NATO-Raketenabwehr


NATO-Raketenabwehr

Stand und Herausforderungen

von Katarzyna Kubiak

Einst eine heftig umstrittene Idee innerhalb der NATO, wurde Raketenabwehr mittlerweile zu einer Kernaufgabe der kollektiven Bündnisverteidigung. Aufgrund missgelungener Kooperationsversuche strapaziert sie jedoch weiterhin die ohnehin bröckelnden Beziehungen der USA und der NATO zu Russland. Daneben veranschaulicht das erste wirklich gemeinsame NATO-übergreifende Projekt auch allianzinterne Divergenzen. Nicht zuletzt fordert die NATO-Raketenabwehr die traditionelle Rüstungskontrolle heraus.

Die NATO beschloss 2010, eine strategische Fähigkeit aufzubauen, um das gesamte europäische Bündnisgebiet und die Bevölkerungen der europäischen Bündnisstaaten vor Angriffen mit ballistischen Raketen zu schützen. Die NATO-Raketenabwehr (Ballistic Missile Defence) in Europa ist neben der taktischen Raketenabwehr (zum punktuellen Schutz von Truppen und Anlagen), der Marschflugkörperabwehr, der Flugabwehr (Air Defence) und dem Air Policing (Luftraumüberwachung und Luftraumschutz) eine Teilkomponente der integrierten Luftverteidigung und Raketenabwehr der NATO.

Die USA, treibender Akteur beim Aufbau des Systems, stellen mit ihren see- und landgestützten Raketenabwehrsystemen in Europa bisher den Löwenanteil der NATO-Raketenabwehrfähigkeiten. Die NATO finanziert ein gemeinsames Kontroll- und Führungszentrum in Ramstein, welchem die US-amerikanischen Raketenabwehrsysteme in Rumänien untergeordnet sind. Zudem sollen in Krisenzeiten die vier raketenabwehrfähigen Aegis-Zerstörer der USA im Mittelmeer unter die operative Kontrolle der NATO gestellt werden.

Darüberhinaus entscheiden einzelne Mitgliedstaaten auf Grundlage ihrer eigenen Gefahrenanalyse, welche Sensoren (Radare, Satelliten) oder Abfang­raketen sie in das System einbringen. Allerdings beteiligt sich bisher nur eine Handvoll Verbündeter: Deutschland, Polen, Rumänien, Spanien und die Türkei stellen ihr Territorium für Elemente des NATO-Systems zur Verfügung. Deutschland, die Niederlande und Spanien steuern außerdem Patriot-Flugabwehrsysteme bei; Polen und Rumänien planen das für die Zukunft. Zudem wollen Frankreich und Großbritannien in landgestützte Radarsysteme investieren und Deutschland, Dänemark sowie die Niederlande einige ihrer Fregatten mit neuen Radarsystemen ausstatten, während Belgien eine Abfangfähigkeit als Option offenhält. Zusätzlich werden Kooperationsmodelle mit Nicht-Mitgliedstaaten erwogen, die beabsichtigen, in taktische Raketenabwehrfähigkeiten zu investieren.

Eine entscheidende Hürde für die europäische Beteiligung besteht darin, dass bislang kein europäisches Land eigenständig ein komplettes Raketenabwehrsystem bauen kann. Dies bedeutet entweder eine langfristige technologische Abhängigkeit von den USA oder die Notwendigkeit, massiv in die Entwicklung nationaler oder gemeinsamer Systeme zu investieren. Alle bisherigen Versuche, transatlantische Systeme aufzubauen, sind gescheitert, weil sich die USA aus entsprechenden Projekten wieder zurückzogen, und eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung europäischer Lösungen gibt es kaum. Beide Optionen sind außerdem mit sehr hohen Kosten verbunden.

Einen flächendeckenden Schutz rund um die Uhr bietet die NATO-Raketenabwehrfähigkeit – zumindest in ihrer jetzigen Form – nicht. Dies ist vor allem auf die wenigen zur Verfügung stehenden Interzeptoren (Abwehrraketen mit Abfangflugkörper) zurückzuführen. Die im Mittelmeer stationierten Aegis-Zerstörer können zudem aus ihrer regulären Position Teile Osteuropas, der Türkei, Grönlands, der Azoren oder der Kanarischen Inseln nicht abdecken.

Die Europäer scheinen vor allem aus Gründen bündnispolitischer Solidarität in Raketenabwehrsysteme zu investieren, denn eine verlässliche Bedrohungsanalyse wurde bisher weder seitens der NATO noch der einzelnen europäischen Regierungen öffentlich vorgelegt. Von allen Staaten, die Raketenfähigkeiten entwickeln und von der NATO als potentielle Gegner eingestuft werden, kommen lediglich Syrien, Russland und Iran in Frage. Da Syrien nur über Kurzstreckenraketen verfügt (wofür eine strategische Raketenabwehr nichts bringt) und das NATO-Raketenabwehrsystem nach offiziellen Aussagen nicht gegen Russland gerichtet ist, ist der Iran der unausgesprochene Grund.

Allerdings hat das System neben der Schutzwirkung noch einen weiteren symbolischen Wert: Es ist das erste groß angelegte NATO-Projekt, an welchem sich alle Mitgliedstaaten gleichermaßen beteiligen können.

Russland und die NATO-Raketenabwehr

Die russische Regierung sieht die NATO-Raketenabwehr als Teil eines welt­umspan­nen­den, von den USA gesteuerten und ständig wachsenden Raketenabwehrnetzes,1 welches das zentrale Merkmal des Verhältnisses zwischen beiden Mächten – die strategische Stabilität – langfristig unterminieren wird. Den Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag (Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion über die beiderseitige Begrenzung von Raketenabwehrsystemen) im Jahr 2002, welcher dieses Prinzip institutionalisiert hatte, sieht Russland als Kehrwende mit gravierenden Folgen für die gegenseitigen Beziehungen.

Entgegen den Beteuerungen, die NATO-Raketenabwehr stelle für Russland keine Bedrohung dar, befürchtet der Kreml genau das Gegenteil. Als Reaktion entwickelte Moskau eine Haltung der Abwehr und Konfrontation. Die Modernisierung russischer Nuklearwaffenarsenale, die Verlagerung offensiver Fähigkeiten in unmittelbare Nähe zum NATO-Gebiet sowie die Entwicklung von Marschflugkörpern, welche im Rahmen des INF-Vertrages (Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion zur Eliminierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen) umstrittenen sind, wurden mit dem Aufbau der US-amerikanischen Raketenabwehrfähigkeiten in Europa begründet. Begleitet wurden diese Maßnahmen von einer aggressiven Rhetorik des Kremls gegenüber den NATO-Verbündeten Polen und Dänemark, welche sich an der NATO-Raketenabwehr beteiligen oder dies in der Zukunft beabsichtigen.

Um einem Sicherheitsdilemma vorzubeugen, hatte sich die NATO anlässlich der Entscheidung zum Aufbau ihres Raketenabwehrsystems für eine Zusammenarbeit mit Russland ausgesprochen. Ungeachtet mehrerer Kooperationsvorschläge aus Washington, Moskau und Brüssel konnten sich die Gesprächspartner jedoch nicht auf eine praktische Kooperation einigen. Dies lag u.a. an unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie eine solche Zusammenarbeit aussehen sollte.

Die NATO wollte ihre Maßnahmen zum Abfangen gegnerischer Raketen mit jenen Russlands koordinieren. Weil die Verbündeten jedoch größtenteils politisch, operationell und technologisch von den USA abhängig geblieben wären, war das Gesprächsangebot der NATO, mit Russland in Sachen Raketenabwehr zusammenzuarbeiten, weiterhin vornehmlich von den bilateralen Gesprächen zwischen Washington und Moskau abhängig.

Washington bemühte sich jedoch vor allem durch transparenz- und vertrauensbildende Maßnahmen darum, die russischen Sorgen auszuräumen. Eine echte Integration der eigenen Raketenabwehrfähigkeiten mit den Fähigkeiten Russlands strebte Washington nie an – weil es dies aus politischen Gründen nicht wollte und aus technologischen Gründen nicht nötig hatte.

Die russische Regierung, welche Raketenabwehr als ein geostrategisches Problem betrachtet, versuchte Washington zunächst davon zu überzeugen, die Stationierung von Raketenabwehrfähigkeiten in Mittel- und Osteuropa aufzugeben. Diese Bedenken spiegelten sich auch in dem darauf folgenden Vorschlag einer so genannten »sektoralen« Raketenabwehr wider. Demnach wollte Moskau für das Abfangen gegnerischer Raketen über einem gesonderten Teil des europäischen NATO-Gebiets (Baltikum, Norwegen, Polen) zuständig sein. Als beide Vorschläge abgelehnt wurden, forderte Moskau rechtsverbindliche Garantien, dass das NATO-Raketenabwehrsystem nicht gegen Russland gerichtet wird. Die USA waren aber nicht bereit, die eigenen Fähigkeiten zu beschränken, womit sie die russischen Befürchtungen zusätzlich bestärkten. Offen blieb, ob Russland tatsächlich an einer echten Zusammeanrbeit gelegen war.

Im Oktober 2013 setzte Russland die Gespräche zur Raketenabwehr im NATO-Russland-Rat aus. Im April 2014 brach die NATO ihrerseits als Reaktion auf die Annexion der Krim alle Kontakte auf Arbeitsebene mit Russland ab. Zwar bekräftigte die Allianz in den darauffolgenden Gipfelerklärungen ihre Bereitschaft zum Dialog über Raketenabwehr mit Russland, faktisch fehlt es jedoch an substanziellen Ideen. Zudem bemühen sich die Alliierten derzeit, auf gar keinen Fall den Eindruck zu wecken, mit Moskau wieder »business as usual« zu betreiben. Jegliches Angebot, über die Raketenabwehr zu sprechen, könnte als Überschreiten dieser roten Linie gedeutet werden.

Herausforderungen der NATO Raketenabwehr

Auch wenn nach langem Ringen die Entscheidung für eine NATO-Raketenabwehr gefallen und das Projekt mittlerweile weit vorangeschritten ist, bedeutet dies nicht das Ende von Problemen. Im Gegenteil. Die NATO-Raketenabwehr bringt eine Reihe neuer Fragen und Herausforderungen mit sich, denen sich die Allianz stellen muss – in Bezug auf die Allianzsolidarität, das Verhältnis zu Russland sowie die Zukunft von Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Neue Fähigkeiten, neue Bedrohungen

Die NATO-Raketenabwehr ist auf die Bekämpfung ballistischer Raketen ausgelegt. Um Raketenabwehrsysteme zu umgehen, entwickeln etliche Staaten, darunter auch Russland, neue Fähigkeiten, u.a. Marsch- und/oder Hyperschallflugkörper. Die Warnung zahlreicher Friedensforscher*innen, die auf die Gefahr eines durch Raketenabwehr ausgelösten Wettrüstens hinwiesen, hat sich damit bestätigt.2 Falls Washington der Absichtserklärung von US-Präsident Trump von Anfang Dezember 2018 folgt und den INF-Vertrag aufkündigt – was eine Erneuerung der europäischen Rüstungskontrollarchitektur deutlich erschwert –, könnte die NATO sich gedrängt sehen, zusätzliche Mittel in den Ausbau der Marschflugkörperabwehr einzukalkulieren.

Doch gegen Russland?

Solange die NATO-Raketenabwehr im Kern ein US-Programm bleibt, werden die europäischen Verbündeten auf dessen Ausrichtung nur begrenzten Einfluss nehmen können. Aus diesem Grund ist die Raketenabwehrpolitik der Allianz nah an die der USA angekoppelt. Während Letztere jahrelang auf die Bekämpfung begrenzter Bedrohungen (vor allem aus Nordkorea und Iran) ausgerichtet war, hat sich dies 2017 mit einem Beschluss des US-Kongresses geändert. Zukünftig soll das Raketenabwehrsystem der USA gegen „sich entwickelnde und komplexer werdende Bedrohungen“ schützen, womit auch die chinesischen und russischen Interkontinentalraketen gemeint sind. Dies hat sich bisher nicht auf die Raketenabwehrpolitik der NATO ausgewirkt.

Allerdings haben mittlerweile auch die Verbündeten die Zusage, ihre Raketenabwehrpotentiale nicht gegen Russland zu richten, relativiert. Sie erklärten auf ihrem Gipfel in Warschau im Jahr 2016, gewährleisten zu wollen, dass die Allianz sich gegen „die gesamte Bandbreite an Bedrohungen […], die sich dem Bündnis aus allen Richtungen entgegenstellen könnten“, verteidigen könne. Direkt übertragen schließt dies die Bereitschaft ein, auch russische Raketen abzufangen. Auch wenn es sich hier primär um eine Antwort auf die in Kaliningrad aufgestellten Iskander Raketen handelt und die bisher in Europa stationierten Abfangraketen aus technischen Gründen russische Interkontinentalraketen kaum abfangen können, verstärkt es die lang anhaltende russische Besorgnis, dass die diesbezügliche Allianzpolitik keinesfalls im Stein gemeißelt ist.

Gemeinsam oder doch eigenständig?

Die Türkei teilte mit, sie habe mit Moskau den Erwerb russischer S-400 Triumf – eines mobilen bodengebundenen Flugabwehrsystems, das auch Kurzstreckenraketen abfangen kann – vereinbart. Die NATO, allen voran die USA, kritisiert diesen Kauf aus industrie- und sicherheitspolitischen Gründen heftig. Zukünftig sollen die Fähigkeiten der strategischen und taktischen Raketenabwehr von einem gemeinsamen Kommando- und Kontrollzentrum koordiniert werden. Da man befürchtet, dass Russland bei der Anbindung eines S-400-Systems an dieses Zentrum Zugang zu geheimen Informationen erhalten könnte, verweigert die Allianz Ankara, die S-400-Systeme zukünftig an die gemeinsame Anlage anzukoppeln. Der Streit bezeugt jedoch eine tiefere Spaltung im Bündnis, da manche NATO-Staaten die Machtposition der USA innerhalb der Allianz infragestellen und mehr europäische Autonomie fordern.

Auswirkung für Rüstungskontrolle und Abrüstung

Die NATO-Verhandlungen zur Raketenabwehr liefen parallel zu Überlegungen über die Rolle von Nuklearwaffen in der Verteidigungs- und Abschreckungspolitik der Allianz. Einzelne Mitgliedstaaten argumentierten, dass Raketenabwehr gegebenenfalls zur nuklearen Abrüstung innerhalb der NATO führen könnte, da an die Stelle der Abschreckung durch Vergeltung (mit Nuklearwaffen) die Abschreckung durch die Verweigerung von Erfolgsaussichten (mit Raketenabwehr) treten könnte. Diese Sichtweise hat sich in der Allianz nicht durchgesetzt. So einigten sich die Alliierten, dass die NATO-Raketenabwehr die Abschreckungsrolle von Nuklearwaffen lediglich vervollständigen, nicht aber ersetzen kann. Damit führt die NATO-Raketenabwehr nicht zur Entwertung oder gar zur Abrüstung von Nuklearwaffen der Mitgliedstaaten.

Daneben ist die NATO-Raketenabwehr Teil des Streits um den INF-Vertrag. Als Antwort auf die US-Vorwürfe, Russland würde mit einem neuen Marsch­flugkörper das Abkommen verletzen, entgegnet Moskau, dass die USA im Rahmen der NATO-Raketenabwehr landgestütze Mehrzweck-Abschussrampen in Rumänien (und ab ca. 2020 in Polen) stationieren, welche zum Abfeuern von Marschflugkörpern innerhalb der INF-Reichweite genutzt werden können und somit den Vertrag brechen. Washington behauptet, auf alle russischen Vorwürfe umfassend eingegangen zu sein. Die NATO ihrerseits stellt sich bedingungslos hinter die USA, ohne Forderung, die russischen Anschuldigungen durch Verifikation zu klären. Zudem wurde ist laut russischem Außenministerium das russische Angebot gegenseitiger Transparenzmaßnahmen von Washington „kategorisch abgelehnt“.

Mittlerweile ist Raketenabwehr Realität geworden, die für einige Staaten – u.a. Russland oder China – schwierig hinzunehmen, aber unumkehrbar ist. Auch wenn sich Russland mit der Raketenabwehr noch nicht abgefunden haben mag, scheint der Kreml zumindest an strategischer Rüstungskontrolle mit den USA weiterhin Interesse zu haben. Der Dialog zwischen beiden Nuklearmächten ist – wenngleich stockend und visionslos – noch nicht zum Stillstand gekommen. Selbst wenn sich Moskau und Washington auf die Verlängerung des New-START-Abkommens zur Verringerung strategischer Nuklearwaffen einigen sollten (das andernfalls im Februar 2021 ausläuft) – Raketenabwehr ist zweifelslos ein wesentlicher Stolperstein für zukünftige Rüstungskontrollverträge.

Anmerkungen

1) Neben Radarsystemen und Abfangraketen auf dem eigenen Territorium und auf ca. 33 Schiffen weltweit, betreiben die USA Raketenabwehrfähigkeiten auf dem Gebiet anderer Verbündeter und Partnerländer (Grönland/Dänemark, Großbritannien, Japan, Südkorea) sowie Guam. Zudem planen einige US-Verbündete strategische Raketenabwehrfähigkeiten US-amerikanischer Herstellung zu beschaffen oder existierende auszubauen (Japan, Vereinigte Arabische Emirate).

2) Allerdings ist schwer abzuschätzen, inwiefern diese Fähigkeiten auch ohne den Auslöser Raketenabwehr, vielleicht nur langsamer, entwickelt worden wären und inwiefern die Raketenabwehr lediglich zur Legitimierung ­dieser Entwicklung beiträgt.

Dr. Katarzyna Kubiak ist Policy Fellow am European Leadership Network (ELN) in London, wo sie zu Nuklear- und Rüstungskontrollpolitik arbeitet.

Vorwärts, aber wohin?


Vorwärts, aber wohin?

von Jürgen Nieth

Deutschland und Frankreich haben genau 56 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrags am 22. Januar in Aachen einen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. „Das Abkommen sei eine Antwort auf Populismus und Nationalismus, sagte die Bundeskanzlerin; der französische Präsident sprach pathetisch von einem »Schutzschild unserer Völker gegen die neuen Stürme in der Welt«.“ „Geht es nicht eine Nummer kleiner?“, fragt Nikolas Busse in der FAZ (23.1.19, S. 1). Auch das ND (23.1.19, S. 19) titelt: „Viel Pathos gegen Populismus“. Die Schweizer NZZ (23.1.19, S. 3) setzt als Headline „Ein Zeichen gegen den Zeitgeist“. Sie sieht den Vertrag als Gegenmodell zu »Mein Land First« und „gewissermaßen als Gegen-Brexit inszeniert“.

Andere reagieren fast euphorisch. Für Nils Minkmar ist „der Vertrag von Aachen ein Wunder, […] ein Frühlingsversprechen, eine erfrischende Geste politischen Übermuts“ (Spiegel 26.1.19, S. 111). Daniel Brössler schreibt in der Süddeutschen Zeitung (23.1.19, S. 4): „Sie haben sich zur Verantwortung Frankreichs und Deutschlands bekannt für ein Europa, das bedroht von außen wie von innen in existenzieller Gefahr schwebt.“ Und für Rudolf Balmer (taz 23.1.19, S. 12) ist der Vertrag „im Kontext der gegenwärtigen EU im wörtlichen Sinne richtungsweisend – und darum trotz kleiner Fortschritte geradezu mutig“.

