Konversion 2.0

Konversion 2.0

Erleben wir eine neue Runde der Rüstungskonversion?

von Herbert Wulf

Unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in vielen Ländern einige Jahre lang zahlreiche militärische Aktivitäten in zivile konvertiert. Finanzmittel wurden frei, weil die Militärausgaben sanken; militärische Forschung und Entwicklung wurde umorientiert. Es wurden Rüstungsproduktionskapazitäten abgebaut und zum Teil zivil genutzt, Soldaten demobilisiert, militärische Liegenschaften abgegeben und Waffen abgerüstet und verschrottet. Dürfen wir jetzt mit einer zweiten Runde Konversion (Konversion 2.0) rechnen?

In vielen Ländern müssen militär- und sicherheitspolitische Strategien überdacht werden, weil die globale Finanzkrise tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen hat. Die konservative Regierung in Großbritannien hat drastische Kürzungen des Haushaltes veranlasst und bis dato sakrosankte Rüstungsprojekte von Einschnitten und Streichungen nicht ausgenommen. In Frankreich ist die Lage ähnlich. In Deutschland wird in den nächsten fünf bis acht Jahren eine Reform der Bundeswehr durchgeführt, und das Verteidigungsministerium ist aufgefordert, zwischen 2011 und 2014 rund 8,3 Milliarden Euro einzusparen. Derartige Zwänge haben Folgen für die Struktur der Streitkräfte und die Rüstungsindustrie. Der militärische Sektor muss sich verändern. Damit ist eine Chance für die Umstellung und Umorientierung militärischer auf zivile Aktivitäten gegeben.

Bevor aber die heutigen Perspektiven für Konversion zu euphorisch begrüßt werden, lohnt ein Blick auf die Ergebnisse der Konversionsrunde eins nach dem Ende des Kalten Krieges.

Wo ist die Friedensdividende geblieben?

In der öffentlichen Meinung ist der Eindruck entstanden, die Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Konversion in der ersten Hälfte der 1990er Jahre seien ein völliger Fehlschlag gewesen, weil danach wieder kräftig aufgerüstet wurde. Diese Einschätzung enthält einen wahren Kern, ist aber nicht ganz richtig. Ein Blick auf die sechs Felder der Konversion, wie sie das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) bei seiner Gründung 1994 definiert hatte,1 zeigt deutlich, wo und wie Konversion möglich war, wo eine Friedensdividende erzielt wurde und wo Abrüstungsfortschritte wieder umgekehrt wurden.

Finanzen

Als nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes zahlreiche Regierungen der Welt die Ausgaben für ihre Streitkräfte drastisch senkten, wurden zunächst tatsächlich erhebliche finanzielle Mittel frei. Die globalen Rüstungsausgaben sanken von rund 1.000 Milliarden US-Dollar jährlich in den Jahren 1995, 1996 und 1997 auf unter 700 Milliarden US-Dollar. Die kumulierte Summe der Einsparungen betrug für das gesamte Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges mehr als 2.500 Milliarden US-Dollar.

Heute haben die Weltmilitärausgaben jedoch die Zahlen des Kalten Krieges längst wieder überschritten. SIPRI hat sie für das Jahr 2009 mit über 1.500 Milliarden US-Dollar beziffert – also mehr als 50% über dem Niveau von 1989. Die militärische Bürde beträgt damit rund 2,7% des globalen Bruttosozialproduktes oder 224 US-Dollar pro Person.2 Zwar liegt die Belastung heute niedriger als vor 20 Jahren, weil die Weltwirtschaft schneller wuchs als die Militärausgaben, aber die Erhöhung der Militärausgaben hat dennoch andere Ausgaben verdrängt – mit entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Die Friedensdividende von damals ist längst wieder verschwunden.

Forschung und Entwicklung

Forschung und Entwicklung bildeten den Kern des technologischen Wettrüstens zwischen Ost und West. Von den fünf bis sieben Millionen Menschen, die 1990 weltweit im Bereich von Forschung und Entwicklung beschäftigt waren, arbeiteten geschätzte 1,5 Millionen Wissenschaftler und Ingenieure für die Rüstung. Zwar gab es große Erwartungen hinsichtlich des Wissenspotentials, das statt in Rüstung in zivil nützliche Entwicklungen gesteckt werden könnte, doch dies geschah nur in geringerem Maß. Es gelang einigen Rüstungslabors und Forschungsabteilungen, sich umzuorientieren, doch nicht in großem Stile. Bedeutsamer war, dass Wissenschaftler und Ingenieure der ehemaligen Sowjetunion in großer Zahl arbeitslos wurden, weil die Wirtschaft am Boden lag und für zivile Alternativen die Mittel fehlten.

Eine der Strategien der großen Rüstungsnationen war damals, die quantitativen Einschnitte (beispielsweise bei der Zahl der Nuklearwaffen, Raketen, Panzer, Flugzeuge und Schiffe) durch Modernisierung zu kompensieren, und dafür investierten sie in Forschung und Entwicklung. Dies ist bis heute die vorrangige Strategie, und es ist zu erwarten, dass Kürzungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich (wenn es denn überhaupt Kürzungen geben sollte) sanfter ausfallen, als bei anderen Posten der Militärausgaben.

Rüstungsproduktion und Diversifizierung

Die Zahl der weltweit Beschäftigten in der Rüstungsindustrie ging in den 1990er Jahren dramatisch zurück. 1989 waren es 16,8 Millionen, zehn Jahre später nur noch 8,9 Millionen.3 Die ehemaligen Beschäftigen haben zum großen Teil neue Arbeitsplätze außerhalb der Rüstungsindustrie gefunden. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen haben es verstanden, sich der verringerten Nachfrage nach Waffen anzupassen, haben auf zivile Produkte umgestellt und sind zum Teil aus der Rüstungsproduktion ganz ausgestiegen. In dieser Zeit wurde der Rüstungsmarkt von ausrangierten Waffen überschwemmt (man denke etwa an die Abrüstungsvereinbarungen im KSE-Vertrag, der eine Reduzierung um 50.000 schwere Waffen in Europa vorsah). Die geschätzte Zahl schwerer Waffen in den Arsenalen der Streitkräfte ging bis 1995 von rund 625.000 Stück auf 495.000 zurück.4

Obwohl für die letzten Jahre keine genauen globalen Beschäftigtenzahlen der Rüstungsindustrie vorliegen, gibt es aus einzelnen Ländern genügend Hinweise darauf, dass die Zahl bis heute weiter gesunken ist. Für die Rüstungsindustrie bot der Weltmarkt damals keine Alternative zur sinkenden Produktion. Dies hat sich inzwischen geändert, und die in Bedrängnis geratene Rüstungsindustrie in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien usw. lobbyiert – intensiv und nicht ohne Erfolg – die jeweils nationalen Regierungen, ihre Exportbemühungen zu unterstützen. Allerdings muss auch heute noch mit einem weiterem Abbau von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie gerechnet werden.

Waffenarsenale und überschüssige Waffen

Viele staatliche und nichtstaatliche Akteure wurden vom Umfang der Abrüstung in den 1990er Jahren überrascht, und sie fühlten sich mit den damit verbundenen sicherheitspolitischen und praktischen Fragen des Abrüstungsmanagements überfordert. Denn was tun mit den überschüssigen Waffen? Wohin mit tausenden Nuklearsprengköpfen und dem darin enthaltenen Uran und Plutonium? Wie sollten die Chemiewaffen, die komplett verboten wurden, entsorgt werden? Welche Technologien benötigte man, und welche politischen und finanziellen Restriktionen gab es? Das positive Ergebnis der weltweiten Abrüstung wurde durch neue Risiken etwas getrübt. Ein Teil des Problems wurde durch eine »Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn«-Politik auf unverantwortliche Weise in Angriff genommen: Waffen wurden in großer Zahl verschenkt und verkauft, gerade auch von Deutschland, aber nicht nur von hier. Vieles wurde aber auch fachgerecht demilitarisiert und verschrottet. Allerdings musste ein Teil der Friedensdividende für die Entsorgung der Waffen aufgewendet werden. Obgleich Waffen oder anderes militärisches Gerät nur selten für zivile Zwecke umgenutzt werden können, bleibt der Abbau dieser Waffen dennoch ein wichtiges Ergebnis der Abrüstungsbemühungen und kann durchaus als Friedensdividende verstanden werden.

Auch heute noch sinkt in vielen Ländern die Stückzahl der Waffen in den Arsenalen. Nur wenige Länder (beispielsweise China) rüsten weiterhin quantitativ auf. Doch die Reduzierungen erreichen längst nicht die Dimensionen der 1990er Jahre. Im Wesentlichen handelt es sich bei dem Abbau heute um Gerät und Waffen, die aus Altersgründen ausgemustert und verschrottet oder exportiert werden.

Soldaten und ihre Demobilisierung und Reintegration

Drastische Einschnitte gab es auch bei der Zahl der Soldaten. Von fast 29 Millionen Soldaten in den Streitkräften weltweit wurden in den 1990er Jahren und danach rund zehn Millionen demobilisiert.5 In den großen Industrieländern fanden die demobilisierten Soldaten meist andere Jobs, zum Teil bei privaten Militär- und Sicherheitsfirmen. In vielen Entwicklungsländern hingegen gab es für demobilisierte Soldaten, Rebellen oder Milizen kaum zivile Alternativen. Dies ist in manchen Ländern zu einem erheblichen Unsicherheitsfaktor geworden, denn die nicht integrierten Ex-Kämpfer entwickelten sich mancherorts zu marodierenden Banden. Auch in den von den Vereinten Nationen kräftig unterstützten »Disarmament, Demobilization and Reintegration«-Programmen hat die Reintegration längst nicht flächendeckend funktioniert.

In vielen Ländern wird die Zahl der aktiven Soldaten heute weiter reduziert – meist zurückzuführen auf finanzielle Belastungen der öffentlichen Haushalte. So soll die Bundeswehr in den nächsten Jahren auf rund 185.000 Soldaten schrumpfen. Geringere Personalstärken sind aber nicht gleichbedeutend mit Abrüstung. Im Gegenteil: Mit den Strukturveränderungen und Reformen geht zumeist eine militärische Effizienzsteigerung einher. Die Armeen werden mit moderneren Waffen ausgerüstet, und viele traditionell militärische Aufgaben werden ausgelagert und privaten Militär- und Sicherheitsfirmen übertragen. In Afghanistan sind heute für das Pentagon mehr Mitarbeiter dieser Firmen tätig als amerikanische Soldaten.6 Von einer Friedensdividende oder Konversion in diesem Bereich kann daher keine Rede mehr sein.

Militärische Liegenschaften

Im Gefolge der Abrüstung in den 1990er Jahren wurden Tausende militärische Liegenschaften für zivile Zwecke umgewidmet, vor allem in Europa. Die ehemaligen Militärgelände sind die eigentliche Friedensdividende der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs. In der Regel wehrten sich die Gemeinden und Regionen gegen die Schließung von Militäranlagen, weil Arbeitsplätze in Gefahr gerieten. Da Militäranlagen oft in wenig entwickelten Regionen lagen, drohte die Gefahr, wirtschaftlich noch weiter abzurutschen. Zumeist waren dies Worst-Case-Analysen. De facto entstanden kreative Projekte auf den ehemaligen Militärgeländen: Verwaltungsgebäude wurden zu Bildungseinrichtungen, manche Gemeinden erhielten plötzlich Raum für attraktive Wohngebiete und Parks, Industrieansiedlung gelang, Regionalflughäfen entwickelten sich, und selbst in Munitionsbunkern entstanden interessante Freizeitparks und Firmenniederlassungen.

Auch heute muss in Deutschland im Zuge der Bundeswehrstrukturreform wieder mit der Schließung von militärischen Liegenschaften gerechnet werden – es geht um ein Viertel der noch verbliebenen 400. Und wieder pilgern Bürgermeister und Abgeordnete nach Berlin, um den »eigenen« Standort vor der Schließung zu bewahren. Doch bieten sich erneut Chancen, Militäranlagen einer sinnvollen zivilen Nutzung zuzuführen.

Konversion heute?

Ist nun angesichts der Finanzkrise und den daraus resultierenden Engpässen in den öffentlichen Haushalten vieler Länder mit Kürzungen der Militärausgaben zu rechnen? Sind dynamische Abrüstungsbemühungen im Gange und Abrüstungsverträge zu erwarten, die eine zweite Konversionsrunde wahrscheinlich machen?

Die Situation heute ist in keiner Weise mit den Jahren 1989-1995 vergleichbar. Damals gab es weltweit nur wenige Länder, die nicht abgerüstet haben, vor allem im Mittleren Osten und in Afrika, wo sich manche Länder im Krieg befanden. Weltweit waren aber – wenn auch nur für wenige Jahre – Abrüstungsinitiativen und Konversionseuphorie im großen Stile spürbar, und einige Konversionsmaßnahmen wurden auch umgesetzt.

Heute sind die Perspektiven für Konversion 2.0 ernüchternd. Zwar haben die USA und Russland nach vielen Jahren der Verzögerung ein Abkommen (START-neu) abgeschlossen, in dem sich die beiden Länder verpflichten, die Zahl der strategischen nuklearen Sprengköpfe auf 1.550 zu reduzieren und auch Trägersysteme abzurüsten. Dieses Abkommen mag zwar atmosphärisch wichtig sein, ändert jedoch wenig an der nuklearen Überrüstung und den aktuellen Modernisierungsprogrammen. Auch bei der konventionellen Rüstung steht die Modernisierung der Waffensysteme bei mäßiger quantitativer Einschränkung auf der Tagesordnung.

Die Haushaltsdiskussionen in vielen europäischen Ländern (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien), die angekündigten Kürzungen der Militärausgaben und die Streckung und Streichung bereits beschlossener Rüstungsprojekte könnten den Eindruck vermitteln, es gäbe eine zweite Konversionsrunde. Global betrachtet ist dies jedoch eine Fehlwahrnehmung.

Tabelle 1 illustriert das Wachstum der Militärausgaben im letzten Jahrzehnt. Die meisten Länder mit hohen Militärausgaben legten kräftig zu und bauten ihre dominante Stellung aus. Mit Ausnahme des Mittleren Ostens wuchsen die Militärausgaben in allen Regionen der Welt, besonders stark in Asien. Aus der Gruppe der 15 Länder mit den höchsten Militärausgaben senkten nur Japan, Deutschland und Italien die Militärausgaben im letzten Jahrzehnt. China und Indien rüsten weiter kräftig auf, quantitativ wie qualitativ. Gleiches gilt auch für Russland. Die USA haben einen riesigen Militäretat, der 43% der globalen Militärausgaben ausmacht. Die Mitgliedsländer der NATO bestreiten ungefähr zwei Drittel der globalen Militärausgaben. Weder in China noch in Indien – beide haben die Finanzkrise weitgehend unbeschadet überstanden – ist mit Einschränkungen zu rechnen, selbst nicht in den USA, obwohl die Wirtschaft dort unter der enorm hohen Verschuldung der öffentlichen Hand ächzt. Die politischen Verhältnisse in den USA lassen vielmehr weitere Aufrüstung befürchten. Und die Regierung Russlands nutzt die steigenden Rohstoffeinnahmen, um den verlorenen Großmachtstatus zumindest militärisch zu kompensieren.

Tabelle 1: Die 15 Länder mit den höchsten Militärausgaben

Rang Land Ausgaben
(Milliarden US$)
Veränderung 2000-2009 (%) Pro-Kopf-
Ausgaben (US$)
Anteil am BSP (%) Globaler Anteil (%)
1. USA 661 75,8 2100 4,3 43
2. China 100* 217 74,6* 2,0* 6,6*
3. Frankreich 63,9 7,4 1026 2,3 4,2
4. GB 58,3 28,1 946 2,5 3,8
5. Russland 53,3* 105 378* 3,5* 3,5*
1.-5.   937       61
6. Japan 51,0 -1,3 401 0,9 3,3
7. Deutschland 45,6 -6,7 555 1,3 3,0
8. Saudi-Arabien 41,3 66,9 1603 8,2 2,7
9. Indien 36,3 67,3 30,4 2,6 2,4
10. Italien 35,8 -13,3 598 1,7 2,3
1.-10.   1147       75
11. Brasilien 26,1 38,7 135 1,5 1,7
12. Südkorea 24,1 48,2 499 2,8 1,6
13. Kanada 19,2 48,8 568 1,3 1,3
14. Australien 19,0 50,2 892 1,8 1,2
15. Spanien 18,3 34,4 408 1,2 1,2
1.-15.   1254       82
  Welt 1531 49,2 224 2,7 100
* geschätzt

Quelle: SIPRI Yearbook 2010, Oxford University Press, S.203

In der Europäischen Union deuten die Zeichen auf ein Einfrieren oder gar eine geringe Kürzung der Ausgaben mit entsprechenden Umstrukturierungen. „Mehr Verteidigung mit weniger Geld“, so lautet die offizielle Politik. Es ist beabsichtigt, die jeweiligen Armeen noch konsequenter auf Auslandseinsätze zu trimmen und die Territorialverteidigung weiter zu begrenzen. Ein solches Programm wird Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie kosten, Jobs bei den Streitkräften (militärische wie zivile) reduzieren und weitere militärische Liegenschaften überflüssig machen. Um soziale und wirtschaftliche Schäden besonders in schwach entwickelten Regionen zu minimieren, wäre ein europäisches Programm »Konversion 2.0« zweifelsohne nützlich. Die EU könnte aus der Not der riesigen Finanzprobleme eine Tugend zur Umstellung militärischer auf zivile Strukturen machen.

Anmerkungen

1) Edward J. Laurance/Herbert Wulf (1995): Conversion and the Integration of Economic and Security Dimensions: BICC Report 1, Bonn; www.wulf-herbert.de/biccreport1.pdf.

2) Stockholm International Peace Research Institute: SIPRI Yearbook 2010, S.214.

3) BICC, Conversion Survey (Jahrgänge 1996 und 2005).

4) BICC, Conversion Survey 1997, Oxford University Press, S.70-74.

5) BICC Conversion Survey, verschiedene Jahrgänge, Oxford University Press und NOMOS Verlagsgesellschaft.

6) Commission on Wartime Contracting in Iraq and Afghanistan: At What Cost? Contingency Contracting in Iraq and Afghanistan. Interim Report June 2009, Arlington; www.wartimecontracting.gov/docs/CWC_Interim_Report_ At_What_Cost_06-10-09.pdf.

Prof. Dr. Herbert Wulf war von 1994 bis 2001 Leiter des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), er forschte am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH) und bei SIPRI in Stockholm. Er ist heute als Fellow assoziiert mit dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) in Duisburg.

