Privatisierte Gewalt im Jugoslawienkrieg

Privatisierte Gewalt im Jugoslawienkrieg

Paramilitarismus, private Militärunternehmen und Ethnisierung des Konfliktes

von Boris Kanzleiter

Seit dem Irakkrieg wird in der Öffentlichkeit der Anteil »privatisierter Gewalt« in staatlich geführten Kriegen stärker wahrgenommen. Doch so neu ist dieses Problem nicht. Boris Kanzleiter beschreibt in seinem Artikel über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien zwischen 1991 und 1999, welchen Einfluss hier mit einigem zeitlichen Abstand verschiedene Formen »privatisierter Gewalt« hatten, die heute auch in anderen aktuellen Konflikten auftreten.

Die westliche Öffentlichkeit hat die Kriege im ehemaligen Jugoslawien der Medienberichterstattung folgend vor allem als ethnische Kriege wahrgenommen. Welchen Einfluss in diesen Kriegen private Gewaltunternehmen hatten, blieb vielfach unbeantwortet. Im folgenden Artikel soll deshalb besonderes Augenmerk auf folgende drei Aspekte gelegt werden

  • Erstens soll dargestellt werden, dass »privatisierte Gewalt« im Jugoslawienkrieg nicht in erster Linie Ausdruck eines chaotischen »Staatszerfalls« war, sondern Ausfluss der Strategie politischer Eliten.
  • Zweitens soll geklärt werden, dass die »ethnischen Säuberungen« während des Krieges keinesfalls Ausdruck »uralten Hasses« verschiedener Bevölkerungsgruppen waren, sondern oft die Folge des Einsatzes »privatisierter Gewalt«.
  • Dritter Schwerpunkt des Textes ist die Darstellung des Einsatzes des amerikanischen Militärunternehmens »Military Profesional Resources Inc.« (MPRI) in Kroatien 1994/1995. An diesem Beispiel wird deutlich, dass der durch die US-Regierung unterstützte Einsatz eines privaten Militärunternehmens – unabhängig davon, ob dies intendiert war oder nicht – mit dem Preis einer der größten »ethnischen Säuberungen« während des Jugoslawienkrieges bezahlt wurde.

Paramilitarismus als Elitenstrategie

Das Kriegsgeschehen in Jugoslawien – die Bilder von Massakern an Zivilistinnen und Zivilisten – wurde in der internationalen Öffentlichkeit mit Abscheu und Unverständnis aufgenommen. Nach der Überwindung des Kalten Krieges wähnte man sich am Beginn eines friedlicheren Zeitalters, da schienen 1991 auf dem Balkan die Menschen den Verstand zu verlieren. Begreifen konnte den Konflikt kaum jemand, hatten Serben, Kroaten, bosnische Muslime und viele andere nationale Gruppen in Jugoslawien doch jahrzehntelang friedlich zusammen gelebt. Zur Erklärung setzte sich schnell die These vom »uralten ethnischen Hass« durch. Demnach war Jugoslawien eben kein gelungenes Beispiel einer multikulturellen Gesellschaft, sondern ein »kommunistisches Völkergefängnis«; nach dem Wegfall der Parteikontrolle schien sich der jahrzehntelang aufgestaute »ethnische Hass« wie eine Naturgewalt zu entladen.1 Genau diese These vom »ethnischen Hass« ist aber falsch. Selbstverständlich bestreitet niemand ernsthaft, dass im sozialistischen Jugoslawien das multinationale Zusammenleben nicht immer problemlos war und dass zeitweise unter den Vorzeichen nationaler Thematiken auch heftige Konflikte auftraten.2 Daraus kann allerdings nicht die Unvermeidlichkeit eines Staatszerfalls abgeleitet werden.

Die Ursachen für die Desintegration Jugoslawiens sieht die soziologische und historische Forschung vielmehr in den enormen strukturellen Entwicklungsunterschieden verschiedener Regionen, der dramatischen Wirtschaftskrise in den 80er Jahren, dem Legitimationsverlust des regierenden »Bundes der Kommunisten« (BdKJ) nach dem Scheitern des Sozialismus in Osteuropa, den autoritären politischen Machtstrukturen, der überzogen föderalisierten und unpraktikablen Staatsverfassung und dem Verlust des Interesses an einem stabilen Jugoslawien durch die westlichen Staaten nach dem Ende des Kalten Krieges.3 Was die soziale und politische Krise am Ende der 80er Jahre schließlich in ihre ethnisierte Form brachte, waren vor allem die Strategien der Eliten, in denen ethnische bzw. nationale Argumente im Kampf um Macht und konkurrierende politische Projekte eingesetzt wurden.4

Das Auftreten der paramilitärischen Gruppen in Jugoslawien ist eng mit diesen Strategien verknüpft. Die ersten paramilitärischen Formationen sind keineswegs spontan entstanden, es lässt sich vielmehr feststellen, dass sie sowohl auf kroatischer als auch auf serbischer Seite aus Parteiapparaten sowie Geheimdienst- und Polizeistrukturen gegründet wurden, um in den politischen Auseinandersetzungen um die Zukunft der jugoslawischen Föderation einen »Joker« im Spiel zu haben und mit Gewalt drohen zu können.

Auf kroatischer Seite gibt es Hinweise darauf, dass in Ost-Slawonien bereits im Sommer 1990 wichtige Kader der gerade neu gegründeten »Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft« (HDZ), wie Branimir Glavaš und Tomislav Merèep, illegale paramilitärische Parteimilizen bewaffneten.5 Zu diesem Zeitpunkt operierten auch die ersten aus Belgrader Geheimdienstkreisen unterstützen serbischen Paramilitärs in Kroatien. Es handelte sich dabei um eine Gruppe des ehemaligen Bankräubers und Aufragskillers Zeljko Ražnatoviæ alias Arkan.6

Die Nennung des Zeitpunktes ist hier von großer Bedeutung. Denn im Herbst 1990 – fast ein Jahr vor Ausbruch des Krieges – hielt nach Meinungsumfragen die große Mehrheit der Bevölkerung ein gewaltsames Auseinanderbrechen des Staates nicht für wahrscheinlich und erst recht nicht für wünschenswert.7 Die Jugoslawische Volksarmee (JNA) definierte sich überwiegend noch in der Rolle des Schlichters. Die von nationalistischen Eliten installierten paramilitärischen Gruppen wurden so zu einem treibenden Faktor bei der Polarisierung. Hinzu kam eine Desinformationskampagne der Medien, die Misstrauen und Furcht schürte und damit den Nationalisten auf allen Seite in die Hände spielte.8

Paramilitärs im Krieg

Während in den internationalen Medien zur Untermalung der These vom »Ausbruch ethnischen Hasses« bei der Berichterstattung über das Kriegsgeschehen oft das Bild von »Nachbarn« gezeichnet wurde, die brandschatzend und mordend »übereinander herfielen«, zeigt eine genauere Untersuchung etwas ganz anderes.9 Der Balkanexperte Norbert Mappes-Niediek stellt z. B. fest, dass in Augenzeugenberichten aus der Anfangszeit des Bosnienkrieges kein einziger »Nachbarschaftstäter« auftaucht. Viel öfter lassen sich Hinweise darauf finden, dass sich in dieser Zeit Nachbarn unterschiedlicher Ethnizität gemeinsam vor gewaltsamen Überfällen geschützt haben.10 Die Gewalt wurde meist von außen in die Dörfer und Städte mit einer gemischten Bevölkerungsstruktur hinein getragen, nicht alleine, aber maßgeblich, durch die paramilitärischen Gruppen. Nach Angaben einer UN-Expertenkommission operierten 1994 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens 83 paramilitärische Gruppen mit einer Gesamtstärke von 36.000 bis 66.000 Kämpfern.11

An dieser Stelle ist nicht der Platz, um auf eine chronologische Schilderung und Differenzierungen einzugehen, die eine Darstellung des komplexen Kriegsverlaufs erfordern würde. Aber es bleibt festzuhalten: Der Krieg mutete über weite Strecken an wie die terroristische Diktatur einer bewaffneten Minderheit über eine unterworfene Bevölkerung, die zur Positionierung entlang »ethnischer Linien« gezwungen wurde. Das verbreitete Muster der »ethnischen Säuberungen« verlief dabei in drei Phasen. Zunächst wurde eine Ortschaft – oft unter dem Schutz regulärer Armeeeinheiten – von Paramilitärs umstellt und die Bevölkerung einer oder mehrerer ethnischer Gruppen zum Verlassen aufgefordert. Anschließend wurde der Ort militärisch eingenommen und eventueller Widerstand gebrochen. Dabei kam es zu systematischem Terror gegenüber den »feindlichen« ethnischen Gruppen. In einer dritten Phase wurden die Häuser der Vertriebenen geplündert.12 Der Terror richtete sich aber nicht nur gegen die anderen Ethnien, er richtete sich vor allem auch gegen die Mitglieder der eigenen Bevölkerungsgruppe, die sich schützend vor die Verfolgten der anderen Gruppe stellten und die als »Verräter« gebrandmarkt wurden.

Die heute scheinbar »unüberbrückbaren« ethnischen Grenzen in Städten wie im kroatischen Vukovar, wo es auch über zehn Jahre nach dem Krieg noch immer keine gemischten Schulklassen gibt, oder Kosovska Mitrovica, wo Serben und Albaner komplett segregiert leben, sind nicht die Ursache für die bewaffneten Konflikte, sondern deren Folge.

MPRI und die Operation »Oluja« in Kroatien

Während in der Diskussion über die »Neuen Kriege« das Phänomen der »privatisierten Gewalt« oft als eine Folge des »Staatszerfalls« in den Kriegs- und Krisengebieten des Globus beschrieben wird, zeigt das Beispiel des Jugoslawienkrieges, dass sich auch die westliche Intervention des Mittels privater Militärunternehmen bediente. Das im jugoslawischen Fall folgenschwerste Beispiel dafür ist die Mission der US-amerikanischen Firma »Military Professional Resources Inc.« (MPRI) bei der Militärberatung in Kroatien. Nach zahlreichen Aussagen – nicht zuletzt von hochrangigen kroatischen Politikern – war der MPRI Einsatz entscheidend für den schnellen Erfolg der Militäroffensive Operation »Oluja« (Sturm), bei der im August 1995 die kroatische Armee innerhalb weniger Tag die bis dahin serbisch kontrollierte Krajina-Region an der kroatisch-bosnischen Grenze eroberte. Charles Boyd, die ehemalige Nummer zwei des Pentagon in Europa, kommentierte, bei MPRI handele es sich um „Söldner, die einen guten Job für die Kroaten erledigten.“13

Die Operation »Sturm« muss als schweres Kriegsverbrechen gewertet werden. Wie eine Anklageschrift des Den Haager Jugoslawientribunals erklärt, wurde während der Offensive eine Kampagne der »ethnischen Säuberung« durchgeführt, um die serbische Bevölkerung der Krajina „durch Gewalt, Angst oder Bedrohung durch Gewalt, Verfolgung, erzwungene Umsiedlung, Transfer und Deportation“ dauerhaft zu vertreiben.14 Nach Schätzungen wurden während und nach der Operation »Oluja« etwa 200.000 serbische Zivilistinnen und Zivilisten vertrieben und mehrere Hundert ermordet.15 Die Operation »Oluja« veränderte das Kräfteverhältnis zugunsten der kroatischen und muslimischen Seite auch im Bosnienkrieg und markiert damit einen entscheidenden Wendepunkt des ganzen Jugoslawienkrieges.

Ein genauerer Blick auf die Rolle von MPRI in Kroatien zeigt den entscheidenden Vorteil der privaten Militärunternehmen für die westliche Interventionspolitik: Für Erfolg, Misserfolg oder die Konsequenzen des Einsatzes von privaten Militärunternehmen ist letztlich niemand verantwortlich außer der Firma selbst. Zwar wird MPRI nach eigenen Aussagen nur in Übereinstimmung mit dem »Sicherheitsbedürfnis« der USA aktiv, es handelt sich aber um eine private Firma, die auf eigene Kosten und Verantwortung handelt. Dass die Verknüpfungen zwischen dem Pentagon und MPRI tatsächlich sehr eng sind, zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf das MPRI-Personal. Bei der 1988 gegründeten Firma sind so gut wie ausschließlich ehemalige Angehörige der US-Armee angestellt. MPRI Präsident ist General Carl E. Vuono, Generalstabschef der US-Armee von 1987 bis 1992. »Executive Vize President« ist General Crosbie Saint, Kommandeur der US-Armee in Europa von 1988 bis 1992.16

Wie es zum Einsatz der MPRI in Kroatien kam, ist bis heute Gegenstand vieler Spekulationen, die angesichts der restriktiven Informationspolitik der Firma, des Pentagons und der kroatischen Regierung wahrscheinlich auch noch lange anhalten werden. Als sicher kann allerdings gelten, dass sich die Administration des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton im Vorlauf der hart umkämpften Präsidentschaftswahlen von 1996 und unter dem Druck des republikanischen Herausforderers, Bob Dole, der ein stärkeres Engagement auf dem Balkan forderte, bereits 1994 zu einer intensiveren Unterstützung der bosnischen Muslime und der Kroaten im Kampf gegen die Serben entschloss. Die offene militärische Hilfe für eine Seite war aber nicht nur in der westlichen Öffentlichkeit umstritten, sondern auch durch ein UN-Waffenembargo gegen alle kriegführenden Seiten verboten.

Der Journalist und Pulitzer-Preisträger David Halberstam berichtet mit Bezug auf Insiderquellen, wie in dieser politischen Situation der kroatische Verteidigungsminister Gojko Šušak, ein Mann mit besten Verbindungen zur kroatischen Diaspora in den USA, im Frühjahr 1994 in Washington bei MPRI vorstellig wurde. Nach Halberstams Recherchen erklärte Šušak im MPRI-Hauptquartier den Ex-Generälen Vuono und Saint sein Ansinnen: Erstens sollten MPRI-Militärberater die kroatische Armee nach dem Vorbild von NATO-Armeen strukturieren, um den Weg Kroatiens in die westliche Militärallianz zu öffnen. Zweitens sollte eine professionelle Armee unter ziviler Kontrolle geschaffen werden und drittens sei es darum gegangen, die Serben aus Kroatien zu vertreiben. Wörtlich: „Ich will die Serben aus meinem Land rausschmeißen (drive out).“

Nachdem das US-Außenministerium im Oktober 1994 grünes Licht gegeben hatte, flog der erste MPRI-Trupp mit 14 hochqualifizierten Militärberatern nach Zagreb.17 In den kommenden Monaten wurde unter dem Kommando des MPRI-Mitarbeiters General Richard Griffiths, stellvertretender Kommandant des US-Militärgeheimdienstes in Europa von 1989 bis 1991, unter dem Titel »Democracy Transition Assistance Program« (DTAP) ein effektives Ausbildungsprogramm für die kroatischen Streitkräfte implementiert.18

Obwohl MPRI immer dementierte, dass es für die Operation »Oluja« verantwortlich war, gibt es eine Reihe von Indizen dafür, dass die amerikanischen Militärberater eine wichtige Rolle spielten.19 So soll sich der MPRI-Chef, General Vuono, in den fünf Tagen vor Beginn der Operation »Oluja« mindestens zehn Mal mit den »Architekten« der Kampagne auf der kroatischen Seite, General Varimar Cervenko und seinen Mitarbeitern, getroffen haben.20 Wie die Militärexpertin Deborah Avant feststellt, folgte die Operation selbst „typischen amerikanischen integrierten Luft-, Artillerie- und Infanterie-Taktiken aus dem Handbuch der NATO.“21 Der Einsatz der MPRI war die direkteste US-Unterstützung für die kroatische Armee im Zeitraum 1994/1995, die kroatische Offensive wurde aber auch durch zahlreiche nachrichtendienstliche Mittel unterstützt, mit der die CIA die serbische Verteidgungsfähigkeit in der Krajina unterminierte. So lieferte die CIA der kroatischen Armee nach einem Bericht des Zagreber Magazins »Nacional« beispielsweise genaue Daten über die Bewegungen serbischer Einheiten und unterbrach deren Kommunikationsstrukturen.22

Eine genauere Rekonstruktion der Operation »Oluja« und der Rolle der MPRI ist u.U. nach den Prozessen in Den Haag möglich. Einer der Hauptangeklagten, der kroatische General Ante Gotovina, wurde Anfang Dezember auf Teneriffa verhaftet. Der Prozess gegen ihn und zwei andere Angeklagte, die Generäle Ivan Èermak und Mladen Markaè, wird in absehbarer Zeit beginnen. In jedem Fall steht jetzt schon fest: Falls es tatsächlich die Absicht von MPRI gewesen sein sollte, „Exzesse und Grausamkeiten bei militärischen Operationen zu vermeiden“, wie John Dinger vom US-Außenministerium behauptet, ist ihnen das nicht gelungen. Stattdessen würde auch in diesem – für die US-Politik noch günstigsten Fall – deutlich, was viele Kritiker des militärischen Outsourcings seit langem sagen: Militärisches Know how, das von westlichen privaten Militärunternehmen an Dritte vermittelt wird, untersteht keiner direkten politischen Kontrolle mehr.

Anmerkungen

1) Der britische Premierminister John Major meinte im Juni 1993 etwa: „The biggest single element behind what has happened in Bosnia is the collapse of the Soviet Union and of the discipline that that exerted over the ancient hatreds in the old Yugoslavia. Once that discipline has disappeared, those ancient hatreds reappeared, and we began to see their consequences when the fighting occurred.“ Vgl. Malcolm, Noel: Bosnia. A short history, New York 1996, S. XX.

2) So wurde beispielsweise in den Unruhen kosovo-albanischer Nationalisten 1968 und 1981 sowie dem »Kroatischen Frühling« 1971 die Mobilisierungs- und politische Sprengkraft nationaler Ideologien deutlich.

3) Einen relativ aktuellen Forschungsüberblick bietet: Joviæ, Dejan: Jugoslavija – Država koja je odumrla. Uspon, kriza i pad Èetvrte Jugoslavije, Beograd 2003.

4) Vgl. dazu beispielsweise: Woodward, Susan L.: Balkan Tragedy. Chaos and Dissolution after the Cold War, Washington 1995.

5) Vgl. Political Crisis in Vukovar and preparations of the Croatian Democratic Union for its forcible resolution. (www.balkan-archive.org.yu)

6) Vgl. Dosije Arkan, in: Vreme 22.1.2000.

7) In Meinungsumfragen im Sommer und Herbst 1990 sprachen sich nur 16 Prozent der jugoslawischen Bevölkerung dafür aus, dass jede jugoslawische Nation einen eigenen Staat bilden sollte. 7 Prozent waren unentschieden, 10 Prozent sagten, sie seien teilweise nicht einverstanden und 61 Prozent gaben an, überhaupt nicht zuzustimmen. Vgl.: Laslo Sekelj, Yugoslavia: The Process of Disintegration, New York 1992, S.277.

8) Kurspahiæ, Kemal: Zloèin u dvadestnaest i trideset. Balkanski mediji u ratu i miru, Sarajevo 2003.

9) Ein charakteristisches Zitat lautet: „Ethnische Säuberung kommt nicht aus ohne einen ganz spezifischen Hass und eine ganz spezifische Grausamkeit. Sind es doch nicht Fremde, die übereinander herfallen, sondern Leute aus ein und derselben Stadt, die dieselbe Sprache sprechen, oft Nachbarn.“ Vgl. Schlögel, Karl: Kosovo …, in: Zeit Nr. 18 (1999).

10) Mappes-Niedieck führt die Verbreitung der populären Geschichten vom Nachbar-Mörder darauf zurück, dass im nachhinein unter dem Druck nationalistischer Deutungen das vormalige friedliche Zusammenleben negiert werden muss. Vgl. Mappes-Niediek, Norbert: Die Ethno-Falle. Der Balkan-Konflikt und was Europa daraus lernen kann, Berlin 2005, S.44ff.

11) United Nations – Security Council: Final report of the United Nations Commission of Experts established pursuant to security council resolution 780 (1992), 28 December 1994. Der mehrere hundert Seiten umfassend Report ist im Internet abrufbar unter: www.ess.uwe.ac.uk/comexpert/REPORT_TOC.HTM

12) Ebd.

13) Zitiert nach: Thomson, Mark: Generals for hire, in: Times Magazin 15.1.1996.

14) The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, Case No. IT-03-73-PT. The Prosecutor of the Tribunal v. Ivan Cermak and Mladen Markac, 6.5.2005. (www.icty.org)

15) Vgl. Oluja izmeðu afere i sveèanosti, Danas 4.8.2005. Die Anklageschrift des ICTY nennt keine konkreten Zahlen.

16) www.mpri.com

17) Halberstam, David: War in a time of peace. Bill Clinton and the Generals, New York 2002, S.334ff.

18) www.mpri.com

19) Thomson, Mark: Generals for hire, in: Times Magazin 15.1.1996.

20) Silverstein, Ken: Privatizing War. How affairs of state are outsourced to corporations beyond public control, in: The Nation, 4.8.1997.

21) Avant Deborah D.: The market of Force: Exploring the Privatization of Military Services, www.cfr.org/public/pubs/privmil.html

22) Pukaniæ, Ivo: Amerièka uloga u Oluji. Oduševljen Bljeskom, Clinton inicirao Oluju, in: Nacional 24.5.2005.

Boris Kanzleiter arbeitet an einer Promotion zur studentischen 68er Bewegung in Jugoslawien. Er lebt als freier Journalist in Belgrad. Seine letzte Veröffentlichung zum Thema: Dario Azzellini/ Boris Kanzleiter (Hrsg.): Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung, Berlin 2004.

Unternehmen für den Krieg

Unternehmen für den Krieg

Die Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

von Marc von Boemcken

Im März 2004 stellten die Behörden am Flughafen von Harare eine aus Südafrika kommende Boeing 727 sicher und verhafteten 70 Männer. Diese Männer wollten in Simbabwe Waffen einkaufen, um dann nach Äquatorialguinea weiter zu fliegen und in dem kleinen, ölreichen Land einen Staatsstreich durchzuführen. Dieser bemerkenswerte Vorfall ist nur einer von vielen Hinweisen auf einen komplexen und sehr ausdifferenzierten Gewaltmarkt, der sich spätestens seit Ende des Kalten Krieges auf dem afrikanischen Kontinent etabliert hat. Der Autor beleuchtet zuerst das Feld profitorientierter Gewalt- und Sicherheitsakteure in Afrika. Danach erörtert er die wichtigsten Ursachen für die wachsende Bedeutung des Söldnertums sowie seine sich verändernden Erscheinungsformen seit Ende des Kalten Krieges. Schließlich unterzieht er die Rolle kommerzieller Gewaltanbieter bei der Verschärfung und Förderung gewaltsamer Konfliktdynamiken einer kritischen Bewertung. Insgesamt wird so der Bedarf nach effektiveren internationalen und nationalen Maßnahmen zur Einhegung afrikanischer Gewaltmärkte aufgezeigt.

Bis in die 1970er Jahre hinein gab es praktisch keine Verregelung von Söldneraktivitäten in der internationalen Rechtssprechung. Ein 1977 angenommenes Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen klassifizierte Söldner erstmalig als „illegale Kombattanten“, die nicht den Status eines Kriegsgefangenen für sich in Anspruch nehmen dürfen. Ein Söldner ist nach diesem Protokoll wer sich 1) anwerben lässt, um in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen; 2) unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt; 3) dabei hauptsächlich von einem Begehren nach persönlichem, materiellem Gewinn angetrieben wird; sowie 4) weder ein Bürger noch 5) ein Mitglied der Streitkräfte einer Konfliktpartei ist.1 Diese Definition bildete die Grundlage für zwei internationale Abkommen zur Bekämpfung des Söldnertums: Die Convention for the Elimination of Mercenaries in Africa (CEMA) der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) von 1977 und die International Convention against the Recruitment, Use, Financing and Training of Mercenaries der Vereinten Nationen (VN) von 1989.

Es ist keineswegs ein Zufall, dass der erste internationale Versuch zur Eindämmung des Söldnertums gerade in Afrika seinen Anfang nahm. Ehemaligen Kolonialmächten und dem Apartheid-Regime in Südafrika war während des Kalten Krieges die Finanzierung von Söldnern als ein opportunes Instrument der Außenpolitik erschienen, um ihre machtpolitischen oder ideologischen Interessen auf dem Kontinent gewaltsam durchsetzen zu können. Bewaffnete Gruppierungen um berüchtigte Anführer wie z.B. Michael »Mad Mike« Hoare, Bob Denard oder den ehemaligen Wehrmachtsoffizier »Kongo-Müller« hatten während der 1960er und 1970er Jahre nicht selten dazu beigetragen, die staatliche Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker – etwa im Kongo, Angola oder auf den Komoren – zu unterwandern.2 Da die CEMA im Wesentlichen darauf abzielte, die klandestine Interventionspolitik ausländischer Mächte im südlichen Afrika einzudämmen, propagierte sie kein generelles Verbot des Söldnertums. Vielmehr kriminalisierte sie lediglich den Gebrauch von Söldnern gegen die territoriale Integrität afrikanischer Staaten sowie gegen »legitime« Befreiungsbewegungen. Es war und ist den Mitgliedsstaaten also weiterhin erlaubt, Söldner zur Bekämpfung von als »illegitim« angesehenen Aufständen innerhalb ihrer eigenen Grenzen einzusetzen.3 Trotzdem blieb das Interesse afrikanischer Staaten an der CEMA eher mäßig. Bis Oktober 2005 hatten nur 26 der 53 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) das Abkommen ratifiziert.