Auszüge aus dem Vertragstext

Artikel 3
„Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in
Angelegenheiten der Außenpolitik, der Verteidigung, der äußeren und inneren Sicherheit und der Entwicklung und wirken zugleich auf die Stärkung der Fähigkeit Europas hin, eigenständig zu handeln […]“

Artikel 4
(3) Beide
Staaten […] intensivieren die Erarbeitung gemeinsamer Verteidigungsprogramme und deren Ausweitung auf Partner. Hierdurch beabsichtigen sie, die Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis zu fördern. Sie unterstützen die engstmögliche Zusammenarbeit zwischen ihren Verteidigungsindustrien… Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln.“

Zweifel an der Realisierbarkeit

Für Sascha Lehnartz (Welt 22.1.19, S. 8) sind die oben zitierten Zielvorstellungen nur „schwer unter einen Hut zu bringen […] Frankreich ist eine Atommacht mit einem Präsidenten als Oberbefehlshaber, der sein Parlament im Nachhinein über seine Entscheidung informieren kann. Als ehemalige Kolonialmacht hat Frankreich nach wie vor wenig Hemmungen nationale Interessen […] bei Bedarf militärisch zu schützen […] Deutschland hat eine Parlamentsarmee […] und militärische Einsätze müssen zuallererst moralisch legitimiert werden. Der Primat der Moral gilt erst recht für Rüstungsexporte.“

Auch für die Berliner Zeitung (23.1.19, S. 4) liegen „Wunsch und Wirklichkeitin dem Aachener Vertrag „noch weit auseinander“.

Bei Nikolas Busse (FAZ 23.1.19, S. 1) liest sich das so: „Die tief ins Grundsätzliche reichende Uneinigkeit in Fragen der Verteidigung und der Rüstung, die in dem Abkommen nur mühsam überkleistert wurde, bleibt eines der großen Hindernisse für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.“ Wohin die Reise gehen soll, wird im Abschlusssatz seines Kommentars deutlich: „Hier hat vor allem die deutsche Politik die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt.“ Soll wohl heißen: mehr Bereitschaft zu Militäreinsätzen, weniger Schranken für Rüstungsexporte.

Mehr Interventionen und Rüstungsexporte?

Die Reden von Macron und Merkel in Aachen lassen hier aufhorchen.

„Künftig sollen die Streitkräfte beider Länder ihre Rüstungsgüter aus europäischer oder deutsch-französischer Produktion beziehen. Macron sagt zur Begründung, auf diese Weise könnten die Amerikaner nicht sagen, dass ihre Waffen bei einem bestimmten Militäreinsatz nicht verwendet werden dürften.“ Angela Merkel „stimmt zu, es sei Unfug, wenn die Europäer selbst »um die Welt rennen« um zwei verschiedene Kampfflugzeuge […] zu verkaufen“. Und weiter: Beim Waffenexport dürfen wir uns nicht über den Export jeder Schraube in die Haare geraten“ (Johannes Leithäuser und Michaela Wiegel in FAZ 23.1.19, S. 2).

Hans-Georg Ehrhart, Senior Fellow am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik/IFSH, schreibt dazu in einem Gastkommentar für den Freitag (24.1.19, S. 9): „Paris darf hoffen, dass Berlin künftig der interventionsfreudigeren französischen Politik folgt […] [Es] besteht die Gefahr, dass nun konservative Abgeordnete ihren Versuch wiederholen, den Parlamentsvorbehalt aufzuweichen.“

Vorwärts, aber wohin?

„Nach dem Austritt Großbritanniens wächst das Gewicht dieses Duos [FR und D] in einem Maße, das andere EU-Staaten nicht gleichgültig lassen wird […] [und] für die Entwicklung der EU so gefährlich werden [kann], wie es das Desinteresse der beiden größten Länder des Bündnisses wäre“, schreibt Gerd Appenzeller im Tagesspiegel (22.1.19, S. 1).

Kritik auch von René Heilig (ND 23.1.19, S. 1): Wer die Union retten will, kann das nicht im Duo tun. Und schon gar nicht mit einem Vertrag, in dem gemeinsame akzeptable Sozialstandards für jene, die den relativen Wohlstand in den Vertragsnationen schaffen, nicht einmal als Vision vorkommen. Dass man dafür aber viel über Militärkooperation, Rüstungsexport und Migrationsabwehr findet, macht den gemeinsamen Weg in die Zukunft wahrlich höchst suspekt.“

Die Berliner Zeitung (23.1.19, S. 4) zitiert dazu Sevim Dagdelen (MdB Die Linke): „Statt Europa als Kontinent des Friedens zu einen, vertiefen Kanzlerin Merkel und Präsident Macron mit dem binationalen Deal zur weiteren Militarisierung die Spaltung der EU.“

Ein Fragezeichen setzt Hans Georg Ehrhart vom IFSH: „Beide wollen ein Zeichen setzten für mehr Europa. Die entscheidende Frage ist aber: Soll diese sicherheitspolitisch autonome EU als Großmacht im klassischen Sinne handeln oder als Friedensmacht, die auf friedlichen Wandel und die Stärke des Rechts setzt?“ (Freitag, s. o.)

Zitierte Presseorgane: BZ – Berliner Zeitung, FAZ – Frankfurter Allgemeine, Freitag, ND – Neues Deutschland, NZZ – Neue Zürcher Zeitung, Spiegel, SZ – Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, taz – die tageszeitung, Welt.

Das hybride Bündnis


Das hybride Bündnis

NATO-Osterweiterung zwischen Integration und Konfrontation

von August Pradetto

2008 war die NATO in der Frage gespalten, ob der Ukraine und Georgien ein Membership Action Plan angeboten werden und damit der Beitrittsprozess zum Bündnis eingeleitet werden soll. Das vor allem von den USA betriebene Vorhaben fand zumal in Paris und Berlin keine Zustimmung. Gleichzeitig wurde beiden Ländern aber erneut versichert, dass sie der Allianz eines Tages beitreten könnten. Da nicht abzusehen ist, dass Moskau eine ukrainische Mitgliedschaft akzeptiert, bleiben die Spannungen zwischen dem Bündnis und Russland auf der Tagesordnung – und damit die Debatte darüber, welche Funktion und welchen Stellenwert die NATO-Osterweiterung bei der Gestaltung der post-bipolaren Weltordnung einnimmt.

Artikel 5 des NATO-Vertrags vom 4.4.1949 sieht vor, „dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere [der Vertragsparteien] in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird“. Darauf bezogen ist die NATO eine wirksame Organisation. Sie bildet ein kollektives Verteidigungssystem, das seine Mitglieder vor äußeren Angriffen schützt. Und sie stellt ein kollektives Sicherheitssystem dar, das zwischen seinen Mitgliedern Frieden gewährleistet. Damit ist sie auch unter Kostenaspekten reizvoll: In der NATO zu sein bedeutet nicht nur mehr (oder überhaupt) Sicherheit, sondern spart prinzipiell auch Verteidigungsausgaben, weil sowohl nach außen wie nach innen Vertrauen in die kollektive Sicherheitsproduktion der Organisation besteht.

Die NATO ist aber zugleich ein Militärbündnis, das ein Sicherheitsdilemma erzeugt. Die massive Aufrüstung im Kalten Krieg war für ein historisch präzedenzloses Wettrüsten mitverantwortlich. De facto wirkte und wirkt das Bündnis auch als militärische Absicherung für eine imperiale oder expansive Politik einzelner Mitglieder, vor allem der USA, Frankreichs und Großbritanniens.

Die Bewertung der NATO-Osterweiterung, die seit dem Ende des Kalten Krieges erfolgte, bewegt sich in diesem Spannungsfeld. Zwei Fragen stehen im Folgenden im Mittelpunkt: 1. Welche Rolle spielte die Aufnahme neuer Mitglieder in diesem ambivalenten Kontext? Und 2. Gibt es benennbare Parameter, die die friedenspolitische Funktion der NATO gegenüber der spannungsverstärkenden Dimension stärken können?

Diese Fragen werden vor dem Hintergrund eines pragmatischen Befunds gestellt: Ein von relevanten Kräften getragenes Interesse an der Auflösung der Organisation ist so wenig sichtbar wie der Wille oder die Fähigkeit, eine alternative Sicherheitsstruktur im europäischen oder globalen Maßstab zu etablieren.

Osterweiterung und »realistische« Logik

Die Osterweiterung der NATO nach dem 1991 erfolgten Kollaps von Warschauer Pakt und Sowjetunion hatte für die beteiligten Akteure vorrangig drei miteinander verbundene Dimensionen. Die erste bestand in der »realistischen« Interessenpolitik der Allianzmitglieder in militärischer, politischer und ökonomischer Hinsicht. Es ging um die Ausweitung des strategischen Raums und neuer ökonomischer und politischer Einflusssphären.

Die zweite Dimension betraf die andere Seite derselben Medaille: die Transformation der vom Kommunismus befreiten Systeme, also die post-kommunistische Schaffung von Identität. Die zuvor unter sowjetischer Herrschaft stehenden Länder in Mitteleuropa wurden in ein institutionelles System einbezogen, das den Rahmen für eine gewünschte sicherheitspolitische, wirtschaftliche und politische Entwicklung vorgab und absicherte. Solcherart kreierten die neuen Eliten dieser Länder im Zusammenspiel mit westlichen Akteuren eine neue Identität und ein neues Rollenverhalten.

Die dritte Dimension bezog sich auf die Beziehung des erweiterten Raums zur Umwelt. Diesbezüglich gab es vor allem in sicherheitspolitisch-militärischer Hinsicht weniger Übereinstimmung als bei den beiden vorgenannten Aspekten. Dies betraf abweichende Wahrnehmungen sowohl zwischen westlichen und integrationswilligen östlichen Akteuren als auch zwischen den östlichen neuen Eliten untereinander. Für die polnischen, aus der Oppositionsbewegung »Solidarnosc« hervorgegangenen Führungspersönlichkeiten und Parteien beispielsweise hatte das Motiv der Abgrenzung gegenüber der Sowjetunion bzw. Russland und einer militärischen Position der Stärke gegenüber dem weiter im Osten gelegenen Nachbarn von Anfang an Priorität. Andere post-kommunistische Eliten und vor allem westliche Akteure hatten, zumal nach der Auflösung der Sowjetunion und der Liberalisierung und Demokratisierung Russlands infolge der Politik des Generalsekretärs bzw. Staatspräsidenten Michail Gorbatschow, ein anderes Bild von Russland wie von den künftigen Beziehungen zu Moskau.

Zwischen diesen Polen spielte sich ein wesentlicher Teil des Diskurses über das Verhältnis von NATO-Osterweiterung und den Beziehungen der NATO zu Russland ab. Um es kurz zu machen: Der abgrenzende »Realismus« setzte sich gegenüber der Politik eines inklusiven Institutionalismus in dem Maße durch, wie die Aufnahme neuer Mitglieder im Osten voranschritt. Die damit verbundene Entfremdung zwischen der NATO und Russland wurde durch zwei Entwicklungen intensiviert: einerseits die nach den Terrorattentaten vom 11.9.2001 (»9/11«) zunehmend »pro-aktive«, interventionistische Politik westlicher Mitglieder der NATO, andererseits die nach dem Gewinn der Präsidentschaftswahl durch Wladimir Putin (2000) immer stärker auf die Wiedererringung einer internationalen Machtposition orientierte Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik Moskaus.

Polen, Tschechien und Ungarn traten der NATO zum 50. Gründungsjubiläum des Bündnisses im April 1999 bei. Die im darauf folgenden Jahr in den USA gewählte Administration G.W. Bush jun. schlug 2002 vor, in einem »big bang« eine ganze Reihe weiterer ehemaliger Warschauer-Pakt-Mitglieder in die NATO zu integrieren. Im Diskurs in den Vereinigten Staaten spielten die Erweiterung der eigenen Machtbasis in Europa und die Einschränkung realer und möglicher außenpolitischer und militärischer Spielräume Moskaus eine wesentliche Rolle. Moskau hatte nicht nur die Intervention in Jugoslawien 1999 strikt abgelehnt, sondern auch den seit Frühjahr 2002 vorbereiteten Krieg gegen Irak. Dagegen signalisierten die meisten osteuropäischen Allianzmitglieder und Aufnahmekandidaten Zustimmung und unterstützten die Intervention auch militärisch.

In diesem Umfeld war der weiteren Osterweiterung die Tendenz zu konfrontativem Denken und Handeln inhärent. Die Integration in die NATO bedeutete die Modernisierung der Armeen der neuen Mitglieder und ihre Einbeziehung in militärische Strukturen, die Russland geografisch zugleich näher rückten. Der Kern der NATO, die kollektive Verteidigung nach Artikel 5 des Vertrags, war nur glaubhaft, wenn die Neumitglieder im Fall des Falles auch verteidigt werden konnten. Zwar gab es Beteuerungen, dies alles richte sich nicht gegen Russland, und den Versuch, Moskau durch eine »eigenständige« institutionelle Verklammerung, den NATO-Russland-Rat, zu beruhigen und einzubinden. Es wurde aber schnell deutlich, dass diese Einbindung im Falle gegensätzlicher Auffassungen – wie von westlicher Seite immer wieder betont – »Moskau kein Vetorecht einräumt«.

Außerdem stellte sich die Frage, gegen wen, wenn nicht gegen Russland, insbesondere die an der russischen Grenze liegenden Staaten gegebenenfalls glaubhaft verteidigt werden sollten. Die Frage der Glaubhaftigkeit wurde umso virulenter, je stärker die teilweise großen russischen Minderheiten in diesen Ländern als ein Instrument möglicher Destabilisierung erschienen.

Als Washington 2008 die Ukraine (und Georgien) zur Aufnahme in die NATO vorschlug, verhärteten sich die Fronten. Die Westgrenze der Ukraine und von Belarus wurden und werden in Moskau als »rote Linie« erachtet. Unter völkerrechtsbezogenen Souveränitätsaspekten ist diese Haltung inakzeptabel, unter dem Aspekt politischer und sicherheitspolitischer Sensibilität ist sie westlicherseits in Rechnung zu stellen. Dieser neue Vorstoß bis an die russischen Grenzen (nach der Aufnahme der baltischen Staaten sowie der Slowakei, Sloweniens, Bulgariens und Rumäniens im Jahre 2004, Kroatiens und Albaniens 2009)1 spielte bis 2013 nur eine hypothetische Rolle, weil es weder in der NATO (vor allem Berlin und Paris waren dagegen) noch in der Ukraine eine Mehrheit für einen Beitritt gab.

Das änderte sich, als im Herbst 2013 nach der Nichtunterzeichnung des geplanten Assoziationsabkommens mit der EU durch die ukrainische Führung eine politische Krise ausbrach und im Februar 2014 die Opposition die Macht ergriff. Diese suchte westliche Unterstützung nicht zuletzt mit der Forderung nach einer Aufnahme in die NATO, und westliche – vor allem US-amerikanische und polnische – Politiker sahen eine Chance, die Ukraine aus dem Einfluss Moskaus zu lösen und ins westliche Bündnis zu ziehen.

Die weiteren Ereignisse und die Eskalation der rhetorischen, diplomatischen, politischen, ökonomischen und auch militärischen Auseinandersetzungen sind bekannt: völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Moskau, Stellvertreterkrieg im Südosten der Ukraine um die von Russland unterstützten Separatistengebiete Luhansk und Donezk bis hin zu Zusammenstößen zwischen ukrainischen und russischen Marineschiffen in der Straße von Kertsch im November 2018.

Die Osterweiterung im Kontext

Sieht man die Bemühungen um eine Einbeziehung der Ukraine in die NATO als logische Folge vorhergehender Schritte, dann erscheint die Osterweiterung der Allianz insgesamt problematisch. Eine solche Sichtweise lässt allerdings außer Acht, dass nicht abstrakte Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten eine solche Entwicklung determinierten. Vielmehr trafen verantwortliche Politiker an jedem Punkt des Verlaufs Entscheidungen, die auf ein Mehr an Kooperation oder ein Mehr an Konfrontation hinausliefen. Die Forderung nach Aufnahme der Ukraine in die NATO war umstritten: Washington und Warschau dafür, Berlin und Paris dagegen. Ohne die Krise in der Ukraine 2013/14 hätte es also auf absehbare Zeit keine Konfrontation in dieser Frage gegeben, weil keine Mehrheit für die Aufnahme existierte und damit auch keine Aggression Moskaus gegen die Ukraine.

Die Annexion der Krim war ebenso eine bewusste politische Entscheidung. Das gleiche gilt für die Entscheidung Moskaus nach der Auflösung der Sowjetunion Ende 1991, trotz der Bemühungen vieler Krim-Bewohner um eine Reintegration und Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland die Souveränität der Ukraine nicht anzutasten, was bis 2013 galt.

Anfangs trug also die Einbeziehung post-kommunistischer Staaten in das westliche Verteidigungssystem, wie in die EU, durchaus zur Stabilisierung der Verhältnisse sowohl in den respektiven Ländern als auch in ganz Europa bei. Die Integration in funktionierende Institutionen konsolidierte die durch den Kollaps des Kommunismus und der internationalen Ordnung ausgelösten Transformationsprozesse. Das gilt auch mit Blick auf Teile russischer Eliten, die nach der Auflösung der Sowjetunion mit der Figur eines »nahen Auslands« und einer »natürlichen Einflusszone« spielten und entsprechende Befürchtungen weckten.

Die Osterweiterung wurde richtigerweise flankiert von Bemühungen, auch Russland institutionell einzubinden. Die mit Blick auf Sicherheit, Wohlfahrt und Demokratie in Europa positiven Wirkungen wurden allerdings – bezogen nun auf das Verhältnis zwischen der NATO und Russland, aber auch gegenüber anderen Akteuren in der internationalen Sphäre, ebenso wie NATO-intern – zunehmend konterkariert durch konfrontative Entscheidungen.

Dazu gehörten neben den schon genannten Maßnahmen u.a. die Instrumentalisierung terroristischer Anschläge für eine Politik der Aufrüstung und eine aggressive Interventionspolitik gegen islamische Staaten bei gleichzeitiger massiver politischer wie militärischer Unterstützung extremistisch-gewalttätiger islamistischer Oppositionsgruppen; die faktische Außerkraftsetzung von Rüstungskontrolle und Abrüstung; die sinnlose und kontraproduktive Überreizung der NATO-Osterweiterungspolitik mit der Ukraine und Georgien; die kontraproduktive Unterstützung einer ukrainischen Opposition, die ihrerseits eine Konfrontations- und Eskalationsstrategie verfolgte, um an die Macht zu kommen, und dieses Interesse vor die Interessen und die Sicherheit des eigenen Landes stellte.

Es gab keinen Automatismus, sondern einen Mechanismus der Eskalation, der von den beteiligten Seiten bedient wurde. Und diese Eskalation verdichtete sich zu jenem Trend, der seit Ende der 1990er Jahre um sich griff: die Erosion des Rechts im Kontext konfrontativer Politik.

Das zentrale Problem bestand darin, dass die notwendige Bedingung für eine positive Gestaltung des Erweiterungsprozesses, nämlich eine weitergehende sicherheitspolitische Kooperation zwischen dem Westen und Russland, immer weniger erfüllt wurde. US-Präsident G.W. Bush sen. hatte im Ende des Kalten Krieges keinen Anlass zu Triumphgeheul gesehen, keine willkommene Gelegenheit, um »auf der Mauer zu tanzen«. Ähnlich Bill Clinton. Danach aber gingen Respekt, Sensibilität und die Berücksichtigung der Wahrnehmungen Moskaus ziemlich schnell verloren, wie auch umgekehrt die Sensibilität Moskaus gegenüber den Wahrnehmungen ehemaliger »Satelliten«. Washingtons Radikalität hinsichtlich einer auf wenige Jahre terminierte Transformation des Nahen und Mittleren Ostens, die mit den Kriegen in Afghanistan und Irak in die Wege geleitet werden sollte, entsprach die Rücksichtslosigkeit, mit der Moskauer Einwände beiseite gewischt wurden, und das Tempo, mit der die NATO-Osterweiterung vorangetrieben wurde.

Die NATO wird sich im April als das erfolgreichste Militärbündnis der Weltgeschichte feiern. Dass dies auch intern nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt, zeigen die seit Jahrzehnten andauernden Anstrengungen, eigenständigere europäische Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen zu schaffen. Seit Donald Trump US-Präsident ist, populistische Kräfte in Europa stärker werden und in diversen Fragen gegensätzliche Auffassungen zwischen Allianz-Mitgliedern hervortreten, schwellen diese Stimmen wieder an. Insofern kann der Ruf nach »Europäisierung« auch als Abgesang auf die NATO interpretiert werden.

