machtlos sind, mit allem Pathos, das uns zu Gebote steht, den Primat des Völkerrechts betonen.“10

Anmerkungen

1) Vgl. Bleisch, B.; Strub, J.-D. (Hrsg.) (2006): Pazifismus – Ideengeschichte, Theorie und Praxis. Bern: Haupt.
Holl, K. (1988): Pazifismus in Deutschland. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

2) Vgl. Paech, N.; Stuby, G. (2013): Völkerrecht und Machtpolitik. Hamburg: VSA, S. 36ff.

3) Kant, I.: Zum ewigen Frieden. In: Werkausgabe, hrsg. von Wilhelm Weischedel, 1977, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, Bd. 11, S. 203.

4) Schlegel, F.: Versuch über den Begriff des Republikanismus. In: Kritische Ausgabe, hrsg. von Ernst Behler, 1966, Paderborn: Schöningh, Bd. 7, S. 23.

5) BVerfG vom 18. Dezember 1984, E 68, 1.

6) BVerfG vom 12. Juli 1994, E 90, 286.

7) BVerfG vom 25. März 1999, E 100, 266.

8) BVerfG vom 22. November 2001, E 104, 151.

9) BVerfG vom 12. März 2007, E 117, 359, und v. 3. Juli 2007, E 118, 244.

10) Parlamentarischer Rat, Ausschuss für Grundsatzfragen, 12. Sitzung vom 15.10.1948, Stenografisches Protokoll S. 5-26, S. 30-32.

Prof. em. Dr. Norman Paech lehrte Öffentliches Recht an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP). 2005-2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und Außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE.

Dieses Skript wurde für einen Vortrag des Autors beim Symposium »Die Zukunft des politischen Pazifismus – 125 Jahre Deutsche Friedensgesellschaft« (28.-29.1.2017 in Frankfurt am Main) verfasst.

„Deß armen Manns sehnliche Klag“

„Deß armen Manns sehnliche Klag“

Friedensvisionen im Dreißigjährigen Krieg

von Anna Lisa Schwartz

Beim Stichwort »Pazifismus« denken wir wohl kaum an das 17. Jahrhundert, zu weit scheint diese Zeit entfernt für ein Konzept, das vermeintlich eher modern ist. Dieser Eindruck trügt. In dem Wort steckt das lateinische »pax«, Frieden, und die Friedenssehnsucht der Menschen ist eine Konstante der Geschichte. Das war im Dreißigjährigen Krieg nicht anders. Diese Sehnsucht schlug sich in den zeitgenössischen Quellen nieder, aus denen wir einiges über die Situation in dieser Zeit erfahren können.

Der Dreißigjährige Krieg erschütterte nicht nur erstmals gleichzeitig große Teile Zentraleuropas, sondern erfasste insbesondere auch alle Bevölkerungsschichten. Die großen Truppenkontingente im Deutschen Reich belasteten sowohl die städtische als auch die ländliche Bevölkerung. Kein Bild zeugt so deutlich von den Gräueltaten des Krieges wie Jaques Callots 18 Radierungen umfassende Serie »Die großen Schrecken des Krieges« von 1633. Besonders »die Gehängten« findet sich noch heute in vielen Geschichtsbüchern und Abhandlungen zum Dreißigjährigen Krieg.

Auch zeitgenössische Quellen lassen die desaströse Situation der Reichsbevölkerung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erahnen. So schildert ein anonymer Bericht die Situation während des Zusammentreffens schwedischer und kaiserlicher Truppen in Norddeutschland im Januar 1632: „Es wird […] berichtet, daß […] daselbst einen Mann erstochen, einen erschossen […] und sonst die Ordinanz gehabt, alle Bauern niederzumachen, alle Weibsbilder, alt und jung, die angetroffen sind, geschändet, der ganze Flecken ausgeplündert, […] allen Vorrat an Getreide, Bier, Wein und andern Victualien verzehrt oder hinweg genommen.“ (Jessen 1963, S. 280-281)

Die Klage des »gemeinen Mannes«

Wie allein die nahezu unüberschaubare Menge an Flugblättern aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts zeigt,1 dominieren Friedenssehnsüchte in Bild und Text die Medien der Zeit. Besonders in den 1630er Jahren formiert sich eine pazifistische Strömung innerhalb der Bevölkerung: Es stehen nicht mehr die konfessionellen und politischen Spannungen im Vordergrund, sondern die schlechten Lebensbedingungen der Menschen. Diese Schwerpunktverlagerung zeigt die Radierung »EUROPA QUERULA ET VULNERATA / Klage der Europen« von 1631 deutlich (Abb. 1). Die personifizierte Europa steht im Mittelpunkt und trennt die Darstellung in zwei Hälften: Links ist eine Gruppe Menschen zu sehen, rechts befinden sich Soldaten, die »Europa« mit Pfeilen beschießen. Andreas Wang identifizierte einen der Männer als Jesuiten und somit die Gruppe links als katholisch (Harms Bd. II, S. 392), der Text wird diesbezüglich aber nicht konkret. In der zweiten Textspalte wird weder die Protestantische Union noch die Katholische Liga angesprochen, sondern die Unfähigkeit der Obrigkeit und des Volkes. Da klagt »Europa«: „Wo ist die Einigkeit? Denn wo dieselbe wohnet / mit Unglück Raht und That man wird verschonet.“

Auch wenn die Verwendung des Kontinentnamens sich eigentlich nur auf die politische Mächtekonstellation, insbesondere auf das Deutsche Reich, bezieht (Tschopp 2004, S. 33-36), ist das Vorbild für den Flugblatttitel eindeutig. 1517 verfasste Erasmus von Rotterdam seine »Querela pacis« (Klage des Friedens), in der die Friedensgöttin »Pax« zu einer neuen Friedenszeit in Europa aufruft. Anlass der Schrift war eine geplante Friedenskonferenz, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich, in Cambrai, die allerdings nie stattfand. Erasmus von Rotterdams Klagerede des Friedens aber gilt noch heute als Beginn eines humanistisch geprägten Pazifismus im vormodernen Europa. Umso mehr Bedeutung verleiht es dem Flugblatt von 1631, dass der Verfasser im Titel Bezug auf die erasmische Grundlagenschrift nimmt.

Was auf dem Flugblatt von 1631 lediglich im Text anklingt, konkretisieren weitere Beispiele aus der Zeit auch im Bild. Das Blatt »Deß armen Manns sehnliche Klag / gegen dem grossen KriegsGott/ über das verderbliche Kriegswesen / und umb Abwendung desselben« von 1636 (Abb. 2) greift abermals das Motiv der Klage auf, nun aber jenseits politischer und religiöser Handlungsbereiche. Vor dem Prospekt einer brennenden Stadt und eines kämpfenden Heeres sind Vertreter verschiedener Stände zu sehen. Sie richten ihre Bitten direkt an »Mars«, der als Kontrahent des Friedens in voller Rüstung und mit Kriegsgerät an einem Baum sitzt: „Sieh an das Leyd / Auch die Elendn In allen Ständn.“ Auch »Pax«, hier nach christlicher Symbolik als Lamm wiedergegeben, bittet um Frieden im Namen der unterschiedlichen Berufsstände. Weitere Personen auf dem Blatt sind ein Kaufmann (Nr. 3), ein Städter (Nr. 4) und ein betender Bauer (Nr. 5), die ihr Wort an den Kriegsgott richten. Im Text wird die Szene genauer ausgelegt: Nur im Streben nach einem sündenfreien christlichen Leben könne durch göttliche Hand Frieden gewahrt bleiben.

Neue Friedensmotive ab 1648

Der Verweis auf verschiedene Ständegruppen bleibt bis zur Aushandlung des Westfälischen Friedens als Thematik solcher Flugblätter erhalten und diente u.a. der Festigung eines bestimmten Motivkanons. Ein Beispiel dafür ist der Holzschnitt »Neuer Auß Münster vom 25. deß Weinmonats im Jahr 1648. abgefertigter Freud- und Friedenbringender Postreuter« (1648) (Abb. 3), der in mehr als der Hälfte des Textes schon nicht mehr die Folgen des Krieges, sondern die Segnungen des Friedens thematisiert. Der Postreiter zählt zu den bekanntesten Darstellungen des Westfälischen Friedens, was vor allem damit zusammenhängt, dass die Postwege im Rahmen der Gesandtenkongresse in Osnabrück und Münster besonders ausgebaut werden mussten und die Nachricht vor allem auf diesem Weg kommuniziert wurde (Fleitmann 1974). Die einleitenden Zeilen lassen den Reiter zu Wort kommen, der die Botschaft aus den beiden Kongressstädten in die Welt hinausträgt und explizit die Hauptstädte der beteiligten Vertragsmächte nennt. Im Anschluss nimmt der anonyme Verfasser ausführlich Bezug auf die einzelnen Berufe und somit die Stände des Reiches, die durch die neu angebrochene Friedenszeit wieder erfolgreich produktiv werden könnten. Dabei wird besonders der zu erwartende Wohlstand und Aufschwung des Handels betont, der durch die Unterzeichnung der Friedensverträge nun wieder florieren könne: „Der Schuster wird sein Geldt vor Schuh nicht können zehlen / Den Schneider wird das Volck umb neue Kleider quelen.“

Die Realität gestaltete sich komplexer: Auch noch nach 1648 befinden sich große Truppenkontingente im Reichsgebiet und belasteten die Bevölkerung, bis im Rahmen des Nürnberger Exekutionskongresses ein Plan zum Abzug der Truppen festgelegt wurde (Oschmann 1991, S. 418-435). Wie im Flugblatt zuvor schließt die Schilderung des Postreiters nicht, ohne den Grund für die Wiederherstellung des Friedens zu benennen: Es danct alles Gott / es danct Ihm frü und spat / was kreucht / fleugt / lebt und schwebt / und was nur Odem hat.“

Frieden schafft Wachstum

Die Wurzeln des Friedensmotivs liegen zwar nicht in einer völkischen Friedensbewegung im Dreißigjährigen Krieg, seine Verwendung hatte aber zu der Zeit Hochkonjunktur. Als Quelle fungierten antike Autoren, deren Stücke durch frühneuzeitliche Emblembücher wieder aufgegriffen wurden. Tibull und Ovid schrieben unter anderem über die unmittelbaren Folgen des Friedens, zu denen sie vor allem den Aufschwung von Handel, Landwirtschaft usw. zählen. Unter ein Motto – »ex pace urbertas« (aus Frieden Fruchtbarkeit) – wurden sie erst in Andrea Alciatis Emblembuch von 1531 gestellt (Kaulbach 1998).

Die Untersuchung verschiedener Friedensbilder im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg hat bisher gezeigt, dass solche Embleme häufig aus ihrer eigentlichen Struktur – bestehend aus Motto, Bild und Epigramm – herausgelöst und auf den Bildinhalt reduziert in die Friedensdarstellungen Eingang finden. Gleiches gilt für das zuvor genannte Motto in Alciatis Publikation. Das Aufblühen der verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten bleibt nach 1648 gängiges Motiv für viele Friedensdarstellungen, im Bild häufig durch einen kleinen ackerpflügenden Bauern im Hintergrund symbolisiert. Auch im Blatt des Postreiters taucht das Motiv bereits auf: „Ihr Bauren spannet an die starcken AckerPferde / klatscht mit der Peitschen scharff / die Pflugschar in die Erde.“

Warum wurde das Motiv, aus antiken Quellen bekannt und durch Embleme vermittelt, nicht bereits früher im Rahmen von Friedensdarstellungen verwendet? Das mag zum einen daran liegen, dass der Westfälische Friede erstmals ganz Europa und alle Medien und materiellen Kulturen erfasste. Die Einbindung der Ständeklage dürfte jedoch dazu geführt haben, dass sich gerade die Vorstellung einer aufblühenden Landwirtschaft, eines Handelsaufschwungs und des reichen Kaufmanns etablieren konnte. Auch wenn die Kriegsführung des 18. Jahrhunderts – teilweise aufgrund ihrer Verlagerung auf See – weniger die Bevölkerung in Mitleidenschaft zog als in der Mitte des 17. Jahrhunderts, blieb das Motiv des ackerpflügenden Bauern und der Verbesserung der Lebenszustände weiterhin erhalten. Eine Medaille auf den Frieden von Utrecht 1713 zeigt einen Bauer hinter »Britannia« (Abb. 4). Zusätzlich symbolisieren ein Sämann und eine Flotte zur See den Wohlstand, den England durch den Friedensvertrag mit Frankreich erwarten kann. Auf der Vorderseite der Medaille befindet sich ein Porträt von Königin Anna, in deren Regierungszeit die Vereinigung von Schottland und England fiel (Ohm 2015, S. 214, Nr. II.1.1). Zusammen mit den Verträgen von Rastatt und Baden beendete der Frieden von Utrecht den Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) und somit einen Konflikt zwischen mehreren europäischen Großmächten.

Diese Friedensikonographie etablierte sich in Folge des Westfälischen Friedens vor allem aufgrund der Betroffenheit der Bevölkerung, blieb danach aber von ­diesem Kontext losgelöst noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erhalten.