Zero is the only option

Zero is the only option

19. IPPNW-Weltkongress, 27.-29. August 2010, Basel

von Barbara Dietrich

Die IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) wurde im Jahre 1980 gegründet mit dem Ziel, einen Atomwaffenteststopp durchzusetzen, und hat mittlerweile 250.000 Ärzte/innen und Medizinstudenten/innen aus 80 Ländern als Mitglieder. 1984 erhielt die Organisation den UNESCO-Friedenspreis, 1985 den Friedensnobelpreis. Die deutsche Sektion nennt sich Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung und existiert seit 1982; damals verpflichteten sich die Gründungsmitglieder, sich nicht an kriegsmedizinischen Maßnahmen zu beteiligen. Alle zwei Jahre hält die IPPNW einen weltweiten Kongress ab; das Motto des 19. Weltkongresses im August 2010 lautete »nuclear abolition: for a future«.

Ausgehend von der Tatsache, dass weltweit noch immer mehr als 22 000 Atomsprengköpfe vorgehalten werden und sich die Zahl der Atomwaffenmächte seit 1968, dem Jahr der Unterzeichnung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV), von fünf auf neun Staaten erhöht hat, war dieser Vertrag mit seiner Geschichte, seinen inhaltlichen Schwächen und seiner Implementierung ein wesentlicher Schwerpunkt des Kongresses. Die im Frühjahr 2010 abgehaltene 8. Überprüfungskonferenz zum NVV wurde von allen Referenten/innen kritisch bewertet, vor allem, weil auch dieses Mal keine Fristen vereinbart wurden, innerhalb derer die Atommächte verpflichtet sind, ihre Atomwaffen zu reduzieren bzw. vollständig abzuschaffen.1 Eindringlich wurde gewarnt vor der „schonungslosen Effizienz der Atombomben“, welche die Forderung nach der Durchsetzung einer so genannten Atomwaffenkonvention unbedingt erforderlich mache. Ein solcher von relevanten Friedensorganisationen (IALANA, INESAP, IPB und IPPNW) konzipierter und vom UN-Generalsekretär mittlerweile in seinen eigenen Forderungskatalog aufgenommener Vertragsentwurf nämlich legt konkrete Schritte zur atomaren Abrüstung innerhalb eines verbindlichen Zeitrahmens fest und bezieht Atomwaffen jeglicher Bauart oder Zerstörungskraft sämtlicher Atomwaffenstaaten ein.

Plenarveranstaltungen zur Geschichte der atomaren Abrüstung, zu den diesbezüglichen Positionen der Nuklearmächte und zu ihrer Verantwortung, zu Wirtschaft und Atomwaffen wie zu Globalisierung, Krieg und atomarer Abrüstung vermittelten einen umfassenden Überblick über das Thema des Kongresses.

Angesichts der kürzlich durchgeführten Castor-Transporte war das Plenum zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Kernkraftwerke von großer Aktualität und Brisanz. Referenten verwiesen auf die im Jahre 2007 publizierte KiKK-Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters,2 in der nachgewiesen wurde, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Krebs bzw. Leukämie desto größer ist, je näher ein Kind an einem AKW wohnt. Forschungen in Russland hatten ergeben, dass eine geringe, aber länger anhaltende Strahlendosis im Hinblick auf das Krebsrisiko für den Menschen ebenso gefährlich ist, wie eine hohe einmalige radioaktive Strahlendosis, wie sie etwa durch die Hiroshima-Bombe ausgelöst worden war.

Im Workshop »Positionen der Obama-Administration zur nuklearen Abrüstung« wurde deutlich gemacht, dass der US-Präsident von republikanischer Seite erheblichen Widerstand gegen weitere Abrüstungszugeständnisse zu erwarten habe. Diese Einschätzung erweist sich als zutreffend, wenn man liest, dass die Republikaner nach den Kongresswahlen versicherten, dem neuen START-Vertrag (Abkommen USA-Russland vom 8.4.2010 über die weitere Reduzierung und Begrenzung der strategischen Atomwaffen) nur dann zustimmen zu wollen, wenn die Regierung im Gegenzug mehr Geld für die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffenarsenale zur Verfügung stellt und ein Raketenabwehrsystem aufbaut (FAZ 4.11.2010). Linke Demokraten dagegen fordern von Obama, schnellere und weitergehende Abrüstungsschritte zu initiieren. Von dritter Seite wächst ebenfalls Druck in Richtung Abrüstung, wie der Aufruf hochrangiger US-Politiker (G. Shultz, W. Perry, H. Kissinger, S. Nunn) »Für eine Welt ohne Atomwaffen« aus dem Jahre 2007 beweist.

Ein anderer Workshop hatte die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten und Mittelmeerraum zum Inhalt. Diese war von 22 arabischen Staaten – alle Unterzeichner des NVV-Vertrages – im März 2010 anlässlich ihres Treffens in Libyen gefordert worden. Auch in der Abschlusserklärung der NVV-Überprüfungskonferenz 2010 wird dieses Ziel unterstützt; hier ist sogar von einer von atomaren, biologischen und chemischen Waffen freien Zone die Rede und davon, dass im Jahre 2012 dazu eine Konferenz einberufen werden solle – unter Einbeziehung Irans und Israels.

In diesem Workshop wurde von vielen Seiten – z.B. von Vertretern Italiens, Palästinas, Israels, Pakistans – lebhaft und kontrovers diskutiert. Der Vertreter des Irans, Berater in der Ständigen Vertretung der Islamischen Republik Iran in Genf, gab eine längere Erklärung ab. Atomwaffen, so führte er aus, hätten in der Verteidigungsdoktrin seines Landes und angesichts der Unterzeichnung des NVV-Vertrags durch den Iran keinen Platz. Allerdings beanspruche der Iran das Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie, was aber unstreitig vertragskonform sei. Das Motto der iranischen Atompolitik laute demzufolge: „Atomenergie für alle, Nuklearwaffen für niemanden.“ Bezug nehmend auf Israel wies er darauf hin, dass dort hunderte Atomwaffen stationiert seien und dass Israel darin bedingungslos von den USA und ihren Verbündeten unterstützt werde. Demgegenüber übe die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) gegenüber seinem Land, dem Iran, ein beispiellos strenges Kontrollregime aus, und auch der UN-Sicherheitsrat sei – unnützerweise – zu Lasten des Iran in den Konflikt involviert worden. Das alles zeige, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werde. Schließlich sprach sich auch dieser Referent mit Nachdruck für eine atomwaffenfreie Zone im Mittleren Osten aus und dafür, dass Israel als einzige Atommacht in dieser Region dem NVV beitreten und sich der Kontrolle der IAEO unterstellen müsse – dann würde das anvisierte Ziel rasch in greifbare Nähe rücken.

Konsens bestand unter den Teilnehmern/innen dieses Workshops darüber, dass die nuklearwaffenfreie Zone ein erster wichtiger Schritt zu einem umfassenden Frieden im Mittleren Osten sei. Der Vorschlag, in der israelisch-palästinensischen Region eine Konferenz zu diesem Thema einzuberufen, wurde einhellig begrüßt. Angesichts wiederholter Pressemeldungen, dass Israel einen Angriff auf den Iran in Erwägung ziehe, wurde der IPPNW als Teilnehmerin einer solchen Konferenz u.a. die Rolle zugewiesen, aus fachlicher Sicht deutlich zu machen, welch verheerende Folgen ein Krieg gegen den Iran haben würde.

Hervorgehoben sei weiterhin der Vortrag eines indischen Politologen und Nuklearexperten, der sich mit der ökonomischen Krise und der Friedensbewegung befasste. Der Neoliberalismus bringe, so trug er vor, eine globale Marktordnung hervor, die von einer umfassenden Militarisierung über alle nationalen Grenzen hinweg abgesichert werde. Mit dieser Militarisierung werde nicht mehr die Durchsetzung konkret bestimmter, begrenzter Ziele verfolgt, sondern generell die Absicherung der neoliberalen Wirtschaftsordnung ohne Rücksicht auf Grenzen und auf unbestimmte Zeit. Dem müsse sich die Friedensbewegung stellen. Sie könne nicht mehr nur eine Bewegung sein, die auf eine Welt ohne Krieg hinarbeitet, sondern müsse vielmehr mit dem Kampf gegen alle Arten von ökonomischer, sozialer und kultureller Ungerechtigkeit verbunden werden. Das Weltsozialforum z.B. sei eine Bewegung dieser Art. Auch der fortdauernde Kampf für nukleare Abrüstung müsse mit dem weiterreichenden Kampf gegen Militarismus, ungerechte Kriege und Besetzung verbunden werden. Vor allem aber müsse moralische Indifferenz bekämpft und überwunden werden, damit die nukleare Abrüstung Realität werden könne – dies sei die Lehre aus Fortschritten des vergangenen Jahrhunderts: Ende der Apartheid, schnelles und unblutiges Ende der autoritären Sowjetunion, politische Niederlage der USA gegenüber den Vietnamesen etc.

Im abschließenden Plenum kamen – last but not least – die »non-haves« zu Wort: Vertreter/innen von atomwaffenfreien Staaten prangerten Höhe und Zunahme der weltweiten Rüstungsausgaben an (knapp 6% in 2009 gegenüber 2008), die im Jahre 2009 insgesamt 1,53 Billionen US-Dollar betrugen. Auch sie forderten mit großem Nachdruck die Umsetzung des NVV-Vertrages und die Durchsetzung einer Atomwaffenkonvention, setzten dabei allerdings ihre Hoffnung weniger auf die von nationalen Interessen dominierten Regierungen als auf politischen Druck von Seiten der Zivilgesellschaft – wohl wissend, dass hier noch sehr viel motivierende und aktivierende Arbeit zu tun sein wird.

Tagungsort des Kongresses war Basel, Tagungslokalität die alte, im Jahr 1460 gegründete, Universität: ein Ort, adäquat für einen solch kompakten und konzentrierten Kongress, der viele renommierte Wissenschaftler/innen, bekannte Politiker/innen (immerhin ließ der russische Präsident Medwedew eine Grußadresse verlesen) und Studenten/innen aus aller Welt zu Informationsaustausch und -weitergabe, zu Reflexion und Diskussion zusammengeführt und das Netzwerk unter Gleichgesinnten sicherlich enger geknüpft hat.

Anmerkungen

1) Siehe Rebecca Johnson, Die NVV-Konferenz 2010, in W&F 3-2010.

2) Bundesamt für Strahlenschutz: Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie). Salzgitter, 2007; www.bfs.de/de/bfs/druck/Ufoplan/4334_KIKK.html.

Barbara Dietrich

Warum jetzt?

Warum jetzt?

von Steve Leeper

Fünf Monate nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima lag der Philosophieprofessor Ichiro Moritaki mit seinen Verletzungen im Krankenbett. Er ging in seinen Gedanken der Frage nach, welche Sinn diese neue Waffe hat, die seine Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte. Er kam zum Schluss, der Sinn der Atombombe liege letztlich darin, dass die Menschheit auf Gewalt als Mittel der Konfliktlösung verzichten müsse.

Moritaki war schon 1945, also noch vor der Wasserstoffbombe, klar, dass die Menschen jetzt lernen müssten, unser Gewaltpotential unter Kontrolle zu halten, oder wir machen unseren Planeten unbewohnbar. Daher erklärte er, die Atombombe markiere das Ende der »Zivilisation von Macht« und den Beginn einer neuen »Zivilisation der Liebe«.

Moritaki stand fast 40 Jahre lang an der Spitze von Hidankyo, dem größten Zusammenschluss von Atombombenopfern. Als er im Alter von 93 Jahren starb, war es vor allem sein Verdienst, dass die Wut von Hiroshima sich zunehmend weg von den USA und auf die Atomwaffen selbst richtete. Er hinterließ der Welt auch das Konzept einer »Friedenskultur«. Die Hiroshima Peace Culture Foundation hat zwei Ziele: das eine ist sicherzustellen, das die Welt nie vergisst, was am 6. August 1945 geschah; das andere ist mitzuhelfen bei der Transformation unserer Gattung von der momentanen Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens.

Der Menschheit fällt es äußerst schwer, sich die Gewalttätigkeit abzugewöhnen. In den nächsten zwei oder drei Jahren werden wir entscheiden, ob Atomwaffen abgeschafft werden oder sich weiter verbreiten. Wenn wir die Weiterverbreitung zulassen, werden sie schließlich auch eingesetzt. Wenn Atomwaffen erneut eingesetzt werden, dann verlieren wir rasch den dünnen Zivilisationsfirnis, der unser zerbrechliches, interdependentes, globales sozio-politisch-ökonomisches System zusammenhält. Dann stürzen wir in einen Strudel der Gewalt, neben dem der Zweite Weltkrieg wie ein Honiglecken wirken wird.

Die Entscheidungen über unseren weiteren Umgang mit Atomwaffen, die bei der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages im Mai 2010 gefällt werden, haben Konsequenzen weit über die Zukunft dieser Waffensysteme hinaus. Wir entscheiden gleichzeitig, ob wir die zahlreichen, unser Leben bedrohenden globalen Probleme durch Dialog, Verhandlungen, Abkommen und Völkerrecht lösen oder durch eine radikale und gewalttätige Reduktion der menschlichen Bevölkerung.

Das US-Imperium bricht momentan zusammen. Historisch wurde der Zusammenbruch eines Imperiums immer von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten lang währender Gewalt begleitet. Die Destabilisierungswirkung der Veränderungen, die wir jetzt erleben, gehen aber weit über den bloßen Zusammenbruch eines Imperiums hinaus. Die Jahrhunderte lange Dominanz der weißen Menschen kommt zum Ende. In den nächsten 20 Jahren werden sich die globalen ökonomischen und kulturellen Machtzentren von den USA und Europa nach China und Asien verschieben. Die Ära des billigen Öls geht zu Ende. Der Konkurrenzkampf um Öl, andere Rohstoffe, Land und sogar Wasser wird sich rasch verschärfen. Unser heutiger Lebensstil hängt, insbesondere in den USA, vollständig von billigem Öl ab. Dieser Zustand ist ganz offensichtlich nicht nachhaltig. Wie gelingt uns der Übergang? Durch friedlichen Dialog und Teilhabe? Oder in einem wahnsinnigen, gewalttätigen Kampf um die Macht?

Wenn wir uns für letzteren entscheiden, machen wir unseren Planeten unbewohnbar. Selbst wenn wir zunächst den Einsatz von Atomwaffen noch vermeiden, verfügen wir doch über chemische und biologische Waffen, Agent Orange, abgereichertes Uran und ein riesiges Arsenal von Waffen mit entsetzlichen und langanhaltenden Folgen. Und wenn Atomwaffen weiterhin einsatzbereit gehalten werden, ist es nicht schwer, sich eine rasante Eskalation vorzustellen, die die Erde zu kalt oder zu radioaktiv macht, um menschliches Leben zu ermöglichen.

Und sogar wenn wir diese tödliche globale Gewalt vermeiden, wird unsere industrialisierte und wachstumsbasierte Zivilisation dafür sorgen, dass unser Planet unbewohnbar wird, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Unsere Meere sterben. Unsere Regenwälder verschwinden in Rekordtempo. Der Sauerstoffgehalt in unserer Atmosphäre sinkt stetig, und die Erderwärmung schreitet fort. Keines dieser Probleme lässt sich durch Kontrolle von oben durch reiche Banker, mächtige Generäle oder sonst jemanden lösen. Das Überleben unserer Gattung erfordert weltweite Kooperation in einem bislang unerreichten Maß.

Deshalb müssen wir die Atomwaffen jetzt abschaffen. Atomwaffen sind das einfachste Problem, vor dem wir stehen, und das Thema ist höchst dringlich. Wenn wir uns nicht einmal auf die Abschaffung dieser überflüssigen, völkerrechtswidrigen und obszönen Bedrohung unserer Existenz einigen können, woher nehmen wir dann die Hoffnung, dass wir Antworten auf die viel subtileren und schwierigeren Probleme finden, vor denen die Besatzung des Raumschiffs Erde steht? Wenn wir uns hingegen auf die Abschaffung der Atomwaffen einigen, dann sagt die Weltgemeinschaft damit: „Lass uns das Gesetz des Dschungels abschaffen und für unser gemeinsames Überleben zusammenarbeiten.“ Damit eröffnen wir den Weg zu anderen Formen der Kooperation, die möglicherweise unseren Kindern und Kindeskindern die Zeit gewährt, die sie brauchen, um unsere Hinterlassenschaften aufzuräumen.

Das ist die Wahl, die wir jetzt treffen müssen. Wählen wir Gewaltlosigkeit oder die Bombe. Alle, die sich mit Abrüstung beschäftigen, müssen im kommenden Jahr ihre Anstrengungen verdoppeln und darauf hin wirken, dass im Mai 2010 die richtige Entscheidung fällt.

Steve Leeper ist Vorsitzender der Hiroshima Peace Culture Foundation.
Übersetzung: Regina Hagen

Bomben Unsicherheit

Bomben Unsicherheit

von Jürgen Nieth

„19 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs üben deutsche »Tornado«-Piloten noch immer, wie sie Waffen mit der zehnfachen Explosivkraft der Hiroshima Bombe von 1945 über Feindesland abzuwerfen hätten.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) Diese US-Atomwaffen – geschätzte Anzahl 10 bis 20 – lagern in Büchel in der Eifel. Deutschland ist keine Atommacht. „Aber es gibt in der NATO das Prinzip der atomaren Teilhabe: Bündnispartner dürfen im Ernstfall unter US-amerikanischem Befehl und amerikanischer Aufsicht amerikanische Atomwaffen einsetzen.“ (FR 24.06.08., S.2)

Büchels »unsichere« Bomben

Dieses „Relikt des Kalten Krieges“ (TAZ, 24.06.08) ist stärker in den öffentlichen Fokus gerückt, nachdem US-Wissenschaftler »Sicherheitsmängel« bei der Bewachung moniert haben. Sie haben Mitte Juni einen zuvor geheimen Bericht des Hauptquartiers der US Air Force ins Internet gestellt. „Darin wurde festgestellt, dass die »meisten« Atomwaffenstützpunkte in Europa nicht die Sicherheitsanforderungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums erfüllten. … Gebäude seien nicht ausreichend stabil. Das Sicherheitspersonal sei unzureichend geschult und werde oft auch in viel zu geringer Zahl eingesetzt. Teilweise würden deutsche Wehrpflichtige … als Wachen eingesetzt.“ (Welt 24.06.08, S.4) Die Studie war in Auftrag gegeben worden, „nachdem im August 2007 sechs Atomsprengköpfe ohne Wissen der Luftwaffenführung quer durch die USA geflogen worden waren. Der B52 Bomber transportierte die Massenvernichtungsmittel… ohne dass irgendwer in Militär- und Regierungshierarchie von der potenziell tödlichen Fracht wusste.“ (Neues Deutschland, 23.06.08., S.1)

Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, hält die Kritik an Büchel für übertrieben, „die Sicherheit von Nuklearwaffen habe in der Nato und den USA ‚höchste Priorität'.“ (Tagesspiegel, 24.06.08, S.2). Gleichzeitig scheinen aber die Differenzen innerhalb der Bundesregierung über die Frage eines Abzugs der A-Waffen zu zunehmen.