Selbst wenn Politiker wie Trump, Salvini, Kaczynski und Orban scheitern, abgewählt und durch »normale« Politiker ersetzt werden sollten: Gewissheiten wie noch vor einigen Jahren wird es nicht mehr geben. Und diese fehlende Gewissheit lässt auch eine Einigung Europas in außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen noch schwieriger werden. Gemeinsame Streitkräfte sind eine Vertrauensinvestition in die Zukunft, nämlich dass man auch morgen gemeinsame Werte, Überzeugungen und Interessen teilt und verteidigt. Darauf wird nur mehr bedingt gesetzt.

Eine Paradoxie besteht darin, dass unter diesen Umständen nicht die Europäische Union bzw. die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) oder die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU gestärkt wird, sondern die NATO jene Klammer bleibt, die als kollektive Verteidigungsorganisation nach außen und als kollektive Sicherheitsorganisation nach innen in einem bestimmten Maße wirksam ist – wenn auch weniger als früher. Ohne NATO wäre es aber um die Lage in Europa noch schlechter bestellt.

Fazit: Was ist zu tun?

Weitgehende Einigkeit besteht in der Zielsetzung, dass die Rückkehr zu einem regelbasierten Verhalten der Akteure die Voraussetzung für eine Stabilisierung der Verhältnisse im internationalen Raum ist. Wie soll die Abkehr von konfrontativer Gewaltpolitik und die Beachtung von allgemein verbindlichen Rechtsgrundsätzen bewerkstelligt werden? Aufforderungen an andere, sich an Regeln zu halten, die NATO-Mitglieder selbst nicht achten, nützen nichts. Nur wer Rechtsgrundsätze glaubhaft vertritt, kann legitim und mit Erfolgsaussichten ihre Einhaltung von anderen verlangen.

Hierfür tragen die machtvollsten Akteure auch die größte Verantwortung. Die programmatische Grundlage der NATO ist nach wie vor der Nordatlantikvertrag, und die darin festgelegten Prinzipien sind simultan die Basis für das Handeln einer »verantwortungsbewussten Macht«. Die NATO wird sich nicht neu erfinden. Aber die 70-Jahr-Feier im April 2019 könnte wenigstens von einigen Mitgliedern genutzt werden, um diese Grundsätze als Selbstverpflichtung zu bekräftigen.

Vier Prinzipien des Nordatlantikvertrags sind entscheidend:

1. Die Vorrangigkeit der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen: Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben.“ (Präambel)

2. Die Vorrangigkeit friedlicher Konfliktschlichtung und die Absage an Gewaltandrohung und -ausübung: „Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewalt­androhung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“ (Art. 1)

3. Kollektive militärische Maßnahmen im Verteidigungsfall nur gemäß Art. 51 der VN-Charta: Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.“ (Art. 5)

4. Und schließlich die vorrangige Zuständigkeit des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die Erhaltung des Friedens: „Dieser Vertrag berührt weder die Rechte und Pflichten, welche sich für die Parteien, die Mitglieder der Vereinten Nationen sind, aus deren Satzung ergeben, oder die in erster Linie bestehende Verantwortlichkeit des Sicherheitsrats für die Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit, noch kann er in solcher Weise ausgelegt werden.“ (Art. 7)

Es wäre illusionär zu glauben, dass sich die NATO oder einzelne ihrer Mitglieder einer tiefgreifenden Selbstkritik unterziehen. Für die anderen Akteure im internationalen Raum kommt es auch weniger auf vergangenes als auf gegenwärtiges Denken und Handeln an. Es wäre auch illusionär zu glauben, mit einer solchen Bekräftigung würden Alleingänge einzelner Mitglieder nicht mehr stattfinden. Worum es geht, ist ein kontinuierliches Bemühen um eine Stärkung des Rechtsbewusstseins und eines regelbasierten Agierens im internationalen Raum und um ein Höhersetzen der mentalen Schwellen für nicht regelkonformes Verhalten.

Nach den negativen Erfahrungen mit Gewaltentwicklungen, Rechtsbrüchen und ihren Folgen in den vergangenen zwei Jahrzehnten sowie mit der Unberechenbarkeit einzelner Führungspersönlichkeiten ist ein verstärktes Interesse diverser NATO-Mitglieder erkennbar, in diese Richtung zu gehen. Das Eigeninteresse an einer Stabilisierung der Lage in verschiedenen Regionen der Welt – für die Europäer vor allem im Mittleren und Nahen Osten sowie in Nordafrika – gibt dieser Tendenz Auftrieb.

Was also kann die deutsche Politik tun? Eine kontinuierliche Debatte über die Einhaltung des Rechts in der Außenpolitik, eine ständige Arbeit an der Verbreiterung institutioneller Strukturen für ein multilaterales Konfliktmanagement, Bemühungen um die Ausweitung internationaler Gerichtsbarkeit sowie eine Verbesserung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Welt, um Konfliktursachen einzudämmen, sind ein wesentliches Element verantwortungsbewusster Außen- und Sicherheitspolitik. Ein anderer vorrangiger Aspekt, ohne den ein großer Teil der vorgenannten Anstrengungen ins Leere laufen, ist die Eindämmung des Auf- und Wettrüstens, das eingesetzt hat. Das betrifft nicht zuletzt die NATO.

Hypothetisch könnte die Allianz einen wesentlichen friedenspolitischen Beitrag leisten, würde sie sich, wie ausgeführt, in ihrer eigenen Politik auf ihre Grundsätze besinnen und diese Prinzipien gemeinsam gegenüber anderen vertreten. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre ein Vorstoß in Richtung globale Sicherheitspolitik anlässlich ihres 70-jährigen Bestehens, nämlich eine Einladung an China, Russland und weitere Akteure, in einem fixierten und auf Dauer angelegten Format die Probleme zu erörtern, die die Sicherheit auf regionaler und globaler Ebene betreffen.

Als Ziel einer solchen Bemühung könnte formuliert werden, dass die NATO, China und Russland mit anderen dazu beitragen wollen, Vertrauensbildung zu betreiben, gemeinsam Sicherheitskonzepte zu entwickeln und ihre Ressourcen für mehr Frieden und Sicherheit in der Welt zu bündeln. Die NATO könnte sich sogar auf Donald Trump berufen. Dieser hatte im Dezember 2018 vorgeschlagen, mit China und Russland Rüstungskontrollgespräche zu führen, weil es, wie der Präsident völlig richtig feststellte, „verrückt“ ist, dass die USA in 2018 716 Mrd. Dollar (und, kann hinzugefügt werden, die NATO weit mehr als 1.000 Mrd. Dollar) für Verteidigung ausgaben.

Anmerkung

1) 2017 kam Montenegro dazu.

August Pradetto ist Professor emeritus für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Hybrides Kommando


Hybrides Kommando

Das neue Komando »Cyber- und Informationsraum« der Bundeswehr

von Christoph Marischka

Cyber-Themen sind längst auf allen Ebenen angekommen, auch in der Außen- und Verteidigungspolitik. Die Bundesregierung verabschiedete 2016 eine »Cyber-Sicherheitsstrategie«, damit „[d]ie Handlungsfähigkeit und Souveränität Deutschlands […] auch im Zeitalter der Digitalisierung gewährleistet“ bleibt. Ein wichtiges Element dieser Strategie ist die „Positionierung Deutschlands in der europäischen und internationalen Cyber-Sicherheitspolitik“. Dazu will die Regierung z.B. „[d]ie Cyber-Verteidigungspolitik der NATO weiterentwickeln“ (Zitate von auswärtiges-amt.de). Keineswegs beschränkt sich die Regierung aber auf eine »Cyber-Außenpolitik«, vielmehr hat das Arbeitsfeld auch bei der Bundeswehr hohe Priorität.

Ein Denkmal hat sich die in der zweiten Legislaturperiode amtierende Verteidigungsministerin von der Leyen auf jeden Fall gesetzt: Mit der Abteilung Cyber- und Informationsraum (CIR) im Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) und einem identisch benannten Kommando in Bonn wurde de facto eine neue »Teilstreitkraft« der Bundeswehr ins Leben gerufen, auch wenn dieser Begriff im deutschen Diskurs gerne gemieden wird. Mit einem eigenen Inspekteur, der dem Kommando vorsteht, ist dieser Organisationsbereich den Teilstreitkräften Heer, Marine und Luftwaffe sowie der Streitkräftebasis und dem Sanitätsdienst gleichgestellt. Entsprechend erklärte von der Leyen den „Cyber- und Informationsraum“ anlässlich der Aufstellung des neuen Kommandos „neben Land, Luft, See und Weltraum“ nicht nur zur „sicherheitspolitische[n] Domäne“, sondern auch zum neuen „Operationsraum für die Bundeswehr“.1 Mit einer Zielgröße von 15.000 militärischen und zivilen Dienstposten liegt die neue Teilstreitkraft auch im Umfang nur knapp hinter dem der Deutschen Marine.

Dabei handelte es sich in einem ersten Schritt vor allem um eine Umstrukturierung. Im Tagesbefehl vom 17. September 2015, mit dem ein Aufbaustab für das neue Kommando ins Leben gerufen wurde, schrieb von der Leyen: „Die Bundeswehr hat bereits gute Fähigkeiten im Cyber-Raum und in der Informationstechnologie (IT) – diese sind aber organisatorisch verstreut.“ Die etwa 13.700 Dienstposten, die dem neuen Kommando zum 30. Juni 2017 unterstellt wurden, setzten sich fast ausschließlich aus den bereits bestehenden Truppengattungen Fernmeldetruppen, elektronische Kampfführung (EloKa), Geoinformationswesen und Operative Kommunikation zusammen. Entsprechend wurden dem Kommando etwa 5.500 Dienstposten aus dem Bereich Militärisches Nachrichtenwesen, 5.500 aus der IT-Cybersecurity, 650 vom Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr und 850 Dienstposten für Operative Kommunikation zugeordnet.2 Das Kommando selbst besteht zunächst aus 260 Dienstposten, bis spätestens 2023 sollen es jedoch 700-800 werden.

Eine Besonderheit des Organisationsbereiches CIR besteht darin, dass der entsprechenden Abteilung im BMVg (nicht aber dem Kommando CIR) auch die unternehmerische Steuerung der BWI GmbH mit 3.500 bis 4.000 Mitarbeiter*innen obliegt. Die BWI GmbH wurde 2006 von der Bundeswehr gemeinsam mit den Firmen Siemens und IBM gegründet und führte als Öffentlich-Private Partnerschaft die Modernisierung und Vereinheitlichung der »nicht-militärischen« Informationstechnologie der Bundeswehr durch. Seit 2016 befindet sie sich im alleinigen Besitz des Bundes und ist für den Betrieb der »weißen« (»nicht-militärischen« in Abgrenzung zur »grünen«) IT der Bundeswehr zuständig. Laut Wikipedia betreut sie bundesweit rund 1.200 Liegenschaften der Bundeswehr und betreibt u.a. drei zentrale Rechenzentren und 25 Servicecenter. An etwa 90 Standorten der Bundeswehr ist die GmbH dauerhaft präsent, an zentralen Liegenschaften des Organisationsbereichs CIR sogar sehr umfangreich, in Rheinbach etwa mit 200 Mitarbeiter*innen. „Eine Tendenz zur Hybridisierung der Verteidigung – im Verständnis zivil/militärisch – ist“ für die Bundesregierung dennoch „nicht erkennbar“.3

Die Aufgaben des Kommandos CIR

Dem Kommando CIR unterstehen das Kommando Informationstechnik, das Kommando Strategische Aufklärung sowie das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr.

Das Kommando Informationstechnik führt vor allem die recht gleichmäßig über die Bundesrepublik verteilten Informationstechnikbataillone, die für den Betrieb sicherer Kommunikationsverbindungen in Deutschland, in den Einsatzländern und zwischen den hiesigen Stäben und den Kräften im Einsatz zuständig sind (militärisch werden diese Aufgaben auch als »Führungsunterstützung« bezeichnet). Während die Kommunikation der Bundeswehr in der Vergangenheit überwiegend auf Kabel- und Richtfunknetzen basierte, haben mit der »Einsatzorientierung« wesentlich verwundbarere und angreifbarere Satellitenverbindungen an Bedeutung gewonnen. „Von Kabelbaukräften zu IT-Spezialisten“ übertitelte kreisbote.de sein Portrait des Informationstechnikbataillons 293 in Murnau im Grunde recht treffend.

In dem Artikel wird auch deutlich, dass gerade diese Truppengattung – wenn auch meist mit kleineren Kontingenten – umfangreich an Auslandseinsätzen beteiligt ist. So heißt es alleine zum Murnauer Bataillon im bereits angesprochenen Portrait vom April 2018: „Die Abstellung von zirka 80 Soldaten nach Bosnien-Herzegowina bildete 1999 den Auftakt für die in den folgenden Jahren anstehenden, größeren Auslandseinsätze des Bataillons. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt leisten Murnauer Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst in Mali, im Irak, Afghanistan, Kosovo und Litauen.“4

Neben den Informationstechnikbataillonen unterstehen dem Kommando Informationstechnik auch mehrere Dienstposten, die aus dem ehemaligen Beschaffungsamt der Bundeswehr herausgelöst wurden, das zuvor bereits in »Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr« umbenannt wurde.

Deutlich vielfältiger sind die Aufgaben des Kommandos Strategische Aufklärung, das wesentliche Komponenten des militärischen Nachrichtenwesens umfasst und einen klaren räumlichen Schwerpunkt südlich von Bonn aufweist. Der Standort des Kommandos befindet sich recht versteckt in einem Industriegebiet bei Gelsdorf, südlich des Autobahnkreuzes Meckenheim. Hier befand sich bis 2007 das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr – eine rein militärische Parallelstruktur zum BND –, das mit seinem Bekanntwerden aufgelöst bzw. in das Kommando Strategische Aufklärung umgewandelt wurde.

Das Kommando führt u.a. die Bataillone für Elektronische Kampfführung. Diese haben die Aufgabe, gegnerische Kommunikationsnetze aufzuklären, abzuhören und zu stören.

Auch das Zentrum Cyberoperationen in Rheinbach untersteht dem Kommando Strategische Aufklärung und erfüllt auf der Ebene der Software ähnliche Funktionen wie die elektronische Kampfführung auf der Ebene der Hardware, stützt sich dabei jedoch stärker auf zivile Infrastruktur und Technologie. In Rheinbach befindet sich eine Einheit mit etwa 80 Kräften, die am ehesten dem Bild einer Hacker-Truppe entspricht und tatsächlich auch schon mit offensiven Cyber-Operationen beauftragt wurde – bekannt wurde ein Angriff auf das afghanische Mobilfunknetz zum Zwecke der Informationsgewinnung. Potentiell bestehen dort jedoch auch Kapazitäten und Fähigkeiten, um »gegnerische« IT-Systeme zu stören oder für Angriffe zu nutzen.

Auf den ersten Blick irritierend, wird auch das Zentrum für Operative Kommunikation in Mayen vom Kommando für Strategische Aufklärung geführt. Dessen Aufgaben bestehen in dem, was landläufig als »Propaganda« bezeichnet wird und von der Bundeswehr selbst in der Vergangenheit »Psychologische Kampfführung« genannt wurde. Zwar wird immer wieder behauptet, die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit wissenschaftlichen (oft aber auch sehr banalen) Methoden sei auf gegnerische Kräfte und die Bevölkerung in den Einsatzgebieten beschränkt, in der Praxis jedoch erweisen sich die Übergänge als fließend: So gehört zur Operativen Kommunikation auch der Betrieb des eigens für die Truppe bestehenden »Radio Andernach« sowie des Fernsehsenders BwTV. Die Aufnahmen der Einsatzkameratrupps des Zentrums für Operative Kommunikation sind formal für die militärische Führungsebene bestimmt, finden in der Praxis jedoch – nach vorangegangener Freigabe – immer wieder ihren Weg in Publikationen des BMVg und auch in Produktionen öffentlicher und privater Sendeanstalten.

Das Zentrum für Geoinformationswesen in Euskirchen wiederum untersteht direkt dem Kommando CIR. Hier werden u.a. Satellitenaufnahmen aufbereitet und für die Führungs- und Einsatzkräften bereitgestellt. Die Bezeichnung der Einrichtung lässt eine historische Fixierung des Militärs auf Karten und die Abbildende Aufklärung vermuten, tatsächlich werden hier allerdings viele Daten verarbeitet, die aus anderen Quellen stammen. U.a. beschäftigt das Zentrum für Geoinformationswesen Ethnolog*innen, die zuvor als Interkulturelle Einsatzberater*innen oder im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Ausland im Einsatz waren. In seiner Selbstdarstellung zitiert das Zentrum Majorin Eva Kaufung, eine Geografin, mit der Aussage: „natürlich [sind] auch Informationen wichtig, wie stark die Gegend besiedelt ist, welche Ethnien sind im Land beheimatet oder welche Gesundheitsgefährdungen durch Krankheiten oder Tiere existieren“.5 Entsprechend wird von der Einrichtung gemeinsam mit zivilen Wissenschaftler*innen und Hochschulen stets an der verbesserten Aufarbeitung und Darstellung von Daten auf zunehmend interaktiven Karten gearbeitet.

Weitere Komponenten: Marktsichtung, Aus- und Fortbildung

Neben den operativen Aufgaben hat der Organisationsbereich weitere Komponenten, die sich insbesondere mit Strategie und Planung, Personalgewinnung, Aus- und Fortbildung sowie technologischen Innovationen beschäftigen und überwiegend von der Abteilung CIR im BMVg erbracht werden.

Zu deren Aufgaben gehört es, beständig den Markt für innovative Dienstleistungen und Technologien zu beobachten und diese auf ihre militärische Relevanz zu überprüfen sowie selbst entsprechende Forschung anzustoßen. Hierzu wurde u.a. ein »Cyber Innovation Hub« der Bundeswehr geschaffen, der als „Schnittstelle zwischen Startup-Szene und Bundeswehr“ fungieren soll.6 „Wir warten nicht, bis sich ein Start-up bei uns meldet. Wir suchen ganz aktiv die neuen disruptiven Technologien“, so von der Leyen anlässlich der Indienststellung des Kommandos CIR.7

Ende August 2018 gab die Bundesregierung darüber hinaus die Gründung zweier Forschungsagenturen bekannt: einer »Agentur für Innovation in der Cybersicherheit« unter gemeinsamer Steuerung des Verteidigungs- und des Bundesinnenministeriums sowie eine »Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen«. Als Vorbild für beide Agenturen gilt die Forschungsbehörde DARPA des US-Verteidigungsministeriums, wofür auch die Begründung spricht, die von der Leyen für deren „flexible Struktur“ abgibt: „[W]ir müssen viel schneller sein, wir müssen rausgehen, wir müssen die Startups suchen, die spannende Technologien entwickeln, von denen wir noch nicht wissen, ob sie erfolgreich sein werden[,] und dann werden wir die, die wir interessant finden[,] fördern, wissend, dass ein Großteil vielleicht nicht funktioniert und dann in den Sand gesetzt wird, aber es braucht nur ein goldenes Ei, also eine Technologie, die dann wirklich bahnbrechend ist, dann hat man schon die Investition wieder raus.“8

Eigene Forschungsprojekte im Bereich der Informationstechnik gab und gibt das BMVg u.a. am Deutsch-Französischen Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL), dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und bei verschiedenen Fraunhofer-Instituten in Auftrag, insbesondere bei den Fraunhofer-Instituten FHR und FKIE auf dem Wachtberg bei Bonn, die an das Netz der Bundeswehr angeschlossen sind und über eine „aktive Daten-Direkt-Verbindung“ nach Euskirchen verfügen, die als „Anbindung des Fraunhofer-Instituts FKIE an die Simulations- und Testumgebung der Bundeswehr“ dient.9

Als besondere »Herausforderung« für den neuen Organisationsbereich galt von Anbeginn der Planung die Gewinnung und Ausbildung des geeigneten Personals. Als Ziel wurde ausgegeben, »Spitzenkräfte« bzw. die »klügsten Köpfe“ zu gewinnen, was jedoch durch die starren Karrierestrukturen und Besoldungsstufen bei der Bundeswehr erschwert sei, da man mit den hohen Löhnen in der freien Wirtschaft schwer konkurrieren könne. Zur Ausbildung eigenen Personals wurde u.a. ein Studiengang »Cyber-Sicherheit« an der Universität der Bundeswehr in München mit elf neuen Professuren und mehreren Laboren in einem eigens errichteten Hochsicherheitsgebäude geschaffen, das ab 2018 jährlich 70 Absolvent*innen hervorbringen soll. Außerdem hat die Bundeswehr u.a. mit den Hochschulen Bremen und Bonn-Rhein-Sieg Kooperationsabkommen geschlossen, die in den jeweiligen Studiengängen (Frauenstudiengang Informatik bzw. Dualer Studiengang Informatik mit Schwerpunkt Informationssicherheit) ein Kontingent an Plätzen für die Bundeswehr reservieren.