Anmerkung

1) Eine unvergleichliche Zusammenstellung, vor allem wegen der detaillierten Kommentare zu den Flugblättern, bildet die federführend von Wolfgang Harms herausgegebene Reihe (1980-2005): Deutsche und illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. 7 Bde., Tübingen: Max Niemeyer.

Literatur

Fleitmann, W. (1974): Postverbindungen für den Westfälischen Friedenskongreß 1643 bis 1648. Archiv für deutsche Postgeschichte 7, Heft 1, S. 3-48.

Griffiths, A. (1998): Callot – Miseries of war. In: Malbert, R.; Griffiths, A. (eds.): Disasters of war – Callot, Goya, Dix. Katalog einer Ausstellung, die 1998 u.a. in Kelvingrove Art Gallery and Museum in Glasgow gezeigt wurde; Manchester: National Touring Exhibitions, S. 11–24.

Harms, W. (Hrsg.) (1980-2005): Deutsche und illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. 7 Bde, Tübingen: Max Niemeyer.

Hannemann, B. (Hrsg.) (1985): Die Klage des Friedens von Erasmus von Rotterdam. München: Piper.

Jessen, H. (Hrsg.) (1963): Der Dreißigjährige Krieg in Augenzeugenberichten. Düsseldorf: Rauch.

Kaulbach, H.-M. (1998): Das Bild des Friedens – vor und nach 1648. In: Bußmann, K.; Schilling H. (Hrsg.): 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Bd. 2, Kunst und Kultur. Ausstellungskatalog des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster, des Kulturgeschichtlichen Museums sowie der Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück 1998–1999 (26. Europarat-Ausstellung). München: Bruckmann, S. 593-603.

Ohm, M. (2015): Am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges – Medaillen auf die Friedensschlüsse in Utrecht, Rastatt und Baden (1713/1714). In: Bayerische Numismatische Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 65. München: R. Pflaum, S. 211-232.

Oschmann, A.S. (1991): Der Nürnberger Exekutionstag 1649-1650 – Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. Dissertation an der Universität Bonn von 1988. Münster: Aschendorff, Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte Bd. 17.

Tschopp, S.S. (2004): Gegenwärtige Abwesenheit – Europa als politisches Denkmodell des 17. Jahrhunderts? In: Bußmann, K.; Werner E.A. (Hrsg.): Europa im 17. Jahrhundert – Ein politischer Mythos und seine Bilder. Stuttgart: Franz Steiner, S. 25-36.

Anna Lisa Schwartz M.A. ist Kunsthistorikerin. Sie promoviert an der Universität Trier zu den visuellen Repräsentationen des Friedens von Aachen (1748) in der niederländischen Republik und arbeitet im Projekt »Dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen – Repräsentationen des Friedens im vormodernen Europa« im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.

Die Pädagogin Minna Specht

Die Pädagogin Minna Specht

Erziehung für den Frieden

von Sebastian Engelmann

Pazifismus, Frieden, Demokratie – diese Worte tauchen auch in pädagogischen Zusammenhängen regelmäßig auf. Oft bleiben sie unklar, undifferenziert und vage. Dieser Beitrag möchte versuchen, dieses Defizit mit Blick auf die Pädagogin Minna Specht aufzulösen. In einem ersten Schritt wird ein Überblick über das Leben dieser Kämpferin für die Gerechtigkeit gegeben sowie ein Einblick in ihre Überlegungen zur Pädagogik – sowohl in diejenigen theoretischer wie diejenigen praktischer Art – gewährt. In einem zweiten Schritt werden zentrale Textstellen verwendet, um die besondere Bedeutung der pazifistischen Grundhaltung Spechts für ihre Pädagogik herauszuarbeiten. Dabei wird gezeigt, dass Specht Frieden und Gerechtigkeit zusammen denkt und auch die interkulturelle Verständigung berücksichtigt: Im Sinne Spechts ist Frieden nicht der Normalzustand, vielmehr muss dieser aktiv geschaffen werden.

Mina Specht wurde am 22.12.1879 in Reinbek in der Nähe von Hamburg geboren.1 Als jüngstes von sieben Kindern wuchs sie zwar in relativem Wohlstand auf, aber auch ihre Familie war abhängig von der Ernte und von Touristen. Specht wurde Lehrerin. Nach ihrer Ausbildung am Lehrerinnenseminar arbeitete sie zunächst an einem Hamburger Mädchengymnasium, entschied sich dann aber doch für ein zusätzliches Studium in Göttingen. Dort lernte sie Leonard Nelson kennen, ein an der Philosophie Immanuel Kants orientierter Denker, der nicht nur in der eigenen asketischen Lebenspraxis, sondern auch in späteren praktisch-pädagogischen Konzepten die Werte der Wissenschaftlichkeit und Exaktheit vertrat. Die beiden verpflichteten sich dem politischen Kampf, der Durchsetzung des Sozialismus. 1917 gründeten sie „unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges“ (Hansen-Schaberg 1993, S. 219) den »Internationalen Jugendbund«, der 1926 in den »Internationalen Sozialistischen Kampfbund« überging. Im Jahr 1924 übernahm Specht mit Nelson die Leitung des Land­erziehungsheims Walkemühle in der Nähe von Melsungen.

Landerziehungsheime sind eine spezifische Form von Internat mit reformpädagogischer Orientierung, die bis heute existiert. Gegenwärtige Beispiele sind Schloss Bieberstein in der Nähe von Fulda oder das Landerziehungsheim auf der Nordseeinsel Spiekeroog. Sie stehen in der Tradition des deutschen Pädagogen Hermann Lietz (vgl. Koerrenz 2011). In der Walkemühle wurde sowohl eine Kinder- als auch eine Jugendabteilung eingerichtet. Erstere arbeitete auf das Ziel hin, mit reformpädagogischen Maßnahmen die Entfaltung der Persönlichkeit auf ganzheitlicher Grundlage zu ermöglichen, letztere fokussierte auch die so genannte Führererziehung. Offiziell wurde die Gleichbehandlung der Geschlechter – fast schon in Form von »undoing gender«2 – angestrebt; in der Realität fand sich aber eine einseitige „männlich orientierte Rigorosität sowie eine einseitige Vernunftbetonung und Zurückdrängung von Emotionen“ (Hansen-Schaberg 1993, S. 220), die in der heutigen pluralen Gesellschaft problematisch erscheint.

Worum ging es aber grundsätzlich in diesem pädagogischen Konzept? Inhaltlich war vor allem die konkrete Anschauung und persönliche Konfrontation mit gesellschaftlichen Realitäten und deren erfahrungs- und theoriebezogener Aufarbeitung vorgesehen“ (Hansen-Schaberg 1993, S. 221), die auf ein gesteigertes Bewusstsein der Verantwortung und auf die Verknüpfung der eigenen Handlungen mit gesellschaftlichen Problemen abzielte. Zugleich transportierte diese Art der Pädagogik ein positives Geschichtsverständnis: Menschen können die Umstände, in denen sie leben, ändern! An dieser Vorstellung hielt Specht auch fest, als die Nationalsozialisten die Walkemühle schließen ließen. Sie ging mit einigen Kindern ins Exil, erst nach Dänemark, dann nach Wales. Während dieser erlebnisreichen Zeit3 änderte sich ihre Vorstellung von „Erziehung mit pädagogisch-politischem Anspruch […], die in den 20er Jahren unter dem Einfluß von Leonard Nelson noch starre dogmatische und autoritäre Zuge trug“ (Hansen-Schaberg 1993, S. 225). Jetzt betonte sie die Freiheit des Individuums und erkannte das Selbstvertrauen als Mittel, um die Ohnmacht zu überwinden. „Demokratiefähigkeit, Friedensbereitschaft und Toleranz“ (Hansen-Schaberg 1993, S. 226) sind die Ziele dieser Erziehungsvorstellung.

In welchem Verhältnis stehen diese Ziele aber zur Erziehungswirklichkeit, und wie wichtig ist die pazifistische Einstellung Spechts?

Gegen Militarismus und Fremdenfeindlichkeit

Zur Verdeutlichung dieser Vorüberlegungen werden nun Spechts Texte »Die Frau und das Problem der militärischen Jugendorganisation« von 1917 und der im Exil geschriebene Entwurf »The Scheme for an International School« von 1939 in den Blick gerückt.4

Ausgehend von einer emphatischen Kritik am Töten im Ersten Weltkrieg thematisiert Specht im ersten Text den prinzipiellen Gegensatz zwischen Kultur und Waffengewalt (vgl. Specht 1917, S. 56). Statt eines bloßen Erleidens des Grauens des Krieges gelte es besonders für die Frauen, „von passiven Märtyrerinnen zu leidenschaftlichen Mitkämpfern [zu] werden aller derer, die der einseitigen Betonung des Kriegsideals den Rücken wenden“ wollen (Specht 1917, S. 56). Friedensarbeit, so Specht, müsse geleistet werden.

Das bereits erwähnte positive Bild von der Wirkmächtigkeit des einzelnen Menschen in der Geschichte wird auch hier ersichtlich. Fokussieren andere Autor*innen insbesondere Spechts Positionierung in Bezug auf die Frauenemanzipation, ist es hier von besonderer Bedeutung, auf Spechts Verständnis von Frieden zu achten. Diesen versteht sie nämlich nicht als kurzfristigen Frieden, sondern vielmehr als ewigen Frieden5 – vielleicht ein fernes Ideal, aber keine Utopie (Specht 1917, S. 56) –, den es anzustreben gelte. Nach Specht sei es nicht nur prinzipiell sinnvoll, Frieden anzustreben, sondern sogar „die heilige Verpflichtung einer Generation, die es mit angesehen hat, wie die Verhetzung der Völker zum fürchterlichen Morden geführt hat“ (Specht 1917, S. 56). Die »verpflichtete Generation« habe die Pflicht, aktiv für Frieden zu sorgen.

Frieden wird von ihr zum höchsten Ziel des menschlichen Handelns erklärt. Und dies bezieht sich nicht nur auf das Aufbegehren gegen einen Angriffskrieg. Specht rekurriert hier auf die Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland. Auch in dieser Situation müsse eine „ehrliche Friedensliebe“ (Specht 1917, S. 57) bestehen bleiben, die sich jeder Form von militärischer Auseinandersetzung verweigert. Statt den Militarismus zu fördern – nichts anderes intendierte das Reichsjugendwehrgesetz, mit dem Specht sich in ihrem Artikel auseinandersetzt –, gelte es, Jugendliche „in dem Gedanken der Verständigung der Völker heran[zu]bilden“ (Specht 1917, S. 57), um eine Basis für friedliches Miteinander zu schaffen. Das Reichsjugendwehrgesetz stehe diesem Ziel diametral entgegen; gerade auch deshalb, weil es die Individualität der Kinder und Jugendlichen nicht wahre.

Die Lösung Spechts liegt in einer Verknüpfung von Erziehung in Institutionen, welche durch die oben genannten Werte gesteuert sind, und der Einbeziehung der Familie, besonders der Mutter. Basis hierfür sei allerdings Solidarität – und an dieser fehlt es laut Specht in der damaligen Gesellschaft. Einen Vorschlag, wie diese Solidarität als Bedingung der Möglichkeit von Frieden durch Erziehung realisiert werden kann, liefert Specht in »The Scheme for an International School« von 1939.

Die Relevanz von internationalem Austausch und friedlicher Zusammenarbeit zeigten sich bei Specht bereits in ihrer sozialistischen Grundhaltung. Aber auch ihre pädagogischen Konzepte sind von jenen Prinzipien geprägt. So ist es kein Wunder, dass sie auch Schule international denkt, stets die Vorbereitung einer offenen Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland im Blick (vgl. Hansen-Schaberg 1992, S 217). Nationalismus ist für Specht ein Grund für kriegerische Auseinandersetzungen. Erziehung soll Nationalismus verhindern. Erreicht werden soll dies unter anderem über die Zusammensetzung der Schüler*innenschaft, die aus allen europäischen Ländern stammen und genug Zeit erhalten soll, um feste Bindungen aufzubauen. Weiter wird das Zusammenleben, ganz im Sinne der oft spartanisch ausgestatteten Landerziehungsheime, bewusst auf das Einfachste reduziert. Beim Meistern ihres eigenen Lebens und durch ihre eigene Arbeit sollen die Kinder ihre Wirkmächtigkeit erfahren und so „eine neue Welt mit ihren kreativen Energien aufbauen“ (Hansen-Schaberg 1992, S. 218). Die eigenständige Arbeit der Kinder solle durch angemessene Ausstattung der Schule ermöglicht werden, z.B. in Schulgärten und Werkstätten; die Schule sollte außerdem unabhängig von ihrer Herkunft für alle Menschen zugänglich sein.

