Black-Water

Black-Water

von Jürgen Nieth

Blackwater ist eine unter vielen »Sicherheitsfirmen«, die
für die USA arbeiten. Die Tötung von 17 irakischen Zivilisten am 16. September
hat sie in die Schlagzeilen gebracht. Dabei war das nicht der erste
Zwischenfall dieser Art. „An Heiligabend 2006 erschoss ein betrunkener Black­water-Angestellter
in der hoch gesicherten Green Zone in Bagdad einen Leibwächter des irakischen
Vizepräsidenten. Im Mai 2006 tötete Blackwater-Personal zwei Zivilisten,
darunter einen Angestellten des irakischen Innenministeriums“
(NZZ am
Sonntag, 07.10.07, S.28).

Narren- und Straffreiheit für Söldner

Die Neue Zürcher Zeitung schreibt weiter: „In keinem der
Fälle ist es zu einer Anklage oder einem Prozess gekommen. Während alle
Soldaten Militärgerichten unterstehen, sind Angestellte von privaten
Sicherheitsfirmen im Irak de facto unbelangbar. Denn einen Tag bevor Paul
Bremer, der damalige Chef der US-Übergangsregierung im Irak, im Juni 2004
fluchtartig das Land verließ, hatte er dekretiert, dass alle Sicherheitsfirmen,
die einen Vertrag mit den Koalitionsstreitkräften haben, von der irakischen
Strafverfolgung nicht belangt werden dürfen. Die sogenannte »CPA-Order 17« gilt
bis heute und garantiert den modernen Söldnern Narren- und Straffreiheit.“

Die schießfreudige Truppe

Die Blackwater-Mitarbeiter gelten nach einem Report, den die
Demokraten im Kontrollausschuss des US-Repräsentantenhauses vorlegten, als „schießfreudige
Truppe… Blackwater ballere schneller und häufiger als die Kollegen anderer
Sicherheitsfirmen – mindestens 1,4 Mal pro Woche, genau 195 Mal seit Januar
2005. In 163 Fällen hätten Prince‘ (Chef von Black­water) Mitarbeiter zuerst
den Finger am Abzug gehabt“
(SZ 04.10.07, S.8). „Die Zahl von 1,4
Vorfällen kommt nach einem Bericht der »Washington Post« ehemaligen Blackwater
Mitarbeitern allerdings verdächtig niedrig vor. Nach ihrer Erfahrung würden
viele schlicht gar nicht gemeldet“
(Tagesspiegel 04.10.07, S.2).

Iraker fordern: Blackwater raus

Kein Wunder also, dass im Irak der Protest gegen Blackwater
wächst. „Die Wut in der Bevölkerung ist groß“, erklärte der irakische
Regierungssprecher Ali al-Dabbag laut FR. Die Firma müsse für ihr Verbrechen in
Bagdad zur Rechenschaft gezogen werden: „Wir wollen, dass Black­water den
Irak verlässt.“
Da muss dann auch die US-Regierung reagieren.
US-Verteidigungsminister Robert Gates am 19.10.: „Es hat Vorfälle gegeben,
in denen, gelinde gesagt, Iraker beleidigt und nicht angemessen behandelt
wurden.“
Von Mord spricht er nicht und auch nicht von einem
Blackwater-Abzug (FR 20.10.07).

Irak Krieg ohne »Private« nicht denkbar

„Am 4. April 2004 griffen irakische Milizen das Hauptquartier
in Nadschaf an. Das Gefecht dauerte vier Stunden, doch in den Berichten des
US-Militärs findet sich kein Hinweis darauf. Grund
: Es waren keine
US-Militärs an dem Gefecht beteiligt, Mitarbeiter der PMC Blackwater
verteidigten das Hauptquartier“, schrieb Dario Azzellini vor fast zwei Jahren
in W&F (W&F 1-2006, S.14, Schwerpunkt »Privatisierte Gewalt«). Wie groß
der Anteil der modernen Söldner heute im Irak ist, dazu die FAZ Sonntagszeitung
(30.09.07, S.12): „Während noch im ersten Irak-Krieg zur Befreiung Kuweits
1991 auf zehn Soldaten ein Mitarbeiter einer privaten Vertragsfirma kam, sind
heute im Irak mindestens ebenso viele Angestellte der… Privatunternehmen im
Einsatz wie amerikanische Soldaten.“
Der Tagesspiegel (04.1.07, S.2)
spricht von „rund 180.000 Privatpersonen, die das Weiße Haus angeheuert hat,
um für Amerika im Irak Krieg zu führen.“
Für »Die Zeit« (27.09.07, S.23)
ist es „nicht polemisch, die Söldner zur offiziellen Streitmacht zu zählen.
Das Pentagon selbst tut dies. Unter dem Rubrum total force der USA listen die
Militärbürokraten aus Washington ausdrücklich auch die contractors auf.“

Geschäft der Söldner boomt

Die TAZ (18.10.07, S.3) berichtet, dass „allein das
US-Verteidigungsministerium … seit dem Jahr 1994 3.601 Verträge mit zwölf Firmen
im Wert von rund 300 Milliarden Dollar abgeschlossen (hat), die meisten davon
in den letzten zehn Jahren.“
Hinzu kämen noch Zahlungen des
US-Außenministeriums und der Entwick­lungsbehörde USAID, von denen keine Zahlen
vorlägen. „Private Dienste schließen Lücken des Militärs und machen damit
weltweit mehr als 100 Milliarden Umsatz“,
schreibt das Handelsblatt
(19.9.07, S.15). Auf den Irak bezogen heißt es: „Nachdem seit Beginn des
Irakkrieges nach Angaben des US-Kongresses bereits vier Milliarden Dollar an
private Sicherheitsdienste geflossen sind, will das US-Militär allein 2007
mindestens 1,5 Milliarden Dollar für Aufträge… an Dritte vergeben.“

Blackwater voll im Geschäft

„Unter den Sicherheitsunternehmen ist »Blackwater« eines
der größten und vor allem das exponierteste“,
schreibt die FAZ
Sonntagszeitung (30.09.07, S.12). „Der wichtigste Auftraggeber… ist das
amerikanische Außenministerium
: das Unternehmen ist für den Personenschutz
des amerikanischen Botschafters Ryan Crocker sowie aller anderen Mitarbeiter
der Botschaft und auch von Außenministerin Condoleezza Rice verantwortlich,
wenn diese den Irak besucht. Blackwater sichert… die Gebäude der amerikanischen
Botschaft in der »Grünen Zone«.“

„Heute hat das Unternehmen rund 2.300 Söldner in neun
Ländern, es kann insgesamt auf 21.000 Männer zurückgreifen, es besitzt eine
eigene Luftflotte von 20 Flugzeugen, Kampfhelikopter und ein 7.000 Hektar
großes Trainingsgelände. Insgesamt bildet Blackwater 45.000 Männer im Jahr aus.
Die Firma ist eine Privatarmee und sie ist überall einsetzbar“
(Zeit,
27.09.07, S.23).

Söldner im UN-Dienst?

Angesichts der engen Verzahnung mit dem US-Militär, kann es
als ausgeschlossen gelten, dass »Blackwater« den Irak verlassen“ wird,
meint die FAZ (19.09.07, S.6). Das gilt auch für die anderen Söldnertruppen.
Die Privaten Militärfirmen denken bereits weiter. „Nachdem die Claims im
Irak und in Afghanistan auf Jahre hinaus abgesteckt sind, wollen manche Söldner
die UNO-Blauhelmtruppe ablösen. Sie seien schneller, effektiver und günstiger.
In den USA bemühen sie sich um eine Beteiligung an einer Lösung für Darfur –
bereits existiert ein Vertrag zur privaten Ausbildung der Truppen im Südsudan“

(NZZ am Sonntag, 07.10.07., S.28).

Vom Irak- zum Nahostkrieg?

Vom Irak- zum Nahostkrieg?

von Jürgen Nieth

Am 10. Januar hat US-Präsident Bush die Verstärkung der
US-Truppen im Irak um 21.000 GIs angekündigt. Damit ignoriert Bush nicht nur
die Empfehlungen der Baker-Kommission, er stößt national und international auch
auf immer stärkeren Widerstand.

Verfall des politischen Kurswertes

„Der politische Kurswert der amerikanischen Regierung
sank ins nahezu Bodenlose,“
schreibt der Spiegel (15.01.07, S.100). „70
Prozent der Amerikaner, so zeigten Blitzumfragen, lehnen den Bush-Plan ab…
Regierungen in aller Welt, selbst treueste Koalitionspartner, die dem
amerikanischen Präsidenten 2003 in den Irak gefolgt waren, zeigten – bis auf
den Getreuen Tony Blair – kaum verhülltes Entsetzen über diesen »letzten
Versuch«, eine verfahrene Situation militärisch zu lösen, die sich nach
vorherrschender Meinung allenfalls noch mit politischen Mitteln kalmieren
lässt.“

Bushs Hintermänner

Bush „ignoriert alles, was Experten, Oppositionsmehrheit
und US-Öffentlichkeit wollen,“
meint auch Bernd Pickert in der TAZ
(12.01.07). „Nun ja, fast alles“, fährt er fort. Bush „hält sich
ziemlich genau an ein Papier, das in der vergangenen Woche vom neokonservativen
»American Enterprice Institute« vorgestellt wurde. Es trägt den Titel »Den Sieg
wählen. Ein Erfolgsplan für den Irak« und skizziert relativ genau, was Bush
jetzt vorhat. Zur Beruhigung der Öffentlichkeit sind die Neocons aus den Ämtern
verschwunden. Tatsächlich bestimmen sie weiter den politischen Kurs.“

Nachträgliche Kriegseinschätzungen

„Dieser Krieg war falsch, von Anfang an,“ stellt
Christian Wernicke in der Süddeutschen Zeitung (12.01.07) fest. „Den meisten
Amerikanern dämmert diese Einsicht. Nur der Präsident sträubt sich.“
Die Mehrheit der Deutschen war von Anfang an gegen diesen Krieg. Und die
Mehrheit der Medien (s.o.) zeigt sich auch heute kritisch gegenüber der
US-Politik. Mit Ausnahmen!
Fast hilflos wirkt z.B. der Kommentator der FAZ (12.01.07), wenn er feststellt:
„Präsident Bush war vorsichtig genug, seine Ankündigung, zusätzliche Truppen
in den Irak zu entsenden, nicht mit dem Versprechen zu verbinden, damit könne
man der Gewalt Herr werden oder einen Bürgerkrieg abwenden.“

Die Bild verweigert sich gleich jeder Einsicht. Sie fragt am
12.01.07 „5 kluge Köpfe“, die »zufällig« alle von Bushs Politik
überzeugt zu sein scheinen. Unter ihnen Michael Wolfsohn, Prof. an der
Bundeswehr-Uni in München: „Die Intervention der Amerikaner im Irak 2003 war
richtig, das wird auch die Geschichte beweisen
;“ und Prof. Michael Stürmer,
Berlin: „Anzuerkennen ist, das sich Bush nicht… davonschleicht, sondern mit
weiteren Truppen Ordnung und Demokratie im Irak durchsetzen will.“
Die Lage im Irak spricht eine andere Sprache.

Krieg gegen die Bevölkerung

„Sieben von zehn Irakern billigen laut Umfragen
inzwischen Anschläge auf US-Truppen. Zum Vergleich
: 2003 hegten nur 14
Prozent solch klammheimliche Freude über tote GIs,“ so Christian Wernicke in
der Süddeutschen Zeitung (12.01.07). Diese Veränderung könnte damit
zusammenhängen, dass die Zahl der getöteten Zivilisten im Irak viel höher ist
als bisher angenommen. Die SZ berichtet in derselben Ausgabe über die
Forschungsergebnisse eines amerikanischen Teams von der John Hopkins School of
Medicine in Baltimore. Danach kamen „zwischen März 2003 und Sommer 2006 im
Irak 654.965 Menschen in Folge des Krieges ums Leben… Das wären etwa 6oo
Todesopfer an jedem Tag… Die amerikanische Regierung spricht hingegen von
30.000 toten Zivilisten“,
Menschenrechtsgruppen sind bisher von etwa 60.000
ausgegangen.

Steigende Kriegskosten

In derselben Ausgabe der SZ berichtet Tomas Avenarius, dass
der Bush-Plan nach Berechnungen von US-Haushaltsexperten „den amerikanischen
Steuerzahler sehr viel Geld kosten (wird). Hat der Krieg den US-Haushalt bisher
mit 300 Milliarden Dollar belastet, so könnten in den kommenden zehn Jahren
weitere 400 Milliarden Dollar hinzukommen. Darin… eingeplant
: Die täglichen
Kriegskosten von 150 Millionen US-Dollar, die Waffen für die Armee, der Aufbau
des Irak und sogar die Hinterbliebenen- und Witwenrenten der gefallenen
Soldaten. Die zusätzlichen Kosten für die neue Strategie sollen sich allein auf
mehr als sechs Milliarden Dollar belaufen – fürs Erste.“
Nicht eingeplant die Kosten einer weiteren Eskalation, die heute in nicht wenigen
Kommentaren als möglich erachtet wird.

Drohende Eskalation

„Statt des erhofften – und von
einer Kommission unter Führung des früheren Außenministers Baker dringend
empfohlenen – Gesprächsangebots an Iraks Nachbarn, drohte Bush Syrien und Iran
unverblümt mit militärischer Intervention“ ,
heißt es im Spiegel (15.01.07).
Eine Eskalationsgefahr, die auch Karl Grobe in der Frankfurter Rundschau
(16.01.07) hervorhebt: „Flugzeugträger, Marschflugkörper und
Patriot-Raketen, wie sie gerade in die Gewässer vor der iranischen Küste
gebracht werden, sind für einen Landkrieg ja auch denkbar ungeeignet, helfen
den USA auch nicht, … Gewalt ausübende Gruppen in dem Irak zu bekämpfen. Der
Aufmarsch lässt eher vermuten, das so genannte chirurgische Schläge gegen Atomanlagen,
Flugplätze und Militäranlagen des Teheraner Regimes vorgesehen sind.“

Auf zum »Endkampf«

Von einer wahrscheinlichen Eskalation spricht auch Torsten
Krauel in der Welt (12.01.07): „Die Demokraten haben recht, wenn sie von
einer Eskalation des Krieges sprechen… Bushs Kurs erinnert an Nixons Einmarsch
in Kambodscha 1970
: Ausweitung des Kampfes unter Abzugsschwüren. Die
Drohung an Teheran und Syrien ist nicht zu überhören, die Konsequenz aus
solchen Worten kaum zu überblicken. Bush verstärkt seine Truppen nicht gegen
irakische Bombenleger, sondern gegen deren iranische Hintermänner, und da ist
die Eskalationsleiter nach oben offen.“ Doch im Gegensatz zu den vorher
Zitierten scheint Krauel dieser Entwicklung Positives abzugewinnen: „Niemand
sollte Illusionen darüber hegen, worauf die Lage zuzusteuern beginnt – auf
einen großen Endkampf um den nahen Osten, auf den Regimewechsel in Damaskus und
Teheran, um den Regimewechsel in Bagdad abzusichern. Es ging von Anfang an nie
um Saddam allein, so wenig, wie es nach dem 8. Mai 1945 um Deutschland allein
ging.“

Verdeckte Kriegsbeteiligung?

Verdeckte Kriegsbeteiligung?

von Jürgen Nieth

„Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg,“ sagte
Bundeskanzler Schröder am Abend des US-Angriffs auf den Irak. Eine Position,
die die Bundesregierung auch in den Monaten vor dem Krieg immer wieder betont
hatte und die sicher nicht unwesentlich zu ihrem knappen Sieg bei der
vorhergehenden Bundestagswahl beigetragen hatte. Schon damals gab es zahlreiche
Hinweise auf eine Doppelbödigkeit dieser Politik. So hat W&F (2-2003) u.a.
darauf hingewiesen, dass „über die Fluglätze Frankfurt, Ramstein und
Spangdahlen… Kriegsmaterial und Soldaten an den Golf verlegt“
wurden; dass
deutsche Häfen und Bahnhöfe… Zwischenstation (waren) für die Reise in den
Krieg;“
dass „die europäische Kommandozentrale der US-Armee in Stuttgart
(den) Nachschub für die Kriegführung“
koordinierte; dass deutsche Soldaten
den Schutz von US-Einrichtungen übernahmen und ihre Präsens in anderen
Konfliktregionen verstärkt wurde, um US-Soldaten für den Irakkrieg
freizustellen.

»Rot-Grün im Zwielicht«

Was über die deutsche Unterstützung für die US-Kriegsführung
bisher schon bekannt war, verstieß nicht nur nach dem Verständnis der
Friedensbewegung gegen Grundgesetz und Völkerrecht. In der FR (14.01.06)
schreibt Stephan Hebel: „Wer sich fragt, was vom Verhalten Deutschlands im
Irak-Krieg zu halten sei, kann beim Bundesverwaltungsgericht längst fündig
werden. Im Juni vergangenen Jahres stellte es fest: Gegen die Überflugrechte,
die den US-Streitkräften während des Angriffs 2003 gewährt wurden, gegen die
Bewachung amerikanischer Kasernen durch Bundeswehr-Soldaten und andere
Hilfsdienste bestünden ‘gravierende völkerrechtliche Bedenken’.“

Jetzt gibt es neue Details, die vermuten lassen, dass die
deutsche Unterstützung für den US-Angriffskrieg noch viel umfassender war.