Unter dem Arbeitstitel Cyber-Reserve“ ist außerdem vorgesehen, „Freiwillige, Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sowie bislang Ungediente aus der gewerblichen IT-Wirtschaft, einschlägigen MINT-Berufen oder ähnlichen Professionen […], die über Spezialisten-Ausbildungen oder herausragende Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen in einschlägigen IT-Bereichen bzw. IT-Funktionen verfügen“, zu integrieren.10 Neben Aufträgen an Unternehmen und Start-ups wolle die Bundeswehr „die richtig harten Nerds, die sich in den Tiefen der Internet-Protokolle auskennen, mit Beraterverträgen an die Bundeswehr binden“. Die „Stars der Branche“ sollten „nicht Soldat werden müssen, um für die Cybertruppe zu arbeiten“, so das ZDF Ende August 2018. Weiter heißt es in dem Bericht: „Ungefähr 8.000 IT-Fachkräfte muss die Bundeswehr innerhalb der nächsten Zeit am freien Markt einkaufen.“11 Diese Zahl erscheint angesichts einer Zielgröße des CIR von 15.000 Dienstposten, von denen über 13.000 bereits besetzt sind, bemerkenswert hoch. So oder so ist davon auszugehen, dass die Cybertruppe weit mehr als die anderen Teilstreitkräfte auf privatwirtschaftliche Kooperationen und private Angestellte setzen wird.

Hybride Strukturen für einen hybriden Raum

Während man bei den Richtfunknetzen der Bundeswehr womöglich noch von einer rein militärischen Kommunikationsinfrastruktur sprechen kann, stützt sich bereits die kabelgebundene Kommunikation der Bundeswehr überwiegend auf zivile Infrastruktur. Als Ergänzung zur Satellitenkommunika­tion über das System SATCOMBw, das teilweise von privaten Angestellten des DLR betrieben wird, kauft das BMVg zusätzliche Bandbreite bei zivilen Anbietern, deren Satelliten damit (wie etwa auch die Trans­atlantikkabel) zu einer zentralen militärischen Infrastruktur und im Kriegsfalle somit auch zu Zielen werden. Die »Verteidigung« der Kommunikationsstruktur der Bundeswehr lässt sich deshalb auch im Friedensfall nicht auf rein militärische Komponenten beschränken, sondern zielt zwangsläufig auf den gesamten »Cyberraum«.

Völlig undurchsichtig und offenbar nicht geklärt ist entsprechend die Aufgabenteilung zwischen zivilen Institutionen der Cybersicherheit und der Cyber-Truppe der Bundeswehr. Tatsächlich lassen sich Cyberkriminalität und Cyberkriegführung in der Praxis kaum unterscheiden – was auch daran liegt, dass (auch) anderen Staaten zumindest unterstellt wird, für Cyber-Angriffe auf privatwirtschaftliche Netzwerke und Unternehmen zurückzugreifen. Bei vielen dieser »Angriffe«, die häufig in unfassbar hohen Zahlen angegeben werden (z.B. „Bundeswehr zählt zwei Millionen Hackerangriffe [im Jahr 2017]“; waz-online.de vom 23.3.2018) handelt es sich tatsächlich um jenes »Abtasten«, also Suchen nach Schwachstellen, das künftig auch die Bundeswehr vornehmen muss, um sich – wie im »Weißbuch« der Bundeswehr von 2016 vorgesehen – auch auf offensive Cyber-Operationen vorzubereiten. Wie wir sehen, verschwimmen im Cyber- und Informationsraum also zunehmend die Grenzen zwischen Frieden, Krieg und Verteidigungsfall.12

Dies gilt umso mehr, als u.a. mit dem Zentrum für Operative Kommunikation auch Komponenten in den Organisationsbereich CIR aufgenommen wurden, die den öffentlichen Diskurs betreffen. Eine klare Abgrenzung zum »Informationsraum« findet hier ebenfalls nicht statt, wodurch selbst die veröffentlichte Meinung zum „Operationsraum der Bundeswehr“ wird.13 In dieser Domäne wähnt sich zumindest die EU bereits im Krieg. So forderte das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 23. November 2016, die „Anerkennung und Enthüllung des russischen Desinformations- und Propagandakriegs“ als „integrale[n] Bestandteil der hybriden Kriegsführung“. Als Konsequenz wurden die Mitgliedsstaaten u.a. aufgefordert, feindliche Informationsmaßnahmen, die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführt werden oder darauf abzielen, ihre Interessen zu untergraben, aktiv, vorbeugend und gemeinsam zu bekämpfen“.14

Angesichts dieser hybriden Auffassung des Informationsraums zwischen ziviler und militärischer Infrastruktur, zwischen Kriminalität, Angriff und Verteidigung(sfall), zwischen Elektronischer Kampfführung, militärischem Nachrichtenwesen und öffentlicher Meinung überrascht es wenig, dass auch die für diesen »Operationsraum« geschaffene Struktur des BMVg mit der Einbindung ziviler Hochschulen, Forschungsinstitute und -agenturen, mit der engen Zusammenarbeit mit Unternehmen und einer auf Beraterverträgen basierenden »Cyber-Reserve« einen sehr hybriden Charakter aufweist. Ob und wann auch zivile Einzelpersonen und z.B. Organisationen der Friedensforschung Gegenstand der Operationsführung des Kommandos CIR werden, ist gegenwärtig nicht absehbar, aber keineswegs auszuschließen.

Anmerkungen

1) Aufstellung Kommando Cyber- und Informationsraum – KdoCIR – der Bundeswehr. Europäische Sicherheit und Technik, 5.4.2017; esut.de. Die Formulierung der Ministerin lässt offen, ob sie den Weltraum ebenfalls nur als eine »sicherheitspolitische Domäne« oder auch als einen »Operationsraum der Bundeswehr« versteht.

2) Ebd.

3) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Christine Buchholz, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE »Strukturen des Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen«. BT-Drucksache 18/12277 vom 9.5.2017.

4) Max-Joseph Kronenbitter: Das Informationstechnikbataillon 293 in Murnau feiert den 60. Geburtstag. kreisbote.de, 17.4.2018.

5) Meldung »Geofaktoren analysieren, beschreiben und bewerten« auf cir.bundeswehr.de, 28.3.2018.

6) Seite »Cyber Innovation Hub« auf bmvg.de; ohne Datum.

7) Meldung »Aufstellung Kommando CIR: Ein Meilenstein deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik« auf bmvg.de, 5.4.2017.

8) Sendung »Streitkräfte und Strategien« des NDR, 28.7.2018 (Sendungsmanuskript).

9) BT-Drucksache 18/12277, op.cit.

10) BMVg (2017): Abschlussbericht Aufbaustab Cyber- und Informationsraum. April 2017.

11) Peter Welchering: Cyber-Nerds verändern die Armee. zdf.de, 30.8.2018.

12) Siehe dazu ausführlich Ingo Ruhmann (2018): Wachsendes Ungleichgewicht – Cyberrüstung und zivile IT-Sicherheit. W&F-Dossier 86, Mai 2018.

13) So erläuterte die damals verantwortliche Staatssekretärin Karin Suder 2015 die „Rolle von Cyber“ in Hinblick auf die geplante Aufstellung des neuen Organisationsbereichs CIR anhand der Aktivitäten des „Islamischen Staates, der sich [sic!] unter anderem mit Hilfe modernster Kommunikationsmittel, Netzwerke, soziale Medien, junge Menschen rekrutiert, informiert, aktiviert und damit eine Terrorherrschaft auch aufgrund dieser modernen Kommunikationsmittel bisher unbekannten Ausmaßes etablieren konnte“ (Sendung »Streitkräfte und Strategien« des NDR, 17.10.2015, Sendungsmanuskript). Damit wurde deutlich, dass zumindest potentiell durch das Kommando CIR auch der Zugang von Akteuren zu zivilen Medien und zum allgemeinen Diskurs reguliert werden soll.

14) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. November 2016 zum Thema »Strategische Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken«. Dokument 2016/2030(INI).

Christoph Marischka ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind u.a. die Forschungs- und Technologiepolitik der Bundeswehr.

Lebensadern des Cyberkriegs


Lebensadern des Cyberkriegs

von Ingo Ruhmann und Ute Bernhardt

Die Manipulation unserer IT-Infrastrukturen aus Hardware, Software und Netzwerken durch Militärs, Geheimdienste und deren Söldner ist zum Element des digitalen Alltags geworden. Für die Betroffenen ist es völlig egal, ob wir dies als Cyberkrieg bezeichnen oder diplomatischer als transnationale staatliche Computereingriffe (intrusion) „ohne Einwilligung betroffener Staaten zu Zwecken der Überwachung, Spionage oder Cyberoperationen in Zeiten des Friedens oder der Spannungen“.1 Für den Alltag wichtig ist die Frage, wie sich diese Eingriffe eindämmen und möglichst verhindern lassen. Wer dies als Ziel verfolgt, muss zuerst klären, womit wir es zu tun haben – und das nicht nur auf der Handlungsebene, sondern auf der Ebene der Infrastrukturen, der Lebensadern des Cyberwar.

Computermanipulationen werden im Allgemeinen primär auf der Wissens- und Handlungsebene betrachtet. Für Angreifer wie Betroffene hat das Handlungswissen eine wesentliche Rolle, als Infrastruktur werden nur Computer und Internetverbindungen betrachtet. Dabei sind im Sinne der IT-Sicherheit die operativen Elemente der Cyberkriegsführung zu unterscheiden vom Hacken. Die Cyberkriegsführung verfolgt spezifische Ziele gemäß einer definierten Doktrin, die Akteure verfügen über spezifische Ressourcen, und die Cyberkriegsführung verbleibt nicht im Digitalen, sondern geht auch mit physischen Operationsformen einher. Sowohl die Ziele als auch die exorbitanten personellen und vor allem materiellen Ressourcen, die für die Cyberkriegsführung heute aufgewandt werden,2 lassen sich an Infrastrukturen – »Lebensadern« – festmachen. Aus diesen Lebensadern ergeben sich Ansatzpunkte für Gegenstrategien, was schon elementarste Ebenen zeigen.

Kritische Infrastrukturen der Zivilgesellschaft

Beginnen wollen wir mit dem Offensichtlichen: den zivilen Infrastrukturen. In den 1990er Jahren wurde aufgearbeitet, welche Eingriffe in zivile Netzwerke zu »kritischen« Ausfällen lebenswichtiger Versorgungssysteme der Zivilgesellschaft führen würden. Diese Versorgungssysteme betreffen die Sektoren Energie, Wasser, Telekommunikation, Gesundheit, Ernährung, Logistik und das Finanzsystem, aber auch die staatliche Verwaltung. Ihre »Kritischen Informationstechnischen Systeme« (KRITIS) gelten als primäre Ziele von Cyberangriffen und sind in besonderer Weise zu schützen. Nach über 20 Jahren der Diskussion in Deutschland regelt das IT-Sicherheitsgesetz nun technische Vorgaben und Meldepflichten.

Schon diese Sicht auf physische, logische und organisatorische Infrastrukturen, ihre Spezifika und die entsprechende Risikoanalyse ermöglicht Handlungs- und Schutzstrategien sowie rechtliche Vorgaben. Wären die Infrastrukturen des Cyberkrieges bekannt, ließen sich ebenfalls Reaktionsstrategien entwickeln. Der Schutz kritischer Infrastrukturen ist jedoch allein auf zivile Infrastrukturen gerichtet. Systematisch ausgeblendet werden damit jene militärischen und geheimdienstlichen IT-Infrastrukturen, die das Hochwert-Ziel jedes Angreifers darstellen. Genauso wie KRITIS für die Zivilgesellschaft, gibt es für militärische und geheimdienstliche Akteure schützenwerte Infrastrukturen, die der militärischen Operationsführung dienen. Besonders interessant sind die Infrastrukturen für offensive und defensive Cyber-Operationen.

Nervenbahnen für Kommando und Kontrolle – militärische Infrastrukturen

Ein Ziel der elektronischen Kriegsführung – in der Bundeswehrsprache: Fernmelde- und Elektronischer Kampf (Eloka)3 – ist es, die Kommunikationsinfrastrukturen potentieller Gegner lückenlos zu erfassen. Viele Werkzeuge werden seit Jahrzehnten rund um die Uhr eingesetzt und sind ein operativer Teil der heutigen Cyberkriegs-Infrastruktur. Sichtbar ist das bei jenen militärischen Anlagen, die als Antennen-Installationen in Sperrgebieten aus der Umgebung und selbst auf Satellitenbildern gängiger Suchmaschinen unübersehbar sind, wie das monströse Rechenzentrum des US-Spionagegeheimdienstes NSA mit fast zehntausend Quadratmetern Fläche nur für die IT plus achtzigtausend Quadratmetern für Kühlung und Energieversorgung.

Telekommunikationsunternehmen sind ebenfalls in diese Infrastrukturen eingebunden. Das Post- und Telekommunikationssicherstellungsgesetz schrieb ihnen bis vor wenigen Jahren sogar noch bauliche Maßnahmen, wie das Verbunkern, vor „zum Schutz von Anlagen zur Aufrechterhaltung des Betriebes auch während unmittelbarer Kampfeinwirkungen“.4 Mit dem Projekt HERKULES verfügt die Bundeswehr nun wie andere Armeen über ein Weitverkehrs-Datennetz unter eigener Kontrolle.5

Diese Infrastrukturen sind die Nervenbahnen militärischer Kommandoausübung. Sie unbrauchbar zu machen, bedeutet das Ende koordinierter Militäroperationen. Daher gehört zu den sensibelsten Teilen der Infrastruktur einerseits der Schutz der physischen Infra­struktur internationaler Datennetze, andererseits deren Überwachung. Im britischen Menwith Hill,6 im bayerischen Bad Aibling7 oder im baden-württembergischen Rheinhausen8 wird die Überwachung der Satellitenkommunikation sichtbar. Weniger sichtbar ist, dass seit der Jahrtausendwende U-Boote der USA auch an den unterseeisch verlegten Glasfaserkabeln horchen;9 russische Boote haben nachgezogen.10

Verborgene Lebensadern

Neben diesen Lebensadern des Cyberkrieges existieren digitale Infrastrukturen, die schwerer zu identifizieren und bei denen die physische Existenz und logische Funktion nur mit größerem Aufwand zu ermitteln sind.

Glasfasernetze haben auch die Infrastruktur der Überwachung verändert. Der Deutsche Central Internet Exchange De-CIX in Frankfurt ist der weltweit größte Internetknoten zur Übergabe von Daten zwischen verschiedenen Providern. Der Bundesnachrichtendienst (BND) und zuvor die NSA haben sich dort Anschluss verschafft, die Klage des Betreibers dagegen blieb 2018 erfolglos.11 Vergleichbare Einrichtungen zur Überwachung und Ableitung des durch die USA laufenden Datenverkehrs sind bekannt. Seit 2003 hat die NSA Verträge mit Providern geschlossen.12 Für die Filterung der enormen Datenmengen aus der Überwachung des Datenverkehrs werden Rechenkapazitäten vor Ort benötigt. Unterlagen der NSA zufolge besteht diese heimliche Infrastruktur aus trutzigen Gebäude inmitten jener acht Städte in den USA, in denen es einen direkten Zugang zu den großen Internet-Backbones gibt.13 Von dort aus wird der gefilterte Datenverkehr zu Rechenzentren der NSA geleitet.

Auch andere Infrastrukturen sind sichtbar, ihre Bedeutung aber schwer zu erkennen. Seit Jahren war für IT-Fachleute rätselhaft, welch riesigen Datenmengen über bestimmte Datenleitungen im Stuttgarter Raum abgewickelt wurden, obwohl nur eine kleine Signals-Intelligence-Einheit der U.S. Army angeschlossen war. Durch die Snowden-Enthüllungen wurde klar, dass Stuttgart-Vaihingen einer von weltweit nur drei Übergangsknoten für das NSA-Programm TRANSGRESSION ist.14 Das auffällige Datenvolumen resultiert daraus, dass sich die NSA bei ihren gegnerischen Cyberkriegs-Akteuren einhackt, deren Werkzeuge und Zugänge zu Infrastrukturen in andern Ländern stiehlt und die erbeuteten Daten über Vaihingen in die USA übermittelt. So operiert nicht nur die NSA. Sie erbeutet bei diesen Raubzügen auch Daten, die von den Gegnern von dritter und vierter Seite gesammelt wurden. Solche Operationen machen klar, welch detaillierte Kenntnisse die großen Cyberkriegs-Akteure in West, Ost und Fernost von ihren jeweiligen Gegnern und ihren Infrastrukturen haben.

Der Lebenssaft in den Lebensadern: Software

Zu den bisher skizzierten Lebensadern des Cyberkrieges kommt der »Lebenssaft« in diesen Adern: die Software. Cyberkriegs-Akteure profitieren von den sich trotz aller Veränderungen immer wieder herausbildenden Software-Monokulturen. Das sind vor allem dominante Betriebssysteme und die gängigste darauf laufende Anwendungssoftware. Die noch unveröffentlichten Sicherheitslücken darin – »zero-day exploits« – sind Einfallstore für Angriffe. Dafür hat sich ein Millionenmarkt etabliert, den Cyberkriegs-Akteure anfachen, statt dafür zu sorgen, dass die Sicherheitslücken bekannt und geschlossen werden. Die NSA sammelt seit den 1980er Jahren in weltweit verteilten Datenbanken alle ihr bekannt werdenden Schwachstellen möglichst vieler IT-Systeme, um mit diesem Wissen mit den heutigen Cyberkriegs-Werkzeugen, wie XkeyScore, beliebige Computer automatisiert und ohne Fachkenntnisse der Bearbeiter anzugreifen und zu übernehmen.15

Software-Monokulturen und die Detailkenntnis physischer Infrastrukturen erlauben unmöglich scheinende Angriffsformen. Im »Quantum«-Programm haben US-Dienste Werkzeuge entwickelt, um die von nur wenigen Herstellern produzierten Telekommunikationsknoten mit »Implantaten« zu versehen und sie unter eigene Kontrolle zu bringen. Ziel ist es bei diesem Programm nicht, das Netz abzuschalten, sondern die Kommunikation von Angriffsopfern selektiv zu manipulieren. Das Implantat auf dem gekaperten Netzknoten fängt automatisiert den Datenverkehr zum Zielsystem ab und ersetzt ihn durch manipulierte Datenpakete. Die Reaktionsgeschwindigkeit in Sekundenbruchteilen setzt voraus, Netzknoten nahe am Operationsziel zu kapern.16 Damit gelang der NSA der Angriff auf die Rechner der EU-Kommission über deren Provider Belgacom.

In Lebensadern denken: Was sind die Infrastrukturen des Cyberkrieges?

Es liegt in der Logik der Sache, dass die Cyberkriegs-Akteure die zivilen und militärischen Infrastrukturen ihrer Gegner ausspionieren und manipulieren. Das TRANSGRESSION-Programm der NSA und die gegenseitigen Raubzüge der Cyberkrieger zeigen, wie gut die Akteure sich gegenseitig und ihre Infrastrukturen kennen. Schon dies widerlegt den Irrglauben, gegen Cyberkrieg sei nichts auszurichten, weil die Akteure und ihre Infrastrukturen unbekannt seien. Sie kennen auch unsere zivilen Infra­strukturen. Wir aber nicht ihre. Das ist fahrlässig. Denn wer als Provider weiß, dass spezifische Datenleitungen einen zentralen NSA-Übergabeknoten anbinden und damit primäres Cyberkriegs-Ziel sind, wird für seine zivilen Kunden nach Alternativen suchen.

