Konversion hat hohe Relevanz


Konversion hat hohe Relevanz

von Reiner Hoffmann

Das International Peace Bureau (IPB) führte von 30. September bis 2. Oktober 2016 an der TU Berlin einen Weltkongress mit zahlreichen Plenarvorträgen, Workshops und »Side Events« durch, den etliche weitere Organisationen und Netzwerke nutzten, um am Rande eigene interne oder öffentliche Treffen und Veranstaltungen durchzuführen (ipb2016.berlin). Bemerkenswert an dem IPB-Kongress war die Präsenz höchstrangiger Gewerkschaftsvertreter: Philip Jennings, Generalsekretär der Weltgewerkschaft UNI Global Union, Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, sowie Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB, hielten in den zwei Tagen Plenarvorträge.
Im Folgenden dokumentiert W&F zur Anregung einer breiteren Debatte über Konversion die Rede des DGB-Vorsitzenden, die er unter dem Titel »Die gewerkschaftliche Konversionsdebatte hat in den letzten Jahren wieder Fahrt aufgenommen« hielt.

Das Thema Rüstungskonversion steht seit einigen Jahrzehnten im Zentrum des friedenspolitischen Engagements der Gewerkschaften. Es wurde maßgeblich durch den so genannten Lucas-Plan beeinflusst. Im britischen Unternehmen Lucas Aerospace wurden Mitte der 1970er Jahre zu ca. 50 Prozent Rüstungsgüter produziert. Dem Betrieb drohten Massenentlassungen, weshalb eine Initiative aus Gewerkschaftern, angeführt vom später gefeuerten Mike Cooley, im Januar 1976 einen Plan entwickelte. Mit ihm sollte die Produktion auf »sozial sinnvolle« Güter umgestellt werden. Insgesamt wurden so 150 Produktideen entwickelt, die aus dem heutigen Blickwinkel äußerst innovativ wirken, wie Windräder, umweltschonende Transportsysteme, Dialysegeräte etc. Im Betrieb selbst wurden diese Vorschläge nicht berücksichtigt, dafür fanden sie umso mehr Beachtung bei Kollegen anderer Betriebe, bei Politikern, Wissenschaftlern und Umweltaktivisten. Der Lucas Plan entwickelte sich für pazifistische Basisbewegungen zum Symbol. 1979 wurde er sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Die öffentliche Beachtung war enorm. Mike Cooley wurde auf Initiative der IG Metall in deutsche Betriebe eingeladen. Viele Arbeitskreise »Alternative Produktion« bildeten sich daraufhin und machten ebenso Vorschläge für neue Produkte. Die meisten Vorschläge (wie Niederflurbusse und Blockheizkraftwerke) wurden aber von anderen Herstellern aufgegriffen und selten in den beabsichtigten Betrieben umgesetzt.

Ein gelungenes gewerkschaftliches Konversionsbeispiel, das vielleicht ohne den Lucas-Plan undenkbar gewesen wäre, ist die Umwandlung der Panzerfabrik MAK in Kiel zu einem Standort des Lokomotivbaus. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis die Vorschläge der betrieblichen Interessenvertretung mit der Gewinnung eines Investors 2004 realisiert werden konnten. Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die Nordseewerke in Emden, in denen von Thyssen-Krupp bis 2010 U-Boote gebaut wurden. 1.400 Beschäftigte waren aufgrund von Auftragsrückgängen von der Kündigung bedroht. Vorstand und Arbeitnehmervertretungen einigten sich auf eine Übernahme durch einen Investor für Offshore-Windparks. Trotz konjunktureller Turbulenzen konnte sich der Standort halten. Auch innerhalb des Airbus-Konzerns werden immer wieder vorbildliche Konversionsbeispiele von Gewerkschaften und Betriebsräten initiiert. Airbus Helikopters in Donauwörth war ursprünglich ein rein militärischer Betrieb und fertigt heutzutage zu 80 Prozent zivile Produkte.

Eines hat die Debatte um Rüstungskonversion in den achtziger Jahren gezeigt: Konversion muss in ein industriepolitisches Konzept eingebunden werden. Darin hatten viele Ansätze ihre Defizite, und zugleich ist dieser Aspekt eine gegenwärtige Chance, Rüstungskonversion effizienter zu betreiben. Der äußerst aktive »Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze« in der IG Metall hat dazu fortschrittliche Forderungen entwickelt: Zum Beispiel müsse Technologiepolitik stärker auf »Dual-use-Produkte« setzen, damit der »Konversions-Übergang« von militärischer zu ziviler Nutzung durch die Verkürzung von Innovationszyklen effizienter gestaltet werden kann. Diese Forderung ist auch Bestandteil einiger Forschungsrahmenpläne der EU-Kommission. Zur Untermauerung dieser technologiepolitischen Forderungen schlägt IndustriALL, der Weltverband der Industriegewerkschaften, die Förderung und Einrichtung von Hochschulinstituten vor, die sich intensiv der Erforschung ziviler Produktion in wehrtechnischen Betrieben widmen.

Die Hauptbremser der Rüstungskonversion sind auch heute noch die Arbeitgeber, die dieses Engagement ihrer Mitarbeiter als Einmischung betrachten. Betriebliche Demokratie und Mitbestimmung sind deshalb erste Voraussetzung für den Erfolg von Konversionsprojekten. In mitbestimmten Mischkonzernen (z.B. Airbus) sind solche Projekte sehr gut durchsetzbar. In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) werden die Konversionsinitiativen der Betriebsräte häufiger als Einmischung in die Geschäftspolitik gesehen. Da aber der Großteil der deutschen Rüstungsbetriebe Mischkonzerne (zivil und militärisch) sind, können die Umsetzungsmöglichkeiten für Konversionsprojekte ganz zuversichtlich eingeschätzt werden.

Konversionsprozesse scheitern oft auch an der Profitabilität der militärischen Güter im Vergleich zu zivilen. Deshalb setzen trotz Auftragsrückgang manche Unternehmen weiter auf Rüstung. Auch daran macht sich deutlich, dass eine nachhaltige Konversion gar nicht ohne staatliche Begleitung zu schaffen ist.

Die gewerkschaftliche Konversionsdebatte hat in den letzten Jahren wieder Fahrt aufgenommen. Der IG Metall-Vorstand hat auf seinem letzten Gewerkschaftstag 2015 ein Projekt zur Konversion und Diversifikation in wehrtechnischen Betrieben beschlossen, das drei Elemente beinhaltet:

  • Die Erstellung eines betrieblichen Handlungsleitfadens für Innovationsprojekte, zu dem auf regionaler Ebene Workshops stattfinden sollen.
  • Den Start eines industriepolitischen Dialogs mit Politik und Sozialpartnern.
  • Die Einrichtung eines Fonds für Diversifikation und Konversion, durch das auch betriebliche Akteure unterstützt werden.

Die weiter fortschreitende Umstrukturierung der Rüstungsindustrie erfordert diese umfassendere Strategie. In beiden Deutschlands arbeiteten vor dem Fall der Mauer zusammen genommen 400.000 Menschen in der Rüstungsindustrie. Heute sind es noch ungefähr 90.000 Beschäftigte in ca. 350 Unternehmen. Deutschland ist gegenwärtig nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Bei U-Booten ist Deutschland sogar auf Platz 1, bei Panzern auf Platz 2. Den schlimmsten Schaden für die Menschen verursachen in erster Linie die Kleinwaffen, von denen in Deutschland viele produziert werden. Am gesamten Exportvolumen der Bundesrepublik haben die Rüstungsgüter aber nur einen geringen Anteil von 0,6 % (2013).

Die deutsche Rüstungsindustrie ist heutzutage aber nur eine statistische Größe, da sie inzwischen soweit europäisch verflochten ist, dass bei den größeren, technologisch anspruchsvollen Projekten kaum ein militärisches Gerät nur in einem Land produziert werden kann. Deshalb brauchen wir eine europäische Perspektive auf die Rüstungsindustrie. Eine Voraussetzung dafür ist eine konsequente Abrüstungsstrategie der Europäischen Union. Denn eigentlich ist die europäische Einigung ein Konversionsprojekt. Seit Jahrhunderten werden die meisten Waffen auf der Welt in Europa produziert – damit muss endlich Schluss sein!

Daran wird deutlich, dass wir eine breitere Debatte über Rüstungskonversion benötigen. Und wir benötigen sie erst recht aufgrund der drängenden Herausforderungen der Gegenwart. Außenminister Steinmeier sieht in Anbetracht der vielen Konfliktregionen unsere „Welt aus den Fugen“. Die steigende Zahl von Flüchtlingen aus Krisengebieten macht die Notwendigkeit deutlich, dass wir uns der Bekämpfung der Fluchtursachen, zu denen auch Waffenexporte zählen, intensiv widmen. Die aktuelle Debatte über Rüstungsexporte in Krisenregionen und die Richtlinien des Wirtschaftsministers Gabriel machen das deutlich. Wir müssen stärker darüber nachdenken, wie wir es schaffen, vormalige Kriegsgebiete nachhaltig zu befrieden. Länder wie Kolumbien und Bosnien führen uns das vor Augen. Wir haben in Deutschland eine Parlamentsarmee mit gewerkschaftlichen Rechten geschaffen. Das ist vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine Errungenschaft, die auch für andere Länder als Vorbild dienen sollte. Wir Gewerkschaften als gesellschaftspolitische Akteure organisieren nicht nur die Rüstungsbetriebe, sondern auch die Armee. Das ist nur in wenigen Ländern selbstverständlich. Deshalb haben wir uns auch klar gegen den Einsatz der Bundeswehr im »Inneren« positioniert.

Im Zuge der Digitalisierungsdebatte wird uns eine weitere Herausforderung für die Zukunft bewusst. Die Grenzlinie zwischen zivilen und militärischen Produkten ist immer fließender. Zivil konzipierte Innovationen der Computertechnologie, also Hardware und Software, können auch für militärische Zwecke nutzbar gemacht werden. Cyber Wars sind schon längst Realität. Der Drohnenkrieg wird von den USA seit einigen Jahren intensiv geführt. Aber auch die handelsüblichen Drohnen, die eigentlich nur zivilen Zwecken dienen sollen, fanden schon Anwendung in Konfliktgebieten. Auch militärisch genutzte Hackerangriffe auf die zivile Infrastruktur eines Landes sind möglich. Die Digitalisierung muss auch in der Friedens- und Sicherheitspolitik eine Rolle spielen. Denn jetzt kann noch auf viele Entwicklungen Einfluss genommen werden. Wir müssen ein »digitales Faustrecht« verhindern.

Gegenwärtig wird aber auch die Relevanz von Klimapolitik für Frieden und Gerechtigkeit thematisiert. Im Zentrum vieler Transformationsdebatten stehen Umweltkatastrophen (wie Dürren, Überschwemmungen und Verschmutzung landwirtschaftlicher Flächen) als Ursache für Migration und Krieg. Insofern kann die Konversion unserer Wirtschaft auch einen Beitrag für eine zukunftsfähige Klimapolitik im Zeichen des Pazifismus leisten. Denn Transformation meint nicht nur die ökologische Dimension unserer Lebensweise, es muss auch die soziale Dimension unseres Zusammenlebens mitgedacht werden. Armut und Ungleichheit sind mindestens ebenso Ursache von Migration und Krieg. Das zunehmende Auseinanderklaffen von Arm und Reich wird inzwischen von vielen internationalen Organisationen als Gefahr für ein friedvolles Zusammenleben weltweit gesehen.

Humanismus und Pazifismus sind zwei fundamentale Werte der freien Gewerkschaften. In der DGB-Satzung heißt es: „Der Bund und die in ihm vereinigten Gewerkschaften treten für eine allgemeine und weltweit kontrollierte Abrüstung, für die Verwirklichung und Erhaltung des Friedens und der Freiheit im Geiste der Völkerverständigung ein.“ Krieg, Terror, Klimawandel, Ungleichheit, Hunger und die steigenden Migrationsströme fordern uns gegenwärtig auf, eingeschlagene Wege grundsätzlich zu reflektieren und nach komplexen Lösungen zu suchen. Der Transformationsbegriff eignet sich dafür, denn er hat zum Ziel, die Lebensgrundlagen der Gesellschaft langfristig zu sichern. Häufig wird Friedenspolitik in seiner Verwendung vernachlässigt. Aus diesem Grund gehört diese Diskussion auf den IPB-Kongress. Der Weg zu einer friedlichen, gerechten und ökologisch verantwortungsvollen Weltordnung muss immer zusammen gedacht werden.

Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Open-ended Working Group der UNO


Open-ended Working Group der UNO

UN-Arbeitsgruppe zu völkerrechtlichen Maßnahmen für nukleare Abrüstung, Genf, Februar und Mai 2016

von Leo Hoffmann-Axthelm

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, ist eine als »Open-ended Working Group« (OEWG) bezeichnete Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen dabei, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass schon 2017 Verhandlungen über ein völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen starten könnten.

US-Präsident Obama forderte bei seinem historischen Besuch in Hiroshima am 27. Mai 2016 – dem ersten Besuch eines US-Präsidenten in dieser Stadt überhaupt – eine moralische Revolution für nukleare Abrüstung, während er gleichzeitig Initiativen zur Stigmatisierung von Atomwaffen boykottiert und für die nächsten 30 Jahre insgesamt eine Billion (also 1.000 Mrd.) US-Dollar für die Erneuerung der US-Atomwaffen einplant.

Die deutsche Abrüstungspolitik ist ähnlich widersprüchlich: Offiziell fordert die Bundesregierung eine atomwaffenfreie Welt, tatsächlich lehnt sie ein Verbot von Atomwaffen aber bisher ab. Sie sollen zwar eigentlich verschwinden, aber dazu die elementaren rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, dazu ist die Bundesregierung nicht bereit. In Deutschland gibt es zwar einen gesellschaftlichen Konsens gegen diesen letzten noch nicht völkerrechtlich verbotenen Typus von Massenvernichtungswaffen.1 Seit dem Ende des Kalten Krieges wird das Thema hierzulande aber kaum diskutiert, und auch die Bundesregierung geht den Weg des geringsten Widerstandes: Atomwaffen in Frage zu stellen, würde innerhalb der NATO einen diplomatischen Kraftakt voraussetzen.

Kein Wunder also, dass ein großer Teil der Staatengemeinschaft die Geduld verliert. Die 2013 und 2014 in Norwegen, Mexiko und Österreich abgehaltenen Konferenzen über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen2 haben den internationalen Diskurs um Atomwaffen verändert. 127 Staaten schlossen sich der von Österreich lancierten »Humanitären Selbstverpflichtung« (Humanitarian Pledge) an, die völkerrechtliche Lücke in Bezug auf nukleare Abrüstung zu schließen – das heutige Völkerrecht, insbesondere der Nichtverbreitungsvertrag (NVV), setzt den Fokus auf die Nichtverbreitung.

Nach dem Scheitern der NVV-Überprüfungskonferenz 2015 setzten die Staaten der Humanitären Initiative daher über die UN-Generalversammlung ein temporäres Unterorgan ein, welches im Februar und Mai 2016 insgesamt drei Wochen lang in Genf getagt hat und seine Arbeit Mitte August 2016 in einer weiteren Sitzungswoche abschließen wird: die »ergebnisoffene Arbeitsgruppe« (Open-ended Working Group). Anders als bei der ständigen UN-Abrüstungskonferenz und bei den NVV-Konferenzen gelten hier die Regeln der Generalversammlung, d.h. Mehrheitsabstimmungen statt Konsens. Darüberhinaus wurde die allen Staaten offen stehende OEWG mit einem klaren Mandat ausgestattet: neue Maßnahmen zu diskutieren, die nukleare Abrüstung vorantreiben würden. In der OEWG schälte sich deutlich eine Präferenz für einen völkerrechtlichen Vertrag zum generellen Verbot von Atomwaffen heraus.

Zwar haben die atomar bewaffneten Staaten dieses Forum boykottiert und ihren mangelnden Willen zur nuklearen Abrüstung damit ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Einige von ihnen wurden aber von NATO-Staaten wie Deutschland vertreten, die in der OEWG versuchten, vom Verbotsvertrag abzulenken und die alten, seit Jahrzehnten ein ums andere Mal per Konsens angenommenen, aber nie implementierten Schritte des so genannten »step-by-step process« als einzigen gangbaren Weg darzustellen. Unter einem neuen Titel („progressive approach“) wurde nun versichert, es handle sich bei 20 Jahre alten Ideen (Inkraftsetzen des Umfassenden Teststopp-Vertrags, Vertrag zu spaltbaren Materialien, Appelle für mehr Transparenz und zügigere Reduktionen der Atomwaffenarsenale) um etwas anderes als den Status quo.

Eine deutliche Mehrheit der teilnehmenden Staaten kritisierte dieses Vorgehen der Atomwaffenstaaten und ihrer Alliierten. Ihr Unwille, neue Schritte, wie einen Verbots­vertrag, überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, spornt die Mehrheit der Staatengemeinschaft erkennbar an, nun erst recht nicht auf die Einwilligung der nuklear Bewaffneten zu warten, um das Projekt eines internationalen Verbots voranzubringen.

Zehn Staaten, darunter auch größere Länder wie Argentinien, Brasilien, Mexiko, Indonesien und die Philippinen, schlugen im Arbeitspapier WP.34 einen Verhandlungsbeginn im Jahr 2017 vor. Etliche weitere schlossen sich dieser Forderung mündlich an. Alle Staaten Lateinamerikas sowie die Afrikanische Union forderten explizit eine Ächtung von Atomwaffen. Irland, Österreich, Mexiko und Neuseeland taten sich mit besonders eloquenten Argumenten hervor, ebenso kleinere Staaten, wie Jamaika, Nicaragua und Palau. Insgesamt forderten 127 Regierungen – zwei Drittel der Staatengemeinschaft – im ArbeitspapierWP.36, „dringend“ mit Verhandlungen über ein völkerrechtliches Verbot zu beginnen. Die österreichischen Autoren des Papiers wurden noch deutlicher und unterstrichen, dass die Mehrheit ein Verbot „so schnell wie möglich“ anstrebt.