SPD: Für A-Waffen-Abzug

„Die SPD-Landesregierung von Rheinland-Pfalz äußerte… die Erwartung, dass die Bundesregierung angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage mit den Natopartnern sprechen werde, um die verbliebenen Nuklearwaffen in Europa möglichst abzuschaffen. Der SPD- Außenpolitiker Niels Annen sagte, der Abzug der US- Atomwaffen wäre ein riesiger Schritt, um bei der nuklearen Abrüstung voranzukommen. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich betonte, man brauche ‚so schnell wie möglich eine Null-Lösung bei den taktischen Nuklearwaffen'.“ (Süddeutsche Zeitung, 24.06.08., S.6)

Oppositionsparteien fordern Abzug

Auch die drei Oppositionsparteien sind sich einig in der Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen. „Das FDP-Präsidium forderte die Bundesregierung auf, den Abzug der letzten in Deutschland stationierten amerikanischen Nuklearwaffen in den zuständigen Nato-Gremien auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben… Der Abgeordnete und frühere Bundesminister Trittin (Grüne) forderte ebenso wie der verteidigungspolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Schäfer, Deutschland solle die nukleare Teilhabe kündigen.“ (FAZ, 24.06.08., S.5) Das sehen CDU/CSU ganz anders.

CDU/CSU wollen atomare Teilhabe

Die nukleare Teilhabe Deutschlands jetzt aufzugeben, ist für die CDU/CSU „,sicherheitspolitisch fahrlässig und bündnispolitisch unverantwortlich' …Der CSU-Außenpolitiker zu Guttenberg erinnerte daran, dass nicht nur Außenminister Steinmeier, sondern auch seine Vorgänger Fischer, Kinkel und Genscher die nukleare Teilhabe Deutschlands voll mitgetragen hätten, ‚ebenso wie seinerzeit das Regierungsmitglied Trittin'.“ ( FAZ 24.06.08., S.5) Auch der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Eckart von Klaeden, möchte nicht auf die atomare Teilhabe verzichten „solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt.“ (Berliner Ztg, 23.06.08, S.7)

Militär und Wirtschaft

Immer, wenn es darum geht militärische Kapazitäten abzubauen, werden wirtschaftliche Probleme für die Region betont, Sicherheitsrisiken und der Faktor Militärkosten herunter gespielt. So auch von Richard Benz, parteiloser Bürgermeister von Büchel: „Die Bundeswehr in Büchel ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Wir fürchten, dass bei einem Abzug der Atomwaffen dieser Standort infrage gestellt wird.“ (TAZ, 24.06.08., S.5)

Die Mainzer Rhein-Zeitung (25.06.08, S.4) verfolgt dieselbe Linie und spricht vom „Fliegerhorst des Jagdgeschwaders 33, das der Bevölkerung seit den 50er Jahren Lohn und Brot gibt. Die Menschen leben mit und von der nuklearen Abschreckung.“ Die Allgemeine Zeitung (26.06.08) sieht das etwas differenzierter: „Ein Abzug auch der restlichen Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz würde die Region und das Land wirtschaftlich betrachtet nicht allzu hart treffen… Betroffen von einem Abzug (der A-Waffen) wären… knapp 140 Dienstposten bei der US-Armee.“

Auf die Kosten des Fliegerhorsts geht keine der regionalen Zeitungen ein. Nur die TAZ (24.06.08, S.5) zitiert Elke Koller von der Friedensbewegung: „Hier wird vergessen, dass nach meinen Informationen allein der Unterhalt des Luftwaffenstützpunktes über 500 Millionen Euro kostet.“

Wie weiter

Einige hoffen auf einen »stillen Tod« des A-Waffen-Stützpunkts durch die Verschrottung der Bomber. Darauf „setzt auch die SPD. Ab 2013 soll der für Atomwaffen untaugliche »Eurofighter« die Bücheler Tornado-Jets ablösen. ‚Dann ist die Teilhabe erledigt', sagt Wehrexperte Hans Peter Bartels.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) CDU-Verteidigungsminister Jung plant allerdings anders: „Die Bundeswehr will die atomwaffentauglichen »Tornado«-Flugzeuge ‚zumindest bis 2020' im Dienst behalten,“ heißt es in der Antwort auf eine große Anfrage im Bundestag (TAZ, 03.07.08, S.6).

Für den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold handelt es sich hier um „,einen Koalitionskonflikt.' Die SPD sei für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die Union dagegen. Deshalb bewege sich in dieser Legislaturperiode eben: gar nichts. (TAZ 24.06.08, S.5)

Unsere Zukunft – atomwaffenfrei

»Frieden braucht Bewegung« titelte die Friedensbewegung in den 1980er Jahren. Dem entsprechend hat die Kampagne »Unsere Zukunft – atomwaffenfrei« für den 30. August nach Büchel eingeladen. Erwartet wird die größte Friedenskundgebung 2008 in Deutschland.

ConverArt

ConverArt

Die Kunst der Abrüstung

von Corinna Hauswedell / Susanne Heinke-Mikaeilian

Anläßlich des 350. Jahrestages des Westfälischen Friedens hat das Bonner Konversionszentrum (BICC) einen Wettbewerb unter Kunststudenten zum Thema Abrüstung und Konversion ausgeschrieben, dessen Ergebnisse bis zum 27. September im Westfälischen Landesmuseum Münster zu sehen sind. Die Illustrationen in W&F 3/98 dokumentieren Ausschnitte aus dieser Ausstellung. <0>Das BICC zeigt ConverArt zusammen mit einer Informationsausstellung »Abrüstung und Konversion – Vom Kalten Krieg ins Jahr 2000«.

Es scheint auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Projekt für ein internationales Forschungs- und Beratungsinstitut zu sein. Die gedankliche und praktische Umwandlung ehemals militärischer Ressourcen für eine zivile Nutzung ist jedoch ein vielschichtiger und schwieriger Prozeß. Die Öffentlichkeit daran zu beteiligen, gehört zu den Aufgaben des Bonn International Center for Conversion (BICC) und jede Erweiterung des Blickfeldes ist hierfür produktiv.

Eine Werkstatt

Entstanden ist eine »Werkstatt« junger Künstlerinnen und Künstler: Ideenskizzen, Entwürfe, Aktionskunst, work in progress und fertige Werke. Die 41 Teilnehmer, vorwiegend Studierende an den Kunst- und Medienhochschulen sowie den entsprechenden Fachbereichen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, kommen aus Bosnien, Deutschland, England, Nigeria, Österreich, Rumänien, Rußland, Taiwan und Vietnam.

Offensichtlich gibt es inzwischen eine internationale Wahrnehmung des Themas Militärkonversion mit zum Teil für die Herkunftsländer der jungen Künstler sehr typischen Facetten: die soziale Not und die Wohnungsprobleme demobilisierter Soldaten in Rußland, die Rohstoffversorgung aus den Überresten des Krieges in Vietnam, die Rekultivierung der vielen »freigegebenen« Liegenschaften in Deutschland, der Umgang mit »überschüssigen« Waffen in Bosnien oder in Afrika.<0>

Indem die Teilnehmer von ConverArt sich einer großen Vielfalt von Genres bedienen – Malerei, Collagen, Fotoarbeiten, Film- und Videoprojekte, skulpturale und archtitektonische Skizzen, Installationen und Inszenierungen, wird eindrucksvoll und dem Thema »angemessen« , seine virtuelle und reale Komplexität reflektiert. Metaphorisches und utopiegeleitete Entwürfe stehen neben Dokumentarischem und praktischen Ideen einer Umwandlung: Kunst als Subjekt und Objekt von Konversion.

Es fällt auf, daß von den männlichen <-3>Teilnehmern häufiger das offenkundig faszinierende Material der militärischen »hardware« – wenn auch in verfremdender Absicht – aufgegriffen wurde, während die Künstlerinnen – oft ironisierend – die nicht-stofflichen Aspekte mentaler Beeinflussung durch das Militär thematisiert haben.<0>

Das Experiment: Veränderung von Realität

Nicht alles konnte realisiert werden, manches ist ein Entwurf geblieben. Das liegt an den begrenzten Mitteln eines solchen Wettbewerbs, der Veranstalter und seiner Teilnehmer – aber auch am Gegenstand selbst. Warum soll es jungen Künstlern leichter fallen als der heutigen Generation von Wissenschaftlern und Praktikern, die widerspruchsvollen, neuen Wege des militärisch-zivilen Wandels konzeptionell und praktisch zu beschreiten?

Militärische Phänomene sind langlebig, hart im Umgang, gefährlich in den Folgen und kostspielig in der Entsorgung. Sie haben sich in Landschaften, im Boden, im Wasser, in Produktionsstätten, in den Technologien und in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Es gibt sie – die Faszination des Militärs. Auch deshalb bleibt Konversion oft auf halbem Wege stehen.

Einige der Werke von ConverArt sind ein interessanter Spiegel dieser Widersprüche. Gleichwohl verfügt Kunst über ein anderes Repertoire der Umwandlung von Wirklichkeit.

Konstruktionen des Erinnerns

Ve>rlassene Liegenschaften, Militärbrachen, Kasernen, Bunker, Flaktürme und Grenzstreifen werden zu »Denkmälern«, zu Orten der Spurensicherung in einer »Militärkultur« von gestern. »Für die Ewigkeit« nennt Marc Zicklam seine Modelle zur Begehbarmachung von zwei unterirdischen Bauwerken, dem »zivilen« Oberrieder Stollen und dem Bunker Valentin im Norden von Bremen. Wenn die Soldaten abziehen, ist das, „als wäre jemand weggegangen und hätte vergessen wiederzukommen“ – die Schwarz-Weiß-Fotografien russischer Kasernen von Daniela Karcher erzählen deutsche Nachkriegsgeschichte. Beinahe wie eine Korrespondenz der nach Rußland Heimgekehrten wirkt der Stadtplan mit der »Nizhni Novgoroder Deutschen Treppe«, der Jevgeniya Norenkova die Funktion einer Versöhnungsarchitektur zuweist.<0>

Transzendent: Die Altlasten im Kopf

Ganz andere Assoziationen wecken Werke wie die Acrylbilder »Getauscht« von Manuela Fersen, der »Mythos« von Uwe Hardt, »Transkontinental« von Gleb Choutov oder auch die Filminstallation »Die winzigen weiber von luxor« (Gabi Horndasch) und das Kompensationsvideo »Immer wieder geht die Sonne auf« (Marion Schebesta). Veränderung geht durch den Kopf und die Sinne, beim Lesen, beim Fernsehen, beim Musik hören. Vom Militär geprägte Gedankenwelten können transzendiert werden – spielerisch durch den Austausch von Soldatenglanzbildchen gegen Friedenssinnsprüche, durch Gegenüberstellung ziviler und militärischer Allmachtsymbole, durch suggestive und autosuggestive Konfrontationen mit der scheinbar unauflöslichen Eigendynamik des Militärischen. Ironisierung dient als Brücke zur Grenzüberschreitung: Die Vergeblichkeiten, die »Attraktion«, der langen Geschichte der Kriege werden zurückgelassen.

Not macht erfinderisch – Ironien der Wiederverwendung

Wie nah Frustrationen, Elend und humorvolle Alltagsweisheit beieinander liegen können, zeigen die Recherchearbeiten für das Dokumentarfilmprojekt »Metamorphosen« von vier Kamerastudenten aus Potsdam-Babelsberg und Hanoi. Leben von den Überresten der Schlachtfelder ist in Vietnam ein Wirtschaftsfaktor geworden: Militärschrott findet beim Boots- und Hausbau, in Landwirtschaft und Industrie sowie bei der Herstellung von Kultgegenständen vielfältigste Wiederverwendung.

Der Umgang mit »überschüssigem« Waffenmaterial ist auch das Thema anderer Arbeiten von ConverArt. Waffen aus dem Verkehr zu ziehen, ist ein schwieriges Geschäft. Grenzen der Konversion werden deutlich im »Sleeping Room«, einem Bunkermodell, in dem Dragan Lovrinovic einbetonierte Waffen »konservieren« will. Das Projekt »Tank Art« (Alexander Schneider/Joachim Schulz) schlägt vor, Künstlern möglichst viele Panzer als Medium zur Verfügung zu stellen, damit die kostenintensive Entsorgung entfallen kann.

In zivilen Alternativen denken und handeln

Mit Hilfe sehr unterschiedlicher Medien widmen sich einige Arbeiten von ConverArt der Frage, was in Folge der Konversion entstehen und wie das eigene Handeln dies beeinflussen kann. »Wachsendes Haus« ist der Entwurf ziviler Lebensumstände für demobilisierte Soldaten, vorgestellt von BANDuTuK, einer Gruppe russischer Architekturstudenten aus Nizhni Novgorod, einer ehemals besonders rüstungsabhängigen Region. Aurelia Mihai läßt in einer Videoinstallation den Betrachter zum Akteur im internationalen »Machtspiel« um Auf- bzw. Abrüstung werden. In dem Aktionsprojekt »Luftsprünge« werden Cottbuser Bürgern auf einem seit 1914 genutzten Militärflugplatz »Flugscheine für neue Gedanken« ausgestellt.

Die sehr unterschiedlichen Arbeiten von ConverArt sind kulturell und politisch aufschlußreiche Momentaufnahmen für Sichtweisen und Mentalitäten, Befürchtungen und Wünsche der heutigen Generation zum Thema Krieg und Frieden. Deutlicher als in den seltenen früheren Darstellungen von Konversion in der Kunst, die sich je nach vorgefundener Realität zwischen Idealisierung, Heroisierung und Propaganda bewegten, stehen heute häufig ironisierende Distanz und realitätsorientierte Veränderungsphantasien im Vordergrund und durchaus nicht im Widerspruch zueinander. Vielleicht wurde dies im Falle von ConverArt auch durch die deutlich politische, in sich aber komplexe Themenstellung des Wettbewerbs provoziert. Mancher Hochschullehrer hatte deshalb Vorbehalte gegenüber diesem heutzutage in der Kunstszene recht unüblichen Wettbewerbsanliegen geäußert oder die Gefahr des (weniger unüblichen) »Mißbrauchs« der jungen Kunst für Werbezwecke gewittert.

Weder Waffen noch Geld waren für die Zwecke von ConverArt so leicht zu beschaffen wie gehofft. Die Unterstützung durch zuständige Bundesministerien z. B. ging leider über Absichtserklärungen einzelner aufgeschlossener Individuen nicht hinaus. Überschüssige Waffen lassen sich immer noch einfacher auf Halde legen oder exportieren als zur künstlerischen Bearbeitung freigeben.

Das die Ausstellung trotzdem in dieser Form stattfinden kann, ist vor allem der großzügigen Unterstützung und Hilfe des Landes Nordrhein-Westfalen, der Schirmherrin Anke Brunn und dem Landemuseum Münster zu danken sowie den privaten Sponsoren, die sich – vor allem auf regionaler und lokaler Ebene – für das Projekt und einzelne Künstler begeistern konnten. Die Einladung zum Schauen und Nachdenken verbinden wir mit dem Wunsch nach einer möglichst weiten Verbreitung der Ideen von ConverArt.<0>

Dr. Corinna Hauswedell (Projektleitung) und Susanne Heinke-Mikaeilian haben das ConverArt Projekt für das BICC von Beginn an begleitet.

Conversion

Conversion

Challenges for Enterprices and Regions in East and West

von Heidrun Weßels

Der Konversionskongreß, der vom 27.- 29. März 1998 in Kiel mit beachtlicher internationaler Beteiligung stattfand, wurde von TeilnehmerInnen aus Rußland, Polen, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Schweden, der Schweiz und Deutschland besucht, die sich praktisch oder theoretisch mit dem Thema Konversion beschäftigen.

Der Kongreß wurde am Freitag durch Prof. Dr. Klaus Potthoff (SCHIFF, Kiel) eröffnet. Klaus Potthoff betonte in seiner einleitenden Rede, daß das Ziel dieses internationalen Kongresses zum einen der Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis und zum anderen die Unterstützung des Ausbaus kooperativer Strukturen zur Gestaltung erfolgreicher Konversionsprozesse sei. Dr. Herbert Wulf (BICC, Bonn) setzte sich in seinem Beitrag mit der Bedeutung von Abrüstung und Konversion hinsichtlich friedenspolitischer und sozialintegrativer Prozesse auseinander. Violette Hyzy (CUB, Brest) gab einen Überblick über die Konversionsbemühungen in europäischen Hafenstädten. Dr. Martin Grundmann (IMU, Berlin) hob die Bedeutung des Kooperationsaspektes sowohl der betrieblichen Akteure untereinander als auch aller beteiligten regionalen Akteure hervor. Abschließend referierte der Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein, Peer Steinbrück, aus wirtschaftspolitischer Sicht über die Bemühungen des Landes, den Konversionsprozeß zu unterstützen. Die Eröffnungsveranstaltung endete mit einer lebhaften Diskussion über Fragen des weiteren regionalen Umgangs mit zukünftig möglichen Abrüstungsschritten und innovativen Konversionsstrategien für die Entwicklung strukturschwacher Regionen.

Die Themenbereiche der Eröffnungsveranstaltung wurden am Samstag in drei Arbeitsgruppen wieder aufgenommen und mit den Schwerpunkten »Regionale Aspekte von Konversion«, »Innovative Strategien für betriebliche Konversion« und »Technologische Innovationen und Personal- und Organisationsentwicklung« diskutiert. Der internationale Kongreß wurde von den TeilnehmerInnen aus betroffenen Regionen und Betrieben zum intensiven Erfahrungsaustausch genutzt. Eine der zentralen Fragen war, wie die notwendigen Umstrukturierungen in Betrieben und Regionen gestaltet werden können, insbesondere, welche Faktoren diese Prozesse unterstützen und wie Fehlentwicklungen vermieden werden können.

In der ersten Arbeitsgruppe mit dem Titel »Regionale Aspekte von Konversion« berichtete Dr. Elena Denezhkina (CREES, University of Birmingham) über mehrere Fallstudien zur Konversion in Betrieben Rußlands. Sie hob hervor, daß es keine Konversionsstrategie der Zentralregierung gibt und daß die Unternehmen mit ihren Problemen allein gelassen werden.

