Präsident Clinton und die Abrüstung

Präsident Clinton und die Abrüstung

Verspielt er gerade eine historische Gelegenheit?

von David Krieger

Clinton begann seine erste Amtszeit mit dem Versprechen, sich für die Homosexuellen im Militär einzusetzen. Das brachte ihm einen derart massiven Widerstand aus Militärkreisen ein, daß Clinton seitdem jegliche Kraftprobe mit den Militärs vermieden hat. Selbst jetzt in seiner zweiten Präsidentschaft ohne den Druck zur Wiederwahl scheint Clinton nicht in der Lage, den Militärs nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen, ganz gleich wie unerhört deren Appetit nach Rüstung und anderen Ressourcen auch ist.

Als jüngstes Beispiel hat Clinton unter dem Druck der Militärs seine Unterstützung für das Verbot von Landminen verweigert, eine Vereinbarung, die bisher von über 100 Ländern unterzeichnet worden ist. Als Grund wurde angegeben, daß die USA Minen zum Schutz ihrer Truppen in Korea brauchten. Mit seiner Gewichtung der Bedrohung amerikanischer Truppen durch einen äußerst unwahrscheinlichen nordkoreanischen Angriff gegen das reale Gemetzel durch Landminen an jährlich 26.000 Zivilisten hat Clinton eine kurzsichtige Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung fügt sich in sein Handlungsschema, vermeintliche militärische Interessen zu unterstützen, egal ob dabei die Werte menschlichen Anstands mit Füßen getreten werden oder die Chancen auf eine friedlichere Welt.

Der Kongreßabgeordnete Walter Capps gab zur Weigerung des Präsidenten, das Verbot von Landminen zu unterstützen, folgende Erklärung ab: „Ich erhebe mich mit großer Bestürzung über die Entscheidung des Präsidenten, den Vertrag von Ottawa zum Verbot von Landminen nicht zu unterzeichnen. Die Position der Regierung ist nicht nachvollziehbar. Der einzige Weg für die Vereinigten Staaten, in dieser Angelegenheit Führungsqualität zu zeigen, ist , den umfassenden Sperrvertrag zu diesen tödlichen Apparaten zu unterzeichnen. Einhundert Nationen haben couragiert ihre Politik geändert, aber US-Anwälte haben einfach die Definition von Landmine geändert. Aber eine Landmine bleibt auch mit jedem anderen Etikett immer noch eine Landmine, und Landminen sind unmoralisch. Menschen aus allen Teilen der Welt haben sich zusammengeschlossen um laut zu fordern, damit Schluß zu machen. Kein Töten mehr, kein Verstümmeln von Unschuldigen mehr. Keine Angst mehr beim Verlassen des Hauses, um Nahrung zu beschaffen. Keine soziale und ökonomische Aushebelung mehr der ärmsten Länder dieser Welt. Ich fordere den Präsidenten auf, das Verbot der Anti-Personenminen zu unterzeichnen.“

Präsident Clinton hat einen nach Beendigung des kalten Krieges unnötig hohen Militärhaushalt unterstützt. Mit ca. 265 Mrd. Dollar pro Jahr übersteigt das US-Verteidigungsbudget die addierten Militäraufwendungen der neun nächsten ausgabenstärksten Nationen. Es ist um mehr als das fünfundzwanzigfache größer als die addierten Militärausgaben von Ländern, die als potentielle Gegner der Vereinigten Staaten angesehen werden könnten, wie Iran, Irak, Libyen, Syrien und Nordkorea. Diese gewaltigen Rüstungsausgaben werden aller Voraussicht nach auch während Clintons zweiter Amtszeit fortgesetzt werden zu Lasten innenpolitischer Gesundheits- und Bildungsprogramme und zu Lasten der Armutsbekämpfung in den Vereinigten Staaten und in Übersee.

Unter Clintons Präsidentschaft bleiben die USA der Welt größter Waffenexporteur. 1996 haben die USA Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von 13,8 Mrd. Dollar an den Rest der Welt verkauft, darunter für 7,3 Mrd. Dollar an Entwicklungsländer. Die Clinton-Regierung hat sich tatkräftig um neue Absatzmärkte für US- Waffen bemüht. 1997 hat Präsident Clinton ein zwanzigjähriges Verbot gegen den Verkauf moderner Waffensysteme an Lateinamerika aufgehoben. Er scheint durchaus bereit, hochentwickelte Militärausrüstung, wie Jagdflugzeuge, nach Lateinamerika zu verkaufen, was noch nicht einmal Reagan oder Bush in Betracht gezogen haben.

Als der Kongreß als Zusatz zum State Department Authorization Act Richtlinien für den Waffenexport verabschiedete, um den Waffenverkauf an Diktatoren einzuschränken, widersetzte sich die Clinton-Regierung. Sie argumentierte, daß der Präsident den Handlungsspielraum brauche, Waffen an Länder seiner Wahl zu verkaufen, ungeachtet von Menschenrechtsbilanzen oder Demokratiekriterien.

Die Kongreßabgeordnete Cynthia McKinney, die den Richtlinienantrag eingebracht hatte, erklärte: „In den vergangenen vier Jahren sind 85 Prozent der amerikanischen Waffenverkäufe in die Dritte Welt an nichtdemokratische Regierungen gegangen. Die Vereinigten Staaten sind verantwortlich für 44 Prozent aller Waffenexporte in der Welt. Die Vereinigten Staaten sind ohne Qualifikation der Waffenhändler der Welt und die Adresse für die Diktatoren der Welt, um den Tod einzukaufen.“ Während Clintons erster Amtszeit hat seine Regierung die Armeen nichtdemokratischer Staatsführungen mit Waffen und Training im Wert von 35,9 Mrd. Dollar unterstützt, oder durchschnittlich 9 Mrd. Dollar pro Jahr. Diese Summe machte 82 Prozent der 44 Mrd. Dollar umfassenden US-Militärhilfe für Entwicklungsländer aus.

Auch auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung hat Präsident Clinton enttäuscht. Er hat faktisch nichts unternommen, um den Prozeß zu einer atomwaffenfreien Welt voranzubringen. Im Gegenteil, er ging Schritte, die uns in die entgegengesetzte Richtung drängen. Seine starke Befürwortung einer NATO-Osterweiterung wird von den Russen als Bedrohung aufgefaßt und ist für die russische Duma ein Hindernis bei der Ratifizierung von START II gewesen. Für George Kennan ist die NATO-Osterweiterung „der verhängnisvollste Fehler amerikanischer Politik seit dem Ende des kalten Krieges.“

Präsident Clinton führte mit dem russischen Präsidenten Jelzin vorläufige Gespräche über einen START III-Vertrag, um die einsatzfähigen strategischen atomaren Arsenale bis zum Jahr 2007 auf 2.000 bis 2.500 zu reduzieren. Dies wäre ein weiterer Abbau von ca. 1.000 Atomsprengköpfen über die START II-Obergrenzen hinaus, innerhalb von vier Jahren nach der Erfüllung der START II-Vereinbarungen und im Jahr 2003 beginnend. Wenn dies auch ein willkommener Schritt wäre, so ist er doch von minimaler Bedeutung und bleibt weit hinter der einzigartigen Gelegenheit zurück, die sich jetzt zu größeren Abrüstungsschritten bietet.

Während Präsident Clinton federführend war beim Abschluß des Umfassenden Testsperrvertrags (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT), haben die USA im ersten Jahr seiner neuen Amtsperiode bereits damit begonnen, sub-kritische Atomwaffentests durchzuführen. Diese Testserien, die zur Verbesserung der Zuverlässigkeit und Wirksamkeit atomarer Waffen benutzt werden können und sogar zur Erprobung neuer Waffenentwicklungen, werden auf breiter Front von nicht-nuklearen Staaten als ein Zeichen mangelnden Vertrauens und als Schwächung des Vertrags gesehen. Amerikanische subkritische Tests könnten andere Atommächte veranlassen, ähnliche Tests durchzuführen und sie könnten dazu führen, daß der Vertrag zur Nichtverbreitung atomarer Waffen ausgehebelt wird.

Unter Clintons Führung steigen die USA in ein 45 Mrd. Dollar teures Vorratsverwaltungsprogramm (Stockpile Stewardship) über den Zeitraum der nächsten zehn Jahre ein. Ein Hauptmerkmal ist das labormäßige Testen von Atomwaffen. Das Programm umfaßt die Entwicklung der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore Labor zur Durchführung thermonuklearer Tests mit Hochenergielasern.

Präsident Clintons positivster Beitrag in Bezug auf Abrüstungsthemen war sein Einsatz für die Ratifizierung der Chemiewaffenkonvention durch den US-Senat. Er hat angedeutet, sich in gleicher Weise für die Ratifizierung des Comprehensive Test Ban Treaty im Senat einzubringen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß dieser Vertrag je in Kraft tritt, da hierzu die Ratifizierung durch Indien nötig ist. Indien hat erklärt, den Vertrag erst dann zu unterzeichnen, wenn die bekannten Atommächte sich verbindlich verpflichten, ihre atomaren Arsenale zu vernichten, so wie es Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages vorschreibt.

Die Clinton-Regierung hat einige konstruktive Schritte unternommen, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu kontrollieren. Im großen und ganzen läßt sich aber an der Abrüstungsbilanz der Regierung noch viel verbessern. Die Clinton-Regierung hat nicht aufgehört, den ungeheuren Appetit des Militärs nach Ressourcen zu füttern, ist der Welt größter Waffenexporteur gewesen, hat scheinheilig bei Rüstungskontrolle und Abrüstung taktiert, hat es versäumt, die außergewöhnliche Gunst des Augenblicks zur atomaren Abrüstung zu nutzen, und sie hat sich vernünftigen und notwendigen Maßnahmen wie dem Verbot von Landminen widersetzt.

Wenn Mister Clinton positive Erinnerungen an seine zweite Amtszeit hinterlassen möchte auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung, so wird er nicht umhin können, die meisten seiner jetzigen politischen Grundsätze zu überdenken und zu einem weitsichtigeren und couragierteren Führungsstil zu greifen, wenn es um Abrüstung und die Beschneidung von Waffentransfers geht. Schafft er es nicht, derartige Führungsqualität zu entwickeln, wird er nicht als einer der großen Präsidenten in die Geschichte eingehen.

David Krieger ist Präsident der Nuclear Age Peace Foundation

Die Friedensdividende: Enttäuschte Hoffnungen?

Die Friedensdividende: Enttäuschte Hoffnungen?

von Michael Dedeck

Der Rückgang der weltweiten Militärausgaben um mehr als 30 Prozent zwischen 1987 und 1994 setzte enorme finanzielle Mittel für die zivile Verwendung frei. Schnell kamen Hoffnungen auf eine direkte Friedensdividende für nachhaltige und soziale Entwicklung auf, die fast genauso schnell enttäuscht wurden: Eine direkte Umwidmung von Militärausgaben – etwa hin zu Sozialausgaben oder Entwicklungshilfe – ist nicht passiert. Vielmehr wurden die freigewordenen Mittel zu ganz überwiegenden Teilen außerhalb des öffentlichen Sektors verwendet. Die durch dieses vermeintliche Ausbleiben der Friedensdividende verursachte Desillusionierung liegt in der verkürzten Betrachtung des Konversionsprozesses begründet: Es ist nicht damit zu rechnen, daß die Friedensdividende einem Nullsummenspiel gleicht, bei dem unendlich schnell und ohne Anpassungskosten Mittel aus einer Tasche in die andere Tasche staatlicher Verwendung umgeschichtet werden können. Vielmehr bedarf es einer genauen und längerfristigen Analyse des gesamten Reallokationsprozesses mit seinen Barrieren, Widerständen und Wirkungen – dann allerdings wird die Friedensdividende sichtbar.

Die weltweiten Ausgaben für Rüstung und Militär sind seit 1987 ununterbrochen gesunken. Wurden auf dem Höhepunkt der globalen Wettrüstung 1987 weltweit noch mehr als 1 Billion US-Dollar (gemessen in US-Dollar 1994) allein für Militär und Rüstung aufgewendet, so sank diese Summe auf »nur noch« 700 Mrd. US-Dollar in 1995 (Die verwendeten Daten entstammen der Datensammlung des Bonn International Center for Conversion, BICC 1997). Diese auf den ersten Blick gewaltige Reduktion um immerhin 30 Prozent verteilte sich weder zeitlich noch regional gleichmäßig. Wie so oft, verschleiern auch hier hoch aggregierte Zahlen den Blick auf die wesentlichen Faktoren der Entwicklung.

Der Prozeß der Reduktionen der Militärausgaben startete langsam mit einer Reduktionsrate von durchschnittlich weniger als 2 Prozent pro Jahr zwischen 1988 und 1991. Das Ende der Ost-West-Konfrontation, die gravierenden Zwänge zu ökonomischer und politischer Transformation in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes und die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte in den westlichen Industrieländern führten zu Beginn der Neunziger Jahre zu verstärktem Rückgang der Militärhaushalte. Die durchschnittliche jährliche Reduktionsrate stieg für den Zeitraum 1990-1993 auf 6 Prozent.

Dieses an sich so positive Ergebnis verliert enorm an Gewicht, wenn man den Einfluß der Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa isoliert: Klammert man die Staaten aus Zentral- und Osteuropa sowie die Neuen Unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion aus der Betrachtung aus1, so sinkt selbst in 1992, dem Jahr der stärksten globalen Kürzungen der Militärausgaben (12,6 Prozent verglichen mit 1991), die Reduktion auf vernachlässigbare 0,7 Prozent. Im gleichen Zeitraum sanken die Militärausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten um durchschnittlich 3 Prozent – die Deutschlands um 4,3 Prozent. Im Jahr 1995 verlangsamte sich der Reduktionstrend erneut: Die weltweiten Militärausgaben sanken gegenüber 1994 nur um 3,2 Prozent.

Der beschriebene Trend spiegelt sich auch in sinkenden Anteilen der Militärausgaben am weltweiten Bruttosozialprodukt wider. Der Internationale Währungsfonds kommt zu dem Ergebnis, daß der Anteil der weltweiten Militärausgaben am Weltsozialprodukt von 3,7 Prozent in 1990 auf einen durchschnittlichen Wert von 2,8 Prozent für die Jahre 1991-95 und auf unter 2,4 Prozent in 1995 gesunken ist (Gupta, Schiff, Clements 1996: 3).

Trotz der sehr unterschiedlichen Entwicklungen in einzelnen Ländern stehen weltweit enorme finanzielle Summen für die zivile Verwendung bereit.

Keine direkte Friedensdividende

Mit dem Freiwerden der finanziellen Mittel aus dem Militärbereich wurden sehr schnell die Rufe nach einer direkten Nutzung dieser Mittel für die Verbesserung der »Human Security« mit all ihren Facetten von Entwicklung und sozialer Sicherheit laut. Die Friedensdividende sollte sofort greifbar sein.

Der prominenteste Ansatz in diesem Feld wurde 1994 vom United Nations Development Programme im Human Development Report 1994 eingebracht:

A genuine improvement in human security requires that the resources saved the ,Peace Dividend` be fully harnessed for human development.“ (UNDP 1994: 58) Zusammen mit dieser politischen Forderung wurde eine Abschätzung der Höhe der globalen Friedensdividende vorgelegt. In diesem Konzept wird die tatsächliche Entwicklung der Militärausgaben mit der Fortschreibung des Höchststandes im Jahr 1987 verglichen. Die in den einzelnen Jahren nach 1987 entstehenden Einsparungen werden zur Friedensdividende summiert. Wendet man dieses Verfahren auf neuere Daten an, so ergäbe sich von 1987 bis 1995 eine Friedensdividende aus »gesparten« Ressourcen von mehr als 1,3 Billionen US-Dollar:

Schaut man sich nun die tatsächliche Verwendung der frei gewordenen finanziellen Mittel an, so stellt man fest, daß solche direkten Umwidmungen von Militärausgaben selbst auf nationaler Ebene nicht passierten, geschweige denn im internationalen Zusammenspiel ein koordiniertes Vorgehen der Staatengemeinde zu beobachten war. Vor dem Hintergrund nationaler wirtschaftlicher Probleme wurde von den politischen Entscheidungsträgern gerade nicht die Option einer direkten Umwidmung der freigewordenen Ressourcen innerhalb des öffentlichen Sektors gewählt. Vielmehr wurden die Ressourcen ganz überwiegend außerhalb des öffentlichen Sektors z.B. für die Senkung der Netto-Neuverschuldung verwendet.

Diese auf den ersten Blick vielleicht enttäuschende Tatsache wird auch besonders in Deutschland deutlich: Ein großer Teil der freigewordenen Mittel (ca. 6-7 Prozent der Gesamtkosten von 150 Mrd. DM p. A.) wurde zur Finanzierung der Kosten der Einheit verwendet, wobei hier freilich auch ein Druck in Richtung höherer Einsparungen nicht zu übersehen ist. Jedenfalls wird deutlich, daß politische und ökonomische Situationen vermehrt Einfluß auf die Militärbudgets bekommen.

Im Ergebnis läßt sich in der Diskussion um die Friedensdividende eine starke Desillusionierung konstatieren, da die freigesetzten finanziellen Ressourcen zu ganz überwiegenden Teilen nicht in nachhaltige und soziale zivile Verwendungen innerhalb des öffentlichen Sektors umgewidmet wurden.

Friedensdividende ist nicht eindimensional

Ist die Ansicht, die Friedensdividende habe es gar nicht gegeben, korrekt oder eher zynisch, weil schon die Erwartungen einer schnell greifbaren Manifestierung verfehlt waren?

Um diese Frage zu beantworten und Auswege aus der Desillusionierung vorzubereiten, muß man die Gründe untersuchen, die erklären, warum es zu einer direkten Umwidmung nicht gekommen ist und damit auch nicht gerechnet werden konnte.

• Kein Nullsummenspiel

Wie oben schon anklang: Die zivile Verwendung für soziale Entwicklung innerhalb des staatlichen Budgets ist nur eine von mehreren Möglichkeiten staatlichen Handelns. Es gibt keine a priori Festlegung auf diese Möglichkeit (United Nations 1995: 198). Grundsätzlich sind zumindest zwei Konversionstypen zu unterscheiden: 1. Verwendung innerhalb des zivilen staatlichen Sektors, ressortverlassende Konversion und 2. Verwendung im privaten Sektor, budgetverlassende Konversion (Köllner 1990: 194).

Auch wenn damit die Friedensdividende zerteilt wird und nicht mehr so leicht vereinnahmt werden kann: Beide Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen, und mehr noch: Innerhalb dieser grundsätzlich unterschiedlichen Verwendungsarten existiert wiederum eine Vielzahl von alternativen Verwendungsmöglichkeiten, die als Handlungsalternativen der Entscheidungsträger zu betrachten sind.

So stellt selbst bei einem Verbleib der Finanzmittel im öffentlichen Sektor die direkte »soziale« Verwendung nur eine Möglichkeit der Umwidmung dar. Andere Verwendungsmöglichkeiten wie z.B. für staatliche Infrastruktur oder ähnliches dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus erscheint es in sich problematisch, von einem Verbleib der Mittel im öffentlichen Sektor auszugehen. Vielmehr muß die Verwendung im privaten Sektor und damit die Möglichkeit sinkender Staatsausgaben gerade in den Zeiten stark angespannter Finanzhaushalte in die Betrachtung eingeschlossen werden.

Die Friedensdividende ist kein Nullsummenspiel, bei dem kostenlos und unendlich schnell, Mittel aus einer in die andere Tasche umgeschichtet werden können (Eichenberg 1992: 232). Die Verwendung der Friedensdividende zur Reduktion der Neuverschuldung und der Verwendung innerhalb des privaten Sektors etwa durch Steuersenkungen stellen nicht nur andere Möglichkeiten der Verwendung dar, sondern erklären zu einem großen Teil die beschriebene Desillusionierung.

• Kein rein fiskalischer Akt

Die Verkürzung der Betrachtung auf fiskalische Größen verkennt den allokativen Charakter des Konversionsprozesses. Der Konversionsprozeß ist in hohem Maß ein Anpassungsprozeß, in dem keine kurzfristige und sofortige Friedensdividende entsteht (Intriligator 1996: 1). Mit der Reduktion von Militärausgaben sind zumindest kurzfristig nicht zu verachtende Anpassungskosten verbunden. Die Kosten temporärer Unterbeschäftigung in stark betroffenen Regionen, die Kosten der Beseitigung von immensen Umweltschäden auf verlassenen Liegenschaften und die Kosten der Verschrottung überschüssigen Waffenmaterials sind nur einige Beispiele solcher Kosten. Es ist Aufgabe der Politik, den Anpassungsprozeß zu begleiten und eine sinnvolle Konversion zu ermöglichen.

• Eine einseitige Kausalität

Die Probleme der eindimensionalen Betrachtung der Friedensdividende werden noch verstärkt, wenn man die kausalen Zusammenhänge zwischen Rüstungsbudgets und fiskalischer bzw. ökonomischer Situation analysiert. Ohne hier in die Tiefe der verteidigungsökonomischen Analysen von Militärbudgets eingehen zu wollen, erscheint die Frage berechtigt, ob der Abbau der Militärhaushalte nicht vielfach nur eine einfache Folge von ökonomischen Zwängen ist, wobei die Kürzung selbst sich dann auch positiv auf andere Bereiche oder die gesamte ökonomische Situation auswirken kann. Die Entscheidungen über die Höhe der Militärausgaben werden jedenfalls mehr als je zuvor durch ökonomische Faktoren und immer weniger durch militärische oder »sicherheitspolitische Notwendigkeiten« determiniert. Die Entscheidung über die Einzelhaushalte ist nicht vom gesamten Budgetprozeß zu trennen. Vielmehr erfolgt in der politischen Realität die Bestimmung der Teilbudgets erst nachdem das Gesamtvolumen der staatlichen Aktivität festgelegt worden ist (Joerding 1986).

Die Friedensdividende als Prozeß

Bleibt also die Friedensdividende eine Illusion verkürzt denkender Phantasten oder kann aus den Gründen für die Desillusion ein weiterreichendes Konzept gebaut werden?

Die Konsequenz aus dem Scheitern des ursprünglichen Konzeptes muß sein, ein erweitertes, umfassenderes Bild einer positiven Friedensdividende zu zeichnen und die Reallokation freiwerdender Finanzmittel als Prozeß zu begreifen. Der Prozeß beginnt mit den Bestimmungsgründen der Entscheidung über Verteidigungshaushalte, schließt die alternative Verwendung vor dem Hintergrund aller Handlungsmöglichkeiten ein und reicht bis zu den ökonomischen wie sozialen Effekten dieser Verwendungen.

Die Reallokation der verfügbaren Mittel ist ein komplexes Geflecht mit Gründen und Effekten, Entscheidungen und Transmissionen im Spannungsfeld von Politik und Ökonomie. Eine längerfristige Analyse ist notwendig, will man die Frage nach der Friedensdividende nicht verneinen.

• Mehr als ökonomische Ziele

Trotz der Komplexität des gesamten Prozesses ist der Beginn leicht zu identifizieren: Er liegt im staatlichen Budgetprozeß und setzt die Entscheidung zu Kürzungen des Rüstungshaushaltes voraus. Schon wesentlich schwieriger ist es hingegen, den Endpunkt des Prozesses, die Zielgrößen, die erwarteten positiven Effekte auch nur konkret zu benennen. Im Rahmen des UNDP-Konzeptes ist es der positive Beitrag zum Human Development, der aus den Kürzungen der Verteidigungsausgaben eine Dividende erwachsen läßt. In einer Prozeßbetrachtung, die in starkem Maße auch ökonomische Effekte wie etwa die Wirkung alternativer Verwendungen auf makroökonomische Zielgrößen in die Betrachtung einbezieht, könnte eine Definition positiver Wirkungen allein über diese ökonomischen Variablen erfolgen. Ein solcher Ansatz steht in der Tradition verteidigungsökonomischer Modellierung und beantwortet Fragen wie: Wirkt der Rückgang von Verteidigungsausgaben positiv auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum?

Selbst wenn diese Frage bejaht wird, muß bei einer umfassenden Betrachtung noch untersucht werden, ob diese positiven makroökonomischen Effekte auch auf der individuellen sozialen und der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsebene positiv wirken. In der politischen Diskussion wie in der Literatur wird grundsätzlich eine solche positive Wirkung von Wirtschaftswachstum oder zivilen Staatsausgaben auf Sozial- und Entwicklungsindikatoren unterstellt. Dieser Zusammenhang wird aber in der Regel a priori angenommen und nicht hinterfragt (Chan 1995b: 3). Gleichwohl ist es vorstellbar, daß positive Effekte im Bereich makroökonomischer Zielgrößen keine oder sogar negative Einflüsse auf Sozial- und Entwicklungsindikatoren haben. Die Realität in Deutschland mit einem positiven Wirtschaftswachstum, aber steigender Arbeitslosigkeit unterstreicht diesen Punkt. Als weiteres Beispiel sei angeführt, daß schnelles Wirtschaftswachstum ohne positive Arbeitsmarkteffekte eher zu einer Umverteilung zugunsten höherer Einkommensgruppen führt und insofern negativ zur sozialen Entwicklung beitragen kann.

Welcher Sichtweise man sich in dieser sehr grundsätzlichen Debatte auch anschließen mag, die Verfolgung makroökonomischer Ziele kann kein Selbstzweck sein. Die Wahl rein ökonomischer Variablen als Zielgrößen bei der Beschreibung der Friedensdividende stellt erneut einen verkürzten Ansatz dar, der nur eine Seite der Transmission alternativer Verwendungen beleuchtet.

Um den beschriebenen Prozeß sichtbar zu machen und zu strukturieren, ist die Identifikation von Stufen zwischen der Entscheidung über die Kürzung des Haushaltes und den erwarteten positiven Effekten hilfreich. Im Verlauf der Reallokation lassen sich in Anlehnung an Steve Chan drei unterschiedliche Zwischenstufen identifizieren, die man als drei unterschiedliche Friedensdividenden auffassen kann (Chan 1995a):

  • Welche Motive auch immer zur Entscheidung führen, am Anfang des Prozesses steht immer die Ressourcen-Dividende als die Summe, die für eine zivile Verwendung zur Verfügung steht und das Potential für die Reallokation bildet.
  • Aus den Entscheidungen über die alternative Verwendung der eingesparten Mittel resultiert die Produkt-Dividende. Welcher Mix an alternativen Verwendungen auch gewählt wird, die Wirkungen durch politische wie ökonomische Transmissionen der verbundenen Impulse können sehr unterschiedlich sein. Am Ende dieser Stufe des Prozesses wirkt die zivile Verwendung der freigewordenen Ressourcen auf makroökonomische Variablen.
  • Die unterschiedlichen Ströme und Effekte stellen nur dann eine Friedensdividende in Form einer Wohlfahrts-Dividende dar, wenn die alternativen Verwendungen und ihre (positiven) ökonomischen Effekte in einer signifikanten sozio-ökonomischen Besserstellung breiter Gruppen der Gesellschaft münden. Nur wenn die verwobenen Effekte und Interaktionen mindestens längerfristig zu einem positiven Ergebnis in Bezug auf eine Wohlfahrtsdividende führen, können diese Effekte wiederum neue Entscheidungen über die Rückführung von Militärhaushalten induzieren.

