Antiterrorkampf – Ja! Irakrieg – Nein!
Gernot Erler im Interview mit Tobias Pflüger
von Gernot Erler und Tobias Pflüger
Im Bundestagswahlkampf gab es ein für Viele überraschend deutliches Nein der Bundesregierung zu einer Beteiligung an einem US-Krieg gegen den Irak. Nach der brüskierenden Reaktion der Bush-Regierung stellt sich die Frage, ob die deutsche Regierung diese Position einhalten kann, oder ob es zu einer indirekten Beteiligung kommt oder die Bundesrepublik bereit ist, an Stelle einer direkten Kriegsteilnahme, an anderem Ort den USA den Rücken frei zu halten. Tobias Pflüger befragte am 21. November den für internationale Politik zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, der nach dem Natokrieg gegen Jugoslawien forderte, dass dieser Krieg kein Präzedenzfall werden dürfe.
Tobias Pflüger: Die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak laufen auf Hochtouren und es sieht alles danach aus, dass die US-Administration diesen Krieg auch führen will. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe?
Gernot Erler: Die Gefahren, die aus Bagdad kommen, werden in den Vereinigten Staaten unter dem Begriff Terrorismus eingeordnet. Während in Europa befürchtet wird, dass eine kriegerische Auseinandersetzung im Nahen Osten die Gefahren durch den Terrorismus noch erhöhen könnte, statt sie zu verringern.
T. P.: Was halten Sie von der These, nach der es der US-Regierung um eine Durchsetzung eines Hegemonialanspruches und den Zugang zu Öl geht?
G. E.: Ich halte solche aus alten Imperialismustheorien abgeleitete Analysen solange für entbehrlich, solange man andere, näher liegende Erklärungen für die amerikanische Politik bringen kann.
T. P.: Aber selbst in der »Washington Post« wird die Frage nach Zugang zum Öl ganz offen diskutiert.
G. E: Ja, aber der ganze Aufbau der neuen amerikanischen Doktrin, z. B. auch in der »State-of-the-Union-Rede« des amerikanischen Präsidenten vom 29. Januar dieses Jahres, mit der Auflistung der »Achse des Bösen«, darunter auch der Iran und Nordkorea, weisen eigentlich in eine andere Richtung.
T. P.: Bleibt es bei der Ablehnung des Irakkrieges durch die Bundesregierung und durch die SPD?
G. E: Es bleibt bei der klaren Aussage, dass Deutschland sich an einem Irakkrieg nicht beteiligen wird. Das hat der Bundeskanzler eben noch mal auf dem NATO-Gipfel in Prag wiederholt.
T. P.: Jetzt wird ja ein Unterschied gemacht zwischen einer aktiven Beteiligung und einer indirekten Beteiligung. Was sagen Sie dazu?
G. E: Ich kenne niemanden, der diesen Unterschied macht. Es gibt eine klare Aussage Deutschlands zu dem Irakkrieg, aber gleichzeitig die Bereitschaft, zusätzliche Verantwortung im Kampf gegen den Terrorismus zu übernehmen, z. B. in Afghanistan, das ist konsequent. Wir sind ein verlässlicher Partner im Kampf gegen den Terrorismus, der auch militärisches Engagement einschließt, aber den Schwerpunkt auf politische, ökonomische und humanitäre Maßnahmen legt.
T. P.: Handelt es sich dabei nicht um Kompensationsleistungen?
G. E: Nein, diese Prioritätensetzung entspricht unserer Analyse. Wenn z.B. Afghanistan nicht zu einem Erfolgsfall wird und dort die Taliban und Al Qaida zurückkehren, die ja gegenwärtig versuchen, sich zu reorganisieren, dann wäre das eine viel gefährlichere Entwicklung als alles andere. Deswegen ist es konsequent und nicht etwa Substitution, sich dort zu engagieren.
T. P.: Das hat den Effekt, dass die Bundesrepublik nach den USA am zweitmeisten Soldaten im Auslandseinsatz hat. Sind bei diesem starken Engagement auch eigene Interessen im Spiel?
G. E: Nein, dieser Einsatz entspricht unserem Gesamtverständnis von Sicherheitspolitik. Der allergrößte Teil dieser Soldaten, nämlich 7.700, sind auf dem Balkan stationiert. Dort hat Europa die Aufgabe, weitere blutige Konflikte zu verhindern und die Region nach mehreren blutigen Konflikten zu stabilisieren, also regionale Sicherheit und regionale Stabilität zu organisieren. Wir glauben, dass weltweit solche Maßnahmen die Entstehung von Terrorismus eindämmen könnten.