Der Zuspruch für einen Verbotsvertrag war in der OEWG so groß, dass es mittlerweile unwichtig erscheint, was genau im abschließenden Bericht der OEWG stehen wird, der bei dem dritten Treffen Mitte August verabschiedet werden soll. Der Bericht soll der Generalversammlung eine Empfehlung über geeignete Maßnahmen für nukleare Abrüstung geben; die Generalversammlung könnte sodann mittels einer neuen Resolution tatsächlich Verhandlungen über einem Verbotsvertrag mandatieren. Spätestens dann müsste auch die Bundesregierung Farbe bekennen: Votiert sie für den Beginn der Verhandlungen oder wird sie sich enthalten?

Jamaika erklärte unlängst: Die nukleare Abrüstung wird endlich demokratisiert. Die bislang schweigende Mehrheit übernimmt die Initiative und erkennt an: Man darf nicht auf die Raucher warten, wenn man ein Rauchverbot einführen will. Nun werden die nuklear bewaffneten Staaten nicht länger um Erlaubnis gebeten, indem man ihnen ein Veto einräumt bei der Entscheidung über Vertragsverhandlungen. Einige Staaten haben die Bio- und Chemiewaffenkonventionen von 1975 bzw. 1993 bis heute nicht ratifiziert, dennoch konnten sie die Verhandlungen über die Ächtung dieser Waffengattungen nicht aufhalten. Der österreichische Botschafter unterstrich in Genf: Historisch gesehen wurden Waffensysteme stets verboten, bevor die mühsame Arbeit der Reduzierung und Abschaffung begann.

Die überwiegende Mehrheit der Staaten fordert nun, dass ihre Sicherheitsinteressen ebenfalls berücksichtigt werden – und zwar durch eine drastische Reduzierung und mittelfristig die Abschaffung der Atomwaffen. Die Sicherheit aller Menschen, und nicht nur jene einiger privilegierter Staaten, bildet den Kern der Humanitären Initiative und des wieder aufgeflammten Kampfes für unverzügliche Fortschritte bei der Reduzierung der Rolle von Atomwaffen.

Die Argumente gegen ein Verbot sind letztlich deshalb so unhaltbar, weil sie den wahren Grund für die Ablehnung verbergen sollen, kommt dieeser doch einem Bruch der NVV-Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung gleich: Die Atomwaffenstaaten und ihre Alliierten haben schlicht und ergreifend keinerlei Pläne, abzurüsten.

Die OEWG hat ein weiteres Stück Klarheit geschaffen: Welche Staaten sind wirklich für eine atomwaffenfreie Welt und welche behauptet dies nur, während sie ansonsten auf Zeit spielen?

Anmerkungen

1) Forsa-Umfrage vom 17./18. März 2016.

2) Siehe dazu Englert, M.; Kütt, M.; Löpsinger, A.: Oslo, Nayarit und Wien – Humanitäre Aspekte in der nuklearen Abrüstungsdebatte. W&F 2-2015, S. 42-45.

Leo Hoffmann-Axthelm

Der neue START-Vertrag und Abrüstung

Der neue START-Vertrag und Abrüstung

Ein Dilemma, das nach einer Debatte ruft

von Andrew Lichterman

Kurz vor Weinachten 2010 ratifizierte der US-Senat das neue Abrüstungsabkommen mit Russland – und verknüpfte es mit etlichen weitreichenden Bedingungen in Bezug auf die Modernisierung des Atomwaffenkomplexes, Raketenabwehr und den Aufbau konventioneller Langstreckenwaffen. Andrew Lichterman beschreibt, warum die Friedensbewegung in den USA mit der Unterstützung für den Vertrag zu viele Kompromisse eingegangen ist und sich anders und ganz neu aufstellen müsste.

Im vergangenen Jahr konzentrierte sich in den Vereinigten Staaten die öffentliche Debatte über Rüstungskontrolle und Abrüstung vor allem auf den neuen strategischen Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland (Strategic Arms Reduction Treaty = START). Die US-Verfassung schreibt vor, dass der Senat der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrags zustimmen muss, und für diejenigen, die eine ungezügelte Militärmacht USA befürworten, bot sich im Vorfeld der Ratifizierung von START daher die perfekte Gelegenheit, von der Regierung Zugeständnisse beim politischen Kurs und Rüstungshaushalt zu erzwingen.

Die gesamte zweite Jahreshälfte 2010 kämpfte die US-Regierung mit ihren Gegnern im Senat. Je näher das Ende der laufenden Legislaturperiode von Senat und Repräsentantenhaus rückte – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich der nächste Kongress noch weniger für Rüstungskontrollmaßnahmen erwärmen würde – desto mehr war Obama bereit, Konzessionen zu machen. Am Ende stimmte der Senat einer Ratifizierung von START zwar zu, rang der Regierung aber Bedingungen und Zusagen ab, die für künftige Abrüstungsschritte nichts Gutes ahnen lassen.

Der neue START-Vertrag enthält kaum Einschränkungen für die Stationierung oder Modernisierung der Atomwaffenarsenale oder für die Entwicklung strategisch wichtiger Waffensysteme wie Raketenabwehr oder »Prompt Global Strike«-Waffen mit globaler Reichweite.1 Und der Vertrag schreibt für die nächsten sieben Jahre lediglich eine geringfügige Verkleinerung des strategischen Atomwaffenarsenals fest. Somit beschränkt sich der vermeintliche Nutzen des neuen Abkommens auf zwei Bereiche: Die Vor-Ort-Verifikation wird wieder aufgenommen, und es wurde ein neues Bezugssystem geschaffen für künftige Abrüstungsvereinbarungen. Die zusätzlichen Gelder, die dem Rüstungsestablishment im Gegenzug zur Ratifizierung zugesagt wurden, werden allerdings dafür sorgen, dass ein Atomwaffenarsenal von zivilisationszerstörendem Ausmaß auf Jahrzehnte hinaus festgeschrieben wird, und sie verankern Interessen, die Abrüstung langfristig strukturell behindern.

Man sollte daher meinen, dass der neue START-Deal, der echte und unumkehrbare Abrüstungsverpflichtung weit in die Zukunft verschiebt, innerhalb der »Rüstungskontroll- und Abrüstungs-Community« der USA heiß diskutiert wird. In der Endphase der Auseinandersetzung um seine Ratifizierung stellten sich aber die meisten US-amerikanischen Rüstungskontroll- und Abrüstungsorganisationen brav hinter die Regierung Obama, plapperten deren Argumente nach und kritisierten die Etaterhöhungen und politischen Zusagen an das Atomwaffen-Establishment nur leise.

Überwiegen also aus der Abrüstungsperspektive die enormen und konkreten Nachteile des START-Deals die nur schwer greifbaren Vorteile? Leider wurde diese Frage kaum diskutiert.

Wie es zum START-Deal kam

Der neue START-Vertrag ist so konzipiert, dass sich am stationierten Atomwaffenarsenal kaum etwas ändert, es ändern sich im Wesentlichen die Zählregeln für strategische Atomwaffen. Die Entwicklung und Stationierung anderer strategisch wichtiger Waffensysteme wird erst recht nicht eingeschränkt.

Hans Kristensen von der Federation of American Scientists weist darauf hin, „dass der Vertrag zwar die juristischen Obergrenzen für die Stationierung strategischer Sprengköpfe absenkt, an der Anzahl von Sprengköpfen aber nicht wirklich etwas ändert. Der Vertrag fordert sogar nicht einmal die Zerstörung eines einzigen Sprengkopfes und erlaubt den USA und Russland die Stationierung von fast genau so viel strategischen Sprengköpfen wie der Moskauer Vertrag von 2002“,2 der von Bush jr. abgeschlossen wurde. Zur Raketenabwehr merkte die Arms Control Association kürzlich in einem Analysepapier an: „New START ist ein Raketenabwehr-freundlicher Vertrag. Er beschränkt die Raketenabwehrpläne der USA in keinster Weise.“ 3 Der START-Vertrag wurde in dem Papier gleichwohl befürwortet. Außerdem sieht der Vertrag ausdrücklich vor, dass „die Modernisierung und der Ersatz von strategischen Angriffswaffen zulässig sind“.4

In ihrem Eifer, etwas zu erreichen, das sie als außenpolitischen »Sieg« darstellen kann, und in ihren Bemühungen, beim Thema Counter-Proliferation und Nichtverbreitung die ideologische »Überlegenheit« wieder zu erlangen, kam die Regierung Obama den unausweichlichen Forderungen der Kriegs- und Waffenpartei (die weit über die Reihen der formell den Republikanern zugerechneten Opposition hinaus reicht) sogar zuvor. Der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2011, den Obama im Februar 2010 einreichte, sah für die Atomwaffenprogramme des Energieministeriums fast zehn Prozent Steigerung vor, sowie weitere Steigerungen in den nächsten fünf Jahren.5 Im Mai 2010 verpflichtete sich die Regierung dann dazu, in den nächsten zehn Jahren 180 Mrd. US$ zusätzlich für Atomwaffen und Trägersysteme bereitzustellen.6 Die Zuwachsraten sind so groß, dass Linton Brooks, der in der Regierung Bush jr. die für Atomwaffen zuständige National Nuclear Security Administration im Energieministerium leitete, kommentierte: „Für diesen Etat hätte ich sogar jemanden umgebracht.“ 7

Weitreichende Zusagen

Da es doch nicht gelang, die Zustimmung des Senats für die Ratifizierung in der kurzen Zeitspanne zu gewinnen, die zwischen der Vertragsunterzeichnung im April 2010 und den Senatswahlen Anfang November 2010 zur Verfügung stand, konnte die Schlacht um New START erst danach wieder aufgenommen werden. Bei den Wahlen konnten die Republikaner einen erheblichen Stimmenzuwachs verzeichnen. Also bemühte sich die Regierung Obama verzweifelt, die Ratifizierung wenigstens sicherzustellen, bevor Anfang 2011 ein noch feindseligerer Senat seine Arbeit aufnehmen würde. Im November 2010 sagte die Regierung dem Atomwaffenkomplex weitere Milliarden zu und betonte ständig ihre „besondere Verpflichtung, die Modernisierung unserer nuklearen Infrastruktur sicherzustellen“.8 Den Verhandlungsführern im Senat war nur allzu bewusst, dass dem US-Haushalt finstere Zeiten bevorstehen. Folglich machten sie im Interesse des Waffenkomplexes Druck, dass möglichst rasch mehr Geld in Großprojekte fließt, beispielsweise in die Uranium Processing Facility (UPF, Uranverarbeitungsanlage) in Oak Ridge/Tennessee und die Chemistry and Metallurgy Research Replacement Facility (CMRR, Labors für die Wartung und Zertifizierung von Atomwaffen) in Los Alamos/New Mexico.9 10

Und offensichtlich hält die Regierung Obama ihre Zusagen ein. Der Haushaltsentwurf für das Finanzjahr 2012, den Obama im Februar 2011 vorlegte, sieht u.a. Mittel für Trägersysteme wie z.B. einen neuen Langstreckenbomber und ein neues Atom-U-Boot vor, aber auch beträchtliche kurzfristige Ausgabensteigerungen für die UPF und die CMRR.

Was sprach dann überhaupt für den Vertrag? Die Verifikationsregelungen, beispielsweise zu Vor-Ort-Inspektionen, sind ein Punkt. Allerdings sind sie längst nicht mehr so wichtig wie im Kalten Krieg, da heute weder Russland noch die Vereinigten Staaten in größerem Umfang Atomwaffen bauen oder ständig neue Trägersysteme einführen. Mit Satellitenüberwachung und anderen Aufklärungsmaßnahmen gibt es wenig Anlass, an eine Verifikationskrise oder eine „klaffende Lücke bei der Sammlung strategischer Informationen“ 11 zu glauben.

Das stärkste Argument für New START war vielleicht, dass es ein erster Schritt hin zu weiteren bilateralen Abrüstungsschritten der USA und Russlands ist und ein Bezugssystem dafür bietet. Wenn man die Rhetorik der Regierung Obama allerdings nicht für bare Münze nimmt, dann sind die Aussichten auf weitere nennenswerte Abrüstungsschritte äußerst fraglich. Regierungsvertreter reden zwar im Kontext der Rüstungskontrolldebatte immer von »Abschreckung«, in Wirklichkeit verfolgt die US-Regierung aber eine Politik der Eskalationsdominanz auf allen Kriegsführungsebenen: Die mächtigsten konventionellen Streitkräfte der Welt operieren global unter dem »Schirm« eines Atomwaffenarsenals, dessen Größe und Flexibilität ausreicht, um mit der ganzen Bandbreite — vom Einsatz weniger Atomwaffen bis hin zur kompletten Vernichtung der Gesellschaft – zu drohen.12 Bis sich diese Politik ändert, wird die »Abrüstung« des US-Arsenals kaum anders aussehen als im neuen START-Vertrag: weitgehend kosmetisch und ohne am Zivilisation auslöschenden Potential etwas zu ändern. Außerdem werden andere Atomwaffenstaaten, die sich in potentieller Gegnerschaft zu den USA sehen, kaum dazu neigen, ihre Atomwaffenarsenale aufzugeben, solange die USA weiter nach globaler militärischer Dominanz streben.

Kein Ende der Debatte

Für die Befürworter echter Abrüstung darf die Debatte um START jetzt nicht zu Ende sein. Es drängen sich etliche Fragen auf: Wo liegt die Grenze bei den finanziellen und politischen Zusagen an den militärisch-industriellen Komplex, ab der die Abrüstungsexperten aus den Nichtregierungsorganisationen die Kosten für den Vertrag für zu hoch halten? Wenn man glaubt, dass der Vertrag mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt, war es dann die richtige politische Strategie, den Vertrag gut zu heißen, ohne zu thematisieren, dass er in seiner jetzigen Form alles andere als Abrüstung verheißt? Und selbst wenn man glaubte, der neue START-Vertrag sei ein Schritt in die richtige Richtung, rechtfertigt das, dass eine Abrüstungsbewegung, der die soziale Basis weitgehend weg gebrochen ist, so viel Geld und Zeit in das Thema investiert? Sollte sie ihre Zeit nicht besser damit verbringen, in der aktuellen verfahrenen Situation eine überzeugende Vision für die Rolle von Abrüstung auszuarbeiten?

Mit ihrer überwiegend unkritischen Unterstützung der offiziellen Regierungsposition zu New START stellte die Abrüstungsbewegung Abrüstungspolitik auf den Kopf. So kann man bestenfalls bescheidene Fortschritte erringen, riskiert aber gleichzeitig eine doppelt vernichtende Niederlage. So fördert man kaum das Verständnis für die echten Abrüstungshindernisse oder baut eine Bewegung auf, um just die politischen Verhältnisse zu ändern, die Forschritte bei der Abrüstung doch gerade so unwahrscheinlich machen. Und wenn der Senat der Ratifizierung des Vertrags dann trotz der ideologischen und materiellen Zugeständnisse an den militärisch-industriellen Komplex nicht zugestimmt hätte, wäre der Schaden wohl doch schon entstanden. So war es in den späten 1990er Jahren, als die großen Rüstungskontroll- und Abrüstungsgruppen einem ganz ähnlichen Paket von »Sicherungsmaßnahmen« für das Atomwaffenarsenal der USA zustimmte, das von der Clinton-Regierung im vergeblichen Versuch aufgesetzt worden war, die Unterstützung des Senats für das Umfassende Teststoppabkommen (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) zu gewinnen. 13 Der Senat verweigert die Zustimmung zur CTBT-Ratifizierung zwar bis heute, mit den damals freigegebenen Milliarden baut der Atomwaffenkomplex aber immer noch neue Forschungslabors.

Dass die weniger militaristisch angehauchten Elemente im US-Kongress und die meisten Abrüstungsgruppen nicht gegen den massiven Mittelzufluss für die Modernisierung des Atomwaffenkomplexes protestieren, macht es schwieriger, »vor Ort« Widerstand gegen das Atomwaffen-Establishment aufzubauen, d.h. dort, wo diese riesigen und politisch einflussreichen Institutionen angesiedelt sind. Lokaler Widerstand konnte in der Vergangenheit neue Atomwaffenfabriken oder die Stationierung von Atomwaffen typischerweise nur dann stoppen, wenn themenübergreifende Koalitionen aufgebaut wurden, die die Unterstützung einzelner Abgeordneter der entsprechenden Wahlkreise gewinnen konnten. Geschichten wie der geplatzte CTBT-Deal oder der neue START-Deal vereinnahmen Abgeordnete zugunsten des Waffenkomplexes, u.a. durch die Finanzierung von Einrichtungen, gegen die vor Ort gekämpft wird.

Überdies bietet sich der Öffentlichkeit ein widersprüchliches Bild, wenn lokale Abrüstungsgruppen den Bau einer neuen oder die Modernisierung einer vorhandenen Waffenfabrik bekämpfen, vertragsbefürwortende Politiker und die Massenmedien gleichzeitig die »Modernisierung« der Atomwaffen als unabdingbare Voraussetzung für die Zustimmung des Senats zur Vertragsratifizierung darstellen und dann auch noch die großen nationalen Abrüstungsorganisationen den lokalen Aktivisten erzählen, dass der Vertrag aber ungeheuer wichtig sei.