Aus Perspektive einer friedensethisch interessierten Pädagogik ist besonders die moralische Fundierung der Erziehung von Interesse: Die Erziehung sollte eine moralische Grundlage haben, denn nur moralische Stärke kann die Gefahr besiegen, Probleme durch Gewalt zu lösen. Das bedeutet, es sollte eine Atmosphäre der Freiheit, Friedlichkeit und Hoffnung bestehen, welche die Schüler dazu ermutigt, ihre eigenen Bestrebungen nach Kameradschaft zu verfolgen. Außerdem ist die Moralität die einzig wahre Grundlage für Toleranz, die jedoch nicht aus Skeptizismus und Opportunismus, sondern aus geduldigem und starkem Glauben an die Wahrheit entstehen sollte.“ (Specht 1939, S. 53)6

Diese Facetten von Spechts pädagogischen Ideen machen deutlich, dass sie den Wert des Friedens und den Wert der Wahrheit als Leitlinien für Erziehung ansetzt. Wahrheit und Frieden äußern sich in einem gerechten und toleranten Miteinander. Dieses Miteinander könne den Kindern aber nicht aufgenötigt werden. Stattdessen gelte es, durch die geschickte und vorausschauende Konstruktion eines pädagogischen Settings die Bestrebungen der Kinder nach internationalem Dialog zu unterstützen. Dies solle durch eine Atmosphäre der Offenheit und Friedfertigkeit in der Institution Schule realisiert werden – ein bis heute noch nicht umgesetztes Unterfangen, mit dem sich Schulen immer konfrontiert sehen. Gerade dieser Punkt macht Minna Specht auch für die aktuelle friedenspädagogische Diskussion überaus relevant.

Pazifismus und Bildung für nachhaltige Entwicklung – Verflechtungen

Unter Frieden lässt sich mehr als die Abwesenheit von Gewalt verstehen, nämlich eine „gelingende Form menschlichen Zusammenlebens“ (Huber und Reuter 1990, S. 21); Frieden wäre somit eine spezifische Gesellschaftsform. Begreift man Frieden in diesem Sinne, so wird deutlich, dass Bildung und Erziehung maßgebliche Stellschrauben auf dem Weg zur Realisierung eines solch umfassenden Friedens sein können. Begreift man Frieden spezifischer über verschiedene Indikatoren wie den „Abbau von Not, Vermeidung von Gewalt, Verminderung von Unfreiheit“ (Huber und Reuter 1990, S. 22), sieht man, dass die Kritik Spechts an der Militarisierung von Erziehung und ihr Plädoyer für eine internationale Erziehung als friedensbildende Maßnahme eben diese Entwicklungen verhindern oder zumindest abmildern soll. Die Militarisierung von Erziehung, die von Specht kritisiert wird, sei durch eine unbedingte Erziehung zur Friedfertigkeit zu ersetzen, um perspektivisch Not und Gewalt zu verhindern. Specht bietet die oben aufgeführten und durchaus als pädagogische Handlungsanweisungen gemeinten Elemente an, damit eine solche Form der Erziehung in der Schule umgesetzt werden kann. Durch vermehrten Kontakt, Partizipationsmöglichkeiten und die gerechtigkeitstheoretisch fundierte Durchsetzung allgemeiner Gleichheitsprinzipien soll eine „pädagogische Atmosphäre“ (Bollnow 2013, S. 50) entstehen, in der ein gemeinsames und friedliches Miteinander möglich ist.

Obwohl die Ideen Spechts nun bereits einige Jahrzehnte alt sind und wie eingangs erwähnt kaum rezipiert wurden, stimmen sie doch mit den Zieldimensionen der so genannten »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (BNE) überein.7 Vorausschauendes Handeln, weltoffene Wahrnehmung, Alteritätskompetenz, interdisziplinäres Arbeiten, die Kompetenz zur Partizipation, Planungs- und Umsetzungskompetenz sowie die Fähigkeit zu Solidarität, Mitleid und Empathie, Selbstmotivation, Motivation von anderen und nicht zuletzt die „distanzierte Reflexion über individuelle wie kulturelle Leitbilder“ (vgl. de Haahn 2002, S. 15-16) stellen das mit Inhalt zu füllende Kompetenznetz von BNE dar. So steht eine unbedingte Friedfertigkeit wie bei Specht „heute nicht mehr unter dem politischen Generalverdacht der pazifistischen Indoktrination“ (Grasse/Gruber/Gugel 2008, S. 7), sondern erscheint als vollwertiges und anerkanntes – trotzdem natürlich zu legitimierendes – Erziehungsziel..

Folgt man der erziehungstheoretischen Differenzierung von Ansätzen, die Frieden »machen«, und denen, die Frieden »wachsen lassen« (vgl. Bollnow 2013, S. 59) wollen, wird deutlich, dass der Ansatz Spechts genau zwischen diesen Polen angesiedelt ist. Sie lässt erkennen, dass es nicht nur ein von außen aufoktroyiertes Ziel sein kann, Frieden zu erwirken. Stattdessen ist in ihren Überlegungen zur Ethik die Friedfertigkeit als grundlegende Fähigkeit des Menschen angelegt. Diese werde aber durch gewaltsame Verhältnisse und Strukturen in ihrer Entwicklung gehemmt. Nur in einem pädagogisch sinnvoll strukturierten Rahmen können Anregungen gesetzt werden, um Frieden zwischen den Menschen zu ermöglichen.

Dieses Konzept verfolgen zahlreiche Projekte im Bereich BNE. Nicht nur schulische Bildung, sondern auch nicht-formale Bildungsprozesse sind Felder, auf denen friedensbildende Maßnahmen ihre Früchte tragen können. Möglicherweise sind ebendiese nicht-formalen Bildungsprozesse, integriert in den eigenen Alltag, wie das bei Minna Spechts Projekten im Exil der Fall war, die Orte, an denen Menschen lernen können, was es bedeutet, den Frieden selbst zu befördern.

Specht ermöglicht es, formale und nicht-formale Bildungsprozesse nicht mehr als Gegensätze zu begreifen, sondern beide Elemente als in- und miteinander verwoben zu denken. Wie schon der bekannte Pädagoge Pestalozzi formulierte: „Das Leben bildet, und das bildende Leben ist nicht Sache des Wortes, es ist Sache der Tat.“ Grundlage und Ziel sind eins: Die pazifistische Einstellung wird genutzt, um Pädagogik zu gestalten, und ist zugleich Ziel des Bildungsprozesses.

Anmerkungen

1) Die Ausführungen zur Biographie Minna Spechts stammen – wie auch viele weitere Informationen – aus den umfangreichen Arbeiten von Inge Hansen-Schaberg (vgl. Hansen Schaberg 1993; Hansen-Schaberg 1992), die sich als eine der wenigen Autor*innen in Deutschland mit der Pädagogik Spechts auseinandergesetzt hat. Für alle Interessierten ist die Dissertationsschrift Hansen-Schabergs unbedingt empfehlenswert.

2) Unter diesem Begriff versteht man besonders im institutionellen Kontext die Neutralisierung von Geschlechterzusammenhängen. Der Begriff bildet das Gegenstück zu »doing gender«, was unter anderem auf die Ideen der Ethnomethodologie des Soziologen Erving Gofmann, aber auch auf Candance West und Don Zimmermann zurückgeht. Bewusste Neutralisierungsarbeit wird zum Beispiel bei anonymisierten Bewerbungen vorgenommen.

3) Besonders die Zeit in Dänemark ist gut aufbereitet. Der Bericht über Minna Spechts Wirken in Dänemark findet sich in Birgit S. Nielsens Buch »Erziehung zum Selbstvertrauen« (Nielsen 1985).

4) Der erste Text erschien 1917 in einem Sammelband zum Reichsjugendwehrgesetz, der zweite wurde dank der Neuherausgabe ausgewählter Schriften Spechts durch Inge Hansen-Schaberg sei 2006 in einer Quellensammlung erneut verfügbar gemacht (vgl. Specht 2006). Auch zum Verhältnis von Politik, Parteiarbeit und Pazifismus in der Emigration existiert ein informativer Sammelband (vgl. Häntzschel/Hansen-Schaberg 2010).

5) Spannend wäre es, an dieser Stelle die Schrift Kants »Zum ewigen Frieden« mit den Ideen Spechts in den Dialog treten zu lassen.

6) Der Text ist im Original auf Englisch. Alle Zitate wurden von mir ausgehend von der im Jahr 2006 veröffentlichten Version ins Deutsche übersetzt.

7) Nachhaltigkeit – oft verkürzend als rein ökologisches Konzept verstanden – meint „eine Entwicklung, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation sichert und gleichzeitig zukünftigen Generationen die Wahlmöglichkeit zur Gestaltung ihres Lebens erhält“ (Brundtland-Bericht 1987). Dieser Deutung entsprechend meint Nachhaltigkeit auch die Ermöglichung und Sicherung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen. Im Zusammenhang mit dem Verständnis von Frieden im vorliegenden Text können auch die »nachhaltigen Entwicklungsziele« der Vereinten Nationen als Schritte auf dem Weg zum Frieden gedeutet werden: Die Durchsetzung der Ziele soll eine friedliche, inklusive und gerechte Welt ermöglichen. Verankert sind sie in der »Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung« der Vereinten Nationen.

Literatur

Bollnow, O.F. (2013): Anthropologische Pädagogik. Schriften, Bd. 7, Würzburg: Königshausen & Neumann.

De Haan, G. (2002): Die Kernthemen der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklung. 25 (1), S. 13-20.

Grasse, R.; Gruber, B.; Gugel, G. (2008): Einleitung. In: dieselben (Hrsg.): Friedenspädagogik – Grundlagen, Praxisansätze, Perspektiven. Hamburg: Rowohlt, S. 7-18.

Hansen-Schaberg, I. (1992): Minna Specht – Eine Sozialistin in der Landerziehungsheimbewegung (1918-1951). Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang.

Hansen-Schaberg, I. (1993): »Lehrjahre« in Göttingen – Die politische Pädagogin Minna Specht 1879-1961. In: Weber-Reich, T. (Hrsg.): „Des Kennenlernens werth“ – Bedeutende Frauen Göttingens. Göttingen: Wallstein, S. 212-226.

Huber, W.; Reuter, H.-R. (1990): Friedensethik. Stuttgart: Kohlhammer.

Koerrenz, R. (2011): Hermann Lietz – Einführung mit zentralen Texten. Paderborn: Schöningh.

Nielsen, B.S. (1985): Erziehung zum Selbstvertrauen – Ein sozialistischer Schulversuch im dänischen Exil. Wuppertal: Peter Hammer.

Specht, M. (1917): Die Frau und das Problem der militärischen Jugendorganisation. In: Förster, F.W. (Hrsg.): Das Reichs-Jugendwehr-Gesetz. Leipzig: Verlag Naturwissenschaften.

Specht, M. (1939): The Scheme for an International School. In: Specht, M. (2006): Gesinnungswandel – Beiträge zur Pädagogik im Exil und zur Erneuerung von Erziehung und Bildung im Nachkriegsdeutschland. Herausgegeben und eingeleitet von Inge Hansen-Schaberg unter Mitarbeit von Siegrid Rathgens. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang.

Sebastian Engelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Historische Pädagogik und Globale Bildung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Ein Plädoyer für den Pazifismus

Ein Plädoyer für den Pazifismus

von Christine Schweitzer

Der Pazifismus wird häufig missverstanden, oft werden »Friedensbewegung« und »Pazifismus« einfach gleichgesetzt. Das wird den Begriffen aber nicht gerecht. Nicht alle Menschen, die sich zur Friedensbewegung rechnen, lehnen jeglichen Waffeneinsatz ab. Manche*r hält den Einsatz von Gewalt als allerletztes Mittel durchaus für eine Option, um einen gewaltförmigen Konflikt zu beenden. Pazifismus andererseits bedeutet keineswegs, einem sich anbahnenden oder bereits gewaltförmig verlaufenden Konflikt einfach passiv zuzusehen. Die Autorin untersucht einige Aspekte des Begriffs und zeigt gewaltfreie Alternativen der Konfliktlösung auf.

Pazifismus, in diesem Beitrag verstanden als die Ablehnung jeglichen Krieges, erregt heute nur dann Aufsehen, wenn er wieder einmal zu Grabe getragen wird, wie es vor allem Journalist*innen und Politiker*innen alle paar Jahre aufs Neue versuchen.

Sucht man im Internet nach »Pazifismus« in neueren Diskussionsbeiträgen, findet man jenseits von friedensbewegungsinternen Texten und Lexikaeinträgen vor allem Aussagen wie diese von Christian Geyer im Feuilleton der FAZ von 2014. „Welche Rolle spielen die intellektuellen Restbestände pazifistischer Reinkultur?“ und „Keine Demo, nirgends, gegen Waffenlieferungen an die Kurden, gegen mögliche neue Nato-Stützpunkte in Osteuropa. Noch nicht einmal ein Aufschrei – der Pazifismus, einst ein Straßenfüller, ist erkennbar ein Ideologem von vorgestern.“1 Oder Hannes Stein in der WELT am 31.3.2016: „Mit Liebe müsse man den Brüsseler Terroristen begegnen, meint die evangelische Theologin Margot Käßmann. Solcher Pazifismus ist aber nicht moralisch. Warum der gerechte Krieg gelebte Feindesliebe ist.“2

Die letzte relevante öffentliche Debatte über Pazifismus fand vor knapp 15 Jahren statt. Damals subsumierte Staatsminister Ludger Volmer angesichts der Ereignisse vom 11. September 2001 in der Frankfurter Rundschau unter dem Titel »Was bleibt vom Pazifismus«3 zunächst alle Argumente, die jemals gegen bestimmte Kriege bzw. gegen Krieg allgemein vorgebracht worden waren, unter dem Begriff des »Pazifismus«. Dann pries er den »Krieg als letztes Mittel« als neueste Entdeckung des »politischen Pazifismus« an.