T. P.: Der Richter am Bundesverwaltungsgericht Dieter Deiseroth hat in einer Analyse, die in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wurde, festgestellt, die Bundesregierung bewege sich, wenn sie einen Irakkrieg – durch die Gewährung von Überflug und Transitrechten – indirekt unterstützt, „am Rande eines Verfassungsbruchs“. (siehe Artikel in dieser Ausgabe von W&F: Dieter Deiseroth, US-Stützpunkte in Deutschland im Irak-Krieg – Zur geltenden Rechtslage, die Red.)
G. E.:Ich schätze die Arbeit von Herrn Deiseroth sehr, aber das Problem ist, dass wir im Augenblick Details von eventuellen amerikanischen Wünschen nicht kennen. Die Bundesregierung hat allerdings schon erklärt – im Zusammenhang mit den vorgetragenen Wünschen in Prag –, dass sie natürlich eine genaue Prüfung gerade dieser Aspekte vornehmen will. D. h. es müssen drei Dinge untersucht werden: Die Verfassungsfragen und die völkerrechtlichen Fragen und natürlich auch die Bündnisverpflichtungen. Dabei kann es passieren, dass die Bündnisverpflichtungen und die rechtlichen Fragen kollidieren. Deswegen ist eine sorgfältige Prüfung jedes konkreten Wunsches der amerikanischen Seite notwendig und genau dies hat die Bundesregierung angekündigt.
T. P.: Und was ist mit den derzeit schon laufenden Transporten? Über Ramstein, Spangdahlem und die Frankfurt Airbase – da habe ich es selber gesehen – werden gegenwärtig Soldaten und Kriegsmaterial transportiert, ganz offensichtlich in den Großbereich um den Irak.
G. E: Es ist völlig außerhalb der Möglichkeit der Bundesregierung, zu prüfen, zu welchen Zwecken die amerikanische Seite militärische Güter hin- und hertransportiert in einer Phase, in der sie sich nicht in einem Kriegszustand befindet. Das können genau so gut Materialien für Übungen sein oder für den normalen Austausch von Personal. Die Bundesregierung kann deshalb unmöglich, zu einem Zeitpunkt zu dem es noch keine kriegerischen Auseinandersetzungen gibt, den Hintergrund von solchen Flügen im Einzelnen untersuchen. Eine Verpflichtung dazu dürfte sich auch nicht aus der Verfassung oder dem Völkerrecht ergeben.
T. P.: Die Transporte haben ja sichtbar zugenommen. Gab es denn eine Anfrage bei der US-Regierung, was da so umfangreich transportiert wird?
G. E.: Davon ist mir nichts bekannt.
T. P.: Das wäre aber doch interessant oder würden Sie sagen, das kann man einfach so lange hinnehmen, solange der Krieg nicht läuft?
G. E.: Ich will noch einmal sagen, es gibt alle möglichen Bewegungen, die man beobachten kann. Die kann man aber genauso deuten als Aufbau eines Drohpotenzials, das möglicherweise die Durchsetzung einer UN-Resolution unterstützt und ihr Nachdruck verleiht. Im Falle einer Anfrage könnte es auch gut sein, dass da überhaupt nichts zu beanstanden wäre. Insofern sind Spekulationen darüber, ob es sich bereits um Vorbereitungen auf einen Krieg handelt, zwar ganz normal im politischen Raum, aber Sie sprechen hier ja von einer rechtlichen Wertung und da helfen Spekulationen oder Wertungen meines Erachtens nicht weiter.
T. P.: Am 15. November hat der Bundestag mit 573 zu 11 Stimmen bei 5 Enthaltungen den Einsatz von »Enduring Freedom« verlängert. Eingeschlossen in »Enduring Freedom« sind ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait, Soldaten des »Kommando Spezialkräfte« (KSK) in Afghanistan, die Marine am Horn von Afrika und eine Reihe weiterer Einheiten. Peter Struck hatte ja während des Wahlkampfes versprochen, dass bei Beginn eines Krieges die ABC-Abwehrsoldaten aus Kuwait abgezogen werden sollen. Vor dem Bundestagsbeschluss wurde das wieder rückgängig gemacht und Joschka Fischer hat erklärt, es gehe um eine langfristige Stationierung. Es ist innerhalb von Militärexperten relativ unstrittig, dass die in Kuwait stationierten Kräfte bei einem Krieg gegen den Irak, einbezogen würden. Donald Rumsfeld meint, wenn es Zweifel gäbe, ob man diese ABC-Abwehrsoldaten da haben will, soll man sie doch einfach abziehen, bevor sie nur rumstehen. Ist Ihre Position nach wie vor die eines Abzugs dieser ABC-Abwehrsoldaten oder gibt es für Sie keinen Zusammenhang mit dem Irakkrieg?