Fazit:

Ein prozeßorientierter Ansatz zur Friedensdividende, der die längerfristigen Chancen zeigt, ohne die kurzfristigen Hindernisse zu verschweigen, erklärt ein Stück weit die Desillusionierung in der Frage einer eindeutigen Friedensdividende und öffnet den Weg zu einem mehrdimensionalen Verständnis der komplexen Anpassungsprozesse. Ist man bereit, diesen Weg eines längerfristigen Verständnisses zu gehen und die analytische Arbeit zu leisten, so wird sehr wohl die Friedensdividende sichtbar.

Literatur

BICC (1996): Bonn International Center for Conversion: Conversion Survey 1996, Global disarmament, demilitarization and demobilization, Chapter 1: Military expenditures – The Peace Dividend lost or lasting? Oxford, New York 1996

BICC (1997): Bonn International Center for Conversion: Conversion Survey 1997, Global disarmament and disposal of surplus weapons. Oxford, New York 1997

Chan, Steve (1995a): Grasping the Peace Dividend: Some propositions on the conversion of swords into plowshares, in: Mershon International Studies Review, 1995/ 39: S.5395

Chan, Steve (1995b): Romancing the Peace Dividend. A commissioned report on budgetary tradeoffs. Bonn 1995

Eichenberg, Richard C. (1992): Do we yet know who pays for defense? Conclusions and synthesis, in: Chan, Steve/ Mintz, Alex: Defense, welfare and growth, London et al. 1992: S.231-241

Gupta, S./ Schiff, J./ Clements, B. (1996): Worldwide military spending, 1990-95, IMF Working Paper. International Monetary Fund. 1996

The International Bank for Reconstruction and Development/ The World Bank (1996): From Plan to Market, World Development Report 1996. Oxford, New York 1996

Intrilligator, Michael D. (1996): The peace dividend: Myth or reality, in: Gleditsch, Nils Petter et al: The Peace Dividend, Amsterdam 1996: S. 1-13

Joerding, Waybe (1986): Economic growth and defense spending: Granger causality, in: Journal of Development Economics, 1986/ vol. 21: S. 35-40

Köllner, Lutz (1990): Formen fiskalischer Konversion, in: Köllner, Lutz/ Huck, Burkhardt J.: Abrüstung und Konversion – Politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik, Frankfurt/M. New York 1990: S. 193-210

UNDP (1994):United Nations Development Programme: Human Development Report 1994, New York 1994

United Nations (1995): World Economic and Social Survey 1995. Current Trends and Policies in the World Economy. New York 1995

Anmerkungen

1) Dem World Development Report 1996 (World Bank 1996) folgend, wird hier aus analytischen Gründen auf die Gruppe der Zentral- und Osteuropäischen Länder (CEE) abgestellt. Diese Gruppe enthält die Länder Albanien, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Ungarn, die frühere Jugoslawische Republik Mazedonien, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik und Slowenien. Bosnien Herzegowina und die Bundesrepublik Jugoslawien sind nicht Teil dieser Gruppe. Die neuen unabhängigen Staaten sind Armenien, Azerbaijan, Belarus, Estland, Georgien, Kazachstan, die Kyrgisische Republik, Lettland, Litauen, Moldavien, Russland, Tajikistan, Turkmenistan, Ukraine, und Uzbekistan. Zurück

Michael Dedeck, Diplom-Ökonom, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonn International Center for Conversion (BICC), arbeitet zur Zeit an einem Forschungsprojekt zur Reallokation von Militärausgaben und Ergebnissen der Friedensdividende.

KSE II

KSE II

Neue Abrüstungsdynamik oder kontrollierte Rüstungsmodernisierung?

von Ulrich Albrecht

Seit Anfang des Jahres steht – sechs Jahre nach dem ersten Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) – eine Fortsetzung der KSE-Verhandlungen zur Diskussion. Doch handelt es sich bei dem, was in der Öffentlichkeit unter »Abrüstungsverhandlungen« geführt wird, wirklich um Abrüstung oder geht es dabei nicht vielmehr um eine abgestimmte Rüstungsmodernisierung? Ulrich Albrecht legt dar, wie die Unterzeichner-Staaten des KSE-Vertrages den alten „Vertrag bis zum Rand des Möglichen dehnen“ und welche Kräfte und Mechanismen der Einleitung einer umfassenden Abrüstungsdynamik entgegenstehen.

Als der Wiener Vertrag über »Konventionelle Streitkräfte in Europa« (KSE) 1990 unterschriftsreif gemacht wurde, verwiesen die Diplomaten und Militärs viele der nicht behandelten oder nicht gelösten Probleme in einen großen Sammelkorb, intern »KSE II« genannt. Man war der Überzeugung, beim ersten großen Abrüstungsvertrag in Europa nicht auf einen Schlag alle wichtigen Fragen behandeln zu können und eher am Beginn eines Prozesses zu stehen als ein abschließendes Regelwerk über Rüstung in Europa durchzuverhandeln. Kriegsschiffe wurden beispielsweise von vornherein außen vor gelassen. Im Verlauf der Verhandlungen selber kam es bei Erörterungen über Modalitäten der Vertragsüberprüfung wiederholt zu Gegensätzen etwa darüber, wie Truppenstärken zuverlässig von außen kontrolliert werden könnten. Besonders die amerikanischen Unterhändler wiederholten Positionen, die sie schon zwanzig Jahre zuvor bei den MBFR-Verhandlungen vorgetragen hatten: „Niemand vermag Personalstärken zu verifizieren“ (Arms Control Reporter 1992, sheet 410. B. 19).

Mit dem Ende der UdSSR und der Auflösung sicherheitspolitischer Spannungen erwiesen sich Fragen wie Verifikationsdetails, über die wenige Jahre zuvor zäh gerungen worden war, als zweitrangig. Der am 4. März 1992 gleichfalls in Wien abgeschlossene folgende KSE-1A Vertrag (Titel: The Vienna Document 1992 of the Negotiations on Confidence- and Security-Building Measures) geht wenig über den KSE-Urvertrag hinaus. Die vereinbarten Verifikationsverfahren erwiesen sich 1992 als noch weniger bedeutsam als knapp zwei Jahre zuvor. Der Vertrag enthält vereinbarte Obergrenzen für die Streitkräfte der europäischen Länder – nicht aber für Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Moldawien. Diese Staaten sahen sich im Krieg und legten in Wien keine eigenen Daten vor. So wurde der neue Vertrag halt ohne diese vier Folgestaaten der UdSSR fertig gemacht, ohne daß dies irgendjemandem größere sicherheitspolitische Nöte bereitet hätte.

Problem Nr.1: Die Waffen-Kaskade

Der KSE-Vertrag regelte auf vielfache Weise, wie nunmehr überzählige Waffen zu beseitigen seien. Insgesamt waren acht Verfahren zur Wahl angeboten worden (Artikel VIII des Vertrages sowie ein umfängliches einschlägiges »Protocol on Procedures Governing the Reduction of Conventional Armaments and Equipment«). Panzer sollten entweder zerstört, für zivile Zwecke umgerüstet oder statisch ausgestellt werden. Ausgemusterte Geschütze durften zudem als Übungsziele, Kampfflugzeuge am Boden für Ausbildungszwecke und Düsentrainer als unbewaffnete Schulflugzeuge verwendet werden. Bei Kampfhubschraubern wurde die Möglichkeit der Neuklassifizierung als Transportgeräte eröffnet. Friedenspolitisch als weitaus gravierender erwies sich freilich eine Möglichkeit, die der Vertrag nicht explizit ausschließt: die Abgabe überzähliger moderner Waffen an zweitrangige Militärmächte.

Im Dezember 1990, reichlich spät, nämlich kurz vor Vertragsabschluß, teilten die NATO-Verteidigungsminister ihre Auffassung mit, daß es eigentlich schade um viele der relativ neuwertigen Waffen sei und daß man es vorziehe, diese innerhalb des Bündnisses umzuverteilen, anstatt sie zu zerstören: „Deutschland, Italien, die Niederlande und die USA planen, 2700 Kampfpanzer, 1000 Schützenpanzer und 300 Geschütze an Dänemark, Griechenland, Norwegen, Portugal, Spanien und die Türkei zu überführen.“ Zudem sollten auf dem Wege einer Aufspaltung, die das Manöver weniger provokant erscheinen lassen sollte, 1075 Schützenpanzer und 325 Geschütze aus der »Zentralregion« der NATO heraus an die »Flanken« des Bündnisses gebracht werden.

Die Empfänger dieser unverhofften Waffengaben, so die NATO-Verteidigungsminister 1990, sollten im Gegenzug eigene ältere Waffen zerstören. Bei dem an zweiter Stelle angeführten »Flankengeschäft« sollten die Empfänger lediglich verpflichtet werden, ein Drittel ihrer Altbestände an Kanonen zu zerstören.

Besonders die levantinischen Empfänger Griechenland und Türkei verstanden die Botschaft sogleich. Anstatt umfangreiche Haushaltsmittel für die Zerstörung von Gebrauchtwaffen einzusetzen, fanden sie es vernünftiger, ihre Vormächte zu kopieren und ihrerseits im Gegenzug zu den Eingängen an hochwertigen Rüstungsgütern aus dem Norden ältere Waffen an drittrangige Militärmächte weiterzugeben. Über einen Aufschrei der NATO, daß so die Sache nicht gemeint gewesen sei, ist nichts bekannt geworden.

Nicht die Zerstörung der überschüssigen Waffen wurde forciert, sondern der Einsatz in Kriegsgebieten toleriert.

Die zweite Stufe der Kaskade führt direkt in Kriege. Wie in solchen Fällen üblich, lassen sich Aussagen der Kriegsgegner über Waffentransfers an den Feind nicht überprüfen. Hohe Verluste an Kriegsgerät besonders in den Kriegen im Kaukasus machen die Datenlage zudem noch unübersichtlicher. Umfang und Wirkungen westlicher »Kaskade«-Beiträge, die etwa die Bundesrepublik kurzfristig auf Platz 2 der Weltrangliste der Waffenexporteure vorstoßen ließen, sind genügend bekannt (dazu neuerdings Kopte/Wilke in Kaldor 1997). Die Türkei hat beispielsweise das große Kontingent an 300 000 AK-47 Sturmgewehren mit 83 Millionen Schuß Munition, welche sie aus Beständen der NVA übernommen hat, nicht dazu benutzt, von NATO-Standards auf die des Warschauer Pakts umzurüsten, sondern nutzt diese Waffen zur Ausrüstung sogenannnter Dorfschützer in kurdischen Gebieten sowie zur Unterstützung der Bosnier in den Kriegen im vormaligen Jugoslawien. Westlichen Quellen zufolge haben auch die Nachfolgestaaten der UdSSR kräftig das westliche Muster kopiert, vom Wiener Vertrag gestrichene Waffen an politische Klienten weiterzugeben, auch wenn sich diese gerade im Kriege befanden. So sollen zwischen Herbst 1992 und Sommer 1993 allein 575 Kampfpanzer, 799 Schützenpanzer und 1178 Geschütze an Armenien, Aserbaidschan und Georgien abgegeben worden sein (Arms Control Reporter 1993, sheets 407. E-1.127-8, und 131-2). Moldawien hat augenscheinlich Panzerlieferungen von Rumänien erhalten, und die Türkei lieferte im Frühjahr 1993 an Aserbaidschan Waffen und Munition. Aserbaidschan soll außerdem Gebrauchtwaffen von der Ukraine übernommen haben (1993 gestand das Außenministerium von Aserbaidschan zu, eine Anzahl älterer T-55 Panzer von der Ukraine bekommen zu haben). SIPRI kommt im Falle Aserbaidschan zu dem auch für andere kaukasische Staaten verzeichneten Ergebnis, daß dieser Staat mittlerweile „sein Militärpotential weit über die Obergrenzen des KSE-Vertrages hinaus verstärkt habe“ (Koulik/Kokoski 1994: 115).

Der KSE-Vertrag wird bis zum Rand des Möglichen ausgedehnt

Die Schlußfolgerung: Um geringfügiger politischer und militärischer Vorteile willen zeigen sich die Unterzeichner-Regierungen des KSE-Vertrages geneigt, den Vertrag bis zum Rande des Möglichen zu dehnen. War erst einmal die Hauptsorge vor dem Militärpotential des bisherigen Hauptgegners beschwichtigt, so waren die Regierungen bereit, statt der Zerstörung der aus den eigenen Arsenalen zu beseitigenden Waffen diese allen möglichen, in ihren Augen nützlichen Verwendungen zuzuführen, ja gar den Einsatz im Krieg zu tolerieren. Wie der amerikanische Rechnungshof nachgewiesen hat, haben die USA in der Umsetzung des KSE-Vertrages kein einziges Rüstungsgut zerstört, sondern alle überzähligen Waffen »kaskadiert«, ein eindrucksvolles Arsenal von knapp 2000 Kampfpanzern, 636 Schützenpanzern und 180 Geschützen (GAO 1993: 20). Die Rechnungshöfe anderer Staaten haben solchen Aufklärungswillen nicht demonstriert (selbst das GAO hielt es für nötig, seine kritischen Hinweise auf das US-Verhalten diskret in Informationen über die Vertragstreue des vormaligen Warschauer Paktes sowie Kostenkontrolle bei der amerikanischen Verifikation einzubetten). In der Bundesrepublik hat die Opposition nicht darauf bestanden, daß die Regierung insgesamt kund gibt, was mit allen nach dem Wiener Vertrag zu beseitigenden Waffen geschehen ist, oder gar die Abläufe zu bewerten.

So verbleibt: Auch der KSE-Vertrag hat in der neueren Vergangenheit, trotz mancher Vorzüge, nicht wirklich friedenspolitisch gewirkt. Wo es brannte, wurde er nicht strapaziert. Der Befund wirft erhebliche Fragen auf für die Zukunft, für ein mögliches Nachfolgeabkommen KSE-II.

Problem Nr.2: Fortgang des qualitativen Wettrüstens

Als für die Zukunft wirklich gravierendes Problem erweist sich, daß der Vertrag „erheblich Raum für die technische Modernisierung der verbleibenden Waffenbestände und die Möglichkeit für drastische qualitative Verbesserungen der Kampffähigkeiten im Rahmen der zugestandenen quantitativen Obergrenzen gibt. Der Vertrag erlegt der Forschung und Entwicklung sowie der Produktion keine Beschränkungen auf und beschränkt somit nicht das Recht der Staaten, vorhandene Hardware durch neuere, leistungsfähigere Systeme zu ersetzen,“ schreiben Koulik und Kokoski in ihrem Standardwerk über den KSE-Vertrag (Koulik/Kokoski 1994: 40).

Theoretisch sollte der qualitative Rüstungswettlauf mit dem Ende des Kalten Krieges ebenso an Schwung verloren haben wie das quantitative Wettrüsten, welches ja mit dem KSE-Vertrag wirksam ausgebremst wurde (genauer gefaßt: der Vertrag stellt das Notariat dafür dar, daß das quantitative Wettrüsten in Europa zu Ende ist).

Nach dem Golfkrieg waren Militärs die ersten, die sich darüber wunderten, daß das qualitative Wettrüsten weitergeht. Generalleutnant Richard Swinburn, Kommandeur einer britischen Panzerdivision in Kuwait, äußert sich erst einmal skeptisch über die Entwicklungsmöglichkeiten der Panzerwaffe: „Eines Tages wird sich herausstellen, daß Panzer langsame, schwere, inflexible, teure, häufig unzuverlässige [Fahrzeuge] sind, denen es zudem an strategischer und operativer Mobilität fehlt, und die ihr nutzbares Lebensalter auf dem Schlachtfeld überlebt haben“ (Swinburn 1992: 37). Wenn nichts geschieht, geht jedoch der Rüstungswettlauf bei der Panzerwaffe weiter: Auf den Reißbrettern der einschlägigen Industrie entstehen Monster mit 14 cm-Kanonen (statt der heute üblichen 12 cm), mit noch schwereren Panzerungen (von mehr als vier Tonnen Gewicht pro Quadratmeter Schutzfläche, vgl. Albrecht in Kaldor 1997: 173).

Die zentrale Antwort auf die selbstgestellte Frage, warum bei diesen Dinosauriern in seinem Kompetenzgebiet der Wettlauf dennoch anhält, sieht General Swinburn bemerkenswerterweise in kommerziellen Gründen. „Exporte werden Anforderungen nach der Weiterentwicklung von künftigen einheimischen [Panzer]Modellen stützen, um der kommerziellen Opposition voran zu bleiben – eine ironische Fortsetzung des herkömmlichen Musters sprunghafter Steigerungsprozesse“ (Swinburn 1992: 37). Auch wenn Großbritannien sich vernünftigerweise einer Teilnahme am unsinnigen weiteren Fortgang des Panzerwettrüstens enthielte, so der General, würde das dem Wettrüsten nicht die Spitze nehmen: „Auch wenn Britannien sich entscheiden würde, aus solch einem eigendynamischen Prozeß auszuscheiden, würde der anhalten, und zwar angetrieben von den Industrien anderer Länder, die auf von uns aufgegebene Verkaufsmöglichkeiten hechten würden“ (Swinburn 1992: 37). Ähnlich begründet das Pentagon die Notwendigkeit, neuartige Jäger beschaffen zu müssen (Secretary of Defense 1994: 179), mit dem Verweis auf neue Bedrohungen, die sich aus dem Export moderner künftiger Kampfflugzeuge aus Rußland und Frankreich ergäben.

Daneben wirken die Denkmuster des Kalten Krieges fort, bei westlichen Panzerbauern vor allem in Gestalt einer Schimäre, des »FST«, des »Future Soviet Tank«. Noch Ende 1992 verwiesen Panzerfachleute aus dem Bundesverteidigungsministerium (Albrecht in Kaldor 1997: 158) auf die äußerst kurzen Entwicklungszeiten für neue russische Panzer und meinten, auch wenn die große Panzerarmada aus dem Osten mittlerweile reduziert sei: „Das militärische Potential jedoch ist weiterhin vorhanden!“

Augenscheinlich treibt die Kombination von kommerziellem Wettbewerb (dem Wunsch der Herstellerfirmen, auf dem Weltmarkt mit dem Angebot technologisch überlegener Waffen in Führung zu bleiben) und Bedrohungsvorstellungen (Sicherheit durch Rüstung, die anderen überlegen ist) weiterhin das qualitative Wettrüsten trotz des Endes des Systemkonfliktes zwischen Ost und West wirksam voran.

Ein Versuch, wenigstens einmal aus dem qualitativen Wettrüsten auszusteigen – Rüstungsmoratorium

In den USA wurde im politischen Umfeld der Demokratischen Partei in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts heftig die Idee diskutiert, daß es doch möglich sein müsse, dem Wettrüsten Zügel aufzuerlegen und zumindest in einem Rüstungszweig exemplarisch zu einem Anhalten zu gelangen. Wenn weltweit alle Produzenten in einer Waffenkategorie, so die Grundüberlegung, sich einem Rüstungsmoratorium anschließen könnten, stünden sicherheitsmäßig alle Beteiligten eben dort, wo sie sich beim Start des Manövers befanden. Andererseits könnten bei einem solchen Versuchs-Moratorium enorme Geldsummen eingespart werden. Randy Forsberg, einst die Erfinderin der »Freeze Campaign« (für Nuklearwaffen) übernahm die Koordination dieses Versuches.

Die Wahl des Experimentierfeldes fiel in Amerika nicht schwer. In der Luftrüstung stand gemäß der Logik des Rüstungsfortlaufs die Beschaffung von Jägern mit STEALTH-Charakteristika in großem Maßstab an, mit einem astronomischen Stückpreis von 150 Millionen Dollar pro Exemplar des Musters F-22. Es ging um Kampfflugzeuge, die für die gegnerische Ortung über Radar oder Infrarot-Sensoren faktisch nicht erfaßbar waren und die folglich auch nicht mit bisherigen Gegenmaßnahmen, Radar- oder infrarotgesteuerten Raketen, bekämpft werden konnten. Wenig mehr als einhundert Jabos des ersten Serienmusters dieser Technologie, der F-117, hatten im Golfkrieg die durchschlagenden militärischen Nutzungsmöglichkeiten des neuen Konzeptes demonstriert. Aus Kostengründen hatte der US-Kongreß mittlerweile den Bau von Bombern des STEALTH-Musters B-2 scharf eingegrenzt. Da mittlerweile die Zahl der Länder, in denen eigene Konstruktionen moderner Kampfflugzeuge entwickelt wurden, auf sieben zusammengeschrumpft war, schien das Vorhaben auch politisch umsetzbar. Es ging um ein Moratorium für den Serienbau der Jäger F-22 (USA), Eurofighter (Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien), Rafale (Frankreich), Gripen (Schweden) sowie eines neuen russischen Kampfjets (Suchoi Su-34).

Den Vorschlag, ein Moratorium für Kampfflugzeuge anzustreben (Forsberg 1994) hat Randy Forsberg mittlerweile ausgeweitet (Forsberg in Kaldor 1997: 210) auf „ein Moratorium für die Produktion neuer 'front-line'-Waffensysteme für die Streitkräfte der Herstellerländer (welches alle fünf Jahre erneuert werden könnte), parallel mit fortschreitend tieferen Kürzungen bei den stehenden Heeren.“ – Der Wahlsieg der Republikaner Ende 1994 in beiden Häusern des Kongresses hat das Moratoriumsprojekt ins politische Aus gefegt.

Fazit: Einem neuen KSE-Vertrag, der das Notariat für eine umfassende Abrüstungsdynamik bilden würde, fehlt es an den politischen und wirtschaftlichen Grundlagen. Ein weiterer KSE-Vertrag wird eher ein weiteres Instrument der kooperativen Rüstungsmodernisierung sein.

Literatur:

Randall Forsberg (ed.) (1994): The Arms Production Dilemma, Cambridge, MA (MIT Press).

Mary Kaldor (ed.) (1997): The End of Military Fordism, vol.2: The changing global military paradigm, London (Cassell).

Sergey Koulik and Richard Kokoski (1994): Conventional Arms Control. Perspectives on Verification, Oxford (SIPRI/Oxford University Press).

Secretary of Defense, Annual Report (1994): Report of the Secretary of Defense to the President and the Congress, Washington, DC (Government Printing Office).

US General Accounting Office (1993): Conventional Arms Control: Former Warsaw Pact Nations' Treaty Compliance and US Cost Control. GAO Report to Congressional Requesters, Washington, D.C. (GAO/NSIA-94-33).

Richard Swinburn (1992): »Future armoured warfare: The case for the tank«, in: (Royal United Services Institution, RUSI) RUSI Journal, Juni.

Ulrich Albrecht, Dr.phil., ist Professor für Friedens- und Konfliktforschung am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin.

Teststoppvertrag abschließen

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Verhandlungen zur Abschaffung der Atomwaffen beginnen – Stellungnahme des INESAP Coordinating Committee

von INESAP Coordinating Committee

Mehrere Ereignisse der letzten Monate haben die politische Unterstützung und die Legitimität der Atomwaffen in einem Maße untergraben, das für das Atomzeitalter einmalig ist. Zahlreiche Stellungnahmen, sowohl von Regierungen als auch regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), haben deutlich gemacht, daß eine Welt ohne Atomwaffen ein weitverbreites Anliegen der Menschheit ist. Das gegenwärtige Fenster der Gelegenheit für die nukleare Abrüstung muß genutzt werden, um substantielle Fortschritte in Richtung auf eine Nuklearwaffenkonvention (NWK) zu erreichen, die in Ergänzung zur Biowaffenkonvention und zur Chemiewaffenkonvention mit den Atomwaffen nun auch die letzte Kategorie von Massenvernichtungswaffen verbietet und beseitigt.

Die folgenden positiven Ereignisse verdienen besonders hervorgehoben zu werden:

  • Alle 170 Staaten bei der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) haben im Mai 1995 der unbegrenzten Vertragsverlängerung zusammen mit einer Erklärung zugestimmt, in der sich die Staaten verpflichten zu „systematischen und progressiven Anstrengungen zur globalen Reduzierung der Atomwaffen, mit dem letzlichen Ziel diese Waffen abzuschaffen.“ Diese Verpflichtung wurde verstärkt durch eine Mehrheitsresolution in der UNO-Generalversammlung im selben Jahr, in der die Genfer Abrüstungskonferenz aufgefordert wird, „mit hoher Priorität ein Ad-hoc-Komitee einzurichten, um Anfang 1996 Verhandlungen über ein Phasenprogramm zur nuklearen Abrüstung und schließlich zur Eliminierung der Atomwaffen innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens aufzunehmen.
  • Wie eine atomwaffenfreie Welt im Rahmen einer Nuklearwaffenkonvention erreicht werden könnte, haben mehr als 50 Experten aus 20 Ländern in einem Report der INESAP Studiengruppe »Beyond the NPT« dargelegt, der im April 1995 in New York veröffentlicht wurde. Schritte zu diesem Ziel könnten demnach folgende Maßnahmen umfassen: tiefe Einschnitte in die Atomwaffenarsenale, einen umfassenden Teststopp-Vertrag, Abkommen zum Stopp der Produktion und (Wieder-)Verwendung nuklearer Materialien (Cut-Off), Maßnahmen zur Verhinderung der horizontalen und vertikalen Verbreitung von Trägersystemen für Atomwaffen sowie regionale Ansätze zur nuklearen Abrüstung.
  • Mehr als 200 NGOs fordern im April 1995 in einem Aufruf sofortige „Verhandlungen über eine Konvention zur Abschaffung aller Atomwaffen, die die stufenweise Beseitigung aller Atomwaffen innerhalb eines Zeitrahmens erforderlich macht, mit Bestimmungen zur effektiven Verifikation und Durchsetzung“. Diese gemeinsame Stellungnahme war die Grundlage für die Gründung des globalen Netzwerks Abolition 2000 im November 1995, in dem mehrere hundert Organisationen aus allen Teilen der Erde zusammenarbeiten, um sich für ein Abkommen zur Abschaffung der Atomwaffen bis zum Jahr 2000 einzusetzen.
  • Die 50. Jahrestage der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki haben die Welt an die verheerende Wirkung von Atomwaffeneinsätzen erinnert und deren moralische Verurteilung verstärkt.
  • Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1995 an die internationale Pugwash-Konferenz und ihren Präsidenten Joseph Rotblat war zugleich eine Anerkennung für die Wissenschaftler und Ingenieure, die es abgelehnt haben, an Atomwaffen zu arbeiten.
  • Die Fortführung der chinesischen und französischen Atomwaffentests nach der Verlängerung des NVV löste weltweite Proteste gegen die Versuche aus und stärkte die Unterstützung für einen umfassenden Teststopp-Vertrag. Inzwischen wurden alle Atomexplosionen eingestellt.
  • Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Pelindaba im April 1996 haben 43 afrikanische Staaten einen ganzen Kontinent zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Südafrika war das erste Land, das seine Atomwaffen vollständig aufgegeben hat. Zusammen mit ähnlichen Verträgen für Südostasien (1995), für den Südpazifik (Rarotonga 1985), der im März 1996 auch von den Atomwaffenstaaten unterzeichnet wurde, für Lateinamerika und die Karibik (Tlatelolco 1967) sowie die Antarktis (1959) ist nunmehr fast die gesamte südliche Hemisphäre frei von Atomwaffen.
  • <>Der Internationale Gerichtshof hat in seinem historischen Urteil im Juli 1996 in Den Haag erklärt, daß „die Drohung und der Einsatz von Atomwaffen generell in Widerspruch steht zu den Regeln des Kriegsvölkerrechts und insbesondere zu den Prinzipien und Regeln der Menschenrechte .“<>
  • Im November 1995 hat die Regierung Australiens die Canberra Kommission zur Abschaffung von Atomwaffen ins Leben gerufen, die am 14. August 1996 ihren Bericht vorgelegt hat. Die Kommission hat eine Reihe von Schritten zur atomwaffenfreien Welt identifiziert. Hierzu gehören weitere amerikanisch-russische Abrüstungsabkommen, ein Teststopp-Vertrag, eine Konvention zum Produktionsstopp für spaltbare Materialien, ein Vertrag zum Nicht-Ersteinsatz von Atomwaffen und weitere atomwaffenfreie Zonen, mit spezifischen Mechanismen zur Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse jeder Region.
  • Die Genfer Abrüstungskonferenz hat einen umfassenden Teststoppvertrag ausgearbeitet, der alle Atomexplosionen wirksam verbietet, wenn auch nicht jede Forschung und Entwicklung an Atomwaffen. Während die anderen Staaten mit der Unterzeichnung des Vertrages begonnen haben, besteht Indien weiter darauf, den Teststopp-Vertrag mit einem Abrüstungsplan zu verbinden.
  • Die große Mehrheit der blockfreien Staaten (Gruppe der 21) in der Abrüstungskonferenz, einschließlich Indien, aber ohne Südafrika und Chile, hat am 8. August 1996 ein Dreiphasen-Aktionsprogramm für die Abschaffung der Atomwaffen vorgeschlagen. Der Teststopp-Vertrag und weitere Schritte zur nuklearen Abrüstung sind Gegenstand der UNO-Generalversammlung im Herbst 1996; in einem Resolutionsentwurf Malaysias werden Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention ab 1997 gefordert.
  • Innerhalb des Netzwerks Abolition 2000 gibt es einen andauernden Prozeß zur Ausarbeitung eines Modellentwurfs für eine Nuklearwaffenkonvention, mit dem die zukünftige Abrüstungsagenda beeinflußt werden soll. Zugleich wird für die Unterstützung einer Resolution in den Vereinten Nationen geworben, die die Aufnahme von Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention fordert.