Doch weder die Entdeckung des »politischen Pazifismus« durch Volmer noch die Wiedererweckung des »gerechten Krieges« durch Hannes Stein sind wirklich originell. Diese Autor*innen setzen fälschlicherweise Friedensbewegung mit Pazifismus gleich, obwohl längst nicht alle in der Friedensbewegung grundsätzlich jeden Militäreinsatz ablehnen. Sie übersehen auch, dass die gleichen Fragen schon 1991 im Zweiten Golfkrieg, während des Bosnienkrieges 1992 bis 1995 (u.a. vom späteren Außenminister Fischer) und während des Kosovokrieges 1999 aufgeworfen worden waren. Die Grundthese war stets, es gäbe Situationen, in denen nur Militär bzw. der Einsatz von Gewalt helfen könne. Dieselbe Frage wurde übrigens auch schon im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, im Spanischen Bürgerkrieg, anlässlich des Vietnamkriegs und im Kontext der Befreiungskriege im Globalen Süden gestellt. Dies waren alles Ereignisse, die Kriegsbefürworter*innen zur Pazifismus-Schelte veranlassten – und selbst manche Pazifist*innen verunsicherten.

Kriegsrechtfertigungen

In den 1990er Jahren standen »humanitäre Interventionen« im Mittelpunkt der Debatte, das heißt die Anwendung von Gewalt durch Staaten(gemeinschaften), um die weit verbreitete und systematische Verletzung fundamentaler Menschenrechte zu verhindern oder zu stoppen, auch ohne Zustimmung des Landes, in dessen Territorium interveniert wird.4 Das Argument lautete, „Wir können doch keinen Bruch von Völkerrecht und möglichen Genozid hinnehmen“, und zur Begründung wurde oft auf den Zweiten Weltkrieg verwiesen. Während des Bosnienkrieges, besonders 1994/95, als Raketenangriffe die belebten Innenstädte von Sarajewo und Tuzla trafen und serbische Truppen die ostbosnischen UN-Schutzzonen angriffen, wurde der jugoslawische Präsident Milosevic mit Hitler verglichen, so wie dies 1991 bereits beim irakischen Präsidenten Saddam Hussein der Fall war. Auch die Reaktion Europas auf den Krieg in Bosnien wurde mit der Appeasement-Politik 1938/39 gegenüber Deutschland gleichgesetzt.

In den vergangenen fünfzehn Jahren wurde dann die Doktrin der »Schutzverantwortung« ausgearbeitet, die militärisches Eingreifen als allerletztes Mittel vorsieht. Bislang wurden zwei Militärinterventionen mit der »Schutzverantwortung« begründet: die Interventionen in Libyen und der Elfenbeinküste, beide 2011 durchgeführt und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gemäß Kapitel VII der UN-Charta mandatiert. Angesichts des Misserfolgs beider Einsätze ist der Enthusiasmus, die Schutzverantwortung für militärisches Vorgehen anzurufen, deutlich abgekühlt, wenngleich das Konzept in späteren UN-Sicherheitsratsresolutionen und in Berichten der Vereinten Nationen weiterhin Erwähnung findet.

Seit dem 11. September 2001 dient zur Begründung von Krieg aber nicht mehr nur eine Bedrohung anderer Staaten, denen Beistand geleistet werden soll, sondern auch eine vermeintliche oder reale eigene Bedrohung. In den Worten Volmers (a.a.O.): „Doch heute gilt: Es gibt nicht nur eingebildete Feindbilder, es gibt auch wirkliche Feinde […].“ Dementsprechend zog Deutschland 2001 mit der NATO, die zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall ausgerufen hatte, in den Afghanistankrieg und den »Krieg gegen den Terror«. 2015 baute Deutschland zur Entlastung Frankreichs im Rahmen der EU-Beistandsklausel seine Mitwirkung an der UN-Mission in Mali aus.

Eine Begriffsklärung

Angesichts zahlreicher »Bindestrich-Pazifismen« – Nuklearpazifismus, politischer Pazifismus, relativer Pazifismus, radikaler Pazifismus, absoluter Pazifismus usw. –, ist es erforderlich, eine Begriffsklarstellung vorzunehmen.

Der Begriff »Pazifismus« entstand Anfang des 20. Jahrhunderts. Er wurde das erste Mal 1901 von dem französischen Friedensaktivisten E. Arnaud benutzt und setzte sich in der politischen Diskussion schnell durch. Die radikale Ablehnung von Krieg ist hingegen schon wesentlich älter und findet sich als Gebot zur Nichtgewalt in vielen Religionen und Philosophien. Die Gleichsetzung von Pazifismus mit jeglicher friedensbewegten Haltung, wie sie z.B. Karl Holl, der Verfasser eines der deutschen Standardwerke über die Geschichte des Pazifismus,5 vornimmt, wird dem Thema nicht gerecht.

Eugen Drewermann schrieb: „Wenn ich keinen Krieg will, weil ich Angst vor dem Krieg habe, dann will ich lediglich diesen Krieg nicht, der mich erreichen wird. Das ist aber noch keine Haltung gegen den Krieg als solchen. Ganz im Gegenteil: Wer Angst hat, wird aus lauter Angst um sich schlagen, wenn Gewalt ihn selbst bedroht. Wir müssen gegen den Krieg sein, weil Krieg darin besteht, Menschen zu Morden zu präparieren. Was Menschen im Rahmen von Militär und Krieg mit Menschen machen können und machen sollen, das ist das Grauenhafte.“6 Dies macht in den Augen der Autorin Pazifismus aus: die Ablehnung jeglichen Krieges. Das gleiche Verständnis von Pazifismus brachte 1921 die Grundsatzerklärung der War Resisters’ International zum Ausdruck: „Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Form von Krieg zu unterstützen und für die Beseitigung der Ursachen von Krieg einzutreten.“

Bis heute ist der religiös begründete Pazifismus, wie er schon vor Jahrhunderten bei bestimmten christlichen Freikirchen (Wiedertäufer*innen, Quäker*innen, Mennonit*innen) formuliert wurde, die vornehmliche Ausprägung von Pazifismus. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch humanistische Argumentationen geben würde. Sie werden in Darstellungen über Pazifismus oft nicht genügend berücksichtigt. Zu ihren gehören

1. die Überzeugung, dass die Kosten von Krieg praktisch immer höher sind als sein Nutzen, wenn die totalen Kosten, also auch die langfristiger und sozialer Art, mit berücksichtigt werden,

2. die Überzeugung, dass das Recht auf Leben eines der grundlegendsten Menschenrechte und deshalb die Verteidigung von Menschenrechten durch Töten absurd ist,

3. die Überzeugung, dass es keiner aufs Jenseits und/oder eine höhere göttliche Autorität gerichteten Begründung bedarf, um Leben – nicht notwendigerweise nur menschliches – als »heilig« anzusehen, und

4. die Überzeugung, dass es gewaltfreie Alternativen der Konfliktbearbeitung gibt, die einen dritten Weg zwischen Nichtstun und Gewaltanwendung eröffnen. Dazu unten mehr.

Pazifismus und der »Gerechte Krieg«

Die Pazifismus-Debatte wird primär unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten geführt. Es geht um die Berechtigung der Anwendung von Gewalt. Beide Seiten bedienen sich dabei der Kriterien des »Gerechten Krieges« – vonseiten der Kriegsgegner*innen wohl nicht immer bewusst oder sogar im Widerspruch zu der oftmals geäußerten Ablehnung dieses Konzepts. Zu den über die Jahrhunderte entwickelten Kriterien für »Gerechten Krieg« gehören in erster Linie: Legitime Autorität, gerechter Grund, letztes Mittel (Ultima Ratio), rechte Intention und Verhältnismäßigkeit der Mittel. Während die Befürworter*innen eines bestimmten Krieges darauf verweisen, dass »nichts anderes mehr übrig blieb«, argumentieren Pazifist*innen, dass noch »nicht alle zivilen Mittel ausgeschöpft wurden«. Beide beziehen sich damit auf das Kriterium der Ultima Ratio. Verweisen Kriegsgegner*innen auf die »tatsächlich verfolgten Interessen«, z.B. die Sicherung wirtschaftlicher und geopolitischer Vorteile, ist die Verneinung der rechten Intention unübersehbar. Wird auf die zu befürchtenden Opferzahlen eines Angriffs oder die Gefahren einer Eskalation in einer Region hingewiesen, steht das Kriterium der Verhältnismäßigkeit im Raum. Und der Verweis bei bestimmten Kriegen (Kosovo, Irak, teilweise jetzt auch Syrien), dass ein Mandat der Vereinten Nationen fehle, ist nicht nur ein völkerrechtliches Argument, sondern auch der Hinweis, dass die Legitime Autorität nicht gegeben sei.

Ein Problem ist all diesen Argumentationen gemein: Sie räumen implizit die Berechtigung von Krieg ein. Wenn keine zivilen Mittel mehr denkbar sind, wenn es wirklich um die Verhinderung von Genozid und nicht um Erdöl geht, wenn die Opferzahlen voraussichtlich nicht hoch sind und wenn ein Mandat des UN-Sicherheitsrats vorliegt – ist Krieg dann gerecht(fertigt)?

Ein zweites Element der Diskussion ist die Rolle von Moral und Ethik in der Politik, die u.a. Heiko Hänsel und Heinz-Günter Stobbe in ihrer Studie über die deutsche Debatte um den Kosovokrieg nachzeichneten.7 Überspitzt formuliert wird dann, wenn ein ethischer Gesichtspunkt nicht per se entkräftet werden kann, argumentiert, Moral tauge leider nicht als politischer Maßstab. In der Öffentlichkeit wird kaum als Widerspruch wahrgenommen, dass dieser Hinweis oftmals von denselben Politiker*innen kommt, die gerade eben noch erklärt hatten, jetzt müsse man dringend eingreifen, weil sonst Unschuldige schutzlos der Gewalt preisgegeben seien. An dieser Stelle kommt Max Webers Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik zum Zuge.

Verantwortungspazifismus

Den Pazifist*innen wird immer wieder vorgeworfen, »gesinnungsethisch« zu handeln und nicht die Verantwortung für »das Ganze« zu übernehmen. Der Friedensforscher Harald Müller schrieb in seiner zustimmenden Antwort auf Volmer 2002: „Der Pazifist muss zu Gunsten seiner prinzipiellen Gewaltlosigkeit in Kauf nehmen, dass das Böse widerstandslos Gewalt anwenden kann.“8

Dem ist zu widersprechen! Nur eine Minderheit von Pazifist*innen – zumeist gerade erst erwachsen gewordene männliche Kriegsdienstverweigerer – haben nicht nach der Verallgemeinerbarkeit ihrer Gewissensentscheidung gefragt und sich nur für das eigene Nicht-Mitmachen und das vermeintliche sich dadurch Nicht-Schuldig-Machen interessiert. Die weitaus meisten Pazifist*innen denken stets weiter und leben – in der Regel, ohne diesen Begriff zu verwenden –einen »verantwortungsethischen« Pazifismus vor. Sie verweigern sich nicht der Frage, wie ein politischer Konflikt gelöst, ein Krieg verhindert oder gestoppt oder gravierende Menschenrechtsverletzungen beendet werden können. Sie beschränken sich nicht auf das »Ohne uns« oder das »Hättet Ihr mal früher«, sondern greifen aktiv in das politische Geschehen ein und suchen Antworten auf die Frage »Was jetzt?«. Im Sinne Gandhis und Martin Luther Kings gilt Pazifist*innen Gewaltfreiheit als der dritte Weg zwischen dem desinteressierten Wegschauen oder der Hinnahme vermeintlich unveränderlichen Unrechts einerseits und der Anwendung von Gewalt andererseits.

Die meist pauschal vorgetragene Auffassung, Gewaltfreiheit habe nur auf niedrigen Eskalationsstufen eines Konfliktes Aussicht auf Erfolg, also bevor offene Gewaltanwendung den Konflikt dominiert, ist durch zahlreiche Beispiele widerlegt. Die Geschichte, insbesondere die des 20. Jahrhunderts, ist reich an Beispielen gewaltfreier Aufstände und zivilen Widerstands, in denen sich eine Akteursseite nicht für Gewalt, sondern für Gewaltfreiheit als »letztes Mittel« entschied. Gewaltfreiheit als Instrument der Konfliktaustragung stand selbst in den Fällen zur Verfügung, in denen Gewalt ohnehin keine Option war, z.B. weil es an Waffen fehlte, das Militär auf der gegnerischen Seite stand oder ihm nicht zu trauen war (Kapp-Putsch 1920, Prag 1968, Philippinen 1986) oder weil zu erwarten war, dass Gewalt zur Vernichtung führen würde (das Hauptargument der gewaltlosen Bewegung im Kosovo bis 1997).