Eine echte Bewegung

Wenn wir eine echte Bewegung aufbauen wollen, reicht es nicht, ein paar Nichtregierungsorganisationen, die eigentlich an ganz anderen Themen arbeiten, dazu zu überreden, dass sie ihre Mitglieder und Unterstützer mit E-Mails bombardieren und für die eine oder andere Abrüstungsinitiative werben, die in Washington ausgeheckt wurde. Wir müssen unsere Ressourcen aus den Zentren der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht abziehen und dahin lenken, wo die Mehrheit von uns wohnt. Wir müssen ganz von vorn anfangen und in mühseliger Kleinarbeit solche Bewegungen aufbauen, die uns wirklich Macht und eine Stimme verleihen. Und wir brauchen eine Vision von einer besseren Zukunft, verbunden mit einem Verständnis für das Wechselspiel von Ursache und Wirkung in unserer heutigen Gesellschaft. Wir müssen fähig sein aufzuzeigen, warum die disparaten Probleme und Ungerechtigkeiten, gegen die sich die Menschen vor Ort auflehnen, gemeinsame Ursachen haben.

Ich plädiere nicht dafür, jegliche Aktivitäten einzustellen, bis wir die perfekte Analyse der globalen politischen Ökonomie und des sozialen Wandels haben. Ich plädiere aber dafür, Abrüstungsarbeit wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Bei der Entscheidung und Einschätzung von Aktionen dürfen wir nicht nur danach fragen, was kurzfristig in den Regierungsfluren eines korrupten, kriegslüsternen und schwer bewaffneten Staates möglich ist. Wir können natürlich dort hingehen, wenn es nützlich ist, um das einzufordern, was wir wirklich wollen – und aus den Antworten, die sie uns geben, lernen, wer wirklich die Macht hat und was sie mit der Macht anfangen wollen. Wir können die Institutionen des nuklear-militärisch-industriellen Komplexes bei jeder Möglichkeit, die sich bietet mit unserer Position konfrontieren – und dabei mehr über die Wirkung von über einem halben Jahrhunderts konzentrierter Macht über unsere Gemeinschaften und unsere Umwelt lernen, einer Macht, für die die Machthaber nie Rechenschaft ablegen mussten. Wir können dabei lernen, wie effektiv diese Macht auf jeder Ebene der Gesellschaft wirkt.

Diesen Kontext müssen wir im Auge behalten und aus dieser Perspektive müssen wir breitere Strategien entwickeln, wenn wir über bestimmte Rüstungskontrollmaßnahmen debattieren und darüber, ob es sinnvoll ist, sich für so etwas wie New START zu engagieren.

Anmerkungen

1) Das sind konventionell bestückte weitreichende Waffen, die jeden Punkt der Erde innerhalb von 30-60 Minuten nach Befehlsfreigabe angreifen können, z.B. Langstreckenraketen oder Weltraumbomber. [die Übersetzerin]

2) Hans Kristensen: New START Treaty Has New Counting. FAS Strategic Security Blog, 29. März 2010; www.fas.org/blog/ssp/2010/03/newstart.php.

3) Tom Z. Collina und Greg Thielmann: New START Clears the Path for Missile Defense. Arms Control Association Issue Brief, Volume 1, Number 39, 1. Dezember 2010; www.armscontrol.org/issuebriefs/ NewSTARTClearsPathforBMD.

4) Treaty Between The United States of America and The Russian Federation on Measures for the Further Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms. Artikel V, Absatz 1; www.whitehouse.gov/blog/2010/04/08/new-start-treaty-and-protocol.

5) U.S. Department of Energy: FY 2011 Congressional Budget Request. V.I, National Nuclear Security Administration; S.47-48. In den USA fallen die Atomwaffen in den Zuständigkeitsbereich des Energie-, nicht des Verteidigungsministeriums; die Übersetzerin.

6) See U.S. Department of State: Fact Sheet, The New START Treaty – Maintaining a Strong Nuclear Deterrent. 13. Mai 2010; www.whitehouse.gov/sites/default/files/New%20START%20section%201251 %20fact%20sheet.pdf.

7) Arms Control Association und Center for Arms Control and Nonproliferation: Briefing on START and the Nuclear Posture Review. 7. April 2010; Mitschrift unter www.armscontrol.org/events/STARTandNPRBriefing.

8) The White House, Office of the Press Secretary: Fact Sheet: An Enduring Commitment to the U.S. Nuclear Deterrent. 17. November 2010; www.whitehouse.gov/the-press-office/2010/11/17/fact-sheet-enduring-commitment-us-nuclear-deterrent.

9) Siehe www.y12sweis.com/includes/Proposed%20Uranium%20final.pdf zu UPF und www.lanl.gov/orgs/cmrr/ zu CMRR. [die Übersetzerin]

10) Peter Baker: G.O.P. Senators Detail Objections to Arms Treaty. The New York Times, 14. November 24 2010; www.nytimes.com/2010/11/25/world/europe/25start.html. Siehe auch: Memo, Sen. Jon Kyl, Sen. Bob Corker to Republican Members, re: Progress in Defining Nuclear Modernization Requirements. 14. November 2010; zugänglich gemacht von der Arms Control Association; http://www.armscontrol.org/system/files/20101124%20-%20Kyl-Corker%20Memo%20On%20Modernization%20for%20Republican%20Colleagues.pdf.

11) Greg Thielmann: Close the Verification Gap. Ratify New START. Arms Control Association Issue Brief Volume 1, Number 35, 19. November 2010; www.armscontrol.org/node/4559.

12) Siehe: Andrew Lichterman and Jacqueline Cabasso: War is Peace, Arms Racing is Disarmament. The Non-Proliferation Treaty and the U.S. Quest for Global Military Dominance. Western States Legal Foundation Special Report, Mai 2005, S.7-8, sowie dort zitierte Quellen; http://wslfweb.org/docs/warispeace.pdf.

13) Der Autor bezieht sich hier auf das milliardenschwere »Stockpile Stewardship«-Programm der Clinton-Regierung; die Übersetzerin. Zu diesem Punkt siehe: Jacqueline Cabasso: Nuclear Weapons Research and Development. In: Michael Spies and John Burroughs (Hrsg.): Nuclear Disorder or Cooperative Security? U.S. Weapons of Terror, the Global Proliferation Crisis, and Paths to Peace. New York: Lawyers Committee on Nuclear Policy, Western States Legal Foundation, und Reaching Critical Will project of the Womens’ International League for Peace and Freedom, 2007, S.93 ff.

Andrew Lichterman ist Jurist und Friedensaktivist und lebt in Kalifornien in Pleasant Hill. Er ist Vorstandsmitglied der Western States Legal Foundation (Oakland, Kalifornien) und der Los Alamos Study Group (Albuquerque, New Mexico). Dieser Artikel gibt seine persönliche Meinung wieder. Übersetzt von Regina Hagen

Konversion 2.0

Konversion 2.0

Erleben wir eine neue Runde der Rüstungskonversion?

von Herbert Wulf

Unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in vielen Ländern einige Jahre lang zahlreiche militärische Aktivitäten in zivile konvertiert. Finanzmittel wurden frei, weil die Militärausgaben sanken; militärische Forschung und Entwicklung wurde umorientiert. Es wurden Rüstungsproduktionskapazitäten abgebaut und zum Teil zivil genutzt, Soldaten demobilisiert, militärische Liegenschaften abgegeben und Waffen abgerüstet und verschrottet. Dürfen wir jetzt mit einer zweiten Runde Konversion (Konversion 2.0) rechnen?

In vielen Ländern müssen militär- und sicherheitspolitische Strategien überdacht werden, weil die globale Finanzkrise tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen hat. Die konservative Regierung in Großbritannien hat drastische Kürzungen des Haushaltes veranlasst und bis dato sakrosankte Rüstungsprojekte von Einschnitten und Streichungen nicht ausgenommen. In Frankreich ist die Lage ähnlich. In Deutschland wird in den nächsten fünf bis acht Jahren eine Reform der Bundeswehr durchgeführt, und das Verteidigungsministerium ist aufgefordert, zwischen 2011 und 2014 rund 8,3 Milliarden Euro einzusparen. Derartige Zwänge haben Folgen für die Struktur der Streitkräfte und die Rüstungsindustrie. Der militärische Sektor muss sich verändern. Damit ist eine Chance für die Umstellung und Umorientierung militärischer auf zivile Aktivitäten gegeben.

Bevor aber die heutigen Perspektiven für Konversion zu euphorisch begrüßt werden, lohnt ein Blick auf die Ergebnisse der Konversionsrunde eins nach dem Ende des Kalten Krieges.

Wo ist die Friedensdividende geblieben?

In der öffentlichen Meinung ist der Eindruck entstanden, die Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Konversion in der ersten Hälfte der 1990er Jahre seien ein völliger Fehlschlag gewesen, weil danach wieder kräftig aufgerüstet wurde. Diese Einschätzung enthält einen wahren Kern, ist aber nicht ganz richtig. Ein Blick auf die sechs Felder der Konversion, wie sie das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) bei seiner Gründung 1994 definiert hatte,1 zeigt deutlich, wo und wie Konversion möglich war, wo eine Friedensdividende erzielt wurde und wo Abrüstungsfortschritte wieder umgekehrt wurden.

Finanzen

Als nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes zahlreiche Regierungen der Welt die Ausgaben für ihre Streitkräfte drastisch senkten, wurden zunächst tatsächlich erhebliche finanzielle Mittel frei. Die globalen Rüstungsausgaben sanken von rund 1.000 Milliarden US-Dollar jährlich in den Jahren 1995, 1996 und 1997 auf unter 700 Milliarden US-Dollar. Die kumulierte Summe der Einsparungen betrug für das gesamte Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges mehr als 2.500 Milliarden US-Dollar.

Heute haben die Weltmilitärausgaben jedoch die Zahlen des Kalten Krieges längst wieder überschritten. SIPRI hat sie für das Jahr 2009 mit über 1.500 Milliarden US-Dollar beziffert – also mehr als 50% über dem Niveau von 1989. Die militärische Bürde beträgt damit rund 2,7% des globalen Bruttosozialproduktes oder 224 US-Dollar pro Person.2 Zwar liegt die Belastung heute niedriger als vor 20 Jahren, weil die Weltwirtschaft schneller wuchs als die Militärausgaben, aber die Erhöhung der Militärausgaben hat dennoch andere Ausgaben verdrängt – mit entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Die Friedensdividende von damals ist längst wieder verschwunden.

Forschung und Entwicklung

Forschung und Entwicklung bildeten den Kern des technologischen Wettrüstens zwischen Ost und West. Von den fünf bis sieben Millionen Menschen, die 1990 weltweit im Bereich von Forschung und Entwicklung beschäftigt waren, arbeiteten geschätzte 1,5 Millionen Wissenschaftler und Ingenieure für die Rüstung. Zwar gab es große Erwartungen hinsichtlich des Wissenspotentials, das statt in Rüstung in zivil nützliche Entwicklungen gesteckt werden könnte, doch dies geschah nur in geringerem Maß. Es gelang einigen Rüstungslabors und Forschungsabteilungen, sich umzuorientieren, doch nicht in großem Stile. Bedeutsamer war, dass Wissenschaftler und Ingenieure der ehemaligen Sowjetunion in großer Zahl arbeitslos wurden, weil die Wirtschaft am Boden lag und für zivile Alternativen die Mittel fehlten.

Eine der Strategien der großen Rüstungsnationen war damals, die quantitativen Einschnitte (beispielsweise bei der Zahl der Nuklearwaffen, Raketen, Panzer, Flugzeuge und Schiffe) durch Modernisierung zu kompensieren, und dafür investierten sie in Forschung und Entwicklung. Dies ist bis heute die vorrangige Strategie, und es ist zu erwarten, dass Kürzungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich (wenn es denn überhaupt Kürzungen geben sollte) sanfter ausfallen, als bei anderen Posten der Militärausgaben.

Rüstungsproduktion und Diversifizierung

Die Zahl der weltweit Beschäftigten in der Rüstungsindustrie ging in den 1990er Jahren dramatisch zurück. 1989 waren es 16,8 Millionen, zehn Jahre später nur noch 8,9 Millionen.3 Die ehemaligen Beschäftigen haben zum großen Teil neue Arbeitsplätze außerhalb der Rüstungsindustrie gefunden. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen haben es verstanden, sich der verringerten Nachfrage nach Waffen anzupassen, haben auf zivile Produkte umgestellt und sind zum Teil aus der Rüstungsproduktion ganz ausgestiegen. In dieser Zeit wurde der Rüstungsmarkt von ausrangierten Waffen überschwemmt (man denke etwa an die Abrüstungsvereinbarungen im KSE-Vertrag, der eine Reduzierung um 50.000 schwere Waffen in Europa vorsah). Die geschätzte Zahl schwerer Waffen in den Arsenalen der Streitkräfte ging bis 1995 von rund 625.000 Stück auf 495.000 zurück.4

Obwohl für die letzten Jahre keine genauen globalen Beschäftigtenzahlen der Rüstungsindustrie vorliegen, gibt es aus einzelnen Ländern genügend Hinweise darauf, dass die Zahl bis heute weiter gesunken ist. Für die Rüstungsindustrie bot der Weltmarkt damals keine Alternative zur sinkenden Produktion. Dies hat sich inzwischen geändert, und die in Bedrängnis geratene Rüstungsindustrie in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien usw. lobbyiert – intensiv und nicht ohne Erfolg – die jeweils nationalen Regierungen, ihre Exportbemühungen zu unterstützen. Allerdings muss auch heute noch mit einem weiterem Abbau von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie gerechnet werden.

Waffenarsenale und überschüssige Waffen

Viele staatliche und nichtstaatliche Akteure wurden vom Umfang der Abrüstung in den 1990er Jahren überrascht, und sie fühlten sich mit den damit verbundenen sicherheitspolitischen und praktischen Fragen des Abrüstungsmanagements überfordert. Denn was tun mit den überschüssigen Waffen? Wohin mit tausenden Nuklearsprengköpfen und dem darin enthaltenen Uran und Plutonium? Wie sollten die Chemiewaffen, die komplett verboten wurden, entsorgt werden? Welche Technologien benötigte man, und welche politischen und finanziellen Restriktionen gab es? Das positive Ergebnis der weltweiten Abrüstung wurde durch neue Risiken etwas getrübt. Ein Teil des Problems wurde durch eine »Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn«-Politik auf unverantwortliche Weise in Angriff genommen: Waffen wurden in großer Zahl verschenkt und verkauft, gerade auch von Deutschland, aber nicht nur von hier. Vieles wurde aber auch fachgerecht demilitarisiert und verschrottet. Allerdings musste ein Teil der Friedensdividende für die Entsorgung der Waffen aufgewendet werden. Obgleich Waffen oder anderes militärisches Gerät nur selten für zivile Zwecke umgenutzt werden können, bleibt der Abbau dieser Waffen dennoch ein wichtiges Ergebnis der Abrüstungsbemühungen und kann durchaus als Friedensdividende verstanden werden.

Auch heute noch sinkt in vielen Ländern die Stückzahl der Waffen in den Arsenalen. Nur wenige Länder (beispielsweise China) rüsten weiterhin quantitativ auf. Doch die Reduzierungen erreichen längst nicht die Dimensionen der 1990er Jahre. Im Wesentlichen handelt es sich bei dem Abbau heute um Gerät und Waffen, die aus Altersgründen ausgemustert und verschrottet oder exportiert werden.

Soldaten und ihre Demobilisierung und Reintegration

Drastische Einschnitte gab es auch bei der Zahl der Soldaten. Von fast 29 Millionen Soldaten in den Streitkräften weltweit wurden in den 1990er Jahren und danach rund zehn Millionen demobilisiert.5 In den großen Industrieländern fanden die demobilisierten Soldaten meist andere Jobs, zum Teil bei privaten Militär- und Sicherheitsfirmen. In vielen Entwicklungsländern hingegen gab es für demobilisierte Soldaten, Rebellen oder Milizen kaum zivile Alternativen. Dies ist in manchen Ländern zu einem erheblichen Unsicherheitsfaktor geworden, denn die nicht integrierten Ex-Kämpfer entwickelten sich mancherorts zu marodierenden Banden. Auch in den von den Vereinten Nationen kräftig unterstützten »Disarmament, Demobilization and Reintegration«-Programmen hat die Reintegration längst nicht flächendeckend funktioniert.

In vielen Ländern wird die Zahl der aktiven Soldaten heute weiter reduziert – meist zurückzuführen auf finanzielle Belastungen der öffentlichen Haushalte. So soll die Bundeswehr in den nächsten Jahren auf rund 185.000 Soldaten schrumpfen. Geringere Personalstärken sind aber nicht gleichbedeutend mit Abrüstung. Im Gegenteil: Mit den Strukturveränderungen und Reformen geht zumeist eine militärische Effizienzsteigerung einher. Die Armeen werden mit moderneren Waffen ausgerüstet, und viele traditionell militärische Aufgaben werden ausgelagert und privaten Militär- und Sicherheitsfirmen übertragen. In Afghanistan sind heute für das Pentagon mehr Mitarbeiter dieser Firmen tätig als amerikanische Soldaten.6 Von einer Friedensdividende oder Konversion in diesem Bereich kann daher keine Rede mehr sein.