G. E.: Der Bundestag hat eindeutig, schon bei seinem ersten Beschluss zu »Enduring Freedom«, die Grenzen gezogen und Bedingungen formuliert für die deutsche Beteiligung an »Enduring Fre edom«. Dazu gehört eine wasserdichte geographische Abgrenzung, die deutschen Soldaten im Kontext von »Enduring Freedom« dürfen nur in Afghanistan eingesetzt werden oder in einem Land, das ausdrücklich zustimmt. Sie dürfen keinen anderen Auftrag wahrnehmen, als eben eine Beteiligung an dieser Mission »Enduring Freedom«, die eine Antiterrormaßnahme ist, gegen die Täter des 11. September, ihre Organisation Al Qaida und die ehedem in Afghanistan die Regierung stellenden Taliban, die diese Organisation geschützt haben. D. h. schon von der Verfassung her ist ein Einsatz von Soldaten, die sich an »Enduring Freedom« beteiligen, an einer anderen Mission oder in einem anderen Szenario, z. B. an einem Irakkrieg, nicht möglich, bzw. erst dann möglich, wenn dies ausdrücklich vom deutschen Bundestag beschlossen würde. Was die ABC-Soldaten in Kuwait angeht, wird das gelegentlich dramatisiert. Tatsächlich stehen im Augenblick 6 Fahrzeuge, also diese Spürpanzer Fuchs, dort vor Ort, die von ca. 50 Soldaten gewartet, aber nicht eingesetzt werden können. Die Bedienungsmannschaften sind in einer so genannten 72-Stunden-Bereitschaft in Deutschland stationiert und müssten, wenn es zu einem Einsatz kommt, nach Doha transportiert werden. Das würde nur passieren, wenn ein Einsatz im Rahmen von »Enduring Freedom« in Frage käme und wenn es ein entsprechendes Ersuchen zum Einsatz dieser Panzer mit Labors gibt. Die Spürpanzer Fuchs, die die Möglichkeit haben, die Nutzung von B- oder C-Waffen zu analysieren und in einem begrenzten Umfang zur Dekontaminierung beizutragen, würden nur auf Anfrage in Zusammenhang mit der Mission »Enduring Freedom« eingesetzt. Insofern ist diese immer wieder beschworene Gefahr einer so genannten »mission creep«, also einer schleichenden Verwandlung eines Auftrags in einen anderen, kontrollierbar und begrenzbar. Es gibt insofern im Augenblick auch kein Schutzbedürfnis etwa, was den Abzug unserer Soldaten aus der Region erforderlich machen würde.
T. P.: Wenn das die Sachlage ist, warum hat dann Peter Struck im Wahlkampf gesagt, dass sie im Kriegsfall abgezogen werden müssen?
G. E.: Das muss man ihn selber fragen, was er damit gemeint hat, ich kann das schlecht für ihn beantworten. Aber es ist vielleicht dahinter der Wunsch gewesen, deutlich zu machen, dass es natürlich eine Vermischung von diesen beiden Aufgaben nicht geben kann und auch nicht geben darf, dass weder die Verfassung das zulässt, noch das Schutzgebot gegenüber den deutschen Soldaten. Es spielt inzwischen sicher auch eine Rolle, dass ein Abbruch zum jetzigen Zeitpunkt einen falschen Eindruck erwecken könnte. Den Eindruck nämlich, dass Deutschland nicht mehr bereit sei, in dem Umfang wie bisher verlässlicher Partner im Antiterroreinsatz zu sein. Aber gerade unsere Kontinuität in der Mitwirkung bei Maßnahmen, z. B. gegen Al Qaida und gegen die Restbestände der Taliban, sie macht den Unterschied klar, was das Nein zu einem Irakkrieg angeht. Es ist die Überzeugung der deutschen Politik, dass ein möglicher Irakkrieg Schaden anrichten wird bei der Bekämpfung des Terrorismus. In unserer Analyse könnte ein solcher Irakkrieg zur weiteren Rekrutierung von Terroristen führen und die Gefahr erhöhen, dass es zu neuen Aktivitäten von der Art des 11. September kommt. Die Konsequenz ist, dass man da, wo es sich eindeutig um Antiterroraktionen handelt, ein verlässlicher Partner bleibt, und das ist sicherlich auch ein Hintergrund dafür, dass Peter Struck heute die Auffassung vertritt, dass ein Abzug der Fuchs-Fahrzeuge aus Kuwait einen missverständlichen Eindruck hinterlassen könnte.