Im Unterschied zu der CEMA strebt die Anti-Söldner Konvention der VN von 1989 ein Verbot jeglicher Söldneraktivitäten an. Zwar genießt sie die Unterstützung vieler VN Organisationen, auch hier ist das nationalstaatliche Interesse aber gering. Tatsächlich konnte die VN Konvention nicht bis September 2001 in Kraft treten, da ihr bis dahin die nötigen 22 Ratifikationen fehlten. Vier Jahre später waren ihr weltweit nur 27 Länder beigetreten, davon 9 aus Afrika.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die internationalen Mechanismen zur Kriminalisierung des Söldnertums – entgegen verbreiteter Meinung –noch immer schwach sind.4 Auch nationale Gesetze zur Einhegung von Söldneraktivitäten bleiben eher die Ausnahme als die Regel.5 So konnte ein florierender Handel mit militärischen Dienstleistungen entstehen, von dem vor allem der afrikanische Kontinent stark betroffen ist.

Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

Söldneraktivitäten haben auf dem afrikanischen Kontinent im Laufe der letzten Jahrzehnte stetig zugenommen. Abdel-Fatau Musah und Kayode Fayemi registrieren in ihrem Buch »Mercenaries – An African Security Dilemma« für den Zeitraum zwischen 1950 und 1989 insgesamt 15 Söldnereinsätze bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika, für den Zeitraum zwischen 1990 und 1998 haben sie immerhin 65 Einträge.6

Die wichtigste Ursache für die Ausbreitung kommerzieller Kriegsakteure liegt in der Unfähigkeit vieler afrikanischer Staaten, einen effektiven öffentlichen Sicherheitsapparat zu unterhalten, der die gewaltfreie Austragung innergesellschaftlicher Konflikte und ökonomischer Konkurrenz gewährleisten könnte. So findet z.B. die Ausbeutung natürlicher Ressourcen häufig in »staatsfreien« oder »gewaltoffenen« Räumen statt, in denen die wirtschaftlichen Interessen sowohl staatlicher als auch nicht-staatlicher Akteure u.a. von modernen Söldnern und privaten Sicherheitsunternehmen gewaltsam verteidigt und durchgesetzt werden.

Das Abklingen US-amerikanischer und sowjetischer Finanzhilfen nach Ende des Kalten Krieges beschleunigte die Erosion staatlicher Gewaltstrukturen, da von schrumpfenden öffentlichen Haushalten auch die Militär- und Sicherheitsbudgets betroffen waren. Zwischen 1985 und 1995 sanken die Militärausgaben in Afrika südlich der Sahara um fast 20 Prozent.7 Die Verschiebung von Militärleistungen in den Privatsektor erschien als die billigere Alternative zum – ohnehin in weiten Teilen Afrikas nie vorhandenen – öffentlichen Gewaltmonopol. Während stehende Heere nämlich langfristig unterhalten werden wollen, müssen Söldner nur für eine begrenzt andauernde Militäroperation bezahlt werden. Auch die innere Sicherheit wurde zum Teil gänzlich privatisiert, um öffentliche Kassen zu entlasten. In vielen afrikanischen Ländern müssen Firmen, Internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) für ihre Sicherheit selbst aufkommen.8

Das Wachstum privater Gewaltmärkte wurde zusätzlich durch die weltweite Demobilisierung von Soldaten nach Ende des Kalten Krieges begünstigt. Allein die südafrikanischen Streitkräfte reduzierten zwischen 1990 und 2003 ihren Personalbestand um mehr als 30.000 Soldaten.9 Vielen arbeitslosen Ex-Militärs kam die gestiegene Nachfrage nach kommerziellen Militär- und Sicherheitsleistungen sehr gelegen. Ganze Kompanien der ehemaligen South African Defence Force traten fast geschlossen in die Dienste von neu gegründeten Söldnerfirmen.10

Bei näherer Betrachtung lassen sich mindestens drei Gruppen kommerzieller Gewaltanbieter in Afrika voneinander unterschieden:11

Söldner

Nach wie vor gibt es kleine und konspirative Söldnerbanden, die ihre Waffenfertigkeiten an den meistbietenden Interessenten verkaufen. Ein Beispiel wäre die sogenannte Weiße Legion – eine lose Gruppe aus Franzosen und Serben, die 1996/7 vom Mobutu Regime in Zaire zur Bekämpfung von Rebellen angeheuert wurde. Auch der Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, beschäftigte Berichten zufolge zwischen 2002 und 2003 eine Vielzahl osteuropäischer und südafrikanischer Söldner, meist Piloten von Kampfhubschraubern, welche direkt dem Präsidentenbüro unterstanden.12

Söldnerfirmen

Neben diesen kleineren Banden bildeten sich in den 1990er Jahren auch registrierte Firmen, die militärische Dienstleistungen verkauften – sogenannte Military Provider Firms (MPFs) oder »Söldnerfirmen«. Von klassischen Söldnern unterschieden sie sich vor allem durch ihre Organisationsform als Unternehmen bzw. durch ihr tendenziell angeblich eher offenes als verdecktes Gebahren auf dem internationalen Markt.13 MPFs konnten in kurzer Zeit eine große Zahl bewaffneter Experten in ein afrikanisches Konfliktgebiet entsenden und durch eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen den weiteren Kriegsverlauf entscheidend beeinflussen. Die wohl bekanntesten Beispiele waren die südafrikanische Firma Executive Outcomes (EO) und ihr britisches Schwesterunternehmen Sandline International, welche die Regierungen von Angola und Sierra Leone im Kampf gegen Rebellengruppen unterstützen. Beide Firmen waren Teil eines komplexen Firmenkonsortiums, welches auch in die Rohstoffindustrie hineinreichte. Für ihre teuren Dienste konnten sie sich so mit Lizenzen für Schürfrechte an Diamantenminen entlohnen lassen.14

Sicherheitsfirmen

Söldner und Söldnerfirmen werden meist nur für einen kurzen Zeitraum und mit der spezifischen Absicht, an offensiven Kampfhandlungen teilzunehmen angeworben. Im Unterschied dazu sind die in afrikanischen Krisen- und Kriegsgebieten tätigen privaten Sicherheitsfirmen in der Regel für eine längere Zeitspanne im Land aktiv und ausschließlich mit dem Schutz von bedrohten Einrichtungen oder Personen betraut. Zu ihren Auftraggebern gehören nicht nur Regierungen, sondern auch Firmen der Privatwirtschaft oder NROs. Dabei können Sicherheitsfirmen entweder international tätig sein, wie z.B. die britische Firma ArmorGroup mit eigenen Büros in zehn afrikanischen Staaten, oder lokal begrenzt wie die Firmen LifeGuard und Southern Cross in Sierra Leone. Die jährliche Wachstumsrate der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika beträgt vermutlich zwischen 10 und 30 Prozent.15 Der Markt ist damit ungleich größer als der für Söldner oder Söldnerfirmen.

Kritische Bewertung

Söldnerfirmen und Sicherheitsunternehmen erfreuen sich heute einer erstaunlich großen Akzeptanz, da sie in der Wahrnehmung vieler die einzig mögliche Alternative zum ineffektiven öffentlichen Sicherheitssektor in Teilen Afrikas darstellen. Die Diskussion wird von der Frage dominiert, wie derartige Gewaltmärkte wohl reguliert und kontrolliert werden können. Möglichkeiten diese Märkte einzudämmen oder gar zu verbieten, werden hingegen meist kategorisch als unrealistisch oder kontraproduktiv abgelehnt.16 Tatsächlich waren die Einsätze von EO und Sandline in militärischer Hinsicht sehr effektiv und konnten dazu beitragen, zerfallende Bürgerkriegsstaaten kurzfristig zu stabilisieren. Es gibt auch keine Indizien dafür, dass Angestellte von Söldner- und Sicherheitsfirmen eher zu Menschenrechtsverletzungen neigen als etwa Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte.

Trotzdem sind kommerzielle Anbieter von Kriegs- und Sicherheitsleistungen alles andere als neutrale »Werkzeuge«. Im Gegenteil, ihr Einsatz hat profunde Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation von Gewalt und Sicherheit. In vielen Fällen schaffen sie mehr Probleme als sie zu lösen in der Lage sind.

Söldner und Angestellte von MPFs sind weder in eine feste Befehlshierarchie eingebunden, noch unterliegen sie militärischer Gerichtsbarkeit. Obwohl sie meist von Staaten angeheuert werden, agieren sie also – anders als nationale Streitkräfte – unabhängig von einer unmittelbaren rechtlichen Verantwortlichkeit. Dies erschwert es Regierungen, eine effektive Kontrolle über die Implementierung ihrer Kriegsentscheidungen auszuüben. Als ihnen die Situation in Sierra Leone zu gefährlich wurde, konnte z.B. die Firma Gurkha Security Guards 1994 einfach ihren Vertrag kündigen und das Land verlassen.17

Wie vergangene Beispiele zeigen, war die Abhängigkeit von MPFs der langfristigen Konsolidierung staatlicher Sicherheitsapparate keineswegs dienlich. Im Gegenteil: Da sich ärmere Staaten diese Firmen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum leisten konnten, flammte der Gewaltkonflikt nach deren Rückzug meist in alter Intensität wieder auf. Es ist wenig wahrscheinlich, dass MPFs an einer wirklichen und nachhaltigen Lösung von Gewaltkonflikten interessiert sind, da sie sich dadurch ihrer eigenen Existenzgrundlage berauben würden. Zerfallende Staaten, die dazu gezwungen waren, immer wieder auf die Hilfe von MPFs zurückzugreifen, fanden sich vielmehr bald in einem gefährlichen Kreislauf der Gewaltreproduktion wieder: Um die MPFs bezahlen zu können, wurden Rohstoffe durch Konzessionsvergabe der Volkswirtschaft entzogen. Dadurch nahm die Armut im Land jedoch zu, was wiederum neues Konfliktpotenzial schaffte bzw. bestehendes verschärfte, und somit die zukünftige Abhängigkeit der Regierung von MPFs weiter untermauerte.

Nicht nur Söldner und MPFs, auch private Sicherheitsfirmen haben eine tendenziell gewaltfördernde Funktion, da ihre Ausbreitung das Gefühl gesamtgesellschaftlicher Unsicherheit mittel- bis langfristig erhöht. Sie befreien Regierungen in aller Regel von der kostspieligen Erfordernis, eigene – also öffentliche – Sicherheitskräfte auf- oder auszubauen. Das Gut Sicherheit verwandelt sich so von einem allgemeinen Grundrecht zu einer Ware, die sich nur wenige leisten können.18 Gerade in instabilen Post-Konflikt-Gesellschaften birgt eine solche Entwicklung womöglich ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial.

Die Regelungen im Internationalen Recht sind derzeit nicht geeignet, die Privatisierung und Kommerzialisierung staatlicher Gewaltfunktionen wirksam einzudämmen. So waren sowohl die von Laurent Gbagho angeheuerten Piloten, als auch die Angestellten von EO und Sandline zwar Söldner nach den Kriterien der Genfer Konvention. Da sie alle für afrikanische Regierungen im Landesinneren arbeiteten, fiel ihr Gebrauch jedoch nicht unter die Bestimmungen der CEMA. Nach der seit 2001 gültigen Anti-Söldner Konvention der VN wäre ein derartiger Einsatz von Söldnern zwar dennoch verboten, allerdings sind bisher weder die Elfenbeinküste noch Angola und Sierra Leone diesem Abkommen beigetreten.

Obwohl sich die private Sicherheitsindustrie zunehmend internationalisiert und militarisiert, bleibt sie im Internationalen Recht praktisch unsichtbar. Die Angestellten dieser Firmen werden meist vor Ort und nicht mit der speziellen Absicht, aktiv an Kampfhandlungen teilzunehmen, angeworben. Sie sind somit weder Ausländer noch Kombattaten im herkömmlichen Sinn und deshalb auch keine Söldner im rechtlichen Sinn. Gleichwohl können Sicherheitsfirmen gerade in Kriegs- und Krisengebieten schnell in größere Gefechte verwickelt werden. Während des Einsatzes selber kann die Grenze zwischen defensivem und offensivem Verhalten – und damit der qualitative Unterschied zwischen Sicherheitsfirmen und Söldnerfirmen – also leicht verschwimmen.

Wirkliche Fortschritte bei der rechtlichen Eindämmung des Söldnertums und der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika konnten bisher nur vereinzelt und auf nationaler Ebene gemacht werden. So erließ die Regierung Südafrikas 1998 ein Gesetz, das südafrikanischen Staatsbürgern nicht nur untersagte, als Söldner tätig zu werden, sondern auch sich von Sicherheitsfirmen in bewaffneten Konflikten anstellen zu lassen. Ein Jahr später sah sich EO gezwungen, alle Geschäfte einzustellen. Zur Zeit wird im südafrikanischen Parlament über eine Verschärfung dieses Foreign Military Assistance Act diskutiert nach der selbst Ausländer mit Verbindungen zu Söldner- und Sicherheitsfirmen in Kriegsgebieten bei einem Aufenthalt in Südafrika der Prozess gemacht werden könnte.

Schlußbetrachtung und Ausblick

Die hohen Kosten von MPFs haben die meisten afrikanischen Staaten in den letzten Jahren davon abgehalten, derartige Dienstleistungen einzukaufen. So sah sich im April 2004 auch Sandline aufgrund der schlechten Auftragslage zur Firmenauflösung gezwungen. Es scheint als verpflichten die Kriegsparteien Afrikas inzwischen lieber billigere Söldnerbanden. Ehemalige Mitarbeiter von MPFs wechselten entweder in den wachsenden Sicherheitsmarkt oder beteiligten sich an klandestinen Söldneroperationen. So war einer der führenden Köpfe des geplanten Staatsstreiches in Äquatorial-Guinea, Simon Mann, ein Mitbegründer von sowohl EO als auch Sandline.

Zweifellos besteht ein großer Bedarf an weiteren Forschungsvorhaben zur Untersuchung der Auswirkungen von Söldnern und Sicherheitsfirmen auf schwache Staaten. Vieles deutet darauf hin, dass die langfristigen gesellschaftlichen Folgen zur Förderung von Gewaltkonflikten beitragen. Der schleichenden Legitimierung dieser Gewaltmärkte müsste dann – nach dem Vorbild der südafrikanischen Gesetzgeber – entschieden entgegengewirkt werden. Oberste Priorität wäre es, bei gleichzeitiger Kriminalisierung des Söldnertums bzw. privater Gewaltakteure in Konfliktgebieten, afrikanische Staaten dazu zu befähigen, wirksame Strukturen zur Herstellung öffentlicher Sicherheit aufzubauen, die demokratisch legitimiert und internationalen Standards verpflichtet sind.

Anmerkungen

1) Vgl. Artikel 47 im Zusatzprotokoll 1 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikt.

2) Vgl. Guy Arnold (1999): Mercenaries: The Scourge of the Thirld World. Palgrave Macmillan.

3) Vgl. Peter W. Singer (2004): War, Profits, and the Vacuum of Law. Columbia Journal of TransnationalLaw.Vol. 42. Nr. 2. S. 529.

4) Ebd. S. 524.

5) Caroline Holmqvist (2005): Private Security Companies: The Case for Regulation.SIPRI Policy Paper No. 9. Januar. S. 50.

6) Abdel-Fatau Musah & J. Kayode Fayemi (2000): Mercenaries: An African Security Dilemma. Pluto Press. S. 265-274.

7) Vgl. The International Institute for Strategic Studies (IISS) (1996): The Military Balance 1996/7. Oxford University Press. S. 310-311.

8) Vgl. Anna Leander (2003): The Commodification of Violence, Private Military Companies and African States. COPRI Working Paper 11/2003. S. 4.

9) IISS (2004): The Military Balance 2004/5. Oxford University Press.

10) Kevin A. O’Brien (2000): Private Military Companies and African Security 1990-98. In Musah & Fayemi. 2000. S. 50.

11) Vgl. Alex Vines (2000): Mercenaries, Human Rights and Legality. In Musah & Fayemi. 2000. S. 169.

12) Vgl. Patrice Dutertre (2005): Die Neuen Söldner. Dokumentarfilm. Frankreich.

13) Vgl. Peter W. Singer (2003): Corporate Warriors. Cornell University Press.

14) Vgl. Khareen Pech (1999): Executive Outcomes – A corporate conquest & Ian Douglas: Fighting for diamonds – Private military companies in Sierra Leone. In Jakkie Cilliers & Peggy Mason (Eds.) (1999): Peace, Profit or Plunder? Institute for Security Studies (ISS).

15) Peter Lock (1999): Africa, Military Downsizing and the Growth in the Security Industry. In Cilliers & Mason (1999).

16) Vgl. Holmqvist (2005): S. 42.

17) Anna Leander (2003): S. 6.

18) Vgl. Peter Lock (2000): Söldner und Rebellen: Zur Rolle der Gewalt in afrikanischen Ökonomien. In Internationales Afrikaforum. Vol. 36. Nr. 1.

Marc von Boemcken ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bonn International Center for Conversion (BICC)

Spart Outsourcen Kosten?

Spart Outsourcen Kosten?

Privatisierte Knäste in den USA

von John Züchner

Die Aufgabe, Bürger, die gegen das Gesetz verstoßen zu verurteilen und dafür zu sorgen, dass sie ihre Strafe verbüßen, liegt traditionell in der Hand des Staates. Seit 1982 haben die USA nun aus wirtschaftlichen Gründen damit begonnen, Gefängnisse unter die Leitung privater Unternehmen zu stellen. Geht diese Rechnung wirklich auf?

Nach der allgemeinen Staatslehre gibt es drei Elemente, die für einen Staat entscheidend sind: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Die Staatsgewalt als eines der wichtigsten Merkmale ist nach außen an das Völkerrecht gebunden, nach innen aber autonom in der Gewaltdurchsetzung. Sie wird durch Verfassung und Gesetze eingeschränkt und definiert. Die Festlegung des staatlichen Gewaltmonopols ist die Grundlage für rechtsstaatliche Ordnung.

In Zeiten von knappen Kassen und hoher Staatsverschuldung ist die Suche nach Einsparmöglichkeiten ein andauernder Prozess. Der Einsatz von Privatisierung wird von vielen Politikern, Wirtschaftsfunktionären und Lobbyisten als Allheilmittel propagiert, wobei die Tatsache, dass Privatisierung auch schief gehen kann, ignoriert oder gar nicht wahrgenommen wird. Auch in Deutschland geht der Trend eindeutig in diese Richtung. In den USA geht dies bis zu einer fortschreitenden Privatisierung der Funktionen im Bereich der Ausübung staatlicher Gewalt. Von selbstständigen Kopfgeldjägern, die geflohene Sträflinge wieder einfangen, bis hin zu Gefängnissen werden Tätigkeiten an die Privatwirtschaft vergeben.

Die USA blicken zurück auf 23 Jahre privat betriebener Gefängnisse. In dieser Zeit hat sich der Anteil der Inhaftierten an der Gesamtbevölkerung von 0,23 % im Jahr 1982 auf 0,71 % im Jahr 2003 gesteigert. Private Gefängnisse müssen Profite erzielen. Daraus resultiert ein

»Bedarf« an Gefangenen mit möglichst langen Freiheitsstrafen, um effizient wirtschaften zu können. Folglich besteht auch kein Interesse an Resozialisierungsmaßnahmen um die Gefangenen auf die Zeit nach Verbüßung der Haft vorzubereiten. Oft gibt es sogar einen »Handel« der Privatgefängnisse untereinander, um die bestmögliche Auslastung und den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Dazu werden die Häftlinge oft sogar in andere Bundesstaaten gebracht, was den Kontakt zu Freunden, Familie und damit auch eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwert. Interessant ist auch die Entwicklung, dass sich trotz sinkender Kriminalitätsraten die Anzahl der Inhaftierten und deren Haftzeiten erhöhen.

Die privaten Gefängnisse haben sich in den USA von einer Randerscheinung zu einem Wirtschaftszweig entwickelt. Bereits 1998 wurde hierfür der Begriff Gefängnis-Industrieller Komplex in Anspielung an Eisenhower’s Militärisch-Industriellen Komplex geschaffen. Hierbei handelt es sich um eine Art Serviceindustrie, die ausschließlich Gefängnis-Bedarf anbietet: von Handelsmessen über die Produktion von Waren, Arbeit von Gefangenen im Call-Center bis zu Ingenieurbüros, die komplette Gefängnisbaupläne entwickeln. Hierbei liegt der Stundenlohn der Häftlinge zwischen 16 Cents für einfache Arbeiten und 60 Cents für qualifizierte Tätigkeiten. Gefangene, die es ablehnen zu arbeiten, bleiben, genauso wie in Deutschland, länger inhaftiert.

Verschiedene Studien zeigen, dass private Gefängnisse Kosten sparen. Die Einsparungen liegen je nach Studie und Gefängnis zwischen 4 und 14 %. Allerdings greifen private Gefängnisse auf staatliche Ressourcen in den Bereichen Buchhaltung, Datenverarbeitung oder Recht zurück. Dadurch fällt ein wirklich objektiver Vergleich der Kosteneffizienz schwer. Verstärkt wird das Risiko der Korruption. Wie sich bereits in mehreren Fällen gezeigt hat, können leicht Interessenkonflikte entstehen. Beispielsweise wenn Lobbyisten auf der Gehaltsliste der Gefängniskonzerne Politiker beeinflussen schärfere Gesetze zu verabschieden oder den inneren Gewaltapparat weiter zu privatisieren. Auch die Bestechung von Justizvollzugsbeamten mit dem Zweck, dass diese verurteilte Kriminelle in ein bestimmtes Gefängnis überstellen, gab es bereits.

Die Angestellten der privaten Konzerne arbeiten unter teilweise ungeklärten Rechtslagen. Sicherheitsangestellte haben im Gegensatz zu Beamten sehr viel geringere Befugnisse was den Einsatz von Gewalt angeht, beispielsweise um einen Gefangenenaufstand zu beenden. Zusätzlich dazu bleibt die Regierung haftbar für alles, was mit den Häftlingen passiert. Mit anderen Worten, alle Klagen der Gefangenen werden gegen die Regierung geführt. Die hierbei eventuell entstehenden Kosten werden bei einer Privatisierung nicht bedacht.

Zusammenfassend betrachtet ist die Privatisierung des Inneren Gewaltapparates kritisch zu sehen, da hier unweigerlich negative Einflüsse auf ein intaktes staatliches Gewaltmonopol auftreten. Den sicherlich vorhandenen Kosteneinsparungen stehen eine wirtschaftliche Abhängigkeit von möglichst vielen Inhaftierten, schlechtere Resozialisierung der Gefangenen, Korruption auf staatlicher wie auch privater Ebene sowie eine unsichere Rechtslage gegenüber. Wenn trotz dieser Faktoren Geld eingespart werden soll, muss zumindest ein Teil des gesparten Geldes in eine staatliche Kontrolle über die Privatisierungen gesteckt werden.

Quellen:

US Department of Justice – Bureau of Justice Statistics, http://www.ojp.usdoj.gov/bjs/

Corrections Corporation of America: The corrections industry, http://www.correctionscorp.com/researchfindings.html

Shichor, D. (1995): Punishment for Profit: Private Prisons: Public Concerns. Thousand Oaks, Sage.

John Züchner absolvierte ein Praktikum im Büro des MdB Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker und veröffentlichte in diesem Rahmen eine Fallstudie in dessen Buch »Limits to Privatization – How to avoid too much of a good thing«. Er studiert derzeit Nordamerikastudien und Betriebswirtschaftslehre an der FU Berlin.

Söldnergeschichte(n)

Söldnergeschichte(n)

von Michael Sikora

Eine Geschichte der Söldner gibt es eigentlich nicht. Das Söldnerwesen ist keine definierbare Institution, das über die Jahrhunderte eine kontinuierliche Entwicklung durchlaufen hätte. Seit der Antike haben sich Söldner anscheinend jeder Form militärisch organisierter Gewalt angegliedert, mehr oder weniger zahlreich, in höchst unterschiedlicher Gestalt und ebenso unterschiedlichen Motiven folgend. Da sind beispielsweise die eigentlichen Handwerker der Gewalt, Spezialisten, die ihre besonderen Fähigkeiten im Umgang mit Waffen und Kriegführung als Dienstleistung zu Markte tragen. An die englischen Bogenschützen oder die genuesischen Armbrustschützen des späten Mittelalters wäre zu denken, oder an die Technokraten des Krieges, die das Personal der gegenwärtigen Söldnerfirmen bilden.

Viele Söldner wird man eher als Abenteurer begreifen, die sich für einen Lebensentwurf entschieden haben, von dem sie sich in unterschiedlicher Weise Bestätigung und Verwirklichung versprechen. In den Reihen der mittelalterlichen Ritterheere fanden sich bereits viele junge Adlige, die nicht ihrer Vasallenpflicht, sondern der Bezahlung folgten und auf ihre Art die Ideale ihres Standes zu verwirklichen suchten. Vielen modernen Söldnern scheinen die Belastungen eines Kriegerlebens verheißungsvoller zu sein als die Zwänge der Zivilisation.

Manchmal nimmt das Söldnerwesen die eigenartige Gestalt einer ethnischen Besonderheit an. Das prominenteste Beispiel sind die Schweizer Eidgenossen: Zwei Jahrhunderte lang, im 14. und 15., befreiten sie sich von ihren Feudalherren, entwickelten innovative Kampfweisen – und zählten danach für drei Jahrhunderte zu den begehrtesten Söldnern auf den Kriegsschauplätzen ganz Europas. Ein letzter Abglanz lebt bis heute in der päpstlichen Schweizergarde fort. Oder die Gurkhas, Angehörige einer kampfeslustigen nepalesischen Ethnie, die Anfang des 19. Jahrhunderts mit den Engländern in Berührung kamen und sich nach ihrer Unterwerfung in großer Zahl für die britische Armee verpflichten ließen. Bis heute holen sie englische Kastanien aus den Feuern der Welt, und so war das erste Todesopfer der KFOR-Truppen im Kosovo ein Gurkha der britischen Armee.