Durchaus ähnlich ist die Situation in der Slowakei und Ungarn. Dr. Yudit Kiss berichtete über Chancen und Risiken von Konversionsbemühungen in Unternehmen der Rüstungsindustrie dieser beiden Länder. Nur etwa ein Drittel der Unternehmen konnten erfolgreich auf zivile Produktion umzustellen. Nicht zuletzt deshalb, weil es in diesen Fällen gelang, den Konversionsprozeß in einen regionalen Entwicklungsprozeß zu integrieren.

Stanislaw Glowacki (Metalworker's Secretariat, Polen) beschrieb die Situation in Polen. Er vertrat die Ansicht, daß nur die Unternehmen der Rüstungsindustrie, die ihre Manager austauschten, eine Chance haben zu überleben. Wichtig waren für diesen Prozeß auch Joint Ventures mit westlichen Unternehmen. Privatisiert wurden Unternehmen im Rüstungsbereich gar nicht oder nur formal, indem die Betriebe in eine staatliche Holding überführt wurden. Inzwischen hat die Regierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Strategien für weitere Konversionsmaßnahmen entwickeln und umsetzen sollen.

Daniel Gravot (CUB, Brest) berichtete über Konversionsanstrengungen der Region Brest, die in hohem Maße von Rüstungsproduktion abhängt. Der Konversionsprozeß in den Großbetrieben DCN und Thomson läuft an und wird durch eine regionale Wirtschaftspolitik begleitet, die ihr besonderes Augenmerk auf kleine und mittlere Unternehmen richtet.

Hervé Cadiou (Université de la Paix, Brest) ging insbesondere auf die besondere Situation der staatlichen Marinewerft DCN und die von DCN und Thomson abhängigen Subunternehmen ein. Konversion sei in staatlichen Betrieben deutlich schwieriger als in der privaten Industrie. Auch er betonte den besonderen Stellenwert einer regionalen Politik für den Konversionsprozeß.

Eberhard Petri (IG Metall, Nürnberg) beschrieb die erfolgreichen Aktivitäten des Wirtschaftsforums in der Region Nürnberg, das durch einen Mix von Leitbildentwicklung, Aufbau von Netzen, gezielter Unterstützung betrieblicher Projekte und Qualifizierungsmaßnahmen zur Gestaltung des Strukturwandels in der Region beiträgt.

Klaus Potthoff stellte die Ergebnisse der Zusammenarbeit des SCHIFF mit betrieblichen und regionalen Akteuren im Rahmen des EU- Programms »Konver« vor. Er hob darauf ab, daß betriebliche Konversion der Unterstützung externer Akteure bedarf und daß WissenschaftlerInnen eine wichtige Rolle in diesem Prozeß übernehmen können, wenn sie neben den klassischen Aufgaben auch die Moderation und Koordination betrieblicher und regionaler Prozesse übernehmen. Er beschrieb schließlich die geplante Fortsetzung dieser Koordinations- und Moderationsaufgaben im Rahmen des Projektes »Komo«.

In den lebhaften Diskussionen wurde immer wieder die bedeutende Rolle der Region, aber auch einzelner Akteure innerhalb und außerhalb von Betrieben für erfolgreiche Konversion hervorgehoben.

In der zweiten Arbeitsgruppe, in der es um innovative Strategien für betriebliche Konversion ging, wurden theoretische Aspekte, drei Unternehmensberichte und Beispiele für Liegenschaftskonversion diskutiert: Jordi Campàs Velasco (LEREP, Toulouse) und Dr. Jonathan M. Feldman (Dep. of Technology and Social Change, Linköping) hoben hervor, daß nicht nur unternehmensnahe Akteure bei Konversionsbemühungen von Bedeutung sind, sondern auch die Charakteristika des militärischen Sektors, der Regionen und der Länder ausschlaggebend sind. Als Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen kristallisierten sich folgende Konversionsbarrieren heraus: die schlechte zivile Marktanpassung, technologische Hemmnisse, Behinderungen durch militärische Organisationsstrukturen und die militärische Unternehmenskultur.

Aufgrund praxisnaher Erfahrungen erklärten Dr. Jonathan M. Feldman, am Beispiel von McDonnell Douglas, und Alain de Bouard am Beispiel von Thomson-CSF, daß eine zivile Unternehmenskultur in den Unternehmen nur zu erreichen ist, wenn der Einstieg in zivile Märkte durch konsequente Qualifizierung der Beschäftigten und des Managements vorbereitet wird, ein verbessertes Produktmarketing eingeführt, die oben genannten Konversionsbarrieren überwunden und zivile Netzwerke initiiert werden. Für die zivile Orientierung im Unternehmen ist eine Abwendung von der militärischen Technikorientierung notwendig, um die Kosten für Forschung und Entwicklung und in der Produktion zu senken. Roman V. Korolev (Marketing- und Sales Manager auf der Schiffswerft »Zvyozdochka«, Severodvinsk/ Rußland) beschrieb, daß die fundamentalen ökonomischen und industriellen Strukturen in Rußland zusammengebrochen seien und es keine staatlichen Vorgaben zu Umstrukturierungen gebe.

In Bezug auf Liegenschaftskonversion wurden große Unterschiede bei der Integration von ehemals militärischen Liegenschaften zwischen den OME und den westeuropäischen Ländern konstatiert. Dr. Hartmut Küchle (BICC, Bonn) und Jussi S. Jauhiainen (FB Geographie, Universität des Saarlandes) betonten, daß auch bei der Liegenschaftskonversion die aktive Mitarbeit von allen regionalen Akteuren von Bedeutung ist.

Die dritte Arbeitsgruppe diskutierte über die Zusammenhänge und Bedingungen technologischer Innovationen und betrieblicher Organisationsentwicklung. Ausgehend von der Hypothese, daß der Erfolg technologischer Innovationen mit der parallel verlaufenden Umstrukturierung betrieblicher Organisationsstrukturen und der Qualifizierung der Beschäftigten zusammenhängt, referierte Margitta Matthies (SCHIFF, Kiel) zu den spezifischen funktionalen und organisationalen Bedingungen rüstungsproduzierender Unternehmen und veranschaulichte Handlungsmöglichkeiten auf diesen betrieblichen Ebenen. Dr. Ernst Buder (MDC, Berlin) berichtete über Konversionserfahrungen mit biologischen und toxischen Waffen sowohl in amerikanischen als auch in russischen Unternehmen. Die positiven Beispiele aus den USA belegen, daß es aufgrund des spezifischen dual-use-Charakters für Unternehmen, die biologische und toxische Waffen produzieren, einfacher ist zu konvertieren als für Unternehmen, die im nuklearen und/oder chemischen Bereich tätig sind.

Sylvain Delaitre (Thomson-CSF, Brest) brachte seine praktischen Erfahrungen aus gewerkschaftlicher Sicht über die Gestaltung des Konversions- bzw. Diversifikationsprozeß bei Thomson-CSF ein. Erst nach langjährigen Diskussionen stimmte die Unternehmensleitung einer Potentialanalyse über zivile Alternativen zu, die schließlich zu einem zivilen Standbein bei gleichzeitiger Umstrukturierung des Konzerns führte. Anschließend erläuterte Dr. Hans-Uwe Messerschmidt (KI, Kiel) die Bedeutung von überbetrieblichen Kooperationen und strategischen Allianzen – insbesondere für KMU – für die erfolgreiche Umsetzung zukunftsträchtiger technologischer Innovationen. Abschließend berichtete Dr. Boris Adloff (ttz, Kiel) über seine Erfahrungen mit europäischen und regionalen Förderprogrammen zur Unterstützung von technologischen Innovationen im allgemeinen und der Konversionsförderung im besonderen. Im Ergebnis relativierte sich der Stellenwert der reinen Technologieförderung zugunsten einer Projektförderung, bei der Kommunikationsstrukturen und der Aufbau von Know-how-Netzwerken in der Region unterstützt werden.

In allen Arbeitsgruppen bestand Einigkeit darüber, daß aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen Konversionsmaßnahmen für Rüstungsunternehmen zur ökonomischen Überlebensfrage geworden sind. Weiterhin ist es unter friedenspolitischen Gesichtspunkten notwendig, daß betriebliche Konversionsprozesse gefestigt, deren Nachhaltigkeit gewährleistet und ein Rückfall in alte Strukturen verhindert wird.

Um zu erfolgreichen Konversionsbemühungen in Ost und West zu kommen, muß die Vernetzung von betrieblichen und regionalen Akteuren auch auf internationaler Ebene fortgesetzt werden.

Heidrun Weßels ist Dipl.-Sozialwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich »Konversion« im Schleswig-Holsteinischen Institut für Friedenswissenschaften (SCHIFF) an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

Was wurde aus der Friedensdividende?

Was wurde aus der Friedensdividende?

von Ann Markusen

Der frühere Gegner, die ehemalige Sowjetunion, hat sich in diverse Nachfolgestaaten aufgespalten, in denen der Rüstungssektor zusammenbricht. Die vereinigte Bundesrepublik Deutschland, genauso wie Großbritanien, kürzen ihre Ausgaben für Rüstung und Militär erheblich. Mit Ausnahme einiger asiatischer Staaten gehen die Ausgaben für Militär und Rüstung weltweit zurück. Auch in den Vereinigten Staaten lassen Umfrageergebnisse erkennen, daß in der amerikanischen Bevölkerung die Akzeptanz für Rüstungsausgaben sinkt. Nur eine Minderheit der Amerikaner stimmt für steigende militärische Forschungs- und Entwicklungsausgaben, hingegen unterstützen beispielsweise 80% höhere Forschungs- und Entwickungsausgaben für den Gesundheitsbereich. Ergebnisse, die die Frage aufkommen lassen, warum eine umfangreiche Demilitarisierung in den USA nach dem Ende des Kalten Krieges nicht stattgefunden hat.

Die Vereinigten Staaten haben heute höhere Rüstungs- und Militärausgaben als in den Jahren nach dem Vietnam-Krieg, in denen der Kalte Krieg noch bestimmend war. Der Verteidigungshaushalt ist kaum niedriger als vor Beginn der Carter/Reagan-Administrationen.

Aber tiefere Einschnitte im Rüstungshaushalt werden unvermeidbar sein. Aufgrund der Finanzierungszwänge im Staatshaushalt enthüllte der vierteljährliche Bericht des Pentagons (Quadrennial Review) im Mai 1997 Empfehlungen zur Kürzung der Verteidigungsausgaben um zweistellige Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 1999-2003. Summen, die wahrscheinlich weit geringer ausfallen, als die geplanten Einschnitte für die Gesundheitsvorsorge.

In den frühen neunziger Jahren gab es in den USA eine Chance für eine Friedensdividende. Als Bill Clinton 1992/93 die Regierung übernahm, trat er mit dem Ziel an, die zu Zeiten des Kalten Krieges geplanten Rüstungsprojekte in zivile Produktion und Serviceleistungen umzusteuern. Fast fünf Jahre später verfolgt die USA noch immer keine zielorientierte Konversionspolitik. Diejenigen Rüstungsunternehmen und Kommunen, die die Umstellung militärischer Produkte und Serviceleistungen auf nützliche zivile Produkte erfolgreich unterstützten, haben aus Eigeninitiative und auf eigenes Risiko gehandelt.

Kooperative Sicherheitsstrategie

In dem Buch »Decisions for Defense: Prospects for a New Order« analysierten W. Kaufman und J. Steinbrunner (Brookings Institution) anschaulich die dramatisch veränderten sicherheitspolischen Rahmenbedingungen der Vereinigten Staaten. Neue Bedrohungen, so argumentierten sie, sind auf kleine Nationen begrenzt, die weit weniger gut gerüstet sind als die USA. Für die USA sind nur ein oder zwei regionale Konflikte im Maßstab des Golfkrieges relevant, für die wir im Verbund mit unseren gut ausgerüsteten Alliierten ausreichend militärische Stärke zeigen können.

Solche kooperativen Sicherheitsstrategien würden Kürzungen des Verteidigungshaushaltes von über 100 Mrd. US-Dollar im Jahr ermöglichen. Wir würden dann weder die alleinige Verantwortung für Kriegsführungen im Maßstab des Golfkrieges übernehmen, noch würden wir autarke Produktionkapazitäten aufrecht erhalten müssen. Auch Les Aspin schrieb kurz nach dem Golfkrieg ein bemerkenswertes Memorandum mit verschiedenen Szenarien, in denen mit einem reduzierten Rüstungsetat militärisch agiert wird. Einige von diesen Szenarien basieren auf dem Ansatz der kooperativen Sicherheitsstruktur.

Nachdem L. Aspin zum Verteidigungsminister ernannt wurde, stellte er jedoch ein Szenario auf, in dem die Anzahl der Waffensysteme nahezu auf dem Niveau des Kalten Krieges bleibt. Im Rahmen dieses Szenarios sollten die USA auf zwei gleichzeitig stattfindende Regionalkonflikte militärisch vorbereitet sein. Eine Aussicht, die extrem unwahrscheinlich ist. Experten machten darauf aufmerksam, das Aspins Budget nicht ausreiche, um diese Strategie zu finanzieren und sie sagten voraus, das seine Forderung in zwei Regionalkonflikte gleichzeitig eingreifen zu können, die Falken der US-Verteidigungsstrategie auf den Plan rufen würde. Letzten Sommer wurde durch die republikanische Kongreßmehrheit das Verteidigungsbudget um 11 Mrd. US-Dollar erhöht (Die gleiche Summe hatten die Kürzungen der Wohlfahrts- und Sozialabgaben erbracht!), um Waffensysteme wie den B2-Bomber und den Seawolf zu finanzieren. Leider verfügen die gesellschaftlichen Gruppen, die von einer Friedensdividende am meisten profitieren würden, über keine dem Militär vergleichbare Lobby.

Das größte Hindernis gegen Konversion ist das eiserne Dreieck (Adams 1981), das Triumvirat von großen Rüstungskonzernen, dem Pentagon und dem Kongreß, das aktiven Widerstand leistete gegen jede bescheidene Konversionsinitiative im Verlauf des letzten Jahrzehnts. Die Macht dieses »Iron Triangle« ist erheblich. Sie wird durch ein ideologisches Klima gefestigt, das eine aktive Rolle der Regierung bei der Umstellung des Industriesektors nicht anerkennt.

Dennoch führte das Ende des Kalten Krieges zu neuem Denken. Die Literatur, auf die hier eingegangen wird, zeigt in unterschiedlichen Beiträgen, wie das Militär reduziert und militärische Ressourcen für den zivilen Gebrauch nutzbar gemacht werden können. Allerdings sprechen die Autoren nicht über politische Strategien. Ohne klare Anforderungen aus den nichtmilitärischen gesellschaftlichen Sektoren und ohne eine staatliche zielorientierte Konversionsstrategie wird es in den USA nicht möglich sein, die Rüstungsressourcen so schnell und effizient abzubauen, wie es z.B. unter Harry Truman in den vierziger Jahren und nach Vietnam in den siebziger Jahren geschehen ist.

Die Laissez-faire-Strategie

Von den anzusprechenden Büchern ist das von M. Weidenbaum »Small Wars, Big Defense: Paying for the Military after the Cold War« am pessimistischsten und am wenigsten zukunftsweisend. Weidenbaum, ehemaliger Vorsitzender von Reagans ökonomischem Beraterstab und gegenwärtig Direktor des Washington University's Center for the Study of American Business, ist der Meinung, daß es das beste sei, sich für die Laissez-faire-Strategie zu entscheiden.

Weidenbaum schlägt vor, den Verteidigungshaushalt einfach zu kürzen und die Umsteuerung von Technologien und menschlichen Ressourcen dem Markt zu überlassen. Denn im Sinne der neoklassischen Ökonomie werden die Probleme durch den privaten Sektor am besten geregelt. Die Anstrengungen der Regierung im Bereich der Konversion hätten versagt. Weidenbaum kommt zu der Schlußfolgerung, daß die Rüstungsunternehmen am besten Waffen produzieren können, und wenn die Produktionskapazitäten in diesem Bereich zu hoch sind, sollte man die überflüssigen Unternehmen am besten schließen.

Weidensbaums Analyse ignoriert hierbei die Entwicklung der High-Tech-Unternehmen auf dem zivilen Markt: Beispielsweise läßt sich an der Entwicklung von Boeing illustrieren, wie ein Unternehmen »Schwerter zu Pflugscharen« transformieren kann. Boeing konvertierte militärische Luftfahrttechnologie in die profitable Boeing 707. Auch die Computer- und Kommunikationsindustrien, die abhängig von Rüstungsaufträgen waren, sind jetzt erfolgreich auf kommerziellen Märkten. Weiterhin ignoriert Weidenbaums Analyse solche Betriebe wie TRW und Raytheon, die erfolgreich militärische Produkte produzieren und parallel dazu den Aufbau von zivilen Abteilungen betreiben, zur gegenseitigen Befruchtung beider Bereiche.

Obwohl er eine eher polemische Analyse betreibt, kommt Weidenbaums Buch in der Beschreibung sehr nah an die von Bush propagierte Theorie von liberalen Marktökonomen und ihren politischen Strategien heran. Weidenbaums »Schule der harten Schläge« über den Umgang mit dem Verteidigungsressort sind unrealistisch. Sie ignorieren z.B. die Tatsache, daß Unternehmen, Gewerkschaften und Kommunen eine Allianz bilden, um die lokalen Rüstungsunternehmen unter Mißachtung des Marktes zu verteidigen.

Spinoff und dual use

Zu Beginn seiner Amtszeit ist Clinton explizit mit dem Anspruch angetreten, die Verteidigungsausgaben zu kürzen und verstärkt Haushaltsmittel für Konversion bereitzustellen. Um gegenüber dem Militär glaubwürdig zu bleiben, favorisierten Clinton und seine Berater jedoch den Transfer in neue Forschung, Beschaffung und Infrastrukturprojekte, um damit zur Restrukturierung der amerikanischen Hegemonie beizutragen; so konnte gleichzeitig das Militär mit besserer Qualität und kostengünstigeren Waffen ausgerüstet werden. Das Buch »Beyond Spinoff« ist die Schablone für die Technologie- und dual use-Strategie der Clinton-Administration. Es bringt zum Ausdruck, daß in einer Welt von beschleunigtem ökonomischen Wettbewerb das US-System hinsichtlich der Innovationsfähigkeit nicht ausreichend gut funktioniert.