BND-Agenten im Irak-Einsatz

Nach Berichten des ARD-Magazins Panorama (12.01.06) hatte
der BND während des Irakkriegs zwei Spezialisten in Bagdad stationiert, deren
Informationen an den US-Militärgeheimdienst (DIA) weitergegeben wurden. Ein
ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter teilte »Panorama« mit, die Deutschen hätten die
US-Militärs direkt unterstützt. So soll ein BND-Agent am 07.04.03 „Informationen
über den möglichen Aufenthaltsort einer Wagenkolonne Saddam Husseins an die
Amerikaner weitergegeben haben. Diese hätten Minuten später mehrere Gebäude
bombardiert, bis zu 19 Zivilisten seien dabei ums Leben gekommen.“
(FR
13.01.06)

»Wachsweiche Dementis«

Laut Spiegel (3-2006, S. 23) dementiert BND-Chef Ernst
Uhrlau diese direkte Kriegsbeteiligung: „Die beiden Deutschen hätten nur so
genannte Non-Targets identifiziert, Gebäude also, die US-Bomberpiloten hätten
verschonen sollen.“
Dazu Bettina Gaus in der TAZ vom 13.01.06: „Natürlich
bestreitet der Bundesnachrichtendienst (BND), den USA während des Irakkrieges
bei der Auswahl von Bombenzielen behilflich gewesen zu sein. Geheimdienste
räumen niemals mehr ein als zwingend nötig. Aber die Dementis klingen
wachsweich, während die Medienberichte präzise und detailreich sind und in den
Teilen bereits bestätigt wurden, die sich schwerlich leugnen lassen.“

Fälle in der Grauzone

Die Zusammenarbeit der Geheimdienste rund um den Irakkrieg
beschränkte sich nicht auf BND-Informationen aus Bagdad. Es gibt mindestens
vier weitere Fälle, die der Aufklärung bedürfen. Da ist zum einen der vom BND
angeworbene »Curveball«, ein junger Iraker, dessen zusammen gelogene Angaben
über eine angebliche irakische Bio-Waffen-Produktion Colin Powell zur
Kriegsbegründung vor der UNO nutzte. „Diese Rede war es, die Amerikas
Bevölkerung auf die Seite der Kriegsplaner zog“
(Spiegel 3-2006, S. 30).
Dazu gehören aber auch die geheimen CIA-Flüge über deutsche Flughäfen, die Entführung
des in Ulm wohnhaften Libanesen Khaled el-Masri und die Verhöre des BND in
Guantanamo und anderen Foltergefängnissen.

Opposition fordert Untersuchungsausschuss

Nach Linkspartei und Grünen hat sich auch die FDP für die
Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ausgesprochen. Zum
Zeitpunkt des Redaktionsschlusses von W&F (19.01.06) steht noch nicht fest,
ob die erforderlichen 153 Abgeordneten den Antrag unterschreiben. Bei der FDP
gab es einige Enthaltungen und Ex-Außenminister Joschka Fischer hat bereits
mitgeteilt, dass er „gegen den Ausschuss stimmen“ werde (SZ 18.01.06).
Fischer sieht die Angelegenheit lieber im Parlamentarischen Kontrollgremium
(PKG), dort ist Geheimhaltung angesagt. Wie umfassend da aber in der
Vergangenheit informiert wurde, dazu der Grüne Christian Ströbele auf die
Frage, was er über die BND-Arbeit im Irak wusste: „Offenbar viel zu wenig.
Was jetzt… bekannt wurde, ist unglaublich und entsetzlich. Ich fürchte, dass
die Berichte im Kern richtig sind… (Als Mitglied des PKG) war ich jedenfalls
nicht ausreichend informiert.“
(taz 13.01.2006)

Begrenzte Möglichkeiten

„Mit der Entscheidung, einen Untersuchungsausschuss
einzurichten, zückt die Opposition ihr Buschmesser, um von Heimlichkeiten
überwucherte Tatsachen freizuschlagen.“ (FAZ 18.01.2006)
Peter Carstens
weist in seinem Artikel in der FAZ aber auch darauf hin, dass die Möglichkeiten
dieses Untersuchungsausschusses sehr begrenzt sind: „Die große Koalition
wird dort mit mindestens zehn Abgeordneten vertreten sein, die
Oppositionsparteien nach klassischer Berechnung mit jeweils einem. Entsprechend
wird die Zeit für Fragen an Zeugen und Sachverständige verteilt sein. Auf jede
Stunde Redezeit für die Opposition kämen drei Stunden für die große Koalition…
Es darf bezweifelt werden, dass diese Geheimdienstmitarbeiter (aus Bagdad)
demnächst in öffentlicher Sitzung eines Untersuchungsausschusses aussagen
werden.“

„Seit 1949 hat der Bundestag 35 Untersuchungsausschüsse
eingesetzt. Immer wieder ging es auch um Nachrichtendienste, Agenten und die
Geheimnisse des dunklen Gewerbes,“
schreibt Hans Leyendecker in der SZ
(18.01.06). Und er zitiert einen der Profis auf diesem Gebiet, nach dem das
Verdienst eines Ausschusses oft darin bestehe, „dass die Skizze eines durch
die Medien ans Licht gekommenen Skandals mit Details ausgefüllt wird.“

„Hochrangige Regierungsbeamte und Pentagon-Generäle
dankten den Deutschen nach dem Krieg immer wieder, weil sie die deutsche
Kriegshilfe als so bedeutend ansahen,“
heißt es im Spiegel (3-2006, S. 24).
Ein paar weitere »Details« dazu sind gefragt.

1 Jahr danach

1 Jahr danach

von Jürgen Nieth

Um 3.33 Uhr am Morgen des 20. März 2003 beginnen die USA mit
der Bombardierung des Irak. Ein Jahr später machen drei der überregionalen
deutschen Tageszeitungen mit dem Thema Irak-Krieg auf: Die taz: „Iraks
Zukunft hat schon begonnen“,
die Welt: „Bush: »Die ganze Welt ist im
Krieg.« US-Präsident dankt Irak-Veteranen“
und die Süddeutsche Zeitung: „Bushs
»Koalition der Willigen« wackelt.“
Der angekündigte Abzug der spanischen
Truppen aus dem Irak und die Absatzbewegungen Polens finden auch bei der
Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen den Weg auf die
Titelseite.

Erfundene Kriegsgründe

„Selten hat die Geschichte die Politik so schnell Lügen
gestraft wie beim Irak-Krieg. Schon ein Jahr danach ist es reine
Zeitverschwendung, sich noch mit den Begründungen für diesen Krieg aufzuhalten.
Ob Massenvernichtungswaffen oder Terror-Kontakte – das Gebäude der Anklage war
so wacklig konstruiert, dass es gleich nach dem Wüstensturm zusammenbrach,“

schreibt P. Münch in der SZ. T. Krauel in der Welt stellt fest: „Atomwaffen
oder Giftgas hat Washington bislang nicht gefunden. Somit ist die offizielle
Begründung, die seinerzeit für den Krieg ins Feld geführt wurde, derzeit
gegenstandslos.“
Der ehemalige Chef der UN-Waffeninspektionen im Irak, Hans
Blix, weist in einem Interview mit der FR darauf hin, dass es bereits lange vor
dem Krieg Zweifel an der Existenz von Massenvernichtungswaffen gab: „Meine
Zweifel begannen, als wir an den Orten, zu denen uns die Geheimdienste
schickten, nur leere Chemiewaffenköpfe fanden.“

Kriegskosten

Bereits am 19.03 hatte sich die FR ausführlicher mit den
bilanzierbaren Kriegskosten befasst. Danach sind bei „den »offiziellen
Kampfhandlungen« in Irak zwischen dem 17. März und 1. Mai vergangen Jahres …
nach Angaben des US-Militärs 138 US-Militärangehörige getötet worden … Laut
Pentagon sind seit 1. Mai 426 Militärs in Irak gestorben … Verlässliche Zahlen
über die Opfer unter den irakischen Streitkräften oder der Zivilbevölkerung
liegen nicht vor.“
Bundeswehr Oberstleutnant J. Rose spricht in der
Wochenzeitung »Freitag« (19.03) von „über 10.000 getöteten Zivilisten und
einem unbeschreiblichen Massaker in den Reihen des irakischen Militärs.“

Die FR (19.03) rechnet nach: „Der Irak-Krieg hat die USA
bis jetzt 107 Milliarden Dollar gekostet.“
Für M. Ignatieff in der Welt
muss auch zu den Kriegskosten gezählt werden, dass Amerika „sich mit vielen
seiner Verbündeten und den UN überworfen hat.“

Für P. Münch in der SZ zeigt „der Terror von Bagdad über
Basra bis nach Madrid …, dass die Welt (durch den Irak-Krieg) nicht sicherer
geworden ist … Der Feind, den es zu bekämpfen galt, wurde gestärkt.“

Koalition der Willigen wackelt

„Zum Jahrestag des Kriegsausbruchs ist die »Koalition der
Willigen« weiter ins Wanken geraten,“
schreibt die SZ. „Nach Spaniens
Ankündigung seine Truppen abzuziehen, zog am Freitag Südkorea sein Angebot
zurück, Soldaten in die nordirakische Stadt Kirkuk zu entsenden. Zuvor hatte
bereits Polens Ministerpräsident Alexander Kwasniewski beklagt, man habe
falsche Informationen über irakische Massenvernichtungswaffen erhalten und
einen Truppenabzug 2005 in Aussicht gestellt,“
(was der Sicherheitsberater
des Präsidenten später wieder relativierte). Die FAZ ergänzend: „Das
südkoreanische Verteidigungsministerium erklärte zur Begründung, Washington
habe Seoul zur Beteiligung an Militäroffensiven gedrängt. Die geplante Mission
solle jedoch ausschließlich dem friedlichen Wiederaufbau Iraks dienen.“

Perspektiven

Am 30. Juni wird der Irak offiziell in die Souveränität
entlassen. Im Irak ist damit die Hoffnung auf eine eigenständige Entwicklung
weit verbreitet. Das zeigt eine in der taz veröffentlichte Umfrage des »Oxford
Research Instituts« nach der 72,2% ein demokratisches Regime und 66,5% einen
starken Präsidenten wollen.

Zu den Chancen für eine demokratische Entwicklung schreibt
N. Chomsky, Professor am »Massachusetts Institute für Technologie« in Boston in
der gleichen taz: „Die US-Regierung hat absolut keine Absicht, die
Souveränität zu übertragen. Sie besteht auf einem Stationierungsabkommen, das
vorsieht, US-Truppen das Recht zu gewähren, dort zu bleiben und permanente
Militärbasen einzurichten. Und sie baut im Irak die weltweit größte
US-Botschaft. Warum
? Warum benötigen wir dort die größte Botschaft der Welt
… mit über 3.000 Angestellten? Etwa weil wir die Souveränität zurückgeben?“
Für Chomsky sehen Wolfowitz und die Neokonservativen in der Demokratie „ein
bösartiges und elendes System, das zerstört werden muss.“
Er verweist
darauf, dass „die meisten US-Verbündeten in dieser Region (Naher und
Mittlerer Osten) Diktaturen“
sind. „Brutale und gewalttätige Diktaturen
werden unterstützt. Es gibt allerdings einen politischen Führer, der in relativ
freien und demokratischen, international kontrollierten Wahlen gewählt wurde.
Wer? Jassir Arafat.“
Aber genau den möchte die Bush-Administration
eliminieren und durch jemanden ersetzen, „von dem wir erwarten, dass er das
tut, was wir sagen.“

Ein schlechtes Ohmen?

Die FAZ titelt an diesem 20.03.04: „Die Bundeswehr
schickt 600 Soldaten in das Kosovo.“
Ein Thema, dem sich auch die anderen
Tageszeitungen nach den erneut bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Kosovo
zuwenden. Das Bundeswehr Kosovo-Kontingent wächst damit auf 3.800 Soldaten. Die
FAZ registriert, dass es auch fünf Jahre nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien,
noch „keine international anerkannte Strategie für die Zukunft des Kosovo
gibt.“
„Die internationale Friedenstruppe hat ihre Aufgabe bisher alles
andere als erfüllt,“
stellt M. Martens in der gleichen Zeitung fest. Er
bilanziert: Trotz einiger Fortschritte sind mehrere der zentralen Punkte der UN
Resolutionen nicht erfüllt. Dazu gehört die Verhinderung des Ausbrechens neuer
Feindseligkeiten und die vollständige Demobilisierung der albanischen »Nationalen
Befreiungsarmee«: „Noch eindeutiger ist der Misserfolg bei der
Flüchtlingsrückkehr ausgefallen, zwar konnten die Kosovo-Albaner … wieder an
ihre Heimatorte zurückkehren, doch die Serben und andere Minderheiten der
Provinz wagen sich kaum zurück. Mehr als 230.000 Personen …“

Die unheilige Allianz mit dem irakischen Diktator

Die unheilige Allianz mit dem irakischen Diktator

von Mohssen Massarrat

Es sind inzwischen sechs Wochen seit der Militäraktion der anglo-amerikanischen Allianz »Wüsten-Fuchs« vergangen. Die vermeintlichen Kriegsziele, „die irakischen Massenvernichtungsmittel zu zerstören und Saddam Hussein zu stürzen“ haben sich als das herausgestellt, was sie von vornherein waren, nämlich eine bewusste Irreführung der Weltöffentlichkeit zur Rechtfertigung einer Militäraktion, die eine völlig anders gelagerte, einerseits global-strategisch und andererseits geostrategisch eigene Logik besitzt. Wären irakische Massenvernichtungsmittel als Kriegsziel lokalisierbar gewesen, wären sie vorher durch UNSCOM entdeckt worden. Auch die offizielle Rhetorik zum Sturz von Saddam Hussein lenkt davon ab, dass das irakische Regime ein besonders nützliches Element der US-amerikanischen Geostrategie darstellt.

Der Irak-Konflikt ist wegen seiner doppelten globalen und geostrategischen Funktion komplizierter als der Bosnien- bzw. Kosovo-Konflikt. Die Analyse beider Dimensionen dieses Konflikts ist für eine substanzielle Neuorientierung deutscher bzw. europäischer Außen- und Friedenspolitik, sofern eine solche Neuorientierung überhaupt angestrebt wird, unverzichtbar.

Globalstrategische Dimension des Irak-Konflikts

Die Herstellung, Aufrechterhaltung und Vertiefung einer US-amerikanisch dominierten Weltordnung, die eine militärische Durchsetzung nationaler Interessen unter Hinnahme kalkulierbarer Risiken für die Weltgemeinschaft einschließt, ist kein Hirngespinst linker »Antiamerikaner«, sondern eine bittere Wahrheit. Diese aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Weltordnung wurde durch die ideologische und militärische Gegenmacht Sowjetunion massiv zurückgedrängt und durch das atomare Patt praktisch disfunktionalisiert. Die Überwindung der atomaren Pattsituation durch die NATO-Strategie der flexible response und die Stationierung von Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren in Europa war die gefährlichste Reaktion der US-Global- und Militärstrategen, um die Supermacht aus der Sackgasse herauszuführen und deren globale Interventionsfähigkeit in allen Himmelsrichtungen wiederherzustellen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion macht den risikoreichen und kostspieligen Umweg über „flexible response und die Führbarkeit von begrenzten Atomkriegen“ überflüssig. Der zweite Golfkrieg lieferte der US-Regierung den historischen Anlass, die neue amerikanisch dominierte Weltordnung mit einer störungsfreien eigenen Interventionsfähigkeit jenseits von Völkerrecht, UNO und Sicherheitsrat Stück für Stück durchzusetzen. Bereits nach dem zweiten Golfkrieg kündigte die US-Regierung an, in Zukunft notfalls auch auf eine Legitimation ihrer militärischen Handlung durch die UNO verzichten zu wollen (Paech 1999). Im Bosnien-Konflikt wurde alles getan, um die UN als friedenspolitisch handlungsunfähig zu desavouieren, und damit die NATO als einzige friedenssichernde Macht ins Spiel zu bringen. Der Kosovo-Konflikt diente und dient dazu, die NATO widerspruchslos auf eine neue Strategie zu verpflichten, die „die Option zum weltweiten militärischen Handeln der NATO auch ohne UNO-Mandat und zur Drohung mit dem Einsatz atomarer Waffen gegen sogenannte Schurkenstaaten“ ausdrücklich festschreibt (Zumach 1998). Militärische Angriffe durch cruise missiles auf den Sudan und Afghanistan und schließlich die Militäraktion »Wüsten-Fuchs« gegen den Irak ohne Zustimmung des Sicherheitsrats sind die letzten Vorstöße der USA, die Vereinten Nationen und das Völkerrecht zu unterhöhlen und nationale Interessen militärisch störungsfrei durchzusetzen.1 Die neue US- und NATO-Strategie steht hinsichtlich ihrer Risiken in der Tradition der immer noch gültigen atomaren Strategie der
flexible response. Neu ist ihre ideologische Rechtfertigung im Gewand einer „humanitären bzw. friedensstiftenden Intervention“ (Bosnien- und Kosovo-Konflikt) bzw. „Verteidigung des Völkerrechts und UN-Resolution“ (Irak-Konflikt). Wie kann man aber „ein Regime zur Einhaltung der UN-Resolutionen mit Maßnahmen zwingen, die ihrerseits den Sicherheitsrat aushebeln und dem Völkerrecht hohnsprechen? Wie kann man die Staaten dieser Welt auf ein Völkerrechtssystem verpflichten, dem man die Gefolgschaft selbst verweigert? Welche Reaktionen wird man in Zukunft von Russland und China erwarten können, deren Veto im UN-Sicherheitsrat derart offensichtlich ausmanövriert wurde?“ So fragt der Völkerrechtler Norman Paech in einem bemerkenswerten Beitrag (Paech 1999). Gerade vor dem Hintergrund dieser realen Gefahren und unkalkulierbaren Risiken der neuen US- und NATO-Strategie auch für Europa spricht es nicht für außenpolitische Autonomie und Weitsicht, wenn ausgerechnet aus dem rot-grünen Lager die anglo-amerikanischen Kriegshandlungen gegen den Iran legitimiert werden. USA und Großbritannien hätten sich gegen den Irak völkerrechtlich korrekt verhalten, behauptet der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen (SPD), da „der Sicherheitsrat durch gegensätzliche Positionen blockiert (war und) in dieser Situation (sich diese) auf bereits verabschiedete Resolutionen berufen“ hätten (Frankfurter Rundschau vom 19.12.98). Die Schützenhilfe für die anglo-amerikanische Militäraktion gegen den Irak durch Bundeskanzler Schröder (“unserem Bündnispartner gilt die bedingungslose Solidarität“) oder Aussenminister Fischer (Saddam Hussein habe „die Folgen der Militäraktion allein zu verantworten“) ist für die Bereitschaft symptomatisch, sich zum Erfüllungsgehilfen von illegitimen nationalen Interessen der USA und ihrer gefährlichen Globalstrategie degradieren zu lassen.