Die meisten Söldner aber wird man wohl als arme Schlucker betrachten müssen, die in den Krieg ziehen, weil sie vielleicht von Ruhm und Beute träumen, aber zunächst nicht wissen, wovon sie morgen leben sollen. Nicht selten waren und sind dies selbst Opfer des Krieges, der ihre Dörfer und Gehöfte verheert und ihnen die Lebensgrundlage entzogen hat. Nicht selten aber auch wurden und werden junge Männer einfach in den Krieg gezwungen. In den Söldnerheeren des 17. und 18. Jahrhunderts fanden sich viele Arme und Gezwungene, und erst recht stützen sich moderne Warlords in den Elendsregionen der Bürgerkriege auf solche mehr oder weniger freiwillige Krieger und schrecken auch nicht vor der Rekrutierung von Kindern zurück. Andererseits bieten selbst moderne Berufsarmeen westlicher Staaten nicht nur hehre Ideale, sondern gesicherte Laufbahnen an, die offensichtlich in ökonomischen Krisen als Alternative zu Arbeitslosigkeit nachgefragt werden.

Aber sind das auch Söldner? Die Vielgestaltigkeit des Söldnerwesens macht an vielen Stellen Grenzen fließend und Definitionen schwierig. Das wird auch an den jüngsten Versuchen deutlich, dem Söldnertum juristisch entgegen zu treten. Unter dem Eindruck der unkontrollierbaren Gewalt, die im Zuge der Entkolonierungskrisen in Afrika von Söldnern ausging, haben sich auch die Vereinten Nationen die Bekämpfung der Söldner zum Ziel gemacht. Aber in der 1989 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Konvention gegen Söldner konnte man sich nur auf eine gewundene Definition einigen, die wortreich Merkmale von Söldnern aufzählt. Als solche gelten demnach nur Krieger, die extra für einen Konflikt angeworben worden sind, die keine Staatsangehörigen der Konfliktparteien sind, deren Kampf sich gegen Regierung und Integrität eines Staates richten, die nicht von Dritten offiziell entsandt worden sind. Besonders misslich für eine Norm, die ja auch juristisch handhabbar sein soll, ist, dass diese Beschreibung nicht einmal ohne subjektive Dimension auskommt, den demnach ist für den Söldner auch wesentlich, dass ihn vor allem das Streben nach persönlichem Gewinn motiviert.

Aber gerade diese subjektive Dimension ist es, die dem volkssprachigen Verständnis von Söldnern zugrunde liegt. Ein Beispiel, das im Vergleich zu den Kriegen der Welt läppisch erscheinen mag, bringt dies in aller Subtilität zum Ausdruck. Im Dezember 1999 sahen sich die Fußballprofis des FC Bayern München nach einer verlorenen Partie mit Spruchbändern wie „Schämt euch, ihr Söldner“ konfrontiert. Gekränkt steckte Übungsleiter Hitzfeld exakt das beleidigende Begriffsfeld ab: „Die Fans haben kein Recht, uns als Verräter, Söldner und Gauner hinzustellen“. Aber warum wurde dieser Vorwurf gerade an diesem Tag erhoben? Das vorangegangene Spiel war nicht gegen einen beliebige Mannschaft verloren worden, sondern gegen den Lokalrivalen 1860 München. Bei diesem Gegner geht es traditionsgemäß nicht nur um Punkte, sondern um Ehre, und da wird mehr verlangt, als vertraglich vereinbarte Dienstleistung, nämlich Leidenschaft und Identifikation. So ergab die Schmähung erst Sinn. Und das eben markiert den Söldner im landläufigen Sinn: Ein Mangel an legitimen Motiven, die ihre Gewaltausübung rechtfertigen könnten.

Das ist zwar ein auch in der Geschichte verbreiteter Topos der Söldnerkritik, aber er ist keineswegs zeitlos. Die mitunter widersprüchlichen Bilder, die sich eine Gesellschaft von Söldnern macht, sagen nicht nur etwas über Söldner aus, sondern noch viel mehr über das Verhältnis der Gesellschaft zur militärischen Gewalt. Sie sind mithin selbst Produkt historischer Prozesse. Wenn es auch schwierig ist, eine Geschichte der Söldner zu schreiben, so kann doch die Geschichte der Spuren erzählt werden, die sie in die Geschichte von Krieg und Herrschaft und von Werten und Wahrnehmungen eingeschrieben haben. Ein Leitmotiv dessen ist die Polarität zwischen Söldnerheer und Bürgerheer. Die griechische wie die römische Geschichte kennt solche Kapitel. Die Ursprünge der modernen Variante kann man bis ins 15. Jahrhundert zurück verfolgen.

Es ist die Zeit, in der Söldner in den europäischen Heeren allmählich zur Mehrheit und damit für eine längere Phase der Militärgeschichte zum dominierenden Strukturmerkmal wurden. Das war ein voraussetzungsvoller und eckiger Prozess, was hier nicht näher entfaltet werden kann. Zur vollen Selbständigkeit gelangte das Söldnerwesen zuerst in den italienischen Stadtstaaten der Renaissance. Deren Erfahrungen von willkürlicher Gewalt, gewissenlosem Verrat und unkontrolliertem Machtmissbrauch riefen zwar auch entschiedene Kritiker auf den Plan. Aber den Siegeszug der Söldner hielten sie nicht auf, zu verlockend waren die Vorzüge der Söldner für die Fürsten und Obrigkeiten. Die herkömmlichen Wehrformen, der Appell an adlige Vasallen oder städtische wie dörfliche Milizen, war an lästige Bedingungen geknüpft und an den Eigensinn und Widerwillen der Betroffenen. Söldner dagegen waren beliebig verfügbar – wenn man sie denn bezahlen konnte. Rasch erwies sich auch deren militärische Effektivität als schlechterdings unschlagbar.

Der Wunsch nach Söldnern überstieg aber in aller Regel die materiellen Möglichkeiten der Kriegsherren. Fürstliche Behörden waren noch kaum entwickelt, und die fürstlichen Amtsträger waren noch lange nicht in der Lage, die komplexe Organisation von Truppen in eigener Regie zu vollziehen. Das blieb erfahrenen Truppenführern überlassen. Mehr noch, das Kapital, das den Fürsten fehlte, wurde oft auf demselben Weg mobilisiert, indem solche Truppenführer, zwar im Auftrag, aber dann auf eigene Kosten Söldner hinter sich scharten und also in Vorleistung traten, in der Erwartung, dass der Krieg selbst und die Steuersäckel ihrer Auftraggeber diese Investition auf längere Sicht rentabel werden ließ. Die Logik dieser Praxis ist als Kriegsunternehmertum bezeichnet worden, und wenn es auch anachronistisch wäre, diese Praxis als privatwirtschaftlich zu bezeichnen, so blieb doch die Kontrolle der Fürsten über diese Truppen lange Zeit prekär. Erst allmählich, bis ins 18. Jahrhundert, entwickelten die staatlichen Herrschaftsapparate die nötigen Techniken, um die Kontrolle über das Militär zu sichern und die Armeen als ein zentrales Machtinstrument in den Staatsapparat zu integrieren.

Aus einer ganz hohen Warte betrachtet, hat die beliebige Verfügbarkeit der Söldner entwicklungsgeschichtlich eine große Bedeutung erlangt. Indem das Söldnerwesen die adligen Ritterheere des Mittelalters als dominierende Struktur ablöste, wurde das Kriegswesen zugleich von seiner Bindung an geburtsständische Rollen und Normen abgekoppelt. Die Reduktion kriegerischer Praxis auf militärische Effizienz, die sich in Gestalt des Söldnerwesens vollzog, bedeutete nichts anderes als eine Professionalisierung des Kriegswesens, das im Prinzip von jedermann ausgeübt werden konnte. Das ist ziemlich vereinfacht gedacht, insofern auch die Einschätzung der Effizienz wiederum von zeitgenössischen Wahrnehmungen abhing, die aus heutiger Sicht nicht immer sehr rational anmuten (es aber aus damaliger Sicht waren). Aber Drill, Disziplin, Dienstgrade, Befehlshierarchie, alle diese Ingredienzien modernen Heerwesens entfalteten sich als funktionale Optimierung von Söldnerverbänden.

Das Militär wurde auf diese Weise relativ früh zu einem autonomen Subsystem, das die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften antizipierte. Die Autonomie bedeutete unter den Bedingungen des vormodernen Fürstenstaates aber auch, dass die Armeen ein unkontrollierbares Instrument für die Eroberungswünsche der Fürsten darstellten. Die Entfremdung zwischen Söldnerheer und Bevölkerung geriet im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend in die bürgerliche Kritik.

Und dann ging alles ganz schnell. Die französische Revolution führte nicht nur zu einer militärischen Massenmobilisierung, sondern zu einer neuen ideellen Legitimation des Kriegsdienstes, die sich gerade vom Fürstendienst abhob. Aus der Revolutionierung des Staates und des Krieges erwuchs ihre Nationalisierung. Damit wurde das Heerwesen nicht nur in den Herrschaftsapparat, sondern auch in den Wertehaushalt der bürgerlichen Gesellschaft integriert. Die Heere blieben zwar Zankapfel zwischen monarchischer und parlamentarischer Kontrolle, aber ihr unwägbares Gewaltpotential wurde durch die Verpflichtung auf nationale Werte gesamtgesellschaftlich legitimiert.

Der Typus des Söldners wurde damit aber beinahe über Nacht zum gesellschaftlichen Außenseiter. Er wurde einhellig zum moralischen Mängelwesen gestempelt, um gute und böse Krieger unterscheiden zu können. Die Professionalität allein reicht nicht für diese Unterscheidung, denn die gab und gibt es auf beiden Seiten. Die Nationalisierung des Krieges führte überdies dazu, dass bis heute der Söldner meist ganz selbstverständlich als Ausländer betrachtet wird, also als Fremder dort, wo er seinen Militärdienst leistet, und umgekehrt als Verräter gegenüber seinem Heimatland. Für die vorrevolutionäre Ära wäre dieser Maßstab gegenstandslos gewesen, denn unter den Rekruten, die den Trommeln der Werbeoffiziere folgten, befanden sich in europäischen Heeren gleichermaßen Inländer wie Ausländer. Die einen als Söldner zu begreifen, die anderen aber nicht, hieße anachronistisch den nachrevolutionären Maßstab anzulegen. Bei genauerem Hinsehen stößt der Maßstab im übrigen auch bei modernen Söldnerverbänden auf Grauzonen.

Das Söldnerwesen wurde auf diese Weise marginalisiert. Aber es verschwand keineswegs. Die Ambivalenz, in die die Söldner der Moderne hineingestellt worden sind, wird am Beispiel der französischen Fremdenlegion besonders deutlich. 1831 zunächst aus politischen Flüchtlingen aufgestellt, behandelte sie die französische Regierung selbst mit Misstrauen und sorgte ganz konkret für ihre räumliche Marginalisierung, indem die Legion lange Zeit nur in nordafrikanischen Standorten stationiert wurden. Von dort aus ließen sich die Legionäre immer noch für die europäischen Staatenkriege einsetzen. Vor allem aber waren sie ein gefügiges Instrument, um weit jenseits der Grenzen Frankreichs koloniale Interessen zu verfechten, wofür sich nationales Militär nur mit großem legitimatorischen Aufwand hätte motivieren und mobilsieren lassen. Dieser Vorteil, der wiederum auf die beliebige Verfügbarkeit verweist, lässt sich auch auf andere Söldnerstrukturen des 19. und 20. Jahrhunderts übertragen.

Wie dominierend dennoch das nationalstaatliche Paradigma blieb, offenbart das paradoxe Motto der Legion: Legio patria nostra – die Legion ist unser Vaterland. Die Ambivalenz wird noch deutlicher, wenn die oben skizzierten Definitionen herangezogen werden. Denn nach den Maßstäben der UN wären die Fremdenlegionäre keine Söldner, schließlich ist die Legion eine staatliche Institution. Natürlich hatte die Staatengemeinschaft kein Interesse, sich dieses Instrument selbst zu verbieten. Sie zielte auf die Bekämpfung nichtstaatlicher Gewalt. Fragt man aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, so gelten die Legionäre allerdings als die Söldner schlechthin, gemessen gerade an dem subjektiven Maßstab, der nach den Motiven des Kriegers fragt.

Gemessen allerdings an den Entwicklungen der letzten 40 Jahre, mit der Ausbreitung von Söldnerpraktiken seit den 60er Jahren und ihrer rasanten Beschleunigung seit den 90er Jahren, stellt die Fremdenlegion in der Tat eine vergleichsweise reguläre und legitimationsfähige Formation dar. Es ist hier nicht der Raum, die diffuse Vielfalt der militärischen Strukturen zu erfassen, die sich seither ausgebildet haben. Zwei Hauptentwicklungen markieren die auseinanderstrebenden Pole einer immer breiter gefächerten Praxis. Das Ende des Kalten Krieges favorisiert offenbar die Zunahme regionaler Krisenherde, in denen die Erodierung staatlicher Strukturen die Entstehung von Gewaltmärkten ermöglicht, das heißt Zustände, unter denen lokale und regionale Kriegsherren unkontrollierte, dauerhafte Gewaltherrschaften aufbauen, gespeist von der Kontrolle über legale, aber vor allem illegale Warenströme und Ressourcengewinnung. Über ihre Ähnlichkeit mit den Kriegsunternehmern des 16. und 17. Jahrhunderts ist schon diskutiert worden, aber der noch viel höhere Grad an Autonomie und Territorialisierung solcher Gewalträume kennzeichnet auch substantielle Unterschiede.

Dem stehen international agierende Militärfirmen gegenüber, die sich aus ehemaligen Spezialisten staatlicher Militär- oder Sicherheitsapparate rekrutieren und eine breite Palette von Dienstleistungen der Sparte Gewalt anbieten. Die zunehmende Indienstnahme solcher Firmen auch durch westliche Regierungen folgt einerseits der Logik des Outsourcing, die komplexe Aufgaben in privater Hand effizienter ausgeführt sieht. Zugleich aber emanzipiert sich diese Praxis von der Legitimation staatlichen Gewaltmonopols und ermöglich damit, im Rahmen globaler Rivalitäten jenseits der Aufmerksamkeit demokratischer Öffentlichkeiten Interessen zu verfolgen und beispielsweise auch in den trüben Schattenwelten der regionalen Krisen zu agieren. Die in einigen Regionen zunehmende Relativierung staatlicher Gewalt durch Subversion und Globalisierung lässt erwarten, dass militärische Gewalt und staatliche Legitimierung allmählich wieder entkoppelt werden. Der Streit um die Begriffe, ob nämlich diese Strukturen als Söldnerwesen bezeichnet werden können, ist in der Fachdebatte längst entbrannt und verweist darauf, dass es sich auch um ein Ringen um Wahrnehmungen und Wertungen handeln wird.

Anmerkungen

Die Literatur über Söldner ist zahlreich, aber in aller Regel räumlich wie zeitlich nur begrenzt konzipiert. Weiterführende Hinweise finden sich in: Michael Sikora: Söldner – historische Annäherung an einen Kriegertypus, in: Geschichte und Gesellschaft, 29. Jahrgang 2003, Heft 2, S. 210-238.

PD Dr. Michael Sikora, Westfälische Wilhelms-Universität Münster., arbeitet zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Militärs, zur Kulturgeschichte des Adels und zur Genese politischer Partizipation in der Frühen Neuzeit

Der deregulierte Krieg

Triebkräfte der Privatisierung:

Der deregulierte Krieg

von Herbert Wulf

Immer häufiger werden Kriege und gewaltsame Konflikte von nicht-staatlichen Akteuren ausgetragen. Warlords, organisiertes Verbrechen, Milizen, Rebellen, Jugendgangs und Kindersoldaten – auch wenn diese eher als Opfer einzustufen sind – sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Viele Regierungen sind mit ihren Polizei- und Militärstreitkräften nicht mehr in der Lage, Ruhe und Ordnung zu sichern und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Neben dieser Form der Privatisierung von Gewalt, die meist der Bereicherung der Akteure dient, gibt es eine zweite, von staatlicher Seite gezielt geplante Privatisierung von Polizei und Militär: Das »Outsourcen« polizeilicher und militärischer Funktionen an private Firmen.

Rebellen in Angola verschleppten den 14-jährigen Frederico aus seinem Elternhaus und zwangen ihn, zu töten und zu foltern. Neun Jahre lang kämpfte er in der Miliz in einem der blutigsten Kriege in Afrika. Matt Mann bewarb sich mit früheren Kameraden aus der Spezialeinheit Delta Forces der US-Armee, als 2003 ein Auftrag im Irak ausgeschrieben wurde. Es galt, den Leiter der damaligen Koalitions-Übergangsverwaltung, Paul Bremer, zu schützen. Die ehemaligen Soldaten gründeten aus dem Nichts die Firma Triple Canopy, die innerhalb von zwei Jahren ihr Auftragsvolumen für Militär- und Sicherheitsdienste im Irak auf 250 Millionen US-Dollar steigern konnte. Die erste der beiden Geschichten ist nachzulesen auf der Website von UNICEF, die zweite in der New York Times vom 14. August 2005. Beide beschreiben einen immer stärker werdenden Trend zur Privatisierung des Krieges und der Sicherheit. Die erste Form – die Rekrutierung von Kindersoldaten, das Morden der Milizen, der Kampf der Warlords um Zugriff auf Rohstoffe, der Waffen-, Drogen- und Menschenhandel des organisierten Verbrechens – lässt sich als Privatisierung der Gewalt von unten beschreiben. Die Beauftragung privater Militärfirmen, das Outsourcen, wie es zurzeit vor allem in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, praktiziert wird, ist eine geplante Privatisierung von oben.

Privatisierung der Gewalt von unten

An der Privatisierung der Gewalt von unten beteiligen sich zahlreiche nicht-staatliche Akteure, weil sie sich gegen Übergriffe wehren, eine Regierung stürzen oder sich schlicht bereichern wollen. Diese Gruppen, deren Prototyp die Warlords sind, sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Der schwache oder in vielen Ländern kaum noch existierende Staat kann das staatliche Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen. Staatszerfall, ineffiziente und korrupte staatliche Institutionen – vor allem Militär, Polizei und Justiz – sorgen für Unsicherheit, ungehemmte Kriminalität und Instabilität. Die Aufrechterhaltung von Gesetz und öffentlicher Ordnung wird immer schwieriger oder ist in kritischen Fällen gar nicht mehr möglich.1 Die internationale Gemeinschaft reagiert in den letzten Jahren verstärkt auch mit militärischen Mitteln auf diese Entwicklung.

Eine bereits länger anhaltende Entwicklung ist zweitens die immer stärkere Belastung der Zivilbevölkerung in Kriegen. Während im »klassischen« Krieg der Vergangenheit Soldaten gegen Soldaten kämpften, ist heute vor allen Dingen die Zivilbevölkerung Ziel militärischer Angriffe oder hauptsächlich davon betroffen. Die Mehrzahl der Toten und Verletzten in den Kriegen sind Zivilisten. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nennt die Zahl von 9,2 Millionen grenzüberschreitenden und 5,6 Millionen innergesellschaftlichen Flüchtlingen im Jahr 2005.2 Ein großer Teil dieser Flüchtlinge verließ die Heimat aufgrund kriegerischer oder gewalttätiger Auseinandersetzungen.

Die neuen Entwicklungen hängen eng mit dem generellen Trend der Globalisierung fast sämtlicher Gesellschaftsbereiche zusammen. In vielen Ländern führte die Integration in den Weltmarkt zu bedeutsamen Verwerfungen, die oft in gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte münden, auf die mit zivilen und militärischen Mitteln reagiert wird.

Konflikte als Folge der Globalisierung

Die Marktliberalisierung mit freiem Handel und wirtschaftlicher Globalisierung ersetzte die staatlich geförderte Entwicklung als dominantes Entwicklungsmodell. Mit dieser in erheblichem Ausmaß global durchgesetzten Politik wuchsen nicht nur die ökonomischen Chancen, sondern auch die Möglichkeiten der systematischen Selbstfinanzierung von Kriegsparteien. Mehr noch: Die Durchführung von Kriegen und die Beteiligung an bewaffneten Konflikten wurde für manche der Kriegsteilnehmer zu einem attraktiven und profitablen Geschäft, trotz der gesamtgesellschaftlichen Zerstörung.3

Wenn in der Vergangenheit wirtschaftliche Faktoren als Ursache von innerstaatlichen Kriegen und Konflikten genannt wurden, galt dies vor allem der wirtschaftlichen Ungleichheit, Unterentwicklung und fehlenden Entwicklungsressourcen.4 In neueren Analysen liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Argument der Ressourcenknappheit, sondern auf Konflikt verschärfenden wirtschaftlichen Faktoren und ökonomischen Interessen an der Fortsetzung des Konflikts. Dieser Paradigmenwechsel ist im angelsächsischen Begriffspaar »greed or grievance« (Gier oder Groll – wegen sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung) auf den Punkt gebracht worden.5 Krieg wird wegen wirtschaftlicher Vorteile geführt. Es handelt sich um Kriegsökonomien, um Raub und Plünderung, um Ressourcenkriege, Gewaltmärkte, Schattenökonomien und Netzwerkkriege,6 um die Konsequenzen der Globalisierung und das Unvermögen von Staaten, ihr Gewaltmonopol auszuüben.

Die Erosion des Nationalstaates

Der Schlüssel zum modernen Nationalstaat »westfälischer« Prägung ist das Monopol legitimierter, organisierter Gewalt. Eine der zentralen Funktionen des modernen Staates ist die Garantie der Sicherheit für seine Bürger durch Rechtsstaatlichkeit. Das Weber’sche Konzept des Nationalstaates beinhaltet auch die Abschaffung privater Armeen, die innergesellschaftliche Befriedung und die Schaffung eines staatlichen Systems organisierter, legitimierter Gewalt im eigenen Territorium. Diese drei Prinzipien sind in unterschiedlichem Maße in den konfliktträchtigen Regionen der Welt in Frage gestellt.

Erstens haben die Störungen des sorgfältig ausbalancierten Systems nationalstaatlicher Organisationen zu »neuen Kriegen« unter Beteiligung neuer Akteure geführt. Da in vielen Ländern der Staat nicht länger in der Lage ist, sein Gewaltmonopol durchzusetzen, agieren in diesen Konflikten – zumeist gegen den ausdrücklichen Willen der Regierung – private Akteure. Regierungen, große Firmen und internationale Organisationen versuchen sich gegen diese Gefahren bewaffneter Gewalt zu schützen und heuern hierzu private Militärfirmen oder private Sicherheitsfirmen an. Diese privaten Sicherheitsdienstleister führen Aufgaben aus, für die im Konzept des staatlichen Gewaltmonopols Polizei und Streitkräfte vorgesehen sind.

Zweitens können staatliche Institutionen die innergesellschaftliche Befriedung und die Durchsetzung von Recht und Ordnung nicht mehr garantieren, da organisierte, mafiose Kriminalität, alltägliche Überfälle und ähnliche Übergriffe eine Situation extremer Unsicherheit schaffen. Diejenigen, die es sich leisten können, versuchen den eigenen Schutz zu organisieren, ohne sich auf schlecht ausgestattete, inkompetente oder korrupte staatliche Behörden zu verlassen. Andere wiederum müssen mit dieser Unsicherheit leben oder greifen möglicherweise selbst zu Gewalt, um das eigene Überleben zu sichern. Es entstehen Zonen ungleicher Sicherheit bzw. Zonen der Unsicherheit und Zonen relativer Sicherheit, in denen Personen und Vermögen von privaten Firmen geschützt werden.

Drittens ist die nationale territoriale Einheit durch die Globalisierung und durch regionale politische und wirtschaftliche Zusammenschlüsse in vielen Teilen der Welt aufgehoben; wirtschaftliche, politische und kulturelle Bereiche werden denationalisiert. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die Konzentration vieler Kriege auf die lokale oder nationale Ebene, deren Auswirkungen jedoch über den Nationalstaat hinausgehen. Konflikte werden außerhalb der Grenzen geschürt und von Kriegsparteien aus kriegsfernen Regionen unterstützt. Die Liberalisierung des Marktes, die Deregulierungskonzepte und neokonservative wirtschaftliche Programme haben zum freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen geführt, aber auch zur global organisierten Finanzierung von Kriegen. Nicht nur Nichtregierungsorganisationen, sondern auch Warlords handeln lokal und denken global.

Auf diese Konflikte reagierte die internationale Gemeinschaft mit Interventionen unterschiedlicher Art. Sie reichen von Katastrophenhilfe, über Entwicklungszusammenarbeit bis zu zunehmend robuster durchgeführten »Friedenseinsätzen« der Vereinten Nationen und zu militärischen Interventionen ohne UN-Mandat, wie zuletzt im Irak. Mehr als je zuvor werden Streitkräfte eingesetzt, um präventiv oder reaktiv tätig zu werden und Konflikte zu verhindern oder zu befrieden, Kampfparteien in innergesellschaftlichen Kriegen auseinander zu halten und zu entwaffnen, statt das eigene Heimatland zu verteidigen. Oftmals verbirgt sich hinter diesen als humanitär deklarierten Einsätzen eine verdeckte Agenda, wie der Sturz unliebsamer Regime, oder wirtschaftliche Interessen, wie die sichere Ölversorgung.

Interessanterweise hat die internationale Politik hinsichtlich der Einschätzung des Staates fast einen Purzelbaum geschlagen. Für Jahrzehnte konzentrierte sich die Entwicklungszusammenarbeit auf die Unterstützung der Regierungen in Entwicklungsländern; später hatte dann die Liberalisierungspolitik nur den »ineffizienten« und »korrupten« Staat im Blick und suchte das Heil in der Privatisierung. In den letzten Jahren – dies zeigen die internationalen Hilfsprogramme von Haiti bis Osttimor, von Afghanistan bis zum Kongo, von Bosnien bis Kambodscha – steht die Förderung leistungsfähiger staatlicher, möglichst demokratisch legitimierter Institutionen wieder im Mittelpunkt.