Während der Nachkriegsperiode vertraute Amerika auf Innovationen, die aus der militärischen Forschung resultierten. Hierfür wurden Entwicklungsaufträge an wissenschaftlich arbeitende Institute und Ingenieure in der Privatwirtschaft vergeben, die über Spinoffs neue zivile Produkte generieren sollten, um den Vereinigten Staaten Wettbewerbsvorteile auf internationalen Märkten zu verschaffen. Hinter »Beyond Spinoff« steht auch, daß dieser Weg zur Steigerung der Innovationsfähigkeit nicht angemessen ist, da er unerschwinglich teuer und irrelevant für den heutigen globalen Wettbewerb sei.

Als Lösung schlagen die Autoren vor, daß das Pentagon tatkräftig dual use-Beschaffungen verfolgen sollte, um den Abstand zwischen militärischen und zivilen Anforderungen zu verringern, damit zukünftig sowohl zivile als auch militärische Märkte bedient werden können. Aber nur die militärische und zivile Integration anzuregen, ist nicht ausreichend. Die Regierung sollte darüber hinaus in erfolgversprechenden Industriezweigen effiziente Technologieförderung betreiben.

Weder die Autoren von »Beyond Spinoff« noch die Clinton-Administration konnten voraussehen, welche geringe Wirkung ihre Visionen hatten, die sie den großen Rüstungsunternehmen und den Rüstungsarbeitern anboten. Die Rüstungsgiganten kämpfen weiterhin um ihren schwindenden geschützten Rüstungsmarkt und für militärisch dominierte technische Entwicklung. Auch in den Streitkäften gibt es viele, die gegen die dual use-Praktiken argumentieren. Gewöhnt an technologieorientierte Lösungen strategischer Probleme setzen sie weiterhin die Ausstattung der Streitkräfte über die Kostenzwänge militärischer Beschaffungen. Schließlich sehen Gewerkschafter im Rahmen der Clinton Politik, die langfristige Technologieentwicklung vor die Schaffung von Arbeitsplätzen setzt, Risiken für die Arbeitnehmer der Rüstungsindustrie.

Bessere Soldaten- Ausrüstung

J. Gansler fragt in seinem Buch »Defense Conversion«, wie Amerika seine militärische Stärke trotz eines stark reduzierten Rüstungsbudgets erhalten kann. Gansler, früher ein Vertreter des Verteidungsministeriums und jetzt Vizepräsident einer Consultingfirma für Rüstungsunternehmen, findet deutliche Worte, um die Mauer zwischen militärischer und ziviler Produktion zu brechen.

Gansler empfiehlt eine „Transformation der nationalen Industrie in große integrierte (militärisch/zivile) Strukturen.“ Da wir uns auf dem Weg zu einem Kriegstypus befänden, der auf den Informations-und Kommunikationstechnologien aufbaut, ist Gansler besorgt, daß die Entwicklung von neuer effektiver Kriegstechnologie durch die gegenwärtige Struktur auf dem Rüstungsmarkt nicht unterstützt werde. Gansler betont, daß solange Amerika seine Innovationsfähigkeit in der Militärtechnologie, Wettbewerb und Privatisierung befördert und kultiviert, es seine Welthegemonie beibehalten kann.

Gansler's Buch hat insbesondere bei einer Gruppe von Rüstungsunternehmern in der Elektronikbranche Hoffnung geweckt, die es bevorzugen würden, wenn die strittigen Rüstungsmilliarden zur Stärkung der Innovationsfähigkeit bei neuen Waffensystemen eingesetzt würden. Beim Streit über die Zusammensetzung des Rüstungshaushalts gerieten Rüstungsunternehmen mit den staatlichen militärischen Serviceeinrichtungen aneinander, weil sie sich weniger um die Innovationsfähigkeit sorgen, als um ihre Truppe, die sie gut ausbilden wollen, damit sie die High-tech-Waffensysteme gut bedienen können. Eine dritte Gruppe besteht aus großen Rüstungsunternehmen wie General Dynamics, McDonnell Douglas und Northrop-Grumman, die darauf dringen, die flüssigen Haushaltsmittel für Großprojekte wie den F16- und den B2-Bomber oder U-Boote sowie Flugzeugträger einzusetzen. Die technologiepolitisch orientierte Elite ist von Ganslers Visionen vollständig überzeugt. Der frühere Verteidigungsminister Perry stand ebenfalls hinter dieser Position; der amtierende Verteidigungsminister Cohen, in dessen Heimatstaat Militärstandorte und eine große kommerzielle, aber wenig wettbewerbsfähige Werft von General Dynamics angesiedelt sind, ist mehr dafür, daß die älteren Waffengattungen modernisiert werden. Eine politisch brauchbare Konversionsstrategie muß irgendwie die Anliegen dieser drei Gruppen zusammenbringen.

In den Büchern »Beyond Spinoff«, »Defense Conversion« und »Small Wars, Big Defense« wird ausführlich darüber diskutiert, wie der Rüstungsmarkt sich zu entwickeln hat, es wird aber nicht beschrieben, wie dies politisch umzusetzen ist. Dennoch haben alle drei Bücher die öffentliche Diskussion beeinflußt. Weidenbaums Buch war eine Argumentationshilfe für die Republikaner gegen Konversion, während »Beyond Spinoff« und »Defense Conversion« überzeugende rationale Argumente für die technokratisch orientierten Demokraten enthält. Aber keines von diesen Büchern antizipiert die Macht, die durch das eiserne Dreieck entstanden ist und den besten Konversionplan unterlaufen kann.

Clintons Programm brauchte mehr als eine bessere Verkaufstechnik, um die Initiativen der Exekutive in dem Top-Mangement der größten Rüstungsunternehmen wie Lockheed Martin, Loral, McDonnell Douglas und General Dynamics zu verankern. Die Industrie argumentiert verächtlich gegen die Dual-use- und Konversionsinitiativen, weil sie hochspezialisierte, kommerziell nicht wettbewerbsfähige Industrien betreibt, die durch die Einschnitte im Verteidigungshaushalt in ihrer Existenz bedroht sind. Sie stellt statt dessen drei Forderungen auf: erstens massive Subventionen und die Erlaubnis zum Export von Waffensystemen, zweitens entspannte Monopolaufsicht ergänzt durch Subventionen für Zusammenschlüsse der größten rüstungsabhängigen Unternehmen, und drittens umfangreiche Privatisierung von militärischen Laboratorien, Arsenalen und Depots.

Unter Clinton fügte sich das Verteidigungsministerium trotz der klaren Widerstände der Industrie gegen die dual use-Agenda. Offiziell wurden 2 Mrd. US-Dollar für Konversion angesetzt, allerdings wurden die Rüstungsunternehmen durch Verteidigungsminister Perry mit einer noch größeren Summe für ihre Exportaktivitäten unterstützt. Wie man sehen kann, hat das eiserne Dreieck seine Stellung gefestigt. Konsequenterweise hat sich die Möglichkeit zur nationalen Politikgestaltung hinsichtlich der rüstungsindustriellen Basis verringert.

New Deal für das Militär

Zwei andere Bücher vermitteln eine willkommene historische Perspektive; sie untersuchen die Bedingungen, die den gewaltigen Sicherheitsstaat aufrechterhalten und sehen einen enormen institutionellen Aufwand voraus, um die amerikanische Rüstungsindustrie den Realitäten nach dem Ende des Kalten Krieges anzupassen. Hooks führt in seinem Buch »Forging the Military-Industrial Complex« einmalige und brilliante Argumente an, die die Entstehung des modernen Sicherheitsstaates nicht aus der Gefahr des Kalten Krieges, sondern aus dem Zweiten Weltkrieg erklären. Während des »New Deal« in den dreißiger Jahren wurde die Macht in Washington zentralisiert. Staatliche Planungspolitik wurde zur legitimen politischen Praxis mit dem Ziel sozialer Wohlfahrt und Sicherheit. Als sich das Land für den Krieg mobilisierte, legte Roosevelt vieles von den sozialen Planungen zur Seite, während die Rolle des Pentagon für staatlich gelenkte Industriepolitik des privaten Sektors zunahm. Die erstarkte Planungskraft des Pentagons einschließlich der intensiven Kontrolle über die finanziellen Maßnahmen zum Aufbau von neuen militärischen Anlagen und den zu erwartenden umfangreichen Beschaffungsaufträgen führte zu einer noch nie dagewesenen Kooperationsdichte zwischen dem Pentagon und der Rüstungsindustrie.

Hooks ist der Meinung, daß die Trennung zwischen militärischen und zivilen Strukturen auch auf die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik während des Krieges zurückzuführen sind. Zur Belohnung für die Ausleihe von Managern des rüstungsindustriellen Sektors an das Pentagon während des Krieges gewannen die größten nationalen kommerziellen Unternehmen nach dem Krieg das Recht zur Selbstorganisation. Nur bestimmte Segmente wie die Luftfahrt- und die militärisch orientierte Elektronikindustrie sowie die Werften blieben von den Entscheidungen des Pentagon abhängig. Weil der Staat gegenüber anderen Bereichen der Industrie eine Laissez-faire-Haltung einnahm, tolerierten die meisten Wirtschaftsbereiche die Planungsbefugnisse des Pentagon in militärisch abhängigen Bereichen. Die verschiedenen Versuche amerikanischer Präsidenten durch Schaffung neuer ziviler Agenturen, wie z.B. der Atomenergiebehörde oder der Arms-Control and Disarmament Agency, den Einfluß des militärischen Sektors zurückzudrängen, endeten schließlich immer wieder im Pentagon (deutlichstes Beispiel: das SDI-Programm unter Ronald Reagan).

Mit der Betrachtung der militärischen Bürokratie füllt Hooks eine entscheidende Lücke bei vergleichenden Interpretationen der kapitalistischen Entwicklung in der Nachkriegszeit aus. Er schlägt vor, daß die Maßnahmen während des »New Deal« mit seinen Leistungen für die nationale Sicherheit während des Zweiten Weltkrieges nun nach dem Ende des Kalten Krieges rückgängig gemacht werden können. Leider teilt er uns nicht mit, wie es zu funktionieren hat oder wie Unterstützungsmaßnahmen für den Erfolg zu generieren sind.

Reale Sicherheit

G. Bischaks Aufsätze in dem Sammelband »Real Security« bieten die beste moderne Charakterisierung dessen, was ich gern als den »angebotsseitigen Widerstand« gegen Kürzungen und institutionelle Reformen nach dem Kalten Krieg bezeichnen würde. Bischak, Ökonom und bis vor kurzem Direktor der National Commission for Economic Conversion and Disarmament, zeigt, wie weit – wenn auch selektiv – der Sicherheitsstaat in die Zivilgesellschaft hineinreicht. Während des Kalten Krieges sicherte sich das Pentagon die Unterstützung und Legitimation einer breiten Gesellschaftsschicht dadurch, daß es wichtigen ökonomischen Bereichen eine Ratgeberrolle anbot. Somit erweckte das Pentagon den Eindruck, als wäre der Planungsprozeß relativ offen. Bischak verdeutlicht die Fähigkeit politischer und ökonomischer Interessen(gruppen), im besonderen die Lobbytätigkeit der Rüstungsmanager zur Beeinflussung der Sicherheitspolitik, besser als Hooks.

Bischaks Darstellung ist der aktuelle Widerstand gegen Pentagon-Reformen und Budgetkürzungen der faktischen Planungsstäbe, die sich innerhalb der größten privaten Rüstungsunternehmen entwickelt haben, zu eigen. Da Militärtechnologie im Verhältnis zur Leistung der Soldaten zunehmend wichtiger geworden ist, hat sich die Initiative zur Gestaltung der nationalen Sicherheitspolitik in die Forschungseinrichtungen und an die Zeichenbretter jener Unternehmen verlagert, die mehr über die Technologien, die sie erschaffen, wissen, als ihre Kunden im Pentagon. Nationale Sicherheitsbedenken statten diesen Prozeß mit einem hohen Maß an Geheimhaltung aus, die ihn weiter vom prüfenden Blick der Öffentlichkeit entfernt. Durch ihre Forschungs- und Entwicklungsprogramme und ihre Sitze in den Beratungskomitees des Pentagons verfügen die Unternehmen über beträchtliche Macht, das Wettrüsten zu fördern.

Bischak macht aus Adams eisernem Dreieck ein eisernes Pentagon, indem er zwei weitere Winkel hinzufügt: die Naturwissenschaften und die organisierte Arbeitnehmerschaft. Nur wenige Amerikaner wissen, daß 69 Prozent der Luftfahrtingenieure, 50 Prozent der Ozeanographen, 34 Prozent der Physiker und Astronomen sowie 50 Prozent der Flugzeugmonteure und 20 Prozent der Maschinisten von Projekten des Verteidigungsministeriums abhängig sind. Berufsverbände und Gewerkschaften liefern Unterstützung und Legitimation für die andauernde Implementierung der industriellen Planungen des Kalten Krieges. Beispielsweise haben einige prominente Physiker im Geheimen auf die Fortsetzung der teuren Nuklearwaffenforschung gedrängt, weil andernfalls „kein Geld mehr für Physik da wäre“.

Bischak wie Hooks steuern zu wenig Spezifika bei, wie die dringend benötigte Überprüfung des militärisch-industriellen Komplexes zu erreichen wäre. Aber Bischak schlägt vor, wo die politische Führungskraft für ein solches Bestreben zu finden wäre: in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. In einer Anzahl prominenter historischer Fälle haben Dissidenten-Wissenschaftler die technokratische Basis der Rüstungspolitik herausgefordert, wie beispielsweise hinsichtlich der Effekte des (radioaktiven) Niederschlags von atmosphärischen Tests, der Gesundheit und Sicherheit von Produktionsstätten für Nuklearwaffen usw. Tatsächlich halfen Widerspruch, Debatten und der Zusammmenschluß von Naturwissenschaftlern, Opposition gegen Reagans extravagante Star-Wars-Pläne aufzubauen. Bischak argumentiert, daß eine aktivistische Kampagne von Wissenschaftlern und Ingenieuren in der Lage sein könnte, wissenschaftliches Talent von seinem starken Sich-auf-das-Pentagon-Verlassen zu befreien und die Beziehung zwischen Regierung und Wissenschaft zu reformieren. Das ist tatsächlich genau das, auf was die Beyond Spinoff-Autoren mit einer zivilen Technologie-Initiative hoffen, wenn auch mit verhaltener Vorsicht hinsichtlich der Notwendigkeit, Rüstung bedeutend zu kürzen.

Bischak wirft ebenfalls einen Blick auf die Arbeitnehmerseite. Eine Anzahl historischer Beispiele berücksichtigend, in denen nationale Arbeitnehmervertreter aggressiv auf Konversion und Ausgabeneinschnitte gedrängt haben, stellt Bischak fest, daß ein disproportionaler Stellenabbau in der Folge von Kürzungen der Verteidigungsausgaben die Arbeitnehmer(vertreter) heute mobilisieren könnte, für Konversionsprogramme zu kämpfen. Schließlich betreiben Rüstungskonzerne in großem Stil »outsourcing« und »subcontracting«: Die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste übertreffen in schockierender Weise den Verkaufsrückgang. Zwischen 1989 und 1994 gingen Northrops Verkäufe real um fünf Prozent zurück, aber die Arbeitnehmerschaft nahm um 27 Prozent ab. Entsprechend fielen McDonnell Douglas Verkäufe um zwei Prozent, die Anzahl der Beschäftigten jedoch um 49 Prozent; Rockwells Verkäufe gingen um elf Prozent zurück, die Anzahl der Beschäftigten um 34 Prozent. Und während Lockheed Martin seine Verkäufe um 34 Prozent steigerte, wurde die Zahl der Beschäftigten um fast zehn Prozent reduziert. Diese Disparität resultiert nur zum Teil aus der Verlagerung von Jobs in Sub-Unternehmen, ein großer Teil folgt aus Produktivitätssteigerungen und aus Vereinbarungen, große Teile der Waffensysteme in den Käuferländern herzustellen. Für die landesweiten Gewerkschaftsforderungen nach aktiver Konversionsplanung in den neunziger Jahren gibt es gute Gründe. Eine Schwäche der Konversionsunterstützung durch Gewerkschaften ist jedoch, daß die organisierte Arbeitnehmerschaft dazu tendiert, nach Konversionsprogrammen zu rufen, wenn Einschnitte notwendig sind, aber selten gegen den Ausbau der Rüstung opponiert und tatsächlich tatkräftigen Lobbyismus für individuelle Waffenverkäufe betreibt, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Das unbeendete Projekt

Leider ist es weder den dual use-Vorschlägen der Wissenschaftler noch den Konversionsideen der Gewerkschaften und Friedensaktivisten unter der Clinton-Administration gut ergangen. Anläßlich des Wirtschaftsgigfels des Präsidenten 1992 kam der erste Anruf für den gewählten Präsidenten und seinen Runden Tisch von Ratgebern von einem entlassenen McDonnell Douglas-Arbeiter aus Long Beach, Kalifornien. Einem alleinstehenden Vater von fünf Kindern, der für diesen Zweck von J. McChesney (National Public Radio) treffend ausgewählt worden war. Es war ein ergreifender Moment. Seine mißliche Lage zusammenfassend, sagte er einfach, „Was werden Sie für mich tun, Bill Clinton?“ Clinton schien sprachlos und schob den Schwarzen Peter in die Runde weiter. Etwas später, nachdem er seine Gedanken wieder geordnet hatte, betonte er seine Verpflichtung gegenüber der zivilen Infrastrukturförderung und Industriepolitik.

Doch während des gesamten Treffens, in dem lange Analysen von Defizitproblemen der Wohlfahrtsbürokratie und der Krise in der Gesundheitsversorgung mit strahlenden, vielfarbigen Folien präsentiert wurden, war nicht ein einziger Vortragender eingeladen worden, um auf das Verteidigungsbudget oder die Pentagon-Bürokratien in der Zeit nach dem Kalten Krieg einzugehen. Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie Clinton sagte, er plane den Kalten Krieg zu beenden. Tatsächlich hat kein Präsident seit Eisenhower die Fähigkeiten besessen, vor der exzessiven Macht und den nicht zu tolerierenden Ausgaben des industriell-bürokratischen Nexus, der um das Pentagon herum geformt worden ist, zu warnen.

In der Zwischenzeit hat – allem Nein-Sagen zum Trotz – ein beträchtliches Maß an Konversion tatsächlich stattgefunden. Allgemein verstanden als der Transfer von Humanressourcen, Technologien, Kapital und Einrichtungen in Richtung von Aktivitäten, die nichts mit Rüstung zu tun haben, hat es die Mehrzahl der Firmen aller Größenordnungen verstanden, ihre Rüstungsabhängigkeit zu reduzieren und ihre Verkäufe in zivilen Märkten zu steigern. Viele haben außergewöhnliche Anstrengungen unternommen, um die interne Organisation zu verändern, kostenorientiertes Design und Produktion einzuführen und insbesondere beim Marketing Know-how von außen einzubeziehen. Ihr bescheidener Erfolg unterstreicht nur, was mit einem klaren Regierungsprogramm und effektiver Konversionsunterstützung hätte erreicht werden können. In den neunziger Jahren haben die Politiker unglücklicherweise den Erfolg der GI Bill, des Marshall Plans und lokaler Unternehmensinitiativen durch die Committees for Economic Development vergessen und das Geschäft der Konversion den Firmen selbst überlassen.