Auf die schrittweise Ausgestaltung der neuen US- und NATO-Strategie der Aushebelung der UNO, haben scharfsinnige Kommentatoren in kritischen deutschen Medien immer wieder hingewiesen.2 Bei der Militäraktion gegen den Irak wurde allerdings nahezu durchgehend die ebenso bedeutsame geostrategische Dimension des Konflikts vernachlässigt, die im folgenden näher beleuchtet wird.

Die geostrategische Dimension des Irak-Konflikts

In keinem anderen Konflikt funktioniert die anglo-amerikanische Koalition so reibungslos wie bei Militäraktionen gegen den Irak, das war schon im zweiten Golfkrieg so und auch bei allen darauffolgenden diplomatischen und kriegerischen Auseinandersetzungen in diesem Kontext. Allein die Tatsache, dass britische Regierungen konservativ oder labourgeführt bereitwillig und bedingungslos im Irak-Konflikt mit den US-Regierungen an einem Strang ziehen, verweist auf eine besondere Interessenkonstellation beider Staaten in einer geostrategisch wegen der Ölvorkommen (66% der Weltölreserven lagern im Mittleren Osten) bedeutenden Region.

Das Regime von Saddam Hussein ist durch die Militäraktion »Wüsten-Fuchs« erwartungsgemäß nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Die irakischen Oppositionsgruppen wurden dagegen an den Rand gedrängt. Letztere hatten keine andere Wahl, als eine offensichtlich willkürliche Militäraktion anglo-amerikanischer Allianz abzulehnen und damit die Legitimation des Regimes von Saddam Hussein, das sich als Opfer einer christlich-abendländischen Aggression in Szene setzen konnte, zu stärken. Die übergroße Zahl der irakischen Bevölkerung und auch Bevölkerungen anderer arabischer Staaten empfinden die Demütigung durch westliche Militäraktionen gegen den Irak als eine größere Last als das irakische Unrechtsregime und die Bedrohungen, die von diesem Regime ausgehen. Spontane Demonstrationen in Syrien, Palästina, Ägypten, Jordanien und anderen arabischen Staaten gegen westliche Bomben auf Irak belegen dies. Das irakische Regime kontrolliert uneingeschränkt die Ölproduktion, den Außenhandel und vor allem die Nahrungsmittelversorgung. Das siebenjährige Sanktionsregime hat nach UN-Angaben einer Million Irakerinnen und Irakern, darunter eine halbe Million Kinder, das Leben gekostet,3 das irakische Regime jedoch keineswegs geschwächt. Ganz im Gegenteil wurde dadurch Saddam Hussein durch die Kontrolle der Nahrungsmittelversorgung die Rolle eines Garanten für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zugewiesen, den schon aus Überlebensinteressen niemand in Frage stellt. Die Wirtschaftssanktionen der UNO verschaffen dem Regime von Saddam Hussein eine wichtige Legitimationsgrundlage, und dieser wird nunmehr aus der Opferposition heraus offensiver als bisher die bedingungslose Aufhebung von Sanktionen fordern und seinerseits das militärische Katz-und-Maus-Spiel aufrechterhalten.

Saddam Hussein ist das Produkt der anglo-amerikanischen Politik

Saddam Hussein für die militärischen Bedrohungen und für den Konflikt mit den Vereinten Nationen allein verantwortlich zu machen, resultiert aus einer selektiv westlichen Wahrnehmung. Historisch gesehen ist das irakische Regime Produkt einer Politik, die Großbritannien und die USA im Nahen und Mittleren Osten in diesem Jahrhundert konsequent verfolgten. Zu dieser Politik gehört der Sturz von demokratischen Regierungen, z.B. die Regierung Mossadegh im Iran, und die Unterstützung von diktatorischen Regimen, wie dem amerikafreundlichen Schah-Regime, dem fundamentalistischen saudischen Regime und der Scheichtümer am Persischen Golf. In keinem einzigen Fall haben die USA und Großbritannien die Demokratisierung und den Schutz von Menschenrechten in der Region konkret unterstützt. Dagegen haben sie die positiven Werte westlicher Zivilisation, wie Menschenrechte und Demokratie, im Nahen und Mittleren Osten in diesem Jahrhundert durchgängig einem einzigen Ziel, nämlich dem Zugriff auf das billige Öl, geopfert. So sind die islamisch-arabischen Völker der Region hauptsächlich mit der häßlichen Seite westlicher Zivilisation, mit ihrem Drang, die Ölquellen unter die eigenen Fittiche zu bringen, mit ihren Panzern oder treffsicheren Raketen in Berührung gekommen. Durch einseitige Parteinahme für Israel und dessen völkerrechtswidrige Besatzungspolitik wurzelte bei ihnen ein tiefgreifendes Misstrauen gegenüber der Völkergemeinschaft und den universellen Rechten. Hierin sind die tieferen Ursachen antiwestlicher Ressentiments und islamistischer Bewegungen begründet, für die die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und andere europäische Staaten die Hauptverantwortung tragen. Diese schürten zwischen den Staaten in der Region Misstrauen, Zwietracht und Krieg.

Durch umfangreiche Waffenexporte in den siebziger Jahren in den Iran, nach Saudi-Arabien und später auch in den Irak schufen sie die Grundlage für den iranisch-irakischen Krieg. Während dieses acht Jahre andauernden Krieges belieferten sie beide Seiten gezielt mit Waffen. Als Saddam Hussein eine militärische Niederlage drohte, griffen sie zu seinen Gunsten in das Kriegsgeschehen ein, um einen militärischen Sieg des Iran zu verhindern. Als Saudi-Arabien und Kuwait sich weigerten, irakische Schulden als Gegenleistung für den Krieg gegen den Iran zu begleichen, überfiel Saddam Hussein Kuwait und verfügte schlagartig über fast 19% der Weltölreserven. Durch die Schwächung der »OPEC-Tauben« um Saudi-Arabien und die Stärkung der »OPEC-Falken« um Iran/Irak geriet die Perspektive neuer Ölpreissteigerungen und eine Wiederbelebung der OPEC-Kartellmacht in den Bereich des Möglichen. So wurde der Irak, hauptsächlich um diese Entwicklung zu verhindern, aus Kuwait hinausgeworfen und die irakische Armee dezimiert, Saddams Regime jedoch belassen. Die Fortexistenz dieses Regimes sorgt für die Aufrechterhaltung des Misstrauens und des Wettrüstens in der Region, die alte außenpolitische Maxime Großbritanniens von Spalten und Regieren oder von Balance of Power im Jargon des militärstrategischen Diskurses kommt zur vollen Geltung, die Golfstaaten werden ökonomisch und militärisch vom Westen abhängiger als je zuvor. Statt zivile Strukturen aufzubauen, wird militärischen Strukturen und gesellschaftlichen Gewaltpotentialen neuer Auftrieb gegeben.4

Die erneute Zerstörung der militärischen Macht Saddam Husseins steht in dieser Logik der Balance of Power. Denn Saddam bekommt so Gelegenheit, seine militärische Macht wieder aufzubauen und der anglo-amerikanischen Allianz den Vorwand für den nächsten Militärschlag zu liefern.5 Andererseits werden dadurch der Angst, der Zwietracht und dem Wettrüsten in der Region neue Impulse gegeben. Solange Saddams Regime weiter besteht, erscheint auch die direkte militärische Präsenz von USA und Großbritannien in der Region als unabdingbar. Aus der Perspektive westlicher Geo- und Militärstrategen ist das Regime von Saddam Hussein ein Bestandteil dieser Strategie – wäre dieses nicht da, hätte es erfunden werden müssen. Ein Zerfall des Irak in drei Teile als Folge eines Sturzes des Regimes von Saddam Hussein würde für die anglo-amerikanischen Geostrategen zu einem Problem. Am meisten fürchten sie jedoch eine tragfähige Friedensordnung in der Region, die ihrer Politik der Balance of Power dauerhaft den Boden entzieht. Vor allem aus diesem Grund wurde und wird trotz anderslautender Rhetorik ein Sturz des irakischen Regimes nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.

Machtpolitische Rationalität anglo-amerikanischer Allianz

Großbritannien und USA verfolgten in diesem Jahrhundert im Mittleren Osten, der ölreichsten Region der Welt, ein doppeltes Ziel: Erstens, ihre eigene Energieversorgung mit dem billigen Öl zu sichern und zweitens über das Instrument militärischer Verteidigung „vitaler Interessen des Westens“ ihrer Großmachtposition auch innerhalb der NATO zusätzliches Gewicht zu verleihen. Alles spricht dafür, dass sie diese Option auch im 21. Jahrhundert nicht aus der Hand geben wollen. Vielmehr sind sie dabei, durch die Integration der Kaspischen-Meer-Region in ihre Geostrategie, ihre noch immer innerhalb der westlichen Allianz herrschaftspolitisch sehr wirksame Option, im Mittleren Osten Interessen aller westlichen Staaten zu »verteidigen«, weiter auszubauen. Im Lichte dieser Geostrategie hat die obstruktive Haltung der USA bei den bisherigen Verhandlungen für eine Klimakonvention neben der innenpolitischen Dimension (Beibehaltung des gegenwärtigen Energiekonsums) auch eine außenpolitisch-geostrategische Komponente. Durch konsequente Verbrauchssenkung fossiler Energieträger würden die Ölreserven des Mittleren Ostens ihr gegenwärtiges Gewicht für die Energieversorgung, folglich auch ihre strategische Relevanz, einbüßen.

Während die USA Westeuropa und Japan auch im 21. Jahrhundert mit ihrer militärisch absolut dominanten Position in der NATO und mit dem energiepolitischen Hebel in die Zange nehmen wollen, verschafft sich Großbritannien über denselben geostrategischen Hebel als ökonomisch zweitklassiger Staat in der EU eine Position, die es mit den ökonomischen Riesen Frankreich und Deutschland auf eine Stufe hebt. So gesehen ist Großbritannien weder ein Trittbrettfahrer noch ein Satrap der Vereinigten Staaten, wie unterschätzend behauptet wird, sondern eine nach wie vor militärische Großmacht mit kolonialer Erfahrung und eigenen Ambitionen gegenüber ökonomisch stärkeren EU-Staaten.

Erfolgreiche Strategie des billigen Öls, aber zu wessen Lasten?

Die USA und Großbritannien sind auch mit ihrer Strategie des billigen Öls bisher sehr »erfolgreich«. Die Ölquellen des Mittleren Ostens sprudeln reichlich und die Ölpreise sinken, nach einem kurzen OPEC-Intermezzo, ununterbrochen seit 1985, das Öl mit ca. 9 US-Dollar je Barrel war inflationsbereinigt noch nie so billig wie heute. Die OECD-Verbraucher sparen dadurch, legt man einen Preisrückgang von ca. 10 US-Dollar je Barrel innerhalb der letzten 12 Monate zugrunde, in einem Jahr ca. 360 Milliarden US-Dollar an Energiekosten ein. Das geht freilich zu Lasten aller Erzeuger fossiler Energien, zu Lasten der Umwelt und des Klimas, es fördert einen höheren Energiekonsum.6 Diese von Großbritannien und den USA bisher und unabhängig von der politischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung verfolgte Strategie ist sozial, friedenspolitisch und ökologisch eine Sackgasse und dazu noch ein Riesenskandal. Sie hat in den meisten Staaten im Nahen und Mittleren Osten soziale Deformation, Gewalt, Krieg, Zerstörung von Infrastruktur und Kultur sowie politischen Extremismus und politisch instabile Systeme hervorgerufen. Eine Reihe der Ölerzeugerstaaten stehen am ökonomischen und politischen Abgrund, die zaghaften Demokratisierungsschritte z.B. im Iran stehen auf der Kippe.

Alternative Lösungen

Und was ist die politische Alternative Europas zu dieser zukunftslosen anglo-amerikanischen Strategie für den Nahen und Mittleren Osten? Zuschauen oder die peinliche Zustimmung zu der gefährlichen Politik des Bündnispartners als Politikersatz verkaufen? Eine Mischung aus kurzfristigen und geostrategischen Eigeninteressen an »störungsfreier« Ölversorgung und am billigen Öl in Verbindung mit der Unfähigkeit, die Gefahren der US-Strategie zu erkennen und zu durchbrechen, bestimmt die Untätigkeit europäischer Regierungen.

Das Angebot von logistischer Hilfe an die anglo-amerikanische Allianz, bei dem Poker um geostrategische Optionen mitmischen zu wollen, wie es SPD-Politikern wie Hans Ulrich Klose vorschwebt, ist nichts als ein Indiz für die eigene Konzeptionslosigkeit. Noch weitreichendere Überlegungen deutscher Christdemokraten, wie Karl Lamers, durch eigene militärische Optionen und Interventionsfähigkeiten für Nordafrika und den Nahen Osten über den »Hilfstruppenstatus« hinauszukommen7 und der anglo-amerikanischen Zangenpolitik gegenüber den EU-Staaten entgegenzuwirken, sind gefährlich und eröffnen ebenfalls keine Perspektive für eine europäisch mitgetragene Friedensordnung im Nahen und Mittleren Osten.

Wer aber Europa sozial, ökologisch, ökonomisch und friedenspolitisch umgestalten will, muss gleichzeitig auch eine dazu passende und langfristig angelegte Friedensordnung für den Nahen und Mittleren Osten entwerfen. Zu einem solchen Entwurf gehören:

  • Erstens die konsequente Reduzierung von Waffenexporten in die Region,
  • zweitens die Unterstützung aller Bemühungen für einen regionalen Sicherheits- und Friedenspakt, der den Nahost- und Kurdistankonflikt und einen Abrüstungsprozess gerade im Bereich der Massenvernichtungsmittel mit einschließt,
  • drittens die Förderung des Aufbaus von zivilen Strukturen und Demokratisierungsprozessen, wo sie auch immer in Gang kommen,
  • viertens die Forcierung eines intensiven interkulturellen Dialogs zwischen Europa und der Region und nicht zuletzt
  • fünftens eine gemeinsame Energieversorgungs- und Klimastrategie, die die klimapolitischen Anforderungen der Energie- und CO2-Reduktion mit langfristigen Interessen der Ölerzeugerstaaten in Einklang bringt.

Am Beispiel des Irak-Konflikts zeigt sich, dass regionale und globale Entwicklungs-, Umwelt-, Friedens- und Strukturpolitik für eine nachhaltige Entwicklung zusammengehören.

Die skizzierte Langzeitperspektive für den Nahen und Mittleren Osten stellt besondere Anforderungen an die Lösungsalternativen für den aktuellen Irak-Konflikt. Sie ermöglicht aber auch den Entwurf von realisierbaren Sofortmaßnahmen: Ein weiteres Katz-und-Maus-Spiel auf der Suche nach irakischen Massenvernichtungsmitteln ist sinnlos und verlängert nur noch den Konflikt, ganz im Sinne der oben skizzierten anglo-amerikanischen Strategie. Statt dessen müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet werden, die das Regime von Saddam Hussein national, regional und international isolieren und den Handlungsspielraum für den Aufbau, für die Vernetzung und demokratische Konsensfindung irakischer Oppositionsgruppen nachhaltig stärken. Zu diesem Zweck verzichtet

  • erstens der UN-Sicherheitsrat auf die Entsendung von UNSCOM und arbeitet
  • zweitens einen neuen und stringent konditionierten Mehrstufenplan für die Aufhebung von Sanktionen aus, der die einzelnen Planstufen von Bedingungen, wie Verbot von Waffenproduktion und Waffenimporten, Verwendung der Öleinnahmen ausschließlich für zivile Versorgung und Aufbauprojekte, Schutzgarantie für die Einhaltung von Menschenrechten, Zulassung von Parteien und unabhängigen Medien etc. abhängig macht. Der UN-Sicherheitsrat beschließt
  • drittens eine zivile Kommission (UNCCOM) zur Kontrolle und Durchführung der Aufhebung des UN-Sanktionsplans, insbesondere der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, die vor allen Dingen aus Vertretern arabisch-islamischer Staaten sowie den drei relevanten innerirakischen Bevölkerungs- (bzw. Oppositions-)spektren: schiitische Araber, sunnitische Araber und sunnitische Kurden zusammengesetzt ist.

Saddam Hussein, Bill Clinton und Toni Blair werden vermutlich als schärfste Gegner der oben skizzierten Alternative zum militärischen Katz-und-Maus-Spiel auftreten. Mit dieser gewaltlosen Perspektive wäre ein neuer Weg eröffnet, ihnen ihre bisherigen außenpolitischen Handwerkzeuge und Legitimationsmuster aus der Hand zu nehmen. Saddam Husseins Taktik, die irakische Bevölkerung gegen die UNO aufzuhetzen, bliebe wirkungslos, da nun anstelle von UNSCOM und Butler die UNCCOM treten würde, an der Araber, Moslems und Vertreter der irakischen Opposition mitwirkten. Die echte Chance, die eigene Situation an den Strukturen der Regime vorbei wirksam zu verbessern und allmählich den Wiederaufbau in die eigene Hand zu nehmen, verstärkt enorm die Voraussetzungen für eine demokratische Konsensbildung und den notwendigen politischen Klärungsprozess zur Absetzung von Saddam Hussein und zur Bildung einer demokratischen Regierung. Lehnt Saddam Hussein die Mitwirkung an einem derartigen UN-Plan ab, stünde er vor dem eigenen Volk im moralischen, rechtlichen und politischen Abseits. Erst unter diesen Bedingungen ist es realistisch anzunehmen, dass Machtgliederungen des Baath-Regimes abbröckeln, die ihrerseits zu Absatzbewegungen von Saddams Getreuen und schließlich zu seiner Absetzung führen.

Einen derart konzipierten Sanktionsplan in den UN-Sicherheitsrat einzubringen, wäre Aufgabe der EU, und hier vor allem Frankreichs, Deutschlands und Italiens. Die europäische Union hätte so endlich die Möglichkeit, in einem internationalen Konflikt selbst außenpolitisch initiativ zu werden und dabei neue, durchaus realisierbare Wege aufzuzeigen. Tragen die Europäer ihre alternative Strategie politisch geschickt und in der Sache kompromisslos vor, dann hätte die anglo-amerikanische Koalition in den Augen der Weltgemeinschaft schlechte Karten und am Ende arge Legitimationsprobleme, sich einer solchen europäischen Alternative zu verschließen.