Privatisierung von oben: Der deregulierte Krieg

Für die US-Streitkräfte, seit Ende des Kalten Krieges von 2,3 Millionen Soldaten auf unter 1,5 Million geschrumpft, wird es immer schwieriger, für ihre Kriegs- und Postkonflikteinsätze – ob auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak – Nachschub bereit zu halten. In zunehmendem Maße verlassen sie sich bei der Ausbildung der Soldaten, der Reparatur von Waffen, beim Sammeln von kriegsrelevanten Informationen, beim Verhör von Kriegsgefangenen oder bei der Versorgung der Soldaten in den Kampfgebieten mit Essen und sauberer Wäsche auf die Dienste privater Firmen. Wie Pilze sind hunderte private Militär- und Sicherheits-Unternehmen aus dem Boden geschossen – nicht nur in den USA. Es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung. Doch schreckten Todesfälle und Entführungen ausländischen Kontraktpersonals im Irak die Öffentlichkeit auf. Allein für das Jahr 2003 wurden im Irak 94 Tote und 1.164 verletzte amerikanische Angestellte der Firmen gezählt.7

Das Geschäft der Firmen ist der Krieg und die Nachkriegsphase; sie rekrutieren kampferprobte ehemalige Soldaten weltweit. Waffen und anderes Gerät werden von ihnen gekauft oder geliehen – zumeist mit ordentlicher Lizenz der Regierung. Immer mehr übernehmen private Militärfirmen die Aufgaben von Soldaten. Rund 25.000 Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsfirmen sollen zurzeit im Irak eingesetzt sein. Es ist das zweitgrößte bewaffnete Kontingent nach den US-Streitkräften und größer als die Zahl der Soldaten aller übrigen Kriegskoalitionstruppen zusammen. Auf jeden fünften oder sechsten Armeeangehörigen kommt ein Firmenmitarbeiter.

Der Irak ist kein Einzelfall. Ob in der Drogenbekämpfung in Kolumbien, im Bürgerkrieg im westafrikanischen Sierra Leone, im Kriegsgebiet an den Großen Seen in Zentralafrika oder auf dem Balkan – immer sind die »Spezialisten« dabei. Die Produktpalette der beteiligten Firmen reicht von Sicherheitsdiensten für Privatpersonen und Gebäude bis zur Militärhilfe für ausländische Streitkräfte, von der Logistik bis zur Verwaltung militärischer Liegenschaften, von Transportdiensten für UNO-Organisationen bis zu Kampfeinsätzen, von technisch komplexen bis zu eher schmutzigen Aufgaben wie der Verteidigung der Privilegien korrupter Eliten.

Für diesen Geschäftserfolg war nicht nur maßgebend, dass sich manche Streitkräfte aufgrund zusätzlicher internationaler Aufgaben überfordert fühlten. Mindestens acht Gründe – militärische, wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und ideologisch-konzeptionelle – spielen für den Prozess der Kommerzialisierung oder Privatisierung eine zentrale Rolle:

  • Die Möglichkeit der Rekrutierung qualifizierter Militärfachleute: Auf der Angebotsseite sind vor allem die nach dem Ende des Kalten Krieges freigesetzten Kapazitäten bei den Streitkräften zu nennen. Die Abrüstung in den 1990er Jahren hat nicht nur zu einer Schwemme gebrauchter Waffen geführt, die aus Europa in zahlreiche Länder der Welt verkauft oder verschenkt wurden, sondern ebenso einen Überschuss qualifizierten militärischen Personals hervorgebracht, das jetzt in den privaten Militärfirmen neue Betätigungsfelder sucht und findet.
  • Reduktionen im Militärbereich: Die Kehrseite der oben genannten Entwicklung ist, dass sich manche Streitkräfte durch die zunehmende Zahl militärischer Interventionen überfordert fühlen und auf den Personalabbau mit Outsourcen bis dato militärischer Funktionen reagieren. Wirtschaftliche und personelle Engpässe im Militärbereich und Abrüstung beschleunigten die Privatisierung. Die reduzierte Stückzahl dislozierter Waffensysteme in den Streitkräften eröffnete den zivilen Militärdiensteanbietern neue Geschäftsfelder. So kaufen beispielsweise viele Streitkräfte weniger Trainingsflugzeuge und lassen ihre Piloten von privaten Firmen ausbilden, die ihr eigenes Gerät zur Verfügung stellen.
  • Die veränderte Art der Kriegsführung: Die Streitkräfte setzen immer mehr auf modernes Gerät. Die Streitkräfte selbst sind jedoch nicht mehr in der Lage, das moderne Gerät zu bedienen und zu warten; sie kommen ohne den logistischen Service der Firmen nicht mehr aus. Diese Entwicklung ist zwar nicht völlig neu; sie hat sich jedoch deutlich verstärkt. Ein »Heer« von Ingenieuren und Technikern, IT-Fachleuten und Logistikern, Piloten und Ausbildern privater Firmen sorgt für die Funktionsfähigkeit der komplexen Waffensysteme.
  • Die Nachfrage schwacher oder in Bedrängnis geratener Regierungen: In verschiedenen Fällen, so in Papua Neu Guinea, Sierra Leone und Zaire, haben die Regierungen unter dem Druck des Ansturms von Rebellen und der Gefahr, gestürzt zu werden, auf private Milizen und Firmen zurückgegriffen, die bereit waren, den bewaffneten Kampf gegen Aufständische und Rebellen zu führen. Statt die staatlich legitimierten Streitkräfte mit dem Abwehrkampf oder der Sicherung des Regierungssitzes zu beauftragen, haben vor allem afrikanische Regierungen Kontrakte mit privaten Spezialfirmen abgeschlossen, weil das Militär die Aufgaben nicht erfüllen kann oder sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren soll.8
  • Die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte bei humanitären Interventionen: Die oben bereits erwähnte anschwellende Zahl von Kriegsflüchtlingen, ethnische Säuberungen und Genozide und der daraus resultierende Wunsch zur Prävention bewaffneter Konflikte hat den UN-Sicherheitsrat seit Anfang der 1990er Jahre zum verstärkten Eingreifen auch mit militärischen Mitteln veranlasst. Die Vereinten Nationen sehen dies als eine moralische Verpflichtung an. Die Nachfrage nach militärisch gestützten UN-Friedensmissionen war immer größer als das Angebot an Truppen und anderen Ressourcen. Diese Situation beförderte die Nachfrage nach privaten Akteuren. Der Einsatz privater Militär- oder Sicherheitsfirmen soll dabei die Streitkräfte unterstützen und entlasten oder deren Aufgabe vollends übernehmen. Inzwischen arbeiten sie auch im Auftrag von Hilfsorganisationen. Sie bauen im Auftrag von Regierungen Lager für Kriegsflüchtlinge auf oder sorgen für die Logistik von UN-Blauhelmen.
  • Die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte im »Krieg gegen den Terror«: Die sicherheitspolitische Situation hat sich mit den Anschlägen vom 11. September 2001 dramatisch verändert, was sich unter anderem in zusätzlichen Anforderungen an die Streitkräfte niedergeschlagen hat. Die USA stationieren rund 400.000 Truppenangehörige in rund 120 Ländern und permanenten Militärstützpunkten außerhalb der USA. In Afghanistan sind rund 25.000 und im Irak 150.000 Soldaten im Einsatz. Zunehmend fühlt sich die Armee durch die vielfältigen Einsätze im Kampf gegen den Terrorismus überfordert. Im Golfkrieg 1991 hatte das US-Heer noch 711.000 aktive Soldaten zur Verfügung. Während der Zeit des Irakkrieges im Jahr 2003 war es mit 487.000 ein Drittel weniger. Diese Lücke sollen die privaten Firmen füllen.9
  • Die öffentliche Meinung zum Einsatz der Streitkräfte: Wenn Regierungen militärische Macht durchsetzen wollen, sei es, um sich in einer Region eine Vormachtstellung zu sichern, oder begründet mit der Notwendigkeit zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe, greifen sie gelegentlich lieber auf Privatfirmen zurück als auf die eigenen Truppen. Die Erfahrungen der Vergangenheit, beispielsweise der USA in Vietnam, und die wachsende Kritik in der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit an der steigenden Zahl gefallener und verwundeter Soldaten im Irak, spielt bei Entscheidungen für Auslandseinsätze noch immer eine wichtige Rolle.
  • Die normativ positiv besetzte Politik der Privatisierung: Das ökonomische, neoliberale Konzept, den Staat zu verschlanken und seine Aufgaben zu beschneiden und zu privatisieren, macht nicht vor den Kasernentoren Halt. In den USA passt die Privatisierung in das Konzept, die Streitkräfte auf Kampfeinsätze auszurichten, ohne sie dabei zu vergrößern. Verteidigungsminister Rumsfeld schrieb: „Jede Funktion, die vom privaten Sektor übernommen werden kann, ist keine Kernfunktion der Regierung.“

Um kosteneffektivere Marktlösungen zu finden, werden, wie in diversen zivilen Bereichen staatlicher Leistungen, letzthin auch militärische Funktionen privatisiert. Das neo-liberale Konzept vom schlanken Staat hat sich fast kritiklos durchgesetzt. Privatisierung wird landauf, landab als Allheilmittel propagiert. Nicht nur Telekommunikations- und Stromversorgungsunternehmen, Bahn und Post werden privatisiert, sondern auch sensible Bereiche des Militärs. Der Einsatz privater Militärfirmen wird als effektive und marktkonforme Methode angesehen, um den Bedarf an militärischen Dienstleistungen bestimmter Regierungen oder internationaler Organisationen zu decken. »Outsourcen« und »public-private-partnership« sind im Militärbereich heute keine Fremdwörter mehr.

Rent-a-Soldier

Doch die groß angekündigte Entlastung der Streitkräfte durch die Effizienz des privaten Sektors lässt auf sich warten und dies aus verschiedenen Gründen: Es gibt erstens keine wirkliche Konkurrenz; die Firmen erhalten oft vage formulierte Pauschalaufträge und nutzen jede Möglichkeit, ihre Kosten plus Gewinnaufschlag auf den Staat abzuwälzen. Zweitens fehlt der Regierung die Kompetenz zur Überwachung der Firmen, wie zahlreiche Berichte des amerikanischen Rechnungshofs belegen.10 Diese Kontrollfunktion ist deshalb wiederum an private Firmen übertragen worden. So beauftragte das amerikanische Verteidigungsministerium beispielsweise MPRI, eine der größten US-Militärfirmen, die Richtlinien zur Vergabe von Aufträgen zu erarbeiten. Damit wird der sensible Bereich der Sicherheit zum Selbstbedienungsladen privater Akteure.

»Rent-a-Soldier« ist also keine Utopie mehr. Viele der Tätigkeiten dieser Firmen sind durchaus legal. Manche aber operieren in einer Grauzone. Der rasch wachsende »Sicherheits-Markt« konnte sich als Teil einer umfassenderen Privatisierung entwickeln. Diese Privatisierung von Militäreinsätzen birgt eine große Gefahr. Eine wichtige Funktion des Staates – die alleinig autorisierte Institution zu sein, Gewalt anzuwenden um Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten – wird unterhöhlt, in manchen Ländern ganz aufhoben.

Müssen sich die privaten Militär- und Sicherheitsfirmen für ihre Handlungen überhaupt verantworten? Während eine Regierung gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sind private Firmen dies nur gegenüber ihren Aktionären und Auftraggebern. Deshalb müssen die Bürger in den westlichen Demokratien dafür sorgen, dass durch die Privatisierung militärischer Aufgaben die parlamentarische Kontrolle nicht ausgehebelt wird. Schließlich besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der Privatisierung von Post oder Bahn und Militär oder Polizei – und der ist im staatlichen Gewaltmonopol begründet.

Da die Privatisierung der Sicherheit voraussichtlich kein vorübergehender Modetrend ist und mit Sicherheit auch nicht einfach rückgängig zu machen ist, sind Regeln für den Einsatz dieser Firmen dringend geboten.11 Diese sollten eine Registrierung der Firmen beinhalten, um Transparenz über das Gewirr der Anbieter mit sehr unterschiedlichem Ruf zu schaffen und die »schwarzen Schafe« der Branche zu brandmarken. Vor allem aber müssen bestimmte Bereiche für die Privaten zum Tabu erklärt werden, das betrifft insbesondere den Einsatz in Kampfhandlungen.

Prof. Dr. Herbert Wulf leitete das Internationale Konversionszentrum Bonn und ist derzeit Berater in Abrüstungsfragen Nordkoreas bei UNDP Pjöngjang. Der Beitrag beruht auf einer Buchveröffentlichung: Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Nomos Verlag, Baden-Baden 2005.

Was ist der Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer Bank? (nach B.B.)

Was ist der Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer Bank? (nach B.B.)

von Jürgen Nieth

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dass Männer gegen Sold für eine fremde Macht kämpfen, lässt sich zurückverfolgen bis in die Antike. Im Spätmittelalter war es an der Tagesordnung, dass Könige und Fürsten, die viele Krieger für einen Krieg oder Raubzug benötigten, Söldner engagierten. Die »Schweizer« waren die Elite im 15., deutsche Landsknechte die begehrten Kämpfer im 16. Jahrhundert (siehe Michael Sikora).

Söldner waren auch in zahlreichen Kriegen des 20. Jahrhunderts im Einsatz. In der Fremdenlegion stellte der französische Staat ausländische Bürger unter sein Kommando, u.a. in den antikolonialen Befreiungs-Kriegen in Vietnam und Algerien. Hier ausgemusterte Legionäre heuerten in den sechziger Jahren – zusammen mit vielen anderen Ausländern – bei Bürgerkriegsparteien in den afrikanischen Konflikten an. Gekämpft wurde in der Regel für den, der am besten zahlte. Die Söldner zeichneten sich in den ohnehin schon blutig geführten Kriegen als besonders grausam aus. Die Kunde von den Verbrechen eines »Kongo Müller« und eines »Colonel Callan« gingen um die Welt (siehe Marc von Boemcken).

Dieses Söldnertum gibt es auch heute noch, vor allem in zahlreichen Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent. Die »Freiwilligen« haben Zulauf bekommen durch ehemalige Angehörige der südafrikanischen Armee und durch ausgemusterte Soldaten osteuropäischer Staaten.

Und zu den Freiwilligen kommen Hunderttausende zwangsrekrutierter Söldner – darunter Kinder und Jugendliche, die eher Opfer sind (siehe Herbert Wulf) denn Täter.

Die Beweggründe für die nicht zwangsrekrutierten Söldner haben sich kaum verändert: Entwurzelung, berufliche Perspektivlosigkeit, »Abenteuerlust« und der Glaube ans schnelle Geld lassen sie zu Mördern werden. Dementsprechend schlecht ist ihr Image. Und das hat sich auch nicht dadurch verbessert, dass heute – vor allem in den USA und England beheimatete – Söldnerfirmen »Kämpfer« in den Einsatz schicken, die vorgeben „stets im Rahmen nationaler und internationaler Gesetze (zu) agieren.“ (Dario Azzelini).

Betrachten wir die Privatisierung des Krieges, so ist dieser traditionelle Söldner aber nur noch ein Rädchen im Kriegs-Getriebe. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren haben private Militärdienstleister immer umfangreichere Aufgaben übernommen. Sie stellen nicht nur zum Töten bereite Söldner, sie stellen militärische Spitzenkräfte und wissenschaftlich-technisches Know-How, das kriegsentscheidend sein kann (siehe Boris Kanzleiter). Sie verfügen über schweres Gerät, wie Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber und dem Bedienungspersonal.

Wurden die Söldner früher für einen begrenzten Zeitraum angeworben, um möglichst schnell zu siegen, so haben die privaten Militärdienstleister heute einen ständigen und ständig wachsenden Platz in zahlreichen Armeen und vor allem in den bestgerüsteten. Laut Angaben der Firma Custer Battles stehen über 30.000 Iraker und viele Tausend Ausländer im Irak im Dienst privater Militärdienstleister. Ihr Einsatzgebiet reicht von der Reinigung der Unterhosen bis zur Lieferung der Mittagessen, vom Personen-, Transport- und Objektschutz bis zur Gefängnisaufsicht (Folter offensichtlich manchmal eingeschlossen – siehe Abu Ghraib), vom bewaffneten Einsatz bis zur Betreuung vieler hoch entwickelter Waffensysteme.

Dementsprechend steigen auch die Ausgaben für die Privaten. Im ersten Jahr des Irakkriegs wurden von der US-Regierung allein im Irak Aufträge an 150 private US-Firmen vergeben, mit einem Gesamtvolumen von fast 50 Mrd. US-$.

Kein Wunder, dass bei solchen Geschäftsaussichten die Verflechtungen zwischen Politik und privaten Militärdienstleistern immer enger werden. Nicht nur der Halliburton-Konzern – mit engsten Verbindungen zum US-Vizepräsidenten Cheney – ist mit Tochterfirmen vom Balkan über Lateinamerika bis zum Irak im Einsatz. Mit Carlyle – in dessen Verwaltungsrat Ex-Präsidenten und Ex-Minister sitzen – begab sich auch einer der erfolgreichsten Investment-Fonds früh in jene Grauzone, wo Politik und Geschäft zur „Durchsetzung ihrer Ziele mittels Gewalt in einander fließen.“ (Werner Ruf)

Dieses »Outcourcen« im militärischen Sektor droht das staatliche Gewaltmonopol auszuhöhlen, stellt es u. U. grundsätzlich in Frage.

Begründet wird diese Entwicklung mit dem allseits beliebten neoliberalen Argument: Kosten sparen. Das lässt außer Acht, dass viele dieser »Privaten« in einer Grauzone operieren. Gesetzlich können sie für ihre Handlungen oft nicht zur Rechenschaft gezogen werden. In ihrem Interesse liegen möglichst hohe (staatlich garantierte) Profite und geringe Kontrollen über den Einsatz der Gelder.

Vor allem aber zählt: Wer am Krieg verdient, hat kein Interesse, ihn zu beenden!

Jürgen Nieth

Kampf gegen Guerillas oder Terroristen

Kampf gegen Guerillas oder Terroristen

Drogen, Bürgerkrieg und Gewalt in Kolumbien

von Michael Funk

Während in Washington wohl zumindest inoffiziell bereits diskutiert wird, wie lange sich der Erfolg im Irak-Krieg der Weltöffentlichkeit noch als ein solcher verkaufen lässt, wird dem anderen amerikanischen Krieg – dem »drug war« – derzeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vor gut drei Jahren machte Präsident Clinton mit seiner Unterschrift unter eine Gesetzesvorlage namens »Plan Colombia« den Weg frei für ein umfangreiches Hilfspaket für Kolumbien, den weltgrößten Produzenten und Exporteur von Kokain. Unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung sind seitdem mehr als 2,5 Milliarden Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe aus Washington in den von blutigen Auseinandersetzungen gezeichneten Andenstaat geflossen, weitere 6,5 Millionen sollen noch in diesem Jahr folgen. Doch was 2000 als vage definierte Sicherheitsinitiative zur Drogenbekämpfung begann, ist längst zu einem offenen Feldzug gegen marxistische Guerillas, angebliche Terror-Drogen-Netzwerke und unterprivilegierte Bevölkerungsschichten geworden – ohne absehbares Ende, klare Strategie oder eindeutige Erfolgsaussichten.

Der »Plan Colombia« markierte einen deutliche Verschiebung innerhalb der US-amerikanischen Südamerikapolitik. Erinnerungen an beschämende Episoden in El Salvador oder Nicaragua in den 1980er Jahren wurden wach und nicht wenige Analysten legten in Kommentaren den »Schatten von Vietnam« über die vertiefte Teilnahme der USA am kolumbianischen Bürgerkrieg. Innenpolitischer Widerstand regte sich nicht zuletzt auf Grund der brutalen Geschichte des einheimischen Militärs und der Einsicht, dass der mehr als vier Jahrzehnte andauernde Konflikt nur durch Verhandlungen zu beenden sei. Als Rechtfertigung für den verschärften Kurs wurde das herangezogen, was der damalige Drogenbeauftragte der US-Regierung General Barry McCaffrey einen »Drogen-Notstand« (drug emergency) in Kolumbien nannte. Gemeint war ein deutlicher Anstieg der Koka-Produktion in den südlichen Provinzen Putumayo und Caquetá, gleichzeitig Hochburgen der »Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia« (FARC), der mit ca. 17.000 Kämpfern größten Rebellenbewegung des Landes. Kolumbien, so wurde argumentiert, verliere den Kampf gegen Drogen, weil Militär und Polizei nicht in der Lage wären, Kokafelder in von den Guerillas kontrollierten Gebieten zu vernichten. Dies wurde wiederum darauf zurückgeführt, dass die Sicherheitskräfte den durch Profite und Steuern aus dem Drogengeschäft hochgerüsteten Rebellen vor allem in den unzugänglichen Gebieten der Amazonasregion – in denen die Landbevölkerung Koka und Mohn anbaut – hoffnungslos unterlegen wären. Die massive Militärhilfe aus den USA sollte das Kräfteverhältnis verschieben und neu geschaffene Eliteeinheiten der kolumbianischen Armee in die Lage versetzen, in die südlichen Regionen vorzudringen und illegale Kokaplantagen oder Drogenlabore ausfindig zu machen. Die zwei Kriege Kolumbiens – gegen Drogen und gegen die Guerillas – wurden auf diese Weise zu einem verschmolzen. Bemühungen von NGOs und moderaten Politikern beider Länder um diplomatische Lösungen, wurden durch die von den USA forcierte militärische Eskalation zunichte gemacht. Die Drogenwirtschaft jedoch zeigt sich unbeeindruckt.

Die Netzwerke der Drogenwirtschaft

Der amerikanische Drogenkrieg ist mindestens ebenso alt wie der kolumbianische Bürgerkrieg. Für altgediente »drug hawks« in Washington ist Kolumbien nur eine Front in einem globalen Kampf. Mit wechselnden Schwerpunkten bekämpfen die USA seit den frühen 60er Jahren die Marihuana-, Heroin- und Kokainproduktion in Ländern wie Kolumbien, Peru, Bolivien oder Thailand. In Antwort auf steigenden Drogenmissbrauch und -abhängigkeit versucht die amerikanische Regierung, den Export illegaler Substanzen aus anderen Ländern einzudämmen, um den Straßenpreis zu erhöhen und damit die Nachfrage in der Heimat zu senken. Zu den eingesetzten Mitteln gehören die Vernichtung von Anbauflächen mittels Pestiziden, die Zerstörung von Pflanzen, Verarbeitungslaboren und anderer Infrastruktur, die Kontrolle von Schiffs- oder Flugzeugladungen und die Festnahme von Händlern und Schmugglern. Trotz Erfolgen auf allen diesen Gebieten blieben Operationen in den Quellenländern dennoch fast ohne langfristige Wirkung. Der Preis für Kokain oder Heroin in den USA wurde dadurch nie für mehr als ein paar Monate angehoben. Die Ausgaben für solche so genannten source and interdiction-Programme sind von wenigen Millionen Dollar in den frühen 70er Jahren bis heute in Milliardenhöhe gestiegen. In der gleichen Zeit fiel der Straßenpreis für ein Gramm Kokain von 1.400 auf unter 200 Dollar, der Preis für ein Gramm Heroin von ca. 4.000 auf einige Hundert Dollar. Im Vergleich sind die Kosten für Anbau und Verarbeitung sehr gering, die Erhöhung des Marktwertes geschieht größtenteils nachdem die Drogen bereits in die USA geschmuggelt wurden. 1997 lag der Preis der zur Herstellung eines Kilos reinen Kokains nötigen Menge Kokapflanzen bei ca. 300 Dollar. Verarbeitet hat sich der Preis des Kokains bereits verdreifacht und erreicht nach Export, Streckung und Verteilung den beinahe sagenhaften Schwarzmarktwert von 188 000 Dollar.1 Die Relationen machen deutlich, dass selbst eine deutliche Steigerung der Produktionskosten in Kolumbien keinen wahrnehmbaren Einfluss auf den Verkaufspreis in den USA hätte.

Das Drogenangebot wird von der Nachfrage gesteuert, nicht umgekehrt. Einschnitte würden allerhöchstens die Zwischenhändler zu spüren bekommen. Illegale Drogen können so kostengünstig produziert werden, die Einstiegsbarrieren sind so niedrig und die potentiellen Gewinne so hoch, dass der Markt unweigerlich neue, willige Produzenten, Händler, Kuriere und andere Helfer hervorbringt. Die Drogenökonomie bietet urbanen Gesellschaftsgruppen auf anderem Wege kaum erreichbare Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten. Globalisierung und Transnationalisierung der Drogenwirtschaft haben diesen von Experten als »Ballon-Effekt« bezeichneten Mechanismus weiter verstärkt: Wird der Ballon an einer Stelle zusammengedrückt, bildet sich an anderer Stelle eine neue Blase. Die offiziellen Erfolgsmaßstäbe – Tonnen beschlagnahmter Drogen, vernichtete Anbauflächen, Anzahl der Verhaftungen – sind deshalb ähnlich trügerisch wie die »body counts« des Vietnamkrieges. Die Misserfolge sind keineswegs auf den Mangel an Willen oder Ressourcen zurückzuführen, wie politische Hardliner gern behaupten, sondern auf die Struktur des Drogenmarktes.

