Militärs an die Ökofront?

Militärs an die Ökofront?

Umweltpolizist USA

von Jürgen Scheffran

Nur wenige Wochen vor dem Klimagipfel in Kyoto trat US-Präsident Bill Clinton mit einer Erklärung vor die internationale Öffentlichkeit, die das Klimaregime ernsthaft gefährdete. Am 23. Oktober 1997 kündigte er an, die USA würden ihre klimaschädigenden Treibhausgasemissionen erst zwischen 2008 und 2012 auf das Niveau von 1990 zurückfahren (Frankfurter Rundschau 24.10.97). Kurz zuvor hatte das Energieministerium bekanntgegeben, daß der Ausstoß von Treibhausgasen in den USA 1996 um 3,4 % zugenommen habe, der höchste Zuwachs seit Jahren (FR 21.10. 97). Als größter CO2-Emittent der Welt, der rund ein Viertel aller Treibhausgase produziert, geben die USA ein schlechtes Vorbild für alle jene, die den auf Energieverschwendung gegründeten American Way of Life kopieren wollen. Dazu paßt auch, daß Clinton nur eine Woche später, anläßlich des Besuchs des chinesischen Ministerpräsidenten Jiang Zemin, den Export von Kernenergietechnologie der USA nach China als Beitrag der USA zum Klimaschutz ausgab. Angesichts einer wachstumsorientierten Politik, die zukünftigen Generationen globale Erwärmung und radioaktiven Abfall beschert, rückt das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in der Energiepolitik in weite Ferne.

Offensichtlich läßt sich die Führungselite der USA von den Szenarien einer Klimakatastrophe und anderen in der Zukunft liegenden Umweltgefahren nicht dazu bewegen, schon heute den dringend erforderlichen ökologischen Umbau der Volkswirtschaft zu forcieren und dazu den Konflikt mit mächtigen Interessengruppen zu riskieren. Lobbyisten warnen, eine deutliche Emissionssenkung sei eine Katastrophe für die amerikanische Wirtschaft (Greenpeace Magazin 1997). Ökonomen rechnen aus, es sei für die USA billiger, die globale Erwärmung »auszuschwitzen«, als sie zu verhindern.1 Wenn sie denn kommen sollte, wird auf Feuerwehr, Polizei und Militär vertraut. Deren Aufgabe: Helfen, Retten, Bergen, Schützen, Strafen.

Umweltbedrohung als militärische Aufgabe

Es ist daher nicht verwunderlich, daß sich in der Umwelt- und Klimadebatte seit einigen Jahren eine Institution zu Wort meldet, die auf die Abwehr von Bedrohungen trainiert ist: das Militär. Seit Ende des Kalten Krieges auf der Suche nach neuen Bedrohungen zur Rechtfertigung seiner Existenz hat das Verteidigungsministerium (DoD: Department of Defense) der USA begonnen, die Umweltzerstörung und daraus folgende Konflikte für eigene Ziele zu instrumentalisieren. Angeknüpft wird an das in der Umwelt- und Friedensforschung diskutierte Konzept der ökologischen Sicherheit, mit dem der bislang militärisch dominierte Sicherheitsbegriff um die Umweltdimension erweitert werden sollte (Brock 1994 und Daase 1993). Hinzu kommt die Forschung über Umweltkonflikte, bei denen Umweltzerstörung ein wesentlicher konfliktauslösender oder -verschärfender Faktor ist (Bächler u.a. 1996). Einer ihrer entschiedensten Vordenker und Verfechter in Nordamerika, Thomas Homer-Dixon von der Universität Toronto, hat in der Clinton-Administration Gehör gefunden.

Aus militärischer Perspektive steht jedoch weniger das Anliegen im Vordergrund, Umweltzerstörung und -konflikten vorzubeugen (etwa durch nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung), als vielmehr dort einzugreifen, wo es bereits brennt. Auf der Suche nach neuen Aufgaben bietet sich das Militär selbst zur Lösung von ökologischen Krisen und deren Folgen an, als Garant der erweiterten Sicherheit. Wurde unter dem Schlagwort der ökonomischen Sicherheit die Sicherung des Zugangs zu strategischen Ressourcen und Rohstoffen forciert, betrifft ökologische Sicherheit nun die militärische Sicherung der ökologischen Qualität und des Zugangs zu erneuerbaren natürlichen Ressourcen.

Demnach wird Umweltdegradation in der US-Regierung vorwiegend als Bedrohung von Sicherheitsinteressen interpretiert. So sagte US-Senator Sam Nunn bereits im Juni 1990 in einer Rede vor dem Senat, daß „in einem sehr realen Sinne ökologische Zerstörungen die Sicherheit unserer Nation und die Sicherheit der Welt bedrohen.“ In seinem 1991 erschienenen Buch »Beyond the Soviet Threat« läßt sich der Autor James Motley gar zu der Prognose hinreißen: „Während der neunziger Jahre wird die Umwelt zu einem Hauptthema US-amerikanischer nationaler Sicherheit werden. (…) Umweltfragen werden zusehends politischeren Charakter bekommen, weil sie mit dem nationalen Überleben verbunden sind (…) [Die Umweltfrage] stellt Nation gegen Nation, und zwar aus dem grundlegendsten aller Gründe: Der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse.“ (Bächler u.a. 1993: 80f)

Das Sicherheitsproblem für die USA besteht in der neuen Ära nicht mehr in der Existenz eines scheinbar übermächtigen und allgegenwärtigen Feindes, sondern darin, daß in dem diffusen Gefahrenspektrum der Zukunft ein konkreter Feind, gegen den vorgegangen werden könnte, nicht mehr auszumachen ist. „Die tatsächliche Bedrohung ist das Unbekannte, das Ungewisse.“ (Colin S. Powell) Zu den Umweltbedrohungen der Sicherheit gehört die potentielle Beeinträchtigung der Verfügbarkeit „vitaler Ressourcen“, auf die die USA weiterhin Zugriff haben wollen. Desweiteren können umweltinduzierte gewalttätige Konflikte die Stabilität in Regionen untergraben, die zum Interessenbereich der USA gehören. Schließlich wird befürchtet, daß Flüchtlinge und Migranten aus ökologisch zerstörten Regionen der Dritten Welt versuchen könnten, unerlaubt in die USA einzuwandern (Bächler 1993: 81).

Gegen die neue Unübersichtlichkeit der weltpolitischen Lage und damit verbundene unkalkulierbare Sicherheitsrisiken wird eine breite Palette militärischer Vorsorgemaßnahmen für die Bewältigung verschiedener Eventualfälle bereit gehalten. Das Spektrum möglicher Antworten auf die neuen Bedrohungen, die vorwiegend im Süden geortet werden, reicht von humanitärer Hilfe für Katastrophenopfer und Flüchtlinge über Grenzbefestigungen bis zu neuen Rüstungsprogrammen, speziellen Einsatztruppen und Militärinterventionen.

Wie weit Ressourcen aus dem militärischen Bereich für die Nutzung im zivilen Umwelt- und Katastrophenschutz konvertiert werden könnten, wurde in einer UNO-Studie aus dem Jahr 1991 untersucht (Disarment Study 1993). Unabhängig davon, wie sinnvoll die Einsatzmöglichkeiten sind, scheint das Militär wenig geneigt, die Verfügbarkeit seiner Ressourcen an zivile Stellen abzutreten. Die neuen Aufgaben möchte es lieber selbst übernehmen.

Institutionalisierung von Umweltsicherheit

Zunächst stand in den USA die Nutzung militärischer Ressourcen für den Umweltschutz im Vordergrund der Diskussion. So schlug Sam Nunn in seiner Rede 1990 vor, „einige der Ressourcen des Verteidigungsestablishments zu nutzen, … um den massiven Umweltproblemen zu begegnen, denen unsere Nation und die Welt heute ausgesetzt sind.“ Um dies zu erreichen, wurde eine konzertierte Aktion mehrerer Regierungsinstitutionen ins Leben gerufen, das Strategic Environmental Research and Development Program, mit dessen Etablierung ein Rat für verteidigungsorientierte Umweltforschung beauftragt wurde. In die gleiche Richtung ging die vom damaligen Senator Al Gore 1991 vorgeschlagene Environmental Task Force, die Daten von Satelliten und anderen Aufklärungsmitteln der Geheimdienste der Umweltforschung zur Verfügung stellen sollte.2

Der Durchbruch für das Konzept der Umweltsicherheit kam im Jahr 1996. Die Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA durch globale Probleme durchzieht die im Januar 1996 vorgestellte nationale Sicherheitsstrategie der USA. Darin heißt es: „Amerikas Sicherheitsgebote haben sich fundamental verändert. (…) Die Gefahren, denen wir heute entgegensehen sind vielfältiger (…). Eine Reihe transnationaler Probleme, die einst weit entfernt schienen wie Umweltdegradation, Erschöpfung natürlicher Ressourcen, rapides Bevölkerungswachstum und Flüchtlingsströme, stellen nun Bedrohungen unseres Wohlstands dar und haben Implikationen sowohl für die gegenwärtige wie auch die langfristige amerikanische Sicherheitspolitik.“ (S.1)

Im einzelnen heißt es: „Der wachsende Wettbewerb um schwindende Reserven an nichtkontaminierter Luft, fruchtbarem Land, Fischbeständen und anderen Nahrungsquellen sowie Wasser, die einstmals als »freie« Güter galten, ist bereits ein sehr reales Risiko für die regionale Stabilität rund um die Welt. Die Spannweite der Umweltrisiken, die die internationale Stabilität ernsthaft beeinträchtigen, erstreckt sich auch auf die massenhafte Flucht der Bevölkerung vor menschgemachten oder natürlichen Katastrophen wie der ostafrikanischen Dürre oder Tschernobyl und auf die tiefgreifende Schädigung von Ökosystemen durch Industrieverschmutzung, Entwaldung, den Verlust der Biodiversität, den Ozonabbau, die Wüstenbildung, die Verschmutzung der Ozeane und, letztlich, auf Klimaveränderungen. Strategien zur Bewältigung von Umweltproblemen dieser Größenordnung werden Partnerschaften zwischen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen notwendig machen, die Kooperation zwischen Nationen.“ Auch die Streitkräfte könnten hierzu einen Beitrag leisten, indem sie „Nahrung, Schutz, medizinische Versorgung und Sicherheit all jenen in Not“ zukommen ließen, besonders den „Opfern von Überschwemmungen, Stürmen, Düren und anderen humanitären Katastrophen“ (S. 17). Von besonderer Bedeutung seien die technischen Aufklärungskapazitäten, die rasche Information über Katastrophen übermitteln könnten.

Zur Duchsetzung der neuen Sicherheitsstrategie schlug der damalige US-Verteidigungsminister William Perry im Mai 1996 das Pentagon-Konzept der »präventiven Verteidigung« vor: „Präventive Verteidigung kann als analog zur präventiven Medizin gedacht werden. Präventive Medizin schafft die Bedingungen, die die Gesundheit unterstützen, Krankheiten unwahrscheinlicher und chirurgische Eingriffe unnötig machen. Präventive Verteidigung schafft die Bedingungen, die den Frieden unterstützen, Krieg unwahrscheinlicher machen und Abschreckung unnötig.“ Als Vorbild in punkto Umweltschutz preist Medizinmann Perry das eigene Militär: „In allen Bereichen der Welt teilen die amerikanischen Streitkräfte den Reichtum ihrer Umwelterfahrung mit den Militärs anderer Länder und zeigen ihnen beispielhaft und anschaulich, wie Luft, Land und Wasser in ihren Ländern geschützt und erhalten werden können.“

Wie ernst die Clinton-Administration die Abwehr der Umweltbedrohung nimmt, zeigt sich an der Etablierung einer Unterabteilung für Umweltsicherheit im Verteidigungsministerium. Deren Vorsitzende Sherri Wasserman Goodman beschrieb in einer Konferenz zu Umweltsicherheit an der National Defense University am 8. August 1996 den Zusammenhang zwischen Knappheit natürlicher Ressourcen und Konflikten wie folgt: „Die Umweltknappheit kann mit politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren so zusammenwirken, daß Instabilität und Konflikt die Folge sind.“

Als Elemente der Umweltsicherheit sieht Gary Vest, Mitarbeiter in der Abteilung für Umweltsicherheit, sechs Aufgaben:

  • umweltverantwortliches Handeln durch militärische Einheiten sicherzustellen, wo auch immer sie seien;
  • angemessenen Zugang zu Land, Luft und Wasser sicherzustellen, um einen Verteidigungsauftrag durchführen zu können;
  • die Kriegführungsausrüstung des DoD zu schützen, (Menschen, Ausrüstung und Anlagen);
  • zu verstehen, wann die Umweltbedingungen zur Instabilität beitragen und wie die Umwelt in den Zusammenhang von Krieg und Frieden hineinpaßt;
  • verteidigungsbezogenene Belange in die Entwicklung nationaler Sicherheit einzubringen;
  • zu untersuchen, wie Verteidigungskomponenten als Instrumente der globalen US-Umweltpolitik dienen können.“ (Zitiert nach Ruff 1997: 83)

Dem DoD wird eine internationale Führerschaft in Fragen des Umweltschutzes zugebilligt, u.a. durch eine Reihe von Kooperationsprojekten. Genannt werden etwa die Implementierung des Montrealer Protokolls, Umweltteams in früheren Staaten des Warschauer Vertrags, eine »Kriegsspiel-Übung« zu den Kosten der Beseitigung von Rüstungsaltlasten in Rußland, eine trilaterale Umweltinitiative mit Kanada und Australien, eine Ostsee-Initiative, ein militärisches Umwelthandbuch sowie verschiedene NATO-Pilotprojekte zu Umweltfragen.

In entsprechender Weise haben sich auch andere Ministerien der Clinton-Administration zum Thema Umweltsicherheit geäußert oder eigene Initiativen zur Abwehr der Umweltbedohung in die Wege geleitet (eine Darstellung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen; siehe die Dokumente auf der CES Homepage). Um die verschiedenen Anstrengungen zu koordinieren, wurde am 3. Juli 1996 ein »Memorandum of Understanding Concerning Cooperation in Environmental Security« zwischen der Umweltbehörde (Environmental Protection Agency), dem Energieministerium und dem DoD unterzeichnet. Ziel des Memorandums ist die Einrichtung eines breiten Kooperationsrahmens, der auch Verteidigungsaktivitäten und deren Energieversorgung und Abfallbeseitigung umfaßt. Ein zentrale Bedeutung wird Wissenschaft und Technik zugewiesen.

NATO: der größte Umweltschützer der Welt?

Die Beschäftigung mit Umweltproblemen hat auch in der NATO eine lange Tradition. Schon 1969 wurde der NATO-Umweltausschuß (CCMS: Committee on the Challenge of Modern Society) gegründet, in dessen Rahmen ein runder Tisch zu Umweltfragen eingerichtet wurde. In einem Bericht »Das Atlantische Bündnis und die Umweltkrise« aus dem Jahr 1971 heißt es vorausschauend, daß die Umweltkrise „sich letzten Endes als genauso ernst erweisen mag wie die Frage von Krieg und Frieden.'' (Krusewitz 1985: 39, 20 und Bächler 1993: Kap.4.3)

Bislang wurden zahlreiche CCMS-Studien zu den unterschiedlichsten Bereichen des Umweltschutzes durchgeführt. Eine Liste von Pilotstudien des CCMS vom Juni 1996 umfaßt 34 umweltbezogene Themen, von denen aber nur vier als verteidigungsrelevant angesehen werden. Letztere befassen sich vor allem mit grenzüberschreitenden Umweltproblemen durch Militäreinrichtungen und dem Schutz der Zivilbevölkerung vor militärischen Giftstoffen. Daneben wurden und werden eine Reihe von NATO-Forschungsworkshops veranstaltet. Allein für die Monate September bis November 1997 werden im Bereich Umweltsicherheit sechs Workshops nur für Osteuropa aufgelistet, die sich mit Themen befassen wie Biomarker, nachhaltige Bodennutzung, Verschmutzung des Schwarzen Meeres, Risiken radioaktiver Strahlung oder Kontamination militärischer Basen.

In einem von der Berliner Forschungsgruppe Ecologic (Gesellschaft für Internationale und Europäische Umweltforschung) erarbeiteten Zwischenbericht zur NATO/CCMS-Pilotstudie »Umwelt und Sicherheit im internationalen Kontext« werden zwei fundamentale Verbindungen von Umwelt und Sicherheit identifiziert (Carius 1996). Dabei geht es um Probleme der „Umweltdegradation (einschließlich Naturkatastrophen) und der Ressourcenerschöpfung oder -knappheit als Folge militärischer Aktivitäten in Zeiten des Friedens und des Krieges auf der einen Seite und als direkte oder indirekte Quelle von Konflikten auf der anderen Seite.“ (S.56) Ziel der Untersuchung sei es, eine Liste der Umweltprobleme zu bekommen, die zu Sicherheitsbedrohungen werden könnten. Diese seien auch unter dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung bevorzugt anzugehen: „Sicherheit im militärischen Sinne zu erreichen, ist eine Hauptbedingung für den Erfolg jeder Strategie, die auf die Erreichung von Nachhaltigkeit zielt. Dies liegt daran, daß gewalttätige Konflikte und die daraus folgende Zerstörung den Bemühungen um die Realisierung nachhaltiger Entwicklung notwendig widerspricht. Somit ist die Bewältigung von Umweltproblemen, die gewalttätige Konflikte verursachen oder dazu beitragen, selbst schon ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Umgekehrt kann nachhaltige Entwicklung als wesentliche Voraussetzung für Sicherheit angesehen werden, und ihre Realisierung wird die Umweltbedrohungen der Sicherheit vermindern.“(S.57)

Das Für und Wider ökologischer Sicherheit wurde bei einem von Ecologic gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium am 3.und 4. Juli 1997 in Berlin veranstalteten Workshop diskutiert, an dem auch Vertreter mehrerer Regierungsbehörden teilnahmen. Während einige Teilnehmer einen direkten Zusammenhang zwischen Umwelt und Sicherheit in Frage stellten oder eine Einflußnahme des Militärs kritisierten, hielten andere das militärische Eingreifen in Umweltkatastrophen und -konflikten für erforderlich (Sprenger 1997). Besonders offensiv trat Major Volker Quante vom Generalstab der Bundeswehr auf, der unbeeindruckt von der vorgetragenen Kritik die Frage stellte, welche andere Institution als die NATO besser für die Bewältigung zukünftiger Umweltprobleme gerüstet sei.

Bewertung

Zweifellos bestehen Zusammenhänge zwischen Umwelt- und Sicherheitspolitik.3 Daß Umweltzerstörung ein wesentlicher Konfliktfaktor sein kann, kann nicht allein deswegen bestritten werden, weil Militärs es ausnutzen könnten. Es läßt sich auch wenig dagegen einwenden, Militär und Rüstung umweltverträglicher zu machen oder Ressourcen aus dem militärischen Bereich für die Nutzung im zivilen Umweltsektor zu konvertieren, sofern dies unter Kosten-Nutzen-Aspekten sinnvoll ist. Aus ökologischen Gesichtspunkten jedoch eine Rechtfertigung des militärischen Auftrags abzuleiten bedeutet, den »Bock zum Gärtner« zu machen (Vogt 1992).

Die Aufgaben und Instrumente in der Umwelt- und Sicherheitspolitik sind grundverschieden. Daß militärische Streitkräfte und Rüstung eine inhärente Zerstörungsfähigkeit besitzen, weiß jedes Kind. Eine auf Erhaltung, Bewahrung und Vorsorge gerichtete Umweltpolitik ist damit nicht zu erreichen. Militär, Rüstung und Krieg binden und verbrauchen in erheblichem Maße natürliche Ressourcen, sie belasten und zerstören die natürliche und soziale Umwelt in nicht-nachhaltiger Weise (Krusewitz 1985). Auch für die Lösung von Umweltkonflikten ist das Militär wenig geeignet; eher besteht die Gefahr, daß sich die militärisch Stärksten den Zugriff auf die von ihnen beanspruchten Naturressourcen sichern, auf Kosten Schwächerer. Fatal wäre es, wenn mögliche vorbeugende Umweltschutzmaßnahmen im Vertrauen auf militärische Umweltsicherheit unterlassen oder zugunsten militärischer Interessen geopfert würden.

Leider gibt es dafür Anzeichen. So berichtete das Militärblatt »Defense News« im Oktober 1997, vor Clintons eingangs erwähnter Rede, für Vertreter des Verteidigungsestablishments stelle eine umfassendere Klimakonvention eine „ernste Bedrohung der militärischen Trainings- und Kampfbereitschaft“ dar. Die für Umweltsicherheit zuständige Sherri Goodman wird zitiert mit einem Memorandum, demzufolge das Verteidigungsministerium für 73 Prozent des Energieverbrauchs der US-Regierung verantwortlich sei und bereits eine Reduzierung der Emissionen von militärischen Einsätzen um 10 Prozent „inakzeptable Auswirkungen für die nationale Sicherheit habe“. Eine solche Reduzierung würde dazu führen, daß die Armee ihr Panzertraining im Jahr um 328.000 Meilen verringern müßte, der Navy 2.000 Einsatztage weniger zur Verfügung stünden und die Luftwaffe auf 210.000 Flugstunden verzichten müßte (Holzer 1997).

Ganz abgesehen davon, daß eine durch eine Klimakonvention beförderte Abrüstung nicht negativ sein muß, entlarven diese Aussagen das neue Umweltbewußtsein des Pentagon eher als Tarnkappe denn als ernsthaftes Konzept. Wie sonst soll es vereinbar sein, daß eine Abteilung, die zur Abwehr von Umweltbedrohungen gegründet wurde, Abkommen zur Verminderung dieser Bedrohung wiederum als Bedrohung auffaßt? Was von der Umweltrhetorik letztlich übrig bleibt, ist die Erkenntnis, daß das Militär in erster Linie seine eigenen Interessen verfolgt und nicht die des Umweltschutzes. Militär, Rüstung und Krieg sind dann vor allem eins: Verursacher von Umweltzerstörung.

Literatur

Bächler, G / V. Böge / S. Klötzli / S. Libiszewski / K.R. Spillmann (1996): Kriegsursache Umweltzerstörung – Ökologische Konflikte in der Dritten Welt und Wege ihrer friedlichen Bearbeitung, Band 1, Zürich: Verlag Rüegger.

Bächler, G. / V. Böge / S. Klötzli / S. Libiszewski (1993): Umweltzerstörung: Krieg oder Kooperation?, Münster: agenda Verlag.

Brock, Lothar (1994): Friedensforschung im Zeichen immer neuer Kriege, AFB-Texte 1/94 (auch in: Frankfurter Rundschau, 09.05. 95).

Carius, A. / M. Kemper / S. Oberthür / D. Sprinz (1996): Environment and Security in an International Context, NATO/CCMS Pilot Study, Interim Report, October, in: Environmental Change and Security Project Report, Issue 3, Spring 1997, S. 65-65.

Daase, C. (1993): Ökologische Sicherheit: Konzept oder Leerformel?, in: B. Meyer, C. Wellmann, (Red.) Umweltzerstörung: Kriegsfolge und Kriegsursache.

Disarmament Study (1993): Potential Uses of Military-Related Resources for Protection of the Environment, New York: UN Office for Disarmament Affairs, 1991, abgedruckt in: Disarmament Study Series No.25, 1993.

Greenpeace-Magazin (1997): Sam likes it hot – Warum die USA Weltmeister im Energieverschwenden sind, November-Dezember.

Holzer, R. (1997): Pollution Treaty Poses Threat to U.S. Military, Defense News, Oct. 13-19.

Krusewitz, K. (1985): Umweltkrieg. Militär, Ökologie und Gesellschaft, Königstein/Ts..

Ruff, N. / R. Chamberlain / A. Cousteau (1997): Report on Applying Military and Security Assets to Environmental Problems, in: Environmental Change and Security Report, No.3, Spring 1997, S.82-95.

Scheffran, Jürgen (1992): Panzer gegen die ökologische Krise?, Spektrum der Wissenschaft, Nr.10, S. 128-132.

Sprenger, U. (1997): Gepanzert für die Öko-Schlacht?, Frankfurter Rundschau, 8.7.97.

Vogt, W. (1992): Militär und Umwelt(schutz) oder »Wenn der Bock sich als Gärtner aufspielt«, in: Meyer/Wellmann, S. 150-173.

Anmerkungen

1) So William Nordhaus, der mit Hilfe eines Modells schon die Bush-Administration überzeugen konnte, daß die Vermeidung des Klimawandels teurer sei als der nachträgliche Schutz vor den Folgen. Siehe W.D. Nordhaus, A Scetch of the Economics of the Greenhouse Effect, The American Economic Review, Vol.81, No.2, May 1991, pp. 146-150. Zurück

2) Diese und die im folgenden angesprochenen Zitate und Dokumente finden sich auf der WWW-Homepage des Center for Environmental Security (CES), http://w3.pnl.gov:2080/ces. Einige Dokumente sind auch abgedruckt in den halbjährlich erscheinenden Environmental Change and Security Project Reports des Woodrow Wilson Center sowie im Tagungsband: NATO/CCMS Environmental Security Conference, Preliminary Report, Center for Environmental Security, Pacific Northwest National Laboratory, September 1997. Die Übersetzungen der Zitate stammen vom Autor dieses Beitrags. Zurück

3) Zur Verbindung zwischen Frieden und nachhaltiger Entwicklung siehe die Diskussion in Wissenschaft und Frieden, 3/96. Zurück

Dr. Jürgen Scheffran ist wissenschaftlicher Assistent in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TH Darmstadt.

Ökologie »von unten«. Die lokale Agenda 21

Ökologie »von unten«. Die lokale Agenda 21

von Ulrike Kronfeld-Goharani

Frieden, Entwicklung und Umweltschutz sind voneinander abhängig und untrennbar“ heißt es im Grundsatz der Rio-Deklaration. Aber vier Jahre nach dem Erdgipfel ist es den Regierungen bisher nicht gelungen, die Konferenzbeschlüsse und die Agenda 21, das Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert umzusetzen. Doch während der »top-down« Ansatz noch im Problemstau festsitzt, haben sich auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine Reihe von Initiativen gebildet, die sich in dem Bewußtsein, daß es vorteilhafter ist, an konkreten und überschaubaren Problemen anzusetzen, um die Umsetzung der Agenda 21 bemühen.

Nicht erst seit der 1992 in Rio de Janeiro stattgefundenen UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) ist bekannt, daß die weltweite Umweltverschmutzung und die ungleich verteilte Nutzung der »common goods« eine Gefahr für den Weltfrieden bedeutet. Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte der Club of Rome in seinem Bericht »Die Grenzen des Wachstums« auf die neue Form von nicht-militärischer Bedrohung hingewiesen, die von der fortschreitenden Umweltverschmutzung und der Übernutzung der Ressourcen ausgeht und unüberschaubare politische und soziale Folgen für die Menschheit hat. In den achtziger Jahren wurde die Thematik in einer Reihe von Arbeiten1 aufgegriffen, die die theoretische Grundlage für die Rio-Konferenz bildeten. Nach dem Erdgipfel erlangten zwei Begriffe nahezu dogmatische Bedeutung und setzten auch in der Friedens- und Ökologiediskussion neue Maßstäbe: der Begriff des »Sustainable Development« in der Ökologie- und der der »Environmental Security« in der Friedensforschung.2

Spätestens seitdem hat sich die Untersuchung ökologischer Probleme und Krisen und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen, die immer auch Konflikte initiieren, bereits bestehende verschärfen und im Extremfall zur Anwendung von militärischer Gewalt führen können, zu einem wichtigen und wachsenden Arbeitsfeld in der Friedens- und Konfliktforschung entwickelt. Ging es in der Vergangenheit noch vornehmlich um Untersuchungen von Aspekten der Kriegsführung durch Manipulation von Natur und Umwelt, der der Umweltzerstörung in Zeiten des Nichtkrieges oder von Kriegsführungsoptionen in strukturell kriegsführungsunfähigen hochindustrialisierten Gesellschaften, so werden in Zukunft vor allem Konzepte entwickelt werden müssen, um die ungleichen Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen in der Welt abzubauen. Sustainable Development – hier als zukunftsfähige oder nachhaltige Entwicklung übersetzt – steht dafür als Schlüsselbegriff.

Die Situation nach der UNCED

Von den internationalen Vereinbarungen3, die 179 Staaten auf der Rio-Konferenz unterzeichneten, war die Verabschiedung der sogenannten »Agenda 21« die wichtigste. Mit diesem Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert soll den weltweiten öko-sozialen und politischen Herausforderungen begegnet werden, die durch die wachsende Internationalisierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte und damit verknüpft auch der kulturellen Leitbilder entstehen und sich auf nationalstaatlicher Ebene allein nicht mehr bewältigen lassen. Der Erdgipfel von Rio bildete den Auftakt einer Serie weiterer UN-Konferenzen. Die UNCED blieb jedoch, was konkrete Ergebnisse anbelangt, die erfolgreichste davon. Sie berief die Commission on Sustainable Development (CSD) zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 21 ein und gründete die Global Environment Facility zur Finanzierung von Umweltaktivitäten in den Ländern der Dritten Welt.

Doch vier Jahre nach der UNCED wachsen weltweit Wut und Enttäuschung darüber, daß

  • die Konferenzbeschlüsse aufgrund zahlloser Interessenkonflikte nicht schnell genug umgesetzt werden,
  • neue Organisationen wie die CSD ohne Kompetenzen und Durchsetzungskraft bleiben,
  • die Finanzmittel, die der »reiche Norden« für den Umweltschutz in Ländern des »armen Süden« zur Verfügung stellt, lächerlich gering sind,
  • seit der Rio-Konferenz in fast allen Ländern des Nordens die Entwicklungshilfeetats für den globalen Umweltschutz des »Südens« geschrumpft sind.

Die internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik hat sich im Problemstau festgefahren und ist alles andere als von Aufbruchstimmung gekennzeichnet, wie es angesichts der Dringlichkeit der Probleme zu erwarten wäre. Der »top-down« Ansatz hat es bisher nicht vermocht, innerhalb der verabredeten Zeitskalen verbesserte nationale und internationale wirtschaftliche und ordnungspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Es fehlt der »Druck von unten«. Es fehlen viele kleine Schritte auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die zeigen und vormachen, wie mit dem Umbau hin zu einem zukunftsfähigeren Wirtschafts- und Entwicklungsmodell begonnen werden kann.4

Dabei kommt den Städten und Gemeinden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft weltweit eine besondere Bedeutung zu. Wenn es zutrifft, daß im Jahr 2000 infolge der zunehmenden Verstädterung der Weltbevölkerung über 70 % aller Menschen in Städten wohnen, so werden es auch die Städte sein, in denen die Probleme ressourcenverzehrender und umweltbelastender Lebensstile und Wirtschaftsformen und ihrer Gefährdung von natürlichen Ressourcen und Ökosystemen am deutlichsten und drängensten auftreten werden. Die Chancen einer globalen Politik für eine nachhaltige Entwicklung hängt daher wesentlich von der zukünftigen Politik in den Städten ab, für die das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung Grundlage sein muß.5

Die „Lokale Agenda 21“

Auch auf der UNCED-Konferenz wurde die Bedeutung der Kommunen erkannt. Um der Tatsache, daß eine große Anzahl der in der Agenda angesprochenen Probleme und Lösungsvorschläge ihren Ursprung in Maßnahmen und Aktivitäten auf lokaler Ebene haben, Rechnung zu tragen, befaßt sich ein ganzes Kapitel (Kapitel 28: »Kommunale Initiativen zur Unterstützung der Agenda 21«, siehe Kasten) mit dieser Thematik: Da Kommunen die wirtschaftliche, soziale und ökologische Infrastruktur errichten, ver- und unterhalten, den Planungsablauf überwachen, über die kommunale Umweltpolitik entscheiden und an der Umsetzung der regionalen und nationalen Umweltpolitik mitwirken, komme „als Politik- und Verwaltungsebene, die den Bürgern am nächsten ist, ihnen eine entscheidende Rolle bei der Informierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit und ihrer Sensibilisierung für eine nachhaltige umweltverträgliche Entwicklung zu“. Aus diesem Grunde soll bis 1996 sich „die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen der einzelnen Länder gemeinsam mit ihren Bürgern einem Konsultationsprozeß unterzogen haben und einen Konsens hinsichtlich einer 'kommunalen Agenda 21' für die Gemeinschaft erzielt haben“.

Das auch als »Lokale Agenda 21« bezeichnete Regelwerk der UNCED hat zwar keine völkerrechtsverbindliche Wirkung, bietet aber mit seinem umfangreichen Maßnahmenkatalog einen hervorragenden Referenzrahmen für politische Initiativen. Gingen diese bislang vor allem von den Umweltämtern der Kommunalverwaltungen aus, wächst die Zahl derjenigen der lokalen Akteure, die ihrerseits beginnen, Ziele, Maßnahmen und Instrumente zur Umsetzung einer lokalen Agenda zu definieren und entsprechende Ratsbeschlüsse von den Kommunalverwaltungen einzufordern. Dabei hat sich gezeigt, daß es kein allgemeingültiges Rezept gibt, wie eine Stadt oder eine Gemeinde ihren Weg zur Zukunftsfähigkeit beschreiten kann, da alle zu ergreifenden Maßnahmen und Aktivitäten von den spezifischen Strukturen und Problemen vor Ort abhängen und sich danach ausrichten müssen. Auch steht oder fällt der Erfolg der Agenda oftmals mit dem Engagement einiger weniger Personen vor Ort, wie sich in den vieldiskutierten Beispielen der »lokalen Agenda 21 von Köpenick« und dem »Münchner Modell« gezeigt hat (Siehe Schaubilder).6

Besondere Bedeutung kommt der Vernetzung lokaler Initiativen aus Verwaltung, Wirtschaft, Kirchen oder anderen umwelt- oder entwicklungspolitisch ausgerichteten Gruppen und Organisationen zu, auch um zu klären, welche Akteure im Einzelfall zusammen wirken sollen und an wen man sich wenden kann.7

Städtebünde: Regionale und internationale Initiativen

Geeignete Foren zum Austausch von Ideen, Erfahrungen, Wissen und mitunter auch gegenseitige finanzielle Unterstützung bieten Städtebünde. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich nicht nur in Europa, sondern weltweit ein dichtes und variantenreiches Geflecht bi- und multilateraler Beziehungen von Städten, Gemeinden und Landkreisen gebildet. Partnerschaften und Bündnisse unterschiedlichster Form und Ausprägung sind entstanden, um Abkommen über die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch auf Gebieten gemeinsamen Interesses zu vereinbaren. Neben wirtschaftlichen Fragen gewinnen auch solche des Umweltschutzes zunehmend an Bedeutung. Die Kommunen engagieren sich dabei in vielfältiger Weise. Die Arbeit umfaßt regelmäßige persönliche Kontakte, Bildungsarbeit und auch materielle Hilfe. Ziel der Initiativen ist es, durch das gegenseitige »Sich Kennenlernen« die Angst vor dem Fremden zu nehmen, zum Abbau von Vorurteilen beizutragen und die Kontaktaufnahme auf niedriger politischer Ebene zu fördern. Dabei hat sich erwiesen, daß die Partnerschaften und Bünde nur dann erfolgreich und überlebensfähig sind, wenn ein gemeinsamer Rahmen mit Aufgaben, Zielen und Intentionen gefunden wird. Diesen gemeinsamen Rahmen bietet die lokale Agenda 21.

Ein erfolgreiches Netzwerk von Städten und Gemeinden in Europa ist die Europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden, das auf der Europäischen Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden, die im Mai 1994 im dänischen Aalborg stattfand, durch Unterzeichnung der »Charta von Aalborg« gegründet wurde. Damit verpflichteten sich 80 europäische Kommunen und mehr als 250 Vertreter von internationalen Organisationen, nationalen Regierungen, wissenschaftlichen Instituten und anderen Einrichtungen unter Beteiligung von Bürgern, Vertretern aus Industrie und Handel und allen weiteren kommunalen Akteuren langfristige Aktionspläne zur Umsetzung der Agenda 21 einzuleiten und zukunftsfähige Programme zu entwickeln. So wurden als gemeinsame Ziele in der Aalborg-Charta festgehalten:

  • das Ergreifen von Maßnahmen zur Umsetzung umweltgerechter Ziele,
  • den Austausch von Erfahrungen aus der kommunalen Praxis,
  • die Unterstützung beim Entwurf der lokalen Aktionsprogramme,
  • eine interkommunale Zusammenarbeit und
  • die Verbindung dieses Prozesses mit den Aktivitäten der EU im Bereich der städtischen Umwelt.

Die Europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden wird unterstützt von der EU und von der Stadt Aalborg. Koordiniert wird die Initiative von den wichtigsten europäischen Netzwerken lokaler Verwaltung wie

  • dem Council of European Municipalities and Regions (CEMR);
  • den Eurocities;
  • dem Europäischen Sekretariat des International Council for Local Environmental Initiatives (ICLEI);
  • der United Towns Organization (UTO) sowie
  • dem WHO-Healthy Cities Network der Weltgesundheitsbehörde.

An der Kampagne teilnehmen kann jede europäische Kommune (Stadt, Gemeinde, Kreis oder Kommunalverband), indem sie die Aalborg-Charta unterzeichnet. Die Teilnahme ist kostenlos, aber alle Kampagnenbeteiligten sind aufgefordert, sich aktiv durch Veranstaltung von Konferenzen und Workshops, Publikation von Berichten oder einfach nur Erfahrungsaustausch in der Kampagne zu engagieren.

Auch auf internationaler Ebene werden in Kapitel 28.3 der Agenda 21 relevante Organe und Organisationen wie das United Nations Development Programme (UNDP), das United Nations Centre for Human Settlement (HABITAT), das United Nations Environment Programme (UNEP), die Weltbank, die International Union of Local Authorities (IULA), der Weltverband der Metropolen (World Association of Major Metropolises) sowie der Gipfel der Großstädte der Welt (Summit of Great Cities of the World) ausdrücklich dazu aufgerufen, Partnerschaften – nicht nur zwischen Städten und Gemeinden, sondern zugleich auch zwischen Fachverbänden, Vereinen, Kreishandwerkerschaften und anderen privaten Einrichtungen auf kommunaler Ebene – zu fördern, um dadurch eine stärkere internationale Unterstützung für Programme auf kommunaler Ebene ins Leben zu rufen.

Eine wichtige Rolle spielt der Internationale Rat für Kommunale Umweltinitiativen (ICLEI). Gegründet anläßlich des Weltkongresses der Gemeinden für eine bessere Zukunft auf Einladung der Vereinten Nationen in New York 1990, dient ICLEI als internationales Netzwerk von mehr als 150 Kommunen und Kommunalverbänden, deren Ideen, Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse es sammelt und weitervermittelt. ICLEI organisiert Fortbildung, veröffentlicht Leitfäden und Fallstudien und vertritt die Interessen der Städte und Gemeinden gegenüber nationalen Regierungen, Behörden und internationalen Organisationen. So war es auch dieses Netzwerk, das 1991 das »Städtische CO2-Minderungsprojekt« initiierte, woraus 1993 anläßlich des »Ersten Weltbürgermeistergipfels« in New York die weltweite Kampagne Städte für den Klimaschutz entstand. Mehr als 90 Städte, die inzwischen der Kampagne beigetreten sind, haben sich verpflichtet, lokale Aktionspläne zu entwickeln, die CO2-Minderungsziele vorgeben und Maßnahmen zu nennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. ICLEI war auch Veranstalter des »Zweiten Weltbürgermeistergipfels«, der im März vergangenen Jahres nur wenige Wochen vor der Ersten Vertragsstaatenkonferenz des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen in Berlin stattfand. Bürgermeister und Städterepräsentanten, die eine Viertelmilliarde Menschen aus rund 150 Städten aus aller Welt vertraten, forderten in einem abschließenden Kommuniqué die UN Vertragsstaatenkonferenz zum Klimaschutz auf, die Kommunen als gleichberechtigte Partner neben den Nationalstaaten anzuerkennen und zu unterstützen.

Ein expandierendes und an Einfluß gewinnendes Netzwerk regionaler Bedeutung ist die 1991 in Gdansk, Polen, gegründete Union of the Baltic Cities (UBC), die die Kooperation und den Erfahrungsaustausch zwischen den Städten in der Ostseeregion fördern und zu einer demokratischen, sozialen, ökonomischen und umweltverträglichen Entwicklung und damit zum Wohlergehen der ca. 80 Millionen in der Ostseeregion lebenden Menschen beitragen soll. Über 60 Städte aus allen zehn Ostseeanrainerstaaten sind dem Bündnis beigetreten. Die Union unterhält eine eigene Commission on Environment, die die Umweltaktivitäten der Union koordiniert und das Baltic Sustainable Cities Programme (BSCP) mit den Schwerpunkten »Education and Training« durchführt.

Die Reduktion der Klima gefährdenden Emissionen und die Erhaltung des tropischen Regenwaldes hat sich die Climate Alliance of European Cities with Indigenous Rainforest Peoples, kurz als Klimabündnis bezeichnet, zum Ziel gesetzt. Bereits im August 1990, zwei Jahre vor der Rio-Konferenz, schlossen sich VertreterInnen europäischer Kommunen gemeinsam mit Delegierten indigener Völker zusammen, um unabhängig von regierungsabhängigen Vereinbarungen auf lokaler Ebene Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Dem Klimabündnis, das 1992 gegründet wurde, waren bis 1995 mehr als 370 europäische Städte und Gemeinden beigetreten.

Umsetzung der lokalen Agenda 21: Hemmnisse und Chancen

Obwohl in Kapitel 28 der Agenda 21 der kommunalen Verwaltungsebene eine besondere Rolle bei der Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips sowie Information, Aufklärung und Mobilisierung der Öffentlichkeit zugesprochen wird, haben weder Bundes- noch Länderregierungen entsprechende Handlungsanweisungen zur Beteiligung der Kommunen entworfen. Damit die Selbstverpflichtung von Rio nicht nur eine Vision bleibt, müssen Bund und Länder verbesserte Rahmenbedingungen für entwicklungspolitische Arbeit auf kommunaler Ebene schaffen und auch die Kosten dafür tragen. Für die Kommunen sind mehr Kompetenzen, mehr Verantwortung und Ressourcen zu fordern, damit innovative und effektive Maßnahmen zur Umsetzung der Agenda 21 ergriffen werden können. KommunalpolitikerInnen müssen an der Entwicklung nationaler Aktionspläne beteiligt werden und die Möglichkeit haben, in den beratenden Gremien der Vertragsstaatenkonferenz vertreten zu sein. Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip muß Städten und Gemeinden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung eingeräumt werden, damit es stärker als bisher möglich wird, die Probleme auf der untersten Ebene zu lösen, eben da, wo jeder Mensch für sein Tun verantwortlich ist.