Natürlich kann auch eine gewaltfreie Konfliktaustragung misslingen oder zu viel Zeit beanspruchen, bevor sie »greift«. Wo massive Gewalt herrscht, wie z.B. heute in den Einflussgebieten des »Islamischen Staates«, gibt es keine schnelle Lösung.

Letzteres gilt in aller Regel aber auch für militärische Maßnahmen. »Humanitäre Interventionen« beispelsweise haben keine überzeugende Erfolgsbilanz. Es gibt historisch nur sehr wenige Beispiele erfolgreicher Interventionen in laufende Kriege oder genozidale Gewalt. Zu ihnen gehören die Befreiung Kambodschas von den Roten Khmer durch Vietnam 1978/79 und nahezu zeitgleich die Intervention Tansanias in Uganda, die zum Sturz Idi Amins führte. Interessanterweise gaben in beiden Fällen die eingreifenden Akteure keine humanitären Begründungen vor, und in beiden Fällen verurteilte die internationale Gemeinschaft die Intervention als Aggression. Ein Grenzfall könnte der Kosovokrieg von 1998 sein. Durch ihn wurden möglicherweise Verbrechen wie in Ostbosnien verhindert, allerdings um den Preis der Flucht und Vertreibung der bis dahin dominanten Bevölkerungsminderheit der Serben.

»Humanitäre Interventionen« sind zu unterscheiden von »normalen« Kriegen. Der in der Pazifismusdebatte oft angeführte Zweite Weltkrieg war keine Militärintervention, sondern ein internationaler Krieg, in dem die beteiligten Staaten auf alliierter Seite entweder Angegriffene waren oder diesen Beistand leisteten. Hätte Krieg niemals zumindest einer Kriegspartei einen Vorteil gebracht, könnte Krieg nicht gewonnen werden, dann hätte er sich als menschheitsgeschichtliche Institution nicht so lange erhalten und ökonomische und geostrategische Interessen hätten sich andere Vehikel zur Durchsetzung gesucht. Dem Uppsala Conflict Data Program zufolge endeten zwischen 1946 und 2005 372 bewaffnete Konflikte, davon etwa ein Drittel mit dem Sieg einer Partei und ein Viertel durch eine Verhandlungslösung.9

Gewaltfreie Alternativen entwickeln

Für »humanitäre Interventionen« wie für Kriege allgemein gilt: Es gibt in der Regel Alternativen, die werden aber aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt. Im Englischen gibt es das Sprichwort „Wer einen Hammer besitzt, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.“ Mit wenigen Ausnahmen, wie Costa Rica, verfügen fast alle Staaten der Welt über ein Militär, seine Nutzung liegt also auf den ersten Blick nahe. Denn gewaltfreie Alternativen erfordern zunächst viel mehr Planung (und vielleicht auch Mut) als militärische Lösungen. Zivile Konfliktbearbeitung ist nicht ein einzelnes Instrument, sondern ein Sammelbegriff für Hunderte von Instrumenten. Zu ihnen gehören Ansätze, die der Suche nach einer friedlichen Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien dienen, Ansätze, bei denen es um das Stoppen von Gewalt geht, und Ansätze, die sich mit den Ursachen und den langfristigen Folgen eines Konflikts befassen. Für viele dieser Instrumente halten die Staaten nur in Ausnahmefällen menschliche und finanziellen Ressource vor, d.h. sie müssen diese vor einem Einsatz zuerst aufbauen. Außerdem gerät eine Regierung beim Verzicht auf einen Militäreinsatz leicht unter außenpolitischen, unter Umständen auch innenpolitischen Druck. Man erinnere sich an die Vorwürfe gegen jene europäischen Regierungen, die 2003 eine Beteiligung am Krieg der USA gegen den Irak verweigerten.

Und es gibt weitere Gründe, Militär vorzuhalten. Wo wäre die mächtige Rüstungsindustrie, würde sie keine Abnehmer mehr finden? Was würde mit den Soldat*innen geschehen, die ihren Job verlören? Wie ließe sich ohne Waffengewalt die gegenwärtige, auf Ausbeutung beruhende internationale Weltordnung aufrechterhalten? Mit Ziviler Konfliktbearbeitung jedenfalls nicht.

Pazifist*innen haben verschiedene Strategien entwickelt, wie Rüstung und Militär überwunden und durch gewaltfreie Ansätze ersetzt werden können. Das ist für beide offiziell propagierten Hauptzwecke des Militärs möglich: die Verteidigung und die »humanitäre Intervention«. So wurde schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine Alternative zur militärischer Verteidigung ausgearbeitet: die Soziale Verteidigung. Sie war die Reaktion auf die Unmöglichkeit, sich in einem Atomkrieg zu verteidigen. Ihr Grundgedanke lautet, der mögliche Aggressor lasse sich von einem Angriff abhalten, sobald er erkenne, dass er seine Kriegsziele nicht erreichen kann, weil die Bevölkerung die Zusammenarbeit mit ihm verweigern wird. Greift er trotzdem an, dann werden nicht die Grenzen verteidigt, sondern die eigene Lebensweise, indem Anordnungen des Besatzers nicht befolgt werden. Vorbild sind die zahlreichen erfolgreichen gewaltfreien Aufstände und Beispiele zivilen Widerstands der letzten 100 Jahre, wie sie in etlichen Studien der jüngeren Zeit gut belegt wurden. Einige von ihnen, besonders die von Anderson und Wallace beschriebenen Fälle, wo ganze Volksgruppen, Regionen oder auch nur einzelne Gemeinden es schafften, sich aus Kriegen herauszuhalten, die um sie herum tobten, können als Beispiele für Soziale Verteidigung gelten.10

Analog dazu bieten die oben angesprochenen umfassenden Instrumentarien der Zivilen Konfliktbearbeitung eine Alternative zu den »humanitären Interventionen«. Eine weitere Option ist der Einsatz jener gewaltfreien »Friedensarmeen«, die Gandhi einst ins Spiel brachte – ein Ansatz, den wir heute als ziviles Peacekeeping kennen.11

Eng hiermit verbunden ist die Entwicklung konstruktiver Programme – alternative Weisen, wie man Lebensmittel herstellt, Wirtschaft treibt, Energie nutzt und zusammenlebt. So ließe sich nicht nur das oben angesprochene Problem der Konversion von Rüstungsindustrie und Armeen lösen, sondern sogar die Frage der gegenwärtigen Weltordnung angehen.

Pazifist*innen haben heute oft das Gefühl, dass sie auf verlorenem Posten kämpfen, so sehr haben Krieg und Militär in diesen Jahren eine neue »Normalität« erreicht. Aber die Autorin ist überzeugt, dass sich das wieder ändern wird. Radikaler Wandel ist möglich. Sonst gäbe es immer noch legale Sklaverei, sonst würden Frauen nirgendwo auf der Welt wählen und ihr Leben unabhängig von Ehemann oder Vater gestalten dürfen, und sonst würden Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle überall ins Gefängnis gesteckt oder hingerichtet werden. Auch gäbe es keine Konzepte und Instrumente wie Zivile Konfliktbearbeitung, und niemand würde autoritäre Regierungsformen in Frage stellen.

Erst wenn das Verhältnis der Ressourcenverwendung für gewaltfrei-zivile und für militärische Formen der Konfliktbearbeitung umgekehrt wird – das heißt, mindestens zehnmal so viel für friedliche als für militärische Mittel ausgegeben wird – lässt sich beurteilen, ob die angeblich »utopische« Idee des Pazifismus nicht die realpolitisch effektivere ist.

Anmerkungen

1) Geyer, C.: Pazifismus – ein Abgesang. faz.net, 1.9.2014.

2) Stein, H.: Käßmanns Pazifismus ist vor allem eines – nicht christlich. welt.de, 31.3.2016.

3) Volmer, L.: Was bleibt vom Pazifismus. Frank­furter Rundschau, 7.1.2002.

4) Frei nach Amnéus, D.: Responsibility to Protect – Emerging Rules on Humanitarian Intervention? Global Society, Vol 26, No 2, April 2012, S. 241-276, hier S. 243.

5) „Mit Pazifismus sollten alle individuellen und kollektiven, auf friedliche und gewaltfreie zwischenstaatliche Konfliktaustragung gerichteten Bestrebungen bezeichnet werden, mit deren Hilfe sich schließlich eine auf das Recht gegründete Völker- und Staatengemeinschaft organisieren lasse.“ Holl, K. in: Donat, H. und Holl, K. (1983): Hermes Handlexikon Die Friedensbewegung – Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Düsseldorf: Econ, S. 300.

6) Drewermann E. (2002): Krieg ist Krankheit, keine Lösung – Eine neue Basis für den Frieden. Im Gespräch mit Jürgen Hoeren. Freiburg i. Breisgau: Herder, S. 61.

7) Hänsel, H.; Stobbe, H.-G. (2002): Die deutsche Debatte um den Kosovo-Krieg – Schwerpunkt und Ergebnisse. Versuch einer Bilanz nach drei Jahren, verfasst im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin (unveröffentlichtes Manuskript).

8) Müller, H.: Stachel im Fleisch der Selbstgerechten. Zur Ehrenrettung des unbedingten Pazifismus. Frankfurter Rundschau, 24.1.2002.

9) Der Trend ging aber hin zu Verhandlungslösungen: Seit den 1990er Jahren bis 2005 ist die Zahl der Fälle, die durch Verhandlungen beigelegt wurden, auf das bis zu Vierfache der Kriegsbeendigungen durch den Sieg einer Partei gestiegen. Siehe Mack, A.: Human Security Brief 2006. Vancouver: Human Security Centre at the Liu Institute for Global Issues at the University of British Columbia, Canada.

10) Chenoweth, E.; Stephan, M.J. (2011): Why Civil Resistance Works – The Strategic Logic of Nonviolent Conflict. New York: Colombia University Press.
Anderson, M.B.; Wallace, M. (2013): Opting Out of War – Strategies to Prevent Violent Conflict. Boulder/London: Lynne Rienner Publishers.

11) Mehr dazu in: Furnari, E.; Julian, R.; Schweitzer, C.: Ziviles Peacekeeping – Menschen wirksam schützen ohne Drohung oder Gewalt. W&F-Dossier 83, November 2016.

Dr. Christine Schweitzer ist Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung e.V.

Zu böse für Frieden durch Frieden?

Zu böse für Frieden durch Frieden?

Über widerstreitende Menschenbilder

von Albert Fuchs

Wenn es beim Thema »Krieg und Frieden« ums Grundsätzliche geht, wird der Glaube an (militärische) Gewalt als letztes Mittel, Frieden zu schaffen oder zu erhalten, vielfach damit begründet, der Mensch als solcher sei zu böse für Frieden durch Frieden. Es wird also ein »pessimistisches« Menschenbild zur Stützung dieses Glaubens bemüht. Was heißt das genauer, und welche Bedeutung haben Menschenbilder für Vorstellungen von Frieden und Friedenschaffen?

Das Adjektiv »böse« im Titel dieses Beitrags verweist auf eine moralische Qualität, ist demnach strikt zu unterscheiden von »schlecht« im naturhaften Sinn – wie etwa eine Krankheit schlecht ist für das Befinden oder die Lebenserwartung eines Menschen oder wie eine Wetterlage schlecht ist für ein Freizeitvorhaben. »Gut« und »böse« im ethischen Sinn qualifizieren originär menschliches Handeln, und zwar den (zielbewussten) Umgang mit naturhaft Gutem und naturhaft Schlechtem, insbesondere im Hinblick auf Mitmenschen. Auf etwas Wesenhaftes »jenseits« der Fähigkeit, gut oder böse zu handeln, kann Böses nicht zurückverfolgt werden. Erst im abgeleiteten Sinn kann von Menschen gesagt werden, sie seien gut oder böse – dann nämlich, wenn sie grundsätzlich und bei nahezu allen Gelegenheiten entsprechend handeln.

Bei alltagssprachlich formulierten Menschenbildern werden derartige Differenzierungen eher vernachlässigt. Denn Menschenbilder sind in der Regel ab­strakte philosophische oder theologische Vorstellungen davon, was den Menschen und die menschliche Gesellschaft im Wesentlichen ausmacht. Obgleich ihnen eine allgemeine und zeitlose Gültigkeit unterstellt wird, sind sie kulturrelativ und zeitgebunden, werden im Laufe der Entwicklung immer wieder neu entworfen und bearbeitet. Zumindest im gleichen Maße wie den Versuch einer Bestim­mung der menschlichen Natur beinhalten sie idealisierende Umschreibungen dessen, was in einer Trägergesellschaft als menschliches Ideal gilt oder gelten soll. Aufgrund dieses normativen Aspekts erhalten Menschenbilder politische Relevanz. Eine solche Relevanz ergibt sich aber auch aus ihrem Legitimierungspotenzial für bestehende gesellschaftliche und politische Verhältnisse.

Überlegungen dieser Art legen nahe, dass der oft scheinbar nur in unterschiedlichen militär- und sicherheitspolitischen Präferenzen bestehende Gegensatz zwischen Pazifismus und Militarismus tief verankert sein dürfte in gegensätzlichen Menschenbildern. Nur um diesen Krieg und Frieden betreffenden Aspekt von Menschenbildern geht es hier. In welchem Sinn aber soll von Pazifismus und Militarismus die Rede sein?