T. P.: Eine abschließende Frage zu diesen ABC-Abwehrsoldaten: Wenn der Irakkrieg los geht – die bisherigen Planungen sehen ja so aus – was passiert dann mit den Panzern? Bleiben diese dort?
G. E.: Im Falle eines Irakkriegs würde erst mal kein unmittelbarer Handlungszwang gegeben sein. Auch dann wäre die Reaktion eines demonstrativen Abzugs dieser sechs Fahrzeuge nicht angezeigt. Allerdings hat die Bundesregierung mehrfach darauf hingewiesen, dass sie eben nur im Sinne und im Rahmen des Mandates von »Enduring Freedom« eingesetzt werden können. Das würde z. B. heißen, dass ein Einsatz in dem Kuwait benachbarten Irak nur nach einer erneuten Befassung des Bundestags und mit der entsprechenden parlamentarischen Legitimation möglich wäre.
T. P.: Das im Rahmen von »Enduring Freedom« eingesetzte KSK (Kommando-Spezial-Kräfte) hat kurz vor Verlängerung des Mandates einen eigenen Einsatzsektor zugewiesen bekommen. Bisher war das ja so, dass sie nur in einer ersten Phase im Einsatz waren, und da stellen sich jetzt politische und auch rechtliche Fragen. Es gab mal ein Gutachten des Außen-, Innen- und Justizministeriums, das besagt, wenn die KSK-Soldaten Al Qaida Kämpfer jagen und gefangen nehmen, dass es dann juristisch hochproblematisch ist, wenn sie diese Gefangenen an die US-Soldaten abgeben, da in US-Gefangenschaft ein großer Teil der Häftlinge nicht als Kriegsgefangene behandelt und somit gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen wird. Wenn es einen eigenen Einsatzsektor gibt, stellt sich damit die Frage nach einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Kommt es dazu und wie ist genau dieser Einsatz des KSK geplant?
G. E.: Bekanntlich sind die Einzelheiten des KSK-Einsatzes geheim zu halten aus Schutzgründen. Aber es ist ja bekannt, dass bisher die deutsche KSK-Einheit vor Ort keine Festnahmen vorgenommen hat. Also in der ganzen Zeit von »Enduring Freedom« gibt es keine Festnahme, und es ist auch nicht vorgesehen, dass es in Zukunft zu solchen Aktionen kommt. Die Hauptaufgabe dieser Spezialkräfte hat sich verändert: Wir haben es jetzt mit so genannten Restaktivitäten von Al Qaida-Verbänden und mit gewissen Reorganisationsbemühungen von Taliban-orientierten Gruppen zu tun. Das alles in einem sehr unwegsamen Gelände, vornehmlich an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Die in dieser Region verbleibenden Spezialkräfte – auch aus anderen Ländern – nehmen vor allem die Aufgabe wahr, Bewegungen gegnerischer Kräfte zu beobachten und zu analysieren. Der Fall, dass Gefangene gemacht wurden und dann die Entscheidung anstand, was mit diesen passiert, ist in der ganzen heißen Phase des Kampfes gegen Al Qaida für das deutsche KSK nicht aufgetaucht, und deswegen ist es eher unwahrscheinlich, dass sie in der jetzigen Phase, auftaucht.
T. P.: Nach den Aussagen von Rudolf Scharping (als er noch Verteidigungsminister war, die Red.), die ja auch in den Medien wiedergegeben wurden, haben die KSK-Soldaten auch an Kampfhandlungen in vorderer Linie teilgenommen. Trifft das zu?
G. E.: Dazu kann ich keine Stellung nehmen aus den besagten Gründen der Geheimhaltung. Ich habe bisher nur Informationen weitergegeben, die bereits öffentlich gemacht worden sind.