Das wird auch bei einer näheren Betrachtung der US-amerikanischen Drogenbekämpfungsmaßnahmen der 80er und frühen 90er Jahren deutlich. Das Hauptziel waren damals die berüchtigten kolumbianischen Drogenkartelle, die die Kokapflanzen größtenteils aus Peru und Bolivien importierten. Eine Vernichtung der Organisationen, so erhofften sich die Behörden, würde die Verteilungslinien unterbrechen und die Preise erhöhen. Die Zerschlagung der Kartelle von Medellin und Cali veränderte jedoch lediglich die Struktur der Drogenindustrie und schuf Raum für viele kleine Produzenten und Zwischenhändler, deren Geschäftsidee die kolumbianischen Zeitung »El Tiempo« mit „etwas exportieren, viel verdienen, wenig Aufmerksamkeit erregen“ beschrieb. Schnell füllten aufstrebende mexikanische Verbrechenssyndikate das entstandene Vakuum und lösten die Kartelle als Hauptverteiler von Kokain an die Vereinigten Staaten ab. Der Preis der kolumbianischen Gesellschaft für das von den USA geforderte Vorgehen gegen die Kartelle war hoch. Hunderte von Regierungsbeamten, Richtern, Polizisten oder Journalisten, inklusive des Justizministers Rodrigo Lara Bonilla, des Generalstaatsanwalts Mauro Hoyos Jiménez und des liberalen Präsidentschaftskandidaten Luís Carlos Galán, fielen der Rache der Drogenbosse zum Opfer. Korruption und Angst infizierten so gut wie jede staatliche Institution, die mit der Drogenbekämpfung befasst war. Regelmäßig wurden Polizisten und Militärs von Drogenhändlern für das Übersehen von Laboren oder Transportwegen bezahlt. Es ist davon auszugehen, dass die schlechte Bezahlung der Sicherheitskräfte und die weitere Einbeziehung des Militärs in die Drogenbekämpfung auch in Zukunft die Verbindungen zwischen Militär und Drogenbaronen vertiefen werden.

In den 90er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der amerikanischen Initiativen vom Handel auf den Anbau und damit von den Schmugglern auf die Landbevölkerung. Zur Reduzierung der Produktionsmenge wurden Mitte der 90er Jahre massive Pestizid-Sprühprogramme in Peru, Bolivien und Kolumbien begonnen, die im Rahmen von »Plan Colombia« fortgesetzt werden. Allein im Rahmen der Großoffensive »Push into Southern Colombia« wurden nach offiziellen Angaben zwischen Juli und Oktober 2002 mehr als 60.000 Hektar Bodenfläche für den Kokaanbau unfruchtbar gemacht. Eine UN-Studie dokumentierte einen Rückgang der Koka-Anbauflächen um etwa 30%. Doch die Erfahrungen relativieren den Wert dieses Sieges: Trotz der Sprühprogramme lag die Gesamtanbaufläche für Koka in der Andenregion innerhalb des letzten Jahrzehnts relativ konstant bei 200.000 Hektar (bereits ein Bruchteil davon würde zur dauerhaften Deckung des Weltbedarfes von Kokain ausreichen).2 Vernichtete Versorgungswege werden schnell ersetzt, neue Helfer rekrutiert und neue Flächen erschlossen. Die Produktion verlagert sich tiefer in die unzugänglichen Dschungel und Grenzregionen des Amazonasgebietes, wo keine staatliche Autorität existiert und wo sich die Sicherheitskräfte kaum hinwagen. Auch wenn kolumbianische Offizielle behaupten, jährlich Koka für die Produktion von 200 Tonnen Kokain – rund ein Drittel des Weltbedarfes – zu vernichten, werden die neuen Programme im südlichen Kolumbien trotz kurzfristiger Erfolge kaum Einfluss auf die regionale Kokainproduktion oder den Straßenpreis in den USA haben. Dennoch bleibt die Alternative – die mit einer kontrollierten Dekriminalisierung von Konsum und Drogenmissbrauch verbundene präventive bzw. therapeutische Reduzierung der Nachfrage in den amerikanischen Großstädten – für die Drogenbehörden eine weitgehend tabuisierte Option.

Gesellschaft im Belagerungszustand

Die Militarisierung der Drogenbekämpfung hat in den letzten Jahren unweigerlich auch zur Verschärfung der gesellschaftlichen Spannungen und zur Eskalation des bewaffneten Machtkampfes zwischen Regierung, Guerillas und Paramilitärs beigetragen. Die Zivilbevölkerung wird mehr und mehr zur Zielscheibe im Kampf um die Kontrolle über Drogenplantagen und Absatzwege. Für die marxistischen Rebellen ebenso wie die rechtsgerichteten Paramilitärs – die für einen großen Teil der Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien verantwortlich sind und deren Verbindungen mit Teilen des kolumbianischen Militärs immer wieder kritisiert werden3 – stellt die globalisierte Drogenökonomie die Grundlage der eigenen Konkurrenzfähigkeit innerhalb des Bürgerkrieges dar. Während die FARC hauptsächlich an der Erhebung von »Revolutionssteuern« verdient, macht der Kopf und Gründer des paramilitärischen Dachverbandes »Autodefensas Unidades de Colombia« (AUC) keinen Hehl daraus, dass die Organisation sich zu 70% durch die Einnahmen aus dem Drogengeschäft finanziert. Derselbe Castano spricht in Interviews erschreckend offen über „unvermeidliche Exzesse“ im patriotischen Kampf gegen die „kommunistische Bedrohung“.

Soziale Apartheid und die fortschreitende Erosion rechtsstaatlicher Strukturen in Kolumbien werden auch durch den Krieg gegen die kolumbianische Landbevölkerung, Gewerkschaften und alternative soziale Bewegungen verschärft, den die Regierung in Bogotá mit mehr oder minder offener Unterstützung aus Washington unter dem Deckmantel der »Politik der demokratischen Sicherheit« seit geraumer Zeit führt. Die für den Koka- und Mohnanbau geeigneten Flächen sind meist identisch mit traditionellen Anbaugebieten für die lokale, kleinflächige Landwirtschaft. Durch die Pestizid-Programme werden neben den Koka-Pflanzen auch andere Anbauprodukte wie Weizen oder Gemüse vernichtet oder das Ökosystem des Amazonasgebietes geschädigt, welches den Lebensraum vieler indigener Volksgruppen bildet. Den armen Bauern bietet sich kaum eine Alternative zum Kokaanbau, da andere Agrarprodukte durch die rigiden US-Schutzzölle nicht rentabel für den Export produziert werden können. Die Vernichtung der Ernte bedeutet für sie auch die Zerstörung ihrer Existenzgrundlage. Die zwangsläufige Folge ist eine Migrationsbewegung von Kleinbauern und Landarbeitern im nördlichen Choco sowie in Putumayo und Amazonia in Südkolumbien, die viele direkt in die Arme der verschiedenen Rebellengruppen oder der Paramilitärs treibt. Wer nichts zu essen hat, ist da nicht sehr wählerisch. Menschenrechtsorganisationen, wie amnesty international und Codhes, gehen von mittlerweile zwischen 2,2 und 2,7 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge in Kolumbien aus – eine gewaltige transnationale Diaspora, die gleichzeitig auch die Basis für das Florieren der Drogenwirtschaft darstellt. Der »Push into Southern Colombia« wird dem einige Zehntausend hinzugefügt haben.

Für die USA ist Kolumbien nicht zuletzt auf Grund seiner geostrategischen Lage von Bedeutung. Angesichts zunehmend kritischer Stimmen aus Latein- und Südamerika hat sich Washington mit den großzügigen Finanzspritzen im kolumbianischen Präsidenten, Álvaro Uribe, einen treuen Verbündeten herangezogen, der als eines von wenigen südamerikanischen Staatsoberhäuptern auch die Irak-Politik der USA vorbehaltlos unterstützte. Als außenpolitisches Instrument dient »Plan Colombia« mehr den Sicherheitsinteressen der USA im amerikanischen »Hinterhof«, denn der tatsächlichen Reduzierung des Drogenexportes. Trotz ihrer weitgehenden »Entideologisierung« gehören die ursprünglich marxistisch-leninistisch orientierte FARC oder die kleinere »Ejército de Liberación Nacional« (ELN) zu den letzten, operationsfähigen Guerilla-Organisationen der westlichen Hemisphäre, deren Bekämpfung für viele Militärs und hochrangige Angehörige der US-Administration die letzte Schlacht gegen den globalen Kommunismus darstellt.

Ein weiteres starkes Motiv bilden wirtschaftliche Interessen. Enorme Wachstumsraten und fehlende arbeitsrechtliche Regularien machen Kolumbien zu einem Investitionsparadies für große US-Firmen. Dabei geht es vor allem um die Zugangssicherung für amerikanische Unternehmen zu den Rohstoffvorräten der Region, die nach Chile den stärksten Wachstumsmarkt in Südamerika bildet. Kolumbien gehört zu den weltgrößten Exporteuren von Qualitätskaffee, Bananen und Edelsteinen, besitzt große Gold- und Kohlevorkommen und ist drittgrößter Erdölproduzent Lateinamerikas. Hinzu kommen wertvolle Tropenhölzer oder die schier unerschöpfliche Flora und Fauna Amazoniens, die für wissenschaftliche und wirtschaftliche Zwecke gleichermaßen interessant ist und für deren Ausbeutung es so gut wie keine ökologischen oder sozialen Beschränkungen gibt.4 An mehr Transparenz in dieser Hinsicht sind weder die Machthaber in Washington noch die konservative Regierung in Bogotá interessiert. Der politische Konflikt zwischen den legalen staatlichen Eliten Kolumbiens und den Guerillas, deren erklärtes politisches Ziel die Verbesserung der Lebensbedingungen der Landbevölkerung ist, wird deshalb schon aus strategischen Gründen aufrechterhalten. Im Kern stellt das entterritorialisierte System des Drogenhandels das verbindende Element zwischen Teilen der politischen und militärischen Eliten der Andenregion, ausländischen Investoren, Guerillas, Paramilitärs und der privatwirtschaftlichen Drogenmafia dar. Sie alle streben die Kontrolle an über die Anbauregionen, die Exportkorridore für die Drogen und die Importkorridore für Chemikalien zur Drogenherstellung, Waffen oder andere Handelsgüter. Die mit diesem Machtkampf verbundene Zunahme von Gewalt, Morden und anderen Menschenrechtsverletzungen dient im Gegenzug zur Rechtfertigung für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und die weitere Aufweichung demokratischer Bürgerrechte. Nicht zu Unrecht haben unabhängige Analysten immer wieder argumentiert, dass die einflussreiche amerikanische Drogenbekämpfungs-Industrie an der kontrollierten Überwachung des organisierten Drogenhandels mehr interessiert ist, als an dessen Eindämmung.

»Ein Haufen gesetz- und gottloser Rambos«

Der globale Anti-Terrorkrieg hat für die Situation in Südamerika weitreichende Konsequenzen. Drogen- und Terrorismusbekämpfung sind in Kolumbien kaum mehr voneinander zu trennen. FARC, ELN und AUC befinden sich allesamt auf der Liste ausländischer Terrororganisationen des amerikanischen State Department und der EU. Vergleiche mit islamistischen Terrorgruppen wie Al Qaida, Hamas oder Islamiyya al Gammat gehören in Washington ebenso zur üblichen Rhetorik wie die Gleichsetzung von Drogen mit Massenvernichtungswaffen.5 Der vom Kongress ausgegebene Blanko-Check zur Terrorbekämpfung hat dazu geführt, dass für die Drogenbekämpfung bewilligte Geldmittel nicht mehr zwangsläufig an diese gebunden sind. Materielle oder personelle Hilfen waren nicht zuletzt unter dem Druck unabhängiger Experten und NGOs selbst im Rahmen von »Plan Colombia« gesetzlich auf die neu gegründeten »counter-narcotics units« beschränkt und durften ausschließlich für Maßnahmen zur Drogenbekämpfung verwendet werden. Innerhalb des letzten Jahres sind viele dieser Beschränkungen aufgeweicht worden. Im August 2002 bewilligte der US-Kongress erstmals Gelder für die Terrorismusbekämpfung in Kolumbien.

Die Auflösung der Grenze zwischen dem »war on drugs« und dem »war on terror« in Kolumbien bleibt im öffentlichen Diskurs trotz der engagierten Arbeit verschiedener NGOs nicht nur weitgehend unbeachtet, sie ist auch mit dem zunehmenden Einsatz privater Sicherheits- und Militärunternehmen (Private Military Companies) verbunden. Die Strategie des »outsourcing«, die von Privatunternehmen ebenso wie vom US-Außenministerium und dem Pentagon praktiziert wird, schränkt die Möglichkeiten der Kontrolle ein und hat den Sicherheitssektor in den USA zu einem expandierenden Wirtschaftszweig gemacht. Der juristisch unklare Status der Unternehmen, die von der kolumbianischen Wochenzeitung »Semana« als „Haufen gesetz- und gottloser Rambos“ bezeichnet wurden, verschleiert die Verantwortlichkeiten. Eine strafrechtliche Verfolgung wegen der Teilnahme an Aktionen, die zum Tode von Zivilisten führen (z.B. Flächenbombardements gegen von Guerillas kontrollierte Dörfer), ist praktisch kaum möglich. Die »Angestellten« dieser privaten Sicherheitsdienste, fast ausschließlich ehemalige Militärangehörige, übernehmen den Schutz von Öl-Pipelines oder Elektrizitätswerken, beraten, trainieren und begleiten kolumbianische Einheiten aber auch bei Aufklärungsmissionen oder Kampfeinsätzen. Die mögliche Höchstzahl (»troop cap«) amerikanischer Militärangehöriger und privater Vertragspartner wurde durch das »Foreign Aid Law« Mitte 2002 auf ein Verhältnis 400 zu 400 festgelegt. Die vom US-Außenministerium veröffentlichten Angaben beziehen sich allerdings nur auf amerikanische Staatsbürger, deshalb sind viele private Sicherheitsunternehmen dazu übergegangen, Angehörige anderer Nationalitäten anzustellen. Die tatsächliche Zahl der in Kolumbien aktiven Söldner dürfte also weitaus höher liegen.6

Kolumbien ist heute nach Israel und Ägypten der drittgrößte Empfänger amerikanischer Militärhilfe. Die von der US-Regierung für die Zeit nach dem Ende von »Plan Colombia« im September 2005 offiziell angestrebte »Kolumbianisierung« des Konfliktes ist weder machbar noch liegt sie im Interesse der Beteiligten. Allein die involvierten privatwirtschaftlichen Aspekte und Machtkämpfe machen die Entwicklung von Lösungsstrategien für NGOs kompliziert und wie die Vergangenheit gezeigt hat, auch gefährlich. Kritische Stimmen werden vor allem durch die Paramilitärs, die zunehmend die schmutzige Arbeit für das vorbelastete Militär übernehmen, gewaltsam unterdrückt oder als kommunistische Sympathisanten der Guerillas denunziert. So lange Kolumbien als quasi rechtsfreier Raum für den Raubtierkapitalismus internationaler Großunternehmen attraktiv ist, effektive Sozialprogramme bei der finanziellen Unterstützung weitgehend ausgespart bleiben, ganze Bevölkerungsschichten im politischen System nicht repräsentiert werden, wird der Bürgerkrieg weitergehen; so lange weder der kolumbianische Staat noch die USA daran interessiert ist, die Ursachen für die Entstehung der Paramilitärs und der Guerillas zu beseitigen, wird auch die Bekämpfung der Netzwerke von Drogenproduktion und -handel kein erfolgreiches Ende finden.

Anmerkungen

1) Zu den Zahlen vgl. James A. Inciardi: The War on Drugs III: The Continuing Saga of the Mysteries and Miseries of Intoxication, Addiction, Crime, and Public Policy, New York, 2001.

2) U.S. State Department: International Narcotics Control Strategy Reports 1996-2002, http://www.ciponline.org/colombia/cocagrowing.htm.

3) Human Rights Watch: The Sixth Division: Military-paramilitary – Ties and the U.S. Policy in Colombia, Washington, D.C., 2001. Zuletzt auch Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2003, S. 1239-1242.

4) Verschiedenes davon wurde zuletzt von dem Journalisten Thomas Kistner beschrieben: Thomas Kistner: Die Toten von Leticia – Organraub, Kokainschmuggel und Menschenjagd am Amazonas, München, 2003.

5) Vgl. z.B. den Bericht des CIA-Direktors George Tenet vor dem Senate Select Committee on Intelligence (Washington, D.C., 06.02.2002), http://www.cia.gov/cia/public_affairs/speeches/dci_speech_02062002.html

6) Nach offiziellen Angaben hatten im letzten Jahr drei solcher in Kolumbien aktiver Firmen Verträge mit dem US-Außen-, 17 weitere mit dem US-Verteidigungsministerium (unter ihnen DynCorp, Lockheed Martin, Northrop Grumman, AirScan, California Microwave oder Helikopterproduzent Sikorsky and Bell Textron). Siehe dazu: Peter Singer: Corporate Warriors – The Rise of the Privatized Military Industry, New York, 2003.

Michael Funk arbeitet als freier Autor in Berlin. Er hat in Washington als »legislative assistant« für Americans for Democratic Action (ADA) gearbeitet und sein Studium der Amerikanistik und neueren Geschichte mit einer Magisterarbeit zu »War on Drugs« abgeschlossen.

Veränderte Gewaltformen im Schatten der Globalisierung

Veränderte Gewaltformen im Schatten der Globalisierung

von Peter Lock

Der Krieg gegen den Irak lenkt davon ab, dass wir uns derzeit in einer Phase der Weltentwicklung befinden, in der jene Formen von Kriegen zum Auslaufmodell werden, für die durch das Völkerrecht im letzten Jahrhundert Regeln entwickelt wurden, um sie einzuhegen. Dies nicht etwa, weil ein weltweiter Trend zu weniger gewalttätiger Konfliktaustragung zu beobachten wäre. Meine Thesen lauten vielmehr, dass erstens die Vereinigten Staaten als unangefochtene militärische Hegemonialmacht ubiquitär und präventiv Gewaltmittel zur Durchsetzung ihrer Interessen im Rahmen des so genannten Krieges gegen den Terror einzusetzen beabsichtigen. Damit wird eine Politik installiert, die Krieg als abgrenzbare Kategorie aufhebt. Zweitens, auch die immanente Logik der viel zitierten »neuen Kriege«, die als ein Element der Schattenglobalisierung fungieren, spricht für eine Diffusion kriegerischer Gewalt in »regulative Gewalt« zur Steuerung (wirtschafts-)krimineller transnationaler Netzwerke, die als Spiegel des neoliberalen Globalismus sich zur wahrscheinlich dynamischsten Sphäre der globalen Ökonomie entwickelt haben. Im Ergebnis kommt es zu einer Deterritorialisierung der kriegerischen Gewaltlogik und damit zur Auflösung des klassischen Erscheinungsbildes Krieg. Gleichzeitig wird die Gewalt in den weltweit wachsenden Zonen sozialer Apartheid das dominante Mittel sozialer und wirtschaftlicher Regulation.
Im Weltbild unserer aufgeklärten Modernität erscheint Krieg als moralischer Störfall in einem global integrierten System, das mit internationaler Gemeinschaft oder Weltgesellschaft bezeichnet und als verantwortungsethische Einheit definiert wird. Daraus leitet sich ein moralischer Imperativ für die internationale Staatengemeinschaft ab, derartigen Störungen kollektiv zu begegnen. Da zwischenstaatliche Kriege inzwischen zur Ausnahme geworden sind und innergesellschaftliche bewaffnete Konflikte überwiegen, bedeutet dies nach dem Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen Aufhebung des »Dogmas« der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eine Ausweitung friedensschaffender und friedenserhaltender Einmischungen in innergesellschaftlich ausgetragene Konflikte. Es hat sich eine neue Abwägung der Rechtsgüter staatliche Souveränität und Menschenrechte durchgesetzt, die mit der Schaffung des internationalen Strafgerichts auch einen institutionellen Ausdruck gefunden hat.

Zur ersten Hypothese

In der politischen Realität wird dieser moralische Imperativ, mit Taten für Menschenrechte einzutreten, jedoch nicht eingelöst. Interventionen, auch wenn sie das Etikett humanitär tragen, bleiben an Interessen (militärisch) leistungsfähiger Staaten gebunden. Im Falle Ruandas fehlte es z.B. an Interessiertheit in Staaten, die einzig in der Lage gewesen wären, militärisch zu intervenieren, um den Genozid aufzuhalten.

Mit der amerikanischen Wende nach dem 11.September zum erklärten Krieg gegen den Terror sind Grenzziehungen zwischen Krieg und Frieden endgültig aufgehoben worden. Es ist einer enormen Beschleunigung der amerikanischen Doktrinentwicklung nach diesem Einschnitt geschuldet, dass nunmehr amerikanische Interessenwahrnehmung sich offen aller bestehender völkerrechtlichen Schranken entledigt. Diese Ausrichtung war bereits angelegt und fand in der grundsätzlichen Ablehnung der Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes bereits lange vor 2001 ihren Ausdruck. Eine Regierung, die die Verletzung völkerrechtlicher Regeln zur Wahrnehmung nationaler Interessen gegebenenfalls für geboten hält, muss die von ihr beauftragten Exekutoren solcher Verletzungen logischerweise vor Strafverfolgung schützen.

Die Logik des Krieges gegen Terror beinhaltet eine nahezu absolute Selbstermächtigung der Exekutive. Der in dieser Bedrohungsideologie vorgestellte, weitgehend unsichtbare Gegner kennt keine Handlungsschranken, er ist in Zeit und Raum omnipräsent, keine Gewalthandlung des Gegners kann ausgeschlossen werden. In dem Maße, in dem die Figur der terroristischen Bedrohung als politische Ressource des Machterhalts missbraucht wird, gewinnt sie rasch totalitäre Dimensionen. Die neu gegründete Superbehörde für Heimatverteidigung in den USA mit extensiven Befugnissen in Verbindung mit dramatisch expandierenden Aufklärungsdiensten bieten bereits einen Vorgeschmack auf Anmaßungen der Exekutive. Sie löst Erinnerungen an das Projekt »formierte Gesellschaft« aus, dem Versuch obrigkeitsstaatliche Kontrolle am Ende der Adenauerepoche in der Bundesrepublik zu etablieren, mit der die Restauration der fünfziger Jahre verstetigt werden sollte.

In dieser autosuggestiven Logik nimmt der Krieg gegen den Terror beliebige, machtpolitisch opportune Gestalten an, deren reale Existenz niemals falsifizierbar ist. Für defensive Strategien fehlt es an deutlichen logistischen Spuren des terroristischen Gegners. Aus der imaginierten totalitären Bedrohung ergibt sich systemisch der Zwang, auch die (Selbst-)Verteidigung keinerlei Handlungseinschränkungen zu unterwerfen. Folglich erscheinen aggressive präventive Strategien als einzig mögliche und wirksame Verteidigung. Sie dürfen weder durch rechtsstaatliche Regeln noch durch Völkerrecht in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt werden. Der Krieg gegen den Terror läuft so auf eine asymmetrische, gewalttätige globale Machtpolitik hinaus, die jegliche territoriale Souveränität Dritter ignoriert. Sie bezieht ihre Legitimation aus einer normativen Suprematievermutung des amerikanischen Staates und dessen Wertesystem. Dieser Krieg bleibt ohne Aufgabe seiner Prämissen ohne Ende und hebt sich bzw. die Figur des Krieges auf. Die angstbesetzte Logik des Feldherrn gegen den Terror legitimiert eine Eskalation niedrigstschwelliger präventiver Intervention, was tendenziell zu einer faktischen Demilitarisierung von Interventionsstrategien und der Verlagerung auf verdeckte Interventionen und den Einsatz privater Dienstleister, auch militärischer, zur präventiven Abwehr vermuteter Beeinträchtigungen amerikanischer Interessen führt.

Auch der Kalte Krieg basierte auf einer vergleichbaren ideologischen Figur. Der Gegner wurde als totalitärer Akteur gezeichnet. Aber im Gegensatz zum Krieg gegen den Terror besaß der Gegner das Merkmal Territorialität. Durch die Implosion bzw. Selbstauflösung der Sowjetunion konnte die Logik des Kalten Krieges beendet werden, ohne die Prämissen der eigenen Ideologie aufzugeben.

Es fällt schwer der gegenwärtigen amerikanischen Politik ökonomische Interessen einer hegemonialen Gruppe zuzuordnen. Die Widersprüche der aktuellen präventiven Interventionspolitik deuten daraufhin, dass diese Politik von Überlegungen des innenpolitischen Machterhaltes getrieben wird. Kriege scheinen vorrangig eine manipulative innenpolitische Ressource in den USA zu sein, jedenfalls entbehrt der Irakkrieg einer kohärenten Kapitallogik. Die amerikanische Inszenierung einer Kriegslogik paralysiert demokratische Diskurse auf nationaler und internationaler Ebene mit tiefgreifenden Folgen für die Entwicklung und Durchsetzung von Völkerrecht und die Rolle der Vereinten Nationen, sie schafft aber ein populistisches Klima für die Wiederwahl Bushs.

Im Hinblick auf den Irakkrieg gilt, dass die mediale Präsentation des Krieges seine eigentliche Qualität unterschlagen hat. Die demonstrierte asymmetrische Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte hat weltweit die Option einer militärischen Verteidigung gegen diese Übermacht entwertet. Die ungeheure Zerstörungskraft amerikanischer Gefechtsfeldwaffen in Verbindung mit nahezu totaler Aufklärung und Störung der gegnerischen Kommunikation schließen eine koordinierte militärische Gegenwehr am Boden nahezu aus. In den Druckwellen amerikanischer Bomben und Raketen sind Zehntausende irakischer Soldaten in ihren Verteidigungsstellungen umgekommen, bevor sie in das militärische Geschehen eingreifen konnten. Diese Dimension des Krieges war aus der medialen Präsentation ausgeblendet.