Militärische Liegenschaften

Im Gefolge der Abrüstung in den 1990er Jahren wurden Tausende militärische Liegenschaften für zivile Zwecke umgewidmet, vor allem in Europa. Die ehemaligen Militärgelände sind die eigentliche Friedensdividende der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs. In der Regel wehrten sich die Gemeinden und Regionen gegen die Schließung von Militäranlagen, weil Arbeitsplätze in Gefahr gerieten. Da Militäranlagen oft in wenig entwickelten Regionen lagen, drohte die Gefahr, wirtschaftlich noch weiter abzurutschen. Zumeist waren dies Worst-Case-Analysen. De facto entstanden kreative Projekte auf den ehemaligen Militärgeländen: Verwaltungsgebäude wurden zu Bildungseinrichtungen, manche Gemeinden erhielten plötzlich Raum für attraktive Wohngebiete und Parks, Industrieansiedlung gelang, Regionalflughäfen entwickelten sich, und selbst in Munitionsbunkern entstanden interessante Freizeitparks und Firmenniederlassungen.

Auch heute muss in Deutschland im Zuge der Bundeswehrstrukturreform wieder mit der Schließung von militärischen Liegenschaften gerechnet werden – es geht um ein Viertel der noch verbliebenen 400. Und wieder pilgern Bürgermeister und Abgeordnete nach Berlin, um den »eigenen« Standort vor der Schließung zu bewahren. Doch bieten sich erneut Chancen, Militäranlagen einer sinnvollen zivilen Nutzung zuzuführen.

Konversion heute?

Ist nun angesichts der Finanzkrise und den daraus resultierenden Engpässen in den öffentlichen Haushalten vieler Länder mit Kürzungen der Militärausgaben zu rechnen? Sind dynamische Abrüstungsbemühungen im Gange und Abrüstungsverträge zu erwarten, die eine zweite Konversionsrunde wahrscheinlich machen?

Die Situation heute ist in keiner Weise mit den Jahren 1989-1995 vergleichbar. Damals gab es weltweit nur wenige Länder, die nicht abgerüstet haben, vor allem im Mittleren Osten und in Afrika, wo sich manche Länder im Krieg befanden. Weltweit waren aber – wenn auch nur für wenige Jahre – Abrüstungsinitiativen und Konversionseuphorie im großen Stile spürbar, und einige Konversionsmaßnahmen wurden auch umgesetzt.

Heute sind die Perspektiven für Konversion 2.0 ernüchternd. Zwar haben die USA und Russland nach vielen Jahren der Verzögerung ein Abkommen (START-neu) abgeschlossen, in dem sich die beiden Länder verpflichten, die Zahl der strategischen nuklearen Sprengköpfe auf 1.550 zu reduzieren und auch Trägersysteme abzurüsten. Dieses Abkommen mag zwar atmosphärisch wichtig sein, ändert jedoch wenig an der nuklearen Überrüstung und den aktuellen Modernisierungsprogrammen. Auch bei der konventionellen Rüstung steht die Modernisierung der Waffensysteme bei mäßiger quantitativer Einschränkung auf der Tagesordnung.

Die Haushaltsdiskussionen in vielen europäischen Ländern (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien), die angekündigten Kürzungen der Militärausgaben und die Streckung und Streichung bereits beschlossener Rüstungsprojekte könnten den Eindruck vermitteln, es gäbe eine zweite Konversionsrunde. Global betrachtet ist dies jedoch eine Fehlwahrnehmung.

Tabelle 1 illustriert das Wachstum der Militärausgaben im letzten Jahrzehnt. Die meisten Länder mit hohen Militärausgaben legten kräftig zu und bauten ihre dominante Stellung aus. Mit Ausnahme des Mittleren Ostens wuchsen die Militärausgaben in allen Regionen der Welt, besonders stark in Asien. Aus der Gruppe der 15 Länder mit den höchsten Militärausgaben senkten nur Japan, Deutschland und Italien die Militärausgaben im letzten Jahrzehnt. China und Indien rüsten weiter kräftig auf, quantitativ wie qualitativ. Gleiches gilt auch für Russland. Die USA haben einen riesigen Militäretat, der 43% der globalen Militärausgaben ausmacht. Die Mitgliedsländer der NATO bestreiten ungefähr zwei Drittel der globalen Militärausgaben. Weder in China noch in Indien – beide haben die Finanzkrise weitgehend unbeschadet überstanden – ist mit Einschränkungen zu rechnen, selbst nicht in den USA, obwohl die Wirtschaft dort unter der enorm hohen Verschuldung der öffentlichen Hand ächzt. Die politischen Verhältnisse in den USA lassen vielmehr weitere Aufrüstung befürchten. Und die Regierung Russlands nutzt die steigenden Rohstoffeinnahmen, um den verlorenen Großmachtstatus zumindest militärisch zu kompensieren.

Tabelle 1: Die 15 Länder mit den höchsten Militärausgaben

Rang Land Ausgaben
(Milliarden US$)
Veränderung 2000-2009 (%) Pro-Kopf-
Ausgaben (US$)
Anteil am BSP (%) Globaler Anteil (%)
1. USA 661 75,8 2100 4,3 43
2. China 100* 217 74,6* 2,0* 6,6*
3. Frankreich 63,9 7,4 1026 2,3 4,2
4. GB 58,3 28,1 946 2,5 3,8
5. Russland 53,3* 105 378* 3,5* 3,5*
1.-5.   937       61
6. Japan 51,0 -1,3 401 0,9 3,3
7. Deutschland 45,6 -6,7 555 1,3 3,0
8. Saudi-Arabien 41,3 66,9 1603 8,2 2,7
9. Indien 36,3 67,3 30,4 2,6 2,4
10. Italien 35,8 -13,3 598 1,7 2,3
1.-10.   1147       75
11. Brasilien 26,1 38,7 135 1,5 1,7
12. Südkorea 24,1 48,2 499 2,8 1,6
13. Kanada 19,2 48,8 568 1,3 1,3
14. Australien 19,0 50,2 892 1,8 1,2
15. Spanien 18,3 34,4 408 1,2 1,2
1.-15.   1254       82
  Welt 1531 49,2 224 2,7 100
* geschätzt

Quelle: SIPRI Yearbook 2010, Oxford University Press, S.203

In der Europäischen Union deuten die Zeichen auf ein Einfrieren oder gar eine geringe Kürzung der Ausgaben mit entsprechenden Umstrukturierungen. „Mehr Verteidigung mit weniger Geld“, so lautet die offizielle Politik. Es ist beabsichtigt, die jeweiligen Armeen noch konsequenter auf Auslandseinsätze zu trimmen und die Territorialverteidigung weiter zu begrenzen. Ein solches Programm wird Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie kosten, Jobs bei den Streitkräften (militärische wie zivile) reduzieren und weitere militärische Liegenschaften überflüssig machen. Um soziale und wirtschaftliche Schäden besonders in schwach entwickelten Regionen zu minimieren, wäre ein europäisches Programm »Konversion 2.0« zweifelsohne nützlich. Die EU könnte aus der Not der riesigen Finanzprobleme eine Tugend zur Umstellung militärischer auf zivile Strukturen machen.

Anmerkungen

1) Edward J. Laurance/Herbert Wulf (1995): Conversion and the Integration of Economic and Security Dimensions: BICC Report 1, Bonn; www.wulf-herbert.de/biccreport1.pdf.

2) Stockholm International Peace Research Institute: SIPRI Yearbook 2010, S.214.

3) BICC, Conversion Survey (Jahrgänge 1996 und 2005).

4) BICC, Conversion Survey 1997, Oxford University Press, S.70-74.

5) BICC Conversion Survey, verschiedene Jahrgänge, Oxford University Press und NOMOS Verlagsgesellschaft.

6) Commission on Wartime Contracting in Iraq and Afghanistan: At What Cost? Contingency Contracting in Iraq and Afghanistan. Interim Report June 2009, Arlington; www.wartimecontracting.gov/docs/CWC_Interim_Report_ At_What_Cost_06-10-09.pdf.

Prof. Dr. Herbert Wulf war von 1994 bis 2001 Leiter des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), er forschte am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH) und bei SIPRI in Stockholm. Er ist heute als Fellow assoziiert mit dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) in Duisburg.

Zero is the only option

Zero is the only option

19. IPPNW-Weltkongress, 27.-29. August 2010, Basel

von Barbara Dietrich

Die IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) wurde im Jahre 1980 gegründet mit dem Ziel, einen Atomwaffenteststopp durchzusetzen, und hat mittlerweile 250.000 Ärzte/innen und Medizinstudenten/innen aus 80 Ländern als Mitglieder. 1984 erhielt die Organisation den UNESCO-Friedenspreis, 1985 den Friedensnobelpreis. Die deutsche Sektion nennt sich Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung und existiert seit 1982; damals verpflichteten sich die Gründungsmitglieder, sich nicht an kriegsmedizinischen Maßnahmen zu beteiligen. Alle zwei Jahre hält die IPPNW einen weltweiten Kongress ab; das Motto des 19. Weltkongresses im August 2010 lautete »nuclear abolition: for a future«.

Ausgehend von der Tatsache, dass weltweit noch immer mehr als 22 000 Atomsprengköpfe vorgehalten werden und sich die Zahl der Atomwaffenmächte seit 1968, dem Jahr der Unterzeichnung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV), von fünf auf neun Staaten erhöht hat, war dieser Vertrag mit seiner Geschichte, seinen inhaltlichen Schwächen und seiner Implementierung ein wesentlicher Schwerpunkt des Kongresses. Die im Frühjahr 2010 abgehaltene 8. Überprüfungskonferenz zum NVV wurde von allen Referenten/innen kritisch bewertet, vor allem, weil auch dieses Mal keine Fristen vereinbart wurden, innerhalb derer die Atommächte verpflichtet sind, ihre Atomwaffen zu reduzieren bzw. vollständig abzuschaffen.1 Eindringlich wurde gewarnt vor der „schonungslosen Effizienz der Atombomben“, welche die Forderung nach der Durchsetzung einer so genannten Atomwaffenkonvention unbedingt erforderlich mache. Ein solcher von relevanten Friedensorganisationen (IALANA, INESAP, IPB und IPPNW) konzipierter und vom UN-Generalsekretär mittlerweile in seinen eigenen Forderungskatalog aufgenommener Vertragsentwurf nämlich legt konkrete Schritte zur atomaren Abrüstung innerhalb eines verbindlichen Zeitrahmens fest und bezieht Atomwaffen jeglicher Bauart oder Zerstörungskraft sämtlicher Atomwaffenstaaten ein.

Plenarveranstaltungen zur Geschichte der atomaren Abrüstung, zu den diesbezüglichen Positionen der Nuklearmächte und zu ihrer Verantwortung, zu Wirtschaft und Atomwaffen wie zu Globalisierung, Krieg und atomarer Abrüstung vermittelten einen umfassenden Überblick über das Thema des Kongresses.

Angesichts der kürzlich durchgeführten Castor-Transporte war das Plenum zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Kernkraftwerke von großer Aktualität und Brisanz. Referenten verwiesen auf die im Jahre 2007 publizierte KiKK-Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters,2 in der nachgewiesen wurde, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Krebs bzw. Leukämie desto größer ist, je näher ein Kind an einem AKW wohnt. Forschungen in Russland hatten ergeben, dass eine geringe, aber länger anhaltende Strahlendosis im Hinblick auf das Krebsrisiko für den Menschen ebenso gefährlich ist, wie eine hohe einmalige radioaktive Strahlendosis, wie sie etwa durch die Hiroshima-Bombe ausgelöst worden war.

Im Workshop »Positionen der Obama-Administration zur nuklearen Abrüstung« wurde deutlich gemacht, dass der US-Präsident von republikanischer Seite erheblichen Widerstand gegen weitere Abrüstungszugeständnisse zu erwarten habe. Diese Einschätzung erweist sich als zutreffend, wenn man liest, dass die Republikaner nach den Kongresswahlen versicherten, dem neuen START-Vertrag (Abkommen USA-Russland vom 8.4.2010 über die weitere Reduzierung und Begrenzung der strategischen Atomwaffen) nur dann zustimmen zu wollen, wenn die Regierung im Gegenzug mehr Geld für die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffenarsenale zur Verfügung stellt und ein Raketenabwehrsystem aufbaut (FAZ 4.11.2010). Linke Demokraten dagegen fordern von Obama, schnellere und weitergehende Abrüstungsschritte zu initiieren. Von dritter Seite wächst ebenfalls Druck in Richtung Abrüstung, wie der Aufruf hochrangiger US-Politiker (G. Shultz, W. Perry, H. Kissinger, S. Nunn) »Für eine Welt ohne Atomwaffen« aus dem Jahre 2007 beweist.

Ein anderer Workshop hatte die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten und Mittelmeerraum zum Inhalt. Diese war von 22 arabischen Staaten – alle Unterzeichner des NVV-Vertrages – im März 2010 anlässlich ihres Treffens in Libyen gefordert worden. Auch in der Abschlusserklärung der NVV-Überprüfungskonferenz 2010 wird dieses Ziel unterstützt; hier ist sogar von einer von atomaren, biologischen und chemischen Waffen freien Zone die Rede und davon, dass im Jahre 2012 dazu eine Konferenz einberufen werden solle – unter Einbeziehung Irans und Israels.

In diesem Workshop wurde von vielen Seiten – z.B. von Vertretern Italiens, Palästinas, Israels, Pakistans – lebhaft und kontrovers diskutiert. Der Vertreter des Irans, Berater in der Ständigen Vertretung der Islamischen Republik Iran in Genf, gab eine längere Erklärung ab. Atomwaffen, so führte er aus, hätten in der Verteidigungsdoktrin seines Landes und angesichts der Unterzeichnung des NVV-Vertrags durch den Iran keinen Platz. Allerdings beanspruche der Iran das Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie, was aber unstreitig vertragskonform sei. Das Motto der iranischen Atompolitik laute demzufolge: „Atomenergie für alle, Nuklearwaffen für niemanden.“ Bezug nehmend auf Israel wies er darauf hin, dass dort hunderte Atomwaffen stationiert seien und dass Israel darin bedingungslos von den USA und ihren Verbündeten unterstützt werde. Demgegenüber übe die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) gegenüber seinem Land, dem Iran, ein beispiellos strenges Kontrollregime aus, und auch der UN-Sicherheitsrat sei – unnützerweise – zu Lasten des Iran in den Konflikt involviert worden. Das alles zeige, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werde. Schließlich sprach sich auch dieser Referent mit Nachdruck für eine atomwaffenfreie Zone im Mittleren Osten aus und dafür, dass Israel als einzige Atommacht in dieser Region dem NVV beitreten und sich der Kontrolle der IAEO unterstellen müsse – dann würde das anvisierte Ziel rasch in greifbare Nähe rücken.

Konsens bestand unter den Teilnehmern/innen dieses Workshops darüber, dass die nuklearwaffenfreie Zone ein erster wichtiger Schritt zu einem umfassenden Frieden im Mittleren Osten sei. Der Vorschlag, in der israelisch-palästinensischen Region eine Konferenz zu diesem Thema einzuberufen, wurde einhellig begrüßt. Angesichts wiederholter Pressemeldungen, dass Israel einen Angriff auf den Iran in Erwägung ziehe, wurde der IPPNW als Teilnehmerin einer solchen Konferenz u.a. die Rolle zugewiesen, aus fachlicher Sicht deutlich zu machen, welch verheerende Folgen ein Krieg gegen den Iran haben würde.

Hervorgehoben sei weiterhin der Vortrag eines indischen Politologen und Nuklearexperten, der sich mit der ökonomischen Krise und der Friedensbewegung befasste. Der Neoliberalismus bringe, so trug er vor, eine globale Marktordnung hervor, die von einer umfassenden Militarisierung über alle nationalen Grenzen hinweg abgesichert werde. Mit dieser Militarisierung werde nicht mehr die Durchsetzung konkret bestimmter, begrenzter Ziele verfolgt, sondern generell die Absicherung der neoliberalen Wirtschaftsordnung ohne Rücksicht auf Grenzen und auf unbestimmte Zeit. Dem müsse sich die Friedensbewegung stellen. Sie könne nicht mehr nur eine Bewegung sein, die auf eine Welt ohne Krieg hinarbeitet, sondern müsse vielmehr mit dem Kampf gegen alle Arten von ökonomischer, sozialer und kultureller Ungerechtigkeit verbunden werden. Das Weltsozialforum z.B. sei eine Bewegung dieser Art. Auch der fortdauernde Kampf für nukleare Abrüstung müsse mit dem weiterreichenden Kampf gegen Militarismus, ungerechte Kriege und Besetzung verbunden werden. Vor allem aber müsse moralische Indifferenz bekämpft und überwunden werden, damit die nukleare Abrüstung Realität werden könne – dies sei die Lehre aus Fortschritten des vergangenen Jahrhunderts: Ende der Apartheid, schnelles und unblutiges Ende der autoritären Sowjetunion, politische Niederlage der USA gegenüber den Vietnamesen etc.

Im abschließenden Plenum kamen – last but not least – die »non-haves« zu Wort: Vertreter/innen von atomwaffenfreien Staaten prangerten Höhe und Zunahme der weltweiten Rüstungsausgaben an (knapp 6% in 2009 gegenüber 2008), die im Jahre 2009 insgesamt 1,53 Billionen US-Dollar betrugen. Auch sie forderten mit großem Nachdruck die Umsetzung des NVV-Vertrages und die Durchsetzung einer Atomwaffenkonvention, setzten dabei allerdings ihre Hoffnung weniger auf die von nationalen Interessen dominierten Regierungen als auf politischen Druck von Seiten der Zivilgesellschaft – wohl wissend, dass hier noch sehr viel motivierende und aktivierende Arbeit zu tun sein wird.