T. P.: OK. Der dritte Bereich im Rahmen von »Enduring Freedom«, der – sagen wir mal – eine neue Dimension bekommen hat, ist der Einsatz der Marine am Horn von Afrika. Bisher war das »ein relativ ruhiger Einsatz«. Durch die Region, in der die Marine stationiert ist, werden aber jetzt eine ganze Reihe von Transporten so genannter »Hochwertfahrzeuge« laufen, Schiffe der US-Marine usw. Das macht natürlich den Einsatz um ein vielfaches gefährlicher. Haben die Bundeswehrsoldaten jetzt die Aufgabe, die entsprechenden Soldaten der US-Armee oder der britischen Armee zu begleiten und zu schützen oder was ist eigentlich die konkrete Aufgabe?
G. E.: Diese Aufgabe haben sie ausdrücklich nicht, denn auch hier gelten natürlich ausschließlich die Aufgaben von »Enduring Freedom« und die bestehen vor allen Dingen in der Kontrolle und der Registrierung von Schiffsbewegungen. Es gilt sicherzustellen, dass hier keine Schiffsbewegungen stattfinden, die eventuell unter der Kontrolle von Terroristen stehen, die Anschläge verüben könnten auf andere Schiffe. Beispiele dafür gibt es, wie der versuchte Anschlag auf den Tanker Limburg vor der jemenitischen Küste.
T. P.: Das heißt ein Geleitschutz ist nicht vorgesehen?
G. E.: Ein Geleitschutz ist nicht vorgesehen. Und es wird auch dazu nicht kommen, weil das nicht zu dem Auftrag von »Enduring Freedom« gehört.
T. P.: Abschließend noch eine Frage zum Nato-Gipfel…
G. E.: …ich würde gerne auch ungefragt noch etwas sagen.
T. P.: Bitte!
G. E.: Sie haben sehr detailliert zum KSK, zu Kuwait und zur Marine gefragt. Ich finde, ein bisschen unter geht dabei, dass nach wie vor der deutsche Beitrag zu »Enduring Freedom« erstens ein sehr begrenzter ist, was man schon daran sehen kann, dass von 3.900 als Obergrenze festgelegten Soldaten zur Zeit nicht mehr als 1.200 im Einsatz sind. Im Vergleich: Auf dem Balkan sind bis zu 7.700 Bundeswehrsoldaten im Einsatz. Das ist nur ein Teilaspekt im Verhältnis zu den anderen Aufgaben, die von Deutschland wahrgenommen werden, etwa bei der humanitären Hilfe oder etwa bei der ISAF, also dem Schutz der afghanischen Übergangsregierung, oder bei dem Wiederaufbau Afghanistans, mit der besonderen Rolle Deutschlands bei der Polizeiausbildung, beim Wiederaufbau eines Bildungswesens. Dort liegt der eigentliche Schwerpunkt der deutschen Beiträge im Kampf gegen den Terrorismus.
T. P.: Aber nicht finanziell.
G. E.: Doch, doch, auch finanziell.
T. P.: Gerhard Schröder nannte die Summe von 1,7 Mrd. € für alle Auslandseinsätze.
G. E.: In dem Bundestagsbeschluss steht eine Größenordnung von 307 Mio., die möglicherweise dieser Einsatz in einem Jahr kostet, ISAF eingerechnet. Wir haben schon weitaus mehr in den anderen Bereichen ausgegeben, und auch weitaus mehr Zusagen gemacht. Der Beitrag der Deutschen zu »Enduring Freedom« nimmt ganz überwiegend defensive Aufgaben war, in einem Umfang weit unter dem, was der Bundestag als Obergrenze gesetzt hat. Die eigentlichen deutschen politischen Prioritäten liegen aber ganz bewusst auf dem Post-Taliban-Prozess, auf dem Wiederaufbauprogramm im Rahmen des Stabilitätspakts Afghanistan und natürlich auch in dem Rahmen der Unterstützung und des Schutzes der afghanischen Interimsregierung.
T. P.: Das würde sich jetzt lohnen zu diskutieren. Aus Zeitgründen aber zurück zu meiner Frage: Beim Nato-Gipfel sind eine ganze Reihe von Fragen auf der Tagesordnung, u. a. die Frage einer eigenständigen Nato-Interventionstruppe…
G. E.: …der »Nato Response Force«.
T. P.: Ja, der Nato Response Force. Jetzt ist selbst bei der Nato formuliert worden, dass man ein bisschen Konkurrenz sieht zu der im nächstes Jahr einsatzbereiten – so ist es geplant – Truppe der Europäischen Union. Wie ist das mit den jeweiligen Kapazitäten? Stellt die Bundeswehr jeweils für die Nato-Truppe und für die EU-Truppe eigenständige Einheiten bereit?