Berücksichtigt man weiterhin, dass weltweit das Steueraufkommen und damit die Möglichkeit, leistungsfähige modern gerüstete Streitkräfte zu unterhalten sinkt, so ergibt sich daraus, dass mittelfristig das amerikanische Kriegsführungspotenzial weltweit ohne militärisch relevante Gegnerschaft bleiben wird. Nur Massenvernichtungswaffen können u.U. die amerikanischen Truppen von einer Invasion abschrecken.

Noch einschneidender ist jedoch, dass in raschem Tempo in weiten Teilen der Welt die Elastizität, massiven Störungen der wirtschaftlichen Zirkulation zu widerstehen, rasch abnimmt. Es mag zynisch klingen, aber der Irak war einer der letzten Orte, an denen ein solcher Krieg inszeniert werden konnte. Das embargobedingte Lebensmittelprogramm der Vereinten Nationen hatte die irakische Gesellschaft geradezu ideal auf kriegsbedingte Störungen der zentralverwaltungswirtschaftlich organisierten Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln vorbereitet. Drei Monate Versorgung waren verfügbar und zum Teil bereits an die Endverbraucher verteilt, als die Kriegshandlungen begannen. Keine andere Gesellschaft in der »Dritten Welt« verfügt über eine vergleichbar hohe Elastizität des Überlebens bei massiven Störungen der Versorgung.

Urbanisierung und Zerstörung bäuerlicher Lebenswelten machen die Weltgesellschaft störungsanfälliger denn je. Die marginalisierten Massen in den Armutsgürteln der Megastädte der Welt dürften bei einer Unterbrechung ihrer fragilen Versorgungssysteme in kürzester Frist verhungern. Ländliche Fluchträume, in denen die Elastizität kleinbäuerlicher Wirtschaftsweise Überlebensmöglichkeiten bietet, gibt es kaum noch. Sie sind inzwischen weitgehend agrarindustriell strukturiert. Arme leben ein tägliches »just in time«, über Reserven verfügen sie nicht. Die Zentren moderner Megastädte brechen bei Störung selbst nur der Stromversorgung als Überlebensraum in wenigen Tagen zusammen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Welt kaum noch über Räume verfügt, in denen eine konventionelle militärische Konfrontation denkbar ist, ohne das Überleben der Zivilbevölkerung als mittelbare Folge von Kampfhandlungen in kurzer Zeit aufs Spiel zu setzen.

Der amerikanische militärisch-bürokratische Komplex hat dies längst erkannt. Er dient dem Kongress zwar noch eine billionenteure Modernisierung der konventionellen Streitkräfte zur dauerhaften Sicherung absoluter Überlegenheit an. Gleichzeitig jedoch bereitet er sich parallel seit vielen Jahren mit großem Forschungsaufwand auf MOOTW (military operations other than war) vor. Mit dem Ziel niedrigschwellig und präventiv amerikanische Interessen durchzusetzen, wird unter großer Geheimhaltung ein breites Spektrum von Störungsmitteln entwickelt, die überall einsetzbar sind, auch dort wo konventionelle Kriegsführung nicht mehr möglich ist. Zugleich steckt in diesen Störungsmitteln das Potenzial, offene kriegerische Gewalt seitens der USA überflüssig zu machen. Das Einsatzpotenzial dieses Arsenals wurde bei der Störung der serbischen Stromversorgung1 während des Kosovokrieges demonstriert.

Zur zweiten Hypothese

Die Merkmalsausprägungen gegenwärtiger Kriege werden zunehmend diffuser. Beginn und Ende markieren häufig keine wirklichen Zäsuren im Hinblick auf das Gewaltgeschehen. Das Gewaltniveau in einer Gesellschaft ist längst kein hinreichendes Merkmal für Krieg mehr. Das Kampfgeschehen trägt nicht selten erratische Züge. Humanitäre Hilfe als ein niedrigschwelliges Element der Einmischung wird vielfach in das Kriegsgeschehen integriert, und die Neutralität der Hilfsorganisationen wird faktisch bereits als Zugangsvoraussetzung aufgehoben.

Zudem gilt, dass sich die ökonomische Grammatik von Kriegen grundlegend gewandelt hat. Während der Zweite Weltkrieg, aber auch noch der Koreakrieg mit einer Ausweitung der Produktion und Mobilisierung brachliegender Ressourcen, Sklavenarbeit eingeschlossen, einhergingen, sind bewaffnete Konflikte der Gegenwart davon gekennzeichnet, dass wirtschaftliche Aktivitäten paralysiert und die Menschen arbeitslos werden, ihre Lebensgrundlagen verlieren und zu Flüchtlingen werden. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten verschwimmt, zugleich ist die Zivilbevölkerung bevorzugtes Ziel von Kampfhandlungen. Kriegsgefangene sind zur Ausnahme, Geiselnahme beinahe zur Regel geworden. Das Kriegsvölkerrecht bildet für die Akteure längst keine Handlungsschranken mehr.

Ein zentraler Befund neuerer Untersuchungen bewaffneter interner Konflikte lautet, dass kriegerische Gewalt zu erheblichen Teilen mit wirtschaftlichen Interessen erklärt werden kann, ja dass sogar langandauernde Kriege geradezu zu einer eigenständigen Produktionsweise mutieren, in der das kriegerische Geschehen von gewaltunternehmerischen Kalkülen bestimmt wird. Ein weiterer Befund ist, dass diese Kriegsökonomien nur funktionsfähig sind, wenn sie transnational vernetzt sind.

Verfolgen wir jedoch zunächst die Genese von Gewaltstrukturen. Weltweit befinden sich Staaten in einer tiefen Krise. Die Privatisierung von Sicherheit ist ein Spiegelbild des Zustandes von Staatlichkeit. Verbreitet werden öffentliche Güter, darunter auch Sicherheit, zur Ware, die individuelle Kaufkraft entscheidet über die Verfügbarkeit. Daher bedeutet Armut vor allem Unsicherheit. Die Erscheinungsformen der Auflösung von Staatlichkeit, wie sie durch wohlfahrtsstaatlich orientierte Postulate von Rechtsstaatlichkeit definiert ist, sind zwar verwirrend vielfältig, aber allen ist gemein, dass das staatliche Gewaltmonopol zugunsten eines breiten Spektrums privatisierter Organisation von Sicherheit sowohl innerhalb als auch außerhalb der geltenden Rechtsordnung aufgegeben wird. Im Sog neoliberaler Globalisierung verlieren Staaten in weiten Teilen der Welt zunehmend die Fähigkeit, Steuern zu erheben, und damit ihr ökonomisches Fundament. Im meist schleichenden Prozess der daraus folgenden Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols werden die Angehörigen des Staatsapparates sogar zu einer ständigen Bedrohung für große Teile der Zivilgesellschaft, da sie sich ihr Auskommen, und manchmal mehr, unter illegaler Ausnutzung ihres Status beschaffen. Gerät eine Gesellschaft in einen solchen Zustand, in dem die wirtschaftskriminell angeeignete Fassade von Staatlichkeit durch ihre Akteure einen Zustand allgemeiner Unsicherheit erzeugt, dann lösen sich auch zivilgesellschaftliche Regelsysteme auf und werden durch Selbstverteidigungsstrukturen ersetzt. Sie forcieren Identitätsideologien, auch auf der Mikroebene, die sich auf den Ausschluss anderer gründen. Entlang der so entstehenden innergesellschaftlichen Grenzen eskalieren Konflikte, die sich schließlich mit Waffengewalt entladen können.

Informalisierung und Kriminalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten bestimmen das Leben, wenn Identitätsideologien Platz greifen und an die Stelle einer einheitlichen staatlichen Rechtssphäre treten. Sie ersticken alle unternehmerischen Initiativen zur Selbsthilfe. Massive Migration ist regelmäßig das Resultat derartiger Entwicklungen. Die daraus resultierende Diaspora befördert transnationale Vernetzungen und bietet zugleich eine Infrastruktur für illegale Transaktionen unterschiedlichster Art. Die Lebenssphären illegaler MigrantInnen sind durch das staatliche Gewaltmonopol und rechtsstaatliche Instanzen des Gastlandes nicht geschützt, obwohl ihre Arbeitskraft ökonomisch ein fester Bestandteil der jeweiligen nationalen Ökonomien ist. MigrantInnen sind kriminellen Akteuren gegenüber schutzlos.

Die in Umrissen dargestellten Zustände in zerfallenden Staaten finden sich aber auch in sozialräumlich kleinen Einheiten innerhalb ansonsten leidlich funktionierender Staaten. Ob es sich um Ghettos sozial abgehängter Minderheiten in den Metropolen von Industrienationen, um die riesigen Armutsgürtel, von denen alle großen Millionenstädte in der »Dritten Welt« umgeben sind oder aufgegebene Industriestandorte in der ehemaligen Sowjetunion handelt, die Bewohner erfahren Staatlichkeit so, als lebten sie in einem zerfallenen Staat. Polizisten begegnen ihnen als gefährliche Feinde. Entsprechend bilden sich in derartigen »Exklaven der ökonomischen und sozialen Apartheid« den Kriegsökonomien ähnliche Strukturen heraus. Das Gewaltmonopol liegt meist bei nach dem Territorialprinzip organisierten Gangs. Schutzgelder treten an die Stelle von Steuern. Ein mit Gewaltandrohung erpresstes Schweigen gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsorganen entspricht der staatsbürgerlichen Loyalität.

Die Gesellschaft »draußen« ist für diese Menschen Ausland. Dort sind sie eine Ressource u.a. für Drogenhandel und andere risikobehaftete Tätigkeiten, die in der Schattenwirtschaft nachgefragt werden. Wer arm ist, der hat keine Wahl und geht kriminelle Risiken ein. Die beschäftigungslosen Jugendlichen und jungen Männer in den Zonen der sozialen Apartheid bilden eine unerschöpfliche Reservearmee der Kriminalität.

Die Zusammenhänge zwischen den symbiotisch verknüpften Prozessen von Globalisierung und Schattenglobalisierung einerseits und Erscheinungsformen gesellschaftlicher Gewalt andererseits machen es notwendig, Gewalt, die sich unter anderem in Mordraten und Straftaten unter Anwendung von Schusswaffen ausdrückt, auf den Mikroebenen sehr viel genauer, auch international vergleichend zu untersuchen. Es gilt, den Anteil »regulativer Gewalt« an der Gesamtheit der Tötungsdelikte und anderer krimineller Gewalttaten zu bestimmen. Als regulative Gewalt wird die Androhung und der Einsatz von physischer Gewalt zur Durchsetzung von ungleichen Tauschverhältnissen und Aneignung definiert.

Verfolgt man typische kriegsökonomische Transaktionen auf ihrem Weg in die reguläre Ökonomie, so erschließen sich kriminelle Netzwerke, die weltweit agieren und deren Funktionslogik auf Gewalthandlungen bzw. deren glaubwürdiger Androhung beruht. Es ist daher analytisch ertragreich, bei der Untersuchung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse im Zeitalter von neoliberaler Globalisierung und Schattenglobalisierung mit der Kategorie »regulative Gewalt« zu arbeiten, um so besser die Gewaltlogiken entschlüsseln zu können, die für das dynamische Fungieren der Schattenglobalisierung konstitutiv sind.

Die entscheidend neue Dimension dieser Erscheinungen, die in Kriegswirtschaften innergesellschaftlicher bewaffneter Konflikte und in stark fragmentierten Gesellschaften systemischen Charakter haben, liegt darin, dass die Funktionslogik dieser notwendig transnationalen Netzwerke die Unterschiede zwischen Krieg und Frieden verwischt. Die Raten der Gewaltkriminalität in stark polarisierten Gesellschaften, wie etwa Brasilien, Südafrika oder Nigeria erreichen oder übersteigen die Auswirkungen kriegerischer Gewalt in »Bürgerkriegen« der Gegenwart. Die Gewaltsteuerung transnationaler Netzwerke zum Beispiel des Drogen-, Waffen- oder Menschenhandels ist zwangsläufig entterritorialisiert, an beliebigen Punkten der Transaktionsketten kann es notwendig werden, mit »regulativer Gewalt« Störungen bei der Zirkulation von Waren, Geld und Menschen zu begegnen. Am Beispiel von Drogenkartellen ist dies am besten dokumentiert. Vom Anbau bis zum Endverbraucher, oft über zahlreiche Zwischenstationen quer über alle Kontinente, gilt es, bei Bedarf mit Gewalt, das Netzwerk zu schützen.

Zur Funktionslogik wirtschaftskrimineller Netzwerke gehört es auch, dass sie die Existenz der regulären Märkte nicht gefährden dürfen, denn nur wenn das Einschleusen in sie gelingt, können diese Netzwerke die Erträge ihres kriminellen Tuns realisieren. Dies macht die angesprochene Symbiose der beiden Globalisierungsprozesse aus, in die letztlich noch der brutalste Warlord irgendwie eingebunden ist. Was als nicht endende Kriege erscheint, ist möglicherweise ein systemisches Merkmal. Warlords oder besser Gewaltunternehmer unterliegen der Logik transnationaler krimineller Netzwerke. Territoriale politische Ziele müssen dieser Logik untergeordnet bleiben. Wir haben mit einer Diffusion der kriegerischen Gewalt in die transnationalen Operationsräume krimineller Netzwerke zu tun. Sie transformiert sich in »regulative Gewalt«. Kriege verlieren damit ihr Schlachtfeld, sie werden entterritorialisiert. Das viel zitierte Konstrukt »neue Kriege« ist dieser Hypothese zufolge nur eine transitorische Erscheinung auf dem Wege der weitgehenden Diffusion kriegerischer Gewalt, die nurmehr als regulative Gewalt fungiert, weitgehend gebunden an die Logik transnationaler wirtschaftskrimineller Netzwerke, die sich im Kontext des neoliberalen Globalismus ausbreiten. Mark Duffield hat diese kriegsökonomischen Trends ebenfalls beschrieben und spricht von Netzwerkkriegen. Jedoch ist dieser Begriff unglücklich gewählt, denn Krieg ohne Territorialität ist ein problematisches Konstrukt.2Der Modernisierungsschub, der mit dem neoliberalen Globalismus einhergeht, führt zu sozialer Segmentierung der Gesellschaften in Megastädten und zugleich ist überall ein Modernisierungsbruch zwischen den Generationen zu beobachten. Die gesellschaftliche Wirklichkeit in sehr vielen Ländern ist von massenhafter Ausgeschlossenheit der zahlreich nachwachsenden Generationen von der regulären Ökonomie geprägt. Diese verbreitete intergenerationelle Apartheid erweist sich als ein verdrängtes systemisches Merkmal des neoliberalen Globalismus. Sie ist zunehmend von sozialer Bitterkeit, individuellen alternativen Lebensentwürfen geprägt, die sich auf Gewaltanwendung zur Durchsetzung gründen. Diese jungen Menschen haben keine politische Repräsentation in den bestehenden staatlichen Strukturen und politischen Verbänden. Wirklich wahrgenommen werden sie nur als Kriminalitätsrisiko. Oft artikulieren sie ihre instrumentelle Gewalt idealisierende Befindlichkeit3 in den Texten von Hiphop und Rap, was aber nicht als politische Artikulation wahrgenommen wird.

Hätten die weltweit in die soziale Apartheid abgedrängten jungen Menschen in den herrschenden politischen Systemen eine politische Stimme zur Wahrnehmung ihrer Interessen, in rechtsstaatlich verfassten Verhältnissen zu leben und zu arbeiten, dann wäre es um die Durchsetzungsfähigkeit des neoliberalen Globalismus schlecht bestellt. An die Stelle eines abstrakten Wohlfahrtsversprechens durch Wachstum mittels völliger Deregulierung der Ökonomie würde als Priorität die Chance aller auf konstruktive Beteiligung an der gesellschaftlichen Reproduktion durch Arbeit in einer einheitlichen rechtsstaatlichen Sphäre treten. Von unten, d.h. aus den Schatten der neoliberalen Globalisierung und vor allem mit den Augen junger Menschen betrachtet, erfordert die Weltwirtschaft eine neue Regulierungsdoktrin, die auf produktive Teilhabe möglichst vieler an den Volkswirtschaften ausgerichtet ist.

Wenn diese Hypothesen die gegenwärtige Entwicklung angemessen beschreiben, dann muss sich dies auch in den politischen Gegenstrategien zur neoliberalen Globalisierung niederschlagen. Verweigerung der Globalisierung ist eine politische Falle, denn aufgrund der unausweichlichen medialen Globalisierung und Informatisierung wird es zur Globalisierung keine Alternative geben. Der scharfe politische Gegensatz zwischen der Linken und dem Neoliberalismus betrifft allein die Regulierung der Globalisierung. Als politisches Defizit linker Strategien sehe ich im Zusammenhang der von mir angesprochenen Problemfelder die geringe Beachtung des intergenerationellen Bruches der politischen Befindlichkeiten. In diesem Defizit liegt aber auch eine strategische Chance, nur fehlt es bislang selbst noch an der Wahrnehmung des Problems in linken Diskursen und Versuchen, diesen intergenerationellen Integrationsprozess aktiv zu betreiben.

Anmerkungen

1) Die erstaunliche Resistenz des Milosevicregimes beruhte u.a. auf der noch verbreiteten kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Serbien.

2) Mark Duffield, Global Governance and the New Wars, The Merging of Development and Security, London (ZED Books) 2001.

3) Siehe hierzu: Forschungsprojekt: Zwischen egomaner Gewaltverherrlichung und sozialer Ballade – Gewaltlbilder in Musikkulturen Jugendlicher, www.go-gangbustah.com.

Dr. Peter Lock ist freier Sozialwissenschaftler. Derzeit arbeitet er zum Thema (Schatten)Globalisierung und Gewalt. Weitere Themen sind Militär und Gesellschaft, Entwicklung der amerikanischen Doktrin, Entwicklung der Rüstungsindustrien weltweit. Weitere Informationen unter www.Peter-Lock.de

Patrioten, Politunternehmer, Profiteure

Patrioten, Politunternehmer, Profiteure

Zur politischen Ökonomie von Bürgerkriegen

von Wolf-Christian Paes

Viele bewaffnete Konflikte der jüngeren Zeit in den Ländern der »Dritten Welt«, wie etwa der Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo, erscheinen dem ausländischen Beobachter auf den ersten Blick unerklärlich. Obwohl in den vergangenen Jahren mehr als anderthalb Millionen Menschen dem blutigen Konflikt im Kongo zum Opfer gefallen sind, erscheint das Land kaum auf den Titelseiten der Weltpresse. Zu undurchschaubar sind die Konfliktlinien zwischen dem halben Dutzend bewaffneter Gruppen auf einem Territorium von der Größe Westeuropas, unerklärlich die Motivation ausländischer Mächte wie Simbabwe oder Ruanda zur bewaffneten Intervention auf der einen oder anderen Seite. Der Kongo steht beispielhaft für eine neue Art von Konflikten, die nur noch wenig mit unseren Vorstellungen von einem »modernen« Krieg zwischen zwei disziplinierten Parteien zu tun hat. Seine Akteure sind kleine bewaffnete Gruppierungen – häufig angeführt von selbst ernannten Warlords –, Frontlinien gibt es nicht und die Opfer sind zumeist unter der Zivilbevölkerung zu finden, während eine direkte Konfrontation mit dem Gegner häufig vermieden wird.
Weltweit wurden im vergangenen Jahr 36 bewaffnete Konflikte gezählt, dabei handelte es sich in der Mehrzahl um innerstaatliche Konflikte, die überwiegend in Afrika (13) und Asien (12) stattfinden (HIIK, 2001). Die Hintergründe dieser Konflikte sind für Außenstehende häufig schwer durchschaubar, sie erregen kaum Aufmerksamkeit in den Industrienationen. In den Medien werden sie – so sie überhaupt Erwähnung finden – zumeist mit Hinweis auf religiöse oder ethnische Spannungen erklärt. Fernsehbilder von vierzehnjährigen »Freiheitskämpfern« in Liberia oder Sierra Leone, die im Drogenrausch Zivilisten die Gliedmaße abschneiden, tragen zum Eindruck sinnloser Gewalt bei.

Grausam sind diese »neuen Bürgerkriege« sicher, aber irrational? Im Falle des Kongokrieges hat eine aktuelle Studie für den UN Sicherheitsrat (UN, 2001) ein Schlaglicht auf einen zuvor weit gehend übersehenen Aspekt des Krieges geworfen – die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes durch die Kriegsparteien. Die Studie wirft insbesondere den mit Ruanda und Uganda verbündeten Rebellenbewegungen Mouvement de libération congolais (MLC) und Rassemblement congolais pour la démocratie (RCD) vor, den Krieg durch die Ausbeutung von Bodenschätzen (Diamanten, Gold, Coltan), sowie durch den Export von Agrarprodukten (insbesondere Kaffee) zu finanzieren. Dabei dienen die jeweiligen Schutzmächte Ruanda und Uganda nicht nur als Nachschubbasis für die im Kongo kämpfenden Truppen, sondern auch als Drehscheibe für den Export der Kriegsbeute. Ihre militärische Unterstützung lassen sich die Regierungen der beiden Nachbarstaaten dabei in harter Münze vergüten – die UN Studie wirft dem ugandischen Präsidenten Museveni vor, er sei der Pate (Godfather) der organisierten Ausplünderung des Nachbarlandes.

Ähnliche Anschuldigungen werden ebenso gegen die andere Seite erhoben, auch die Regierung in Kinshasa sicherte sich die Unterstützung von Angola, Namibia und Simbabwe durch die Vergabe von Schürfrechten – so erhielt etwa die angolanische Staatsfirma Sonangoldie Ölexplorationsrechte vor der kongolesischen Küste, während das simbabwische Militär eine ganze Reihe von Wirtschaftsunternehmen im Süden des Kongos betreibt. Die Interessen reichen von der Diamantenförderung bis hin zu Agrarunternehmen (ICG, 2000; Paes, 2001). Der simbabwische Verteidigungsminister sprach in diesem Zusammenhang von einem Einsatz, der sich selbst finanzieren müsse, da sich Harare die geschätzten Kosten von 27 Millionen US$ pro Monat für die Versorgung seiner 11.000 Mann starken Truppe im Kongo ansonsten nicht leisten könne.

Vom Raubrittertum zum Systemstreit – und wieder zurück

Der Zugang zu Ressourcen spielte schon immer eine wichtige Rolle in bewaffneten Konflikten – Waffen müssen gekauft, Soldaten versorgt und Verbündete bei Laune gehalten werden. Bis in die Neuzeit hinein waren Armeen dabei zumeist auf sich selbst gestellt – die bewaffneten Haufen des dreißigjährigen Krieges lebten von der Plünderung der eroberten Gebiete, wobei sich politische und Profitinteressen durchaus ergänzten. Die Söldnerheere der frühen Neuzeit wurden ebenso durch die Aussicht auf reiche Beute gelockt wie die Freibeuter der englischen Königin Elizabeth I, die ihre unterlegene Marine im Krieg gegen Spanien durch die Ausgabe von »Prisenbriefen« an private Kriegsunternehmer verstärkte. Der transatlantische Sklavenhandel wurde durch Profitstreben motiviert, ebenso die Errichtung von Kolonialreichen, insbesondere dort, wo sie durch private Handelgesellschaften wie die Vereinigte Holländische Ostindiengesellschaft (VOC) geschah. Ein besonderes Beispiel für die Verquickung von Profitstreben und Politik stellt die Errichtung des »Kongo Freistaates« durch den belgischen König Leopold II unter dem Deckmantel einer philanthropischen Gesellschaft dar (Hochschild, 1999).

In der jüngeren Vergangenheit wurde die direkte Verquickung von Profit und Gewalt durch die bürokratischen Armeen der Moderne abgelöst, die – zumindest in den meisten Industrienationen – ihren Sold aus dem Verteidigungsbudget erhalten und auf ausgereifte Logistiksysteme zur Versorgung zurückgreifen können. Mit dem internationalen Kriegsrecht sollten Kriege »zivilisiert«, Übergriffe auf Zivilisten möglichst vermieden werden. Auf den Schlachtfeldern der Moderne standen sich nicht mehr die Heereshaufen verfeindeter Feudalherren im Streit um Ländereien und Titel gegenüber, sondern die »Bürgersoldaten« der Nationalstaaten. Konfliktursache waren nunmehr immer häufiger politische Ideen – von den revolutionären Ideen des 18. Jahrhunderts über den Faschismus bis hin zum Kalten Krieg. Natürlich fand keiner dieser Konflikte in einem sozialen und wirtschaftlichen Vakuum statt, auch in der Neuzeit spielten Profitinteressen eine Rolle in bewaffneten Konflikten. Trotzdem dominierte der Streit zwischen politischen Systemen die jüngere Geschichte und drängte die Diskussion um wirtschaftliche Interessen in den Hintergrund.

Zur Zeit des Kalten Krieges überschattete der Konflikt zwischen Ost und West die Weltpolitik, regionale Konflikte wurden fast ausschließlich durch die ideologische Linse betrachtet. Geschickt lavierten Kriegsherren zwischen den Fronten, einige Guerillaführer, wie etwa der Angolaner Jonas Savimbi, schafften es zu unterschiedlichen Zeiten von verschiedenen Großmächten Unterstützung zu erhalten. Umfangreiche Waffenlieferungen sowie finanzielle und politische Hilfe an befreundete Gruppen schufen ein Klima, in dem Guerillabewegungen relativ unabhängig von der wirtschaftlichen Situation ihres Operationsgebietes agieren konnten.