Eisengeometrie

Konversion funktioniert, das eiserne Dreieck funktioniert jedoch auch. Wo Privatunternehmen und Gemeinden erfolgreich waren, waren sie dies trotz des Drucks von der Wall Street, rüstungsabhängig zu bleiben, und eher trotz der Regierungspolitik (die zu viele Anreize bietet, rüstungsabhängig zu bleiben) als mit ihrer Hilfe. In den Vereinigten Staaten hat eine intensive Forschung auf der Basis von Interviews und Umfragen in den Firmen begonnen, um definitive Belege zu erlangen, wo die Regierungsunterstützung am erfolgreichsten gewesen ist: Hiernach war die Regierung bei der zur Verfügungstellung alternativer Märkte für Firmen (hauptsächlich auf der nationalen Ebene), der Überbrückung von Finanzierungsengpässen (hauptsächlich auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene) und der rechtzeitigen technischen Unterstützung am effektivsten.

Aber der militärisch-industrielle Komplex ist, trotz all seines Glanzes und seiner Befehlsgewalt über menschliche High-Tech-Ressourcen, nur ein bescheidener Teil der amerikanischen Wirtschaft. Reduziert auf ungefähr fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts – wenn auch mit einem disproportional großen Anteil an amerikanischer High-Tech-Forschung und -Produktion – ist es schwierig einzusehen, warum der Komplex in seinen Bestrebungen, die Budgets hochzuhalten, Waffenexporte zu liberalisieren, gigantische Unternehmen zu bilden und eine potentiell destabilisierende Rüstungsforschungsagenda zu verfolgen, notwendigerweise die Oberhand gewinnen soll. Die Erklärung, die Hooks und Bischak geben, liegt in der Abschottung des Pentagon und seinen inzestösen Verbindungen mit den Unternehmen des privaten Sektors.

Aber das Problem ist auch ein Versagen politischer Führung. Präsident Clintons Initiativen haben genau deshalb zu kurz gegriffen, weil er nicht bereit war, die Sicherheitspolitik zu überdenken und weil er einen Kader von militärischen High-Tech-Unternehmern und industriefreundlichen Bürokraten an der Spitze des Pentagon placiert hat. Deshalb werden wir bald mit den langfristigen Sicherheitskonsequenzen eines monopolisierten und internationalisierten Angebotssektors zu ringen haben, in dem die USA fundierte High-Tech-Waffen weltweit proliferieren.

Die kleine Gruppe akademischer Analytiker und Kritiker mit Insiderkenntnissen darüber, wie der Sicherheitsstaat operiert, spricht vorwiegend mit sich selbst. Es mag so scheinen, als sei die Überprüfung der Beziehungen zwischen Pentagon und Industrie zu komplex und esoterisch, um breites öffentliches Interesse erwecken zu können. Doch der Kalte Krieg beginnt Geschichte zu werden. Militärische Bedrohungen unseres nationalen Interesses haben abgenommen. Weltweiter ökonomischer Wettbewerb intensiviert sich. Die Probleme der Armen und der Älteren werden zu immer größeren sozialen und fiskalischen Herausforderungen. Früher oder später werden diese Tatsachen zu einer Erhebung gegen das Pentagon führen und eine neue Einschätzung der amerikanischen Rüstungskonversion erzwingen. Zu diesem Zeitpunkt ist öffentliche Wachsamkeit dringend erforderlich. Wenn Amerika ein verantwortliches Militärbudget und eine effektive Konversionsstrategie bekommen soll, müssen die Anwälte von Beschäftigungs-, Gesundheits-, Wohlfahrts- und Umweltprogrammen jetzt das Wort ergreifen. Rüstungsplaner sollten sich ebenfalls zu Wort melden: Amerikas Sicherheit wird am besten durch ein kleineres Rüstungsprogramm gedient sein.

Literatur

Adams, Gordon (1981): The Iron Triangle: The Politics of Defense Contracting, Council on Economic Priorities.

Alic, John / Lewis Branscomb / Harvey Brooks / Asthon Carter / Gerald Epstein (1992): Beyond Spinoff: Military and Commercial Technologies in a Changing World, Harvard Business School Press.

Bonn International Center for Conversion; Conversion Survey 1996 (1996): Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization, Oxford University Press.

Cassidy, Kevin / Gregory Bischak (eds.) (1993): Real Security: Converting the Defense Economy and Building Peace, State University of New York Press.

Gansler, Jacques (1995): Defense Conversion: Transforming the Arsenal of Democracy, MIT Press.

Hooks, Gregory (1991): Forging the Military-Industrial Complex: World War II's Battle of the Potomac, University of Illinois Press.

Kaufman, William / John Steinbrunner (1991): Decisions for Defense: Prospects for a New Order, Washington D.C.: Brookings Institution.

Weidenbaum, Murray (1992): Small Wars, Big Defense: Paying for the Military after the Cold War, Oxford University Press.

Reprinted with the Permission of the American Prospect, vol 33, July-August Copyright 1997, P. O. Box 383080, Cambridge, Ma. 02238. All rights reserved. Übersetzung und Kürzung für W&F: Margitta Matthies

Ann Markusen ist Professorin und Direktorin des Project on Regional and Industrial Economics an der Rutgers University, New Jersey, USA und Senior Fellow am Council on Foreign Relations, New York. Sie war im 1. Halbjahr 1997 als Gastwissenschaftlerin am Bonn International Center for Conversion (BICC).

Präsident Clinton und die Abrüstung

Präsident Clinton und die Abrüstung

Verspielt er gerade eine historische Gelegenheit?

von David Krieger

Clinton begann seine erste Amtszeit mit dem Versprechen, sich für die Homosexuellen im Militär einzusetzen. Das brachte ihm einen derart massiven Widerstand aus Militärkreisen ein, daß Clinton seitdem jegliche Kraftprobe mit den Militärs vermieden hat. Selbst jetzt in seiner zweiten Präsidentschaft ohne den Druck zur Wiederwahl scheint Clinton nicht in der Lage, den Militärs nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen, ganz gleich wie unerhört deren Appetit nach Rüstung und anderen Ressourcen auch ist.

Als jüngstes Beispiel hat Clinton unter dem Druck der Militärs seine Unterstützung für das Verbot von Landminen verweigert, eine Vereinbarung, die bisher von über 100 Ländern unterzeichnet worden ist. Als Grund wurde angegeben, daß die USA Minen zum Schutz ihrer Truppen in Korea brauchten. Mit seiner Gewichtung der Bedrohung amerikanischer Truppen durch einen äußerst unwahrscheinlichen nordkoreanischen Angriff gegen das reale Gemetzel durch Landminen an jährlich 26.000 Zivilisten hat Clinton eine kurzsichtige Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung fügt sich in sein Handlungsschema, vermeintliche militärische Interessen zu unterstützen, egal ob dabei die Werte menschlichen Anstands mit Füßen getreten werden oder die Chancen auf eine friedlichere Welt.

Der Kongreßabgeordnete Walter Capps gab zur Weigerung des Präsidenten, das Verbot von Landminen zu unterstützen, folgende Erklärung ab: „Ich erhebe mich mit großer Bestürzung über die Entscheidung des Präsidenten, den Vertrag von Ottawa zum Verbot von Landminen nicht zu unterzeichnen. Die Position der Regierung ist nicht nachvollziehbar. Der einzige Weg für die Vereinigten Staaten, in dieser Angelegenheit Führungsqualität zu zeigen, ist , den umfassenden Sperrvertrag zu diesen tödlichen Apparaten zu unterzeichnen. Einhundert Nationen haben couragiert ihre Politik geändert, aber US-Anwälte haben einfach die Definition von Landmine geändert. Aber eine Landmine bleibt auch mit jedem anderen Etikett immer noch eine Landmine, und Landminen sind unmoralisch. Menschen aus allen Teilen der Welt haben sich zusammengeschlossen um laut zu fordern, damit Schluß zu machen. Kein Töten mehr, kein Verstümmeln von Unschuldigen mehr. Keine Angst mehr beim Verlassen des Hauses, um Nahrung zu beschaffen. Keine soziale und ökonomische Aushebelung mehr der ärmsten Länder dieser Welt. Ich fordere den Präsidenten auf, das Verbot der Anti-Personenminen zu unterzeichnen.“

Präsident Clinton hat einen nach Beendigung des kalten Krieges unnötig hohen Militärhaushalt unterstützt. Mit ca. 265 Mrd. Dollar pro Jahr übersteigt das US-Verteidigungsbudget die addierten Militäraufwendungen der neun nächsten ausgabenstärksten Nationen. Es ist um mehr als das fünfundzwanzigfache größer als die addierten Militärausgaben von Ländern, die als potentielle Gegner der Vereinigten Staaten angesehen werden könnten, wie Iran, Irak, Libyen, Syrien und Nordkorea. Diese gewaltigen Rüstungsausgaben werden aller Voraussicht nach auch während Clintons zweiter Amtszeit fortgesetzt werden zu Lasten innenpolitischer Gesundheits- und Bildungsprogramme und zu Lasten der Armutsbekämpfung in den Vereinigten Staaten und in Übersee.

Unter Clintons Präsidentschaft bleiben die USA der Welt größter Waffenexporteur. 1996 haben die USA Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von 13,8 Mrd. Dollar an den Rest der Welt verkauft, darunter für 7,3 Mrd. Dollar an Entwicklungsländer. Die Clinton-Regierung hat sich tatkräftig um neue Absatzmärkte für US- Waffen bemüht. 1997 hat Präsident Clinton ein zwanzigjähriges Verbot gegen den Verkauf moderner Waffensysteme an Lateinamerika aufgehoben. Er scheint durchaus bereit, hochentwickelte Militärausrüstung, wie Jagdflugzeuge, nach Lateinamerika zu verkaufen, was noch nicht einmal Reagan oder Bush in Betracht gezogen haben.

Als der Kongreß als Zusatz zum State Department Authorization Act Richtlinien für den Waffenexport verabschiedete, um den Waffenverkauf an Diktatoren einzuschränken, widersetzte sich die Clinton-Regierung. Sie argumentierte, daß der Präsident den Handlungsspielraum brauche, Waffen an Länder seiner Wahl zu verkaufen, ungeachtet von Menschenrechtsbilanzen oder Demokratiekriterien.

Die Kongreßabgeordnete Cynthia McKinney, die den Richtlinienantrag eingebracht hatte, erklärte: „In den vergangenen vier Jahren sind 85 Prozent der amerikanischen Waffenverkäufe in die Dritte Welt an nichtdemokratische Regierungen gegangen. Die Vereinigten Staaten sind verantwortlich für 44 Prozent aller Waffenexporte in der Welt. Die Vereinigten Staaten sind ohne Qualifikation der Waffenhändler der Welt und die Adresse für die Diktatoren der Welt, um den Tod einzukaufen.“ Während Clintons erster Amtszeit hat seine Regierung die Armeen nichtdemokratischer Staatsführungen mit Waffen und Training im Wert von 35,9 Mrd. Dollar unterstützt, oder durchschnittlich 9 Mrd. Dollar pro Jahr. Diese Summe machte 82 Prozent der 44 Mrd. Dollar umfassenden US-Militärhilfe für Entwicklungsländer aus.

Auch auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung hat Präsident Clinton enttäuscht. Er hat faktisch nichts unternommen, um den Prozeß zu einer atomwaffenfreien Welt voranzubringen. Im Gegenteil, er ging Schritte, die uns in die entgegengesetzte Richtung drängen. Seine starke Befürwortung einer NATO-Osterweiterung wird von den Russen als Bedrohung aufgefaßt und ist für die russische Duma ein Hindernis bei der Ratifizierung von START II gewesen. Für George Kennan ist die NATO-Osterweiterung „der verhängnisvollste Fehler amerikanischer Politik seit dem Ende des kalten Krieges.“

Präsident Clinton führte mit dem russischen Präsidenten Jelzin vorläufige Gespräche über einen START III-Vertrag, um die einsatzfähigen strategischen atomaren Arsenale bis zum Jahr 2007 auf 2.000 bis 2.500 zu reduzieren. Dies wäre ein weiterer Abbau von ca. 1.000 Atomsprengköpfen über die START II-Obergrenzen hinaus, innerhalb von vier Jahren nach der Erfüllung der START II-Vereinbarungen und im Jahr 2003 beginnend. Wenn dies auch ein willkommener Schritt wäre, so ist er doch von minimaler Bedeutung und bleibt weit hinter der einzigartigen Gelegenheit zurück, die sich jetzt zu größeren Abrüstungsschritten bietet.

Während Präsident Clinton federführend war beim Abschluß des Umfassenden Testsperrvertrags (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT), haben die USA im ersten Jahr seiner neuen Amtsperiode bereits damit begonnen, sub-kritische Atomwaffentests durchzuführen. Diese Testserien, die zur Verbesserung der Zuverlässigkeit und Wirksamkeit atomarer Waffen benutzt werden können und sogar zur Erprobung neuer Waffenentwicklungen, werden auf breiter Front von nicht-nuklearen Staaten als ein Zeichen mangelnden Vertrauens und als Schwächung des Vertrags gesehen. Amerikanische subkritische Tests könnten andere Atommächte veranlassen, ähnliche Tests durchzuführen und sie könnten dazu führen, daß der Vertrag zur Nichtverbreitung atomarer Waffen ausgehebelt wird.

Unter Clintons Führung steigen die USA in ein 45 Mrd. Dollar teures Vorratsverwaltungsprogramm (Stockpile Stewardship) über den Zeitraum der nächsten zehn Jahre ein. Ein Hauptmerkmal ist das labormäßige Testen von Atomwaffen. Das Programm umfaßt die Entwicklung der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore Labor zur Durchführung thermonuklearer Tests mit Hochenergielasern.

Präsident Clintons positivster Beitrag in Bezug auf Abrüstungsthemen war sein Einsatz für die Ratifizierung der Chemiewaffenkonvention durch den US-Senat. Er hat angedeutet, sich in gleicher Weise für die Ratifizierung des Comprehensive Test Ban Treaty im Senat einzubringen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß dieser Vertrag je in Kraft tritt, da hierzu die Ratifizierung durch Indien nötig ist. Indien hat erklärt, den Vertrag erst dann zu unterzeichnen, wenn die bekannten Atommächte sich verbindlich verpflichten, ihre atomaren Arsenale zu vernichten, so wie es Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages vorschreibt.

Die Clinton-Regierung hat einige konstruktive Schritte unternommen, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu kontrollieren. Im großen und ganzen läßt sich aber an der Abrüstungsbilanz der Regierung noch viel verbessern. Die Clinton-Regierung hat nicht aufgehört, den ungeheuren Appetit des Militärs nach Ressourcen zu füttern, ist der Welt größter Waffenexporteur gewesen, hat scheinheilig bei Rüstungskontrolle und Abrüstung taktiert, hat es versäumt, die außergewöhnliche Gunst des Augenblicks zur atomaren Abrüstung zu nutzen, und sie hat sich vernünftigen und notwendigen Maßnahmen wie dem Verbot von Landminen widersetzt.

Wenn Mister Clinton positive Erinnerungen an seine zweite Amtszeit hinterlassen möchte auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung, so wird er nicht umhin können, die meisten seiner jetzigen politischen Grundsätze zu überdenken und zu einem weitsichtigeren und couragierteren Führungsstil zu greifen, wenn es um Abrüstung und die Beschneidung von Waffentransfers geht. Schafft er es nicht, derartige Führungsqualität zu entwickeln, wird er nicht als einer der großen Präsidenten in die Geschichte eingehen.

David Krieger ist Präsident der Nuclear Age Peace Foundation

Die Friedensdividende: Enttäuschte Hoffnungen?

Die Friedensdividende: Enttäuschte Hoffnungen?

von Michael Dedeck

Der Rückgang der weltweiten Militärausgaben um mehr als 30 Prozent zwischen 1987 und 1994 setzte enorme finanzielle Mittel für die zivile Verwendung frei. Schnell kamen Hoffnungen auf eine direkte Friedensdividende für nachhaltige und soziale Entwicklung auf, die fast genauso schnell enttäuscht wurden: Eine direkte Umwidmung von Militärausgaben – etwa hin zu Sozialausgaben oder Entwicklungshilfe – ist nicht passiert. Vielmehr wurden die freigewordenen Mittel zu ganz überwiegenden Teilen außerhalb des öffentlichen Sektors verwendet. Die durch dieses vermeintliche Ausbleiben der Friedensdividende verursachte Desillusionierung liegt in der verkürzten Betrachtung des Konversionsprozesses begründet: Es ist nicht damit zu rechnen, daß die Friedensdividende einem Nullsummenspiel gleicht, bei dem unendlich schnell und ohne Anpassungskosten Mittel aus einer Tasche in die andere Tasche staatlicher Verwendung umgeschichtet werden können. Vielmehr bedarf es einer genauen und längerfristigen Analyse des gesamten Reallokationsprozesses mit seinen Barrieren, Widerständen und Wirkungen – dann allerdings wird die Friedensdividende sichtbar.

Die weltweiten Ausgaben für Rüstung und Militär sind seit 1987 ununterbrochen gesunken. Wurden auf dem Höhepunkt der globalen Wettrüstung 1987 weltweit noch mehr als 1 Billion US-Dollar (gemessen in US-Dollar 1994) allein für Militär und Rüstung aufgewendet, so sank diese Summe auf »nur noch« 700 Mrd. US-Dollar in 1995 (Die verwendeten Daten entstammen der Datensammlung des Bonn International Center for Conversion, BICC 1997). Diese auf den ersten Blick gewaltige Reduktion um immerhin 30 Prozent verteilte sich weder zeitlich noch regional gleichmäßig. Wie so oft, verschleiern auch hier hoch aggregierte Zahlen den Blick auf die wesentlichen Faktoren der Entwicklung.

Der Prozeß der Reduktionen der Militärausgaben startete langsam mit einer Reduktionsrate von durchschnittlich weniger als 2 Prozent pro Jahr zwischen 1988 und 1991. Das Ende der Ost-West-Konfrontation, die gravierenden Zwänge zu ökonomischer und politischer Transformation in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes und die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte in den westlichen Industrieländern führten zu Beginn der Neunziger Jahre zu verstärktem Rückgang der Militärhaushalte. Die durchschnittliche jährliche Reduktionsrate stieg für den Zeitraum 1990-1993 auf 6 Prozent.