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist das Kunstwort »Pazifismus« als zusammenfassende Bezeichnung für alle Friedenskonzepte, Teilziele und friedenspolitischen Ansätze der Friedensbewegungen und -organisationen in Gebrauch. Pazifismus als Doktrin ist demzufolge kein einheitliches Gebilde; in der rund 200-jährigen Geschichte der pazifistischen Bewegungen hat sich eine Positionsfamilie entwickelt, in der das Pazifismuskonzept uneinheitlich verwendet bzw. kontrovers bestimmt wird. Die Hauptfacetten – »kein Krieg«, »nicht Töten« und »ohne (physische oder psychische) Gewalt« (vgl. Holmes 2014; Moseley o.J.) – werden in unterschiedlichen Bewegungen und Organisationen unterschiedlich gewichtet. Als Begriffskern und kleinsten gemeinsamen Nenner kann man die grundsätzliche, insbesondere politisch-moralische Ablehnung von Krieg und militärischer Gewalt als Mittel zur Austragung politischer Konflikte ansehen, zumal dieser Aspekt von den anderen Facetten impliziert wird (sie aber nicht eindeutig impliziert). Die positive, auch handlungsbezogene Seite der pazifistischen Perspektive mag in einer Formel wie „Frieden durch Frieden und nur durch Frieden“ prägnant zum Ausdruck kommen.

Als bellizistisches Gegenstück gilt eine Position, wie sie mit dem altrömischen Motto „Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor“ auf den Punkt gebracht ist. Einen Gegensatz im strengen Sinn aber stellt die militaristische Gewaltfriedens­idee dar, nach dem Leitsatz „Wenn du Frieden willst, führe Krieg“. Nun folgt auf Kriegsvorbereitung im bellizistischen Sinn zwar nicht notwendigerweise Krieg. Kriegführung erfordert jedoch entsprechende Vorbereitungen. Die aber haben auf der Mentalitätsebene Kriegführungsbereitschaft zur Voraussetzung und bedingen auf der materiellen und sozialen Ebene einen Verbrauch von Ressourcen, der u.U. nicht weniger destruktiv ist als manifeste kriegerische Gewalt. Hinzu kommt, dass der Militarismusbegriff in der einschlägigen (sozialwissenschaftlichen) Literatur als etablierter Gegenbegriff zum Begriff des Pazifismus gilt. Hier soll daher im Weiteren nur von einem Gegensatz Militarismus-Pazifismus die Rede sein.

Bei Auseinandersetzungen um Militär und Krieg sind Verweise auf das gegnerische und das eigene Menschenbild vielfach Instrument der Auseinandersetzung in Form von spiegelbildlich gegensätzlich konnotierten Verweisungen: Das je eigene Bild wird positiv gekennzeichnet, das der Gegenseite negativ. Aus objektivierend-sozialwissenschaftlicher Perspektive ist das Problemfeld kaum bearbeitet. Im Bereich der sozialpsychologischen Einstellungsforschung beispielsweise ist erst in jüngerer Zeit der eine oder andere Beitrag zu finden, in dem Vorstellungen von der Natur des Menschen als Komponente des Einstellungskomplexes Militarismus-Pazifismus ernst genommen werden und in einschlägige Untersuchungsinstrumente eingehen (z.B. Cohrs and Nelson 2012).

Der Einstellungsforschungsansatz aber ist insofern ergänzungsbedürftig, als er individualpsychologisch orientiert ist. Das heißt, es geht im Wesentlichen um die Bestimmung der Position einzelner Personen auf dem hypothetischen Militarismus-Pazifismus-Kontinuum. Eine Menge von Personen gleicher oder ähnlicher Position auf diesem Kontinuum bildet aber nur dann eine genuine soziale Einheit, wenn nahezu alle vom Bestehen dieser Gemeinsamkeit ausgehen, es sich also um mehr oder weniger bewusst geteilte Vorstellungen handelt. Damit ist die seit den 1970er Jahren entwickelte sozialpsychologische Theorie »sozialer Repräsentationen« (z.B. Moscovici 1981) angesprochen. Dieser Ansatz macht den sozialen und kulturellen Hintergrund von Wissen, Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen zum Gegenstand empirischer Forschung; er wäre insofern wie kaum ein anderer geeignet, diesen Hintergrund militaristischer und pazifistischer Einstellungen auszuleuchten. Entsprechende Arbeiten liegen bisher (nach Kenntnis des Autors) nicht vor. Hilfsweise soll hier das Menschenbild zweier Leitfiguren unseres Perspektiven-Gegensatzes skizziert und kurz unter dem Gesichtspunkt der Friedensrelevanz kommentiert werden.

Thomas Hobbes und der »negative Frieden«

Als exemplarisch für die »sicherheitslogische« militaristische Perspektive kann das Bild vom Menschen (und der Gesellschaft) gelten, das Thomas Hobbes (1588-1679) in seinem staatsphilosophischen Hauptwerk »Leviathan« (1651/1984) zeichnet. Hobbes versteht den Menschen nicht als »ursprünglich gesellig«, sondern als nach Selbsterhaltung und Bedürfnisbefriedigung strebendes Einzelwesen in einer Situation fundamentaler Konkurrenz mit anderen Einzelnen um begrenzte Güter. Soziale Beziehungen kommen vor allem in der Gestalt von Macht zur Geltung, verstanden als Potenzial zu letztlich gewaltförmiger Sicherung und Steigerung eigener Bedürfnisbefriedigung. Macht erfordert Machterhalt und bedingt damit ein verbreitetes Streben nach Machterweiterung. Das wiederum führt zur Verschärfung des Grundkonflikts.

Nicht zuletzt dank der ständigen Exponiertheit des Lebens eines jeden sind die konkurrierenden Individuen grundsätzlich gleich und leben in der gleichen Hoffnung, ihre Ziele zu erreichen. Wenn aber ein bestimmtes Wertobjekt von mehreren Menschen gleichzeitig begehrt wird, jedoch unmöglich gleichzeitig zu besitzen und zu genießen ist, kommt es unweigerlich zum Kampf. Von Natur aus hat jeder das Recht auf alles, was er zur seiner Selbsterhaltung und Bedürfnisbefriedigung braucht. Doch dieses »Naturrecht« eignet sich nicht als Regulativ; vielmehr führt das »Recht aller auf alles« zum »Krieg aller gegen alle« – bei beständiger Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes.

Ein Ausweg aus diesem miserablen »Naturzustand« erschließt sich, wenn Todesfurcht und Begehren die menschliche Vernunft in ihren Dienst nehmen. Dann kann durch einen Vertrag zwischen den Individuen, der die gesamte je eigene Macht und Stärke und alle »natürlichen Rechte« auf einen Menschen oder auf eine Versammlung von Menschen überträgt, eine politische Friedensordnung gestiftet werden. Durch vollständige Unterwerfung unter diesen Souverän entsteht eine alle Glieder der Gemeinschaft zwingende Gewalt, die die Sicherheit ihrer Mitglieder und deren Freiheit, ihre Ziele zu verfolgen, zu gewährleisten vermag. Der so kreierte Gewaltmonopolist Staat (Leviathan) ist ein von den Individuen verfertigtes Artefakt. Nachdem sie ihn aber geschaffen haben, können die Einzelnen ihm gegenüber keine Rechte mehr geltend machen. Mit dem Wegfall des intendierten Schutzes entfällt allerdings die dieses Schutzes wegen eingegangene Gehorsamsverpflichtung.

In Fragen von Recht und Moral gilt Hobbes weithin als früher Rechtspositivist. Erst mit dem »Gesellschaftsvertrag« wird ihm zufolge die Rede von Recht und Unrecht, Gut und Böse sinnvoll. Andererseits meint er, aus dem Selbsterhaltungsbedürfnis ergäbe sich ein grundlegendes und allgemeines »Gesetz der Natur« (lex naturalis): Dem Menschen ist es verboten, etwas zu tun, was sein Leben vernichten oder ihn lebenserhaltender Mittel berauben kann, und zu unterlassen, wodurch es am besten zu erhalten ist. Demgemäß haben sich alle um Frieden zu bemühen, solange Hoffnung auf Frieden besteht, dürfen sich aber sämtliche Mittel und Vorteile des Krieges verschaffen, falls Frieden nicht erreichbar ist. Des Weiteren sollen die Einzelnen freiwillig, falls andere ebenfalls dazu bereit sind, auf ihr Recht auf alles verzichten, soweit sie das um des Friedens und der Selbstverteidigung willen für notwendig halten. Doch selbst ein so allgemeines moralisches Prinzip wie die hier anklingende »Goldene Regel«, andere zu behandeln, wie man selbst behandelt werden will, hält Hobbes für ungeeignet, auch nur minimale Sicherheit zu gewährleisten. Erst die Furcht vor einer mit Zwangsgewalt ausgestatteten Macht, welche die Nicht-Beachtung solcher »natürlichen Gesetze« unter Strafe stellt, macht diese wirkmächtig.

Die nach Hobbes durch Konstruktion des Leviathans gestiftete Friedensordnung beruht auf der Todesfurcht und dem Begehren des Individuums. Der fundamentale Wert ist Sicherheit im Sinne des Schutzes vor einem gewaltsamen Tod. Damit läuft diese Friedenskonzeption lehrbuchhaft auf einen »negativen Frieden« im Sinne Galtungs (1975) hinaus. Die zwischenstaatlichen Beziehungen hat Hobbes allerdings nur am Rande im Blick; er scheint den Naturzustand diesbezüglich für unüberwindbar zu halten. Manche Vertreterinnen und Vertreter der »realistischen« (außen-) politischen und politikwissenschaftlichen Schule sehen gleichwohl in einer Übertragung seines Modells auf die »anarchische« internationale Bühne eine bzw. die einzige Möglichkeit zwischenstaatlicher Friedenssicherung. Die Bedeutung der hobbesschen Perspektive für die herrschende militärgestützte »Sicherheitslogik« ist kaum zu bestreiten (vgl. Jaberg 2014).

Das Kernproblem stellt das »Sicherheitsdilemma« dar. Es besteht im Wesentlichen darin, dass Versuche eines Staates, mit militärischen Mitteln für seine Sicherheit vor Übergriffen eines anderen Staates zu sorgen, leicht zu dessen zunehmenden Unsicherheit und zu entsprechenden Gegenreaktionen führen können, unabhängig von den tatsächlichen ursprünglichen Absichten. Das Ergebnis ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Spirale zunehmender beidseitiger Unsicherheit (vgl. Wikipedia 2016). Verstärkt wird diese »Self-fulfilling prophecy«-Dynamik (Merton 1968) durch den Mechanismus der Akteur-Beobachter-»Perspektivendivergenz« (Jones und Nisbett 1971): Eigene Handlungen und Maßnahmen werden grundsätzlich als defensiv und gerechtfertigt wahrgenommen und auf äußere Umstände (insbesondere auf das gegnerische Handeln) zurückgeführt, die zu beobachtenden gegnerischen aber als (potenziell) bedrohlich und nicht rechtfertigungsfähig interpretiert und der Bösartigkeit des Gegners zugeschrieben.

Mohandas K. Gandhi und »positiver Frieden«

Als grundlegendes und umfassendes Gegenmodell zur hobbesschen Konstruktion kann man Mohandas K. Gandhis (1869-1948) Satjagraha-Praxis und -Philosophie verstehen (Gandhi 1983; 1996). Die Wortschöpfung »Satjagraha« (Festhalten an der Wahrheit) zur Kennzeichnung des gesamten Ansatzes verweist auf dieses ganz andere Bild vom Menschen und der Gesellschaft. Gandhi glaubte aus religiöser Überzeugung an die Einheit allen Lebens und damit an die grundsätzliche Vereinbarkeit aller wesentlichen menschlichen Interessen und Bestrebungen. Konflikte und Auseinandersetzungen sind in dieser Perspektive oberflächliche Störungen einer tiefgründigen Harmonie. Erkenntnis und Realisierung dieser Harmonie hält Gandhi für jeden Menschen in dem Maße für möglich, wie er oder sie seinem/ihrem Bedürfnis nach Wahrheit im umfassenden Sinn folgt.

Dabei ist Gandhis Denken und Handeln recht skeptisch und geradezu experimentalistisch getönt. Da alle Sachverhalte viele Seiten haben, ist jede spezifische Annäherung an die Wahrheit grundsätzlich fragmentarisch und irrtumsanfällig und daher vorläufig. Gerade in politisch-praktischen (und religiösen) Belangen muss es daher pluralistisch und kooperativ zugehen. Die eigenen Einsichten müssen Gefährten einleuchten und vor allem auch (politische) Gegenspieler überzeugen. Konfliktbearbeitung im Besonderen ist nach Gandhi, wenn sie gelingen soll, als zutiefst dialogischer Prozess des zwangsfreien Erstreitens einer einvernehmlichen Lösung zu verstehen, als Freisetzung einer allen Parteien gerecht werdenden »höheren Wahrheit«.