Tagungsort des Kongresses war Basel, Tagungslokalität die alte, im Jahr 1460 gegründete, Universität: ein Ort, adäquat für einen solch kompakten und konzentrierten Kongress, der viele renommierte Wissenschaftler/innen, bekannte Politiker/innen (immerhin ließ der russische Präsident Medwedew eine Grußadresse verlesen) und Studenten/innen aus aller Welt zu Informationsaustausch und -weitergabe, zu Reflexion und Diskussion zusammengeführt und das Netzwerk unter Gleichgesinnten sicherlich enger geknüpft hat.

Anmerkungen

1) Siehe Rebecca Johnson, Die NVV-Konferenz 2010, in W&F 3-2010.

2) Bundesamt für Strahlenschutz: Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie). Salzgitter, 2007; www.bfs.de/de/bfs/druck/Ufoplan/4334_KIKK.html.

Barbara Dietrich

Warum jetzt?

Warum jetzt?

von Steve Leeper

Fünf Monate nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima lag der Philosophieprofessor Ichiro Moritaki mit seinen Verletzungen im Krankenbett. Er ging in seinen Gedanken der Frage nach, welche Sinn diese neue Waffe hat, die seine Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte. Er kam zum Schluss, der Sinn der Atombombe liege letztlich darin, dass die Menschheit auf Gewalt als Mittel der Konfliktlösung verzichten müsse.

Moritaki war schon 1945, also noch vor der Wasserstoffbombe, klar, dass die Menschen jetzt lernen müssten, unser Gewaltpotential unter Kontrolle zu halten, oder wir machen unseren Planeten unbewohnbar. Daher erklärte er, die Atombombe markiere das Ende der »Zivilisation von Macht« und den Beginn einer neuen »Zivilisation der Liebe«.

Moritaki stand fast 40 Jahre lang an der Spitze von Hidankyo, dem größten Zusammenschluss von Atombombenopfern. Als er im Alter von 93 Jahren starb, war es vor allem sein Verdienst, dass die Wut von Hiroshima sich zunehmend weg von den USA und auf die Atomwaffen selbst richtete. Er hinterließ der Welt auch das Konzept einer »Friedenskultur«. Die Hiroshima Peace Culture Foundation hat zwei Ziele: das eine ist sicherzustellen, das die Welt nie vergisst, was am 6. August 1945 geschah; das andere ist mitzuhelfen bei der Transformation unserer Gattung von der momentanen Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens.

Der Menschheit fällt es äußerst schwer, sich die Gewalttätigkeit abzugewöhnen. In den nächsten zwei oder drei Jahren werden wir entscheiden, ob Atomwaffen abgeschafft werden oder sich weiter verbreiten. Wenn wir die Weiterverbreitung zulassen, werden sie schließlich auch eingesetzt. Wenn Atomwaffen erneut eingesetzt werden, dann verlieren wir rasch den dünnen Zivilisationsfirnis, der unser zerbrechliches, interdependentes, globales sozio-politisch-ökonomisches System zusammenhält. Dann stürzen wir in einen Strudel der Gewalt, neben dem der Zweite Weltkrieg wie ein Honiglecken wirken wird.

Die Entscheidungen über unseren weiteren Umgang mit Atomwaffen, die bei der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages im Mai 2010 gefällt werden, haben Konsequenzen weit über die Zukunft dieser Waffensysteme hinaus. Wir entscheiden gleichzeitig, ob wir die zahlreichen, unser Leben bedrohenden globalen Probleme durch Dialog, Verhandlungen, Abkommen und Völkerrecht lösen oder durch eine radikale und gewalttätige Reduktion der menschlichen Bevölkerung.

Das US-Imperium bricht momentan zusammen. Historisch wurde der Zusammenbruch eines Imperiums immer von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten lang währender Gewalt begleitet. Die Destabilisierungswirkung der Veränderungen, die wir jetzt erleben, gehen aber weit über den bloßen Zusammenbruch eines Imperiums hinaus. Die Jahrhunderte lange Dominanz der weißen Menschen kommt zum Ende. In den nächsten 20 Jahren werden sich die globalen ökonomischen und kulturellen Machtzentren von den USA und Europa nach China und Asien verschieben. Die Ära des billigen Öls geht zu Ende. Der Konkurrenzkampf um Öl, andere Rohstoffe, Land und sogar Wasser wird sich rasch verschärfen. Unser heutiger Lebensstil hängt, insbesondere in den USA, vollständig von billigem Öl ab. Dieser Zustand ist ganz offensichtlich nicht nachhaltig. Wie gelingt uns der Übergang? Durch friedlichen Dialog und Teilhabe? Oder in einem wahnsinnigen, gewalttätigen Kampf um die Macht?

Wenn wir uns für letzteren entscheiden, machen wir unseren Planeten unbewohnbar. Selbst wenn wir zunächst den Einsatz von Atomwaffen noch vermeiden, verfügen wir doch über chemische und biologische Waffen, Agent Orange, abgereichertes Uran und ein riesiges Arsenal von Waffen mit entsetzlichen und langanhaltenden Folgen. Und wenn Atomwaffen weiterhin einsatzbereit gehalten werden, ist es nicht schwer, sich eine rasante Eskalation vorzustellen, die die Erde zu kalt oder zu radioaktiv macht, um menschliches Leben zu ermöglichen.

Und sogar wenn wir diese tödliche globale Gewalt vermeiden, wird unsere industrialisierte und wachstumsbasierte Zivilisation dafür sorgen, dass unser Planet unbewohnbar wird, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Unsere Meere sterben. Unsere Regenwälder verschwinden in Rekordtempo. Der Sauerstoffgehalt in unserer Atmosphäre sinkt stetig, und die Erderwärmung schreitet fort. Keines dieser Probleme lässt sich durch Kontrolle von oben durch reiche Banker, mächtige Generäle oder sonst jemanden lösen. Das Überleben unserer Gattung erfordert weltweite Kooperation in einem bislang unerreichten Maß.

Deshalb müssen wir die Atomwaffen jetzt abschaffen. Atomwaffen sind das einfachste Problem, vor dem wir stehen, und das Thema ist höchst dringlich. Wenn wir uns nicht einmal auf die Abschaffung dieser überflüssigen, völkerrechtswidrigen und obszönen Bedrohung unserer Existenz einigen können, woher nehmen wir dann die Hoffnung, dass wir Antworten auf die viel subtileren und schwierigeren Probleme finden, vor denen die Besatzung des Raumschiffs Erde steht? Wenn wir uns hingegen auf die Abschaffung der Atomwaffen einigen, dann sagt die Weltgemeinschaft damit: „Lass uns das Gesetz des Dschungels abschaffen und für unser gemeinsames Überleben zusammenarbeiten.“ Damit eröffnen wir den Weg zu anderen Formen der Kooperation, die möglicherweise unseren Kindern und Kindeskindern die Zeit gewährt, die sie brauchen, um unsere Hinterlassenschaften aufzuräumen.

Das ist die Wahl, die wir jetzt treffen müssen. Wählen wir Gewaltlosigkeit oder die Bombe. Alle, die sich mit Abrüstung beschäftigen, müssen im kommenden Jahr ihre Anstrengungen verdoppeln und darauf hin wirken, dass im Mai 2010 die richtige Entscheidung fällt.

Steve Leeper ist Vorsitzender der Hiroshima Peace Culture Foundation.
Übersetzung: Regina Hagen

Bomben Unsicherheit

Bomben Unsicherheit

von Jürgen Nieth

„19 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs üben deutsche »Tornado«-Piloten noch immer, wie sie Waffen mit der zehnfachen Explosivkraft der Hiroshima Bombe von 1945 über Feindesland abzuwerfen hätten.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) Diese US-Atomwaffen – geschätzte Anzahl 10 bis 20 – lagern in Büchel in der Eifel. Deutschland ist keine Atommacht. „Aber es gibt in der NATO das Prinzip der atomaren Teilhabe: Bündnispartner dürfen im Ernstfall unter US-amerikanischem Befehl und amerikanischer Aufsicht amerikanische Atomwaffen einsetzen.“ (FR 24.06.08., S.2)

Büchels »unsichere« Bomben

Dieses „Relikt des Kalten Krieges“ (TAZ, 24.06.08) ist stärker in den öffentlichen Fokus gerückt, nachdem US-Wissenschaftler »Sicherheitsmängel« bei der Bewachung moniert haben. Sie haben Mitte Juni einen zuvor geheimen Bericht des Hauptquartiers der US Air Force ins Internet gestellt. „Darin wurde festgestellt, dass die »meisten« Atomwaffenstützpunkte in Europa nicht die Sicherheitsanforderungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums erfüllten. … Gebäude seien nicht ausreichend stabil. Das Sicherheitspersonal sei unzureichend geschult und werde oft auch in viel zu geringer Zahl eingesetzt. Teilweise würden deutsche Wehrpflichtige … als Wachen eingesetzt.“ (Welt 24.06.08, S.4) Die Studie war in Auftrag gegeben worden, „nachdem im August 2007 sechs Atomsprengköpfe ohne Wissen der Luftwaffenführung quer durch die USA geflogen worden waren. Der B52 Bomber transportierte die Massenvernichtungsmittel… ohne dass irgendwer in Militär- und Regierungshierarchie von der potenziell tödlichen Fracht wusste.“ (Neues Deutschland, 23.06.08., S.1)

Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, hält die Kritik an Büchel für übertrieben, „die Sicherheit von Nuklearwaffen habe in der Nato und den USA ‚höchste Priorität'.“ (Tagesspiegel, 24.06.08, S.2). Gleichzeitig scheinen aber die Differenzen innerhalb der Bundesregierung über die Frage eines Abzugs der A-Waffen zu zunehmen.

SPD: Für A-Waffen-Abzug

„Die SPD-Landesregierung von Rheinland-Pfalz äußerte… die Erwartung, dass die Bundesregierung angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage mit den Natopartnern sprechen werde, um die verbliebenen Nuklearwaffen in Europa möglichst abzuschaffen. Der SPD- Außenpolitiker Niels Annen sagte, der Abzug der US- Atomwaffen wäre ein riesiger Schritt, um bei der nuklearen Abrüstung voranzukommen. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich betonte, man brauche ‚so schnell wie möglich eine Null-Lösung bei den taktischen Nuklearwaffen'.“ (Süddeutsche Zeitung, 24.06.08., S.6)

Oppositionsparteien fordern Abzug

Auch die drei Oppositionsparteien sind sich einig in der Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen. „Das FDP-Präsidium forderte die Bundesregierung auf, den Abzug der letzten in Deutschland stationierten amerikanischen Nuklearwaffen in den zuständigen Nato-Gremien auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben… Der Abgeordnete und frühere Bundesminister Trittin (Grüne) forderte ebenso wie der verteidigungspolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Schäfer, Deutschland solle die nukleare Teilhabe kündigen.“ (FAZ, 24.06.08., S.5) Das sehen CDU/CSU ganz anders.

CDU/CSU wollen atomare Teilhabe

Die nukleare Teilhabe Deutschlands jetzt aufzugeben, ist für die CDU/CSU „,sicherheitspolitisch fahrlässig und bündnispolitisch unverantwortlich' …Der CSU-Außenpolitiker zu Guttenberg erinnerte daran, dass nicht nur Außenminister Steinmeier, sondern auch seine Vorgänger Fischer, Kinkel und Genscher die nukleare Teilhabe Deutschlands voll mitgetragen hätten, ‚ebenso wie seinerzeit das Regierungsmitglied Trittin'.“ ( FAZ 24.06.08., S.5) Auch der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Eckart von Klaeden, möchte nicht auf die atomare Teilhabe verzichten „solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt.“ (Berliner Ztg, 23.06.08, S.7)

Militär und Wirtschaft

Immer, wenn es darum geht militärische Kapazitäten abzubauen, werden wirtschaftliche Probleme für die Region betont, Sicherheitsrisiken und der Faktor Militärkosten herunter gespielt. So auch von Richard Benz, parteiloser Bürgermeister von Büchel: „Die Bundeswehr in Büchel ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Wir fürchten, dass bei einem Abzug der Atomwaffen dieser Standort infrage gestellt wird.“ (TAZ, 24.06.08., S.5)

Die Mainzer Rhein-Zeitung (25.06.08, S.4) verfolgt dieselbe Linie und spricht vom „Fliegerhorst des Jagdgeschwaders 33, das der Bevölkerung seit den 50er Jahren Lohn und Brot gibt. Die Menschen leben mit und von der nuklearen Abschreckung.“ Die Allgemeine Zeitung (26.06.08) sieht das etwas differenzierter: „Ein Abzug auch der restlichen Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz würde die Region und das Land wirtschaftlich betrachtet nicht allzu hart treffen… Betroffen von einem Abzug (der A-Waffen) wären… knapp 140 Dienstposten bei der US-Armee.“

Auf die Kosten des Fliegerhorsts geht keine der regionalen Zeitungen ein. Nur die TAZ (24.06.08, S.5) zitiert Elke Koller von der Friedensbewegung: „Hier wird vergessen, dass nach meinen Informationen allein der Unterhalt des Luftwaffenstützpunktes über 500 Millionen Euro kostet.“

Wie weiter

Einige hoffen auf einen »stillen Tod« des A-Waffen-Stützpunkts durch die Verschrottung der Bomber. Darauf „setzt auch die SPD. Ab 2013 soll der für Atomwaffen untaugliche »Eurofighter« die Bücheler Tornado-Jets ablösen. ‚Dann ist die Teilhabe erledigt', sagt Wehrexperte Hans Peter Bartels.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) CDU-Verteidigungsminister Jung plant allerdings anders: „Die Bundeswehr will die atomwaffentauglichen »Tornado«-Flugzeuge ‚zumindest bis 2020' im Dienst behalten,“ heißt es in der Antwort auf eine große Anfrage im Bundestag (TAZ, 03.07.08, S.6).

Für den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold handelt es sich hier um „,einen Koalitionskonflikt.' Die SPD sei für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die Union dagegen. Deshalb bewege sich in dieser Legislaturperiode eben: gar nichts. (TAZ 24.06.08, S.5)

Unsere Zukunft – atomwaffenfrei

»Frieden braucht Bewegung« titelte die Friedensbewegung in den 1980er Jahren. Dem entsprechend hat die Kampagne »Unsere Zukunft – atomwaffenfrei« für den 30. August nach Büchel eingeladen. Erwartet wird die größte Friedenskundgebung 2008 in Deutschland.

ConverArt

ConverArt

Die Kunst der Abrüstung

von Corinna Hauswedell / Susanne Heinke-Mikaeilian

Anläßlich des 350. Jahrestages des Westfälischen Friedens hat das Bonner Konversionszentrum (BICC) einen Wettbewerb unter Kunststudenten zum Thema Abrüstung und Konversion ausgeschrieben, dessen Ergebnisse bis zum 27. September im Westfälischen Landesmuseum Münster zu sehen sind. Die Illustrationen in W&F 3/98 dokumentieren Ausschnitte aus dieser Ausstellung. <0>Das BICC zeigt ConverArt zusammen mit einer Informationsausstellung »Abrüstung und Konversion – Vom Kalten Krieg ins Jahr 2000«.

Es scheint auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Projekt für ein internationales Forschungs- und Beratungsinstitut zu sein. Die gedankliche und praktische Umwandlung ehemals militärischer Ressourcen für eine zivile Nutzung ist jedoch ein vielschichtiger und schwieriger Prozeß. Die Öffentlichkeit daran zu beteiligen, gehört zu den Aufgaben des Bonn International Center for Conversion (BICC) und jede Erweiterung des Blickfeldes ist hierfür produktiv.

Eine Werkstatt

Entstanden ist eine »Werkstatt« junger Künstlerinnen und Künstler: Ideenskizzen, Entwürfe, Aktionskunst, work in progress und fertige Werke. Die 41 Teilnehmer, vorwiegend Studierende an den Kunst- und Medienhochschulen sowie den entsprechenden Fachbereichen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, kommen aus Bosnien, Deutschland, England, Nigeria, Österreich, Rumänien, Rußland, Taiwan und Vietnam.

Offensichtlich gibt es inzwischen eine internationale Wahrnehmung des Themas Militärkonversion mit zum Teil für die Herkunftsländer der jungen Künstler sehr typischen Facetten: die soziale Not und die Wohnungsprobleme demobilisierter Soldaten in Rußland, die Rohstoffversorgung aus den Überresten des Krieges in Vietnam, die Rekultivierung der vielen »freigegebenen« Liegenschaften in Deutschland, der Umgang mit »überschüssigen« Waffen in Bosnien oder in Afrika.<0>

Indem die Teilnehmer von ConverArt sich einer großen Vielfalt von Genres bedienen – Malerei, Collagen, Fotoarbeiten, Film- und Videoprojekte, skulpturale und archtitektonische Skizzen, Installationen und Inszenierungen, wird eindrucksvoll und dem Thema »angemessen« , seine virtuelle und reale Komplexität reflektiert. Metaphorisches und utopiegeleitete Entwürfe stehen neben Dokumentarischem und praktischen Ideen einer Umwandlung: Kunst als Subjekt und Objekt von Konversion.

Es fällt auf, daß von den männlichen <-3>Teilnehmern häufiger das offenkundig faszinierende Material der militärischen »hardware« – wenn auch in verfremdender Absicht – aufgegriffen wurde, während die Künstlerinnen – oft ironisierend – die nicht-stofflichen Aspekte mentaler Beeinflussung durch das Militär thematisiert haben.<0>

Das Experiment: Veränderung von Realität

Nicht alles konnte realisiert werden, manches ist ein Entwurf geblieben. Das liegt an den begrenzten Mitteln eines solchen Wettbewerbs, der Veranstalter und seiner Teilnehmer – aber auch am Gegenstand selbst. Warum soll es jungen Künstlern leichter fallen als der heutigen Generation von Wissenschaftlern und Praktikern, die widerspruchsvollen, neuen Wege des militärisch-zivilen Wandels konzeptionell und praktisch zu beschreiten?

Militärische Phänomene sind langlebig, hart im Umgang, gefährlich in den Folgen und kostspielig in der Entsorgung. Sie haben sich in Landschaften, im Boden, im Wasser, in Produktionsstätten, in den Technologien und in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Es gibt sie – die Faszination des Militärs. Auch deshalb bleibt Konversion oft auf halbem Wege stehen.

Einige der Werke von ConverArt sind ein interessanter Spiegel dieser Widersprüche. Gleichwohl verfügt Kunst über ein anderes Repertoire der Umwandlung von Wirklichkeit.

Konstruktionen des Erinnerns

Ve>rlassene Liegenschaften, Militärbrachen, Kasernen, Bunker, Flaktürme und Grenzstreifen werden zu »Denkmälern«, zu Orten der Spurensicherung in einer »Militärkultur« von gestern. »Für die Ewigkeit« nennt Marc Zicklam seine Modelle zur Begehbarmachung von zwei unterirdischen Bauwerken, dem »zivilen« Oberrieder Stollen und dem Bunker Valentin im Norden von Bremen. Wenn die Soldaten abziehen, ist das, „als wäre jemand weggegangen und hätte vergessen wiederzukommen“ – die Schwarz-Weiß-Fotografien russischer Kasernen von Daniela Karcher erzählen deutsche Nachkriegsgeschichte. Beinahe wie eine Korrespondenz der nach Rußland Heimgekehrten wirkt der Stadtplan mit der »Nizhni Novgoroder Deutschen Treppe«, der Jevgeniya Norenkova die Funktion einer Versöhnungsarchitektur zuweist.<0>

Transzendent: Die Altlasten im Kopf

Ganz andere Assoziationen wecken Werke wie die Acrylbilder »Getauscht« von Manuela Fersen, der »Mythos« von Uwe Hardt, »Transkontinental« von Gleb Choutov oder auch die Filminstallation »Die winzigen weiber von luxor« (Gabi Horndasch) und das Kompensationsvideo »Immer wieder geht die Sonne auf« (Marion Schebesta). Veränderung geht durch den Kopf und die Sinne, beim Lesen, beim Fernsehen, beim Musik hören. Vom Militär geprägte Gedankenwelten können transzendiert werden – spielerisch durch den Austausch von Soldatenglanzbildchen gegen Friedenssinnsprüche, durch Gegenüberstellung ziviler und militärischer Allmachtsymbole, durch suggestive und autosuggestive Konfrontationen mit der scheinbar unauflöslichen Eigendynamik des Militärischen. Ironisierung dient als Brücke zur Grenzüberschreitung: Die Vergeblichkeiten, die »Attraktion«, der langen Geschichte der Kriege werden zurückgelassen.

Not macht erfinderisch – Ironien der Wiederverwendung

Wie nah Frustrationen, Elend und humorvolle Alltagsweisheit beieinander liegen können, zeigen die Recherchearbeiten für das Dokumentarfilmprojekt »Metamorphosen« von vier Kamerastudenten aus Potsdam-Babelsberg und Hanoi. Leben von den Überresten der Schlachtfelder ist in Vietnam ein Wirtschaftsfaktor geworden: Militärschrott findet beim Boots- und Hausbau, in Landwirtschaft und Industrie sowie bei der Herstellung von Kultgegenständen vielfältigste Wiederverwendung.

Der Umgang mit »überschüssigem« Waffenmaterial ist auch das Thema anderer Arbeiten von ConverArt. Waffen aus dem Verkehr zu ziehen, ist ein schwieriges Geschäft. Grenzen der Konversion werden deutlich im »Sleeping Room«, einem Bunkermodell, in dem Dragan Lovrinovic einbetonierte Waffen »konservieren« will. Das Projekt »Tank Art« (Alexander Schneider/Joachim Schulz) schlägt vor, Künstlern möglichst viele Panzer als Medium zur Verfügung zu stellen, damit die kostenintensive Entsorgung entfallen kann.

In zivilen Alternativen denken und handeln

Mit Hilfe sehr unterschiedlicher Medien widmen sich einige Arbeiten von ConverArt der Frage, was in Folge der Konversion entstehen und wie das eigene Handeln dies beeinflussen kann. »Wachsendes Haus« ist der Entwurf ziviler Lebensumstände für demobilisierte Soldaten, vorgestellt von BANDuTuK, einer Gruppe russischer Architekturstudenten aus Nizhni Novgorod, einer ehemals besonders rüstungsabhängigen Region. Aurelia Mihai läßt in einer Videoinstallation den Betrachter zum Akteur im internationalen »Machtspiel« um Auf- bzw. Abrüstung werden. In dem Aktionsprojekt »Luftsprünge« werden Cottbuser Bürgern auf einem seit 1914 genutzten Militärflugplatz »Flugscheine für neue Gedanken« ausgestellt.

Die sehr unterschiedlichen Arbeiten von ConverArt sind kulturell und politisch aufschlußreiche Momentaufnahmen für Sichtweisen und Mentalitäten, Befürchtungen und Wünsche der heutigen Generation zum Thema Krieg und Frieden. Deutlicher als in den seltenen früheren Darstellungen von Konversion in der Kunst, die sich je nach vorgefundener Realität zwischen Idealisierung, Heroisierung und Propaganda bewegten, stehen heute häufig ironisierende Distanz und realitätsorientierte Veränderungsphantasien im Vordergrund und durchaus nicht im Widerspruch zueinander. Vielleicht wurde dies im Falle von ConverArt auch durch die deutlich politische, in sich aber komplexe Themenstellung des Wettbewerbs provoziert. Mancher Hochschullehrer hatte deshalb Vorbehalte gegenüber diesem heutzutage in der Kunstszene recht unüblichen Wettbewerbsanliegen geäußert oder die Gefahr des (weniger unüblichen) »Mißbrauchs« der jungen Kunst für Werbezwecke gewittert.

Weder Waffen noch Geld waren für die Zwecke von ConverArt so leicht zu beschaffen wie gehofft. Die Unterstützung durch zuständige Bundesministerien z. B. ging leider über Absichtserklärungen einzelner aufgeschlossener Individuen nicht hinaus. Überschüssige Waffen lassen sich immer noch einfacher auf Halde legen oder exportieren als zur künstlerischen Bearbeitung freigeben.

Das die Ausstellung trotzdem in dieser Form stattfinden kann, ist vor allem der großzügigen Unterstützung und Hilfe des Landes Nordrhein-Westfalen, der Schirmherrin Anke Brunn und dem Landemuseum Münster zu danken sowie den privaten Sponsoren, die sich – vor allem auf regionaler und lokaler Ebene – für das Projekt und einzelne Künstler begeistern konnten. Die Einladung zum Schauen und Nachdenken verbinden wir mit dem Wunsch nach einer möglichst weiten Verbreitung der Ideen von ConverArt.<0>

Dr. Corinna Hauswedell (Projektleitung) und Susanne Heinke-Mikaeilian haben das ConverArt Projekt für das BICC von Beginn an begleitet.

Conversion

Conversion

Challenges for Enterprices and Regions in East and West

von Heidrun Weßels

Der Konversionskongreß, der vom 27.- 29. März 1998 in Kiel mit beachtlicher internationaler Beteiligung stattfand, wurde von TeilnehmerInnen aus Rußland, Polen, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Schweden, der Schweiz und Deutschland besucht, die sich praktisch oder theoretisch mit dem Thema Konversion beschäftigen.

Der Kongreß wurde am Freitag durch Prof. Dr. Klaus Potthoff (SCHIFF, Kiel) eröffnet. Klaus Potthoff betonte in seiner einleitenden Rede, daß das Ziel dieses internationalen Kongresses zum einen der Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis und zum anderen die Unterstützung des Ausbaus kooperativer Strukturen zur Gestaltung erfolgreicher Konversionsprozesse sei. Dr. Herbert Wulf (BICC, Bonn) setzte sich in seinem Beitrag mit der Bedeutung von Abrüstung und Konversion hinsichtlich friedenspolitischer und sozialintegrativer Prozesse auseinander. Violette Hyzy (CUB, Brest) gab einen Überblick über die Konversionsbemühungen in europäischen Hafenstädten. Dr. Martin Grundmann (IMU, Berlin) hob die Bedeutung des Kooperationsaspektes sowohl der betrieblichen Akteure untereinander als auch aller beteiligten regionalen Akteure hervor. Abschließend referierte der Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein, Peer Steinbrück, aus wirtschaftspolitischer Sicht über die Bemühungen des Landes, den Konversionsprozeß zu unterstützen. Die Eröffnungsveranstaltung endete mit einer lebhaften Diskussion über Fragen des weiteren regionalen Umgangs mit zukünftig möglichen Abrüstungsschritten und innovativen Konversionsstrategien für die Entwicklung strukturschwacher Regionen.

Die Themenbereiche der Eröffnungsveranstaltung wurden am Samstag in drei Arbeitsgruppen wieder aufgenommen und mit den Schwerpunkten »Regionale Aspekte von Konversion«, »Innovative Strategien für betriebliche Konversion« und »Technologische Innovationen und Personal- und Organisationsentwicklung« diskutiert. Der internationale Kongreß wurde von den TeilnehmerInnen aus betroffenen Regionen und Betrieben zum intensiven Erfahrungsaustausch genutzt. Eine der zentralen Fragen war, wie die notwendigen Umstrukturierungen in Betrieben und Regionen gestaltet werden können, insbesondere, welche Faktoren diese Prozesse unterstützen und wie Fehlentwicklungen vermieden werden können.

In der ersten Arbeitsgruppe mit dem Titel »Regionale Aspekte von Konversion« berichtete Dr. Elena Denezhkina (CREES, University of Birmingham) über mehrere Fallstudien zur Konversion in Betrieben Rußlands. Sie hob hervor, daß es keine Konversionsstrategie der Zentralregierung gibt und daß die Unternehmen mit ihren Problemen allein gelassen werden.

Durchaus ähnlich ist die Situation in der Slowakei und Ungarn. Dr. Yudit Kiss berichtete über Chancen und Risiken von Konversionsbemühungen in Unternehmen der Rüstungsindustrie dieser beiden Länder. Nur etwa ein Drittel der Unternehmen konnten erfolgreich auf zivile Produktion umzustellen. Nicht zuletzt deshalb, weil es in diesen Fällen gelang, den Konversionsprozeß in einen regionalen Entwicklungsprozeß zu integrieren.

Stanislaw Glowacki (Metalworker's Secretariat, Polen) beschrieb die Situation in Polen. Er vertrat die Ansicht, daß nur die Unternehmen der Rüstungsindustrie, die ihre Manager austauschten, eine Chance haben zu überleben. Wichtig waren für diesen Prozeß auch Joint Ventures mit westlichen Unternehmen. Privatisiert wurden Unternehmen im Rüstungsbereich gar nicht oder nur formal, indem die Betriebe in eine staatliche Holding überführt wurden. Inzwischen hat die Regierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Strategien für weitere Konversionsmaßnahmen entwickeln und umsetzen sollen.

Daniel Gravot (CUB, Brest) berichtete über Konversionsanstrengungen der Region Brest, die in hohem Maße von Rüstungsproduktion abhängt. Der Konversionsprozeß in den Großbetrieben DCN und Thomson läuft an und wird durch eine regionale Wirtschaftspolitik begleitet, die ihr besonderes Augenmerk auf kleine und mittlere Unternehmen richtet.

Hervé Cadiou (Université de la Paix, Brest) ging insbesondere auf die besondere Situation der staatlichen Marinewerft DCN und die von DCN und Thomson abhängigen Subunternehmen ein. Konversion sei in staatlichen Betrieben deutlich schwieriger als in der privaten Industrie. Auch er betonte den besonderen Stellenwert einer regionalen Politik für den Konversionsprozeß.

Eberhard Petri (IG Metall, Nürnberg) beschrieb die erfolgreichen Aktivitäten des Wirtschaftsforums in der Region Nürnberg, das durch einen Mix von Leitbildentwicklung, Aufbau von Netzen, gezielter Unterstützung betrieblicher Projekte und Qualifizierungsmaßnahmen zur Gestaltung des Strukturwandels in der Region beiträgt.

Klaus Potthoff stellte die Ergebnisse der Zusammenarbeit des SCHIFF mit betrieblichen und regionalen Akteuren im Rahmen des EU- Programms »Konver« vor. Er hob darauf ab, daß betriebliche Konversion der Unterstützung externer Akteure bedarf und daß WissenschaftlerInnen eine wichtige Rolle in diesem Prozeß übernehmen können, wenn sie neben den klassischen Aufgaben auch die Moderation und Koordination betrieblicher und regionaler Prozesse übernehmen. Er beschrieb schließlich die geplante Fortsetzung dieser Koordinations- und Moderationsaufgaben im Rahmen des Projektes »Komo«.

In den lebhaften Diskussionen wurde immer wieder die bedeutende Rolle der Region, aber auch einzelner Akteure innerhalb und außerhalb von Betrieben für erfolgreiche Konversion hervorgehoben.

In der zweiten Arbeitsgruppe, in der es um innovative Strategien für betriebliche Konversion ging, wurden theoretische Aspekte, drei Unternehmensberichte und Beispiele für Liegenschaftskonversion diskutiert: Jordi Campàs Velasco (LEREP, Toulouse) und Dr. Jonathan M. Feldman (Dep. of Technology and Social Change, Linköping) hoben hervor, daß nicht nur unternehmensnahe Akteure bei Konversionsbemühungen von Bedeutung sind, sondern auch die Charakteristika des militärischen Sektors, der Regionen und der Länder ausschlaggebend sind. Als Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen kristallisierten sich folgende Konversionsbarrieren heraus: die schlechte zivile Marktanpassung, technologische Hemmnisse, Behinderungen durch militärische Organisationsstrukturen und die militärische Unternehmenskultur.

Aufgrund praxisnaher Erfahrungen erklärten Dr. Jonathan M. Feldman, am Beispiel von McDonnell Douglas, und Alain de Bouard am Beispiel von Thomson-CSF, daß eine zivile Unternehmenskultur in den Unternehmen nur zu erreichen ist, wenn der Einstieg in zivile Märkte durch konsequente Qualifizierung der Beschäftigten und des Managements vorbereitet wird, ein verbessertes Produktmarketing eingeführt, die oben genannten Konversionsbarrieren überwunden und zivile Netzwerke initiiert werden. Für die zivile Orientierung im Unternehmen ist eine Abwendung von der militärischen Technikorientierung notwendig, um die Kosten für Forschung und Entwicklung und in der Produktion zu senken. Roman V. Korolev (Marketing- und Sales Manager auf der Schiffswerft »Zvyozdochka«, Severodvinsk/ Rußland) beschrieb, daß die fundamentalen ökonomischen und industriellen Strukturen in Rußland zusammengebrochen seien und es keine staatlichen Vorgaben zu Umstrukturierungen gebe.

In Bezug auf Liegenschaftskonversion wurden große Unterschiede bei der Integration von ehemals militärischen Liegenschaften zwischen den OME und den westeuropäischen Ländern konstatiert. Dr. Hartmut Küchle (BICC, Bonn) und Jussi S. Jauhiainen (FB Geographie, Universität des Saarlandes) betonten, daß auch bei der Liegenschaftskonversion die aktive Mitarbeit von allen regionalen Akteuren von Bedeutung ist.

Die dritte Arbeitsgruppe diskutierte über die Zusammenhänge und Bedingungen technologischer Innovationen und betrieblicher Organisationsentwicklung. Ausgehend von der Hypothese, daß der Erfolg technologischer Innovationen mit der parallel verlaufenden Umstrukturierung betrieblicher Organisationsstrukturen und der Qualifizierung der Beschäftigten zusammenhängt, referierte Margitta Matthies (SCHIFF, Kiel) zu den spezifischen funktionalen und organisationalen Bedingungen rüstungsproduzierender Unternehmen und veranschaulichte Handlungsmöglichkeiten auf diesen betrieblichen Ebenen. Dr. Ernst Buder (MDC, Berlin) berichtete über Konversionserfahrungen mit biologischen und toxischen Waffen sowohl in amerikanischen als auch in russischen Unternehmen. Die positiven Beispiele aus den USA belegen, daß es aufgrund des spezifischen dual-use-Charakters für Unternehmen, die biologische und toxische Waffen produzieren, einfacher ist zu konvertieren als für Unternehmen, die im nuklearen und/oder chemischen Bereich tätig sind.

Sylvain Delaitre (Thomson-CSF, Brest) brachte seine praktischen Erfahrungen aus gewerkschaftlicher Sicht über die Gestaltung des Konversions- bzw. Diversifikationsprozeß bei Thomson-CSF ein. Erst nach langjährigen Diskussionen stimmte die Unternehmensleitung einer Potentialanalyse über zivile Alternativen zu, die schließlich zu einem zivilen Standbein bei gleichzeitiger Umstrukturierung des Konzerns führte. Anschließend erläuterte Dr. Hans-Uwe Messerschmidt (KI, Kiel) die Bedeutung von überbetrieblichen Kooperationen und strategischen Allianzen – insbesondere für KMU – für die erfolgreiche Umsetzung zukunftsträchtiger technologischer Innovationen. Abschließend berichtete Dr. Boris Adloff (ttz, Kiel) über seine Erfahrungen mit europäischen und regionalen Förderprogrammen zur Unterstützung von technologischen Innovationen im allgemeinen und der Konversionsförderung im besonderen. Im Ergebnis relativierte sich der Stellenwert der reinen Technologieförderung zugunsten einer Projektförderung, bei der Kommunikationsstrukturen und der Aufbau von Know-how-Netzwerken in der Region unterstützt werden.

In allen Arbeitsgruppen bestand Einigkeit darüber, daß aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen Konversionsmaßnahmen für Rüstungsunternehmen zur ökonomischen Überlebensfrage geworden sind. Weiterhin ist es unter friedenspolitischen Gesichtspunkten notwendig, daß betriebliche Konversionsprozesse gefestigt, deren Nachhaltigkeit gewährleistet und ein Rückfall in alte Strukturen verhindert wird.

Um zu erfolgreichen Konversionsbemühungen in Ost und West zu kommen, muß die Vernetzung von betrieblichen und regionalen Akteuren auch auf internationaler Ebene fortgesetzt werden.

Heidrun Weßels ist Dipl.-Sozialwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich »Konversion« im Schleswig-Holsteinischen Institut für Friedenswissenschaften (SCHIFF) an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

Was wurde aus der Friedensdividende?

Was wurde aus der Friedensdividende?

von Ann Markusen

Der frühere Gegner, die ehemalige Sowjetunion, hat sich in diverse Nachfolgestaaten aufgespalten, in denen der Rüstungssektor zusammenbricht. Die vereinigte Bundesrepublik Deutschland, genauso wie Großbritanien, kürzen ihre Ausgaben für Rüstung und Militär erheblich. Mit Ausnahme einiger asiatischer Staaten gehen die Ausgaben für Militär und Rüstung weltweit zurück. Auch in den Vereinigten Staaten lassen Umfrageergebnisse erkennen, daß in der amerikanischen Bevölkerung die Akzeptanz für Rüstungsausgaben sinkt. Nur eine Minderheit der Amerikaner stimmt für steigende militärische Forschungs- und Entwicklungsausgaben, hingegen unterstützen beispielsweise 80% höhere Forschungs- und Entwickungsausgaben für den Gesundheitsbereich. Ergebnisse, die die Frage aufkommen lassen, warum eine umfangreiche Demilitarisierung in den USA nach dem Ende des Kalten Krieges nicht stattgefunden hat.

Die Vereinigten Staaten haben heute höhere Rüstungs- und Militärausgaben als in den Jahren nach dem Vietnam-Krieg, in denen der Kalte Krieg noch bestimmend war. Der Verteidigungshaushalt ist kaum niedriger als vor Beginn der Carter/Reagan-Administrationen.

Aber tiefere Einschnitte im Rüstungshaushalt werden unvermeidbar sein. Aufgrund der Finanzierungszwänge im Staatshaushalt enthüllte der vierteljährliche Bericht des Pentagons (Quadrennial Review) im Mai 1997 Empfehlungen zur Kürzung der Verteidigungsausgaben um zweistellige Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 1999-2003. Summen, die wahrscheinlich weit geringer ausfallen, als die geplanten Einschnitte für die Gesundheitsvorsorge.

In den frühen neunziger Jahren gab es in den USA eine Chance für eine Friedensdividende. Als Bill Clinton 1992/93 die Regierung übernahm, trat er mit dem Ziel an, die zu Zeiten des Kalten Krieges geplanten Rüstungsprojekte in zivile Produktion und Serviceleistungen umzusteuern. Fast fünf Jahre später verfolgt die USA noch immer keine zielorientierte Konversionspolitik. Diejenigen Rüstungsunternehmen und Kommunen, die die Umstellung militärischer Produkte und Serviceleistungen auf nützliche zivile Produkte erfolgreich unterstützten, haben aus Eigeninitiative und auf eigenes Risiko gehandelt.

Kooperative Sicherheitsstrategie

In dem Buch »Decisions for Defense: Prospects for a New Order« analysierten W. Kaufman und J. Steinbrunner (Brookings Institution) anschaulich die dramatisch veränderten sicherheitspolischen Rahmenbedingungen der Vereinigten Staaten. Neue Bedrohungen, so argumentierten sie, sind auf kleine Nationen begrenzt, die weit weniger gut gerüstet sind als die USA. Für die USA sind nur ein oder zwei regionale Konflikte im Maßstab des Golfkrieges relevant, für die wir im Verbund mit unseren gut ausgerüsteten Alliierten ausreichend militärische Stärke zeigen können.

Solche kooperativen Sicherheitsstrategien würden Kürzungen des Verteidigungshaushaltes von über 100 Mrd. US-Dollar im Jahr ermöglichen. Wir würden dann weder die alleinige Verantwortung für Kriegsführungen im Maßstab des Golfkrieges übernehmen, noch würden wir autarke Produktionkapazitäten aufrecht erhalten müssen. Auch Les Aspin schrieb kurz nach dem Golfkrieg ein bemerkenswertes Memorandum mit verschiedenen Szenarien, in denen mit einem reduzierten Rüstungsetat militärisch agiert wird. Einige von diesen Szenarien basieren auf dem Ansatz der kooperativen Sicherheitsstruktur.

Nachdem L. Aspin zum Verteidigungsminister ernannt wurde, stellte er jedoch ein Szenario auf, in dem die Anzahl der Waffensysteme nahezu auf dem Niveau des Kalten Krieges bleibt. Im Rahmen dieses Szenarios sollten die USA auf zwei gleichzeitig stattfindende Regionalkonflikte militärisch vorbereitet sein. Eine Aussicht, die extrem unwahrscheinlich ist. Experten machten darauf aufmerksam, das Aspins Budget nicht ausreiche, um diese Strategie zu finanzieren und sie sagten voraus, das seine Forderung in zwei Regionalkonflikte gleichzeitig eingreifen zu können, die Falken der US-Verteidigungsstrategie auf den Plan rufen würde. Letzten Sommer wurde durch die republikanische Kongreßmehrheit das Verteidigungsbudget um 11 Mrd. US-Dollar erhöht (Die gleiche Summe hatten die Kürzungen der Wohlfahrts- und Sozialabgaben erbracht!), um Waffensysteme wie den B2-Bomber und den Seawolf zu finanzieren. Leider verfügen die gesellschaftlichen Gruppen, die von einer Friedensdividende am meisten profitieren würden, über keine dem Militär vergleichbare Lobby.

Das größte Hindernis gegen Konversion ist das eiserne Dreieck (Adams 1981), das Triumvirat von großen Rüstungskonzernen, dem Pentagon und dem Kongreß, das aktiven Widerstand leistete gegen jede bescheidene Konversionsinitiative im Verlauf des letzten Jahrzehnts. Die Macht dieses »Iron Triangle« ist erheblich. Sie wird durch ein ideologisches Klima gefestigt, das eine aktive Rolle der Regierung bei der Umstellung des Industriesektors nicht anerkennt.

Dennoch führte das Ende des Kalten Krieges zu neuem Denken. Die Literatur, auf die hier eingegangen wird, zeigt in unterschiedlichen Beiträgen, wie das Militär reduziert und militärische Ressourcen für den zivilen Gebrauch nutzbar gemacht werden können. Allerdings sprechen die Autoren nicht über politische Strategien. Ohne klare Anforderungen aus den nichtmilitärischen gesellschaftlichen Sektoren und ohne eine staatliche zielorientierte Konversionsstrategie wird es in den USA nicht möglich sein, die Rüstungsressourcen so schnell und effizient abzubauen, wie es z.B. unter Harry Truman in den vierziger Jahren und nach Vietnam in den siebziger Jahren geschehen ist.

Die Laissez-faire-Strategie

Von den anzusprechenden Büchern ist das von M. Weidenbaum »Small Wars, Big Defense: Paying for the Military after the Cold War« am pessimistischsten und am wenigsten zukunftsweisend. Weidenbaum, ehemaliger Vorsitzender von Reagans ökonomischem Beraterstab und gegenwärtig Direktor des Washington University's Center for the Study of American Business, ist der Meinung, daß es das beste sei, sich für die Laissez-faire-Strategie zu entscheiden.

Weidenbaum schlägt vor, den Verteidigungshaushalt einfach zu kürzen und die Umsteuerung von Technologien und menschlichen Ressourcen dem Markt zu überlassen. Denn im Sinne der neoklassischen Ökonomie werden die Probleme durch den privaten Sektor am besten geregelt. Die Anstrengungen der Regierung im Bereich der Konversion hätten versagt. Weidenbaum kommt zu der Schlußfolgerung, daß die Rüstungsunternehmen am besten Waffen produzieren können, und wenn die Produktionskapazitäten in diesem Bereich zu hoch sind, sollte man die überflüssigen Unternehmen am besten schließen.

Weidensbaums Analyse ignoriert hierbei die Entwicklung der High-Tech-Unternehmen auf dem zivilen Markt: Beispielsweise läßt sich an der Entwicklung von Boeing illustrieren, wie ein Unternehmen »Schwerter zu Pflugscharen« transformieren kann. Boeing konvertierte militärische Luftfahrttechnologie in die profitable Boeing 707. Auch die Computer- und Kommunikationsindustrien, die abhängig von Rüstungsaufträgen waren, sind jetzt erfolgreich auf kommerziellen Märkten. Weiterhin ignoriert Weidenbaums Analyse solche Betriebe wie TRW und Raytheon, die erfolgreich militärische Produkte produzieren und parallel dazu den Aufbau von zivilen Abteilungen betreiben, zur gegenseitigen Befruchtung beider Bereiche.

Obwohl er eine eher polemische Analyse betreibt, kommt Weidenbaums Buch in der Beschreibung sehr nah an die von Bush propagierte Theorie von liberalen Marktökonomen und ihren politischen Strategien heran. Weidenbaums »Schule der harten Schläge« über den Umgang mit dem Verteidigungsressort sind unrealistisch. Sie ignorieren z.B. die Tatsache, daß Unternehmen, Gewerkschaften und Kommunen eine Allianz bilden, um die lokalen Rüstungsunternehmen unter Mißachtung des Marktes zu verteidigen.

Spinoff und dual use

Zu Beginn seiner Amtszeit ist Clinton explizit mit dem Anspruch angetreten, die Verteidigungsausgaben zu kürzen und verstärkt Haushaltsmittel für Konversion bereitzustellen. Um gegenüber dem Militär glaubwürdig zu bleiben, favorisierten Clinton und seine Berater jedoch den Transfer in neue Forschung, Beschaffung und Infrastrukturprojekte, um damit zur Restrukturierung der amerikanischen Hegemonie beizutragen; so konnte gleichzeitig das Militär mit besserer Qualität und kostengünstigeren Waffen ausgerüstet werden. Das Buch »Beyond Spinoff« ist die Schablone für die Technologie- und dual use-Strategie der Clinton-Administration. Es bringt zum Ausdruck, daß in einer Welt von beschleunigtem ökonomischen Wettbewerb das US-System hinsichtlich der Innovationsfähigkeit nicht ausreichend gut funktioniert.

Während der Nachkriegsperiode vertraute Amerika auf Innovationen, die aus der militärischen Forschung resultierten. Hierfür wurden Entwicklungsaufträge an wissenschaftlich arbeitende Institute und Ingenieure in der Privatwirtschaft vergeben, die über Spinoffs neue zivile Produkte generieren sollten, um den Vereinigten Staaten Wettbewerbsvorteile auf internationalen Märkten zu verschaffen. Hinter »Beyond Spinoff« steht auch, daß dieser Weg zur Steigerung der Innovationsfähigkeit nicht angemessen ist, da er unerschwinglich teuer und irrelevant für den heutigen globalen Wettbewerb sei.

Als Lösung schlagen die Autoren vor, daß das Pentagon tatkräftig dual use-Beschaffungen verfolgen sollte, um den Abstand zwischen militärischen und zivilen Anforderungen zu verringern, damit zukünftig sowohl zivile als auch militärische Märkte bedient werden können. Aber nur die militärische und zivile Integration anzuregen, ist nicht ausreichend. Die Regierung sollte darüber hinaus in erfolgversprechenden Industriezweigen effiziente Technologieförderung betreiben.

Weder die Autoren von »Beyond Spinoff« noch die Clinton-Administration konnten voraussehen, welche geringe Wirkung ihre Visionen hatten, die sie den großen Rüstungsunternehmen und den Rüstungsarbeitern anboten. Die Rüstungsgiganten kämpfen weiterhin um ihren schwindenden geschützten Rüstungsmarkt und für militärisch dominierte technische Entwicklung. Auch in den Streitkäften gibt es viele, die gegen die dual use-Praktiken argumentieren. Gewöhnt an technologieorientierte Lösungen strategischer Probleme setzen sie weiterhin die Ausstattung der Streitkräfte über die Kostenzwänge militärischer Beschaffungen. Schließlich sehen Gewerkschafter im Rahmen der Clinton Politik, die langfristige Technologieentwicklung vor die Schaffung von Arbeitsplätzen setzt, Risiken für die Arbeitnehmer der Rüstungsindustrie.

Bessere Soldaten- Ausrüstung

J. Gansler fragt in seinem Buch »Defense Conversion«, wie Amerika seine militärische Stärke trotz eines stark reduzierten Rüstungsbudgets erhalten kann. Gansler, früher ein Vertreter des Verteidungsministeriums und jetzt Vizepräsident einer Consultingfirma für Rüstungsunternehmen, findet deutliche Worte, um die Mauer zwischen militärischer und ziviler Produktion zu brechen.

Gansler empfiehlt eine „Transformation der nationalen Industrie in große integrierte (militärisch/zivile) Strukturen.“ Da wir uns auf dem Weg zu einem Kriegstypus befänden, der auf den Informations-und Kommunikationstechnologien aufbaut, ist Gansler besorgt, daß die Entwicklung von neuer effektiver Kriegstechnologie durch die gegenwärtige Struktur auf dem Rüstungsmarkt nicht unterstützt werde. Gansler betont, daß solange Amerika seine Innovationsfähigkeit in der Militärtechnologie, Wettbewerb und Privatisierung befördert und kultiviert, es seine Welthegemonie beibehalten kann.

Gansler's Buch hat insbesondere bei einer Gruppe von Rüstungsunternehmern in der Elektronikbranche Hoffnung geweckt, die es bevorzugen würden, wenn die strittigen Rüstungsmilliarden zur Stärkung der Innovationsfähigkeit bei neuen Waffensystemen eingesetzt würden. Beim Streit über die Zusammensetzung des Rüstungshaushalts gerieten Rüstungsunternehmen mit den staatlichen militärischen Serviceeinrichtungen aneinander, weil sie sich weniger um die Innovationsfähigkeit sorgen, als um ihre Truppe, die sie gut ausbilden wollen, damit sie die High-tech-Waffensysteme gut bedienen können. Eine dritte Gruppe besteht aus großen Rüstungsunternehmen wie General Dynamics, McDonnell Douglas und Northrop-Grumman, die darauf dringen, die flüssigen Haushaltsmittel für Großprojekte wie den F16- und den B2-Bomber oder U-Boote sowie Flugzeugträger einzusetzen. Die technologiepolitisch orientierte Elite ist von Ganslers Visionen vollständig überzeugt. Der frühere Verteidigungsminister Perry stand ebenfalls hinter dieser Position; der amtierende Verteidigungsminister Cohen, in dessen Heimatstaat Militärstandorte und eine große kommerzielle, aber wenig wettbewerbsfähige Werft von General Dynamics angesiedelt sind, ist mehr dafür, daß die älteren Waffengattungen modernisiert werden. Eine politisch brauchbare Konversionsstrategie muß irgendwie die Anliegen dieser drei Gruppen zusammenbringen.

In den Büchern »Beyond Spinoff«, »Defense Conversion« und »Small Wars, Big Defense« wird ausführlich darüber diskutiert, wie der Rüstungsmarkt sich zu entwickeln hat, es wird aber nicht beschrieben, wie dies politisch umzusetzen ist. Dennoch haben alle drei Bücher die öffentliche Diskussion beeinflußt. Weidenbaums Buch war eine Argumentationshilfe für die Republikaner gegen Konversion, während »Beyond Spinoff« und »Defense Conversion« überzeugende rationale Argumente für die technokratisch orientierten Demokraten enthält. Aber keines von diesen Büchern antizipiert die Macht, die durch das eiserne Dreieck entstanden ist und den besten Konversionplan unterlaufen kann.

Clintons Programm brauchte mehr als eine bessere Verkaufstechnik, um die Initiativen der Exekutive in dem Top-Mangement der größten Rüstungsunternehmen wie Lockheed Martin, Loral, McDonnell Douglas und General Dynamics zu verankern. Die Industrie argumentiert verächtlich gegen die Dual-use- und Konversionsinitiativen, weil sie hochspezialisierte, kommerziell nicht wettbewerbsfähige Industrien betreibt, die durch die Einschnitte im Verteidigungshaushalt in ihrer Existenz bedroht sind. Sie stellt statt dessen drei Forderungen auf: erstens massive Subventionen und die Erlaubnis zum Export von Waffensystemen, zweitens entspannte Monopolaufsicht ergänzt durch Subventionen für Zusammenschlüsse der größten rüstungsabhängigen Unternehmen, und drittens umfangreiche Privatisierung von militärischen Laboratorien, Arsenalen und Depots.

Unter Clinton fügte sich das Verteidigungsministerium trotz der klaren Widerstände der Industrie gegen die dual use-Agenda. Offiziell wurden 2 Mrd. US-Dollar für Konversion angesetzt, allerdings wurden die Rüstungsunternehmen durch Verteidigungsminister Perry mit einer noch größeren Summe für ihre Exportaktivitäten unterstützt. Wie man sehen kann, hat das eiserne Dreieck seine Stellung gefestigt. Konsequenterweise hat sich die Möglichkeit zur nationalen Politikgestaltung hinsichtlich der rüstungsindustriellen Basis verringert.

New Deal für das Militär

Zwei andere Bücher vermitteln eine willkommene historische Perspektive; sie untersuchen die Bedingungen, die den gewaltigen Sicherheitsstaat aufrechterhalten und sehen einen enormen institutionellen Aufwand voraus, um die amerikanische Rüstungsindustrie den Realitäten nach dem Ende des Kalten Krieges anzupassen. Hooks führt in seinem Buch »Forging the Military-Industrial Complex« einmalige und brilliante Argumente an, die die Entstehung des modernen Sicherheitsstaates nicht aus der Gefahr des Kalten Krieges, sondern aus dem Zweiten Weltkrieg erklären. Während des »New Deal« in den dreißiger Jahren wurde die Macht in Washington zentralisiert. Staatliche Planungspolitik wurde zur legitimen politischen Praxis mit dem Ziel sozialer Wohlfahrt und Sicherheit. Als sich das Land für den Krieg mobilisierte, legte Roosevelt vieles von den sozialen Planungen zur Seite, während die Rolle des Pentagon für staatlich gelenkte Industriepolitik des privaten Sektors zunahm. Die erstarkte Planungskraft des Pentagons einschließlich der intensiven Kontrolle über die finanziellen Maßnahmen zum Aufbau von neuen militärischen Anlagen und den zu erwartenden umfangreichen Beschaffungsaufträgen führte zu einer noch nie dagewesenen Kooperationsdichte zwischen dem Pentagon und der Rüstungsindustrie.

Hooks ist der Meinung, daß die Trennung zwischen militärischen und zivilen Strukturen auch auf die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik während des Krieges zurückzuführen sind. Zur Belohnung für die Ausleihe von Managern des rüstungsindustriellen Sektors an das Pentagon während des Krieges gewannen die größten nationalen kommerziellen Unternehmen nach dem Krieg das Recht zur Selbstorganisation. Nur bestimmte Segmente wie die Luftfahrt- und die militärisch orientierte Elektronikindustrie sowie die Werften blieben von den Entscheidungen des Pentagon abhängig. Weil der Staat gegenüber anderen Bereichen der Industrie eine Laissez-faire-Haltung einnahm, tolerierten die meisten Wirtschaftsbereiche die Planungsbefugnisse des Pentagon in militärisch abhängigen Bereichen. Die verschiedenen Versuche amerikanischer Präsidenten durch Schaffung neuer ziviler Agenturen, wie z.B. der Atomenergiebehörde oder der Arms-Control and Disarmament Agency, den Einfluß des militärischen Sektors zurückzudrängen, endeten schließlich immer wieder im Pentagon (deutlichstes Beispiel: das SDI-Programm unter Ronald Reagan).

Mit der Betrachtung der militärischen Bürokratie füllt Hooks eine entscheidende Lücke bei vergleichenden Interpretationen der kapitalistischen Entwicklung in der Nachkriegszeit aus. Er schlägt vor, daß die Maßnahmen während des »New Deal« mit seinen Leistungen für die nationale Sicherheit während des Zweiten Weltkrieges nun nach dem Ende des Kalten Krieges rückgängig gemacht werden können. Leider teilt er uns nicht mit, wie es zu funktionieren hat oder wie Unterstützungsmaßnahmen für den Erfolg zu generieren sind.

Reale Sicherheit

G. Bischaks Aufsätze in dem Sammelband »Real Security« bieten die beste moderne Charakterisierung dessen, was ich gern als den »angebotsseitigen Widerstand« gegen Kürzungen und institutionelle Reformen nach dem Kalten Krieg bezeichnen würde. Bischak, Ökonom und bis vor kurzem Direktor der National Commission for Economic Conversion and Disarmament, zeigt, wie weit – wenn auch selektiv – der Sicherheitsstaat in die Zivilgesellschaft hineinreicht. Während des Kalten Krieges sicherte sich das Pentagon die Unterstützung und Legitimation einer breiten Gesellschaftsschicht dadurch, daß es wichtigen ökonomischen Bereichen eine Ratgeberrolle anbot. Somit erweckte das Pentagon den Eindruck, als wäre der Planungsprozeß relativ offen. Bischak verdeutlicht die Fähigkeit politischer und ökonomischer Interessen(gruppen), im besonderen die Lobbytätigkeit der Rüstungsmanager zur Beeinflussung der Sicherheitspolitik, besser als Hooks.

Bischaks Darstellung ist der aktuelle Widerstand gegen Pentagon-Reformen und Budgetkürzungen der faktischen Planungsstäbe, die sich innerhalb der größten privaten Rüstungsunternehmen entwickelt haben, zu eigen. Da Militärtechnologie im Verhältnis zur Leistung der Soldaten zunehmend wichtiger geworden ist, hat sich die Initiative zur Gestaltung der nationalen Sicherheitspolitik in die Forschungseinrichtungen und an die Zeichenbretter jener Unternehmen verlagert, die mehr über die Technologien, die sie erschaffen, wissen, als ihre Kunden im Pentagon. Nationale Sicherheitsbedenken statten diesen Prozeß mit einem hohen Maß an Geheimhaltung aus, die ihn weiter vom prüfenden Blick der Öffentlichkeit entfernt. Durch ihre Forschungs- und Entwicklungsprogramme und ihre Sitze in den Beratungskomitees des Pentagons verfügen die Unternehmen über beträchtliche Macht, das Wettrüsten zu fördern.

Bischak macht aus Adams eisernem Dreieck ein eisernes Pentagon, indem er zwei weitere Winkel hinzufügt: die Naturwissenschaften und die organisierte Arbeitnehmerschaft. Nur wenige Amerikaner wissen, daß 69 Prozent der Luftfahrtingenieure, 50 Prozent der Ozeanographen, 34 Prozent der Physiker und Astronomen sowie 50 Prozent der Flugzeugmonteure und 20 Prozent der Maschinisten von Projekten des Verteidigungsministeriums abhängig sind. Berufsverbände und Gewerkschaften liefern Unterstützung und Legitimation für die andauernde Implementierung der industriellen Planungen des Kalten Krieges. Beispielsweise haben einige prominente Physiker im Geheimen auf die Fortsetzung der teuren Nuklearwaffenforschung gedrängt, weil andernfalls „kein Geld mehr für Physik da wäre“.

Bischak wie Hooks steuern zu wenig Spezifika bei, wie die dringend benötigte Überprüfung des militärisch-industriellen Komplexes zu erreichen wäre. Aber Bischak schlägt vor, wo die politische Führungskraft für ein solches Bestreben zu finden wäre: in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. In einer Anzahl prominenter historischer Fälle haben Dissidenten-Wissenschaftler die technokratische Basis der Rüstungspolitik herausgefordert, wie beispielsweise hinsichtlich der Effekte des (radioaktiven) Niederschlags von atmosphärischen Tests, der Gesundheit und Sicherheit von Produktionsstätten für Nuklearwaffen usw. Tatsächlich halfen Widerspruch, Debatten und der Zusammmenschluß von Naturwissenschaftlern, Opposition gegen Reagans extravagante Star-Wars-Pläne aufzubauen. Bischak argumentiert, daß eine aktivistische Kampagne von Wissenschaftlern und Ingenieuren in der Lage sein könnte, wissenschaftliches Talent von seinem starken Sich-auf-das-Pentagon-Verlassen zu befreien und die Beziehung zwischen Regierung und Wissenschaft zu reformieren. Das ist tatsächlich genau das, auf was die Beyond Spinoff-Autoren mit einer zivilen Technologie-Initiative hoffen, wenn auch mit verhaltener Vorsicht hinsichtlich der Notwendigkeit, Rüstung bedeutend zu kürzen.

Bischak wirft ebenfalls einen Blick auf die Arbeitnehmerseite. Eine Anzahl historischer Beispiele berücksichtigend, in denen nationale Arbeitnehmervertreter aggressiv auf Konversion und Ausgabeneinschnitte gedrängt haben, stellt Bischak fest, daß ein disproportionaler Stellenabbau in der Folge von Kürzungen der Verteidigungsausgaben die Arbeitnehmer(vertreter) heute mobilisieren könnte, für Konversionsprogramme zu kämpfen. Schließlich betreiben Rüstungskonzerne in großem Stil »outsourcing« und »subcontracting«: Die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste übertreffen in schockierender Weise den Verkaufsrückgang. Zwischen 1989 und 1994 gingen Northrops Verkäufe real um fünf Prozent zurück, aber die Arbeitnehmerschaft nahm um 27 Prozent ab. Entsprechend fielen McDonnell Douglas Verkäufe um zwei Prozent, die Anzahl der Beschäftigten jedoch um 49 Prozent; Rockwells Verkäufe gingen um elf Prozent zurück, die Anzahl der Beschäftigten um 34 Prozent. Und während Lockheed Martin seine Verkäufe um 34 Prozent steigerte, wurde die Zahl der Beschäftigten um fast zehn Prozent reduziert. Diese Disparität resultiert nur zum Teil aus der Verlagerung von Jobs in Sub-Unternehmen, ein großer Teil folgt aus Produktivitätssteigerungen und aus Vereinbarungen, große Teile der Waffensysteme in den Käuferländern herzustellen. Für die landesweiten Gewerkschaftsforderungen nach aktiver Konversionsplanung in den neunziger Jahren gibt es gute Gründe. Eine Schwäche der Konversionsunterstützung durch Gewerkschaften ist jedoch, daß die organisierte Arbeitnehmerschaft dazu tendiert, nach Konversionsprogrammen zu rufen, wenn Einschnitte notwendig sind, aber selten gegen den Ausbau der Rüstung opponiert und tatsächlich tatkräftigen Lobbyismus für individuelle Waffenverkäufe betreibt, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Das unbeendete Projekt

Leider ist es weder den dual use-Vorschlägen der Wissenschaftler noch den Konversionsideen der Gewerkschaften und Friedensaktivisten unter der Clinton-Administration gut ergangen. Anläßlich des Wirtschaftsgigfels des Präsidenten 1992 kam der erste Anruf für den gewählten Präsidenten und seinen Runden Tisch von Ratgebern von einem entlassenen McDonnell Douglas-Arbeiter aus Long Beach, Kalifornien. Einem alleinstehenden Vater von fünf Kindern, der für diesen Zweck von J. McChesney (National Public Radio) treffend ausgewählt worden war. Es war ein ergreifender Moment. Seine mißliche Lage zusammenfassend, sagte er einfach, „Was werden Sie für mich tun, Bill Clinton?“ Clinton schien sprachlos und schob den Schwarzen Peter in die Runde weiter. Etwas später, nachdem er seine Gedanken wieder geordnet hatte, betonte er seine Verpflichtung gegenüber der zivilen Infrastrukturförderung und Industriepolitik.

Doch während des gesamten Treffens, in dem lange Analysen von Defizitproblemen der Wohlfahrtsbürokratie und der Krise in der Gesundheitsversorgung mit strahlenden, vielfarbigen Folien präsentiert wurden, war nicht ein einziger Vortragender eingeladen worden, um auf das Verteidigungsbudget oder die Pentagon-Bürokratien in der Zeit nach dem Kalten Krieg einzugehen. Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie Clinton sagte, er plane den Kalten Krieg zu beenden. Tatsächlich hat kein Präsident seit Eisenhower die Fähigkeiten besessen, vor der exzessiven Macht und den nicht zu tolerierenden Ausgaben des industriell-bürokratischen Nexus, der um das Pentagon herum geformt worden ist, zu warnen.

In der Zwischenzeit hat – allem Nein-Sagen zum Trotz – ein beträchtliches Maß an Konversion tatsächlich stattgefunden. Allgemein verstanden als der Transfer von Humanressourcen, Technologien, Kapital und Einrichtungen in Richtung von Aktivitäten, die nichts mit Rüstung zu tun haben, hat es die Mehrzahl der Firmen aller Größenordnungen verstanden, ihre Rüstungsabhängigkeit zu reduzieren und ihre Verkäufe in zivilen Märkten zu steigern. Viele haben außergewöhnliche Anstrengungen unternommen, um die interne Organisation zu verändern, kostenorientiertes Design und Produktion einzuführen und insbesondere beim Marketing Know-how von außen einzubeziehen. Ihr bescheidener Erfolg unterstreicht nur, was mit einem klaren Regierungsprogramm und effektiver Konversionsunterstützung hätte erreicht werden können. In den neunziger Jahren haben die Politiker unglücklicherweise den Erfolg der GI Bill, des Marshall Plans und lokaler Unternehmensinitiativen durch die Committees for Economic Development vergessen und das Geschäft der Konversion den Firmen selbst überlassen.

Eisengeometrie

Konversion funktioniert, das eiserne Dreieck funktioniert jedoch auch. Wo Privatunternehmen und Gemeinden erfolgreich waren, waren sie dies trotz des Drucks von der Wall Street, rüstungsabhängig zu bleiben, und eher trotz der Regierungspolitik (die zu viele Anreize bietet, rüstungsabhängig zu bleiben) als mit ihrer Hilfe. In den Vereinigten Staaten hat eine intensive Forschung auf der Basis von Interviews und Umfragen in den Firmen begonnen, um definitive Belege zu erlangen, wo die Regierungsunterstützung am erfolgreichsten gewesen ist: Hiernach war die Regierung bei der zur Verfügungstellung alternativer Märkte für Firmen (hauptsächlich auf der nationalen Ebene), der Überbrückung von Finanzierungsengpässen (hauptsächlich auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene) und der rechtzeitigen technischen Unterstützung am effektivsten.

Aber der militärisch-industrielle Komplex ist, trotz all seines Glanzes und seiner Befehlsgewalt über menschliche High-Tech-Ressourcen, nur ein bescheidener Teil der amerikanischen Wirtschaft. Reduziert auf ungefähr fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts – wenn auch mit einem disproportional großen Anteil an amerikanischer High-Tech-Forschung und -Produktion – ist es schwierig einzusehen, warum der Komplex in seinen Bestrebungen, die Budgets hochzuhalten, Waffenexporte zu liberalisieren, gigantische Unternehmen zu bilden und eine potentiell destabilisierende Rüstungsforschungsagenda zu verfolgen, notwendigerweise die Oberhand gewinnen soll. Die Erklärung, die Hooks und Bischak geben, liegt in der Abschottung des Pentagon und seinen inzestösen Verbindungen mit den Unternehmen des privaten Sektors.

Aber das Problem ist auch ein Versagen politischer Führung. Präsident Clintons Initiativen haben genau deshalb zu kurz gegriffen, weil er nicht bereit war, die Sicherheitspolitik zu überdenken und weil er einen Kader von militärischen High-Tech-Unternehmern und industriefreundlichen Bürokraten an der Spitze des Pentagon placiert hat. Deshalb werden wir bald mit den langfristigen Sicherheitskonsequenzen eines monopolisierten und internationalisierten Angebotssektors zu ringen haben, in dem die USA fundierte High-Tech-Waffen weltweit proliferieren.

Die kleine Gruppe akademischer Analytiker und Kritiker mit Insiderkenntnissen darüber, wie der Sicherheitsstaat operiert, spricht vorwiegend mit sich selbst. Es mag so scheinen, als sei die Überprüfung der Beziehungen zwischen Pentagon und Industrie zu komplex und esoterisch, um breites öffentliches Interesse erwecken zu können. Doch der Kalte Krieg beginnt Geschichte zu werden. Militärische Bedrohungen unseres nationalen Interesses haben abgenommen. Weltweiter ökonomischer Wettbewerb intensiviert sich. Die Probleme der Armen und der Älteren werden zu immer größeren sozialen und fiskalischen Herausforderungen. Früher oder später werden diese Tatsachen zu einer Erhebung gegen das Pentagon führen und eine neue Einschätzung der amerikanischen Rüstungskonversion erzwingen. Zu diesem Zeitpunkt ist öffentliche Wachsamkeit dringend erforderlich. Wenn Amerika ein verantwortliches Militärbudget und eine effektive Konversionsstrategie bekommen soll, müssen die Anwälte von Beschäftigungs-, Gesundheits-, Wohlfahrts- und Umweltprogrammen jetzt das Wort ergreifen. Rüstungsplaner sollten sich ebenfalls zu Wort melden: Amerikas Sicherheit wird am besten durch ein kleineres Rüstungsprogramm gedient sein.

Literatur

Adams, Gordon (1981): The Iron Triangle: The Politics of Defense Contracting, Council on Economic Priorities.

Alic, John / Lewis Branscomb / Harvey Brooks / Asthon Carter / Gerald Epstein (1992): Beyond Spinoff: Military and Commercial Technologies in a Changing World, Harvard Business School Press.

Bonn International Center for Conversion; Conversion Survey 1996 (1996): Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization, Oxford University Press.

Cassidy, Kevin / Gregory Bischak (eds.) (1993): Real Security: Converting the Defense Economy and Building Peace, State University of New York Press.

Gansler, Jacques (1995): Defense Conversion: Transforming the Arsenal of Democracy, MIT Press.

Hooks, Gregory (1991): Forging the Military-Industrial Complex: World War II's Battle of the Potomac, University of Illinois Press.

Kaufman, William / John Steinbrunner (1991): Decisions for Defense: Prospects for a New Order, Washington D.C.: Brookings Institution.

Weidenbaum, Murray (1992): Small Wars, Big Defense: Paying for the Military after the Cold War, Oxford University Press.

Reprinted with the Permission of the American Prospect, vol 33, July-August Copyright 1997, P. O. Box 383080, Cambridge, Ma. 02238. All rights reserved. Übersetzung und Kürzung für W&F: Margitta Matthies

Ann Markusen ist Professorin und Direktorin des Project on Regional and Industrial Economics an der Rutgers University, New Jersey, USA und Senior Fellow am Council on Foreign Relations, New York. Sie war im 1. Halbjahr 1997 als Gastwissenschaftlerin am Bonn International Center for Conversion (BICC).