Literatur

Paech, Norman (1999): Wer die UNO auf den Müllhaufen der Geschichte wirft, redet einem internationalen Neofeudalismus das Wort, in: Tageszeitung vom 07.01.1999.

Zumach, Andreas (1998): Frieden mit dem Weltpolizisten NATO, in: Tageszeitung vom 10.11.1998.

Schneider, Michael (1998): Washingtoner Obsessionen. Wer schützt den Rest der Welt vor amerikanischer Gewaltanmaßung?, in: Freitag 2 vom 08.01.1999.

Massarrat, Mohssen (1998): Das Dilemma der ökologischen Steuerreform. Plädoyer für eine nachhaltige Klimaschutzstrategie, Marburg.

Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (Hrsg.) (1999): »Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik«, Hamburger Informationen zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik 26/1999.

Anmerkungen

1) Über die Völkerrechtswidrigkeit der angestrebten neuen NATO-Strategie gibt es kaum Zweifel. „Will die Bundesregierung diesen völkerrechtswidrigen Weg nicht mitgehen, muss sie ihre Haltung sofort verdeutlichen, ehe sie erneut in eine Zwangslage gerät, die sie nötigt, wider bessere Einsicht zu handeln“. Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik 1999: 19.

2) So z.B. Andreas Zumach in zahlreichen Beiträgen in der Tageszeitung; Norman Paech in einem Kommentar in der Tageszeitung vom 7.1.1999; Michael Schneider im Freitag vom 8.1.1999; Karl Grobe und Anton Andreas Guha in mehreren Leitartikeln der Frankfurter Rundschau.

3)Für dieses faktum brutum gibt es – UN-Resolutionen hin oder her – nur eine angemessene Bezeichnung: es ist ein stiller Völkermord, dem das christliche Abendland seit nunmehr sieben Jahren stillschweigend zusieht“ (Schneider 1999).

4) Ausführliche Analyse der Folgen von historisch-geostrategischen Interessen anglo-amerikanischer Allianz im Mittleren Osten für die Ölmengen- und Preisentwicklung siehe Massarrat 1998 (bes. Teil II: Mit Geld und Gewalt zu Energieüberproduktion und Dumpingpreisen).

5) SPD-Außenpolitiker Günter Verheugen, der wider besseres Wissen den Krieg gegen den Irak auch nachträglich in einem Interview durch die angeblich „unmittelbare Bedrohung von Anrainerstaaten durch den Irak“ zu rechtfertigen versucht (Neue Osnabrücker Zeitung vom 16.01.1999), warnt die anglo-amerikanische Kriegskoalition vor einer sinnlosen Spirale der Vernichtung und des Wiederaufbaus. „Es kann und darf allerdings nicht immer so weitergehen: Luftangriffe, danach militärischer Neuaufbau, deshalb erneute Luftangriffe und so weiter“ (ebenda). Offensichtlich übersieht Verheugen, dass diese Spirale der Vernichtung und des Wiederaufbaus einen wirksamen Hebel jener Politik von Balance of Power darstellt, die er durch die Parteinahme für die anglo-amerikanische Allianz im Grundsatz verteidigt.

6) Näheres siehe Massarrat 1998.

7) Vgl. Interview mit dem CDU-Politiker Karl Lamers »Europäer müssen sich einmischen«, in Frankfurter Rundschau vom 21.12 1998.

Prof. Dr. Mohssen Massarrat lehrt am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.

Editorial

Editorial

von Jürgen Nieth

Montag, 17. November 1997: Der US-Flugzeugträger George Washington ist auf dem Weg ins Rote Meer. In der Region sind bereits der Flugzeugträger Nimiz, 17 Kriegsschiffe und 200 amerikanische Flugzeuge stationiert. Aus dem US-Verteidigungsministerium hieß es am Wochenende, ein militärisches Eingreifen sei „noch einige Schritte entfernt“, werde aber immer wahrscheinlicher.

Vorausgegangen waren eine massive Behinderung der im Rahmen einer UN-Mission tätigen US-Waffenkontrolleure durch irakisches Militär und schließlich der Abzug fast aller UN-Kontrolleure aus Protest gegen diese Behinderungen.

Ein Spiel, das wir in der einen oder anderen Version seit dem zweiten Golfkrieg immer wieder erleben. Der irakische Diktator Saddam Hussein gibt sich bedroht oder ausspioniert durch US-Amerikaner in UN-Mission und greift zum Mittel der gezielten Verletzung der ihm von den UN auferlegten Sanktionen oder der Arbeitsbehinderung von vor allem US-Personal in UN-Diensten. Der »Erzfeind Nr. 1« eignet sich hervorragend, um zumindest kurzfristig abzulenken von der katastrophalen ökonomischen Situation, in der sich das Land seit dem letzten Krieg befindet und um alle eventuellen innenpolitischen Proteste wegzuspülen in einer Welle nationaler Euphorie.

Und die USA? Sie demonstrieren Macht und militärische Überlegenheit. Bereits viermal haben sie seit dem Golfkrieg II ihre Militärmaschinerie gegen den Irak eingesetzt: 1992 schossen amerikanische Kampfflugzeuge eine irakische MIG-25 über der nördlichen Flugverbotszone ab. Im Januar 1993 zerstörten amerikanische Raketen das Luftverteidigungssystem im Süden des Irak. Im Sommer 1993 wurden 23 Cruise-Missile gegen militärische Gebäude in Bagdad eingesetzt. 1996 gingen 44 amerikanische Raketen auf militärische Ziele im Süden nieder, nachdem irakisches Militär gegen kurdische Einheiten im Norden eingesetzt worden war.

Militäreinsätze, die alle eins gemeinsam hatten: Sie demonstrierten den Willen und die Möglichkeit der USA zu jedem Zeitpunkt und an (fast) jedem Ort militärische »Strafmaßnahmen« durchzuführen. Daß das Regime des Saddam Hussein durch keine dieser Militärattacken ernsthaft gefährdet, ja eher noch stabilisiert wurde, schien zum Kalkül zu gehören. Die Mehrheit der Nahostexperten scheint immerhin davon auszugehen, daß die USA das Saddam-Regime brauchen als Block gegen die weitere Ausdehnung des schiitischen Islam, gegen den Iran und zur Verhinderung eines eigenen Kurdenstaates an der Grenze zur Türkei.

Diesmal soll es um mehr als nur eine Strafaktion gehen. Verteidigungsminister Cohen ließ Clinton ein Szenario unterbreiten, nachdem es „nicht nur bei einem kurzem Luftschlag“ bleiben dürfe. Doch dafür fehlen heute (bei Redaktionsschluß) noch einige Voraussetzungen: Frankreich, Rußland und China plädieren im Sicherheitsrat für nichtmilitärische Lösungen. Im Gegensatz zur Situation während des zweiten Golfkrieges gehen die arabischen Staaten auf Distanz zur USA. Die jordanische Zeitung »Jordan Times« spricht die Befürchtung aus, daß die USA Saddam im Irak zum Märtyrer machten. Der »Iran Daily« vertritt die Auffassung, daß die USA die jüngste Krise nur provoziert hätten, um den Golfstaaten neue Waffen verkaufen zu können. Die in Dubai erscheinende »Khaleej Times« schreibt offen, daß die Welt „die seit dem Ende des Kalten Krieges gewachsene amerikanische Arroganz satt“ habe. Selbst Kuwait distanzierte sich in der letzten Woche von der amerikanischen Position.

Möglich, daß die Situation trotzdem in den nächsten Tagen eskaliert. Möglich, daß Saddam den Vorwand liefert, möglich, daß für Clinton die Situation so weit fortgeschritten erscheint, daß er ohne Militäreinsatz einen innenpolitischen Imageschaden befürchtet und auch ohne Rückendeckung seiner Verbündeten den Einsatzbefehl gibt.

Eine der arabischen Zeitungen schrieb in diesen Tagen: „Ein weiser und starker Mann wird dem schwachen immer eine Option für einen Rückzug in Würde geben.“ Zugegeben, mir fehlt das Gottvertrauen in die »Weisheit » der US-Regierung. Die Gefahr ist groß, daß wieder einmal pures Machtdenken die Entscheidung diktiert.

Sicher, die internationale Staatengemeinschaft ist zu Recht skeptisch in bezug auf die mögliche Produktion von Massenvernichtungsmitteln im Irak. Aber ist es wirklich klug, wenn der Kriegssieger von gestern heute als oberster Kontrolleur auftritt? Ist es nicht viel wichtiger, daß überhaupt kontrolliert wird? Das aber können Spezialisten aus anderen Ländern sicher genauso gut, dafür bedarf es keiner US- Dominanz.

Und noch etwas: Wer internationale Kontrolle will, muß Strukturen bilden und unterstützen, in denen internationale Vereinbarungen getroffen und auch kontrolliert werden können. Ein erneuter Militäreinsatz am Golf wird die Probleme genausowenig lösen wie die vorausgegangenen. Die internationalen Strukturen der UN aber würden weiter geschwächt, da er einmal mehr dokumentierte, daß die USA nach eigenem Belieben Weltmachtpolitik machen.

Die Rolle der »Supermacht« und ihr Einfluß auf die Weltpolitik waren für uns Anfang des Jahres Anlaß, den Schwerpunkt »USA« festzulegen. Daß dieses Thema so aktuell werden könnte, haben wir damals nicht geahnt.

Ihr Jürgen Nieth

Die ökologischen Folgen des Golfkrieges

Die ökologischen Folgen des Golfkrieges

Ein vermeidbares Verbrechen an den künftigen Generationen

von Olaf Achilles

Vor dem militärischen Konflikt am Golf waren sich alle Kriegsteilnehmer und auch die Weltöffentlichkeit darüber im klaren, daß militärische Handlungen in dieser Region eine ökologische Bedrohung weit über die Grenzen Kuwaits hinaus bedeuten werden. Schon vor allen Kriegshandlungen konnte festgehalten werden:

  • Die Wiederherstellung der Internationalen Sicherheit gemäß der UN-Charta in dieser Region war nur durch die Gefährdung der Internationalen Ökologischen Sicherheit möglich.
  • Die Wiederherstellung der territorialen Integrität Kuwaits konnte nur durch die (ökologische) Verletzung der territorialen Integrität vor allem der angrenzenden Staaten erfolgen.
  • Bei einem Einsatz der Instrumente der militärischen Sicherheit wäre die Ökologie Kuwaits, insbesondere die betroffene Wüstenökologie, aber auch der Golf selbst, existenziell stark bedroht.
  • Brennende Ölfelder könnten eine verheerende Wirkung auf das Weltklima, vor allem aber auf das regionale Klima haben.
  • Das Umweltkriegsverbot sowie das Kriegsvölkerrecht werden bei einem Krieg verletzt werden.

Nach dem Prinzip der Schadensminderung hätten sämtliche militärischen Maßnahmen in der Region aus Gründen der Internationalen Ökologischen Sicherheit unterlassen werden müssen. Allein der potentielle Schadstoffausstoß brennender Ölfelder, und hierbei insbesondere die klimaschädlichen Gase, hätten angesichts der schon stattfindenden dramatischen Änderungen im Weltklima, zu einem besonnenen, weitsichtigen und möglichst ausschließlich diplomatischen Lösungsweg führen müssen.

Folgende »ökologische Verbrechen«, hervorgerufen durch die Mißachtung des »Umweltkriegsverbots-Vertrag« vom 18. Mai 1977 und des Zusatzprotokolls I zu dem Genfer Abkommen vom 12. Dezember 1977, konnten während und nach dem Krieg festgestellt werden:

  • Mutwillige und durch absehbare Kriegsfolgen hervorgerufene Zerstörung und Inbrandsetzung der Ölquellen in Kuwait und im Irak durch den Irak und die Alliierten
  • Mutwilliges und durch absehbare Kriegsfolgen verursachtes Einlassen von Öl in den Golf durch den Irak und die Alliierten
  • Mutwillige Zerstörung insbesondere der atomaren und chemischen Industrieanlagen im Irak durch die Alliierten
  • Ökologische Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung in Kuwait und Irak durch Zerstörung der zivilen Versorgungsinfrastruktur, sowie Verseuchung der Umwelt insbesondere der Flüsse durch den Irak und die Alliierten
  • Einsatz ökologisch bedenklicher Waffensysteme; potentieller Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch den Irak und die Alliierten; Verminung Kuwaits durch den Irak
  • Unterlassene Hilfeleistung bei der Schadensbegrenzung ökologischer Kriegsfolgen; Ausbleiben einer Evakuierung Kuwaits
  • Fälschung und Zurückhaltung von Daten zu den ökologischen Schäden

Die Datenlage

Auf einer ersten wissenschaftlichen Konferenz am 2.1.91 in London, die auf Initiative der Grünen in England stattfand, äußerten einige Experten gegenüber der Weltpresse ihre Befürchtungen über die möglichen Auswirkungen eines Krieges. Neben den zu erwartenden lokalen und eventuell globalen Klimaänderungen, könnte u.a. der Monsunregen in Indien direkt beeinflußt werden, was im Extremfall zu Ernteausfällen und damit zum Hungertod von Millionen von Menschen führen würde. Auch könnte die Ozonschicht über Indien und in anderen Bereichen der durch Raucheintrag gestörten Stratosphäre geschädigt werden.

Die Verseuchung der Golfgewässer sei bei einem Krieg vorgezeichnet und würde damit den Nahen und Mittleren Osten eines wichtigen Teils seiner natürlichen Nahrungsmittelgrundlage berauben (Dokument AI, Independent 3.1.91/ FR 4.1.91/ dpa 9.1.91).

Die deutschen Umweltverbände warnen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz vor einer globalen Umweltkatastrophe als Folge eines Golfkrieges. Der Deutsche Naturschutzring (DNR), der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) erklärten u.a., daß die weltweiten ökologischen Folgen eines Krieges weit über das Tschernobyl-Desaster hinaus gingen. Wer heute Krieg führe, könne dies nur noch um den Preis der eigenen ökologischen Vernichtung tun (div. Presse 12.1.91). (Dokument A II, Taz 12.1.91) Zahlreiche Wissenschaftler wenden sich mit weiteren ökologischen Szenarien gegen den Krieg. Die weltweit bekanntesten sind die »Abschlußerklärung der Scientific Task Force vom 14.1.91 in New York« (Dokument A IIIa) sowie eine Studie über die potentiellen Folgen eines Krieges für den Golf durch Öleintrag (Dokument A IIIb).

Das Britisch-Meteorologische Institut veröffentlicht am 15.1.91 in London eine Studie zu den möglichen Klimafolgen brennender Ölquellen in Kuwait. Die Studie stelle ein »worst-case szenario« dar und wird von der Industrie als „übertrieben pessimistisch“ bezeichnet. (Dokument A IV)

Schon im November 1990, vor dem Ausbruch des Golfkrieges, hatten kuwaitische Exilpolitiker an amerikanische und kanadische Ölbrandexperten wie Red Adair Aufträge für einen eventuellen Löscheinsatz vergeben. (Spiegel 41/91) (Dokument AV)

Zerstörung der Ölfelder in Kuwait

„In Washington wird davon ausgegangen, daß Saddam Hussein seine Drohung wahrmachen und die drittgrößten Ölvorräte der Welt in Kuwait vor einem eventuellen Rückzug vernichten wolle.“ (Dokument A VI FAZ 24.1.91)

Das US-Energieministerium gibt bekannt, das brennende Ölfelder allenfalls regionale Umweltschäden verursachen, aber keine globale Bedrohung auslösen würden. Intern wird ein Erlaß herausgegeben, der allen Wissenschaftlern, die mit Bundesmitteln forschen untersagt, sich negativ zu den ökologischen Folgen des Golfkrieges zu äußern. (Dokument A VII und A VIII, FR 25.1.91/Scientific American 5/91)

Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums vom 12.2.91 stehen seit einer Woche mehr als 50 Öl-Quellen in Brand. Wie es dazu kam sei unklar. Die meisten seien von den Irakern selbst angezündet worden, um die eigenen Stellungen gegen alliierte Luftangriffe zu schützen. Möglicherweise seien einige Feuer im Zuge der Angriffe der alliierten Luftangriffe entstanden. (Dokument A IXa, SZ 13.2.91 Dokument IXb, Taz 14.2.91, FR 14.2.91)

Die US-Luftwaffe beginnt damit, das Land in Todeszonen (Killing Boxes) einzuteilen und Bomben auf die Planquadrate abzuwerfen. Die Todeszonen werden systematisch abgesucht und angegriffen. „Wir sehen jetzt meilenweit verbrannte Erde und Bombenkrater“, berichtet ein US-Bomberpilot nach Einsätzen über Kuwait und Südirak. Die US-Piloten bezeichnen die neue Strategie als exzellent und sprechen von einer systematischen Zerschlagung der Armee. (Dokument A X, TSP 14.2.91)

Die Süddeutsche Zeitung meldet, die alliierten Piloten hätten den Auftrag bekommen, die Ölfeuer mit Bomben auszulöschen. Im Umkreis der brennenden Quellen breiten sich große Seen von Öl über die Wüste aus. (Dokument A XII, SZ 19.2.91)

Präsident Bush bezichtigt den Irak einer Politik der »verbrannten Erde«. Er verfolge das Ziel, die gesamte kuwaitische Ölindustrie zu zerstören. Die iranische Nachrichtenagenur INRA berichtet, die Umweltkatastrophe sei eine Konsequenz der alliierten Luftangriffe auf Kuwait sowie auf die Öl- und Wirtschaftszentren des Iraks. Die Rauchwolken reichen bis in den Süden Irans hinein.<> (Dokument A XIII, FR 25.2.91)<>

Der Spiegel berichtet von verminten Ölfeldern. (Dokument A XIV, Spiegel 8/91)

Die Kuwait Oil Company gibt eine erste Untersuchung bekannt, nachdem alle 950 Ölförderungsanlagen gesprengt worden seien. (Dokument A XVII, FR 2.3.91)

Einsatz von Öl als Waffe in Kuwait und am Golf

Die alliierten Streitkräfte bombardieren am 28.1. die Ölpumpanlage Sea Island, mit Hilfe derer die irakische Armee Öl in den Golf gepumpt hatten. Nach Schätzungen von Experten sind 1,5 Milliarden Liter Öl ausgeflossen, 40 mal soviel wie bei dem Tankerunglück Exxon Valdez. Der Ölteppich ist 900 km2 groß und bewegt sich mit 20 Stundenkilometern Geschwindigkeit auf die saudi-arabische Küste zu.