Dieses an sich so positive Ergebnis verliert enorm an Gewicht, wenn man den Einfluß der Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa isoliert: Klammert man die Staaten aus Zentral- und Osteuropa sowie die Neuen Unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion aus der Betrachtung aus1, so sinkt selbst in 1992, dem Jahr der stärksten globalen Kürzungen der Militärausgaben (12,6 Prozent verglichen mit 1991), die Reduktion auf vernachlässigbare 0,7 Prozent. Im gleichen Zeitraum sanken die Militärausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten um durchschnittlich 3 Prozent – die Deutschlands um 4,3 Prozent. Im Jahr 1995 verlangsamte sich der Reduktionstrend erneut: Die weltweiten Militärausgaben sanken gegenüber 1994 nur um 3,2 Prozent.

Der beschriebene Trend spiegelt sich auch in sinkenden Anteilen der Militärausgaben am weltweiten Bruttosozialprodukt wider. Der Internationale Währungsfonds kommt zu dem Ergebnis, daß der Anteil der weltweiten Militärausgaben am Weltsozialprodukt von 3,7 Prozent in 1990 auf einen durchschnittlichen Wert von 2,8 Prozent für die Jahre 1991-95 und auf unter 2,4 Prozent in 1995 gesunken ist (Gupta, Schiff, Clements 1996: 3).

Trotz der sehr unterschiedlichen Entwicklungen in einzelnen Ländern stehen weltweit enorme finanzielle Summen für die zivile Verwendung bereit.

Keine direkte Friedensdividende

Mit dem Freiwerden der finanziellen Mittel aus dem Militärbereich wurden sehr schnell die Rufe nach einer direkten Nutzung dieser Mittel für die Verbesserung der »Human Security« mit all ihren Facetten von Entwicklung und sozialer Sicherheit laut. Die Friedensdividende sollte sofort greifbar sein.

Der prominenteste Ansatz in diesem Feld wurde 1994 vom United Nations Development Programme im Human Development Report 1994 eingebracht:

A genuine improvement in human security requires that the resources saved the ,Peace Dividend` be fully harnessed for human development.“ (UNDP 1994: 58) Zusammen mit dieser politischen Forderung wurde eine Abschätzung der Höhe der globalen Friedensdividende vorgelegt. In diesem Konzept wird die tatsächliche Entwicklung der Militärausgaben mit der Fortschreibung des Höchststandes im Jahr 1987 verglichen. Die in den einzelnen Jahren nach 1987 entstehenden Einsparungen werden zur Friedensdividende summiert. Wendet man dieses Verfahren auf neuere Daten an, so ergäbe sich von 1987 bis 1995 eine Friedensdividende aus »gesparten« Ressourcen von mehr als 1,3 Billionen US-Dollar:

Schaut man sich nun die tatsächliche Verwendung der frei gewordenen finanziellen Mittel an, so stellt man fest, daß solche direkten Umwidmungen von Militärausgaben selbst auf nationaler Ebene nicht passierten, geschweige denn im internationalen Zusammenspiel ein koordiniertes Vorgehen der Staatengemeinde zu beobachten war. Vor dem Hintergrund nationaler wirtschaftlicher Probleme wurde von den politischen Entscheidungsträgern gerade nicht die Option einer direkten Umwidmung der freigewordenen Ressourcen innerhalb des öffentlichen Sektors gewählt. Vielmehr wurden die Ressourcen ganz überwiegend außerhalb des öffentlichen Sektors z.B. für die Senkung der Netto-Neuverschuldung verwendet.

Diese auf den ersten Blick vielleicht enttäuschende Tatsache wird auch besonders in Deutschland deutlich: Ein großer Teil der freigewordenen Mittel (ca. 6-7 Prozent der Gesamtkosten von 150 Mrd. DM p. A.) wurde zur Finanzierung der Kosten der Einheit verwendet, wobei hier freilich auch ein Druck in Richtung höherer Einsparungen nicht zu übersehen ist. Jedenfalls wird deutlich, daß politische und ökonomische Situationen vermehrt Einfluß auf die Militärbudgets bekommen.

Im Ergebnis läßt sich in der Diskussion um die Friedensdividende eine starke Desillusionierung konstatieren, da die freigesetzten finanziellen Ressourcen zu ganz überwiegenden Teilen nicht in nachhaltige und soziale zivile Verwendungen innerhalb des öffentlichen Sektors umgewidmet wurden.

Friedensdividende ist nicht eindimensional

Ist die Ansicht, die Friedensdividende habe es gar nicht gegeben, korrekt oder eher zynisch, weil schon die Erwartungen einer schnell greifbaren Manifestierung verfehlt waren?

Um diese Frage zu beantworten und Auswege aus der Desillusionierung vorzubereiten, muß man die Gründe untersuchen, die erklären, warum es zu einer direkten Umwidmung nicht gekommen ist und damit auch nicht gerechnet werden konnte.

• Kein Nullsummenspiel

Wie oben schon anklang: Die zivile Verwendung für soziale Entwicklung innerhalb des staatlichen Budgets ist nur eine von mehreren Möglichkeiten staatlichen Handelns. Es gibt keine a priori Festlegung auf diese Möglichkeit (United Nations 1995: 198). Grundsätzlich sind zumindest zwei Konversionstypen zu unterscheiden: 1. Verwendung innerhalb des zivilen staatlichen Sektors, ressortverlassende Konversion und 2. Verwendung im privaten Sektor, budgetverlassende Konversion (Köllner 1990: 194).

Auch wenn damit die Friedensdividende zerteilt wird und nicht mehr so leicht vereinnahmt werden kann: Beide Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen, und mehr noch: Innerhalb dieser grundsätzlich unterschiedlichen Verwendungsarten existiert wiederum eine Vielzahl von alternativen Verwendungsmöglichkeiten, die als Handlungsalternativen der Entscheidungsträger zu betrachten sind.

So stellt selbst bei einem Verbleib der Finanzmittel im öffentlichen Sektor die direkte »soziale« Verwendung nur eine Möglichkeit der Umwidmung dar. Andere Verwendungsmöglichkeiten wie z.B. für staatliche Infrastruktur oder ähnliches dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus erscheint es in sich problematisch, von einem Verbleib der Mittel im öffentlichen Sektor auszugehen. Vielmehr muß die Verwendung im privaten Sektor und damit die Möglichkeit sinkender Staatsausgaben gerade in den Zeiten stark angespannter Finanzhaushalte in die Betrachtung eingeschlossen werden.

Die Friedensdividende ist kein Nullsummenspiel, bei dem kostenlos und unendlich schnell, Mittel aus einer in die andere Tasche umgeschichtet werden können (Eichenberg 1992: 232). Die Verwendung der Friedensdividende zur Reduktion der Neuverschuldung und der Verwendung innerhalb des privaten Sektors etwa durch Steuersenkungen stellen nicht nur andere Möglichkeiten der Verwendung dar, sondern erklären zu einem großen Teil die beschriebene Desillusionierung.

• Kein rein fiskalischer Akt

Die Verkürzung der Betrachtung auf fiskalische Größen verkennt den allokativen Charakter des Konversionsprozesses. Der Konversionsprozeß ist in hohem Maß ein Anpassungsprozeß, in dem keine kurzfristige und sofortige Friedensdividende entsteht (Intriligator 1996: 1). Mit der Reduktion von Militärausgaben sind zumindest kurzfristig nicht zu verachtende Anpassungskosten verbunden. Die Kosten temporärer Unterbeschäftigung in stark betroffenen Regionen, die Kosten der Beseitigung von immensen Umweltschäden auf verlassenen Liegenschaften und die Kosten der Verschrottung überschüssigen Waffenmaterials sind nur einige Beispiele solcher Kosten. Es ist Aufgabe der Politik, den Anpassungsprozeß zu begleiten und eine sinnvolle Konversion zu ermöglichen.

• Eine einseitige Kausalität

Die Probleme der eindimensionalen Betrachtung der Friedensdividende werden noch verstärkt, wenn man die kausalen Zusammenhänge zwischen Rüstungsbudgets und fiskalischer bzw. ökonomischer Situation analysiert. Ohne hier in die Tiefe der verteidigungsökonomischen Analysen von Militärbudgets eingehen zu wollen, erscheint die Frage berechtigt, ob der Abbau der Militärhaushalte nicht vielfach nur eine einfache Folge von ökonomischen Zwängen ist, wobei die Kürzung selbst sich dann auch positiv auf andere Bereiche oder die gesamte ökonomische Situation auswirken kann. Die Entscheidungen über die Höhe der Militärausgaben werden jedenfalls mehr als je zuvor durch ökonomische Faktoren und immer weniger durch militärische oder »sicherheitspolitische Notwendigkeiten« determiniert. Die Entscheidung über die Einzelhaushalte ist nicht vom gesamten Budgetprozeß zu trennen. Vielmehr erfolgt in der politischen Realität die Bestimmung der Teilbudgets erst nachdem das Gesamtvolumen der staatlichen Aktivität festgelegt worden ist (Joerding 1986).

Die Friedensdividende als Prozeß

Bleibt also die Friedensdividende eine Illusion verkürzt denkender Phantasten oder kann aus den Gründen für die Desillusion ein weiterreichendes Konzept gebaut werden?

Die Konsequenz aus dem Scheitern des ursprünglichen Konzeptes muß sein, ein erweitertes, umfassenderes Bild einer positiven Friedensdividende zu zeichnen und die Reallokation freiwerdender Finanzmittel als Prozeß zu begreifen. Der Prozeß beginnt mit den Bestimmungsgründen der Entscheidung über Verteidigungshaushalte, schließt die alternative Verwendung vor dem Hintergrund aller Handlungsmöglichkeiten ein und reicht bis zu den ökonomischen wie sozialen Effekten dieser Verwendungen.

Die Reallokation der verfügbaren Mittel ist ein komplexes Geflecht mit Gründen und Effekten, Entscheidungen und Transmissionen im Spannungsfeld von Politik und Ökonomie. Eine längerfristige Analyse ist notwendig, will man die Frage nach der Friedensdividende nicht verneinen.

• Mehr als ökonomische Ziele

Trotz der Komplexität des gesamten Prozesses ist der Beginn leicht zu identifizieren: Er liegt im staatlichen Budgetprozeß und setzt die Entscheidung zu Kürzungen des Rüstungshaushaltes voraus. Schon wesentlich schwieriger ist es hingegen, den Endpunkt des Prozesses, die Zielgrößen, die erwarteten positiven Effekte auch nur konkret zu benennen. Im Rahmen des UNDP-Konzeptes ist es der positive Beitrag zum Human Development, der aus den Kürzungen der Verteidigungsausgaben eine Dividende erwachsen läßt. In einer Prozeßbetrachtung, die in starkem Maße auch ökonomische Effekte wie etwa die Wirkung alternativer Verwendungen auf makroökonomische Zielgrößen in die Betrachtung einbezieht, könnte eine Definition positiver Wirkungen allein über diese ökonomischen Variablen erfolgen. Ein solcher Ansatz steht in der Tradition verteidigungsökonomischer Modellierung und beantwortet Fragen wie: Wirkt der Rückgang von Verteidigungsausgaben positiv auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum?

Selbst wenn diese Frage bejaht wird, muß bei einer umfassenden Betrachtung noch untersucht werden, ob diese positiven makroökonomischen Effekte auch auf der individuellen sozialen und der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsebene positiv wirken. In der politischen Diskussion wie in der Literatur wird grundsätzlich eine solche positive Wirkung von Wirtschaftswachstum oder zivilen Staatsausgaben auf Sozial- und Entwicklungsindikatoren unterstellt. Dieser Zusammenhang wird aber in der Regel a priori angenommen und nicht hinterfragt (Chan 1995b: 3). Gleichwohl ist es vorstellbar, daß positive Effekte im Bereich makroökonomischer Zielgrößen keine oder sogar negative Einflüsse auf Sozial- und Entwicklungsindikatoren haben. Die Realität in Deutschland mit einem positiven Wirtschaftswachstum, aber steigender Arbeitslosigkeit unterstreicht diesen Punkt. Als weiteres Beispiel sei angeführt, daß schnelles Wirtschaftswachstum ohne positive Arbeitsmarkteffekte eher zu einer Umverteilung zugunsten höherer Einkommensgruppen führt und insofern negativ zur sozialen Entwicklung beitragen kann.

Welcher Sichtweise man sich in dieser sehr grundsätzlichen Debatte auch anschließen mag, die Verfolgung makroökonomischer Ziele kann kein Selbstzweck sein. Die Wahl rein ökonomischer Variablen als Zielgrößen bei der Beschreibung der Friedensdividende stellt erneut einen verkürzten Ansatz dar, der nur eine Seite der Transmission alternativer Verwendungen beleuchtet.

Um den beschriebenen Prozeß sichtbar zu machen und zu strukturieren, ist die Identifikation von Stufen zwischen der Entscheidung über die Kürzung des Haushaltes und den erwarteten positiven Effekten hilfreich. Im Verlauf der Reallokation lassen sich in Anlehnung an Steve Chan drei unterschiedliche Zwischenstufen identifizieren, die man als drei unterschiedliche Friedensdividenden auffassen kann (Chan 1995a):

  • Welche Motive auch immer zur Entscheidung führen, am Anfang des Prozesses steht immer die Ressourcen-Dividende als die Summe, die für eine zivile Verwendung zur Verfügung steht und das Potential für die Reallokation bildet.
  • Aus den Entscheidungen über die alternative Verwendung der eingesparten Mittel resultiert die Produkt-Dividende. Welcher Mix an alternativen Verwendungen auch gewählt wird, die Wirkungen durch politische wie ökonomische Transmissionen der verbundenen Impulse können sehr unterschiedlich sein. Am Ende dieser Stufe des Prozesses wirkt die zivile Verwendung der freigewordenen Ressourcen auf makroökonomische Variablen.
  • Die unterschiedlichen Ströme und Effekte stellen nur dann eine Friedensdividende in Form einer Wohlfahrts-Dividende dar, wenn die alternativen Verwendungen und ihre (positiven) ökonomischen Effekte in einer signifikanten sozio-ökonomischen Besserstellung breiter Gruppen der Gesellschaft münden. Nur wenn die verwobenen Effekte und Interaktionen mindestens längerfristig zu einem positiven Ergebnis in Bezug auf eine Wohlfahrtsdividende führen, können diese Effekte wiederum neue Entscheidungen über die Rückführung von Militärhaushalten induzieren.

Fazit:

Ein prozeßorientierter Ansatz zur Friedensdividende, der die längerfristigen Chancen zeigt, ohne die kurzfristigen Hindernisse zu verschweigen, erklärt ein Stück weit die Desillusionierung in der Frage einer eindeutigen Friedensdividende und öffnet den Weg zu einem mehrdimensionalen Verständnis der komplexen Anpassungsprozesse. Ist man bereit, diesen Weg eines längerfristigen Verständnisses zu gehen und die analytische Arbeit zu leisten, so wird sehr wohl die Friedensdividende sichtbar.

Literatur

BICC (1996): Bonn International Center for Conversion: Conversion Survey 1996, Global disarmament, demilitarization and demobilization, Chapter 1: Military expenditures – The Peace Dividend lost or lasting? Oxford, New York 1996

BICC (1997): Bonn International Center for Conversion: Conversion Survey 1997, Global disarmament and disposal of surplus weapons. Oxford, New York 1997

Chan, Steve (1995a): Grasping the Peace Dividend: Some propositions on the conversion of swords into plowshares, in: Mershon International Studies Review, 1995/ 39: S.5395

Chan, Steve (1995b): Romancing the Peace Dividend. A commissioned report on budgetary tradeoffs. Bonn 1995

Eichenberg, Richard C. (1992): Do we yet know who pays for defense? Conclusions and synthesis, in: Chan, Steve/ Mintz, Alex: Defense, welfare and growth, London et al. 1992: S.231-241

Gupta, S./ Schiff, J./ Clements, B. (1996): Worldwide military spending, 1990-95, IMF Working Paper. International Monetary Fund. 1996

The International Bank for Reconstruction and Development/ The World Bank (1996): From Plan to Market, World Development Report 1996. Oxford, New York 1996

Intrilligator, Michael D. (1996): The peace dividend: Myth or reality, in: Gleditsch, Nils Petter et al: The Peace Dividend, Amsterdam 1996: S. 1-13

Joerding, Waybe (1986): Economic growth and defense spending: Granger causality, in: Journal of Development Economics, 1986/ vol. 21: S. 35-40

Köllner, Lutz (1990): Formen fiskalischer Konversion, in: Köllner, Lutz/ Huck, Burkhardt J.: Abrüstung und Konversion – Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik, Frankfurt/M. New York 1990: S. 193-210

UNDP (1994):United Nations Development Programme: Human Development Report 1994, New York 1994

United Nations (1995): World Economic and Social Survey 1995. Current Trends and Policies in the World Economy. New York 1995

Anmerkungen

1) Dem World Development Report 1996 (World Bank 1996) folgend, wird hier aus analytischen Gründen auf die Gruppe der Zentral- und Osteuropäischen Länder (CEE) abgestellt. Diese Gruppe enthält die Länder Albanien, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Ungarn, die frühere Jugoslawische Republik Mazedonien, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik und Slowenien. Bosnien Herzegowina und die Bundesrepublik Jugoslawien sind nicht Teil dieser Gruppe. Die neuen unabhängigen Staaten sind Armenien, Azerbaijan, Belarus, Estland, Georgien, Kazachstan, die Kyrgisische Republik, Lettland, Litauen, Moldavien, Russland, Tajikistan, Turkmenistan, Ukraine, und Uzbekistan. Zurück

Michael Dedeck, Diplom-Ökonom, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonn International Center for Conversion (BICC), arbeitet zur Zeit an einem Forschungsprojekt zur Reallokation von Militärausgaben und Ergebnissen der Friedensdividende.

KSE II

KSE II

Neue Abrüstungsdynamik oder kontrollierte Rüstungsmodernisierung?

von Ulrich Albrecht

Seit Anfang des Jahres steht – sechs Jahre nach dem ersten Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) – eine Fortsetzung der KSE-Verhandlungen zur Diskussion. Doch handelt es sich bei dem, was in der Öffentlichkeit unter »Abrüstungsverhandlungen« geführt wird, wirklich um Abrüstung oder geht es dabei nicht vielmehr um eine abgestimmte Rüstungsmodernisierung? Ulrich Albrecht legt dar, wie die Unterzeichner-Staaten des KSE-Vertrages den alten „Vertrag bis zum Rand des Möglichen dehnen“ und welche Kräfte und Mechanismen der Einleitung einer umfassenden Abrüstungsdynamik entgegenstehen.