Denn die Kommunen sind es, von denen eine neue nicht zu unterschätzende entwicklungspolitische Kraft ausgeht, nicht zuletzt initiiert durch die hohe Symbolkraft der Agenda 21, die ohne Zweifel wichtige Impulse geliefert hat, den Prozeß in Richtung einer zukunftsfähigen Gesellschaft einzuleiten. Viele Schwierigkeiten und Hemmnisse sind noch zu überwinden, denn ein allgemeingültiges Rezept für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips kann und wird es auch in Zukunft nicht geben können. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Problemlagen vor Ort, so daß jede Kommune ihre eigenen Möglichkeiten prüfen muß, einen Weg zur Zukunftsfähigkeit zu finden und geeignete Strategien zu entwickeln. Dazu müssen alle gesellschaftlichen Kräfte in den Kommunen mobilisiert werden. Allen BürgerInnen und interessierten Gruppen ist Zugang zu Informationen und die Mitwirkung an lokalen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Das erfordert nicht nur ein hohes Maß an Partizipationsmöglichkeiten, sondern auch die Bedingung einer »aktiven Demokratie«, wie Johann Galtung (1991) es im Zusammenhang mit der Frage formuliert, wie das Problem zu lösen sei, globales Denken im lokalen Handeln ansetzen und es zugleich darüber hinaus gehen zu lassen. Aktive Demokratie beruhe dabei „auf der Achtung des Individuums und seiner Fähigkeit, umsichtige Entscheidungen zu treffen“.8 Das setzt einen hohen Informationsstand des Einzelnen voraus, womit auch neue Kommunikations- und Kooperationsinstrumentarien gefragt sind. Denn die Agenda 21 ist auch eine bildungspolitische Aufgabe, die insbesondere in den hochindustrialisierten Staaten einer neuen kulturellen und psychosozialen Basis bedarf. Da der hierfür notwendige Bewußtseins- und Wertewandel im Kopf beginnt, kommt der Bildung als politischem Instrument ein neuer Stellenwert zu.9 Hier kann der Erfahrungsaustausch innerhalb der bestehenden Initiativen, Netzwerke und Nichtregierungsorganisationen den Kommunen Chancen eröffnen, neue Dialog- und Kooperationsformen zur Bürgerbeteiligung bzw. Vermittlungsverfahren zu erproben.

Resümee

Die Agenda 21 hat weltweit eine unerwartet große Ausstrahlung entfaltet. Ihre Umsetzung erfordert einen globalen Ansatz, obgleich die ökologischen Probleme in ihrer komplexen Verknüpfung mit ökonomischen und politischen Interessenlagen sich national oder regional ereignen und häufig auch nur dort zu lösen sind. Die globale Verantwortung muß im Lokalen ansetzen. Trotz einer Vielzahl von Problemen und der Unmöglichkeit, ein allgemeingültiges Sustainability-Konzept zu entwerfen, gibt es zahlreiche ermutigende Ansätze auf lokaler und regionaler Ebene. Dabei handelt es sich sowohl um die expandierenden Städtenetzwerke, Bünde und Nichtregierungsorganisationen, als auch um positive Einzelbeispiele von Städten und Gemeinden, die mit dem Mut zum Handeln „die Politik der Erklärungen und Beschlüsse verlassen und in konkretes Handeln umgesetzt“ haben.10

Forum Umwelt & Entwicklung Köpenick:

Das 10-Punkte-Forderungsprogramm für eine nachhaltige Entwicklung im Bezirk Köpenick

  • Umweltgerechte Stadt- und Raumentwicklung
  • Verkehrsvermeidung – Förderung
    ressourcenschonender Verkehrsmittel
  • Verzicht auf einen Großflughafen in der
    Region Berlin-Brandenburg
  • Schrittweise Erneuerung der
    Energieversorgungsstruktur
  • Beispielhaftes Energiesparen / Förderung des
    rationellen Energieeinsatzes
  • Nachhaltige, naturverträgliche
    Wasserwirtschaft, Trinkwasserschutz, Naturschutz
  • Konsequente Abfallvermeidungspolitik
  • Arbeitsplätze durch Umweltschutz /
    Umweltvorsorge und Entwicklungszusammenarbeit
  • Förderung regionaler Alternativen zu
    umweltverträglichen und entwicklungsfeindlichen Handelsstrukturen / Beratung der
    Konsumenten
  • Vorbereitung einer kommunalen
    Nord-Süd-Partnerschaft

Quelle: Initiativen für eine
nachhaltigere Entwicklung in Niedersachsen. Die Agenda 21 auf lokaler und regionaler
Ebene, Jörg Mayer (Hrsg.), Ev. Akademie Loccum, 55/1995, S. 72-75.

Anmerkungen

1) Z.B. die vom International Union of the Conservation of Nature (IUCN) und Worldwatch Institute herausgegebenen »Six Steps to a Sustainable Society« (1980), der Olof Palme-Bericht (1980), Lester R. Brown, Building a Sustainable Society (1981), der Willi Brandt-Bericht (1981), Norman Myers, An Atlas of Planet Management (1984) und der Bericht der Brundtland-Kommision »Our Common Future« (1987). Zurück

2) In der Friedens- und Konfliktforschung ist der Terminus als solcher nicht nur äußerst umstritten, vielmehr besteht eine Grundsatzdebatte darüber, ob der Umweltaspekt in ein Konzept der umfassenden Sicherheit überhaupt einzubeziehen sei. Eine Zusammenfassung zur Thematik findet sich z.B. bei Græger, Nina, Environmental Security? in: Journal of Peace Research, vol. 33, Nr. 1, 1996, pp. 109-118. Zurück

3) Insbesondere waren das die Klimarahmenkonvention, die Konvention zum Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt und die Konvention gegen die Ausbreitung der Wüsten. Zurück

4) Vgl. dazu auch Unmüßig, Barbara, Mehr als TransFair. Die Rolle der Kommunen für ein zukunftsfähiges Deutschland, in: Alternative Kommunalpoliktik, 2/1996. Zurück

5) Siehe dazu z.B. das Kapitel über Stadtentwicklung in: Kreibich, Rolf, Nachhaltige Entwicklung. Leitbild für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft, ZukunftsStudien, Beltz Verlag, 1996, S. 135ff. Zurück

6) Siehe dazu z.B. Initiativen für eine nachhaltigere Entwicklung in Niedersachsen. Die Agenda 21 auf lokaler und regionaler Ebene, Jörg Mayer (Hrsg.), Ev. Akademie Loccum, 55/1995, S. 27ff. Zurück

7) Ebenda, S.63. Zurück

8) In: Esser, Johannes; Kietzell, Dieter von; Ketelhut, Barbara und Joachim Romppel, Frieden vor Ort. Alltagsfriedensforschung – Subjektentwicklung – Partizipationspraxis, agenda-Verlag, Münster, 1996, S. 28. Zurück

9) Aus: Initiativen für eine nachhaltige Entwicklung in Niedersachsen, a.a.O., S. 47ff. Zurück

10) Aus Gerdes, Jochen, Kommunale Außenpolitik – nur Spielwiese oder Schlüssel zur Umgestaltung? Ein Beispiel aus der Praxis in: Kommunale Außenpolitik als Kritik staatlichen Handelns – Erfahrungen und politische Perspektiven, Arbeitspapier 026 des Instituts für Internationale Politik, Berlin, 1994. Zurück

Dr. Ulrike Kronfeld-Goharani ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Schleswig-Holsteinischen Institut für Friedenswissenschaften an der Universität Kiel.

Umweltbewußtsein und verantwortliches Handeln

Umweltbewußtsein und verantwortliches Handeln

von Urs Fuhrer

Glaubt man dem 1995 veröffentlichten Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climatic Change (IPCC), so wird sich, wenn alles so weitergeht wie bisher, die mittlere Temperatur der Erdoberfläche bis ins Jahr 2100 um 2 Grad erhöhen. Der Meeresspiegel wird um 50 Zentimeter steigen und die Gefahr von extremen Wetterlagen, Überschwemmungen, Dürreperioden und Hungersnöten wird weiter zunehmen. Angesichts dieser Bedrohungslage fehlt es nicht an Bereitschaftserklärungen, etwas für die bedrohte Umwelt zu tun. Dennoch verhält man sich aber weiterhin so, als wäre mit der Erdatmosphäre alles in bester Ordnung. Es ist dieser Zusammenhang, für den sich das Schlagwort von der »Kluft« zwischen Umweltbewußtsein und ökologischem Handeln eingebürgert hat. Was überbrückt diese »Kluft«?

Globale Umweltproblematik psychologisch betrachtet

In der Umweltdiskussion haben sich die Sozialwissenschaften eher weniger Gehör verschafft als Natur- und Technikwissenschaften, obschon Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation bei den Handlungen von Menschen ansetzen, sei es als Produzenten oder Konsumenten, als Autofahrer oder Nutzer von Heizenergie und anderen begrenzten Ressourcen. Trotzdem treten sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze zunehmend in den Blick umweltwissenschaftlicher Forschung (Diekmann & Franzen, 1995; Fuhrer, 1995; Kruse, 1995; Gardner & Stern, 1996). Seit den siebziger Jahren beschäftigen sich auch Sozial- und Umweltpsychologen mit der Frage, warum die Bereitschaft, etwas für die bedrohte Umwelt zu tun, nicht positiv mit umweltschonendem Verhalten zusammenhängt (Stern, 1992), obschon im allgemeinen das Umweltbewußtsein in der Bevölkerung weltweit erstaunlich hoch ist (Dunlap, Gallup & Gallup, 1993).

Für das im Alltagsjargon als »Kluft« zwischen Umweltbewußtsein und Verhalten bezeichnete Phänomen nehmen Psychologen im allgemeinen vier Bedingungen an: (1) Zunächst sind Umweltprobleme, speziell jene von globaler Natur, meist nicht direkt erfahrbar. So ist das »Ozonloch« individuell nicht erfahrbar. Ebensowenig besitzt der Mensch spezifische Sinnesorgane, um unmerkliche Umweltveränderungen wie die Erwärmung der Erdatmosphäre oder das Waldsterben direkt zu erfahren. (2) Demnach ist es verständlich, daß sich Menschen durch Probleme, die für sie nicht »wirklich« existieren, weder bedroht (3) noch verantwortlich fühlen, etwas dagegen zu tun. (4) Aber selbst wer die Absicht hat, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen, und den Entschluß faßt, umweltschonend zu handeln, bei dem kann die Realisierung dieser Absicht »blockiert« werden, weil deren Stärke nicht gesteigert und gegen konkurrierende Handlungsabsichten abgeschirmt zu werden vermag (Heckhausen, 1989).

Über Kommunikation zum Umweltbewußtsein

Damit der einzelne vom Sommersmog oder vom Nitrat im Trinkwasser erfährt, müssen ihm diese Probleme mitgeteilt werden. Die Wahrnehmung von Umweltproblemen geschieht also in aller Regel über soziale Vermittlung aus »zweiter Hand«, womit deren Erfahrbarkeit davon abhängt, ob andere, seien es Experten, Journalisten oder gute Freunde, diese »Probleme« genauso sehen. Folglich wird sich ein individuelles Umweltbewußtsein im sozialen Diskurs, basierend auf den jeweils geltenden kollektiven Vorstellungen sozialer Gruppen, herausbilden (Johnson & Covello, 1987). Derartige Vorstellungen (Wissen, Werte und Intentionen umfassend), wie sie von den Mitgliedern einer Gruppe sozial geteilt werden, bezeichnet Moscovici (1984) als soziale Repräsentationen (SR). Für eine Person erfüllen solche Repräsentationen die Funktion, kollektive Beurteilungs- und Handlungsmuster anzubieten, wodurch sie gruppenkonformes Verhalten ermöglichen. Dabei werden soziale Repräsentationen vom einzelnen im Zuge ihrer Integration in die eigenen Vorstellungen verändert, weshalb Personen ihre »individuellen sozialen Repräsentationen« (ISR) herausbilden (von Cranach, 1991). Begreift man diese wiederum als einstellungsähnliches Konstrukt (Ajzen, 1988), liegt es nahe, Umweltbewußtsein als individuelle soziale Repräsentation zu verstehen (Fuhrer, 1995). Dabei geschieht sowohl die Bildung sozialer Repräsentationen als auch deren Übernahme ins Umweltbewußtsein durch Kommunikation, wobei die Transformation sozial definierter Realität über medienvermittelte und/oder interpersonale (face-to-face) Kommunikation erfolgt (Maletzke, 1978).

In systematischen Befragungen, die wir in den Jahren 1993-1995 – vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Einführung einer staatlichen CO2-Steuer – an über 1000 Schweizer Autofahrern durchgeführt haben, die entweder einer autofreundlichen Gruppierung oder einem Verband zur Förderung des öffentlichen Verkehrs angehörten, konnte gezeigt werden, daß der Einfluß sozialer Gruppen auf das individuelle Umweltbewußtsein tatsächlich über die sozialen Repräsentationen der jeweiligenBezugsgruppe erfolgt (Fuhrer, Kaiser, Seiler & Maggi, 1995). Dabei fällt dieser positive Zusammenhang zwischen sozialer Repräsentation und Umweltbewußtsein deutlich höher aus, wenn sich das Umweltbewußtsein der befragten Autofahrer in der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht mit Mitgliedern ihrer jeweiligen sozialen Bezugsgruppe herausbildet, als wenn die soziale Repräsentation über Medien vermittelt wird. Der relativ hohe Zusammenhang bei der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist vermutlich dadurch bedingt, daß soziale Kontrolle, Sanktionserwartungen und Identifikation als konformitätsfördernde Faktoren stärker wirken als bei medienvermittelter Kommunikation.

Ökologisches Handeln als prosoziales Handeln

Wenn die zentrale Funktion der Moral darin besteht, Menschen dazu zu bringen, sich selbst zum Vorteil anderer Beschränkungen aufzuerlegen, dann liegt es nahe, umweltschonendes Handeln als prosoziales Handeln zu verstehen. Die Bedeutsamkeit persönlicher Verantwortlichkeit als Prädiktor für dieses Handeln legt nahe, umweltschonendes Handeln als verantwortliches Umwelthandeln zu begreifen. In der einschlägigen Forschung existieren auch bereits einige Studien (Stern, Dietz & Kalof, 1993), die bei der Berücksichtigung einer umweltmoralischen Komponente auf das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz und Howard (1981) zurückgreifen. Dieses Modell sieht fünf Verarbeitungskomponenten vor: die Aktivierung bereichsspezifischer, problemrelevanter Kognitionen und Emotionen; die Generierung einer bereichsspezifischen moralischen Verpflichtung, die ihrerseits eine Funktion der ökonomischen, moralischen und sozialen Kosten ist; gefolgt von einer Bewertung der Verhaltenskonsequenzen; sodann die Möglichkeit zur Redefinition (durch Leugnung, Rechtfertigung) der Problemlage und der moralischen Verpflichtung und schließlich das manifeste (prosoziale) Handeln.

Bei der empirischen Überprüfung des Modells im Umweltbereich wurde hauptsächlich den drei Modellvariablen »Bewußtsein der Folgen«, »Zuschreibung von Verantwortung« und »Verantwortungsleugnung« Forschungsaktivität gewidmet. Einschlägige Befunde zeigen, daß die Beziehung zwischen persönlichen Normen und prosozialem Handeln zunimmt, je ausgeprägter das »Bewußtsein der Folgen« und die »Zuschreibung von Verantwortung« sind. Beide Variablen müssen zudem ausgeprägt vorhanden sein, damit die persönliche moralische Norm in verantwortliches Umwelthandeln umgesetzt wird (Heberlein, 1972). Van Liere und Dunlap (1978) schlagen – in Erweiterung des Norm-Aktivierungs-Modells – als zusätzliche Einflußvariable auf verantwortliches Umwelthandeln das Bewußtsein um die Folgen umweltschädigenden Verhaltens für andere Personen vor.

Später richten Tyler, Orwin und Schurer (1982) ihr Augenmerk auf die Rechtfertigungen im Norm-Aktivierungs-Modell. Im Falle antizipierter hoher persönlicher Kosten (z. B. Verzicht auf den Gebrauch von Geräten mit hohem Energieverbrauch) zeigte sich erwartungsgemäß eine ausgeprägte Tendenz, individuell aktivierte moralische Normen (z. B. bezüglich ökologischer Schäden durch hohen Energieverbrauch) zu leugnen. Es kommt zur Neueinschätzung der moralischen Normen, was sich in einer Verminderung der Bereitschaft zum verantwortlichen Umwelthandeln auswirkt. Schließlich finden Black, Stern und Elworth (1985) einen vom Norm-Aktivierungs-Modell abweichenden Befund, der darin besteht, daß die Umsetzung der individuellen moralischen Norm in verantwortliches Umwelthandeln besonders stark beeinflußt wird durch das Ausmaß an persönlichen Vorteilen, die man durch umweltschonendes Handeln gewinnt (eine Variante des St. Florians Prinzips).

Prozeßmodell verantwortlichen Umwelthandelns

Unser Modell verantwortlichen Umwelthandelns ruht auf einer modifizierten und um den Aspekt der sozialen Repräsentationen elaborierten Variante des Norm-Aktivierungs-Modells. Dabei wird das Umweltbewußtsein bekanntlich als individuelle soziale Repräsentation verstanden. Diese entsteht durch die Integration einer sozialen Repräsentation ins individuelle Umweltbewußtsein. Damit macht unser Modell deutlich, daß das Umweltbewußtsein die »verhaltensfernste« Instanz ist, was den empirisch häufig beobachteten, geringen Zusammenhang zum manifesten Umweltverhalten verständlich macht (Fuhrer, 1995). Auf der Basis des Umweltbewußtseins finden dann weitere Informationsverarbeitungen statt.

In der Aktivierungsphase, die im Sinne des Emotionsmodells von Lazarus und Launier (1978) verstanden wird, werden jene Kognitionen des Umweltbewußtseins stimuliert, die für die Bedrohungsanalyse leitend sind. Dabei ist die Bedrohungserfahrung eine Funktion der Diskrepanz zwischen Umweltproblem-Wissen und dem Wissen um Bewältigungsmöglichkeiten sowie den persönlichen Fähigkeiten, entsprechend zu handeln. Sofern sich ein Individuum bedroht fühlt, setzt die Generierung einer bereichsspezifischen moralischen Verpflichtung ein. Die Festlegung dieser persönlichen Verantwortlichkeit ist ihrerseits abhängig von ökonomischen, moralischen und sozialen Implikationen. Bedrohungs- und Verantwortungserleben resultieren in entsprechenden Handlungsabsichten. Ist es im einen Fall die Angst vor physischen oder materiellen Kosten (physisch-materielle Implikation), so kann es in anderen Fällen Angst vor Schuldgefühlen (moralische Implikation) oder sozialen Sanktionen durch die Gruppe sein (soziale Implikation), die für das Individuum mit der entsprechenden Verhaltensabsicht einhergehen. Widersprüchliche Absichten und uneindeutige Erwartungen hinsichtlich der Handlungskonsequenzen können den Handlungsentschluß behindern. Dies führt zur Rekalibrierung von Bedrohungsanalyse und/oder Verantwortungsfestlegung, weil die Auslöseschwelle des mentalen Coping höher liegt als diejenige zum Handlungsentschluß. Eine Rekalibrierung könnte z. B. darin bestehen, die Möglichkeiten zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abzuleugnen mit der Begründung, daß diese zu teuer sind. Je weniger zentral zudem die Entscheidungsparameter für die Selbstbewertung einer Person sind, desto eher sind sie der Rekalibrierung unterworfen (Schwartz & Howard, 1981). Ist einer Person z. B. die soziale Anerkennung als Mitglied einer Umweltgruppe nicht besonders wichtig, wird sie die Absicht, z. B. auf das Auto zu verzichten, eher rekalibrieren, als wenn die soziale Anerkennung durch die Umweltgruppe für sie bedeutsam ist. Bedrohungsanalyse und Verantwortungsfestlegung können mehrmals „durchlaufen“ werden, bis es zum Handlungsentschluß und daraufhin zum manifesten verantwortlichen Umwelthandeln kommt. Daß dem nicht immer so ist, belegt die motivationspsychologische Forschung zur „Rubikon-Problematik“ (Heckhausen, 1989).

Der schwierige Weg zum verant- wortlichen Umwelthandeln

Im Rahmen unserer Befragungsstudien zeigen einige Befunde, daß der Intentionsanteil des Umweltbewußtseins einen starken Einfluß auf Bedrohungsanalyse und Verantwortungsfestlegung hat (Fuhrer, Wölfing & Kaiser, im Druck). Weder hohes Umweltproblem-Wissen noch ausgeprägte ökologische Werthaltungen beeinflussen ebenso stark die bedrohungs- und die verantwortungsadäquate Handlungsabsicht. Weiter werden Rekalibrierungen sowohl durch die bedrohungs- als auch durch die verantwortungsadäquate Handlungsabsicht negativ beeinflußt. D.h. je stärker die Ausprägung bedrohungs- und verantwortungsadäquater Handlungsabsicht ist, desto weniger intensiv wird rekalibriert, wobei die Zusammenhänge zur bedrohungsadäquaten Handlungsabsicht größer sind als zur verantwortungsadäquaten Handlungsabsicht. Überdies beschränken sich die intensivsten Rekalibrierungen auf die Verleugnung der Angemessenheit umweltschonender Verhaltensmaßnahmen und umweltmoralischer Verantwortlichkeit. Wir vermuten, daß zuerst jene Komponenten rekalibriert werden, aus deren Verleugnung dem Individuum die geringsten Kosten (z. B. in Form von Gewissensbissen) für die eigene Selbstbewertung erwachsen. Im übrigen vermuten wir, daß die Verantwortung erst dann einen noch größeren Einfluß gewinnt, wenn die negativen Konsequenzen umweltschädigenden Verhaltens hervortreten und darüber breiter Konsens besteht.

Weiter belegen die in Abb. 2 skizzierten Ergebnisse, daß die Rekalibrierung der Angemessenheit umweltschonender Verhaltensmaßnahmen den Entschluß, sich politisch für die Umwelt zu engagieren, am bedeutsamsten beeinflußt. Das heißt, je weniger die Angemessenheit dieser Maßnahmen in Frage gestellt wird, desto mehr entschließt sich die Person dazu, sich umweltpolitisch zu engagieren. Ähnlich negativ ist der Zusammenhang zwischen dem Abstreiten der persönlichen Verursachung von Umweltschäden und dem Handlungsentschluß. Positiv hingegen sind die Einflüsse der Kostenrekalibrierung und der Ethik-Rekalibierung auf den Handlungsentschluß. Je mehr sowohl die materiellen Kosten für umweltschonende Maßnahmen als auch die moralische Verpflichtung gegenüber der Umwelt in Frage gestellt wird, desto eher führt das zum Entschluß, sich umweltpolitisch zu engagieren. Das ist ein Befund, der zunächst unplausibel erscheint. Womöglich spiegelt sich aber darin der persönliche Ärger darüber, daß Umwelt immer mehr kostet bzw. Kosten verursacht, wogegen man sich politisch zur Wehr setzen würde.

Was schließlich die Umsetzung des Handlungsentschlusses in konkretes verantwortliches Umwelthandeln anbelangt, so zeigt sich, daß dieser Einfluß positiv und bedeutsam ist. Das heißt, daß offensichtlich die Rekalibrierungen dazu beitragen, umweltverantwortliche Handlungsintentionen gegen konkurrierende Handlungsintentionen, die möglicherweise ebenfalls auf Realisierung drängen, in der Weise abzuschirmen, wie das volitionspsychologische Handlungsmodelle postulieren (Heckhausen, 1989).

Literatur:

Ajzen, I. (1988). Attitudes, personality, and behavior. Milton Keynes.

Black, J.S., Stern, P.C. & Elworth, J.T. (1985). Personal and contextual influences on household energy adaptation. Journal of Applied Psychology, 70(1), 3-21.

Cranach, M. von (1991): The multi-level organisation of knowledge and action – An integration of complexity. In: M. von @Literatur=Cranach, W. Doise & G. Mugny (Eds.): Social representations and the social bases of knowledge (pp. 10-22). Bern: Huber.

Diekmann, A. & Franzen, A. (Hrsg.) (1995): Kooperatives Umwelthandeln. Zürich: Rüegger.

Dunlap, R.E., Gallup, G.H.Jr. & Gallup, A.M. (1993): Global environmental concern: Results from an international public opinion survey. Environment, 35(9), 33-39.

Fuhrer, U. (1995): Sozialpsychologisch fundierter Theorierahmen für eine Umweltbewußtseinsforschung. Psychologische Rundschau, 46(2), 93-103.

Fuhrer, U., Kaiser, F.G., Seiler, I. & Maggi, M. (1995): From social representations to environmental concern. The influence of face-to-face versus mediated communication. In: U. Fuhrer (Hg.): Ökologisches Handeln als sozialer Prozeß (S. 61-76) Basel: Birkhäuser.

Fuhrer, U., Wölfing, S. & Kaiser, F.G. (im Druck): Handeln wider bessere Absichten: Bern, Göttingen: Huber.

Gardner, G. T. & Stern, P.C. (1996): Environmental problems and human behavior. Boston: Allyn & Bacon.

Heberlein, T.A. (1972). The land ethic realized: Some social psychological explanations for changing environmental attitudes. Journal of Social Issues, 28, 79-87.

Heckhausen, H. (1989): Motivation und Handeln. Berlin: Springer.

Johnson, B.B. & Covello, V.T. (Eds.) (1987): The social and cultural construction of risk. Boston: Reidel.

Kruse, L. (1995): Globale Umweltveränderungen: Eine Herausforderung für die Psychologie. Psychologische Rundschau, 46(2), 81-92.

Lazarus, R.S. & Launier, R. (1978). Stress-related transactions between person and environment. In L.A. Pervin & M. @Literatur=Lewis (Eds.), Perspectives in interactional psychology (pp. 287-327). New York: Plenum.

Maletzke, G. (1978): Psychologie der Massenkommunikation. Hamburg: Hans Bredow-Institut.

Moscovici, S. (1984): The phenomenon of social representation. In: R.M. Farr & S. Moscovici (Eds.): Social representations (pp. 3-70). Cambridge: Cambridge University Press.

Schwartz, S.H. & Howard, J.A. (1981): A normative decision-making model of altruism. In: J.P. Rushton, R.M. Sorrentino (Eds.): Altruism and helping behavior (pp. 189-211). Hillsdale: Erlbaum.

Stern, P.C. (1992): Psychological dimensions of global environmental change. Annual Review of Psychology, 43, 269-302.

Stern, P.C., Dietz, T. & Kalof, L. (1993): Value orientations, gender, and environmental concern. Environment and Behavior, 25(3), 322-348.

Tyler, T.R., Orwin, R. & Schurer, L. (1982). Defensive denial an high cost prosocial behavior. Basic and Applied Social Psychology, 3, 267-281.

Van Liere, K.D. & Dunlap, R.E. (1978). Moral norms and environmental behavior: An application of Schwartz's norm-activation model to yard burning. Journal of Applied Social Psychology, 8(2), 174-188.

Prof. Dr. Urs Fuhrer ist Ordinarius für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Umweltzerstörung, eine Konfliktursache

Umweltzerstörung, eine Konfliktursache

von Günther Bächler, Stefan Klötzli, Stefan Libiszewski und Kurt R. Spillmann

Der vorliegende Beitrag stellt die Zusammenfassung der Ergebnisse des mehrjährigen »Environment and Conflicts Project« der Schweizerischen Friedensstiftung dar. Der gesamte Bericht wird demnächst in drei Bänden beim Rüegger Verlag in Chur erscheinen.

Die anthropogene Transformation der Umwelt stellt eine wesentliche Ursache bei der Entstehung, Verstetigung und Zuspitzung von bewaffneten Konflikten zwischen kollektiven Akteuren in unterentwickelten und politisch instabilen Regionen dar. Umweltverursachte bewaffnete Konflikte erweisen sich als Teil sozioökonomischer und politischer Fehlentwicklungen. Gleichzeitig sind soziale und politische Folgen von Unterentwicklung, die sich auf Umweltzerstörungen und Ressourcenübernutzung zurückführen lassen, zu einem Problem nationaler und internationaler Sicherheit geworden. Entwicklungs- und Sicherheitsdilemmata verbinden sich somit zu einem Problembündel, das umweltverursachte bewaffnete Regionalkonflikte unterschiedlicher Intensität und Ausprägung hervorbringt.

Allerdings sind weder endzeitliche Szenarien über Umweltkatastrophen noch alarmistische Prognosen über Welt-Umweltkriege haltbar. Umweltverursachte Konflikte eskalieren nur unter bestimmten Voraussetzungen über die Gewaltschwelle hinaus. Wir haben die konkreten Bedingungen, unter denen dies geschieht, herausgearbeitet. Im folgenden werden die verschiedenen Diskussionsstränge im Lichte zweier Thesen dargestellt, die wir aus den vorangegangenen vier empirischen Kapiteln (der o. g. Buchveröffentlichung, die Red.), in denen wir uns mit der Zusammenschau unterschiedlichster Konfliktformationen befaßten, gewonnen haben. Einer Typologie, welche Konfliktebenen und Konfliktparteien berücksichtigt, folgen generalisierende Erörterungen zur Rolle, welche die Umwelt bei der Konfliktverursachung spielt, sowie zur Intensität aktueller und künftig absehbarer Konflikte.

1. Umweltverursachte bewaffnete Konflikte: ein Phänomen in Entwicklungs- und Übergangs- gesellschaften – These Eins

Da umweltbedingte Konflikte – wie andere Konflikte auch – soziale und politische Ereignisse sind, ist eine Kausalanalyse, die von der Art und Tiefe des Umweltproblems ausgeht, zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Für eine vollständige Erklärung sind weitere Konfliktmerkmale wie die Charakteristik der Akteure, ihre Interessen, ihre Handlungen sowie die Ergebnisse ihrer Handlungen einzubeziehen. Unsere erste These lautet deshalb:

Umweltverursachte Konflikte aufgrund der Degradation erneuerbarer Ressourcen (Wasser, Land, Wald, Vegetation) manifestieren sich generell in sozioökologischen Krisenregionen der Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften, wenn aufgrund der vorhandenen Stratifizierung gesellschaftliche Spaltungslinien vorhanden sind, die sich so instrumentalisieren lassen, daß darüber – zum Teil gewaltsame – soziale, ethno- und machtpolitische sowie internationale Auseinandersetzungen entstehen oder vorangetrieben werden.

Unsere Beobachtungen erhärten die Vermutung, daß es sich bei der anthropogenen Transformation der Umwelt um grundlegende entwicklungsgeschichtliche Phänomene handelt, welche Länder, die über geringe Problemlösungskapazitäten verfügen, mit besonderer Härte treffen. Es sind Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften oder, noch präziser ausgedrückt, marginalisierte Gebiete in den erwähnten Ländern, die von krisenverschärfenden Wechselwirkungen zwischen Umweltdegradation, sozialer Erosion und Gewalt betroffen sind. Konfliktanfällige Krisengebiete sind in ariden und semi-ariden Ökoregionen, in interregionalen Zusammenhängen von Hoch- und Tiefländern, in Regionen mit geteilten Wasserressourcen, in von Bergbauvorhaben und Staudämmen degradierten Zonen, im Tropenwaldgürtel und im Umfeld von sich ausdehnenden Metropolen zu finden. In diesen Subregionen Afrikas, Lateinamerikas, Zentral- und Südostasiens sowie Ozeaniens sind historisch gewachsene und kulturspezifisch geregelte gesellschaftliche Naturverhältnisse einem grundlegenden Wandel unterworfen, gar akut bedroht.

Das Argument von der Marginalisierung trifft auf Konflikte um grenzübergreifende Wasserressourcen (sowie auf Meeresfischbestände, die jedoch von ENCOP nicht untersucht wurden) nur bedingt zu. Internationale Konflikte zwischen Ober- und Unterlaufstaaten können sich zwar in marginalen Regionen benachbarter Länder abspielen. Jedoch stehen bei den Konfliktparteien strategische und sicherheitspolitische Fragen im Vordergrund, während landwirtschaftliche und entwicklungspolitische Probleme in den Hintergrund gerückt werden. Dies gilt insbesondere für die regionalen Wasserkonflikte im Nahen Osten, die im Rahmen des historischen Territorialkonflikts zwischen Arabern und Israelis ausgetragen werden.

Die Konfliktgeographie der umweltverursachten bewaffneten Konflikte stimmt weitgehend mit derjenigen des weltweiten Konfliktgeschehens überein. Das heißt, umweltinduzierte bewaffnete Konflikte sind eine Teilmenge derjenigen bewaffneten Konflikte, die sich hauptsächlich in Regionen der Entwicklungsländer ereigneten. Die seit dem Zweiten Weltkrieg zu beobachtende Tendenz zum »Südkonflikt« scheint sich zu bestätigen. Zwar ist die Zahl größerer bewaffneter Konflikte unmittelbar nach 1989 infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion vorübergehend stark angestiegen. Da sich das Konfliktgeschehen in den östlichen Übergangsgesellschaften wieder leicht beruhigt hat, ist es jedoch seit 1994/95 zu einer Abnahme der Gesamtzahl bewaffneter Konflikte gekommen. Die Zahl potentiell bewaffneter Südkonflikte, vor allem niedriger Intensität, ist aber nach wie vor hoch und aufgrund der Verbindung von Umwelt- und Entwicklungsproblematik vermutlich im Steigen begriffen. Diese Beurteilung ergibt sich aus unseren verschiedenen Regionalanalysen, die im Unterschied zu den bekannten Kriegsregistern blutige Unruhen als Vorformen umweltverursachter bewaffneter Konflikte in die Bewertung der Lage einbeziehen. So gibt es zum Beispiel in Zentralasien eine Reihe von solchen Unruhen, die bereits zahlreiche Menschenleben gefordert haben, die aber in den zugänglichen Datenbanken nicht registriert sind (Fergana-Tal). Auch wurde von ENCOP der bewaffnete Konflikt in Ogoniland, einem Erdölfördergebiet Nigerias, bereits 1992, als weder Medienvertreter noch Politiker ein Interesse an dem Konflikt zwischen den Ogoni, der Zentralregierung und Dutch Shell zeigten, als besonders eskalationsverdächtig herausgehoben. Es steht zu erwarten, daß weitere vergleichbare Konflikte aufgrund der zunehmenden Umweltkrise kurz- oder mittelfristig in die heiße Phase treten werden.

Die meisten umweltverursachten bewaffneten Konflikte werden zwischen Akteuren innerhalb eines Staates ausgetragen (A). Bei einigen wenigen Konflikten besteht die Tendenz der Internationalisierung (B), wofür verschiedene Gründe maßgeblich sind. Meist handelt es sich dabei um Folgen von Migration und Flucht: Ein Teil der Land- und Umweltflüchtlinge zieht nicht in fruchtbarere Ökoregionen oder in die größeren Städte des eigenen Landes, sondern überquert in der Hoffnung auf besseres Land oder eine bezahlte Beschäftigung nationale Grenzen und sorgt jenseits des Herkunftslandes für politischen, sozialen oder ethnopolitischen Konfliktstoff. Auch Kriegsflüchtlinge, die Zuflucht in Nachbarländern suchen, können die Folge eines innerstaatlichen Gewaltkonfliktes mit ökologischen Dimensionen sein. Ein weiteres Element der Internationalisierung besteht in der Bildung von neuen Staaten wie zum Beispiel den zentralasiatischen Republiken nach dem Zerfall der Sowjetunion. Dadurch erhalten vertrackte innerstaatliche Konflikte, zum Beispiel um die regionale Wasserverteilung durch zentralistische Behörden, relativ unvermittelt eine internationale Dimension.

Hingegen werden internationale Konflikte (C) aufgrund ihrer Entstehungszusammenhänge von Anfang an zwischen souveränen Staaten ausgetragen. Sie resultieren aus grenzüberschreitenden degradierten Ökoregionen und aus nicht-raumgebundenen Ressourcen (Wasser, Luft), die vor nationalen Grenzen nicht haltmachen. Insbesondere zwischen Staaten, die von der gemeinschaftlichen Nutzung eines internationalen Flußbeckens abhängig sind, kommt es aufgrund asymmetrischer Ober- und Unteranrainer-Verhältnisse zu internationalen Disputen. Diese münden jedoch nicht in der Anwendung militärischer Gewalt; in der Regel bleibt es bei deren Androhung.

Die Unterscheidung der drei Ebenen (vgl. Tabelle 1) dient lediglich der Groborientierung. Die Grenzen sind im wahrsten Sinne fließend: Nahrung erhalten die meisten Konflikte aus innergesellschaftlichen Widersprüchen und Krisen. Grenzüberschreitende oder internationale Konflikte sind dann Ausdruck eines Umsichgreifens der Krise oder deren gezielten Eskalation. Im Hinblick auf die Ursachenanalyse bedarf es daher einer weiteren Feingliederung hin zu einer Konflikttypologie, welche die Art der Umweltdegradation mit den sozioökonomischen Folgen und den davon betroffenen Konfliktparteien in Verbindung setzt. Wir unterscheiden im folgenden sieben Umweltkonflikttypen, wobei die Trennschärfe in der Realität nicht immer gegeben ist; es gibt Konflikte, die durchaus Elemente mehrerer Typen gleichzeitig aufweisen.

1.1 Zentrum-Peripherie- Konflikte (Typ AI)

Die Verhältnisse zwischen Einwohnern peripherer Regionen einerseits und den Zentren von Entwicklungsländern, die sowohl die nationalen Eliten als auch die internationalen Investoren umfassen, andererseits, nehmen aufgrund der Umwelttransformation vielerorts prekäre Formen an. Diese Formen stellen sich in einer macht- und letztlich konfliktrelevanten Differenz von Handlungsalternativen im Umgang mit den Umweltproblemen dar. Während die sich modernisierenden Zentren über gewisse ökonomische und umwelt- sowie energiepolitische Handlungsalternativen verfügen, die sie aufgrund ihrer Machtausstattung verfolgen können, erweisen sich die sozioökonomischen Spielräume für große Teile der ländlichen Bevölkerungsschichten als äußerst begrenzt.

Katalysator eskalierender Zentrum-Peripherie-Konflikte sind daher vor allem landwirtschaftliche Großprojekte für die Exportwirtschaft, Staudämme und Bergbauvorhaben. Dabei treffen kapitalintensive Hochtechnologie- und Hochenergiesysteme weltmarktorientierter Unternehmen auf traditionale oder auf indigene Gemeinschaften, die auf technisch anspruchsloser Subsistenzwirtschaft oder auf kleinbäuerlicher Wirtschaft mit niedrigem Fremdenergieeinsatz basieren. Durch solche (agro-)industriellen Großprojekte in bis dahin nicht oder kaum in die Marktwirtschaft integrierte Gebieten werden die gesellschaftlichen Naturverhältnisse gegen den Willen der lokalen Bevölkerungen transformiert. Die Mechanisierung und, je nach Region, entweder die Kollektivierung oder die Privatisierung der Landwirtschaft verdrängen die traditionellen Anbaumethoden und die mit ihr verbundenen kulturräumlichen Verhältnisse, Landnutzungsmuster und Rechtspraktiken. Boden- und Gewässerdegradation infolge von weiträumigen Monokulturen für den Export oder von Staudämmen und Bergbauvorhaben befördern – durchaus in Wechselwirkung mit relativer Überbevölkerung in ländlichen Gebieten – die Erosion der Lebensordnungen und hemmen periphere wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Ein verschärfter Wettbewerb um Wasser, um Siedlungsraum, um Ackerland für die Selbstversorgung und um Arbeitsplätze gehört zu den unabwendbaren Folgen.

Gesellschaftliche Gruppen der Peripherie, die aufgrund von Großprojekten marginalisiert oder umgesiedelt werden, ohne daß sich ihnen Alternativen zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts eröffnen, sehen sich in der Rolle der Modernisierungsverlierer. Nur verhältnismäßig wenige finden bei kapitalintensiven Großprojekten eine bezahlte Arbeit und noch weniger erhalten finanzielle Kompensationen für den Verlust ihrer Ressourcen, die eine Existenzgründung im modernen Sektor der Wirtschaft erlauben würden. Eine solche Zentrum-Peripherie-Konfiguration eskaliert dann, wenn die vom Zentrum abgegebenen Versprechen über die positiven Entwicklungseffekte eines Projekts nicht eingelöst werden oder sich sogar in ihr Gegenteil verkehren. Die Opfer von Entwicklungsversprechen wähnen sich materiell, sozial, kulturell und spirituell schlechter gestellt als je zuvor in ihrer Geschichte; oft sind sie es auch tatsächlich.

Zentrum-Peripherie-Konflikte differieren aufgrund des Grads der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Zentrum und Peripherie sowie dem damit verbundenen Machtgefälle stark. Anders als bei Staudämmen oder Bergbauprojekten, die vom Zentrum relativ autonom verwirklicht werden, ist bei landwirtschaftlichen und Bewässerungsprojekten die Interdependenz zwischen Zentrum und Peripherie meist höher, weil zu deren Verwirklichung und Aufrechterhaltung eine größere Abstimmung notwendig ist. Eine Mine kann notfalls militärisch bewacht und geschützt werden, ein ausgedehntes Bewässerungsgebiet hingegen nicht.

Konflikte aufgrund von neo-kolonialistischem Ökoraubbau sind die internationale Variante des Zentrum-Peripherie-Konflikts (AI). Das Spezifische an Konflikten, die aufgrund von neo-kolonialistischem Ökoraubbau entstehen, ist, daß die Konfliktparteien unterschiedlichen Kulturkreisen angehören. Wie wir gesehen haben, ist die Distanz zwischen Vertretern ausländischer Interessen und marginalisierter Landbevölkerung nicht nur wegen der geographischen Entfernungen sehr groß. Bezeichnend für diesen Konflikttyp ist, daß damit verbundene Gewalthandlungen nicht mit der Tragweite und Globalität der Umweltproblematik korrespondieren. Die Gewalt nimmt sogar umgekehrt proportional zur Distanz ab. So waren die Proteste gegen die französischen Atomversuche in Europa im Vergleich zu den Protesten aus Neuseeland und anderen Pazifikstaaten vergleichsweise moderat. Zu blutigen Ausschreitungen und direkten Zusammenstößen zwischen der französischen Armee und protestierenden Gruppen kam es hingegen nur in Polynesien, das heißt, in unmittelbarer Nähe des Anlasses selbst. Das gleiche gilt für den Konflikt im Erdölfördergebiet Nigerias.

1.2 Ethnopolitisierte Konflikte (Typ AII)

Die Transformation der Umwelt stellt dann eine Ursache für ethnopolitische Spannungen und Konflikte dar, wenn Konfliktparteien mit divergierenden sozioökonomischen Interessen den Ausgang eines umweltverursachten Konfliktes mittels Akzentuierung von äußerlichen (rassischen) Unterscheidungsmerkmalen zu beeinflussen suchen. Die Ethnie wird instrumentalisiert und dient – je nach Konfliktphase – als Identifikationsmuster oder als Mobilisierungselement. Wie der Zentrum-Peripherie-Konflikt stellt der ethnopolitisierte Konflikt im Kern einen Modernisierungskonflikt dar. Im Unterschied zum ersteren verläuft die Konfliktlinie bei letzterem nicht zwischen einem definierten Zentrum und dessen Peripherie, sondern entlang gruppenspezifischer Merkmale innerhalb multiethnischer Gesellschaften. Der ökoregionale Bevölkerungsdruck trägt im Zusammenhang mit knappen und degradierten Ressourcen ebenfalls zur Verhärtung interethnischer Beziehungen bei.

Die landwirtschaftliche Übernutzung von Land, Holz und verfügbaren Wasserressourcen mündet – oft im Zusammenwirken mit der demographischen Dynamik – in Verteilungskonflikte um knappe Umweltgüter. Vielerorts steht in unterentwickelten Agrarstaaten der traditionelle Dualismus zwischen Garten- und Ackerbau einerseits sowie nomadisierender Viehzucht und Großviehhaltung andererseits im Hintergrund, wenn nicht sogar im Zentrum ethnopolitisierter Konflikte. Durch den Kampf um fruchtbares Land werden kulturökologische Nischen von regional gegeneinander abgegrenzt lebenden Gemeinschaften aufgebrochen. Aufgrund der intensiven Nutzung sowohl von ökologisch relativ stabilen Gunst- als auch von sensitiven Ungunsträumen durch eine wachsende Zahl ländlicher Produzenten ist die weitgehende territoriale Trennung von Lebensräumen ethnischer Gruppen zugunsten einer raumunabhängigeren ethnischen Vermischung und sozialen Schichtung verloren gegangen. Dieser Prozeß wurde durch Kolonisierung und Modernisierung, aber auch durch Kriege, nur noch verschärft.

Während große Flächen an gutem Land von Zentralregierungen, meist im Verein mit Agromultis, für Monokulturen ausgeschieden werden (vgl. AI), gibt es gleichzeitig immer weniger fruchtbares Land, das ausschließlich einer einzigen Nutzungsart durch Kleinproduzenten vorbehalten bleibt. Ackerflächen dienen saisonal als Weide und als Jagdgebiete, Weideland wird von Ackerbauern genutzt. Trotz der kompetitiven Interessen sind traditional produzierende Gruppen, seien es Abstammungsverbände, Clans oder ethnische Einheiten, in der Regel nicht dazu bereit, ihre oft über Jahrhunderte überlieferten Rechtsansprüche, die sie aus der ersten Aneignung herrenlosen Bodens als einer res nullius ableiten, aufzugeben. Historisch werden Landverteilungs- und Landnutzungskonflikte zwischen Anhängern des traditionalen Rechts und Protagonisten von Privat- oder Staatseigentum an Grund und Boden durch den Rückgriff auf gezielte Gewaltmaßnahmen »gelöst«. Dies gilt insbesondere, wenn sie in den Sog einer ethnosozialen Stratifizierung und ethnopolitischen Hierarchisierung der Gesellschaft geraten. In jüngerer Zeit werden solche Konflikte durch die negativen ökologischen Begleiterscheinungen einer strukturellen Fehlentwicklung überlagert und durch die leichte Verfügbarkeit über moderne Waffen brutalisiert. Dadurch erhalten sie sowohl eine qualitativ neue Dimension als auch eine besondere Virulenz.

1.3 Regionalistische Migrationskonflikte (Typ AIII)

Konflikte dieses Typs entstehen aufgrund von freiwilliger oder erzwungener Migration bzw. Umsiedlung von Menschen von einer ökogeographischen Region in eine andere Region in ihrem eigenen Land. Bei den mit interregionaler Migration zusammenhängenden Konflikten ist die geographische Herkunft das primäre Kriterium für die sozialen und politischen Konfliktbeziehungen der Akteure zueinander; dadurch unterscheiden sich regionalistische Migrationskonflikte von ethnopolitischen (AII) und von Zentrum-Peripherie-Konflikten (AI). Interregionale Migration konfrontiert Angehörige verschiedener, nicht notwendigerweise benachbarter Regionen miteinander. Zugezogene Arbeits- und Landsuchende und ansässige Bevölkerung geraten in als bedrohlich empfundene Konkurrenzsituationen, die es »auszufechten« gilt. Zugewanderte entwickeln aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten meist andere Interessen im Hinblick auf die Nutzung von Umweltressourcen als sie von ansässigen Gruppen, die über ausgeprägtere Einblicke in ihre spezifischen gesellschaftlichen Naturverhältnisse verfügen, vertreten werden. Solche Wanderungsbewegungen sind zum einen oft strukturell bedingt, etwa dann, wenn Trockenheit und Bodenerosion eine Abwanderung aus Ungunsträumen in produktivere Gunsträume oder (peri-)urbane Räume auslösen. Abwanderung, zwangsweise Umsiedlung und Vertreibung treten zum anderen im Zusammenhang mit (agro-)industriellen Großprojekten auf.

Dabei entstehen die unterschiedlichsten Interaktions- und Verhaltensweisen: Es kommt in übervölkerten und degradierten Gebirgsregionen mit Nomadenkulturen zu erheblichen Migrationsbewegungen in Bewässerungsgebiete, aber auch in Bevölkerungszentren des Vorlandes mit seßhaften Ackerbaukulturen. Ehemaligen Viehzüchtern fällt die Integration in die ihnen fremde Bewässerungslandwirtschaft schwer (z.B. in Zentralasien). Umgekehrt gibt es auch die Abwanderung von Bauern aus erodierten Hochländern in von Halbnomaden besiedelte fruchtbarere Tieflandgebiete (z.B. in Äthiopien). Eine dritte Bewegungsrichtung entsteht dann, wenn Halbnomaden aufgrund anhaltender Trockenheit und Bodenerosion Zuflucht in semi-ariden und sub-humiden Bergregionen, die von Ackerbauern besiedelt sind, suchen (z.B. im Sudan).

Die den drei interregionalen Interaktionssystemen zwischen Hoch- und Tieflandbewohnern zugrundeliegenden Muster sind vergleichbar. Die Migrationsbewegungen sind durch die sozioökologische Differenz der Lebensbedingungen in relativen Gunsträumen einerseits und in Ungunsträumen andererseits bestimmt. Die Wahrnehmung dieser Differenz mündet in einen Teufelskreis: Die Verhältnisse in den relativen Ungunsträumen, die nach und nach besiedelt wurden, weil der sozioökonomische und demographische Druck in den relativen Gunsträumen zu groß wurde, werden ökologisch in verhältnismäßig rascher Zeit prekär. Aus diesem Grund drängen Gruppen unter dem Eindruck klimatischer Schwankungen bzw. dauerhafter Klimaveränderungen aus marginalen Ungunsträumen (zurück) in relative Gunsträume, die ihrerseits starkem Druck ausgesetzt sind. Als Gunsträume gelten oft auch die Hauptstädte des Landes, wo es zu einem spannungsgeladenen Mix aus ansässiger Stadtbevölkerung und massenhaft Zugezogenen kommt.

Die regionalistischen Konflikte bleiben in der Regel örtlich begrenzt oder nehmen jedenfalls nur kleinräumige Ausmasse an; sie tangieren weder das ganze Land noch die Hauptstadt als Zentrum der Macht. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen spielen sich entweder in (peri-)urbanen Räumen ab und vermischen sich mit Gewalt- und Bandenkriminalität, die nicht selten von ehemaligen Soldaten getragen wird, oder sie finden in den umstrittenen Ökoregionen selbst statt. In Gebieten mit einer komplizierten ethnischen und kulturellen Zusammensetzung können sich ansässige Bevölkerung und nach und nach infiltrierende Einwanderergruppen durchaus auch neutralisieren, weil sich die Gruppenloyalitäten verhältnismäßig leicht und opportunistisch nach Bedarf ändern.

Trotzdem führt die interregionale Migration oder Umsiedlung zu politischen Auseinandersetzungen um die Machtbeteiligung von Angehörigen bisher politisch und wirtschaftlich zweitrangiger oder gar marginalisierter Regionen. In Ländern mit starken regionalen Disparitäten, die nicht durch rechtsstaatliche und demokratische Mechanismen (Finanzausgleich, Strukturhilfefonds etc.) ausgeglichen werden, können interregionale Bevölkerungsverschiebungen durchaus zu Veränderungen der Machtstrukturen bis hin zur Okkupation des staatlichen Gewaltmonopols durch neue regionalistische Gruppen führen, wenn es ihnen gelingt, die herrschende Elite erfolgreich zu durchdringen oder anderweitig von der Macht zu vertreiben.

1.4 Grenzüberschreitende Migrationskonflikte (Typ BIV)

Wenn Umweltflüchtlinge freiwillig oder aufgrund von Vertreibungen nationale Grenzen überschreiten und sich entweder in grenznah gelegenen ländlichen Gebieten oder in Städten eines Drittlandes ansiedeln, stellen sie ein ernstzunehmendes soziales und gelegentlich auch (ethno-) politisch instrumentalisierbares Konfliktpotential dar. Umweltdegradationsflüchtlinge verstärken Konfliktsituationen insbesondere an jenen Orten, an denen die ökonomische Situation erodiert, politische Instabilitäten oder traditionelle Zwistigkeiten schon existieren oder durch den Migrations- und Bevölkerungsdruck Konfliktlinien vertieft oder neu gezogen werden. Gewaltanwendung beschleunigt diesen Prozeß und öffnet oft auch vorkoloniale Gräben zwischen ehemals verfeindeten Clans, ethnischen Gruppen oder Völkern.

Bei der Umweltflucht handelt es sich meist um die beharrliche Infiltration in Räume, die günstigere Lebens- bzw. Überlebensbedingungen erwarten lassen. Nur in Ausnahmesituationen wie zum Beispiel bei akuter Dürre, kommt es zu spontaner massenhafter Flucht. Die Fluchtwege sind verzweigt. Vielerorts lohnt es sich, die Landesgrenze zu überschreiten, weil ausländische Gunsträume geographisch näher liegen und die Menschen dort ähnlicher sind (möglicherweise der gleichen Ethnie angehören) als in der fernen Hauptstadt des Landes. Vereinzelt führen die Wege auch in die nördlichen Industrieländer, die aufgrund der Entwicklungsunterschiede und der vorurteilsbildenden Wertediffusion generell als Gunsträume betrachtet werden.

Die Konflikte, die durch Umweltflucht aus akut degradationsgefährdeten ländlichen Regionen in Entwicklungsländern ausgelöst werden, fallen in drei Kategorien:

  • An erster Stelle stehen Probleme, die aus Armut und Unterentwicklung als solchen resultieren. Dazu gehören die Krise der traditionellen Landwirtschaft sowie das Bevölkerungswachstum auf dem Lande. Der überwiegende Teil der Bevölkerung in Entwicklungsländern siedelt in ländlichen Gebieten. Eine ungenügende Infrastruktur, ungeklärte Besitzverhältnisse bzw. divergierende Rechtsvorstellungen sowie ein mangel- und lückenhaftes bäuerliches Kreditwesen tragen zum Erhalt von landwirtschaftlichen Strukturen niedriger Produktivität und demzufolge auch einer schwachen Einkommensstruktur bei. Gleichzeitig bewirkt die Marktwirtschaft die Auflösung von überkommenen Strukturen nur sehr selektiv, so daß Subsistenz- und Kleinbauern aufgrund der Dualität von marktwirtchaftlichen und traditionalen Produktionsweisen weiter unter Druck geraten. So unterschiedliche Phänomene wie Bodenerosion, starker Regen und Flut, Trockenheit und Dürre, Versalzung durch Bewässerung, Abholzung und Waldrodung sowie Überweidung von Grassavannen durch immer größere Viehherden beschleunigen die Auflösung traditionaler Lebensordnungen, das heißt, spezifischer lokaler bzw. regionaler Ensembles von Wirtschaft, Kultur, Nachbarschaft und Familie. Den Menschen bleibt ab einem bestimmten Punkt keine andere Wahl, als ihre Heimat aufzugeben.

Die armutsbedingte Erosion von Acker- und Weideland ist diejenige Variante der Umweltzerstörung, die bis heute die meisten Umweltflüchtlinge hervorgebracht hat. Die direkten Anlässe, die den Entscheid zur Flucht herbeiführen, sind in den betroffenen Regionen selbst zu suchen.

  • An zweiter Stelle stehen Probleme, die sich aus den – wenn auch schwachen und verbogenen – Entwicklungsprozessen selbst ergeben: dazu gehören die Mechanisierung der Landwirtschaft, Staudammbauten, Teilindustrialisierung und Urbanisierung. Die Mechanisierung der Landwirtschaft bewirkt die Freisetzung zahlloser Kleinbauern und Landarbeiter. Sie zwingt diese, sich auf marginale Böden zurückzuziehen oder in Städte abzuwandern. Während diese erzwungenen Bewegungen als eine Form der Landflucht oder Vertreibung durch wirtschaftliche und politische Gewalt betrachtet werden können, führen die diversen Nebeneffekte der Mechanisierung wie der Einsatz von Dünger, von Pestiziden und Herbiziden sowie die weiträumige Versalzung von Böden aufgrund von Bewässerungssystemen, zu eigentlicher Umweltdegradationsflucht.

Umweltprobleme, die mit der Wasserversorgung bzw. dem Wassermanagement zu tun haben und zu Umweltflucht und Umsiedelungen führen, sind mit Staudamm- und Bewässerungsprojekten sowie den daraus resultierenden Nebeneffekten verbunden. Die Überschwemmung von Siedlungsgebieten und der Verlust von fruchtbarem Land, von Fischbeständen und Artenvielfalt, aber auch die Versalzung und die Ausbreitung von Krankheiten, hervorgerufen durch das Schrumpfen von Binnengewässern und durch anhaltende Trockenheit, können zu großen Umsiedlungs-, Vertreibungs- und Fluchtaktivitäten führen. An dieser Stelle sind aber auch modernisierungsbedingte Formen der Transformation und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerungen zu nennen: Umweltzerstörung durch militärische Aktivitäten, Umweltverschmutzung und -vergiftung, Verdrängungsprozesse durch den Bau von Staudämmen und Ressourcenverknappung.

  • An dritter Stelle schließlich muß die Gefährdung einer wachsenden Zahl von Menschen, die gezwungen ist, aufgrund sozioökonomischer und demographischer Faktoren auf marginalen Böden oder in gefährdeten Regionen zu siedeln und dadurch Opfer von natürlichen Ereignissen (wie Bergrutschen) zu werden, genannt werden. Diese Ereignisse werden von den betroffenen durchwegs als »Natur-« und nicht als »Sozialkatastrophen«, die sie im Grunde sind, angesehen.

Vor allem die Probleme der ersten Kategorie führen heute zu den gravierendsten sozialen und individuellen Härten in den Entwicklungsländern. Armuts- und modernisierungsbedingte Milieuzerstörung sind dabei nur zwei Seiten derselben Medaille.

Ein erwähnenswerter Konfliktgegenstand, den wir allerdings nur oberflächlich streifen, bildet die interkontinentale Migration aus den südlichen in die nördlichen Kontinente. An den Bruchstellen zwischen Nord und Süd, zum Beispiel am Rio Grande, der die USA und Kanada von Mexiko und Lateinamerika trennt, versuchen die nördlichen Industrieländer durch den Bau von Zäunen, grenzpolizeilichen und militärischen Maßnahmen, eine Politik der Einwanderungskontrolle bzw. des -stopps sowie der Rückführung von illegal Eingereisten durchzusetzen. Umweltdegradationsflüchtlinge sind vor diesem Hintergrund ein Faktor im globalen Verteilungskonflikt, der zu einer ökologischen Bevorteilung der industriellen Vorreiterökonomien, die die Ressourcen weltweit noch ungehemmt genutzt haben, und zu einer ökologischen Marginalisierung der Armut der Nachzügler geführt hat.

In der Regel verfügen Umweltdegradationsflüchtlinge jedoch nicht über die notwendigen Ressourcen und die gesundheitliche Konstitution für kostspielige und lange Reisen. Aus diesem Grund liegen die Destinationen des überwiegenden Teils der Migranten und Flüchtlinge nicht in anderen Teilen ihres Kontinents oder gar in anderen Kontinenten. Verfolgt man den Weg eines Umweltdegradationsflüchtlings von seiner Heimat bis zur möglichen Destination in einem Industrieland, so gibt es auf seinen Stationen verschiedene Konfliktherde: in der benachbarten Ökoregion, in der Hauptstadt des Landes, im grenznahen Raum jenseits der Landesgrenze, in anderen Ländern oder Kontinenten.

1.5 Demographisch verursachte Migrationskonflikte (Typ BV)

Die relative Überbevölkerung in stark beanspruchten oder übernutzten Ökoregionen stellt ein weiteres Motiv für Migration, Flucht und Umsiedlungsaktionen dar. Damit einhergehende Konflikte sind ähnlich gelagert wie regionalistische oder internationale Migrationskonflikte. Das Bevölkerungswachstum ist ebenfalls eng mit sozioökonomischen Problemen der Armut verknüpft. In einigen Ländern (Ruanda, Bangladesch, Indonesien) führt der lokale Bevölkerungsdruck auf das genutzte Land zu einem deutlichen Auseinanderklaffen der ökologischen und ökonomischen »carrying capacity« von Ökoregionen, was sich in einem verschärften Wettbewerb um knappe und degradationsgefährdete Ressourcen niederschlägt. Ein Indiz dafür sind immer kleinere landwirtschaftlich nutzbare Flächen pro Kopf der Bevölkerung. Kleine Anbauflächen, geringe Hektarerträge und mangelnde Alternativen im gewerblichen Sektor zwingen große Teile der Landbevölkerung zur Abwanderung Richtung Stadt. Deutlich kommt der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Umweltzerstörung auch dort zum Ausdruck, wo der Bevölkerungsdruck durch Migration auf noch ungenutzte Flächen in Regenwald- und Berggebieten zunimmt. Ein weiterer Trend ist das überdurchschnittlich hohe Bevölkerungswachstum in ökologisch empfindlichen Küstenregionen. Und schließlich trägt das allmähliche Einsickern von Landlosen oder das Ausweichen von Halbnomaden mit ihren Herden in staatliche Naturschutzzonen bzw. Parks ein erhebliches Konfliktpotential in sich.

Zu akuten Konflikten kommt es dort, wo die Ausweichbewegungen in Regionen hineinführen, in denen die Land- und/oder Wasserressourcen bereits durch die ansässige Bevölkerung stark genutzt werden. Wenn demographische, ökologische, soziale und/oder ethnopolitische Faktoren kumulieren, kommt es zu Konflikten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Waffengewalt wie zum Beispiel zwischen bengalischen Umweltflüchtlingen und Bewohnern der indischen Provinz Assam.

Demographisch verursachte Migrationskonflikte sind Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels von Gesellschaften und ihrem internationalen Umfeld. Im innerstaatlichen Bereich ist die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie bestimmend: Wenn der Druck in der Peripherie zu groß wird, dann wird er in Form von Migration auf die Stadt weitergegeben, so daß es vor allem im peri-urbanen Bereich zu einem wachsenden sozialen Potential für Konflikte und Gewaltkriminalität kommt. Diese Konflikte bewirken eine Dynamik in Richtung grenzüberschreitender Migration, die – im Kontext von gewaltsamem Machtwechsel und Bürgerkrieg – nicht selten die Form massenhafter Flucht annimmt (Region der Großen Seen in Ostafrika).

1.6 Internationale Wasserkonflikte (Typ CVI)

In dieser Kategorie befinden sich Konflikte zwischen Staaten, die ein grenzüberschreitendes Flußbecken teilen. Wassernutzungskonflikte ereignen sich typischerweise zwischen Ober- und Unteranrainern eines Flußbeckens oder zwischen Hoch- und Tieflandbewohnern. Aufgrund der Gerichtetheit des Wasserflusses sind die Nutzungschancen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Staaten eines Beckens höchst asymmetrisch verteilt. Fließende Gewässer sind das augenscheinlichste Beispiel für den generellen Widerspruch zwischen den natürlichen Grenzen von Ökoregionen und den historisch gewachsenen politischen Grenzen von Nationalstaaten. Sie verbinden ökologische Funktionsräume ökologisch miteinander, die unterschiedlichen Herrschaftssphären angehören.

Grundsätzlich sind Verschmutzungs- und Verteilungskonflikte zu unterscheiden: erstere betreffen die qualitative Degradation der Ressourcen, letztere deren quantitative Verknappung. Verschmutzungskonflikte stellen sich als Streitigkeiten um ein unteilbares öffentliches Gut dar, die erfahrungsgemäß hauptsächlich Grenzwerte, Verantwortlichkeiten und wirtschaftliche Kosten betreffen. Weil in der Regel alle Anrainer ein Eigeninteresse an der Behebung des Problems haben, lassen sich diese Konflikte durch technische Massnahmen oder einen finanziellen Ausgleich prinzipiell leichter lösen als die Frage der physischen Verfügung über die Ressourcen selbst. Verteilungskonflikte stellen sich nämlich als Konflikte um teilbare Güter bzw. absolute Nullsummenspiele dar. Sie berühren die staatliche Souveränität und Integrität direkter als die Problematik der Wasserverschmutzung. Insbesondere in Regionen, die saisonal oder absolut ohnehin unter Wasserknappheit leiden (z.B. der Nahe Osten oder der Indische Subkontinent), ist die Wasserverteilung eine höchst brisante Frage, die sich unmittelbar in der Gestalt einer Bedrohung der nationalen Sicherheit stellt. Weil sie politisch leicht instrumentalisierbar sind, vermengen sich Verknappungskonflikte in politischen Krisenregionen unweigerlich mit anderen Konfliktursachen. Beide Grundtypen können freilich auch in kombinierter Form auftreten.

Internationale Wassernutzungskonflikte entfalten sich im Spannungsfeld zwischen dem unmittelbaren Interesse der betreffenden Staaten an den geteilten Ressourcen, der Machtverteilung zwischen ihnen und dem Verhältnis von konfrontativer und kooperativer Tradition in ihren zwischenstaatlichen Beziehungen. Das Interesse an der Ressource ist wiederum eine Funktion des sozioökonomischen Problemdrucks, der aus dem Grad der Abhängigkeit von den geteilten Ressourcen, dem Bevölkerungswachstum sowie der Fähigkeit der betroffenen Staaten, mit Verwundbarkeit umzugehen, resultiert. Demnach ist neben den objektiven hydrologischen Bedingungen das politische und sozioökonomische Umfeld für die Austragung internationaler Wasserkonflikte von zentraler Bedeutung. Von den mit der Wassernutzung zusammenhängenden Problemen allein können keine direkten Schlüsse auf die Gewaltträchtigkeit der Nutzungskonflikte gemacht werden.

Besteht auf verschiedenen Politikfeldern eine kooperative bilaterale Tradition, so hat dies auf Wassernutzungskonflikte eine dämpfende Wirkung. Präzedenzfälle erfolgreicher Kompromißfindung oder gar institutionalisierte Mechanismen der Streitschlichtung und Kooperation verringern die Gefahr, daß Wassernutzungskonflikte außer Kontrolle und in eine Eskalationsdynamik geraten. In integrierten Räumen werden internationale Verträge über die Nutzung grenzüberschreitender Gewässer häufiger und früher geschlossen als in nicht-integrierten. Am günstigsten auf die Konfliktdynamik wirkt sich aus, wenn auf dem Gebiet der Wassernutzung bereits zwischenstaatliche Regime bestehen, an die bei neu auftretenden Konflikten angeknüpft werden kann.

Verschmutzungs- und Knappheitskonflikte in und zwischen Industriestaaten in politisch stark integrierten Regionen lassen sich demnach aufgrund der hohen Handlungskompetenz der beteiligten Staaten und der bestehenden regulativen Mechanismen auf der politischen Ebene bearbeiten. Umweltkonflikte können hier zu einem Katalysator von Kooperation werden, wenn von den beteiligten Akteuren politische Kompromisse als wünschbar und technische Lösungen als durchführbar angesehen werden. Hingegen stellen sie in politisch-institutionell schwachen Staaten und nur dürftig integrierten Regionen einen potentiellen Faktor der Konfrontation dar. Konflikte, welche die Gewaltschwelle überschreiten, müssen im Kontext dieses politischen Umfeldes untersucht werden. Selbst Streitigkeiten um die Verteilung von grenzüberschreitenden Wasserressourcen in ariden Regionen haftet demnach nicht jener Automatismus zum gewaltsamen Konfliktaustrag an, der von manchen Autoren unterstellt wird.

Im Nahen Osten ergibt sich eine besondere Eskalationsträchtigkeit internationaler Wasserkonflikte aus der Vermengung einer äußerst akuten Wasserknappheit mit dem Jahrhundertkonflikt zwischen den Israelis und den Arabern. Das Wasser war und ist in diesem Rahmen sowohl ein zusätzlicher Streitgegenstand als auch ein Instrument zur Austragung des traditionellen Konfliktes um Grenzen, Sicherheit und nationale Identität. Wenn auch der Konflikt keineswegs definitiv gelöst ist, zeigt sich andererseits am Beispiel des gegenwärtigen arabisch-israelischen Friedensprozesses, daß kooperatives Management von Wasserressourcen selbst unter Bedingungen akuter Knappheit möglich ist, wenn die beteiligten Staaten die grundlegenden politischen Differenzen beizulegen vermögen und über die nötigen Mittel für ökonomische und technische Korrekturen im Bereich von Wasserangebot und -nachfrage verfügen. Israel und Jordanien schlossen im Rahmen eines umfassenden Friedensvertrages im Oktober 1994 ein Wasserregime, das eine begrenzte Umverteilung der Ressourcen mit Maßnahmen zu einem verbesserten Wassermanagement verbindet.

Auf dem indischen Subkontinent sind die Wassernutzungskonflikte hingegen in einen Kontext eingebettet, der von extremer Armut, ethnopolitischen Spaltungen und den Hegemonialansprüchen einer Regionalmacht geprägt ist. Die vom Oberanrainer Indien verursachte Verminderung des Wasserabflusses trug beim Unteranrainer Bangladesch zu Verelendungsprozessen und zu Migrationsbewegungen in die benachbarten indischen Bundesstaaten bei. Diese sind die Ursache für zum Teil gewaltsam ausgetragene ethnopolitische Auseinandersetzungen und latente Sezessionsbestrebungen, die einen zusätzlichen Faktor der Unstabilität auf dem indischen Subkontinent bilden. Letztlich handelt es sich in diesem Fall um eine machtpolitische Manifestation ökoregionaler Abhängigkeitsverhältnisse, die ihre Wurzeln in der ökosozialen Heterogenität zwischen den regionalen Akteuren hat.

Wie in jedem Konflikt spielen bei Wassernutzungskonflikten zwischen Ober- und Unteranrainern die Machtverhältnisse bei der Wahl der Mittel des Konfliktaustrags eine wesentliche Rolle. Im Kontext hoher institutioneller Verflechtung und kooperativer Tradition wird die Bedeutung der Machtverhältnisse durch rechtliche Schranken und gewohnheitsbestimmte Verhaltensregeln mediiert. Das Vorhandensein eines handlungskompetenten Hegemons am Oberlauf kann in solch einem Umfeld durchaus eine stabilisierende Wirkung haben, wenn dieser im Interesse gutnachbarschaftlicher Beziehungen Entgegenkommen zeigt und seine Kompetenzen dazu nutzt, beidseitig befriedigende technische Lösungen zu ermöglichen (Bsp. USA-Mexiko).

In einem konfrontativen politischen Kontext ist es hingegen von zentraler Bedeutung, in welcher Anrainerposition sich der militärisch und politisch stärkere Staat befindet. Die geographische Position am Flußlauf ist selbst ein Faktor der Macht, dem beim Konfliktaustrag Beachtung zu schenken ist. Wenn ein Staat sowohl Oberanrainer als auch militärisch überlegen ist, hält er alle Trümpfe in der Hand. Er kann den oder die Unteranrainer bei der verfügbaren Wassermenge rücksichtslos diskriminieren. Ist seine Überlegenheit überwältigend, werden die Unteranrainer trotzt der Diskriminierung aufgrund einer rationalen Kosten-Nutzen-Analyse kaum zu einer offenen kriegerischen Auseinandersetzung bereit sein. Gewaltsame Auseinandersetzungen werden sich allenfalls auf der substaatlichen Ebene als Folge von Migrationsbewegungen zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer oder regionaler Gruppen abspielen. Befindet sich der potentere Staat hingegen in der Unteranrainerposition, so kann er seine ungünstige ökoregionale Position machtpolitisch kompensieren.

Offene Kriege aufgrund von Wasserverteilungsfragen allein sind allerdings bis heute nicht nachweisbar. Nur wenn die Wasserfrage mit ungünstigen politischen Rahmenbedingungen wie einem historischen Konflikt zusammentraf, wurden Streitigkeiten um Wasserprojekte zum unmittelbaren Auslöser von kriegerischen Handlungen (Bsp. Scharmützel zwischen Israel und Syrien im Vorfeld des Sechs-Tage-Krieges). Die asymmetrischen ökogeographischen Positionen im Becken werden unter solchen Bedingungen von den Oberanrainern hemmungslos ausgenutzt. Klimatisch und demographisch bedingte Knappheitssituationen verschärfen die Lage zusätzlich. Befinden sich die dominanten Anrainer unter autoritären Regimes, die von der Zentrale aus Modernisierungsprozesse auch gegen die eigene oder die Bevölkerung im Nachbarstaat implementieren, sind die geteilten Wasserwege latent dauerhaft Gegenstand von politischen Konflikten. Sie bilden häufig Anlaß zu militärischen Drohgebährden gegen den Nachbarn oder zur Gewaltanwendung gegen marginalisierte ländliche Gruppen.

1.7 Fernwirkungskonflikte (Typ CVII)

Klimaveränderungen und die Zerstörung der Ozonschicht sind Ausdruck globaler Transformationserscheinungen. Sie führen aber offenbar nicht zu globalen Konfliktformationen. Vielmehr fördert die weltweite Umweltdegeneration weiterhin strukturelle und ökologische Heterogenität auf ökoregionaler Ebene. Nutznießer und Geschädigte sind regional ungleich verteilt. Aufgrund der vorliegenden Fallstudien sind wir nicht in der Lage, konkrete Aussagen über die sozioökonomischen und -ökologischen Auswirkungen von Klimaveränderungen zu treffen. Da der prognostizierte Meeresspiegelanstieg ein Phänomen der mittel- und langfristigen Zukunft sein wird und auch die anhaltende Trockenheit in ariden und semi-ariden Zonen nicht eindeutig dem anthropogenen Klimawandel zuzuordnen ist, bleiben Aussagen dazu spekulativ. Sicher ist, daß aufgrund des Entwicklungsdilemmas die Verlierer dort zu finden sein werden, wo die gesellschaftlichen Naturverhältnisse ohnehin prekäre Situationen hervorgerufen haben. Sollten aktuelle Konflikte auf globale Umweltphänomene zurückgeführt werden können, handelt es sich vermutlich in erster Linie um innerstaatliche Konflikte der Typen AI bis AIV. Mit anderen Worten, akute Konflikte zeichnen sich nicht entlang des Kompetenzgefälles zwischen Nord und Süd ab, sondern dort, wo der Klimawandel und seine Folgen Agrargesellschaften zum Kollaps, Millionen Menschen in die Flucht und politische Instanzen in den Zusammenbruch treiben können.

Fazit:

Die sozioökologische Heterogenität schlägt sich in machtrelevanten Differenzen von Handlungsoptionen nieder. Diese manifestieren sich als internationale, soziale, regionalistische, ethnopolitisierte und machtpolitische Verteilkämpfe um knappe und degradierte Ressourcen. Genauer noch: Wenn sich höhere ökonomische Erwartungen von sozialen Gruppen und eine größere Ressourcennachfrage einer wachsenden Bevölkerung einerseits und begrenzte oder unklare Entwicklungsperspektiven, degradierte Ressourcen, versiegende Energiequellen und technische Defizite bzw. steile Kompetenzgefälle bei der nachhaltigen Erschließung neuer Energiequellen andererseits gegenüberstehen, kommt es unweigerlich zu Konflikten darüber, welche Akteure die degradierten Ressourcen weiterhin nutzen werden und welche abgedrängt oder von der Nutzung ausgeschlossen werden. Ob es darüber dann auch zu einem Rückgriff auf organisierte Gewalt kommt, hängt zusätzlich von den Möglichkeiten zivilen Konfliktaustrags, der Mobilisierungsfähigkeit der Akteure, der Wahrnehmung von Handlungsalternativen, mithin von den Präferenzen der Akteure und deren Begrenzungen ab.

2. Unausweichliche Lage und Mangel an Regulierungsmechanismen – These Zwei

In Kapitel 3 (des demnächst erscheinenden Buches, die Red.) haben wir Akteurshandeln als das Ergebnis von zwei zeitlich nachgeordneten Filterprozessen beschrieben. Filter I, der die beliebig vielen Handlungsmöglichkeiten von Akteuren auf einige wenige begrenzt, wirft die doppelte Frage danach auf, wie die Umweltdegradation einerseits und der daraus entstehende Konflikt andererseits die Handlungsoptionen der Akteure beeinflußt. Beim Filter II, der die Präferenzordnung bestimmt, entsteht das Problem, wie die Umweltdegradation einerseits und der daraus entstehende Konflikt andererseits die Präferenzen der Akteure dahingehend beeinflußt, daß sie meinen, zur bewaffneten Gewalt greifen zu müssen.

In der zweiten These gehen wir davon aus, daß es dann und nur dann zu umweltverursachten bewaffneten Konflikten kommt, wenn mehrere der folgenden fünf Faktoren zusammentreffen:

1. Degradierte Ressourcen, die in absehbarer Zeit nicht substituierbar sind, bringen Gruppen, deren Existenz vom Erhalt dieser Ressourcen abhängt, in eine unausweichliche und mithin verzweifelte Lage. Unausweichliche Zustände sind solche, die man nicht verstandesmäßig oder absichtlich verlassen kann.

2. Es existiert ein Mangel an gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen. Dieser ist nichts anderes als der Ausdruck der sozialen und politischen Machtlosigkeit staatlicher, traditionaler und moderner zivilgesellschaftlicher Institutionen. Zur »Machtlosigkeit der Macht« kommt es dann, wenn sich ein politisches System als unfähig erweist, gewisse soziale und politische Zustände herbeizuführen. Gesellschaftliche Ziele, wie zum Beispiel die nachhaltige Ressourcennutzung, werden dadurch unerreichbar.

3. Die Umweltzerstörung wird von staatlichen oder gesellschaftlichen Akteuren zur Verfolgung gruppenspezifischer Interessen auf eine Weise instrumentalisiert, daß die Ressourcenproblematik zu einer Gruppenidentitätsfrage wird.

4. Der umweltverursachte Konflikt findet in einem politischen Umfeld statt, der es den Akteuren erlaubt, sich zu organisieren, sich zu bewaffnen und Alliierte entweder in von ähnlichen Problemen betroffenen Gruppen, in anderen sozialen Schichten oder im Ausland zu gewinnen.

5. Der umweltverursachte Konflikt findet im Kontext einer bereits bestehenden Konfliktkonstellation statt, die durch die subjektive Wahrnehmung der Tragweite der Umwelttransformation oder durch den verschärften Ressourcenwettbewerb polarisierter Gruppen neuen Auftrieb erhält.

Unausweichliche sozioökonomische Zustände, Mangel an gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen, Instrumentalisierung, Gruppenidentität, Organisation und Bewaffnung und Überlagerung eines historischen Konfliktes bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich die umweltverursachten bewaffneten Konflikte ereignen.

2.1 Unausweichliche Lage der Akteure

Es sind prinzipiell die gleichen soziokulturellen Faktoren und Verhaltensmuster, die einerseits zur Degeneration der Umwelt und andererseits zu bewaffneten Konflikten führen: konkurrierende Interessen bei der Nutzung der erneuerbaren Ressourcen, Verknappung und Verschmutzung durch Übernutzung, unklare bzw. kompetitive Rechtsordnungen und Eigentumsregelungen sowie politische Mobilisierung von kollektiven Akteuren, die sich in Verteilungs- und Abwehrkämpfen verstricken. Diese sind Ausdruck eines tiefgreifenden sozialen Wandels, der insbesondere die Landbevölkerung in Entwicklungsländern erfaßt hat. Die Landbevölkerung, die von der Transformation besonders stark betroffen ist, umfaßt in erster Linie die Agrarproduzenten von niedrigem sozialem und politischem Status, einschließlich der Landarbeiter, der Knechte, der Geldpächter etc. Das heißt insbesondere, daß ihre Angehörigen keine Agrarunternehmer sind und nicht zu den politisch Herrschenden gehören.

Zu den Faktoren, die zum Leiden und Widerstand der Landbevölkerung beigetragen haben, gehörten in erster Linie die Verdrängung der autochthonen vorkolonialen Agrar- und Arbeitsverfassungen mit ihrem hohen Anteil an genossenschaftlichen und kollektivistischen Zügen durch das Vordringen moderner landwirtschaftlicher Produktionsweisen und Besitzverhältnisse. Die Umwelttransformation erweist sich in diesem gegenläufigen Prozeß von Modernisierung versus Marginalisierung nicht so sehr als eine Frage von einfacher Ressourcenknappheit, sondern eher als eine Folge von fehlgeleiteter Entwicklung. Elemente davon sind:

  • das modernisierungsbedingte Bevölkerungswachstum bei fehlenden sozialen und ökonomischen Institutionen, die den entstehenden Druck auf die erneuerbaren Ressourcen einer Ökoregion auffangen und in produktive Kanäle leiten können;
  • die Kommerzialisierung der landwirtschaftlichen Produktion. Da diese in der Regel kapitalintensiv verläuft, wird die traditionale Landwirtschaft marginalisiert und in relative oder absolute Ungunsträume abgedrängt. Bauern und Viehzüchter werden freigesetzt, ohne daß ihnen im kommerziellen Sektor oder in der Stadt eine Alternative angeboten wird;
  • die Krise der Subsistenzwirtschaft, die einerseits auf die beiden ersten Einflußfaktoren zurückzuführen ist, andererseits mit der Subsistenzproduktion selbst zu tun hat. Dazu gehören abnehmende Erträge, hohe Anfälligkeit für klimatische Schwankungen, geringe Überschußproduktion zur Reservebildung, starre Produktionsstrukturen, die zu einer auf Dauer unnachhaltigen Nutzung der jeweiligen Ökoregion führen.

Die drei Faktoren führen für sich allein genommen nicht notwendigerweise zu bewaffneten Konflikten. Es kommen jedoch zwei wichtige Einflußfaktoren hinzu, welche unsere Arbeitsthesen erhärten: die unausweichliche Lage vieler kleiner Produzenten, die keine alternative Möglichkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts sehen, gepaart mit der Machtlosigkeit der Entwicklungspolitik des Zentrums im Hinblick auf wünschbare Ziele wie zum Beispiel die Verteilung von mehr produktivem Land an mehr Produzenten, die Schaffung von Arbeitsplätzen im gewerblichen und industriellen Sektor oder die Drosselung des Bevölkerungswachstums auf dem Lande. Die unausweichliche Lage und die Machtlosigkeit der Politik sind die beiden Extremformen der machtrelevanten Differenz von Handlungsalternativen. Es ist dann das beiderseitige Fehlen von Handlungsoptionen bzw. die starre Polarisierung, die hoch gewaltanfällig ist.

Eine globale Antwort auf die Frage, ob diese Faktoren in jedem Fall und zwingend zu einem bewaffneten Konflikt führen, ist nicht möglich. Vielmehr müssen lokale und regionale Unterschiede, aber auch jahreszeitliche Schwankungen in Betracht gezogen werden. Nicht die »globale Tendenz zur Desertifikation durch Überweidung« gilt als verläßlicher Konfliktindikator, sondern lokalspezifisch unterschiedlich größer werdende Instabilitäten im sozioökologischen Netzwerk. Ein generelles Indiz dafür ist, daß Regulierungsphasen bei der Nutzung von erneuerbaren Ressourcen kürzer und daher häufiger werden. Hinzu kommen extreme ökonomische und kulturelle Heterogenitäten, die Produktionsweisen selbst innerhalb scheinbar einheitlicher Regionen, wie etwa dem Horn von Afrika oder der Sahelzone, prägen. Soziale Differenzierungen bilden zusammen mit politischen Mobilisierungen entlang identitätsbildender Grenzen (Ethnie, Stamm, Volk, Religionsgemeinschaft) einen Indikator dafür, daß in bestimmten Regionen aufgrund der Zerrüttung gesellschaftlicher Naturverhältnisse erhöhte Anpassungs- und Regulierungsprozesse notwendig wurden bzw. werden. Zusammen mit weiteren exogenen und endogenen Einflüssen, wie Klimaschwankungen, Urbanisierung, Landflucht und Niederlassen illegaler Siedler im Umkreis von Städten, ergibt sich eine Reihe von unausweichlichen Konsequenzen, die vom Prinzip der Nachhaltigkeit wegführen. Dort, wo ausreichende technische und ökonomische Mittel zum Umgang mit destruktiven Naturverhältnissen vorhanden sind, bilden Umweltprobleme keinen akuten oder gar unausweichlichen Kriegsgrund. Wo hingegen keine Möglichkeiten zur Substitution degradierter Ressourcen existieren und/oder die Beziehungen zwischen den Parteien durch Alternativlosigkeit belastet sind, ist eine Konflikteskalation wahrscheinlich. Wenn Menschen gezwungen werden, sich das, was sie zum Leben brauchen, von wo auch immer zu nehmen, haben sie keine andere Wahl, als das übermäßig zu nutzen, was immer für sie verfügbar ist, um ihre gegenwärtigen Bedürfnisse zu erfüllen und zwar selbst gegen den Widerstand Dritter.

2.2 Mangel an gesellschaftlichen Konfliktbearbeitungsmechanismen

Allen präsentierten Konflikten ist gemeinsam, daß der Mangel an gesellschaftlichen Konfliktbearbeitungsmechanismen die gewaltförmige Konflikteskalation befördert. Denn wenn über lange Zeiträume hinweg eingeübte und sozial verankerte Mechanismen zur Konfliktregelung versagen, sei es, weil sie den neuen Herausforderungen der Umweltzerstörung nicht gewachsen sind, weil externe Akteure mit anderen Interessen in die Konfliktregelung einbezogen sind oder sei es, weil moderne rechtsstaatliche Institutionen nicht vorhanden sind oder nicht greifen, dann ist der Rückgriff auf Gewalt aus der Sicht der betroffenen Akteure durchaus ein rationales Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. In Konfliktregionen hat sich demgegenüber der Staat weder als durchsetzungsfähiger Verwaltungs- und Ordnungsapparat noch als von den Bürgern legitimierter und akzeptierter Rechtsstaat konsolidiert.

Im Zusammenhang mit umweltverursachten bewaffneten Konflikten kann die herausragende Rolle rechtsstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen und Institutionen nicht genügend betont werden. Die Zivilgesellschaft als konfliktregulierendes Korrektiv fällt in den Ländern des Südens (weitgehend) aus. Es fehlt an politischem Pluralismus, das heißt, an oppositionellen und trotzdem etablierten Interessenvertretungsstrukturen sowie einer breiten informierten Öffentlichkeit, vor deren Hintergrund Konflikte in regulierter, ziviler und symbolischer Form ausgetragen werden können. Wenn der Satz gilt: Je weniger stabil und entwickelt diese Strukturen sind, desto gewaltanfälliger und einbruchgefährdeter ist die Ordnung, dann kann der Umkehrschluß nur lauten: Je festgefügter und ausgeprägter vorhandene rechtsstaatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen, desto niedriger das Gewaltniveau und desto marginaler die Bedeutung von Gewaltanwendung im Konfliktaustrag. In demokratischen Industriestaaten werden die unzähligen und zum Teil schwerwiegenden Umweltkonflikte gewaltfrei mit juristischen und politischen Mitteln und unter Mobilisierung der öffentlichen Meinung ausgetragen. Verhandlungen, Vergleiche und Mediation spielen dabei eine zentrale Rolle. Punktuelle sporadische Gewaltanwendungen wie Blockaden oder Sabotage haben dabei entweder unterstützende Funktion oder sind der Überreaktion staatlicher Sicherheitskräfte geschuldet. Organisierte Gewaltanwendung ist hingegen kein zentrales Mittel im Rahmen einer politischen Strategie und kein den Gesamteindruck eines Konflikts prägendes Charakteristikum.

Zur Handlungskompetenz eines Staates gehört eine ganze Reihe von ökonomischen, sozialen und institutionellen Faktoren. Diese sind in den Ländern unserer Fallstudien kaum vorhanden, wobei es im Hinblick auf die Kompetenzverteilung eine relativ große Bandbreite gibt. Sie reicht von der Machtlosigkeit der Politik im Hinblick auf die Realisierung eines allgemein geteilten Zielhorizonts wie der Nachhaltigkeit bis hin zur reinen Machtpolitik, bei der demokratische Erwartungen von vornherein ignoriert werden. Dort, wo der Staat als starker Staat auftritt, tut er es willkürlich, von oben herab, autoritativ und vielerorts gegen die ländliche Bevölkerungsmehrheit gerichtet. Er ist den Interessen des Zentrums unterworfen und durchaus darum besorgt, internationalem Standard gemäße handels- und investitionsrechtliche Maßnahmen vorzukehren. Umso mehr erscheint er marginalisierten und von der Modernisierung ausgeschlossenen Bevölkerungsteilen als Agent fremder Interessen, der die nationalen Ressourcen zugunsten Dritter plündert. Sie nehmen den Staat als weit entfernten bürokratischen Apparat wahr, der in die eigene Lebenswelt eindringt und sie zerstört und den Profit daraus zum Nachteil der lokalen Bevölkerung unter den Eliten im Zentrum verteilt.

Der Umgang mit umweltverursachten Konfikten würde die Einführung spezifischer, von allen Beteiligten als gerecht empfundener und auf Nachhaltigkeit angelegter Austauschmechanismen erfordern, die über eine bloße ökonomische Verteilungslogik hinaus gehen würden (vgl. 9). Doch gerade der Mangel an Konfliktregelungsmechanismen verhindert innovative Praktiken. Institutionell und zivilgesellschaftlich schwache Staaten sind weder dazu bereit, überkommene Nutzungsregime, falls überhaupt vorhanden, zu überprüfen oder zu dezentralisieren, noch sind sie gewillt, substantielle Machtbefugnisse an eine übergeordnete ökoregionale Instanz wie zum Beispiel die IGADD im Horn von Afrika zu delegieren. Maßnahmen wie die Abtretung von Nutzungsrechten haben aufgrund konservativer politischer und institutioneller Strukturen, die meist irgendwelchen Partikularinteressen lokaler Nomenklatura und Bürokratien dienen, wenig Chancen auf Erfolg. Vielerorts läßt die vorherrschende politische Kultur, selbst bei vorhandener lokaler Mitbestimmung, wenig Spielraum für ein subsidiäres ökoregionales Ressourcenmanagement. Erschwerend kommt hinzu, daß die Landeigentumsfrage praktisch nirgendwo befriedigend gelöst worden ist, was eine Voraussetzung für lokale Selbstverwaltung wäre.

Bestehende Umweltabkommen zeigen oft einen beträchtlichen Mangel an bindender legaler Kraft und straffem Vollzug. Oft bringen sie gute Absichten zum Ausdruck, die durch wenig bindende Verpflichtungen gestützt sind. Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, schwache Vollzugsmechanismen und die Interessen von »Trittbrettfahrern«, die sich der geteilten Verantwortung entziehen, charakterisieren regionale Übereinkünfte. Inkompetente bzw. schwache Regierungen sind nicht gewillt, die politische Verantwortung für die ökologische Krise zu übernehmen. Politische Entscheidungsträger neigen eher dazu, die Verantwortung zu internationalisieren und auf Hilfe von außen zu zählen. Aufgrund sozialer, regionalistischer oder ethnopolitischer Stratifizierungen gelingt es ohnehin kaum, entwicklungsabträgliche und umweltschädigende Agrarverfassungen aufzulösen sowie räumliche Zersplitterungen und politische Schwäche der Landbevölkerung zu überwinden.

Aufgrund der Schwäche staatlicher Institutionen kommt es zur (Re-)/Privatisierung von Gewalt, indem relativ kleine und abgeschlossene Cliquen das Gewaltmonopol usurpieren und zu einer Speerspitze gegen die eigene Bevölkerung umfunktionieren. Auf sub-staatlicher Ebene sehen lokale Akteure aufgrund dessen eine Notwendigkeit und Berechtigung darin, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen und im Zweifelsfalle gewaltsam durchzusetzen, worauf herrschende Klientelverbände wiederum mit dem Einsatz zentralisierter bzw. privatisierter Gewaltmittel antworten.

2.3 Instrumentalisierung der Umweltproblematik

Die Umweltzerstörung erweist sich bei Interessenkonflikten als gutes Element zur Mobiliserung von identitätsstiftenden Gruppenzugehörigkeiten. Insofern entwickeln verschiedene Akteure ein instrumentelles Verhältnis zur Umweltproblematik, zumal die Umweltvorsorge international hoch angesehen wird. Das verführt Konfliktparteien, die sich bisher kaum um den Naturschutz kümmerten oder die grundlegende machtpolitische Ziele verfolgen, dazu, sich des ökologischen Vokabulars zu bedienen.

Aufgrund der großen Bedeutung einer gesicherten Wasserversorgung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Staates lassen sich insbesondere grenzüberschreitende Flüsse relativ leicht als politisches Druckmittel instrumentalisieren. So kann ein starker Staat am Oberlauf eines Flußsystems geopolitische Interessen gegenüber seinen Nachbarn am Unterlauf durchsetzen, indem er die Abhängigkeit und die Verwundbarkeit durch Wasser ins Spiel bringt oder sogar mit der Verknappung der Durchflußmengen droht. Die Unteranrainer ihrerseits verfügen über deutlich weniger Druckmittel. Sie können jedoch die Wasserfrage exemplarisch aufgreifen, um den Oberlaufstaat als unmoralischen Hegemon zu denunzieren und um ihn damit gegenüber einer interessierten internationalen Öffentlichkeit in Beweisnotstand zu bringen.

Oppositionelle Gruppen neigen dazu, ökologische Krisen und damit verbundene Konflikte für ihre Kritik am Staat zu instrumentalisieren. Sozioökonomisch und ökologisch marginalisierte Bevölkerungssegmente werden dabei für spezifische politische Ziele benutzt, etwa, indem sich die Überbleibsel einer kommunistischen Guerilla mit Rekrutierungsproblemen den Forderungen protestierender Bauern gegen Abholzung und Exportwirtschaft anschließt. Aber auch traditionale Gemeinschaften, die enge und mythische Naturbeziehungen pflegen, sehen sich aufgrund des Eindringens von Vertretern auswärtiger Interessen darin bestärkt, die Umweltfrage zum Angelpunkt ihrer Beziehung zum modernen Staat zu machen. So wird aufgrund des Unbehagens an der eindringenden Moderne die kulturell-spirituelle Dimension der Mensch-Natur-Beziehungen besonders hervorgehoben. Aufgrund dessen wird die Zerstörung der sakral verklärten Natur als äußerst unmoralisch und existenzbedrohend zurückgewiesen.

2.4 Organisations-, Bündnis- und Bewaffnungsmöglichkeiten der Parteien

Die Instrumentalisierung der Umwelttransformation ist nicht a priori gewaltträchtig. Erst wenn darüber spezifische Spaltungslinien akzentuiert, Polarisierungen vorangetrieben und Gruppen organisiert bzw. mobilisiert werden, zeichnet sich ein militanter Konflikt ab.

Zunächst fällt auf, daß die Schwelle organisierter Gewaltanwendung, gemessen an der Tragweite der Umweltproblematik in Krisenregionen, relativ hoch liegt. Die Zahl von bewaffneten Konflikten weltweit müßte, obwohl bereits heute beeindruckend hoch, noch weit höher liegen, wenn man die akuten Krisenherde addiert. Offensichtlich besteht der Grund für die – im Verhältnis zur Tragweite der Umweltprobleme – zum Teil erstaunlich geringe Gewaltbereitschaft darin, daß es keinen linearen Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen Gewalt einerseits und Umweltzerstörung, Armut, Bevölkerungswachstum etc. andererseits gibt. Es lassen sich verschiedene passive Verhaltensweisen von Individuen und von kollektiven Akteuren beobachten, die sich als nicht-konfliktfähig erweisen. Marginalisierung und mangelnder Organisationsgrad, schlechter Gesundheitszustand und verbreitete Apathie, Schicksalsergebenheit, kollektive Verdrängung der Ausweglosigkeit und (religiöse) Mystifizierungen der eigenen Lage gehören dazu. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster und Optionen sind darauf zurückzuführen, daß die Umweltdegeneration nicht nur einen Verlust an ökonomischen Lebensgrundlagen darstellt, sondern mit der Zerrüttung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse eine Auflösung tradierter Lebensordnungen von meist ländlichen Bevölkerungsteilen einhergeht, die in vielen Ländern an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und das, obwohl es sich dabei oft um die überwiegende Mehrheit der Einwohner eines Landes handelt. Vor diesem Hintergrund gehören zum Beispiel Binnenmigration oder massenhafte Flucht vor den Folgen der Umweltzerstörung in (peri-)urbane Zentren durchaus zu den aktiven und strategischen Verhaltensweisen.

Wird der sozioökologische Wandel nicht stillschweigend hingenommen, dann entwickelt sich eine konfliktive Beziehung zwischen Betroffenen und Verursachern der ökologischen Degradation und sozialen Desintegration. Die Akteure organisieren sich als Konfliktpartei, entwickeln Vorstellungen über zu erreichende Ziele, über Strategie und Taktik und tragen den Konflikt mit verschiedenen Mitteln sowie in verschiedenen Formen aus. Nur Gruppen, die sich tatsächlich organisieren und sich legal oder über internationale Waffenschieber aufrüsten können, greifen zu Mitteln der kollektiven Gegengewalt gegen die vermeintlich oder tatsächlich Schuldigen. Die Bündnisfähigkeit und die Gelegenheit, Koalitionen mit anderen Akteuren eingehen zu können, bilden wichtige Voraussetzungen dafür, daß es zu gewaltsamen Ausschreitungen oder gar Krieg kommen kann. Konfliktfähige Gruppen brauchen als Koalitionspartner Vertreter aus anderen sozialen Schichten, zum Beispiel der Intelligenz oder dem Bürgertum, oder aus mächtigeren politischen Zusammenhängen wie etwa charismatische Führer ethnischer Minderheiten. Durch die Proliferation von billigen Waffen, die beinahe überall erhältlich sind, können einzelne Konflikte wie zum Beispiel zwischen Bauern und Nomaden dramatischere Verläufe annehmen als von den Parteien intendiert war. Die Tendenz zu einem eskalierenden Konfliktaustrag wird insbesondere dort verstärkt, wo marodierende bewaffnete Banden, militante Jugendgangs und demobilisierte Soldaten bzw. Söldner aus ehemaligen Kriegsgebieten für die Ausrüstung mit Waffen besorgt sind und sich an der Austragung eines Konfliktes beteiligen.

Koalitionsmöglichkeiten sind jedoch nicht immer gegeben. Da einerseits kommunistische Guerillas mit langer Kampferfahrung aufgrund ihres allmählichen Verschwindens seit der Überwindung des Ost-West-Konflikts als potentielle Bündnispartner bis auf wenige Ausnahmen (Malaysia, Philippinen) wegfallen, fällt es der marginalisierten Landbevölkerung schwerer als noch in den siebziger oder achtziger Jahren, gewaltbereite Bündnispartner zu finden. Andererseits sind nationale und internationale Umweltorganisationen (I/NGOs) in der Regel gewaltfreien Widerstandsformen verpflichtet. Ihre Solidarität und Expertise gilt den Umweltanliegen, die sie durchaus in Polarisierung zu Regierungspositionen, jedoch nicht unter Rückgriff auf bewaffnete Gewalt durchzusetzen bereit sind (z.B. Botswana). Darüber hinaus wird auch im internationalen Kontext der Vereinten Nationen zunehmend auf friedliche Streitbeilegung im Inneren von Staaten wertgelegt, so daß gewaltbereite Gruppen kaum mit einer Unterstützung rechnen können wie es zum Beispiel die (post-)kolonialen Befreiungsbewegungen noch konnten. Sowohl der Gewalt als Strategie als auch aus Verzweiflung sind somit klare Grenzen gesetzt.

2.5 Kontext eines laufenden bewaffneten Konfliktes

Die Aussage über die klaren Grenzen der Gewaltbereitschaft gilt mit der Einschränkung, daß umweltverursachte Konflikte nicht in den Sog eines historischen bewaffneten Konfliktes geraten oder diesen sogar erneut entfachen. Umweltprobleme wie zum Beispiel die Verknappung von Flußwasser können, ausgesprochen oder unausgesprochen, im Rahmen eines umfassenden historischen Konfliktes massive machtpolitische Konsequenzen haben und eine Friedensregelung komplizieren (Naher Osten).

Ein häufiger anzutreffendes Phänomen besteht in der Wechselwirkung zwischen Umweltzerstörung und Krieg. Viele inner- und zwischenstaatliche Kriege in der Dritten Welt, die im Kontext des Kalten Krieges ausgetragen wurden, haben verheerende Auswirkungen auf die erneuerbaren Ressourcen gehabt. Durch Abholzung, Vernichtung von Vegetation sowie durch Vertreibung oder Tötung von Bauern und Vieh kam es in Regionen wie dem Horn von Afrika zu massiven Degradationserscheinungen im ohnehin erosionsgefährdeten Hochland. In der Nachkriegszeit sind damit die geographischen und ökologischen Voraussetzungen für die Existenzsicherung durch Landwirtschaft bedeutend schlechter als vor dem Krieg. Zusammen mit politischen Spannungen in der Nachkriegsära, mit Zusammenstößen zwischen ethnischen Gruppen, rückkehrenden Flüchtlingen und Ansässigen sowie weiterer Erosion kann sich wiederum eine Vorkriegssituation einstellen. In einem nächsten Waffengang wäre die Umweltzerstörung Teil des Ursachenbündels und nicht Folge des Konflikts – wobei ein neuer Krieg möglicherweise irreversible Schäden in landwirtschaftlich nutzbaren Regionen zeitigen würde.

3.Rolle der Umwelt als Konfliktursache

Welche Rolle spielt die Umwelttransformation bei der Verursachung von Konflikten: gehört sie zu den tieferliegenden Gründen eines Konflikts, ist sie Teil der Identitätsbildung zur Mobilisierung von Gruppen oder ist sie Gegenstand des äußeren Anlasses für das Umschlagen eines Konfliktes in Gewalt?

Die Umwelttransformation spielt in Konflikten, zumal in bewaffneten, oft eine hintergründige, dafür aber nicht minder tiefgreifende Rolle. Die Auswirkungen der seit den fünfziger Jahren beschleunigten humanökologischen Transformation erstrecken sich über lange Zeiträume. Sie „agieren“ je nach dem als versteckte oder als deutlich sichtbare Systemkräfte und tangieren dadurch die Interessen betroffener Gruppen oder Staaten auf vielfältige Weise. Das bedeutet auch, daß es nicht die Trockenheit, die Überflutung oder der Meeresspiegelanstieg per se sind, auf die die Gewalthandlungen zurückgeführt werden, sondern die Schwäche von politischen Institutionen, die mangelnde Tragfähigkeit sozioökonomischer Strukturen oder die Auflösung tradierter Lebensordnungen müssen im Zentrum der Analyse stehen.

Gerade aufgrund der komplexen Wechselwirkungen ist es oft schwierig, zwischen der Rolle der Umwelttransformation und dem Stellenwert der ökonomischen Knappheit in einem Konflikt zu unterscheiden. Insofern die Wirtschaftsweise Ausdruck des gesellschaftlichen Naturverhältnisses ist, trägt die Ökonomie unmittelbar dazu bei, durch die Ressourcenausbeutung den Stoffwechselkreislauf zwischen Mensch und Natur zu stören oder zu unterbrechen. Ökonomische Knappheit als Problem der Interaktion zwischen Gruppen ist dabei von ökologischer Knappheit als einem Schwinden der Basis für wirtschaftliche Aktivitäten zu unterscheiden. Umweltverursachte Konflikte gehen aus der ökologischen Knappheit von erneuerbaren Ressourcen einschließlich des Bodens hervor, während traditionelle Ressourcenkonflikte aus der ökonomischen Knappheit erwachsen. Letztere drehen sich um die Ausbeutung von Schätzen und Lagerstätten der Natur oder um die Landnahme durch die Aneignung von fruchtbaren, aber bereits besiedelten Territorien. Beim Umweltkonflikt handelt es sich um etwas Anderes. Sein Gegenstand sind ausgelaugte Quellen und überbeanspruchte Senken. Nicht fruchtbare Weidegründe locken zum Kampf, sondern marginale und erodierte Landschaften zwingen zur Ab- und Gegenwehr. Nicht frische und fischreiche Wassermassen führen zu einem Konkurrenzkampf um Reichtum und Wohlstand, sondern versiegende oder verschmutzte Quellen und Wasserläufe erhöhen den Druck. Bei den untersuchten Fällen wirken die ungleiche Verteilung einer Ressource, die Aussperrung vom Zugang zu einer solchen sowie deren Degradierung und Transformierung eng zusammen. Nicht die »common goods«, sondern die »common bads« sind der casus belli.

Die anthropogene Transformation der Umwelt spielt je nach Konflikt eine unterschiedliche Rolle. Im folgenden unterscheiden wir deren vier:

  • Erstens. Die Umwelt kann eigentlicher Grund bzw. zeitlich weit zurückliegende Ursache für einen aktuellen Konflikt sein. Die Umweltzerstörung wirkt dann – ähnlich wie sozioökonomischer Wandel – über eine längere Zeit im Sinne einer Verschiebung und Verbiegung von Tiefenstrukturen, die die gesellschaftliche Reproduktion, vielleicht sogar unmerklich, dafür aber dauerhaft beeinflußt (Sahel-Problematik). Die Veränderungen der Umwelt stellen sich als totales, fast schicksalhaft wahrgenommenes Ereignis dar, das aus der Sicht der betroffenen Gruppen kaum aus eigenen Kräften heraus abzuwenden ist.
  • Zweitens. Massive Degradationserscheinungen werden insbesondere dann zu einem unmittelbaren Auslöser bzw. zu einer zeitlich naheliegenden Ursache eines Konfliktes (Bougainville), wenn die Schäden von Dritten verursacht werden. Die Umweltprobleme werden in diesem Zusammenhang meist als sektorielles Ergebnis bestimmter Handlungen betrachtet, deren negative Folgen grundsätzlich durch politische und technische Maßnahmen rückgängig gemacht werden können.

Der Widerstand gegen die fremden Eingriffe in die eigene Umwelt ist dabei in sich widersprüchlich. Einerseits dreht er sich darum, die natürliche und kulturelle Umwelt gegen die Invasion der Moderne zu bewahren, andererseits darum, die drohende Marginalisierung durch die Teilnahme an Modernisierung und Entwicklung abzuwenden. Das kollektive Bewußtsein der Vernachlässigung durch das Zentrum bzw. die eigene Regierung motiviert Bestrebungen nach Autonomie oder gar Sezession. Auf den Ruf nach Selbstbestimmung reagiert das Zentrum mit dem Hochhalten der nationalen Souveränität und territorialen Integrität und mit der Anwendung militärischer Gewalt.

  • Drittens. Von dritter Seite zugefügte Umweltschäden dienen als Instrument der Kanalisierung entlang sozialer oder ethnischer Identifikationsmuster. Nicht Trockenheit, Wasserknappheit oder Brennholzmangel als solche bewirken, daß ein Konflikt aus seinem latenten Stadium in eine heiße Phase eintritt. Zur Eskalation bis hin zum Überspringen der Gewaltschwelle ist das Verhalten der Konfliktparteien beim Umgang mit einer machtrelevanten Differenz von Handlungsalternativen entscheidend. Über die objektiv meßbare Degradation der Umweltgüter hinaus spielt somit ein subjektives Moment bei der »Wahl der Waffen« mit. Der Wahrnehmungsfilter verarbeitet allerdings Informationen aus zwei verschiedenen Richtungen: Einmal aus der Richtung der Umwelt und zum anderen aus der Richtung der gegnerischen Akteure. Beide Informationssysteme bestimmen die Präferenzordnung der Akteure und damit ihre Ziele und ihre Handlungen, die sie im Lichte ihrer Perzeptionen ausführen:

Wenn die Schwere der Naturzerstörung eine Bedrohungswahrnehmung hervorruft, die bei den Akteuren zur Ansicht führt, daß kein anderes Mittel als Gewalt hilft, einer ausweglos erscheinenden Lage zu entkommen, dann schlägt die Wahrnehmung der Ausweglosigkeit auf die Intensität des Konfliktes durch. Die Präferenzen und das darauf folgende Handeln sind wiederum abhängig vom sozioökonomischen, politischen und kulturellen Umfeld einerseits und vom Grad der Mobilisierungsmöglichkeiten andererseits (vgl. 2.3 und 2.4). Hinzu kommt, daß nur wenn die militärische Einschätzung der anderen Konfliktpartei korrekt ist, erwartet werden kann, der Rückgriff auf Gewalt möge zum gewünschten Ergebnis führen und nicht in einem Desaster enden.

Überdies tritt die ökologische Dimension als solche im Stadium des laufenden bewaffneten Konflikts vielerorts in den Hintergrund. Das heißt, ist ein Konflikt einmal bis auf die Ebene eines Krieges eskaliert, so wird er vordergründig kaum noch um die eigentlich zugrundeliegenden ökologischen Probleme geführt. In der heißen Konfliktphase greifen essentialistische Legitimationsmuster und Ziele, die als mobilisierungsfähiger eingestuft werden; dann geht es um Themen wie Unterdrückung und Gruppenidentität, um das Überleben, um Sein oder Nichtsein des Staates oder vielmehr der Nation, der Ethnie oder der religiösen Gemeinschaft etc. So versprechen sich die Akteure unter anderem von Forderungen nach Autonomie oder von der Sezession gleichzeitig eine Lösung der ökologischen Probleme. Ein »eigener« Staat, so die Annahme, werde mit den eigenen Ressourcen und der eigenen Umwelt nicht so verantwortungslos umgehen wie die »Fremden«. Krieg wird somit nicht direkt zur Behebung der ökologischen Probleme geführt, ebensowenig wie er allein der Bewahrung traditionaler Vergesellschaftungsformen oder dem Erhalt eines angemessenen Anteils an den erhofften Segnungen von Modernisierung und Entwicklung dient. Vielmehr steht er im Zeichen der nationalen Unabhängigkeit, die dann quasi automatisch zur Realisierung der ökologischen Zielsetzungen beitragen soll.

  • Viertens. In politisierten Identitätskonflikten, aber auch in Auseinandersetzungen mit dem Zentrum wird die Umwelt jedoch auch zu einem Katalysator bzw. Verstärker. Dies geschieht dann, wenn eine marginalisierte Gruppe zum Ergebnis kommt, daß sie nur Koalitionspartner und internationales Gehör findet, wenn sie die ihnen zugefügten Umweltschäden zur Realisierung eines weiteren Ziels, zum Beispiel Unabhängigkeit von einer korrupten und nepotistischen Zentralregierung, für Solidarisierungszwecke einsetzen kann (Ogoni). Zwar liegt dieser Mobilisierungsstrategie eine deutlich wahrnehmbare und vielleicht sogar dramatische Umweltzerstörung zugrunde. Sie wird jedoch – anders als beim dritten Fall – als Faktor aus dem übrigen Kontext herausgegriffen und gezielt als Element der Mobilisierung, Identitätsbildung und Solidarisierung eingesetzt.

Für die Auslöser und Motive eines gewaltsamen Konfliktaustrags, dessen Ursachen auf die Umweltzerstörung zurückzuführen sind, können einzig und allein die sozialen Akteure verantwortlich gemacht werden. Es hängt von den sozialen, kulturellen und politischen Institutionen ab, ob ein umweltverursachter Konflikt eskaliert oder mediiert wird. Konfliktverschärfend kommt generell hinzu, daß sich heute und in Zukunft die Auswege der Vergangenheit verschließen, nämlich durch Landnahmen, ausgedehnte Rodungen, Eroberungskriege und gesteigerte Ausnutzung von Naturreserven etc., innergesellschaftliche Antagonismen zu kompensieren. Grund dafür ist das festgefügte Staatensystem mit seinen starren Grenzen sowie die regional hohe Siedlungsdichte in allen relativen Gunst- und teilweise auch bereits in den Ungunsträumen. Dieses Moment wirkt sich mithin als Mobilitäts- und letztlich Entwicklungsbarriere aus, so daß zum Beispiel degradierte Böden nicht spontan verlassen werden können, und wenn, dann um das Risiko, andernorts einen Konflikt mit Ansässigen zu provozieren.

4.Intensität von Umweltkonflikten

Wir unterscheiden zwischen den materiellen Ursachen eines Konfliktes und den Gründen für dessen Eskalation. Während die Umweltzerstörung eine Ursache für einen Konflikt darstellt und dabei, wie wir gesehen haben, verschiedene Rollen spielt, ist sie hinsichtlich der Konfliktintensität von mittelbarer Bedeutung. In Auseinandersetzungen zwischen Zentrum und Peripherie um »nationale Opfergebiete« sind größere kriegerische Ereignisse eher unwahrscheinlich. Das gilt insbesondere für die vorgestellten Bergbauvorhaben und Staudämme, in deren Umfeld es nur in Ausnahmefällen zu einer Eskalation kriegerischer Gewalt kommt (Bougainville und Chico). Vorherrschend ist Gewalt auf relativ niedrigem Niveau mit bisher nur wenigen Todesopfern. Vielfach handelt es sich um beinahe alltägliche endemische Gewalt von Gruppen Unzufriedener, die keine Organisiertheit und Zielgerichtetheit in Richtung der Herausbildung von »Kriegs-Parteien« mit klar definierten politischen Kriegszielen aufweist. Oft eskalieren Konflikte aufgrund von Sabotageakten, die dann eine Spirale der Gewalt ingangsetzen, wenn sich Strafaktionen von Regierungstruppen unterschiedslos gegen Dörfer und Siedlungen richten. Gleiches gilt auch für die Mehrzahl der Konflikte um Bergbauprojekte. Kommt es tatsächlich zu Gewaltkonflikten im Zusammenhang mit Großprojekten und damit einhergehenden ökologischen Degradationen, so verbleiben sie – wie gezeigt – meist unterhalb der Kriegsschwelle. Es kommt aufgrund der militärischen Überlegenheit des Zentrums vielerorts zu einer Verkapselung des Konfliktgeschehens innerhalb besonders sensitiver Gebiete.

Das aktuell größte Konfliktpotential liegt bei ethnopolitisierten Umweltkonflikten und bei regionalistischen bzw. demographischen Migrationskonflikten in Staaten mit schwach ausgeprägten Institutionen. Die Akteure sind ebenso zahlreich wie vielfältig: Minderheiten vs. Mehrheiten, Stämme oder Clans vs. Stämme oder Clans, Eingeborene vs. Immigranten, Siedler vs. Nomaden, Nomaden vs. Regierung, Subsistenzbauern vs. multinationale Konzerne und Zentralregierungen, Arbeitslose vs. sozial Abgesicherte, ländliche Schichten vs. die Zentralregierung und Nomenklatura etc. Die Vielfältigkeit der Akteursgruppen weist bereits darauf hin, daß selten zwei gut ausgerüstete Armeen mit Großwaffen gegeneinander stehen. Oft sehen sich mehr oder weniger motivierte Regierungstruppen mit leichtbewaffneten Gruppierungen konfrontiert. Trotzdem sollte die Bewaffnung letzterer nicht unterschätzt werden. Anders als in den relativ begrenzten und teilweise ritualisierten traditionellen Ressourcenkämpfen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen kommt es aufgrund der modernen Bewaffnung zu einer oft ungewollt heftigen Auseinandersetzung zwischen gegnerischen Gruppen (Sudan, Niger).

In einzelnen ethnopolitisierten Konflikten kumulieren Ressourcendegradation, konkurrierende Landnutzungsrechte, Bevölkerungswachstum, ethnosoziale Stratifizierung, Regionalismus und entwicklungspolitische Defizite zu einem unauflösbaren Problemsyndrom, aus welchem eine hohe Gewaltintensität mit all ihren Auswüchsen, angefangen von Kriegsverbrechen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis hin zum Genozid, hervorgeht (Rwanda).

Hingegen wird der umweltverursachte Konflikt in absehbarer Zukunft nicht ein »Weltkrieg«, gar der große Brand mit einem globalen Frontverlauf, sein. Auch werden klassische Kriege zwischen Staaten eher die Ausnahme bleiben. Ein Krieg zwischen den USA und China um die Erhaltung der Ozonschicht zum Beispiel wäre absurd. Die OECD-Welt, Osteuropa und Rußland werden nicht die Austragungsorte der Umweltkonflikte sein, obwohl die Gesellschaften in den drei Regionen alles andere als ein nachhaltiges Naturverhältnis und -verständnis aufweisen. Auch werden asymmetrische Verteilungskonflikte in Form von militanten grenzübergreifenden Wasserkonflikten aufgrund verstärkter Bemühungen um internationale Abkommen eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Die wachsenden Probleme bei der Versorgung von Bevölkerung und Landwirtschaft mit Frischwasser werden eher innerstaatliche Probleme sein und sich entweder mit Konflikten aufgrund von Marginalisierung oder mit Konflikten in nationalen Opfergebieten verbinden.

5. Drei generelle Muster umweltverursachter bewaffneter Konflikte

Welche Rolle spielt Ökologie als Ursache und Medium in aktuell und potentiell bewaffneten Konflikten? Wenn wir zum Schluß die Ergebnisse der vorhergehenden Abschnitte in einen größeren Rahmen stellen, so gilt es zunächst festzuhalten, daß die Umwelttransformation ein totales gesellschaftliches Ereignis darstellt, das sowohl die Mensch-Umwelt- als auch die sozialen Beziehungen kurz-, mittel- und langfristig beeinträchtigt. Allerdings vollziehen sich die laufenden Veränderungen der Umwelt für den menschlichen Beobachter verschieden schnell und einige gar so langsam, daß deshalb das System aus menschlicher Optik nicht als Prozeß, sondern als Zustand wahrgenommen wird. Eine Landschaft zum Beispiel verändert sich unter den natürlichen Bedingungen der Erosion eher langsam, aber rasend schnell verglichen mit der Veränderung der Struktur des Kosmos. Geologische, evolutionäre und biologische Metamorphosen haben verschiedene Rhythmen, und innerhalb dieser Kategorien gibt es nochmals große Geschwindigkeitsunterschiede. Es gibt keine objektiv vorgegebene Bezugsgeschwindigkeit für »natürliche« Veränderungen. Die geologischen Veränderungen zum Beispiel entziehen sich wegen ihrer langsamen Ablaufgeschwindigkeit der direktsinnlichen Wahrnehmung durch den Menschen. Andere Umweltveränderungen sind direktsinnlich nicht wahrzunehmen, weil sie von grundsätzlich neuer Art sind. Dazu gehören radioaktive Verstrahlungen wie nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, Vergiftungen durch hochgiftige Chemikalien wie Dioxin etc.

Die Bezugsgeschwindigkeit für den Beobachter ist deshalb immer durch den menschlichen Lebensrhythmus und den sozialen Bezug gegeben, das heißt, durch die je besondere Interessenlage der betroffenen Menschen. Erst die Auswirkungen auf den Menschen machen unbewertbare Umweltveränderungen zu Umweltschäden. Es gab und gibt keinen objektiven »Normalzustand« oder einen »Optimalzustand« der Natur, von dem her konfliktträchtige Abweichungen genau quantifiziert und beschrieben werden könnten. Veränderungen in der Natur vollziehen sich ohne erkennbares Ziel und ohne erkennbaren Sinn. Der Gedanke einer zielgerichteten bzw. geplanten Evolution läßt sich wissenschaftlich nicht nachweisen. In Ermangelung eines übergeordneten Referenzpunktes setzen Menschen ihre Überlebens- und Reproduktionsinteressen als Referenzpunkte und definieren von da aus im Rahmen ihrer jeweiligen Kultur gewisse Naturzustände oder Naturprozesse als nützlich, ertragreich, schön, und andere als nutzlos, zerstört/zerstörerisch, häßlich. Aus dieser eingeschränkt anthropozentrischen Sicht, die aus den jeweiligen Interessen und kulturspezifischen Wertsetzungen der beurteilenden Gruppe hervorgeht, lassen sich Umweltveränderungen dann als günstig oder ungünstig bewerten, bzw. sie erweisen sich, bezogen auf den Kontext von ENCOP, als akut konfliktträchtig oder nicht.

Dort, wo wir direktsinnlich oder mit Hilfe technischer Instrumente solche Umweltveränderungen erkennen und sie als gefährlich beurteilen, sprechen wir von Störfällen oder Umweltschäden. Da die ganze Kategorie der Umweltschäden (als Unterkategorie von Umweltveränderungen) eine strikte von der menschlichen Interessenlage abhängige Kategorienbildung ist, ist entsprechend auch jede Taxonomie konflikthafter Umweltveränderungen anthropozentrisch bestimmt. Dabei lassen sich die Schadenswirkungen auf Menschen drei unterschiedlichen Ursache-Wirkungsmustern zuschreiben: es sind natürliche Ereignisse mit ihren sozial katastrophalen Folgen einerseits sowie geplante Umweltveränderungen in nationalen und internationalen Opferzonen und ungeplante Umweltveränderungen, die auf die „Tragödie der Allmend“ zurückgeführt werden können, andererseits (vgl. Tabelle 2).

Das erste Muster ist die ungeplante, »natürliche« Umweltveränderung, wie sie sich in Naturkatastrophen kleineren und größeren Ausmaßes präsentiert, das heißt, in Erdbeben, Bergstürzen, Vulkanausbrüchen, Sturmfluten, Überschwemmungen, Sandstürmen, Dürreperioden, Heuschreckeninvasionen, Hagelschlägen. Diese Umweltveränderungen sind nicht auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen. Sie ereignen sich unabhängig von menschlicher Planungstätigkeit und Entscheidungen. Sie demonstrieren den ständigen Wandel der globalen Umwelt, den dynamischen Charakter des Planeten und besonders der Lebenswelt. Mit zunehmender Durchdringung der Erdoberfläche durch den Menschen und mit der zunehmenden Dichte des Netzes menschlicher Aktivitäten steigt die Wahrscheinlichkeit, daß »natürliche« Umweltveränderungen dieses Typus Rückwirkungen auf kleinere oder größere soziale Gruppen hervorrufen.

Wenn traditionale Überlebensstrategien und Überlebensmöglichkeiten unter dem Druck solcher Umweltveränderungen versagen, geraten geschädigte Gruppen unter den oben herausgearbeiteten Voraussetzungen (vgl. 1 bis 3) um die verbliebenen Ressourcen in Konflikt, der im bewaffneten Kampf um die Ressourcen oder um die Entscheidung, welche Gruppe abwandern muß, münden kann. Zudem ist bei einigen Fällen, zum Beispiel in der Sahelzone, oft nicht genau auszumachen, ob ein Konflikt unter das Muster 1 (Naturkatastrophe) oder Muster 3 (Allmend-Effekt) zu zählen ist, da sich natürliche Umweltveränderungen und die Vermehrung menschlicher Aktivitäten zu einem konfliktträchtigen Gemisch vereinen.

Das zweite Muster von Umweltveränderungen mit Konfliktpotential ist durch menschliches Planen und Handeln verursacht. Eine Regierung oder eine private Unternehmung entscheidet sich für die Ausbeutung einer in ihrem Zuständigkeitsbereich vorkommenden Ressource und nimmt in Kauf, daß die Interessen der lokalen Bevölkerung oder eine durch Fernwirkungen betroffene Nachbarbevölkerung unter dem Großprojekt leiden. Die Regierung bzw. die Unternehmung ist indessen bereit, Nachteile in dieser »Opferzone« im Austausch mit den Vorteilen, die der Staat bzw. die Unternehmung als Ganzes aus dem Projekt erzielen, zu akzeptieren. Probleme und Konflikte im Zusammenhang mit solchen Projekten tauchen vor allem bei großen Dammbauten, Wasserabzweigungen an Flüssen oder beim Abbau von Mineralien im Tagebau auf.

Ein Merkmal dieses Konfliktmusters ist, daß die zugrundeliegenden Umweltschäden aus einer klar definierbaren und ersichtlichen staatlichen – oder staatlich tolerierten – Handlung resultieren und bewußt in Kauf genommen werden. Es ist eine Konfliktsituation zwischen klar bestimmbaren Akteuren gegeben. Die Umweltschädigung kann von dem als »Opfer« betroffenen Akteur als eine Verletzung seiner traditionellen Lebensrechte verstanden und entsprechend beantwortet werden. Die zwischenstaatliche Variante dieses Konfliktmusters betrifft nicht-raumgebundene Ressourcen, zumeist die Verteilung von grenzüberschreitenden fließenden Gewässern. Diese Konflikte können bis hin zu ernsthaften internationalen Krisen eskalieren.

In seiner innerstaatlichen Variante stellt sich dieses Konfliktmuster als Modernisierungskonflikt dar und betrifft in der Regel das fruchtbare Land. Die örtliche Bevölkerung einer nationalen Opferregion, meist marginale ethnische Gruppen, die nicht an der Zentralmacht teilhaben oder/und kleine Produzenten für die Selbstversorgung, tragen die sozialen und ökologischen Hauptlasten von außen implantierter Großprojekte. Die Bewohner dieser Gegenden sind oft zum Wegziehen gezwungen (Staudammbau), gelegentlich werden sie im Rahmen der nationalen Planung als Arbeiter auf unterster Ebene angestellt (Eukalyptus in Thailand) oder sie verfolgen weiterhin ihre Subsistenzwirtschaft, nur diesmal in stark belasteten Regionen unter schweren Gesundheitsgefahren (Bougainville, Aralsee). In nationalen Opferregionen kommt es unweigerlich zu Konflikten, welche die Regierung entweder durch Management oder militärische Maßnahmen vom Zentrum fernzuhalten versucht, regional eindämmt und auf diese Weise unter Kontrolle zu bringen trachtet. Die »Ethnisierung« dieser Konflikte bietet sich oft als Strategie an. Meist wird sogar bestritten, daß der Konflikt eine ökologische Ursache hat.

Sowohl Konflikte in marginalisierten Regionen als auch in Opfergebieten beeinflussen generell nicht alle gesellschaftlichen Beziehungen im Staat. Vielmehr sollen die Konfliktherde möglichst in den betroffenen Regionen eingekapselt werden. Dadurch vertieft sich die strukturelle Heterogenität zwischen hoch-produktiven ländlichen Agrargebieten und effizienten urbanen Zentren einerseits sowie ökologisch empfindlichen ländlichen Gebieten und infrastrukturell schwachen Provinzzentren andererseits. Die trennende Linie zwischen den beiden Sektoren wird zur symbolischen Frontlinie des Konfliktverlaufs. Der Graben zwischen den modernen und traditionalen Sektoren wird weiter akzentuiert. Es entsteht ein Gefälle zwischen dem weltmarktorientierten modernen Sektor und dem lokal orientierten ländlichen Sektor.

Das dritte Muster von Umweltveränderungen mit Konfliktpotential ist von Garret Hardin schon 1970 in seinem mittlerweile klassisch gewordenen Aufsatz »The Tragedy of the Commons« als Tragödie der Allmend (dörflicher Gemeinschaftsbesitz an Wald und Weide) beschrieben worden. Gemeint sind damit die Auswirkungen von kleinen Einzelhandlungen, die individuell als (über-)lebensnotwendig oder wenigstens nicht unvernünftig gelten mögen, in ihrer Gesamtsumme aber zu einer schädlichen Umweltveränderung führen. Hardins klassisches Beispiel ist die Verwendung der Allmend als Viehweide einer Gemeinde. Ein Benutzer der Allmend, also eines kollektiv allen Gemeindemitgliedern gehörenden Weidegrundes, kommt mit der Ernährung seiner wachsenden Familie kaum zurecht und denkt, es sei weder auffällig noch schädlich, wenn er ein Haupt Vieh mehr weiden lasse, als ihm eigentlich zusteht. Andere – in vergleichbar engen Verhältnissen lebend – ziehen nach, bis die Allmend schließlich in jeder Hinsicht zu stark beansprucht wird und sie auch die ursprünglich vorgesehene und zugelassene Zahl von weidenden Tieren nicht mehr zu ernähren vermag. Entscheidend in dieser Kategorie von anthropogenen Umweltveränderungen ist die Tatsache, daß die umweltschädigende Handlung vom Handelnden selbst nicht als schädigend erkannt wird und aus seiner Perspektive in aller Unschuld als zweckrational und notwendig im Sinne einer individuellen Überlebensstrategie oder im Sinne einer Verbesserung der individuellen Lebensqualität betrachtet werden kann. Der einzelne Farmer auf Hardins Allmend handelt gleich wie der einzelne Kapitän eines Fischerkutters, der alle technischen Mittel einsetzt und noch den letzten Fischschwarm aufspürt, um nicht ohne Ladung umkehren zu müssen. Er handelt gleich zweckrational wie der Campesino im brasilianischen Amazonasgebiet, der ein Stück Urwald rodet, um seiner Familie für zwei oder drei Jahre das Überleben zu sichern. Erst das kumulative Resultat dieser minimalen – einzeln harmlosen – Rodungen macht ihre potentiell existenzbedrohende Wirkung aus, die z.B. im Falle des tropischen Regenwaldes im Verlust des wichtigsten Puffers gegen starke Klimaschwankungen besteht, was dann schließlich maßgebend zur Destabilisierung des Weltklimas beiträgt (Woodwell 1995:viii).

Zu den anthropogenen Umweltveränderungen in dieser Kategorie sind auch die minimalen Beiträge zu zählen, die jeder Benützer eines Automobils oder einer erdölbetriebenen Heizung bzw. jeder Konsument von Elektrizität, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen wurde, an die Erwärmung der Erdatmosphäre beisteuert. Jeder einzelne fühlt sich unschuldig, weil sein einzelner Beitrag so verschwindend – unmeßbar – klein ist. Und doch produziert die kumulative Wirkung dieser Einzelbeiträge Schäden bedrohlichen Ausmaßes.

Diese Phänomene sind heute unter dem Druck wachsender Beanspruchung z.B. bei der Belastung der Atmosphäre durch Schadstoffe, weltweit bei der Nutzung der Wälder, der Wasservorkommen, bei der Übernutzung der Fischbestände in den Weltmeeren und an vielen weiteren Orten, wo »Allgemeingut« genutzt oder als Senke verwendet wird, zu beobachten. Zu konkreten Konflikten haben solche Schadenswirkungen allerdings bisher erst in marginalen Ökologien geführt.

Die Allmend-Problematik äußert sich in unterentwickelten Ländern als Modernisierungskonflikt aufgrund von Bevölkerungswachstum und Marginalisierung breiter, vor allem ländlicher Bevölkerungsschichten. Konfliktgegenstand ist die Landschaft mit ihren Ressourcen Boden, Vegetation und Wasser im ökoregionalen Zusammenhang. Marginalisierung heißt Existenz am Rande des modernen Sektors, in ökologisch empfindlichen oder schwer degradierten Regionen. Effizientere Nutzungstechniken einerseits, wachsende Bevölkerungszahlen und steigende Ansprüche an die Natur andererseits können besonders in den marginalen Ökologien mit Subsistenzwirtschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika zur dramatischen Zuspitzung dieser Allmend-Phänomene und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen entlang ethnischer oder kultureller Gruppengrenzen führen.

Das Zusammenwirken dieser Faktoren erzeugt besonders in ländlichen Gegenden mit geringem landwirtschaftlichem Potential und in rasch wachsenden peri-urbanen Gebieten starke ökologische Degradation. So leben heute mehrere hundert Millionen der ärmsten Menschen in ländlichen Regionen und stadtnahen Gürteln, in denen die Abnahme der landwirtschaftlichen Produktivität, die Degradation der Bodenoberfläche und die Wasserknappheit eine elementare Beschränkung der Nahrungsmittelproduktion bewirken. Immer stärker konzentriert sich die überwiegende Mehrheit der weltweit Ärmsten in wenigen solchen Regionen. Die marginalisierten Gebiete mit struktureller und ökologischer Armut gehören somit zu den hochempfindlichen Krisen- und Konfliktgebieten. In Asien, Afrika und Lateinamerika leben heute mehr Menschen in degradierten als in hochproduktiven Regionen. Das bedeutet, daß Abwanderung und Flucht längst nicht für alle eine Alternative darstellen. Allerdings sind diejenigen, die erodierten Agrarverhältnissen entfliehen, der sichtbarste Ausdruck tiefgreifender Umschichtungsprozesse im gesellschaftlichen Naturverhältnis. Die transformierte Umwelt wird durch die Abwanderung tendenziell zum „Niemandsland“, während es zu einer räumlichen Verlagerung der Verteilungskonflikte in die als Siedlungs- und Handlungsräume genutzten und noch nutzbaren Ökoregionen kommt.

Die Konflikttypen, die von ENCOP in den Fallstudien analysiert und oben zusammenfassend dargestellt wurden (vgl. 1), lassen sich einem der drei Muster von Umweltveränderungen zuordnen (vgl. Tabelle 3). Doppelte Zuschreibungen sind dabei möglich und durch die Tatsache bedingt, daß gewisse Erscheinungen sowohl durch natürliche, nicht von Menschen beeinflußte, als auch durch anthropogene Ursachen bewirkt werden. Dürre zum Beispiel kann in der Tat eine Naturkatastrophe sein, wenn sie Ausdruck von natürlichen klimatischen Schwankungen ist. Sie kann aber auch Folge von anthropogenen Klimaveränderungen sein, die entweder lokal zum Beispiel durch weiträumige Abholzung oder global durch industrielle Emissionen verursacht sind. Vor diesem Hintergrund können Konflikte, die im Zusammenhang mit Dürre entstanden sind, auch unter den Typus der Allmend-Problematik subsummiert werden.

6. Ausblick

Der in der Erdgeschichte einmalige Überlebens- und Vermehrungserfolg einer einzelnen Lebensform innerhalb weniger tausend Jahre scheint zum größten Problem des homo sapiens zu werden. Der Mensch wird aufgrund seines zahlenmäßigen Vorkommens sowie durch die ständig wachsende Potenz seiner Instrumente, mit denen er die Erde, die Meere und die Atmosphäre verändert, zu einem immer bedeutenderen Faktor im Gefüge jener Prozesse, die die Randbedingungen des Lebens auf der Erde darstellen. Allein die weitere Zunahme der Teilnehmer am weltweiten Ausbeutungsprozeß der Natur läßt Grenzen der Tragfähigkeit dieses Planeten sichtbar werden. Der jährliche Zuwachs der Weltbevölkerung um 90 Millionen (ein Nettozuwachs von mehr als 10.000 Menschen in jeder Stunde) kann nicht mehr – wie während der vier bis sechs Millionen Jahre seines sensationellen Aufstiegs zum Kulturwesen – in leere Räume abfließen, da es solche nicht mehr gibt. Die biologischen Grundlagen des menschlichen Daseins sind seit kurzem der Erschöpfung nahe. Eine weitere Steigerung der Weltgetreideernte war zum Beispiel seit 1990 nicht mehr möglich (Brown 1996: 20). Selbst Trinkwasser, eine einst in scheinbar unerschöpflicher Fülle vorkommende Ressource, wird an immer mehr Orten knapp. Raum, Nahrung, Wasser und weitere knappe Güter werden damit vermehrt zu Konfliktgegenständen unter Gruppen, die um ihr Überleben, um die Erhaltung ihrer traditionellen Lebensformen oder die Anhebung ihres Lebensstandards kämpfen. Es ist für die Gegenwart von grundlegender Bedeutung und für die Zukunft überlebenswichtig, diese Konflikte in ihren proximaten, das heißt vordergründigen, und in ihren ultimaten, das heißt hintergründigen Ursachen, besser zu verstehen, um sie entschärfen, soweit wie möglich lösen oder wenigstens unter Vermeidung von Gewaltexzessen überstehen zu können.

Vor dem Hintergrund einer historischen Betrachtungsweise gilt es nochmals in Erinnerung zu rufen, daß Mangel grundsätzlich durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch eine elementare und allgegenwärtige Existenzbedingung war. Alle Menschen in allen Kulturen haben sich seit jeher auf ihre je eigene Weise unter Einsatz all ihrer sozialen und instrumentalen Möglichkeiten bemüht, diese Knappheiten zu überwinden (Cohen 1977). Wissenschaft, Technik und Industrie haben hierzu in den letzten zwei Jahrhunderten Möglichkeiten eröffnet, die es vorher in der Geschichte noch nie gegeben hatte. In den bevorzugten Gesellschaften der Ersten Welt trat Fülle und Reichtum an die Stelle der Knappheit. Leider ist nur wenigen der unter diesen Privilegien lebenden Zeitgenossen bewußt, daß die Fülle an Verbrauchsgütern, die in der Ersten Welt zur Verfügung steht, im historischen Vergleich eine extrem »unnatürliche« Ausnahmeerscheinung darstellt. Die Höhe des Niveaus westlichen Konsumverhaltens wird sich auf Dauer nicht halten lassen, wenn auf der Basis eines globalen Demokratieverständnisses, Stichwort »Chancengleichheit durch Entwicklung«, einer möglichst großen Zahl der heute lebenden annähernd sechs Milliarden Menschen eine schrittweise Erhöhung ihres Lebensstandards ermöglicht werden soll.

Der Druck auf die biophysische Basis wird durch das Anwachsen von drei Faktoren bestimmt: Bevölkerungswachstum, Konsumverhalten und technische Potenz (vgl. dazu 2.4), wobei letzter Begriff einerseits das Maß angeben soll, nach dem eine Menschengruppe in der Lage ist, in die Naturprozesse einzugreifen, andererseits ihre Fähigkeit, die Umwelt ressourcenschonend zu benutzen. Da die drei Faktoren interdependent funktionieren, kann Nachhaltigkeit nur erreicht werden, wenn es gelingt, das quantitative Wachstum des Produktes aus den drei Faktoren abzudämpfen. Für die Bevölkerungszahl und das Konsumverhalten ist die Forderung nach Beschränkung alt und unbestritten. Für den Bereich der technischen Potenz wird keine Abkehr von der Technik oder eine Rückkehr zu einem imaginären »Naturzustand« postuliert. Ein solcher Idealzustand existiert in einer Natur, die als Prozeß verstanden werden muß, nicht. Indessen ist eine Abkehr von quantitativ erheblichen, die Umwelt folgenreich verändernden Eingriffen zu fordern. Als Minimum muß eine sorgfältigste Abklärung der Nebenwirkungen und allfälligen Kollateralschäden vor dem Entscheid zum Werkbeginn gelten. Nachhaltigkeit setzt voraus, daß das Volumen aller – insbesondere auch der erneuerbaren – Ressourcen als endlich und begrenzt akzeptiert wird. In diesem Sinne ist der Übergang von einer auf quantitative Erfolgsmaximierung ausgerichteten Verwendung technischer Potenzen zu einem systemisch sorgfältig überprüften qualitativen Einsatz zu postulieren.

Unsere Analyse der kausalen Verknüpfungen von Umwelttransformationen und Gewaltkonflikten soll helfen, Wege zu einer erfolgreichen Früherkennung ökologischer Konflikte und zu einem erfolgreichen Konfliktmanagement in akuten Konfrontationen aufzuzeigen. Es ist aber offensichtlich, daß Konfliktmanagement allein nicht zum Erfolg führen kann und in den Dimensionen der bloßen Symptombekämpfung steckenbleibt, wenn nicht gleichzeitig öffentliche Aufklärungsarbeit über schonenden Technikeinsatz und nachhaltige Nutzung der Natur, über die notwendige Begrenzung des Konsums und über die Gefahren eines nicht umweltangepaßten Bevölkerungswachstums an der Reduktion des Druckes auf die biophysische Umwelt erfolgreich mitwirkt.

Das in Rio beschlossene Konzept der Nachhaltigkeit kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß es ökonomische und ökologische Gründe für das Scheitern von Modernisierungs- und Industrialisierungsstrategien in Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften gibt. Mit Nachhaltigkeit wird ein einheitlicher Zielhorizont von Entwicklung für alle suggeriert, der vor dem Hintergrund globaler Knappheiten und wachsender Bedürfnisse zum Trugbild wird. Ein um das Prinzip der Nachhaltigkeit qualitativ erweitertes Entwicklungskonzept macht keinen Sinn, solange zentrale Fragen nach der Entwicklung generell offen sind; so zum Beispiel: Wie müssen die Institutionen gestaltet sein, um Umweltkonflikte in stark heterogenen und multiethnischen Gesellschaften einzugrenzen und zivil zu lösen? Wie lassen sich notwendige Spielräume für nachhaltige Ressourcennutzung unter den Bedingungen der Armut öffnen? Friert das Postulat der Nachhaltigkeit nicht sogar bestehende Ungleichzeitigkeiten, das heißt als Ungerechtigkeiten wahrgenommene Entwicklungsunterschiede ein? Wo bleibt der Brundtlandsche Generationenvertrag, wenn beispielsweise die Realerbteilung bewirkt, daß Subsistenzgüter innerhalb der nächsten zwei Generationen auf Kleinstparzellen schrumpfen und damit nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern die landwirtschaftliche Produktion grundsätzlich infrage gestellt wird? Und schließlich: wie kann nachhaltige Entwicklung induziert werden, wenn durch die innerstaatlichen bewaffneten Konflikte in mehr als einem Viertel der Staaten der Welt bzw. in rund der Hälfte der am wenigsten entwickelten Länder bereits die Frage nach dem Sinn jeglicher Entwicklungspolitik gestellt ist?

Damit werfen wir zum Schluß mehr Fragen auf als wir beantworten können. Aber auch Fragen geben eine Richtung an, in der weitergedacht werden kann und soll. Mit der Tatsache konfrontiert, daß vielerorts zur gleichen Zeit ähnliche Konflikte mit vergleichbaren Ursachen, Akteuren und Zielsetzungen vorkommen, stellt sich die Frage, ob diese einzelnen Umweltkonflikte – die wir oben als Spitze eines Eisbergs bezeichnet haben – Vorboten eines größeren Umbruchprozesses sind, der insbesondere die Agrarstrukturen der Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften erfaßt hat. Wenn dem so ist, dann gibt es für diese Erscheinung und ihren weiteren Verlauf zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder sind die Umweltkonflikte im Kern Rückzugsgefechte einer zunehmend marginalisierten Landbevölkerung im Süden, die sich ob der Kapitulation vor der Moderne und der umweltbedingten Auflösung ihrer Lebensordnungen in eine ausweglose Lage manövriert sieht. Oder aber sie sind Vorhutgefechte einer kommenden Konfliktformation, die zu einer nachhaltigen Änderung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse durch eine grundlegende Neubewertung und Neubelebung der ländlichen Strukturen führen werden.

Tabelle 1
Taxonomie von Umweltveränderungen, die zu Konflikten führen können, ausgehend von den
Konfliktebenen
Konfliktebene Kontrahenten
A: Innerstaatlich (ethnische) Gruppe vs. (ethnische) Gruppe Regierung vs. (ethnische) Gruppe / Regierung vs.
Migranten / Flüchtlinge
B: Innerstaatlich mit zwischenstaatlichen Aspekten
/ internationalisiert
Regierung vs. immigrierte Gruppen aus anderen
Staaten
C: Zwischenstaatlich / international Regierung vs. Regierung Regierung vs. IOs / INGOs
Tabelle 2
Taxonomie von Umweltveränderungen, die zu Konflikten führen können, ausgehend von den
Verursachern der Umweltveränderungen
1: Natürliches Ereignis /Naturkatastrophe 2: Nationale oder internationale Opferzone 3: Allmend-Effekt
Typus Ungeplante, „natürliche“
Umweltveränderung
Geplante / erwünschte bzw. akzeptierte
Umweltveränderung
Ungeplante / unerwünschte Umweltveränderung
Ursache Von Menschen unabhängige Instanz Handlungen eines einzelnen (oder weniger) klar
erkennbarer sozialer Akteure
Kumulative Wirkung zahlreicher u. einzeln kaum
faßbarer menschlicher Handlungen
Vorkommen Überschwemmungen, Trockenheit, Erdbeben, Stürme,
Vulkanausbrüche etc.)
Dammbauten, Flußwasserableitungen, Kanalbauten,
Abholzung, Mineralabbau, Ölgewinnung
Abholzen, Abweiden, Allmendnutzung, Abfallbeseitigung
durch Verdünnung in Wasser, Luft und Boden
Folgen Kann zu Konflikten zwischen Gruppen von Betroffenen
führen, die überleben und den Schaden je für sich begrenzen wollen
Kann zu Konflikten zwischen den Verursachern und den
Betroffenen der Umweltveränderung in einer „Opferzone“ führen
Kann zu Konflikten zwischen Gruppen, die um ihr
Überleben kämpfen und Gruppen, die Schaden begrenzen wollen, führen
Tabelle 3
Zuordnung der ENCOP-Fallstudien zu den drei grundlegenden Mustern von konfliktträchtigen
Umweltveränderungen
Naturkatastrophen Nationale und
internationale Opferzonen
Allmend- Effekte
Dürre Flut Bergbau/ Ölförderung (lokale
Auswirkungen)
Lokale Auswirkungen
v. Großprojek-
ten (Dammbau, Bewässerung, Abholzung)
Fern-
wirkungen von Flußaufstau- ungen/- umleitungen
Übernutzung von Gemein-
schafts-
gütern und Bevöl-
kerungs- druck
Sudan Bangladesch Bougainville Indien (Narmada) Jordan- Becken Ruanda
Süd-Algerien Papua- Neuguinea Philippinen Ganges- Becken Sudan
Mali Irian Jaya (Indonesien) China Mekong- Becken Senegal
Niger Neukaledo- nien Chile (Bio-Bio) Aralsee- Becken Algerien
Nigeria Philippinen Brasilien Gabcikovo (Donau) Kenia
Senegal Nigeria Nigeria Colorado/ Rio Grande Namibia
Mauretanien Botswana (Okavango) Tschadsee (Nigeria) Brasilien
Usbekistan China
Turkme- nistan Indonesien
Kasachstan Bangla- desch

»Perpetuum solare« ist möglich

»Perpetuum solare« ist möglich

von Hermann Scheer

Viele Jahrzehnte galt im politischen Alltagsbewußtsein Energiepolitik als ein unpolitisches Thema. Sie stand außerhalb des ideellen oder tagespolitischen Parteienstreits. Über die beiden Grundziele der Energieversorgung bestand bei allen Einigkeit, ob Sozialdemokrat oder Christdemokrat, ob in »West« oder in »Ost«: Es galt, eine kontinuierliche und möglichst billige Energieversorgung sicherzustellen. Diese Aufgaben wurden an die Energiewirtschaft delegiert, und diese formulierte sachverständig die Rahmenbedingungen, die von der Politik dann gesetzlich festgelegt wurden. Die Energiepolitik war eine Angelegenheit nur der energiewirtschaftlichen Fachleute. Es gab »Energiekonsens«.

Dieses innenpolitische Verständnis von Energiepolitik stand in merkwürdigem Kontrast zu den energiepolitischen Konflikten früherer Jahrzehnte und der außenpolitischen Behandlung der Energiefrage, die stets hochpolitisch war. Innenpolitisch gab es in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts massive Auseinandersetzungen zwischen den Kommunen, die mittels ihrer Stadtwerke eine eigene kommunale Energiewirtschaft betrieben (und daraus auch – insbesondere in ihrer Finanzkrise in der Weimarer Republik – teilweise erhebliche kommunale Einnahmen erzielten) und den sich herausbildenden Großunternehmen der Stromversorgung. Dieser Konflikt wurde mit dem Energiewirtschaftsgesetz von 1935 – tatsächlich eine Art Ermächtigungsgesetz – zugunsten letzterer entschieden. Und in der internationalen Politik stand die, notfalls erpresserische, Sicherung der Energiequellen stets im Vordergrund von außenpolitischen Strategien, was jedoch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aus den innenpolitischen Konsensidyllen über die Energieversorgung verdrängt wurde.

Letzteres änderte sich schlagartig seit den Konflikten um die Atomenergie, die Mitte der siebziger Jahre entbrannten und die den Start der Ökologiebewegung markierten. Der Konflikt eskalierte: anfangs zwischen der Anti-AKW-Bewegung und den Parteien und politischen Institutionen; danach in den Parteien und zwischen den Parteien, besonders nach dem Einzug der Grünen ins Parlament; danach auch zwischen den Institutionen. Er spitzte sich weiter zu, als mit der seit Mitte der achtziger Jahre aufkeimenden Klimadebatte auch die fossilen Energieträger mehr und mehr grundsätzlich infragegestellt wurden. Je konfliktreicher die Energiedebatte wurde, desto mehr erschallte die Forderung der Energiewirtschaft an die Politik, doch endlich wieder einen Energiekonsens sicherzustellen. Sie meinen damit, daß sie doch bitte wieder in Ruhe gelassen werden sollten. Sie wollen endlich wieder als »Fachleute« unter sich sein, beanspruchen das Monopol des Sachverstandes und verwahren sich gegen »ideologische«, vermeintlich sachfremde und irrationale Interventionen einer irregeleiteten Öffentlichkeit.

Doch ein Konsens wird erst wieder möglich sein, wenn die grundlegende Weichenstellung zu den Energiequellen definitiv und unumkehrbar eingeleitet ist, die als einzige die Bezeichnung »Zukunftsenergien« verdienen: die erneuerbaren Energien. Der Grund ist eindeutig: Da die Gefahren der Atomenergie und der fossilen Energien keine eingebildeten, sondern höchst reale sind, wird sich die Infragestellung der sich auf diese Ener<~>gien stützenden Unternehmen der Energiewirtschaft und der Strukturen der Energieversorgung zuspitzen – einhergehend mit den sich dadurch zuspitzenden Gefahren. Irrational und »ideologisch« ist nicht die Forderung nach einer Ablösung des atomar/fossilen Energiesystems, sondern das Festhalten daran.

Die Politik steht damit immer deutlicher vor der Wahl, ob sie sich weiterhin zum Sachverwalter einer strukturkonservativen Energiewirtschaft macht, und damit eine zunehmende Entfremdung zwischen Bürgern und politischen Institutionen riskiert – oder ob sie sich zum Entscheidungsträger für die Durchsetzung der erneuerbaren und ökologisch verträglichen Zukunftsenergien macht, und dafür den unvermeidlichen Konflikt mit der gegenwärtigen Energiewirtschaft auszuhalten bereit ist. Sie steht damit vor der Frage, ob sie bereit ist, das öffentliche Interesse vor das Interesse eines monopolisierten Wirtschaftszweiges zu stellen. Denn eines ist sicher: Die verheerenden Konsequenzen der atomar/fossilen Energiewandlung sind weltweit unübersehbar geworden, und mit dem wachsenden Energiebedürfnis einer wachsenden Menschheit breiten sich die unbezahlbaren Hypotheken für die kommenden Generationen und die Verwüstungen der Umwelt rapide aus. Gleichzeitig drohen, wegen der dabei zusehends knapper werdenden Energieressourcen, dramatische internationale Konflikte.

Die erneuerbaren Energien sind angesichts dessen eine einzigartige Chance: kein »deus ex machina«, sondern ein »deus ex sole«. Es ist nachvollziehbar, warum sich die Energiewirtschaft in einer breiten Ablehnungshaltung befindet. Ihre Investitionen in die herkömmlichen Energieträger und in die darauf zugeschnittenen Versorgungsstrukturen stehen bei einem grundlegenden energiepolitischen Prioritätenwechsel in einem Ausmaß zur Disposition wie es bei keinem Wirtschaftszweig bisher auch nur annähernd der Fall war. Die Energiewirtschaft befindet sich in der Situation eines selbstentfesselten Dinosauriers. Doch nicht nachvollziehbar ist, warum die Politik die sich mit den erneuerbaren Energien ergebenden handgreiflichen Zukunftschancen nicht schon lange mit vollen Händen ergriffen hat. Diese zeigen, daß – bei konsequenter Nutzung und forcierter Weiterentwicklung der Technologien zur Umwandlung der erneuerbaren Energien in nutzbare Energien – ein »Perpetuum solare« möglich ist, das die Eigenschaften eines »Perpetuum mobile« erfüllt, wenn wir uns die von der Natur kostenlos angebotene Sonnenenergie hinzudenken.

Die Sonnenenergie, so erklärte uns bereits der Chemienobelpreisträger Wilhelm Ostwald Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Buch über „Die energetischen Grundlagen der Kulturwissenschaft“, ist das einzige wirkliche Zusatzeinkommen, das die Erde regelmäßig hat. Demgegenüber ist die Nutzung der in der Erde gelagerten Energiespeicher nichts weiter als eine riesige Umverteilung vorhandener Ressourcen, und bekanntlich geht jede Umverteilung zu Lasten anderer. Wirtschaftliches Wachstum, aufbauend auf atomarer und fossiler Energienutzung, ist deshalb ein endliches Konzept für die Zivilisation – endlich in bezug auf die Verfügbarkeit der Ressourcen und auf die ökologischen Umwandlungsfolgen, die uns eine »Ökonomie des Todes« bescheren. Es ist naturwisenschaftlich eindeutig, daß dauerhaftes Wirtschaften nur mit dem »perpetuum solare« möglich ist – und damit eine Perspektive für die Menschheit ohne fatale Folgen und fatalistische Rücksichtslosigkeiten. Deshalb sind die erneuerbaren Energien weit mehr als nur alternative, umweltfreundlichere Energietechniken – sie sind eine neue Basis für ein tragfähigeres Zivilisationsmodell, ein neues politisches Grundlagenprogramm für Wirtschaft und Gesellschaft.

Dennoch überwiegen immer noch Einstellungen bei politischen Repräsentanten, das gute Einvernehmen mit den Interessen der strukturkonservativen Energiewirtschaft einem neuen Einvernehmen mit dem öffentlichen Interesse vorzuziehen, das heute ohne konsequenten ökologischen Bezug nicht mehr zu definieren ist. Was auch immer die Gründe dafür sind (in meinem Buch „Sonnenstrategie“ mit dem Untertitel „Politik ohne Alternative“ habe ich sie zu beschreiben versucht ), sie sind nicht hinnehmbar, vor allem nicht von den politischen Akteuren selbst.

Hermann Scheer ist Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und Präsident der Eurosolar

Umweltkonflikte

Umweltkonflikte

Die Konfliktform im post-ideologischen Zeitalter?

von Stephan Libiszewski

In den letzten Jahren hat sich auch die Friedens- und Konfliktforschung verstärkt der Ökologie angenommen. Einerseits ist Umweltzerstörung als Teil eines erweiterten Sicherheitsbegriffes diskutiert worden. Andererseits werden ökologische Veränderungen als eine potentielle Ursache künftiger Konflikte und Kriege angesehen.1

Diese zweite Debatte hat sich aber bisher hauptsächlich darauf beschränkt, empirische Beispiele für Umweltkonflikte aufzulisten, wie z.B. Auseinandersetzungen um knappe Wasserressourcen, Spannungen im Zusammenhang mit sogenannten »Umweltflüchtlingen« oder der Streit um die Verantwortlichkeiten für den globalen Klimawandel. Ihr mangelte es bislang weitgehend an theoretischer Schärfe.

Der folgende Beitrag will deshalb einige zentrale Begriffe im Zusammenhang mit dem Phänomen und Untersuchungsgegenstand »Umweltkonflikte« bzw. »ökologische Konflikte« reflektieren.2 Dies wird in der Form von zwei Definitionen und drei Thesen erfolgen.3 Erst auf dem Hintergrund dieser Präzisierungen werden sich schliesslich einige Rückschlüsse ziehen lassen bezüglich der Frage, ob wir es bei Umweltkonflikten mit einer neuen Konfliktform zu tun haben sowie ob und inwiefern dieser im Zeitalter nach dem Ost-West-Konflikt die Rolle eines strukturierenden Faktors der internationalen Politik zukommen wird.

Erster Punkt: Was ist das Ökologische an ökologischen Konflikten?

Diese Frage mag trivial klingen, ihre Klärung ist aber nötig. Denn in der relativ jungen Diskussion über ökologisch verursachte Gewaltkonflikte bestehen diesbezüglich zahlreiche Unschärfen und Missverständnisse. Häufig werden Umweltkonflikte einfach mit Konflikten um natürliche Ressourcen gleichgesetzt.4 Eine andere Variante ist, die ökologische Problematik und damit zusammenhängende Konflikte allein auf das Problem der Umweltverschmutzung zu beziehen.5

Beide Kriterien treffen jedoch nicht die »differentia specifica« des ökologischen Faktors. Das allgemeine Kriterium der natürlichen Ressourcen ist zu unspezifisch: Land, Erdöl und andere Ressourcen spielten in fast jedem Territorial- und Kolonialkrieg der letzten 200 Jahre und auch schon in historischer Zeit eine wichtige Rolle. Das Kriterium der Senken hingegen ist zu eng: Etliche ökologische Probleme wie z.B. Bodenerosion, Süsswasserverknappung oder die Dezimierung von Fischbeständen würden davon nicht erfasst. Denn diese sind oft nicht in erster Linie auf Verschmutzung zurückzuführen, wenn auch diese eine Rolle spielen kann, sondern originär auf die Übernutzung dieser Ressourcen.

Der ökologische Charakter von Umweltkonflikten muss also in einem anderen Merkmal zum Ausdruck kommen. Das entscheidende Kriterium, das hier vorgeschlagen wird, ist das der Erneuerbarkeit von Ressourcen. Der Ressourcenbegriff soll hier freilich nicht nur die materiellen Ausgangsstoffe der Produktion – sog. Quellen – umfassen, sondern auch natürliche »Dienstleistungen« wie günstige klimatische Bedingungen oder die Qualität von Wasser, Böden und Luft, die mit der Eigenschaft der Natur als Senke zusammenhängen, das heisst mit ihrer Fähigkeit, Abfälle und Nebenprodukte menschlicher Aktivitäten aufzunehmen und/oder zu verarbeiten.

Das Kriterium der Erneuerbarkeit ist eng verwandt mit der Bedeutung von Ökologie als der Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und ihrer belebten und unbelebten Umwelt. Denn es ist das Eingebundensein in regelhafte Stoffwechselkreisläufe, das die Erneuerbarkeit einer Ressource ausmacht. Deren tatsächliche regelmässige Erneuerung bzw. die Regenerierung von deren Qualität hängt wiederum vom ungestörten Funktionieren dieser Ökosysteme ab. Als Teil der Stoffwechselkreisläufe, die das Leben erhalten, sind erneuerbare Ressourcen darüber hinaus oft nicht substituierbar (Luft, Wasser, Nahrung). Darin kommt ihr Doppelcharakter als Quelle von Wohlstand im ökonomischen Sinne und als biologische Voraussetzungen für das menschliche Überleben zum Ausdruck.

Nicht-erneuerbare fossile und mineralische Ressourcen sind hingegen gerade deshalb nicht-erneuerbar, weil sie nicht gleichermassen in ökologische Stoffwechselkreisläufe eingebunden sind.6 Der enorme Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen und die Freisetzung der darin enthaltenen Energien und Schadstoffe sind zwar eine der Hauptursachen der ökologischen Krise in der Moderne. Insofern hängen der Raubbau an den nicht-erneuerbaren Ressourcen und die Degradierung der erneuerbaren Ressourcen eng zusammen. Für sich genommen stellt aber die Extraktion z.B. von Erdöl kein Eingriff in das Ökosytem dar. Die Erschöpfung der Rohölreserven ist kein ökologisches, sondern ein originär ökonomisches Problem. Nicht-erneuerbare Ressourcen können demnach knapp werden, sie können aber nicht in dem Sinne degradiert werden.

Deshalb sind Konflikte über den Besitz von oder den Zugang zu nicht-erneuerbaren Ressourcen keine ökologischen Konflikte. Dies sind traditionelle Verteilungskonflikte um absolut knappe und ungleich verteilte Güter. Als erste Definition muss hingegen festgehalten werden: Ökologische Konflikte sind Konflikte im Zusammenhang mit der Degradierung erneuerbarer Ressourcen, d.h. der Verringerung ihrer Menge oder Beeinträchtigung ihrer Qualität in Folge einer anthropogenen Störung ihrer Erneuerung bzw. Regenerierung. Der Begriff der ökologischen Degradierung ist eng verwandt mit dem Konzept der Nachhaltigkeit. Die Definition könnte demnach auch lauten: Ökologische Konflikte sind Konflikte im Zusammenhang mit erneuerbaren Ressourcen, sofern diese nicht nachhaltig genutzt werden.

Ökologische Degradierung kann eine oder mehrere folgender Formen annehmen:

  • die Übernutzung eines erneuerbaren Gutes (Dimension der Quellen);7
  • die Überbeanspruchung der Umwelt in ihrer Fähigkeit, als Senke für Abfälle und Nebenprodukte menschlicher Aktivitäten zu dienen (Verschmutzung);
  • eine Verarmung des natürlichen Lebensraumes, womit sowohl Phänomene wie der Artenverlust erfasst werden sollen, die schwer im Sinne von Quellen oder Senken zu fassen sind, als auch ästhetische und emotionale Dimensionen von Naturzerstörung.

Auch ökologische Degradierung ist historisch kein völlig neues Phänomen. Aber erst auf dem Hintergrund globaler human-ökologischer Transformation8, im Zuge von Industrialisierung und der weltweiten Verbreitung des westlichen Wachstumsmodells, ist die Degradierung erneuerbarer Ressourcen zu einem allgegenwärtigen und bezeichnenderweise heute dringenderen Problem geworden als die Verknappung nicht-erneuerbarer Rohstoffe, die noch vor 20 Jahren die Debatte dominierte.

Wie führt ökologische Degradierung zu Gewaltkonflikten?

Diese Frage betrifft das Problem der Kausalitätsbeziehung und interdisziplinären Vermittlung von ökologischer Degradierung und Konflikt. Im allgemeinen wird dieser Zusammenhang nur assoziativ hergestellt in dem Sinne, dass wo Ressourcenverknappung aufgrund von Degradierung zu verzeichnen ist, es auch verstärkt zu Verteilungskonflikten kommen muss. Dieser Schluss ist nicht völlig falsch. Ressourcen sind in der Tat die Gestalt, in der Natur vom Menschen angeeignet wird, und dadurch auch die Stelle, an der Natur am ehesten zum Anlass konflikthafter Phänomene wird. Insofern leistet der Ressourcenbegriff bereits eine gewisse Vermittlung. Er erklärt aber noch nicht sehr viel.

Konflikte sind soziale und keine natürliche Phänomene. Ökologische Degradierung und Ressourcenverknappung führen deshalb nicht als solche und nicht automatisch zu Konflikten, sondern dann und dort, wo sie ökonomische, soziale und politische Interessen berühren. Es bedarf deshalb einer dritten analytischen Ebene, in der diese Übersetzung von einem ökologischen in ein soziales Phänomen geschieht. Wir nennen dies die sozialen Effekte von ökologischer Degradierung.

Demnach hat eine Analyse ökologischer Konflikte stets in zwei Schritten zu erfolgen:

1) Welche sozialen Effekte resultieren aus der ökologischen Degradierung?

2) Welche (Gewalt-)Konflikte resultieren aus diesen sozialen Effekten?9

In beiden Analyseschritten müssen der sozioökonomische und politische Kontext, in dem die ökologische Degradierung und ihre sozialen Effekte stehen, berücksichtigt und in die Analyse einbezogen werden.10 Agrargesellschaften etwa sind in viel stärkerer und direkterer Weise von klimatischen Veränderungen betroffen als Industriegesellschaften, in denen die Landwirtschaft einen relativ geringeren Stellenwert besitzt, und die eher über technische und finanzielle Möglichkeiten zu Gegenmassnahmen verfügen. Die aus den sozialen Effekten ökologischer Degradierung resultierenden Konflikte werden wiederum in Gesellschaften, in denen ohnehin tiefe soziale oder ethnische Spaltungslinien bestehen, eher gewaltsam ausgetragen werden denn in homogenen und stark integrierten politischen Zusammenhängen. Schliesslich ist die Kriegsträchtigkeit internationaler Konflikte im Zusammenhang mit ökologischer Degradierung und ihren sozialen Folgen nicht losgelöst zu sehen vom Zustand der sonstigen politischen Beziehungen zwischen den betreffenden Staaten und dem Grad ihrer zwischenstaatlichen Verflechtung.

In theoretischer Hinsicht ergibt sich aus diesem Analysemodell eine wichtige Konsequenz: Wenn es ihre sozialen Effekte und nicht die ökologische Degradierung selbst sind, die zu Konflikten führen, dann werden sich letztere nicht notwendigerweise als Konflikte um die Verteilung erneuerbarer Ressourcen bzw. der Kosten ihrer Degradierung manifestieren, sondern unter Umständen als soziale und ökonomische, ethnische oder nationale Konflikte, als Anti-Regime-Kriege oder als Herrschaftskonflikte.

Das veranlasst mich, als zweite Definition zu formulieren: Ökologische Konflikte sind durch ökologische Degradierung induzierte Konflikte.

Der Begriff »induziert« soll zum Ausdruck bringen, dass Umweltdegradierung eines sozialen und/oder politischen Brennpunktes bedarf, um zu Konflikten zu führen. Ökologische Degradierung wird demnach selten allein, sondern meistens als konfliktverursachender Faktor unter anderen vorkommen und sich nicht notwendigerweise in Form eines explizit ökologischen Konfliktgegenstandes manifestieren.11

Erste These: Die meisten ökologisch induzierten Gewaltkonflikte werden innerstaatliche Konflikte sein bzw. auf der innerstaatlichen Ebene ihren Ausgangspunkt haben.

Wenn von Ökologie als Ursache von Konflikten die Rede ist, wird meistens in erster Linie an zwischenstaatliche Konflikte um einen klar umgrenzten ökologischen Gegenstand gedacht,

  • etwa an die Kontroversen um den Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter Atmosphäre, Klima, Wälder, Biodiversität und Ozeane, wie sie im letzten Jahr auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro aufgetreten sind;
  • an zwischenstaatliche Streitigkeiten um regionale öffentliche Güter wie grenzüberschreitende Gewässer- und Luftverschmutzung oder die Überfischung von Seen und Binnenmeeren;
  • oder an Konflikte über die Nutzung von teilbaren kollektiven Gütern, in erster Linie von fliessenden Gewässern, in einem gewissen Sinne auch Konflikte über Luftverschmutzung bei konstanter Windrichtung.12

Diese Ebene von zwischenstaatlichen Konflikten um ökologische Ressourcen gibt es. Sie ist eminent wichtig und auf ihr findet statt, was man die »Ökologisierung der internationalen Beziehungen« nennen kann. Auch die Gewaltträchtigkeit dieser zwischenstaatlichen ökologischen Konflikte soll an dieser Stelle in keiner Weise heruntergespielt werden. Insbesondere Konflikte um die Nutzung grenzüberschreitender Flüsse sind wegen der asymmetrischen Situation zwischen Ober- und Unteranrainer schwer verregelbar. Sie können, wo Wasser ohnehin knapp ist und eine politisch gespannte Lage herrscht wie im Nahen Osten, eine ernstzunehmenden Kriegsgefahr darstellen. Bei öffentlichen Ressourcen – regionalen wie globalen – wirkt hingegen das »Trittbrettfahrer-Dilemma«, das den Abschluss wirksamer zwischenstaatlicher Abkommen verzögern oder gar verhindern kann.

Das reale Kriegsgeschehen hat sich aber seit der Beendigung des Dekolonisierungsprozesses allgemein von der zwischenstaatlichen auf die innerstaatliche Ebene verschoben.13 Von dieser Ebene werden auch die meisten ökologisch induzierten Gewaltkonflikte ausgehen, ich würde sogar sagen: an der zwischenstaatlichen Kooperation vorbei. Zum einen, weil ökologische Degradierung immer noch in erheblichem Masse »Selbstzerstörung« ist – Selbstzerstörung nicht notwendigerweise bezogen auf die Ursachen und Hintergründe; diese liegen oft in weltmarktbedingten Zwängen zum Ressourcenraubbau. Selbstzerstörung aber in bezug auf die Wirkungen.

Hier greift eine funktionale Kooperation im Umweltbereich, die nicht Fragen der sozioökonomischen Entwicklung miteinschliesst, in der Tat zu kurz. Sie mag auf das Verhältnis zwischen Staaten vertrauensbildend wirken, sie verhindert aber unter Umständen nicht die Desintegration ihrer jeweiligen Gesellschaften. Es sind dann auch nicht notwendigerweise die staatlichen Akteure, die interne ökologische Problemlagen nach aussen tragen und sie dadurch zu einem internationalen Konfliktpotential machen. Sondern oft sind es im wörtlichen Sinne die Gesellschaften selbst, die in Form ökologisch (mit-)bedingter Migrationsbewegungen die Staatsgrenzen überschreiten.

Die These vom Vorherrschen innerstaatlicher Konflikte gilt zum anderen auch für Gewaltkonflikte im Zusammenhang mit der Degradierung der globalen Gemeinschaftsgüter. Es liegt in der Natur dieser Güter, und es ist Teil ihrer »Tragödie«, dass die Kausalitäten und Wirkungsweisen sehr komplex sind und nur vermittelt auftreten. Verursacher und Opfer globaler Umweltveränderungen sind schwer genau zu bestimmen, sie liegen geographisch meist weit auseinander und kommen, wenn überhaupt, nur auf einer relativ abstrakten Ebene politisch miteinander in Berührung.

Die Konfliktlinien, die etwa auf dem Umweltgipfel in Rio zu verfolgen waren – der Nord-Süd-Konflikt und die quer dazu verlaufenden Trennungslinien – werden nicht die typischen Konfliktlinien der zukünftigen ökologisch induzierten Kriege sein. Es sind zwar militärische Interventionen seitens der Staatengemeinschaft oder derjenigen Mächte, die sich für deren Vertreter halten, denkbar, um besondere Umweltsünder – bzw. Staaten, die zu solchen gebrandmarkt werden – zu bestrafen.14 Man denke dabei an das vielpublizierte Szenario, wonach die Länder in den Tropen notfalls mit Gewalt gezwungen werden sollen, auf eine weitere Abholzung ihrer Regenwälder zu verzichten. Die meisten Kriege werden aber zwischen den von globaler Umweltzerstörung Betroffenen ungeachtet ihres Anteils an den Ursachen ausgetragen werden, nämlich dort, wo klimatische Veränderungen und der Meeresspiegelanstieg Agrarwirtschaften zum Kollaps, Millionen Menschen in die Flucht und politische Strukturen zum Auflösen führen werden.

Der Konfliktgegenstand ist bei solchen innerstaatlichen Konflikten schwer als ein eindeutig ökologischer zu umgrenzen. Wenn wir ethnische Konflikte und Sezessionsbestrebungen in der Sahel-Zone, in Nigeria oder auf der Insel Bougainville, oder Anti-Regime-Kriege in Mittelamerika und auf den Philippinen als ökologisch induzierte Konflikte interpretieren, so bilden dort Bodenerosion, Desertifikation oder die ökologischen Folgen von Bergbauprojekten lediglich Glieder in einem vernetzten Bündel verschiedener, sich gegenseitig verstärkender Konfliktursachen. Zu diesem Bündel gehören neben ökologischen Problemen und mit ihnen verknüpft: ungerechte Landbesitzverhältnisse, die überstürzte Umwandlung von subsistenten Landwirtschaften in unangepasste marktorientierte Monokulturen, Bevölkerungswachstum, unkoordinierte Teilindustrialisierung und unkontrollierte Urbanisierung, Aussenverschuldung und der Zwang zum Ressourcenexport sowie unabgeschlossene Prozesse der Nationenbildung – also die klassischen Ursachen und Merkmale von Unter- bzw. Fehlentwicklung.

Gesellschaftliche Produktions-, Konsumtions- und Verteilungsmuster sind also sowohl der Ausgangspunkt von Umweltdegradierung als auch dasjenige Feld, auf das die veränderte Umwelt wiederum zurückwirkt: sie zwingt ihrerseits zu sozialen Redistributions- und politischen Reorganisationsprozessen, die gezwungenermassen konflikthaft und potentiell gewaltsam verlaufen. Das Verhältnis von Umwelt und Gesellschaft muss deshalb eher als ein rückgekoppeltes dargestellt werden denn als ein lineares. Ökologische Konflikte entstehen dort, wo gesellschaftliche Erwartungen mit der Realität einer degradierten Ressourcenbasis in Widerspruch geraten (Graphik 2).

Meine zweite These lautet deshalb: Der konfliktverursachende Charakter von ökologischer Degradierung ist stets zu sehen im Verhältnis von Umwelt zu gesellschaftlicher Entwicklung.15

Dies gilt auch für diejenigen Fälle, die oben als zwischenstaatliche Konflikte um klar bestimmbare ökologische Ressourcen charakterisiert wurden – wenn auch hier die Kausalitätsbeziehung zwischen Umwelt und Konflikt offenkundiger und leichter zu bestimmen ist. Denn natürliche Güter sind ja nicht einfach Ressourcen, sondern sie bekommen ihren spezifischen Wert als Ressourcen erst in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft. Selbst bei biologisch unverzichtbaren Stoffen wie Luft und Süsswasser hängt die benötigte Menge stärker von der Art und dem Grad der ökonomischen Aktivitäten und von den kulturellen Gewohnheiten ab als von den biologischen Grundbedürfnissen einer bestimmten Bevölkerungszahl. Der tägliche Süsswasserverbrauch der privaten Haushalte variiert z.B. von 5,4 Liter pro Kopf in Madagaskar bis zu 500 Litern in den USA.

Umwelt und Entwicklung sind rückgekoppelt, in ihrem Verhältnis zu Konflikt sind sie aber untereinander nicht austauschbar (Graphik 3). Entwicklung und Unterentwicklung, und in diesem Zusammenhang muss als teilweise eigenständige und genuin politische Variable auch Nationenbildung genannt werden, können unabhängig von ökologischer Degradierung zu Konflikten führen und haben dies in der Vergangenheit stets getan. Umwelt ist deshalb in bezug auf Konflikt eine abhängige Variable von Entwicklung. – Das ist der tiefe Sinn des Begriffes induziert.

Umwelt ist aber eine Variable, die heute von Entwicklung nicht mehr wegzudenken ist, will letztere Bestand haben und sich nicht ihre eigene natürliche Grundlage unter den Füssen abgraben. Insofern wird – auf dem Hintergrund globaler human- ökologischer Transformation – ökologische Degradierung auch das Konflikt- und Kriegsgeschehen wie allgemein sowohl die innerstaatliche als auch die internationale Politik in zunehmendem Masse bestimmen.

Als Einschränkung und um einem verkürzten »Ökologismus« vorzubeugen, muss aber abschliessend als dritte These präzisiert werden: Wenn es stimmt, dass die Kausalitätsbeziehung zwischen Umwelt und Konflikt eine vermittelte ist, dann sind ökologische Gewaltkonflikte keine eigene Konfliktform, sondern es gibt verschiedene Erscheinungsformen ökologisch induzierter Gewaltkonflikte. Diese ergeben sich aus den spezifischen sozialen Problemlagen, die durch ökologische Degradierung erzeugt werden.

Ökologisch induzierte Konflikte stellen in diesem Sinne auch keine Konfliktformation dar. Die einzelnen ökologischen Konfliktlinien sind zu kontextgebunden und stehen untereinander und mit anderen politischen Gegensätzen zu sehr im Widerspruch, als dass sie bisher die Welt in geschlossene »Lager« hätten spalten könnten. Auch der vielbeschworene »Nord-Süd-Konflikt« um Umwelt und Entwicklung ist durch mehrere quer dazu verlaufende Spaltungslinien gebrochen. Er steht zudem mit der Tatsache im Widerspruch, dass die meisten ökologisch induzierten Gewaltkonflikte innerhalb des Südens stattfinden.

Die globale ökologische Krise wird aber dann zu einem sowohl die Innenpolitik als auch potentiell das internationale System als Ganzes strukturierenden Faktor werden, wenn sie, analog zur sozialen Krise im 19. Jahrhundert, unterschiedliche und entgegengesetzte ordnungspolitische Entwürfe zu ihrer Lösung hervorbringen wird. »Umweltkonflikte« und »ideologische Konflikte«, um die zentralen Konzepte aus dem Titel meines Beitrages zum Schluss nochmals aufzugreifen, wären dann aber nicht notwendigerweise sich gegenseitig ausschliessende Begriffe. Vielmehr würde »Ideologie« – hier allgemein verstanden als das Bild der gewünschten Gesellschaft und der wichtigsten Mittel, die zum Aufbau einer solchen Gesellschaft nötig sind – zum Katalysator von Konflikten, die ihre Wurzeln in ökologischen Transformationsprozessen haben.

Bei dem Aufsatz handelt es sich um die überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen des AFK-Workshops »Ökologische Sicherheit oder Frieden durch nachhaltige Entwicklung«, 13./14. November 1992 in Hamburg

Anmerkungen

1) Vgl. etwa: Bastian, Till: Naturzerstörung: Die Quelle der künftigen Kriege, IPPNW Wissenschaftliche Reihe Bd. 1, Heidesheim 1991; Meyer, Berthold/ Wellmann, Christian (Red.): Umweltzerstörung: Kriegsfolge und Kriegsursache, Friedensanalysen Nr. 27, Frankfurt/M 1992; auch Bächler, Günther: Ökologische Sicherheit und Konflikt, Arbeitspapiere der Schweizerischen Friedensstiftung Nr. 05, Bern 1990. Zurück

2) Die Begriffe »Umweltkonflikt« und »ökologischer Konflikt« werden im weiteren als Sinonyme verwendet. Zurück

3) Die beiden Definitionen basieren auf meinem Aufsatz What is an Environmental Conflict?, ENCOP Occasional Paper No. 1, Bern/Zürich 1992; bei den drei Thesen handelt es sich um ergänzende und weiterführende Gedanken. Zurück

4) Ein bekannter Vertreter dieser Sichtweise ist Arthur H. Westing. Vgl. etwa seinen Aufsatz Environmental factors in strategic policy and action: an overview, in: ders. (Ed.): Global Resources and International Conflict, Oxford, New York 1986, S. 3-20. Zu dieser Betrachtung tendiert aber auch Lothar Brock: Peace through Parks: The Environment on the Peace Research Agenda, in: Journal of Peace Research, Vol. 28, No. 4 (1991), S. 408f. Zurück

5) Dies dürfte eher dem Verständnis von Ökologie entsprechen, wie es in der öffentlichen Diskussion vorherrscht. Zurück

6) Genaugenommen sind auch fossile und mineralische Bodenschätze »erneuerbar«. Ihre Entstehung hängt aber von geologischen Prozessen ab, die Millionen Jahre dauern und nicht im engeren Sinne Ökosysteme darstellen. Ressourcen, deren Formation die Zeitdimension der Menschheitsgeschichte sprengen, müssen – aus menschlicher Perspektive – als nicht-erneuerbar gelten. Zurück

7) Übernutzung wird hier verstanden als eine Verbrauchsrate, die höher liegt als die Erneuerungsrate einer Ressource – oder um es ökonomisch auszudrücken: einer Verbrauchsrate, die den »Kapitalstock« der Ressource angreift. Da nicht-erneuerbare Ressourcen ausschliesslich aus »Kapital« bestehen, ist der Begriff Übernutzung wie überhaupt der Begriff Degradierung sinnvollerweise nur auf erneuerbare Ressourcen anwendbar. Zurück

8) Zum Begriff der humanökologischen Transformation siehe Bächler, Günther: Konflikt und Kooperation auf dem Hintergrund globaler human-ökologischer Transformation, ENCOP Occasional Paper No. 5, Bern/Zürich 1993 Zurück

9) Für die Ausdifferenzierung des Modells in Form eines Analyserasters siehe Böge, Volker: Proposal for an Analytical Framework to Grasp »Environmental Conflict«, ENCOP Occasional Paper No. 1, Bern/Zürich July 1992. Zurück

10) Zu dieser Interpretation siehe auch Homer-Dixon, Thomas: On the Threshold: Environmental Changes and Acute Conflict, in: International Security, Vol. 16, No. 2 (1991), S. 76-116. Zurück

11) Der Begriff des ökologisch »induzierten« Konflikts ist – ohne ihn theoretisch zu explizieren – von Reidulf K. Molvær in die Debatte eingeführt worden. Vgl. seinen Aufsatz Environmentally Induced Conflicts? A Discussion Based on Studies from the Horn of Africa, in: Bulletin of Peace Proposals, Vol. 22, No. 2 (1991). Zurück

12) Eine gute Typologisierung zwischenstaatlicher Umweltkonflikte befindet sich bei Breitmeier, Helmut/ Zürn, Michael: Gewalt oder Kooperation. Zur Austragungsform internationaler Umweltkonflikte, in: antimilitarismus information (ami) Nr. 12/1990, S. 14-23. Siehe dazu auch Müller, Harald: Internationale Ressourcen- und Umweltproblematik, in: Knapp, Manfred/Krell, Gert: Einführung in die internationale Politik, Ein Studienbuch, München 1990, S. 350-382, sowie Libiszewski, Stephan: Ökologische Konflikte im internationalen System – heute und in der Zukunft; in Bächler, Günther et. al.: Umweltzerstörung – Krieg oder Kooperation? Ökologische Konflikte im internationalen System und Möglichkeiten der friedlichen Bearbeitung, im Erscheinen Zurück

13) Vergleiche dazu die empirischen und theoretischen Arbeiten der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg. Zurück

14) Dieses und andere Szenarien sind dokumentiert bei Böge, Volker: Die Militarisierung der internationalen Umweltpolitik, in: Bächler, Günther et. al., im Erscheinen (s. Anm. 12) Zurück

15) Entwicklung wird hier ganz allgemein verstanden als die Entfaltung der Produktivkräfte und die Verwirklichung sozialer und politischer Werte. Insofern ist das hier gezeichnete Verhältnis von Umwelt, Entwicklung und Konflikt gleichermassen auf »Entwicklungs-« wie auf Industrieländer anwendbar. Zurück

16) Die schraffierten Pfeile sollen zum Ausdruck bringen, dass von »Konflikt« wiederum Rückwirkungen auf »Umwelt« und »Entwicklung« ausgehen, nämlich in der Form von ökologischen Zerstörungen durch Kriegsvorbereitung und Kriegsführung sowie ihrer volkswirtschaftlichen und sozialpsychologischen Schäden. Die Untersuchung dieser Rückkoppelungen sind aber nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrages. Zurück

Stephan Libiszewski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der ETH Zürich. Er arbeitet an einem gemeinsam mit der Schweizerischen Friedensstiftung Bern durchgeführten Forschungsprojekt über »Gewaltkonflikte aufgrund ökologischer Probleme« (ENCOP).

Ökologische Herausforderung der Ökonomie

Ökologische Herausforderung der Ökonomie

Eine naturwissenschaftliche Betrachtung (Teil II)

von Hans-Peter Dürr

Prof. Dr. Hans-Peter Dürr stellte in seinem ersten Teil des Artikels (Heft 3/92) fest, daß die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise ein großes, wenn nicht sogar das größte Grundübel der weltweiten Spannungen ist und analysierte das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie und die Rolle des Menschen.

Welche Schlußfolgerungen können und sollten wir aus all diesen Erörterungen ziehen? Gibt es insbesondere irgendeine reale Chance, unsere gewonnenen besseren Einsichten in diese Problematik auch in geeignete Handlungen zur Entschärfung und Lösung dieser Probleme praktisch umzusetzen, um die Produktionsfähigkeit und Vitalität, die Nachhaltigkeit – wie wir heute sagen –, die „sustainability“ unserer Ökosphäre optimal zu unterstützen?

Viele erwarten hier von den Naturwissenschaftlern die wesentlichen Einsichten und praktischen Hinweise, die diese, wie sie glauben, doch aufgrund ihrer Kenntnis der Naturgesetzlichkeit die zukünftigen Entwicklungen am besten abschätzen können. Ich bin hier jedoch eher skeptisch. Denn die Prognosefähigkeit der Naturwissenschaft ist im Falle hochkomplexer Systeme äußerst begrenzt. Ich glaube stattdessen, daß unsere traditionelle Weisheit, das Wissen, das wir aus dem großen gemeinsamen Erbe der Weltreligionen schöpfen und das uns Liebe, Mitgefühl, Kooperation und Solidarität lehrt – vielleicht aber auch die Kunst – uns hierbei eine weit bessere Orientierung geben können. Da der Mensch nämlich als Gattung offensichtlich einige langfristige Überlebensprüfungen der natürlichen Auslese erfolgreich bestanden hat – sonst wären wir ja heute nicht mehr da –, läßt sich doch mit einigem Recht vermuten, daß unsere grundlegende körperliche und geistige Veranlagung wesentlich mit der Nachhaltigkeit der Ökosphäre, von der wir ja existentiell abhängen, im Einklang steht.

Selbst wenn wir eine Ethik hätten, die uns deutlich aufzeigen könnte, wie ein mit der Natur einvernehmliches Verhalten im Prinzip gestaltet werden müßte, so brauchen wir immer noch Leute, die angeben, was im konkreten Fall tatsächlich gemacht werden sollte, sowie Leute, die dann die Verantwortung übernehmen und die Initiative ergreifen, dieses auch praktisch zu implementieren. Verantwortung zu übernehmen ist hier nicht nur eine Frage der Stärke und des Mutes, sondern verlangt vor allem eine ausreichende Wahrnehmung der Komplexität der Natur und ein viel weitergehenderes Einfühlungsvermögen in die dort ablaufenden, hochvernetzten Prozesse, die durch eine sensibel austarierte Balance von Kräften und Gegenkräften – und nicht etwa durch starre Verschraubungen – in einem lebendigen Gleichgewicht gehalten werden. Es verlangt darüber hinaus aber auch eine Einsicht in die »Topologie«, die Beziehungsstruktur unseres eigenen Wissens, um den Wert und die Grenzen des eigenen Verständnisses beurteilen und die Genauigkeit und Verläßlichkeit einer Voraussage abschätzen zu können. In vielen Fällen wird Verantwortlichkeit deshalb nicht darin bestehen, bestimmte Aktionen in Gang zu setzen, sondern viel mehr im Gegenteil, Mäßigung und – wie Peter Kafka betont – Gemächlichkeit zu üben, um der Natur eine faire Chance zu geben, alle unsere vielfältigen Fehlentscheidungen und Fehlhandlungen mit ihrem reichen Instrumentarium auszubügeln.

Der Mensch als Teil des Ökosystems

Es ist deshalb dringend geboten, auf Kooperation und nicht auf Gegnerschaft mit der Natur und ihre Beherrschung zu setzen, mit der berechtigten Aussicht, damit auch an ihrer miliardenjahre langen Erfahrung teilzuhaben.

Eine Sicherung der Nachhaltigkeit, der langfristigen Tragfähigkeit der Ökosphäre erfordert von uns ein neues Verständnis unserer Rolle als Teil dieses komplexen Ökosystems. Dies verlangt einerseits wohl eine dramatische Änderung unseres Bewußtseins und unseres bisherigen Denkens, andererseits die Entwicklung und Bereitstellung von Werkzeugen, um diese neuen Einsichten auch in unseren Gesellschaften effektiv umzusetzen.

Ein neues Bewußtsein zu wecken und ein neues Denken zu entwickeln, erscheint besonders schwierig, da dies einen langen Lernprozeß erfordert, der wohl – wenn überhaupt – nur im Laufe einiger Generationen bewältigt werden kann. Ein solcher Prozeß könnte jedoch wesentlich schneller ablaufen, wenn – was ich glaube – ein solches Bewußtsein nicht neu geschaffen werden müßte, weil es nämlich in uns schon unterschwellig angelegt ist. In diesem günstigen Fall müßten wir dieses Bewußtsein nur in uns selbst wiederentdecken und aus unserem tradierten geistigen Erbe zurückzugewinnen versuchen. Wir müßten dann nur einiges Geröll beiseite räumen, daß sich in unseren Herzen und unseren Köpfen – vor allem der Menschen in den reichen Ländern, die so stark auf Aktion statt auf Kontemplation ausgerichtet sind – in den letzten Jahrhunderten angesammelt hat. Es ist selbstverständlich schwer einzuschätzen, ob solche Abräumarbeiten, ohne von großen äußeren Katastrophen regelrecht erzwungen zu werden, jemals ernstlich angegangen werden, und auch, ob sie, wenn sie tatsächlich in Gang kämen, schnell genug greifen würden, um die augenblicklich gefährlich eskalierende Situation wirkungsvoll zu entschärfen. Deshalb würde es außerordentlich hilfreich sein, wenn wir unser modernes Leben – also vor allem die Lebensweise der Menschen in den industrialisierten Ländern – durch geeignete Maßnahmen so ausrichten könnten, daß dieser Lernprozeß voll unterstützt und die notwendige Entwicklung ausreichend beschleunigt würde.

Lernprozesse werden in der Regel nicht durch kluge Reden, logische Ableitungen und abstrakte Überlegungen gefördert, sondern vor allem durch die ständige Umsetzung von Gedanken in praktische Handlungen. Auch die Natur führt ihre großartige Schöpfung nicht nach einem vorher schlau ausgeheckten, superintelligenten Konstruktionsplan aus – wegen der indeterministischen Wirkungsstruktur existiert dafür auch keine genügend feste Basis – ihr Erfolgsrezept besteht vielmehr in der Anwendung des Prinzips von »Versuch und Irrtum« also darin, in einem lockeren Spiel immer wieder Neues in dieses brodelnde Geschehen eines schon gut funktionierenden Systems hineinzuwerfen und dann geduldig abzuwarten, ob sich aus der innigen Vermählung des Neuen mit dem Alten eine neue, anders geordnete Struktur etabliert, die gewisse Vorteile gegenüber der ursprünglichen bietet.

Nachhaltige Wirtschaft

Doch wie läßt sich eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft in unseren heutigen „real existierenden“ Gesellschaftssystemen praktisch implementieren? Die Möglichkeit irgendwelche Ziele überhaupt »aktiv« ansteuern zu können, setzt eine prinzipielle Steuerungsfähigkeit des Systems voraus. Dieses wiederum verlangt eine ausreichende Flexibilität und Reaktionsfähigkeit seiner Glieder, die wohl nur bei einer genügend weitgehenden Dezentralisierung der Gesamtstruktur erreicht werden kann. Denn Flexibilität verlangt notwendig eine umfassende und unabhängige Partizipation der Menschen. Dies kann aber nur in relativ kleinen Regionen funktionieren, da Partizipation wechselseitige Dialoge erfordern, bei denen die Zeitverzögerung, mit der eine Reaktion auf irgendwelche Aktionen eines Agierenden für diesen erkennbar erfolgt, dessen zeitliche »Frustrationsperiode« nicht überschreiten darf. Auch führt unser westlicher »wissenschaftlich – technisch – wirtschaftlicher Fundamentalismus« mit seiner irrigen Vorstellung, bei ausreichender Kenntnis aller Gegebenheiten letztlich alles »in den Griff« bekommen zu können, und mit seiner primitiven Bewertung alle Werte entsprechend dem Tauschwert allein durch Geld beziffern zu können zu Sinnentleerung, Erstarrung und Einebnung ethnischer und kultureller Vielfalt. Ethnische und kulturelle Vielfalt ist jedoch für die Überlebensfähigkeit der Menschheit so wichtig, wie die Artenvielfalt für die belebte Natur. Allerdings wird diese ethnisch-kulturelle Vielfalt ihre vitalitätsstärkende Rolle nur spielen können, wenn diese nicht durch Arroganz und Machtstreben in unzähligen, unfruchtbaren Nationalitätenstreitigkeiten zermürbt und aufgerieben wird, sondern in wechselseitiger Hochachtung und Toleranz im Geltenlassen eines »sowohl als auch« ihre synergetischen und symbiotischen Wechselbeziehungen entwickelt, bei denen zum Nutzen aller das Ganze mehr wird, als die Summe seiner Teile.

Die vor uns stehende Aufgabe, unsere Wirtschaft wirklich ökologisch nachhaltig zu gestalten, ist in der Tat gigantisch und eine Realisierung, wie von allen »Realisten« immer wieder betont, absolut utopisch. Ich stimme dieser pessimistischen Einschätzung zu und auch der damit stillschweigend verbundenen Vorstellung, daß sich die ganze Schwierigkeit eben dann auf irgendeine andere, für uns bisher noch nicht einsehbare Weise, von selbst wird lösen müssen. Denn für die Natur gibt es ja prinzipiell keine unlösbaren Situationen. Aber es gibt überhaupt keine Gewähr dafür, daß eine solche natürliche Lösung für uns Menschen besonders günstig ausfallen wird. Denn es erscheint mir beliebig unwahrscheinlich, daß die von uns Menschen in den industrialisierten Ländern in Gang gesetzte, eskalierende Produktions-Eigendynamik letztlich aus sich heraus je geeignete Gegenkräfte entwickeln wird, die diese Dynamik einfängt und stabilisiert, ohne von dem wirksamsten Instrument Gebrauch zu machen, nämlich uns Menschen und unsere rücksichtslosen, das allgemeine Leben auf unserer Erde negierenden Zivilisationen einfach auszulöschen. Diese Korrekturdynamik wird zugegebenermaßen zunächst – wie schon jetzt sichtbar und spürbar – die Schwächsten dieser Erde und Schuldlosesten an dieser Misere, also die Menschen in der »Dritten Welt« mit vernichtender Gewalt überrollen, aber sie wird sehr schnell danach auch auf uns in den industrialisierten Ländern, die eigentlichen Urheber dieser katastrophalen Entwicklung, mit unseren hochgezüchteten, hochempfindlicheren Gesellschaftssystemen verhängnisvoll durchschlagen. Es wird letztlich keine »Insel der Seeligen« mehr geben, die einer Minderheit von Privilegierten noch Schutz und Überleben gewähren könnte.

Diese pessimistische Vision, so behaupte ich, ist »realistisch«, wenn wir fortfahren, unsere Zukunftsmöglichkeiten im Sinne der sich selbst definierenden »Realisten« zu beurteilen. Ich sehe jedoch prinzipiell keinen Grund, warum wir dem Menschen von vorneherein die Fähigkeit absprechen sollen, nicht in letzter Minute und höchster Gefahr doch noch eine erfolgreichere, wirklich intelligente Gegenstrategie zu entwickeln. Zweifellos wird hierzu eine außergewöhnliche und deshalb aus utopischen Visionen schöpfende Phantasie nötig sein, wesentlich mehr Phantasie jedenfalls als uns bei »realistischen“Erwägungen, die sich ja notwendig immer nur auf bereits erprobte, vergangene Erfahrungen beziehen, so einfallen wird. Ist es nicht höchste Zeit, daß wir uns endlich der großen und lebensentscheidenden Herausforderung, mitweltverträgliche Lebensstile zu entwickeln, entschlossen stellen und weltweit eine große gemeinsame Anstrengung starten, und zwar in einer Größenordnung, wie wir sie bisher nur für unsere militärische Sicherheit so bereitwillig und »selbstverständlich« geleistet haben?

Praktische Umsetzung der Nachhaltigkeit

Doch wie sollen wir diese gigantische Aufgabe praktisch angreifen? Welche konkreten Einsteige sind denkbar, um den Menschen, insbesondere der nördlichen Erdhalbkugel zu helfen, seine Naturvergessenheit zu überwinden und ihn zu einer ökologisch vertretbaren Lebensweise zu veranlassen? Welcher Ort und welcher Zeitpunkt ist dafür am geeignetsten?

Auf den ersten Blick erscheint der jetzige Zeitpunkt für eine politische Umsetzung in den industrialisierten Gesellschaften gar nicht so ungünstig. Viele Menschen zeigen sich in hohem Maße von der Umweltproblematik beunruhigt. Viele alte Überzeugungen sind ins Rutschen gekommen. Die Forderung nach tiefgreifenden Reformen wird lauter, und es wächst auch die allgemeine Bereitschaft, sich in diesem Prozeß selbst zu engagieren und auch mögliche persönliche Nachteile dabei zu tolerieren. Andererseits versuchen viele – oft aus verständlicher Hilflosigkeit der verwirrend komplexen ökologischen Problematik gegenüber oder aus Frustration über den viel zu langsamen Fortschritt bei deren Wahrnehmung und Lösung – dieses drückende Unbehagen einfach zu verdrängen. Sie werden darin von einem gewissen Gefühl der Befriedigung und des Triumphes angesichts des Zusammenbruchs der östlichen Kommandowirtschaften unterstützt, durch den doch, wie sie glauben, sich nun eindeutig erwiesen zu haben scheint, daß unser westliches Wirtschaftssystem die beste Möglichkeit darstellt, die Menschen weltweit aus ihrer Armut herauszuholen und auch »ausreichend« zu beglücken. Es gelte jetzt nur, wie sie meinen, die in den ärmeren Ländern für eine wirtschaftliche Wende nötigen Investitionen allerseits mit höchster Dringlichkeit zu tätigen und die dafür nötigen Geldmittel bereitzustellen. Ökologische Fragen müßten bei dieser enormen Anstrengung allerdings zunächst zurücktreten. Sie könnten, so glaubt man, erst dann wirkungsvoll aufgenommen werden, wenn diese Länder sich über ein Wachstum ihrer Volkswirtschaft ein ausreichend hohes eigenes Bruttosozialprodukt erarbeitet haben, um die dafür zusätzlichen hohen Kosten aufbringen zu können.

Umbau von Produktions- und Wirtschaftsformen

Diese letztere Betrachtungsweise ist jedoch kurzsichtig und irreführend, da hierbei Umweltschutz wieder nur als großer Reparaturbetrieb gesehen und interpretiert wird. Selbstverständlich müssen überall – und besonders in den sich öffnenden industrialisierten Staaten Mittel- und Osteuropas – große Anstrengungen gemacht werden, um hochgefährliche Altlasten zu entschärfen oder unschädlich zu machen – kein leichtes Unterfangen, wenn man dabei nicht einfach an eine geographische Verlagerung der Probleme denkt. Aber: Wir müssen dabei immer im Auge behalten, daß jegliche verstärkte Aktivität – aufgrund des Entropiesatzes – notwendig wieder irgendwo zusätzliche Zerstörung erzeugt. Ein Ausweg aus diesem Dilemma kann deshalb letztlich nur darin bestehen, mit großer Intensität sich an dem Aufbau und in den industrialisierten Ländern des Westens an einen entsprechenden Umbau der Produktions- und Wirtschaftsformen zu machen, um diese Schäden von vornherein zu vermeiden. Wir mögen von einer praktischen Realisierung solcher Ideen noch weit entfernt sein. Wenn jedoch – wie immer wieder gesagt wird – die Utopien von gestern die Realitäten von heute sind, so gilt auch gleichermaßen, daß den Realitäten von morgen Utopien von heute vorausgehen müssen. Das eigentliche Ziel darf sich nicht nur auf einen möglichst breitgefächerten, nachbessernden Umweltschutz beschränken, sondern muß eine allgemeine Umstellung auf eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise sein. Dies bedeutet, daß wir in den reichen Industriestaaten des Nordens uns etwas Neues einfallen lassen müssen, um von unserer wachstumsfixierten Wirtschaftsweise herunterzukommen. Wir müssen in den reichen Ländern dringend Vorbilder für ein Wirtschaften schaffen, das auch die übrigen armen Dreiviertel der Menschheit – zu ihrem eigenen Vorteil und vor allem zur Erlangung eines menschenwürdigen Lebensstandards – praktizieren können, ohne die Vitalität und Produktionsfähigkeit unserer Erde, auf deren Grundlage wir nur existieren können, unumkehrbar zu beschädigen.

Die augenblicklich dominierende westliche Wirtschaftsform steht offensichtlich im krassem Widerspruch zu einem Wirtschaftsstil, der die Vitalität und Produktionsfähigkeit unserer Ökosphäre zu bewahren sucht. Es ist auch klar, daß eine Harmonisierung zwischen ökonomischen und ökologischen Forderungen kaum durch dirigistische Maßnahmen – etwa durch das Instrumentarium einer Ökodiktatur, die keiner will und wollen kann – wirkungsvoll erreicht werden kann, da uns die »Natur« eindringlich lehrt, daß nur dynamische, nach dem Prinzip von »Versuch und Irrtum« über Selbstorganisation sich einstellende Ordnungsstrukturen den hohen Grad an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erreichen können, die zur effizienten Erfüllung der komplexen äußeren Anforderungen und Aufgaben notwendig sind.

Gefragt ist vielmehr eine Wirtschaft, deren Rahmenbedingungen und Spielregeln derart gewählt werden, daß in dem von ihnen zugelassenen freien Spiel der Kräfte eine Optimierung der gewünschten Werte erreicht werden kann. Die Einführung solcher Rahmenbedingungen steht nicht im Widerspruch zur Vorstellung einer »freien Marktwirtschaft« in der üblichen Bedeutung, weil Freiheit nie von Verantwortung entkoppelt werden kann. Auch die bisher üblichen Marktmechanismen sind ja nicht »frei« im Sinne von »willkürlich«, da sie sich an gewissen Normen – so vor allem den Menschenrechten und anderen Gesetzen von Recht und Ordnung – halten müssen. Es ist dringend geboten, hier weitere Forderungen zu erheben, um wenigstens die verbal schon immer laut proklamierten Bedingungen des Generationenvertrags zu erfüllen, der uns doch verpflichtet, nach Möglichkeit unseren Kindern keine minderwertigere Erde als die von unseren Eltern übernommene zu hinterlassen. Darüber hinaus sollten wir selbstverständlich auch sicherstellen, daß wir den Ast, auf dem die Menschheit sitzt – und dessen Stabilität durch das hochempfindliche und komplexe Zusammenwirken aller Komponenten der Ökosphäre der Erde (ihrer Lithosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre, sowie ihrer Biosphäre) gewährleistet ist – nicht kurzfristiger Vorteile willen, selbst absägen. Es ist dringend notwendig, daß wir uns ernste Gedanken darüber machen, wie solche neuen Rahmenbedingungen aussehen könnten, um der berühmten »unsichtbaren Hand« der Wirtschaft, die aus einsichtigen Motiven so leicht und gerne zunächst die eigene Tasche füllt, über die kurzfristigen Egoismen hinaus auch etwas Vernunft beizubringen, welche in einer langfristigen Überlebensstrategie und eben einer »nachhaltigen Wirtschaftsweise« zum Ausdruck kommt. Klar dabei ist nur, daß solche neuen Rahmenbedingungen notwendig die bisher »äußere Natur« in geeigneter Form in die Wirtschaft einbeziehen muß, wobei verhindert werden sollte, daß dabei das vielfältige Wertesystem der »natürlichen Ordnungsstrukturen« nicht der einfältigen, eindimensionalen Werteskala der Wirtschaft, nämlich dem durch Geld bemessenen Tauschwert, geopfert wird.

So gut und überzeugend eine Forderung nach einem »Nachhaltigen Wirtschaften« auch klingen mag, so bereitet dieses doch – wie jeder weiß, der sich einmal mit den damit verbundenen Fragen befaßt hat – erhebliche Schwierigkeiten, wenn wir präzise beschreiben sollen, was wir nun eigentlich praktisch darunter verstehen. Es erscheint prinzipiell unmöglich, den Begriff der »Nachhaltigkeit« genügend zu konkretisieren, um ihm etwa in Form eines allgemeinen Rezeptbuches für alle Interessenten anwendbar zu machen. Das hat nicht nur mit einer augenblicklichen Unkenntnis zu tun, die etwa durch weitere Forschung und Expertisen ausgeräumt werden könnten, sondern ist von einer prinzipiellen Art. Genau betrachtet sind wir dabei als Menschen in keiner schlechteren Situation als die »Natur« selbst, die ja auch spielerisch ihre überlebensfähigen Lösungen finden muß. Nachhaltigkeit wird also nicht in der genauen Befolgung ganz bestimmter Rezepte, sondern durch eine offene, aufmerksame, umsichtige, einfühlende, liebende Lebenseinstellung erreicht. Da uns als moderne Menschen, die wir in der Mehrzahl in einer städtischen Umgebung und deshalb im Umfeld von, vom Menschen geschaffenen, vergleichsweise »einfältigen« Erscheinungsformen und Strukturen, aufgewachsen sind, die Sensibilität für die hochvernetzte, natürliche »Vielfalt« verloren gegangen ist, müssen für uns geeignete »Übungsfelder« geschaffen werden, um diese Talente – von denen wir vermuten oder hoffen können, daß sie immer noch (als Erinnerung aus der Vergangenheit unserer Menschheitsgeschichte) in uns schlummern – zu wecken und voll zu entfalten. Hier müßte ein umfassendes Programm zur Umweltbildung ansetzen.

Konkrete Beispiele

Was »Nachhaltiges Wirtschaften« im Einzelnen konkret bedeuten soll und welche Maßnahmen letztlich dafür erforderlich sind, ist also kaum faßbar. Leichter ist es dagegen anzugeben, welche Maßnahmen und Verhaltensweisen ein solches Wirtschaften verschlechtern oder befördern werden. Wichtig wäre es vor allem, durch geeignete »Versuchsprojekte«, diesbezüglich praktische Erfahrungen zu sammeln. Lassen Sie mich hierzu zum Schluß einige Beispiele aus meinem eigenen Wirkungsbereich des Global Challenges Network (GCN) anführen.

So wie durch die Einrichtung von »Naturschutzgebieten« oder »Nationalparks« die »Natur« in gewissen Regionen unserer Erde, zur Bewahrung ihrer natürlichen Vielfalt und Eigengesetzlichkeit, weitgehend von menschlichen Eingriffen abgeschirmt wird, so sollten unserer Auffassung nach zusätzlich und in noch größerem Umfange auf ähnliche Weise geeignet geschützte »Kulturlandschaften« ausgewiesen werden. Aus diesen sollten die Menschen nicht verbannt, sondern die Möglichkeit geboten werden, ein harmonisches Zusammenwirken mit der Natur – bei der sie die Natur nutzen ohne sie zu verbrauchen – wieder auszuprobieren und zu erlernen. Als geeignetes Erprobungsgebiet für eine solche Maßnahme wurde von GCN der Grenzsstreifen entlang des früheren »Eisernen Vorhangs«, der sich von Finnland bis zum Bosporus erstreckt, vorgeschlagen. Als ehemaliges militärisches Sperrgebiet während über 40 Jahren befindet sich nämlich dieses Gebiet ökologisch in einem besonders guten Zustand und bietet sich deshalb hervorragend als »ökologisches Rückgrat Europas« an. Durch eine von Hanns Langer vom GCN im März 1990 begründete Initiative »Ökologische Bausteine für unser gemeinsames Haus Europa«, dem heute schon über 80 Umwelt- und Naturschutzgruppen in West-, Mittel und Osteuropa angehören, wurden in diesem Grenzstreifen 24 »Ökologische Bausteine« identifiziert und dokumentiert. Sie sollen einer von GCN initiierten und im Oktober 1991 in Prag gegründeten »Europäischen Stiftung für Natur- und Kulturvermögen« – durch Verträge mit den jeweils hoheitlich zuständigen Staaten – ökologisch »unterstellt« werden, um in diesen Gebieten eine ökologisch verträgliche gewerbliche, land- und forstwirtschaftliche Nutzung zu gewährleisten.

Ähnliche Vorhaben gibt es auch in anderen Teilen der Welt, so z.B. in China, das die Vietnam vorgelagerte und militärisch früher teilweise gesperrte chinesische Insel Hainan im südchinesischen Meer zu einer »special economic zone« erklärt hat und dort, unter Mitwirkung eines »International Advisory Concil on the Economic Development of Hainan in Harmony with the Natural Environment«, eine ökologisch nachhaltige ökonomische Entwicklung praktisch erproben will.

Bei allen Initiativen, welche »Nachhaltiges Wirtschaften« einzuführen und zu erproben versuchen, stoßen wir jedoch auf die fast unüberwindliche Schwierigkeit, solche Vorstellungen und Maßnahmen auch im augenblicklich gesellschaftlichen und politischen Umfeld praktisch durchzusetzen. Daß solche Schwierigkeiten auftreten, ist unmittelbar verständlich. Denn beim »nachhaltigen Wirtschaften« muß doch von den Menschen verlangt werden, kurzfristige handfeste Vorteile zu Gunsten gewisser langfristiger »Vorteile« aufzugeben, wobei solche »Vorteile« – obgleich von gewissen »Weitsichtigen« eloquent und glaubhaft als solche ausgewiesen und für unser Überleben mit hoher Wahrscheinlichkeit als unabdingbar bezeichnet – für die meisten rein theoretische Konstruktionen bleiben, die sich ihrer direkten Erfahrung und Einsicht fast vollkommen entziehen. Warum sollten auch solche warnenden Stimmen irgendjemand in unserer fortschrittsgläubigen Welt aufhorchen lassen und beeindrucken, in der der Mensch fast alles für unmittelbar machbar und lösbar hält oder, bei besonders schwierigen Aufgaben, eine Lösung wenigstens nach Ablauf relativ kurzer Zeitperioden – in denen durch geeignete wissenschaftliche Forschungen und technische Entwicklungen alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt werden – mit Gewißheit erwartet. Das ist aber noch nicht alles: Die Einführung geeigneter Rahmenbedingungen, welche in unseren Gesellschaften einer »Nachhaltigen Wirtschaft« eine reelle Durchsetzungs-Chance zu geben erlauben, verlangen auch im allgemeinen, gegen alle die vielfältigen, in den industrialisierten Ländern gewachsenen Machtstrukturen ankämpfen zu müssen, da deren Reichtum und Macht ja zu wesentlichen Teilen aus ihrem »nicht-nachhaltigen Wirtschaftsverhalten« resultieren.

Trotz dieser extrem ungünstigen Kräfte- und Mächtekonstellation sollten wir dieses Ringen um bessere Einsichten und deren Durchsetzung nicht vorzeitig als hoffnungslos aufgeben, sondern sorgfältig nach geeigneten »Katalysatoren« suchen. So erscheinen mir die Fragen der Energieversorgung und -nutzung für die umfassende Problematik einer »Nachhaltigen Wirtschaft« als Einstieg nicht nur für ein besseres Verständnis sondern auch für die praktische Umsetzung hervorragend geeignet zu sein.

Energiesonderabgabe

Nach heutigen groben Abschätzungen über die ökologische Tragfähigkeit unseres irdischen Ökosystems erscheint es plausibel, daß bei einer gleichverteilten Nutzung der »Natur« auf unserer Erde durch die derzeitig etwa 5,4 Milliarden Menschen aufgrund der Begrenztheit der Energieressourcen und der Umweltbelastung durch Folgeprodukte etwa ein mittlerer Energieverbrauch pro Kopf von etwa 1,5 kW, also 1,5 Kilowattstunden pro Stunde bzw. 13000 Kilowattstunden oder 1300 Liter Erdöl oder 1,6 Tonnen Steinkohlen pro Jahr, noch zulässig sein könnte. Dies muß mit dem knapp 6-kW-pro-Kopf-Verbrauch eines Mitteleuropäers oder den 11 kW eines US-Amerikaners verglichen werden. Es erscheint mir politisch nicht unmöglich, daß in Deutschland oder auch in der Europäischen Gemeinschaft nach umfassender Aufklärung der Bevölkerung eine geeignete Sonderabgabe auf nicht-erneuerbare Energieressourcen, wie etwa Kohle, Erdöl, Erdgas, politisch durchgesetzt werden kann, so daß deren Marktpreis sich in den nächsten 15-20 Jahren stetig wachsend auf etwa das Drei- bis Vierfache ihres jetzigen Preises erhöhen würde, vorausgesetzt daß dabei die zusätzlich eingezogenen Gelder in einer geeigneten, die Nachhaltigkeit weiter unterstützenden Weise wieder an die Verbraucher zurückfließen. Eine solche Maßnahme könnte eine entscheidende Wende in unserer Wirtschaftsweise bewirken. Sie würde in der Folge nicht nur den gesamten Primärenergieverbrauch senken, sondern insgesamt den Umsatz von »Material« dämpfen, wodurch eine erhebliche Verminderung des Schadstoffausstosses resultieren würde. Außerdem würde durch eine dadurch letztlich bedingte Verteuerung des Transports auch eine räumliche Dezentralisierung von Produktion, Handel und Gewerbe wesentlich begünstigt werden, was wiederum die Bewahrung und Entwicklung eigenständiger wirtschaftlicher und kultureller Strukturen fördern würde mit allen ihren positiven Konsequenzen bezüglich größerer Unabhängigkeit der spontan kommunikationsfähigen Lebenseinheiten (etwa der Regionen) und höherer Lebensqualität (in einem tieferen Sinne) ihrer Menschen.

Im Gegensatz zu dieser optimistischen Vorstellung halten die meisten jedoch eine solche Maßnahme einer Energieverteuerung für politisch undurchführbar, weil sie glauben, daß dies notwendig eine globale Einführung erfordern würde, um lokale Benachteiligungen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Meines Erachtens ist jedoch der Erfolg einer Energie-Sonderabgabe für ihre Initiatoren nicht notwendig an eine weltweite Einführung gekoppelt. Denn bei dem geschilderten Vorgehen würden einerseits kompensierende Vergünstigungen durch das rücklaufende Geld die Nachteile wesentlich mindern helfen, andererseits aber – und dies ist wohl das Entscheidendere – würden die dadurch stimulierten, kräftigen Entwicklungen intelligenter Energieerzeugungs- und Energienutzungstechnologien, von denen viele als entwicklungsreife Pläne ungenutzt in diversen Schubladen verstauben, für die Pioniere einen zukunftsträchtigen Markt mit enormen langfristigen Vorteilen erschließen. Wichtig wäre es allerdings der Bevölkerung klar zu machen, daß es sich bei diesen Sonderabgaben nicht um neue Steuern zur Finanzierung irgendwelcher anderweitiger Staatsausgaben (etwa zur Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung der Neuen Bundesländer, so wichtig eine solche auch sein mag) handelt, sondern um ein »Abhalte-Anreiz-Steuerungsinstrument«, bei dem, bei richtiger Einstellung, für sie kaum eine finanzielle Verschlechterung eintreten sollte. Es wäre wichtig, durch detailierte Auflistung und Veröffentlichung der Energieaufwendungen der wichtigsten Verbrauchsgüter (in diesem gesamten »Lebens«-Zyklus) dem einzelnen Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich nach eigenen Bewertungen sein persönliches »Energie-Menü« im Rahmen seines mittleren 1,5 kW-Energie-Leitungsbudgets zusammenzustellen und damit einen ersten und wichtigen Schritt in Richtung eines ökologisch verträglichen Lebensstils zu tun. Viele – da bin ich überzeugt – würden wohl mit Erleichterung feststellen, daß eine solche Energiebeschränkung, die zweifellos an manchen Stellen einschneidende Änderungen lieber Gewohnheiten und dementsprechend auch empfindliche Opfer verlangt, keineswegs von uns erfordert, künftig in »Sack und Asche« zu vegetieren, sondern im besten Sinne ein sinnerfülltes, lust- und freudvolles Leben zuläßt.

Eine wesentliche Voraussetzung für einen ökologisch nachhaltigen Lebensstil – und dies nicht nur aus energetischen Gründen – wird eine Änderung unseres Mobilitätsverhaltens erfordern. Im Zusammenhang mit der anstehenden wirtschaftlichen Entwicklung der Neuen Bundesländer und der mittel- und osteuropäischen Staaten des früheren Ostblocks ergibt sich hierbei prinzipiell die einmalige Chance für den Aufbau eines zukunftsträchtigen »sozial- und umweltverträglichen Verkehrssystems«. Auch hierbei ist GCN mit einem Pilotprojekt beteiligt.

Ganz allgemein läßt sich sagen: Eine äußere Natur, die nicht wie bisher kostenlos ist, hat aufgrund der üblichen Marktmechanismen bei geschickter Verwendung des Preisinstruments bestimmt eine bessere Chance, nicht mehr rücksichtslos ausgebeutet zu werden.

Offensichtlich werden mit Projekten dieser oder ähnlicher Art nur winzige erste Schritte in Richtung auf ein nachhaltiges Wirtschaften gemacht. Immerhin ist dies in unseren Augen ein Anfang. Viele weitere und wesentlich größere Schritte müssen selbstverständlich folgen, um den großen globalen Herausforderungen (global challenges) unserer Zeit gerecht zu werden. Langfristig kann uns dabei nur eine parallel zu diesen praktischen Maßnahmen laufende Bewußtseinsänderung und eine damit verbundene Änderung unseres heutigen Lebensstils entscheidend weiterbringen.

Die Frage wird allerdings bleiben, ob uns für alle diese Unternehmungen die Zeit reichen wird. Ich weiß es nicht und niemand kann es wissen. Doch erinnern wir uns: Die Natur ist kein mechanisches Uhrwerk, das uns zum Fatalismus verurteilt. Die Zukunft ist offen.

Handeln wir deshalb so, als ob noch alles möglich wäre.

Teil I

Prof. Dr. Hans-Peter Dürr arbeitet als Physiker im Max-Planck-Institut für Physik (Werner-Heisenberg-Institut) in München und ist Mitglied der Naturwissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden“.

Ökologische Herausforderung der Ökonomie

Ökologische Herausforderung der Ökonomie

Eine naturwissenschaftliche Betrachtung. Teil I

von Hans-Peter Dürr

Sie werden es vielleicht als reichlich arrogant erachten, daß ich als Physiker – und noch dazu als Elementarteilchenphysiker, der sich hauptsächlich mit den Gesetzmäßigkeiten des Mikrokosmos beschäftigt – mich so dreist zu einem wirtschaftlichen Thema äußere, von dem ich nur wenig verstehe. Ich kann diese Kritik verstehen. Ich bin aber ein überzeugter Grenzgänger und möchte Sie auch dazu animieren. Denn ich halte es für die Lösung der uns heute bedrohenden globalen Probleme für unumgänglich, daß wir uns alle ein Stück weit aus unseren engen fachlichen Nischen herausbewegen, und uns für einen umfassenden interdisziplinären Dialog öffnen, der nicht nur die Nachdenklichen in allen Disziplinen in engeren Kontakt miteinander bringt, sondern insbesondere auch Brücken zwischen den »Grübelnden« und »Handelnden« schlägt.

Im Rahmen der Naturwissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden“ haben wir uns in der Vergangenheit vor allem mit den drängenden Fragen der Friedenssicherung befaßt. Diese werden und müssen leider auch weiterhin einen Großteil unserer Aufmerksamkeit beanspruchen, wenigstens so lange die Rüstungsausgaben der Länder nicht auf einen Bruchteil ihres jetzigen Umfangs reduziert worden sind. Die Gefahr ist nämlich groß, daß viele von uns annehmen, mit dem Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West sei nun auch ein für allemal die große Kriegsgefahr gebannt. Ich fürchte, daß die übermächtigen militärischen Kräfte diese Einstellung weidlich ausnutzen und die Rüstung hinter unserem Rücken unvermindert weiter vorantreiben. Noch immer stehen zigtausende von Atomwaffen auf beiden Seiten für ihr Vernichtungswerk bereit und suchen zum Teil auf abenteuerlichen Wegen neue Besitzer. Kein Wunder: Denn noch immer werden sie von den augenblicklichen Besitzern als ein wesentliches Attribut ihrer militärischen Sicherheit und als letztlich unverzichtbares Element zur Gewährleistung ihres physischen Überlebens betrachtet.

Obgleich kein angemessener Gegner mehr in Sicht ist, geht die Entwicklung und der Bau dieser Superwaffen weiter. Obgleich niemand weiß, wie das hochtoxische und hochradioaktive Plutonium jemals wieder aus unserer Lebenssphäre beseitigt werden kann, setzen wir – allen voran die USA, England und Frankreich – die Produktion von Plutonium fort. Obgleich eine Weiterverbreitung der Atomwaffen droht, weil deren Besitz als Beweis staatlicher Souveränität gewertet und als Eintrittskarte in den Weltsicherheitsrat begehrt wird – werden von den westlichen Atommächten unbeeindruckt und hemmungslos weitere Kernwaffentests durchgeführt und damit die wissenschaftlich-technische Entwicklung dieser Massenvernichtungswaffen weitergetrieben, so als ob nichts geschehen wäre. Ja, gewissermaßen zur Krönung dieses ganzen Wahnsinns, wird uns jetzt auch noch von höchsten Repräsentanten weisgemacht, daß nur durch den Aufbau eines effektiven Atomraketenabwehrsystems nach Art von SDI die Gefahren einer Weiterverbreitung von Atomwaffen gebannt werden könnten. Während wir uns also erleichtert und zufrieden von den unerfreulichen Rüstungsproblemen glauben abwenden zu können, bereitet sich hier schon wieder die nächste Tragödie vor. Neue Spannungen bauen sich auf, deren eigentliche Ursachen wir hier im Norden, nun vor allem im Süden auszumachen suchen und gegen die wir uns – so unverständlich es auch klingen mag – mit denselben Massenvernichtungswaffen wappnen wollen, welche eigentlich auf den atomwaffenstarrenden Gegner im Osten gemünzt waren.

Wachstumsorientierte Wirtschaftsweise

In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß die Friedenssicherung im militärischen Sinne nur ein Aspekt einer viel umfassenderen Problematik ist, um die wir uns heute gleichermaßen und mit wachsender Intensität kümmern müssen. Wir müssen klar erkennen, daß die Zerstörung unserer Mitwelt im globalen Maßstab und die Verelendung einer immer weiter zunehmenden Mehrheit der Menschheit uns vor praktisch unlösbare Probleme stellt. Denn bei der Betrachtung dieser neuen Probleme müssen wir schmerzhaft erkennen, daß die Rüstungsproblematik, mit der wir uns so lange beschäftigt haben, vergleichsweise noch zu den einfacher zu lösenden Problemen gehört. Denn sie hat als reines Menschenwerk eine starke wissenschaftlich-technische Komponente, die für uns trotz ihrer hohen Kompliziertheit als prinzipiell durchschaubar erscheint. Auch bietet sich in der Rüstungsproblematik wenigstens eine mögliche und für die Mehrheit der Menschen sofort annehmbare Lösung an, nämlich die einer umfassenden Abrüstung auf allen Seiten. Eine entsprechende Lösung der ökologischen Problematik ist hier wesentlich widerspruchsvoller und schwerer erreichbar, da wir uns dabei alle selbst als Gegner gegenüberstehen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit jedoch weniger auf die vielfältigen Symptome als vielmehr auf die eigentlichen Ursachen richten, so ergeben sich vielleicht doch geeignete Ansatzpunkte, um dieser Problematik wirksam auf den Leib rücken zu können. Hier ist es relativ leicht, die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise als ein, wenn nicht sogar als das größte Grundübel der weltweiten Spannungen auszumachen.

Es ist, in der Tat, meine feste Überzeugung, daß ohne tiefgreifende Änderungen der Rahmenbedingungen und der Spielregeln der heutigen, auf stetiges Wachstum programmierte Ökonomie, keines der anstehenden brennenden globalen Probleme – wie etwa die Friedenssicherung, die langfristige Tragfähigkeit der Ökosphäre, ein gerechter Ausgleich der extremen wirtschaftlichen und sozialen Nord-Süd-Ungleichgewichte – sich wird lösen lassen. Wir fordern heute als höchstes Ziel unseres Staatswesens, eine ständig wachsende Wirtschaft, wie sie durch ein steigendes Bruttosozialprodukt ausgewiesen werden muß, zur besseren Befriedigung unserer »Bedürfnisse«, was immer wir darunter verstehen mögen. Dies tun wir ohne Rücksicht darauf, was wir eigentlich wirklich »bedürfen« und wer eigentlich an dieser überquellenden Üppigkeit noch teilnehmen kann, und ohne große Gedanken darüber, was durch diese maßlose Entwicklung irreparabel in unserem Umfeld zerstört wird. Es ist in der Tat allerhöchste Zeit, die Ökonomie endlich aus ihrer Naturvergessenheit herauszuführen, ein Kardinalfehler, durch den allein nur die Vision eines ständig wachsenden Wirtschaftsvolumens als Möglichkeit denkbar erscheint.

Die Aufgaben, die hier vor uns stehen, sind fast unüberwindlich schwierig. Sie erfordern zu ihrer Lösung eine ungeheure gemeinsame intellektuelle und tätige Anstrengung von »Grübelnden und Handelnden«. Es wäre mein Traum, daß wir eines Tages einmal das ganze Potential von Motivation und Tatkraft, an Intelligenz und Phantasie, das heute immer noch für einen immer raffinierteren Waffenbau gebunden ist und mit veralteten Vorbildern Auswege aus der Problematik sucht, in gleichem Maße für die Lösung der angezeigten wirklich relevanten Menschheitsprobleme mobilisieren könnten. Es stellt sich uns doch heute die drängende Frage: Wie muß eine Wirtschaft gestaltet werden, die aufgrund ihrer eigenen Spielregeln nicht automatisch die Reichen reicher und die Armen ärmer werden läßt, sondern vielmehr alles einem fairen Ausgleich ohne eintönige Gleichförmigkeit zustrebt? Und dann vor allem auch die entscheidende Frage: Wie muß eine Wirtschaft gestaltet werden, um langfristig die Mitwelt, in die wir allesamt mit unserem biologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben eingebettet sind, nicht für uns Menschen lebensbedrohend zu beschädigen?

Umweltverträgliche Wirtschaftsweise

Es ist offensichtlich, daß wir uns im Augenblick mit dieser Fragestellung außerordentlich schwer tun, weil der Zusammenbruch der östlichen Kommandowirtschaften für viele zu signalisieren scheint, daß die von uns im Westen praktizierte Wirtschafrtsweise nun für alle deutlich als Siegerin hervorgegangen ist und sich dadurch, gewissermaßen im Darwinschen Sinne, als schlechthin angemessene Lebensform erwiesen und bewährt hat. Diese fehlerhafte Wahrnehmung könnte für uns alle tödlich enden.

Offensichtlich ist die Wirtschaft, als eine Aktivität des Menschen mit dem Menschen auch ein Teil der allgemeinen Natur. In klassischen Wirtschaftsmodellen erscheint die Natur jedoch nur als äußere Rahmenbedingung in der Form eines unendlich abgabefähigen und aufnahmefähigen Mediums, aus dem wir kostenlos und nach Belieben Ressourcen entnehmen und in das wir auf dieselbe sorglose Weise Afallstoffe deponieren können. Es ist jedoch offenkundig, daß die Wirtschaft im Vergleich zur Vergangenheit die Natur heute besser wahrnehmen und, was deren Funktion angelangt, genauer einbeziehen muß, um ihre Aufgaben angemessen und befriedigend erfüllen zu können.

Obgleich die Beziehung zwischen Wirtschaft und Natur eigentlich im Sinne der Frage diskutiert werden müßte, auf welche Weise die Wirtschaft geeignet in die umfassendere Natur eingebettet werden kann, so daß sie mit der für die menschliche Existenz wesentlichen Ausprägung dieser Natur auf der Erdoberfläche – der Natur im engeren Sinne – langfristig verträglich wird, also deren »Nachhaltigkeit« (sustainability) gewährleisten kann, so wird wohl für eine kurzfristige Strategie – bei der wir auf wirksame und schnellgreifende Erfolge angewiesen sind – die Frage im Vordergrund stehen müssen, auf welche Weise umgekehrt die Natur, mit ihrer im Vergleich wesentlich komplexeren »Weltordnung« innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung qualitativ und vor allem auch quantitativ – in der dort üblichen Wertnorm des Geldpreises oder Tauschwerts – berücksichtigt werden kann, um wenigstens die schlimmsten Naturschädigungen abzubremsen, aufzuhalten oder gar zu verhindern.

Wertschöpfung und Produktivität

In der Wirtschaft spielen die Begriffe »Wertschöpfung« und »Produktivität« eine zentrale Rolle. Allgemein findet beim Produktionsprozess in der Tat eine »Wertschöpfung«, eine »Wertsteigerung« statt, wobei die Steigerung des Werts in einer Erhöhung der »Ordnungsstruktur« des Endprodukts – im Sinne einer höheren Differenziertheit und nicht einer Ordentlichkeit oder Regelmäßigkeit – zum Ausdruck kommt. So werden z.B. bei der Produktion von Autos Rohstoffe, Halbzeug und einfachere Systeme funktionsgerecht stetig zu immer komplexeren, höher »geordneten« und für uns höherwertigen Systemen zusammengefügt. Die Ordnungsqualität dabei besitzt eine gewisse Verwandtschaft mit dem physikalischen Begriff der »Syntropie« oder der »Negativen Entropie«. Im Gegensatz zur Materie und Energie, die bei allen Prozessen unverändert bleiben, gilt dies nicht für die Ordnungsqualität der Syntropie.

Es gilt nämlich in der Physik der sog. »Zweite Hauptsatz der Thermodynamik«, der besagt, daß ein sich selbst überlassenes System im Laufe der Zeit automatisch in eine wahrscheinlichere Konfiguration übergeht.

Dieses eigentümliche Verhalten ist uns zum Beispiel beim Mischen eines Kartenspiels geläufig: Beim Mischen der Karten geht jegliche besondere Anordnung eines Kartenspiels verloren, während der umgekehrte Vorgang nie passiert.

Dies hat eine immens wichtige praktische Folge: Da hochdifferenzierte Ordnungsstrukturen in einem System statistisch betrachtet immer unwahrscheinlicher sind als Ordnungsstrukturen mit geringerem Differenzierungsgrad oder gar als eine totale Unordnung, bedeutet dies nämlich im allgemeinen, daß jegliche Ordnungsstruktur, jede Besonderheit, jedes Ausgezeichnetsein im Laufe der Zeit einer eingeprägten Tendenz folgend, von alleine abgebaut und zerstört wird. Bei Umwandlungsprozessen von abgeschlossenen Systemen nimmt also die Unordnung immer zu und deshalb die Syntropie, als Maß der Ordnung, immer ab, eine Beobachtung, die wir auf mannigfache Weise in unserem Alltagsleben machen können. Sie brauchen nur an ihr Arbeitszimmer zu denken, wie sich hier durch eine unsichtbare Hand immer nur die Unordnung und eigentümlicherweise nie die Ordnung vergrößert.

Dies bedeutet auch, daß jeglicher »Wertschöpfungsprozeß«, in diesem eingeschränkten physikalischen Sinne, notwendig mit einem »Wertzerstörungsprozeß« verbunden ist, der ihn überkompensiert. Diese physikalische Gesetzmäßigkeit dominiert auch unsere technische Produktion, was für uns jedoch nicht immer einsichtig ist, da wir gewöhnlich den parallel zur Wertschöpfung laufenden Wertzerstörungsprozeß nicht wahrnehmen oder für unwesentlich halten. Denn dieser Wertzerstörungsprozesß, dieser Verbrauch an Syntropie, passiert gewissermaßen im Verborgenen. Er geschieht vor allem dadurch, daß bei jeder Wertschöpfung gleichzeitig hochgeordnete Energie, wie etwa Hochtemperaturenergie, chemische, elektrische, mechanische Energie usw. in niedergeordnete, Niedertemperatur-Wärmeenergie verwandelt wird. Auch die ordnende Hand des arbeitenden Menschen wird ja durch die chemische Energie der Stoffe gespeist, die er in Form pflanzlicher und tierischer Nahrung vorher aufgenommen hat.

Ordnungsstrukturen

Bei dieser Beschreibung natürlicher Prozesse erscheint der Begriff der »Wertschöpfung« in unmittelbarer Beziehung zur Schaffung einer irgendwie gearteten »höheren« Ordnungsstruktur. Der Begriff der »Ordnung«, den wir hierbei verwenden, hat die Bedeutung einer höheren Differenzierung, einer speziellen Besonderheit, einer größeren Komplexität oder – statistisch betrachtet – einer höheren »Unwahrscheinlichkeit«. Dieser Begriff sollte also nicht in dem alltäglichen Sinne verstanden werden, wo »Ordnung« mehr mit Gleichförmigkeit und Regelmäßigkeit zusammenhängt, also mehr das Entgegengesetzte, nämlich etwas wie Undifferenziertheit, Symmetrie und Einfalt ausdrückt.

Die Anordnung der Atome und Moleküle in einem Eiskristall erscheinen uns z.B. im normalen Sprachgebrauch viel »ordentlicher« als etwa die Anordnung der Moleküle in einer DNA-Doppelhelix. Das DNA-Kettenmolekül hat aber in dem von mir benutzten Sinne eine viel höhere Ordnungsstruktur, da es ja den Code für ein Lebewesen enthält.

Dasselbe gilt – um ein anderes anschaulisches Beispiel zu nennen – für die Anordnung der Buchstaben in einem Gedicht, das hochgeordnet ist. Nimmt man z.B. ein Gedicht von Goethe „Grenzen der Menschheit“; für einen Analphabeten sieht dies wie ein Buchstabenchaos aus, das wir etwa imitieren können, indem wir den Text durch Spiegelung des Alphabets – d.h. A wird in Z, B in Y vertauscht – für uns unleserlich machen. Es ist also jetzt ein Durcheinander von Buchstaben, bei dem wir leicht in Versuchung geraten können, es etwas zu »ordnen«, z.B. die verschiedenen Buchstaben gruppenweise aufzureihen; also alle As in die erste Zeile, die Bs in die zweite Zeile usw. zu schreiben. Es ist offensichtlich, daß wir mit diesem »Ordnen« die inhärente höhere Ordnung des Gedichts zerstören.

Ein solches »Ordnen« hat eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer Vorgehensweise bei der Entwicklung der Technik, bei der wir oft glauben, es besser als die »Natur« machen zu können, weil es uns etwa gelingt 67 Ns hintereinander anzuordnen im Kontrast zu mickrigen 2 Ns im »natürlichen« Fall. Das von uns so geordnete System läßt sich selbstverständlich einfacher beschreiben und besser manipulieren, aber es verliert seinen »Sinn«, den nur ein »Sprachkundiger« wahrnimmt.

An der Metapher des Gedichts kann man vielleicht am leichtesten deutlich machen, was wir unter Ordnungshierarchie, in dem von mir verwendeten Sinne verstehen. Eine Vielzahl von Linien führt zur Bildung von Buchstaben, eine Vielzahl von Buchstaben zur Bildung von Worten, eine Vielzahl von Worten zu Sätzen, eine Vielzahl von Sätzen zu Gedichten usw. Auf jeder Stufe gelingt eine neue Ordnungsstruktur, die auf der Vorstufe nicht erreichbar ist. Das Zusammenwirken von Buchstaben ermöglicht die Bildung von Worten, also eine Ordnungsstruktur, die wir mit einem einzigen Buchstaben nicht darstellen können.

Kontinuierliche Quelle von Syntropie

Für isolierte, sich selbst überlassene Systeme führt der allgemeine Trend des Naturgeschehens von Ordnung zur Unordnung. Dies hat zur Konsequenz: Ohne konstruktive Einwirkung, ohne äußere ordnende Unterstützung, ohne »tätige Pflege«, ohne ständige Zufuhr von Syntropie zerfällt allmählich jegliche geordnete Struktur. Umso erstaunlicher ist es deshalb, daß sich auf der Erde ein Evolutionsprozess zu immer höheren Lebensformen abspielt, der dieser »natürlichen« Tendenz zur Strukturzerstörung entgegengerichtet zu sein scheint. Dieser aufbauende Evolutionsprozess, so erkennen wir, war und ist nur möglich, weil die Erde im elektromagnetischen Strahlungsfeld der Sonne liegt. Durch die Sonnenlichteinstrahlung wird der Erde dauernd hochwertige Energie zugeführt, die jedoch – bis auf vergleichsweise kleine Energiemengen, die etwa zeitweise durch Pflanzen und Tiere gebunden werden – nicht verbraucht, sondern fast vollständig wieder als niederwertige Wärmestrahlung in den Weltenraum zurückgestrahlt wird. Die Sonnenstrahlen laden bei dieser Verwandlung gewissermaßen nur ihre höhere Energiewertigkeit und damit Syntropie auf der Erde ab. Die Sonne ist also für die Erde eine dauernd sprudelnde Syntropiequelle. Die Sonne hat also gewissermaßen für die Erde die Funktion einer stetig ordnenden Hand. Sie ist der Motor jeglichen organischen Wachstums auf der Erde und letztlich auch die wesentliche treibende Kraft aller technisch-wirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen.

Die Pflanzen beziehen ihre Syntropie unmittelbar von der Sonne und speichern sie in Form chemischer Ordnungsstrukturen. Sie werden dadurch selbst zur Syntropiequelle, was sich die Tiere und auch die Menschen zunutze machen, indem sie diese – oft über mehrere Zwischenglieder einer Nahrungskette – sich einverleiben, auffressen. Wir sollten dabei jedoch beachten, daß viele der von uns hochgeschätzten Wertschöpfungsprozesse nur ganz wenig Syntropie benötigen. Einige Hände voller Reis, die wir als Nahrung zu uns nehmen, befähigen uns zum Beispiel schwarze Tinte auf Papier in so hoch strukturierte und geordnete Produkte wie Gedichte, Symphonien und wissenschaftliche Abhandlungen zu verwandeln.

Syntropie-Reservoire

Aufgrund bestimmter Erdbewegungen und Wasserverhältnisse kommt es hin und wieder vor, daß Pflanzen und Tiere vor ihrem vollständigen chemischen Abbau in tiefere Erdschichten gelangen und dann Kohle, Erdöl und Erdgas bilden können. Der wirtschaftliche Aufschwung der Industriestaaten hängt wesentlich mit der Nutzung dieser vor mehreren hundert Millionen Jahren gebildeten Syntropie-Reservoire zusammen. Was hier über Zeitspannen von hunderten von Jahrmillionen über Pflanzen und Tiere in winzig kleinen Mengen langsam aber stetig an Sonnensyntropie gespeichert wurde, wird von uns heute innerhalb weniger Generationen verbraucht oder besser: vergeudet, denn nur ein kleiner Teil dieser eingefangenen Sonnensyntropie wird für den eigentlichen technischen Wertschöpfungsprozeß für die Schaffung neuer Ordnungsstrukturen wirklich genutzt. Der Rest beschleunigt nur den allgemeinen »natürlichen« Zerstörungsprozeß. Ohne die Ausbeute dieses enormen Naturvermögens an gespeicherter Sonnensyntropie wäre die rasante Entwicklung der Industrieländer und die Ansammlung ihrer großen Reichtümer nicht möglich gewesen. Zwei Hände voller Kohle können z.B. die körperliche Tagesarbeit von drei Menschen ersetzen.

Die systematische Erforschung der Erdkruste und die Entdeckung immer weiterer Lagerstätten von Energieträgern – oder besser: von Syntropie-Speichern – hat die Vorstellung genährt, daß die Erde, gemessen an menschlichen Aktivitäten, als ein unerschöpfliches Reservoir von Syntropie-Quellen angesehen werden kann, und wir deshalb für unsere Aktivitäten uns nicht mehr auf unsere primäre Syntropiequelle, das tägliche Syntropie-Einkommen der Sonne, beschränken müssen: Der Verbrauch an Syntropie für den menschlichen Wertschöpfungsprozeß erscheint nach dieser Auffassung als vernachläßigbar klein im Vergleich zu den bakannten und vor allem den noch nicht entdeckten Syntropie-Speichern. Die Endlichkeit und Erschöpfbarkeit der jeweiligen physischen Ressourcen wird, so glaubt man, bei weitem kompensiert durch die Entdeckung weiterer Ressourcen. Diese Einstellung wurde durch die Entdeckung andersartiger Syntropie-Quellen, die nicht auf die Sonnenstrahlung zurückgehen, verstärkt: Schwere Elemente, wie Uran, die bei früheren Supernova-Explosionen vor einigen Jahrmilliarden im Weltenraum erzeugt wurden, sind Träger großer hochgeordneter Energien, die durch Atomkernspaltung freigesetzt werden können. Auch die leichten Elemente, wie insbesondere Wasserstoff, der von den Anfängen des Urknalls herrührt, stellen ergiebige Syntropie-Quellen dar. Durch Fusion des Wasserstoffs zu Helium – nach dem Vorbild der Sonne – lassen sich prinzipiell auch auf der Erde große Mengen hochgeordneter Energie erschließen.

Die Frage ist deshalb verständlich: Warum sollen in Zukunft nicht noch weitere und andersartige Syntropie-Quellen entdeckt werden, wodurch die Erschöpfung einer Ressource durch ihre Substitution mit einer anderen Ressource kompensiert werden könnte. Die von niemandem bestrittene Endlichkeit bestimmter Ressourcen würde bei dieser Betrachtung also gewissermaßen durch den unendlichen Einfallsreichtum des Menschen, der neue Ressourcen in unendlicher Folge erschließen kann, überwunden werden. In der Tat haben die Wissenschaftler mit ihrer reichen Phantasie und ihrem unermüdlichem Eifer diese These bisher in vollem Maße bestätigt. Daraus folgt jedoch keinesfalls, daß sich diese Erfahrung auch in aller Zukunft bewahrheiten wird – und vieles scheint, in der Tat, eine solche Befürchtung zu bestätigen, wenn wir alle Nebenbedingungen unter denen eine Erschließung neuer Ressourcen geschieht, mit in die Rechnung einbeziehen.

Der enorme Aufschwung der Wirtschaft in den industrialisierten Ländern beruht bei dieser Betrachtung gewissermaßen auf einer Bankraub-Mentalität. Wertschöpfung und Produktivität orientieren sich – bildlich gesprochen – an der Investition von immer besseren, raffinierteren und meist auch teureren Schweißgeräten, mit denen immer dickwandigere Tresore mit großen, in der Vergangenheit angesammelten natürlichen Schätzen aufgebrochen werden. Die Bestohlene ist unsere Natur, die nicht nur unsere Umwelt, sondern unsere Mitwelt ist, in die wir auf komplexe Weise existentiell eingebettet sind. In gewisser Weise berauben wir uns also selbst. Die Natur ist nicht einfach ein Steinbruch, den es möglichst schnell und effizient auszubeuten gilt, sondern sie stellt – zusammen mit den Menschen in ihr – letztlich die eigentliche Produktivkraft dar, die echte Wertschöpfung erlaubt. Im Gegensatz dazu ist das übliche »Kapital« eigentlich kein Produktionsfaktor als vielmehr ein Organisationsfaktor, der erlaubt, kostenloses Naturvermögen in Geld bewertetes Tauschwertvermögen umzubuchen. Ähnliches gilt für den »Plan« in der Planwirtschaft, der Naturvermögen in Gebrauchswerte verwandelt.

Die neue Situation des Menschen

Dies alles bringt den Menschen der Natur gegenüber in eine ganz neue Situation. Sein Einfluß auf die Ökosphäre der Erde kann nicht mehr wie nur eine kleine, nebensächliche Störung der mächtigen natürlichen Dynamik des irdischen Gesamtgeschehens betrachtet werden, sondern dieser Einfluß wird nun zu einem wesentlichen Gestaltungsfaktor. Die Eingriffe des Menschen beschwören sogar die Gefahr herauf, daß das hochkomplexe Ökosystem, das sich in der Milliardenjahre langen Erdgeschichte durch einen raffinierten Prozess der Selbstorganisation nach dem Prinzip »Versuch und Irrtum« entwickelt hat, aus seiner relativ robusten, aber eben nicht beliebig stabilen dynamischen Gleichgewichtslage herausgekippt wird. Hierdurch könnten leicht Bedingungen auf unserer Erdoberfläche entstehen, unter denen der Mensch als Gattung nicht mehr überlebensfähig wäre.

Da wir als bewußt handelnde schöpferische Menschen nicht außerhalb der Natur leben, sondern Teil der Natur sind, ist auch alles, was wir tun in einem allgemeinen Sinne »natürlich«. Das gilt insbesondere und auch vor allem für unsere Technik. Dies bedeutet aber nicht, daß es deshalb gleichgültig ist, was wir tun und auf welche Weise wir es tun. Als »Krone der Schöpfung« sind wir gleichsam der Haupttrieb eines hochentwickelten Gewächses, nämlich jedes Biosystems unserer Erde. Unsere Eingriffe werden die Fortentwicklung dieses Organismus beeinflussen: Er kann entweder weiter wachsen und gedeihen oder aber auch auf verschiedene Weise beschädigt werden; vielleicht sogar in einem Grade, daß etwa sein Haupttrieb – also die Spezies homo sapiens – abstirbt oder ganze Zweige, aus dem der Haupttrieb entsprießt, sein Stamm oder gar seine Wurzeln in Mitleidenschaft gezogen werden. Jeglicher Schaden, den wir der Biosphäre oder der Ökosphäre, die auch die anorganische Basis der Erdoberfläche einschließt zufügen, verletzt letztlich nicht die Natur. Denn die Natur in ihrer allgemeinen Bedeutung offenbart sich uns in unendlich vielen verschiedenen und darunter auch recht gewalttätigen Formen, so etwa auch als Supernova, als explodierender Stern oder als millionengrad heißes Plasma, wie im Inneren unserer Sonne oder aber auch als dieser wüste leblose Planet, der unsere eigene Erde vor einer Milliarde Jahren noch war, bevor das Leben langsam aus dem Meer herauskroch und sich auf diese grandiose Weise entfaltete. Die Natur in diesem Sinne braucht deshalb eigentlich keinen Schutz, sondern es liegt in dem ureigensten Interesse von uns Menschen, als dem Haupttrieb des Ökosystems, daß wir die Lebensfähigkeit und die Entwicklungsfähigkeit dieses einmaligen Organismus zu erhalten versuchen. Denn die Natur kann sehr wohl ohne uns und auch ohne dieses irdische Ökosystem leben, aber wir nicht ohne sie und dieses Ökosystem.

Wenn wir die Handlungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen von Menschen nicht einengen, und auch die Evolution des Lebens zu höheren Formen auf unserer Erde nicht gefährden wollen, so ist uns strenggenommen nur die Nutzung der täglich zufallenden Syntropie der Sonne erlaubt. Sie ermöglicht in der Tat eine stetige Weiterformung und Höhergestaltung – und zwar genau nach der Art und Weise, wie wir es in der uns umgebenden Natur beobachten. Aus der ungeheuren Vielfalt der Natur auf unserer Erdoberfläche und ihrer Komplexität lesen wir dabei ab, daß langfristig erfolgreiche Entwicklungskonzepte nicht darin bestehen, bestimmte vorteilhafte Optionen voll auszureizen, also maximal anwachsen zu lassen, wie wir das meist mit unserer Technik tun, sondern vielmehr darauf angelegt sind, in jedem Schritt durch eine raffinierte Balance von Kräften und Gegenkräften die Anzahl möglicher Optionen zu vermehren. Durch die Vermehrung der Vielfalt werden die Anpassungsmöglichkeiten an veränderte äußere Lebensbedingungen verbessert und durch Schaffung höherer differenziert-kooperierender Ordnungsstrukturen die Flexibilität erweitert, um diesen erfolgreicher begegnen zu können.

Ich bevorzuge deshalb in diesem Zusammenhang eher die Bezeichnung »Weiterformung«, »Höhergestaltung«, »Neuschöpfung« oder »Autopoesis« und weniger den Begriff der »Entwicklung«, der nur an ein ständiges Auswickeln erinnert oder gar das abgenutzte »Wachstum«, das auch in der abgewandelten Form des »qualitativen Wachstums« der neuen Dimension nicht ausreichend gerecht wird und mehr zur Verwirrung als zur begrifflichen Klärung beiträgt. Es ist doch kaum sinnvoll, etwa ein Gedicht als einen »qualitativ angewachsenen Buchstaben« zu betrachten und so zu beschreiben.

Die ständige und beschleunigte Ausbeutung nichterneuerbarer Syntropie-Reservoire für unseren Wertschöpfungsprozess und die damit verkoppelte vermehrte materielle Wirtschaftsaktivität, hat gegenüber dem von der Natur auf unserer Erde benutzten Verfahren gravierende Nachteile und bildet m.E. die wesentliche Ursache für einen Großteil unserer heutigen globalen Schwierigkeiten:

  • Wir verbrauchen, was nicht mehr ersetzbar ist – wir zehren also von der Substanz.
  • Um den in der Folge auftretenden Mangel zu begegnen, erschließen wir immer neue Syntropie-Quellen mit in der Regel immer größerem Aufwand, wodurch der Erschließungsprozeß und damit der Zerstörungsgrad eskaliert.
  • Es gibt kein natürliches Regulativ, diese Natur-Ausbeutungseskalation zu dämpfen, solange – anschaulich gesprochen – die Schweißgeräte billiger sind als die Ausbeute beim Knacken der Tresore. Die Verzinsung des Kapitals orientiert sich an dieser künstlichen Relation und nicht an echter Wertschöpfung.
  • Die Ausbeutungseskalation führt nicht nur zu einer schnelleren Erschöpfung der Ressourcen – was, wie viele glauben, wegen des praktisch unendlichen Reichtums unserer Erde vorläufig unerheblich sei –, sondern erzeugt am anderen Ende des Prozesses eine entsprechend schnell anwachsende Menge von Abfall verschiedenster Art, der unsere Biosphäre direkt und nachhaltig beeinflußt.

Es ist vor allem dieser letzte Punkt des ansteigenden Abfalls und Mülls, der heute besonders in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt ist und uns dramatisch deutlich macht, daß wir nach bisherigem Muster nicht weiter wirtschaften können. Denn dieser Abfall zerstört auf mannigfache Weise unmittelbar die Produktivkraft der Natur auf unserer Erde, insbesondere die Produktivkraft der speziellen Ökosphäre, von der wir existentiell abhängen und von der wir leben.

Das Abfallproblem

Jede Syntropienutzung, jede Wertschöpfung geht einher mit einer Verwandlung von höhergeordneten Systemen in niedergeordnete Systeme. Das niedergeordnete System hat mindere Qualität und ist deshalb für uns meist Abfall und Müll, für die wir keine weitere Verwendung mehr haben.

Der »Abfall« der hochgeordneten Sonnenstrahlung ist niedertemperierte Wärmestrahlung, die von der Erde wieder in den Weltenraum zurückgestrahlt wird. Wegen des schwarzen Nachthimmels – eine Folge der Expansion des Unviersums – wird diese Wärmestrahlung voll aufgesogen. Die »Energie-Entsorgung« der Erde ist also perfekt. Das Leben auf der Erde hat sich auf die Gleichgewichtstemperatur, bei der Einstrahlung und Abstrahlung sich gerade das Gleichgewicht halten, optimal eingependelt.

Im Vergleich dazu ist der übrige Abfall, den menschliche Aktivität erzeugt nicht unproblematisch. Die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas entläßt große Mengen Kohlendioxyd in die Atmosphäre, die aller Voraussicht nach einen Treibhauseffekt bewirken und dramatische Klimaveränderungen nach sich ziehen können. Andere Verunreinigungen der Atmosphäre, die Vergiftung unserer Gewässer, die Schadstoffbelastung unserer Böden geben uns fast unlösbare Probleme auf. Die Gefahr dabei besteht nicht nur in einer graduellen Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen in der Biosphäre, von der wir als Menschen direkt betroffen sind, sondern in der Möglichkeit eines plötzlichen Umkippens dynamischer Gleichgewichte mit dramatischen Folgen für die Produktivität der irdischen Natur und damit auch sekundär für die Produktivität unserer Wirtschaft.

Um diesen Gefahren zu begegnen denken wir heute vor allem an Reparaturmaßnahmen. Kurzfristig und mittelfristig werden sie von entscheidender Bedeutung sein. Langfristig betrachtet werden sie aber das eigentliche Problem nicht lösen können. Denn Reparaturen sind wieder Aktivitäten, die letztlich den Verbrauch an Syntropie steigern und damit das eigentliche Problem insgesamt weiter verschlimmern. Dies kommt indirekt auch dadurch zum Ausdruck, daß nur Länder mit hoher Produktivität – also Länder, denen es am besten gelingt, Naturvermögen auszubeuten und in Tauschwertvermögen zu verwandeln – reich genug sind, um sich solche Reparaturen leisten zu können. In gewisser Weise ist das Bruttosozialprodukt, das wir irrtümlicherweise als Maß für unsere Lebensqualität betrachten, ein Maß für alle (formellen) Aktivitäten und damit ein Maß für den Syntropieverbrauch und die Ordnungszerstörung.

Weit aussichtsreicher als große Reparaturmaßnahmen zur Vermeidung einer Verschiebung oder gar eines Umkippens des dynamischen Gleichgewichtszustands der Ökosphäre scheint es an den Wurzeln dieses Problems anzusetzen, nämlich Abfall quantitativ zu reduzieren;

  • durch Produktionsweisen, welche auf Ressourcen mit Entsorgungsschwierigkeiten ganz verzichten;
  • durch Steigerung der Effizienz bei der Nutzung der Ressourcen;
  • durch Wiederverwertung des Abfalls, also durch eine weitgehende Schließung des materiellen Produktionskreislaufs, wobei jedoch darauf zu achten wäre, daß durch den dabei notwendigen höheren Einsatz an hochgeordneter Energie dieser Gewinn nicht durch Abfall an anderer Stelle wieder zunichte gemacht wird.

Dabei möchte ich noch auf einen anderen wichtigen Punkt verweisen. Es ist nicht nur die Menge des Abfalls, die unsere Umwelt in Bedrängnis bringt, sondern die Geschwindigkeit, mit der Umwandlungsprozesse ablaufen. Hier wirkt sich vor allem die Wettbewerbsform unserer Wirtschaft sehr negativ aus, da sie jeden Teilnehmer zu einem immer höheren Tempo zwingt. Die Selbstheilungsprozesse der Natur sind an Zeitspannen gebunden, die – wenn wir sie wesentlich mit unseren Aktionen unterschreiten – nicht mehr greifen können. Bei zu rascher Änderung kann eine optimale Anpassung nach dem bewährten Ausleseprinzip »Versuch und Irrtum« nicht mehr gelingen. Bewertung erfordert Bewährung in der Praxis und deshalb die dafür nötige Mindestzeit.

Teil II

Hans-Peter Dürr arbeitet als Physiker im Max-Planck-Institut für Physik (Werner-Heisenberg-Institut) in München und ist Mitglied der Naturwissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden“

Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“

Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“

von Karin Stahl

Wie der Titel der für Juni dieses Jahres in Rio de Janeiro (Brasilien) geplanten UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED) bereits suggeriert, steht diese Konferenz für den Versuch, die vielfältigen Beziehungen zwischen Entwicklungsstilen, Unterentwicklung und Überkonsumtion einerseits und Umweltzerstörung bzw. -erhaltung andererseits herauszuarbeiten. Allgemeines Ziel dieser Konferenz ist es, der fortschreitenden Umweltzerstörung und zunehmenden Verarmung Einhalt zu gebieten und einen politischen Konsens aller Regierungen der UN-Staatengemeinschaft über künftige „nachhaltige“ Entwicklungswege herzustellen. Angesichts der Vielzahl von divergierenden Interessen zwischen Nord und Süd, zwischen Ost, West und Süd und zwischen Staaten innerhalb der verschiedenen Interessenblöcke mutet dies allerdings als ein äußerst schwieriges Unternehmen an.

Mit dem Appell an das gemeinsame Interesse und die gemeinsame Verantwortung aller Völker und Staaten für die Erhaltung der Umwelt und für das Überleben der Menschheit war bereits die von der UN eingesetzte Brundtland-Kommission angetreten, einen solchen politischen Konsens in ihrem programmatischen Bericht von 1987 zu formulieren.1 Die eher harmonistische Eine-Welt-Vision des Brundtland-Berichts von der gemeinsamen Verantwortung für die gemeinsame Zukunft und die damit verknüpfte Konsens-Strategie wurden jedoch schon kurze Zeit später wieder in Frage gestellt. Sowohl die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung wie auch die Südkommission stellten dem Brundtland-Bericht aus der Perspektive der Staaten der Dritten Welt ihre Agenda gegenüber und hoben die gegensätzlichen und konfligierenden Interessen zwischen Nord- und Süd in der Umwelt- und Entwicklungsproblematik hervor.2 (…) Zweifel sind angebracht, ob ein von allen getragener politischer Konsens überhaupt erreicht und globale Lösungsansätze gefunden werden können. (…)

Kernstücke der Vorverhandlungen für die geplante UN-Konferenz sind die Ausarbeitung von Prinzipien für den Schutz und die Nutzung von Wäldern, die als Grundlage für eine später zu erarbeitende Konvention zum Schutz von Wäldern dienen sollen. Weiterhin sollen ein umfassender Aktionsplan, die »Agenda 21«, mit prioritären Umwelt- und Entwicklungsprogrammen für das nächste Jahrhundert sowie eine sogenannte »Earth-Charta« ausgearbeitet werden, die eine Reihe von ethischen Prinzipien, Rechten und Pflichten erthalten und der »Agenda 21« zugrundegelegt werden soll.

Wesentliche Konfliktlinien und Interessenwidersprüche

Im Verlauf der Dritten Vorbereitungskonferenz (12.8.-4.9.1991 in Genf) wurden verschiedene Konfliktlinien, widerstreitende Interessen und Erwartungen deutlich, die sich gegen Ende der Konferenz zu wachsenden Nord-Süd-Spannungen verhärteten. Ein grundlegender Konflikt berührte die Gewichtung von umweltrelevanten und entwicklungsrelevanten Problemen und ihr Verhältnis zueinander. Die Dritte Vorbereitungskonferenz erlebte ein Wideraufleben der Nord-Süd Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Nord-Süd-Spannungen bestanden aber nicht nur auf Seiten der offiziellen Regierungsdelegationen, sondern ließen sich auch zwischen nördlichen und südlichen Nichtregierungsorganisationen beobachten. Im folgenden sollen die wichtigsten Konfliktlinien wiedergegeben werden.

Die Vernachlässigung der Entwicklungsproblematik

Auf den Vorbereitungskonferenzen wurden unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen Nord und Süd, vor allem was die anvisierten Ergebnisse betrifft, sichtbar. Den Industriestaaten (IL) geht es im wesentlichen darum, die globalen Umweltprobleme, die auch deren weitere Entwicklung bedrohen, einzudämmen, während die Entwicklungsländer (EL) auf eine Lösung ihrer gravierendsten Armuts-, Entwicklungs- und Umweltprobleme drängen. Die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung weist in ihrem Bericht der Lösung der Entwicklungs- und Armutsprobleme klare Priorität zu.

„Es wird keine nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik geben, solange fast die Hälfte seiner Bevölkerung unter den Bedingungen extremer Armut lebt. Die ökologische Tragfähigkeit unserer Entwicklung muß der menschlichen Entwicklung klare Priorität einräumen. Dies ist zusammen mit der rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen eine zentrale strategische Linie, der jedes weitere Engagement untergeordnet werden muß.3

In der Erklärung von Peking, die am 19. Juli 1991 in Vorbereitung von UNCED von 41 Ländern der Dritten Welt verabschiedet wurde, wird ebenfalls auf die Notwendigkeit verwiesen, den entwicklungsrelevanten Themen zumindest eine gleichrangige Bedeutung einzuräumen.4 (…)

Diese Appelle der Entwicklungsländer hatten bisher wenig Einfluß auf den Verlauf der Vorbereitungskonferenzen. (…)

Der Nord-Süd-Konflikt um die Gewichtung von Umwelt- und Entwicklungsfragen prägte den gesamten Konferenzverlauf und trat besonders deutlich in den Verhandlungen über die »Earth Charta«, die Inhalte und Zielsetzungen des Aktionsprogramms »Agenda 21« sowie in den Diskussionen der sektorübergreifenden Themen hervor. (…) Bisher wurde noch keine Einigung über einen Entwurf der »Earth Charta« erzielt. (…)

Die nur untergeordnete Bedeutung, die vor allem die Industriestaaten den Entwicklungsbedürfnissen der Dritten Welt zumessen, wurde auch in den Diskussionen um die Armuts- und Verelendungsproblematik während der Dritten Vorbereitungskonferenz deutlich. Zwar wurde in Übereinstimmung mit dem Konferenzdokument „Report on Poverty and Environmental Degradation“ eine Beziehung zwischen wachsender Verarmung und Umweltzerstörung in den Entwicklungsländern anerkannt, die tiefer liegenden Ursachen für Verelendung und Umweltzerstörung wurden jedoch in dem Dokument ausgeklammert.5 Mit dem Schlagwort der »armutsbedingten Umweltzerstörung« wird aus nördlicher Sicht die sich verschärfende Armuts- und Verelendungsproblematik in der Dritten Welt lediglich als ein weiterer Faktor betrachtet, der zur Umweltzerstörung beiträgt. Maßnahmen zur Beseitigung der Armut sind für den Norden daher vor allem in ihrer funktionalen Zuordnung zu Umweltzerstörung bzw. -erhaltung von Relevanz. In diesem Sinne forderten die USA die Konferenz auf, „sich auf spezifische Aktionsprogramme im Bereich Boden, Wasserzufuhr, Wälder und Ozeane zu konzentrieren, die den Druck der Armut, der eine so große Belastung für unsere Umwelt darstellt, abmildert“.6 Für den Norden steht offensichtlich nicht die Beseitigung der Armut und ihrer Ursachen (und damit auch der armutsbedingten Umweltzerstörung) im Vordergrund, sondern lediglich die Bekämpfung der Symptome der Armut, soweit sie die Umwelt belasten. Die vorgeschlagenen Programme zur Armutsbekämpfung beschränken sich lediglich auf bevölkerungspolitische und einkommensschaffende Maßnahmen, ohne die notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturreformen für den Erfolg dieser Maßnahmen und für eine soziale und umweltgerechte Entwicklung zu benennen.

Aus der Sicht südlicher NGOs stellt sich die ökologische Krise nicht primär als eine Umweltkrise dar, die durch Armut verschärft wird, sondern als eine umfassende sozio-ökologische Krise, die auf eine grundlegende Krise des dominanten nördlichen Entwicklungsmodells mit seinen verzerrten Kopien im Süden und der diesem Modell zugrunde liegenden ungleichen Weltwirtschaftsordnung verweist.7

Internationale ökonomische Rahmenbedingungen

Aus diesem globalen Verständnis von sozialer und ökologischer Krise wird der zweite Konfliktpunkt von UNCED deutlich. Sowohl Regierungsdelegationen als auch NGO-Vertreter aus der Dritten Welt geben sich nicht damit zufrieden, nur die Symptome einer fehlgeleiteten Entwicklung, wachsende Umweltzerstörung und Verelendung, durch verschiedene Einzelmaßnahmen und »Schönheitsreparaturen« zu lindern, ohne auch nur ihre Ursachen zu benennen, geschweige denn verändern zu wollen. Die fehlende Analyse insbesondere der externen und weltwirtschaftlichen Ursachen von Massenelend und Umweltzerstörung (z.B. Bodenverseuchung, Entwaldung) in der Dritten Welt und der entsprechenden notwendigen Korrekturen wurde sowohl von der Gruppe 77 der Entwicklungsländer wie auch von verschiedenen südlichen und nördlichen NGOs kritisiert. (…)

Als Hauptursachen für die zunehmende Verarmung und Umweltzerstörung wurden von den EL benannt: Das Entwicklungsmodell des Nordens mit seinen verschwenderischen Konsumstandards, die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die Verschuldungskrise und der Nettokapitaltransfer von Süd nach Nord, sinkende »terms of trade«, die vom Weltwährungsfond und Weltbank geforderten Strukturanpassungsprogramme, ungerechte Handelsstrukturen etc.. Während die IL darauf bedacht waren und sind, diese Themen aus der Konferenz auszuklammern, da es ja andere Verhandlungsforen gebe (IWF, GATT, UNCTAD etc.), drängten die EL darauf, im Rahmen von UNCED die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung wieder aufzunehmen.

„Es ist klar, daß es unter diesen Bedingungen (Verschuldung, sinkende terms of trade, Protektionismus der IL, Anm. d. Verf.) keine realistische Möglichkeit für die betroffenen Länder des Südens geben wird, Entwicklungsprogramme einzuleiten, die nachhaltig und umweltverträglich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß das, worauf es ankommt, nicht nur die Bildung eines globalen Umweltfonds oder anderer Fonds ist …, um Umweltprogramme zu finanzieren. Was auch und in erster Linie vonnöten ist, sind Maßnahmen aus der Agenda der traditionellen und festgefahrenen Nord-Süd-Verhandlungen, nämlich Maßnahmen a) zur Reduzierung der Schuldenlast … b) zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe … c) zur Verbesserung des Zugangs des Südens zu internationalen Finanzmitteln … d) zur Verbesserung der Handeslpreise auf ein Niveau, das die ökologischen Kosten der Produktion im Süden in Rechnung stellt … e) zur Verbesserung des Zugangs der südlichen Länder zu den Märkten des Nordens.“ 8 (…)

Mit ihrem Gegenentwurf zum Aktionsprogramm »Agenda 21«, in den alle wesentlichen Punkte einer zu reformierenden Weltwirtschaftsordnung aufgenommen wurden, hat die Gruppe 77 die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung zumindest wieder eröffnet. Sie kann sich in diesen Fragen der Unterstützung durch südliche NGOs versichern. Beide sind sich in ihrer Einschätzung einig, daß eine Lösung der Armuts- und Umweltprobleme nur unter veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und gerechten Verteilungsstrukturen von Macht und Reichtum möglich ist.

Dabei treffen südliche NGOs nicht immer auf Solidarität ihrer nördlichen Counterparts. Bei den NGOs des Nordens, vor allem den Umweltgruppen, fehlt aufgrund der oft nur punktuellen Orientierung auf ein spezifisches ökologisches Problemfeld (Erhaltung der Regenwälder, Schutz der Wale, Biotechnologie etc.) häufig ein themenübergreifendes Problembewußtsein für globalere Zusammenhänge. Aus der Perspektive des Südens werden aber gerade internationale Reformen als unerläßliche Voraussetzung angesehen, um dem Süden überhaupt erst einmal einen Handlungsspielraum zu eröffnen, Reformen auf nationaler Ebene im Sinne einer ökologisch und sozial tragfähigen Entwicklung einzuleiten. (…)

In Gegensatz zu vielen Regierungsvertretern aus der Dritten Welt haben die erdrückenden externen Abhängigkeiten und die Forderung nach Veränderung der externen Rahmenbedingungen von Entwicklung den südlichen NGOs nicht den Blick für notwendige interne wirtschaftliche und soziale Reformen verstellt.

„Für die Probleme, mit denen der Süden heute konfrontiert ist, können nicht nur der Kolonialismus, die post-kolonialen Ungerechtigkeiten des Weltsystems oder der Norden und seine multilateralen Entwicklungsagenturen verantwortlich gemacht werden. (…) so haben auch die Regierungen in vielen südlichen Ländern eine fehlerhafte Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben. (…) es gibt außerdem viel zu viele Beispiele von Machtmißbrauch, Habgier, Korruption und Größenwahn politischer Führer, die zur Abzweigung von Regierungsgeldern auf private Bankkonten von Politikern im Ausland, zu Prestigeprojekten statt zu Ausgaben, die die Bedürfnisse des Volkes befriedigen, und zu nationaler Mißwirtschaft geführt haben.“

Das Entwicklungsmodell des Nordens: Überfluß und Überkonsum

Neben den negativen makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungleichen Weltwirtschaftsordnung liegt aus der Perspektive des Südens die Hauptverantwortung für die globale sozio-ökologische Krise auch in dem dominierenden »nördlichen« Entwicklungs- und Zivilisationsmodell mit seinen verschwenderischen Produktions- und Konsummustern und seiner grenzenlosen Wachstumsorientierung.

Zur Stützung ihrer Argumentation verweisen die Entwicklungsländer zu Recht drauf, daß die IL mit nur 20% der Weltbevölkerung ca. 80% der Weltressourcen verbrauchen und auch 80% des Schadstoffausstoßes verursachen. Demnach liegt das Problem der Ressourcenerschöpfung und der Umweltverschmutzung zu vier Fünftel in dem ökonomischen Modell des Nordens und zu einem Fünftel in dem Entwicklungsmodell des Südens begründet. Nach Auffassung südlicher Regierungs- und NGO-Vertreter kann man daher nicht von einer »gemeinsamen« Verantwortung für die Umwelt sprechen, die gleiche Rechte und Pflichten für alle Staaten nach sich ziehe. (…) UNCED solle daher primär über eine grundlegende ökologische Strukturanpassung in den Industriestaaten verhandeln, da diese in erster Linie verpflichtet seien, ihr verschwenderisches Wirtschaftsmodell zu ändern.

Strukturanpassungsprogramm für den Norden

Folgende Elemente einer solchen »nördlichen« Strukturanpassungspolitik werden gefordert: eine drastische Reduzierung des Schadstoffausstoßes, der für den Treibhauseffekt verantwortlich ist; die Identifizierung und den Abbau von Konsummustern und Lebensstilen »nördlicher« Zivilisationen, die die globale Umwelt gefährden; eine drastisch reduzierte Produktion und Nutzung von toxischen Chemikalien und ein Exportverbot solcher Substanzen und radioaktiver Abfälle in Entwicklungsländer; Verabschiedung einer Konvention für Multinationale Konzerne, die diese weltweit zur Einhaltung umweltverträglicher Produktionsstandards verpflichtet; Transfer von umweltfreundlichen Technologien in die Dritte Welt zu Vorzugsbedingungen etc.9

Die IL zeigten auf den bisherigen UNCED-Vorbereitungskonferenzen allerdings nur wenig Bereitschaft, das westliche Industrialisierungs- und Konsummodell in Frage zu stellen. Unter dem Druck ihrer Industrie lehnen sie einschneidende Maßnahmen zur Begrenzung ihrer eigenen Produktion und des Konsums ab. (…) Die IL plädieren vorwiegend, was ihre eigenen Wirtschaften und Gesellschaften angeht, für den verstärkten Einsatz umweltfreundlicher Technologien und technischer Neuerungen, um die Umweltbelastung zu verringern und den Ressourcenverbrauch einzudämmen. Soweit einschneidendere umweltpolitische Maßnahmen vorgeschlagen werden (Schutz der Regenwälder, Erhaltung der Artenvielfalt, Wiederaufforstung etc.), sollen diese Maßnahmen vor allem in den Ländern der Dritten Welt durchgeführt werden, ohne diesen für den entgangenen wirtschaftlichen Gewinn Entschädigungen leisten zu wollen. Maßnahmen, die die eigene Industrie beeinträchtigen könnten (…) wurden bisher zurückgewiesen. (…)

Vertreter aus der Dritten Welt befürchten, daß im Sinne einer lediglich für den Süden propagierten »nachhaltigen Entwicklung« eine Welt mit zwei Lebensstilen festgeschrieben werde. (…) Die wenig kompromißbereite Haltung der IL, Abstriche an ihrem eigenen Entwicklungsmodell zu machen, bestärkte viele EL in ihrer Haltung, ihrerseits keine ökologischen Selbstverpflichtungen zu akzeptieren, die ihre weitere Entwicklung und ein wirtschaftliches Wachstum beeinträchtigen könnten. Diese Haltung wird durch die gravierende Wirtschafts- und Verschuldungskrise in vielen EL und die von IWF und Weltbank erzwungene Exportorientierung ihrer Wirtschaften sowie durch den Zwang der Devisenerwirtschaftung noch weiter unterstützt. Da die IL nicht über diese makroökonomischen Rahmenbedingungen verhandeln wollen, die den EL Raubbau an ihren eigenen Ressourcen quasi aufzwingen, wird sich an dieser Haltung wenig ändern. (…)

Die südlichen NGOs setzen dem dominanten Entwicklungsmodell ein eigenständiges Entwicklungsmodell der »self reliance« entgegen, das den Wachstumsmythos radikal in Frage stellt und sich, soweit wie möglich vom globalen Weltmarkt abgekoppelt, an den traditionellen Werten, Wirtschaftsweisen und Technologien orientiert und auf die Bedürfnisse lokaler Gruppen und Kommunen ausgerichtet ist.10 In ihrer Forderung nach einem radikalen Wandel von »Entwicklung« müssen sich auch die nördlichen NGOs den Vorwurf gefallen lassen, das nördliche Wirtschaftsmodell nicht wirklich ändern zu wollen, sondern allenfalls kosmetische Reparaturen vorzuschlagen. Wie schon im Bereich der internationalen Rahmenbedingungen wurden auch in der Frage künftiger Entwicklungswege die Nord-Süd-Spannungen in die Reihen der Nichtregierungsorganisationen übertragen. (…)

»Globale Commons« versus »Nationale Souveränität«

Angesichts der Hauptverantwortung der Industriestaaten für die globale Umweltzerstörung wiesen die Entwicklungsländer nicht nur das Konzept der »gemeinsamen Verantwortung« zurück, sondern stellten ebenfalls das Konzept der sog. »global commons« grundsätzlich in Frage.

Als »global commons« (globales Allgemeingut) werden die natürlichen Ressourcen klassifiziert, deren Erhaltung für das ökologische Gleichgewicht der Erde lebensnotwendig ist, und die daher einem besonderen internationalen Schutz und Kontrollregime unterliegen sollen. Zu diesen »Allgemeingütern« sollen nicht nur solche Ressourcen wie die Atmosphäre, die Luft und Meere gerechnet werden, die sich außerhalb nationaler Territorien befinden, sondern auch die (Regen-)Wälder und andere unberührte Gebiete, die als CO-2 Senken und als Pflanzen- und Tierreservoir für die Stabilisierung des Klimas und die Erhaltung des Artenreichtums von Wichtigkeit sind. Die Nord-Süd-Auseinandersetzungen um die »global commons« konzentrierten sich vor allem auf die letztgenannten Ressourcen, da sich diese fast nur noch auf den nationalen Territorien der Entwicklungsländer befinden und in den Industriestaaten bereits aufgebraucht oder zerstört wurden. Die Länder der Dritten Welt, offizielle Vertreter wie NGOs, befürchten, daß sich durch die Klassifizierung ihrer nationalen Ressourcen als »Gemeingüter« die Industriestaaten und Transnationale Konzerne den leichten Zugriff auf die natürlichen Ressourcen in der Dritten Welt sichern wollen. (…)

„Es ist der Versuch, Interesse für unsere Ressourcen zu erzeugen, um dadurch zu bestimmen und zu kontrollieren, wie diese Ressourcen genutzt und verwaltet werden. In gewisser Weise würde es einer Enteignung unserer Wälder und anderer biologischer Ressourcen durch die Hintertür und ohne `sofortige, adäquate und effektive` Entschädigung gleichkommen, indem wir als Verwalter die nominelle Kontrolle behalten.“ 11 (…)

Um ihre Rechte auf ihre natürlichen Ressourcen zu verteidigen, aber auch um Einschränkungen von Entwicklungsmöglichkeiten durch Umweltauflagen abzuwenden, wurde und wird von den EL das Prinzip der nationalen Souveränität über die natürlichen Ressourcen hochgehalten. (…) Sämtliche Formen einer Konditionalität werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abgelehnt.

Finanzielle Ressourcen

Eine der Hauptkonflikte zwischen Nord und Süd entzündete sich an der Frage, welche zusätzlichen finanziellen Leistungen die Industriestaaten bereit sind, den Entwicklungsländern für die ökologische Modernisierung und Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen. (…)

Streitpunkte waren die Höhe, Art und die Mechanismen der finanziellen Hilfen. Während die USA auf der dritten Vorbereitungskonferenz die von der Gruppe 77 geforderten zusätzlichen, über die gewährte Entwicklungshilfe hinausgehenden finanziellen Mittel kategorisch ablehnten und auf die Bedeutung von Privatkapital und Auslandsinvestitionen für die Finanzierung einer ökologischen Modernisierung in der Dritten Welt verwiesen, zeigten sich die EG und die meisten OECD-Staaten bereit, zusätzliche Mittel aufzubringen.12

Zurückgewiesen wurde hingegen das von der Gruppe 77 in ihrem Vorschlag über „Finanzielle Ressourcen“ eingebrachte Konzept der Kompensationszahlungen. Dieses Konzept geht von einer »ökologischen Schuld« der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern aus, die durch die jahrhundertelange Ausplünderung der Ressourcen im Süden, die Einführung umweltschädlicher Produktionsmethoden und Materialien, die Beeinträchtigung der Entwicklung im Süden durch die Zerstörung der globalen Umwelt und durch die zu errichtenden Naturschutzgebiete etc. entstanden ist. Die Gruppe 77 fordert daher von den IL weitere, zusätzliche finanzielle Aufwendungen, die quasi als Entschädigungsleistungen zu verstehen sind. Auch südliche, vor allem lateinamerikanische NGOs haben wiederholt auf die ökologisch-soziale Schuld der IL verwiesen und diese der ökonomisch-finanziellen Verschuldung der EL gegenübergestellt.

Umstritten ist ebenfalls die vorgeschlagenen institutionellen Mechanismen für die Verwaltung und die Vergabe der zusätzlichen Finanzierungsfonds. Der Norden tritt entschieden dafür ein, diese Finanzierungsfonds institutionell an die Weltbank anzugliedern und die in der Weltbank für die Finanzierung von Umweltprojekten neu eingerichteten »Global Environmental Facility« (GEF) aufzustocken. Vor dem Hintergrund ihrer negativen Erfahrungen mit der Auflagenpolitik der Weltbank, mit den Umweltfolgen von Weltbankprojekten, mit den sozial verheerenden Auswirkungen der von der Weltbank propagierten Strukturanpassungsprogramme und mit den undemokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Weltbank haben die Regierungsvertreter wie auch die NGOs aus der Dritten Welt dieses Modell abgelehnt. (…)

Die Entwicklungsländer, Regierungen wie NGOs, schlagen daher die Bildung eines gesonderten »Grünen Fonds« vor, der auf der Basis gleicher Repräsentation demokratisch kontrolliert und verwaltet werden soll.

„Jeder »Grüne Fond«, der aufgebaut wird, muß auf dem Prinzip des UN-Systems »ein Land, eine Stimme« basieren. … Die Demokratisierung von Finanzierungsmechanismen ist entscheidend für den Aufbau demokratischer Prinzipien, die die Art der Ressourcennutzung anleiten und den Schutz der Umwelt ermöglichen können.“ 13

Demokratisierung und Partizipation

Während die Interessengegensätze zwischen Nord und Süd in den beschriebenen Punkten von Anbeginn aufeinanderprallten, schien in den UNCED-Vorbereitungskonferenzen vorerst eine vordergründige Einigkeit hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen zu bestehen. Forderungen nach größerer Partizipation der Bevölkerung an umwelt- und entwicklungspolitischen Programmen und nach demokratischen Entscheidungsstrukturen wurden sowohl von nördlichen wie südlichen Regierungsvertretern und NGOs erhoben. Interessensgegensätze kamen jedoch darin zum Vorschein, was unter Demokratisierung und Partizipation zu verstehen sei und auf welche Bereiche sie sich beziehen sollten.

Vor allem die USA und die EG hoben das Prinzip der Demokratie als Grundlage einer »nachhaltigen Entwicklung« und als Voraussetzung für weitere Entwicklungshilfe an die Dritte Welt hervor. Die USA plädierten dafür, die Prinzipien der Demokratie und der Marktwirtschaft als grundlegende ethische Prinzipien in der »Earth Charta« zu verankern.14 Demgegenüber erhoben viele Entwicklungsländer die Forderung, partizipatorische und demokratische Entscheidungsstrukturen vor allem auf den Bereich der internationalen (Wirtschafts-) Beziehungen (IWF, Weltbank) auszudehnen. (…)

Während die IL vor allem den Forderungen der EL nach Demokratisierung der internationalen Finanz-Institutionen ihren Widerstand entgegensetzten, zeigten sich besonders afrikanische Staaten gegenüber den Forderungen nach interner Demokratisierung ihrer eigenen Gesellschaften reserviert. Dies kann angesichts der autoritären und unterdrückerischen Regime in vielen Staaten der Dritten Welt nicht verwundern. Afrikanische NGOs wiesen z.B. darauf hin, daß viele Vertreter von sozial-ökologisch engagierten Gruppen Repressionen seitens ihrer Regierungen ausgesetzt sind. NGOs aus Nord und Süd plädierten wiederholt für die Notwendigkeit einer umfassenden Partizipation der betroffenen lokalen und indigenen Bevölkerungsgruppen bei der Definition und Durchführung von entwicklungs- und umweltpolitischen Prioritäten und Programmen. Sie setzten sich damit auch von den nur formaldemokratischen Forderungen der Industriestaaten ab und gingen über diese hinaus. (…)

Ausblick

Die oben aufgeführten Grundmuster der Nord-Süd-Auseinandersetzungen um Umwelt und Entwicklung verdeutlichen, daß sich die in der Gruppe 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer in den weiteren UNCED-Verhandlungen nicht mehr mit der nur untergeordneten Rolle entwicklungspolitischer Themen zufrieden geben werden. Sie drängen darauf, in dem Aktionsprogramm »Agenda 21«, die Umwelt- und Verelendungsproblematik in den Zusammenhang mit einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung und dem verschwenderischen nördlichen Wirtschaftsmodell zu stellen, da beide als wesentliche Ursachen für Umweltzerstörung und soziale Verelendung im Süden betrachtet werden. Damit stehen die Forderungen der Dritten Welt an eine Neue Weltwirtschaftsordnung, die die Nord-Süd-Debatte in den 70er Jahren beherrscht hatten und die in dem Bericht der Südkommission wieder aktualisiert wurden, erneut auf der Tagesordnung. In seinen Empfehlungen für eine weitere Verhandlungsstrategie der Entwicklungsländer rät das aus der Südkommission hervorgegangene South Centre:

„Der Süden sollte klarstellen, daß er keine der von der Konferenz empfohlenen Maßnahmen oder Vertragsentwürfe unterzeichnen wird, solange sie keine entsprechenden internationalen Maßnahmen und feste Zugeständnisse hinsichtlich der Nord-Süd Entwicklungsfragen und der globalen Wirtschaftsbeziehungen enthalten.“ 15

Ob die Staaten der Dritten Welt mit ihrer Konfrontationsstrategie Erfolg haben werden, ist angesichts ihrer eigenen Zerstrittenheit und der machtpolitischen Dominanz der führenden Industriestaaten allerdings zweifelhaft. „Den Kurs bestimmt auch in der internationalen Umweltpolitik die G7 – nicht die G 77.“ 16 Dennoch wird auch die G 7 gehalten sein, zumindest einige Zugeständnisse an die Entwicklungsbedürfnisse der Länder des Südens zu machen, wenn UNCED nicht an den zugespitzten Nord-Süd-Konflikten scheitern soll.

Anmerkungen

1) Vgl. Hauff, V. (Hrg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987 Zurück

2) Vgl. Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, Nuestra Propia Agenda, BID/UNDP, New York 1990; Die Herausforderung des Südens. Der Bericht der Südkommission. Über die Eigenverantwortung der Dritten Welt für dauerhafte Entwicklung, Bonn 1991. (…) Zurück

3) Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, a.a.O., 53 Zurück

4) Beijing Ministerial Declaration on Environment an Development, United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/85 Zurück

5) Vgl. United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/45 Zurück

6) Statement by the US Delegation on Poverty, Environmental Degradation, Sustainability, Health and Education, Geneva, August 29, 1991 Zurück

7) Martin Khor, Third World Network, Intervention at UNCED Plenary Session on Agenda 21/Financial Resources, Genf, August 1991 Zurück

8) South Centre, Environment and Development, Towards a Common Strategy of the South in the UNCED Negotiations and Beyond, Genf 1991, 10 Zurück

9) Vgl. South Centre, Environment and Development, a.a.O. Zurück

10) Vgl. u.a. Green Forum Philippines, An Alternative Development Economics, Manila 1991 Zurück

11) Statement by the Representative of Ghana on behalf of the Group of 77 in the Plenary of the 3rd Session of UNCED Prepcom in Items 2(A) and 2(B), Geneva, 26th August 1991 Zurück

12) Vgl. OECD Press Release, Meeting of OECD Ministers on Environment and Development, Paris, 2nd-3rd December 1991, Policy Statement (…) Zurück

13) Vandana Shiva, Why the World Bank cannot be trusted with environment protection and sustainable development, Third World Network Briefing Papers For UNCED, No. 9, August 1991 Zurück

14) Vgl. Statement of U.S. Position, UnCED Prepcom III, Statement of General Principles (A/CONF. 151/PC/78) Zurück

15) South Centre, Environment and Development, a.a.O., 8 Zurück

16) H.H. Lembke, Umwelt in den Nord-Süd-Beziehungen. Machtzuwachs im Süden, Öko-Diktat des Nordens oder Globalisierung der Verantwortung? Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1991 Zurück

Karin Stahl war Mitglied in der deutschen Delegation für die UNCED-Vorbereitungskonferenzen. Diesen Beitrag entnahmen wir in gekürzter Form dem epd-Entwicklungsdienst Dokumentation, Januar 1992.

»Dauerhafte Entwicklung« und Kommunalpolitik

»Dauerhafte Entwicklung« und Kommunalpolitik

von Dieter Kramer

Der im Frühjahr 1991 zurückgetretene Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff formulierte als knappe Zusammenfassung der Ziele seiner Politik: „… die Wirtschaftskraft Frankfurts stärken, zugleich darauf achten, daß der enorme Reichtum, der in dieser Stadt steckt, wirklich dazu genutzt wird, ein Stück soziale Gerechtigkeit und Reichtum für alle zu schaffen und in einer modernen, von wirtschaftlicher Dynamik geprägten Metropole aufzuzeigen, daß Stadt und Natur keine Gegensätze sind. Wir müssen gerade in einem solchen Raum vorbildliche ökologische Lösungen anstreben.“ Man könnte die Offenheit kritisieren, mit der hier unterschiedliche Ziele addiert werden, ohne ihre spannungsreichen Widersprüche zu thematisieren – aber einiges wird wenigstens genannt. Es lohnt sich durchaus, auch für die Einordnung der Kulturpolitik solche Kurzformeln der »Unternehmensphilosophie« einer Kommune ernst zu nehmen.

Zum Vergleich eine andere: „Frankfurt als die blühende Stadt der Liberalität und Experimentierfreude, des intellektuellen Disputes und der europäischen Aura, des produktiven Spannungsverhältnisses von Geld und avantgardistischer Kultur“. Redundante Leerformeln ohne ernsthafte Konsequenzen oder Verpflichtungen, könnte man dazu sagen; gravierender aber noch ist die Abwesenheit von wichtigen Themen wie Ökologie oder Soziales.

Einst waren Wiederaufbau und Fortschritt die »Vision«, die bündelnden Formeln für gemeinsame kommunale Aktivität. Immerhin könnte man sich heute auch noch andere Akzente, andere Ideen für die zukunftsfähige Metropole vorstellen, etwa nach dem Motto: Wenn Wohlstand und Prosperität in diesem Teil Europas einen überzeugenden Sinn haben sollen, dann den, Akzente zu setzen und Wege zu bahnen für eine Zukunft der Überlebensfähigkeit, für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und ihrer Lebensweisen als Voraussetzung des Wohlbefindens und des »anständigen Lebens« hier und anderswo. Wer, wenn nicht wir in einem der reichsten Länder der Erde, können dafür Ressourcen freisetzen? Wer kann ohne Verlust an Lebensqualität, ja mit einem Gewinn an solcher, eine ökologische Wende leben? Und wenn wir das tun, dann wird die übrige Welt mit Interesse darauf schauen – und uns vielleicht auch unseren Wohlstand weniger neiden.

Wachstumszwang?

Schöne Leitbilder genügen nicht. Es muß ansatzweise – gedanklich und praktisch – sichtbar werden, wie es denn weitergehen könnte. Man kann nicht die Daten der „Zivilisationskrise“ (Elmar Altvater), der „Begrenzungskrise“ (Kurt H. Biedenkopf), des Brundtland-Berichtes der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung kennen und eine Politik des „Weiter wie bisher“ verfolgen. Es macht keinen Sinn, das Wachstum der »dynamischen Metropole« zu beschwören und dabei zu verdrängen, daß Wachstum nur auf der Basis fortgesetzter weltweiter Ausbeutung, mit Risikotechnologien wie Atomkraft, um den Preis extremer Verletzbarkeit und mit zunehmendem Druck durch die wachsende Bevölkerung der armen Regionen der Erde denkbar ist.

Man kann aber nicht der Lebensstilgesellschaft, den Angehörigen der prosperierenden Schichten der Wohlstandsgesellschaft (und noch viel weniger den »Modernisierungsverlierern«) mit dem missionarischen Pathos der Askese und des Verzichts kommen. Was tun?

Politik muß glaubhafte Perspektiven für Zukunftsprobleme entwickeln. Geht es z.B. um Wachstumskontrolle oder Wachstumsbegrenzung? Durch Nichtausweisung von Gewerbeflächen usw. ließe sich theoretisch Wachstumsbegrenzung betreiben. Aber mit dem Argument des Gemeinnutzes, d.h. dem Programm der gleichmäßigen arbeitsplatz- und durchmischungsfördernden Planung, wird der Forderung nach einer wachstumshemmenden künstlichen Verknappung begegnet: Sie würde, sagt man, bedeuten, daß kapitalschwächere von kapitalstärkeren Nutzungen verdrängt würden (der Tokio- oder Singapur-Effekt). Es gäbe einen Verdrängungsprozess, der weil von externen Strukturen oder Faktoren abhängig, nicht mehr kontrollierbar wäre und der für den Arbeitsmarkt eher negativ wäre, und es würde der Druck auf die unkontrollierte Wohnraum-Umwandlung zunehmen, wird argumentiert.

Aber dieser Druck existiert ja ohnehin schon, und die Verdrängung findet seit Jahren statt. Zu sagen: Es gibt eine durch äußere Faktoren bestimmte Wachstumsdynamik, die politisch nicht zu bremsen ist, das bedeutet eine Kapitulationserklärung vor dem Selbstmordprogramm der Wachstumsgesellschaft.

Die Vorstellung von einem Gleichgewicht zwischen äußerer, fremdbestimmter Dynamik (des Wachstumszwangs), und innerer kommunaler Entwicklung hat hier ihre Grenzen: Wenn die innere (kommunalpolitische) Entwicklung nicht in der Lage ist, Einfluß auf die äußere zu nehmen oder sich ihr zu widersetzen, dann gibt es keine Freiräume. Daß sie sich diesen Zwängen nie wird total widersetzen können, darf kein Argument dafür sein, sich ihnen total auszuliefern. Und wenistens zu prüfen wäre, ob die spezifischen Werte einer Stadt wie z.B. Frankfurt, wie sie in der von den geographischen Lage in dem Eigensinn einer einzigartigen Struktur von Institutionen und Menschen liegen, nicht einen souveränen Umgang mit den fremdbestimmenden äußeren Faktoren ermöglichen statt einer prostitutiven Unterwerfung. Im Grunde kann jede Kommune ähnlich überlegen.

Akzente setzen

Eine Gesellschaft und eine Kommune sind nur dann zukunfts- und friedensfähig, wenn sie den Prinzipien von »Umweltverträglichkeit«, »dauerhafter Entwicklung« und Nachhaltigkeit gerecht werden. Die langfristigen Auswirkungen kommunaler Politik und urbaner Lebensform auf Ökologie und Umwelt müssen berücksichtigt werden, und zwar sowohl bezogen auf die direkte kommunale Lebenswelt, als auch bezogen auf die Fernwirkungen, die von der eigenen Lebensweise ausgehen. Der Kommune als umweltpolitischer Akteur bleiben nur wenige Möglichkeiten – keine Ausrede, sie nicht zu nutzen.

Ein Versuch, hohe Ziele zu stecken, ist das »Klimabündnis« der Städte mit den Indianern des Regenwaldes, bei dem Frankfurt Initiativen ergriffen hat. Die indirekten Wirkungen sind vielleicht noch wichtiger als die direkten (zu denen z.B. Tropenholzboykott gehört): Die Städte werden motiviert, über langfristige Strategien nachzudenken, tauschen Erfahrungen und Ideen aus, treten in einen Wettbewerb der Taten und Pläne ein. Beim sozialökologischen Umbau der Industriegesellschaften erwarten die Menschen von den Städten deutliche neue Akzente bei Verkehr, Energie, Wasser, Entsorgung.

Die ökologische Kommune steht für Zukunftsfähigkeit. Eine gelungen in die Problem-Realität dieser Erde eingeordnete Stadt, die perspektivisch umgeht mit Wohn-Not und Verkehrs-Widersprüchen, die exzessiven konsumaufwendigen Lebensstilen den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zwanglos vermittelt, und die gleichzeitig Menschen mit hohen, neuartigen Ansprüchen an Lebensqualität und Sinnorientierung Raum der Entfaltung und »tätigen Aneignung« wird – eine solche Stadt wäre ein überzeugender Beleg für die Gestaltbarkeit einer lebenswerten Zukunft. Es geht um überzeugende oder mindestens glaubhafte Vorstellungen und Praxisformen einer möglichen Zukunft für eine Gesellschaft, die an den Grenzen der Belastbarkeit ihres Lebensraumes angelangt ist und aus den Sackgassen des exponentiellen Wachstums nicht mehr herauszukommen scheint.

Soziale Qualitäten

Zu den heute gefragten Standortqualitäten der »postmaterialistischen«, zukunfts- und friedensfähigen Stadt gehört, daß hier Lebenspraxen und Lebensentwürfe lebbar und sichtbar werden, die glaubhaft zukunftsfähig sind. Dazu gehören z.B. auch Formen des Umganges mit Zeit, des Zeitregimes und der Mußefähigkeit – auch in der eigenen Lebenspraxis ihrer Repräsentanten, ebenso aber auch in den Formen des Umganges mit Arbeitskraft und Arbeitsmotivation der für die Kommune arbeitenden Menschen: Arbeitsleben und Freizeit müssen auch bei ihnen zu überzeugenden Formen von Lebensqualität zusammenfinden können. Insofern sind auch Sozial- und Tarifpolitik gefragt.

Definitionsmächte

»Kulturelle Öffentlichkeiten« der verschiedensten Art sind das Medium, in dem die Menschen sich über die Normen und Werte ihres Handelns verständigen. Menschen vergesellschaften sich auch kulturell, und wenn es in der heutigen »Begrenzungskrise« darauf ankommt, neue Standards für eine »dauerhafte Entwicklung« zu finden, dann geht dies nicht ohne kulturelle Öffentlichkeiten. Daß diese Standards auch hinreichend Raum für Neugierverhalten und expressive Verausgabungen enthalten müssen, das versteht sich – ohne solche Potentiale wäre Entwicklung nicht mehr möglich und wären heftige Konflikte zwischen den Generationen und Kulturen vorprogrammiert.

Die Städte sind heute bezüglich der globalen Umweltprobleme zentraler Ort gesellschaftlicher Selbstverständigung über deren Bewältigung. In ihnen befindet sich das bedeutendste Potential an »intellektueller Produktivität« daher sind sie in der Lage, Verständigungsprozesse über Umweltprobleme zu initiieren und zu unterstützen. Bei dieser Bereitstellung von Diskussionsfreiräumen sind die Städte besonders gefordert.

Die Zukunftsansprüche der modernen Mittelschichten, auf die Politik sich gerne beruft sind weit komplexer einzuschätzen als üblich. Sie reduzieren sich nicht auf den dekorativen Rahmen für die Inszenierung von Lebensstilen, sie sind auch nicht einfach als abfragbare Bedürfnisse vorhanden. Es ist denkbar, diese Schichten perspektivisch auch für mehr und anderes als »lifestyle« zu gewinnen. Der perspektivische Diskurs über die »zukunftsfähige Metropole«, die Thematisierung des Anspruchs auf „Leben in seiner Fülle“ (Dorothee Sölle), das Recht auf anständige und als sinnvoll empfundene Arbeit eingeschlossen, ist eigentlich ein Motiv, das für jemanden wie mich (schließlich zähle ich ja auch zu dieser Lebensstilgruppe) und die meisten derjenigen, die ich kenne, wichtig ist. Die Wohlstandsgesellschaft produziert auch bei ihren prosperierenden Gruppen Widersprüche und Brüche des »Wünschens und Begehrens«, die sich nicht einfach affirmativ auffangen lassen. Darauf hat Kulturpolitik Bezug zu nehmen, nicht auf »lifestyle«.

Neuartige Ansprüche an die Lebensqualität

Jener Wohlstand und Luxus, den sich die Angehörigen der prosperierenden Lebensstilgruppen in unserer Gesellschaft heute leisten können, wird nicht nur von den Apologeten der Marktgesellschaft, sondern auch von manchen ihrer Kritiker als besondere Chance der Wohlstandsgesellschaft empfunden.

Natürlich, wir wissen, daß die globalen Probleme erst aus dieser auf exzessiven Konsum angewiesenen Lebensweise resultieren, und daß die bloße Fortsetzung dieser Lebensweise die Probleme nur verschärft. Aber in einer prosperierenden Gesellschaft, deren Menschen nicht voll in Anspruch genommen sind durch die Zwänge des Alltags, sind auch Mittel vorhanden, um einen ökologischen Umbau in die Wege zu leiten. Und nur wenn die Menschen entsprechende Schritte nicht als Verzicht empfinden müssen, dann sind sie bereit, dazu beizutragen. Es gilt, diesen Wohlstand und diese Lebensweise so zu organisieren, daß sie mit dem Prinzip von »dauerhafter Entwicklung« in Einklang stehen.

Interessant ist in diesem Kontext das Umpolen von Lebenszeit und Kaufkraft auf »konsumtiven Konsum«, auf die Umsetzung von Zeit, Arbeitskraft und Geld in entsprechende Lebensqualitäten ohne zusätzliche Umweltbelastungen. Die Reichweite solcher Veränderungen ist gewiß nur begrenzt.

Aber wie wäre es, wenn sich bei uns die Standards, an denen Reichtum und Armut gemessen werden, ändern würden? Was würde geschehen, wenn „Leben in seiner Fülle“ plötzlich massiv eingefordert würde von einer jungen Generation, die erfährt, daß sie mittels materiellen Reichtums nicht nur um eine Zukunft in anständiger Umwelt, sondern auch um ein anständiges Leben selbst betrogen worden ist?

Überzeugende lebenskräftige und nachvollziehbare Formen und Praxen dieser Art scheinen mir wichtiger zu sein und eine größere Reichweite zu haben als ökologisch-pädagogische Konzepte und neue Curricula.

Politische Dimensionen des Modernisierungszwanges

In der politisch-kulturellen Diskussion hat sich ein ökonomistischer Determinismus breitgemacht. Von den Determinismen der Geopolitik, des Milieus, der Naturgebundenheit usw. ist die kulturwissenschaftliche Diskussion weitgehend abgekommen – sie favorisiert z.B. in der ethnologischen Diskussion statt des Determinismus einen »Possibilismus«: Die Menschen sind nicht den Umständen hilflos ausgelieefert. Sie können die Spielräume, die ihnen Natur und historische Voraussetzungen bieten, in unterschiedlicher Weise nutzen – das unterstellt dieser Possiblismus.

Die heutige Politik redet uns im Gegensatz dazu immer wieder den Sachzwang Weltmarkt ein, als bestände diesbezüglich nach wie vor ein Determinismus ohne Auswege. Sie konstruiert einen Modernisierungszwang, dem sich die Gesellschaft zu unterwerfen habe, und der ideologisch mit Formeln der Urbanität, der Fetischisierung von Schnelligkeit und avantgardismus abgestützt wird.

Der Politologe Frank Deppe hilft uns zu erkennen, daß es auch andere Interpretationsmöglichkeiten gibt. Er formuliert bezüglich der Aufgaben der Staaten von heute: „Unter den Bedingungen von sozialökonomischen und politischen Krisenprozessen (Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Staatsverschuldung) müssen diese sich zwischen dem Ausbalancieren von Wohlfahrtsansprüchen (Ausbau der sozialen Leistungen, Beschäftigungspolitik) und einer weltmarktorientierten Modernisierungspolitik entscheiden. Welche Optionen letztlich auch immer gewählt werden bzw. sich durchsetzen – dies ist freilich niemals ausschließlich der bloße Nachvollzug von äußeren Determinanten, sondern stets auch Resultat von inneren sozialen, politischen und ideologischen Auseinandersetzungen, bei denen sich Blöcke von Klassenfraktionen sowie von Interessengruppen formieren, die mit den bürokratisch-politischen sowie mit den ideologischen Staatsapparaten verbunden sind.“ <|>(S. 123)

Auch damit gewinnt Kultur an Gewicht. Die Option wird auch bestimmt von den sozialkulturellen Standards einer Gesellschaft: Was den Menschen wichtig und wertvoll ist, das geht auch in die politische Prioritätensetzungen ein. Mit ihren Standards entscheidet eine Gesellschaft darüber, wofür sie ihren Reichtum verwenden will.

Die Lebensqualität in einer Gesellschaft hängt in hohem Maße von solchen Standards ab. Sie erst machen gesellschaftlichen Reichtum zum sinnvollen Bestandteil von Lebensqualität.

Attraktivität und Stärke unserer Kultur

„Ich meine, daß die Kultur im sozietären, im deutschen Sinne des Wortes der beherrschende Faktor sein wird. Kultur bedeutet die Fähigkeit, ein Gesellschaftssystem zu strukturieren und für seine Verbreitung zu sorgen. Die Macht und Kraft von Gesellschaften beruht wesentlich auf ihrem Zusammenhalt, ihrer Fähigkeit, für sich selbst stark zu sein; eine starke Kultur ist das Selbstbild einer starken Gesellschaft.“ (Pascal Lamy, TAZ World Media 24.12.1990, S. 30/31)

Wenn wir diese Aussage von Pascal Lamy gelten lassen wollen (und einiges spricht für ihren Realitätsgehalt), dann wird es wichtig, zu klären, was denn unter der Stärke einer Kultur zu verstehen ist: Die Fähigkeit, stabil und dauerhaft sich zu entwickeln und eine überzeugende sowie attraktive Lebensform zu praktizieren?

Die Prosperitätsinseln der frühen Neuzeit, die Renaissance-Städte in Italien, haben aus ihrem Reichtum heraus ein neues humanistisches Menschenbild entwickelt, das vorbildgebend für weite Teile des Abendlandes wirkte. Wäre es nicht denkbar, daß aus unseren heutigen Prosperitätsregionen heraus ein neues, ein zukunftsfähiges Menschenbild des »anständigen Lebens« mit dauerhafter Entwicklung entsteht, das kulturell vorbildgebend wirkt und so die Vorherrschaft Europas nicht wirtschaftlich und militärisch, sondern kulturell abgesichert wird?

Literatur

Elmar Altvater: Die Zukunft des Marktes, Münster 1991
Kurt H. Biedenkopf: Zeitsignale, München 1989
Frank Deppe: Jenseits der Systemkonkurrenz. Überlegungen zur neuen Weltordnung, Marburg 1991
Volker Hauff: Ein Interview mit Claus Gellersen, in: FR 6.3.1991, S. 20
Klimabündnis der Europäischen Städte mit den Indianervölkern Amazoniens zum Erhalt der Erdatmosphäre. Dokumentation des Ersten Arbeitstreffens, Frankfurt/M, 1991 (Umweltamt)
Unsere Gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987

Dokumentation

Rigoberta Menchú. Eine Indigena als Kandidatin
für den Friedensnobelpreis 1992

Sie ist eine der tapfersten und engagiertesten Frauen der
guatemaltekischen Volksbewegung. Stellvertretend für die Menschen ihres Kontinents soll
sie den Friedensnobelpreis 1992 erhalten: Rigoberta Menchú aus dem Volk der Quiché.
Organisationen aus ganz Lateinamerika erheben diese Forderung. Rigoberta Menchús
Geschichte ist die Geschichte ihres Volkes. Von klein auf hat sie sich für die Rechte der
Bauern- und indianischen Gemeinden in Guatemala eingesetzt. Am eigenen Leib mußte sie die
skrupellose Verfolgung durch Militär und Staatsapparat erleiden. Ihr Vater wurde während
einer friedlichen Botschaftsbesetzung zusammen mit 30 weiteren Bauern von der Armee
ermordet, ihre Mutter und ihr Bruder zu Tode gefoltert. Obwohl Guatemala inzwischen
offiziell eine Demokratie ist, ist Rigoberta Menchú nach wie vor gezwungen, außerhalb
ihrer Heimat zu leben. Ein Votum für Rigoberta Menchú wäre ein sichtbares Zeichen für
die Unterstützung des indianischen Kampfes um Anerkennung ihrer Rechte.

Dr. Dieter Kramer ist Kulturwissenschaftler und arbeitet in Frankfurt. Ausführlicher beschäftigt er sich mit dem Problem von Lebensweisen, die mit dauerhafter Entwicklung und Nachhaltigkeit in Einklang stehen in einem Buch, das unter dem Arbeitstitel „Ein anständiges Leben mit Zukunft“ voraussichtlich im Frühjahr 1992 im Böhlau-Verlag (Wien, Köln) erscheinen wird.