Am 29.1. sollen bereits 1,7 Milliarden Liter Öl in den Golf geflossen sein, davon eine Milliarde aus der Ölverladestation. Der Rest komme von 5 irakischen Schiffen, darunter drei Tankern, die vorsätzlich vor Kuwait-Stadt zerstört worden seien. Eine andere Quelle seien vermutlich beschossene Tanks und Raffinerien in der verlassenen saudi-arabischen Stadt Chafdschi. (Dokument C Ia, FR 30.1.91, C Ib, FAZ 29.1.91)

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Deutsche Naturschutzring fordern in einer gemeinsamen Erklärung wegen der Ölkatastrophe am Golf eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. (Dokument C II, KSTA 30.1.91)

US-General Schwarzkopf bestätigt, daß seit Tagen erneut Öl von der Halbinsel Fao aus dem Tankerterminal Mina el Bakr fließe. Weil fast alle schwimmenden Ölsperren zum Schutz der Meeresentsalzunganlagen und Kraftwerke benötigt werden, sind Millionen Tiere im Golf ungeschützt einem qualvollem Tod ausgesetzt (Dokument C III, SZ 1.2.91)

General Schwarzkopf schließt nicht aus, daß die Anlage bei Fao durch alliiertes Bombardement leckgeschlagen wurde (Dokument C IV, SZ 8.2.91)

Ein hoher Mitarbeiter der saudiarabischen Umweltbehörde informiert, 20-30% des Öls im Golf seien „die Folge von Angriffen der Alliierten auf irakische Ziele zu Lande und zu Wasser“. Mittlerweile sind 160 Küstenkilometer von dem Ölteppich betroffen. Saudi-arabische Wissenschaftler schätzen den Ölteppich auf lediglich 1,5 Millionen Barrel Öl. Das Öl, das zuerst an die Strände Saudi-Arabiens gespült wurde, stamme aus irakischen Tankern, die von amerikanischen Bombern angegriffen worden seien (20.2.). (Dokument C VI, TAZ/TSP/FR 21.2.91)

Verschleierung der Kriegsfolgen

In einer Stellungnahme des Worldwatch Instituts aus Washington vom 1. März werden die kuwaitischen Verantwortlichen in Anspielung auf die Londoner Smogkatastrophen aus den 50er Jahren aufgefordert, Kuwait erst nach der Löschung der Brände wieder zu besiedeln. Auch würde durch die Kriegshandlungen die Wüste Jahrhunderte brauchen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. In einer neuen internationalen Ordnung müsse der Schutz der Umwelt im Zentrum stehen. (Dokument B I)

Gesundheitsbeamte in Bahrain warnen am 17. März die Bevölkerung, daß das Atmen mit dem täglichen Rauchen von 20 bis 30 Zigaretten gleichzusetzen ist. Auch könnte verstärkt Hautkrebs auftreten, da die weit über 100.000 Flugeinsätze der Alliierten die Ozonschicht beeinträchtigt haben, teilte Jaffar al-Bareeq, Präsident der Bahreiner Krebsgesellschaft mit. Sie bitten die Weltgesundheitsorganisation um Hilfe. (Dokument B II, Environmental Outlook 19.3.91)

In Kuwait wurde nach einer im März herausgegebenen Schätzung des US-Umweltbundesamtes EPA ungefähr zehnmal soviele Schadstoffe in die Luft ausgestoßen, wie alle Industrieanlagen und Kraftwerke der USA zusammen. (Dokument B III)

Die ersten Ausläufer der Rauchwolke erreichen Europa. Das British Meteorological Office hat Satellitenfotos ausgewertet, die zeigen, daß sich rußhaltige Regenwolken bis an das Westufer des schwarzen Meeres, Rumänien, Bulgarien und Griechenland erstrecken. Im Osten hat der Qualm Afghanistan und Griechenland erreicht. (Dokument B IV, Spiegel 25.3.91)

Kuwaitische Umweltexperten vom kuwaitischen Institut für wissenschaftliche Forschung (KISR) fordern die Evakuierung von Teilen Kuwaits. In den Krankenhäusern häufen sich die Fälle von Bronchialasthma und anderen Atemwegserkrankungen, Hautinfektionen und Blutgeschwüren. Eine Untersuchung von sieben frischgeschlachteten Schafen habe schwerwiegende Irritationen ihres Lungengewebes gezeigt. Ein Tag in Kuweit-Stadt habe eine Wirkung ähnlich dem Rauchen von 250 Zigaretten. Es wird berichtet, daß 40 Ölquellen nachträglich in Brand gesetzt wurden, um die hochgiftigen und tödlichen Gase abzufackeln. Es wird beklagt, daß weder die Vereinten Nationen noch die US-Umweltbehörde, die Expertenteams an den Golf entsand haben, das KISR wegen dessen Untersuchungen konsultiert haben. (Dokument B V, FR 28.3.91)

Der Direktor des Überwachungssystems des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) Michael Gwynne erklärt, daß die Umweltschäden durch die Ölbrände nur mit denen von Tschernobyl vergleichbar seien. „Doch wie in Tschernobyl fehlen uns auch jetzt verläßliche Daten“. (Dokument B VI, FR 30.3.91)

Der Koordinator der UN-Hilfsaktionen am Golf, Prinz Sadruddin Aga Khan berichtet am 11.4., daß schwarzer Schnee im Himalaya gefallen sei. Das Regenwasser im Iran ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO gesundheitsgefährdend mit Blei und Ruß verseucht. Eine Probe im Südwesten Irans von Mitte März (!) habe sechsmal soviel Blei aufgewiesen, wie Trinkwasser höchstens enthalten darf. Auch der Natriumgehalt des Wassers liege vielfach über den Sollwerten. Die Erde sei stark durch Ruß und Schwermetalle verseucht. In der kuwaitischen Ölstadt Ahmadi nehmen bei Kindern Ekzeme zu, Frauen fällt das Haar aus. (Dokument B VII, FR 13.4.91)

Am 29.4. veranstaltet der Umweltausschuß des deutschen Bundestages ein Hearing zu den Umweltfolgen am Golf. Zahlreiche Experten beklagen, daß nur sehr wenige Daten vorhanden sind. Auch gebe es keinerlei Koordination innerhalb der Ministerien, der EG oder der UNO. Die Gesundheitsgefahr für die Bewohner Kuwaits schätzt der Kieler Toxikologe Prof. Dr. Ottmar Wassermann auf 10 bis 100mal höher als die Krebsgefahr in Westdeutschland. Unter Berücksichtigung von zehn Luftschadstoffen einschließlich des Dieselausstoßes komme gemäß der geltenden bundesdeutschen Grenzwerte, bereits ein Krebstoter auf 500 Einwohner pro Jahr. Kuwait müsse sofort evakuiert werden. (Dokument B VIII, wib 2.5.91)

Die dichteste Ruß-Wolke erstreckt sich über Kuwait, dem östlichen Irak und den westlichen und südlichen Teilen des Iran. Meteorologen des britischen Wetterdienstes haben über Kuwait in 2000 Metern Höhe Konzentrationen von 30.000 Rußteilchen pro Kubikmeter Luft ermittelt, das 30-fache dessen, was in einer Großstadt bei Smogalarmstufe vorhanden ist. Auch bei den Schadstoffen Schwefeldioxid und den Stickoxiden konnte man mit 1000 ppb das 20-fache bzw. mit 50 ppb das 10-fache eines Smognotstandes ermitteln. (Dokument B III, World Watch 7/8 91)

Die Todesrate in Kuwait wird wegen der noch immer anhaltenden Ölbrände nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um zehn Prozent steigen. Nach monatelangem Schweigen über die Umweltverschmutzung begann die kuwaitische Regierung in den vergangenen Tagen damit, über das staatliche Fernsehen Warnungen zu verbreiten.

50 bis 75% der Fläche Kuwaits seien mit öligem Ruß bedeckt. (Dokument B XIII, FR 20.9.91, Dokumente DI bis D III)

Zerstörung der (Wüsten-)ökologie

Tony Burgress, vom Wüsten-Institut der Universität von Arizona in Tucson sagte, er habe noch nie eine solche Zerstörung gesehen. Kuwaits Wüste sei vor dem Krieg trotz der Ölförderung ökologisch intakt gewesen, mit erheblichen Bewuchs und artenreichem Tierleben. Nun aber sei die Wüste weitgehend vom rußigen Abfall der Feuer bedeckt, der weder Wasser durchlasse noch das Keinem von Samen erlaube. Das gesamte Mikroleben im Wüstensand sei weitgehend abgestorben. (Dokument B IX, FR 26.6.91)

Ein UN-Beamter teilt mit, die Bewegungen tausender Fahrzeuge hätten während des 41tägigen Krieges die Bodenfläche, auf der sonst nur Kamele zogen, völlig verändert. Da die Wüste eine sehr lange Regenerationszeit benötige, seien Erosionen und heftige Sandstürme nach Angaben des UN-Wüstenexperten Ayoub unausweichlich. (Dokument B X, FR 6.7.91)

Zerstörung der Infrastruktur des Iraks

Der stellvertretende britische Generalstabschef teilt mit, daß die Bombenangriffe der Alliierten „beträchtliche Schäden“ vor allem an Einrichtungen zur Produktion chemischer und atomarer Waffen anrichten. Die Anlagen zur Rohölförderung im Irak seien zu 50 Prozent zerstört und die Lagermöglichkeiten für Öl schwer getroffen worden. (Dokument A V )

Alle wichtigen Raffinerien im Irak sind nach Angaben der Alliierten beschädigt oder geschlossen. Die Daura-Raffinerie bei Bagdad, welche 71.000 Barrel Öl am Tag produzierte, wurde in der ersten Bombennacht bereits getroffen. Danach zielten die Alliierten auf den Baiji-Komplex, die größte Anlage des Iraks mit 150.000 Barrel Ölförderung pro Tag. Basra, mit 70.000 Barrel am Tag, wurde ebenfalls getroffen (FT 15.2). (Dokument A XI)

Es wird bekannt, daß der türkische Staatspräsident Özal im letzten Moment eine Bombardierung der irakisch-türkischen Öl-Pipeline durch US-Flugzeuge verhindert hat (26.2.). (Dokument A XV SZ 27.2.91)

Das alliierte Oberkommando gibt bekannt, daß insgesamt 14 große Atom-oder Chemieanlagen zerbombt wurden. Über die Auswirkungen auf die Umgebung sei nichts bekannt. Andere Quellen sprechen im nachhinein von 31 Anlagen. (Dokument A IV, Taz 1.3.91, Dokumente D VI bis D IV)

Der Autor trug diese Stellungnahme auf der bundesweiten Anhörung zum Golfkrieg am 30. November 1991 in Stuttgart vor.

Dipl.-Ing. Olaf Achilles, Forschungsgruppe Ökologische Sicherheit, Bonn

Ökologische Bilanz des Golfkrieges: Bagatellisieren und vertuschen

Ökologische Bilanz des Golfkrieges: Bagatellisieren und vertuschen

von Olaf Achilles

Auch vier Monate nach dem Golfkrieg weiß die bundesdeutsche Öffentlichkeit wenig vonden ökologischen Folgen des Golfkrieges. Die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen. Ihre Auffassung: „nach wie vor (stehen) zuverlässige Informationen nicht im ausreichendem Umfang zur Verfügung (…). Dies gilt insbesondere für die Umweltbelastungen, die durch die brennenden Ölquellen in Kuwait entstehen“ (Bt.-Prt. 25/12 S.1830).

Keiner evakuiert Kuwait und neben den Menschen im Irak sterben auch weiterhin die Zugvögel. Für diesen Krieg wurden die ökologischen Folgen billigend in Kauf genommen. Deswegen ist eine ökologische Bilanz dringend erforderlich.

Die Bundesregierung will noch ein Flugzeug in die Region schicken, daß in der Lage ist, die in der Luft befindlichen Schadstoffe zu messen. Darüber hinaus will sie ein Meßfahrzeug in Kuwait einsetzen.

Diese Maßnahmen könnten sich ebenso zum Flop entwickeln wie die (viel zu späte) Entsendung des Ölbekämpfungsschiff Mellum in die Region. Als „teuren Schildbürgerstreich“ hat der Bund der Steuerzahler den Einsatz bezeichnet, da es unverrichteter Dinge Mitte Juni wieder den Heimathafen angesteuert hat. Das Schiff hat keinen Tropfen Öl in der Region aufgenommen und wurde vorher zeitaufwendig wie auch teuer ausgerüstet.

Bundestagsanhörung

Am 29.4.91 fand im Deutschen Bundestag eine Anhörung zu den ökologischen Folgen des Golfkrieges statt, wo einige interessante Hintergrundinformationen jedoch keine wirklichen Daten genannt wurden. Aussagen zur ökologischen Situation im Irak entfielen gänzlich.

Die anwesenden Wissenschaftler konnten im wesentlichen nur Vermutungen äußern, so daß der Vorsitzende des Umweltausschußes von Geldern mit dem Satz „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ die Sitzung geschlossen hat. Dabei kamen die Vermutungen ganz klar zur Aussage, daß Daten geheimgehalten werden, darüber hinaus aber deutlich sei, daß Kuwait (und angrenzende Regionen) sofort evakuiert werden müssten. Das »Nicht-Wissen« der Bundesregierung ist somit Bestandteil einer »ökologischen Entwarnung«, wie sie auch in der Tendenz in einigen Fragestellungen während dieser Anhörung deutlich wurde.

Dr. Wolfgang Seiler vom Fraunhofer-Institut von Garmisch-Patenkirchen machte darauf aufmerksam, daß die Nichtmethan-Kohlenwasserstoffe über größere Strecken transportiert werden und bereits im April in verschiedenen Meßstationen auf der Erde eine Zunahme zu verzeichnen war. In den Vereinigten Staaten wurden in 10-12 km Höhe „ausgeprägte Schichten mit sehr starken Aerosolpartikelkonzentrationen“ gefunden, die wahrscheinlich Schwefelsäuretröpfchen sind. Den Ruß werde man natürlich, wie auch beim DDT geschehen, in der Antarktis nachweisen können. Es ist lediglich eine Frage der Konzentrationen.

Studie des Umweltbundesamtes

Inzwischen (im Mai) hat das Umweltbundesamt eine Studie mit dem Titel »Ökologische Auswirkungen des Golfkrieges« veröffentlicht. Auf 50 Seiten gibt es zu den bekannten Bereichen interessante, detaillierte Hintergrundinformationen, es werden jedoch keinerlei Primärdaten veröffentlicht. Dennoch war der Tenor in der Pressemitteilung ebenfalls als »ökologische Entwarnung« zu verstehen: „Erste Ergebnisse der Messungen weisen darauf hin, daß die Schadstoffkonzentrationen in den betroffenen Gebieten geringer ausfallen, als ursprünglich angenommen“. Wer wo was gemessen hat, wurde allerdings nicht bekanntgeben.

Der Ölteppich wird in seinen Grenzen vom März des Jahres abgelichtet. Genauso waren in der Anhörung des Deutschen Bundestages, auf die sich diese Ausarbeitung ebenfalls bezieht, Satellitenaufnahmen aus der Region von Ende Februar (!) zu sehen. Bis jetzt sind uns keine Aufnahmen aus März/April oder Mai bekanntgeworden.

Augenzeugen berichteten uns z.B. von Rauchschwaden im südlichen Griechenland. Auffallend leise ist es auch im Iran oder gar Indien. Der Meteorologe Dr. Carl hat auf einer Wissenschaftskonferenz zum Golfkrieg im Mai in Köln seine Berechnungen über den wahrscheinlichen Eintrag von Klimagasen dargelegt. Demnach wird der Monsumregen in Indien eher und heftiger einsetzen.

Die jetzige klimatische Situation in Asien, besonders Indien, Afghanistan und Pakistan: Monsunfluten, starke Hitze, starke Regenfälle. Der heißeste Sommer seit 1916… Und die Überschwemmungen in Bangladesch? Normale Auswirkungen des Treibhauseffektes…? Empirisch sind die Zusammenhänge natürlich nicht nachweisbar.

Tatsache aber ist, daß durch die Brände zwischen 3 und 5 Prozent der Welt-CO2-Gesamtemission freigesetzt werden und noch einmal durch Methan im CO2-Äquivalent berechnet weitere ca. 4-15% hinzuzurechnen sind. Alle Anstrengungen der Bundesregierung, unseren CO2 Ausstoß bis zum Jahre 2025 zu halbieren, werden somit fast nivelliert.

Die ökologischen Folgen für die Region werden derzeit immer schlimmer. Inzwischen liegt auch auf dem Golfgewässer ein feiner Ölschmierfilm, der wiederum die Trinkwassergewinnung beeinträchtigen könnte. Die Wassertemperatur ist um 5 Grad gesunken, in Dharan lag die Lufttemperatur im April um 12 Grad niedriger.

Alle Vögel sind schon da – alle?

Der Naturschutzbund Deutschland macht in einem Faltblatt („Alle Vögel sind schon da – alle?“) darauf aufmerksam, daß 100.000 Zugvögel gestorben seien. „Nach dem Massensterben der dort beheimateten Tierwelt flogen in den letzten Monaten tausende von Zugvögeln in den Öltod“. In Saudi-Arabien, so der SPD-Abgeordnete Michael Müller, seien 90% der Vögel bereits tot.

Red Adair, der weltbekannte Feuerlöschmann in Sachen Ölquellen, spricht inzwischen von ca. vier bis sechs Jahren Löschzeit. Über 150 Quellen seien gelöscht, was natürlich nicht bedeutet, daß sie nicht mehr sprudeln. Dennoch gibt es anscheinend große Schwierigkeiten bei der Materialversorgung. Die kuwaitischen Behörden seien unfähig. Die Bundesregierung gibt derweil auf Anfrage bekannt, daß das Öl, bei Einfrierung des Verbrauchs auf das Niveau von 1990, weltweit nach 43 Jahren aufgebraucht ist.

Die SPD drängt die Bundesregierung, endlich Gespräche mit den dortigen Regierungen über Hilfeleistungen bei den ökologischen Folgen durchzuführen. Michel Müller, Monika Ganseforth sind mit dem MdB-Kollegen Kübler nach Kuwait gereist. Müller in einem Gespräch mit den Ökologischen Briefen: „Ich habe den Eindruck, daß die ökologischen Schäden des Golfkrieges in Kauf genommen wurden“.

Bundestagsantrag von Bündnis 90/Die Grünen

Die Gruppe Bündnis 90/ Die GRÜNEN will in der letzten Parlamentswoche einen Antrag „Nationale und internationale Konsequenzen der ökologischen Auswirkungen des Golf-Krieges“ in den Bundestag einbringen. Die Forderungen des 22seitigen Dokumentes sind der Situation sicher angemessen, jedoch bleibt die Analyse weit hinter den ökokologischen Fakten zurück. Die Klimawirksamkeit der Ölbrände wird nicht nur ausgeblendet, sondern verneint: „Auch wenn die apokalyptischen Vorhersagen einiger Klimaforscher und Wissenschaftler bislang nicht eingetroffen sind, müssen die ökologischen und gesundheitlichen Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung in der Region als katastrophal bezeichnet werden“. Die »apokalyptischen Vorhersagen« beruhen auf (streng) wissenschaftlichen Annahmen und wurden als Möglichkeit dargestellt, wenn eine bestimmte Menge Öl verbrennt und gleichzeitig die Emissionen eine bestimmte Höhe erreichen. Es wurde nie gesagt, daß dieses zwangläufig passiert. Die GRÜNEN machen so im Nachhinein kritische Wissenschaftler zu »Schwarzmalern«.

Die wichtigen Forderungen in dem Antrag zur Reduzierung des CO2 Ausstosses und des Ölverbrauches werden nicht in den direkten Bezug zu der Freisetzung der klimawirksamen Gasen oder gar der jetzigen Klimasituation in Asien oder Bangladesch gesetzt (s.o.). Auch wird in der Analyse unterteilt zwischen „dem verbrecherischen Einsatz von Erdöl als Waffe“ und „normalen Schäden“ im Krieg. Daß die Alliierten nach eigenen Angaben über 85% der Erdölanlagen im Irak zerstört haben, zu Beginn der Bodenoffensive Ölgräben und Felder bewußt mit Napalm in Brand gesetzt haben und schließlich allein durch die direkten Kriegshandlungen den Ölteppich wie auch die brennenden Ölfelder zu einem Drittel mitverursacht haben, entfällt leider ebenso. Also auch an dieser Stelle leider keine ökologische Bilanz.

In den Medien bleibt die ökologische Situation im Irak zur Zeit immer noch unerwähnt. Alle Daten, insbesondere auch Radioaktivitätsmessungen blieben bis heute geheim. Dabei fordert der Krieg erst jetzt die meisten Opfer, wie wir es aus zahlreichen Reiseberichten in der Presse mitgeteilt bekommen. Auch auf dem Hearing im Bundestag wurde nichts neues bekannt. Der Krieg ist zuende, der Umweltkrieg geht weiter – mit offizieller und mit Eigenzensur – wie wir es aus dem Golfkrieg eigentlich schon kennen.

Die MÖP e.V. gibt eine Broschüre zu den ökologischen Folgen des Golfkrieges heraus. Sie kostet 8 DM (ab 5 Stk. Rabatt) und kann bereits bestellt werden.

Literatur

Deutscher Bundestag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; Anhörung vom 29.4.1991: „Umweltauswirkungen des Golfkrieges und die Möglichkeiten der Bundesregierung Deutschland zur Mitwirkung bei der Beseitigung dieser Kriegsfolgen“.

ders: Bundesregierung: Antwort auf die kleine Anfrage Bündnis 90/Die GRÜNEN „Rohstoffsicherung der Bundesrepublik Deutschland“

Bündnis 90/Die GRÜNEN: „Nationale und internationale Konsequenzen der ökologischen Auswirkungen des Golf-Krieges“; Antrag Bundestag v. 14.6.91

Der Naturschutzbund Deutschland: Natur in Gefahr; Faltblatt Ausgabe 2, Mai 1991

Frankfurter Rundschau v. 13.6.91: „Red Adair wettert gegen Kuwait“

Michael Müller: „Zu den Umweltfolgen des Golfkrieges“; Gespräch in den 'ökologischen Briefen` Heft 23/91 S.17

Umweltbundesamt: „Ökologische Auswirkungen des Golfkrieges – vorläufige Bestandsaufnahme Mai 1991“: Berlin 1991

das. Presseerklärung 9/91 „Ökologische Auswirkungen des Golfkrieges“ v. 3.6.91

Dipl.-Ing. Olaf Achilles, Arbeits- und Forschungsstelle Militär, Ökologie, Planung Bonn.

Exempel Golfkrieg – Wird die These von der zunehmenden Unführbarkeit von Kriegen widerlegt?

Exempel Golfkrieg – Wird die These von der zunehmenden Unführbarkeit von Kriegen widerlegt?

Eine interaktive multimediale Dokumentation als computergestützte militärische Technikfolgenabschätzung

von Wolfgang Hofkirchner • Peter Purgathofer

Der Krieg am Golf fand statt. Also war er machbar. Also war Krieg machbar. Die Behauptung, Kriege seien in der heutigen Welt nicht mehr machbar, wird durch das Faktum Golfkrieg Lügen gestraft. So einfach ist das. Zu einfach! Denn die These von der Unführbarkeit von Kriegen hebt auf die Zweckmäßigkeit ihrer Führung ab: „Bezwecken Kriege in der Tat noch das, was sie sollen?“ ist die Frage, auf die sie eine negative Antwort gibt.

Krieg ist Mittel der Politik. Krieg ist die Anwendung bewaffneter Gewalt – heute, unter den Bedingungen der Existenz nationalstaatlich verfaßter Gesellschaften – innerhalb von bzw. zwischen Staaten zum Zweck der Erreichung innen- bzw. außenpolitischer Ziele. Diese Ziele sind entweder staatsbürgerlich bzw. nationalstaatlich borniert, d.h. darauf beschränkt, nur einem Teil des gesellschaftlichen Subjekts (bestimmten Gruppen innerhalb einer Nation bzw. bestimmten Nationen innerhalb der Völkergemeinschaft) auf Kosten eines anderen Teils Entwicklungsbedingungen einzuräumen, oder sie umfassen die Aufhebung ebendieser Herrschafts-, Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse. Nur in diesem zweiten Fall läßt sich davon sprechen, daß Krieg gerecht(fertigt) sei, sofern die Verhältnismäßigkeit des Mittels gewahrt werden kann, die Größe des Leids also, das durch den Einsatz des Mittels erst verursacht wird, weit unterhalb der Größe desjenigen gehalten werden kann, zu dessen Überwindung es eingesetzt wird.

Aber Krieg bleibt Mittel der Politik auch dann, wenn diese Verhältnismäßigkeit nicht mehr garantiert werden kann. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ein Zeitalter eingeläutet, in dem zum einen die Zerstörungskraft der Waffensysteme aufgrund ihrer ins Unermeßliche gesteigerten technischen Leistungsfähigkeit die Grenzen des militärisch Sinnvollen überschritten hat. Mit der Erklärung des obersten Repräsentanten der führenden Militärmacht der Erde, daß ein Atomkrieg niemals geführt werden dürfe, ist diese Erkenntnis seit Mitte der 80er Jahre regierungsamtlich. Und seit damals reift eine weitere Erkenntnis, nämlich daß es die Verwundbarkeit der zivilen Infrastruktur aufgrund ihrer komplizierten und komplexen technischen Interdependenzen zum anderen ist, die den Einsatz von Waffensystemen auch dann schon militärisch sinnlos macht, wenn diese weitaus weniger destruktiv sind. Beide Tendenzen bedeuten, daß Krieg als rationales Mittel der Politik obsolet zu werden beginnt, weil die Folgen der Anwendung bewaffneter Gewalt auch noch so bornierte politische Ziele in ihr Gegenteil zu verkehren drohen. Krieg wird für den Verfolg der eigenen Interessen zunehmend kontraproduktiv.

Und in dieser Situation eskalierte die Krise am Golf zum ersten und gleich mit dem ganzen Arsenal seiner noch nicht auf dem Schlachtfeld erprobten High-Tech-Waffen in Szene gesetzten Mid-intensity-Krieg des Westens nach dem Zusammenbruch des bisherigen Feindbildes Nummer 1. Die einen, die sich von der Beendigung des Ost-West-Konflikts die Perspektive der Zivilisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen erwartet hatten, traf der Krieg unvorbereitet, wie ein diabolus ex machina, für die anderen, die im Westen noch nie etwas Neues zu finden bereit gewesen waren, kam er folgerichtig, ja unausweichlich, mit dem Wegfall des Gegners, der in ihrer Sicht allein es vermocht hätte, ihn in die Schranken zu weisen. Obwohl er länger war, als einige vorgesehen hatten, war er doch kürzer, als viele befürchtet hatten. – Ein Erfolg?

Wenn dieser Krieg ein Erfolg war, dann muß die These vom drohenden Verfall der sinnvollen Führbarkeit von Kriegen revidiert werden. Entweder ist sie überhaupt zu verwerfen, oder es ist ihr Geltungsbereich, der eingeschränkt werden muß: Die These ist dann als ganze fallen zu lassen, wenn es falsch ist, daß die waffentechnologische Entwicklung immer lethalere Systeme oder daß die zivilisatorische Entwicklung immer fragilere Systeme hervorbringt, wenn also vielmehr zutrifft, daß die High-Tech-Waffen – etwa aufgrund ihrer typischen Spezifikationen Punktzielgenauigkeit und verkleinerte Sprengkraft – oder der Zivilschutz – etwa durch die Härtung lebenswichtiger Nervenstränge der Gesellschaft – den Trend geradezu umkehren. Die These gilt dann nur in einem Teilbereich, wenn eingeschätzt wird, daß dieser Krieg entweder Kampfhandlungen auf dem Territorium eines Staates mit hoch-verletzlicher industrieller Infrastruktur oder den Einsatz von Waffen hoher Vernichtungswirkung notwendigerweise ausgeschlossen hat – etwa weil es sich bei diesem Krieg um keinen Krieg zwischen hochentwickelten Gesellschaften gehandelt hat, sondern um einen Krieg zwischen Repräsentanten hochentwickelter Gesellschaften auf der einen Seite und Repräsentanten weniger entwickelter Gesellschaften auf der anderen. Die These kann dann für all jene Fälle aufrechterhalten werden, in denen die Beteiligung störanfälliger Infrastruktur oder hoch-zerstörerischer Militärpotentiale nicht mehr auszuschließen ist, während Kriege etwa in der Dritten Welt nicht zu der Klasse der Objekte gehören müssen, über die die These etwas aussagt. (Falls die Verwundbarkeit oder die Vernichtungsfähigkeit im Golfkrieg nicht notwendigerweise, sondern nur zufälligerweise nicht gegeben gewesen sein sollten, muß die These in keiner Weise revidiert werden. Es reicht, daß diese Bedingungen hätten eintreten können. Denn die These behauptet ja gerade, daß sie nicht mehr mit Sicherheit auszuschließen sind.)

Und wenn der Golfkrieg kein Erfolg war, dann wird die These von der verlorengehenden Sinnhaftigkeit der Kriege bestätigt. Sie bewährt sich nicht erst dann, wenn sich zeigen läßt, daß die wirklichen Folgen die angestrebten Kriegsziele konterkarieren. Sie bewährt sich bereits dann, wenn angenommen werden muß, daß derartige Folgen möglich und wahrscheinlich gewesen sind.

Ob die These beibehalten werden kann, ob sie modifiziert oder ob sie zurückgewiesen werden soll, müssen Untersuchungen zeigen.

Unsere Idee ist es nun, in einer Art Synopse militärischer Technikfolgenabschätzung zum Golfkrieg eine computerunterstützte Dokumentation mit den wichtigsten Ergebnissen einschlägiger Studien aufzubauen, die den Benutzer und die Benutzerin befähigt, Argumente pro und kontra gegeneinander abzuwägen und im Dialog mit dem PC eine eigene Gesamteinschätzung zu erarbeiten.

»Militärische Technikfolgenabschätzung«

Im einzelnen sollen Informationen zu den folgenden Gebieten abrufbar sein:

Mensch Technik Natur/Umwelt Gesellschaft
Militärpotential 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.
Ziviles Potential 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Risikopotential 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

1. zum Militärpotential der betreffenden Staaten, u.zw.
1.1. zu den Streitkräften (Truppenstärken, Ausbildungsstand),
1.2. zu den Rüstungen (Waffengattungen, Waffentechnologien, Führungssysteme),
1.3. zu den Aufmarschräumen, und
1.4. zu den Doktrinen, die den Gebrauch des Militärpotentials festschreiben;
2. zum „zivilen“ Potential, d.h. der Wirtschaftskraft, der Lebensfähigkeit, der betreffenden Staaten, u.zw.
2.1. zur personellen Infrastruktur (Wohnbevölkerung, erwerbstätige Bevölkerung, Qualifikationsstruktur),
2.2. zur materiellen Infrastruktur (Produktionsanlagen, Versorgungsnetze),
2.3. zu den natürlichen Ressourcen, und
2.4. zu den Politiken, mit denen die Entwicklung des zivilen Potentials bestimmt wird; und
3. zum „Risikopotential“ der betreffenden Staaten, d.h. dem Möglichkeitsfeld aller Folgewirkungen, die beim Einsatz des vorhandenen Militärpotentials auf der Grundlage des gegebenen zivilen Potentials mit einer gewissen (von 0 verschiedenen) Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und die Erfüllung der (über)lebenswichtigen gesellschaftlichen Funktionen in einem quantifizierbaren Ausmaß stören, seien sie kurz-, mittel oder langfristig, seien sie lokal, regional oder global, wobei die tatsächlich eingetretenen Folgewirkungen eine Teilmenge dieses Risikopotentials darstellen, u.zw.
3.1. zu den kalkulierbaren sog. Kollateralschäden (zivile Opfer),
3.2. zu den kalkulierbaren Schäden am sachlichen Produktivvermögen,
3.3. zu den kalkulierbaren Umweltschäden (Atmosphäre, Hydrosphäre, Pedosphäre), und
3.4. zu den kalkulierbaren negativen Folgen gesellschaftlicher Art (Konflikte).

Mit diesen Daten sollen Beurteilungen zum Themenkomplex Kriegsfolgen – Kriegsführung – Kriegsursachen – Kriegsverhütung erleichtert werden: War der Krieg schon ein zu großes Risiko, als daß er noch verantwortbar geführt hätte werden können, oder hielt sich das Risiko in Grenzen? Was waren die Kriegsziele und wurden irgendwelche erreicht? Welche gesellschaftlichen Probleme bestanden vor dem Krieg und welche bestehen jetzt, wurden irgendwelche von ihnen durch den Krieg gelöst? Waren Alternativen zum Krieg denkbar?

Dazu beizutragen, daß Fragen wie diese (auch für ein nicht-wissenschaftliches Publikum) wissenschaftlich fundiert beantwortbar werden, ist der Zweck der Dokumentation.

Deshalb soll diese Dokumentation interaktiv und multimedial sein. Das entscheidende Element an interaktiven Dokumentationen ist die Selbstbestimmung im Umgang mit dem Material. Im Gegensatz zu Dokumentationen in anderen Medien, etwa Fernsehen oder Radio, die die NutzerInnen zu reinen KonsumentInnen machen, können diese hier nach eigenem Gutdünken aus dem Fundus des vorhandenen schöpfen. Diesen Vorteil hätte etwa auch ein Buch oder eine Broschüre. Was diesen Medien jedoch fehlt, ist die Einbindung von Animation und Ton sowie schnelle, komplexe Interaktion.

Grundstruktur des Programmes sind Landkarten in drei verschiedenen Maßstäben – eine Weltkarte, eine Regionalkarte und eine Karte, auf der im wesentlichen nur Irak und Kuwait zu sehen sind. Zwischen diesen drei Sichten kann jederzeit gewechselt werden. In jeder Sicht können wie durch Filter unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden, die aus der oben beschriebenen Matrix (Potentiale/Betroffene) stammen. So sind beispielsweise für Kuwait (lokale Sicht) die Folgen der Entzündung der Ölquellen abrufbar. Durch Wechsel der »Brennweite« können die regionalen oder globalen Folgen der Brände abgefragt werden.

In jeder dieser Ebenen liegen zu jedem Aspekt die wichtigsten Informationen in noch detaillierterer Form vor, wobei das Spektrum der Erscheinungsformen dieser Hintergrunddaten von kurzen Textstücken über kommentierte Grafiken oder Darstellungen von Szenarien bis zu Animationen, die Wirkungsweisen besser verständlich machen, reicht.

Da das Lesen von Text auf dem Bildschirm langsamer und ermüdender ist als auf Papier, wollen wir auf lange Textpassagen möglichst verzichten und die Informationen durch grafische Umsetzung und Hervorhebung der essentiellen Daten möglichst leicht erfassbar machen.

Die Umsetzung erfolgt in HyperCard 2.0 auf Macintosh. Wir werden uns voraussichtlich auf das Format der 9“-Bildschirme beschränken, da das Produkt auch auf den kleinsten Macintosh-Modellen lauffähig sein soll. Zur Einbindung von Bildern und Grafiken steht uns neben einem Scanner eine Möglichkeit zur direkten Digitalisierung von Videobildern zur Verfügung, die es ermöglicht, auch in Form von Videokassetten vorliegendes Material einzubinden.

Unterstützung für unser Projekt, Wünsche, Anregungen, Anfragen bitten wir an folgende Anschrift: Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung, TU Wien, Möllwaldplatz 5, A-1040 Wien

Stellungnahmen zum Golfkrieg aus dem Wissenschaftsbereich

Stellungnahmen zum Golfkrieg aus dem Wissenschaftsbereich

von IWIF

Eine ganze Reihe von WissenschaftlerInnen-Vereinigungen und -Initiativen haben sich in den letzten Monaten zu Golf-Krise und -Krieg geäußert. IWIF dokumentiert einige dieser Stellungnahmen. (Auch aus allen großen Friedensforschungsinstituten gibt es solche Stellungnahmen; die Texte sind dort zu beziehen. Aus vielen Hochschulen – z.B. Berlin, Hagen, Bonn… – liegen uns Aufrufe, offene Briefe etc. zum Golfkonflikt vor; sie werden auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Sollten Ihnen selbst Aufrufe vorliegen, die hier nicht dokumentiert sind, bitten wir um Zusendung!)