Als der Wiener Vertrag über »Konventionelle Streitkräfte in Europa« (KSE) 1990 unterschriftsreif gemacht wurde, verwiesen die Diplomaten und Militärs viele der nicht behandelten oder nicht gelösten Probleme in einen großen Sammelkorb, intern »KSE II« genannt. Man war der Überzeugung, beim ersten großen Abrüstungsvertrag in Europa nicht auf einen Schlag alle wichtigen Fragen behandeln zu können und eher am Beginn eines Prozesses zu stehen als ein abschließendes Regelwerk über Rüstung in Europa durchzuverhandeln. Kriegsschiffe wurden beispielsweise von vornherein außen vor gelassen. Im Verlauf der Verhandlungen selber kam es bei Erörterungen über Modalitäten der Vertragsüberprüfung wiederholt zu Gegensätzen etwa darüber, wie Truppenstärken zuverlässig von außen kontrolliert werden könnten. Besonders die amerikanischen Unterhändler wiederholten Positionen, die sie schon zwanzig Jahre zuvor bei den MBFR-Verhandlungen vorgetragen hatten: „Niemand vermag Personalstärken zu verifizieren“ (Arms Control Reporter 1992, sheet 410. B. 19).

Mit dem Ende der UdSSR und der Auflösung sicherheitspolitischer Spannungen erwiesen sich Fragen wie Verifikationsdetails, über die wenige Jahre zuvor zäh gerungen worden war, als zweitrangig. Der am 4. März 1992 gleichfalls in Wien abgeschlossene folgende KSE-1A Vertrag (Titel: The Vienna Document 1992 of the Negotiations on Confidence- and Security-Building Measures) geht wenig über den KSE-Urvertrag hinaus. Die vereinbarten Verifikationsverfahren erwiesen sich 1992 als noch weniger bedeutsam als knapp zwei Jahre zuvor. Der Vertrag enthält vereinbarte Obergrenzen für die Streitkräfte der europäischen Länder – nicht aber für Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Moldawien. Diese Staaten sahen sich im Krieg und legten in Wien keine eigenen Daten vor. So wurde der neue Vertrag halt ohne diese vier Folgestaaten der UdSSR fertig gemacht, ohne daß dies irgendjemandem größere sicherheitspolitische Nöte bereitet hätte.

Problem Nr.1: Die Waffen-Kaskade

Der KSE-Vertrag regelte auf vielfache Weise, wie nunmehr überzählige Waffen zu beseitigen seien. Insgesamt waren acht Verfahren zur Wahl angeboten worden (Artikel VIII des Vertrages sowie ein umfängliches einschlägiges »Protocol on Procedures Governing the Reduction of Conventional Armaments and Equipment«). Panzer sollten entweder zerstört, für zivile Zwecke umgerüstet oder statisch ausgestellt werden. Ausgemusterte Geschütze durften zudem als Übungsziele, Kampfflugzeuge am Boden für Ausbildungszwecke und Düsentrainer als unbewaffnete Schulflugzeuge verwendet werden. Bei Kampfhubschraubern wurde die Möglichkeit der Neuklassifizierung als Transportgeräte eröffnet. Friedenspolitisch als weitaus gravierender erwies sich freilich eine Möglichkeit, die der Vertrag nicht explizit ausschließt: die Abgabe überzähliger moderner Waffen an zweitrangige Militärmächte.

Im Dezember 1990, reichlich spät, nämlich kurz vor Vertragsabschluß, teilten die NATO-Verteidigungsminister ihre Auffassung mit, daß es eigentlich schade um viele der relativ neuwertigen Waffen sei und daß man es vorziehe, diese innerhalb des Bündnisses umzuverteilen, anstatt sie zu zerstören: „Deutschland, Italien, die Niederlande und die USA planen, 2700 Kampfpanzer, 1000 Schützenpanzer und 300 Geschütze an Dänemark, Griechenland, Norwegen, Portugal, Spanien und die Türkei zu überführen.“ Zudem sollten auf dem Wege einer Aufspaltung, die das Manöver weniger provokant erscheinen lassen sollte, 1075 Schützenpanzer und 325 Geschütze aus der »Zentralregion« der NATO heraus an die »Flanken« des Bündnisses gebracht werden.

Die Empfänger dieser unverhofften Waffengaben, so die NATO-Verteidigungsminister 1990, sollten im Gegenzug eigene ältere Waffen zerstören. Bei dem an zweiter Stelle angeführten »Flankengeschäft« sollten die Empfänger lediglich verpflichtet werden, ein Drittel ihrer Altbestände an Kanonen zu zerstören.

Besonders die levantinischen Empfänger Griechenland und Türkei verstanden die Botschaft sogleich. Anstatt umfangreiche Haushaltsmittel für die Zerstörung von Gebrauchtwaffen einzusetzen, fanden sie es vernünftiger, ihre Vormächte zu kopieren und ihrerseits im Gegenzug zu den Eingängen an hochwertigen Rüstungsgütern aus dem Norden ältere Waffen an drittrangige Militärmächte weiterzugeben. Über einen Aufschrei der NATO, daß so die Sache nicht gemeint gewesen sei, ist nichts bekannt geworden.

Nicht die Zerstörung der überschüssigen Waffen wurde forciert, sondern der Einsatz in Kriegsgebieten toleriert.

Die zweite Stufe der Kaskade führt direkt in Kriege. Wie in solchen Fällen üblich, lassen sich Aussagen der Kriegsgegner über Waffentransfers an den Feind nicht überprüfen. Hohe Verluste an Kriegsgerät besonders in den Kriegen im Kaukasus machen die Datenlage zudem noch unübersichtlicher. Umfang und Wirkungen westlicher »Kaskade«-Beiträge, die etwa die Bundesrepublik kurzfristig auf Platz 2 der Weltrangliste der Waffenexporteure vorstoßen ließen, sind genügend bekannt (dazu neuerdings Kopte/Wilke in Kaldor 1997). Die Türkei hat beispielsweise das große Kontingent an 300 000 AK-47 Sturmgewehren mit 83 Millionen Schuß Munition, welche sie aus Beständen der NVA übernommen hat, nicht dazu benutzt, von NATO-Standards auf die des Warschauer Pakts umzurüsten, sondern nutzt diese Waffen zur Ausrüstung sogenannnter Dorfschützer in kurdischen Gebieten sowie zur Unterstützung der Bosnier in den Kriegen im vormaligen Jugoslawien. Westlichen Quellen zufolge haben auch die Nachfolgestaaten der UdSSR kräftig das westliche Muster kopiert, vom Wiener Vertrag gestrichene Waffen an politische Klienten weiterzugeben, auch wenn sich diese gerade im Kriege befanden. So sollen zwischen Herbst 1992 und Sommer 1993 allein 575 Kampfpanzer, 799 Schützenpanzer und 1178 Geschütze an Armenien, Aserbaidschan und Georgien abgegeben worden sein (Arms Control Reporter 1993, sheets 407. E-1.127-8, und 131-2). Moldawien hat augenscheinlich Panzerlieferungen von Rumänien erhalten, und die Türkei lieferte im Frühjahr 1993 an Aserbaidschan Waffen und Munition. Aserbaidschan soll außerdem Gebrauchtwaffen von der Ukraine übernommen haben (1993 gestand das Außenministerium von Aserbaidschan zu, eine Anzahl älterer T-55 Panzer von der Ukraine bekommen zu haben). SIPRI kommt im Falle Aserbaidschan zu dem auch für andere kaukasische Staaten verzeichneten Ergebnis, daß dieser Staat mittlerweile „sein Militärpotential weit über die Obergrenzen des KSE-Vertrages hinaus verstärkt habe“ (Koulik/Kokoski 1994: 115).

Der KSE-Vertrag wird bis zum Rand des Möglichen ausgedehnt

Die Schlußfolgerung: Um geringfügiger politischer und militärischer Vorteile willen zeigen sich die Unterzeichner-Regierungen des KSE-Vertrages geneigt, den Vertrag bis zum Rande des Möglichen zu dehnen. War erst einmal die Hauptsorge vor dem Militärpotential des bisherigen Hauptgegners beschwichtigt, so waren die Regierungen bereit, statt der Zerstörung der aus den eigenen Arsenalen zu beseitigenden Waffen diese allen möglichen, in ihren Augen nützlichen Verwendungen zuzuführen, ja gar den Einsatz im Krieg zu tolerieren. Wie der amerikanische Rechnungshof nachgewiesen hat, haben die USA in der Umsetzung des KSE-Vertrages kein einziges Rüstungsgut zerstört, sondern alle überzähligen Waffen »kaskadiert«, ein eindrucksvolles Arsenal von knapp 2000 Kampfpanzern, 636 Schützenpanzern und 180 Geschützen (GAO 1993: 20). Die Rechnungshöfe anderer Staaten haben solchen Aufklärungswillen nicht demonstriert (selbst das GAO hielt es für nötig, seine kritischen Hinweise auf das US-Verhalten diskret in Informationen über die Vertragstreue des vormaligen Warschauer Paktes sowie Kostenkontrolle bei der amerikanischen Verifikation einzubetten). In der Bundesrepublik hat die Opposition nicht darauf bestanden, daß die Regierung insgesamt kund gibt, was mit allen nach dem Wiener Vertrag zu beseitigenden Waffen geschehen ist, oder gar die Abläufe zu bewerten.

So verbleibt: Auch der KSE-Vertrag hat in der neueren Vergangenheit, trotz mancher Vorzüge, nicht wirklich friedenspolitisch gewirkt. Wo es brannte, wurde er nicht strapaziert. Der Befund wirft erhebliche Fragen auf für die Zukunft, für ein mögliches Nachfolgeabkommen KSE-II.

Problem Nr.2: Fortgang des qualitativen Wettrüstens

Als für die Zukunft wirklich gravierendes Problem erweist sich, daß der Vertrag „erheblich Raum für die technische Modernisierung der verbleibenden Waffenbestände und die Möglichkeit für drastische qualitative Verbesserungen der Kampffähigkeiten im Rahmen der zugestandenen quantitativen Obergrenzen gibt. Der Vertrag erlegt der Forschung und Entwicklung sowie der Produktion keine Beschränkungen auf und beschränkt somit nicht das Recht der Staaten, vorhandene Hardware durch neuere, leistungsfähigere Systeme zu ersetzen,“ schreiben Koulik und Kokoski in ihrem Standardwerk über den KSE-Vertrag (Koulik/Kokoski 1994: 40).

Theoretisch sollte der qualitative Rüstungswettlauf mit dem Ende des Kalten Krieges ebenso an Schwung verloren haben wie das quantitative Wettrüsten, welches ja mit dem KSE-Vertrag wirksam ausgebremst wurde (genauer gefaßt: der Vertrag stellt das Notariat dafür dar, daß das quantitative Wettrüsten in Europa zu Ende ist).

Nach dem Golfkrieg waren Militärs die ersten, die sich darüber wunderten, daß das qualitative Wettrüsten weitergeht. Generalleutnant Richard Swinburn, Kommandeur einer britischen Panzerdivision in Kuwait, äußert sich erst einmal skeptisch über die Entwicklungsmöglichkeiten der Panzerwaffe: „Eines Tages wird sich herausstellen, daß Panzer langsame, schwere, inflexible, teure, häufig unzuverlässige [Fahrzeuge] sind, denen es zudem an strategischer und operativer Mobilität fehlt, und die ihr nutzbares Lebensalter auf dem Schlachtfeld überlebt haben“ (Swinburn 1992: 37). Wenn nichts geschieht, geht jedoch der Rüstungswettlauf bei der Panzerwaffe weiter: Auf den Reißbrettern der einschlägigen Industrie entstehen Monster mit 14 cm-Kanonen (statt der heute üblichen 12 cm), mit noch schwereren Panzerungen (von mehr als vier Tonnen Gewicht pro Quadratmeter Schutzfläche, vgl. Albrecht in Kaldor 1997: 173).

Die zentrale Antwort auf die selbstgestellte Frage, warum bei diesen Dinosauriern in seinem Kompetenzgebiet der Wettlauf dennoch anhält, sieht General Swinburn bemerkenswerterweise in kommerziellen Gründen. „Exporte werden Anforderungen nach der Weiterentwicklung von künftigen einheimischen [Panzer]Modellen stützen, um der kommerziellen Opposition voran zu bleiben – eine ironische Fortsetzung des herkömmlichen Musters sprunghafter Steigerungsprozesse“ (Swinburn 1992: 37). Auch wenn Großbritannien sich vernünftigerweise einer Teilnahme am unsinnigen weiteren Fortgang des Panzerwettrüstens enthielte, so der General, würde das dem Wettrüsten nicht die Spitze nehmen: „Auch wenn Britannien sich entscheiden würde, aus solch einem eigendynamischen Prozeß auszuscheiden, würde der anhalten, und zwar angetrieben von den Industrien anderer Länder, die auf von uns aufgegebene Verkaufsmöglichkeiten hechten würden“ (Swinburn 1992: 37). Ähnlich begründet das Pentagon die Notwendigkeit, neuartige Jäger beschaffen zu müssen (Secretary of Defense 1994: 179), mit dem Verweis auf neue Bedrohungen, die sich aus dem Export moderner künftiger Kampfflugzeuge aus Rußland und Frankreich ergäben.

Daneben wirken die Denkmuster des Kalten Krieges fort, bei westlichen Panzerbauern vor allem in Gestalt einer Schimäre, des »FST«, des »Future Soviet Tank«. Noch Ende 1992 verwiesen Panzerfachleute aus dem Bundesverteidigungsministerium (Albrecht in Kaldor 1997: 158) auf die äußerst kurzen Entwicklungszeiten für neue russische Panzer und meinten, auch wenn die große Panzerarmada aus dem Osten mittlerweile reduziert sei: „Das militärische Potential jedoch ist weiterhin vorhanden!“

Augenscheinlich treibt die Kombination von kommerziellem Wettbewerb (dem Wunsch der Herstellerfirmen, auf dem Weltmarkt mit dem Angebot technologisch überlegener Waffen in Führung zu bleiben) und Bedrohungsvorstellungen (Sicherheit durch Rüstung, die anderen überlegen ist) weiterhin das qualitative Wettrüsten trotz des Endes des Systemkonfliktes zwischen Ost und West wirksam voran.

Ein Versuch, wenigstens einmal aus dem qualitativen Wettrüsten auszusteigen – Rüstungsmoratorium

In den USA wurde im politischen Umfeld der Demokratischen Partei in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts heftig die Idee diskutiert, daß es doch möglich sein müsse, dem Wettrüsten Zügel aufzuerlegen und zumindest in einem Rüstungszweig exemplarisch zu einem Anhalten zu gelangen. Wenn weltweit alle Produzenten in einer Waffenkategorie, so die Grundüberlegung, sich einem Rüstungsmoratorium anschließen könnten, stünden sicherheitsmäßig alle Beteiligten eben dort, wo sie sich beim Start des Manövers befanden. Andererseits könnten bei einem solchen Versuchs-Moratorium enorme Geldsummen eingespart werden. Randy Forsberg, einst die Erfinderin der »Freeze Campaign« (für Nuklearwaffen) übernahm die Koordination dieses Versuches.

Die Wahl des Experimentierfeldes fiel in Amerika nicht schwer. In der Luftrüstung stand gemäß der Logik des Rüstungsfortlaufs die Beschaffung von Jägern mit STEALTH-Charakteristika in großem Maßstab an, mit einem astronomischen Stückpreis von 150 Millionen Dollar pro Exemplar des Musters F-22. Es ging um Kampfflugzeuge, die für die gegnerische Ortung über Radar oder Infrarot-Sensoren faktisch nicht erfaßbar waren und die folglich auch nicht mit bisherigen Gegenmaßnahmen, Radar- oder infrarotgesteuerten Raketen, bekämpft werden konnten. Wenig mehr als einhundert Jabos des ersten Serienmusters dieser Technologie, der F-117, hatten im Golfkrieg die durchschlagenden militärischen Nutzungsmöglichkeiten des neuen Konzeptes demonstriert. Aus Kostengründen hatte der US-Kongreß mittlerweile den Bau von Bombern des STEALTH-Musters B-2 scharf eingegrenzt. Da mittlerweile die Zahl der Länder, in denen eigene Konstruktionen moderner Kampfflugzeuge entwickelt wurden, auf sieben zusammengeschrumpft war, schien das Vorhaben auch politisch umsetzbar. Es ging um ein Moratorium für den Serienbau der Jäger F-22 (USA), Eurofighter (Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien), Rafale (Frankreich), Gripen (Schweden) sowie eines neuen russischen Kampfjets (Suchoi Su-34).

Den Vorschlag, ein Moratorium für Kampfflugzeuge anzustreben (Forsberg 1994) hat Randy Forsberg mittlerweile ausgeweitet (Forsberg in Kaldor 1997: 210) auf „ein Moratorium für die Produktion neuer 'front-line'-Waffensysteme für die Streitkräfte der Herstellerländer (welches alle fünf Jahre erneuert werden könnte), parallel mit fortschreitend tieferen Kürzungen bei den stehenden Heeren.“ – Der Wahlsieg der Republikaner Ende 1994 in beiden Häusern des Kongresses hat das Moratoriumsprojekt ins politische Aus gefegt.

Fazit: Einem neuen KSE-Vertrag, der das Notariat für eine umfassende Abrüstungsdynamik bilden würde, fehlt es an den politischen und wirtschaftlichen Grundlagen. Ein weiterer KSE-Vertrag wird eher ein weiteres Instrument der kooperativen Rüstungsmodernisierung sein.

Literatur:

Randall Forsberg (ed.) (1994): The Arms Production Dilemma, Cambridge, MA (MIT Press).

Mary Kaldor (ed.) (1997): The End of Military Fordism, vol.2: The changing global military paradigm, London (Cassell).

Sergey Koulik and Richard Kokoski (1994): Conventional Arms Control. Perspectives on Verification, Oxford (SIPRI/Oxford University Press).

Secretary of Defense, Annual Report (1994): Report of the Secretary of Defense to the President and the Congress, Washington, DC (Government Printing Office).

US General Accounting Office (1993): Conventional Arms Control: Former Warsaw Pact Nations' Treaty Compliance and US Cost Control. GAO Report to Congressional Requesters, Washington, D.C. (GAO/NSIA-94-33).

Richard Swinburn (1992): »Future armoured warfare: The case for the tank«, in: (Royal United Services Institution, RUSI) RUSI Journal, Juni.

Ulrich Albrecht, Dr.phil., ist Professor für Friedens- und Konfliktforschung am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin.