Umweltzerstörung, eine Konfliktursache
von Günther Bächler, Stefan Klötzli, Stefan Libiszewski und Kurt R. Spillmann
Der vorliegende Beitrag stellt die Zusammenfassung der Ergebnisse des mehrjährigen »Environment and Conflicts Project« der Schweizerischen Friedensstiftung dar. Der gesamte Bericht wird demnächst in drei Bänden beim Rüegger Verlag in Chur erscheinen.
Die anthropogene Transformation der Umwelt stellt eine wesentliche Ursache bei der Entstehung, Verstetigung und Zuspitzung von bewaffneten Konflikten zwischen kollektiven Akteuren in unterentwickelten und politisch instabilen Regionen dar. Umweltverursachte bewaffnete Konflikte erweisen sich als Teil sozioökonomischer und politischer Fehlentwicklungen. Gleichzeitig sind soziale und politische Folgen von Unterentwicklung, die sich auf Umweltzerstörungen und Ressourcenübernutzung zurückführen lassen, zu einem Problem nationaler und internationaler Sicherheit geworden. Entwicklungs- und Sicherheitsdilemmata verbinden sich somit zu einem Problembündel, das umweltverursachte bewaffnete Regionalkonflikte unterschiedlicher Intensität und Ausprägung hervorbringt.
Allerdings sind weder endzeitliche Szenarien über Umweltkatastrophen noch alarmistische Prognosen über Welt-Umweltkriege haltbar. Umweltverursachte Konflikte eskalieren nur unter bestimmten Voraussetzungen über die Gewaltschwelle hinaus. Wir haben die konkreten Bedingungen, unter denen dies geschieht, herausgearbeitet. Im folgenden werden die verschiedenen Diskussionsstränge im Lichte zweier Thesen dargestellt, die wir aus den vorangegangenen vier empirischen Kapiteln (der o. g. Buchveröffentlichung, die Red.), in denen wir uns mit der Zusammenschau unterschiedlichster Konfliktformationen befaßten, gewonnen haben. Einer Typologie, welche Konfliktebenen und Konfliktparteien berücksichtigt, folgen generalisierende Erörterungen zur Rolle, welche die Umwelt bei der Konfliktverursachung spielt, sowie zur Intensität aktueller und künftig absehbarer Konflikte.
1. Umweltverursachte bewaffnete Konflikte: ein Phänomen in Entwicklungs- und Übergangs- gesellschaften – These Eins
Da umweltbedingte Konflikte – wie andere Konflikte auch – soziale und politische Ereignisse sind, ist eine Kausalanalyse, die von der Art und Tiefe des Umweltproblems ausgeht, zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Für eine vollständige Erklärung sind weitere Konfliktmerkmale wie die Charakteristik der Akteure, ihre Interessen, ihre Handlungen sowie die Ergebnisse ihrer Handlungen einzubeziehen. Unsere erste These lautet deshalb:
Umweltverursachte Konflikte aufgrund der Degradation erneuerbarer Ressourcen (Wasser, Land, Wald, Vegetation) manifestieren sich generell in sozioökologischen Krisenregionen der Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften, wenn aufgrund der vorhandenen Stratifizierung gesellschaftliche Spaltungslinien vorhanden sind, die sich so instrumentalisieren lassen, daß darüber – zum Teil gewaltsame – soziale, ethno- und machtpolitische sowie internationale Auseinandersetzungen entstehen oder vorangetrieben werden.
Unsere Beobachtungen erhärten die Vermutung, daß es sich bei der anthropogenen Transformation der Umwelt um grundlegende entwicklungsgeschichtliche Phänomene handelt, welche Länder, die über geringe Problemlösungskapazitäten verfügen, mit besonderer Härte treffen. Es sind Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften oder, noch präziser ausgedrückt, marginalisierte Gebiete in den erwähnten Ländern, die von krisenverschärfenden Wechselwirkungen zwischen Umweltdegradation, sozialer Erosion und Gewalt betroffen sind. Konfliktanfällige Krisengebiete sind in ariden und semi-ariden Ökoregionen, in interregionalen Zusammenhängen von Hoch- und Tiefländern, in Regionen mit geteilten Wasserressourcen, in von Bergbauvorhaben und Staudämmen degradierten Zonen, im Tropenwaldgürtel und im Umfeld von sich ausdehnenden Metropolen zu finden. In diesen Subregionen Afrikas, Lateinamerikas, Zentral- und Südostasiens sowie Ozeaniens sind historisch gewachsene und kulturspezifisch geregelte gesellschaftliche Naturverhältnisse einem grundlegenden Wandel unterworfen, gar akut bedroht.
Das Argument von der Marginalisierung trifft auf Konflikte um grenzübergreifende Wasserressourcen (sowie auf Meeresfischbestände, die jedoch von ENCOP nicht untersucht wurden) nur bedingt zu. Internationale Konflikte zwischen Ober- und Unterlaufstaaten können sich zwar in marginalen Regionen benachbarter Länder abspielen. Jedoch stehen bei den Konfliktparteien strategische und sicherheitspolitische Fragen im Vordergrund, während landwirtschaftliche und entwicklungspolitische Probleme in den Hintergrund gerückt werden. Dies gilt insbesondere für die regionalen Wasserkonflikte im Nahen Osten, die im Rahmen des historischen Territorialkonflikts zwischen Arabern und Israelis ausgetragen werden.
Die Konfliktgeographie der umweltverursachten bewaffneten Konflikte stimmt weitgehend mit derjenigen des weltweiten Konfliktgeschehens überein. Das heißt, umweltinduzierte bewaffnete Konflikte sind eine Teilmenge derjenigen bewaffneten Konflikte, die sich hauptsächlich in Regionen der Entwicklungsländer ereigneten. Die seit dem Zweiten Weltkrieg zu beobachtende Tendenz zum »Südkonflikt« scheint sich zu bestätigen. Zwar ist die Zahl größerer bewaffneter Konflikte unmittelbar nach 1989 infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion vorübergehend stark angestiegen. Da sich das Konfliktgeschehen in den östlichen Übergangsgesellschaften wieder leicht beruhigt hat, ist es jedoch seit 1994/95 zu einer Abnahme der Gesamtzahl bewaffneter Konflikte gekommen. Die Zahl potentiell bewaffneter Südkonflikte, vor allem niedriger Intensität, ist aber nach wie vor hoch und aufgrund der Verbindung von Umwelt- und Entwicklungsproblematik vermutlich im Steigen begriffen. Diese Beurteilung ergibt sich aus unseren verschiedenen Regionalanalysen, die im Unterschied zu den bekannten Kriegsregistern blutige Unruhen als Vorformen umweltverursachter bewaffneter Konflikte in die Bewertung der Lage einbeziehen. So gibt es zum Beispiel in Zentralasien eine Reihe von solchen Unruhen, die bereits zahlreiche Menschenleben gefordert haben, die aber in den zugänglichen Datenbanken nicht registriert sind (Fergana-Tal). Auch wurde von ENCOP der bewaffnete Konflikt in Ogoniland, einem Erdölfördergebiet Nigerias, bereits 1992, als weder Medienvertreter noch Politiker ein Interesse an dem Konflikt zwischen den Ogoni, der Zentralregierung und Dutch Shell zeigten, als besonders eskalationsverdächtig herausgehoben. Es steht zu erwarten, daß weitere vergleichbare Konflikte aufgrund der zunehmenden Umweltkrise kurz- oder mittelfristig in die heiße Phase treten werden.
Die meisten umweltverursachten bewaffneten Konflikte werden zwischen Akteuren innerhalb eines Staates ausgetragen (A). Bei einigen wenigen Konflikten besteht die Tendenz der Internationalisierung (B), wofür verschiedene Gründe maßgeblich sind. Meist handelt es sich dabei um Folgen von Migration und Flucht: Ein Teil der Land- und Umweltflüchtlinge zieht nicht in fruchtbarere Ökoregionen oder in die größeren Städte des eigenen Landes, sondern überquert in der Hoffnung auf besseres Land oder eine bezahlte Beschäftigung nationale Grenzen und sorgt jenseits des Herkunftslandes für politischen, sozialen oder ethnopolitischen Konfliktstoff. Auch Kriegsflüchtlinge, die Zuflucht in Nachbarländern suchen, können die Folge eines innerstaatlichen Gewaltkonfliktes mit ökologischen Dimensionen sein. Ein weiteres Element der Internationalisierung besteht in der Bildung von neuen Staaten wie zum Beispiel den zentralasiatischen Republiken nach dem Zerfall der Sowjetunion. Dadurch erhalten vertrackte innerstaatliche Konflikte, zum Beispiel um die regionale Wasserverteilung durch zentralistische Behörden, relativ unvermittelt eine internationale Dimension.
Hingegen werden internationale Konflikte (C) aufgrund ihrer Entstehungszusammenhänge von Anfang an zwischen souveränen Staaten ausgetragen. Sie resultieren aus grenzüberschreitenden degradierten Ökoregionen und aus nicht-raumgebundenen Ressourcen (Wasser, Luft), die vor nationalen Grenzen nicht haltmachen. Insbesondere zwischen Staaten, die von der gemeinschaftlichen Nutzung eines internationalen Flußbeckens abhängig sind, kommt es aufgrund asymmetrischer Ober- und Unteranrainer-Verhältnisse zu internationalen Disputen. Diese münden jedoch nicht in der Anwendung militärischer Gewalt; in der Regel bleibt es bei deren Androhung.
Die Unterscheidung der drei Ebenen (vgl. Tabelle 1) dient lediglich der Groborientierung. Die Grenzen sind im wahrsten Sinne fließend: Nahrung erhalten die meisten Konflikte aus innergesellschaftlichen Widersprüchen und Krisen. Grenzüberschreitende oder internationale Konflikte sind dann Ausdruck eines Umsichgreifens der Krise oder deren gezielten Eskalation. Im Hinblick auf die Ursachenanalyse bedarf es daher einer weiteren Feingliederung hin zu einer Konflikttypologie, welche die Art der Umweltdegradation mit den sozioökonomischen Folgen und den davon betroffenen Konfliktparteien in Verbindung setzt. Wir unterscheiden im folgenden sieben Umweltkonflikttypen, wobei die Trennschärfe in der Realität nicht immer gegeben ist; es gibt Konflikte, die durchaus Elemente mehrerer Typen gleichzeitig aufweisen.
1.1 Zentrum-Peripherie- Konflikte (Typ AI)
Die Verhältnisse zwischen Einwohnern peripherer Regionen einerseits und den Zentren von Entwicklungsländern, die sowohl die nationalen Eliten als auch die internationalen Investoren umfassen, andererseits, nehmen aufgrund der Umwelttransformation vielerorts prekäre Formen an. Diese Formen stellen sich in einer macht- und letztlich konfliktrelevanten Differenz von Handlungsalternativen im Umgang mit den Umweltproblemen dar. Während die sich modernisierenden Zentren über gewisse ökonomische und umwelt- sowie energiepolitische Handlungsalternativen verfügen, die sie aufgrund ihrer Machtausstattung verfolgen können, erweisen sich die sozioökonomischen Spielräume für große Teile der ländlichen Bevölkerungsschichten als äußerst begrenzt.
Katalysator eskalierender Zentrum-Peripherie-Konflikte sind daher vor allem landwirtschaftliche Großprojekte für die Exportwirtschaft, Staudämme und Bergbauvorhaben. Dabei treffen kapitalintensive Hochtechnologie- und Hochenergiesysteme weltmarktorientierter Unternehmen auf traditionale oder auf indigene Gemeinschaften, die auf technisch anspruchsloser Subsistenzwirtschaft oder auf kleinbäuerlicher Wirtschaft mit niedrigem Fremdenergieeinsatz basieren. Durch solche (agro-)industriellen Großprojekte in bis dahin nicht oder kaum in die Marktwirtschaft integrierte Gebieten werden die gesellschaftlichen Naturverhältnisse gegen den Willen der lokalen Bevölkerungen transformiert. Die Mechanisierung und, je nach Region, entweder die Kollektivierung oder die Privatisierung der Landwirtschaft verdrängen die traditionellen Anbaumethoden und die mit ihr verbundenen kulturräumlichen Verhältnisse, Landnutzungsmuster und Rechtspraktiken. Boden- und Gewässerdegradation infolge von weiträumigen Monokulturen für den Export oder von Staudämmen und Bergbauvorhaben befördern – durchaus in Wechselwirkung mit relativer Überbevölkerung in ländlichen Gebieten – die Erosion der Lebensordnungen und hemmen periphere wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Ein verschärfter Wettbewerb um Wasser, um Siedlungsraum, um Ackerland für die Selbstversorgung und um Arbeitsplätze gehört zu den unabwendbaren Folgen.
Gesellschaftliche Gruppen der Peripherie, die aufgrund von Großprojekten marginalisiert oder umgesiedelt werden, ohne daß sich ihnen Alternativen zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts eröffnen, sehen sich in der Rolle der Modernisierungsverlierer. Nur verhältnismäßig wenige finden bei kapitalintensiven Großprojekten eine bezahlte Arbeit und noch weniger erhalten finanzielle Kompensationen für den Verlust ihrer Ressourcen, die eine Existenzgründung im modernen Sektor der Wirtschaft erlauben würden. Eine solche Zentrum-Peripherie-Konfiguration eskaliert dann, wenn die vom Zentrum abgegebenen Versprechen über die positiven Entwicklungseffekte eines Projekts nicht eingelöst werden oder sich sogar in ihr Gegenteil verkehren. Die Opfer von Entwicklungsversprechen wähnen sich materiell, sozial, kulturell und spirituell schlechter gestellt als je zuvor in ihrer Geschichte; oft sind sie es auch tatsächlich.
Zentrum-Peripherie-Konflikte differieren aufgrund des Grads der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Zentrum und Peripherie sowie dem damit verbundenen Machtgefälle stark. Anders als bei Staudämmen oder Bergbauprojekten, die vom Zentrum relativ autonom verwirklicht werden, ist bei landwirtschaftlichen und Bewässerungsprojekten die Interdependenz zwischen Zentrum und Peripherie meist höher, weil zu deren Verwirklichung und Aufrechterhaltung eine größere Abstimmung notwendig ist. Eine Mine kann notfalls militärisch bewacht und geschützt werden, ein ausgedehntes Bewässerungsgebiet hingegen nicht.
Konflikte aufgrund von neo-kolonialistischem Ökoraubbau sind die internationale Variante des Zentrum-Peripherie-Konflikts (AI). Das Spezifische an Konflikten, die aufgrund von neo-kolonialistischem Ökoraubbau entstehen, ist, daß die Konfliktparteien unterschiedlichen Kulturkreisen angehören. Wie wir gesehen haben, ist die Distanz zwischen Vertretern ausländischer Interessen und marginalisierter Landbevölkerung nicht nur wegen der geographischen Entfernungen sehr groß. Bezeichnend für diesen Konflikttyp ist, daß damit verbundene Gewalthandlungen nicht mit der Tragweite und Globalität der Umweltproblematik korrespondieren. Die Gewalt nimmt sogar umgekehrt proportional zur Distanz ab. So waren die Proteste gegen die französischen Atomversuche in Europa im Vergleich zu den Protesten aus Neuseeland und anderen Pazifikstaaten vergleichsweise moderat. Zu blutigen Ausschreitungen und direkten Zusammenstößen zwischen der französischen Armee und protestierenden Gruppen kam es hingegen nur in Polynesien, das heißt, in unmittelbarer Nähe des Anlasses selbst. Das gleiche gilt für den Konflikt im Erdölfördergebiet Nigerias.
1.2 Ethnopolitisierte Konflikte (Typ AII)
Die Transformation der Umwelt stellt dann eine Ursache für ethnopolitische Spannungen und Konflikte dar, wenn Konfliktparteien mit divergierenden sozioökonomischen Interessen den Ausgang eines umweltverursachten Konfliktes mittels Akzentuierung von äußerlichen (rassischen) Unterscheidungsmerkmalen zu beeinflussen suchen. Die Ethnie wird instrumentalisiert und dient – je nach Konfliktphase – als Identifikationsmuster oder als Mobilisierungselement. Wie der Zentrum-Peripherie-Konflikt stellt der ethnopolitisierte Konflikt im Kern einen Modernisierungskonflikt dar. Im Unterschied zum ersteren verläuft die Konfliktlinie bei letzterem nicht zwischen einem definierten Zentrum und dessen Peripherie, sondern entlang gruppenspezifischer Merkmale innerhalb multiethnischer Gesellschaften. Der ökoregionale Bevölkerungsdruck trägt im Zusammenhang mit knappen und degradierten Ressourcen ebenfalls zur Verhärtung interethnischer Beziehungen bei.
Die landwirtschaftliche Übernutzung von Land, Holz und verfügbaren Wasserressourcen mündet – oft im Zusammenwirken mit der demographischen Dynamik – in Verteilungskonflikte um knappe Umweltgüter. Vielerorts steht in unterentwickelten Agrarstaaten der traditionelle Dualismus zwischen Garten- und Ackerbau einerseits sowie nomadisierender Viehzucht und Großviehhaltung andererseits im Hintergrund, wenn nicht sogar im Zentrum ethnopolitisierter Konflikte. Durch den Kampf um fruchtbares Land werden kulturökologische Nischen von regional gegeneinander abgegrenzt lebenden Gemeinschaften aufgebrochen. Aufgrund der intensiven Nutzung sowohl von ökologisch relativ stabilen Gunst- als auch von sensitiven Ungunsträumen durch eine wachsende Zahl ländlicher Produzenten ist die weitgehende territoriale Trennung von Lebensräumen ethnischer Gruppen zugunsten einer raumunabhängigeren ethnischen Vermischung und sozialen Schichtung verloren gegangen. Dieser Prozeß wurde durch Kolonisierung und Modernisierung, aber auch durch Kriege, nur noch verschärft.
Während große Flächen an gutem Land von Zentralregierungen, meist im Verein mit Agromultis, für Monokulturen ausgeschieden werden (vgl. AI), gibt es gleichzeitig immer weniger fruchtbares Land, das ausschließlich einer einzigen Nutzungsart durch Kleinproduzenten vorbehalten bleibt. Ackerflächen dienen saisonal als Weide und als Jagdgebiete, Weideland wird von Ackerbauern genutzt. Trotz der kompetitiven Interessen sind traditional produzierende Gruppen, seien es Abstammungsverbände, Clans oder ethnische Einheiten, in der Regel nicht dazu bereit, ihre oft über Jahrhunderte überlieferten Rechtsansprüche, die sie aus der ersten Aneignung herrenlosen Bodens als einer res nullius ableiten, aufzugeben. Historisch werden Landverteilungs- und Landnutzungskonflikte zwischen Anhängern des traditionalen Rechts und Protagonisten von Privat- oder Staatseigentum an Grund und Boden durch den Rückgriff auf gezielte Gewaltmaßnahmen »gelöst«. Dies gilt insbesondere, wenn sie in den Sog einer ethnosozialen Stratifizierung und ethnopolitischen Hierarchisierung der Gesellschaft geraten. In jüngerer Zeit werden solche Konflikte durch die negativen ökologischen Begleiterscheinungen einer strukturellen Fehlentwicklung überlagert und durch die leichte Verfügbarkeit über moderne Waffen brutalisiert. Dadurch erhalten sie sowohl eine qualitativ neue Dimension als auch eine besondere Virulenz.
1.3 Regionalistische Migrationskonflikte (Typ AIII)
Konflikte dieses Typs entstehen aufgrund von freiwilliger oder erzwungener Migration bzw. Umsiedlung von Menschen von einer ökogeographischen Region in eine andere Region in ihrem eigenen Land. Bei den mit interregionaler Migration zusammenhängenden Konflikten ist die geographische Herkunft das primäre Kriterium für die sozialen und politischen Konfliktbeziehungen der Akteure zueinander; dadurch unterscheiden sich regionalistische Migrationskonflikte von ethnopolitischen (AII) und von Zentrum-Peripherie-Konflikten (AI). Interregionale Migration konfrontiert Angehörige verschiedener, nicht notwendigerweise benachbarter Regionen miteinander. Zugezogene Arbeits- und Landsuchende und ansässige Bevölkerung geraten in als bedrohlich empfundene Konkurrenzsituationen, die es »auszufechten« gilt. Zugewanderte entwickeln aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten meist andere Interessen im Hinblick auf die Nutzung von Umweltressourcen als sie von ansässigen Gruppen, die über ausgeprägtere Einblicke in ihre spezifischen gesellschaftlichen Naturverhältnisse verfügen, vertreten werden. Solche Wanderungsbewegungen sind zum einen oft strukturell bedingt, etwa dann, wenn Trockenheit und Bodenerosion eine Abwanderung aus Ungunsträumen in produktivere Gunsträume oder (peri-)urbane Räume auslösen. Abwanderung, zwangsweise Umsiedlung und Vertreibung treten zum anderen im Zusammenhang mit (agro-)industriellen Großprojekten auf.
Dabei entstehen die unterschiedlichsten Interaktions- und Verhaltensweisen: Es kommt in übervölkerten und degradierten Gebirgsregionen mit Nomadenkulturen zu erheblichen Migrationsbewegungen in Bewässerungsgebiete, aber auch in Bevölkerungszentren des Vorlandes mit seßhaften Ackerbaukulturen. Ehemaligen Viehzüchtern fällt die Integration in die ihnen fremde Bewässerungslandwirtschaft schwer (z.B. in Zentralasien). Umgekehrt gibt es auch die Abwanderung von Bauern aus erodierten Hochländern in von Halbnomaden besiedelte fruchtbarere Tieflandgebiete (z.B. in Äthiopien). Eine dritte Bewegungsrichtung entsteht dann, wenn Halbnomaden aufgrund anhaltender Trockenheit und Bodenerosion Zuflucht in semi-ariden und sub-humiden Bergregionen, die von Ackerbauern besiedelt sind, suchen (z.B. im Sudan).
Die den drei interregionalen Interaktionssystemen zwischen Hoch- und Tieflandbewohnern zugrundeliegenden Muster sind vergleichbar. Die Migrationsbewegungen sind durch die sozioökologische Differenz der Lebensbedingungen in relativen Gunsträumen einerseits und in Ungunsträumen andererseits bestimmt. Die Wahrnehmung dieser Differenz mündet in einen Teufelskreis: Die Verhältnisse in den relativen Ungunsträumen, die nach und nach besiedelt wurden, weil der sozioökonomische und demographische Druck in den relativen Gunsträumen zu groß wurde, werden ökologisch in verhältnismäßig rascher Zeit prekär. Aus diesem Grund drängen Gruppen unter dem Eindruck klimatischer Schwankungen bzw. dauerhafter Klimaveränderungen aus marginalen Ungunsträumen (zurück) in relative Gunsträume, die ihrerseits starkem Druck ausgesetzt sind. Als Gunsträume gelten oft auch die Hauptstädte des Landes, wo es zu einem spannungsgeladenen Mix aus ansässiger Stadtbevölkerung und massenhaft Zugezogenen kommt.
Die regionalistischen Konflikte bleiben in der Regel örtlich begrenzt oder nehmen jedenfalls nur kleinräumige Ausmasse an; sie tangieren weder das ganze Land noch die Hauptstadt als Zentrum der Macht. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen spielen sich entweder in (peri-)urbanen Räumen ab und vermischen sich mit Gewalt- und Bandenkriminalität, die nicht selten von ehemaligen Soldaten getragen wird, oder sie finden in den umstrittenen Ökoregionen selbst statt. In Gebieten mit einer komplizierten ethnischen und kulturellen Zusammensetzung können sich ansässige Bevölkerung und nach und nach infiltrierende Einwanderergruppen durchaus auch neutralisieren, weil sich die Gruppenloyalitäten verhältnismäßig leicht und opportunistisch nach Bedarf ändern.
Trotzdem führt die interregionale Migration oder Umsiedlung zu politischen Auseinandersetzungen um die Machtbeteiligung von Angehörigen bisher politisch und wirtschaftlich zweitrangiger oder gar marginalisierter Regionen. In Ländern mit starken regionalen Disparitäten, die nicht durch rechtsstaatliche und demokratische Mechanismen (Finanzausgleich, Strukturhilfefonds etc.) ausgeglichen werden, können interregionale Bevölkerungsverschiebungen durchaus zu Veränderungen der Machtstrukturen bis hin zur Okkupation des staatlichen Gewaltmonopols durch neue regionalistische Gruppen führen, wenn es ihnen gelingt, die herrschende Elite erfolgreich zu durchdringen oder anderweitig von der Macht zu vertreiben.
1.4 Grenzüberschreitende Migrationskonflikte (Typ BIV)
Wenn Umweltflüchtlinge freiwillig oder aufgrund von Vertreibungen nationale Grenzen überschreiten und sich entweder in grenznah gelegenen ländlichen Gebieten oder in Städten eines Drittlandes ansiedeln, stellen sie ein ernstzunehmendes soziales und gelegentlich auch (ethno-) politisch instrumentalisierbares Konfliktpotential dar. Umweltdegradationsflüchtlinge verstärken Konfliktsituationen insbesondere an jenen Orten, an denen die ökonomische Situation erodiert, politische Instabilitäten oder traditionelle Zwistigkeiten schon existieren oder durch den Migrations- und Bevölkerungsdruck Konfliktlinien vertieft oder neu gezogen werden. Gewaltanwendung beschleunigt diesen Prozeß und öffnet oft auch vorkoloniale Gräben zwischen ehemals verfeindeten Clans, ethnischen Gruppen oder Völkern.
Bei der Umweltflucht handelt es sich meist um die beharrliche Infiltration in Räume, die günstigere Lebens- bzw. Überlebensbedingungen erwarten lassen. Nur in Ausnahmesituationen wie zum Beispiel bei akuter Dürre, kommt es zu spontaner massenhafter Flucht. Die Fluchtwege sind verzweigt. Vielerorts lohnt es sich, die Landesgrenze zu überschreiten, weil ausländische Gunsträume geographisch näher liegen und die Menschen dort ähnlicher sind (möglicherweise der gleichen Ethnie angehören) als in der fernen Hauptstadt des Landes. Vereinzelt führen die Wege auch in die nördlichen Industrieländer, die aufgrund der Entwicklungsunterschiede und der vorurteilsbildenden Wertediffusion generell als Gunsträume betrachtet werden.
Die Konflikte, die durch Umweltflucht aus akut degradationsgefährdeten ländlichen Regionen in Entwicklungsländern ausgelöst werden, fallen in drei Kategorien:
- An erster Stelle stehen Probleme, die aus Armut und Unterentwicklung als solchen resultieren. Dazu gehören die Krise der traditionellen Landwirtschaft sowie das Bevölkerungswachstum auf dem Lande. Der überwiegende Teil der Bevölkerung in Entwicklungsländern siedelt in ländlichen Gebieten. Eine ungenügende Infrastruktur, ungeklärte Besitzverhältnisse bzw. divergierende Rechtsvorstellungen sowie ein mangel- und lückenhaftes bäuerliches Kreditwesen tragen zum Erhalt von landwirtschaftlichen Strukturen niedriger Produktivität und demzufolge auch einer schwachen Einkommensstruktur bei. Gleichzeitig bewirkt die Marktwirtschaft die Auflösung von überkommenen Strukturen nur sehr selektiv, so daß Subsistenz- und Kleinbauern aufgrund der Dualität von marktwirtchaftlichen und traditionalen Produktionsweisen weiter unter Druck geraten. So unterschiedliche Phänomene wie Bodenerosion, starker Regen und Flut, Trockenheit und Dürre, Versalzung durch Bewässerung, Abholzung und Waldrodung sowie Überweidung von Grassavannen durch immer größere Viehherden beschleunigen die Auflösung traditionaler Lebensordnungen, das heißt, spezifischer lokaler bzw. regionaler Ensembles von Wirtschaft, Kultur, Nachbarschaft und Familie. Den Menschen bleibt ab einem bestimmten Punkt keine andere Wahl, als ihre Heimat aufzugeben.
Die armutsbedingte Erosion von Acker- und Weideland ist diejenige Variante der Umweltzerstörung, die bis heute die meisten Umweltflüchtlinge hervorgebracht hat. Die direkten Anlässe, die den Entscheid zur Flucht herbeiführen, sind in den betroffenen Regionen selbst zu suchen.
- An zweiter Stelle stehen Probleme, die sich aus den – wenn auch schwachen und verbogenen – Entwicklungsprozessen selbst ergeben: dazu gehören die Mechanisierung der Landwirtschaft, Staudammbauten, Teilindustrialisierung und Urbanisierung. Die Mechanisierung der Landwirtschaft bewirkt die Freisetzung zahlloser Kleinbauern und Landarbeiter. Sie zwingt diese, sich auf marginale Böden zurückzuziehen oder in Städte abzuwandern. Während diese erzwungenen Bewegungen als eine Form der Landflucht oder Vertreibung durch wirtschaftliche und politische Gewalt betrachtet werden können, führen die diversen Nebeneffekte der Mechanisierung wie der Einsatz von Dünger, von Pestiziden und Herbiziden sowie die weiträumige Versalzung von Böden aufgrund von Bewässerungssystemen, zu eigentlicher Umweltdegradationsflucht.
Umweltprobleme, die mit der Wasserversorgung bzw. dem Wassermanagement zu tun haben und zu Umweltflucht und Umsiedelungen führen, sind mit Staudamm- und Bewässerungsprojekten sowie den daraus resultierenden Nebeneffekten verbunden. Die Überschwemmung von Siedlungsgebieten und der Verlust von fruchtbarem Land, von Fischbeständen und Artenvielfalt, aber auch die Versalzung und die Ausbreitung von Krankheiten, hervorgerufen durch das Schrumpfen von Binnengewässern und durch anhaltende Trockenheit, können zu großen Umsiedlungs-, Vertreibungs- und Fluchtaktivitäten führen. An dieser Stelle sind aber auch modernisierungsbedingte Formen der Transformation und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerungen zu nennen: Umweltzerstörung durch militärische Aktivitäten, Umweltverschmutzung und -vergiftung, Verdrängungsprozesse durch den Bau von Staudämmen und Ressourcenverknappung.
- An dritter Stelle schließlich muß die Gefährdung einer wachsenden Zahl von Menschen, die gezwungen ist, aufgrund sozioökonomischer und demographischer Faktoren auf marginalen Böden oder in gefährdeten Regionen zu siedeln und dadurch Opfer von natürlichen Ereignissen (wie Bergrutschen) zu werden, genannt werden. Diese Ereignisse werden von den betroffenen durchwegs als »Natur-« und nicht als »Sozialkatastrophen«, die sie im Grunde sind, angesehen.
Vor allem die Probleme der ersten Kategorie führen heute zu den gravierendsten sozialen und individuellen Härten in den Entwicklungsländern. Armuts- und modernisierungsbedingte Milieuzerstörung sind dabei nur zwei Seiten derselben Medaille.
Ein erwähnenswerter Konfliktgegenstand, den wir allerdings nur oberflächlich streifen, bildet die interkontinentale Migration aus den südlichen in die nördlichen Kontinente. An den Bruchstellen zwischen Nord und Süd, zum Beispiel am Rio Grande, der die USA und Kanada von Mexiko und Lateinamerika trennt, versuchen die nördlichen Industrieländer durch den Bau von Zäunen, grenzpolizeilichen und militärischen Maßnahmen, eine Politik der Einwanderungskontrolle bzw. des -stopps sowie der Rückführung von illegal Eingereisten durchzusetzen. Umweltdegradationsflüchtlinge sind vor diesem Hintergrund ein Faktor im globalen Verteilungskonflikt, der zu einer ökologischen Bevorteilung der industriellen Vorreiterökonomien, die die Ressourcen weltweit noch ungehemmt genutzt haben, und zu einer ökologischen Marginalisierung der Armut der Nachzügler geführt hat.
In der Regel verfügen Umweltdegradationsflüchtlinge jedoch nicht über die notwendigen Ressourcen und die gesundheitliche Konstitution für kostspielige und lange Reisen. Aus diesem Grund liegen die Destinationen des überwiegenden Teils der Migranten und Flüchtlinge nicht in anderen Teilen ihres Kontinents oder gar in anderen Kontinenten. Verfolgt man den Weg eines Umweltdegradationsflüchtlings von seiner Heimat bis zur möglichen Destination in einem Industrieland, so gibt es auf seinen Stationen verschiedene Konfliktherde: in der benachbarten Ökoregion, in der Hauptstadt des Landes, im grenznahen Raum jenseits der Landesgrenze, in anderen Ländern oder Kontinenten.
1.5 Demographisch verursachte Migrationskonflikte (Typ BV)
Die relative Überbevölkerung in stark beanspruchten oder übernutzten Ökoregionen stellt ein weiteres Motiv für Migration, Flucht und Umsiedlungsaktionen dar. Damit einhergehende Konflikte sind ähnlich gelagert wie regionalistische oder internationale Migrationskonflikte. Das Bevölkerungswachstum ist ebenfalls eng mit sozioökonomischen Problemen der Armut verknüpft. In einigen Ländern (Ruanda, Bangladesch, Indonesien) führt der lokale Bevölkerungsdruck auf das genutzte Land zu einem deutlichen Auseinanderklaffen der ökologischen und ökonomischen »carrying capacity« von Ökoregionen, was sich in einem verschärften Wettbewerb um knappe und degradationsgefährdete Ressourcen niederschlägt. Ein Indiz dafür sind immer kleinere landwirtschaftlich nutzbare Flächen pro Kopf der Bevölkerung. Kleine Anbauflächen, geringe Hektarerträge und mangelnde Alternativen im gewerblichen Sektor zwingen große Teile der Landbevölkerung zur Abwanderung Richtung Stadt. Deutlich kommt der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Umweltzerstörung auch dort zum Ausdruck, wo der Bevölkerungsdruck durch Migration auf noch ungenutzte Flächen in Regenwald- und Berggebieten zunimmt. Ein weiterer Trend ist das überdurchschnittlich hohe Bevölkerungswachstum in ökologisch empfindlichen Küstenregionen. Und schließlich trägt das allmähliche Einsickern von Landlosen oder das Ausweichen von Halbnomaden mit ihren Herden in staatliche Naturschutzzonen bzw. Parks ein erhebliches Konfliktpotential in sich.
Zu akuten Konflikten kommt es dort, wo die Ausweichbewegungen in Regionen hineinführen, in denen die Land- und/oder Wasserressourcen bereits durch die ansässige Bevölkerung stark genutzt werden. Wenn demographische, ökologische, soziale und/oder ethnopolitische Faktoren kumulieren, kommt es zu Konflikten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Waffengewalt wie zum Beispiel zwischen bengalischen Umweltflüchtlingen und Bewohnern der indischen Provinz Assam.
Demographisch verursachte Migrationskonflikte sind Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels von Gesellschaften und ihrem internationalen Umfeld. Im innerstaatlichen Bereich ist die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie bestimmend: Wenn der Druck in der Peripherie zu groß wird, dann wird er in Form von Migration auf die Stadt weitergegeben, so daß es vor allem im peri-urbanen Bereich zu einem wachsenden sozialen Potential für Konflikte und Gewaltkriminalität kommt. Diese Konflikte bewirken eine Dynamik in Richtung grenzüberschreitender Migration, die – im Kontext von gewaltsamem Machtwechsel und Bürgerkrieg – nicht selten die Form massenhafter Flucht annimmt (Region der Großen Seen in Ostafrika).
1.6 Internationale Wasserkonflikte (Typ CVI)
In dieser Kategorie befinden sich Konflikte zwischen Staaten, die ein grenzüberschreitendes Flußbecken teilen. Wassernutzungskonflikte ereignen sich typischerweise zwischen Ober- und Unteranrainern eines Flußbeckens oder zwischen Hoch- und Tieflandbewohnern. Aufgrund der Gerichtetheit des Wasserflusses sind die Nutzungschancen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Staaten eines Beckens höchst asymmetrisch verteilt. Fließende Gewässer sind das augenscheinlichste Beispiel für den generellen Widerspruch zwischen den natürlichen Grenzen von Ökoregionen und den historisch gewachsenen politischen Grenzen von Nationalstaaten. Sie verbinden ökologische Funktionsräume ökologisch miteinander, die unterschiedlichen Herrschaftssphären angehören.
Grundsätzlich sind Verschmutzungs- und Verteilungskonflikte zu unterscheiden: erstere betreffen die qualitative Degradation der Ressourcen, letztere deren quantitative Verknappung. Verschmutzungskonflikte stellen sich als Streitigkeiten um ein unteilbares öffentliches Gut dar, die erfahrungsgemäß hauptsächlich Grenzwerte, Verantwortlichkeiten und wirtschaftliche Kosten betreffen. Weil in der Regel alle Anrainer ein Eigeninteresse an der Behebung des Problems haben, lassen sich diese Konflikte durch technische Massnahmen oder einen finanziellen Ausgleich prinzipiell leichter lösen als die Frage der physischen Verfügung über die Ressourcen selbst. Verteilungskonflikte stellen sich nämlich als Konflikte um teilbare Güter bzw. absolute Nullsummenspiele dar. Sie berühren die staatliche Souveränität und Integrität direkter als die Problematik der Wasserverschmutzung. Insbesondere in Regionen, die saisonal oder absolut ohnehin unter Wasserknappheit leiden (z.B. der Nahe Osten oder der Indische Subkontinent), ist die Wasserverteilung eine höchst brisante Frage, die sich unmittelbar in der Gestalt einer Bedrohung der nationalen Sicherheit stellt. Weil sie politisch leicht instrumentalisierbar sind, vermengen sich Verknappungskonflikte in politischen Krisenregionen unweigerlich mit anderen Konfliktursachen. Beide Grundtypen können freilich auch in kombinierter Form auftreten.
Internationale Wassernutzungskonflikte entfalten sich im Spannungsfeld zwischen dem unmittelbaren Interesse der betreffenden Staaten an den geteilten Ressourcen, der Machtverteilung zwischen ihnen und dem Verhältnis von konfrontativer und kooperativer Tradition in ihren zwischenstaatlichen Beziehungen. Das Interesse an der Ressource ist wiederum eine Funktion des sozioökonomischen Problemdrucks, der aus dem Grad der Abhängigkeit von den geteilten Ressourcen, dem Bevölkerungswachstum sowie der Fähigkeit der betroffenen Staaten, mit Verwundbarkeit umzugehen, resultiert. Demnach ist neben den objektiven hydrologischen Bedingungen das politische und sozioökonomische Umfeld für die Austragung internationaler Wasserkonflikte von zentraler Bedeutung. Von den mit der Wassernutzung zusammenhängenden Problemen allein können keine direkten Schlüsse auf die Gewaltträchtigkeit der Nutzungskonflikte gemacht werden.
Besteht auf verschiedenen Politikfeldern eine kooperative bilaterale Tradition, so hat dies auf Wassernutzungskonflikte eine dämpfende Wirkung. Präzedenzfälle erfolgreicher Kompromißfindung oder gar institutionalisierte Mechanismen der Streitschlichtung und Kooperation verringern die Gefahr, daß Wassernutzungskonflikte außer Kontrolle und in eine Eskalationsdynamik geraten. In integrierten Räumen werden internationale Verträge über die Nutzung grenzüberschreitender Gewässer häufiger und früher geschlossen als in nicht-integrierten. Am günstigsten auf die Konfliktdynamik wirkt sich aus, wenn auf dem Gebiet der Wassernutzung bereits zwischenstaatliche Regime bestehen, an die bei neu auftretenden Konflikten angeknüpft werden kann.
Verschmutzungs- und Knappheitskonflikte in und zwischen Industriestaaten in politisch stark integrierten Regionen lassen sich demnach aufgrund der hohen Handlungskompetenz der beteiligten Staaten und der bestehenden regulativen Mechanismen auf der politischen Ebene bearbeiten. Umweltkonflikte können hier zu einem Katalysator von Kooperation werden, wenn von den beteiligten Akteuren politische Kompromisse als wünschbar und technische Lösungen als durchführbar angesehen werden. Hingegen stellen sie in politisch-institutionell schwachen Staaten und nur dürftig integrierten Regionen einen potentiellen Faktor der Konfrontation dar. Konflikte, welche die Gewaltschwelle überschreiten, müssen im Kontext dieses politischen Umfeldes untersucht werden. Selbst Streitigkeiten um die Verteilung von grenzüberschreitenden Wasserressourcen in ariden Regionen haftet demnach nicht jener Automatismus zum gewaltsamen Konfliktaustrag an, der von manchen Autoren unterstellt wird.
Im Nahen Osten ergibt sich eine besondere Eskalationsträchtigkeit internationaler Wasserkonflikte aus der Vermengung einer äußerst akuten Wasserknappheit mit dem Jahrhundertkonflikt zwischen den Israelis und den Arabern. Das Wasser war und ist in diesem Rahmen sowohl ein zusätzlicher Streitgegenstand als auch ein Instrument zur Austragung des traditionellen Konfliktes um Grenzen, Sicherheit und nationale Identität. Wenn auch der Konflikt keineswegs definitiv gelöst ist, zeigt sich andererseits am Beispiel des gegenwärtigen arabisch-israelischen Friedensprozesses, daß kooperatives Management von Wasserressourcen selbst unter Bedingungen akuter Knappheit möglich ist, wenn die beteiligten Staaten die grundlegenden politischen Differenzen beizulegen vermögen und über die nötigen Mittel für ökonomische und technische Korrekturen im Bereich von Wasserangebot und -nachfrage verfügen. Israel und Jordanien schlossen im Rahmen eines umfassenden Friedensvertrages im Oktober 1994 ein Wasserregime, das eine begrenzte Umverteilung der Ressourcen mit Maßnahmen zu einem verbesserten Wassermanagement verbindet.
Auf dem indischen Subkontinent sind die Wassernutzungskonflikte hingegen in einen Kontext eingebettet, der von extremer Armut, ethnopolitischen Spaltungen und den Hegemonialansprüchen einer Regionalmacht geprägt ist. Die vom Oberanrainer Indien verursachte Verminderung des Wasserabflusses trug beim Unteranrainer Bangladesch zu Verelendungsprozessen und zu Migrationsbewegungen in die benachbarten indischen Bundesstaaten bei. Diese sind die Ursache für zum Teil gewaltsam ausgetragene ethnopolitische Auseinandersetzungen und latente Sezessionsbestrebungen, die einen zusätzlichen Faktor der Unstabilität auf dem indischen Subkontinent bilden. Letztlich handelt es sich in diesem Fall um eine machtpolitische Manifestation ökoregionaler Abhängigkeitsverhältnisse, die ihre Wurzeln in der ökosozialen Heterogenität zwischen den regionalen Akteuren hat.
Wie in jedem Konflikt spielen bei Wassernutzungskonflikten zwischen Ober- und Unteranrainern die Machtverhältnisse bei der Wahl der Mittel des Konfliktaustrags eine wesentliche Rolle. Im Kontext hoher institutioneller Verflechtung und kooperativer Tradition wird die Bedeutung der Machtverhältnisse durch rechtliche Schranken und gewohnheitsbestimmte Verhaltensregeln mediiert. Das Vorhandensein eines handlungskompetenten Hegemons am Oberlauf kann in solch einem Umfeld durchaus eine stabilisierende Wirkung haben, wenn dieser im Interesse gutnachbarschaftlicher Beziehungen Entgegenkommen zeigt und seine Kompetenzen dazu nutzt, beidseitig befriedigende technische Lösungen zu ermöglichen (Bsp. USA-Mexiko).
In einem konfrontativen politischen Kontext ist es hingegen von zentraler Bedeutung, in welcher Anrainerposition sich der militärisch und politisch stärkere Staat befindet. Die geographische Position am Flußlauf ist selbst ein Faktor der Macht, dem beim Konfliktaustrag Beachtung zu schenken ist. Wenn ein Staat sowohl Oberanrainer als auch militärisch überlegen ist, hält er alle Trümpfe in der Hand. Er kann den oder die Unteranrainer bei der verfügbaren Wassermenge rücksichtslos diskriminieren. Ist seine Überlegenheit überwältigend, werden die Unteranrainer trotzt der Diskriminierung aufgrund einer rationalen Kosten-Nutzen-Analyse kaum zu einer offenen kriegerischen Auseinandersetzung bereit sein. Gewaltsame Auseinandersetzungen werden sich allenfalls auf der substaatlichen Ebene als Folge von Migrationsbewegungen zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer oder regionaler Gruppen abspielen. Befindet sich der potentere Staat hingegen in der Unteranrainerposition, so kann er seine ungünstige ökoregionale Position machtpolitisch kompensieren.
Offene Kriege aufgrund von Wasserverteilungsfragen allein sind allerdings bis heute nicht nachweisbar. Nur wenn die Wasserfrage mit ungünstigen politischen Rahmenbedingungen wie einem historischen Konflikt zusammentraf, wurden Streitigkeiten um Wasserprojekte zum unmittelbaren Auslöser von kriegerischen Handlungen (Bsp. Scharmützel zwischen Israel und Syrien im Vorfeld des Sechs-Tage-Krieges). Die asymmetrischen ökogeographischen Positionen im Becken werden unter solchen Bedingungen von den Oberanrainern hemmungslos ausgenutzt. Klimatisch und demographisch bedingte Knappheitssituationen verschärfen die Lage zusätzlich. Befinden sich die dominanten Anrainer unter autoritären Regimes, die von der Zentrale aus Modernisierungsprozesse auch gegen die eigene oder die Bevölkerung im Nachbarstaat implementieren, sind die geteilten Wasserwege latent dauerhaft Gegenstand von politischen Konflikten. Sie bilden häufig Anlaß zu militärischen Drohgebährden gegen den Nachbarn oder zur Gewaltanwendung gegen marginalisierte ländliche Gruppen.
1.7 Fernwirkungskonflikte (Typ CVII)
Klimaveränderungen und die Zerstörung der Ozonschicht sind Ausdruck globaler Transformationserscheinungen. Sie führen aber offenbar nicht zu globalen Konfliktformationen. Vielmehr fördert die weltweite Umweltdegeneration weiterhin strukturelle und ökologische Heterogenität auf ökoregionaler Ebene. Nutznießer und Geschädigte sind regional ungleich verteilt. Aufgrund der vorliegenden Fallstudien sind wir nicht in der Lage, konkrete Aussagen über die sozioökonomischen und -ökologischen Auswirkungen von Klimaveränderungen zu treffen. Da der prognostizierte Meeresspiegelanstieg ein Phänomen der mittel- und langfristigen Zukunft sein wird und auch die anhaltende Trockenheit in ariden und semi-ariden Zonen nicht eindeutig dem anthropogenen Klimawandel zuzuordnen ist, bleiben Aussagen dazu spekulativ. Sicher ist, daß aufgrund des Entwicklungsdilemmas die Verlierer dort zu finden sein werden, wo die gesellschaftlichen Naturverhältnisse ohnehin prekäre Situationen hervorgerufen haben. Sollten aktuelle Konflikte auf globale Umweltphänomene zurückgeführt werden können, handelt es sich vermutlich in erster Linie um innerstaatliche Konflikte der Typen AI bis AIV. Mit anderen Worten, akute Konflikte zeichnen sich nicht entlang des Kompetenzgefälles zwischen Nord und Süd ab, sondern dort, wo der Klimawandel und seine Folgen Agrargesellschaften zum Kollaps, Millionen Menschen in die Flucht und politische Instanzen in den Zusammenbruch treiben können.
Fazit:
Die sozioökologische Heterogenität schlägt sich in machtrelevanten Differenzen von Handlungsoptionen nieder. Diese manifestieren sich als internationale, soziale, regionalistische, ethnopolitisierte und machtpolitische Verteilkämpfe um knappe und degradierte Ressourcen. Genauer noch: Wenn sich höhere ökonomische Erwartungen von sozialen Gruppen und eine größere Ressourcennachfrage einer wachsenden Bevölkerung einerseits und begrenzte oder unklare Entwicklungsperspektiven, degradierte Ressourcen, versiegende Energiequellen und technische Defizite bzw. steile Kompetenzgefälle bei der nachhaltigen Erschließung neuer Energiequellen andererseits gegenüberstehen, kommt es unweigerlich zu Konflikten darüber, welche Akteure die degradierten Ressourcen weiterhin nutzen werden und welche abgedrängt oder von der Nutzung ausgeschlossen werden. Ob es darüber dann auch zu einem Rückgriff auf organisierte Gewalt kommt, hängt zusätzlich von den Möglichkeiten zivilen Konfliktaustrags, der Mobilisierungsfähigkeit der Akteure, der Wahrnehmung von Handlungsalternativen, mithin von den Präferenzen der Akteure und deren Begrenzungen ab.
2. Unausweichliche Lage und Mangel an Regulierungsmechanismen – These Zwei
In Kapitel 3 (des demnächst erscheinenden Buches, die Red.) haben wir Akteurshandeln als das Ergebnis von zwei zeitlich nachgeordneten Filterprozessen beschrieben. Filter I, der die beliebig vielen Handlungsmöglichkeiten von Akteuren auf einige wenige begrenzt, wirft die doppelte Frage danach auf, wie die Umweltdegradation einerseits und der daraus entstehende Konflikt andererseits die Handlungsoptionen der Akteure beeinflußt. Beim Filter II, der die Präferenzordnung bestimmt, entsteht das Problem, wie die Umweltdegradation einerseits und der daraus entstehende Konflikt andererseits die Präferenzen der Akteure dahingehend beeinflußt, daß sie meinen, zur bewaffneten Gewalt greifen zu müssen.
In der zweiten These gehen wir davon aus, daß es dann und nur dann zu umweltverursachten bewaffneten Konflikten kommt, wenn mehrere der folgenden fünf Faktoren zusammentreffen:
1. Degradierte Ressourcen, die in absehbarer Zeit nicht substituierbar sind, bringen Gruppen, deren Existenz vom Erhalt dieser Ressourcen abhängt, in eine unausweichliche und mithin verzweifelte Lage. Unausweichliche Zustände sind solche, die man nicht verstandesmäßig oder absichtlich verlassen kann.
2. Es existiert ein Mangel an gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen. Dieser ist nichts anderes als der Ausdruck der sozialen und politischen Machtlosigkeit staatlicher, traditionaler und moderner zivilgesellschaftlicher Institutionen. Zur »Machtlosigkeit der Macht« kommt es dann, wenn sich ein politisches System als unfähig erweist, gewisse soziale und politische Zustände herbeizuführen. Gesellschaftliche Ziele, wie zum Beispiel die nachhaltige Ressourcennutzung, werden dadurch unerreichbar.
3. Die Umweltzerstörung wird von staatlichen oder gesellschaftlichen Akteuren zur Verfolgung gruppenspezifischer Interessen auf eine Weise instrumentalisiert, daß die Ressourcenproblematik zu einer Gruppenidentitätsfrage wird.
4. Der umweltverursachte Konflikt findet in einem politischen Umfeld statt, der es den Akteuren erlaubt, sich zu organisieren, sich zu bewaffnen und Alliierte entweder in von ähnlichen Problemen betroffenen Gruppen, in anderen sozialen Schichten oder im Ausland zu gewinnen.
5. Der umweltverursachte Konflikt findet im Kontext einer bereits bestehenden Konfliktkonstellation statt, die durch die subjektive Wahrnehmung der Tragweite der Umwelttransformation oder durch den verschärften Ressourcenwettbewerb polarisierter Gruppen neuen Auftrieb erhält.
Unausweichliche sozioökonomische Zustände, Mangel an gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen, Instrumentalisierung, Gruppenidentität, Organisation und Bewaffnung und Überlagerung eines historischen Konfliktes bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich die umweltverursachten bewaffneten Konflikte ereignen.
2.1 Unausweichliche Lage der Akteure
Es sind prinzipiell die gleichen soziokulturellen Faktoren und Verhaltensmuster, die einerseits zur Degeneration der Umwelt und andererseits zu bewaffneten Konflikten führen: konkurrierende Interessen bei der Nutzung der erneuerbaren Ressourcen, Verknappung und Verschmutzung durch Übernutzung, unklare bzw. kompetitive Rechtsordnungen und Eigentumsregelungen sowie politische Mobilisierung von kollektiven Akteuren, die sich in Verteilungs- und Abwehrkämpfen verstricken. Diese sind Ausdruck eines tiefgreifenden sozialen Wandels, der insbesondere die Landbevölkerung in Entwicklungsländern erfaßt hat. Die Landbevölkerung, die von der Transformation besonders stark betroffen ist, umfaßt in erster Linie die Agrarproduzenten von niedrigem sozialem und politischem Status, einschließlich der Landarbeiter, der Knechte, der Geldpächter etc. Das heißt insbesondere, daß ihre Angehörigen keine Agrarunternehmer sind und nicht zu den politisch Herrschenden gehören.
Zu den Faktoren, die zum Leiden und Widerstand der Landbevölkerung beigetragen haben, gehörten in erster Linie die Verdrängung der autochthonen vorkolonialen Agrar- und Arbeitsverfassungen mit ihrem hohen Anteil an genossenschaftlichen und kollektivistischen Zügen durch das Vordringen moderner landwirtschaftlicher Produktionsweisen und Besitzverhältnisse. Die Umwelttransformation erweist sich in diesem gegenläufigen Prozeß von Modernisierung versus Marginalisierung nicht so sehr als eine Frage von einfacher Ressourcenknappheit, sondern eher als eine Folge von fehlgeleiteter Entwicklung. Elemente davon sind:
- das modernisierungsbedingte Bevölkerungswachstum bei fehlenden sozialen und ökonomischen Institutionen, die den entstehenden Druck auf die erneuerbaren Ressourcen einer Ökoregion auffangen und in produktive Kanäle leiten können;
- die Kommerzialisierung der landwirtschaftlichen Produktion. Da diese in der Regel kapitalintensiv verläuft, wird die traditionale Landwirtschaft marginalisiert und in relative oder absolute Ungunsträume abgedrängt. Bauern und Viehzüchter werden freigesetzt, ohne daß ihnen im kommerziellen Sektor oder in der Stadt eine Alternative angeboten wird;
- die Krise der Subsistenzwirtschaft, die einerseits auf die beiden ersten Einflußfaktoren zurückzuführen ist, andererseits mit der Subsistenzproduktion selbst zu tun hat. Dazu gehören abnehmende Erträge, hohe Anfälligkeit für klimatische Schwankungen, geringe Überschußproduktion zur Reservebildung, starre Produktionsstrukturen, die zu einer auf Dauer unnachhaltigen Nutzung der jeweiligen Ökoregion führen.
Die drei Faktoren führen für sich allein genommen nicht notwendigerweise zu bewaffneten Konflikten. Es kommen jedoch zwei wichtige Einflußfaktoren hinzu, welche unsere Arbeitsthesen erhärten: die unausweichliche Lage vieler kleiner Produzenten, die keine alternative Möglichkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts sehen, gepaart mit der Machtlosigkeit der Entwicklungspolitik des Zentrums im Hinblick auf wünschbare Ziele wie zum Beispiel die Verteilung von mehr produktivem Land an mehr Produzenten, die Schaffung von Arbeitsplätzen im gewerblichen und industriellen Sektor oder die Drosselung des Bevölkerungswachstums auf dem Lande. Die unausweichliche Lage und die Machtlosigkeit der Politik sind die beiden Extremformen der machtrelevanten Differenz von Handlungsalternativen. Es ist dann das beiderseitige Fehlen von Handlungsoptionen bzw. die starre Polarisierung, die hoch gewaltanfällig ist.
Eine globale Antwort auf die Frage, ob diese Faktoren in jedem Fall und zwingend zu einem bewaffneten Konflikt führen, ist nicht möglich. Vielmehr müssen lokale und regionale Unterschiede, aber auch jahreszeitliche Schwankungen in Betracht gezogen werden. Nicht die »globale Tendenz zur Desertifikation durch Überweidung« gilt als verläßlicher Konfliktindikator, sondern lokalspezifisch unterschiedlich größer werdende Instabilitäten im sozioökologischen Netzwerk. Ein generelles Indiz dafür ist, daß Regulierungsphasen bei der Nutzung von erneuerbaren Ressourcen kürzer und daher häufiger werden. Hinzu kommen extreme ökonomische und kulturelle Heterogenitäten, die Produktionsweisen selbst innerhalb scheinbar einheitlicher Regionen, wie etwa dem Horn von Afrika oder der Sahelzone, prägen. Soziale Differenzierungen bilden zusammen mit politischen Mobilisierungen entlang identitätsbildender Grenzen (Ethnie, Stamm, Volk, Religionsgemeinschaft) einen Indikator dafür, daß in bestimmten Regionen aufgrund der Zerrüttung gesellschaftlicher Naturverhältnisse erhöhte Anpassungs- und Regulierungsprozesse notwendig wurden bzw. werden. Zusammen mit weiteren exogenen und endogenen Einflüssen, wie Klimaschwankungen, Urbanisierung, Landflucht und Niederlassen illegaler Siedler im Umkreis von Städten, ergibt sich eine Reihe von unausweichlichen Konsequenzen, die vom Prinzip der Nachhaltigkeit wegführen. Dort, wo ausreichende technische und ökonomische Mittel zum Umgang mit destruktiven Naturverhältnissen vorhanden sind, bilden Umweltprobleme keinen akuten oder gar unausweichlichen Kriegsgrund. Wo hingegen keine Möglichkeiten zur Substitution degradierter Ressourcen existieren und/oder die Beziehungen zwischen den Parteien durch Alternativlosigkeit belastet sind, ist eine Konflikteskalation wahrscheinlich. Wenn Menschen gezwungen werden, sich das, was sie zum Leben brauchen, von wo auch immer zu nehmen, haben sie keine andere Wahl, als das übermäßig zu nutzen, was immer für sie verfügbar ist, um ihre gegenwärtigen Bedürfnisse zu erfüllen und zwar selbst gegen den Widerstand Dritter.
2.2 Mangel an gesellschaftlichen Konfliktbearbeitungsmechanismen
Allen präsentierten Konflikten ist gemeinsam, daß der Mangel an gesellschaftlichen Konfliktbearbeitungsmechanismen die gewaltförmige Konflikteskalation befördert. Denn wenn über lange Zeiträume hinweg eingeübte und sozial verankerte Mechanismen zur Konfliktregelung versagen, sei es, weil sie den neuen Herausforderungen der Umweltzerstörung nicht gewachsen sind, weil externe Akteure mit anderen Interessen in die Konfliktregelung einbezogen sind oder sei es, weil moderne rechtsstaatliche Institutionen nicht vorhanden sind oder nicht greifen, dann ist der Rückgriff auf Gewalt aus der Sicht der betroffenen Akteure durchaus ein rationales Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. In Konfliktregionen hat sich demgegenüber der Staat weder als durchsetzungsfähiger Verwaltungs- und Ordnungsapparat noch als von den Bürgern legitimierter und akzeptierter Rechtsstaat konsolidiert.
Im Zusammenhang mit umweltverursachten bewaffneten Konflikten kann die herausragende Rolle rechtsstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen und Institutionen nicht genügend betont werden. Die Zivilgesellschaft als konfliktregulierendes Korrektiv fällt in den Ländern des Südens (weitgehend) aus. Es fehlt an politischem Pluralismus, das heißt, an oppositionellen und trotzdem etablierten Interessenvertretungsstrukturen sowie einer breiten informierten Öffentlichkeit, vor deren Hintergrund Konflikte in regulierter, ziviler und symbolischer Form ausgetragen werden können. Wenn der Satz gilt: Je weniger stabil und entwickelt diese Strukturen sind, desto gewaltanfälliger und einbruchgefährdeter ist die Ordnung, dann kann der Umkehrschluß nur lauten: Je festgefügter und ausgeprägter vorhandene rechtsstaatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen, desto niedriger das Gewaltniveau und desto marginaler die Bedeutung von Gewaltanwendung im Konfliktaustrag. In demokratischen Industriestaaten werden die unzähligen und zum Teil schwerwiegenden Umweltkonflikte gewaltfrei mit juristischen und politischen Mitteln und unter Mobilisierung der öffentlichen Meinung ausgetragen. Verhandlungen, Vergleiche und Mediation spielen dabei eine zentrale Rolle. Punktuelle sporadische Gewaltanwendungen wie Blockaden oder Sabotage haben dabei entweder unterstützende Funktion oder sind der Überreaktion staatlicher Sicherheitskräfte geschuldet. Organisierte Gewaltanwendung ist hingegen kein zentrales Mittel im Rahmen einer politischen Strategie und kein den Gesamteindruck eines Konflikts prägendes Charakteristikum.
Zur Handlungskompetenz eines Staates gehört eine ganze Reihe von ökonomischen, sozialen und institutionellen Faktoren. Diese sind in den Ländern unserer Fallstudien kaum vorhanden, wobei es im Hinblick auf die Kompetenzverteilung eine relativ große Bandbreite gibt. Sie reicht von der Machtlosigkeit der Politik im Hinblick auf die Realisierung eines allgemein geteilten Zielhorizonts wie der Nachhaltigkeit bis hin zur reinen Machtpolitik, bei der demokratische Erwartungen von vornherein ignoriert werden. Dort, wo der Staat als starker Staat auftritt, tut er es willkürlich, von oben herab, autoritativ und vielerorts gegen die ländliche Bevölkerungsmehrheit gerichtet. Er ist den Interessen des Zentrums unterworfen und durchaus darum besorgt, internationalem Standard gemäße handels- und investitionsrechtliche Maßnahmen vorzukehren. Umso mehr erscheint er marginalisierten und von der Modernisierung ausgeschlossenen Bevölkerungsteilen als Agent fremder Interessen, der die nationalen Ressourcen zugunsten Dritter plündert. Sie nehmen den Staat als weit entfernten bürokratischen Apparat wahr, der in die eigene Lebenswelt eindringt und sie zerstört und den Profit daraus zum Nachteil der lokalen Bevölkerung unter den Eliten im Zentrum verteilt.
Der Umgang mit umweltverursachten Konfikten würde die Einführung spezifischer, von allen Beteiligten als gerecht empfundener und auf Nachhaltigkeit angelegter Austauschmechanismen erfordern, die über eine bloße ökonomische Verteilungslogik hinaus gehen würden (vgl. 9). Doch gerade der Mangel an Konfliktregelungsmechanismen verhindert innovative Praktiken. Institutionell und zivilgesellschaftlich schwache Staaten sind weder dazu bereit, überkommene Nutzungsregime, falls überhaupt vorhanden, zu überprüfen oder zu dezentralisieren, noch sind sie gewillt, substantielle Machtbefugnisse an eine übergeordnete ökoregionale Instanz wie zum Beispiel die IGADD im Horn von Afrika zu delegieren. Maßnahmen wie die Abtretung von Nutzungsrechten haben aufgrund konservativer politischer und institutioneller Strukturen, die meist irgendwelchen Partikularinteressen lokaler Nomenklatura und Bürokratien dienen, wenig Chancen auf Erfolg. Vielerorts läßt die vorherrschende politische Kultur, selbst bei vorhandener lokaler Mitbestimmung, wenig Spielraum für ein subsidiäres ökoregionales Ressourcenmanagement. Erschwerend kommt hinzu, daß die Landeigentumsfrage praktisch nirgendwo befriedigend gelöst worden ist, was eine Voraussetzung für lokale Selbstverwaltung wäre.
Bestehende Umweltabkommen zeigen oft einen beträchtlichen Mangel an bindender legaler Kraft und straffem Vollzug. Oft bringen sie gute Absichten zum Ausdruck, die durch wenig bindende Verpflichtungen gestützt sind. Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, schwache Vollzugsmechanismen und die Interessen von »Trittbrettfahrern«, die sich der geteilten Verantwortung entziehen, charakterisieren regionale Übereinkünfte. Inkompetente bzw. schwache Regierungen sind nicht gewillt, die politische Verantwortung für die ökologische Krise zu übernehmen. Politische Entscheidungsträger neigen eher dazu, die Verantwortung zu internationalisieren und auf Hilfe von außen zu zählen. Aufgrund sozialer, regionalistischer oder ethnopolitischer Stratifizierungen gelingt es ohnehin kaum, entwicklungsabträgliche und umweltschädigende Agrarverfassungen aufzulösen sowie räumliche Zersplitterungen und politische Schwäche der Landbevölkerung zu überwinden.
Aufgrund der Schwäche staatlicher Institutionen kommt es zur (Re-)/Privatisierung von Gewalt, indem relativ kleine und abgeschlossene Cliquen das Gewaltmonopol usurpieren und zu einer Speerspitze gegen die eigene Bevölkerung umfunktionieren. Auf sub-staatlicher Ebene sehen lokale Akteure aufgrund dessen eine Notwendigkeit und Berechtigung darin, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen und im Zweifelsfalle gewaltsam durchzusetzen, worauf herrschende Klientelverbände wiederum mit dem Einsatz zentralisierter bzw. privatisierter Gewaltmittel antworten.
2.3 Instrumentalisierung der Umweltproblematik
Die Umweltzerstörung erweist sich bei Interessenkonflikten als gutes Element zur Mobiliserung von identitätsstiftenden Gruppenzugehörigkeiten. Insofern entwickeln verschiedene Akteure ein instrumentelles Verhältnis zur Umweltproblematik, zumal die Umweltvorsorge international hoch angesehen wird. Das verführt Konfliktparteien, die sich bisher kaum um den Naturschutz kümmerten oder die grundlegende machtpolitische Ziele verfolgen, dazu, sich des ökologischen Vokabulars zu bedienen.
Aufgrund der großen Bedeutung einer gesicherten Wasserversorgung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Staates lassen sich insbesondere grenzüberschreitende Flüsse relativ leicht als politisches Druckmittel instrumentalisieren. So kann ein starker Staat am Oberlauf eines Flußsystems geopolitische Interessen gegenüber seinen Nachbarn am Unterlauf durchsetzen, indem er die Abhängigkeit und die Verwundbarkeit durch Wasser ins Spiel bringt oder sogar mit der Verknappung der Durchflußmengen droht. Die Unteranrainer ihrerseits verfügen über deutlich weniger Druckmittel. Sie können jedoch die Wasserfrage exemplarisch aufgreifen, um den Oberlaufstaat als unmoralischen Hegemon zu denunzieren und um ihn damit gegenüber einer interessierten internationalen Öffentlichkeit in Beweisnotstand zu bringen.
Oppositionelle Gruppen neigen dazu, ökologische Krisen und damit verbundene Konflikte für ihre Kritik am Staat zu instrumentalisieren. Sozioökonomisch und ökologisch marginalisierte Bevölkerungssegmente werden dabei für spezifische politische Ziele benutzt, etwa, indem sich die Überbleibsel einer kommunistischen Guerilla mit Rekrutierungsproblemen den Forderungen protestierender Bauern gegen Abholzung und Exportwirtschaft anschließt. Aber auch traditionale Gemeinschaften, die enge und mythische Naturbeziehungen pflegen, sehen sich aufgrund des Eindringens von Vertretern auswärtiger Interessen darin bestärkt, die Umweltfrage zum Angelpunkt ihrer Beziehung zum modernen Staat zu machen. So wird aufgrund des Unbehagens an der eindringenden Moderne die kulturell-spirituelle Dimension der Mensch-Natur-Beziehungen besonders hervorgehoben. Aufgrund dessen wird die Zerstörung der sakral verklärten Natur als äußerst unmoralisch und existenzbedrohend zurückgewiesen.
2.4 Organisations-, Bündnis- und Bewaffnungsmöglichkeiten der Parteien
Die Instrumentalisierung der Umwelttransformation ist nicht a priori gewaltträchtig. Erst wenn darüber spezifische Spaltungslinien akzentuiert, Polarisierungen vorangetrieben und Gruppen organisiert bzw. mobilisiert werden, zeichnet sich ein militanter Konflikt ab.
Zunächst fällt auf, daß die Schwelle organisierter Gewaltanwendung, gemessen an der Tragweite der Umweltproblematik in Krisenregionen, relativ hoch liegt. Die Zahl von bewaffneten Konflikten weltweit müßte, obwohl bereits heute beeindruckend hoch, noch weit höher liegen, wenn man die akuten Krisenherde addiert. Offensichtlich besteht der Grund für die – im Verhältnis zur Tragweite der Umweltprobleme – zum Teil erstaunlich geringe Gewaltbereitschaft darin, daß es keinen linearen Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen Gewalt einerseits und Umweltzerstörung, Armut, Bevölkerungswachstum etc. andererseits gibt. Es lassen sich verschiedene passive Verhaltensweisen von Individuen und von kollektiven Akteuren beobachten, die sich als nicht-konfliktfähig erweisen. Marginalisierung und mangelnder Organisationsgrad, schlechter Gesundheitszustand und verbreitete Apathie, Schicksalsergebenheit, kollektive Verdrängung der Ausweglosigkeit und (religiöse) Mystifizierungen der eigenen Lage gehören dazu. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster und Optionen sind darauf zurückzuführen, daß die Umweltdegeneration nicht nur einen Verlust an ökonomischen Lebensgrundlagen darstellt, sondern mit der Zerrüttung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse eine Auflösung tradierter Lebensordnungen von meist ländlichen Bevölkerungsteilen einhergeht, die in vielen Ländern an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und das, obwohl es sich dabei oft um die überwiegende Mehrheit der Einwohner eines Landes handelt. Vor diesem Hintergrund gehören zum Beispiel Binnenmigration oder massenhafte Flucht vor den Folgen der Umweltzerstörung in (peri-)urbane Zentren durchaus zu den aktiven und strategischen Verhaltensweisen.
Wird der sozioökologische Wandel nicht stillschweigend hingenommen, dann entwickelt sich eine konfliktive Beziehung zwischen Betroffenen und Verursachern der ökologischen Degradation und sozialen Desintegration. Die Akteure organisieren sich als Konfliktpartei, entwickeln Vorstellungen über zu erreichende Ziele, über Strategie und Taktik und tragen den Konflikt mit verschiedenen Mitteln sowie in verschiedenen Formen aus. Nur Gruppen, die sich tatsächlich organisieren und sich legal oder über internationale Waffenschieber aufrüsten können, greifen zu Mitteln der kollektiven Gegengewalt gegen die vermeintlich oder tatsächlich Schuldigen. Die Bündnisfähigkeit und die Gelegenheit, Koalitionen mit anderen Akteuren eingehen zu können, bilden wichtige Voraussetzungen dafür, daß es zu gewaltsamen Ausschreitungen oder gar Krieg kommen kann. Konfliktfähige Gruppen brauchen als Koalitionspartner Vertreter aus anderen sozialen Schichten, zum Beispiel der Intelligenz oder dem Bürgertum, oder aus mächtigeren politischen Zusammenhängen wie etwa charismatische Führer ethnischer Minderheiten. Durch die Proliferation von billigen Waffen, die beinahe überall erhältlich sind, können einzelne Konflikte wie zum Beispiel zwischen Bauern und Nomaden dramatischere Verläufe annehmen als von den Parteien intendiert war. Die Tendenz zu einem eskalierenden Konfliktaustrag wird insbesondere dort verstärkt, wo marodierende bewaffnete Banden, militante Jugendgangs und demobilisierte Soldaten bzw. Söldner aus ehemaligen Kriegsgebieten für die Ausrüstung mit Waffen besorgt sind und sich an der Austragung eines Konfliktes beteiligen.
Koalitionsmöglichkeiten sind jedoch nicht immer gegeben. Da einerseits kommunistische Guerillas mit langer Kampferfahrung aufgrund ihres allmählichen Verschwindens seit der Überwindung des Ost-West-Konflikts als potentielle Bündnispartner bis auf wenige Ausnahmen (Malaysia, Philippinen) wegfallen, fällt es der marginalisierten Landbevölkerung schwerer als noch in den siebziger oder achtziger Jahren, gewaltbereite Bündnispartner zu finden. Andererseits sind nationale und internationale Umweltorganisationen (I/NGOs) in der Regel gewaltfreien Widerstandsformen verpflichtet. Ihre Solidarität und Expertise gilt den Umweltanliegen, die sie durchaus in Polarisierung zu Regierungspositionen, jedoch nicht unter Rückgriff auf bewaffnete Gewalt durchzusetzen bereit sind (z.B. Botswana). Darüber hinaus wird auch im internationalen Kontext der Vereinten Nationen zunehmend auf friedliche Streitbeilegung im Inneren von Staaten wertgelegt, so daß gewaltbereite Gruppen kaum mit einer Unterstützung rechnen können wie es zum Beispiel die (post-)kolonialen Befreiungsbewegungen noch konnten. Sowohl der Gewalt als Strategie als auch aus Verzweiflung sind somit klare Grenzen gesetzt.
2.5 Kontext eines laufenden bewaffneten Konfliktes
Die Aussage über die klaren Grenzen der Gewaltbereitschaft gilt mit der Einschränkung, daß umweltverursachte Konflikte nicht in den Sog eines historischen bewaffneten Konfliktes geraten oder diesen sogar erneut entfachen. Umweltprobleme wie zum Beispiel die Verknappung von Flußwasser können, ausgesprochen oder unausgesprochen, im Rahmen eines umfassenden historischen Konfliktes massive machtpolitische Konsequenzen haben und eine Friedensregelung komplizieren (Naher Osten).
Ein häufiger anzutreffendes Phänomen besteht in der Wechselwirkung zwischen Umweltzerstörung und Krieg. Viele inner- und zwischenstaatliche Kriege in der Dritten Welt, die im Kontext des Kalten Krieges ausgetragen wurden, haben verheerende Auswirkungen auf die erneuerbaren Ressourcen gehabt. Durch Abholzung, Vernichtung von Vegetation sowie durch Vertreibung oder Tötung von Bauern und Vieh kam es in Regionen wie dem Horn von Afrika zu massiven Degradationserscheinungen im ohnehin erosionsgefährdeten Hochland. In der Nachkriegszeit sind damit die geographischen und ökologischen Voraussetzungen für die Existenzsicherung durch Landwirtschaft bedeutend schlechter als vor dem Krieg. Zusammen mit politischen Spannungen in der Nachkriegsära, mit Zusammenstößen zwischen ethnischen Gruppen, rückkehrenden Flüchtlingen und Ansässigen sowie weiterer Erosion kann sich wiederum eine Vorkriegssituation einstellen. In einem nächsten Waffengang wäre die Umweltzerstörung Teil des Ursachenbündels und nicht Folge des Konflikts – wobei ein neuer Krieg möglicherweise irreversible Schäden in landwirtschaftlich nutzbaren Regionen zeitigen würde.
3.Rolle der Umwelt als Konfliktursache
Welche Rolle spielt die Umwelttransformation bei der Verursachung von Konflikten: gehört sie zu den tieferliegenden Gründen eines Konflikts, ist sie Teil der Identitätsbildung zur Mobilisierung von Gruppen oder ist sie Gegenstand des äußeren Anlasses für das Umschlagen eines Konfliktes in Gewalt?
Die Umwelttransformation spielt in Konflikten, zumal in bewaffneten, oft eine hintergründige, dafür aber nicht minder tiefgreifende Rolle. Die Auswirkungen der seit den fünfziger Jahren beschleunigten humanökologischen Transformation erstrecken sich über lange Zeiträume. Sie „agieren“ je nach dem als versteckte oder als deutlich sichtbare Systemkräfte und tangieren dadurch die Interessen betroffener Gruppen oder Staaten auf vielfältige Weise. Das bedeutet auch, daß es nicht die Trockenheit, die Überflutung oder der Meeresspiegelanstieg per se sind, auf die die Gewalthandlungen zurückgeführt werden, sondern die Schwäche von politischen Institutionen, die mangelnde Tragfähigkeit sozioökonomischer Strukturen oder die Auflösung tradierter Lebensordnungen müssen im Zentrum der Analyse stehen.
Gerade aufgrund der komplexen Wechselwirkungen ist es oft schwierig, zwischen der Rolle der Umwelttransformation und dem Stellenwert der ökonomischen Knappheit in einem Konflikt zu unterscheiden. Insofern die Wirtschaftsweise Ausdruck des gesellschaftlichen Naturverhältnisses ist, trägt die Ökonomie unmittelbar dazu bei, durch die Ressourcenausbeutung den Stoffwechselkreislauf zwischen Mensch und Natur zu stören oder zu unterbrechen. Ökonomische Knappheit als Problem der Interaktion zwischen Gruppen ist dabei von ökologischer Knappheit als einem Schwinden der Basis für wirtschaftliche Aktivitäten zu unterscheiden. Umweltverursachte Konflikte gehen aus der ökologischen Knappheit von erneuerbaren Ressourcen einschließlich des Bodens hervor, während traditionelle Ressourcenkonflikte aus der ökonomischen Knappheit erwachsen. Letztere drehen sich um die Ausbeutung von Schätzen und Lagerstätten der Natur oder um die Landnahme durch die Aneignung von fruchtbaren, aber bereits besiedelten Territorien. Beim Umweltkonflikt handelt es sich um etwas Anderes. Sein Gegenstand sind ausgelaugte Quellen und überbeanspruchte Senken. Nicht fruchtbare Weidegründe locken zum Kampf, sondern marginale und erodierte Landschaften zwingen zur Ab- und Gegenwehr. Nicht frische und fischreiche Wassermassen führen zu einem Konkurrenzkampf um Reichtum und Wohlstand, sondern versiegende oder verschmutzte Quellen und Wasserläufe erhöhen den Druck. Bei den untersuchten Fällen wirken die ungleiche Verteilung einer Ressource, die Aussperrung vom Zugang zu einer solchen sowie deren Degradierung und Transformierung eng zusammen. Nicht die »common goods«, sondern die »common bads« sind der casus belli.
Die anthropogene Transformation der Umwelt spielt je nach Konflikt eine unterschiedliche Rolle. Im folgenden unterscheiden wir deren vier:
- Erstens. Die Umwelt kann eigentlicher Grund bzw. zeitlich weit zurückliegende Ursache für einen aktuellen Konflikt sein. Die Umweltzerstörung wirkt dann – ähnlich wie sozioökonomischer Wandel – über eine längere Zeit im Sinne einer Verschiebung und Verbiegung von Tiefenstrukturen, die die gesellschaftliche Reproduktion, vielleicht sogar unmerklich, dafür aber dauerhaft beeinflußt (Sahel-Problematik). Die Veränderungen der Umwelt stellen sich als totales, fast schicksalhaft wahrgenommenes Ereignis dar, das aus der Sicht der betroffenen Gruppen kaum aus eigenen Kräften heraus abzuwenden ist.
- Zweitens. Massive Degradationserscheinungen werden insbesondere dann zu einem unmittelbaren Auslöser bzw. zu einer zeitlich naheliegenden Ursache eines Konfliktes (Bougainville), wenn die Schäden von Dritten verursacht werden. Die Umweltprobleme werden in diesem Zusammenhang meist als sektorielles Ergebnis bestimmter Handlungen betrachtet, deren negative Folgen grundsätzlich durch politische und technische Maßnahmen rückgängig gemacht werden können.
Der Widerstand gegen die fremden Eingriffe in die eigene Umwelt ist dabei in sich widersprüchlich. Einerseits dreht er sich darum, die natürliche und kulturelle Umwelt gegen die Invasion der Moderne zu bewahren, andererseits darum, die drohende Marginalisierung durch die Teilnahme an Modernisierung und Entwicklung abzuwenden. Das kollektive Bewußtsein der Vernachlässigung durch das Zentrum bzw. die eigene Regierung motiviert Bestrebungen nach Autonomie oder gar Sezession. Auf den Ruf nach Selbstbestimmung reagiert das Zentrum mit dem Hochhalten der nationalen Souveränität und territorialen Integrität und mit der Anwendung militärischer Gewalt.
- Drittens. Von dritter Seite zugefügte Umweltschäden dienen als Instrument der Kanalisierung entlang sozialer oder ethnischer Identifikationsmuster. Nicht Trockenheit, Wasserknappheit oder Brennholzmangel als solche bewirken, daß ein Konflikt aus seinem latenten Stadium in eine heiße Phase eintritt. Zur Eskalation bis hin zum Überspringen der Gewaltschwelle ist das Verhalten der Konfliktparteien beim Umgang mit einer machtrelevanten Differenz von Handlungsalternativen entscheidend. Über die objektiv meßbare Degradation der Umweltgüter hinaus spielt somit ein subjektives Moment bei der »Wahl der Waffen« mit. Der Wahrnehmungsfilter verarbeitet allerdings Informationen aus zwei verschiedenen Richtungen: Einmal aus der Richtung der Umwelt und zum anderen aus der Richtung der gegnerischen Akteure. Beide Informationssysteme bestimmen die Präferenzordnung der Akteure und damit ihre Ziele und ihre Handlungen, die sie im Lichte ihrer Perzeptionen ausführen:
Wenn die Schwere der Naturzerstörung eine Bedrohungswahrnehmung hervorruft, die bei den Akteuren zur Ansicht führt, daß kein anderes Mittel als Gewalt hilft, einer ausweglos erscheinenden Lage zu entkommen, dann schlägt die Wahrnehmung der Ausweglosigkeit auf die Intensität des Konfliktes durch. Die Präferenzen und das darauf folgende Handeln sind wiederum abhängig vom sozioökonomischen, politischen und kulturellen Umfeld einerseits und vom Grad der Mobilisierungsmöglichkeiten andererseits (vgl. 2.3 und 2.4). Hinzu kommt, daß nur wenn die militärische Einschätzung der anderen Konfliktpartei korrekt ist, erwartet werden kann, der Rückgriff auf Gewalt möge zum gewünschten Ergebnis führen und nicht in einem Desaster enden.
Überdies tritt die ökologische Dimension als solche im Stadium des laufenden bewaffneten Konflikts vielerorts in den Hintergrund. Das heißt, ist ein Konflikt einmal bis auf die Ebene eines Krieges eskaliert, so wird er vordergründig kaum noch um die eigentlich zugrundeliegenden ökologischen Probleme geführt. In der heißen Konfliktphase greifen essentialistische Legitimationsmuster und Ziele, die als mobilisierungsfähiger eingestuft werden; dann geht es um Themen wie Unterdrückung und Gruppenidentität, um das Überleben, um Sein oder Nichtsein des Staates oder vielmehr der Nation, der Ethnie oder der religiösen Gemeinschaft etc. So versprechen sich die Akteure unter anderem von Forderungen nach Autonomie oder von der Sezession gleichzeitig eine Lösung der ökologischen Probleme. Ein »eigener« Staat, so die Annahme, werde mit den eigenen Ressourcen und der eigenen Umwelt nicht so verantwortungslos umgehen wie die »Fremden«. Krieg wird somit nicht direkt zur Behebung der ökologischen Probleme geführt, ebensowenig wie er allein der Bewahrung traditionaler Vergesellschaftungsformen oder dem Erhalt eines angemessenen Anteils an den erhofften Segnungen von Modernisierung und Entwicklung dient. Vielmehr steht er im Zeichen der nationalen Unabhängigkeit, die dann quasi automatisch zur Realisierung der ökologischen Zielsetzungen beitragen soll.
- Viertens. In politisierten Identitätskonflikten, aber auch in Auseinandersetzungen mit dem Zentrum wird die Umwelt jedoch auch zu einem Katalysator bzw. Verstärker. Dies geschieht dann, wenn eine marginalisierte Gruppe zum Ergebnis kommt, daß sie nur Koalitionspartner und internationales Gehör findet, wenn sie die ihnen zugefügten Umweltschäden zur Realisierung eines weiteren Ziels, zum Beispiel Unabhängigkeit von einer korrupten und nepotistischen Zentralregierung, für Solidarisierungszwecke einsetzen kann (Ogoni). Zwar liegt dieser Mobilisierungsstrategie eine deutlich wahrnehmbare und vielleicht sogar dramatische Umweltzerstörung zugrunde. Sie wird jedoch – anders als beim dritten Fall – als Faktor aus dem übrigen Kontext herausgegriffen und gezielt als Element der Mobilisierung, Identitätsbildung und Solidarisierung eingesetzt.
Für die Auslöser und Motive eines gewaltsamen Konfliktaustrags, dessen Ursachen auf die Umweltzerstörung zurückzuführen sind, können einzig und allein die sozialen Akteure verantwortlich gemacht werden. Es hängt von den sozialen, kulturellen und politischen Institutionen ab, ob ein umweltverursachter Konflikt eskaliert oder mediiert wird. Konfliktverschärfend kommt generell hinzu, daß sich heute und in Zukunft die Auswege der Vergangenheit verschließen, nämlich durch Landnahmen, ausgedehnte Rodungen, Eroberungskriege und gesteigerte Ausnutzung von Naturreserven etc., innergesellschaftliche Antagonismen zu kompensieren. Grund dafür ist das festgefügte Staatensystem mit seinen starren Grenzen sowie die regional hohe Siedlungsdichte in allen relativen Gunst- und teilweise auch bereits in den Ungunsträumen. Dieses Moment wirkt sich mithin als Mobilitäts- und letztlich Entwicklungsbarriere aus, so daß zum Beispiel degradierte Böden nicht spontan verlassen werden können, und wenn, dann um das Risiko, andernorts einen Konflikt mit Ansässigen zu provozieren.
4.Intensität von Umweltkonflikten
Wir unterscheiden zwischen den materiellen Ursachen eines Konfliktes und den Gründen für dessen Eskalation. Während die Umweltzerstörung eine Ursache für einen Konflikt darstellt und dabei, wie wir gesehen haben, verschiedene Rollen spielt, ist sie hinsichtlich der Konfliktintensität von mittelbarer Bedeutung. In Auseinandersetzungen zwischen Zentrum und Peripherie um »nationale Opfergebiete« sind größere kriegerische Ereignisse eher unwahrscheinlich. Das gilt insbesondere für die vorgestellten Bergbauvorhaben und Staudämme, in deren Umfeld es nur in Ausnahmefällen zu einer Eskalation kriegerischer Gewalt kommt (Bougainville und Chico). Vorherrschend ist Gewalt auf relativ niedrigem Niveau mit bisher nur wenigen Todesopfern. Vielfach handelt es sich um beinahe alltägliche endemische Gewalt von Gruppen Unzufriedener, die keine Organisiertheit und Zielgerichtetheit in Richtung der Herausbildung von »Kriegs-Parteien« mit klar definierten politischen Kriegszielen aufweist. Oft eskalieren Konflikte aufgrund von Sabotageakten, die dann eine Spirale der Gewalt ingangsetzen, wenn sich Strafaktionen von Regierungstruppen unterschiedslos gegen Dörfer und Siedlungen richten. Gleiches gilt auch für die Mehrzahl der Konflikte um Bergbauprojekte. Kommt es tatsächlich zu Gewaltkonflikten im Zusammenhang mit Großprojekten und damit einhergehenden ökologischen Degradationen, so verbleiben sie – wie gezeigt – meist unterhalb der Kriegsschwelle. Es kommt aufgrund der militärischen Überlegenheit des Zentrums vielerorts zu einer Verkapselung des Konfliktgeschehens innerhalb besonders sensitiver Gebiete.
Das aktuell größte Konfliktpotential liegt bei ethnopolitisierten Umweltkonflikten und bei regionalistischen bzw. demographischen Migrationskonflikten in Staaten mit schwach ausgeprägten Institutionen. Die Akteure sind ebenso zahlreich wie vielfältig: Minderheiten vs. Mehrheiten, Stämme oder Clans vs. Stämme oder Clans, Eingeborene vs. Immigranten, Siedler vs. Nomaden, Nomaden vs. Regierung, Subsistenzbauern vs. multinationale Konzerne und Zentralregierungen, Arbeitslose vs. sozial Abgesicherte, ländliche Schichten vs. die Zentralregierung und Nomenklatura etc. Die Vielfältigkeit der Akteursgruppen weist bereits darauf hin, daß selten zwei gut ausgerüstete Armeen mit Großwaffen gegeneinander stehen. Oft sehen sich mehr oder weniger motivierte Regierungstruppen mit leichtbewaffneten Gruppierungen konfrontiert. Trotzdem sollte die Bewaffnung letzterer nicht unterschätzt werden. Anders als in den relativ begrenzten und teilweise ritualisierten traditionellen Ressourcenkämpfen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen kommt es aufgrund der modernen Bewaffnung zu einer oft ungewollt heftigen Auseinandersetzung zwischen gegnerischen Gruppen (Sudan, Niger).
In einzelnen ethnopolitisierten Konflikten kumulieren Ressourcendegradation, konkurrierende Landnutzungsrechte, Bevölkerungswachstum, ethnosoziale Stratifizierung, Regionalismus und entwicklungspolitische Defizite zu einem unauflösbaren Problemsyndrom, aus welchem eine hohe Gewaltintensität mit all ihren Auswüchsen, angefangen von Kriegsverbrechen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis hin zum Genozid, hervorgeht (Rwanda).
Hingegen wird der umweltverursachte Konflikt in absehbarer Zukunft nicht ein »Weltkrieg«, gar der große Brand mit einem globalen Frontverlauf, sein. Auch werden klassische Kriege zwischen Staaten eher die Ausnahme bleiben. Ein Krieg zwischen den USA und China um die Erhaltung der Ozonschicht zum Beispiel wäre absurd. Die OECD-Welt, Osteuropa und Rußland werden nicht die Austragungsorte der Umweltkonflikte sein, obwohl die Gesellschaften in den drei Regionen alles andere als ein nachhaltiges Naturverhältnis und -verständnis aufweisen. Auch werden asymmetrische Verteilungskonflikte in Form von militanten grenzübergreifenden Wasserkonflikten aufgrund verstärkter Bemühungen um internationale Abkommen eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Die wachsenden Probleme bei der Versorgung von Bevölkerung und Landwirtschaft mit Frischwasser werden eher innerstaatliche Probleme sein und sich entweder mit Konflikten aufgrund von Marginalisierung oder mit Konflikten in nationalen Opfergebieten verbinden.