Gandhi deutet diesen Prozess als Ausübung von »Ahimsa« (wörtlich »Nicht-Verletzen«), als (aktive) Gewaltfreiheit – ein Verständnis von Einfluss und Macht, das der hobbesschen Reduktion auf Gewalt diametral entgegensteht. Dabei kann die eigene Obrigkeit der Gegner sein und demzufolge das Erstreiten einer höheren Wahrheit auch zivilen Ungehorsam einschließen. Niemals aber und gegenüber niemandem ist Wahrheit mit Gewalt zu erreichen oder durchzusetzen; denn wer Gewalt anwendet, sieht sich im Besitz der Wahrheit und verwickelt sich in einen unheilbaren Widerspruch von Ziel und Mittel – in dessen Folge die Mittel das Ziel korrumpieren.

Bei der Suche nach Wahrheit im politischen Bereich spielt die moralische Seite eine zentrale Rolle, mit dem persönlichen Gewissen als Letztinstanz. Unter Umständen entsteht das Dilemma, entweder die eigene Wahrheit unter gegnerischem Druck zu verraten oder die des Gegners zu diskreditieren. Eine Lösung sucht Gandhi in konsequenter Ahimsa. Das aber erfordert, dass der »Satjagrahi«, der gewaltfreie Aktivist, bereit ist zu »Tapasja« (wörtlich »Selbst-Leiden«), d.h. dazu, sich auch persönlichem Leiden auszusetzen oder gar den eigenen Tod in Kauf zu nehmen, um das Gewissen des Gegners zu erreichen.

Um einem groben Missverständnis der Konzeption Gandhis als individualethischem Hochleistungsprogramm vorzubeugen, seien die auf das Gemeinschaftsleben bezogenen Leitideen »Sarvodaja« (Wohlfahrt für alle), »Swaraj« ((kollektive) Freiheit und Selbstbestimmung) und »Swadeshi« (kommunale ökonomische Selbstorganisation) wenigstens erwähnt. Als funktionales Äquivalent der Agenturen der staatlichen Zwangsgewalt entwarf er mit seinem Schüler Vinoba Bhave die »Shanti Sena«, Friedensbrigaden, die durch gewaltfreie Konfliktbearbeitung gemäß den Satjagraha-Prinzipien Ordnungsfunktionen wahrnehmen soll(t)en, wie sie herkömmlicherweise Polizei und Militär zugedacht sind.

Gandhis Satjagraha-Praxis und -Philosophie kann als positive Friedenskonzeption im Sinne der galtungschen Typologie gelten. Bereits persönliche Ahimsa wollte Gandhi, anders als im Jainismus, seiner Referenzreligion, nicht vorwiegend negativ als Gewaltverzicht verstanden und ausgeübt wissen, sondern als positive Kraft tätiger Liebe. Insbesondere die auf das Gemeinschaftsleben bezogenen Konzepte Wohlfahrt für alle, (kollektive) Freiheit und Selbstbestimmung und (kommunale) ökonomische Selbstorganisation sind Zielkomponenten einer konstruktiven Programmatik. Allerdings gehört die Abwehr der betreffenden Unwerte, vor allem der Schutz vor direkter Gewalt und Unterdrückung, dazu. Damit entspricht Gandhis Konzeption weitgehend der Leitidee des »gerechten Friedens« im zeitgenössischen friedensethischen Diskurs der christlichen Kirchen (in Deutschland). Im Gegensatz zur herrschenden großkirchlichen Auffassung soll der Widerstand aber selbst bei existentieller Bedrohung durch militärische Großgewalt grundsätzlich gewaltfrei sein.

Auf den ersten Blick scheint diese Position klar und eindeutig zu sein. Gandhi unterscheidet allerdings vier Entwicklungsstufen auf dem Weg zur Gewaltfreiheit: von feiger Unterwerfung über gewaltsamen Widerstand und passiven Widerstand zu aktiver Gewaltfreiheit. Und trotz seiner vielfach bekundeten Überzeugung, Gewaltfreiheit sei der Gewalt unendlich überlegen, glaubte Gandhi, dass er einer Person, die sich angesichts massiven Unrechts vor der Wahl zwischen Feigheit und Gewalt sieht, zu gewaltsamem Widerstand raten würde. Wiederholt stellte er auch eigene Hilfsdienste (als Sanitäter) beim britischen Militär in das Licht solcher Überlegungen.

Die augenscheinliche Widersprüchlichkeit löst sich weitgehend auf, wenn man derartige Einlassungen als Ausdruck der Beförderung des Gewissens zur politisch-moralischen Letztinstanz versteht und als Ausdruck des Postulats, dass die persönliche Motivation ausschlaggebend ist für die moralische Qualität des Handelns (vgl. Pontara 1967). Etwas weiter gedacht aber muss eine solche Subjektivierung den gesamten Ansatz in Sackgassen führen. Wenn etwa manifeste Gewalt (»Himsa«) dank des »guten Willens« der Handelnden als Gewaltfreiheit (Ahimsa) gelten kann, sodass beispielsweise mit solcher Ahimsa Verletzte und Getötete keine Gewaltopfer mehr sein sollen, steht nicht nur die Entsprechung von Mittel und Ziel in Frage, sondern Gewaltfreiheit gerät zum Selbstwiderspruch. Eine andere Sachgasse tut sich auf, wenn selbst-erklärte »politische Pazifisten« mit »extremen Ausnahmesituationen« reihenweise rechnen, die das Gewaltfreiheitsprinzip suspendieren, aber nicht recht anzugeben wissen, welche Situationsmerkmale solche Ausnahmesituationen ausmachen sollen, und dann bestenfalls auf kriteriologische Fragmente der Bellum-iustum-Theorie zurückgreifen, vor allem auf das Kriterium des »letzten Mittels«.

Für agnostisch Gestimmte oder Atheisten mag Gandhis religiöse Verwurzelung ein weltanschauliches Hindernis darstellen, sich auf seine Ideen und »Experimente mit der Wahrheit« ernsthaft einzulassen und sie unvoreingenommen zu prüfen. Sein Gottesverständnis ist allerdings ausgesprochen ökumenisch in einem denkbar weiten, jedenfalls Religionen mit nicht personalistischem Gottesverständnis einschließenden Sinn. Andererseits wurden im vergangenen Jahrhundert größere gewaltfreie Bewegungen vor allem von ausgeprägt religiösen Menschen inspiriert. Was einen eventuellen »Mehrwert der Religion« ausmachen könnte, ist insofern eine respektable wissenschaftliche und politisch-kulturelle Herausforderung. Schließlich ist zu unterscheiden zwischen Gewaltfreiheit als konkreter Taktik, als genereller Strategie und als Lebensform. Nur als Lebensform ist Gewaltfreiheit ein Wert in sich und als solcher am ehesten religiös konnotiert.

Rückblick und Ausblick

Auch Hobbes und Gandhi, deren Menschenbilder hier ersatzweise als typisch für Militarismus und Pazifismus nachgezeichnet wurden, sind nicht erkennbar um sprachliche Differenzierung in dem eingangs erläuterten Sinn bemüht. Eine quasi-moralische Qualifizierung des Menschen kommt aber – wenngleich eher indirekt – auch bei ihnen zum Ausdruck. Hobbes operiert jedenfalls hintergründig mit wesenhafter Schlechtheit (Egozentrik = Bösartigkeit?) des Menschen. Zwar werden Recht und Moral erst durch den Gesellschaftsvertrag konstituiert, zugleich bleibt ihre Durchsetzung auf die mit eben diesem Vertrag begründete Zwangsgewalt des Leviathan angewiesen. Dagegen setzt Gandhi auf eine ebenfalls wesenhafte Gutheit des Menschen, allerdings nicht auf faktische, sondern auf potenzielle, auf eine Gutheit, die über die (moralische) Selbstentwicklung des Einzelnen in und mit der Gesellschaft verlaufen muss.

Das hobbessche Menschenbild ist selbst für einen lediglich negativen (Abschreckungs-) Frieden eher kontraproduktiv: Menschliche Natur und internationale Anarchie garantieren, dass die Sicherheitsprekarität unüberwindbar ist. Doch es bleibt auch nicht beim Ewigselben; vor allem die von Hobbes kaum in Rechnung gestellte (waffen-) technologische Entwicklung treibt eine allgemeine und verschärfte Verunsicherheitlichung voran.

Die Friedensrelevanz von Gewaltfreiheit als Taktik wie als Strategie der Konfliktbearbeitung – ob mit oder ohne Bezug auf Gandhi – ist aus der objektivierenden wissenschaftlichen Sicht selbst nicht politisch involvierter Forscherinnen und Forscher spätestens seit den Arbeiten beispielsweise von Semelin (1995) und Chenoweth und Stephan (2011) empirisch gut belegt. Eine vergleichbare Relevanz kann man andererseits Gandhis Perspektive einer tiefgreifenden Gesellschaftsreform (bisher) kaum attestieren. Das mag u.a. damit zu tun haben, dass sein Beispiel umso weniger verpflichtend wurde, je mehr es sich abhob von den Denk- und Handlungsmöglichkeiten der Mehrheit seiner Gefolgschaft. Zu bedenken ist aber auch, dass Ideale definitionsgemäß nur approximativ zu erreichen sind, Gandhis Ideale ihre Zukunft also noch vor sich haben könnten.

Die von Jaberg (2014) erörterten Möglichkeiten aber, die Tücken des hobbesschen Ansatzes zu mildern – insbesondere selbstreflexive Wende, Perspektivenübernahme und Erfindung und Implementierung einer inklusiven Sicherheitskonzeption –, können und sollten aus pazifistisch-»friedenslogischer« Sicht als Schritt in Richtung der eigenen Idealvorstellungen verstanden und anerkannt werden.

Literatur

Chenoweth, D.; Stephan, M.J. (2011): Why civil resistance works. New York: Columbia University Press.

Cohrs, C. J.; Nelson, L.L. (2011): Militaristic attitude. In: D.J. Christie (ed.): The Encyclopedia of Peace Psychology. Malden, MA: Wiley-Blackwell.

Galtung, J. (1975): Gewalt, Frieden und Friedensforschung. In: Galtung, J.: Strukturelle Gewalt. Reinbek: Rowohlt, S. 7-36.

Gandhi, M. (1983): Mein Leben. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Gandhi, M. (1996): Für Pazifisten. Münster: LIT.

Hobbes, T. (1651/1984): Leviathan. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Holmes, R.L. (2013): Violence and nonviolence. In: Cicovacki, P. (ed.): The ethics of nonvio­lence. New York etc.: Bloomsbury, S. 149-167.

Jaberg, S. (2014): Sicherheitslogik – Eine historisch-genetische Analyse und mögliche Konsequenzen. In: Friedenslogik statt Sicherheitslogik. W&F-Dossier 75, S. 8-11.

Jones, E.E.; Nisbett, R.E. (1971): The actor and the observer – Divergent perceptions of the causes of behavior. In: Jones, E.E. et al. (eds.): Attribution – Perceiving the causes of behav­ior. Morristown, NJ: General Learning Press, S. 79-94.

Merton. R.K. (1967): Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen. In: Topitsch, E. (Hrsg.): Die Logik der Sozialwissenschaften. Köln/Berlin: Kiepenheuer & Witsch, S. 144-160.

Moscovici, S. (1981): On social representations. In: Forgas, J.P. (ed.): Social cognition. New York: Academic Press, S. 181-209.

Moseley, A. (o.J.): Pacifism. Internet Encyclopedia of Philosophy; iep.edu

Pontara, G. (1965): The rejection of violence in Gandhian ethics of conflict resolution. Journal of Peace Research, 2, S. 197-215.

Semelin, J. (1995): Ohne Waffen gegen Hitler. Frankfurt a.M.: Dipa.

Wikipedia (2016): Security dilemma. Stand 29.10.2016.

Prof. Dr. Albert Fuchs ist Hochschullehrer für Kognitions- und Sozialpsychologie i.R., Mitglied des Beirats von W&F und bei Pax Christi u.a. engagiert.

Frauen und Frieden nach 1945

Frauen und Frieden nach 1945

Eine Annäherung an den Diskurs in Ost- und Westdeutschland

von Helke Dreier

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges organisierten sich viele Frauen in Frauenausschüssen und -organisationen. Neben der Linderung der sozialen Not waren die Aktivitäten dieser Gruppen geprägt vom Thema »Frieden«, und ihre Aktionen galten dem Aufbau eines friedlichen und demokratischen Deutschlands. Ihr Beitrag dazu sollte die politische Bildung der Frauen sein. Dabei thematisierten sie einen Pazifismus, der stark an ihre Geschlechtsidentität und die damit verbundenen Kriegserfahrungen geknüpft war. Der sich verschärfende Ost-West-Konflikt und seine ideologischen Auseinandersetzungen hatten auch Konsequenzen für die friedenspolitische Diskussion innerhalb der Frauenorganisationen. Die Forschung dazu lässt bislang aber noch viele Fragen offen.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird häufig als eine Zeit des Politikverdrusses verstanden. Nach Krieg und Faschismus sei den Deutschen das Interesse für die Politik abhanden gekommen und ihr Leben vom mühsamen Nachkriegsalltag bestimmt gewesen. Lenkt man den Blick auf die Arbeit und die Aktivitäten der Frauen und ihrer Organisationen in dieser Zeit, kommt man allerdings zu einer anderen Einschätzung. Unmittelbar nach Kriegsende organisierten sich viele Frauen in den in allen vier Besatzungszonen entstehenden Frauenausschüssen und in anderen Frauenorganisationen, wie dem Frankfurter Frauenverband (gegründet als Zusammenschluss der hessischen Frauenausschüsse im Januar 1947), dem Wilmersdorfer Frauenverband (WFB, gegründet im Juli 1947, der Vorläufer des Berliner Frauenbundes/BFB), der Notgemeinschaft 1947 (gegründet im Januar 1948, später Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband) oder dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD, gegründet im März 1947), um nur ein paar Organisationen zu nennen.