Herausforderungen und Hindernisse

Niemals waren die Bedingungen so günstig, einen Prozeß einzuleiten, der zur Abschaffung der Atomwaffen führt. Auf der anderen Seite, dürfen die potentiellen Gefahren für diesen Prozeß nicht übersehen werden.

  • Um den Prozeß in Richtung auf null Atomwaffen einzuleiten, ist von größter Bedeutung die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, ihre nuklearen Arsenale innerhalb eines absehbaren Zeitrahmens vollständig zu beseitigen. Doch die offiziellen fünf Atomwaffenstaaten zeigen derzeit keine Bereitschaft, ihre Atomwaffen aufzugeben. Stattdessen führen sie die Modernisierung ihrer Arsenale fort, verwenden Computersimulationen und Laborexperimente zur Atomwaffenentwicklung. Während China und Rußland immerhin prinzipiell erklärt haben, daß sie ihre Atomwaffen dann beseitigen werden, wenn alle dies tun, lehnen die westlichen Atomwaffenstaaten es ab, dieses Thema überhaupt zu diskutieren.
  • Die Verbündeten der Atomwaffenstaaten hoffen, von deren »Atomschirmen« profitieren zu können, im Widerspruch zu den Verpflichtungen, die sie mit dem NVV als Nicht-Atomwaffenstaaten unterzeichnet haben und im Gegensatz auch zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs. Die NATO-Expansion nach Osteuropa könnte dazu führen, daß Atomwaffen auf dem Territorium weiterer Staaten stationiert werden.
  • <>Solange Atomwaffenstaaten mit der Erhaltung und Modernisierung ihrer Atomwaffen ein negatives Beispiel abgeben, ist die Verbreitung von Atomwaffen und damit verbundener Kapazitäten schwierig zu stoppen. Während nur wenige Staaten die nukleare Schwelle bereits überschritten haben, hat eine Reihe von Ländern die technischen Fähigkeiten, um den Sprung über die Schwelle zu schaffen, falls dies aufgrund des nationalen Interesses für erforderlich gehalten wird. Die Fortexistenz der Atomwaffenarsenale und Produktionsanlagen erleichtert Atomschmuggel und Atomterrorismus.<>
  • Die Wahrnehmung, daß »Verbrecherstaaten« und Terroristen nach Atomwaffen streben, ist ein treibendes Motiv für militärische Counterproliferation und Raketenabwehrprogramme in westlichen Staaten. Solche Entwicklungen können den ABM-Vertrag zur Kontrolle von Raketenabwehrsystemen untergraben, ein Nord-Süd-Wettrüsten anheizen und die politischen Bedingungen für Abrüstung ernsthaft schwächen.
  • Die Furcht vor westlicher Dominanz, verstärkt durch NATO-Expansion und Revision des ABM-Vertrages zur Kontrolle der Raketenabwehr, fördert den Widerstand gegen die Ratifizierung des START-II-Vertrages und der Chemiewaffenkonvention im russischen Parlament.

Eine Agenda für eine atomwaffenfreie Welt

Diese negativen Entwicklungen könnten die genannten positiven Entwicklungen untergraben, wenn nicht bald weitere ernsthafte Abrüstungsschritte von der internationalen Gemeinschaft unternommen werden. Die folgenden Maßnahmen sind besonders dringlich, um den Prozeß in eine atomwaffenfreie Welt einzuleiten:

  • Rasches Inkrafttreten des umfassenden Teststopp-Vertrages.
  • Gemeinsame Erklärung der Atomwaffenstaaten zum Nicht-Ersteinsatz und Garantien zum Nicht-Einsatz von Atomwaffen.
  • Erklärungen der Atomwaffenstaaten zur raschen und vollständigen nuklearen Abrüstung, zum Verzicht auf neue Atomwaffen sowie zur Schließung, zum Abbau und zur Konversion damit verbundener Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.
  • Bekräftigung der Einhaltung des ABM-Vertrages, Ratifizierung von START-II und Beginn von START-III-Verhandlungen.
  • Sofortige Schritte zur Reduzierung der atomaren Gefahr: Beendigung der Alarmbereitschaft für die Atomstreitkräfte, Trennung der Gefechtsköpfe von den Trägersystemen, Abzug nichtstrategischer Atomwaffen, Flugtestverbot für ballistische Raketen.
  • Beginn der Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz über eine umfassende Cut-off-Konvention für atomwaffenfähige Materialien.
  • Ratifizierung und volle Implementierung der Chemiewaffenkonvention, verbesserte Überprüfung der Biologiewaffenkonvention.
  • Die südliche Hemisphäre sowie weitere Regionen (koreanische Halbinsel, Südasien, Naher Osten, Mittel- und Osteuropa) werden zu atomwaffenfreien Zonen erklärt.
  • Weitere Verhandlungen zwischen allen Atomwaffenmächten über die Abschaffung ihrer Atomwaffen.
  • Verhandlung, Abschluß und Implementierung einer Nuklearwaffenkonvention, die alle nuklearen Rüstungskontroll- Nichtverbreitungs- und Abrüstungsmaßnahmen umfaßt.

Um die verschiedenen Schritte zur atomwaffenfreien Welt zu koordinieren und um Defizite der einzelnen Schritte zu vermeiden, ist es von großer Bedeutung, Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention als Rahmen für die Abschaffung der Atomwaffen so bald wie möglich aufzunehmen.

Daher rufen wir die Generalversammlung der Vereinten Nationen und die Regierungen aller Staaten dazu auf, den umfassenden Teststopp-Vertrag unverzüglich in Kraft treten zu lassen und, in Erfüllung des Urteils des Internationalen Gerichtshofs, so bald wie möglich Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention einzuleiten, die als Rahmen für die atomare Abrüstung in all ihren Aspekten dienen.

Conversion Survey 1996

Conversion Survey 1996

von Martin Grundmann

Conversion Survey 1996. Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization, Bonn. International Center for Conversion. Oxford, Oxford University Press 1996. 281 S., 45,- DM

Zwei Jahre nach seiner Gründung hat das Bonn International Center for Conversion(BICC) sein erstes Jahrbuch, das „Conversion Survey 1996“, vorgelegt. Erstes grundlegendes Konstruktionsprinzip des Buches ist, daß auf (fast) jeder Seite(mindestens) eine Graphik, Tabelle oder „Box“ – ein thematischer Kasten– zu finden ist. Zweites Prinzip: Zweifarbigkeit in Blau- und Grauschattierungen.Drittes Konstruktionsprinzip ist die klare Gliederung, die graphisch angezeigt wird und sich an den Arbeitsbereichen des BICC orientiert. Das Jahrbuch bietet Zahlen, Daten und Fakten für die Jahre 1985 bis 1994 (der „ersten Abrüstungsdekade“) zu sechs Bereichen:

  • Militärausgaben und Friedensdividende (globale Trends, regionale und nationale Spezifika, Entwicklung von Militär- und Sozialausgaben, methodologische Aspekte der Berechnung von Abrüstungseffekten)
  • zivile Nutzung militärbezogener Forschung und Entwicklung (Situation in den postkommunistischen Staaten und den USA, Fallbeispiele zu Potentialen und Probleme der zivilen Nutzung militärischer F&E; deutlich wird der Mangel an differenziertem Datenmaterial)
  • Konversion der Rüstungsindustrie (Strategien der Rüstungsindustrie sowie nationale Konversionspolitiken, Konversion in den postkommunistischen Transformationsstaaten)
  • Demobilisierung und Reintegration von Militärpersonal – meines Erachtens eines der wichtigsten Themen friedlicher Entwicklung (Demobilisierung nach heißen Konflikten ebenso wie Personalreduzierungen der direkten Kalte-Kriegs-Kontrahenten)
  • Schließung von Militärstandorten und zivile Nutzungsmöglichkeiten (reichhaltiges Zahlenmaterial, Fallbeispiele zu Standortschließungen)
  • Surplus Weapons (Problematik des Umgangs mit überschüssigen Waffen im konventionellen – KSE-Vertrag – und ABC-Bereich).

Alle Kapitel enthalten ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Ein Tabellenanhang dokumentiert Daten nach Ländern und Regionen zu Militärausgaben, Hauptwaffensystemen,Beschäftigten beim Militär und in der Rüstungsindustrie.

Aus diesen vier Datenbereichen wird – als arithmetisches Mittel – der“BIC3D-Index« (Conversion, Disarmament, Demilitarization and Demobilization) berechnet– begrifflich offensichtlich angelehnt an den rüstungstechnologischen C3I-Faktor(Command, Control, Communication, Intelligence). Der BICC-Index erfaßt die prozentuale Abweichung des Jahres 1994 vom Durchschnitt der Jahre 1985-1993. Der Index ist ein sehr grober Indikator, gibt aber ein Gefühl für quantitativ meßbare Ab- bzw. Aufrüstung.Mit der Richtung des Meßergebnisses wird auch eine politische Nachricht vermittelt.Während Abrüstung gewöhnlicherweise als negative Abweichung gemessen wird, ermittelt der BIC3D-Index Abrüstung als positives Ergebnis politischen Handelns: je höher der Indexwert, desto größer die Reduzierung militärisch genutzter Ressourcen und viceversa. Eine Liste mit 153 Staaten (S. 24ff.) zeigt die abrüstungsintensiven (angeführt von Nicaragua und Irak) und die abrüstungsfaulen (an letzter Stelle Sudan) Staaten auf.Mit einem Wert von -15 wird Bosnien-Herzegowina geführt. An diesen Beispielländern wird auch das Dilemma des Indizes deutlich: Nicaraguas herausragende Stellung verdankt sich im wesentlichen dem Ende des Bürgerkrieges, das schlechte Abschneiden Bosnien-Herzegowinas resultiert wiederum daraus, daß dort ein Krieg tobte. Politisch aussagekräftig ist der Index auf der staatlichen Ebene also im wesentlichen für Länder, die sich nicht in einer heißen Konfliktphase befanden. Nützlicher ist demgegenüber die Aufstellung nach Regionen. Hier ist zu erkennen, daß Westeuropa mit einem Wert von +38 deutlich vor Nordamerika mit +18 rangiert, und daß die asiatischen Regionen deutlich negative Tendenzen erkennen lassen (Ostasien +3, Zentralasien -2, Südasien -8).

Fazit: Das „Conversion Survey 1996“ hat praktischen Nutzwert. Es ist eine reichhaltige Kollektion verfügbarer Daten und Fakten zur Konversion militärisch gebundener Ressourcen und bietet einen Überblick über den Forschungsstand zu den jeweiligen Themenbereichen. Es ist ein Handbuch für alle, die Informationen zu globalen Entwicklungen benötigen und länderbezogene Analysen beispielhaft nutzen möchten:ManagerInnen oder BetriebsrätInnen in Rüstungsunternehmen, die eine realistische Einschätzung globaler Trends benötigen; PolitikerInnen, die Orientierungsdaten und visualisierte Informationen suchen; WissenschaftlerInnen mit Bedarf nach komprimiertem Überblick. Details und feingliedrige Analysen kann man realistischerweise nicht erwarten.

Kritik: Das Buchkonzept ist konsistent. Zwei Kritikpunkte seien dennoch erlaubt.Erstens inhaltlich: Dominierend sind etablierte politik- und wirtschaftswissenschaftliche Sichtweisen, von denen bekannt ist, daß sie aufgrund ihres neutral-informativen Gewands vom Handeln befreien, da das Sachzwangargument vorgeschoben werden kann. Notwendig wäre z.B., den fast erratischen Hinweis „the hardest thing to change was people'sminds“ (S. 103) systematisch auszuformulieren: etwa zur Bedeutung der handelnden Akteure und zur Relativierung von Strukturfaktoren (»Zwänge«) durch aktive politische Gestaltung. Zweitens formal: Die Fülle an visualisierten Informationen erschlägt. Was zur Auflockerung des Textes gedacht ist, gerät streckenweise zu einem graphischen Häckselwerk für geschriebene Information. Möglicherweise wäre eine Mischung zwischen Textauflockerung und kapitelweisem Anhang sinnvoller. Auf jeden Fall sollte das BICC einen Graphikservice anbieten: So anschaulich die Graphiken und Karten auch sind, die Farb- und Schattierungskomposition macht sie kopierunfreundlich und damit unbrauchbar für die foliengestützte Nutzung – und hierfür sollten sie doch auch verwendet werden können!

Wünsche: Da das Survey politikwirksam sein möchte, sind in künftigen Jahrbüchern Projektionen in die Zukunft – etwa zur Entwicklung der Militärausgaben – sowie(deutlichere) Vorschläge für praktische Politik – etwa zur Forschungs- und Entwicklungspolitik – absolut wünschenswert. Hilfreich im Sinne des empirisch gestützten Positionsbezugs wären etwa zugespitzte Schlußfolgerungen aus fremder und eigener Forschungsarbeit. Wissenschaftliche Autorität greift, wenn konkrete Vorschläge für politisches Handeln in die Diskussion gegeben werden – diese Chance zu nutzen hat sich das BICC durch eigene Aussage selbst verpflichtet: „Conversion does notarise on its own – it requires actors to pursue and optimize the benefits itproduces.“ (S. 20) Das Projekt „Conversion Survey“ bietetMöglichkeiten, in diesem Sinne politischer zu sein.

Martin Grundmann

Konversion – ein weites Arbeitsfeld

Konversion – ein weites Arbeitsfeld

Das Bonner Konversionsinstitut geht ins dritte Jahr

von Herbert Wulf

Auf Initiative des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung NRW zusammen mit dem Land Brandenburg, der Investitions-Bank NRW und der Landesentwicklungsgesellschaft NRW im April 1994 das Internationale Konversionszentrum Bonn (Bonn International Centre for Conversion – BICC) gegründet. Aus Anlaß des 2jährigen Bestehens sprach Jürgen Nieth mit dem Direktor des BICC, Dr. Herbert Wulf.

W&F: Bei der Gründung des BICC sprach die Landesregierung NRW vom „weltweit ersten Forschungs- und Beratungsinstitut für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Abrüstung“…

H. Wulf: Ja, nach wie vor ist uns kein Institut bekannt, das den Versuch macht, Konversion umfassend zu untersuchen und weltweit zu bearbeiten. Es gibt eine ganze Reihe von Instituten, mit denen wir auch kooperieren, die sich beispielsweise um die Konversion der Rüstungsindustrie kümmern oder die sich auf eine Region spezialisiert haben. Ich glaube aber, daß der Versuch lohnenswert ist, Konversionsbemühungen und Konversionshindernisse weltweit zu erfassen. Das tun wir.

W&F: Wenn die Landesregierung von einem Institut für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Abrüstung spricht, heißt das Konversion als Management der Abrüstungsfolgen oder auch mit dem Ziel der Entmilitarisierung der Gesellschaft?

H. Wulf: Wir haben beides als unser Mandat. Man muß aber deutlich sagen, daß natürlich ein solches Institut nur deshalb möglich wurde, weil aufgrund von Abrüstungsvereinbarungen, Kürzungen im Militärhaushalt usw. ein wirtschaftlicher und sozialer Druck entstand und mit ihm ein Interesse an den Ergebnissen eines solchen Institutes.

W&F: In der Praxis scheint sich aber Konversion auf die Abrüstungsfolgenbearbeitung zu reduzieren. Hinzu kommt, daß die einen den Ausweg in verstärkten Rüstungsexporten sehen, die anderen wollen den Eurofighter zur Sicherung der Arbeitsplätze…

H. Wulf: In der Tat gibt es bei vielen den Versuch, Konversion auf die Bearbeitung der Abrüstungsfolgen zu reduzieren. Es gibt sogar einige, die der Meinung sind, Konversion sei überhaupt nicht nötig. Wenn die Rüstungsindustrie in Schwierigkeiten gerate, dann müsse das eben über den Markt geregelt werden. Wir sind aber der Meinung, daß gerade der militärische Sektor, wie kaum ein anderer in unserer Gesellschaft, staatlich kontrolliert ist, ob es die Aufträge für die Industrie sind, die Rüstungsexportkontrollen oder die Soldaten, die in den Streitkräften dienen. Wenn man hier radikale Schnitte vornimmt, hat der Staat auch die Verpflichtung und Aufgabe, sich um die Folgen zu kümmern. Unser Anliegen ist es, die Abrüstung, die politisch gewollt ist, nicht dadurch zu behindern, daß man sagt „aber die Folgen sind so negativ“. Insofern steht bei uns zunächst auch einmal das eher kurzfristige Ziel im Mittelpunkt, nämlich die Folgen der Abrüstung zu bewältigen. Das zweite, weitergesteckte Ziel, bleibt aber, dazu beizutragen, die Gesellschaft zu entmilitarisieren. Deshalb erscheinen auch diese Begriffe in unserem ersten „Jahrbuch Konversion“, das Mitte April veröffentlicht wird, im Titel: Abrüstung, Demilitarisierung und Demobilisierung.

W&F: Von der „Konversion der russischen Rüstungsindustrie“ über die „Umstrukturierung der amerikanischen Stützpunkte“ in der Pfalz bis zur „Demobilisierung am Horn von Afrika“, ich zitiere drei BICC-Reports des letzten Jahres. Wie werden diese Schwerpunkte festgelegt? Wo liegt die Zielstellung?“

H. Wulf: Nun, wir haben uns in den sechs Schwerpunkten unserer Arbeit (siehe »Arbeitsfelder des BICC«) angeschaut, wo die zentralen Brennpunkte für Konversion in der Welt sind. Die russische Rüstungsindustrie ist der Bereich, in dem die größten Probleme existieren, bezogen auf die Zahl der Menschen, die dort arbeiten oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Im Bereich der Demobilisierung sind es einige Entwicklungsländer, die aus Kriegssituationen in eine Phase des Aufbruchs und des Friedens gekommen sind, deshalb das „Horn von Afrika“. Die BRD ist von allen Ländern der Welt bezogen auf die Schließung von Kasernen und anderen militärischen Liegenschaften am stärksten betroffen. Das heißt, alle drei zitierten Reports behandeln Probleme, in denen die Konversion einen sehr hohen Stellenwert hat. Das ist im Grunde auch das Auswahlkriterium für unsere Projekte, sich um die Bereiche zu kümmern, in denen Konversionshilfen erforderlich sind.

W&F: An wen richten sich z.B. Untersuchungen über die Veränderungen in der russischen Rüstungsindustrie oder der Umstrukturierung der amerikanischen Stützpunkte?

H. Wulf: Konkret versuchen wir die jeweils betroffenen anzusprechen bzw. diejenigen, von denen wir der Meinung sind, daß sie sich um diese Probleme kümmern sollten. Beispiel Rußland: Wir wollen russischen Ökonomen und Experten für den wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozeß eine Analyse liefern. Gleichzeitig wollen wir aber auch diejenigen, die für technische und finanzielle Hilfe in Westeuropa und den USA – bezogen auf Rußland – zuständig sind, mit diesen Berichten ansprechen. Das andere Beispiel, Schließung von amerikanischen Militärbasen in Deutschland. Hier sind ganz konkret Kommunalpolitiker angesprochen. Das Rad muß ja nicht in jedem Einzelfall neu erfunden werden. Bei der Schließung von Militärbasen wurden Erfahrungen gemacht und aus diesen Erfahrungen können Kommunalpolitiker lernen, wenn sie vor Fragen stehen, wie „Was mache ich mit den Altlasten auf diesen Militärbasen? Wie kann ich Investoren für einen stillgelegten Flugplatz oder für Kasernengelände gewinnen?“

W&F: Steht im Mittelpunkt bei den verschiedenen Projekten eine punktuelle Unterstützung oder geht es auch um eine konzeptionelle Projektbegleitung?

H. Wulf: Wir versuchen einen Spagat mit begrenzten Mitteln. Wir wollen möglichst praxisnah einzelnen Projekten Hilfestellung geben. Da ist dann in vielen Fällen auch ein Besuch vor Ort notwendig. Zum Zweiten greifen wir Projekte auf, die in gewisser Weise Modellcharakter haben. Wir dokumentieren sowohl positive wie auch negative Erfahrungen, aus denen andere lernen können. Drittens führen wir Forschungsarbeiten durch, die nicht auf Einzelprojekte bezogen sind, sondern den Versuch beinhalten, ein Gesamtbild Konversion zu vermitteln.

W&F: Wie sieht das in der Praxis aus?

H. Wulf: Nachdem wir eine ganze Reihe von Arbeiten im Bereich der Liegenschaften geleistet haben, führen wir jetzt eine internationale Tagung durch, zu der wir im wesentlichen Bürgermeister aus mittleren und kleineren Städten einladen, die mit der Konversion von Liegenschaften beschäftigt sind und zwar aus den USA, aus Ländern der europäischen Union, einschließlich Deutschland, und aus osteuropäischen Ländern. Ein Erfahrungsaustausch über Hindernisse und Möglichkeiten der Konversion, darüber, welche Förderungsmöglichkeiten es gibt, wie man Investoren gewinnen kann, welche Art von Projekten, vom Freizeitpark bis hin zum Gewerbegebiet, in diesen ehemaligen militärischen Liegenschaften angesiedelt werden können.

W&F: Die Veröffentlichungen des BICC verweisen auf den Beratungscharakter der Arbeit. Wie sieht es aber mit der Forschung aus, die ja oben schon angesprochen wurde?

H. Wulf: Nun, der Beratungsteil ist der Teil, bei dem wir im Grunde auf Anfragen von außen reagieren. In unseren Forschungsprojekten bestimmen wir selber, welche Schwerpunkte wir setzen. Unser „Jahrbuch Konversion“ ist der zentrale Ausdruck für unsere Forschungsschwerpunkte. Hier werden sämtliche sechs von uns ausgesuchten Konversionsschwerpunkte behandelt, mit einem sehr starken empirischen Teil. In diesem wird dargestellt, was ist in den letzten fünf Jahren im Bereich Abrüstung geschehen, wie hat Konversion in diesen Bereichen stattgefunden oder auch nicht. Man muß ja bedauernd hinzufügen, daß beispielsweise im Bereich der Rüstungsindustrie sehr viel Abbau, aber sehr wenig Konversion stattgefunden hat. Die positiven und negativen Konversionserfahrungen werden (hoffentlich) durch solide Forschungsarbeit in diesem Jahrbuch dokumentiert.

Einem komplexen Verständnis von Konversion folgend, beschäftigt sich das BICC mit den folgenden sechs Arbeitsfeldern:

  • Problemen der Umwidmung finanzieller Mittel aus den Verteidigungshaushalten für nicht militärische Zwecke;
  • Umorientieruung militärischer Forschung und Entwicklung zur Erfüllung nicht-militärischer Aufgaben;
  • Möglichkeiten und Hindernissen bei der Umstellung der Rüstungsindustrie, der Anpassung der vorhandenen Kapazitäten und Verminderung der Abhängigkeit von Rüstungsproduktion;
  • Programmen der Demobilisierung militärischen Personals und beim Militär beschäftigten zivilen Personals sowie deren Reintegration in zivile Berufe;
  • Fragen der Nutzung militärischer Einrichtungen für zivile Zwecke, einschließlich Boden und Infrastruktur (Schließung von Standorten);
  • Möglichkeiten der zivilen Verwendung, des Umbaus, der Entsorgung oder Verschrottung von Waffen und anderer militärischer Geräte.}

W&F: Gibt es in ihrem Forschungsbereich eine Zusammenarbeit mit anderen Universitäten und Instituten?

Dr. Wulf: Ja, wir sind darauf angewiesen, mit Kolleginnen und Kollegen in sehr vielen Ländern zusammenzuarbeiten. Es gibt sehr gute und wichtige Kontakte zu amerikanischen Universitäten und zu den Vereinten Nationen, zu skandinavischen und russischen Instituten. Insbesondere bezogen auf Fragen des Kleinwaffenhandels oder der Demobilisierung von Streitkräften arbeiten wir auch mit vielen Instituten in den Entwicklungsländern zusammen. Dies ist ein Bereich, den wir ausbauen wollen. Bei all dem kommt uns entgegen, daß unser Zentrum ja auch einen internationalen Stab hab. Die auswärtigen Mitarbeiter kommen aus den USA, Großbritannien, Holland, Liberia und Brasilien. Eine russische Mitarbeiterin ist für uns in Moskau tätig. Die Mitarbeiter bringen sehr unterschiedliche Erfahrungen aus ihren jeweiligen Ländern mit und auch ihre Kontakte zu Instituten im Ausland.

W&F: Nordrhein-Westfalen sicherte dem Institut eine Anschubfinanzierung für fünf Jahre. Die Hälfte ist fast um, wie ist die Perspektive?

H. Wulf: Wir haben eine Finanzierungsgarantie für die ersten fünf Jahre bekommen, was angesichts knapper Kassen der öffentlichen Hand eine sehr großzügige Finanzierung war. Die meisten Institute haben ja eher in den letzten Jahren starke Kürzungen hinnehmen müssen. Vereinbart ist mit unseren Gesellschaftern, daß nach vier Jahren Arbeit eine Evaluierung stattfinden wird und auf der Basis dieser Evaluierung werden dann unsere Gesellschafter über die Weiterentwicklung des Institutes zu entscheiden haben. Ich gehe fest davon aus, daß das Engagement der Gesellschafter nicht nach wenigen Jahren erlahmt ist. Man gründet ein solches Zentrum ja nicht, um nach fünf Jahren wieder Schluß zu machen. Vor allen Dingen, die wichtigen Aufgaben liegen noch vor uns, über Mangel an Arbeit können wir uns eigentlich nicht beklagen.

W&F: Und die nächsten Projekte?

H. Wulf: Wir haben ein Projekt mit amerikanischen Institutionen begonnen, das sich ausschließlich dem Problem widmet, was mit den Überschußwaffen geschieht. Wenn bei Abrüstung Waffen frei werden und diese Waffen in andere Regionen der Welt exportiert werden, dann ist dies ein sehr negatives Ergebnis, da der Abrüstung in einer Region der Welt, die Aufrüstung in einer anderen Region folgt. Ein zweiter Themenbereich, der uns sehr am Herzen liegt, ist die Demobilisierung von Soldaten in Entwicklungsländern. Wir möchten Entwicklungshilfe gebende Organisationen davon überzeugen, daß Demobilisierung nicht nur ein abrüstungs- und friedenspolitisches-, sondern auch entwicklungspolitisches Konzept erfordert. Schließlich noch ein dritter Bereich, den wir für »unterbelichtet« halten. Das ist die Frage, was geschieht mit den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die früher ausschließlich für das Militär gearbeitet haben. Hier gibt es noch zigtausende, wenn nicht gar hunderttausende von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die sich eigentlich um zivile Alternativen kümmern müssen. An dieser Stelle hat unsere Arbeit erst begonnen, diesen Bereich möchten wir gerne ausbauen.

W&F: Für Mai plant das BICC eine Konferenz zusammen mit der NATO …

H. Wulf: Wir sind von der NATO, dem Auswärtigem Amt in Deutschland und der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gebeten worden, eine internationale Konferenz zu organisieren, die sich ausschließlich mit den Folgen der Abrüstung im Bereich der Chemiewaffen und der Nuklearwaffen beschäftigt. Es geht darum, neue Wege zu suchen, wie mit den Materialien umgegangen wird, die aufgrund von Abrüstungsvereinbarungen jetzt das Erbe des Kalten Krieges darstellen, also von Interkontinentalraketen über waffenfähiges Nuklearmaterial bis eben hin zu Chemiewaffen. Hier sollen Experten aus den Ländern der ehemaligen Militärblöcke, Warschauervertragsorganisation und NATO, zusammengebracht werden, um nach neuen Wegen zu suchen, mit diesem schlimmen Erbe des Kalten Krieges fertig zu werden.

W&F: Eine letzte Frage. Wissenschaft, die ihre Ergebnisse direkt verwerten kann und auch soll, gerät leicht in den Verdacht der Indienstnahme, der wirtschaftlichen Abhängigkeit und damit vielleicht auch der politischen Einseitigkeit. Wie geht das BICC mit dieser Frage um, wie verläuft der Meinungsbildungsprozeß im BICC?

H. Wulf: Es gibt eine ganze Reihe von Entscheidungsstufen. Wir existieren als Zentrum in der Form einer gemeinnützigen GmbH, eine ganz ungewöhnliche Konstruktion, also nicht als ein eingetragener Verein, als Stiftung oder als Universitätsinstitut. Diese GmbH hat einen Aufsichtsrat, der über das Arbeitsprogramm und über den Wirtschaftsplan entscheidet. Das ist zunächst einmal die Rahmenbedingung für uns. Ich kann sagen, daß ich als Geschäftsführer dieser GmbH bislang vom Aufsichtsrat die Projekte, die wir vorgeschlagen haben, in jedem konkreten Einzelfall auch genehmigt bekommen habe. Der Meinungsbildungsprozeß im Hause findet so statt, daß Projektvorschläge, die von Mitarbeitern oder von der Geschäftsführung gemacht werden, im Hause diskutiert werden. Letzten Endes hat dann natürlich die Geschäftsleitung gegenüber dem Aufsichtsrat die Verantwortung. Bislang haben wir in der Aufbauphase eigentlich nicht das Problem gehabt, sinnvolle Projekte zu finden, sondern die schwierige Entscheidung gehabt, aus den vielen guten Ansätzen, die auszuwählen, die für uns Priorität haben. Da war sicherlich manchmal die Entscheidung schwierig, ob man sich um das eine oder das andere Projekt kümmern soll, wenn die Finanzmittel nur für ein Projekt vorhanden sind.

W&F: Vielen Dank!

Herbert Wulf ist Direktor des Internationalen Konversionsinstituts Bonn (BICC)

Vor neuer Aufrüstungsrunde

Vor neuer Aufrüstungsrunde

Debatte um deutschen Rüstungshaushalt durchwehte ein Hauch von Vaterlandsverrat

von Paul Schäfer

Bereits der erste Tag der diesjährigen Haushaltsdebatte im Bundestag förderte Erhellendes zutage. Die Abgeordnete Matthäus-Maier (SPD) hatte den Anstieg bei den Rüstungsausgaben hinterfragt. Der Fraktionsvize der CDU/CSU, Hans-Peter Repnik, hielt ihr daraufhin vor, dies müsse sie erstmal » unseren« TORNADO-Piloten, die in Bosnien im Einsatz seien, erklären. Ein Hauch von Vaterlandsverrat durchwehte das Bundestagsplenum. Matthäus-Maier beeilte sich denn auch richtigzustellen, sie habe keineswegs eine Kürzung des Wehretats gefordert. Wie in den schlimmeren Tagen des Kalten Krieges scheint der Rüstungshaushalt tabu zu sein. Wer hier Streichungen fordert, der kann nur wollen, daß sich Deutschland aus seiner internationalen Verantwortung stiehlt. Die Krisen und Konflikte in der Welt werden auf diese Weise genutzt, um die horrend hohen und gar wieder ansteigenden Rüstungsausgaben zu rechtfertigen.

Und die Rüstungslasten sind auch nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts auf astronomischer Höhe geblieben. Alle sind sich einig: Die Bundesrepublik ist seitdem nur noch von Freunden und Partnern umgeben. Ein Angriff auf ihr Territorium ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten! Weit über den Abrüstungsvertrag bei konventionellen Streitkräften (KSE) hinaus, wurden bei unseren ehemaligen Feinden im Osten Waffensysteme verschrottet. Eine „dramatisch veränderte Sicherheitslage“ (Rühe) also. Aber in puncto Abrüstung: Fehlanzeige. Die Rüstungslobby weist gerne jammervoll darauf hin, daß es doch Einschnitte beim Wehretat gegeben habe. Jetzt aber sei das Ende der Fahnenstange erreicht. Das Minimum, das die Bundeswehr braucht“, sagt der zuständige Minister zu seinem 48,4 Mrd.-Haushalt. Ein historischer Vergleich mag verdeutlichen, was davon zu halten ist: Mit dem Rückgang von 53,6 Mrd. DM im Jahre 1991 auf 47,26 Mrd. DM 1994 wurde inflationsbereinigt etwa der Stand Mitte der achtziger Jahre erreicht. Damals hatten bekanntlich die Ost-West-Beziehungen – nach der sog. Nachrüstung der NATO und den SDI-Bestrebungen – gerade ein neues Eiszeit-Stadium erreicht!

Es ist leider wahr, daß das Ende der Kalten-Kriegs-Konfrontation nicht ein Ende der Konflikte in der Welt gebracht hat. Eher hat die Anzahl der gewalttätigen Konflikte zugenommen. Für die konservativen Hardliner liegen die Dinge auf der Hand. Militärisches Krisenmanagement durch NATO/WEU ist gefragt und zwar weltweit. Das Credo der militärischen Abschreckung bleibt daher ungebrochen gültig. Auf diese Weise aber gibt es kein Entrinnen aus der alten Spirale „Aufrüstung führt zu Krieg – Krieg führt zu Aufrüstung“. Dabei wäre es an der Zeit, sich den Ursachen dieser Konflikte und Kriege zuzuwenden. Nur eine präventiv ausgerichtete Politik der Konfliktverhütung kann auf Dauer zu Problemlösungen führen. Doch dies würde z.B. bedeuten, den Etat für Entwicklungszusammenarbeit kräftig zu erhöhen. Mit dem jetzt vorliegenden Haushalt erreicht die öffentliche Entwicklungshilfe der Bundesrepublik gerade einen Anteil von 0,33<0> <>% am Bruttosozialprodukt. In Rio hat Kohl 0,7<0> <>% versprochen. Zudem fließt ein Teil der veranschlagten 8 Mrd. DM als Darlehensrückzahlungen, als Aufträge für die bundesdeutsche Wirtschaft etc. zurück. Maßstab der Entwicklungspolitik ist vor allem, ob sie der deutschen Wirtschaft nützt und weniger, ob sie nachhaltige Entwicklung fördert.

Der Haushaltsentwurf 1996 belegt einmal mehr, daß die Bundesregierung nicht die Chancen der Abrüstung nutzt und auch nicht die Frage ziviler Konfliktlösungen in den Mittelpunkt rückt. Im Gegenteil: Sie setzt auf Rüstungsmodernisierung und baut die Bundeswehr für ihre neue Rolle als Interventionsarmee um.

Das Credo militärischer Abschreckung bleibt unverändert

Mit dem Entwurf zum Rüstungshaushalt 1996 wird fortgesetzt, was von den Rüstungslobbyisten 1995 als »Trendwende« überschwenglich begrüßt wurde. Die Militärausgaben weisen wieder nach oben. Der Höhepunkt war 1991 mit 53,6 Mrd. DM erreicht. Nach einem kurzen Tief 1994 mit 47,2 Mrd. steigen die Aufwendungen jetzt wieder auf 48,4 Mrd. Damit steigt auch der Anteil der Rüstungsausgaben am Bundeshaushalt wieder an. Rüstungslobbyisten verweisen gerne darauf, daß dieser Anteil in den achtziger Jahren ca. 18<0> <>% betragen habe und in den neunziger Jahren auf die 10<0> <>%-Marke gefallen ist. Doch diese prozentuale Absenkung hat mit Abrüstung wenig bis gar nichts zu tun. Sie ist vor allem Resultat des aufgeblähten Gesamtetats – die hohen Transferzahlungen Richtung Osten schlugen ordentlich zu Buche. 1988 betrug der Umfang des Bundeshaushalts noch ca. 275 Mrd. DM. Er sprang 1991 auf über 400 Mrd. und erreichte 1994 über 470 Mrd.!

Einen wirklichen Einschnitt bei der Rüstung hat es auch nach der »Zeitenwende« 1989/90 nicht gegeben. Richtig ist: Die deutsche Armee ist bis Ende 1994 auf 370.000 Mann (1989: 483.000 Bundeswehr-Soldaten, 155.000 NVA-Soldaten) reduziert worden. Dies war der Preis, der für die »Wiedervereinigung« entrichtet werden mußte. Richtig ist, daß die »vereinigte Bundeswehr« nach dem KSE-Vertrag über 10.000 Großwaffensysteme reduzieren mußte. Das Gros davon allerdings bei den NVA-Beständen. KSE-Reduzierungen und die völlige Abwicklung der NVA wurden genutzt, um sich von einem Riesenarsenal an Waffen zu trennen, die nicht mehr »up-to-date« waren. Ein beträchtlicher Teil davon findet sich heute in Konfliktregionen der Welt wieder: in der Türkei, in Griechenland und in Indonesien. Richtig ist, daß es in den Haushalten 1993 und 1994 Kürzungen von einigen Milliarden DM gegeben hat. Aber diese Sparmaßnahmen hatten mit vorsätzlicher, längerfristig geplanter Abrüstungspolitik nichts zu tun. Sie waren den immensen Haushaltszwängen in Folge der deutschen Einheit und der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung geschuldet.

In die Zeit zwischen 1991 und 1995 fallen auch beträchtliche Rüstungsaufwendungen, die nicht über den Etat des Verteidigungsministers abgewickelt wurden. Im Jahre 1991 wurden den westlichen Verbündeten 10 Mrd. DM für den Golfkrieg überwiesen. Die Bundeswehr hat sich in diesem Zusammenhang über denselben Einzelplan (EP 60; Allgemeine Finanzverwaltung) über 1,2 Milliarden für sog. Ersatzbeschaffungen besorgt. Für die Beschaffungen von Waffensystemen für Israel wurden in diesem Einzelplan seitdem ca. 900 Mio. DM eingestellt.

Ein realistischeres Bild über den Umfang der Rüstungslasten gewinnt man auch nur, wenn man die Gesamtheit der Militärausgaben erfasst. Werden die Kriterien zugrunde gelegt, nach denen die NATO die Militärausgaben ihrer Mitglieder erfaßt (darin sind auch die Militärruhestandsgehälter, Ausgaben für den Bundesgrenzschutz, Beiträge für die NATO- und WEU-Zivilhaushalte, für Rüstungshilfe an andere Staaten etc. erfaßt), so ergibt sich, daß 1995 knapp 60 Mrd. (59,23) DM für die Verteidigung ausgegeben wurden. Der Vergleich der Ausgaben nach NATO-Kriterien von 1989 und von 1994 fördert zutage, daß eine Reduzierung um lediglich 900 Mio. DM stattgefunden hat. Nur in der Zwischenzeit, in den Jahren 1990-1992, lagen die Ausgaben durch die Übernahme der NVA weit darüber – zwischen 68 und 65 Mrd. DM.

Doch selbst die Militärausgaben nach NATO-Kriterien umfassen nicht die Gesamtheit der militärisch bedingten Ausgaben. In nahezu allen anderen Einzelplänen ist noch eine Vielzahl von Ausgaben versteckt, die direkt oder indirekt mit Bundeswehr und Rüstung zu tun haben.

Von erheblicher Bedeutung und finanziellem Gewicht sind:

  • Die im Etat des Kanzleramts veranschlagten 236 Mio. DM für den BND müssen mindest zu Teilen dem Rüstungshaushalt zugerechnet werden.
  • Die im EP 05 ausgewiesene Ausstattungshilfe von 50 Mio. DM (u.a. Lieferung von ausgemustertem Kriegsgerät an andere Länder), muß teilweise dem Militäretat zugeschlagen werden. Hinzu kommen 65 Mio. DM für Fregattenlieferungen an die Türkei.
  • Beträchtliche Finanzmittel werden für militärisch relevante Forschung & Entwicklung außerhalb des EP 14 aufgebracht. Zu nennen ist hier natürlich der Haushaltstitel 3008 beim BM für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Weltraum- und Luftfahrtforschung. 1996 sind hierfür 1,88 Mrd. DM veranschlagt. Aber auch das Wirtschaftsministerium tut einiges zur Förderung der Luftfahrttechnik. Es ist ein offenes Geheimnis, daß im Zeitalter der elektronisch bestimmten Rüstungsmodernisierung eine enge Abstimmung zwischen BMVg und BMFT stattfindet. Erst jüngst hat der Generalbevollmächtigte der Daimler-Benz Aerospace nachdrücklich gefordert, die Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung und Technologie so rasch wie möglich aufzugeben.
  • Einen nicht gerade kleinen Batzen verschlingen Ausgaben im Rahmen für die sog. zivile Verteidigung. 1995 immerhin noch über eine halbe Milliarde. Darunter verstecken sich zwar auch viele Aufwendungen für die Katastrophenhilfe, aber auch Mittel zur Vorbereitung auf den »Verteidigungsfall« (wie Bunkerbau etc.).
  • Last but not least darf nicht vergessen werden, daß die Rüstungsausgaben ja einen beträchtlichen Anteil daran haben, daß der Bund jährlich viel Geld für Schuldentilgung plus Zinsen aufbringen muß. 1996 müssen 56 Mrd. DM Bundesschulden abgetragen werden. 10<0> <>% davon wären 5,6 Mrd. DM.

In der Summe ergibt sich also ein Betrag, der an 70 Milliarden DM heranreichen dürfte. 70 Milliarden für Militär und Rüstung nach dem Wegfall des Warschauer Pakts – welch ein Aberwitz!

Überdimensionierte Militärausgaben zu Lasten von Ausgaben zur friedlichen Konfliktprävention

Schon ein erster Zahlenvergleich zeigt, in welch krassem Mißverhältnis die hohen Aufwendungen für militärische Beschaffungen und Einrichtungen zu den weiterhin geringen Beiträgen für eine zivil ausgerichtete, vorbeugende Konfliktbewältigung stehen: Trotz lautstarker Bekundungen über die bedeutende Rolle der OSZE bleiben die Mittel für die OSZE auf skandalös niedrigem Niveau. Ganze 4,5 Mio. DM sind im Einzelplan 05 für die OSZE-Einrichtungen, Seminare und Missionen veranschlagt. Allein der Beitrag für den zivilen Teil des NATO-Haushaltes im Etat des Auswärtigen Amtes ist mit über 40 Mio. fast zehnmal so hoch. Aussagekräftiger ist es, wenn wir die kärglichen 4,5 Mio. mit dem Abschnitt „Bewilligungen im Rahmen der Mitgliedschaft zur NATO und zu anderen internationalen Organisationen“ vergleichen. Dort ist für 1996 fast 1 Milliarde DM ausgewiesen. Was könnte von nur 10<0> <>% dieser Aufwendungen (immerhin knapp 100 Mio.) für eine vernünftige Konflikprävention getan werden?!

Der Beitrag für die OSZE wird auch durch eine andere Zahl ins rechte Licht gerückt: An den Verband der Reservisten überweist das BMVg einen Zuschuß von über 27 Mio. DM (1403).

Die Unterstützung bei der Beseitigung ehemals sowjetischer Massenvernichtungswaffen ist der Bundesregierung gerade 18 Mio. DM wert. (EP 05, Kap. 02) Immerhin eine Steigerung gegenüber dem 95er-Etat um 5 Mio. Doch auch hier wäre ein erheblich größerer Beitrag eine sinnvolle Investition in eine sicherere Zukunft.

Rüsten für die Kriege der Zukunft

Nach den Anmeldungen zum 29. Finanzplan des Bundes (1995-1999) sollten die Ausgaben 1996/97 bei 48 Mrd. stabilisiert werden, um dann ab 1998 wieder zu steigen. 1999 sollten allein im Einzelplan 14 des BMVg 49 Mrd. DM eingestellt werden. Die jetzt bei der OSZE eingereichten Haushaltszahlen im Rahmen des jährlichen Informationsaustausches über Verteidigungsplanung korrigieren diese Angaben bereits nach oben. 1997 und 1998 sind Steigerungen von jeweils 1,2 Mrd. DM angesetzt.

Das BMVg bagatellisiert: Eine 2,5<0> <>%-Inflationsrate einberechnet, ergäbe sich praktisch eine Ausgabenminderung. Auffällig ist aber die Tatsache, daß es kontinuierlichen Aufwuchs bei den FE- und Beschaffungsausgaben gibt. Insbesondere bei dem Beschaffungstitel sind nach der Jahrhundertwende erhebliche Sprünge vorprogrammiert. Denn, wie Minister Rühe seit geraumer Zeit verlauten läßt, kommt auf die Bundeswehr „auf mittlere Sicht praktisch eine Runderneuerung des Großgeräts“ zu.

Nach der zweiten großen Beschaffungswelle Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre (Leopard 2, TORNADO etc.) wird der Zulauf neuer, noch effizienterer Großwaffensysteme für die Zeit nach der Jahrhundertwende fest angepeilt. Die alte Geschichte eines Rüstungsautomatismus wiederholt sich: Industrie und Militärs gehen schlicht von einem technologisch bedingten Erneuerungszyklus aus. Alle Waffengattungen sind an dieser neuen Aufrüstungsrunde beteiligt. Hinzu kommen wachsende Mittel für die teilstreitkräfteübergreifenden Aufklärungs-, Kommando- und Gefechtsfeldführungssysteme, mit denen die Schlachten der Zukunft geschlagen werden sollen.

Wehrtechnische Forschung & Entwicklung

Mit den Haushalten 1996-1999 werden gewissermaßen die Weichen gestellt, um diese Beschaffungen einzuleiten. Dies drückt sich vor allem in den steigenden Aufwendungen für wehrtechnische Forschung & Entwicklung aus. Nachdem die Ausgaben für wehrtechnische Entwicklung 1993 auf ca. 2,5 Mrd. DM gefallen waren, wird im Haushalt 1996 erstmals wieder die 3 Mrd. DM-Grenze überschritten. Bis 1999 ist eine weitere Steigerung auf 3,5 Mrd. DM vorgesehen. Wenn wir von konservativ geschätzten 4 Mrd. DM militärischer F&E (s.o.) ausgehen, dann werden damit die Rekordmarken der Jahre 1989-1991 wieder erreicht. Damals wurden erstmals in größerem Umfang Mittel für F&E des neuen Jagdflugzeuges (Jäger 90) eingestellt, der auch jetzt wieder mit 650 Mio. DM einen erheblichen Teil der wehrtechnischen Forschungsmittel frißt.

Mit dem Etat 1996 soll auch eine Trendwende im Verhältnis Betriebsausgaben ./. investive Ausgaben (Forschung & Entwicklung, Beschaffungen) eingeleitet werden. Die Investitionsausgaben sind in den vergangenen Jahren anteilig tatsächlich von ca. 30 auf etwas über 20<0> <>% zurückgegangen. Sie konnten dies, weil keine großen Beschaffungsvorhaben in diesem Zeitraum anstanden. Außerdem hat die im Zuge der Wiedervereinigung fällige Umstrukturierung der Bundeswehr die Betriebsausgaben erheblich in die Höhe schnellen lassen (Baumaßnahmen im Osten!). Mit der inzwischen beschlossenen Festschreibung des tatsächlichen Personalbestandes der Bundeswehr auf 340.000 Soldaten, mit der Verkürzung der Wehrpflichtdauer ab Anfang 1996, mit dem weiteren Abbau der zivilen Beschäftigten und einer rabiaten Durchrationalisierung des Betriebes sollen ab sofort die Mittel frei werden, um den Anteil der Investitionsausgaben weiter kräftig steigern zu können. Vorgesehen ist, daß die Investitionsquote nach der Steigerung auf 24<0> <>% im vorliegenden Haushalt auf 29<0> <>% im Eckjahr 1999 angehoben wird. Einer umfassenden Rüstungsmodernisierung dürfte dann nichts mehr im Wege stehen.

Die Bundeswehr wird zur Interventionsarmee umgebaut

Diese Runderneuerung fällt zusammen mit der „Umrüstung auf Krisenreaktionsfähigkeit“ (Rühe) – im Klartext: des Umbaus der Bundeswehr zu einer weltweit interventionsfähigen Armee. Der Minister hat auch eine Liste der Großvorhaben präsentiert, die im Laufe der nächsten zehn Jahre neu beschafft werden sollen: Die Liste enthält entsprechende Transportfähigkeiten in der Luft, zu Lande und auf See, sog. strategische Aufklärungskapazitäten (Spionagesatelliten), das neue Jagdflugzeug EF 2000 (Jäger 90), neue Fregatten und U-Boote der Marine und neue Hubschrauber und Panzerhaubitzen des Heeres. Nicht zu vergessen die Pläne zur Beschaffung von Raketenabwehrsystemen, mit denen Interventionskorps unangreifbarer gemacht werden sollen. Im Haushaltsentwurf 1996 sind erstmals Mittel für eine multilaterale Agentur ausgewiesen, die dieses Rüstungsprojekt vorantreiben soll.

Für das neue Jagdflugzeug Eurofighter 2000 sind im kommenden Haushalt wieder 635 Mio. vorgesehen. Dieses Projekt allein wird ca. 8 Mrd. DM Entwicklungskosten verschlingen. Welche Kosten mit der Beschaffung auf uns zukommen werden, ist immer noch offen. Die geplante Beschaffung von 140 Maschinen wird nach den offiziellen Industrieangaben mindestens 20 Mrd. DM kosten. Ein Betrag, der doppelt so hoch ist, ist aber nicht auszuschließen. Für eine neue Generation von Hubschraubern (NH 90, UHU) müssen für die nächsten Jahre Beträge zwischen 15 und 20 Mrd. DM veranschlagt werden. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf sollen erstmals Mittel für die Serienvorbereitung des Unterstützungshubschraubers TIGER (UHU), der gemeinsam mit Frankreich entwickelt wird, eingestellt werden.

Gar nicht einberechnet in die mittelfristige Haushaltsplanung sind die Kosten für den Einstieg in die Weltraumrüstung und für Entwicklung und Beschaffung neuer Raketenabwehrsysteme. Von einem zweistelligen Milliardenbetrag für die Beteiligung an einem WEU-Satellitensystem innerhalb der nächsten zehn Jahre ist auszugehen. Das BMVg hat bereits signalisiert, daß es diese Mittel nicht allein aufbringen will. Auch andere Etats müssen also für diese Militarisierung bluten.

Die Aufrüstung für out-of-area-Kampfeinsätze der Bundeswehr in der Zukunft sind das Eine; die laufenden Kosten das Andere. Schon heute fallen bereits erhebliche Beträge fürAuslandseinsätze an. Dies gilt natürlich besonders für den Einsatz deutscher Soldaten im ehemaligen Jugoslawien. Anläßlich der Entscheidung der Bundesregierung, deutsche Truppenkontingente zu entsenden, hat Min. Rühe von 345 Mio. DM Zusatzkosten für die Dauer von sechs Monaten gesprochen. „Auch das BMVg“ müsse davon einen Teil übernehmen. Von 200 Millionen ist die Rede. Bisher sind im Einzelplan 14 nur 65 Mio. DM für solche Einsätze bereitgestellt.

Abrüstung ist das Gebot der Stunde

In den nächsten Jahren steht also eine große Auseinandersetzung um die genannten militärischen Beschaffungsprogramme und die Umrüstung der Bundeswehr an. Noch überwiegt in der Öffentlichkeit die Auffassung, es werde abgerüstet. Für den November war die Entscheidung über das neue Jagdflugzeug EF 2000 angesetzt. Möglicherweise ebenfalls Ende des Jahres soll über die deutsche Beteiligung am WEU-Spionage-Satellitenprojekt entschieden werden.

Die Friedensinitiativen haben sich in den letzten Jahren vor allem mit den Fragen ziviler Konfliktlösungen beschäftigt. Und dies völlig zu recht. Die alte, mühselige Arbeit des »Erbsenzählens« bei Raketen, Hubschraubern und Geschützen scheint aber doch wieder auf uns zuzukommen.

Paul Schäfer ist wiss. Mitarbeiter des PDS-Bundestagsabgeordneten Gerhard Zwerenz

Nachhaltige Abrüstung umfaßt alle Kernwaffenmaterialien

Nachhaltige Abrüstung umfaßt alle Kernwaffenmaterialien

Zum Produktions- und Nutzungsstopp waffengrädiger Materialien*

von Martin Kalinowski • Wolfgang Liebert

Die Verbreitung von Atomwaffen und die weltweiten zivilen Nuklearprogramme stehen in einem Zusammenhang, denn die zentrale Voraussetzung für den Bau von Kernwaffen ist der Zugriff auf ausreichende Mengen an spaltbaren Materialien. Diese finden auch in zivilen Nuklearprogrammen Verwendung oder werden dort produziert. Von besonderer Bedeutung sind hier Plutonium und hochangereichertes Uran (HEU – highly enriched uranium).

In den letzten Jahren wird besonderes Augenmerk auf die Waffenmaterialien gerichtet, die aus der Reduktion der Atomwaffenarsenale der USA und GUS frei werden. Das langfristig wichtige Problem betrifft aber genauso die waffengrädigen Materialien im zivilen Bereich. Eine nachhaltige Abrüstung muß auch diese Materialien in einen Produktions- und Nutzungsstopp mit einbeziehen.

Waffengrädige Materialien weltweit

Zur Zeit sind weltweit über 400 Kernreaktoren mit einer elektrischen Leistung von mehr als 300 Gigawatt in Betrieb. Dies macht eine jährliche Anreicherungskapazität von größenordnungsmäßig 10.000 Tonnen schwach angereicherten Urans notwendig. Etwa 70 Tonnen Plutonium werden jährlich in diesen zivilen Leistungsreaktoren produziert.1 Die Überwachungsmaßnahmen der IAEO reduzieren sicherlich die daraus erwachsende Problematik erheblich. Aber nur etwa die Hälfte des bislang produzierten sogenannten Reaktor-Plutoniums (bis heute mehr als 950 Tonnen), das gleichwohl waffenfähig ist2, steht unter Safeguards. Wird es aus dem nuklearen Abfall mit chemischer Wiederaufarbeitungstechnologie abgetrennt (bislang etwa 190 Tonnen, also ein Fünftel), steht dieses Plutonium im Prinzip auch für Kernwaffen zur Verfügung. Das abgetrennte Plutonium wird größtenteils zunächst gelagert, verbunden mit der Option einer späteren Wiederverwertung im nuklearen Brennstoffkreislauf. Vielfältige Abzweigungsmöglichkeiten für Waffenzwecke ergeben sich daraus.

Die Größenordnung dieses für Kernwaffen verwendbaren Reaktorplutoniums wird besonders deutlich, wenn man es vergleicht mit den insgesamt etwa 270 Tonnen Plutonium, die in den Kernwaffenarsenalen der Welt stecken. Das derzeit existierende Reaktorplutonium entspricht rund 120.000 signifikanten Mengen, aber es könnten sicherlich viermal so viel Kernwaffen daraus hergestellt werden, als zur heißesten Phase des Kalten Krieges stationiert waren. Es wird damit gerechnet, daß knapp nach der Jahrhundertwende, die in abgetrennter Form gelagerten »zivilen« Plutoniummengen die militärischen überschreiten werden.

Die dramatische Verschärfung der Situation in unserem Land wird besonders deutlich angesichts der Tatsache, daß in den nächsten Jahren tonnenweise Plutonium aus Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien nach Deutschland zurücktransportiert werden soll. Die jährliche Rückführung von Plutonium aus der Wiederaufarbeitung soll auf das zehnfache bisheriger Mengen erhöht werden. Erwartet werden 5 Tonnen pro Jahr ab 1995, ohne daß dieses Plutonium verarbeitet werden könnte. Der Betrieb der alten Anlage zur Fertigung von Mischoxidbrennelementen (MOX) in Hanau ist von Siemens endgültig eingestellt worden. Ein Ende des Streits um die Betriebsgenehmigung für die Neuanlage ist nicht in Sicht. Der derzeitige Bestand des Plutoniumlagers in Hanau von mehr als 2 Tonnen würde erheblich anwachsen.

Ganz ähnlich ist die Situation in vielen anderen Ländern auch. Der historische Grund für die neu installierten oder noch in Bau befindlichen Wiederaufarbeitungskapazitäten war eine umfangreiche kommerzielle Nutzung von Plutonium in Schnellen Brutreaktoren. Bis auf Forschungsprogramme in Frankreich, Japan und Rußland sind alle diesbezüglichen Aktivitäten eingestellt oder nie aufgenommen worden. Durch den Einsatz von MOX Brennelementen in Leichtwasserreaktoren könnte nur wenig von dem frisch abgetrennten Plutonium verarbeitet werden. Überdies wird erwartet, daß die deutsche Atomwirtschaft aus wirtschaftlichen Überlegungen gänzlich aus der Plutoniumnutzung aussteigen wird. Dies wird wahrscheinlicher, nachdem die Änderung des Atomgesetzes im Jahre 1994 den Verzicht auf Wiederaufarbeitung zugunsten einer direkten Endlagerung von abgebrannten Brennelementen ermöglicht. Solange die noch über Jahre laufenden Verträge mit den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague aber nicht gekündigt werden, werden die Lager an separiertem Plutonium zu einem gigantischen Überschuß heranwachsen. Damit würden die Gefahren durch das jederzeit direkt für Atomwaffen einsetzbare Material erheblich steigen.3

Die Verwendung von hochangereichertem Uran (HEU) im zivilen Bereich spielt kaum noch eine große Rolle. Allerdings könnten existierende Urananreicherungsanlagen, von denen nur die Hälfte von der IAEO überwacht werden, theoretisch auch HEU produzieren. Demgegenüber haben die fünf Kernwaffenstaaten insgesamt mehr als 2000 Tonnen HEU für militärische Zwecke hergestellt. Sie sind in der Vergangenheit die fast alleinigen Produzenten von ca. 70 Tonnen HEU für den zivilen Markt im In- und Ausland gewesen. Seit Anfang der 80er Jahre gibt es eine internationale Initiative zur Reduktion der Produktion und Verwendung von HEU. Im zivilen Bereich wird HEU heute ausschließlich für Forschungsreaktoren verwendet, zur Zeit noch etwa 150 mit einem Jahresbedarf von insgesamt etwa ein bis zwei Tonnen. Viele Reaktoren wurden bereits auf die Verwendung nicht waffentauglichen niedrigangereicherten Urans (LEU – low enriched uranium) umgestellt, bei Nutzung speziell entwickelter hochdichter Brennstoffe. Somit ist eine HEU-Nutzung für Forschungsreaktoren im Prinzip obsolet geworden.

Der Bau des in Planung befindlichen neuen deutschen Forschungsreaktors FRM II in Garching wäre weltweit der erste Forschungsreaktor dieser Größenordnung, der seit Anfang der achtziger Jahre mit HEU als Brennstoff konzipiert wurde. Dies wäre das falsche Signal und ein Rückschlag für die internationalen Konversionsprogramme von HEU auf LEU4. Die Verwendung der neu entwickelten hochdichten Brennstoffe unter Verwendung von HEU wäre eine Zweckentfremdung, da diese gerade für die Konversionsbemühungen entwickelt wurden. Hier würde in eine bislang geachtete Tabuzone eingedrungen. Ein neuer HEU-Reaktor wäre ein unerwünschtes Modell für andere Staaten, die Forschungsprogramme unter Verwendung von waffentauglichem Uran als Teil verdeckter Kernwaffenprogramme durchführen könnten. Andernfalls, bei der Verwehrung der Nutzung derselben Technologie durch andere, würde der berechtigte Vorwurf der Diskriminierung zwischen Kernwaffenstaaten, hochentwickelten Industrieländern, Schwellenländern und Entwicklungsländern erhoben, der schon seit Jahrzehnten die internationlen Nichtverbreitungsbemühungen erschwert.

Die Atomwaffenrelevanz von Tritium ist bisher kaum wahrgenommen worden.5 Nachdem das neu gebaute Tritiumlabor in Karlsruhe das erste Gramm Tritium aus Kanada erhalten hat, muß dieses Material stärker beachtet werden. Insgesamt soll Karlsruhe 100 Gramm erhalten, genug für 30 bis 50 Atomwaffen. Die EURATOM übernimmt die Überwachung des Tritiums.

Lösen Safeguards das Problem?

Die aktuellen Gefahren der Weiterverbreitung von Kernwaffen (horizontale Proliferation) sind unübersehbar und müssen ernst genommen werden. In vielen Ländern der Welt sind technische Voraussetzungen für den Bombenbau jederzeit abrufbar, insbesondere was die prinzipielle Möglichkeit des Zugriffs auf waffengrädiges Nuklearmaterial anbetrifft.

Hier kommt das Überwachungs- oder Safeguards-System der IAEO zum Zuge. Gemeinhin wird angenommen, diese seit 1957 aktive, in Wien ansässige Behörde könne den rein zivilen Charakter weltweit betriebener nicht-militärischer Atomprogramme garantieren. Allerdings sieht sich die IAEO selbst nicht in der Rolle einer Art »Nuklearpolizei«. In ihrem Selbstverständnis will sie lediglich dafür Sorge tragen, daß die Abzweigung von für signifikant gehaltenen Mengen von Nuklearmaterial aus dem zivilen Brennstoffkreislauf in für angemessen gehaltenen Entdeckungszeiträumen detektiert werden kann. Dies ist zunächst eine realistische Einschätzung ihrer Möglichkeiten, die mehr auf dem gegenseitigen Vertrauen der Nukleartechnologie nutzenden Länder basiert als auf »harten« Kontrollen.6 Die Fähigkeiten der IAEO waren und sind zu den Nukleartechnologie nutzenden Staaten institutionell, gemäß der IAEO Statuten, aufgrund diplomatischen Kalküls und bedingt durch das Grundverständnis der IAEO. Ein besonderes Hindernis dabei ist die Doppelrolle der IAEO als Promotor und »Überwacher« der Kernenergie. Gemäß ihres Selbstverständisses konnte die IAEO beispielsweise auch die jahrelangen Bemühungen des Irak in seinem verdeckt geführten Kernwaffenprogramm nicht wahrnehmen, wo die Inspekteure der Kontrollbehörde über Jahre quasi in dienstlichem Auftrag mit Blindheit geschlagen waren und nicht sehen durften, was sie durchaus hätten sehen können.7

Die Praxis der IAEO-Safeguards weist viele Schwachstellen auf.8 In der Vergangenheit war die Arbeit der IAEO unzureichend in Anbetracht der zu lösenden Problemstellungen.

Maßnahmen zur Stärkung der Bemühungen zur Eindämmung der horizontalen und latenten Proliferation sind dringend erforderlich.9

Ein wesentlicher Schwachpunkt der Safeguardsmaßnahmen drückt sich darin aus, daß nur die Hälfte aller Nuklearanlagen weltweit von den Safeguards erfaßt sind, obwohl fast alle Länder der Welt dem NVV mittlerweile beigetreten sind. Dieses Mißverhältnis liegt zum Teil daran, daß einige kritische Länder wie die de-facto Kernwaffenstaaten Indien, Israel und Pakistan dem NVV nicht beigetreten sind. Der Hauptgrund ist allerdings, daß die zivilen Anlagen in Kernwaffenstaaten nicht überwacht werden. Freiwillig zugestandene entsprechende Kontrollen bei den fünf etablierten Atommächten sind bisher rein symbolischer Art. Die Kernwaffenstaaten haben ihre Abrüstungsverpflichtungen aus dem Artikel VI des NVV bisher in unbefriedigender Weise erfüllt.

Die prinzipielle Schwäche des gängigen Safeguardskonzeptes tritt aber unweigerlich bei allen sogenannten bulk-handling facilities auf10, also Anlagen, in denen waffengrädige Materialien in separierter Form gehandhabt werden. Dies sind insbesondere Plutoniumbearbeitungs- und -verarbeitungs-Anlagen, also Wiederaufarbeitungsanlagen und Brennelementwerke unter Verwendung von Plutonium-Uran-Mischoxid (MOX), aber auch Urananreicherungsanlagen. Die Meßungenauigkeiten in diesen Anlagen stoßen an physikalische Grenzen, die prinzipiell eine sichere Überwachung unmöglich machen. Beispielsweise können u.U. aus einer typischen WAA mit Jahresdurchsatz von 800 Tonnen Schwermetall bis zu 30 kg Plutonium entwendet werden, ohne daß die Inspektoren Alarm geben können.

Der Gebrauch von Plutonium in zivilen Nuklearprogrammen wirft also grundsätzlich die Frage der latenten Proliferation auf, da in dieser Weise einige industrialisierte Länder eine Option auf Nuklearwaffen aufrecht erhalten können, auch wenn die politischen Erklärungen heute eindeutig eine andere Sprache sprechen. Auch der dazu notwendige Transport und die Verarbeitung von Plutonium birgt eindeutige Abzweigungsrisiken in sich.

Das Problem der horizontalen und latenten Proliferation drückt sich auch darin aus, daß inzwischen mindestens 19 Länder Zugriff auf mindestens eine der sensitiven Nukleartechnologien Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung erreicht haben, die eine Produktion waffenfähiger, spaltbarer Materialien prinzipiell ermöglichen. Sensitive Nuklearanlagen in Verbindung mit größeren Forschungsreaktoren sind in manchen Ländern eher als Indizien für die Ermöglichung von Kernwaffenoptionen zu werten, als daß darin erfolgreiche Grundlagen für größere zivile Nuklearprogramme zu sehen wären.

Eine minimale Konsequenz wäre daher die ausschließliche Verwendung von möglichst proliferationsresistenten Brennstoffkonzepten als conditio sine qua non einer denkbaren Weiternutzung von Kernenergie.11 Proliferationsresistenter als die von der IAEO und (in Europa der EURATOM) überwachte Abtrennung, Verarbeitung, Verwendung und Lagerung von Plutonium wäre es, seine weitere Abtrennung vom Atommüll durch Wiederaufarbeitung zu stoppen und seine Nutzung einzustellen.

Nachhaltige Abrüstung durch Produktions- und Nutzungsstopp

Vorschläge für einen Produktionsstopp waffengrädiger Materialien beziehen sich bislang zumeist auf ein Ende der Produktion für Waffenzwecke12. In Zukunft müssen sich die Kernwaffenstaaten einer ernsthafteren internationalen Kontrolle (Verifikation) unterziehen. Nur so kann der nukleare Abrüstungsprozeß (Umkehrung der vertikalen Proliferation) glaubwürdig und nachhaltig werden und das deklarierte Ziel des NVV erreichen, zu einer vollständigen nuklearen Abrüstung zu gelangen. Die Nichtverfügbarkeit der relevanten Materialien für Kernwaffen muß gesichert werden, um sie dann auf überprüfbare Weise beseitigen zu können bzw. um die nicht-beseitigbaren waffengrädigen oder hochradioaktiven Stoffe international kontrolliert lagern zu können.

Vermeidung jeglichen Zugriffs auf Waffenmaterial

Die international geführten Vorgespräche über mögliche Verhandlungen über einen sogenannten Cut-off-Vertrag beziehen sich allerdings fast nur auf den militärischen Sektor. Damit würden aber lediglich die Gefahren der Neuproduktion im militärischen Sektor angegangen. Ist das Ziel einer Nichtverbreitungspolitik für Kernwaffen die atomwaffenfreie Welt13, muß alles waffengrädige Nuklearmaterial in den Blick genommen werden14. Nur durch die Vermeidung jeglichen Zugriffs auf Waffenmaterialien würde nukleare Abrüstung unumkehrbar gemacht. Dafür sprechen folgende Gründe:

  • die militärische Verwendbarkeit ist von den Nuklearmaterialien Plutonium, HEU und Tritium nicht ablösbar;
  • das existierende Safeguardssystem der IAEO ermöglicht nur eine unzureichende Überwachung waffengrädiger Materialien im zivilen Bereich;
  • die Lagerung und Nutzung großer Mengen waffengrädiger Materialien erhält die Versuchung aufrecht, diese irgendwann für militärische Zwecke einzusetzen;
  • solange ein Bedarf für waffengrädige Materialien aufrechterhalten wird, ist eine Abzweigung für Waffenzwecke von nichtautorisierter Seite möglich, insbesondere auch beim Tarnsport und an den vielfältigen Stationen der Materialbearbeitung;
  • nur die weltweite Selbstbeschränkung in der Produktion und Nutzung waffengrädiger Materialien kann die gängige unglückliche Praxis einer »Technologieblockade« gegen Staaten, die für nicht vertrauenswürdig gehalten werden, überwinden.

Ein solcher vollständiger Ansatz wäre tatsächlich möglich, da der zivile Bereich dadurch nicht empfindlich beeinträchtigt würde. Es ist inzwischen allgemein anerkannt, daß die Plutoniumnutzung in der zivilen Atomwirtschaft unwirtschaftlich ist. Dies wird für die absehbare Zukunft so bleiben. Zudem gibt es keine Notwendigkeit, weiterhin Forschungsreaktoren mit HEU auszulegen. Alternativen stehen zur Verfügung. Dies zeigt insbesondere auch die Debatte in den USA um die geplante neue Advanced Neutron Source (ANS), die zunächst mit HEU-Nutzung konzipiert wurde, nun aber nach einem Neuplanungstadium unter Verzicht auf HEU ganz gekippt worden ist.

Problem der Beseitigung von Plutonium

Da es derzeit weltweit keine akzeptable Lösung für eine dauerhafte Lagerung von derartigen Abfällen gibt, ist auch keine Lösung dafür greifbar, wie Plutonium aus der Abrüstung dem Zugriff für Kernwaffenaspiranten sicher, kontrollierbar und dauerhaft entzogen werden kann.

Für HEU ist das Problem der Beseitigung besonders eng mit dem Betrieb von Kernkraftwerken verbunden. Es liegt auf der Hand, das HEU mit abgereichertem Uran zu verschneiden und zu Brennelementen zu verarbeiten. Für 500 Tonnen HEU aus Beständen des russischen Militärs gibt es bereits entsprechende russisch-amerikanische Abkommen. Nach der Nutzung der Brennstoffe stellt sich das übliche Entsorgungsproblem.

Bezüglich Plutonium streiten sich die Experten noch, wie am besten eine mögliche militärische Nutzung verhindert werden kann. Soll es in neugebauten Reaktoren – zu MOX unter optimierter Plutuniumverwendung verarbeitet – eingesetzt werden? Soll es in speziell zu diesem Zweck konstruierten und optimierten Schnellen Reaktoren oder Spallationsquellen transmutiert werden oder soll es für eine spätere direkte Endlagerung duch Verglasung konditioniert werden? Keine dieser Alternativen ist technologisch ausgereift und keine ist radioökologisch und sicherheitstechnisch unbedenklich. Vorerst muß jedes abgetrennte Kilo Plutonium als ein technisch ungelöstes Proliferationsproblem angesehen werden. Die beste Übergangslösung zur Eindämmung der Risiken durch latente Proliferation könnte erreicht werden durch eine Internationalisierung von als notwendig erachteten Anlagen und Lagern für Plutonium.

Anmerkungen

*) Dieser Beitrag ist eine gekürzte und leicht überarbeitete Version des Aufsatzes M. Kalinowksi, W. Liebert: Der gefährliche Überfluß an Kernwaffenmaterialien. Wechselwirkung, Band 16, Heft 1 (1995), Seiten 33-37. Zurück

1) Die IAEO hat »signifikante« Mengen von Nuklearmaterialien definiert, die auf Annahmen beruhen, welche Materialmengen für eine Atombombe benötigt werden. So lösen Mengen von 8 Kilogramm Plutonium und 25 Kilogramm HEU bestimmte Formen der Überwachungsmaßnahmen aus. Diese Zahlenwerte liegen relativ hoch, da bereits etwa 10 Kilogramm HEU bzw. 3 Kilogramm Plutonium für eine Bombe ausreichen können, die nicht allzu hohe Ansprüche an das technische Design stellt. Tritium ist bislang gar nicht einbezogen. Grammengen werden typischerweise in einer Kernwaffe benötigt. Zurück

2) E. Kankeleit, C. Küppers, U. Imkeller: Bericht zur Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium. IANUS-Arbeitsbericht 2/1989. Zurück

3) Siehe auch C. Küppers, M. Sailer, MOX-Wirtschaft und Proliferationsgefahren, Wissenschaft und Frieden 3/1994, S. 28-30 und 43. Zurück

4) Vergl. Offener Brief betreffend den geplanten Forschungsreaktor FRM-II unter Verwendung von hochangereichertem Uran, Forum Wissenschaft, 11. Jg. 2/1994, S. 20-21. Zurück

5) L. Colschen, M. Kalinowski: Tritium. Ein Bombenstoff rückt ins Blickfeld von Nichtweiterverbreitung und nuklearer Abrüstung. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, Jahrg. 9, Heft 4/1991, Seiten 10-14. Zurück

6) Vergl. hierzu auch L. Scheinman, Die Rolle der internationalen Atomenergiebehörde bei der Nichtweitergabe von Kernwaffen – Eine kritische Beurteilung, HSFK-Report 1/1988. Zurück

7) Vergl. beispielsweise W. Liebert, M. Kalinowski, G. Neuneck: Ist der Irak nuklearwaffenfähig? S + F Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden, Jahrgang 8 (1990) 176-183. Zurück

8) Vergl. hierzu insbesondere W. Liebert, M. Kalinowski, Stellungnahme zu aktuellen Problemen der nuklearen Non-Proliferation aus naturwissenschaftlicher Sicht, in: Dossier Verbreitung von Atomwaffen, Wissenschaft und Frieden, 11. Jg. 1/1993. Zurück

9) Vergl. hierzu auch Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Extending the Non-Proliferation Regime – More Scope for the IAEA?, Nichtverbreitung von Kernwaffen, Arbeitspapier 2, Heidelberg, März 1994; Owen Greene, Verifying the Non-Proliferation Treaty, Verification Technology Information Center (VERTIC), London, Nov. 1992; W. Liebert, M. Kalinowksi: Safeguards und Verifikation der Nichtverbreitung von Kernwaffen. ami – antimilitarismus information 24. Jahrgang, Heft 12, Dezember 1994, 23-33. Zurück

10) Vergl. insbesondere M. Miller, Are IAEA Safeguards on Plutonium Bulk-Handling Facilities Effective?, Nuclear Control Institute, Washington, Aug. 1990. Zurück

11) Vergl. auch W. Liebert, M. Kalinowski, Ambivalenz im Bereich nuklearer Forschung und Technologie, in W. Liebert, R. Rilling, J. Scheffran (Hrsg.), Die Janusköpfigkeit von Forschung und Technik, Marburg: BdWi-Verlag, 1994, S.163-179. Zurück

12) Vergl. F.v. Hippel, B. Levi, Controlling Nuclear Weapons at the Source: Verification of a Cut-Off in Production of Plutonium and Highly Enriched Uranium for Nuclear Weapons, in: K. Tsipis, D. Hafemeister, P. Janeway (eds.), Arms Control Verification – The Technologies that Make it Possible, Pergamon Brassey's, Washington, 1986, S. 338-388. Zurück

13) Vergl. W. Liebert, Wie weiter mit dem Nichtverbreitungsvertrag? – Weg in die kernwaffenfreie Welt oder Eindämmung der Weiterverbreitung mit Fortschreibung der nuklearen Abschreckung?, in: Wissenschaft und Frieden, 12. Jg. Nr.1, 1994, 57-64. Zurück

14) W. Liebert, M. Kalinowski, Proposal for a comprehensive cutoff including civilian weapon-grade material, INESAP Information Bulletin, No.4, Jan. 1995. Zurück

Dr. Wolfgang Liebert und Martin Kalinowski arbeiten als Physiker bei der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TH Darmstadt. Weiterhin sind sie engagiert bei der Arbeit des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP).

Konversion des Rüstungssektors

Konversion des Rüstungssektors

Entwicklungsoption für Rußland?1

von Thomas Sauer

Die wirtschaftlichen Entwicklungsaussichten Rußlands hängen maßgeblich davon ab, wieweit es gelingt, den postsowjetischen Rüstungssektor in den Kern einer vorwiegend zivil orientierten, international konkurrenzfähigen verarbeitenden Industrie zu verwandeln und die Rohstofflastigkeit der Exportstruktur zu überwinden.

Die Erfahrungen Südostasiens bestätigen, daß der Austausch von relativ ähnlichen, diversifizierten Industriegütern (intra-industrieller Handel) der dynamischste Teil des internationalen Handels ist: Länder, denen es gelingt, an diesem Handel im nennenswerten Umfang teilzuhaben, verfügen in der Regel über bessere langfristige Wachstums- und Entwicklungsaussichten als Länder, die vorwiegend Rohstoffe exportieren. Die erfolgreiche Konversion seiner Rüstungsindustrie wäre für Rußland eine entscheidende Voraussetzung, zu diesen Ländern zu gehören und seine langfristigen Wachstumsaussichten zu verbessern.

Die empirischen Erfahrungen zeigen aber auch, daß die Ergebnisse von Handelsliberalisierung in Entwicklungsländern mit großen Binnenmärkten und umfangreichen Rohstoffreserven relativ bescheiden waren und nachhaltige Erfolge beim Versuch dieser Länder, die Rohstofflastigkeit des Exportangebots zu überwinden, sehr unwahrscheinlich sind.2 Zu fragen ist, inwieweit diese Problematik auch für Rußland zutrifft und einen wirklichen Entwicklungssprung durch erfolgreiche Konversion der Rüstungsindustrie behindert.

Gerade in Rußland mehren sich seit 1993 die Symptome einer Form von Deindustrialisierung, die in der Fachliteratur unter dem Stichwort »Dutch disease« diskutiert wird: Diese »holländische Krankheit« wird ausgelöst durch exogene Rohstoffpreisschocks (in Holland war Erdgas gefunden worden), die, vermittelt über ihre Auswirkungen auf die relativen Preise von Rohstoff- und Nichtrohstoffsektor, die Wettbewerbsposition der verarbeitenden Industriezweige bzw. der Landwirtschaft nachhaltig verschlechtern können.3 Gerade die für diese Situation typische reale Aufwertung des Rubel war bereits im Verlauf des Jahres 1993 sukzessive erfolgt und spätestens seit Dezember 1993 in eine – an Kaufkraftparitäten gemessene – reale Überwertung des Rubel eingemündet.4

Ausgelöst wurde dieser Aufwertungsdruck auf den Rubel in den Jahren 1993 und 1994 vor allem durch die Entwicklung der Exportpreise für russische Rohstoffe in das »nahe Ausland«, also die Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion und die ehemaligen RGW-Mitgliedstaaten. Die Anpassung der Preise dieser Lieferungen an die Weltmarktpreise wirkte wie ein Rohstoffboom, der die Nachfrage nach russischen Rubeln erhöhte und den realen Rubelkurs – trotzt inflationärem Abwertungsdruck – stützte. Verstärkend hinzu kam die im russischen Reform- und Stabilisierungsprogramm von 1993 festgeschriebene Politik einer positiven Realverzinsung, die im November 1993 erstmals erreicht wurde.5 Die Kapitalflucht konnte so gebremst und Rußland wieder für Kapitalzufluß attraktiver gemacht werden, wodurch die Rubelnachfrage und der reale Aufwertungsdruck weiter erhöht wurden. Der überwiegende Teil des investierten Kapitals wiederum floß in den Rohstoffsektor, was dessen Boom weiter anheizte, während große Teile des verarbeitenden Gewerbes in eine tiefe Rezession stürzten. Die verarbeitende Industrie konnte durch den real aufgewerteten Rubel immer weniger im Ausland absetzen, während sie sich im Inland aufgrund derselben Ursache einer gestärkten Importkonkurrenz gegenüber sah, die sich insbesondere im konsumnahen Bereich verheerend auswirkte.

Von den Auswirkungen der »holländischen Krankheit« besonders betroffen ist, wie im folgenden dargestellt wird, der russische Rüstungssektor: Hier wurde ein wesentlicher Teil der langlebigen Konsum- und Investitionsgüter gefertigt, die sich nun einer scharfen Importkonkurrenz ausgesetzt sehen. Faktisch alle sowjetischen Hochtechnologieanbieter waren im Rüstungssektor konzentriert. Die Umwidmung (Konversion) dieser bislang vorwiegend militärisch genutzten Kapazitäten zu zivilen Zwecken sollte einen gewaltigen Innovationsschub in der sowjetischen Wirtschaft freisetzen und letztlich auch positiv auf die militärische Stärke des Landes zurückwirken. Offensichtlich ist der »Spin-off-Effekt«, den man sich durch den institutionellen Umbau des ex-sowjetischen Innovationssystems in eine zivile Richtung erhofft hatte, bislang ausgeblieben. Strukturelle Verzerrungen aufgrund einer durch den Rohstoffboom ausgelösten »holländischen Krankheit« könnten zusätzlich den Aufbau eines zivilen nationalen Innovationssystems als einer zentralen Wachstums- und Entwicklungsvoraussetzung für die russische Wirtschaft dauerhaft behindern.

Innovationsfähigkeit als zentrale Wachstumsvoraussetzung

Würde Rußland auf den Weltmärkten dauerhaft in die Rolle eines Rohstoffexporteurs gedrängt, wäre kaum von einem ernsthaften Transformationserfolg zu sprechen, wenn gleichzeitig die wesentlichen ökonomischen Modernisierungsziele der russischen Reformpolitik verfehlt würden. Gerade die neue westliche Wachstums- und Außenhandelstheorie hebt die Fähigkeit, endogen technischen Fortschritt hervorzubringen, als zentrale Wachstumsvoraussetzung für moderne Volkswirtschaften hervor.6 Sie geht in ihrer Argumentation davon aus, daß Technologieproduktion (Innovation) in der Regel mit der Existenz von unvollkommenen Märkten verbunden ist: Ihre hohen Fixkosten und Lerneffekte führen zu steigenden Skalenerträgen bei den Unternehmen, die ihre Innovationen erfolgreich am Markt unterbringen. Die daraus folgende oligopolistische oder monopolistische Konkurrenzposition der innovativen Unternehmen erlaubt ihnen ein strategisches Verhalten, bei dem die Wettbewerbsfähigkeit nicht allein von den Preisen bestimmt wird, zu denen sie anbieten können.

Die Außenhandelsliberalisierung der osteuropäischen Transformationsländer bewirkt eine Vergrößerung des Marktes.7 Diese erhöht (modelltheoretisch) einerseits die mögliche Anzahl der Produktvarianten bzw. der Komponenten zur Fertigung und senkt andererseits die Durchschnittskosten aufgrund der größeren Absatzmöglichkeiten. Es stellt sich aber die Frage, welche Unternehmen in welchen Ländern diese Skalenerträge bei einer Öffnung der Märkte realisieren können. Weil ihre bisherigen Absatzmärkte relativ klein waren, sind osteuropäische Unternehmen von ihren Ausgangsbedingungen her zunächst einmal im Nachteil: Es besteht die Möglichkeit, daß westeuropäische und asiatische Unternehmen trotz Außenhandelsliberalisierung die neuen osteuropäischen Konkurrenten dauerhaft vom Markt halten können, indem sie ihre höheren Skalenerträge effizient zur Stabilisierung ihres technologischen Vorsprungs nutzen. Diese Tendenz würde im russischen Falle durch einen Rohstoffboom nur verstärkt und verfestigt.

Im Ergebnis könnte dies zu einer vollkommenen Verlagerung FuE-intensiver Produktion nach Westeuropa führen und dort Wachstum auslösen, während in Osteuropa aufgrund der Erosion – und des ausbleibenden Umbaus – der lokalen Innovationssysteme eine dauerhafte Entwicklungsblockade errichtet würde. Es muß also zu einer entwicklungsorientierten Abstimmung zwischen makroökonomischer Stabilisierung, außenwirtschaftlicher Liberalisierung und wachstumsorientierter Strukturpolitik in Rußland und Osteuropa kommen, soll eine dauerhafte Divergenz der Wachstums- und Entwicklungsaussichten im Vergleich mit den entwickelten Marktwirtschaften vermieden werden. Dies gilt insbesondere für die Konversion des militärischen Innovationssystems in Rußland als einem zentralen Bestandteil der Strukturpolitik, die bisher gerade an der fehlerhaften Abstimmung mit der Makro- und Reformpolitik gescheitert ist. Dabei sind zwei Phasen zu unterscheiden: die der gorbatschowschen Perestrojka und die der marktorientierten Reformen seit dem Zerfall der Sowjetunion.

Der während der Gorbatschow-Ära erwartete innovative »Spin-off-Effekt« der sowjetischen Rüstungsforschung durch Abrüstung und Konversion blieb in der Praxis weitestgehend aus. Dafür lassen sich neben systemspezifischen auch systemunabhängige Ursachen benennen: In den westlichen Marktwirtschaften fiel die »Friedensdividende« der Konversion der Rüstungsindustrie bislang ebenfalls viel spärlicher aus als in der ersten Abrüstungseuphorie erwartet. Zahlreiche Konversionsprojekte scheiterten daran, daß es den Unternehmen offenbar sehr schwer fällt, die Fähigkeit zum kostenbewußten, konkurrenz- und innovationsorientierten Agieren zu entwickeln, die auf zivilen Hochtechnologiemärkten unabdingbar ist und die aufgrund der eingeschränkten Wettbewerbssituation auf den nationalen Rüstungsmärkten nicht notwendig war. Die Erwartung, daß sich das hochqualifizierte technologische Angebot des Rüstungssektors problemlos auch eine geeignete zivile Nachfrage schaffen könne, erfüllte sich daher nicht.8

Außerdem waren für kritische, auch militärstrategisch relevante Technologiefelder9, dazu gehört insbesondere die Mikroelektronik, in den siebziger und achtziger Jahren die zivilen Märkte zu den entscheidenden Innovationstriebkräften geworden. Der direkte Vergleich zwischen zivilen und militärischen Anbietern auf dem Gebiet doppelt – militärisch und zivil – verwendbarer Technologien (»Dual-use-Technologien«) machte deutlich, daß die zivilen Anbieter hinsichtlich des technologischen Niveaus und der Effizienz der Produktion oftmals den traditionellen Wehrtechnikproduzenten überlegen waren.

In der UdSSR kam zu der systemindifferenten Problematik die systemspezifische Problematik hinzu, daß sich die sowjetischen Unternehmen insgesamt in einer Mangelwirtschaft bewegten. Darüber hinaus mußten sie nicht über den Preis oder das technologische Niveau ihrer Produkte um ihre Kunden konkurrieren, sondern konnten sich in der Regel auf den Absatz ihrer defizitären Güter verlassen. Die starke Stellung sowjetischer Unternehmen gegenüber den privaten Konsumenten rührte daher, daß sie im Gegensatz zu diesen keinen harten, sondern »weichen« Budgetbeschränkungen unterlagen: Sowohl das Überleben der Unternehmen als auch ihr Wachstum hing nicht davon ab, daß die Verkaufserlöse die Produktionskosten deckten und einen Ertrag sicherten, weil beides im Bedarfsfall vom sowjetischen Staat durch Subventionen aller Art gesichert wurde.10 Im Ergebnis waren die sowjetischen Rüstungsunternehmen allgemein nicht zu effizienten, kostenbewußten und innovativen Verhaltensweisen gezwungen.

In der UdSSR fehlte es somit systembedingt zusätzlich an Konkurrenz um die zivilen Kunden, welche die Einstellung technologisch obsoleter Produktionen und die Einführung neuer, innovativer Produkte erzwungen hätte. Die russischen Rüstungsunternehmen befanden sich hier in einer Art »doppelter Abkapselung« von innovativer Nachfrage: sowohl aus dem militärischen als auch aus dem zivilen Bereich. Gerade dieser Umstand trug maßgeblich dazu bei, den Rückstand gegenüber den USA und anderen westlichen Staaten auf den Feldern militärstrategisch relevanter »Dual-use-Technologien« – wie der Mikroelektronik – rasch zu vergrößern.11

Das Phänomen der »weichen Budgetbeschränkungen« der sowjetischen Betriebe wurde während der Perestrojka nicht etwa beseitigt, sondern vielmehr verstärkt, weil man zwar das Instrumentarium zentraler Mengenplanung weitestgehend abbaute und die Betriebe zugleich eine größere finanzielle Dispositionsautonomie erhielten, die Praxis zentraler Subventionierung »prioritärer« Bereiche aber nicht eingestellt wurde. Davon profitierte der russische Rüstungssektor unmittelbar, weil seine – teilweise – Konversion zur obersten Priorität erklärt wurde, ohne ihn tatsächlich zur Konkurrenz um zivile Märkte zu zwingen. Im Ergebnis behinderte die Konversion in dieser Spätphase der Perestrojka eher marktorientierte Reformen als sie zu befördern, weil sie dem Rüstungssektor nach wie vor eine Sonderstellung einräumte.

Marktorientierte Reformen änderten die Situation

Die Situation änderte sich erst grundlegend, als die Regierung Gajdar in der Russischen Föderation Ende 1991 marktorientierte Reformen tatsächlich in Angriff nahm, die auch die Rahmenbedingungen für die russischen Rüstungsunternehmen radikal verändern sollten. Wesentliche Eckpunkte waren:

  • die veränderte Beschaffungspolitik des russischen Staates,
  • die »krisenhafte« Entwicklung der russischen Waffenexporte und die politischen Bemühungen, diese zu unterstützen,
  • die verstärkte Importkonkurrenz auf den zivilen Binnenmärkten aufgrund der oben angeführten sukzessiven Realaufwertung des Rubel,
  • die inkonsistente Privatisierungspolitik gegenüber dem Rüstungssektor.

Anpassung und Marktöffnung

Die genannten Faktoren, vor allem die aus Abrüstung und Marktöffnung (»Dutch disease«) folgenden, beinflußten maßgeblich das Anpassungsverhalten der russischen Rüstungsunternehmen. Neue russische Daten, die dem ifo vom Zentrum für ökonomische Konjunktur bei der Regierung der Russischen Föderation in Moskau (i.f. »Zentrum«) zur Verfügung gestellt wurden, erlauben eine genauere Analyse der zugrundeliegenden Verhaltensmuster.12 Erfaßt wurden zum einen quantitative Daten über Produktion, Beschäftigung, Entlohnung und Investitionen im russischen Rüstungssektor von rund 700 Konversionsbetrieben, die dem russischen Staatskomitee für die Verteidigungsindustrie, Goskomoboronprom, unterstehen. Sie erlauben differenzierte Aussagen über die Entwicklung in einzelnen Produktgruppen, Branchen und Regionen. Zum anderen hat die Industrieabteilung des Zentrums (unter der Leitung von D. Belâev) seit 1993 zwei schriftliche Befragungen von Konversionsunternehmen des russischen Rüstungssektors durchgeführt, bei denen die 140 (1993) bzw. 158 (1994) antwortenden Unternehmen ein – zumindest annähernd – repräsentatives Bild der Grundgesamtheit von rund 700 in Frage kommenden Betrieben geben: So stimmt die Betriebsgrößenverteilung der Stichprobe (nach der Zahl der Beschäftigten) sehr gut mit der der Rüstungsunternehmen insgesamt überein (Abb.1).

Gerade die Kombination von Angaben über die quantitative Entwicklung des Rüstungssektors insgesamt mit den qualitativen Befragungsergebnissen des Zentrums verspricht einen vertieften Einblick in das Anpassungsverhalten russischer Rüstungsunternehmen.

Die Daten des Zentrums für ökonomische Konjunktur (Tab.1) weisen einen durchgängig starken Rückgang der Wehrgüterproduktion spätestens seit 1991 aus. Dieser Rückgang setzte also bereits vor den radikalen Kürzungen des russischen Rüstungsetats des Jahres 1992 ein (diese und der Einbruch bei den Rüstungsexporten schlugen allerdings zusätzlich mit 12 Prozentpunkten zu Buche). Die Daten für das erste Halbjahr 1994 deuten daraufhin, daß die Stärke der Kontraktion der Wehrgüterproduktion im laufenden Jahr sogar noch übertroffen wird; jetzt ist aber offenbar gleichermaßen die zivile Produktion erfaßt.

Versteckte Arbeitslosigkeit in den Rüstungsbetrieben

Die Zivilproduktion konnte bis 1993 einen bedeutenden Teil des Produktionsrückganges im Rüstungssektor auffangen, weil hier die Kontraktion nicht so stark ausgeprägt war wie in der Wehrgüterproduktion. Die Beschäftigung in der Zivilproduktion nahm 1991 und 1992 sogar absolut zu, was den Stellenabbau im militärischen Bereich zumindest z.T. kompensierte. Insgesamt ging die Beschäftigung deutlich langsamer zurück als die Produktion im Rüstungssektor. Dies läßt auf eine Hortung von Arbeitskräften bzw. die Entstehung einer versteckten Arbeitslosigkeit in den Rüstungsbetrieben schließen. Im Ergebnis ist auch die Entwicklung der Arbeitsproduktivität im russischen Rüstungssektor insgesamt negativ. Nur 1993 ging der Produktionsrückgang zumindest annähernd mit dem Stellenabbau einher, eine Entwicklung, die sich 1994 aber bislang nicht fortsetzte.

1992, als der Beschäftigungsanstieg in der Zivilproduktion des Rüstungssektors besonders stark war, ging der Stellenabbau in der Rüstungsproduktion relativ reibungslos vonstatten; allerdings verschlechterte sich im Ergebnis die Produktivität in der Zivilproduktion überdurchschnittlich stark, während sie in der Wehrgüterproduktion ausnahmsweise annähernd konstant blieb. Bei entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten im zivilen Bereich ist also grundsätzlich ein zum Produktionsrückgang proportionaler Stellenabbau in der Wehrgüterproduktion möglich, allerdings praktisch nur zum Preis eines Produktivitätsrückgangs in der Zivilproduktion.

Die qualitativen Befragungsergebnisse des Zentrums für ökonomische Konjunktur entsprachen zumindest für das Jahr 1992 nicht der quantitativ ermittelten beschleunigten Reduktion der Zivilproduktion des Rüstungssektors: Der Saldo der Antworten auf die Frage nach der Entwicklung der Zivilproduktion war noch 1992 mit 6 Prozentpunkten positiv und wurde 1993 dagegen mit 17 Prozentpunkten deutlich negativ. Zugleich zeigen sich erhebliche Disproportionen zwischen den Angaben über den Umfang der Zivilproduktion und die Entwicklung der Nachfrage nach diesen zivilen Gütern. Sie zeigen an, daß die Rüstungsbetriebe immer noch bei ihren Produktionsplanungen die von ihnen selbst vermutete Entwicklung der Nachfrage zu einem beachtlichen Teil hartnäckig ignorieren: Der erwartete und der tatsächlich eingetretene Nachfragerückgang übertrafen die prognostizierten und die faktischen Produktionsrückgänge jeweils um signifikante Größenordnungen. Das bedeutet, daß ein zunehmender Anteil der Zivilproduktion des Rüstungssektors »auf Halde« produziert wird und »weiche Budgetbeschränkungen« immer noch das Verhalten der Unternehmen bestimmen.

Binnenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit

Unter dem Vorbehalt, daß Produktionszahlen angesichts des massiven Aufbaus von Lagern fertiger Erzeugnisse nur sehr bedingt etwas über die Marktentwicklung aussagen, sind auch die Daten über die Produktion einzelner ziviler Investitions- und Konsumgütergruppen im Bereich des russischen Rüstungssektors zu betrachten. Sie geben Auskunft über die Relation der Zivilproduktion des Rüstungssektors zur Produktion dieser Gütergruppen im gesamten verarbeitenden Gewerbe. Damit kann zumindest indirekt – gleiches Lagerhaltungsverhalten unterstellt – auf die Veränderungen der Marktanteile und damit der binnenwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des Rüstungssektors geschlossen werden. Es wird ein differenziertes Bild erkennbar: Die binnenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Rüstungssektors gegenüber dem Zivilsektor ist offensichtlich nicht eindeutig besser (wie noch in der sowjetischen Diskussion oftmals behauptet wurde). Vielmehr mußten Anbieter aus dem militärischen Bereich (beispielsweise bei der Herstellung von Motorrädern und Motorrollern sowie von Güterwaggons und Anlagen für die Nahrungsmittelindustrie) »Marktanteilsverluste« bei einzelnen Gütergruppen hinnehmen.

Bei anderen Gütergruppen konnte sich der Rüstungssektor tatsächlich gegenüber dem Zivilsektor behaupten, entweder weil die Kontraktion der Produktion hier nicht so stark war wie im verarbeitenden Gewerbe insgesamt (das gilt insbesondere für die Herstellung von Lastkraftwagen, Bohrausrüstungen, spanabhebenden Werkzeugmaschinen) oder weil der Rüstungssektor – im Gegensatz zur Gesamtindustrie – seine Produktion sogar ausweiten konnte, wie – bezeichnenderweise – bei der Herstellung von Maschinen, Ausrüstungen und Ersatzteilen für Erdölraffinerien, Erdölförderung und Bergbau, wo der militärische Maschinenbau offenbar von der vergleichsweise guten Investitionssituation im Rohstoffsektor profitierte.

Die Investitionsgüterproduktion des Rüstungssektors hat also offensichtlich genügend auch zivil nutzbare Kapazitäten, um zivile binnenwirtschaftliche Nachfrage zu befriedigen, sofern sie gegeben ist und die Importkonkurrenz aufgrund der realen Rubelaufwertung nicht erdrückend. Unter der Auslandskonkurrenz leidet seit 1993 vor allem die Produktion von langlebigen Konsumgütern, die traditionell fast ausschließlich im Bereich des Rüstungssektors konzentriert war. Bis dahin konnten hier – teilweise sogar beachtliche – Produktionszuwächse erzielt wurden.

Branchenentwicklung des Rüstungssektors

Einen – im Vergleich zum gesamten Rüstungssektor – überdurchschnittlichen Produktionsrückgang hatten 1993 und im ersten Quartal 199413 vier Branchen des Rüstungssektors zu verzeichnen: die Luftfahrt, das Nachrichtenwesen, die Elektronik sowie die Waffen- und Munitionsproduktion. Dagegen waren Schiffbau, Radioindustrie, Raumfahrt und Atomindustrie im gleichen Zeitraum unterdurchschnittlich vom Produktionsrückgang betroffen.

Diese Probleme im Produktionsbereich spiegeln sich recht gleichmäßig in der Produktivitätsentwicklung wider: Die Branchen, deren Produktion 1993 und im ersten Quartal 1994 am stärksten schrumpfte, hatten auch am meisten Probleme, ihren Beschäftigungsstand entsprechend der sinkenden Kapazitätsauslastung zu verringern, was im Ergebnis in den betroffenen Branchen (Luftfahrt, Nachrichtenwesen, Elektronik, Waffen- und Munitonsherstellung) zu überdurchschnittlichen Produktivitätsrückgängen führte. Nur in der Elektronikindustrie konnte dieser Trend im ersten Quartal 1994 umgekehrt werden.

Konfrontiert man die Produktivitätsentwicklung in den Rüstungsbranchen mit dem relativen Lohnnivau, scheint ein positiver Zusammenhang offensichtlich (Abb.2): Die beiden Branchen mit der besten Produktivitätsentwicklung (Schiffbau und Atomindustrie) können auch die höchsten Lohnniveaus im Rüstungssektor aufweisen (bei der Atomindustrie liegt es sogar deutlich höher als in der Gesamtindustrie). Umgekehrt werden in den Branchen mit den schlechtesten Produktivitätskennziffern auch die niedrigsten Löhne im Vergleich zum gesamten verarbeitenden Gewerbe gezahlt.

Die Beschäftigten in den Krisenbranchen des Rüstungssektors zahlen also mit ihrem negativen Lohndifferential den Preis für die versteckte Arbeitslosigkeit in ihrem Industriezweig. Diese Form der »Arbeitslosenversicherung« wird so betriebs- bzw. branchenintern und nicht gesellschaftlich umgelegt. Ausnahmebereich ist die »Radioindustrie«, bei der eine relativ günstige Produktivitätsentwicklung mit einem sehr niedrigen Lohnniveau einhergeht. Dies und das ebenfalls sehr niedrige Lohnniveau in den anderen »elektronikrelevanten« Industriezweigen des Rüstungssektors (Nachrichtenwesen und Elektronik) deutet darauf hin, daß die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branchen vor allem an dem technologischen Rückstand und der mangelhaften Qualität der Produkte leidet.

Betrachtet man den Anteil zentralisierter Investitionen an den gesamten Investitionen der einzelnen Branchen des Rüstungssektors als Indikator für das Ausmaß ihrer Subventionierung, dann deutet einiges darauf hin, daß vor allem die produktivsten Branchen subventioniert werden, das gilt zumindest für den Schiffbau und die Raumfahrtindustrie (allerdings nicht für die Elektronikindustrie), für die Atomindustrie lagen leider keine Investitionsangaben vor.

Die größten Rüstungsunternehmen als Nutznießer

Wie eingangs schon angeführt wurde, ist die Rüstungsproduktion im Vergleich zur Gesamtindustrie (vgl. Abb.1) überproportional konzentriert. Wie die Befragungsergebnisse des Zentrums für ökonomische Konjunktur deutlich machen, profitieren die größten Rüstungsunternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten auch überproportional von den Fördermaßnahmen, die im Konversionsgesetz von 1992 festgeschrieben sind: Das gilt insbesondere für die Nutzung zentraler Konversionsfonds, zu denen diese Größtunternehmen offensichtlich den besten Zugang haben, aber auch für Regeln bei der Preisfestsetzung und Vergünstigungen bei den Abschreibungsregeln und außenwirtschaftlicher Tätigkeit. Nur Kompensationszahlungen für Konversionsverluste, die beispielsweise durch Stornierung von Rüstungsaufträgen aufgetreten sind, werden stärker von »kleineren« Rüstungsunternehmen in Anspruch genommen.

Nutzen die gößten russischen Rüstungsunternehmen offensichtlich bislang die Fördermaßnahmen des Konversionsgesetzes am intensivsten, zeigten sie zugleich auch die deutlichsten Präferenzen für eine Rüstungsoption: Beim tatsächlichen (1993) und für 1994 anvisierten Wachstum lagen die Rüstungsunternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten eindeutig vorn. Bedenklich muß aber vor allem stimmen, daß diese Unternehmen in ihrer absoluten Mehrheit 1994 bereits wieder eine Erhöhung der Rüstungsproduktion planten.

Konversion spielt nur noch eine untergeordnete Rolle

Konversion der Rüstungsproduktion im engeren Sinne (»Kürzung der militärischen und Ausweitung der zivilen Produktion«) spielt 1994 nach den Befragungsergebnissen des Zentrums für ökonomische Konjunktur nur noch eine untergeordnete Rolle als Entwicklungsstrategie für die russischen Rüstungsunternehmen: Ganze 4% der befragen Unternehmen votierten noch für diese Option (1993 waren es immerhin noch 14%). Dagegen richten viele Rüstungsunternehmen ihre Anstrengungen auf eine Diversifizierung ihrer Produktionspalette (Option: Beibehaltung der Rüstungsproduktion auf dem derzeitigen Niveau und Erhöhung der zivilen Produktion). Aber auch hier ist 1994 mit 26% gegenüber 1993 mit 39% eine deutliche Abnahme zu verzeichen. Ein nicht unerheblicher Teil der Unternehmen von (1994 immerhin 13%; 1993 16%) votierten für die Rüstungsoption, d.h. eine Erhöhung der Wehrgüterproduktion u.a. für den Export.

Eine 1994 stark zunehmende Bedeutung für die Wehrgüterproduzenten hatten vor allem Umstrukturierungsstrategien (Option: Reorganisation der Produktion)14: Mehr als die Hälfte der Unternehmen plante offensichtlich für 1994 gezielte Restrukturierungsmaßnahmen. Dabei wurden einerseits – vor allem von den Staatsunternehmen – die Konzernbildung (Bildung von Finanz-Industrie-Gruppen) und andererseits – vor allem von in Kapitalgesellschaften umgewandelten Unternehmen – die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen »unter Teilnahme von ausländischen Partnern« als Umstrukturierungsmaßnahmen bevorzugt.

Resümee

Für die Hypothese, daß die »Dutch-disease«-Problematik für Rußland relevant ist und die Konversion des russischen Rüstungssektors behindert, konnten anhand der vorliegenden Daten einige erhärtende Indizien gewonnen werden, die allerdings einer weiteren empirischen Überprüfung auf Grundlage einer weiter verbesserten Datenlage bedürfen. Evident ist, daß der Rüstungssektor stärker als andere Industriesektoren vom strukturellen Anpassungsdruck betroffen ist. Das zeigte sich daran, daß hier der Produktionsrückgang überdurchschnittlich stark ausfiel (vgl. Tab.1) und vor allem an dem relativ niedrigen Lohnniveau, das die Rüstungsunternehmen – mit Ausnahme derjenigen in der Atomindustrie – zahlen konnten und das im vollständigen Kontrast zu den überdurchschnittlichen Löhnen steht, die den Rüstungsbeschäftigten vor der Gajdar-Wende zugeschrieben wurden.

Zum einen ist diese überproportionale Kontraktion des Rüstungssektors Ausdruck der radikalen Kürzung des Wehrbudgets und insbesondere der Beschaffung militärischer Ausrüstungen für die russischen Streitkräfte sowie des Verlusts traditioneller Absatzmärkte für Rüstungsexporte in den ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages. Zum anderen sprechen die massiven Probleme

der »elektronikrelevanten« Rüstungszweige dafür, daß die Importkonkurrenz hier immens ist, und zwar sowohl unter preislichen Aspekten als auch von der Qualität der Produkte her. Es ist wahrscheinlich, daß die Preiskonkurrenz für die gesamte Zivilproduktion des Rüstungssektors spätestens seit 1994 zum maßgeblichen Faktor geworden ist: In diesem Jahr sinkt sie erstmals stärker als die Produktion im Durchschnitt der gesamten Industrie. Massiv betroffen sind auch leistungsstarke Branchen wie die Luft- und Raumfahrtindustrien. Gerade hier, bei an sich konkurrenzfähigen Branchen, behindert natürlich die reale Überwertung des Rubel den Absatz auf den internationalen Märkten besonders stark.

Insgesamt zeigt sich ein massiver politischer und ökonomischer Bedeutungsverlust des russischen Rüstungssektors: Nach der massiven Reduktion des Rüstungsetats im Jahr 1992 war bisher kein entsprechend massiver Wiederanstieg zu verzeichnen. Vielmehr haben sich die Prioritäten zugunsten anderer Sektoren verschoben, vor allem zugunsten des sogenannten Brennstoff-Industrie-Komplexes und der Landwirtschaft: Der Etatposten für Beschaffungen von Rüstungsgütern entspricht mit 8,4 Bill. Rubel etwa den gesamten Subventionen für die Grundstoffindustrien (7,8 Bill. Rubel) und ist deutlich kleiner als die Landwirtschaftssubventionen von insgesamt 12 Bill. Rubel.15

Für die Konversion des Rüstungssektors ist im russischen Föderationshaushalt für 1994 mit 755 Mrd. Rubeln nur ein Zehntel der Zuweisungen vorgesehen, welche die Grundstoffindustrien bekommen und nur ein Sechzehntel dessen, was für die Landwirtschaft reserviert wurde. Mit dieser Summe ist keine ernsthafte »selektive« Strukturpolitik zu machen, die auf eine zivilorientierte Modernisierung des einstmals militärischen Maschinenbaus gerichtet ist.

Für die Fähigkeit des neuen russischen Wirtschaftssystems endogen technischen Fortschritt hervorzubringen, ist ein zwar abgespecktes, aber intaktes Innovationssystem notwendig16; internationale Kooperationen auf den Gebieten Rüstungskonversion sowie Forschung und Entwicklung könnten dabei zwar eine wichtige Rolle spielen, tun es bislang trotz großen öffentlichen Interesses aber noch nicht: So waren nach OECD-Angaben vom April 199417 von den technischen Hilfsmaßnahmen der multilateraten Finanz- und Wirtschaftsorganisationen (EBRD, IBRD, IMF, EC) nur 1,4% der Projektsummen für die Unterstützung der Rüstungskonversion in den Neuen Unabhängigen Staaten (NUS) vorgesehen, bei den laufenden Projekten waren es sogar nur 0,3% der insgesamt (bereits vergebenen) Mittel. Noch geringer war der Anteil der technischen Fördermittel für Wissenschaft und Technologie in den NUS: 0,1% bei den geplanten und 0,5% bei den bereits abgeschlossenen Projekten. Die Zahlen machen deutlich, wie gering die Priorität ist, die im Rahmen der internationalen Unterstützung der Rüstungskonversion und dem Innovationssystem in Rußland beigemessen wird, auch wenn zahlreiche bilaterale Initiativen existieren, die aber das Bild der quantitativen Unterstützung nicht wesentlich verändern.18 Auch auf der Unternehmensebene sind die Kooperationen quantitativ bisher eine zu vernachlässigende Größe: Nach den Angaben des Zentrums für ökonomische Konjunktur waren in den ersten neun Monaten 1993 ganze 0,3% der Konversionsaufwendungen in der russischen Rüstungsindustrie Mittel ausländischer Investoren.19

Die lang anhaltende Überbewertung des Rubel birgt die Gefahr in sich, daß die überfällige strukturelle Anpassung der russischen Wirtschaft in eine Richtung »überschießt«, die die verarbeitenden Zweige der Industrie dauerhaft in Mitleidenschaft zieht und eine erfolgreiche Konversion der russischen Rüstungsindustrie verhindert. Damit wären auch die Entwicklungsaussichten Rußlands langfristig sehr beschränkt. Sollte sich diese Diagnose einer »holländischen Krankheit« erhärten, steht eine Therapie vor den bekannten Dilemmata: Eine politisch induzierte allgemeine Abwertung des Rubel hätte unerwünschte inflationäre Folgen und würde darüber hinaus das Vertrauen der russischen Bevölkerung in die wirtschaftspolitische Kompetenz ihrer Regierung nachhaltig erschüttern. Die Einführung gespaltener Wechselkurse würde einen Wust neuer bürokratischer Reglementierung bedeuten und auf mittlere Frist kaum durchzuhalten sein. Bleiben als »zweitbeste«, aber sinnvollste Lösung nur interventionistische Maßnahmen mit all ihren Problemen: Sie müßten die Umverteilung eines signifikanten Teils der Rohstofferlöse in den Modernisierungskern der verarbeitenden Industrie gewährleisten und die Konversion des russischen Rüstungssektors vorantreiben.

Tabelle 1: Produktion und Beschäftigung im Rüstungssektor Rußlands (1990-1994)
jeweils
Vorjahreszeitraum=100
1991/90 1992/91 1993/92 1. H. 1994
Industrieproduktion insgesamt 90 84 84 74
Produktion des Rüstungssektors insgesamt 86 82 84 63
– militärische Produktion 74 62 70 61
– zivile Produktion 96 93 89 64
Produktionsarbeiter insgesamt 96 91 88 85
– militärische Produktion 86 63 78 k.A.
– zivile Produktion 104 108 93 k.A.
Produktionsindex 90 90 95 74
– militärische Produktion 86 98 90 k.A.
– zivile Produktion 92 86 96 k.A.
Quelle: Centr ekonomiceskoj kon'ûnktury, Rossiâ 1992, S. 157; dass., Rossiâ 1994, Vyp. 1, S. 188; dass., Segoduâ, 30.9.1994, S. 11; Bezeichnungen des ifo Instituts.
Tabelle 2: Branchenentwicklung im russischen Rüstungssektor 1993/94
Gesamt-
sektor
Luft-
fahrt
Schiff-
bau
Radio-
ind.
Nach-
rich- ten- wesen
Elektro-
nik
Waffen Muni-
tion
Raum-
fahrt
Atom Indu-
strie
Produktion (in % des
Vorjahreszeitsraum)
1992 82 84 89 84 74 72 84 70 94 100 81
1993 84 81 88 93 78 66 82 82 95 103 84
I/1994 65 54 77 69 60 60 56 64 70 84 75
Beschäftigung in der
industriellen Produktion (in % des Vorjahreszeitraums)
1922 91 91 90 87 87 92 93 90 89 97 96
1993 88 90 90 86 82 81 91 89 89 97 93
I/1994 86 87 89 85 82 79 88 85 88 94 91
Lohnniveau (in % des
Durchschnitts des gesamten Verarbeitenden Gewerbes)
1992 69 71 77 53 56 54 68 71 66 114 100
1993 68 68 89 53 52 44 64 62 70 121 100
Feb. 1994 70 65 98 56 55 46 62 58 76 129 100
Investitionen im Bereich der
Hauptverwaltungen von Goskomoboronprom 1993 (Mrd. Rubel)
Gesamte I. 530,2 121,3 65 41,3 18,4 44,1 107,8 55,9 65,3 k.A. k.A.
Zentral I. 83,5 11,2 17,2 5,1 1,3 8,6 15,2 7,2 10,4 k.A. k.A.
Anteil ZI 15,7 9,2 26,5 12,3 7,1 19,5 14,1 12,9 15,9
Verteilung der Investitionen auf
die Rüstungsbranchen (in % des Gesamtsektors)
Gesamt 100 22,9 12,3 7,8 3,5 8,3 20,3 10,5 12,3,
Zentral 100 13,4 20,6 6,1 1,6 10,3 18,2 8,6 12,5,
Quelle: Centr ekonomiceskoj
kon'ûnktury, Rossiâ-1994, Vypusk 1, Tablica VI.17, S. 193; D.A. Belâev,
Konversiâ voennogo proizvodstva, a.a.O., Tablici 2 & 5.

Anmerkungen

1) Dieser Artikel wurde zuerst in ausführlicherer Form im ifo Schnelldienst Nr. 32, 1994, veröffentlicht. Teilweise wurde er auf dem Workshop »Konzeptionelle und praktische Probleme betrieblicher Konversion« am 7. und 8. Oktober im Brandenburgischen Wirtschaftsinstitut Stahnsdorf präsentiert und verdankt dessen Teilnehmern einige Anregungen. Insbesondere ist der Autor Petra Opitz für einige kritische Anmerkungen dankar. Zurück

2) R. J. Langhammer, Das Exportangebot der Nachfolgestaaten der UdSSR auf dem Weltmarkt: Rohstoffe und sonst (noch) nichts?, in: Die Weltwirtschaft, Heft 4, 1993, S. 412 – 423, hier S. 421. Zurück

3) Vgl. R. Götz, »Deindustrialisierung« Rußlands: unabwendbares Schicksal oder Problem der Struktur- und Währungspolitik? Aktuelle Analysen des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 50, Köln, 13. September 1994, S. 6; vgl. auch Langhammer 1993, a.a.O., S. 421. Zurück

4) Götz, »Deindustrialisierung«, a.a.O., S. 4-5. Zurück

5) Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Die wirtschaftliche Lage Rußlands: Beschleunigte Talfahrt durch verschleppte Reformen, in: Wochenbericht des DIW, S. 283-319, S. 293. Zurück

6) Vgl. P. Romer, The Origins of Endogenous Growth, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 8, Number 1, Winter 1994, S. 3-22; G. M. Grossman und E. Helpman, Endogenous Innovation in the Theory of Growth, ebd., S. 23-44. Vgl. zur im folgenden dargestellten Anwendung der Theorie auf Osteuropa insbesondere V. Vincentz, Internationaler Handel auf unvollkommenen Märkten: Implikationen für Osteuropa, Arbeiten aus dem Osteuropa-Institut München, Nr. 160, Juni 1993. Zurück

7) Gemessen am BSP sind es nur 5<0> <>%, um die der westeuropäische Markt erweitert wird, gemessen an der Zahl der Einwohner wächst der Markt allerdings um 30<0> <>%; vgl. Vincentz, Internationaler Handel, a.a.O., S. 5. Zurück

8) Vgl. die ausführliche Diskussion dieser Problematik in: J. A. Alic et al., Beyond Spinoff: Military and Commercial Technologies in a Changing World, Boston, 1992; vgl. auch den exzellenten Überblick über die amerikanische Diskussion von R. Rilling, Zuviel in Feuerkraft, zuwenig in die Gehirne … Die Rüstungs- und Technologiepolitik der USA im Übergang, in: W. Liebert, R. Rilling und J. Scheffran, Die Janusköpfigkeit von Forschung und Technik: Zum Problem zivil-militärischer Ambivalenz, Marburg, 1994, S. 44 – 106. Zurück

9) Vgl. L. M. Branscomb, Targeting Critical Technologies, in: STI Review No. 14, Paris: OECD, 1994, S. 33 – 57. Zurück

10) Vgl. J. Kornai, The Soft Budget Constraint, in: Kyklos, Bd. 39, 1986, No. 1, S. 3 – 30. Zurück

11) Eine ausführliche Analyse der Problematik findet sich in: T.H.W. Sauer, Mißlungene Vergesellschaftung: Fragmentierung als Problem des Innovationsprozesses im sowjetischen Wirtschaftssystem, ifo Studien zur Ostforschung, Band 12, München, 1994, insbesondere Teil IV. Zurück

12) D.A. Belâev, Ekonomiceskoe polozenie konversiruemych predprijatij i perspektivy ich razvitiâ v 1993, Ms., Moskau 1993, auszugsweise veröffentlicht in: Rossikie vesti, 29.9.93, S. II; ders., Konversiâ voennogo proizvodstva, Ms., Moskau 1994. Zurück

13) Für das gesamte erste Halbjahr lagen nur für einzelne Branchen Daten vor. Zurück

14) Allerdings sind hier Verzerrungen durch die Differenzierung der Fragestellung gegenüber 1993 wahrscheinlich. Zurück

15) Vgl. Rossijskaâ federaciâ, Federal'nyj zakon, „O federal'nom bûdzete na 1994 god“, in: Rossijskâ gazeta, 6. Juli 1994. Zurück

16) OECD, Centre for Co-Operation with the Economies in Transition: Science, Technology and Innovation Policies – Federation of Russia, Vol. I, Evaluation Report, Paris 1994. Zurück

17) S. Zecchnini, The Assistance of International Institutions to the Transition Process, Ms., o.O. [Paris] 7. April 1994, Table 3. Zurück

18) Vgl. OECD, Cooperation in Science and Technology with the Federation of Russia: Experience and Programms of Selected OECD Countries, Paris, 1994. Zurück

19) Centr ékonomiceskoj kon'ûnktury, Rossiâ-1994, Ekonomiceskaâ kon'ûnktura, Vypusk 1, Moskva, mart 1994, S. 194, Tablica VI.18. Zurück

Thomas Sauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im ifo-Institut, München.

Abrüstung und Konversion

Abrüstung und Konversion

Was und wohin treibt die deutsche Rüstungsindustrie?*

von Hendrik Bullens

Fast ein Dreivierteljahrhundert lang, und nicht erst nach dem Zerfall der Anti-Hitler-Koalition, beherrschte der Ost-West-Konflikt – wie er seitdem etwas bagatellisierend genannt wurde – in zunehmendem Maße die internationale Politik. In Wirklichkeit stand dieses geopolitische Kürzel für einen als fundamental und zugleich als zutiefst bedrohlich empfundenen Gegensatz zweier Gesellschaftssysteme; schon die syntaktische Anordnung der Himmelsrichtungsbezeichnungen genügte, um mit der Chiffre einfach aber wirkungsvoll zu signalisieren, woher die Bedrohung kam, und wer der Bedrohte war – jedenfalls aus westlicher Sicht. Die Allianzen des Zweiten Weltkriegs wirbelten diese Grundkonstellation zwar durcheinander und setzten sie teilweise außer Kraft, aber nur vorübergehend.

Wie tiefgreifend die den Ost-West-Konflikt begründenden Gegensätze und die damit verbundene »threat perception« tatsächlich waren, zeigte sich daran, daß sie bereits beim Ende des Zweiten Weltkriegs schließlich schwerer wogen als die Erfahrungen unermeßlichen Leids und der Schäden, welche Nazi-Deutschland seinen Gegnern – und nicht nur der Sowjetunion – gerade zugefügt hatte. Die einstige Anti-Hitler-Koalition spaltete sich in zwei Blöcke, die Kerne der späteren westlichen und östlichen Verteidigungsbündnisse NATO (1949), WEU (1954) und WVO (1955). Anstelle einer vollständigen Entmilitarisierung, Abrüstung und Neutralisierung Deutschlands – wie ursprünglich von den Siegermächten vorgesehen und auch von vielen Deutschen erhofft – kam es im Zuge dieser politisch-militärischen Bipolarisierung zur Teilung Deutschlands, wobei die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die deutsche Demokratische Republik (DDR) fest in die jeweiligen Bündnissysteme und deren Militärdoktrin der »gegenseitigen Abschreckung« eingebunden wurden.

I. Ost-West-Konflikt und Verteidigungswirtschaft – wie Phönix aus der Asche

Damit war das neue Stadium im Ost-West-Konflikt, die Blockkonfrontation des Kalten Kriegs, auch für die beiden deutschen Teilstaaten Realität geworden; und gerade hier ging er einher mit einer geschichtlich beispiellosen Militarisierung und Aufrüstung. Dem Territorium der beiden »Frontstaaten« bescherte der Kalte Krieg auf Jahrzehnte hinaus die höchste Konzentration an Truppen und die größte Dichte an Waffen, auch atomaren, die es in Friedenszeiten auf der Welt je gegeben hatte. Die Besatzungsmächte hoben ihr Verbot für Deutschland zur Waffenproduktion – außer für die Herstellung von A-, B-, C-Waffen und einigen anderen Systemen – auf. Und mit der Aufstellung regulärer Streitkräfte (Bundeswehr und Nationale Volksarmee) Mitte der fünfziger Jahre wurden schließlich die alten Rüstungskapazitäten wieder errichtet und neue rasch aufgebaut.

Wie ein Phönix aus der Asche konnte die deutsche Rüstungsindustrie sich so aus den Trümmern zweier verlorener Kriege erheben. Ganze zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war der Weg wieder frei für Waffen »made in Germany«.

Durch den Aufbau und die Ausrüstung der Bundeswehr ab 1955/56 und angetrieben durch die Mechanismen des Wettrüstens befanden sich auch in der remilitarisierten BRD die Verteidigungsausgaben im ständigen Aufwind. Sie stiegen von 7,5 Mrd DM im Jahre 1960, über 17,8 Mrd. DM 1965 auf 52,5 Mrd. DM im Jahre 19891. Solche Zahlen berücksichtigen jedoch nur die Ausgaben nach dem Einzelplan 14 (EPl 14), dem Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg); auf sie bezieht sich meist auch die Berichterstattung in den Medien. Rechnet man nach NATO-Kriterien korrekterweise die entsprechenden Posten aus sieben weiteren militärisch relevanten Einzelplänen dazu (wie z.B. die NATO-, WEU-Beiträge und Rüstungssonderhilfe im EPl 05 des Auswärtigen Amtes oder zusätzliche Personalkosten im EPl 60 des BMFi), lag der wirkliche Gesamtaufwand in dem Jahr bei 63,3 Mrd DM2; die Ausgaben für Zivilverteidigung u.ä. sind darin noch nicht enthalten.

In der BRD existiert(e) noch ein dritter Verteidigungshaushalt, der darüberhinaus die öffentlichen Unterstützungszahlungen für die »Frontstadt« West-Berlin einschließt. Nach diesem Berechnungsmodus, mit dem die Bundesregierung die Einhaltung ihrer gelegentlich angemahnten Bündnisverpflichtungen zu unterstreichen pflegte, lagen die Verteidigungsausgaben 1989 sogar bei rund 80 Mrd. DM. Mit der Vereinigung verlor diese Größe zwar an Bedeutung; im Hinblick auf die damit verbundene Haushaltsentlastung ist die in der Summe enthaltene, respektable Friedensdividende dagegen sehr interessant, zumal dieser Posten so gut wie nie erwähnt wird. In der damaligen DDR beliefen sich die mit EPl 14 vergleichbaren Verteidigungsausgaben Ende der 80er Jahre auf etwa ein Viertel des westdeutschen Volumens3.

Freilich war die inflationsbereinigte, also reale Ausgabenentwicklung nicht so stark. So errechnete der Militärökonom Maneval (a.a.O., ebda) für die BRD beispielsweise einen Anstieg der realen Verteidigungsausgaben im Zeitraum 1960-1989 von 41.2 Mrd. DM auf 50.3 Mrd. DM (nach NATO-Kriterien; in Preisen von 1980). Umgekehrt bedeutet dies jedoch, daß die reale Steigerung sich auch deshalb in Grenzen halten konnte, weil das Niveau der Verteidigungsausgaben von Anfang an sehr hoch war. Davon profitierte – ebenfalls von Beginn an – die westdeutsche Rüstungsindustrie: sie war Teil des »Wirtschaftswunders«.

Zwar ging der relative Anteil der sog. investiven Ausgaben am BMVg-Budget (Forschung, Entwicklung und Erprobung, Beschaffung von »harten Wehrgütern«, Bauten und Infrastruktur) von gut 3/5 in 1960 auf knapp 1/3 in 1989 zurück. Grund dafür waren die abgeschlossene Ausstattung der Bundeswehr mit Großgerät der ersten und später der zweiten Waffengeneration in hohen Stückzahlen (z.B. tausende von Kampfpanzern Leopard 1 und 2) sowie die gestiegenen Personalkosten bei den Betriebsausgaben. Aber diese Entwicklung wurde durch die gleichzeitig zugenommene Selbstversorgung mit Rüstungsmaterial mehr als gut gemacht: Während die Bundeswehr ihre Ausrüstung 1960 noch etwa zur Hälfte aus Importen bestritt, stammten die Beschaffungen am Ende der 80er Jahre zu mehr als 90<0> <>% aus dem eigenen Land und Kooperationsprojekten4.

Entsprechend, und weitgehend unabhängig von der politischen Richtung der jeweiligen Regierung, blühte das Geschäft mit der Rüstung. Die investiven Ausgaben im Verteidigungshaushalt, eine wichtige aber später noch zu modifizierende Kenngröße für die Rüstungsaufträge durch den Staat als alleinigen Nachfrager, blieben auch nach der Erstaustattung der Bundeswehr hoch. Zwischen 1975 und 1985 stiegen sie von 9.4 Mrd DM auf 16.6 Mrd DM, wobei sich deren Anteil am BMVg-Budget von über 30<0> <>% auf gut 34<0> <>% erhöhte5. Dazu kamen Waffenlieferungen für die Polizei und den Bundesgrenzschutz – und natürlich die Rüstungsexporte.

Bestes Einvernehmen mit Militär, Verteidigungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern (deren beruflicher Wechsel im Lauf der Karriere zum Auftragnehmer notorisch war und ist – man lese den »Wehrdienst«, ein Bonner Informationsbrief für die Rüstungsindustrie), eine hohe Subventionierung aus öffentlichen Geldern und das »cost-plus«-Vertragsprinzip ermöglichten dem industriellen Rüstungsmanagement einen fast wettbewerbsfreien Handlungsraum6: Kalkulationen zu (nach eigenen Aussagen) Höchstkosten, kostenlose Vorfinanzierung, problemlose Anpassungen bei Kostensteigerung, Abnahmegarantien trotz nach oben hin offener Preisentwicklungen und auf diese Weise überdurchschnittliche Gewinne.

Kein Wunder, daß nicht nur das Management sondern auch die übergroße Mehrheit der Rüstungsbeschäftigten zu solchen Bedingungen nicht Nein sagte. Denn diese boten insbesondere Ingenieuren, Technikern und Forschern nicht nur den Reiz technologisch höchst anspruchsvoller Aufgaben und bester Ausstattung in einem dazu geheimnisumwitterten und machtbesetzten Bereich (»toys for the boys«); auch die sonstigen Arbeitsbedingungen, Bezahlung und sozialen Leistungen waren im Vergleich zu anderen Branchen überdurchschnittlich. Und was vielleicht ausschlaggebend war: Rüstungsarbeitsplätze galten als krisenfest, um nicht zu sagen »bombensicher«.

In dieser Periode, von den 60er bis in die Anfänge der 80er Jahren schien Konversion eine Utopie der Friedensbewegung, einiger kritischer Wissenschaftler und erst allmählich auch von kleinen Teilen der Gewerkschaften.

Als theoretische Orientierung gab es u.a. die Schriften des amerikanischen Ökonomen Seymour Melman, der die verheerenden wirtschaftlich-finanziellen Folgen einer aufgeblähten Rüstungswirtschaft zu Friedenszeiten kritisierte; und in der BRD waren es Autoren wie Ulrich Albrecht, Herbert Wulf, Peter Lock oder Michael Brzoska die vor ähnlichen Gefahren warnten und zivile Alternativen aufzeigten7. Praktisches Leitbild war die Erfahrung einer massiven und raschen zivilen Umstellung der Kriegswirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn obwohl damals freilich andere Bedingungen herrschten, war damit der geschichtliche Beweis erbracht, daß Konversion jedenfalls technologisch möglich war. Trotzdem blieb die Diskussion dieses Themas im wesentlichen auf einen sehr kleinen Fachkreis beschränkt, und die meisten Menschen dürften zu der Zeit beim Wort »Konversion« bestenfalls an etwas Religiöses gedacht haben.

Darin brachten erst die 80er Jahre eine Veränderung. Zum einen hatte der NATO-Doppelbeschluß mit der darauffolgenden Dislozierung neuer nuklearer Mittelstreckenraketen gerade in Deutschland alles andere als beruhigend gewirkt. In breiten Kreisen der Bevölkerung hatte dies bekanntlich eher das Bewußtsein dafür geschärft, daß durch diese Erstschlagwaffen mit kürzesten Vorwarnzeiten die Schwelle zu einer atomaren Katastrophe – aus Versehen oder beabsichtigt – schlagartig herabgesetzt worden war und daß die beiden Deutschlands im Ernstfall zu den ersten Opfern gehören würden. Nichts hätte deutlicher machen können, daß mehr Waffen nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bedeuteten: eine von Massenprotesten begleitete Einsicht, die sich nicht auf die Atomraketen alleine beschränkte, sondern sich zu einem Ruf nach Abrüstung schlechthin ausweitete. Zwar ließen die Großdemonstrationen nach 1983 bald nach, aber die Forderung nach zivilen Alternativen blieb.

Zum anderen wurde in den 80er Jahren immer klarer, daß der immense Aufwand für Verteidigung nicht länger leistbar war und die entstandenen Überkapazitäten in der Rüstungsindustrie nicht aufrecht erhalten werden konnten. Zudem machten sich die Kostenexplosion bei neuen Waffensystemen (insbesondere für Forschung und Entwicklung) die immer fragwürdiger werdenden politischen und wirtschaftlichen Effekte (wie Proliferation und spin off) bemerkbar. Das alles warf seine Schatten voraus und markierte die Grenzen dieser »Überrüstung«.

Konfrontiert mit der Erfahrung, daß wegen der Zyklizität der Rüstungsprogramme auch Rüstungsarbeitsplätze sich alles andere als sicher erwiesen, und angespornt durch die Initiativen der Belegschaft beim englischen »defence contractor« Lucas Aerospace, bildeten Rüstungsbeschäftigte auch in der BRD Arbeitskreise »Alternative Produktion«. Zusammen mit den Schriften von gewerkschaftlichen und anderen Autoren wie Mehrens, Bäcker, Schomacker, Einemann, Lübbing, Huffschmidt oder Wellmann – um nur einige zu nennen – gewann die Konversionsalternative so an argumentativer Bedeutung und wurde dann zum festen Bestandteil der Programmatik der IG Metall8.

II. Ende des Kalten Kriegs – Chancen für Abrüstung und Konversion

In der Gorbatschow-Ära kamen schließlich die gemeinsame Sicherheit und internationale Entspannung auf die politische Tagesordnung und bewirkten bei den jahrelangen aber erfolgsarmen Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den beiden Großmächten den Durchbruch zu realen Abrüstungschritten. Der INF-Vertrag über die Beseitigung der landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen in Europa besiegelte den untrüglichen Beginn vom Ende der Blockkonfrontation und des Kalten Kriegs. Da auch die weltweiten Rüstungsausgaben – mittlerweile bei dem astronomischen Betrag von 1 Billion US-Dollar jährlich angelangt, so viel wie die gesamte Schuldenlast der Dritten Welt – erstmals leicht zu sinken begannen, schien Konversion endlich eine reale Möglichkeit geworden zu sein.

Während die Medien das Thema aufgriffen und beispielsweise die »Wirtschaftswoche« schon 1989 eine Artikelserie unter dem mahnenden Titel »Planlos in den Frieden?« veröffentlichte, hatten die bahnbrechenden Veränderungen hierzulande zunächst jedoch nur minimale Auswirkungen; aber immerhin schlugen sie sich in deutlich gebremsten Wachstum der Verteidigungsausgaben nieder. Zwischen 1985 und 1989 vergrößerte sich der Etat des BMVg von 48.9 Mrd DM auf 52.2 Mrd DM, wobei gerade die investiven Ausgaben von 16.6 Mrd DM auf 17.1 Mrd DM nur unwesentlich zunahmen und deren Anteil am EPl 14 von 34,1<0> <>% auf 32,5<0> <>% zurückging. Insgesamt fiel die Verteidigungsquote, der Anteil des EPl 14 am Brutto-Inlandsprodukt (BIP), von 3,2<0> <>% auf 2,8<0> <>%9

Für Deutschland wurden die Auswirkungen der genannten Entwicklungen jedoch erst wirklich virulent mit der, qua Geschwindigkeit und Form noch 1989 unerwarteten, Vereinigung beider deutschen Staaten sowie durch die beschlossene Reduzierung konventioneller Streitkräfte in Europa nach dem Pariser KSE-Vertrag – beide im Herbst 1990.

In diesen beiden Jahren näherte sich auch die wissenschaftliche und politische Diskussion um Konversion ihrem Höhepunkt, und unter dem Slogan »Schwerter zu Pflugscharen« machte sich eine geradezu euphorische Stimmung breit: „Die Konversion“, so schrieb beispielsweise Ulrich Albrecht 1990, „oder die Umstellung von Rüstungsbetrieben auf andere Produkte ist kein politischer Wunschtraum mehr … “10, und Herbert Wulf stellte fest:„Die heile Welt der vom Staat gehätschelten Rüstungsindustrie existiert nicht mehr. (…) Jetzt gilt es, die Chancen der Friedensdividende zu nutzen“.11 Publikationen nahmen sprunghaft zu; Gewerkschaften und Kommunen veranstalteten Tagungen und Kongresse; die Oppositionsparteien im Bundestag organisierten Hearings und »bombardierten« die Regierungen in Bonn und in den Ländern mit Anfragen, Forderungen und Vorschlägen.

Auch wenn das in bestimmten Kreisen heute oft anders, und nicht selten zynisch, dargestellt wird: Niemand der Befürworter von »Schwerter zu Pflugscharen« verwechselte die neue Lage mit dem plötzlichen Ausbruch eines »Ewigen Friedens«, und kaum jemand war so naiv, darin das Ende aller Verteidigung oder die schlagartige Produktionsumstellung von Panzern auf Kochtöpfe zu sehen. Vielmehr ging es um sehr pragmatische, die Entspannungspolitik begleitende Schritte in Richtung einer sozialverträglichen und zukunftsfähigen Friedensökonomie. Das gemeinsame Anliegen: Durch Konversion könnte nicht nur der wirtschaftliche Schaden wegen zurückgehender militärischer Nachfrage aufgefangen, sondern die freiwerdenden Ressourcen könnten zugleich für die dringend notwendige technologisch-ökologische Innovation des Wirtschaftssystems eingesetzt werden – im eigenen Land und über die Grenzen hinweg, die Dritte Welt mit einschließend.

Deshalb wurde insbesondere der industriellen Rüstungskonversion (und hierauf beschränkt sich diese Untersuchung) eine zentrale Bedeutung beigemessen. Dabei gab es, von den MIK-Theoretikern und anderen Skeptikern abgesehen, gewissermaßen auch eine gemeinsame Erwartung: Wenn die politische Führung sich nur zur Abrüstung und Kürzung der Verteidigungsausgaben entscheiden würde, dann schien es geradezu ein Gebot der Vernunft davon auszugehen, daß die entsprechende Konversion auf der Unternehmensebene – mit etwas staatlicher Hilfe – dem schrittweise folgen müßte. Damit war ebenfalls klar, daß Rüstungskonversion zunächst Kosten mit sich bringen und die »Friedensdividende« auf Zeit schmälern würde. Aber welche Volkswirtschaft sollte sich dieser Herausforderung überhaupt stellen, wenn nicht die reiche BRD? Und welche andere Nation hätte eine größere historische Verantwortung gehabt, hier mit gutem Beispiel voranzugehen?

Die Chancen der Rüstungskonversion zu nutzen, schien also nicht nur aus friedenspolitischen, wirtschaftlichen und ökologischen Überlegungen eine sinnvolle Möglichkeit. Darüber hinaus war sie von außenpolitischer Bedeutung, denn mit einer derartigen vertrauensbildenden Maßnahme könnten die auch im Ausland wieder erwachten politischen Ängste vor einem souveränen »Groß- Deutschland« glaubhaft zerstreut werden. In der Tat: gerade für das alte, neue Deutschland hätte man sich mit der Rüstungskonversion kaum einen besseren Start in die »gewachsene Verantwortung« vorstellen können.

Die konservativ-liberale Bundesregierung zeigte jedoch wenig Interesse. Anläßlich einer Großen Anfrage der SPD Mitte 1990 ließ sie verlautbaren12, daß die „… Anpassung an veränderte Nachfragebedingungen in erster Linie Aufgabe der Unternehmen selber (ist)“. Betont optimistisch ging sie davon aus, „… daß es den betroffenen Unternehmen auch künftig gelingen wird, Rückgänge im militärischen Bedarf durch Aktivitäten im zivilen Bereich zu kompensieren, wobei der anhaltende dynamische Wachstumsprozeß (sic!) die Anpassung wesentlich erleichtern sollte“; alles andere sei eine Frage von „… möglicherweise“ und „… zu gegebener Zeit“. Ein ähnlicher Tenor war auch allen späteren Reaktionen auf parlamentarische Anfragen beschieden.

Der deutsche Industrieverband BDI forderte in einer Stellungnahme nicht einmal finanzielle Unterstützung für die sonst schwer subventionierte Rüstungsbranche13, und die wehrtechnischen Unternehmen selber verhielten sich auffallend zurückhaltend; sie schienen abzuwarten. Denn gleichzeitig, als wäre in der Welt nichts geschehen, waren die Verteidigungsausgaben in West-Deutschland auch 1990 weiter angestiegen: der EPl 14 auf 53,4 Mrd. DM und die gesamten Verteidigungsausgaben sogar auf 68,4 Mrd. DM; in 1991 waren es 53.6 Mrd DM bzw. (hier gab es einen Rückgang) 65.6 Mrd DM14. Wer wollte da auf die Warnrufe einiger besorgter Betriebsräte, Politiker oder Friedensforscher hören?

III. Abrüstung ohne Rüstungskonversion – ein Paradox?

Läßt man die besondere Situation von 1991 hier zunächst außer Betracht (auf den Wegfall des militärischen Budgets der DDR wird in einem späteren Kapitel eingegangen), so sind im vereinigten Deutschland die Verteidigungsausgaben des BMVg erst 1992 auf 52.1 Mrd DM zurückgegangen15; und im Zuge der Verringerung von Truppenstärken findet heute in einem gewissen Umfang die Konversion von militärischen Standorten und Liegenschaften statt. Wie aber steht es mit der Rüstungskonversion?

Obwohl regelmäßig zu hören ist, daß der Konversionsprozeß in vollem Gang sei, beklagen sich die betroffenen Unternehmen heute öffentlich über die schlechte Auftragslage, bauen Personal ab oder betreiben andere Formen des »Gesundschrumpfens«. Oft wird diese Praxis mit dem Argument gerechtfertigt, daß eine „… schlagartige (sic!) Umstellung (…) von militärischer auf ziviler Produktion“ eben unmöglich sei – so beispielsweise DASA- Aufsichtsratsvorsitzender Edzard Reuter noch am 7. Mai 1992 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Manche reagieren tatsächlich so, als wären die Entwicklungen über Nacht und völlig unerwartet über sie hereingebrochen. Das gibt zu denken, zumal die entsprechenden Signale schon sehr viel früher erkennbar waren und somit auch genügend Zeit zur Vorbereitung für die Rüstungsindustrie gewesen wäre – wenn sie gewollt hätte.

Richtig ist, daß die Beschaffungsaufträge des BMVg – bereits in der zweiten Hälfte der 80er Jahre leicht im Abnehmen begriffen – 1991 mit einem Schlag um mehrere Milliarden zurückgingen und so die Auftragserwartungen drastisch drückten. Das war die Rüstungsindustrie nicht gewohnt – aber ebensowenig schien sie darin Anlaß für einen »Farewell to Arms« zu entdecken. Die Ursache liegt darin, daß sich auf der anderen Seite immer deutlicher politische Tendenzen abzeichneten, die mittelfristig und später wieder eine Zunahme der militärischen Nachfrage in Aussicht stellten. Die Bundesregierung hätte solchen Erwartungen mit einem klaren sicherheitspolitischen Konzept für die Bundeswehr und eindeutigen friedensökonomischen Richtlinien für die Rüstungsbranche entgegentreten können, aber statt dessen hat sie bis heute – Anfang 1994 – alles andere getan. Trotz der lauthals kritisierten »Planungsunsicherheit« und der Notwendigkeit einer zeitgemäßen Reorganisation eröffnete das freilich gänzlich andere Perspektiven für die wehrtechnische Industrie als Konversion.

Dementsprechend ist in Deutschland viel über Rüstungskonversion geschrieben und gesprochen worden – aber häufig auch ungenau und teilweise sogar irreführend, nicht zuletzt durch die sich immer öfter in die Diskussion einklinkenden Vertreter der Rüstungsunternehmen. An und für sich ist die Beteiligung der Industrie sehr zu begrüßen. Denn ohne sie kann es überhaupt keine nennenswerte Rüstungskonversion geben. Auf der anderen Seite jedoch hat der Gebrauch einer verschwommenen (Konversions-) Terminologie die Eigenschaft, daß mit ihrer Hilfe eine Bedeutung suggeriert werden kann, die sie in Wirklichkeit nicht hat – ein Sachverhalt, der gewöhnlich Etikettenschwindel genannt wird.

Deshalb ist es ratsam, sich vorweg die Kernbedeutung von Rüstungkonversion noch einmal zu vergegenwärtigen: nämlich die schrittweise Umwandlung und der (Wieder-)Einsatz von bisher rüstungsindustriell verwendeten Ressourcen (Menschen, Know-how, Forschung, Technologie, Ausrüstung, Gelder) für zivile Zwecke – und das nicht bei vereinzelten Produkten, sondern als eine ins Gewicht fallende (Teil-)Strategie des Gesamtunternehmens. Teilstrategie heißt in diesem Zusammenhang, daß die wehrtechnische Produktion nicht notwendig gegen null gehen muß, sondern u.U. teilweise erhalten bleiben kann. Jedoch impliziert Konversion immer den zivilen Ersatz und nicht die Ergänzung von Rüstungskapazitäten. Kurz gesagt, ist Rüstungskonversion mehr als die bloße Verkleinerung der militärischen Produktion oder die Erhöhung des zivilen Anteils am Umsatz eines Unternehmens.

Im Gegensatz dazu ist zu beobachten, daß (nicht nur hierzulande) nahezu alles, was irgendwie mit Abrüstungsfolgen, Anpassungen an Budgetkürzungen oder Umstrukturierungen im Rüstungssektor zu tun hat, von der Verteidigungswirtschaft »Konversion« genannt wird: von der Waffen- und Munitionsvernichtung über die Verkleinerung, dem Schließen oder Verkaufen von Rüstungskapazitäten bis hin zur Diversifikation und Fusionierung oder sogar der Konversionshilfe für andere Länder ohne zugleich das eigene Unternehmen zu konvertieren. Für eine Reihe solcher Aktivitäten bietet sich »Pseudo-Konversion« als angemessenere Bezeichnung an; ein Thema, das bei den späteren Fallstudien wieder aufgenommen wird.

Deshalb will ich mich hier nicht weiter mit dieser sprachlichen Inflation befassen, noch mit der überaus interessanten Frage, welchen Zwecken die u.U. damit verbundene Rhetorik dient – sondern vorab lediglich feststellen:

Zur Zeit passiert in der deutschen Rüstungsindustrie alles mögliche, aber Konversion findet – von spärlichen Ausnahmen abgesehen – nicht statt. Das ist enttäuschend und mag überraschend sein. Jedenfalls zeigt dies u.a., daß die damalige Kurzformel „Konversion ist die ökonomische Kehrseite der Abrüstung“, zu einfach war. Weder ganz richtig noch ganz falsch hatte die darin enthaltene »Halbautomatik-Prämisse« zum einen zu einer Überschätzung der Abrüstungs-Konversions-Komplementarität geführt, während zum anderen zusätzliche wichtige Faktoren, Dynamiken und Nebeneffekte keine oder zu wenig Beachtung fanden.

Und so ist es nur scheinbar paradox, daß wir heute zwar in einem gewissen Umfang Kürzungen des Verteidigungshaushalts und Abrüstung erleben, jedoch ohne Konversion der rüstungsindustriellen Basis. Im großen und ganzen verfolgen die einzelnen Unternehmen andere Anpassungsstrategien und, wie zu befürchten ist, nicht nur in Deutschland.

IV. Die vernachlässigte Rolle von längerfristigen Unternehmensstrategien

Einer der Faktoren, die das Verhalten der Verteidigungswirtschaft als ein »dynamisches System« regulieren, liegt nicht außerhalb, sondern in den Unternehmen selber. Gemeint ist die aktive (»subjektive«) Akteursrolle, welche Firmen und ihr Management auf der mikro-ökonomischen Ebene spielen und so das ganze Geschehen beinflussen.

Mitbedingt durch den Umstand, daß die Konversionsdiskussion lange Zeit vorwiegend auf der politikwissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Ebene geführt wurde, waren Fragen nach den längerfristigen Gesamtstrategien von (Rüstungs-) Unternehmen – und damit nach weiteren Gründen für Widerstand gegen Konversion, als beispielsweise in Studien zum militärisch-industriellen Komplex thematisiert – im Hintergrund geblieben. Wo mikroökonomische und betriebswirtschaftliche Aspekte angeschnitten wurden, geschah das mehr im Sinne kurzfristig-pragmatischer Anpassung und technisch-kommerzieller Hilfestellungen; Ausnahmen unter den Arbeitskreisen »Alternative Produktion«, die ihre Vorschläge zum Teil in eine Gesamtstrategie des Unternehmens einzubetten versuchten, bestätigen auch hier die Regel16. Wie wichtig dieses Defizit offenbar genommen werden muß, läßt sich etwa daran ablesen, daß die NATO es nötig fand im Rahmen ihres »Advanced Research Program« in Canada, Mai 1992, eine internationale Konferenz zu dem Thema zu finanzieren.

Tatsächlich spielen insbesondere die längerfristigen Planungen und Managementstrategien, in Wechselwirkung mit den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Umfeldes, eine fundamentale Rolle; sie gehen also weit über die aktuell beobachtbaren Anpassungen hinaus. Auch besteht strategische Planung nicht aus bloßen Ziel-Mittel-Projektionen, sondern sie beinhaltet vielmehr die gesamten Problemerfassungs- und Bewältigungsfähigkeiten (coping) eines Unternehmens. Im Idealfall werden dabei die eigenen Ressourcen und Ziele (endogene Faktoren) auf der einen und die Umweltparameter (exogene Faktoren wie z.B. die staatliche Wirtschafts- und Haushaltspolitik) auf der anderen Seite in einem ständigen iterativen Prozeß aufeinander abgestimmt, was so ggf. zu Korrekturen oder Innovationen der ursprünglichen Strategie führt – fast immer freilich nur aus der Perspektive der Führung und ohne maßgebliche Mitbestimmung durch die Belegschaft.

Zwar sind diese als Gratislieferanten von Ideen in der Regel willkommen, aber sobald es um strategische Mitbestimmung, z.B. um die Entscheidung über die Wahl von Produktlinien geht, ist es meist aus mit der Freundschaft. Daß diese gängige Praxis im Umgang mit dem »Humankapital« – wichstigste Ressource eines Unternehmens – die Motivation und das kreative Gesamtpotential erheblich beschneidet, sei an dieser Stelle ebenso nur am Rande vermerkt wie die Tatsache, daß sich vor allem in kleinen und mittleren Firmen die Fälle mehren, dieses Potential durch mehr Entscheidungsbeteiligung produktiver zu nutzen. Der Konversionserfolg des einst 100%en Rüstungszulieferers Frisby Airbourne in New York wäre dafür ein Beispiel17; aber vor den großen Rüstungsunternehmen, die nach dem Vorbild militärischer Organisationen noch immer vorwiegend hierarchisch-bürokratisch organisiert sind, scheinen solche Veränderungen einstweilen auch in Deutschland halt zu machen – nachprüfbar an dem Abgang des PUR-Projekts bei MBB/DASA in Augsburg.

Wie gut oder schlecht eine strategische Planung unter solchen Bedingungen gelingt, hängt demnach nicht zuletzt von den Fähigkeiten der Unternehmensführung und des Managements ab, mittel- und langfristige Veränderungen im Umfeld mit Hilfe von »Frühwarnsystemen«, Prognosenanalysen zu Marktentwicklungen, Technologiebedarf und »Produktnischen« oder politisch-ökonomisch-sozialen Zukunftsszenarien rechtzeitig zu erkennen, deren Risiken und Chancen richtig zu bewerten und für die Erschließung neuer Geschäftsfelder konstruktiv und schneller als die Konkurrenz zu verarbeiten.

Bezogen auf die derzeitigen Probleme in der Rüstungsindustrie ist der Punkt besonders wichtig, weil er impliziert, daß die einzelnen Unternehmen nicht vollständig durch äußere Bedingungen (wie etwa das Verteidigungsbudget) festgelegt sind. Trotz ähnlicher Lage haben sie sehr wohl die Möglichkeit, in unterschiedlicher Weise damit umzugehen. In Anbetracht der Wahlmöglichkeiten bei Führungsentscheidungen und der Verantwortung für die antizipierbaren Folgen wäre es daher korrekter von »agieren« anstatt von »reagieren« zu sprechen.

Auch wenn »aktive« und »reaktive« Verhaltensformen nicht immer genau zu unterscheiden sind, so ist doch klar, daß beim ersten das Wissen um die Entscheidungsspielräume und den strategischen Vorteil der rechtzeitigen Handlungsinitiative bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Vordergrund steht. Bei der zweiten dagegen überwiegt eher die Mentalität des defensiven Abwartens und der erzwungenen Anpassung, was in der Praxis oft in das bekannte menschen- und materialverschleißende »muddling through« mündet. Vereinfacht gesagt: Veränderungen, die für die einen nur widrige und nach Möglichkeit zu eliminierende Störfaktoren sind, weil sie die Pläne durcheinanderbringen, werden im anderen Fall als Herausforderung angenommen und als Chance zur Erneuerung genutzt. Welcher Typus von Unternehmensstrategie in einer Firma zum Tragen kommt, hat demnach auch mit der Qualität der Unternehmensphilosophie und der Unternehmenskultur zu tun, in die er eingebettet ist.

Zusammen genommen mag dies verdeutlichen, wie sehr gerade unter marktwirtschaftlichen Eigentums- und Partizipationsbedingungen die Lebens- und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens mit der Lernbereitschaft und der strategischen Kompetenz seiner Leitung verknüpft ist – ein Gesichtspunkt, der nicht nur mit Bezug auf die Wahl zwischen Konversion und anderen Optionen, sondern generell für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage der Rüstungsindustrie wichtig ist. Solange das Geschäft boomte und die Aufträge im wesentlichen bloß »abzuholen« waren, fielen strategische und Managementdefizite kaum auf oder ins Gewicht; aber heute zeigen sich diese betriebswirtschaftlichen Mängel in ihrer vollen Tragweite. Und in dem Maße, wie der konjunkturelle und marktwirtschaftliche Normalzustand die Privilegien der Rüstungsindustrie schleift, müssen die Verantwortlichen sich jetzt zumindest eine Reihe unbequemer Fragen gefallen lassen – nicht nur von einer empörten Öffentlickeit und kritischen Medien, sondern zum Teil auch von der Politik.

Einstweilen, und verstärkt seit etwa Mitte 1993, reagiert die Branche darauf mit einer fragwürdigen und wenig originellen reaktiv-aktiven Doppelstrategie. Was die aktuelle Auftragslage angeht, betreiben die Firmen nach innen vor allem defensives Krisenmanagement. Dazu gehören inzwischen Werksschließungen und Entlassungen ebenso wie der Versuch, die Verantwortung für die Abbaumaßnahmen gänzlich abzuwälzen und den »Schwarzen Peter« an die Politik weiterzureichen: Altbekannte Prozeduren, die nur dürftig verdecken, daß die beklagten Anpassungsprobleme und angeblichen Sachzwänge nicht zuletzt das Resultat von eigenen – über Jahre erfolgten – strategischen Versäumnissen und Fehleinschätzungen sind; davon handelt u.a. die DASA-Fallstudie mit Krauss Maffei als vergleichsweise positivem Gegenbeispiel.

Hingegen wird nach außen unter Aufbietung aller Kräfte (Lobbies und wissenschaftliche Institute eingeschlossen) eine äußerst offensive Strategie gefahren mit dem Ziel, die politischen Rahmenbedingungen für das künftige Geschäft, also die Geschäftsgrundlage mit dem Staat, zu verändern. Bekanntlich geht es dabei um die politische Durchsetzung von Bestandsgarantien für Bundeswehraufträge (vornehmer »Planungssicherheit« genannt) sowie um Exporterleichterungen für Rüstungs- und dual-use-Güter (was unter »internationale Kooperationsfähigkeit« firmiert).

Welche Erfahrungen und welche Kalküle sind es im einzeln, die die deutsche Rüstungsindustrie dazu antreiben, so massiv auf diese »Rückwärts-in-die-Zukunft«-Strategie zu setzen? Und welche Bedeutung hat das für die Konversions-Perspektive? Das sind Fragen, denen sich gerade die Konversionsforschung stärker als bisher stellen und die sie genauer beantworten muß.

Abgesehen von firmen-, branchen- oder budgetspezifischen Faktoren sind drei sich überlagernde, aber nicht gleichgerichtete Einflußgrößen für die längerfristigen Optionen der deutschen Rüstungsindustrie in ihrem Stammbereich wesentlich: Abrüstung, Umrüstung und Aufrüstung. Sie kommen zum Ausdruck in der Sicherheits-, Außen-, Wirtschafts- oder Forschungspolitik, in den aktuellen oder geplanten Haushalten und internationalen Entwicklungen. Dazu kommen weitere Einflußfaktoren wie die allgemeine wirtschaftliche Lage oder bestimmte Markt- und Technologieentwicklungen im zivilen und militärischen Bereich. Je nachdem welche(r) der drei Prozesse nach Auffassung der Unternehmen dominierend ist oder sind, beeinflußt das freilich die Richtung ihrer Anpassungsstrategie sehr unterschiedlich; das geschieht auch unter Bedingungen unvollkommener Information (»Planungsunsicherheit«) oder wenn die verschiedenen Tendenzen nicht in »reiner« sondern in gemischter Form vorkommen, was beides hier der Fall ist.

Einige Faktoren in diesem Bedingungsgefüge sind heute relativ klar erkennbar (wie z.B. Streitkräftereduzierungen oder der Sparzwang bei Beschaffungen), während andere sich erst abzeichnen und nur schwer beziffern lassen (wie die zukünftige Rüstungsplanung oder der Export). Des weiteren sind diese Kräfte hinsichtlich ihrer kurz-, mittel- oder langfristigen Effekte sehr unterschiedlich. Deshalb ist es schwierig, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihre gesamte Netto-Auswirkung für die Zukunft abzuschätzen. Mit den einzelnen »Vektoren« dieses Kräfteparallelogramms (Abrüstung und Demilitarisierung, Haushaltsentwicklung, Rüstungsausgaben, Verteidigungs- und Rüstungsplanung, Export von Rüstungs- und dual-use-Gütern) befassen sich die nächsten Kapitel; dabei soll v.a. empirisch und mit zum Teil erstmals veröffentlichten Zahlen belegt werden, daß und warum Abrüstung-Konversion nicht »the only game in town« ist.

Anmerkung

*) Der nachstehende Beitrag ist das einleitende und leicht gekürzte Kapitel einer bisher noch nicht veröffentlichten Studie, die unter dem Titel »Coping with Cuts and Conversion – Public Policy and Strategies of German Arms Manufacturers« bei der UNO-VR CHINA Conference on International Cooperation to Promote Conversion from Military to Civilian Industry, 5.-11. Juli 1993, in Hongkong vorgestellt wurde. Weitere Kapitel der Studie sollen in dieser Zeitschrift veröffentlicht werden.

Anmerkungen

1) Maneval, H.: Verteidigungspolitik, Abrüstung und Konversion: Ein Überblick über die verteidigungsökonomischen Probleme. In: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. Jg. 41, 1992, Heft 2, S. 131. Zurück

2) Maneval a.a.O., ebenda, sowie SIPRI Yearbook 1993: World Armaments and Disarmaments. Oxford: Oxford University Press, 1993, S.368; darin v.a. das Kapitel »World Military Expenditure« von Saadet Deeger. Die SIPRI-Jahrbücher enthalten die fortlaufenden Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien; den Berechnungen liegen die jährlich veröffentlichten »NATO – Financial and Economic Data Relating to NATO Defence, NATO, Brussels« zugrunde. Wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, werden in der vorliegenden Studie die Nominalwerte aus EPl 14 verwendet, da sie wichtige Aufschlüsselungen enthalten, die den meist aggregierten SIPRI-Daten nicht entnehmbar sind. Zurück

3) Die Ausgaben für Verteidigung in der damaligen DDR beliefen sich 1989 auf 12,8 Mrd. Mark (DDR-Währung); darin enthalten waren 5,5 Mrd. Mark für investive Ausgaben, zum übergroßen Teil für Beschaffungen und Instandsetzungen. Vgl. Hänsel, W.: Möglichkeiten und Methoden der Rüstungskonversion. Die Konversionspraxis in der DDR. In: Köllner, L. & Huck, B. (Eds): Abrüstung und Konversion. Frankfurt-New York: Campus 1990 Zurück

4) Berger, M. et.al.: Produktion von Wehrgütern in der Bundesrepublik Deutschland, Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung München, 1991, S. 78. Zurück

5) Maneval a.a.O., S. 132. Zurück

6) Laut UN-Studie von Inga Thorsson: In Pursuit of Disarmament, Stockholm (1984) gab es bei den Aufträgen durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz (BWB) zu 88% keinen Wettbewerb. Nach dem »cost plus«-Vertragsprinzip gestattete der Auftraggeber dem systemführenden Auftragnehmer, die veranschlagten Kosten um einen »angemessenen« Erlös zu erhöhen. Je höher die Kosten, umso größer waren demnach die Gewinne – ein betriebswirtschaftliches Unikum, das illustriert, warum die Rüstungsbranche als planwirtschaftliche Insel inmitten der Marktwirtschaft apostrophiert wurde. Zurück

7) Für einzelne Titel siehe z.B. die Bibliographie in Köllner. L. & Huck, B. (Eds), Abrüstung und Konversion – politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1990. Zurück

8) Industriegewerkschaft Metall, Vorstand (Hrg.), Arbeitsprogramm Rüstungskonversion. Frankfurt a.M., Januar 1991. Zurück

9) Maneval a.a.O. S.131 und 132. Zurück

10) Albrecht, Ulrich, Entwicklung und Stand der Konversionsforschung in der BRD im internationalen Vergleich. In Köllner, L. et.al. 1990, a.a.O., S. 35. Zurück

11) Wulf, H., Rüstungsproduktion, Rüstungsexport und Konversion. In: IGM Bezirksleitung Stuttgart (Hrg.), Abrüsten und Umstellen – Kanonen zu Pflugscharen. Mannheim, Mai 1991. Zurück

12) Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage von SPD- Abgeordneten: »Rüstungs- und Standortekonversion«. Bundestagsdrucksache 11/7441 vom 20.6.1990. Zurück

13) Bundesverband der Deutschen Industrie, Memorandum zur Situation der deutschen wehrtechnischen Industrie. Köln: BDI, März 1991. Zurück

14) Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts 1994, Bonn, 23. August, S. 3; und SIPRI-Jahrbuch 1993 a.a.O. S. 368. Zurück

15) BMVg 1994 a.a.O. ebenda. Zurück

16) Mit weiteren »subjektiven« sowie mit strategischen Aspekten von Rüstungskonversion befassen sich die Beiträge von Grundmann, M., Subjektbezogene Aspekte betrieblicher Konversion, und Petri, E., Konversionsplan statt Sozialplan – Strategisches Instrument zum Umbau von Rüstungsunternehmen; beide in dem gerade erschienenen Buch von Brückl, S., Burger, A., Erben, R., Petri, E. & Simon, M. (Hrg.): Betriebliche Konversion. Münster: Agenda Verlag 1994. Zurück

17) Ullman, J.E., The operational Requirements of Conversion. In: Scientific Advisory Group of the International Trade Union Committee for Peace and Disarmament (Hrg.), Glasgow, Spring 1993, S.50-74. Die Broschüre ist erhältlich beim Herausgeber, 1 Woodlands Terrace, Glasgow G3 6DD, Scotland. Zurück

Hendrik Bullens Dr. phil. Dr. oec. arbeitet an der Forschungsstelle Konversion und Friedenswissenschaften Univ. Augsburg; SISYFOS – Institut München – Augsburg, Tel+Fax (089) 7 47 04