5. Drei generelle Muster umweltverursachter bewaffneter Konflikte
Welche Rolle spielt Ökologie als Ursache und Medium in aktuell und potentiell bewaffneten Konflikten? Wenn wir zum Schluß die Ergebnisse der vorhergehenden Abschnitte in einen größeren Rahmen stellen, so gilt es zunächst festzuhalten, daß die Umwelttransformation ein totales gesellschaftliches Ereignis darstellt, das sowohl die Mensch-Umwelt- als auch die sozialen Beziehungen kurz-, mittel- und langfristig beeinträchtigt. Allerdings vollziehen sich die laufenden Veränderungen der Umwelt für den menschlichen Beobachter verschieden schnell und einige gar so langsam, daß deshalb das System aus menschlicher Optik nicht als Prozeß, sondern als Zustand wahrgenommen wird. Eine Landschaft zum Beispiel verändert sich unter den natürlichen Bedingungen der Erosion eher langsam, aber rasend schnell verglichen mit der Veränderung der Struktur des Kosmos. Geologische, evolutionäre und biologische Metamorphosen haben verschiedene Rhythmen, und innerhalb dieser Kategorien gibt es nochmals große Geschwindigkeitsunterschiede. Es gibt keine objektiv vorgegebene Bezugsgeschwindigkeit für »natürliche« Veränderungen. Die geologischen Veränderungen zum Beispiel entziehen sich wegen ihrer langsamen Ablaufgeschwindigkeit der direktsinnlichen Wahrnehmung durch den Menschen. Andere Umweltveränderungen sind direktsinnlich nicht wahrzunehmen, weil sie von grundsätzlich neuer Art sind. Dazu gehören radioaktive Verstrahlungen wie nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, Vergiftungen durch hochgiftige Chemikalien wie Dioxin etc.
Die Bezugsgeschwindigkeit für den Beobachter ist deshalb immer durch den menschlichen Lebensrhythmus und den sozialen Bezug gegeben, das heißt, durch die je besondere Interessenlage der betroffenen Menschen. Erst die Auswirkungen auf den Menschen machen unbewertbare Umweltveränderungen zu Umweltschäden. Es gab und gibt keinen objektiven »Normalzustand« oder einen »Optimalzustand« der Natur, von dem her konfliktträchtige Abweichungen genau quantifiziert und beschrieben werden könnten. Veränderungen in der Natur vollziehen sich ohne erkennbares Ziel und ohne erkennbaren Sinn. Der Gedanke einer zielgerichteten bzw. geplanten Evolution läßt sich wissenschaftlich nicht nachweisen. In Ermangelung eines übergeordneten Referenzpunktes setzen Menschen ihre Überlebens- und Reproduktionsinteressen als Referenzpunkte und definieren von da aus im Rahmen ihrer jeweiligen Kultur gewisse Naturzustände oder Naturprozesse als nützlich, ertragreich, schön, und andere als nutzlos, zerstört/zerstörerisch, häßlich. Aus dieser eingeschränkt anthropozentrischen Sicht, die aus den jeweiligen Interessen und kulturspezifischen Wertsetzungen der beurteilenden Gruppe hervorgeht, lassen sich Umweltveränderungen dann als günstig oder ungünstig bewerten, bzw. sie erweisen sich, bezogen auf den Kontext von ENCOP, als akut konfliktträchtig oder nicht.
Dort, wo wir direktsinnlich oder mit Hilfe technischer Instrumente solche Umweltveränderungen erkennen und sie als gefährlich beurteilen, sprechen wir von Störfällen oder Umweltschäden. Da die ganze Kategorie der Umweltschäden (als Unterkategorie von Umweltveränderungen) eine strikte von der menschlichen Interessenlage abhängige Kategorienbildung ist, ist entsprechend auch jede Taxonomie konflikthafter Umweltveränderungen anthropozentrisch bestimmt. Dabei lassen sich die Schadenswirkungen auf Menschen drei unterschiedlichen Ursache-Wirkungsmustern zuschreiben: es sind natürliche Ereignisse mit ihren sozial katastrophalen Folgen einerseits sowie geplante Umweltveränderungen in nationalen und internationalen Opferzonen und ungeplante Umweltveränderungen, die auf die „Tragödie der Allmend“ zurückgeführt werden können, andererseits (vgl. Tabelle 2).
Das erste Muster ist die ungeplante, »natürliche« Umweltveränderung, wie sie sich in Naturkatastrophen kleineren und größeren Ausmaßes präsentiert, das heißt, in Erdbeben, Bergstürzen, Vulkanausbrüchen, Sturmfluten, Überschwemmungen, Sandstürmen, Dürreperioden, Heuschreckeninvasionen, Hagelschlägen. Diese Umweltveränderungen sind nicht auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen. Sie ereignen sich unabhängig von menschlicher Planungstätigkeit und Entscheidungen. Sie demonstrieren den ständigen Wandel der globalen Umwelt, den dynamischen Charakter des Planeten und besonders der Lebenswelt. Mit zunehmender Durchdringung der Erdoberfläche durch den Menschen und mit der zunehmenden Dichte des Netzes menschlicher Aktivitäten steigt die Wahrscheinlichkeit, daß »natürliche« Umweltveränderungen dieses Typus Rückwirkungen auf kleinere oder größere soziale Gruppen hervorrufen.
Wenn traditionale Überlebensstrategien und Überlebensmöglichkeiten unter dem Druck solcher Umweltveränderungen versagen, geraten geschädigte Gruppen unter den oben herausgearbeiteten Voraussetzungen (vgl. 1 bis 3) um die verbliebenen Ressourcen in Konflikt, der im bewaffneten Kampf um die Ressourcen oder um die Entscheidung, welche Gruppe abwandern muß, münden kann. Zudem ist bei einigen Fällen, zum Beispiel in der Sahelzone, oft nicht genau auszumachen, ob ein Konflikt unter das Muster 1 (Naturkatastrophe) oder Muster 3 (Allmend-Effekt) zu zählen ist, da sich natürliche Umweltveränderungen und die Vermehrung menschlicher Aktivitäten zu einem konfliktträchtigen Gemisch vereinen.
Das zweite Muster von Umweltveränderungen mit Konfliktpotential ist durch menschliches Planen und Handeln verursacht. Eine Regierung oder eine private Unternehmung entscheidet sich für die Ausbeutung einer in ihrem Zuständigkeitsbereich vorkommenden Ressource und nimmt in Kauf, daß die Interessen der lokalen Bevölkerung oder eine durch Fernwirkungen betroffene Nachbarbevölkerung unter dem Großprojekt leiden. Die Regierung bzw. die Unternehmung ist indessen bereit, Nachteile in dieser »Opferzone« im Austausch mit den Vorteilen, die der Staat bzw. die Unternehmung als Ganzes aus dem Projekt erzielen, zu akzeptieren. Probleme und Konflikte im Zusammenhang mit solchen Projekten tauchen vor allem bei großen Dammbauten, Wasserabzweigungen an Flüssen oder beim Abbau von Mineralien im Tagebau auf.
Ein Merkmal dieses Konfliktmusters ist, daß die zugrundeliegenden Umweltschäden aus einer klar definierbaren und ersichtlichen staatlichen – oder staatlich tolerierten – Handlung resultieren und bewußt in Kauf genommen werden. Es ist eine Konfliktsituation zwischen klar bestimmbaren Akteuren gegeben. Die Umweltschädigung kann von dem als »Opfer« betroffenen Akteur als eine Verletzung seiner traditionellen Lebensrechte verstanden und entsprechend beantwortet werden. Die zwischenstaatliche Variante dieses Konfliktmusters betrifft nicht-raumgebundene Ressourcen, zumeist die Verteilung von grenzüberschreitenden fließenden Gewässern. Diese Konflikte können bis hin zu ernsthaften internationalen Krisen eskalieren.
In seiner innerstaatlichen Variante stellt sich dieses Konfliktmuster als Modernisierungskonflikt dar und betrifft in der Regel das fruchtbare Land. Die örtliche Bevölkerung einer nationalen Opferregion, meist marginale ethnische Gruppen, die nicht an der Zentralmacht teilhaben oder/und kleine Produzenten für die Selbstversorgung, tragen die sozialen und ökologischen Hauptlasten von außen implantierter Großprojekte. Die Bewohner dieser Gegenden sind oft zum Wegziehen gezwungen (Staudammbau), gelegentlich werden sie im Rahmen der nationalen Planung als Arbeiter auf unterster Ebene angestellt (Eukalyptus in Thailand) oder sie verfolgen weiterhin ihre Subsistenzwirtschaft, nur diesmal in stark belasteten Regionen unter schweren Gesundheitsgefahren (Bougainville, Aralsee). In nationalen Opferregionen kommt es unweigerlich zu Konflikten, welche die Regierung entweder durch Management oder militärische Maßnahmen vom Zentrum fernzuhalten versucht, regional eindämmt und auf diese Weise unter Kontrolle zu bringen trachtet. Die »Ethnisierung« dieser Konflikte bietet sich oft als Strategie an. Meist wird sogar bestritten, daß der Konflikt eine ökologische Ursache hat.
Sowohl Konflikte in marginalisierten Regionen als auch in Opfergebieten beeinflussen generell nicht alle gesellschaftlichen Beziehungen im Staat. Vielmehr sollen die Konfliktherde möglichst in den betroffenen Regionen eingekapselt werden. Dadurch vertieft sich die strukturelle Heterogenität zwischen hoch-produktiven ländlichen Agrargebieten und effizienten urbanen Zentren einerseits sowie ökologisch empfindlichen ländlichen Gebieten und infrastrukturell schwachen Provinzzentren andererseits. Die trennende Linie zwischen den beiden Sektoren wird zur symbolischen Frontlinie des Konfliktverlaufs. Der Graben zwischen den modernen und traditionalen Sektoren wird weiter akzentuiert. Es entsteht ein Gefälle zwischen dem weltmarktorientierten modernen Sektor und dem lokal orientierten ländlichen Sektor.
Das dritte Muster von Umweltveränderungen mit Konfliktpotential ist von Garret Hardin schon 1970 in seinem mittlerweile klassisch gewordenen Aufsatz »The Tragedy of the Commons« als Tragödie der Allmend (dörflicher Gemeinschaftsbesitz an Wald und Weide) beschrieben worden. Gemeint sind damit die Auswirkungen von kleinen Einzelhandlungen, die individuell als (über-)lebensnotwendig oder wenigstens nicht unvernünftig gelten mögen, in ihrer Gesamtsumme aber zu einer schädlichen Umweltveränderung führen. Hardins klassisches Beispiel ist die Verwendung der Allmend als Viehweide einer Gemeinde. Ein Benutzer der Allmend, also eines kollektiv allen Gemeindemitgliedern gehörenden Weidegrundes, kommt mit der Ernährung seiner wachsenden Familie kaum zurecht und denkt, es sei weder auffällig noch schädlich, wenn er ein Haupt Vieh mehr weiden lasse, als ihm eigentlich zusteht. Andere – in vergleichbar engen Verhältnissen lebend – ziehen nach, bis die Allmend schließlich in jeder Hinsicht zu stark beansprucht wird und sie auch die ursprünglich vorgesehene und zugelassene Zahl von weidenden Tieren nicht mehr zu ernähren vermag. Entscheidend in dieser Kategorie von anthropogenen Umweltveränderungen ist die Tatsache, daß die umweltschädigende Handlung vom Handelnden selbst nicht als schädigend erkannt wird und aus seiner Perspektive in aller Unschuld als zweckrational und notwendig im Sinne einer individuellen Überlebensstrategie oder im Sinne einer Verbesserung der individuellen Lebensqualität betrachtet werden kann. Der einzelne Farmer auf Hardins Allmend handelt gleich wie der einzelne Kapitän eines Fischerkutters, der alle technischen Mittel einsetzt und noch den letzten Fischschwarm aufspürt, um nicht ohne Ladung umkehren zu müssen. Er handelt gleich zweckrational wie der Campesino im brasilianischen Amazonasgebiet, der ein Stück Urwald rodet, um seiner Familie für zwei oder drei Jahre das Überleben zu sichern. Erst das kumulative Resultat dieser minimalen – einzeln harmlosen – Rodungen macht ihre potentiell existenzbedrohende Wirkung aus, die z.B. im Falle des tropischen Regenwaldes im Verlust des wichtigsten Puffers gegen starke Klimaschwankungen besteht, was dann schließlich maßgebend zur Destabilisierung des Weltklimas beiträgt (Woodwell 1995:viii).
Zu den anthropogenen Umweltveränderungen in dieser Kategorie sind auch die minimalen Beiträge zu zählen, die jeder Benützer eines Automobils oder einer erdölbetriebenen Heizung bzw. jeder Konsument von Elektrizität, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen wurde, an die Erwärmung der Erdatmosphäre beisteuert. Jeder einzelne fühlt sich unschuldig, weil sein einzelner Beitrag so verschwindend – unmeßbar – klein ist. Und doch produziert die kumulative Wirkung dieser Einzelbeiträge Schäden bedrohlichen Ausmaßes.
Diese Phänomene sind heute unter dem Druck wachsender Beanspruchung z.B. bei der Belastung der Atmosphäre durch Schadstoffe, weltweit bei der Nutzung der Wälder, der Wasservorkommen, bei der Übernutzung der Fischbestände in den Weltmeeren und an vielen weiteren Orten, wo »Allgemeingut« genutzt oder als Senke verwendet wird, zu beobachten. Zu konkreten Konflikten haben solche Schadenswirkungen allerdings bisher erst in marginalen Ökologien geführt.
Die Allmend-Problematik äußert sich in unterentwickelten Ländern als Modernisierungskonflikt aufgrund von Bevölkerungswachstum und Marginalisierung breiter, vor allem ländlicher Bevölkerungsschichten. Konfliktgegenstand ist die Landschaft mit ihren Ressourcen Boden, Vegetation und Wasser im ökoregionalen Zusammenhang. Marginalisierung heißt Existenz am Rande des modernen Sektors, in ökologisch empfindlichen oder schwer degradierten Regionen. Effizientere Nutzungstechniken einerseits, wachsende Bevölkerungszahlen und steigende Ansprüche an die Natur andererseits können besonders in den marginalen Ökologien mit Subsistenzwirtschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika zur dramatischen Zuspitzung dieser Allmend-Phänomene und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen entlang ethnischer oder kultureller Gruppengrenzen führen.
Das Zusammenwirken dieser Faktoren erzeugt besonders in ländlichen Gegenden mit geringem landwirtschaftlichem Potential und in rasch wachsenden peri-urbanen Gebieten starke ökologische Degradation. So leben heute mehrere hundert Millionen der ärmsten Menschen in ländlichen Regionen und stadtnahen Gürteln, in denen die Abnahme der landwirtschaftlichen Produktivität, die Degradation der Bodenoberfläche und die Wasserknappheit eine elementare Beschränkung der Nahrungsmittelproduktion bewirken. Immer stärker konzentriert sich die überwiegende Mehrheit der weltweit Ärmsten in wenigen solchen Regionen. Die marginalisierten Gebiete mit struktureller und ökologischer Armut gehören somit zu den hochempfindlichen Krisen- und Konfliktgebieten. In Asien, Afrika und Lateinamerika leben heute mehr Menschen in degradierten als in hochproduktiven Regionen. Das bedeutet, daß Abwanderung und Flucht längst nicht für alle eine Alternative darstellen. Allerdings sind diejenigen, die erodierten Agrarverhältnissen entfliehen, der sichtbarste Ausdruck tiefgreifender Umschichtungsprozesse im gesellschaftlichen Naturverhältnis. Die transformierte Umwelt wird durch die Abwanderung tendenziell zum „Niemandsland“, während es zu einer räumlichen Verlagerung der Verteilungskonflikte in die als Siedlungs- und Handlungsräume genutzten und noch nutzbaren Ökoregionen kommt.
Die Konflikttypen, die von ENCOP in den Fallstudien analysiert und oben zusammenfassend dargestellt wurden (vgl. 1), lassen sich einem der drei Muster von Umweltveränderungen zuordnen (vgl. Tabelle 3). Doppelte Zuschreibungen sind dabei möglich und durch die Tatsache bedingt, daß gewisse Erscheinungen sowohl durch natürliche, nicht von Menschen beeinflußte, als auch durch anthropogene Ursachen bewirkt werden. Dürre zum Beispiel kann in der Tat eine Naturkatastrophe sein, wenn sie Ausdruck von natürlichen klimatischen Schwankungen ist. Sie kann aber auch Folge von anthropogenen Klimaveränderungen sein, die entweder lokal zum Beispiel durch weiträumige Abholzung oder global durch industrielle Emissionen verursacht sind. Vor diesem Hintergrund können Konflikte, die im Zusammenhang mit Dürre entstanden sind, auch unter den Typus der Allmend-Problematik subsummiert werden.
6. Ausblick
Der in der Erdgeschichte einmalige Überlebens- und Vermehrungserfolg einer einzelnen Lebensform innerhalb weniger tausend Jahre scheint zum größten Problem des homo sapiens zu werden. Der Mensch wird aufgrund seines zahlenmäßigen Vorkommens sowie durch die ständig wachsende Potenz seiner Instrumente, mit denen er die Erde, die Meere und die Atmosphäre verändert, zu einem immer bedeutenderen Faktor im Gefüge jener Prozesse, die die Randbedingungen des Lebens auf der Erde darstellen. Allein die weitere Zunahme der Teilnehmer am weltweiten Ausbeutungsprozeß der Natur läßt Grenzen der Tragfähigkeit dieses Planeten sichtbar werden. Der jährliche Zuwachs der Weltbevölkerung um 90 Millionen (ein Nettozuwachs von mehr als 10.000 Menschen in jeder Stunde) kann nicht mehr – wie während der vier bis sechs Millionen Jahre seines sensationellen Aufstiegs zum Kulturwesen – in leere Räume abfließen, da es solche nicht mehr gibt. Die biologischen Grundlagen des menschlichen Daseins sind seit kurzem der Erschöpfung nahe. Eine weitere Steigerung der Weltgetreideernte war zum Beispiel seit 1990 nicht mehr möglich (Brown 1996: 20). Selbst Trinkwasser, eine einst in scheinbar unerschöpflicher Fülle vorkommende Ressource, wird an immer mehr Orten knapp. Raum, Nahrung, Wasser und weitere knappe Güter werden damit vermehrt zu Konfliktgegenständen unter Gruppen, die um ihr Überleben, um die Erhaltung ihrer traditionellen Lebensformen oder die Anhebung ihres Lebensstandards kämpfen. Es ist für die Gegenwart von grundlegender Bedeutung und für die Zukunft überlebenswichtig, diese Konflikte in ihren proximaten, das heißt vordergründigen, und in ihren ultimaten, das heißt hintergründigen Ursachen, besser zu verstehen, um sie entschärfen, soweit wie möglich lösen oder wenigstens unter Vermeidung von Gewaltexzessen überstehen zu können.
Vor dem Hintergrund einer historischen Betrachtungsweise gilt es nochmals in Erinnerung zu rufen, daß Mangel grundsätzlich durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch eine elementare und allgegenwärtige Existenzbedingung war. Alle Menschen in allen Kulturen haben sich seit jeher auf ihre je eigene Weise unter Einsatz all ihrer sozialen und instrumentalen Möglichkeiten bemüht, diese Knappheiten zu überwinden (Cohen 1977). Wissenschaft, Technik und Industrie haben hierzu in den letzten zwei Jahrhunderten Möglichkeiten eröffnet, die es vorher in der Geschichte noch nie gegeben hatte. In den bevorzugten Gesellschaften der Ersten Welt trat Fülle und Reichtum an die Stelle der Knappheit. Leider ist nur wenigen der unter diesen Privilegien lebenden Zeitgenossen bewußt, daß die Fülle an Verbrauchsgütern, die in der Ersten Welt zur Verfügung steht, im historischen Vergleich eine extrem »unnatürliche« Ausnahmeerscheinung darstellt. Die Höhe des Niveaus westlichen Konsumverhaltens wird sich auf Dauer nicht halten lassen, wenn auf der Basis eines globalen Demokratieverständnisses, Stichwort »Chancengleichheit durch Entwicklung«, einer möglichst großen Zahl der heute lebenden annähernd sechs Milliarden Menschen eine schrittweise Erhöhung ihres Lebensstandards ermöglicht werden soll.
Der Druck auf die biophysische Basis wird durch das Anwachsen von drei Faktoren bestimmt: Bevölkerungswachstum, Konsumverhalten und technische Potenz (vgl. dazu 2.4), wobei letzter Begriff einerseits das Maß angeben soll, nach dem eine Menschengruppe in der Lage ist, in die Naturprozesse einzugreifen, andererseits ihre Fähigkeit, die Umwelt ressourcenschonend zu benutzen. Da die drei Faktoren interdependent funktionieren, kann Nachhaltigkeit nur erreicht werden, wenn es gelingt, das quantitative Wachstum des Produktes aus den drei Faktoren abzudämpfen. Für die Bevölkerungszahl und das Konsumverhalten ist die Forderung nach Beschränkung alt und unbestritten. Für den Bereich der technischen Potenz wird keine Abkehr von der Technik oder eine Rückkehr zu einem imaginären »Naturzustand« postuliert. Ein solcher Idealzustand existiert in einer Natur, die als Prozeß verstanden werden muß, nicht. Indessen ist eine Abkehr von quantitativ erheblichen, die Umwelt folgenreich verändernden Eingriffen zu fordern. Als Minimum muß eine sorgfältigste Abklärung der Nebenwirkungen und allfälligen Kollateralschäden vor dem Entscheid zum Werkbeginn gelten. Nachhaltigkeit setzt voraus, daß das Volumen aller – insbesondere auch der erneuerbaren – Ressourcen als endlich und begrenzt akzeptiert wird. In diesem Sinne ist der Übergang von einer auf quantitative Erfolgsmaximierung ausgerichteten Verwendung technischer Potenzen zu einem systemisch sorgfältig überprüften qualitativen Einsatz zu postulieren.
Unsere Analyse der kausalen Verknüpfungen von Umwelttransformationen und Gewaltkonflikten soll helfen, Wege zu einer erfolgreichen Früherkennung ökologischer Konflikte und zu einem erfolgreichen Konfliktmanagement in akuten Konfrontationen aufzuzeigen. Es ist aber offensichtlich, daß Konfliktmanagement allein nicht zum Erfolg führen kann und in den Dimensionen der bloßen Symptombekämpfung steckenbleibt, wenn nicht gleichzeitig öffentliche Aufklärungsarbeit über schonenden Technikeinsatz und nachhaltige Nutzung der Natur, über die notwendige Begrenzung des Konsums und über die Gefahren eines nicht umweltangepaßten Bevölkerungswachstums an der Reduktion des Druckes auf die biophysische Umwelt erfolgreich mitwirkt.
Das in Rio beschlossene Konzept der Nachhaltigkeit kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß es ökonomische und ökologische Gründe für das Scheitern von Modernisierungs- und Industrialisierungsstrategien in Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften gibt. Mit Nachhaltigkeit wird ein einheitlicher Zielhorizont von Entwicklung für alle suggeriert, der vor dem Hintergrund globaler Knappheiten und wachsender Bedürfnisse zum Trugbild wird. Ein um das Prinzip der Nachhaltigkeit qualitativ erweitertes Entwicklungskonzept macht keinen Sinn, solange zentrale Fragen nach der Entwicklung generell offen sind; so zum Beispiel: Wie müssen die Institutionen gestaltet sein, um Umweltkonflikte in stark heterogenen und multiethnischen Gesellschaften einzugrenzen und zivil zu lösen? Wie lassen sich notwendige Spielräume für nachhaltige Ressourcennutzung unter den Bedingungen der Armut öffnen? Friert das Postulat der Nachhaltigkeit nicht sogar bestehende Ungleichzeitigkeiten, das heißt als Ungerechtigkeiten wahrgenommene Entwicklungsunterschiede ein? Wo bleibt der Brundtlandsche Generationenvertrag, wenn beispielsweise die Realerbteilung bewirkt, daß Subsistenzgüter innerhalb der nächsten zwei Generationen auf Kleinstparzellen schrumpfen und damit nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern die landwirtschaftliche Produktion grundsätzlich infrage gestellt wird? Und schließlich: wie kann nachhaltige Entwicklung induziert werden, wenn durch die innerstaatlichen bewaffneten Konflikte in mehr als einem Viertel der Staaten der Welt bzw. in rund der Hälfte der am wenigsten entwickelten Länder bereits die Frage nach dem Sinn jeglicher Entwicklungspolitik gestellt ist?
Damit werfen wir zum Schluß mehr Fragen auf als wir beantworten können. Aber auch Fragen geben eine Richtung an, in der weitergedacht werden kann und soll. Mit der Tatsache konfrontiert, daß vielerorts zur gleichen Zeit ähnliche Konflikte mit vergleichbaren Ursachen, Akteuren und Zielsetzungen vorkommen, stellt sich die Frage, ob diese einzelnen Umweltkonflikte – die wir oben als Spitze eines Eisbergs bezeichnet haben – Vorboten eines größeren Umbruchprozesses sind, der insbesondere die Agrarstrukturen der Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften erfaßt hat. Wenn dem so ist, dann gibt es für diese Erscheinung und ihren weiteren Verlauf zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder sind die Umweltkonflikte im Kern Rückzugsgefechte einer zunehmend marginalisierten Landbevölkerung im Süden, die sich ob der Kapitulation vor der Moderne und der umweltbedingten Auflösung ihrer Lebensordnungen in eine ausweglose Lage manövriert sieht. Oder aber sie sind Vorhutgefechte einer kommenden Konfliktformation, die zu einer nachhaltigen Änderung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse durch eine grundlegende Neubewertung und Neubelebung der ländlichen Strukturen führen werden.
Tabelle 1
Taxonomie von Umweltveränderungen, die zu Konflikten führen können, ausgehend von den
Konfliktebenen |
|
Konfliktebene |
Kontrahenten |
|
A: |
Innerstaatlich |
(ethnische) Gruppe vs. (ethnische) Gruppe |
Regierung vs. (ethnische) Gruppe / Regierung vs.
Migranten / Flüchtlinge |
B: |
Innerstaatlich mit zwischenstaatlichen Aspekten
/ internationalisiert |
Regierung vs. immigrierte Gruppen aus anderen
Staaten |
|
C: |
Zwischenstaatlich / international |
Regierung vs. Regierung |
Regierung vs. IOs / INGOs |
Tabelle 2
Taxonomie von Umweltveränderungen, die zu Konflikten führen können, ausgehend von den
Verursachern der Umweltveränderungen |
|
1: Natürliches Ereignis /Naturkatastrophe |
2: Nationale oder internationale Opferzone |
3: Allmend-Effekt |
Typus |
Ungeplante, „natürliche“
Umweltveränderung |
Geplante / erwünschte bzw. akzeptierte
Umweltveränderung |
Ungeplante / unerwünschte Umweltveränderung |
Ursache |
Von Menschen unabhängige Instanz |
Handlungen eines einzelnen (oder weniger) klar
erkennbarer sozialer Akteure |
Kumulative Wirkung zahlreicher u. einzeln kaum
faßbarer menschlicher Handlungen |
Vorkommen |
Überschwemmungen, Trockenheit, Erdbeben, Stürme,
Vulkanausbrüche etc.) |
Dammbauten, Flußwasserableitungen, Kanalbauten,
Abholzung, Mineralabbau, Ölgewinnung |
Abholzen, Abweiden, Allmendnutzung, Abfallbeseitigung
durch Verdünnung in Wasser, Luft und Boden |
Folgen |
Kann zu Konflikten zwischen Gruppen von Betroffenen
führen, die überleben und den Schaden je für sich begrenzen wollen |
Kann zu Konflikten zwischen den Verursachern und den
Betroffenen der Umweltveränderung in einer „Opferzone“ führen |
Kann zu Konflikten zwischen Gruppen, die um ihr
Überleben kämpfen und Gruppen, die Schaden begrenzen wollen, führen |
Tabelle 3
Zuordnung der ENCOP-Fallstudien zu den drei grundlegenden Mustern von konfliktträchtigen
Umweltveränderungen |
Naturkatastrophen |
Nationale und
internationale Opferzonen |
Allmend- Effekte |
Dürre |
Flut |
Bergbau/ Ölförderung (lokale
Auswirkungen) |
Lokale Auswirkungen
v. Großprojek-
ten (Dammbau, Bewässerung, Abholzung) |
Fern-
wirkungen von Flußaufstau- ungen/- umleitungen |
Übernutzung von Gemein-
schafts-
gütern und Bevöl-
kerungs- druck |
Sudan |
Bangladesch |
Bougainville |
Indien (Narmada) |
Jordan- Becken |
Ruanda |
Süd-Algerien |
|
Papua- Neuguinea |
Philippinen |
Ganges- Becken |
Sudan |
Mali |
|
Irian Jaya (Indonesien) |
China |
Mekong- Becken |
Senegal |
Niger |
|
Neukaledo- nien |
Chile (Bio-Bio) |
Aralsee- Becken |
Algerien |
Nigeria |
|
Philippinen |
Brasilien |
Gabcikovo (Donau) |
Kenia |
Senegal |
|
Nigeria |
Nigeria |
Colorado/ Rio Grande |
Namibia |
Mauretanien |
|
|
Botswana (Okavango) |
Tschadsee (Nigeria) |
Brasilien |
|
|
|
Usbekistan |
|
China |
|
|
|
Turkme- nistan |
|
Indonesien |
|
|
|
Kasachstan |
|
Bangla- desch |