Es geht aber um mehr: Cyberkriegs-Akteure aus Russland, der Volksrepublik China und den USA gehen davon aus, dass die jeweils andere Seite »Implantate« in den kritischen Infrastrukturen installiert hat, um diese bei Bedarf zusammenbrechen zu lassen. Für die US-Seite sei der Erhalt solcher Implantate in anderen Staaten Vorbedingung zum IT-Sicherheits-Abkommen mit China gewesen.17 Die Friedensbewegung hat in der Vergangenheit Atomwaffenlager als militärische Infrastruktur oder Sprengkammern in Brückenbauwerken zur Zerstörung ziviler Infrastruktur zur Kenntnis gebracht. Heute geht es darum, die Infrastrukturen des Cyberkriegs aufzuklären und die Risiken durch eine Vernetzung militärischer mit zivilen IT-Infrastrukturen zu reduzieren.

Es geht letztlich darum, Cyberkrieg für die Rüstungskontrolle und internationale Kooperation fassbar zu machen. Es reicht nicht mehr aus, dass das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI Truppenstärken, Atomwaffenarsenale und Ausgaben für die konventionelle Rüstung ermittelt. Wir haben aufgezeigt, dass sich die materiellen und personellen Ressourcen der Cyberkriegs-Akteure ermitteln lassen.18

Die Infrastrukturen des Cyberkriegs sind ein Gegenstand für Rüstungskon­trolle. Die Kenntnis der Infrastrukturen ist auch ein Ansatzpunkt für internationale Kooperation als Gegenmodell zum heutigen Cyberkrieg – jeder gegen jeden. Wir sollten lernen, die Lebensadern des Cyberkriegs zu erkennen und systematisch zu erheben. Dieses Wissen lässt sich nutzen, um die Folgen des Cyberkrieges abzumildern oder Cyberkonflikte zu verhindern. Für diese Aufgabe liegen genügend Daten vor.

Anmerkungen

1) Militärische Definition von »Intrusion« in: U.S. Vice Chairman of the Joint Chiefs of Staff (2010): Joint Terminology for Cyberspace Operations. Washington.

2) Vgl. Ruhmann, I. (2018): Aufrüstung im Cyberspace – Staatliche Hacker und zivile IT-Sicherheit im Ungleichgewicht. W&F-Dossier Nr. 79, S. 12-16.
Ders. (2015): Wachsendes Ungleichgewicht – Cyberrüstung und zivile IT-Sicherheit. W&F-Dossier Nr. 86.

3) Siehe die gute Aufbereitung in: Piper, G. (2014): EloKa – die Abhörtruppe der Bundeswehr. telepolis, 9.8.2014.

4) Post- und Telekommunikationssicherstellungsgesetz §9, BGBl. I, vom 14. September 1994, S. 2325, 2378.

5) BWI GmbH (2010): Bundeswehr-Sondernetze jetzt in das neue Weitverkehrsnetz integriert. Pressemeldung vom 28.9.2010.

6) Gallagher, R. (2016): Inside Menwith Hill. The Intercept, 6.9.2016.

7) Meister, A (2016): Geheimer Prüfbericht – Der BND bricht dutzendfach Gesetz und Verfassung – allein in Bad Aibling. netzpolitik.org, 1.9.2016.

8) SIR/dpa (2014): BND lüftet Geheimnis um Abhöranlage. Stuttgarter Nachrichten, 6.6.2014.

9) Meister, A. (2013): Glasfaserkabel und Spio­nage-U-Boote – Wie die NSA die Nervenzentren der Internet-Kommunikation anzapft. ­Netzpolitik.org, 20.6.2013.

10) Michael Birnbaum (2017): Russian submarines are prowling around vital undersea cables – It’s making NATO nervous. Washington Post, 22.12.2017.

11) Pressemitteilung Nr. 38 des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.5.2018.

12) Timberg, C.; Nakashima, E. (2013): Agreements with private companies protect U.S. access to cables’ data for surveillance. The ­Washington Post, 6.7.2013.

13) Gallagher, R.; Moltke, H. (2018): The Wiretap Rooms – The NSA’s Hidden Spy Hubs in Eight U.S. Cities. The Intercept, 25.6.2018.

14) So die Angaben aus der NSA-Präsentation in Spiegel Online auf spiegel.de/media/media-35685.pdf , Folie 5.

15) Vgl. Bernhardt, U.; Ruhmann, I. (2014): Information Warfare und Informationsgesellschaft – Zivile und sicherheitspolitische Kosten des Informationskriegs. W&F-Dossier Nr. 78, S. 9f.

16) Appelbaum, J.; Rosenbach, M.; Schindler, J.; Stark, H.; Stöcker, C. (2013): NSA-Programm »Quantumtheory« – Wie der US-Geheimdienst weltweit Rechner knackt. Spiegel Online, 30.12.2013; eigene Auswertung der darin publizierten Dokumente.

17) Sanger, D.E. (2015): U.S. and China Seek Arms Deal for Cyberspace. New York Times, Sept. 19, 2015.

18) Vgl. Ruhmann, I. (2018).

Ingo Ruhmann (Dipl. Inform.) ist wissenschaftlicher Referent und Lehrbeauftragter an der TH Brandenburg. Er ist ehemaliges Vorstandsmitglied des Forum InfomatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.v. ( FifF) und arbeitet zu den Themen IT-Sicherheit, Informatik und Militär sowie Datenschutz im Netzwerk.
Ute Bernhardt (M.A.) ist wissenschaftliche Referentin. Sie ist Gründungs- und ehemaliges Vorstandsvorsitzende des FIfF und arbeitet zu den Themen Bürgerrechte, Informatik und Militär sowie Datenschutz im Netzwerk.

Big Data und Militär


Big Data und Militär

Der Kampf gegen den Zufall

von Daniel Leisegang

Big Data soll ein effektiveres und wirkungsvolleres Handeln des Militärs ermöglichen. Allerdings drohen Kriege damit nicht nur automatisiert, sondern zugleich zum Mittel erster Wahl zu werden. Die Folgen sind dramatisch – auch und gerade für die Demokratie.

In Gefechtssituationen herrscht der „Nebel des Krieges“, wie es einst der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz ausdrückte (1834, S. 23). Demnach ist der Krieg „das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit“. Das Schlachtfeld gerate damit zu einem „Gebiet des Zufalls“.

Um diesen Nebel zu lichten, stößt das Thema Big Data längst nicht nur bei kommerziellen Unternehmen, sondern auch bei Militär und Geheimdiensten auf großes Interesse. Sie erhoffen sich durch die Erfassung und Auswertung großer Datenmengen genauere Prognosen und damit strategische Vorteile – weit über das Schlachtfeld hinaus.

Als Big Data bezeichnet man gemeinhin „Datensätze, deren Größe die Fähigkeit herkömmlicher Datenbankwerkzeuge zur Erfassung, Speicherung, Verwaltung und Analyse übersteigt” (McKinsey 2011, S. 1). Insbesondere drei V’s charakterisieren diese: volume, variety und velocity – zu Deutsch: Volumen, Vielfalt und Geschwindigkeit. Demzufolge sind die Daten so umfangreich, dass Menschen sie ohne technische Hilfe nicht mehr analysieren können (volume). Darüber hinaus unterscheiden sie sich sowohl in ihrer Art – etwa ob sie in Form von Tabellen, E-Mails, Fotos, PDF-Dateien, Videos oder Audio bereitstehen – als auch darin, ob sie strukturiert oder unstrukturiert vorliegen (variety). Und nicht zuletzt wächst die Geschwindigkeit stetig an, mit der Maschinen und Menschen weitere digitale Daten erzeugen (velocity). Schätzungen zufolge werden wir 2025 rund zehn Mal so viele digitale Daten generieren wie im Jahr 2016 (Statista 2018).

Den »Nebel des Krieges« lichten: Wie das Militär Big Data entdeckt

Bereits 2013 äußerte die Führung der US-Armee die Sorge, dass „es massive Folgen nach sich zieht, wenn Big Data und die damit verbundenen Technologien […] ignoriert werden, einschließlich des Verlustes von Menschenleben und dem Scheitern von Missionen“ (Couch/Robins 2013, S. 3). In den vergangen Jahren konzentrierte sie sich daher darauf, Waffensysteme mit neuen Computern auszustatten, Akteure auf dem Gefechtsfeld zu vernetzen sowie digitale Führungsinformationssysteme einzuführen und zu optimieren (Teufel 2016, S. 50). Unterstützt wird die Armee dabei von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), einer Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, deren Aufgabe es ist, die technische Überlegenheit des Militärs aufrechtzuerhalten. Die Behörde verfügt über ein Jahresbudget von rund drei Mrd. US-Dollar.

DARPAs Know-how benötigt die US-Armee dringend, gerade mit Blick auf Big Data sind die technischen Herausforderungen immens. Die Daten entspringen zumeist gänzlich unterschiedlichen Quellen: Maschinendaten entstammen etwa den Bewegungen von Schiffen, Flugzeugen, Panzern und Satelliten, Sensoren am Kriegsschauplatz und Radarstationen. Menschliche Daten hingegen werden in sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube oder Twitter generiert. Es ist somit erforderlich, die Daten zu sammeln, zu säubern, durchsuchbar zu machen, um sie schließlich mittels aufwändiger Algorithmen auszuwerten.

Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse nutzen Armeen beispielsweise dazu, ihr Personalwesen und ihre Logistik zu optimieren. So wertet die israelische Armee die persönlichen Angaben ihrer Rekrut*innen mit Rechnerhilfe aus, um diese automatisch an die für sie geeigneten Positionen innerhalb der Armee zu versetzen. Und die Bundeswehr arbeitet mit Hilfe der SAP-Software »SAP Analytics« an einer vorausschauenden Wartung (predictive maintance), um ihre Materialprobleme in den Griff zu bekommen.

Eine weitaus bedeutendere Rolle nehmen Big-Data-Analysen jedoch im Bereich der Überwachung in Krisenregionen und unmittelbar auf dem Gefechtsfeld ein. Gerade hier fallen ungemein große Datenmengen an, die möglichst in Echtzeit bereitgestellt und ausgewertet werden müssen.

So nutzt die US-Armee bereits seit einigen Jahren das hochauflösende Videoüberwachungssystem ARGUS-IS, das – an Drohnen angebracht – aus einer Höhe von bis zu 5.000 Metern ein Gebiet von bis zu 35 Quadratkilometern überwachen kann. Bei seinem Einsatz fallen jedoch pro Sekunde rund 40 Gigabytes an Daten an, rund 6.000 Terabyte am Tag. Zum Vergleich: Eine handelsübliche Festplatte verfügt etwa über ein bis zwei Terabytes an Speicherplatz.

Schulter an Schulter: das Pentagon und das Silicon Valley

Diese Daten auszuwerten, stellt ein überaus ressourcen- und zeitaufwändiges Unterfangen dar. Beharrlich spricht sich daher seit Jahren unter anderem der Stabschef der US-Luftwaffe, General David Goldfein, dafür aus, dass die mächtigste Armee der Welt mit den mächtigsten Digitalkonzernen kooperieren müsse (Erwin 2017). Beim ehemaligen Google-Vorstandsvorsitzenden Eric Schmidt rannte er damit offene Türen ein. Dieser hatte bereits 2013 in seinem Buch »Die Vernetzung der Welt« prognostiziert: „Was der Rüstungskonzern Lockheed Martin im 20. Jahrhundert war, werden Technologie- und Cybersicherheitsunternehmen im 21. Jahrhundert sein.“ (Schmidt/Cohen 2013) Inzwischen betreibt Schmidt höchstpersönlich und an vorderster Front den Aufbau des cyber-militärischen Komplexes mit: Er steht heute nicht mehr Google, sondern dem 2016 gegründeten Defense Innovation Board vor. Dieses hat die Aufgabe, die technologischen Innovationen des Silicon Valley in die US-Armee einfließen zu lassen (Leisegang 2015).

Allerdings musste das Vorhaben jüngst einen herben Rückschlag hinnehmen. Ausgerechnet Schmidts ehemaliger Arbeitgeber Google entschied, die Zusammenarbeit mit dem Pentagon einzustellen. Konkret ging es in dem »Project Maven« darum, Drohnenaufnahmen, wie jene des ARGUS-IS, anhand von insgesamt 38 Kategorien automatisch auszuwerten. Auf diese Weise sollen Rechner in die Lage versetzt werden, eigenständig Menschen von Gebäuden, Fahrzeugen und Waffen zu unterscheiden. Google verfügt hierfür nicht nur über die erforderlichen KI-Expert*innen, sondern auch über einen umfangreichen Datenschatz, der für das so genannte Maschinenlernen unentbehrlich ist. Der Direktor des Projekts, Generalleutnant John Shanahan, sieht sein Projekt darüber hinaus als den Funken, an dem sich „die Flammenfront der Künstlichen Intelligenz“ im gesamten Verteidigungsministerium entzünden solle. Nach Informationen des Wall Street Journal gab das Pentagon im vergangenen Jahr rund 7,4 Mrd. US-Dollar im Zusammenhang mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz aus (Barnes/Chin 2018).

Rund ein Dutzend Google-Angestellte kündigten indes aus Protest gegen die Zusammenarbeit; mehrere Tausend Mitarbeiter*innen unterschrieben eine Petition, der zufolge Google „nichts im Kriegsgeschäft verloren hat“.1 Letztendlich verzichtete der Konzern darauf, den Vertrag mit dem Verteidigungsministerium zu verlängern. Er läuft Ende des Jahres aus. Googles Platz wird nun voraussichtlich Amazon einnehmen. Der führende Cloudanbieter ist ebenfalls an den Vorarbeiten zum »Project Maven« beteiligt und arbeitet seit Jahren unter anderem eng mit der CIA zusammen.

Damit steigen zugleich Amazons Chancen, einen weitaus lukrativeren Großauftrag an Land zu ziehen, um den derzeit viele der großen US-amerikanischen IT-Unternehmen ringen: den Aufbau der »Joint Enterprise Defense Infrastructure« (Jedi) – ein gigantisches Speichersystem samt Datenanalyse mit künstlicher Intelligenz. Die smarte Cloud soll nicht nur sämtliche Armeeeinheiten, Basen und Kriegseinsatzgeräte der USA miteinander vernetzen, sondern obendrein deren Bestände an Munition, Reparaturteilen und Kraftstoffen erfassen, um die Logistik auf dem Schlachtfeld zu optimieren. Rund zehn Mrd. US-Dollar stellt das Verteidigungsministerium dafür bereit.

Der Krieg der Roboter

Big-Data-Analysen sollen allerdings nicht nur die Logistik optimieren, sondern auch den Waffeneinsatz und damit das Töten effektiver gestalten. Die militärische Fachzeitschrift »Defense One« vermeldete, dass die Arbeit des »Project Maven« auch die Treffergenauigkeit von »Killerdrohnen«, wie Reaper und Predator, erhöhen soll – und bestätigte damit die Befürchtungen der Google-Mitarbeiter (Weisgerber 2017).

Geht es nach dem Pentagon, sollen Killerroboter die dritte Revolution der Kriegsführung einleiten – nach Schießpulver und Nuklearwaffen. Bereits heute verfügt die US-Armee über Drohnen, die eigenständig über den Waffeneinsatz entscheiden können. Laut Stabschef General Mark Milley will sie ab dem Jahr 2021 Prototypen für bemannte, unbemannte und hybride Gefechtsfahrzeuge auf dem Schlachtfeld testen. Ab 2031 sollen autonome Waffen- und Aufklärungssysteme dann fester Bestandteil der US-Heeresformationen sein (Lezzi 2018).

Die US-Armee ist nicht die einzige, die ihre Kriegsführung automatisieren will: Auch die russische Armee plant derzeit die Anschaffung weitgehend autonom agierender Roboterpanzer. Und ausgerechnet an der »heißen« Grenze zwischen Nord- und Südkorea wachen bereits seit Jahren mit Maschinengewehren ausgestattete»Sicherheitsroboter« der Firma Samsung.

Der Einsatz von autonom agierenden Waffensystemen droht jedoch den Weg dafür zu ebnen, bewaffnete Konflikte in nie gekanntem Ausmaß zu führen und schneller, als Menschen sie begreifen können“, wie mehrere hundert Fachleute für Künstliche Intelligenz in einem offenen Brief warnen (Krüger 2018). Dessen ungeachtet steht eine internationale Regulierung der Killerroboter nach wie vor aus. Zwar verhandelten Ende August unter dem Dach der Vereinten Nationen in New York mehr als 75 Staaten über die Regulierung (teil-) autonomer Waffensysteme. Allerdings verhinderten allen voran die USA und Russland eine verbindliche Vereinbarung. Die Abrüstungschefin der Vereinten Nationen, Izumi Nakamitsu, warnt eindringlich, „dass die technologische Innovation der zivilen Kontrolle entgleitet“; ein Missbrauch der KI aber habe potenziell katastrophale Konsequenzen“ (Nakamitsu 2018).

Die Krisen von Morgen bekämpfen

Die Konsequenzen werden sich nicht nur auf das Schlachtfeld beschränken – ganz im Gegenteil, denn die Armeen wollen weitaus mehr als nur den »Nebel des Krieges« lüften: Big-Data-Analysen sollen es ihnen obendrein ermöglichen, einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Schon heute nutzen zahlreiche Armeen Big-Data-Analysen, um zurückliegende Ereignisse und ihre Folgen zu analysieren und auszuwerten (descriptive analytics). Dadurch erhoffen sie zum einen Lerneffekte, zum anderen sollen die gewonnenen Informationen auch den Ausgang künftiger Szenarien oder Ereignisse vorhersagen (predictive analytics). Am Ende sollen Rechner in die Lage versetzt werden, Armeen mittels Datenanalyse entsprechende Handlungsoptionen vorzugeben (prescriptive analystics).

Besonders interessiert zeigen sich die Armeen an der Vorhersage drohender politischer und militärischer Krisen- und Bedrohungslagen, wie die Ukraine-Krise oder den Arabischen Frühling. Beide Ereignisse hatten weder die westlichen Geheimdienste noch die militärischen Führungen vorhergesehen (SPIEGEL ONLINE 2014; Miller 2015).

Um auch hierzulande besser gewappnet zu sein, erstellt das Bundesverteidigungsministerium derzeit gemeinsam mit IBM die Studie »IT-Unterstützung Krisenfrüherkennung«. Sie verfolgt das Ziel, eine softwarebasierte Lösung zu entwickeln, die mithilfe von Big-Data-Analysen Krisen vorhersagen soll. Die Auswertung strukturierter und unstrukturierter Daten aus öffentlichen, offenen und als geheim eingestuften Quellen soll dem IBM-Programm Watson einen »Prognosehorizont« von sechs bis 18 Monaten ermöglichen (BMVg 2016).

Ähnliche Funktionen bietet IBM bereits seit längerem mit seinem System »Blue Crush« an, das Straftaten voraussagt und auch in mehreren Bundesländern zum Einsatz kam (Biermann 2015). Nun will IBM ein System schaffen, dass die gesamte Welt observiert. Das Bundesverteidigungsministerium schließt nicht aus, dass Watsons Prognosen auch militärische Konsequenzen nach sich ziehen könnten.

Somit wollen die Armeen dieser Welt nicht nur den »Nebel des Krieges«, sondern auch den Nebel der Politik lichten. Drohende Volksaufstände werden dabei offenkundig ebenso als Sicherheitsrisiko verstanden wie ein grenzüberschreitender Kriegsausbruch. In beiden Fällen kann das Militär dann frühzeitig eingreifen, um das eine wie das andere zu verhindern.

Dies aber hat zwei dramatische Folgen: Zum einen gilt der Einsatz kriegerischer Mittel noch immer als Ultima Ratio – als letztes Mittel, wenn vorangegangene politische Interventionen nicht zur Lösung eines Konflikts beigetragen haben. Sagen jedoch künftig Computersysteme Krisen voraus, könnte sich dieses Verhältnis umkehren. Damit könnten kriegerische Mittel weitaus früher zum Einsatz kommen als bisher – durch militärische Drohgebärden, Präemptivschläge oder gar dem Einmarsch in ein anderes Land.

Zum anderen gefährdet das prädiktive Vorgehen des Militärs das Wesen demokratischer Politik in ihrem Kern. Wenn Big-Data-Analyse nicht nur dem Krieg, sondern auch der Politik »Ungewißheit« und »Zufall« austreiben soll, setzt dies ein bestimmtes Verständnis sozialer und politischer Prozesse voraus: Diese werden als quasi mechanische Vorgänge begriffen, die sich mittels Rechenkraft analysieren und bewerten lassen. Auf drohende gesellschaftliche Problemlagen reagiert dann nicht länger eine Politik der Aushandlung und des Kompromisses, sondern eine mathematisch hergeleitete Sozialphysik, die, um Sicherheit und Stabilität zu sichern, kühl ihre Lösungsparameter vorgibt. Dass dies eine überaus bedrohliche Entwicklung ist, kann man sich bereits heute ausrechnen – auch ohne aufwändige Big-Data-Analyse.

Anmerkung

1) Die Petition steht unter static01.nyt.com/files/2018/technology/googleletter.pdf.

Literatur

Barnes, J.E.; Chin, J. (2018): The New Arms Race in AI. Wall Street Jorunal, 2.3.2018.

Biermann K. (2015): Noch hat niemand bewiesen, dass Data Mining der Polizei hilft. zeit.de, 29.3.2015.

Bundesministerium der Verteidigung/BMVg (2016): »Gedanken« zum Weißbuch 2016 – Krisen früh erkennen. bmvg.de.

Couch, N.; Robins, B. (2013): Big Data for Defence and Security. Royal United Services Institute, Occasional Paper, September 2013.

Erwin, S.I. (2017): Cold Dose of Reality on DoD Technology. nationaldefensemagazine.org, 19.4.2017.

Krüger, P.A. (2018): Wenn Maschinen über Leben und Tod entscheiden. sueddeutsche.de, 30.8.2018.

Leisegang, D. (2015): Der cyber-militärische Komplex – Die dunkle Seite des Silicon Valley. Wissenschaft und Frieden, No. 2-2015, S. 27-30.

Lezzi, B. (2018): Militärische Roboter werden die Kriegführung revolutionieren, www.nzz.ch, 27.8.2018.

McKinsey Global Institute (2011): Big data – The next frontier for innovation, competition, and productivity. Juni 2011.

Miller, G. (2015): Former CIA official cites agency’s failure to see al-Qaeda’s rebound. ­washingtonpost.com, 3.5.2015.

Izumi Nakamitsu (2018): Remarks by Under-­Secretary-General and High Representative for Disarmament Affairs Ms. Izumi Nakamitsu – Opening of the August meeting of the 2018 Group of Governmental Experts on emerging technologies in the area of lethal autonomous weapons systems, Delivered by the Director of the Geneva Branch of the United Nations Office for Disarmament Affairs, Ms. Anja Kaspersen. 27.8.2018; un.org/­disarmament.

Schmidt, E.; Cohen, J. (2013): Die Vernetzung der Welt. Berlin: Rowohlt.

Statista (2018): Prognose zum Volumen der jährlich generierten digitalen Datenmenge weltweit in den Jahren 2016 und 2025. statista.com.

SPIEGEL ONLINE (2014): US-Geheimdienste wollen Krim-Krise nicht verschlafen haben. spiegel.de, 7.3.2014.

Teufel, D. (2016): Big Data Analytics. Behörden Spiegel, No. 9/2016.

von Clausewitz, C. (1834): Vom Kriege. Hier genutzte Ausgabe von 2018: Köln: Anaconda.

Weisgerber, M. (2017): The Pentagon’s New Artificial Intelligence Is Already Hunting Terrorists. defenseone.com, 21.12.2017.

Daniel Leisegang ist Politikwissenschaftler und Redakteur bei der Monatszeitschrift »Blätter für deutsche und internationale Politik« (blaetter.de).

Die alte Weltmilitärordnung


Die alte Weltmilitärordnung

Ein Epilog

von Ekkehart Krippendorff

Im Februar 2018 starb Ekkehart Krippendorff, Politikwissenschaftler und Mitbegründer der westdeutschen Friedensforschung. Vom Bewusstsein einer „nicht abtragbaren Schuld des Nazismus“ geprägt, beharrte er nachdrücklich auf dem Pazifismus als Leitmotiv für sein Leben und Werk und scheute auch nicht davor zurück, sich mit seiner eigenen Zunft, den Internationalen Beziehungen und der Friedens- und Konfliktforschung, anzulegen, denen er Anpassung an die herrschenden Verhältnisse vorwarf.
Anstelle eines Nachrufs soll er hier selbst zu Wort kommen, mit einem Text von 1993, den er nach dem ersten Golfkrieg der USA gegen Irak schrieb.

Die ganze Monstrosität, die sich unter dem neutralen Titel der Internationalen Politik verbirgt, kam in dem Krieg zur Rückeroberung des Scheichtums Kuweit auf ihren wahren Begriff und wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Als Christoph Columbus 1492 mit drei Karavellen Sevilla verließ, um den Seeweg nach Indien zu finden und dabei einen Kontinent entdeckte, den er so für seine Eroberung zugänglich machte, war das auch mehr als das Abenteuer eines Kapitäns: die ganze expansiv-aggressive Energie, die sich in Westeuropa etwa zweihundert Jahre lang aufgestaut hatte, der Drang der europäischen Krieger- und Händlerklassen nach Herrschaft und Profit, gekoppelt mit dem technischen Erfindungsreichtum ihrer Intellektuellen und Ingenieure, der religiöse Eifer einer sich allen anderen Rassen überlegen fühlenden Kultur, die steigende Meisterung der Natur, die vor keinem Widerstand zurückschreckt – all das ging ein in die Expedition. Die Folgen waren absehbar und nicht absehbar zugleich.

Und so dann auch wieder in den Operationen »Wüstenschild« und »Wüstensturm«: Jahrhunderte gelernter soldatischer Disziplin und Akzeptanz der großen Projekte der Führer (»The Commanders« nennt Bob Woodward wie selbstverständlich seine Studie über den engsten Kreis der amerikanischen Politiker-Klasse am Vorabend des Golfkrieges), Jahrhunderte auch der Entwicklung raffiniertester Zerstörungstechnologien, hervorgegangen aus der okzidentalen Naturwissenschaft als Naturunterwerfung, gingen ein in diesen Krieg, tief eingeschliffene Weltbilder als Weltkarten-Bilder in den Köpfen der Außenpolitiker im Spiel um die Macht, um historische Größe und um Nachruhm in der Geschichte (im Kreise der »Commanders« weiß man: »um ein großer Präsident zu sein, brauchst du einen Krieg – und du mußt als der Angegriffene erscheinen«) – das alles gehört zum Hintergrund, der zugleich ein Vordergrund ist, für die geradezu reflexartige Reaktion der westlichen Staatsherren, den vergleichsweise geringfügigen Ambitionen des irakischen Potentaten mit dem massiven Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden Mittel entgegenzutreten und ihn in seine Schranken zu verweisen.

Als im 4. vorchristlichen Jahrhundert der Makedonier König Alexander, um der Große zu werden, sich anschickte, Asien zu erobern, wurde er mit dem mythischen Gordischen Knoten konfrontiert: nur der werde Asien beherrschen, der ihn zu lösen verstehe. Alexander nahm sein Schwert und zerhieb das komplizierte Fadengebilde; er hatte einfach nicht die Geduld noch genügend ausgebildete Fähigkeiten, mit intellektuell und kulturell schwierigen Aufgaben umzugehen, geschweige denn fertigzuwerden. Der Schwertstreich schien ihm die einfachere Lösung, der schnellere Weg zu Erfolg und historischem Ruhm. Letzteren hat er bekanntlich gewonnen – ersteren kaum, denn sein Reich zerfiel schneller unter den Diadochen, als es gedauert hatte, es zu erobern. So sehen in der Regel die militärischen, die Gewaltlösungen aus. Den großen Siegen folgen die Probleme, und die Sieger nehmen ihre Erfolge mit ins Grab.

Sie sind – wie Alexander, nur in der Regel noch kleiner – Kämpfer, Krieger und Sieger, weil sie die Fähigkeit zur Vereinfachung von Problemen, d.h. zur Umgehung der Probleme oder auch zur Reduktion von Komplexität auf den primitiven Nenner der Schwertgewalt mitbringen. Damit können sie auch und nicht zuletzt das Publikum hinter sich bringen, das – verständlicherweise – Vereinfachungen liebt: wenn die Herrschenden schon ständig ihre Untertanen – sei es als demokratisch Regierte, sei es als unterdrückt­eingeschüchterte Massen – als Fußvolk ihrer Globalstrategien, bestehend aus Wirtschaftspotentialen, Machtgleichgewichten und zu füllenden Vakua, in Bewegung halten, dann soll das Spektakel wenigstens übersichtlich gestaltet sein. Völker und Kulturen haben, wo sie miteinander in Kontakt treten, immer Reibungsflächen, Konflikte, Spannungsverhältnisse. Aber sofern daraus nicht Herrschaftskonflikte konkurrierender Dynasten (oder ihrer demokratisch legitimierten Nachfolger) werden, entsteht aus eben diesen Berührungen Kultur, Kreativität, Neues. Das ist aufregend, aber auch anstrengend, eine Herausforderung für alle Mitglieder der betreffenden Völker, Rassen und Kulturen. Herrschaft hingegen bietet die Vereinfachung an, reduziert Komplexität, offeriert statt der schwierigen Auseinandersetzung die Versuchung, an der Ausbeutung durch Eroberung teilzunehmen; sie ersetzt den vielstimmigen interkulturellen, inter-nationalen Dialog durch den Monolog der Gewalt, verdinglicht im Schwert, im trainierten Militär, in der Technologie der Waffen. Alexanders Truppen jubelten ihm zu, als er den Knoten auf seine einfache Art löste; die Konquistadoren in der Nachfolge des Columbus gaben sich ebenfalls keine Mühe, die Sprachen und Kulturen der »entdeckten« Völker zu lernen; für die »Commanders« in den elektronischen Schalträumen der US-amerikanischen Politikmaschine in Washington waren und sind die Araber nicht viel mehr als auf strategischen Weltkarten plazierte Spielfiguren, die Region, die sie bewohnen, keine Kulturlandschaft, sondern schlicht »Wüste«. Die britische Zeitschrift »The Middle East«, die daraus ihre Titelseite gestaltete, hat diese Wahrheit besser auf den sinnlich wahrnehmbaren Begriff gebracht, als es eine umständlich argumentierende Politikkritik vermöchte.

Krieg und Weltspiel sind zwei Seiten derselben Medaille der Herrschaft, die Bevölkerungen – Menschen, Kulturen, Gesellschaften – als Objekte betrachtet und einsetzt. Sie sind ihre materialen Mittel der Verwirklichung von Macht, gestern in der Form dynastischer Gefolgschaften, heute im Gehäuse moderner Staaten. In Krieg und Spiel wird gewonnen und verloren – aber die Sieger sind immer dieselben und die Verlierer auch: Es siegen die Herrschenden, und es verlieren die Beherrschten, ganz gleich, wie das Spiel oder der Krieg selbst ausgeht. Saddam Hussein ist bekanntlich immer noch an der Macht, so wie seine Gegenspieler Bush & Co., und auch wenn man auf den angeblichen Saddam­Bruder Hitler verweisen würde, der doch, Herrscher, der er zweifellos war, verlor und von der Bühne verschwand (durch Selbst-Mord, nicht durch Exekution!), so bleibt doch die uns allen nur zu gut bekannte Tatsache, daß die, die mit Hitler in Deutschland das Sagen gehabt hatten, sehr bald wieder auf ihren Kommandostühlen saßen. Im Kriegsspiel geopfert wurden Millionen von Soldaten und kleinen Leuten, auf seiten der Sieger so gut wie auf seiten der Besiegten. Daß es in diesem Golfkrieg auf Siegerseite so wenig Geopferte gab, war ja eher ein Glücksfall: gerechnet hatte man bekanntlich mit bis zu 80 000 eigenen Toten und fand auch diesen Preis nicht zu hoch für den Sieg, als das Signal zur Schlacht gegeben wurde. Dem Besiegten war der Preis seiner »Mutter aller Schlachten« von mehr als 100 000 Toten auch nicht zu hoch für seinen Platz im Pantheon der großen Menschenverächter, er hat sie bekanntlich nicht einmal zu zählen für nötig befunden. Und sein Spiel geht weiter – so wie das der Neuen Weltordnung. Es bleibt, solange wir es uns gefallen lassen, von den Herrschenden regiert, manipuliert und in ihrem Spiel benutzt zu werden, die alte, einfache Weltmilitärordnung, deren Logik der Macht der Gewehrläufe entspricht, denn nur das ist die Sprache, die sie sprechen und gegenseitig verstehen. Eine menschliche Sprache aber ist das nicht.

Textauszug aus: Ekkehart Krippendorff, Militärkritik. S. 128-132. ©Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1993. Alle Rechte bei und vorbehalten durch den Suhrkamp Verlag Berlin. Die Rechtschreibung folgt dem Original.

Mehr Geld, weniger Sicherheit


Mehr Geld, weniger Sicherheit

Das neue deutsche Weißbuch

von Andreas Seifert

Das als Strategiedokument gedachte »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« ist eine PR-Broschüre, die viel Bekanntes wiederholt und nur wenig Konkretes bereithält. Im Folgenden werden ein paar Schlaglichter gesetzt.

Zehn Jahre hat es gedauert, bis die Bundesregierung am 13. Juli des Jahres ein neues Weißbuch veröffentlichte.1 Zuvor gab es schon seit über einem Jahr Versuche, »Ideen« in einer Debatte zu platzieren, die sich den Anschein eines Beteiligungsprozesses gab.2 Jüngst wurde auch eine »Europäische Globalstrategie« vorgestellt (28.6.2016)3 und, unmittelbar vor Veröffentlichung des Weißbuches, die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Warschau verbreitet (9.7.2016).4 Der zeitliche Vor- und Ablauf hatte die Erwartungen an das Weißbuch steigen lassen.

Das Weißbuch, so der eigene Anspruch, soll Auskunft über die Ziele und Inhalte der deutschen Sicherheitspolitik geben. Es soll aufklären, welche Handlungsfelder die deutsche Regierung identifiziert hat und mit welchen Maßnahmen sie ihre Interessen zu erfüllen gedenkt. Das Weißbuch wird federführend vom Verteidigungsministerium erstellt und mit anderen Ressorts abgesprochen, bevor es als Dokument der Regierung im Kabinett verabschiedet und veröffentlicht wird. Es soll die Grundlage für die weiterer Feinplanung der Bundeswehr sein und als Ausgangsdokument auch für die Planung in anderen Bereichen, beispielsweise der inneren Sicherheit, herhalten.

Mittel zum Zweck: PR-Sprache

Es gibt ein herausstechendes Merkmal – geradezu ein Alleinstellungsmerkmal – des Weißbuches: Es wirkt nicht nur wie eine überlange Rede der Verteidigungsministerin selbst, sondern es ist in weiten Strecken nicht viel mehr als die Wiederholung ihrer PR-Floskeln aus dem letzten halben Jahr. Jede*r aufmerksame Beobachter*in des Weißbuchprozesses findet in dem nun vorliegenden Text die Formulierungen ihrer ureigenen Zusammenfassungen der unterschiedlichen Workshops und Panels wieder. Im Duktus einer Unternehmensberaterin, die möglichst viele der vorgegebenen Stichwörter in einen Text packen möchte – nach Möglichkeit, ohne sich selbst irgendwo zu platzieren – wird durch die Themen geeiert und bereits vorher Beschlossenes als Ergebnis“ einer Debatte präsentiert. Da werden Dinge wie „unter einem Brennglas“ gesehen, es sollen Konzepte und Argumente in inklusiven Beteiligungsprozessen“ „geschärft“ werden, es werden „Hochwertfähigkeiten beübt“, „Lieferketten gehärtet“, „Wirkungsüberlegenheit erzielt“, mit „Ressourcenneuzuordnung“ werden „innovative Wege gegangen“ etc. Dergleichen Berater*innensprech mag »offen« und »andockfähig« für all jene klingen, die ihre Agenda in dem Papier wiedererkennen wollen (oder müssen), für alle anderen ist es eher ärgerlich. Der »Arbeitskreis Darmstädter Signal – die kritischen Soldaten« geht in seiner Stellungnahme so weit, den Weißbuchprozess als PR-Coup“ zu bezeichnen, und will mit seiner eigenen Webseite weissbuch.org einen tatsächlich offenen Debattenprozess anstoßen.

Die gewählte Sprache hat bei aller Verschrobenheit eine ganz klare Funktion: Sie soll Rationalität und die einheitliche Durchdringung aller angesprochenen Themenbereiche vermitteln. Sie soll den Anschein von Konkretisierung erwecken, wo man in den Planungen vielleicht noch gar nicht so weit ist bzw. über die konkrete Ausgestaltung, auch wenn sie schon fest liegt, keine Aussage treffen will. Für das »Konkrete«, so mag man unterstellen, gibt es angesichts dessen, dass es sich hier um ein Dokument der Diplomatie handelt, gewisse Grenzen; aber selbst die Bereiche, die in vergangenen Weißbüchern als obligatorisch galten, wurden in der Neufassung ausgelassen. So fehlen z.B. alle relevanten Kennziffern – die Zahl der Soldat*innen, der Zahl (einsatzfähiger) Großgeräte, der Zielgröße eines »adäquaten« Etats etc. –, die helfen könnten, die eingeleitete Trendwende“ (WB S. 117, 119) zu verstehen. Hier für Klarheit zu sorgen, bleibt anderen, „nachgeordneten“ Dokumenten vorbehalten (WB S. 15).

Die Sprache und auch die Auswahl der Bilder im Weißbuch legen noch etwas anderes nahe: Hier wird mit allen Tricks der Werbung an einem möglichst friedlichen Image der Bundeswehr gearbeitet. Wie die Sprache es versteht, die harten Fakten des Kriegsgeschäftes hinter wohlklingenden Floskeln zu verstecken, taugen die Bilder dazu, eine Bundeswehr zu präsentieren, die weder Waffen trägt noch in schmutzigen Kriegseinsätzen eingesetzt wird. Die Bilder zeigen besonders viele junge Frauen in Uniform und »zivile« Einsätze der Soldaten; die einzigen martialisch mit Waffen am Anschlag auftretenden Personen sind ausgerechnet Polizisten. Dies hat nichts mit der Realität der Bundeswehr zu tun, zeigt aber Parallelen zu den zur Rekrutierung verwendeten Materialien.

Drei Dokumente – eine Richtung

Ein zweites Merkmal dieses Weißbuches: Es steht nicht für sich alleine, sondern im Kontext einiger von EU und NATO beschlossener Papiere und der in Deutschland unter dem Slogan »Neue Macht – Neue Verantwortung« geführten Debatte, einschließlich des vom Auswärtigen Amt geführten »Review 2014«. Dazu gehört auch die inzwischen unter dem Label »Münchener Konsens« zusammengefasste Grundidee: die »neue« (sprich: oftmals militärische) Verantwortung, die Deutschland in der Welt wahrnehmen müsse und die ein Instrumentarium benötige, das von diplomatischen und entwicklungspolitischen Maßnahmen über Sanktionen und »Ertüchtigung« bis zum »robusten Einsatz« reicht.

Während der erste Teil des Weißbuches zur Sicherheitspolitik Deutschlands das politische Umfeld und die deutschen strategischen Prioritäten analysiert und Handlungsfelder identifiziert, wird im zweiten Teil auf die Konsequenzen für die Bundeswehr eingegangen. Der im letzten Weißbuch umstrittene Verweis auf die »Abhängigkeit« Deutschlands von internationalen Handelsrouten, Energieressourcen und Rohstoffen fehlt auch dieses Mal nicht, fällt aber angesichts der breitest angelegten Bedrohungen, denen sich Deutschland heute gegenüber sehe, kaum weiter auf – auch deshalb, weil erneut die Frage, welche Rolle die Bundeswehr eigentlich spielen soll, unbeantwortet bleibt. Die Auflistung der »Bedrohungen«, die von Terrorismus, Cyberangriffen, fragilen Staaten über Migration bis zu Klimawandel und Pandemien reichen, deutet auf einen breit angelegten Sicherheitsbegriff hin, der sich kaum mit den Mitteln des Militärs bearbeiten lässt. Scheinbar fügt sich also das Militär in seine Rolle als »Dienstleister« im »Instrumentarium« deutscher Sicherheitspolitik ein – doch mit einer nachgeordneten Rolle mag man sich im Bendlerblock dann doch nicht begnügen.