G. E.: Nein, das werden in der Regel auch die anderen europäischen Nato-Staaten nicht tun. Das würde die Kapazitäten der europäischen Nato-Mitglieder übersteigen. Das Ziel ist eindeutig die Vermeidung von Dopplung und die Vermeidung von Parallelstrukturen. Es ist mehrfach klar gestellt worden, das Ganze geht nur in der Parallelität zu diesen so genannten »European Headline Goals«. Die »Rapid Reaction Force« der EU im Umfang von 60.000 Mann und die »Nato Response Force« mit 21.000 Mann werden nur funktionieren, wenn das so genannte »Single Unit System« eingeführt wird, d. h. es sind dann dieselben Einheiten, die für beide Aufgaben vorbereitet sind und die auch die gleichen Kommando-, Kontroll- und Intelligence-Fähigkeiten nutzen.
T. P.: Es ist ja im Rahmen des Nato-Gipfels von US-Seite vorgeschlagen worden, dass so was ähnliches wie die »National Security Strategy«, also die Bush-Doktrin, für die Nato gelten soll. Wolfgang Schäuble hat jetzt im Bundestag das Gleiche vorgeschlagen, man solle sich die Kernelemente dieser Strategie zu eigen machen, z. B. sogenannte Präventivkriege. Die Bundesregierung hat bisher keine Position bezogen. Wurde da der Nato-Gipfel nur abgewartet?
G. E.: Die Nato hat auf dem Prager Gipfel ein ganzes Stück Arbeit geleistet, sieben neue Mitglieder aufgenommen, Aufträge vergeben zur Vorbereitung zu dieser »Response Force« und auch noch eine Resolution verabschiedet, die sich voll und ganz hinter die UNO-Resolution in Sachen Irak stellt. Ich kann nicht erkennen, dass hier auch eine Strategiedebatte geführt wurde. Die Nato hat sich ja erst auf ihrem letzten Gipfel ausführlich mit der eigenen Strategie beschäftigt. Ich denke schon, dass jede Änderung der amerikanischen Doktrinen eine mittelfristige Auswirkung auf die Strategiedebatte der Nato hat. Es wird eine Auseinandersetzung geben in der internationalen »Defence Community«, also den Leuten, die sich mit Sicherheit und internationaler Politik weltweit beschäftigen. Eine einfache Übernahme dieser Doktrin, die übrigens eine sehr amerikanische Doktrin ist und also so eins zu eins gar nicht Nato-Doktrin werden könnte, steht nicht zur Debatte. Hindernisse, wie der Parlamentsvorbehalt in Deutschland, würden das sowieso ausschließen, aber das ist eher eine Einzelheit in diesem Kontext. Dementsprechend ist auf dem Prager Gipfel auch nichts in dieser Richtung beschlossen worden. Vielleicht gab es am Rande des Gipfels Gespräche zu diesem Thema.
T. P.: Also mittelfristig kommt das?
G. E.: Mittelfristig wird die Debatte kommen. Aber die Debatte wird nicht damit enden, dass die Nato die Doktrin der Amerikaner übernehmen wird. Die Debatte kann genauso gut dazu führen – auch im Lichte der Ereignisse der nächsten Monate –, dass eine völlig andere Diskussion stattfindet. Es gibt in dieser neuen US-Doktrin übrigens auch einige sehr interessante, multilateral ausgerichtete Punkte. Auch zeigt der Vorschlag der Amerikaner, eine »Nato Response Force« zu schaffen, dass Amerika sich wieder stärker auf multilaterale Strukturen und damit auch multilaterale Diskussionen einlässt. Insofern bietet er die Möglichkeit, nun im künftigen Rahmen von 26 Mitgliedern Strategien zu diskutieren. Das ist besser als Alleingänge, vor denen Deutschland immer gewarnt hat.
T. P.: Herr Erler, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Gernot Erler, Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1987, dort ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, verantwortlich für Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Menschenrechte und Entwicklungspolitik. Tobias Pflüger ist Redakteur von W&F und im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.