Mit dem Ende des Kalten Krieges änderte sich diese Situation grundlegend – nachdem sich die Sowjetunion unter Gorbatschow aus der Peripherie zurückzog, änderten sich die strategischen Parameter auch für die westlichen Staaten. Militärhilfe wurde reduziert, Entwicklungshilfe – zuvor nicht selten politisch motiviert – konditioniert. Auch wenn sich die Großmächte keinesfalls vollständig aus ihren Einflussgebieten zurückzogen, so konnten politische Gruppen nicht mehr auf die bedingungslose Unterstützung durch die eine oder andere Seite im Gegenzug für ein politisches Lippenbekenntnis vertrauen. Kritische Fragen nach dem Demokratie- und Menschenrechtsverständnis wurden lauter, auch Washington trennte sich von einigen Vasallen in der Dritten Welt.

Trotzdem ist die Welt seit dem Ende des Kalten Krieges nicht friedlicher geworden, das erhoffte Ende der Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen ist nicht eingetreten. Sicher, viele regionale Konflikte – insbesondere in Lateinamerika – sind friedlich gelöst worden. Druck aus dem Ausland auf die ehemaligen Verbündeten und neues Vertrauen in die Schlichtungsfunktion der Vereinten Nationen mag dabei eine Rolle gespielt haben. Sicherlich war aber die nachlassende Unterstützung mit Waffen und Geld ein wichtiger Aspekt in Ländern wie Nicaragua und Mosambik.

Aber nicht alle bewaffneten Konflikte fanden so ein rasches Ende. Viele Guerillabewegungen haben bereits in der Endphase des Kalten Krieges ihre Einnahmequellen diversifiziert, Gelder aus dem Drogenhandel füllen die Kriegskassen in Lateinamerika und Südostasien, ebenso wie die Ausbeutung von Diamantenvorkommen in Westafrika oder der Export von Edelhölzern in Kambodscha. Ideologie und Geschäftsinteresse vermischen sich zunehmend, es geht nicht nur um die Versorgung der eigenen Truppen, sondern auch um persönliche Bereicherung. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist eine neue Form von Konflikt aufgetaucht, in der politische Argumente keine Rolle mehr zu spielen scheinen. »Kriegsunternehmer« beherrschen das Bild, häufig ehemalige Soldaten der verschiedenen bewaffneten Bewegungen, die den Konflikt privatisieren. Perverserweise profitieren sie von der neuen Zurückhaltung der Großmächte – mit dem Ende des Systemstreites ist nicht nur die Neigung zur Militärhilfe, sondern auch zur Entsendung der eigenen Jungs als »Friedensstifter« in Krisengebiete zurückgegangen. Die Raubritter sind zurück…

Konflikte um Ressourcen

Der Zusammenhang zwischen Ressourcenreichtum bzw. -armut und dem Risiko einer bewaffneten Auseinandersetzung war in den vergangenen Jahren Gegenstand einer Reihe von empirischen Studien. Traditionell wurde eher der Mangel an Ressourcen (Wasser, Land, Nahrungsmittel) mit Konflikten in Verbindung gebracht. Bevölkerungswachstum bei einer gleichzeitigen Verschlechterung der ökologischen (und oftmals der ökonomischen) Situation führt unter diesem Szenario zu anhaltenden Verteilungskonflikten (Bennett, 1991; Homer-Dixon, 1999; Meyers, 1993).

Neuere Literatur (Collier/Hoeffler, 2001; Berdal/Malone, 2000) betont dagegen eher den Zusammenhang zwischen einem Übermaß an Ressourcen und dem Risiko bewaffneter Konflikte. Nach dieser Argumentationslinie sind insbesondere rohstoffreiche Länder einem besonderen Risiko ausgesetzt, da Verteilungskonflikte zwischen konkurrierenden Eliten vorprogrammiert sind. Kriegszeiten bieten – folgt man diesem Gedanken – besondere Bereicherungsmöglichkeiten. Einerseits sind demokratische Kontrollmechanismen (Medien, Opposition) in einer Konfliktsituation besonders leicht – mit Hinweis auf die externe Bedrohung – auszuschalten. Andererseits bieten Kriege besondere Einkommenschancen für skrupellose Gewaltunternehmer – diese können in der direkten Plünderung der eroberten Gebiete liegen, aber auch in der Versorgung von Soldaten und Zivilbevölkerung mit Konsumgütern, die in einer Konfliktsituation Höchstpreise erzielen können. Medienberichte deuten etwa darauf hin, dass die ugandischen Streitkräfte neben Waffen und Munition auch Kühlschränke und Fernsehgeräte in den besetzten Ostteil des Kongos transportierten – um sie dort zu verkaufen.

Kommerzielle, politische und militärische Interessen liegen häufig eng beieinander – während etwa die ebenfalls im Kongo involvierte simbabwische Armee verschiedene Joint-Ventures zur Rohstoffförderung betreibt, wird die Familie des ugandischen Präsidenten verdächtigt, an einer der unzähligen privaten Fluggesellschaften beteiligt zu sein, welche den Transport von Waren aller Art zwischen der Hauptstadt Kampala und den besetzten Zonen im Kongo durchführen.

Die Erscheinungsformen dieser Raubökonomie sind dabei durchaus vielfältig und reichen von der »offiziellen« Ausbeutung von Bodenschätzen durch Staaten oder bewaffnete Gruppierungen zur Kriegsfinanzierung über einflussreiche Individuen, die ihre Position oder ihre Kontakte im Regierungsapparat zur Korruption nutzen, bis hin zu einzelnen Kämpfern, die zum Überleben darauf angewiesen sind, Reisende an Straßensperren zu berauben.

Es existieren zahlreiche Beispiele für die erste Variante, die Ausbeutung von Bodenschätzen zur Kriegsfinanzierung – so nutzen etwa im angolanischen Bürgerkrieg beide Konfliktparteien den natürlich Reichtum des Landes, um ihre Feldzüge zu finanzieren (Cilliers/Dietrich, 2000). Dabei kann die ehemals marxistisch-orientierte MPLA-Regierung in Luanda auf die reichen Ölvorkommen des Landes zurückgreifen, deren Exporte – oh Ironie der Geschichte! – überwiegend an den ehemaligen Klassenfeind USA geliefert werden. Dagegen bezieht die ehemals von den USA und Südafrika unterstützte UNITA den Großteil ihrer Einnahmen aus dem Diamantenexport – alleine in den neunziger Jahren mehrere Milliarden US$ (Jung, 2000). Nach dem Ende des Kalten Krieges waren auch Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes – analog zum Bürgerkrieg in Mosambik, der durch einen Verhandlungsfrieden beendet werden konnte – aufgekeimt. Aber eine Verhandlungslösung scheiterte an dem Unwillen der Konfliktparteien die Macht zu teilen – und die Reichtümer des Landes erlauben eine Fortführung des Krieges auch ohne ausländische Unterstützung.

Während im Falle Angolas – trotz weit verbreiteter Korruptionsvorwürfe – immerhin noch ein im weitesten Sinne politisches Ziel, der militärische Sieg, unterstellt werden kann, ist in anderen Konflikten die Politik noch weiter in den Hintergrund getreten. Anstatt Ressourcen zu nutzen, um Kriege zu führen, werden Kriege geführt, um Ressourcen ausbeuten zu können. Es sind gerade diese Konflikte, die dem Beobachter irrational und unerklärlich, ja mittelalterlich erscheinen. Warlords, wie der Liberianer Charles Taylor, verfolgen keine politischen Ziele jenseits persönlichen Machtstrebens und Profitinteresses (Ellis, 1999). Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Kriegsführung – nicht mehr die Vernichtung des Gegners oder die Kontrolle von Territorium ist das Kriegsziel, sondern die Kontrolle von Ressourcen – Minen, Plantagen, Verkehrsverbindungen und Häfen. Die Zivilbevölkerung kommt in diesem Szenario nur als Rekrutierungspool für neue Kämpfer, tributpflichtige Untertanen – oder als Geisel bei Verhandlungen mit internationalen Hilfsorganisationen vor.

Auch Konflikte, bei denen es vordergründig um politische Fragen – etwa ethnische oder religiöse Spannungen – geht, haben häufig eine Ressourcendimension. Sezessionsbestrebungen werden verstärkt, wenn die lokale Bevölkerung das Gefühl hat, nicht ausreichend an den auf dem eigenen Territorium geförderten Bodenschätzen zu partizipieren. Die Aussicht, ein zweites Brunei oder Kuwait zu werden, verstärkt die zentrifugalen Kräfte gerade in zentralistisch regierten multiethnischen Staaten. Die Liste reicht von der kongolesischen Kupferprovinz Katanga in den sechziger Jahren über die Unabhängigkeitsbestrebungen der angolanischen Erdölenklave Cabinda bis in das Indonesien unserer Tage. Nicht zufällig tragen die Unruheregionen Aceh und Irian Jaya (West-Papua) mit ihren reichen Öl- und Mineralienvorkommen wesentlich zum Steueraufkommen des Landes bei – Gelder, die in Jakarta ausgegeben werden.

Natürlich eignen sich nicht alle Ressourcen gleich gut zur Ausbeutung unter Kriegsbedingungen – Landwirtschaft etwa ist schwierig, weil einerseits die Transportverbindungen zu den Märkten fehlen und andererseits die Gewinnmargen (mit Ausnahme des Anbaus von Pflanzen, die zur Drogenherstellung dienen) relativ niedrig sind. Auch kapitalintensive Produktionszweige sind selten zu realisieren, da kaum eine Kriegspartei über das notwendige Startkapital verfügt und andererseits Investoren nur schwer in ein Krisengebiet gelockt werden können. Die Ausnahme von dieser Grundregel sind Erdölvorkommen, insbesondere dort, wo das schwarze Gold offshore, d.h. mit Bohrplattformen gefördert werden kann. Diese bieten nicht nur einen ausreichenden Schutz gegen Angriffe, sondern haben auch große Vorteile beim Abtransport des schwarzen Goldes, das in aller Regel direkt zu den Raffinerien der Importeure verschifft werden kann, ohne jemals die Küste des Exportstaates zu erreichen. Bei der Erdölproduktion handelt es sich um eine reine Enklavenwirtschaft – abhängig von ausländischem Kapital und Fachwissen – die Menschen des Exportstaates profitieren kaum vom Ölboom – mit Ausnahme einer kleinen Elite natürlich. Eine Kriegssituation trägt dazu bei, dass dies so bleibt, indem sie Regierungen und Konzernen die Möglichkeit gibt, mangelnde Transparenz mit nationalen Sicherheitsinteressen zu erklären.

Waffenschieber und Söldner – Bürgerkriegsökonomien und das Ausland

Die Bezeichnung Bürgerkrieg ist trügerisch, da sie suggeriert, dass ein Konflikt – gewissermaßen unter der Käseglocke – ohne ausländische Einflussnahme stattfindet. Ausländische Interessen sind nach dem Ende des Kalten Krieges zumeist privatwirtschaftlich organisiert und von kommerzieller Natur, liegen doch die Märkte der meisten unter Kriegsbedingungen ausgebeuteten Ressourcen im Ausland. Die Liste der interessierten Parteien reicht dabei von internationalen Rohstoffunternehmen wie Elf Aquitaine über den südafrikanischen Diamantenmonopolisten De Beers bis hin zu dubiosen Waffenhändlern, Transportunternehmern und Söldnern.

Als unwillkommener Nebeneffekt des Zusammenbruches des Ostblocks wurden auch die Waffenmärkte der Welt teilprivatisiert. Waren es zuvor zumeist Regierungen, die Geschäfte mit Verbündeten machten, sind nun große Menge von Kriegsgerät aus zumeist östlicher Produktion auf den Märkten verfügbar – zusammen mit den notwendigen Instrukteuren, Transportflugzeugen und Piloten. Waffenembargos lassen sich nur mit großem Aufwand überwachen und gegen entsprechende Bezahlung sind Zollbeamte unter Umständen bereit, nicht so genau hinzuschauen (Wood/Peleman, 1999).

Dabei sind auch ausländische Unternehmen im Sicherheitssektor tätig – etwa als Ausbilder und Militärberater, aber auch als »Werksschutz« für die Niederlassungen internationaler Konzerne. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt bis zum Söldnertum. Firmen wie das angeblich mittlerweile aufgelöste südafrikanische Unternehmen Executive Outcomes, die britische Sandline International oder die amerikanische Dynacorps bieten ein Leistungsspektrum das vom Personen- über den Werksschutz bis hin zu vollständigen Militäroperationen reicht. Für ihre Dienste lassen sich die Firmen häufig mit Förderlizenzen entlohnen – und werden damit selbst zu Akteuren auf den Gewaltmärkten der sog. Dritten Welt (Musah/Fayemi, 2000).

Private Sicherheitsunternehmen werden dabei keinesfalls nur von Auftraggebern im Trikont bezahlt, auch US-Regierungsstellen greifen gerne auf diese Unternehmen, die zumeist von Exmilitärs geführt werden, zurück – sei es, um die kroatische Armee auszubilden, oder um den amerikanischen Feldzug gegen die Drogenkartelle in Kolumbien zu führen. Wo es nicht opportun oder innenpolitisch nicht durchsetzbar erscheint westliche Soldaten einzusetzen, haben sich diese Unternehmen einen wachsenden Markt geschaffen.

Auch die Bedeutung von Hilfslieferungen für Bürgerkriegsökonomien sollte nicht unterschätzt werden (Anderson, 1999): Einerseits profitieren die Konfliktparteien direkt von Lebensmittellieferungen, von denen unweigerlich ein Teil bei den Militärs landet. Andererseits übernimmt die Internationale der Hilfsorganisationen Dienstleistungen im sozialen Bereich, die unter normalen Umständen der Staat bzw. die Befreiungsbewegung zu leisten hätte, verringert damit den sozialen Druck auf die Militäreliten und setzt Ressourcen für die Kriegsführung frei.

Ein weiterer wichtiger »ausländischer« Faktor in Bürgerkriegen ist die ethnische Diaspora, die einerseits politisch in den Gastländern arbeitet, aber auch finanziell und personell als Mobilisierungsbasis für Befreiungsbewegungen dient. So finanzierte die Kosovo Befreiungsarmee (UCK) einen Teil ihres Kampfes über den »Heimatland-Fonds«, der durch die Überweisung von Gastarbeitern in Westeuropa gespeist wurde. Ähnliche Finanzierungsmodelle – über freiwillige Spenden und erzwungene »Revolutionssteuern« – sind etwa auch bei der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) bekannt.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die ökonomische Dimension von Konflikten lange Zeit unterschätzt worden ist und erst in jüngerer Zeit sich einer stärkeren Aufmerksamkeit erfreut. Die Einsicht, dass der natürliche Ressourcenreichtum eines Landes nicht nur Entwicklungschancen, sondern auch neue Konfliktpotenziale beinhaltet, ist ernüchternd. Trotzdem muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass in allen Kriegsökonomien die Verlierer bereits feststehen, nämlich die zivile Bevölkerung, die unter den Folgen des Konfliktes zu leiden hat.

Literatur

Anderson, Mary B. (1999): Do No Harm – How Aid can support Peace – or War, Boulder.

Berdal, Mats/Malone, David (Hrsg.) (2000): Greed and Grievance – Economic Agendas in Civil War, Boulder.

Bennett, O. (Hrsg.) (1991): Greenwar: Enviroment and Conflict, London.

Cilliers, Jakkie/Dietrich, Christian (Hrsg.) (2000): Angola’s War Economy – The Role of Oil and Diamonds, Pretoria.

Collier, Paul/Hoeffler, Anke (2001): Greed and Grievance in Civil War, Weltbank Paper, Washington, 04. Januar 2001.

Ellis, Stephen (1999): The Mask of Anarchy – The Destruction of Liberia and the Religious Dimension of an African Civil War, London.

Heidelberger Institut für Konfliktforschung (HIIK) (2001): Konfliktbarometer 2000, Heidelberg (Internet: www.hiik.de).

Hochschild, Adam (1999): King Leopold’s Ghost – A Story of Greed, Terror and Heroism in Colonial Africa, New York.

Homer-Dixon, T. (1999): Enviroment, Scarcity and Violence, Princeton.

International Crisis Group (ICG) (2000): Scramble for the Congo – The Anatomy of an Ugly War, Nairobi/Brussels (ICG Africa Report No. 26) (Internet: www.intl-crisis-group.org).

Jung, Anne (2000): Harte Männer schenken harte Steine. Diamanten für die Kriegskasse, in: Wissenschaft und Frieden 4/2000, S. 52-55.

Meyers, N. (1993): Ultimate Security: the Enviromental Basis of Political Stability, New York.

Musah, Abdel-Fatau/Fayemi J. Kayode (2000): Mercenaries – An African Security Dilemma, London.

Paes, Wolf-Christian (2001): Warlords und Waffenhändler – die politische Ökonomie des Kongokrieges, in: Afrika Süd 1/2001, S. 16-19.

United Nations (2001): Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of Congo, Letter dated 12 April 2001 from the Secretary-General to the President of the Security Council, S/2001/357, New York.

Wood, Brian/Peleman, Johan (1999): The Arms Fixers – Controlling the Brokers and Shipping Agents, Oslo (PRIO Report 3/99).

Wolf-Christian Paes ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bonner Konversionszentrums (BICC).

Gewaltmärkte und Entwicklungspolitik

Gewaltmärkte und Entwicklungspolitik

von Georg Elwert

In den letzten zehn Jahren hat sich in den Entwicklungsländern die Anzahl und die Intensität von lokalen, regionalen und zwischenstaatlichen Konflikten deutlich erhöht. Wie die Ursachen und Verläufe dieser Konflikte einzuschätzen und zu bewerten sind, ist nicht eindeutig. Jedoch hat vor allem die jüngere sozialwissenschaftliche Feldforschung in Konfliktgebieten neue Erkenntnisse zutage gefördert, die der Berliner Ethnologe Georg Elwert in einer Reihe von Arbeiten unter dem Oberbegriff »Gewaltmärkte« zusammengefasst hat. Der folgende Beitrag gibt eine komprimierte und überarbeitete Fassung eines Beitrags wieder, der nach einer Vorlage von Elwert (unter Mitarbeit von U. Hiemenz) als Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung angenommen und im Herbst 1998 vom BMZ veröffentlicht wurde (BMZ-aktuell, Nr. 92, 1998). Dieser Tatbestand ist insofern von Interesse, als angenommen werden könnte, dass die im Beitrag enthaltenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die deutsche Entwicklungspolitik von der neuen Bundesregierung nach 1998 aufgegriffen worden wären. Dies ist leider nicht der Fall. Jüngste Konflikte haben die Analysen Elwerts bestätigt, die Vorschläge sind weiter aktuell.
Hinter den vordergründigen Konfliktursachen spielt rational nachvollziehbares ökonomisches Handeln eine Rolle für den Einsatz von Gewalt. »Gewalt-Unternehmer« instrumentalisieren Emotionen, wie Hass und vor allem Angst, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen. Sie agieren zugleich innerhalb von Konfliktgebieten mit Raub, Erpressung und Hehlerei und außerhalb dieser Gebiete auf den internationalen Märkten für Diamanten, Gold, Drogen und Waffen. Es liegt deshalb nahe, im Zusammenhang mit Konfliktsituationen vom Entstehen von »Gewaltmärkten« zu sprechen, die Gewalt-Unternehmer oder »Kriegsherren« aus Profitmotiven organisieren. Dieser ökonomische Aspekt kann dann auch die Reproduktion, die Selbst-Stabilisierung, von Konfliktsituationen erklären.

Es geht um Bürgerkriege, die ein Geschäft sind

Ein Gewaltmarkt ist ein überwiegend von Erwerbszielen bestimmtes Handlungsfeld, in dem sowohl Raub als auch Warentausch sowie deren Übergangs- und Kombinationsformen Lösegeld-Erpressung, Schutzgelder, Straßenzölle usw. vorkommen. Jeder Akteur hat grundsätzlich mehrere Optionen von Raub bis Handel. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Ausdruck »Gewaltmarkt« Tatbestände abdeckt, die über die üblicherweise mit »Markt« assoziierten Tauschbeziehungen hinausgehen.1 Unter der Oberfläche moralischer, weltanschaulicher und machtpolitischer Konflikte dominiert das ökonomische Motiv des materiellen Profits. Solche Gewaltmärkte können in gewaltoffenen Räumen, d.h. bei Abwesenheit eines Gewaltmonopols, entstehen.2 Gewaltoffen sind Räume, in denen keine festen Regeln den Gebrauch der Gewalt begrenzen. Durch die ungeregelte Gewalt können sich zwar Routinen, aber keine festen Regeln etablieren. Auch Verträge zwischen Krieg führenden Parteien können gebrochen werden. Selbst innerhalb einer Krieg führenden Partei kann Gewalt die Klientelbeziehungen zwischen Kriegsherren, ihren Obersten und den Söldnern auflösen. Im gewaltoffenen Raum ist der Mord nicht ausgeschlossen, wenn er auch den meisten Akteuren unökonomisch erscheinen mag.

Die Generäle, Stammesfürsten, Milizchefs und Parteiführer, die Truppen vorstehen, bezeichnet die Forschung als Kriegsherren (englisch: warlords). Kriegsherren sind Unternehmer, die zweckrational eingesetzte Gewalt als effizientes Mittel eines im Prinzip marktwirtschaftlichen Erwerbsstrebens nutzen. Vom marktwirtschaftlichen Unternehmer unterscheidet sie, dass sie auch – aber nicht ausschließlich – Gewalt als Instrument zur Erzeugung von Profiten einsetzen. Dieses Bild von in erster Linie unternehmerisch agierenden Personen wird durch die wenigen wissenschaftlichen Berichte aus den Zentren der Kämpfe und durch Beobachtungen über den gleichen Personenkreis, der – wie vor drei Jahren in Äthiopien – im Frieden weiter unternehmerisch tätig ist, bestätigt. Diese Sicht entspricht nicht den von den Medien überwiegend verbreiteten Stereotypen von Bürgerkriegen, die Emotionen und Tradition als Erklärung bemühen. Moderne Kriege benötigen strategische Planung und Logistik. Ohne die kühle Planung des Nachschubs an Waffen, Munition, Nahrung und Kraftstoff kann eine militärische Auseinandersetzung nicht von Dauer sein. Strategisches Handeln und militärische Logistik setzen einen kühlen Kopf voraus, nicht die Dauermobilisierung von Emotionen.

Da seit Ende des Kalten Krieges die Großmächte an Legitimation zum gewaltsamen Eingreifen in solchen Situationen verloren haben und zugleich die Kontrolle über Waffenverkäufe geringer wurde, ist heute ein wichtiger äußerer Faktor der Gewaltkontrolle entfallen. Wo gewaltoffene Räume, abschöpfbare Ressourcen und abnahmebereite Märkte zusammentreffen, werden Gewaltmärkte entstehen und bei gleichbleibenden Randbedingungen (insbesondere dem Unwillen zur Intervention und zur Waffenhandels-Kontrolle) eher an Häufigkeit zu- als abnehmen.

Gewaltmärkte fanden sich in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und finden sich z. T. bis heute in Somalia, Äthiopien, Sudan, Sierra Leone, Liberia, Guinea, Nord-Mali, der zentralafrikanischen Republik, Tschad, Mosambik, D. R. Kongo (Zaïre), Angola, Libanon, dem Kaukasus, Afghanistan, Tadschikistan, Nord-Burma, Kolumbien, Bosnien und bald auch Mazedonien.

Zur Entstehung von Gewaltmärkten

Wie können Gewaltmärkte entstehen? Ein Gewaltmonopol zerbricht nicht plötzlich; es zerbröckelt mit zunehmender Geschwindigkeit v. a. durch erfolgreiches Räubertum oder vom Staat tolerierte Willkür lokaler Machthaber. In der Mehrzahl der Fälle zerfällt das Gewaltmonopol von innen. Das heißt: Staatliche Übergriffe verletzen die im Volk bestehende Vorstellung von legitimem Gewaltgebrauch und legitimieren damit Gegengewalt – Befreiungsbewegungen – oder eine Imitation dieser Willkür auf unterster Ebene. Entwicklungspolitische Wachsamkeit könnte hier den Anfängen wehren, indem in solchen Situationen ein Dialog zwischen Gebern und den Mittel empfangenden Regierungen aufgenommen und Hilfe und Schuldenerlass von Bedingungen abhängig gemacht, konditionalisiert, wird.

Wo die Institutionen der Konfliktschichtung und Rechtssicherung durch ein Wirtschaftswachstum in besonderem Maße beansprucht werden, können sich diese Institutionen als unzuverlässig oder zu schwach erweisen. Dann liegt der Gedanke an Selbsthilfe nahe, die zum Recht verhelfen soll. Diese »Selbsthilfe« nimmt gerade in vitalen Bereichen wie etwa Bodenrechten oft gewaltsame Formen an. Vertreibungen von Bevölkerungsgruppen in Nigeria, der Elfenbeinküste und in Zentralasien führten zu zeitweilig oder andauernd gewaltoffenen Räumen.

In Lokalgesellschaften ohne zentralisiertes Gewaltmonopol kann ein ökonomisches oder technologisches Ungleichgewicht – z.B. eine Nachfrage nach Späherdiensten oder nach Gold oder ein günstiges Angebot für effizientere Waffen – die interne Gewaltkontrolle zum Versagen bringen. Die vorher überwiegend als Jäger und Sammler tätigen Ik sahen im ugandischen Bürgerkrieg die Chance, sich als Späher zu verdingen, was zu einer partiellen Auflösung der internen moralischen Kontrolle und dadurch zu einer Hungersnot der Alten und der verlassenen Frauen und Kinder führte. Im Hochland Neuguineas verwandelten sich Fehden in Kriege, als automatische Feuerwaffen erhältlich wurden und Speere, Bögen, Beile oder Keulen ersetzten. In Somalia entstanden manche Milizen aus Selbstschutz-Einheiten der Nomaden, die sich ohne staatlichen Schutz Zugang zu Brunnen und zu Lebensmitteln sichern mussten. Die Waffen erhielten sie von ihren Partnern im Viehhandel geliefert, die wirtschaftlich von den Vieh-Lieferungen der Nomaden abhingen. Bald entdeckten die jungen Leute, die – im Widerspruch zum traditionellen Clan-System – diese Waffen kontrollierten, dass auch Geiselnahme, Begleitschutz und Schutzgelderpressung lohnend sind. Diese Beispiele beleuchten das Problem des internationalen Waffenhandels und die Notwendigkeit eines rechtsstaatlich garantierten Gewaltmonopols zugleich; beides sind bisher keine klassischen Felder der Entwicklungspolitik, wohl aber von großem Einfluss auf Entwicklungsprozesse.