Vernetzter Ansatz – Resilienz – hybride Kriegsführung?

Mit der Verknüpfung dreier zentraler Begriffe begründet das Ministerium die Notwendigkeit, der Bundeswehr bei der Gewährleistung »unserer« Sicherheit eine federführende Rolle zuzuweisen. Ausgangspunkt ist die als unmittelbare Erfahrung interpretierte »hybride Kriegsführung« Russlands in der Ukraine bzw. im Kontext des Ukrainekonfliktes. „Hybride Bedrohungen“ setzten, so das Weißbuch generalisierend (S. 39), an den Schwachpunkten demokratischer und offener Gesellschaften an und versuchten durch Propaganda, Cyberangriffe, finanzielle Operationen oder politische Destabilisierung, aber auch durch verdeckte militärische Operationen unterhalb völkerrechtlicher Relevanz, das Land zu beeinflussen: „Hybrides Vorgehen verwischt die Grenzen zwischen Krieg und Frieden.“ Dem könne man nur begegnen, wenn eine „umfassende Verteidigungsfähigkeit“ und „Resilienz“ aufgebaut würde (ebd.).

Der schon unter den Vorgängern von Verteidigungsministerin von der Leyen entwickelte »vernetzte Ansatz«, der die enge Kooperation ziviler und militärischer Stellen vorsieht, wird damit auf eine neue Ebene gehoben. So will man in „geeigneten ressortgemeinsamen Gremien“ (S. 57) sicherstellen, dass Bundeswehrangehörige mit einbezogen werden. Die inzwischen beim Außenministerium angesiedelte Entwicklungshilfe wie auch die Cyberabwehr, die (derzeit) dem Innenministerium zugeordnet ist, sind Felder, in denen das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr künftig verstärkt an Entscheidungen beteiligt sein wollen. Sie möchten dabei nicht nur partizipieren, sondern auch ihre „Kompetenzen“ (ebd.) einbringen, selbst wenn die gegebenenfalls erst aufgebaut werden müssen. Vorläufiger Dreh- und Angelpunkt soll dabei der Bundessicherheitsrat werden, der als Gremium gestärkt werden und zukünftig als Plattform der Kommunikation zwischen den relevanten Ressorts dienen soll (WB S. 57). Die keineswegs beiläufige Erwähnung des Bundessicherheitsrates sollte aufhorchen lassen, zumal deutlich wird, dass auch die »notwendigen« Ad-hoc-Entscheidungen und Bündnisse (sprich: Kriegseinsätze) hier beschlossen werden sollen.

Der vernetzte Ansatz soll aber nicht nur als Durchdringung der Bundesverwaltung und ihrer Institutionen verstanden werden, sondern sich weiter in die Gesellschaft und Wirtschaft ausbreiten: „Gemeinsame Ausbildung und Übungen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren für das Handeln im gesamten Krisenzyklus [soll] gefördert werden.“ (WB S. 59) Das damit geschaffene „Verständnis“ füreinander lässt sich leicht auch als Militarisierung der Gesellschaft deuten, die sich als Versicherheitlichung tarnt, alle betrifft, aber nur wenige Akteure umfassen wird, also anti-demokratische Züge trägt. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der gesamten Gesellschaft zu erhöhen und auszubauen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die schon bekannte »zivil-militärische-Zusammenarbeit« im Rahmen des »vernetzten Ansatzes« ausgebaut werden soll, um defensive (und offensive?) Fähigkeiten für einen hybriden Kriegseinsatz zu erlangen – inklusive für den Einsatz im Inneren (WB S. 92/93, 110).

Besonders relevant wird dies für den Bereich der Cybersicherheit, der im Weißbuch breiten Raum einnimmt (WB S. 36-38, 50, 60, 82, 93, …): Soziale Medien als Informations- und Kommunikationsplattform seien besonders anfällig, die hochkomplexen Gesellschaften und ihre Wirtschaft durch ihre Vernetzung gefährdet, die Daten aller Menschen virulent – kurzum: Cyberraum sei das (!) Feld der Verteidigung der Zukunft. Bereits mit der Ankündigung eines Workshops in der Vorbereitungsphase des Weißbuches wurde dieser Bereich hervorgehoben. Mit einer parallel angelaufenen Bundeswehr-Kampagne zur Anwerbung von IT-Experten, mit der Aufstellung einer eigenen Cyber-Einheit und mit der Zusammenfassung aller betrauten Dienststellen unter derLeitung der Staatssekretärin Suder wurden vom Verteidigungsministerium hier auch schon Entscheidungen getroffen, die das Weißbuch nur unzureichend widerspiegelt.

Das Ministerium sieht in diesen Maßnahmen nur eine notwendige Konsequenz und einen überfälligen Schritt, andere sehen darin vielmehr den Anfang vom Ende eines wie auch immer von seinen Nutzern frei zu gestaltenden Internet. Die Gefahr, die hiervon ausgeht, wird sogar beschrieben: Die »Natur« des Internet und der digitalen Kommunikation setze klassischen Methoden der Zuschreibung kriegerischer oder aggressiver Handlungen Grenzen; die Konstruktion und »Verletzlichkeit« moderner Systeme, auf denen unser Leben zu großen Teilen fußt, begrenze überdies die Möglichkeiten zu ihrem »Schutz«. D.h., letztlich weiß man um die Grenzen solcher Initiativen, will aber auf alle Fälle dabei sein und rüstet nun massiv auf. Dass man damit Angriffe nicht verhindern kann, umgekehrt aber just die Kapazitäten schafft, die anderen als Anlass von Gegenwehr dienen könnten, wird billigend in Kauf genommen.

Das Vorgehen der Bundesregierung weist damit interessanterweise Parallelen zur Politik in der Volksrepublik China auf, wo man von einer internetbezogenen »Souveränität« spricht und damit nicht nur alle anderen »draußen« halten will, sondern auch versucht, die eigenen Bürger*innen einzusperren.

Ertüchtigung und
Ad-hoc-Rahmennation

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Bestrebungen der deutschen Regierung, sich in Europa als starker Partner und Impulsgeber zu verorten. Dabei wird unter dem Stichwort „Ertüchtigung“ (WB S. 52) das fortgeführt, was bereits mit der »Merkel-Doktrin« begonnen wurde, nämlich »Partner« zu befähigen, »ihre« Probleme selbst zu lösen, indem man ihnen bei Konzeption, Aufbau und Ausstattung effektiver Sicherheits- und Repressionsapparate hilft. »Ertüchtigung« sollte dabei trotz aller positiven Beteuerungen als das kleinlaute Eingeständnis der Beschränktheit eigener Einflussmöglichkeiten gewertet werden. Die Bundesregierung betreibt hier die »Entgrenzung«, die sie anderen gern vorwirft: Die Hilfe beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Staaten; auch nicht-staatliche Akteure können auf finanzielle, waffentechnische oder Ausbildungshilfe hoffen. Das Spektrum der »Ertüchtigung« umfasst aber auch zivile Maßnahmen: Es wirken alle möglichen Instrumente aus dem Baukasten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zusammen.

Als „Rahmennation“ innerhalb der NATO möchte die Ministerin überdies den deutschen Gestaltungsanspruch ausdehnen und anderen (kleineren) Staaten ermöglichen, sich „zum Nutzen aller“ einzubringen (WB S. 68). Deutschland übernimmt hier nur allzu gern die Führung und verbindet gleich den Wunsch damit, die anderen Staaten mögen doch (bitteschön) ihre Aufrüstungswünsche mit dem Berliner Ministerium absprechen. Dass dabei gleich auch noch der europäische Gedanke untermauert und der europäische Pfeiler innerhalb der NATO aufgewertet wird, ist ein positiver Nebeneffekt. Ein anderer ist dann wie zufällig, dass dies auch einer der Bausteine ist, mit denen man die europäische Rüstungsindustrie effizienter weiterentwickeln möchte … unter deutscher Führung.

Dazu passend analysiert die Regierung, dass es immer öfter zu Ad-hoc-Kooperationen kommen wird, an denen sich Deutschland beteiligt, um seinen Gestaltungsspielraum zu wahren (WB S. 81). Auf dem politischen Parkett ist dies ohnehin schon der Fall, und im militärischen Bereich wird es immer häufiger dazu kommen. Im Zusammenhang mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetze ist dies ein durchaus strittiger Punkt, bei dem das Ministerium letztlich argumentiert, die Vorgabe, Auslandseinsätze müssten durch den Bundestag mandatiert werden, stehe im Widerspruch zur »gestiegenen Verantwortung« Deutschlands und sei zu überprüfen.

Mehr … von allem

Mehr Personal – mehr Waffen – mehr Geld!

Der zweite Teil des Weißbuches entwickelt aus der Analyse des ersten Teiles unmittelbare und weitreichende Folgerungen für die Bundeswehr, unterlässt es aber, konkret zu werden. Das langfristige Ziel, den Verteidigungshaushalt auf die von der NATO angeregten zwei Prozent anzuheben, wird im Weißbuch bestätigt. Allerdings wird verschwiegen, dass dies die Anhebung des Etats von derzeit knapp 32,4 Mrd. Euro auf fast 50 Mrd. Euro bedeutet. Schon in den vergangenen Jahren wurde das Budget des Ministeriums massiv erhöht, und so bestand die begründete Erwartung, das Weißbuch würde die Prioritäten in der Budgetaufteilung erläutern. Diese Erwartung wurde enttäuscht: Was mit dem zusätzlichen Geld passieren soll, überlässt das Weißbuch der Interpretation der Leser*innen.

Umgekehrt gibt es aber einige interessante Bemerkungen, die konsequent aus dem »vernetzten Ansatz« heraus entwickelt wurden und einen Hinweis auf zukünftiges Vorgehen geben. So ist die an verschiedenen Stellen angesprochene »Durchlässigkeit« Richtung Wirtschaft wohl als ein Versuch zu werten, nicht nur an die bereits bekannten (und zum Teil erfolglosen) Betreiberlösungen zu denken, sondern sich verstärkt der zeitweisen oder auch projekt- und einsatzbezogenen Integration von Personal aus der Wirtschaft zuzuwenden. Dies würde sowohl die Hierarchien und Besoldungsstrukturen verändern als auch neue Prozessabläufe erfordern. Vorbild hierfür könnte das durch Beratungsunternehmen verstärkte Beschaffungswesen sein, das man als modernes Rüstungsmanagement lobt und als Vorbereitung für eine flexible, zukunftsfähige Lösung ausbauen möchte. Ob die teure Beteiligung von Wirtschaftsberatern allerdings mehr als nur die Produktion von Risikobewertungen (Transparenzkultur“, WB S. 132) bringt, ist bisher nicht bewiesen. Eine Öffnung der Bundeswehr in die Privatwirtschaft wäre aber auch in dem Feld denkbar, in dem es der Bundeswehr besonders schwer fällt, adäquates Personal zu rekrutieren: dem IT-Bereich.

Ein anderer spannender Punkt ist die Sicherstellung der von der Regierung als notwendige Basis begriffenen wehrindustriellen Kompetenzen. Hier will man nicht nur weiterhin der Industrie mit Aufträgen und Hilfestellungen beim Export beiseite stehen, sondern man sieht sich auch in der Pflicht, die technologischen Grundlagen stärker abzusichern. Die bisher schon erbrachte Forschungs- und Entwicklungsleistung sollte fortgeführt, aber – unter dem Eindruck der Veränderungen in der Forschungsorganisation und im Forschungsablauf allgemein – auch angepasst werden. Dies bedeutet einerseits, dass man an den Forschungs- und Entwicklungsleistungen anderer schneller partizipieren will, als dies in den bisherigen Strukturen möglich ist, wo die Bundeswehr erst spät als potentieller Nutzer mit der Technologie in Berührung kommt. Andererseits möchte man selbst als Motor hinter solchen Entwicklungen stehen, indem z.B. Startups gefördert werden oder man, z.B. über eine Agentur, gezielt Forschungsimpulse setzt.

Hier versucht das Ministerium also genau in die Lücke vorzudringen, die die kaum noch adäquate Forschungs- und Hochschulfinanzierung geschaffen hat – wer Schlimmes befürchtet, mag sich an die DARPA5 erinnert fühlen, die in den USA inzwischen als einer der wichtigsten Forschungsfinanziers auftritt. Flankiert wird dies von der Ankündigung, man wolle „gemeinsam mit dem Parlament eine Debatte über eine neue Risikomanagementkultur führen, die mit anspruchsvolleren Entwicklungen einhergeht“ (WB S. 132). Es bewahrheitet sich in gewisser Weise das, was von Kritiker*innen schon seit Längerem befürchtet wurde: Die Militarisierung der Forschungs- und Hochschullandschaft setzt sich fort, und notorisch unterfinanzierte Forscher*innen bekommen Gelegenheit, patriotisch zu handeln – mit Geld, das für eine tatsächliche und ernst gemeinte forschungsbasierte Risiko- und Krisenvorsorge dann aber fehlen wird.

Fazit

Das Weißbuch 2016 löst den zehn Jahre alten Vorgänger ab und passt die Inhalte der Zeit an. Es vollzieht die Salamitaktik des letzten Jahrzehnts nach und tut so, als ob das alles so sein müsste: Ausweitung der Auslandseinsätze, Bundeswehr in mehr und mehr Lebensbereichen, fortgesetzte Verschwendung für überteuerte Rüstung – alles folgerichtig und mit dem globalen Geltungsanspruch Deutschlands vereinbar. Die im Weißbuch vorgelegten Analysen zur Weltlage und zur Sicherheitslage in Deutschland ignorieren die Ursachen der Konflikte und ihre Triebkräfte. Bereits im Vorfeld des Erscheinungstermins und im Zuge der Debatte gab es Kritik an der Grundidee eines Weißbuches: Es sei ein überholtes Format bzw. schädlich für eine offene Debatte.6 Den Vorwurf, im Weißbuch könnten schon allein deshalb keine positiven, zukunftsfähigen Sicherheitskonzepte entwickelt werden, weil der Fokus der Autor*innen (des Verteidigungsministeriums) zu eng auf militärischen und gewaltbasierten Lösungsmechanismen liege, konterte das Ministerium mit dem Begriff der »menschlichen Sicherheit«.

Leider haben sich die Befürchtungen der Kritiker*innen in großen Teilen bewahrheitet. Die im Weißbuch präsentierten Lösungen zur »Sicherung« des Wohlstandes in Deutschland und Europa setzen auf eine fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft und den massiven Ausbau der Streitkräfte. Wer immer noch glaubt, mit militärischer Technik sei ein friedliches Leben zu sichern, stürzt sich und andere direkt in den nächsten Konflikt. Das Anhäufen von Arsenalen und modernste Kriegstechnologie werden die Ursachen der Konflikte, die zu den »Bedrohungen« führen, nicht beseitigen – sie sind heute nicht einmal mehr geeignet, sie auf Abstand zu halten. »Lösungen« sind nur in einer konsequent zivil gedachten Konfliktbearbeitung zu finden.

Anmerkungen

1) Bundesministerium der Verteidigung: Ursula von der Leyen stellt das neue Weißbuch vor. 13.7.2016. Eine digitale Fassung des »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« steht unter bmvg.de online; alle Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe.

2) Es wurde eine Webseite eingerichtet, auf der die »Bürger« ihre Meinung platzieren konnten (von denen bis heute nur ein Teil öffentlich ist), und es wurden Workshops durchgeführt, auf denen »Experten« ihre Expertise einbringen durften. Dokumentiert ist dies unter anderem in einer »Begleitbroschüre« zum Weißbuch: »Wege zum Weißbuch«.

3) Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln – Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Brüssel, 28.6.2016; verbreitet vom Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union.

4) North Atlantic Treaty Organization: Warsaw Summit Communiqué, Issued by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Warsaw 8-9 July 2016. Press Release (2016) 100.

5) DARPA = Defense Advanced Research Projects Agency; Forschungsagentur des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten, die mit einem jährlichen Budget von ca. drei Mrd. US$ dafür sorgt, dass die militärrelevanten Forschungsfragen auch ihren Weg in die zivilen Hochschulen finden. Im Umfang ist sie damit der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergleichbar, die für Forschungsprojekte in Deutschland jährlich insgesamt ca. 2,8 Mrd. Euro verausgabt.

6) Z.B. die am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) angesiedelte Kommission »Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr« in ihrem Positionspapier zum Weißbuch (ifsh.de).

Dr. Andreas Seifert ist langjähriges Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und vertritt die IMI im Vorstand von W&F. Er hat zuletzt an der Erstellung des »Schwarzbuch – Kritisches Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr« (2016, Rosa-Luxemburg-Stiftung und Fraktion DIE LINKE) mitgewirkt.

Zur Allgemeinen Verunsicherung


Zur Allgemeinen Verunsicherung

von Christoph Bongard

Vor zweieinhalb Jahren forderten der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin und der Außenminister in München eine neue Rolle Deutschlands in der Welt. Der Tenor lautete: In Zukunft will Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen. Mit dem Mitte Juli vom Bundeskabinett verabschiedeten »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« liegt nun, wie Ministerin von der Leyen bei der Bundespressekonferenz betonte, „das gesammelte Konzept der Bundesregierung, das die neue Grundhaltung widerspiegelt,“ vor.

Bei einem Blick auf die „Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik“ wird deutlich, dass es tatsächlich vieler unterschiedlicher Antworten bedarf – am allerwenigsten jedoch militärischer. Der Anspruch eines Konzeptes wird mitnichten erfüllt. Hierfür wäre es konsequent gewesen, Rolle, Aufgaben und Fähigkeiten der Bundeswehr klar einzugrenzen und enge Kriterien für den Einsatz militärischer Mittel festzulegen.

Stattdessen ordnet das Weißbuch unterschiedlichste globale Herausforderungen – einschließlich des Klimawandels, der Migration oder sogar der Gesundheitsvorsorge – in ein Gesamt-Bedrohungsszenario ein. Auf diese Weise werden alle möglichen Politikfelder der Sicherheitspolitik zu- und untergeordnet. Die Tür ist damit für militärische Optionen weit aufgemacht. Und das Spektrum reicht dann vom Einsatz zur Sicherung unserer (!) Handelswege und Rohstoffversorgung über die Bekämpfung von Pandemien bis hin zur Terrorismusbekämpfung. Neu ist das verschärfte Plädoyer für den Einsatz der Truppe im Inneren: Mit „nachhaltiger Resilienz“ soll unsere Gesellschaft in den wehrhaften Modus versetzt werden und sich auf Abwehr einstellen.

Während im alten Weißbuch 2006 »nur« die Rede war von einer zunehmenden Überschneidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, wird jetzt die Notwendigkeit hybrider Analyse und Verteidigungsfähigkeit herausgehoben. In Kombination mit dem neuen und vielfachst im Weißbuch hervorgehobenen Betätigungsfeld Cybersicherheit lösen sich Raum, Zeit und Akteursabgrenzungen vollständig auf. Unsicherheit kennt keine Grenzen, das entspricht ihrer inneren Logik.

Ein positiver Gestaltungsanspruch für die Weltpolitik, wie man ihn von einem Land, das international mehr Verantwortung übernehmen möchte, erwartet, ist in diesem Weißbuch kaum zu finden. Auf die Herausforderungen der im Weißbuch beschriebenen multipolaren Welt, in der die internationale Ordnung nicht länger maßgeblich vom Westen diktiert werden kann, wird vor allem mit der Versicherung in westlichen Verteidigungsbündnissen (NATO und Europäische Union) reagiert. Viel angemessener wäre die Andeutung einer Lernbereitschaft Deutschlands (und seiner westlichen Bündnispartner), wie man internationale Kooperation auch bei geringerer globaler Dominanz aktiv gestalten kann – andere Länder haben hier einen Erfahrungsvorsprung.

Fazit: Das Weißbuch entwirft eine Sicherheitspolitik, die langfristig nicht mehr Sicherheit durch Bewältigung der Ursachen von Gewalt, sondern mehr Unsicherheit durch einseitige Bedrohungsabwehr befürchten lässt. Wer wie die AutorInnen des Weißbuchs offenbar immer noch Militäreinsätze für eine effektive Strategie zur Terrorabwehr hält, hat keine Strategie zum Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger. Da wird einem um unsere Sicherheit wirklich bange.

Der Blick richtet sich nun auf das Auswärtige Amt. Unter seiner Federführung werden bis Frühjahr 2017 die »Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung« erarbeitet. Bevor der interministerielle Abstimmungsprozess beginnt, an dessen Ende auch hier die Verabschiedung durch das Bundeskabinett erfolgt, findet ein hoffentlich das Wort und die Mühe verdienender Debattenprozess statt. Wird es dort gelingen, den im Weißbuch benannten aber nicht umgesetzten Friedensauftrag des Grundgesetzes auszuformulieren? Wird dort eindeutig geklärt, dass die internationalen Herausforderungen nur mit zivilen Mitteln gemeistert werden können? Dem gruselig anmutenden Weltbild des Weißbuchs muss eine konstruktive Vision zur Gestaltung der Welt entgegengesetzt werden. Die positiven Prozesse der Nachkriegszeit – Rüstungsbegrenzung, Ende des Kalten Krieges, Wiedervereinigung, Nachhaltigkeitsagenda etc. –, an denen das Auswärtige Amt jeweils maßgeblich beteiligt war, sind nicht aus Angst und Defensive entstanden, sondern aus positiven Zukunftsvisionen und Gestaltungswillen und aus der Fähigkeit, Perspektiven des Gegenübers einzunehmen.

Christoph Bongard leitet die Abteilung Kommunikation des Forum Ziviler ­Friedensdienst und ist Mitglied des SprecherInnenrats der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.

Die NATO Response Force

Die NATO Response Force

Eine hybride Truppe

von Uli Cremer

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, aus der nach 1990 formierten »Neuen NATO«, die das Militärbündnis in die Lage versetzen sollte, global zu intervenieren, wäre wieder die Alte, gegen den Osten gerichtete, NATO geworden, lediglich um diverse neue Mitglieder ergänzt. Die NATO-Präsenz an der östlichen Grenze wird verstärkt, ein Manöver folgt dem anderen, neue Stützpunkte werden errichtet, die NATO-Militärausgaben steigen. Zentral ist dabei der Ausbau der NATO Response Force inklusive der Formierung der »Very High Readiness Joint Task Force« seit Herbst 2014, an der auch Deutschland beteiligt ist.

Nach Angaben der NATO war mit der bisherigen NATO Response Force (NRF) eine schnelle Eingreiftruppe von 28.000 SoldatInnen aufgebaut worden, bestehend aus 13.000 »high readiness troops« (Eingreiftruppe) und 15.000 »follow-on forces« (Unterstützungskräfte).1 Letztere werden in der aktuellen Berichterstattung gern unterschlagen, sodass die bisherige NRF kleiner erscheint, als sie tatsächlich ist. Die NRF wird abwechselnd von einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten gestellt. Die USA stellen keine eigenen Truppenkontingente, sondern es handelt sich um ein rein europäisches Militärprojekt unter Aufsicht von USA und NATO.

Mögliche Einsätze der NRF werden natürlich vorab trainiert. Ein Blick auf die Manöverszenarien ergibt ein gemischtes Bild. Eigentlich war die NRF konzipiert worden, um vor allem im Globalen Süden auf Krisen reagieren zu können. Das NRF-Manöver 2006 fand dementsprechend in warmen Gefilden statt: auf den Kapverdischen Inseln. Es ging um Schutzverantwortung für Öl: „Über 7.000 Soldaten, inklusive deutscher und französischer Infanterie, amerikanischer Bomberpiloten und spanischer Seeleute werden sich einer Auseinandersetzung rivalisierender Fraktionen gegenübersehen, die um die Kontrolle der Ölvorkommen der Insel kämpfen.“ 2

Anfang November 2013 – in Kiew regierte noch Präsident Janukowitsch, der Umsturz vom Februar 2014 hatte noch nicht stattgefunden, auch die Krim war noch nicht in das russische Staatsgebiet eingegliedert worden – wurde ein großes NATO-Manöver für die NRF mit dem Namen »Steadfast Jazz« abgehalten. Die Bundeswehr berichtete: „Rund 6.000 Soldaten aus allen NATO-Staaten sowie aus Finnland, Schweden und der Ukraine beteiligen sich […]. Geografischer Schwerpunkt […] ist der Ostseeraum inklusive Polen und dem Baltikum. Trotzdem richtet sich Steadfast Jazz nicht gegen Russland, sondern ‚gegen jeden, der irgendwie auf die Idee kommt, die NATO anzugreifen', so Bundeswehr-General Hans-Lothar Domröse, der die Übung leitet.“ 3

Das nächste Manöver der NRF im Herbst 2015 findet in Westeuropa statt. »Trident Juncture« ist mit 36.000 SoldatInnen das größte NATO-Manöver seit über zehn Jahren, was die stark intensivierten Übungsaktivitäten des Bündnisses unterstreicht. Das fiktive Manöverszenario spielt in Afrika, also wiederum im Süden, wo ein eskalierender Konflikt zweier Staaten um den Zugang zu Trinkwasser geschlichtet werden soll.

Die Aufstellung der »Speerspitze«

Im Kontext des Ukrainekonfliktes beschloss das Bündnis im September 2014 eine neue Eingreiftruppe, die »Very High Readiness Joint Task Force« (VJTF, NRF-Einheit in höchster Bereitschaft). In Deutschland wird sie »Speerspitze der NATO« genannt, die sprachlich pragmatischen Niederländer nennen sie »Supersnelle Flitsmacht«. Die ersten Angaben lauteten: eine Brigade, also ca. 5.000 bis 7.000 SoldatInnen, die für den Einsatz an der Ostgrenze vorgesehen seien.

Jede schnelle Eingreiftruppe besteht aus drei Teilen, die einen Gesamtpool bilden. Das prominenteste Drittel ist die Truppe, die tatsächlich innerhalb weniger Tage verlegbar ist (high readiness); das zweite Drittel ruht sich vom Einsatz bzw. der »high readiness«-Phase aus; das dritte Drittel bereitet sich vor. Wenn die NRF also 28.000 SoldatInnen stark war, konnte ein Drittel (ca. 9.300) unmittelbar eingesetzt werden. Die Verbände, die z.B. 2009 als NRF »high ready« waren, hatten sich 2008 darauf vorbereitet und ruhten sich 2010 in Reserve aus. Folglich sollte auch die neue »Speerspitze« nie aus nur ca. 5.000 bis 7.000 SoldatInnen bestehen. Vorgesehen war von Anfang an die dreifache Anzahl: eine Truppe in der Größenordnung von 15.000 bis 21.000 SoldatInnen.

Ursprünglich sollte die neue Truppe erst 2016 einsatzbereit sein, nun ist sie es schon vorzeitig. Möglich wird diese »Interimslösung« durch Umgruppierung: Das deutsch-niederländische Korps in Münster, 2015 ohnehin für die NRF als »high ready« gemeldet, bildet ab sofort das Rückgrat der »Speerspitze«. Die Niederlande stellen aktuell mit knapp 3.000 InfanteristInnen das Gros der SoldatInnen. Dazu kommen: „ein Panzergrenadierbataillon aus Marienberg in Sachsen mit 900 Mann“ und „450 Mann aus dem multinationalen Hauptquartier des Deutsch-Niederländischen Korps“.4 Die Norweger steuern schnell verlegbare Artillerie bei.

Größe, Manöver und Einsatzgebiet

Schlussendlich soll die »Speerspitze« aus drei Brigaden bestehen (plus Luft- und Seekomponenten). Wie bei der bisherigen NRF könnte die erste Brigade zum Einsatz bereit stehen, eine Brigade würde sich ausruhen, während sich eine dritte Brigade vorbereitete. Da es sich um eine »sehr schnelle Eingreiftruppe« handelt, soll das bereitstehende erste Drittel in fünf bis sieben Tagen verlegbar sein, die ersten Einheiten sogar binnen 48 Stunden.5 Bei Bedarf sind auch die beiden anderen Drittel relativ schnell mobilisierbar: die ausruhenden Verbände in 30 Tagen, die Verbände in Vorbereitung binnen 45 Tagen, so die Angaben der Planer aus dem deutschen Verteidigungsministerium. Innerhalb von 45 Tagen wäre die NATO damit in der Lage, ca. 20.000 SoldatInnen bereitzustellen!

Bei längerem zeitgleichen Einsatz des Gesamtpools wäre noch die Austauschbarkeit zu gewährleisten. Dazu würden die einzelnen beteiligten NATO-Länder die von ihnen gestellten SoldatInnen durchwechseln. So gesehen wären die Interventionskapazitäten der »Speerspitze« erheblich höher als 20.000. Damit die Kooperation der ablösenden SoldatInnen funktioniert, müssten natürlich auch diese vorher gemeinsame Trainings absolvieren, entsprechend müssten mehr Manöver stattfinden. Und tatsächlich ist deren Anzahl schon jetzt stark gestiegen. Allein die Bundeswehr beteiligt sich im Jahr 2015 mit ca. 5.200 SoldatInnen an diversen NATO-Manövern.6 Die Ausgaben dafür wurden jüngst um 20 Mio. Euro auf 90 Mio. Euro aufgestockt. Vergleicht man also die »Speerspitze« mit der bisherigen NRF, so wird offenbar eine relevante qualitative Verbesserung angestrebt: Es werden mehr offensive Truppenteile schneller verlegbar sein, die NATO wird interventionsfähiger.

Globaler Süden oder Osteuropa?

Ungeklärt blieb zunächst die Frage, wo der Schwerpunkt dieser Interventionsfähigkeit liegen soll. Würden die nach einer Umgruppierung gewonnenen Kräfte der NRF als neue »Speerspitze« primär gen Russland gerichtet sein? Damit gäbe die NATO die flexible Interventionsfähigkeiten auf, da Kräfte an der Ostgrenze des Bündnisses gebunden würden. Diesem Dilemma begegnete das Bündnis schließlich mit einem deutlichen »sowohl, als auch«, die NRF soll nämlich von 13.000 auf insgesamt 40.000 SoldatInnen vergrößert werden. Die deutschen Medien sprachen entsprechend von einer Verdreifachung. Andererseits war die NRF schon bisher 28.000 SoldatInnen groß. Ziehen wir von den vorgesehenen 40.000 NRF-Kräften die »Speerspitze« mit ihren ca. 20.000 SoldatInnen ab, würde eine etwa ebenso große Rest-NRF übrig bleiben. Die eine Hälfte der NRF könnte dann als »Speerspitze« für die Verwendung an der Ostgrenze reserviert bleiben, die andere Hälfte stünde weiterhin für die »Krisenreaktion«, also Militärinterventionen anderswo, zur Verfügung. Die Diskussion auf der Herbsttagung 2015 der NATO-Verteidigungsminister brachte im Zusammenhang mit dem russischen Eingreifen im Syrienkrieg eine weitere Einsatzmöglichkeit der »Speerspitze« in der Türkei ins Gespräch.7

Schon das erste Manöver der »Speerspitze« zeigte einen hybriden Charakter. Während das Szenario im ersten Teil des Manövers im April 2015 eher einem Einsatz in Afghanistan glich,8 übten im Juni 2015 im zweiten Teil von »Noble Jump« 2.100 NATO-SoldatInnen ein „Szenario, das passgenau auf die befürchtete Aggression ausgelegt war: Bekämpft werden sollten Separatisten, die – unterstützt von einem ausländischen Trainer mit dem Codenamen »Birdman« – einen Landstrich eingenommen hatten.“ SPIEGEL ONLINE resümiert: „Was in Sagan geübt wurde, kann man getrost als Drohung gen Moskau verstehen.“ 9

Auch die »Speerspitze« soll also für verschiedene Aufgaben bereitgehalten werden. Dem entspricht, dass die Verbände nach aktueller Beschlusslage eben nicht permanent an der Ostgrenze stationiert werden sollen. Selbst eine Vorabeinlagerung militärischer Ausrüstung war dort ursprünglich nicht vorgesehen, auch nicht seitens der parallel agierenden US-Truppen: Im März 2015 verlegten die USA 3.000 SoldatInnen samt Material ins Baltikum und fuhren das Gerät anschließend als Panzerdemonstrationszug über Polen und Tschechien nach Deutschland zurück. Aufgebaut werden sollten lediglich sechs kleine lokale Stäbe mit jeweils ca. 40 SoldatInnen,10 die Vorräte einlagern und Infrastrukturmaßnahmen, wie den Ausbau von Landepisten, in Angriff nehmen sollten. Den kleinen Stäben war also eher die Aufgabe von Quartiermeistern zugedacht.

Doch dann überschlugen sich politisch und medial die Ereignisse. Mitte Juni lancierte US-General Breedlove, der in Personalunion Oberkommandierender der NATO- und der US-Truppen in Europa ist, seinen Plan, „die Ausrüstung einer Panzerbrigade nach Osteuropa zu verlagern […,] darunter 250 Kampfpanzer“.11 Diese sind nicht für die europäische »Speerspitze«, sondern für eine zusätzliche US-Panzerbrigade mit ca. 5.000 SoldatInnen gedacht und werden auf diverse Länder an der NATO-Ostgrenze verteilt. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hatten die US-Truppen allerdings schon im Januar die Einlagerung von Material und die damit verbundene Suche nach Standorten angekündigt.12 Damit nicht genug: Auf Druck der USA und der Osteuropäer beschlossen die NATO-Verteidigungsminister ein paar Tage später, die „Vorabeinlagerung von Gerät und Vorräten“.13 Zu den Vorräten tritt nun also doch auch das Gerät, das nicht nur seitens der US-Truppen, sondern auch durch die europäischen NATO-Länder, die die NRF und die »Speerspitze« stellen, eingelagert werden soll. Meldungen über die Einlagerung westeuropäischer Kampfpanzer und anderer Gerätschaften an der NATO-Ostgrenze in nächster Zeit wären daher keine Überraschung.

Politische Dimension der NATO-Stützpunkte an der Ostgrenze

In der politischen Debatte um die »Speerspitze« wird auf zweierlei verwiesen: Erstens sei ohnehin alles, was die NATO mache, rein defensiv – ein Argument, das seit 1949 jede NATO-Aufrüstungsmaßnahme begleitet. Zweitens wolle sich die NATO weiterhin an die NATO-Russland-Grundakte von 1997 halten. Darin versprach die NATO, keine Atomwaffen und auch keine substantiellen konventionellen Kontingente in den neuen NATO-Ländern zu stationieren. 240 NATO-SoldatInnen in sechs Stützpunkten wären in der Tat keine große Sache, gäbe es nicht den größeren Kontext, insbesondere die permanenten Manöver. Die hybride »Speerspitze«, die ursprünglich für Einsätze im Osten wie im Süden gedacht war, würde bei Einlagerung schweren Materials in Depots an der Ostgrenze – und erst recht, wenn man permanent auch das Personal vor Ort stationierte – auf eine Eingreiftruppe Ost zusammengestutzt. Die NATO hätte dann in die Alte NATO investiert und nicht in eine Neue NATO, die auf Interventionen außerhalb des NATO-Gebiets ausgerichtet ist.

Keinen Sinn für die Neue NATO oder die NATO-Russland-Grundakte haben die Regierungen der baltischen Länder, die Anfang Mai die permanente Stationierung einer NATO-Brigade im Baltikum verlangten. Der neue polnische Präsident Duda forderte bei seiner Antrittsrede Anfang August „eine stärkere Nato-Präsenz in seinem Land und ganz Osteuropa sowie ‚mehr Garantien' angesichts der empfundenen russischen Bedrohung“.14 Die deutsche Regierung versucht(e) sich an einem Spagat: Die angestrebte Führungsrolle in der EU samt Rücksichtnahme auf russlandfeindliche Regierungen soll mit eigenen Wirtschaftsinteressen in Russland in Einklang gebracht werden. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Ende Juni begrüßte Verteidigungsministerin von der Leyen anlässlich des Besuchs des US-Verteidigungsministers Carter die Stationierung von 250 US-Panzern und weiteren schweren Geräts an der Ostgrenze als „angemessene defensive Maßnahme“.15 Man darf gespannt sein, wann sie die Verlagerung deutschen Geräts an die NATO-Ostgrenze ankündigt und damit die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland weiter ruiniert.

Die finanziellen Konsequenzen

Um die Neue NATO nicht wegen der Umtriebigkeit an der Ostgrenze beerdigen zu müssen, bekräftigt das Bündnis seine Forderung an die Mitglieder, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Militär auszugeben. Diese Zielmarke wurde bisher nur in wenigen Ländern erreicht. Auf dem Gipfel in Wales 2014 gaben sich die Mitgliedsländer zehn Jahre Zeit zur Realisierung des Ziels. In Deutschland würde das eine dramatische Steigerung des jährlichen Militärhaushalts von jetzt 33 Mrd. Euro auf ca. 55 Mrd. Euro bedeuten. Verteidigungsministerin von der Leyen bekannte sich beim Besuch von NATO-Generalsekretär Stoltenberg in Berlin Anfang Juli 2015 zu dem Ziel. Auch die deutsche Etatplanung für 2016 sieht bereits eine Steigerung des Militäretats um 4,2% auf 34,4 Mrd. Euro vor. Litauen erhöhte bereits 2015 um 50%, Polen um 20%.

Ohne höhere Aufwendungen wäre auch die im Juni 2015 von den NATO-Verteidigungsministern verkündete neue Zielgröße für die Gesamt-NRF nicht zu erreichen. Außerdem werden vermutlich alle Teile der NRF mit modernster Ausrüstung und modernsten Waffen ausgestattet. Sofern das Material für die »Speerspitze« an den sechs NATO-Stützpunkten an der Ostgrenze eingelagert würde, könnte die NATO diesen Teil der NRF nicht mehr für Militärinterventionen anderswo nutzen – es sei denn, man verdoppelte das Material und legte einen zweiten Vorrat an den Stationierungsorten des Personals in Westeuropa an. Hier könnten lukrative Aufträge für die Rüstungsindustrie winken.

Anmerkungen

1) NATO Fact Sheet: NATO Response Force. nato.int, February 2013. Zur Geschichte der NRF siehe Uli Cremer (2009): Neue NATO: die ersten Kriege. Hamburg: VSA, S.183f.

2) Conn Hallinan: Into Africa. Foreign Policy in Focus, 15.3.2007; zitiert nach Jürgen Wagner: Deutschlands Kampf um den letzten Tropfen – Militärische Rohstoffsicherung und die kommenden Kriege. IMI-Studie 2008/02.

3) NATO-Übung Steadfast Jazz: Training der Eingreifkräfte. bundeswehr.de, 5.22.2013.

4) Thomas Gutschker: Die Deutschen an die Front. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.2015.

5) NATO Fact Sheet: NATO's Readiness Action Plan. nato.int, February 2015.

6) Rede von Tobias Pflüger beim Ostermarsch 2015 in Stuttgart, 4.4.2015. IMI-Standpunkt 2015/017.

7) Michael Stabenow: Eine Speerspitze für Ankara. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.10.2015.

8) Exercise Watch: Abschlussübung des deutschen NRF-Verbandes. augengeradeaus.de, 9.4.2015.

9) Matthias Gebauer: Nato-Manöver in Polen: Gruß an Moskau von der schnellen Eingreiftruppe. SPIEGEL ONLINE, 18.6.2015.

10) Defence Ministers decide to bolster the NATO Response Force, reinforce collecitve defence. nato.int, 24.6.2015.

11) Thomas Gutschker und Michael Stabenow: Nato-Oberbefehlshaber verteidigt Stationierungspläne. faz.net, 17.6.2015.

12) Panzer in den Osten: U.S. Army sucht Standorte. augengeradeaus.de, 27.1.2015.

13) NATO Fact Sheet: The Readiness Action Plan. nato.int, May 2015.

14) Duda fordert mehr Nato-Präsenz in Osteuropa. faz.net, 6.8.2015.

15) Carter in Estland: USA verlegen schweres Militärgerät nach Estland. SPIEGEL ONLINE, 23.6.2015.

Uli Cremer ist einer der Initiatoren der GRÜNEN FRIEDENSINITIATIVE, ehemaliger Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik bei den GRÜNEN und Autor des Buches »Neue NATO – die ersten Kriege« (Hamburg: VSA, 2009).