Offener Brief an die Bundesregierung (15.1.91)

WissenschaftlerInnen aus Friedensforschungseinrichtungen fordern:

Kein Krieg am Golf!

Die Logik Des Krieges Überwinden – Neue Lösungen Denken

Die öffentliche Zielstrebigkeit und scheinbare Zwangsläufigkeit, mit der die Welt auf einen neuen Krieg hinsteuert, erfüllt uns mit Schrecken. Die Dauer eines solchen Krieges wäre nicht absehbar; das Spekulieren um den Einsatz von Chemie- und Atomwaffen läßt die Ausmaße erahnen.

  1. Besonders erschütternd ist diese Inszenierung deshalb, weil das nahende Ende des Ost/West-Konflikts neben neuen Problemfeldern doch auch neue Möglichkeiten eröffnete, die herrschende Logik des militärischen Denkens, das Primat der Gewalt in der internationalen Politik zu durchbrechen. Nachdem sich die jahrzehntelange Erstarrung des Denkens im »Kalten Krieg« zu lösen begann, schienen ganz neue Koalitionen zur Überwindung globaler Probleme (Umwelt, Hunger, ethnische Konflikte) möglich. Der Umgang mit der Golfkrise lehrt uns, daß die politischen Entscheidungsträger sich noch immer nicht aus alten Denk- und Handlungsmustern gelöst haben.
  2. Wir verurteilen die irakische Aggression gegen Kuwait aufs Schärfste. Doch darf ein Unrecht nicht mit einer noch größeren Katastrophe vergolten werden. „Einen Krieg zu führen ist rückschrittlich“, schreibt der Schriftsteller E.L. Doctorow an Präsident Bush, da Kriege der „barbarischen Vergangenheit“ angehören und uns daran hindern, „die Zivilisationen eines demokratischen Planeten voranzubringen“ (The Nation, 7.1.91). Planspiele, in denen Kriege noch immer als Problemlösung akzeptiert werden, bedeuten einen Rückfall in unzeitgemäße Denkmuster.
  3. Wir sehen eine besondere deutsche Verpflichtung, sich für eine nichtmilitärische Lösung der Golfkrise einzusetzen: Die Bundesrepublik trägt nicht nur eine schwere Mitverantwortung für die derzeitige gefährliche Situation durch umfangreiche Waffenlieferungen an Irak, sondern müßte sich auch nach den Ereignissen der letzten eineinhalb Jahre – der rasanten deutsch-deutschen Wiedervereinigung, die durch das Zerbröckeln der Block-Konfrontation erst ermöglicht wurde – zum Anwalt für gewaltfreie Konfliktstrategien in aller Welt machen. Dazu würde zunächst gehören, daß sich die Bundesregierung selbst durch den sofortigen Stop und das generelle Verbot von Rüstungsexporten glaubwürdig macht.
  4. Statt militärischer Drohungen, deren Effektivität zur Verhinderung von Kriegen sich auch in diesem Fall wieder als äußerst fragwürdig, zumindest als sehr riskant erweist, müssen die Wirtschaftssanktionen der UNO gegen Irak konsequenter durchgehalten und durchgesetzt werden. Ein »Gesichtsverlust« wäre nicht der Abzug von Truppen, sondern wenn eine einige Weltgemeinschaft nicht in der Lage wäre, einen einzelnen Staat über ökonomischen Druck zur Ordnung zu rufen. Doch kann ein Wirtschaftsembargo nur Mittel zum Zweck sein: Die Golfkrise ist kein show-down zwischen Irak und USA, sondern ein Zeichen für die Explosivität der Lage in der Region insgesamt, die seit langem bekannt ist. Es ist höchste Zeit für eine Verhandlung aller Konflikte im Nahen Osten, für die Suche nach einem Interessenausgleich zwischen allen Völkern der Region.

Die vom Ost/West-Konflikt überschatteten regionalen Konflikte, die sich jetzt zum Teil verschärfen, zum Teil aber auch überhaupt erst in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit dringen, erfordern neue Denkwege und politische Strategien jenseits des Militärischen. Angesichts der uns alle betreffenden globalen Bedrohungen gibt es keinen Weg vorbei an zivilen Lösungen.

Die internationale Friedensforschung und -wissenschaft arbeitet an Analysen und Konfliktlösungen für die Zeit nach dem »Kalten Krieg«; für die Golfregion liegen bereits eine Reihe weitreichender Vorschläge vor. Es ist an der Politik, mit der Wissenschaft das Gespräch über die neuen Überlegungen zur friedlichen Konfliktlösung zu suchen.

Über 500 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler richteten einen Appell an den US-amerikanischen Präsidenten und Kongreß – wir schließen uns diesem Aufruf an und richten ihn an diesem letzten Tag des UN-Ultimatums in aller Dringlichkeit auch an die deutsche Bundesregierung:

„Verhindern Sie unter allen Umständen die Katastrophe eines Krieges, der – abgesehen von den horrenden materiellen Folgen – einen Rückfall in jenes militaristische Machtdenken bedeuten würde, das bisher die Menschheit der Energien und der Moral zur gemeinsamen Bekämpfung ihres Massenelends und der tödlichen Umweltgefahren beraubt hat!“

V.i.S.d.P.: Informationsstelle Wissenschaft & Frieden (IWIF) e.V., Reuterstr. 44, 5300 Bonn 1, Tel. 0228/210744, Fax 214924

2. Appell der 500 Professorinnen und Professoren deutscher Universitäten und Hochschulen an den Präsidenten und den Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika (20.12.90)

Wir wenden uns an Sie aus dem Land, von dem aus ein verbrecherischer Diktator die Welt vor einem halben Jahrhundert in den mörderischen 2. Weltkrieg gestürzt hat. Damals gab es keine handlungsfähigen Vereinten Nationen und also auch nicht das Mittel eines solidarischen Handelsembargos, um jenes menschenverachtende Regime mit nichtkriegerischen Mitteln auf die Knie zu zwingen.

Nach der Überwindung des Ost/West-Konfliktes verfügt die Weltgemeinschaft der Völker heute erstmalig über die Macht, Aggressoren durch einträchtige Sanktionen in die Schranken zu weisen. So erscheint es ganz ausgeschlossen, daß Saddam Hussein über längere Zeit dem Druck der von den UN beschlossenen wirksamen Wirtschaftsblockade widerstehen kann.

Statt dessen erlebt die Welt die Vorbereitung eines multinationalen Krieges, der zigtausend Soldaten, darunter viele Amerikaner, aber auch in großer Zahl Frauen und Kinder unmittelbar töten, der Millionen Menschen und die Völker in der weiteren Region in Mitleidenschaft ziehen und unermeßliche ökologische Schäden anrichten würde. Daß der voraussehbare Einsatz verheerender Chemiewaffen durch den Irak ausgerechnet durch Exporte aus unserem Land möglich gemacht wurde, erfüllt uns Deutsche mit Scham.

Wir verurteilen auf das Entschiedenste Aggression und Bruch des internationalen Rechts durch das irakische Regime. Aber dessen Verbrechen dürfen nicht durch einen Krieg, der in seinen Ausmaßen ein Verbrechen von vielfacher Größenordnung wäre, beantwortet werden.

In dieser Situation appellieren wir eindringlich an Sie, gemeinsam mit den Vereinten Nationen statt einer militärischen unbeirrt eine politische Lösung am Golf anzustreben, die zugleich den Friedensprozeß in der gesamten Mittelostregion fördern würde. Die Weltmacht USA sollte baldmöglichst die Initiative für eine Mittelost-Friedenskonferenz ergreifen.

Für eine friedliche Regelung erscheint es uns notwendig, daß der Rückzug des Irak aus Kuwait auf der anderen Seite durch einen sofort beginnenden Abzug derjenigen Truppen erleichtert wird, die für die Angriffsoption vorgesehen sind.

Verhindern Sie unter allen Umständen die Katastrophe eines Krieges, der – abgesehen von den horrenden materiellen Folgen – einen Rückfall in jenes militaristische Machtdenken bedeuten würde, das bisher die Menschheit der Energien und der Moral zur gemeinsamen Bekämpfung ihres Massenelends und der tödlichen Umweltgefahren beraubt hat!

3. Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW): Appell an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (20.1.91)

Der Vorstand der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW) richtet einen eindringlichen Appell an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dafür Sorge zu tragen, daß die Kampfhandlungen am Golf sofort eingestellt werden. Nur so kann auch der Weg zu einer langfristigen, stabilen Friedensordnung der gesamten Region eröffnet werden.

Die Zerstörungsmittel, mit denen der Golfkrieg gefühnrt wird, sind von der Wissenschaft und Technik auch in unserem Land entwickelt worden. Wir Wissenschaftler fühlen uns deshalb besonders betroffen und können zu dem Krieg nicht schweigen.

Die Wirkungen moderner Waffensysteme sind verheerend, eine Eskalation ihrer Anwendung würde ungeheure Verluste an Menschenleben und unabsehbare ökologische Schäden zur Folge haben. Sie würde zudem die politische Polarisierung weiter verstärken. Deshalb appellieren wir dringend an alle verantwortlichen Parteien, Politik und Diplomatie wieder einen Handlungsspielraum zu verschaffen.

4. Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK): Erklärung des Vorstandes zum Golfkrieg (Februar 91)

Den Krieg überwinden!

Der Vorstand der AFK, der wissenschaftlichen Vereinigung der Friedensforscherinnen und Friedensforscher in der Bundesrepublik Deutschland, stellt sich angesichts des Krieges im Nahen und Mittleren Osten auf die Seite derjenigen, die in den Mitteln der Bedrohung und des Krieges keine angemessene Möglichkeit sehen, dauerhaft Sicherheit und Frieden zu gewinnen.

Es ist eine grundlegende und vielfach belegte Erkenntis der Friedens- und Konfliktforschung, daß militärische Interventionen keine Chancen eröffnen, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Gegensätze zu lösen.

Der Vorstand der AFK wendet sich gegen jeden Versuch, das Bekenntnis zu Frieden und Gewaltfreiheit hierzulande zu diskriminieren und damit gesellschaftliche und parlamentarische Auseinandersetzungen über die Legitimität des Krieges und einer deutschen Beteiligung daran zu ersticken.

Der Vorstand der AFK unterstützt die Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit, die angesichts der Eskalation und Ausweitung des Krieges an die Bundesregierung appellieren,

  • eine militärische Unterstützung des Kriegsgeschehens auszuschließen und fest zur historisch begründeten und verfassungsrechtlich fixierten Beschränkung eines Einsatzes deutscher Streitkräfte zu stehen und dies auch zu vertreten;
  • der besonderen Verantwrotung der Deutschen gegenüber Israel gerecht zu werden;
  • eine Beendigung des Krieges und eine gewaltfreie Lösung des Konflikts herbeizuführen und Schritte zu einer politischen Ordnung zu gehen, die Sicherheit, Demokratie, Verwirklichung der Menschenrechte und Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten gewährleistet, einschließlich einer Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der palästinensischen Bevölkerung;
  • die internationalen Institutionen und das Völkerrecht in der Absicht zu stärken, den Krieg als Mittel der Politik zu überwinden;
  • politische, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe für alle vom Kriegsgeschehen mittel- und unmittelbar betroffenen Menschen zu leisten;
  • unverzüglich den Export von Kriegsgütern (außerhalb des Bündnisgebietes) zu verbieten und Maßnahmen zu ergreifen, ein solches Verbot durchzusetzen.

Der Vorstand der AFK wendet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,

  • in der Untersuchung der Ursachen von Konflikten in und zwischen Gesellschaften und Völkern fortzufahren;
  • Möglichkeiten der gewaltfreien Steuerung und Überwindung von Konflikten aufzuzeigen;
  • der Militarisierung von Sprache und Logik in der politischen Auseinandersetzung entgegenzutreten;
  • zu einer rationalen Urteilsbildung in der Öffentlichkeit beizutragen;
  • für eine Offenlegung aller Informationen über das Kriegsgeschehen und seine Folgen einzutreten;
  • mit ihren Einsichten und Möglichkeiten Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, Gewalt und Krieg entgegenzutreten und die Achtung des Friedensgebotes zu fordern.

Der Vorstand der AFK sieht angesichts des Krieges am Golf und seiner internationalen Auswirkungen einmal mehr die Notwendigkeit unterstrichen, eine öffentlich geförderte und anerkannte Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland zu betreiben. Sie kann Politik wie Gesellschaft befähigen, die Tragweite von Konflikten und Krisen zu erkennen, ihnen gewaltfrei zu begegnen und Schritten zum Frieden den Weg zu bereiten. Der Vorstand der AFK ruft deshalb die Friedens- und Konfliktforschung auf, sich noch intensiver der Entwicklung einer Sicherheits- und Friedenspolitik in regionalem Maßstab zuzuwenden.

Die gegenwärtige Krise im Nahen und Mittleren Osten erfordert es von Politik und Wissenschaft, Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen zu finden, von denen sich einige folgendermaßen stellen:

  • Welches sind die Bedingungen und Mechanismen für internationale Verhandlungen über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten, in deren Rahmen Rüstungskontrolle und Abrüstung vereinbart sowie ein Ausgleich zwischen armen und reichen Staaten angestrebt werden können?
  • Wie können die Probleme der Sicherheit Israels und der Rechte aller anderen Bevölkerungsgruppen einer Lösung näher gebracht werden?
  • Wie sind die Aussichten, das Völkerrecht und die internationalen Organisationen zu stärken, um die Eskalation von Interessengegensätzen, die in Krieg münden, zu verhindern?
  • Welche Möglichkeiten bestehen, das Gewicht des militärischen Faktors in der internationalen Politik einzugrenzen und die Instrumente nicht-militärischer Sicherheitspolitik auszubauen?
  • Worin bestehen die Konturen einer neuen deutschen Außenpolitik nach der Auflösung des Ost/West-Konflikts und der Rolle Deutschlands für Frieden und Sicherheit in der Welt?
  • Wie ist die künftige Rolle von internationalen Sicherheitssystemen sowie ihres Beitrags für Kriegsverhütung und globale Stabilität zu beurteilen?
  • Wie kann den Gefahren einer Aufladung des kulturell-ideologischen Gegensatzes zwischen islamischer und westlicher Weltanschauung begegnet werden?
  • Welchen Stellenwert hat die Verbindung von Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit in der anstehenden Diskussion um eine »Neue Weltordnung«?

Die Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt sich mit Gewaltverhalten und gewaltträchtigen Strukturen in und zwischen Gesellschaften und Staaten sowie den Möglichkeiten ihrer Überwindung. In der gegenwärtigen Situation fühlt sie sich in besonderer Weise gefordert und verpflichtet, Konfliktursachen aufzuklären und Friedensstrategien zu entwickeln.

5. Verschiedene WissenschaftlerInnen: Wir werden nicht stillhalten! (2.2.91)

Der Krieg am Golf weitet sich aus. Militärisch wird die Zivilbevölkerung wachsend in die Vernichtung einbezogen; politisch wird der unabdingbare, langfristige Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen Israels und der Palästinenser mit jedem Tag noch schwieriger zu finden sein, als er es schon vor Anfang des Krieges war.

Der Krieg hätte nicht begonnen werden dürfen. Eine politische Lösung der Situation wäre notwendig und möglich gewesen; es ist nicht genug getan worden, sie zu erreichen. Gegen das Gebot der Humanität, gegen alle Vernunft und trotz aller Warnungen begonnen, darf der Krieg nicht seiner verhängnisvollen militärischen und politischen Eigendynamik überlassen bleiben.

Wir sehen uns außerstande, der Logik solcher Argumentationen zu folgen. Ein militärisches Engagement in dieser Situation widerspricht dem Grundgesetz. Eine aktive Teilnahme der Bundesrepublik an diesem Krieg ist unserer Meinung nach politisch und moralisch nicht zu rechtfertigen.

Wir würden keine Möglichkeit sehen, einer Regierung zu folgen, die unser Land in diesen Krieg hineinziehen ließe, statt sich kompromißlos für eine Politik des Friedens einzusetzen, eines gerechten Friedens für alle Beteiligten. Wir sähen uns gezwungen, einer solchen Regierung mit Handlungen zivilen Ungehorsams zu begegnen, und wir würden anderen raten, an solchen Handlungen teilzunehmen.

Wir sagen dies jetzt, solange über einen möglichen Militärbeitrag der Bundesrepublik noch diskutiert wird und nicht entschieden ist. Wir wollen vor den Folgen warnen, die ein Kriegseintritt Deutschlands nach sich ziehen würde.

6. NaturwissenschaftlerInnen: Protesterklärung (Januar 91)

Die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« protestiert in tiefer Betroffenheit gegen den Krieg am Golf. Der jetzt begonnene schreckliche Krieg wird unzählige Menschenleben kosten und schlimme Verwüstungen anrichten. Krieg ist eine menschliche und ökologische Katastrophe mit unabsehbaren Folgen. Er löst keine Probleme und verschärft die Konflikte.

Krieg bedeutet die Bankrotterklärung der Diplomatie. Nur besonnene und vorausschauende Diplomatie und Verhandlungen können Konflikte lösen.

Der Krieg am Golf muß sofort beendet werden. Wir setzen unsere Hoffnung auf die Vereinten Nationen, in allen ihren Instanzen, in dieser dramatischen Situation ihr friedensstiftendes Gewicht noch stärker einzusetzen, damit die Politik wieder den Primat bekommt.

Von unserer Bundesregierung fordern wir als dringendste Maßnahmen die Weigerung, sich aktiv am Krieg zu beteiligen und die strikte Durchsetzung eines totalen Stopps jeglicher Rüstungsexporte. In dieser bedrückenden Situation der Eskalation von Gewalt wenden wir uns auch an die Kolleginnen und Kollegen und an die übrigen Mitglieder der Hochschulen sowie an die Öffentlichkeit: Protestieren Sie dort, wo Sie arbeiten und leben, gegen die Krieg und militärische Gewalt, die hauptsächlich unschuldige Menschen treffen. Sie müssen schnellstens beendet werden. Krieg bringt keine Lösung.

7. FIFF-Regionalgruppe Bonn: Presseerklärung (11.1.91)

Es gibt keine Rechtfertigung für ein Schlachtfeld am Golf!

Nicht der Überfall auf Kuwait, nicht der kontrollierte Zugang zu den Ölfeldern der NATO können den Einsatz konventioneller, elektronischer, atomarer, chemischer und biologischer Waffen, ein blutiges Schlachtfeld mit Zehntausenden von Toten und eine zerstörte Golfregion rechtfertigen. Noch dazu wo es nicht absehbar ist, wie ein solcher Krieg zu begrenzen wäre.

Allein ein strikter Technologie-Boykott würde Saddam Hussein die Fähigkeit zur Führung weiterer Kriege nehmen!

Die militärische Stärke Saddam Husseins beruht auf moderner Technologie, die von der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern geliefert wurde. Das am Golf stationierte internationale Kriegsheer reicht aus, um Saddam Hussein vor weiteren Kriegsabenteuern abzuschrecken. Ein totaler Technologieboykott würde den Irak längerfristig kriegsunfähig machen. Es kommt also darauf an, im Irak und überall auf der Welt die weitere Produktion von Waffensystemen zu verhindern, statt durch Krieg die Hochrüstung weiter zu verstärken.

Wir sagen NEIN zu einer Luft-Land-Schlacht am Golf, bei der elektronische, nukleare, chemische und biologische Waffen im Verbund zum Einsatz kommen sollen!

Die FIFF-Regionalgruppe Bonn ruft alle BürgerInnen, insbesondere alle InformatikerInnen und PolitikerInnen auf, ihre Stimmen offen, laut und deutlich gegen die geplante Schlacht am Golf zu erheben. Ohne Zustimmung durch die Mehrheit der Bevölkerung kann ein Golfkrieg nicht geführt werden.

FIFF: Gefahr eines Atomkriegs

In der Nahost-Region, in der sich verschiedene Krisendimensionen und Konfliktpotentiale in kaum noch überschaubarer Weise überschneiden, besteht die große Gefahr, daß der zweifelhafte Glaube an die technische Überlegenheit der eigenen Waffen sehr leicht und schnell von einem konventionellen Krieg zu einem taktischen Atomschlag führt:

Computermodelle haben die US-Führung von einem überwältigenden Sieg über den Irak überzeugt. Dabei wird von einem 18-Tage-Krieg ausgegangen. In den ersten 6 Tagen soll die totale Kontrolle über den Luftraum erreicht werden. In weiteren 6 Tagen sollen die Bodentruppen angreifen und entscheidende Durchbrüche erzielen. Die letzten 6 Tage sind für sogenannte »Aufräumarbeiten« gedacht. Als Blutzoll werden 3600 bis 22000 tote Amerikaner und weit mehr Verletzte berechnet und auch akzeptiert.

Die hochgerüstete Allianz vertraut auf die zuverlässige Funktionsfähigkeit moderner HighTech-Waffen, die teilweise im Kampf noch nicht erprobt sind. In der Vergangenheit hat es beim Einsatz derartiger computerisierter Waffensysteme stets unangenehme Überraschungen gegeben, die vom Ausfall bis hin zur Steuerungsunfähigkeit reichen. Außerdem sind die Waffensysteme mehr auf das Schlachtfeld Europa zugeschnitten. Nach der Stationierung amerikanischer Truppen am Golf haben wichtige elektronische Waffensysteme, verursacht durch extreme Temperaturunterschiede und Wüstensand, Ausfälle gezeigt.

Wenn während des Krieges wichtige Waffensysteme, die den Sieg garantieren sollen, versagen und die Iraker chemische und biologische Waffen einsetzen sollten, dann werden die USA sich vor die Alternative gestellt sehen, Atomwaffen einzusetzen. General Schwarzkopf, der US-Kommandant am Golf, hat bei Präsident Bush (lt. Newsweek vom 14.1.91) bereits um die Genehmigung nachgesucht, ggfs. hoch über dem Irak eine taktische Atombombe zünden zu dürfen, um durch den EMP (elektromagnetischer Impuls) wichtige elektronische Geräte des Irak auszuschalten. Präsident Bush soll diese Anfrage zurückgewiesen haben. Hier wird elektronische Kriegsführung zum Vorwand für Atomkrieg.

Das »Air-Land Battle 2000«-Konzept des amerikanischen Heeres aus dem Jahr 1982 war von Anfang an auf die drei Kriegsschauplätze Mitteleuropa, Naher und Mittlerer Osten / Persischer Golf und Afrika zugeschnitten. Charakteristisch für dieses Konzept ist der verbundene Einsatz von konventionellen, nuklearen, chemischen und elektronischen Waffen. Nach Generalleutnant M.Glanz sollten die Armeen ab Mitte der 90er Jahre ihre Kampfaufträge auf dem mitteleuropäischen Gefechtsfeld durchführen. Das Schlachtfeld Mitteleuropa ist durch die Ost-West-Annäherung aus dem Blickfeld geraten. Sicherung und Kontrolle der Ölquellen in der politisch instabilen Golf-Region sind laut »Air-Land Battle 2000« schon seit 1982 erklärte politische Ziele der USA.

8. Friedensinitiative Psychologie / Psychosoziale Berufe: Resolution zur Golfkrise (19.11.90)

Im Persischen Golf droht die Entwicklung eines mit chemischen (Giftgas), atomaren und biologischen Massenvernichtungswaffen geführten Krieges. Der »Vorkrieg« hat bereits in den Köpfen von Politikern, Militärs und der Bevölkerung begonnen, aber auch in der ungeheuren Aufrüstung der gesamten Region. Beteiligt sind daran auch die Medien, die der kühlen Berichterstattung über Aufrüstung und militärische Optionen mehr Raum geben als der Diskussion wahrscheinlicher Kriegsfolgen, und die dadurch zu einer Verharmlosung der brisanten Lage in den Köpfen der Menschen beitragen. Dieser Krieg hätte verheerende Auswirkungen insbesondere für die Zivilbevölkerung und die gesamte Ökologie in der betroffenen Region, aber auch unübersehbare weltweite Folgen, auch für uns hier in der Bundesrepublik Deutschland.

Krieg ist nicht nur ein unmoralisches und unmenschliches, sondern er ist auch ein untaugliches Mittel zur Lösung von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Konflikten – auch im Nahen Osten. Deas Denken in Kriegskategorien muß endlich überwunden werden. Weder der Völkerrechtsbruch des Irak noch das Interesse am billigen Rohstoff Öl können einen Krieg rechtfertigen.

Die Bundesrepublik ist durch die hohen finanziellen Zusagen der Bundesregierung, durch die Entsendung von Kriegsschiffen in das Mittelmeer und durch das Abkommen zur Unterstützung der USA im Kriegsfall (WHNS) bereits weitgehend in diesen Konflikt verwickelt. Zudem ist die Bundesrepublik – wie u.a. auch die UdSSR, Frankreich, Großbritannien und die USA – an der gigantischen Aufrüstung des Irak direkt und maßgeblich beteiligt. Dadurch wird deutlich, daß die Selbsterhöhung der westlichen Staaten bei gleichzeitiger Dämonisierung Husseins der politischen Realität wenig angemessen sind – vielmehr werden so Kriege psychologisch vorbereitet. Als hauptsächliche westliche Interventionsziele werden zwar die Befreiung der Geiseln und des Kuwait genannt – letztlich aber geht es um Wirtschafts- und Weltmachtinteressen. Daß es weniger um humanitäre Ziele und die Verwirklichung von Menschenrechten geht, läßt sich auch an den zurückhaltenden Reaktionen der Regierenden beim Iran/Irak-Krieg, bei der Ermordung von Kurden und bei der Besetzung von Ländern durch die USA erkennen.

Wir fordern die Freilassung der Geiseln und den Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait. Wir fordern ein Ende der Kriegsvorbereitungen und den Abzug der ausländischen Truppen, sofern sie nicht der Durchsetzung von UN-Resolutionen dienen oder einer UN-Friedenstruppe angehören, sondern für einen Angriff bestimmt sind. Das politische und militärische Handeln darf nicht selbsternannten Weltpolizisten überlassen werden. Eine Lösung des Konfliktes ist durch die Arabischen Staaten, eine Konferenz über Sicherheit im Nahen Osten und/oder durch die Vereinten Nationen anzustreben. Ein vom Westen oktroyierter »Frieden« wäre kurzlebig, u.a. weil er die grundlegenden Gefühle und Werte der Bevölkerung kaum angemessen berücksichtigen würde, eingeschlossen die durch leidvolle Erfahrung historisch begründete Ablehnung des Westens. Der aktuelle Konflikt ist nicht zuletzt bedingt durch die von den früheren westlichen Kolonialmächten willkürlich festgelegten Grenzen und die Stützung von feudalistischen Regimes, die als westliche Verbündete ebenfalls in erheblichem Ausmaß Menschenrechte verletzen.

Erarbeiten und Durchsetzen politischer Lösungen mögen viel Zeit beanspruchen, sie sind aber der einzig angemessene Weg für eine tragfähige und dauerhafte Friedenslösung; angemessener jedenfalls als die weitere Militarisierung und die kriegerische Zerstörung der Region mit ihren katastrophalen ökologischen und wirtschaftlichen Folgen weit über die Region hinaus.

9. KulturwissenschaftlerInnen für Frieden und Abrüstung in Ost und West (15.2.91):

Wir fordern den Wahnsinn zu beenden!

Die zivilisierte Welt hält den Atem an. Was nur wenige für möglich gehalten haben, ist eingetroffen: Mit den entsetzlichen Bombardements am 17.1.91 um 0.45 Uhr durch die alliierte Bomberflotte am Golf auf Kuwait sowie Bagdad und andere irakische Gebiete ist der gefährlichste Krieg seit dem 2. Weltkrieg begonnen worden. Damit soll ein Verbrechen, die Besetzung Kuwaits durch den Irak, durch ein noch größeres Verbrechen, den Krieg am Golf, geahndet werden. Seitdem wird das irakische und kuwaitische Gebiet pausenlos bombardiert. Irak wiederum hält mit seinen Raketen Israel und Saudi-Arabien in Angst und Schrecken.

Anders als bisher unterliegt dieser Krieg der absoluten Pressezensur. Die Meldungen werden verharmlost, die Weltbevölkerung wird im Unklaren über die wahren Folgen der Kriegsführung gelassen. Schlimmstes ist zu befürchten. Allein in Bagdad soll es Zigtausende von Zivilopfern geben. Die Anzahl der Toten steigt stündlich: Krieg ist Mord – auch an kommenden Generationen.

Mit den Menschen werden wichtige Kulturstätten zerstört. Eine der ältesten Kulturlandschaften der Erde, das Land zwischen Euphrat und Tigris, Land der Hochkulturen des frühen Altertums, Urspungsland der jüdischen, islamischen und christlichen Religionen und Zivilisationen zerfällt in Schutt und Asche. Die Bombenteppiche fallen auf die dort noch vorhandenen, zum größten Teil noch unausgegrabenen Quellen einzigartiger Menschheitsgeschichte. Sumer, Babylon, Assur, die Kronen des assyrischen und babylonischen Großreiches, Ur, Kisch, Uruk, die bekannten und unzählige unbekannte Plätze frühester hochstehender Zivilisationen des Zweistromlandes sind dem Bombenhagel der F16-, Stealth- oder B52-Bomber ausgesetzt. Durch den Krieg bedroht sind darüber hinaus heilige islamische, jüdische und christliche Glaubensstätten und Kulturdenkmäler. Einmaliges, unersetzliches Kulturgut, darunter durch die UNESCO geschütztes, wird vernichtet.

Wir, die wir uns für die Erhaltung auch des Weltkulturerbes verantwortlich fühlen, fordern alle Kriegsbeteiligten auf, den Wahnsinn zu beenden und nicht länger kostbares menschliches Leben, Tierwelt und Umwelt, sowie das kulturelle Erbe der Menschheit im Nahen Osten zu zerstören. Wir fordern deshalb den sofortigen Stop aller Kriegshandlungen und die Lösung der Konflikte durch Verhandlungen.

9. PädagogInnen für den Frieden: Wir werden nicht stillhalten

Der Krieg am Golf weitet sich aus. Militärisch wird die Zivilbevölkerung wachsend in die Vernichtung einbezogen; politisch wird der unabdingbare, langfristige Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen Israels und der Palästinenser mit jedem Tag noch schwieriger zu finden sein, als er schon vor Anfang des Krieges war.

Der Krieg hätte nicht begonnen werden dürfen. Eine politische Lösung der Situation wäre notwendig und wäre möglich gewesen; es ist nicht genug getan worden, sie zu erreichen. Gegen das Gebot der Humanität, gegen alle Vernunft und trotz aller Warnungen begonnen, darf der Krieg nicht seiner verhängnisvollen militärischen und politischen Eigendynamik überlassen bleiben.

Nun beginnt auch der Druck auf die Bundesrepublik, im Hinblick auf militärische Aktionen in der Türkei, den sogenannten »Verteidigungsfall« zu erklären und sich über die NATO unmittelbar in den Krieg hineinziehen zu lassen.

Wir sehen uns außerstande, der Logik solcher Argumentationen zu folgen. Ein militärisches Engagement in dieser Situation widerspricht dem Grundgesetz. Eine aktive Teilnahme der Bundesrepublik an diesem Krieg ist unserer Meinung nach politisch und moralisch nicht zu rechtfertigen.

Wir würden keine Möglichkeit sehen, einer Regierung zu folgen, die unser Land in diesen Krieg hineinziehen ließe, statt sich kompromißlos für eine Politik des Friedens einzusetzen, eines gerechten Friedens für alle Beteiligten. Wir sähen uns gezwungen, einer solchen Regierung mit Handlungen zivilen Ungehorsams zu begegnen, und wir würden anderen raten, an solchen Handlungen teilzunehmen.

Wir sagen dies jetzt, solange über einen möglichen Militärbeitrag der Bundesrepublik noch diskutiert wird und nicht entschieden ist. Wir wollen vor den Folgen warnen, die ein Kriegseintritt Deutschlands nach sich ziehen würde.

Pädagogen und Pädagoginnen sagen NEIN zum Krieg

Wir stehen auf der Seite von Schülerinnen und Schülern, die ihre Angst, ihr Entsetzen und ihren Abscheu gegen den Golfkrieg ausdrücken. Wir unterstützen sie mit Aufklärung und Diskussion im Unterricht. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Problemen moslemischer Schülerinnen und Schüler, – zumindest in der Schule wollen wir üben, worin Politik versagt hat: Konflikte gewaltfrei zu lösen, kulturelle Unterschiede nicht nur zu akzeptieren, sondern als Bereicherung zu begreifen, keine neuen Feindbilder aufzubauen.

Pädagogische Verantwortung endet jedoch nicht an der Schultür. Schüler und Schülerinnen haben das Recht, ihre Hoffnung auf Frieden und eine gerechte Welt ohne Waffrn auch in der Öffentlichkeit zu bekräftigen. Denn ihre Zukunft ist durch diesen Krieg bedroht. Und ihr Entsetzen gilt auch der Gleichgültigkeit der Erwachsenen. Diskriminierung von Schülerinnen und Schülern, sei es durch Kollegen oder Kolleginnen, Behörden oder Eltern, werden wir nicht hinnehmen.

Wir dürfen die Kinder und Jugendlichen jetzt nicht allein lassen. Denn ihre Angst ist auch unsere. Ihr Ruf nach Frieden ist auch unserer. Krieg gefährdet, was er zu schützen vorgibt. Er löst keine Probleme, sondern schafft neue. Er vernichtet die Lebensgrundlage der Menschen und tötet sie.

Nur eine Politik, die auf Gerechtigkeit baut, kann eine Welt schaffen, in der alle Völker gleichberechtigt und ungefährdet ihren Platz finden, auch das israelische und das palästinensische, auch das kurdische, irakische und kuwaitische.

10. Sana Statement On The Gulf War

SANA (Scientists against nuclear arms) is an independent organisation of scientists of all disciplines. Since its inception ten years ago, it has sought to inform the public and decision makers of the dangers posed by nuclear and other weapons of mass and indiscriminate destruction.

In the Gulf we are now witnessing a 19th century war being fought with 20th century weapons. As Einstein said, with reference to the start of the nuclear age, „ It has changer everything except man's way of thinking“. The conduct of the war gives cause for serious alarm and illustrates clearly the dangers inherent in modern weapons sytems.

In the past Saddam Hussein has used chemical weapons in or near the Gulf, and Israel has a significant number. The UK government has refused to rule out their use in response to a chemical attack, though to use nuclear weapons against a non-nuclear state would be blatantly illegal under the terms of the Non-Proliferation Treaty to which the UK is a signatory.

Modern guided weapons may be highly accurate, but 20% still land off target and the tragedies of recent weeks show that the errors which do occur can be devastating. Conventional weaponry is in some instances approaching the letality of nuclear weapons; fuel-air explosives, for example, must be regarded as weapons of mass-destruction. In war, as Sir Winston Churchill once said, „the latest refinements of science are linked to the cruelties of the Stone Age“.

Though there has been widespread comment on the spillage of oil and the burning of oil wells, other environmental consequences of the war have been largely ignored. In particular, it is impossible accurately to predict or control the fallout from conventional attacks on chemical and biological weapons plants or on nuclear installations, a side effect which also extends to neighbouring countries. If reports of the detection of anthrax are correct, the consequences could last for decades.

The long-term psychological consequences of the war may also be extremely damaging. Thousands have suffered the trauma of prolonged intense bombardment, whose effects often last a lifetime. The manipulation of public opinion by all the governments involved is already reinforcing stereotypes of whole peoples as the enemy, a vision which must be damaging to the prospects of a durable peace.

The arms trade must bear a large share of the blame for the tragedy in the Gulf. To how many other dictators around the world are we still selling lethal weaponry? To quote John F. Kennedy, „Mankind must put an end to war or war will put an end to mankind“.