Ihr soziales und fürsorgerisches Engagement zur Linderung der sozialen Not der Nachkriegszeit verstanden diese Frauenorganisationen als politische Aufgabe: „[…] Wir Frauendelegierten erkennen, daß unsere Arbeit nicht auf soziale Aufgaben beschränkt sein darf. Wir müssen den deutschen Frauen bei der Überwindung der faschistischen Ideologie Wegweiser und Helfer sein und sie zu verantwortlichen Mitarbeiterinnen gewinnen im Sinne des Friedens, der Völkerversöhnung, der Demokratie und des Aufbaues. Die Frauen werden lernen, politisch zu denken, damit sie klar erkennen, wo die Ursachen unserer heutigen Notlage liegen und mit uns den Ausweg aus der Not lindern, der in unserer eigenen Arbeit liegt.“ Aus diesem Auszug aus der Resolution der ersten Delegiertenkonferenz der Frauenausschüsse im Juli 1946 wird deutlich, dass das politische Engagement der Frauen friedenspolitisch geprägt war. Die Frauenorganisationen der Nachkriegszeit, die sich nicht explizit als Friedensorganisationen verstanden, sahen in der Sicherung des Friedens und dem Aufbau einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft in Deutschland ihre zentrale Aufgabe.

Neben diesen sich allerorts gründenden Frauenausschüssen, -gruppen und -organisationen entstanden immer mehr Zusammenschlüsse, die sich direkt als Frauenfriedensorganisationen gründeten. Sie unterschieden sich in ihrer Größe und Organisationsform. Einige waren lokal aktiv, wie der von der Physikerin Freda Wüsthoff 1946 ins Leben gerufene Stuttgarter Friedenskreis, eine Arbeitsgemeinschaft von Frauen zur Förderung des »dauernden« Friedens, der viele namhafte Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung angehörten, u.a. Gertrud Bäumer, Theanolte Bähnisch, Dorothee von Velsen, Elly Heuss-Knapp, Agnes von Zahn-Harnack, Marie Elisabeth Lüders und Clara von Simson (Hauser 1996). Andere, wie die im Juni 1948 unter der Leitung von Magda Hoppstock-Huth gegründete Deutschlandzentrale der Weltorganisation der Mütter aller Nationen (World Organization of Mothers of all Nations, W.O.M.A.N.), arbeiteten überregional.

Verantwortung der Frauen für den Frieden

Die politischen Aktivitäten der Frauen(friedens)gruppen und -organisationen der Nachkriegszeit waren von Kampagnen für den Frieden bestimmt. Die in allen vier Besatzungszonen stattfindenden Frauenkongresse und Gründungsveranstaltungen der verschiedenen Organisationen machten das Thema Frieden zu ihrem Leitmotiv. So z.B. die erste Frauenkonferenz der Westzonen in Bad Boll im Mai 1947, auf der Freda Wüsthoff und Agnes Zahn-Harnack zu den Themen Frieden und Völkerverständigung sprachen. Auch die hier verabschiedete Resolution stellte den Frieden ins Zentrum (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, S. 232; Hervé und Nödinger 1995, S. 132). In der Sowjetischen Besatzungszone fand der Gründungskongress des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) unter dem Titel »Frauenkongreß für den Frieden« statt (Demokratische Frauenbund Deutschlands 1947). Es war auch dieser Frauenverband, der 1948 die Friedenskampagne »Für das Verbot der Atombombe« initiierte (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, hier vor allem S. 233/234).1

Auf die Gefahren der atomaren Rüstung wiesen die Frauengruppen und -organisationen aller vier Besatzungszonen schon sehr bald nach Kriegsende in Vorträgen und auf Kongressen hin. Beispielhaft seien hier die Aktivitäten der Physikerin Freda Wüsthoff genannt, die eine breite Aufklärungsarbeit durch Reden und Vorträge vor allem in den westlichen Besatzungszonen und auch in Berlin entfaltete. Sie warnte früh vor den Gefahren von Atomwaffen, u.a. in ihrem im Januar 1948 gehaltenen Festvortrag »Atomenergie und Frieden« auf der Gründungsveranstaltung der Notgemeinschaft 1947.

Mit ihrem Engagement für den Frieden reihten sich die Frauengruppen und -organisationen in eine politische Oppositionsbewegung ein, die in der Forschung auch als »Ohne mich«-Bewegung zusammengefasst wird (Werner 2006). Die Motive dieser Gruppen für ihr friedenspolitisches Engagement waren vielfältig. Sie reichten von einem grundsätzlichen Pazifismus über antimilitaristische oder antikapitalistische Positionen bis hin zu einer Ablehnung der Westintegration des westlichen Teil Deutschlands, weil diese eine Wiedervereinigung erschwere (Wette 2008, S. 14).

All diese Motive finden sich auch bei den Frauenorganisationen, allerdings kam hier ein weiteres, geschlechtsbezogenes Motiv hinzu: Sie sprachen der Frau in ihrer Funktion als »Lebensgeberin« eine besondere Verantwortung für den Frieden zu. Indem sie männlich mit kriegerisch und zerstörerisch, weiblich dagegen mit friedliebend und lebensspendend gleichsetzten, machten sie Weiblichkeit bzw. Frau-Sein zum Synonym für friedlich und Frieden und somit zum Kernanliegen von Frauenpolitik. „Das erste, was wir Frauen und Mütter daher fordern, das ist eine Sicherung des Friedens“, hieß es denn auch im ersten Aufruf des Zentralen Frauenausschusses im November 1945 (zit. nach Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, S. 231).

Doch auch wenn die Sicherung des Friedens und der Aufbau einer friedlichen Gesellschaft die einigende Klammer für die politische Arbeit waren, gab es Unterschiede in der politischen Grundhaltung der einzelnen Frauen(friedens)­gruppen und folglich unterschiedliche Meinungen darüber, wie der Weg dahin aussehen sollte und welche Mittel zum Ziel führen. Einige der Frauenorganisationen standen den Zielen und Idealen der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) nahe (z.B. der Demokratische Frauenbund Deutschlands, DFD), andere sprachen sich für eine parlamentarisch-repräsentative Demokratie aus (z.B. der Deutsche Frauenring, DFR).

Viele offene Fragen

Immer stärker wurde der friedenspolitische Diskurs der Frauen(friedens)­organisationen geprägt von den ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges. Welchen Einfluss dies auf das Friedens- und Pazifismusverständnis der Frauenorganisationen hatte, darüber gibt es bislang kaum Untersuchungen. Die Arbeiten aus den Reihen der Historischen Frauen- und Geschlechterforschung über die Frauenorganisationen im Nachkriegsdeutschland haben durchgehend einen starken Westbezug und legen den Schwerpunkt vor allem auf die Geschichte dieser Frauenorganisationen und die Biographien ihrer Protagonistinnen (Hervé 1979; Brändle-Zeile 1983; Riesenberger 1983; Maltry 1993; Hervé 2001). Die Arbeiten aus den Reihen der Historischen Friedensforschung greifen die Ergebnisse der Genderforschung auf und stellen die Aktivitäten der Frauenorganisationen stärker in den gesellschaftlichen Rahmen ihrer Zeit (u. a. Canning 2002; Stoehr 2002; Davy 2002 u. 2005; Bald und Wette 2008; Dunkel 2015; Hertrampf 2006; Stoehr 2012).

Zum Pazifismusverständnis der Frauenorganisationen gibt es kaum Untersuchungen, und die wenigen Ansätze, die es gibt, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während Ingrid Schmidt-Harzbach noch von einem einigenden und übereinstimmenden Friedensbegriff der Frauenorganisationen für die erste Zeit nach Kriegsende ausgeht – Annette Kuhn, die zu den ersten gehörte, die sich mit diesem Thema befassten, sprach gar von einem feministischen Pazifismus dieser Zeit (Kuhn 1986, S. 27) –, ist Irene Stoehr der Meinung, dass es diese Übereinstimmung nie gegeben habe, sondern bereits unmittelbar mit der Gründung der ersten Frauenorganisationen die Gräben sichtbar wurden (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996).

Ob und in welchem Kontext das Argument, Frauen seien qua Geschlecht, als Lebensspenderin und Mutter, schon von Natur aus das friedlichere Geschlecht, von allen Frauen(friedens)organistionen aufgegriffen wurde, bleibt genauer zu untersuchen. Ebenso ist zu fragen, wie die zunehmende Einbindung der west- und ostdeutschen Frauenorganisationen in die ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges den friedenspolitischen Diskurs dieser Organisationen bestimmte.

Erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes am Archiv der deutschen Frauenbewegung (addf-kassel.de/projekte/forschung/friedensdiskurs/) legen die Vermutung nahe, dass einige Organisationen am Topos der friedfertigen Frau festhielten und dies zu ihrem zentralen Argument machten, z.B. die Weltorganisation der Mütter aller Nationen (W.O.M.A.N.), während sich andere Frauenorganisationen auf die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau beriefen. Durch die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen am politischen Leben sollten zukünftige Kriege verhindert und der Frieden gesichert werden (so z.B. die Notgemeinschaft 1947). Als weitere These aus der bisherigen Arbeit dieses Projektes lässt sich formulieren, dass der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) beide Argumentationsstränge miteinander verknüpfte. Sowohl die besondere Disposition der Frau für den Frieden qua Geschlecht als auch ihre gesellschaftliche und politische Gleichstellung bildeten die Basis für den friedenspolitischen Diskurs. Welchen Einfluss das sozialistische Friedensverständnis auf den Friedensbegriff und das Pazifismusverständnis dieser Organisation hatte, bleibt zu klären. Ebenso bleibt zu untersuchen, ob die Überlegungen zur gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft und ihrer daraus erwachsenden Verantwortung für den Frieden dem Frauenbild des Sozialismus entsprangen oder doch noch stärker den Ideen der alten Frauenbewegung verbunden waren.

Beim derzeitigen Stand der Quellenerschließung drängt sich der Eindruck auf, dass der Friedensdiskurs maßgeblich vom Osten bestimmt wurde. Es scheint so zu sein, dass das Friedensthema in den Publikationsorganen der Frauenorganisationen des Westens einen weniger prominenten Platz einnahm. Diese Dominanz des östlich bestimmten, sozialistischen Friedensdiskurses in den Frauenorganisationen (aber nicht nur dort) könnte eine Erklärung dafür liefern, warum Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten im Westen in den späteren Jahren oft unter »Kommunismusverdacht« gerieten.

Anmerkung

1) Diese Kampagne diente zur Unterstützung der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen, die diese Forderung dort stellte. Der DFD sammelte damals 5,5 Millionen Unterschriften für das Verbot der Atombombe. Dreihunderttausend davon stammten aus den Westzonen.

Literatur

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Brändle-Zeile, E. (1983): Frauen für Frieden. Dokumentation, o.O.

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Hervé, F. (Hrsg.) (1979): Brot & Rosen – Geschichte und Perspektiven der demokratischen Frauenbewegung. Frankfurt a.M.: Marxistische Blätter.

Hervé, F. (Hrsg.) (2001): Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 7. verb. u. überarb. Auflage (1. Aufl. 1982). Köln: PapyRossa.

Hervé, F.; Nödinger, I. (2001): Aus der Vergangenheit gelernt? 1945 bis 1949. In: Hervé, F. (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung, op.cit., S. 127-138.

Kuhn, A. (1986): Frauen suchen neue Wege der Politik. In: Frauen in der Nachkriegszeit, Bd. 2: Frauenpolitik 1945-1949. Quellen und Materialien, hrsg. von dieselbe, Düsseldorf: Schwann-Bagel, S. 11-35.

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Werner, M. (2006): Die »Ohne mich«-Bewegung – Die bundesdeutsche Friedensbewegung im deutsch-deutschen Kalten Krieg (1949-1955). Münster: Monsenstein u. Vannerdat.

Wette, W. (2008): Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges (1945-1955). In: Bald, D.; Wette, W: Alternativen zur Wiederbewaffnung – Friedenskonzeptionen in Westdeutschland 1945-1955. Essen: Klartext, S. 9-23.

Helke Dreier, Historikerin, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. ­Zurzeit arbeitet sie dort im Forschungsprojekt »Der Friedensdiskurs der west- und ostdeutschen Frauenorganisationen von 1945 bis 1955«.