Der Zerfall des Gewaltmonopols ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entstehung von Gewaltmärkten. Zumindest die zukünftigen Kriegsherren müssen mit ökonomischen Regeln vertraut sein. Das erklärt, warum diese z.B. im Kaukasus und Zentralasien v.a. aus dem Kreis der früheren Schwarzmarkt-Aktivisten stammen. Weiterhin müssen Waffen, Munition und Treibstoff zu akzeptablen Preisen zu erhalten sein. Der Preisverfall für Kriegswaffen, der seit Beginn der 90er Jahre in Afrika beobachtet werden kann, dürfte dort zur Verbreitung von Gewaltmärkten beigetragen haben. Nicht zuletzt müssen aber auch abschöpfbare Ressourcen vorhanden sein. Extreme Armut der Opfer erstickt auch in gewaltoffenen Situationen das Entstehen von Gewaltmärkten (so in den Hochgebirgsregionen Afghanistans und Tadschikistans). Reichtumskonzentration und der Zugang zu legal oder illegal ausbeutbaren Ressourcen begünstigt hingegen das Entstehen und die Ausbreitung von Gewaltmärkten. Wenn gewaltoffene Räume und Marktwirtschaft zusammentreffen, kann es zu einer positiven Rückkoppelung kommen: Die ökonomischen Interessen vergrößern die gewaltoffenen Räume, und in gewaltoffenen Räumen werden Marktinteressen in wachsendem Maßstab realisiert. Es entsteht das sich selbst stabilisierende System des Gewaltmarktes (so hielten z.B. in Zaïre Edelmetalle und Edelsteine die Gewaltmärkte seit den 60er Jahren aktiv).

Zur Funktionsweise und Dynamik von Gewaltmärkten

Die Entscheidung darüber, ob bestimmte Güter geraubt oder durch Handel erworben werden, ist in den Gewaltmärkten prinzipiell immer offen. Um strategisch entscheiden und die Optionen offen halten zu können, müssen die Kriegsherren Zeit gewinnen. Daher ergibt sich für diese Akteure ein strategisches Dreieck aus Gewalt, Handel und Zeit. Zwischen diesen Polen optimiert der Kriegsherr. Er kalkuliert das Verhältnis von Aufwand und Ertrag.

Die Produktion von Gewalt folgt ökonomischen Imperativen. Kriegsherren sind bemüht, die Kosten der Gewalt zu reduzieren. Zu den unverzichtbaren Ressourcen gehören Waffen, Munition und Treibstoff, aber es empfiehlt sich für die Kriegsherren nicht, hier auf Kosten der Qualität zu sparen. Machbar ist hingegen, am Sold der Söldner zu sparen. Das »Marodieren«, der systematische Raub durch Soldaten, ist daher eine naheliegende Form der Reproduktion der Kampfkraft. Es kann sogar ein Markt für das Marodieren entstehen. Das heißt, man bezahlt eine Gebühr, um an organisierten Raubzügen teilnehmen zu können.3

Für die Entwicklungspolitik besonders zu beachten ist, dass auch Nahrungsmittelhilfe zur Truppenversorgung eingesetzt werden kann (z.B. in Liberia) und Flüchtlingslager zu Kasernen für auf den Kampfeinsatz wartende Truppen und ihren Tross umfunktioniert werden (z.B. in Ostafrika für Truppen aus Somalia, dem Sudan, der D. R. Kongo und Äthiopien).

Für die Kriegsherren Kosten senkend ist es auch, eine gesellschaftliche Nachfrage nach Prestige zu bedienen. Dort, wo der junge Mann erst dann zum Mann wird, wenn er riskante Unternehmen (wie z.B. Viehdiebstahl) bestanden hat, oder wo Gewaltausübung gar als Bedingung zu einem Initiationsritual gehört, lassen sich junge Männer als hochmotivierte »Freiwillige« gewinnen. Für eine kurze Frist – wichtig vor allem für die Anfangsphase des Gewaltmarkts – kann auch die Verheißung von Recht und Freiheit, genauer: die Hoffnung latente Konflikte zu lösen oder eine Willkürherrschaft zu beseitigen, Freiwillige, d.h. unbezahlte Akteure, mobilisieren.

Eine besonders kostengünstige Form der Mobilisierung von Arbeitskraft ist die Erzeugung von Angst. Die Propaganda wird so ein wichtiges Produktionsinstrument. Ökonomisch gesehen, kann »sinnlose Gewalt« so ihren Sinn finden. Die Angst vor der Vergeltung der Opfer lässt keine andere Option zu als die, sich einer Armee anzuschließen oder sie zum eigenen Schutz zu unterstützen. Die Angst vor Rache stabilisiert das System. Die Angst, selbst Opfer von Gewalt zu werden, führt auch zu Präventivschlägen. Diese sind meist kaum strategisch geplant, eskalieren rasch und enden in der Ermordung von Nachbarn, welche sich zuvor u. U. sogar nahe standen. Berichte aus Ruanda wie aus Bosnien rücken dabei die Bedeutung der Radio- oder Fernsehpropaganda in den Vordergrund. In Ruanda spielte der aus Entwicklungshilfemitteln aufgebaute Rundfunk die Rolle des Angsterzeugers und -verstärkers, welcher dann die Gemetzel provozierte.

Der große Unterschied zwischen den heutigen Gewaltmärkten und denen des letzten Jahrhunderts ist, dass heute die elektronische Propaganda schneller und kostengünstiger große Bevölkerungsmassen erreicht und damit die Angst der Menschen in einem bisher unbekannten Ausmaß in eine Massenbeteiligung an den für einige Wenige ökonomisch Gewinn bringenden militärischen Unternehmungen umgemünzt werden kann. Der Automatismus von Rache und Racheangst schafft Eindeutigkeit, wo zuvor multiple Zugehörigkeiten (z.B. nach Sprache oder nach Religion) die Menschen neutral gegenüber den militanten Akteuren bleiben ließen. Mit der neuen Eindeutigkeit kann damit großräumiger agiert werden. Die militärstrategisch sinnvolle Freund/Feind-Trennung kann, ideologisch überformt, die Gestalt der »ethnischen Säuberung« erhalten. Die Angst, als Feind deklariert und damit zum potenziellen Opfer zu werden oder die Angst vor Rache verwandeln dabei bisher nicht mobilisierte Zivilisten in unbezahlte »Säuberungshelfer«. Dass eine rein »technisch« verstandene und unzureichend konditionalisierte Entwicklungshilfe solcher Propaganda Vorschub leistete, bedarf der Korrektur.

Auch der Warenhandel ist für Gewaltmärkte wichtig. Für räumlich mobile Räuber-Händler sind jene Tauschgüter besonders wichtig, welche leicht zu transportieren und unter Umständen sogar zu verbergen sind. Im Gewaltmarkt erhält aus diesen Gründen der Handel mit wertvollen Objekten ein überproportionales Gewicht. Diamanten, Gold und Smaragde, aber auch seltene Erden, Stahlveredler oder geschützte Tiere werden besonders interessant, weil hier mit einem einzigen Transport große Wertmengen bewegt werden können. Lukrativ ist auch der Handel mit Drogen oder Rauschmitteln – in Zentralasien z.B. Heroin – und mit Waffen. Dort, wo gewaltoffene Märkte entstanden sind, kann der Handel im Hochwertsegment sogar rasch zunehmen, wie derzeit etwa in Tadschikistan zu beobachten. Für den illegalen Handel, den Schmuggel mit Drogen und Waffen, kann der professionelle Begleitschutz durch Kriegsherren und unter Umständen sogar der Entrepot-Handel, das Zwischenlager im »sicheren« Gebiet, attraktiv sein. Handelsströme (Schmugglerrouten) nehmen dann den (Um-)Weg durch Konfliktgebiete.

In einigen wenigen, dafür international aber besonders beachteten Gewaltmärkten wird außerdem noch mit einem Gut gehandelt, das die fernen Käufer nicht als Ware identifizieren: mit dem ideologisch motiviert erscheinenden Opfer. Begleitet von ausführlicher Berichterstattung werden Schlachten für ein ideelles Ziel geschlagen. Das Leben der Gegner oder auch der eigenen Leute wird einer Sache geopfert, die Emigranten oder am Weltschicksal interessierten Ausländern etwas wert ist. Der »freie Westen«, »die sozialistische Weltrevolution», »die Ehre unserer Nation«, »die Rettung unseres Glaubens« scheinen auf dem Spiel zu stehen. Beträchtliche Ressourcen lassen sich von außen in den Gewaltmarkt transferieren, wenn die Kriegsherren diese Ware durch Aufbau einer rhetorisch geschulten und international kommunizierenden Spezialtruppe besonders bearbeiten. Jonas Savimbi konnte so seine Schlachten in Angola sowohl für die maoistische Weltrevolution zugunsten des Sozialismus als auch – später – für die Verteidigung des freien Westens gegen den Sozialismus verkaufen, bevor er sich wieder seinem Kerngeschäft in der Diamantenwirtschaft Angolas und Zaïres zuwandte.

Als Zwischenform zwischen Handel und Raub haben der Einzug von Schutzgeldern, auch Zölle genannt, und die Geiselnahme große Bedeutung. Heute besonders aktuell ist der Begleitschutz. Diamanten- und Goldschmuggler im heutigen Zaïre, Qat-Händler in Somalia, Smaragd-Schmuggler in Kolumbien und nicht zuletzt die Konvois mit Nahrungsmittelhilfe im Sudan, in Somalia, Liberia oder in Bosnien lassen in bestimmten Perioden diesen Wirtschaftszweig zum wichtigsten Einkommenssektor der Kriegsherren werden.

»Bürgerkrieg« als langfristiger Zustand – Die Stabilisierung von Gewaltmärkten

Eine Folge der Gewaltsituation ist, dass die Erwerbschancen in alternativen Wirtschaftszweigen schwinden. Gewerbe, Industrieproduktion, friedlicher Handel und Landwirtschaft geraten in Krisen und brechen dann, wenn sie auf kontinuierliche Inputs von außen angewiesen sind, vollständig zusammen. Die Löhne und Einkommen in diesen Sektoren sinken. Das investierte Kapital wird entwertet. Für die Lohnabhängigen und kleinen Selbstständigen wird es sinnvoll und oft sogar die einzige Überlebensoption, zu Söldnern und/oder Marodeuren zu konvertieren. Die Unternehmer sind gut beraten, wenn sie ihr flüssiges Kapital in den Aufbau einer Truppe und den Kauf von Waffen investieren. Es ist insofern nicht überraschend, dass etwa die Kriegsherren Somalias zuvor – in der friedlichen Periode – überwiegend als Großhändler oder als politische Unternehmer (auch als Partner der Entwicklungszusammenarbeit) tätig waren. Der Gewaltmarkt stabilisiert sich selbst, indem alternative Erwerbszweige unter Druck geraten und ihre Reproduktionschancen weit gehend verlieren, wodurch Arbeitskraft und Kapital von den – relativ gesehen – höheren Löhnen und den höheren Profitchancen in den gewalttätigen Wirtschaftsbereich gesogen werden. Zur Stabilisierung gehören auch Anstrengungen auf dem symbolisch-ideologischen Feld. Waffenparaden vor den Kameras der internationalen Fernsehteams gehören ebenso wie demonstrative Brutalität zu den erfolgreich verwendeten Propagandamethoden dieses Gewerbes. Die ideologische Selbstdarstellung, die Gewalt in den Vordergrund rückt, soll die Position im Gewaltmarkt stabilisieren. Sie erleichtert u.a. den Verkauf von »Schutz«.

Die Wahl der Opfer folgt recht komplexen Kalkülen. Nicht jeder, der etwas hat, wird beraubt. Die Kriegsherren brauchen auch Handelspartner, Unterstützer und neutrale Kräfte. Damit sich diese sicher fühlen, ist es hilfreich, die Gewalt klaren, symbolisch vorgezeichneten Linien folgen zu lassen. Abzeichen einer Religion, städtische oder ländliche Tracht, regionaler Akzent u.ä. dienen dazu und erwecken den Eindruck ethnischer oder religiöser Konfrontation. Kein Handels- oder Bündnispartner kann jedoch sicher sein, nicht auch zum Opfer der Begehrlichkeit der Verbündeten von gestern zu werden. Jede der Allianzen in Somalia wurde schon einmal gebrochen.

Zerfall von Gewaltmärkten

Gewaltmärkte bestehen maximal immer »nur« für einige Jahrzehnte. Die Gründe ihres Zusammenbrechens hängen sowohl mit ihrer internen Struktur als auch mit ihrem Umfeld zusammen. Gewaltmärkte entstehen und bestehen nicht in einem Vakuum. Sie erwachsen aus sich selbst organisierenden sozialen Systemen, die als solche auf einen Austausch mit ihrer Umwelt angewiesen sind, und sie setzen diesen Austausch (mit sich verändernden) Formen fort. Da Gewaltmärkte das landesinterne Institutionengefüge und Produktionspotenzial weitgehend zerstören, sind sie entscheidend von Abnehmern, Lieferanten, Banken und anderen Dienstleistungen außerhalb ihres Raumes abhängig. Die Bedeutung des Dienstleistungssektors wird leicht übersehen. Gewaltmärkte brauchen eine externe Infrastruktur. Somalische Kriegsherren nutzten etwa intensiv Ausbildungszentren, Spezialkrankenhäuser, Banken, Versicherungen, Börsen und Handelsschiedsgerichte auf anderen Kontinenten (nachweisbar: Nordamerika, Asien). Der Austausch über die Grenzen des eigenen Systems ist also eine der neuralgischen Stellen von Gewaltmärkten. Blockaden, also Behinderungen dieses Austauschs, können sie von außen zerstören. Allerdings lassen sich Beispiele für erfolgreiche Blockaden derzeit nur schwer aufzählen. Mosambik nach der Wende in der südafrikanischen Republik, welche vorher die externe Infrastruktur für die Gewalt bereitstellte, war ein solcher Fall. Der durch deutsche Intervention zuwege gebrachte Waffenboykott gegenüber Eritrea und Äthiopien wirkte präventiv. Die Behinderung der gesamten externen Infrastruktur von Gewaltmärkten müsste eine europäische (entwicklungs-)politische Aufgabe werden.

Die Prioritäten der agierenden Parteien und Personen können sich im Zeitablauf ändern. Der Einsatz von Gewalt beruht nicht nur auf Profit-Motiven. Ohne sekundäre Motivationen ließen sich, wie oben dargestellt, Gewaltmärkte nicht verstetigen. Aus sekundären Motivationen – wie etwa den Bemühungen um die Schaffung einer neuen ethnonationalen Gemeinschaft – können primäre werden, die dann ein neues Zielsystem etablieren. Dies belegt auch die europäische Geschichte: Aus den Führern der Söldnerheere des 30jährigen Krieges wurden Macht akkumulierende Staatsmänner und friedliche Unternehmer. Damals, wie heute im Libanon, hat möglicherweise die durch die Gewalt bewirkte Erschöpfung der Ressourcen zur relativen Befriedung beigetragen.

Der Übergang vom Gewaltmarkt zu friedlicheren Zuständen kann also sowohl durch eine Erschöpfung der Ressourcen, durch externe Blockaden als auch durch interne Verlagerungen der Prioritäten erreicht werden. In der Übergangsperiode entstehen ambivalente Handlungsräume.

Möglichkeiten der Intervention im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit

Die vorangegangene Analyse hat eine Reihe von Anhaltspunkten geliefert, in welcher Weise die Entwicklungszusammenarbeit auf das Entstehen und den Zerfall von Gewaltmärkten Einfluss nehmen kann. Grundsätzlich kann zwischen Präventiver Hilfe, Hilfe durch Intervention und Hilfe zur Stabilisierung des Friedens unterschieden werden.

Präventive Hilfe

Die Förderung von Rechtssicherheit durch Unterstützung des Institutionen-Aufbaus kann vor allem im Bereich der Landrechte der Neigung zur gewaltsamen Konfliktlösung vorbeugen und somit die Entstehung gewaltoffener Räume behindern.

Im Vorfeld potenzieller Bürgerkriegssituationen liegt es insbesondere nahe, auf den sich andeutenden Zusammenbruch des innerstaatlichen Gewaltmonopols in seiner rechtsstaatlichen Form rasch und deutlich zu reagieren. Instrumente sind:

  • außenpolitische Interventionen über direkte diplomatische Wege oder supranationale Organisationen,
  • Entzug von Entwicklungshilfe (vor allem dort, wo sie staatliche Administrationen stabilisiert, die Willkür für ihr selbstverständliches Vorrecht halten),
  • gezielte Hilfe (z.B. durch humanitäre Organisationen und politische Stiftungen) zur Stärkung rechtsstaatlicher Institutionen oder bestimmter Akteure.

Die Rückenstärkung von verantwortlichem Journalismus und die Untersagung von Minderheitenhetze kann Gewalt-Unternehmern das Instrument der Angst-Mobilisierung entziehen. Als absurd erscheint es, wenn Entwicklungshilfe zum Aufbau und zur Förderung von Massenmedien nicht von einer politischen Konditionalisierung begleitet wird. Wenn solche Massenmedien zur Volksverhetzung (nach deutscher Rechtsterminologie) und Gewaltaufforderung benutzt werden, müsste die Hilfe zurückgefordert werden. Dies mag heute utopisch erscheinen, wäre aber nur die Verlängerung eines innerstaatlichen Rechtsprinzips.

Hilfe durch Intervention

Das, was hier im streng formalen Sinn als Intervention bezeichnet wird, kann nur zu einem Teil Gegenstand von Entwicklungszusammenarbeit sein. Da solche Interventionen aber ohne eine entwicklungspolitische Komponente keinen Erfolg haben können, muss hier der Gesamtzusammenhang dargestellt werden.

Sowohl die Wirtschaftsinteressen (Schmuggel, Anlage der Erlöse aus Handel, Raub, Erpressung und Geiselnahme in sicheren Drittstaaten) als auch der Waffennachschub können durch eine Blockade empfindlich getroffen werden. Eine solche Blockade ist freilich nicht einfach zu realisieren. Sie ist an den Grenzen der Kriegsgebiete personalintensiv oder technologisch aufwändig und setzt voraus, dass die Kräfte, die diese grenzpolizeiliche Aufgabe ausüben, zur Durchsetzung ihrer Pflichten auch die Waffe einsetzen können (anders als dies im Jugoslawienkonflikt praktiziert wurde). Zeitgleich muss eine solche Blockade auch als Blockade der Dienstleistungen und insbesondere der Geldbewegungen realisiert werden, was von neutralen Staaten als Eingriff in ihre »Bankenfreiheit« bezeichnet werden könnte.

Zusätzlich zu einer Blockade kann zur Beendigung der Gewalt in manchen Fällen auf eine zeitlich befristete Gewährleistung des innerstaatlichen Gewaltmonopols durch externe Kräfte nicht verzichtet werden. Diese polizeiliche (und im eigentlichen Sinn nicht militärische) Aufgabe setzt freilich vier Dinge voraus: Erstens muss Bewaffnung und Logistik der Interventionskräfte der der internen Akteure gewachsen sein, zweitens muss der Einsatz sanktionierender Gewalt an rechtsstaatliche Normen gebunden sein und dies institutionell gesichert werden, drittens muss eine Waffenkontrolle erreicht werden, viertens muss auch ein begrenzter Teil der alltäglichen Konflikte geschlichtet werden, wenn nicht Gewalt – in der Form der Selbsthilfe, »um zu seinem Recht zu kommen« – wieder aufflammen soll. Hierbei muss unumgänglich an lokale Vorstellungen von Gerechtigkeit und an lokale Institutionen angeknüpft werden, wenn man ein Fundament für den endogenen Aufbau von Rechtsstaatlichkeit durch einheimische Kräfte legen will. Dies setzt sozio-kulturelle Kompetenz der Interventen voraus, wie sie in der üblichen Kooperation mit Entwicklungsländern zwar häufig zu finden ist, in diesen vitalen Situationen leider aber oft zu vermissen ist.

Die derzeit am weitesten verbreiteten Formen der Intervention sind die Entsendung von Ärzten und Krankenschwestern und die Verteilung von Nahrungsmitteln und Bekleidung an die Opfer der Gewalt. Insofern die Menschen in Lagern zusammengefasst werden, wird den Kriegsherren die Rekrutierung von Truppen eher erleichtert als erschwert (wie das Beispiel der ruandischen Flüchtlinge in Zaïre zeigte). Flüchtlingslager, die als Kasernen und Trosslager der Kriegsherren dienen und durch die Vergabe von Nahrungsmittelhilfe gefördert werden, sind als Intervention kontraproduktiv. Dezentrale Versorgungskonzepte wären hier angebrachter. Dass Hilfslieferungen durch Erpressung von Schutzgeldern, »Zöllen«, Bezahlung von Geleitschutz oder Raub nur zum Teil die Zielgruppen erreichen, ist nie gänzlich zu verhindern. Dass solche Lieferungen aber die Kriegsherren mehr stärken als ihre Opfer, könnte durch ein sozialwissenschaftliches Monitoring (über Güterflüsse, Allianzdynamiken, Rekrutierungsformen, Aufbau eigener Erzwingungsstäbe usw.) vermieden werden.

Stabilisierung von Frieden

Was oben über die Notwendigkeiten eines rechtsstaatlich kontrollierten Gebrauchs der staatlichen Gewalt und über verantwortungsvollen Journalismus ausgeführt wurde, bezeichnet auch Notwendigkeiten der Entwicklungszusammenarbeit in der Nachkonfliktphase. Besonders vordringlich ist die Unterstützung des Aufbaus von lokalen Institutionen der Konfliktschlichtung. »Wahrheitskommissionen«, die durch ihre Verfahren beide Seiten eines Konflikts implizit auf die gleichen Werte verpflichten, können eine Vorstufe hierzu sein. Auch Formen des Täter-Opfer-Ausgleichs können diesen Institutionen-Aufbau und die Entwicklung eines gemeinsamen Rechtsbewusstseins fördern. Dabei ist sowohl die Anknüpfung an endogene Rechtsvorstellungen zu gewährleisten als auch eine Information über die Erfahrungen anderer Länder einzubringen. Beides zusammen könnte Gegenstand einer genuin partnerschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit sein.

Da kriegerische Zustände die Werte der Krieger besonders prämiieren, liegt eine besondere Gefahr für den Frieden darin, dass er nur als vorübergehender Waffenstillstand erscheinen kann. In gewaltoffenen Räumen stabilisiert sich oft eine gewaltspezifische Prestigeordnung, die die Chance junger Männer, Ehre und Ansehen zu erwerben, an Gewalttaten gegen Fremde oder an die Rache von »Ehrverletzungen« bindet. Solange diese Prestigeordnung besteht, wächst auch im Frieden kontinuierlich eine Reservearmee zur Verfügung eventueller Bürgerkriegsstrategen heran. Dies ist allerdings nicht zwangsläufig so. Es ist auch möglich, neue Wege zur gesellschaftlichen Anerkennung zu eröffnen: eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe. Die Förderung unternehmerischen Ehrgeizes in friedlichen Formen kann hier potenziell destruktive Energien umleiten und sowohl Prestige als auch Profit vermitteln (wie etwa Entwicklungen in Äthiopien zeigten).

Literatur

Elwert, Georg, Stephan Feuchtwang, Dieter Neubert (eds.) (1999): Dynamics of Violence. Processes of Escalation and De-Escalation in Violent Conflicts. Berlin, Duncker & Humblot.

Jean, François und Jean-Christophe Rufin (dir.) (1996): Économie des guerres civiles. Paris, Hachette.

Koehler, Jan und Sonja Heyer (Hrsg.) (1998): Anthropologie der Gewalt. Berlin, VWF, S. 205-216.

Anmerkungen

1) Aus dieser ökonomischen Perspektive sind Gewaltmärkte jene Märkte, auf denen die Mittel zur Ausübung strategischer Gewalt (Waffen, Munition, Militärfahrzeuge und komplementäre Treibstoffe, Söldner und komplementäre Grundbedarfsgüter) angeboten und nachgefragt werden. Solche Märkte können entstehen, wenn mit der Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und einer rechtsstaatlichen Ordnung Anbieterpreise (Preisuntergrenzen potenzieller Anbieter dieser Mittel) zustande kommen, die bestehende Nachfragerpreise (maximale Zahlungsbereitschaft für diese Mittel) unterschreiten.

2) Dass es zum Zerfall des Gewaltmonopols kommt, ist freilich meist nicht direkt ökonomischen Motiven zuzuschreiben. In der ersten Phase der Entwicklung der hier diskutierten Gewaltsituationen haben daher politische Motive und nicht ökonomische die Oberhand.

3) In Jugoslawien bedienten sich Freiwilligen-Organisationen der Unterstützung von »Wochenendsoldaten«, die Freitag nachmittags gegen entsprechende Gebühr und Waffenverleih mit Bussen an die »Front« gefahren werden, um Sonntagabend reich beladen wieder zurückzukehren. Dass man es auch Sadisten, die ihre Gebühr bezahlt haben, gestattet, sich ihre Befriedigung zu suchen, ist in diesem Sinne ökonomisch.

Prof. Dr. Georg Elwert lehrt am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin.