Militärische Sicherheit zerstört ökologische Sicherheit

Militärische Sicherheit zerstört ökologische Sicherheit

Eine ökologische Bilanz des Golfkriegs

von Olaf Achilles

Die Auswirkungen des Krieges haben alle Befürchtungen weit überschritten. Die (ökologischen) Folgekosten, werden noch in Generationen zu tragen sein. Die Friedens- und Umweltbewegung muß die Analyse der internationalen Folgen des Krieges erarbeiten und mit Öffentlichkeitsmaßnahmen begleiten, sonst werden die Militärs sich als technokratische Katastrophenhelfer weltweit neu legitimieren.

Kuwait ist befreit, jedoch ökologisch vernichtet

Weit vor dem Krieg gab es zu jedem Umweltbereich ein »Horror-Szenario«. Trotzdem wurde selbst nach dem größten Ölteppich der Industriegeschichte (11 Milliarden Liter Öl) Ende Januar im Golf kein Einhalt geboten. Seit dem 26.2. ist bekannt, daß es einen neuen Ölteppich im Golf gibt, der „für die Umwelt im Krisengebiet die bislang möglicherweise größte Gefährdung darstellt“ (Kölner Stadtanzeiger 27.2.). Weitere Informationen gab es hierzu bisher nicht. Erst nach einer Minenräumung kann mit der – wie auch immer gearteten – Bekämpfung des Ölteppichs begonnen werden. Millionen Tiere, vor allem auch Zugvögel, sind im Golf bedroht.

Ein Drittel des Öleintrags im Golf sind gemäß hoher Mitarbeiter der saudiarabischen Umweltbehörde durch Kriegshandlungen der Alliierten (Angriffe auf irakische Ziele) verursacht worden (Tagesspiegel 21.2.91).

Mitte März waren bereits 460 km (95%) der kuwaitischen Küste betroffen (FR 14.3.91). Der Golf ist durch die sprudelnden Ölquellen von weiteren Öleinträgen bedroht. Mehrere hundert Barrel Öl fließen weiterhin täglich in dieses Gewässer. Es gibt jetzt Meldungen von mehreren neuen Ölteppichen. (Beim 1. Golfkrieg ergoß sich 1983 ein Ölteppich in den Golf, der ein Drittel der jetzigen Größe hatte. Er ist bis nach Indonesien gezogen und es wurden zahlreiche Industrie- und Wasseraufbereitungsanlagen am Golf geschlossen.)

Von den ca. 1000 Ölfeldern wurden ca. 800 durch Sprengungen beschädigt, ca. 600 sollen brennen. Was an Öl nicht verbrennt, sammelt sich zu Seen. Laut Frankfurter Rundschau vom 27.3. haben einige bereits die doppelte Größe eines Fußballfeldes und sind bis zu 1,25 Meter tief. Es wird vergebens versucht, sie zu entzünden. Derzeit verbrennen ca. 6 Mio Barrel Öl täglich, was etwa der vierfachen Tagesförderung von Kuwait vor der Besetzung durch den Irak entspricht. Somit wurde der schlimmste Fall (worst-case) aller offiziellen Annahmen weit überschritten. Löschungen haben bis heute nicht stattgefunden, und alle Ölfelder zu löschen wird Jahre dauern. Kuwaitische Umweltexperten haben die Evakuierung jener Wohngebiete gefordert, die in der Nähe des Bulgan-Ölfeldes liegen. Das Krebsrisko steigt (FR 28.3.91).

Die Flüsse Euphrat und Tigris sind durch die Kriegshandlungen insbesondere die Bombardierung von chemischen Anlagen wahrscheinlich verseucht. Sie führen, gemäß eines ersten UNO-Berichtes ungewöhnlich wenig Wasser, was die Schadstoffkonzentration erhöht.

Erinnerungen an Bhophal, Tschernobyl, Sandoz, Seveso werden wach. Jeder ökologische Grenzwert ist gigantisch überschritten. Es werden, allein schon wegen dem Rauch und dem fehlenden Trinkwasser, zigtausende Menschen zu Umweltflüchtlingen.

72 Prozent der Bevölkerung des Iraks leben in Städten, deren Infrastruktur gemäß eines UNO-Berichtes total zerstört wurde. Irak wurde in einen vor-industriellen Zustand zurückgebombt, ist aber gleichzeitig abhängig wie ein normales Industrieland von intensiver Energie- und Technologienutzung (New York Times 23.3.91). Konkrete, d.h. abgesicherte Aussagen lassen sich jedoch erst nach einer Schadenserhebung machen. Die EPA, das US-amerikanische Umweltministerium, hat zwar Erhebungen vor Ort gemacht, von denen aber nichts in die Öffentlichkeit drang. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie amerikanische und britische Militärstellen haben laut Tageszeitung v. 2.4.91 Anläufe gemacht, die Umweltschäden zu untersuchen. Offiziell wurde noch nichts bekannt gegeben.

Der Krieg ist zu Ende, doch der Umweltkrieg geht weiter

Viele Exilkuwaiter werden bis auf weiteres im Exil bleiben. Tausende sind nach Ankunft wieder abgefahren. (New York Times 29.3.91).

Derzeit werden die arabische Halbinsel in Äthiopien, Somalia, Sudan, Teile Ägyptens, der Türkei, der Süden der UdSSR, vor allem der Iran, Pakistan, Afghanistan und Indien aus der Luft »angegriffen«. Hamburger Meteorologen errechneten für diese Gebiete einen Eintrag von mindestens 250 mg Ruß pro Quadratmeter. Ernteausfälle werden befürchtet. Unterhalb des Rußes kommt es zu gravierenden Temperatursenkungen, die vor allem die Landwirtschaft beeinträchtigen. Lokal, also eine Fläche so groß wie Europa, kommt es zu Klimabeeinträchtigungen (Hamburger Morgenpost 26.1.91).

Das britische meteorologische Institut hat im Auftrag der britischen Regierung ein Szenario angefertigt, welches von gleichen Voraussetzungen wie das Hamburger Szenario ausgeht. Hier wird allerdings zusätzlich erwähnt, daß der Monsunregen in Teilen ausbleiben kann – eine akute Gefährdung der Ernährungsgrundlage von 1000 Millionen Menschen (Britisch meteorologisches Institut 1991).

Alle genannten Berechnungen beziehen sich jedoch auf das Verbrennen einer kuwaitischen Öl-Jahresproduktion (1.6 Mio Barrel/Tag); derzeit brennt aber täglich die vierfache Menge (ca. 6 Mio Barrel/Tag)!

Ob der Ruß größere Teile von Europa erreichen kann, und dabei ähnliche Schäden wie jetzt in der Golfregion verursacht, hängt u.a. davon ab, ob er in die oberen Atmosphärenschichten gelangt. Zugleich würde dann dabei auch die Ozonschicht in Teilen zerstört. Ganz unwahrscheinlich ist dies bei dem Ausmaß der Brände nicht. Bereits Ende März wurde Griechenland von den Rauchwolken erreicht. Rußhaltige Regenwolken sind bis zum Rand des Schwarzen Meeres und weiter nach Rumänien, Bulgarien und Griechenland gezogen. Im Osten wurden Afghanistan und Pakistan erreicht (Spiegel 13/91). Im Himalaya wurde schwarzer Schnee gesichtet (taz 2.4.91).

Der Direktor des Überwachungssystems des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Michael Gwynne, verglich die Schäden mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (FR 30.3.91). Die kuwaitischen Behörden haben Menschen mit Herz- und Kreislaufbeschwerden aufgefordert, bei hohen Rauchkonzentrationen in geschlossenen Räumen zu bleiben.

Gemäß Professor Massoud Pirbazari, Umweltchemiker an der University of Southern California in Los Angeles kann der Rauch zu schweren Schädigungen führen. Teile der freiwerdenden Verbindungen gehörden zu den giftigsten Chemikalien und sind krebserregend (Piotrowski 1991).

Das World-Watch-Institut in Washington empfahl der Kuwaitischen Regierung, die Wiederbesiedlung Kuwaits so lange auszusetzen bis die meisten Feuer gelöscht seien. Sie verwiesen dabei auf den tödlichen Nebel von London 1952, wo einige Tausend Menschen durch Schadstoffe getötet wurden (World-Watch-Institute 1991).

Carl Sagan, Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaften an der Cornell University und Richard Turco, Professor für atmosphärische Wissenschaften an der University of California in Los Angeles haben inzwischen berechnet, daß zwischen 20 und 40 Prozent der nördlichen Hemisphäre mit der Rauchwolke bedeckt werden kann und es dort zu gravierenden klimatischen Veränderungen kommen könnte. Eine Befürchtung ist, daß in Indien durch den Sommermonsun die Rauchwolken das Land vergiften können. (Piotrowski 1991).

Das größte ökologische Welt-Notstandsgebiet aller Zeiten

Bis jetzt sind keine offiziellen Schadstoff-Messungen bekannt. Diese sind jedoch dringlichst einzufordern.

Zahlreiche (über 30) atomare und chemische Anlagen wurden bombardiert. Bei einem Reaktor, der 30 km vom Stadtkern Bagdads entfernt lag, hätte nach deutschem Standard 20 km in Windrichtung evakuiert werden müssen. Man weiß bis heute nicht, was mit den 27.6 Pfund angereicherten Uran (93% pure U-235), welche der Irak bevorraten soll, passiert ist (New York Times 29.3.91). Bereits Mitte des Krieges gaben die britischen Militärs bekannt, daß ca. 85% der Ölanlagen im Irak zerstört wurden.

Durch die Flächenbombardements ist eine große Fläche regelrecht zerfetzt. Zwar wurde bei den Bombardierungen nicht alles zerstört, jedoch wurde das »Nervensystem des Landes und des Volkes« (Jacobs 1991) vernichtet. Ein Arzt von Cap Anamur schildert dies so: »Es ist die Chirugie eines modernen Krieges, der auf den ersten Blick seine Unmenschlichkeit zu verlieren scheint, weil er kaum Menschenopfer kostet, der aber Folgeerscheinungen hinterläßt, die zu einem schleichenden Ausbluten der Bevölkerung werden können. Eine Kriegsart, die zum Verhungern führt, die Krankentransporte unmöglich macht, die medizinische Behandlungen und Hilfe verhindert… Der Irak steht am Rand einer Hungerkrise, am Rand eines Kollapses durch seine zerstörte Infrastruktur und am Rand von Epidemien.« (Jacobs 1991).

Der Krieg am Golf wird derzeit jedoch mit anderen Mitteln fortgeführt. Das Handelsembargo hat jetzt nach der Bombardierung eine katastrophale Wirkung.

Zu den Flüchtlingen und Bedrohten durch Epidemien, Hunger und Wassermangel, sowie Umweltverseuchungen kommen die ca. zwei bis drei Millionen Menschen (vor allem Kurden) hinzu, die derzeit ihre Siedlungsgebiete verlassen, um ihr Leben, daß durch die nach dem Krieg ausgebrochenen Bürgerkriege gefährdet ist, in Sicherheit zu bringen.

Schon durch die Besetzung Kuwaits wurden Hundertausende zu Flüchtlingen. Dies hat insbesondere für die anliegenden Staaten, verheerende ökonomische Auswirkungen.

Kriegsziele Kriegsergebnisse
Befreiung Kuwaits Kuwait ist befreit, aber ökologisch vernichtet
(teilweise vorhersehbar)
Wiederherstellung der territorialen Integrität
Kuwaits
Wiederherstellung der territorialen Integrität durch
Verletzung der territorialen I. von mind. 12 anderen Staaten (teilweise vorhersehbar)
Wiederherstellung der internationalen Sicherheit bis jetzt nicht erfolgt; außerdem: Zerstörung der
internat. ökologischen Sicherheit (vorhersehbar)
Stopp des »Umweltterrorismus« 30% der Umwelteingriffe durch Alliierte verursacht
(vorhersehbar: kein Erfolg bei den brennenden Ölquellen; weitere Öleinträge in den
Golf)
Einforderung der Menschenrechte elementare Verletzung durch sog. »Nebenschäden«
und Flächenbombardements. (vorhersehbar) Außerdem Medienzensur (geplant)
Einforderung des Völkerrechts Verstoß durch Bombardements von A- und C-Anlagen;
durch Umweltkriegsführung
Demokratie Unterstützung autoritärer Staaten am Golf
(vorhersehbar)
UNO-Beschlüsse bis dato z.B. keine Verwirklichung der
UNO-Resolutionen 242, 338 (vorhersehbar)

Die Folgen des Krieges waren im Vorfeld bekannt

Worst-Case: ungünstigster Fall. „In der militärischen Beurteilung der taktischen Lage zweckmäßige Methode der Risikominimierung bei eingeschränkter aktueller Informationslage über den Gegner. Aus den vorhandenen Informationen der das zukünftige Gefecht bestimmenden Größen werden die Handlungsalternativen des Gegners ermittelt und auf die eigene Lage bezogen. Das für die eigene Lage ungünstigste Verhalten des Gegners wird dann – auf jeder Führungsebene getrennt und jeweils unter anderen Voraussetzungen und nach anderen Gesichtspunkten wesentliche Grundlage für eigenes Planen und Handeln“ (Lutz S.291).

Ökologische »worst-case-Szenarien« wurden ignoriert. Zu den das »zukünftige Gefecht bestimmenden Größen« gehörte von Anfang an die Ökologie. Saddam Hussein hatte erstmals in der Geschichte am 23. September 1990 einen Umweltkrieg als Abschreckung gegen jegliche andere Kriegshandlung angedroht. Er wollte alle Ölfelder verminen und durch Sprengung zum brennen bringen, sollte es zu einem Angriff gegen ihn kommen.

König Hussein von Jordanien ließ auf der zweiten Weltklimakonferenz am 6. November 1990 in Genf durch seinen Wissenschaftler Dr. Abdullah Toukan ausführlich die potentiellen, globalen Umweltauswirkungen von brennenden Ölfeldern darlegen. Die Öffentlichkeit, vor allem die europäische, beachtete diese Fragestellung nicht.

Im Januar 1991 mehrten sich die dramatischen Appelle an die regierenden Politiker. Wissenschaftler, wie z.B. Prof. Carl Sagan, Dr. Joe Farman (Entdecker des Ozonlochs in der Antarktis), oder Nobel-Preis-Träger Dr. Bernard Lown sagten, daß die ökologischen Kosten alle anderen Kosten des Krieges in den Schatten stellen würden.

Prof. Dr. Paul J. Crutzen, Direktor der Abteilung Chemie in der Atmosphäre am Max-Planck-Institut für Chemie und Mitglied der Enquete-Kommission »Schutz der Erdatmosphäre« des Deutschen Bundestages (von ihm stammt die derzeitig gültige Ozonloch-Theorie), sowie Prof. Dr. Wilfrid Bach, Klimatologe an der Universität Münster und ebenfalls wissenschaftlicher Berater der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages haben jeweils eigene Berechnungen angestellt. Dr. Abdullah Toukan und seine Mitarbeiter vom Higher Council for Technology and Science, einem Institut der Königlichen wissenschaftlichen Gesellschaft in der jordanischen Hauptstadt Amman, hatte sie teilweise um Hilfestellung bei seinen Berechnungen gebeten.

Ebenso gab Dr. John Cox, Petrochemiker und lange Zeit Berater einer Ölfirma im Golf, Berechnungen an die Öffentlichkeit. Auf einer internationalen Konferenz am 2.1.1990 in London, bat er dringend, seine Thesen von öffentlicher (staatlicher) Seite nachzurechnen (Cox 1991). Es wurde eine wissenschaftliche Sonderkommission gegründet, die sich am 13.1.1991 noch einmal in der UNO in New York an die Weltöffentlichkeit wendete (Scientific Task Force 1991).

Andere Wissenschaftler bestätigten Teilaspekte der vorgelegten Berechnungen. Richard Scorer, Meteorologe am Londoner Imperial College fürchtet die Ausbreitung einer Rußwolke bis Bombay und in einem Monat um die ganze Welt herum (Spiegel 1991). Dr. Mojib Latif vom Marx-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg befürchtet katastrophale Folgen für Indien und Europa (Wedemeyer 1991).

Zu den potentiellen Folgen des Krieges auf den Golf selbst und die damit zusammenhängenden Ölverseuchungen existiert ebenfalls eine Studie von Richard Golob: »Environmental Impact of War in

the Arabian Gulf« (Golob 1990), die detailliert den Ölgau und seine Konsequenzen beschreibt.

Wie jetzt bekannt wurde, hat auch das Pentagon eine Studie erstellen lassen. In ihr wurde sogar festgestellt, daß die Ölfeuer die Ökologie des Golfes, Süd-Irans, Pakistans und Nord-Indiens beeinträchtigen könnten (Miller 1991).

Umweltminister Töpfer ließ sich in einem Gespräch am 25. Januar 1991 von 11 bis 14 Uhr u.a. von den Klimatologen Prof. Grassl aus Hamburg und Prof. Crutzen aus Mainz über die möglichen Umwelt-Folgen eines Krieges informieren. Auch im Umweltausschuß des deutschen Bundestages wurde darüber am 20.2. debattiert. Die SPD hatte zuvor am 19.2. eine Anhörung gemacht, ohne allerdings die Umweltverbände dazu einzuladen.

Deshalb ist es besonders bemerkenswert, wenn Herr Töpfer am 10.3.91 zu einer publikumsträchtigen Dreittages-Reise in den Golf aufbrach. Michael Müller, SPD-Bundestagsabgeordneter und einer der wenigen Politiker, die vor den Auswirkungen des Golf-Krieges gewarnt haben, meint dazu: „Wer vorher trotz bekannter Umweltgefahren geschwiegen hat, sollte sich auch anschließend persönlich zurücknehmen. Die Umwelt braucht keinen Showminister, sondern einen eindeutigen Interessenvertreter“ (FR 11.3.91).

Trotz all dieser erschreckenden Fakten gibt es bis heute keine offizielle Stellungnahme der Bundesregierung zu den genannten ökologischen Folgen. Bei der ständigen »Golflage« im Bundeskanzleramt während des Krieges, soll kein Vertreter des Umweltministeriums anwesend gewesen sein.

Militärische Sicherheit zerstört ökologische Sicherheit

Angesichts der weltökologischen Situation sollte es selbstverständlich sein, daß die »internationale Sicherheit« primär ökologisch definiert werden muß: internationale ökologische Sicherheit. Allein wegen der durch die (damals potentiellen) Ölbrände verursachten Gift- Freisetzung hätten jegliche Kriegshandlungen in der Golfregion unterbleiben müssen.

Militärische Sicherheit nimmt als Bezugsgröße bzw. Definitionsgrundlage die territoriale Integrität, also die Sicherung von Nationalgrenzen. Ökologische Sicherheit nimmt als Bezugsgröße den Erhalt der ökologischen Lebensgrundlagen.

Mit der »Wiederherstellung der internationalen Sicherheit« und der territorialen Integrität von Kuwait wurde die internationale ökologische Sicherheit stark gefährdet und es wird derzeit die territoriale Integrität von mindestens einem Dutzend nicht (direkt) kriegsbeteiligter Staaten durch die ökologischen Folgen verletzt.

Die Zerstörung der Landwirtschaft und der Trinkwasserressourcen

in diesen betroffenen Ländern spricht eine deutliche Sprache. Wer den Weltfrieden sichern will, und dabei die internationale ökologische Sicherheit beachtet, muß mit behutsamen und wirkungsvollen, vor allem aber mit ökologisch-verträglichen Methoden arbeiten. Hier gilt es dringend Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte auf allen nationalen und internationalen Ebenen zu setzen!

Der Golfkrieg: die konsequente Fortsetzung des Ressourcenkrieges

Die erste »Ressourcenfront«: Ein Viertel der Menschheit, die westlichen Industrieländer, verbrauchen 75% der Energie und 80% der Rohstoffe! Die USA mit ihren 250 Millionen Einwohnern, was ca. 5% der Weltbevölkerung entspricht, haben allein ein Viertel des weltweiten Energieverbrauchs, den sie u.a. mit Erdöl bestreiten! Klaus-Peter Klingelschmidt macht zurecht darauf aufmerksam, daß es schon im Vietnamkrieg um nicht geringe Ölvorkommen und Bohrlizenzen ging. Bereits während des Krieges in Saigon wurden die Konzessionsvergaben konzipiert (Klingelschmidt 1991).

Die zweite »Ressourcenfront«: Energieverbrauch bedeutet auch Freisetzung von Giften bei der Verbrennung, vor allem Kohlendioxid (CO2), welches zu 50% am Treibhauseffekt beteiligt ist. Die abstrakte Ressource Atmosphäre wird dabei zerstört.

Dazu der Wissenschaftsökologe Reinhard Loske: „Im Moment lebt die Menschheit in der Nordhemisphäre wie ein genußsüchtiger und versoffener Bankrotteur, der das Kapital seiner Vorfahren verspielt, seinen Mitmenschen keinen Raum zur Entfaltung läßt und seinen Kindern die Zukunft raubt“ (Loske 1991).

Schon im Oktober stellte R. Loske die weltweiten politisch- ökologischen Folgen der Golf-Krise fest:

1. Die durch die weltweite Abrüstung freiwerdenden Gelder seien für eine »ökologische Friedensdividende« nicht mehr verfügbar. Stattdessen werden die Militärs sich damit erneut sanieren.

2. „Geo-Energiepolitik wird wieder vor allem als Aufrechterhaltung des freien Ressourcenzugangs für die »freie Welt“und nicht als verantwortungsvolle und gemeinschaftliche Nutzung begrenzter Naturschätze verstanden“ (Loske 1990).

Der Nachschub von billigem Öl muß für die »Klima-Verbrecher« USA (so zitiert Fritz Vorholz in der »Zeit« Teilnehmer der 2. Welt-Klima-Konferenz in Genf) gesichert werden. „Was militärisch am Golf mitverteidigt wird, nämlich die energiepolitische Verschwendungssucht des Westens, ist längst auch selbst zu einer Bedrohung der Menschheit geworden“ (Vorholz 1991). Dies ist durch die »neue«, im Januar bekanntgewordene Energiepolitik der USA bestätigt. Militärische Sicherheit ist das Instrument zur Aufrechterhaltung eines unsozialen sowie ökologisch vernichtenden Weltwirtschaftssystems.

Ökologische Vorleistungen für militärische Sicherheit

Bereits vor dem »heißen Krieg« gab es schwerwiegende durch das Militär verursachte ökologische Schäden, hervorgerufen durch die Besetzung Kuwaits durch den Irak und die damit zusammenhängende Truppenmassierung am Golf.

Während des Krieges gab es mehrere gefährliche Unfälle. Neben den bekannten Abstürzen sind z.B. mindestens zwei Atomkriegsschiffe beladen mit mehreren Atomwaffen auf Seeminen aufgelaufen (Greenpeace 18.2.91).

Über 9000 Panzer, über 2000 Flugzeuge, fast 1,1 Mio Soldaten mit entsprechendem Gerät, zahlreiche Schiffe etc. wurden zu Luft, Land und Wasser (teilweise) über tausende von Kilometern bewegt (stationiert). Hierbei entstehen nicht nur zahlreiche Schäden. Die Wüste ist ein sehr fragiles und leicht zu zerstörendes Ökosystem. Jedes schwere Fahrzeug zerschneidet die Oberfläche und die Erosion setzt ein mit Auswirkungen, die Jahrhunderte andauern können. Die Spuren der Rommel-Armee in Nord-Afrika sind noch heute deutlich in der Wüste sichtbar (Cloudsley-Thompson 1990).

Es wurde und wird eine Menge an Energie verbraucht, die sich leider noch nicht berechnen ließ. Das Pentagon ist als Institution der größte Ölkonsument der Welt. Ein F-15 Bomber kann in 25 Minuten 625 Gallonen Kerosin verbrauchen (etwa 2365 Liter). Ein Lufttransporter schafft dieses bereits in weniger als sieben Minuten. Ein B-52 Bomber verbraucht pro Stunde 3612 Gallonen (ca. 13.670 l), ein F4-Bomber verbraucht 1680 Gallonen in der Stunde (ca. 6.360 l).

Über 2 Milliarden Pfund Munition und Waffen mußten ca. 7000 Meilen um die Erde geflogen werden (Smith 1991).

Weitere Beispiele aus der »Vorkriegszeit« sind in der Studie »Militär, Klima und Rüstung« (Achilles 1991a) aufgeführt.

Weltweit beeinträchtigte das Militär bereits die internationale ökologische Sicherheit und damit unseren Planeten durch oberirdische Atomwaffentests, Atomunfälle, verseuchte Landstriche, Energieverschwendung etc. (vgl. Achilles 1990).

Heraus-Forderungen

Es ist schon jetzt absehbar, daß das Militär seine Anwesenheit in der Golf-Region mit der nun anstehenden Katastrophenhilfe neu legitimieren wird. Die Bundeswehr versucht z.B. seit langem sich als Umwelt- und Katastrophenschützer zu profilieren. Es ist davon auszugehen, daß das Militär »großzügig« seine Kapazitäten (Ausrüstung, Manpower, Transport) für die Folgen des Krieges zur Verfügung stellen wird. Hierbei ist immer wieder zu betonen, daß diese Maßnahmen auch von zivilen Stellen koordiniert und durchgeführt werden können. Katastrophenschutztruppen müssen deshalb konsequenterweise entmilitarisiert werden. Ein ökologischer Heiligenschein für das Militär wäre nach diesem Krieg für unseren Planeten vielleicht der Todesstoß.

Auffallend ist derzeit die diffuse »Umwelt«-Berichterstattung aus der Region. Es gibt kaum Daten und auch Fernsehberichte sind eher verharmlosend. Hier ist von einer Selbstzensur zu sprechen, stellen doch die Folgen des Krieges die jetzige Lebensweise der Bewohner der Industrienationen in Frage. Die derzeitige Politik erleidet einen unbeschreibbaren Realitätsverlust.

Ohne Zweifel handelt es sich bei all dem Geschehen um einen entscheidenden Einschnitt in die Menschheitsgeschichte. Unsere Aufmerksamkeit wird wie ein Fokus auf die Existenzgrundlagen unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft gerichtet. Die einzig adäquate Reaktion auf diese vorhersehbare ökologische Teilapokalypse muß die »ökologische Wende« sein. Jeder kann z.B. durch wirklich ernsthaften Konsumverzicht dazu beitragen.

Die Politiker sind derzeit »Deserteure aus der Verantwortung«. Das mindeste wäre doch jetzt, autofreie Sonntage wieder einzuführen.

Aber es bleibt die Maxime „Freie Fahrt für freie Bürger“ – bis wir den ökologischen Abgrund erreicht haben.

Immerhin bleibt ein Hoffnungsschimmer: vor und während des Krieges gab es eine intensive Zusammenarbeit von Friedens- und Umweltgruppen. Zu der bundesweiten Demonstration gegen den Golfkrieg am 26.1.91 in Bonn riefen u.a. auch Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz, der Deutsche Naturschutzring u.a. Umweltorganisationen auf. Der ökologische Antimilitarismus hat gerade bei Jugendlichen an Boden gewonnen.

P.S. Wer Interesse an einer Weiterarbeit sowie Ideen, Ressourcen, Geld, Informationen etc. hat, möge sich bitte umgehend mit dem Autor in Verbindung setzen. Durch eine Nach-Kriegs-USA-Reise und zahlreiche Kontakte auch während des Krieges zu Wissenschaftlern (auch im Ausland) etc. gibt es eine Fülle von Informationen im MÖP-Büro. Es soll eine Dokumentation erarbeitet werden, die je nach finanzieller Unterstützung entsprechend intensiv ausfallen wird. Der Golfkrieg hat die Arbeit des MÖP-Büros so in Anspruch genommen, daß wir diesmal leider nicht in der Lage sind, weitere Nachrichten in Wissenschaft & Frieden anzubieten, obwohl unsere Akten überlaufen. Wir brauchen Hilfe in Form von Mitarbeit bei Büro und Redaktionstätigkeiten und andere infrastrukturelle Unterstützung wie z.B. Geld! MÖP e.V. Reuterstr.44 5300 Bonn 1 0228/26 11 08; Postgiroamt Dortmund, BLZ 440 100 46 Kto 638 28 – 461

Literatur

Achilles, Olaf :“Natur ohne Frieden«; München 1988
ders./ Lange, Jochen: »Tiefflieger«; Reinbek 1989
ders.: »Von der heiligen Kuh zum trojanischen Pferd«; Bonn 1990
ders.: »Militär, Rüstung und Klima«; KÖF-Reihe Band 6, Alheim 1991 (1991a)
ders.: »Wenn die Ölfelder brennen – die ökologische Dimension des Golfkrieges«; in B. Nirumand (Hg.) »Sturm im Golf« S. 208-230; erweiterte Ausgabe 2/91, Reinbeck 1991
Arbeits- und Forschungsstelle »Militär,Ökologie und Planung« (MÖP) e.V./ Achilles, Olaf: »Die ökologischen Folgen eines Golfkrieges«; Presseerklärung zur Pressekonferenz des Netzwerk Friedenskooperative am 10.1.91 in Bonn
dies./ BUND NRW (Hg.): »Klima – Katastrophe – Krieg; Am Golf der Sieg , den Frieden mit dieser Erde verloren?« von Dirk Haserich und Belinda Pillmann; Bonn 1991
Britisches meteorologisches Institut: »Possible Environmental Impacts of Burning Oil Wells in Kuwait«; Note by the Meteorological Office 14.1.91
Brown L.R.: »Für die Militärs bleibt genug«; Spiegelgespräch in: Der Spiegel 3/90 S.90-98
Cloudsley-Thompson, J.L.: »The Destructive Effects of Warfare on the Dessert Environment« in: Environmental Awareness Vol.13 No.2, 1990 S. 43-48
Crutzen, Paul J.: »Brief an das Königshaus Jordanien«; 5.1.91
Cox, John: »Environmental Consequences of a Gulf War«; London Januar 1991
Der Spiegel: »Es wäre die Hölle los«; 3/91 S.116
Evangelischer Pressedienst: »Experte: Militärs vernichten, was sie verteidigen wollen«; Hamburg 7.1.91
Financial Times: »Saudi Arabian refinery to close after artillery attack«; 18.1.91
dies.: »Airlines lose over $2bn in two month«; 27.3.91 Greenpeace: »U.S. Nuclear Weapons in the Persian Gulf Crisis«; Washington D.C. 1991
dies.: »Glück im Unglück? Amerikanische Atomkriegsschiffe auf Minen aufgelaufen.« Presseerklärung vom 18.2.91
Golob, Richard S.: »Environmental Impact of War in the Arabian Gulf«; Cambridge Mas. o.J. (1990)
Jacobs Immanuel: »Kaum Zerstörungen, aber die Lebensgrundlagen sind vernichtet«; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 5.4.91
Karisch, Karl-Heinz: »Nach dem Krieg bleibt Irak eine vergiftete Wüstenlandschaft«; in: Frankfurter Rundschau 19.1.91
Klingelschmidt, Klaus-Peter: »Schon im Vietnamkrieg gings um's Öl«; in: die tageszeitung 18.1.91
Los Angeles Times: »High Tech's Glory Side«; 24.2.91 S.1
Loske, Reinhard: »Im Schatten der Golfkrise«; in: die tageszeitung vom 26.10.90
ders.: »Das ökologische Ende des Nationalstaates«; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 2/91; Bonn 1991
Lutz, Ernst: »Lexikon zur Sicherheitspolitik«; München 1980
Miller, John M.: »The Hidden Casaualities«; New York, San Francisco 1991;
ders.: »Environmental casualties yet to be counted«; in: Guardian 20.3.91
Netzwerk Friedenskooperative: »Aktionstag der Friedensbewegung mit Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet. Ökologische Folgen des Krieges katastrophal«; Presseerklärung vom 10.1.91
New York Times: »An Unknown Casualty«; 20.3.91 S. A29
dies.: »Slow Recovery Is Seen For Kuwait And Iraq Oil«; 21.3.91 dies.: »Excerpts From U.N. Report on Need for Humanitarian Assistance in Iraq«; 23.3.91
dies.: »Another War Begins as Kuwaiti Oil-Well Fires Threaten Region's Ecology«; 26.3.91
dies.: »U.S. Uncertain of Fate of Iraqi Uranium Big Enough for One Atom Bomb«; 29.3.91
dies.: »Kuwaitis Find the Easy Life Is a Casualty of War«; 29.3.91
dies.: »None of Kuwait's Oil Well Fires Put out Yet«; 1.4.91
Meteorologisches Institut Universität Hamburg/ Max-Planck- Institut für Meteorologie: »Auswirkungen von Ölbränden in Kuweit auf das Globalklima«; Hamburg März 1991
Nonnenmacher, Peter: »Experten sagen bei Golfkrieg auch eine Umweltkatastrophe voraus«; in: Frankfurter Rundschau 4.1.91
Piotrowski, Christa: »Nachtfröste mitten im Sommer könnten Reis-Ernten vernichten«; in: Frankfurter Rundschau v. 6.4.91
Political Ecology Group: »War in the Gulf- an Environmental Perspective«; San Francisco 1991
Renner, Michael: »National Security: The Economic and Environmental Dimensions«; Washington 1989
Rosenkranz, Gerd: »Wenn das Schwarze Gold brennt«; in: die tageszeitung 16.1.91
Scientific Task Force: »Environmental Impact of War in the Gulf«; New York 11.1.1991
dies.: »Interim Summary of the Scientific Evidence Concerning the Ecological Effects of a War in the Gulf«; London 14.1.91
Smith, Gar: »How Fuel-Efficient is the Pentagon?«; in: Earth- Island-Journal S. 39
The Green Party Great Britain: »Environmental impact of War in the Gulf«; Policy Briefing ;London 2.1.91
Vorholz, Fritz : »Was wird am Golf verteidigt?«; in: die Zeit v. 4.1.91
Watts, Susan: »Kuwait could burn for a year«; in: The Independent 3.1.91
Wedemeyer, Georg: »Saddam will „das Licht auf viele Jahre löschen“»; in: Hamburger Morgenpost 19.1.91
Wille, Joachim: »Wenn die Ölfelder brennen, wird es finster auf der Erde«; in: Frankfurter Rundschau 23.1.1991
World-Watch-Institute: »War on the Environment: Lessons from the Gulf«; Washington D.C. März 1991

Derzeit erscheint eine Studie zu den Klimafolgen von Militär und Rüstung (»Militär, Rüstung und Klima«; Verlagshaus Riedmühle; Alheim 1991, 21,80.- DM). In dem rororo-aktuell Buch von B. Nirumand (Hg.) »Sturm im Golf« schrieb er den Beitrag »Wenn die Ölfelder brennen -die ökologische Dimension des Golfkrieges« (S. 208-230; erweiterte Ausgabe 2/91, Reinbek 1991, 10,80.- DM); Zu den ökologischen Folgen hat die MÖP e.V. einen Reader erstellt und eine Broschüre zusammen mit dem BUND publiziert: »Klima-Katastrophe-Krieg – Am Golf der Sieg, den Frieden mit dieser Erde verloren?« Sie kann gg. 3.- DM bei der MÖP e.V., Reuterstr. 44, 5300 Bonn 1 bestellt werden.

„Auskunftsverbot“ für Wissenschaftler staatlicher Laboratorien“

Der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) vom 11.4.91
entnehmen wir folgende Zeilen:

„Bei Wissenschaftlern herrscht … immer noch
Ungewißheit über die Auswirkungen, welche die aus den brennenden Ölquellen in die
Atmosphäre gelangenden Schadstoffe auf das Klima haben. Diese Ungewißheit wird durch
eine Anordnung der amerikanischen Regierung zusätzlich vergrößert, nach der es
Wissenschaftlern verboten ist, der Öffentlichkeit Auskünfte über den Zustand der Umwelt
im Kriegsgebiet zu geben.

Wie viele andere Journalisten stieß auch der für das in New
York erscheinende Magazin „Scientific American“ arbeitende John Horgan bei
seinen Recherchen über die Umweltfolgen des Golfkrieges auf eine Mauer, Wissenschaftler
verweigerten Auskünfte, waren nicht zu sprechen oder verwiesen an Pressestellen in
Washington. Von dort erhielt man nur nichtssagende Informationen. Während seiner
Recherchen wurde Horgan jedoch eine Anordnung zugespielt, die das amerikanische
Energieministerium an jene Laboratorien verschickt hatte, die mit Bundesmitteln
Umweltforschung betreiben. Darin wurden die Wissenschaftler angewiesen, Reportern keine
Auskünfte über die Umweltfolgen des Krieges zu geben. Statt dessen sollten sie eine
vorbereitete Erklärung abgeben. In ihr heißt es, daß die Auswirkung des Golfkrieges auf
die Umwelt bisher übertrieben dargestellt worden sei. Die Sache werde untersucht …
Ein wesentlicher Teil der schon am 25. Januar erlassenen, bis heute jedoch
geheimgehaltenen Anordnung wird in der Mai-Ausgabe des Scientific American abgedruckt.

Olaf Achilles, Dipl.Ing., 28 Jahre, ökologischer Friedensforscher, Leiter der Arbeits- und Forschungsstelle »Militär, Ökologie und Planung« (MÖP) e.V. in Bonn, zahlreiche Publikationen.

Umweltschutz auf Liegenschaften der Bundeswehr

Entsorgen durch Verschweigen

Umweltschutz auf Liegenschaften der Bundeswehr

von MÖP

Im April gab es Einiges zum Thema Umweltschutz bei der Bundeswehr zu lesen und den Bericht mit dem Titel: „Umweltschutz in der Bundeswehr – Grundlagen, Maßnahmen und Absichten“, der an den Verteidigungsausschuß ging. Den Parlamentariern wurde hierbei versucht darzustellen, wie gut organisatorisch die Bundeswehr gerüstet sei.

Umweltschutzkonzeption I

Dieses Dokument ist bei genauerer Analyse eine absolute Schönfärberei. Wie überall, wird über allgemeine Aussagen nicht hinausgegangen. 1990 sollen erstmals 30 hauptamtliche Sachbearbeiter für Umweltschutz (Umweltingeneure) eingestellt werden. „Ziel ist es, im Zuständigkeitsbereich der durch Umweltprobleme besonders belasteten Standortverwaltungen (!) einen fachlich qualifizierten Sachbearbeiter für Umweltschutz (Umweltingeneur/FH) einzusetzen, der bis zu drei (!) Standortverwaltungen zu betreuen hat. Es ist nicht beabsichtigt, bei jeder der 184 Standortverwaltungen einen Umweltingeneur einzusetzten“ (S.9).

In den Streitkräften selbst bestehe bisher keine eigene hauptamtliche Umweltschutzorganisation. „In Truppe und Wehrverwaltung wurden in den letzten Jahren mehr als 600 nebenamtliche (!) »Umweltbeauftragte« von ihren Kommandeuren/Dienststellenleitern bestimmt. Sie stehen in keinem Organisationsplan und sind für diese Aufgabe weder ausgebildet noch in Informationsprozesse einbezogen. Auf diese Beauftragten kann nach Ausbau der hauptamtlichen Umweltschutzorganisation zu einem großen Teil verzichtet werden“ (S.11). Weiterhin ist zu erfahren, daß seit 1978 39 Straf- und Verwaltungsverfahren wegen Umweltverstößen eingeleitet wurden. Der größte Teil endete mit Freispruch oder Einstellung.

Es folgen zum Thema Luftreinhaltung, Gewässerschutz, Abfallwirtschaft, Naturschutz auf Übungsplätzen etc. Maßnahmenbeschreibungen ohne jedoch die gegebene Situation zu schildern. Dies ist aber erforderlich, um überhaupt Aussagen zu den Maßnahmen zu machen. Es gibt aber für die Bundeswehr keine derartige Erhebung; dies muß man sich immer wieder vergegenwärtigen! Im Anhang der Berichtes finden sich Organisationsschemata der Umweltorganisation in den Streitkräften. Dies ist der erste Schritt, um überhaupt einmal organisatorische Ordnung in den Umweltbereich zu bringen.

Umweltschutzkonzeption II

Bereits im Oktober dieses Jahres wurde eine weitere »Fachkonzeption Umweltschutz der Bundeswehr« vorgestellt. Sie wurde am 24.10. im Verteidigungsausschuß beraten und soll Verteidigungsfähigkeit und Umweltschutz glaubhaft miteinander verknüpfen. Es müsse ein „verantwortbarer Weg“ gefunden werden. Die Verteidigungsfähigkeit dürfe allerdings nicht leiden. Die Konzeption wurde von dem BMVg erlassen (SIV 3 – Az 63-25-00/20.

Diese Konzeption (Nomen est Omen) gilt für den gesamten Verantwortungsbreich des BMVg. Wichtig ist, daß erstmals der Begriff »ökologische Sicherheit« von den bundesdeutschen Militärs besetzt wird. „Die Erhaltung des Friedens und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen müssen als gemeinsame Aufgaben verteidigungspolitischer und ökologischer Sicherheitsvorsorge gesehen werden“.

In der Fachkonzeption wird darauf hingewiesen, daß das immer dichter werdende Netz von Umweltauflagen offenkundig gemacht habe, daß bei der Umweltschutzpraxis in der Bundeswehr bisher eine grundlegende Konzeption gefehlt habe, die Ziele, Prioritäten, Aufgaben und Zuständigkeiten für die Bundeswehr bestimmt hätte. Noch einmal wird auf die 30 Umweltingeneure abgehoben. Sie sollen hier Abhilfe schaffen – nicht viel bei (ehemals) 670.000 Mitarbeitern. Die in der Fachkonzeption verwendeten Begriffe weichen zum Teil von gültigen Dienstvorschriften ab. „Folgedokumente haben sich an diesen Begriffen zu orientieren. Über deren Definition und Aufnahme in Dienstvorschriften wird gesondert entschieden“.

Unter dem Punkt »Zielsetzung und Geldzungsbereich« heißt es: „Angesichts abnehmender militärischer Bedrohung und zunehmender Umweltschäden und -gefährdungen werden Streitkräfte nicht allein nach ihrer Fähigkeit bewertet, den Frieden zu erhalten, sondern auch danach, welche Rücksicht sie dabei auf die Umwelt nehmen und welchen aktiven Beitrag sie zu ihrem Schutz leisten können.

Es ist notwendig, militärisches Handeln mit ökologischer Verantwortung zu verbinden. Umweltschutz ist integraler Bestandteil von Führungsverantwortung. Dabei gilt es, den Verfassungsauftrag Verteidigung trotz wachsender und einschränkender Regelungen und Erfordernisse zum Schutz der Umwelt unter den geringst möglichen Belastungen von Mensch und Natur sicherzustellen“.

Dieser Einleitungsabschnitt enttarnt die Bundeswehr und ihre Umweltschutzabsichten. Jahre des Nichtstuns sind nun offiziell aus legitimatorischen Gründen beendet worden. Es folgen auf 40 Seiten interessante Absichtserklärungen. Teilweise wird bewußt Öko-Vokabular gebraucht. Unter dem Punkt »Kooperationsprinzip« heißt es: „Die Kooperation mit gesellschaftlich relevanten Gruppen und Instutionen ist auf allen Ebenen zu verstärken. Die Zusammenarbeit mit Kommunen und Kontakte zu anerkannten Umweltverbänden heben das gegenseitige Verständnis (…)“.

Militärische Offensive hat sich bisher immer bewährt. Interessant ist, daß es eine „Bestandsaufname von Altlastenverdachtsflächen“ geben soll. „Diese Verdachtsflächen sind durch wissenschaftlich fundierte Gefährdungsabschätzungen zu bewerten. Danach ist ein Sanierungsprogramm zu erstellen. Diese Arbeiten sind begonnen worden; sie werden als vordringlich betrachtet. Zur Ermittlung möglicher Bodenkontaminationen durch militärische Nutzung sind intensive Untersuchungen angelaufen“.

Diese Aussage widerspricht allen bisher gemachten Angaben. Leider wird nicht bekannt gegeben, wieviel Untersuchungen wo gemacht werden, und warum diese »intensiv« sind. Die Studientätigkeit der Bundeswehr nimmt (verbal) enorm zu, doch die Abhilfemaßnahmen werden nicht geschildert. Nach „intensiven Vorarbeiten“ soll noch in diesem Jahr eine Erhebung über den teilweise schlechten Zustand des 5500 km langen Kanalnetzes der Bundeswehr erfolgen. Und zum Thema Abfall heißt es: „Eine geordnete Abfallwirtschaft ist zum Schutz von Boden und Grundwasser dringlich erforderlich. Fachaufsicht und Koordinierung sind zu intensivieren. Eine erste Voraussetzung ist die bereits erfolgte Einrichtung eines entsprechenden Dienstpostens für einen Sachbearbeiter (Umweltingeneur) bei jeder Wehrbereichsverwaltung“.

Erstmalig wird auch auf die »Gaststreitkräfte« in einem solchen Papier eingegangen: „Zu dem deutschen Recht (…) dem die Gaststreitkräfte genüge tun müssen (…), gehört auch das Umweltrecht, insbesondere die Vorschriften des Immissionsschutz-, Abfall- und Wasserrechts. (…) Die Verpflichtung der Gaststreitkräfte, das deutsche Recht zu achten, schließt auch die Verpflichtung ein, zu ständigen deutschen Behörden im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung Zutritt zu Liegenschaften zu gewähren“.

Auf die neue östliche Bundeswehr wird in diesem Bericht nicht eingegangen. Auch in ihrem Recht will sich die Bundeswehr verbal beschneiden, auch wenn sie keine einzige Privilegierungsklausen im Umweltrecht aufgeben will: „Dabei (bei der Abwägung) haben die Belange der Verteidigung gegenüber denen des Umweltschutzes grundsätzlich Gleichrang“. Auch der Punkt „Ausblick“ scheint von einem internen, kritischen Umweltschützer der Bundeswehr verfasst worden zu sein: „Der Handlungsbedarf zum Schutz Umwelt wird weiter steigen. Erhebliche Finanzmittel zur Sanierung und für die Umweltvorsorge werden notwendig werden,. Eine neue, umfassende Sicherheitskultur für die Industriegesellschaft in Deutschland zeichnet sich ab, um die Umwelt nachhaltig wiederherzustellen“. Auch der Schlußsatz dieser Konzeption verdeutlicht, daß bis heute wenig im Umweltbereich der Bundeswehr passiert ist: „Mit dieser Fachkonzeption erhält der Umweltschutz der Bundeswehr den Stellenwert, der ihm aufgrund der gesellschaftspolitischen, naturwissenschaftlich-technischen und aktuellen militärischen Entwicklung zugestanden werden muß. Dies setzt ein neues mitverantwortliches Denken bei allen Bundeswehrangehörigen voraus. Eine intakte Umwelt vermittelt dem Frieden in Freiheit höhere Qualität“.

Dies ist also eine offizielle Darstellung. Anhand von drei anderen Dokumenten zeigt sich schnell, daß die oben geschilderten bescheidenen Einsichten relativiert werden müssen. In Studien und Antworten auf Anfragen von Abgeordneten wird wie bisher verharmlosend und beschönigend die Umweltmisere der Streitkräfte dargestellt.

Interne Umweltstudie 1990

Für die »Ökologischen Briefe« hat die MÖP einen internen Bericht der Bundeswehr über deren „liegenschaftsbezogenen Umweltschutz“ analysiert. Diese »verschwiegene Umweltbilanz der Bundeswehr«, so der Titel des Artikels, zeugt von großen Widersprüchen. In einem 1989 von der MÖP veröffentlichten internen Bundeswehrschreiben hieß es bereits in amtsdeutsch zum Thema Öffentlichkeitsarbeit: „Informationsschriften zeigen teilweise ein unrealistisch günstiges Bild vom geschilderten Umweltzustand, weil Betroffene klare Aussagen zu hindern suchen“. Dies hat sich mit dem vorliegenden internen Bericht vom Juni 1990, welcher zur Zeit in der Bundeswehr verteilt wird, nicht geändert. Er hat zur Aufgabe dem Vorwurf entgegenzutreten, die Bundeswehr verschweige gravierende Umweltdefizite oder verdecke diese mit positiven Ergebnissen. Er baut auf die Untersuchung von 1988 auf, wobei jedoch konsequent alle verfänglichen Angaben zugunsten einer aufwendigen, inhaltsleeren Gestaltung herausgestrichen wurden. Der Bericht beginnt schon im Vorwort mit einer Hochstapelei: alle Zahlen und Fakten seien größtenteils einer eigens für die Umweltschutzbelange erstellten „Umweltdatei der Bundeswehr“ entnommen worden. Es handelt sich hierbei lediglich um das »Unterbringungs-Fachinformationssystem-Physischer Umfang (UFIS-PU)«, welches in erster Linie für die „Unterstützung der Managementaufgaben bei der Realisierung großer Bauvorhaben der Bundeswehr sowie der Erarbeitung und Durchführung der Infrastrukturgesamtplanung“ eingerichtet wurde und Ende 1988 noch in der Einführungsphase stand.

Zum Thema Luftbelastung:

Der Stromverbrauch stieg von 1159 MWh 1979 auf 1572 MWh 1988, wobei er am Gesamtenergieverbrauch nur ca. 10% nach Berechnung der Bundeswehr beteiligt sei. Der Gesamtwärmeenergieverbrauch der Bundeswehr betrug 1988 9,47 Mio MWh. Demnach muß aber der Stromanteil am Gesamtenergieverbrauch bei ca. 16,6% liegen!

Zum Thema Wasserbelastung:

In dem Kapitel „Die Nutzung des Wassers durch die Bundeswehr“ wird eine Frischwasserzufuhr von 70.000 m3 pro Tag für die Bundeswehr angegeben. Insgesamt werden 27.628.594 m3 Wasser pro Jahr verbraucht. 63 Liter pro Tag und Person wurden in der Studie ebenfalls errechnet. Nimmt man die Gesamtverbrauchszahl als Berechnungsgrundlage, so ergibt sich ein täglicher Wasserverbrauch von 75694,8 m3 pro Tag, 5000 m3 pro Tag mehr, als die Bundeswehr selbst errechnet. Demnach liegt der Tagesbedarf jedoch bei ca. 113 Liter pro Person. Vom Gesamtwasserverbrauch werden 10.416.717 m3 (37,70%) selbst gefördert. Insgesamt sind 21.397.900 m3 (77,45%) Grundwasser und nur 6.231.694 m3 (22,55%) „sonstige Förderung“. Die Trinkwasserversorgung wird im Bundesdurchschnitt im zivilen Bereich mit nur 65% durch Grundwasser gedeckt. Anscheinend werden nichteinmal 15% der Bundeswehr-Abwässer in den vorhandenen Anlagen erfasst.

Der Bericht von 1990 unterschlägt die Angaben zu den anfallenden Rückständen insbesondere den Sonderabfällen und die fehlenden Wasserrechtsbescheide. Insgesamt ist der Bericht weniger konkret als der von 1988. Die aufwendige Gestaltung läßt den Schluß nahe liegen, daß es sich hier lediglich um Argumentations- denn um Grundlagenmaterial für eine wirkliche und notwendige Umweltvorsorge handelt. Der Bericht macht überhaupt keine Aussagen zu Problemfeldern wie dem Fahrzeugbestand und -gebrauch, Flugbetrieb, Lärm insb. Betriebs- und Schießlärm, Altlasten und neue Altlasten von den z.B. 900 verschiedenen Munitionsarten, Manöverschäden oder Gebrauch von FCKW u.a.

Somit reiht sich der Bericht in die vielen anderen Berichte ein. Er wurde dem Verteidigungsauschuß erst zwei Tage nach der letzten Sitzung am 26.10.90 übergeben, vier Monate nach Erscheinen.

Antwort auf Anfrage der SPD ungenügend und falsch

Für die SPD hat die MÖP eine Stellungnahme zu der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion Zivilisationsverträglichkeit von Verteidigungsvorbereitungen im Frieden (Bt-Drs. 11/7826) erstellt. Die gesamte Antwort ist nur als ein weiterer, untauglicher Versuch zu werten, die katastrophalen Zustände im militär-ökologischen Bereich zu tarnen. Einige Antworten sind derartig »Schönfärberei«, daß von einer objektiven Antwort, die jedem Parlamentarier zustehen, nicht gesprochen werden kann. Da die Fragen nicht detailliert genug gestellt wurden, hat die Hardthöhe es zum Anlaß genommen, Allgemeinplätze statt wirkliche Zustandsbeschreibungen zu liefern. Es handelt sich eigentlich nicht um eine Beantwortung im herkömmlichen Sinne, sondern um eine Kommentierung, die den wirklichen Umweltnotstand verdecken soll. Es wurde empfohlen, Beschwerde bei Frau Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth einzulegen. So heißt es z.B.: „Es gibt keinen Anhalt für Bodenverseuchungen durch Übungs- und Ausbildungsmunition auf Übungsplätzen der Bundeswehr und der Streitkräfte der Entsendestreitkräfte“. Es existieren jedoch bereits mind. vier Studien, die hier einen Zusammenhang nachweisen. Die ausführliche Anfragenanalyse kann für 10 DM incl. Porto bei der MÖP bestellt werden.

Einer weiteren Antwort auf eine SPD-Anfrage »Altlasten auf Liegenschaften der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte« (11/8101) kann man ebenfalls wenig entnehmen. Immerhin konnte sich die Bundesregierung zu folgender Aussage hinreißen lassen: „Durch den militärischen Betrieb auf den Liegenschaften der Streitkräfte sind bisher Gewässer- und Bodenbelastungen insbesondere durch Treib- und Schmierstoffe, chemische Lösungs- und Reinigungsmittel sowie durch Bleischrot beim Betrieb von Tontaubenschießständen bekannt geworden“.

Antwort auf Anfrage der GRÜNEN ungenügend und falsch

Einer Anfrage der GRÜNEN zum Thema »Militär und Klima« erging es bei der Beantwortung nicht viel besser. Zahlen und Aussagen stimmen wenig überein. Wie immer liegen der Bundesregierung keine Angaben zu den alliierten Streitkräften vor. Selbst beim Kerosinverbrauch, der sonst immer mit 900.000 t/a angegeben wurde, schweigt sie sich aus. Mengenangaben zum FCKW-Verbrauch gibt es nicht einmal für die Bundeswehr. Die Angaben zum Betriebsstoffverbrauch zeigen im Vergleich mit anderen bekannten Zahlen von 1985 und 1986 eine Zunahme. Das sie jetzt „tendenziell rückläufig“ seien, liegt wohl eher an der erwarteten Abrüstung. Die Angabe, die Bundeswehr produziere im Jahr ca. eine Milliarde m3 CO2 kann ebenfalls nicht stimmen. Umgerechnet ergebe dies ungefähr 2 Mio t CO2. Diese werden aber allein schon beim Kerosinverbrauch erzeugt. Daß die Bundesregierung nichts über die Klimawirksamkeit von Raketenstarts sagen will, ist angesichts der so groß angelegten Forschungs- und Aufklärungsaufgabe der Bundestags-Klima-Enquete-Kommission schlicht eine Farce. Nur oberirdische Atomwaffenexplosionen, Vulkantätigkeiten, Flugzeuge und Raketen können überhaupt direkt in die oberen Schichten der Atmosphäre eingreifen. Auch die vorgeschobene Unwissensheit gegenüber stark ozonvernichtenden Treibstoffadditiven ist in diesem Zusammenhang nicht zu akzeptieren. Obwohl die Bundesregierung spätestens durch die Anfrage für diese Thematik sensibilisiert sein müßte, gibt es keinerlei Hinweise auf geplante bzw. stattfindende Forschungsvorhaben.

Hintergrund dieser Anfrage der GRÜNEN ist eine Studie, die sie bei der Arbeits- und Forschungsstelle »Militär, Ökologie und Planung« (MÖP) e.V. in Bonn in Auftrag gegeben haben. Sie hat die Klimaverträglichkeit des Rüstungs- und Militärapparates zum Untersuchungsgegenstand.

Abschlußbericht des Unterausschusses »Militärischer Fluglärm/Truppenübungsplätze«

Ebenfalls am 24.10. wurde der Abschlußbericht des inzwischen dritten Unterauschußes »Militärischer Fluglärm/Truppenübungsplätze« beraten. Der Bericht ist äußerst mager (23 Seiten + Anhang) und gibt im wesentlichen die Presseverlautbarungen zum Thema Tiefflug, Soltau-Lüneburg-Abkommen, Truppenübungsplatz Grafenwöhr und Schießplatz Nordhorn-Range wieder. Im übrigen wird auf den umfangreichen Zwischenbericht verwiesen, den wir im MÖP-Rundbrief ausreichend kritisiert hatten. Interessant ist, daß es 104 Petitionen, davon zahlreiche von Gemeinden zum Thema Tiefflug, Lärm etc. gegeben hat. Unter dem Punkt Folgerungen und Ausblick heißt es: „Neben den dargestellten noch offenen Problemen zum militärischen Flugbetrieb und zu den Truppenübungsplätzen wird die weitere paralmentarische Aufmerksamkeit besonders den Altlasten auf Liegenschaften der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte gelten müssen“. Ob es allerdings in der nächsten Wahlperiode wieder einen Ausschuß geben wird, ist noch nicht bekannt.

Literatur

Olaf Achilles/Die GRÜNEN im Bundestag (Hg.): »Militär, Klima und Rüstung«; KÖF-Reihe Bd. 6; Alheim 1990
ders./MÖP e.V.: Stellungnahme zu der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion Zivilisationsverträglichkeit von Verteidigungsvorbereitungen im Frieden (Bt-Drs 11/7826); Bonn 1990
ders./dies.: »Verschwiegene Umweltbilanz der Bundeswehr« in: Ökologische Briefe 42; Frankfurt a.M. 1990
Bundesminster der Verteidigung: »Umweltschutz in Liegenschaften der Bundeswehr – Reinhaltung von Luft und Wasser Abfallwirtschaft«; Bonn November 1988
ders: »Umweltschutz in Liegenschaften der Bundeswehr – Luft, Wasser, Boden«; Bonn Juni 1990 1990
ders.: »Umweltschutz in der Bundeswehr – Grundlagen, Maßnahmen, Absichten«; Bericht des BMVg an den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages; Bonn 10.4.90
ders.: »Fachkonzeption Umweltschutz der Bundeswehr«, Bonn 4.10.90
Bundesregierung: „Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD – »Altlasten der auf Liegenschaften der Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte““ (Bt-Drs. 11/8101)
dies.: „Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion – Zivilisationsverträglichkeit von Verteidigungsvorbereitungen im Frieden (Bt-Drs 11/7826); Bonn 1990
dies.: „Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN im Bundestag Militär und Klima“ (Bt.Drs. 11/8337)

Gerade auch angesichts der eklatanten Umweltprobleme der Militärs in der ehemaligen DDR und auf den alliierten Liegenschaften in der ehemaligen BRD muß die Forderung von Umweltschützern und Friedensforschern endlich umgesetzt werden: ein Sondergutachten des Rates für Umweltfragen der Bundesregierung zum Bereich Militär.

Die Verwundbarkeit der Ökosphäre

Die Verwundbarkeit der Ökosphäre

Kooperation statt Dominanz als Chance für das Überleben

von Jürgen Schneider

Das Titelbild des Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden (Nr. 5, Dez. 1987) zeigte nach Abschluß des INF-Vertrages eine »neue Karte der nuklearen Welt«, in der 5 der Kästen (600-800 Megatonnen) der nuklearen Vernichtungskapazität als eliminiert gekennzeichnet wurden. Viele in der Friedensbewegung hatten wirklich geglaubt, nun werde die nukleare Abrüstung beginnen. Das wurde uns allen ja auch eingeredet. Aber die Wirklichkeit ist, daß bis heute kein einziger der atomaren Sprengköpfe vernichtet ist. Sie blieben entsprechend dem INF-Vertrag alle erhalten. Neue, modernere, raffiniertere Atomwaffen werden z. B. in Form von luft- und seegestützten cruise missiles gebaut. Es ist das alte »Falschspiel mit der Abrüstung«, wie es schon Alva Myrdal in ihrem Buch so eindrucksvoll und eindringlich beschrieben hat.

Es besteht also weiterhin leider kein Anlaß zur Sorglosigkeit. Die Friedensbewegung und alle, die sich für Abrüstung einsetzen, haben noch lange nicht gewonnen. Wir können die Hände noch nicht in den Schoß legen.

Die Situation der Ökosphäre ist auch nicht beruhigend, im Gegenteil. Wir leben in einem Zeitalter technokratischer Naturbeherrschung. Spätestens seit dem Beginn der Industrialisierung ist Natur, die Ökosphäre, in der wir leben und von der wir abhängen, für uns Menschen mehr und mehr zur Ware geworden, die wir möglichst effektiv und ökonomisch auszubeuten versuchen, um unsere steigenden Ansprüche zu befriedigen. Aber gerade diese Ansprüche haben ganz zwangsläufig wachsende Probleme der Versorgung und der Entsorgung nach sich gezogen. Die Schwierigkeiten wachsen uns sichtbar über den Kopf und alle Zeichen stehen dafür, daß die Probleme zunehmen.

Hubert MARKL, der derzeitige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat die Situation der Menschheit treffend folgendermaßen ausgedrückt:

„Der Menschheit steht das Wasser hoch am Hals und wenn der Geruch nicht trügt, handelt es sich zunehmend um Abwasser“ (Interview im SPIEGEL, Nr. 53, 28. 12. 1987, S. 130).

Lester BROWN, der Direktor des renommierten World Watch Institute in Washington schreibt (BROWN 1987):

„Um in einem Zeitalter globaler Folgen unseres Handelns verantwortbare Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir mehr Informationen denn je über die Konsequenzen unseres Handelns. Keine Generation hat bislang vor so komplexen Problemen gestanden, die noch dazu keinen Aufschub dulden. Frühere Generationen haben sich immer Sorgen um die Zukunft gemacht, aber wir sind die ersten, die vor der Entscheidung stehen, ob die Erde, die unsere Kinder erben, noch bewohnbar sein wird“.

Globale Probleme

Der Mensch hat, besonders seit der sog. Industriellen Revolution, größere Veränderungen in der belebten und unbelebten Umwelt bewirkt als alle Umwälzungen vorher in der mehr als 4 Milliarden Jahre alten Geschichte des Lebens auf der Erde. Nie zuvor gab es so deutlich meßbare und sichtbare Veränderungen der Natur und der natürlichen Stoffkreisläufe: Verstärkung der Erosion gegenüber der vormenschlichen Zeit um das 2,5-fache, Klimaveränderungen, Waldvernichtung, Artenausrottung, Belastung der Umwelt mit ständig neuen Stoffen und ihren Folgeprodukten, deren Synergese-Effekte in der Natur meist völlig unbekannt sind, CO2-Problem, Ozonabbau, Belastung der Atmosphäre mit künstlicher Radioaktivität, mit Säuren, Pestiziden und Schwermetallen und damit Schädigung der Böden, der Oberflächengewässer und der Grundwässer, Waldsterben, bedrohlich steigende Abfall- und Abwasser-Probleme, um nur einige täglich wachsende Probleme zu nennen. Dazu kommen im globalen Maßstab die Probleme der Überbevölkerung, des Hungers und der Not, von den vielen laufenden Kriegen ganz zu schweigen.

Nie zuvor in der Geschichte des Lebens auf der Erde gab es ein solches Massensterben, einen solchen umfassenden Genozid wie heute, den wir Menschen durch unsere maßlosen Aktivitäten ausgelöst haben und ständig wachsen lassen (EHRLICH & EHRLICH 1983). Wir sind auf dem besten Wege, bis zum Ende dieses Jahrzehnts an die 2 Millionen Tier- und Pflanzen-Arten unwiderbringlich ausgerottet zu haben, meist, bevor wir ihre Einordnung, ihre Funktion in den Ökosystemen oder gar ihren Nutzen für uns Menschen überhaupt kennenlernen konnten.

Wir sollten also eigentlich nicht nach der Verwundbarkeit der Ökosphäre fragen, so als ob sie noch ganz gesund wäre. Nein, die Ökosphäre ist bereits schwer verwundet, es stellt sich nur die Frage nach dem Grad der Verwundung.

Grundprobleme sind das exponentielle Wachstum der Erdbevölkerung, die sich in den nächsten 40 Jahren verdoppeln kann, die steigenden Bedürfnisse und Ansprüche an die Natur und ihre Ressourcen und die Arroganz des Menschen, sich für die Krone der Schöpfung zu halten. Dabei sind wir ja nur das unwichtigste, weil letzte Glied in der langen diffizilen Nahrungskette. Wir machen uns die Erde nicht nur untertan, nein, wir treten sie wie grausame Diktatoren ständig mit Füßen, vergewaltigen und quälen sie. Damit verletzen wir das Grundrecht auf Leben ständig und zerstören immer schneller die Lebensgrundlagen kommender Generationen. Das unkontrollierte Wachstum der Städte wird z. B. zum wachsenden sozialen und Umwelt-Problem. Am Ende dieses Jahrhunderts werden nach Hochrechnungen der Studie Global 2000 (1980) und des UNEP (1983) 50 % der Weltbevölkerung in städtischen Ballungszentren leben (Mexiko City z. B. hat heute bereits 18 Millionen Einwohner und wird in den nächsten 10 Jahren auf 30 Millionen Einwohner anwachsen). Für die Hälfte der Menschheit werden also in den nächsten 10 Jahren die sozialen, die Versorgungs- und die Entsorgungs-Probleme gewaltig ansteigen. Hier liegt ein hochbrisantes Konflikt-Potential.

Die globalen Umweltprobleme sind unzweifelhaft bedrohlich für das Überleben geworden. Dies gilt allein schon für die Belastung der Atmosphäre mit Treibhausgasen und ozonzerstörenden Substanzen.

„If unchecked, this impact might become so serious as to be second only to that of global nuclear war“. So formulierte es die Konferenz »The changing global atmosphere: Implications for global security« im Juni 1988 in Toronto.

Schon 1969 hatte die NATO erkannt, daß „die weltumspannende ökologische Krise sich letzten Endes als genauso ernst erweisen kann wie die Frage nach Krieg und Frieden“. Bis heute hat die NATO daraus keine erkennbaren Konsequenzen gezogen.

Die Kosten der Umweltsanierung

Gorbatschow hat in einer Rede vor der UNO festgestellt, daß ein neues System internationaler ökologischer Sicherheit undenkbar sei ohne Abrüstung und ohne wirkliche Klarheit über die weltweite ökologische Bedrohung. Was für die globalen Probleme gilt, ist für die Industrielandschaft Europa in besonderem Maße gültig. Wir können in Deutschland schon jetzt die Umwelt-Schäden nicht mehr bezahlen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten angerichtet haben. Und dabei kennen wir manche Schäden erst seit kurzer Zeit bzw. kennen sie noch gar nicht in ihrem ganzen Ausmaß. Täglich werden bislang unbekannte Altlasten aufgedeckt. Das gilt in besonderem Maß für die DDR. Nach einer Schätzung des BUND (Süddt. Zeitg. v. 21./22. 4. 1990) sind für die Reparaturen an der Umwelt in der BRD und der DDR in den nächsten 10 Jahren 1,7 Billionen DM nötig, davon ca. 400 Milliarden DM allein für die DDR, um sie auf den Standard der BRD zu bringen. Und der »Standard« der BRD ist ja angesichts unserer eigenen Umweltprobleme nicht gerade der erstrebenswerteste Zustand. Die Schätzung des BUND deckt sich leider sehr gut mit den Veröffentlichungen von Wilcke et al. vom Umweltbundesamt, die einen jährlichen Schaden an der Umwelt in der BRD in Höhe von 103 Milliarden DM berechnet haben.

Ein Beispiel: Wir haben in der BRD ca. 285.000 km Abwasserkanäle. Mindestens 15-20 % dieser Kanäle sind undicht und gefährden daher in bisher noch unbekanntem Ausmaß die Grund- und Oberflächengewässer. Der geschätzte Finanzbedarf allein für die Sanierung der gesamten bestehenden Kanalnetze für die Abwässer der BRD liegt bei mindestens 50 bis 70 Milliarden DM, also einem Jahresetat für das Militär der BRD.

Der Müll-Notstand

Ein weiteres Beispiel: Der Müll-Notstand steht vor der Türe, besonders, seit wir nicht mehr soviele Abfälle in die DDR karren können, wo sie z. T. der Devisen wegen verantwortungslos abgelagert worden sind. 99 % der jährlich anfallenden nachweispflichtigen Sonderabfälle, deren Toxizität äußerst vielfältig und nahezu unendlich ist, lagern wir oberirdisch, nur 1 % lagert unterirdisch im ehemaligen Salzbergwerk Herfa-Neurode in Hessen. Die jährlich anfallenden Sonderabfälle (4-5 Millionen Tonnen, das sind 200 mal mehr als die radioaktiven Abfälle, für die bis heute kein Endlager existiert), sind mengenmäßig 10 bis 20 mal mehr als in den vorhandenen Untergrund-Deponien untergebracht werden könnten (Herrmann 1987). Hier ticken Zeitbomben von hoher Brisanz, selbst in Friedenszeiten. Allein die Untersuchung solcher »Altlasten« wie in Georgswerder oder Münchehagen ist eine gesundheitsgefährdende Arbeit, wie jeder Geologe weiß, der solche Arbeiten einmal mit Schutzanzug und Gasmaske durchgeführt hat.

Man stelle sich vor: Eine der modernen Druckwellenwaffen in einem »konventionellen« Krieg trifft eine solche Sondermüll-Deponie. Das bedeutet chemischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung und die Natur auch ohne C-Waffen.

Rüstungsaltlasten

Erst durch die Recherchen und Aktivitäten von lange Zeit diffamierten Bürgerinitiativen wurden in den letzten Jahrzehnten und Jahren die großen Zahlen von Rüstungsaltlasten öffentlich bekannt. Im vergangenen November fand in Göttingen der erste Bundeskongreß zum Thema Rüstungsaltlasten statt (Buntstift e. V. 1989). Was in den Böden der BRD (und auch in denen der DDR), was in der Nord- und Ostsee an solchen Altlasten in Form von Granaten, Kanistern, Fässern, Minen und Bomben aus der Nazi-Zeit, allein mit hunderttausenden von Tonnen an chemischen Kampfstoffen wie Tabun, Sarin, Lost, Phosgen etc., verklappt, vergossen und vergraben worden ist, ist ein erschreckendes Arsenal. TNT-Rückstände aus der Munitionsproduktion sind teilweise so hoch, daß die Fachleute von »sprengfähigen« Böden sprechen. Man stelle sich vor, in eine solche »Deponie« fiele eine der modernen Druckwellenwaffen oder Brandwaffen. Kein einziger der bisher bekannten Standorte ist bisher saniert, z. T. weil niemand weiß, was dort genau liegt, und noch weniger, wie man eine Sanierung angehen könnte. Allein für die »Gefahrgutabschätzung« im Land Niedersachsen wurde ein 50 Millionen-DM-Programm aufgelegt. Jedenfalls wird allein die Untersuchung dieser Rüstungsaltlasten in Deutschland viele Milliarden kosten. Eine wenn überhaupt mögliche Sanierung würde viele Zehner-Milliarden kosten, die in den oben genannten Kosten noch gar nicht enthalten sind.

Die Folgen eines konventionellen Krieges in Europa

Dies sind nur einige wenige der Jahrzehnte alten Risiko-Potentiale, die in der BRD und in der DDR in schwer abschätzbarer Menge und Verteilung liegen und die im Falle eines auch nur konventionellen Krieges »Öko-Bomben« mit schweren und schwersten Schadwirkungen für Mensch und Umwelt darstellen. Daneben haben wir in Deutschland und in ganz Europa die große Zahl von mehr oder weniger bekannten in Betrieb befindlichen Risiko-Potentialen: Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen, atomare Zwischenlager, Raffinerien, Pipelines, Tanklager, Chemieindustrien, Munitionsfabriken, <>Rüstungsfabriken<> und Munitionslager. Allein am Rhein entlang liegen über 20 % der gesamten chemischen Industrieproduktion der westlichen Welt (Kummert et al. 1980).

Die Munitionslager der verschiedenen Land-Streitkräfte in Europa umfassen Mengen an Sprengstoffen, die ausreichen würden, um ca. 50 % der Fläche Deutschlands zu zerstören. Man stelle sich vor, daß alle oder ein Großteil dieser strategisch wichtigen Ziele durch moderne konventionelle Munition zerstört würden. Ein nur schwer vorstellbares Ausmaß an Freisetzung von toxischen Stoffen wäre die Folge. Es ist mir keine Beruhigung, wenn – wie auf dem Hamburger Kongreß geschehen – die Militärs sagen, sie würden solche Gefahren-Potentiale als strategische Ziele möglichst verschonen.

Ein ganz besonders wichtiger Punkt ist für den Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung der zu erwartende Zusammenbruch der Elektrizitätsversorgung mit allen katastrophalen Folgen für die Wirtschaft, den Verkehr und die gesamte Kommunikation. Darüber hinaus müssen die in einem konventionellen Krieg durch die Wirkung von modernen Druckwellenwaffen und Brandwaffen in Flammen aufgehenden Waldgebiete, evtl. trockenen Wiesen und Getreidefelder, die großen Mengen an verschiedenartigen Kunststoffen in Gebäuden, die vielen kleinen und großen Lager an explosiven und brennbaren Treibstoffen, Öl und Gas etc. als Quellen von Rauch, Ruß und Giftstoffen gerechnet werden. Hier hilft nicht mehr der Luftschutzwart des Zweiten Weltkrieges mit der Feuerpatsche und dem Sandeimer.

Die Belastungen der Atmosphäre und die Auswirkungen auf Klima und Ökosysteme sind schwer abschätzbar, sind aber mit Sicherheit eher in den Bereich der Szenarien über den »nuklearen Winter« einzuordnen.

Es ist also nicht nur das Gefahren-Potential durch die Einwirkung von konventioneller Munition auf ein intaktes Ökosystem, welches verheerende Wirkungen auslösen würde. Es sind die gesamten Gefahren-Potentiale einer modernen Industriegesellschaft und die gesamten Gefahren-Potentiale an Altlasten mit zu berücksichtigen, wenn man die potentiellen Schadwirkungen eines konventionellen Krieges in Europa vorstellbar machen möchte.

Das Ergebnis auch vorsichtiger erster Schätzungen und Berechnungen für einen Krieg in Europa kann nur lauten: Der hohe Zerstörungsgrad durch die modernen Waffensysteme in einem konventionellen Krieg in Europa würde die gesamte Infrastruktur in einem Ausmaß lahmlegen, welches in der Situation des Zweiten Weltkrieges keine Entsprechung findet. Viele Offiziere scheinen noch immer in Kategorien des letzten Krieges zu denken. So hat ein deutscher Panzer-General in einer Fernsehsendung allen Ernstes davon gesprochen, er könne mit seiner Panzerdivision ein Sperrfeuer mit atomaren Artilleriegranaten in ca. 30 km Entfernung legen. Die »Weiterentwicklung der Artillerie«, wie Konrad Adenauer die Atomgranaten bezeichnete, verfügt ja annähernd über die Sprengkraft einer Hiroshima-Bombe pro Granate.

In einem »konventionellen Krieg« in Europa wäre die soziale Desintegration die Folge der Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlagen, zumal die am wenigsten geschützte Gruppe von Menschen die Zivilbevölkerung wäre. Außerdem würden die Ökosysteme vorübergehend zusammenbrechen und damit die schon heute bedenklich belasteten Lebensgrundlagen in Form von unverseuchter Nahrung und unvergiftetem Trinkwasser sowie an sauberer Luft für lange Zeiten zerstört werden. Europa wäre, mindestens langfristig, unbewohnbar (Gonnermann & Mechtersheimer 1990).

Nur ein Wahnsinniger kann unter diesen Umständen einen Krieg in Europa für denkbar oder führbar halten. Wozu also die wahnwitzigen und teuren Rüstungsprogramme?

Jede Art von Kriegführungsszenario kann also nur ein Ergebnis haben: Die Zivilisation wäre im »Konflikt-« oder »Verteidigungs-Fall« an ein qualvolles Ende gelangt. Krieg ist nicht mehr führbar. Atomwaffen, chemische Waffen und andere Massenvernichtungsmittel sind nicht mehr nötig zur Abschreckung. Die moderne Industriegesellschaft allein ist bereits Abschreckung genug durch ihre mannigfaltigen alten und neuen Risiko-Potentiale. Eine Strategie der Kriegsverhinderung durch Kriegsführungsfähigkeit ist obsolet. Dennoch rechnen die Militärstrategen in ihren Kriegsszenarien immer noch mit der Vorbereitung auf die Führung eines Krieges mit konventionellen, nuklearen und chemischen Waffen. Daß selbst ein konventioneller Krieg in Europa ohne Inkaufnahme des totalen Ökozids nicht mehr führbar ist, das ist noch lange nicht in politische Handlungsanweisungen umgesetzt. Dies hat Flotillenadmiral Elmar Schmähling in seinem Vortrag über »Auswirkungen eines konventionellen Krieges in Europa« auf der Naturwissenschaftler-Fachtagung vor einem Jahr in Bochum bereits klar gesagt. Schmähling hat auch deutlich darauf hingewiesen, daß jede neue Generation von Waffensystemen und Rüstung zwar die Kriegsführungsmöglichkeit verbessert, die Überlebensfähigkeit der Menschen und der Ökosphäre aber weiter verringert.

Ich füge hinzu, daß durch jede neue Rüstungswelle auch ohne Krieg die Überlebensfähigkeit der Ökosphäre und damit der Menschheit insgesamt verringert wird, weil die Mittel fehlen, neue Wege des Umgangs mit den Lebensgrundlagen und neue Wege des Wirtschaftens und Produzierens zu erkunden, ernsthaft einzuschlagen und politisch durchzusetzen.

Verwendungsmöglichkeiten für das Militär

Dr. Gerhard Knies hat in einem Mediatus-Aufsatz (Knies 1989) die herrlich provokative Frage gestellt:

„Was, außer der Blasmusik, können wir vom Militär noch einsetzen?“

Ich denke, die Antwort ist nicht ganz einfach: Aber es gäbe da Möglichkeiten, die nicht als absurd bezeichnet werden können, z. B.: Die Soldaten und die großen Maschinen und eine Menge des Geldes könnten wir einsetzen, um Umweltschäden zu untersuchen, zu sanieren und den »Wiederaufbau« der durch den Zweiten Weltkrieg und durch die Folgen des rücksichtslosen Umganges mit den eigenen Abfällen und denen unserer Industriegesellschaften schwer geschädigten Umwelt zu betreiben. Weitere Mittel aus den Rüstungsetats – auch und besonders aus dem Sektor der militärischen Forschung und Entwicklung – sind nötig, um Konversion in Richtung auf eine ökologische Wirtschaft zu betreiben, also z. B. neue intelligente Verkehrs- und Energieversorgungssysteme auf Solarbasis zu entwickeln, um neue ressourcensparende und umweltschonende Produktionsverfahren mit einer Vielzahl von sinnvollen Arbeitsplätzen zu entwickeln, um Altlasten zu beseitigen, um endlich Mittel für Rüstungs-Konversion zu haben, und nicht zuletzt, um in den Ländern der 3. und 4. Welt lebens- und überlebensfähige Strukturen zu schaffen bzw. zu unterstützen und die Probleme der Entwicklung ärmerer Länder anzugehen (von der DDR bis Ruanda).

Wir brauchen auch klare Verbote für viele Produkte, die für die Umwelt und damit für das Überleben bedrohlich sind. Wenn wir die Produktion von FCKW oder schnellerer Autos z. B. weiter erlauben, so können wir – polemisch gesagt – auch Contergan oder Rauschgifte erlauben mit dem Argument, in einer »Freien Marktwirtschaft« regele die Nachfrage die Produktion und der »mündige Bürger« könne und solle die Entscheidung doch selbst treffen, welches Produkt er kaufen will.

Es darf nun keiner sagen, es würde für die Umwelt in der BRD nichts getan. Wir tun eine ganze Menge. Die Frage ist, wie groß diese Teilmenge ist und wie sie sich zu anderen Teilmengen verhält. Wir geben in der BRD für Umweltschutzmaßnahmen täglich 1,3 Millionen DM aus, aber wir geben fast 200 Millionen DM täglich aus für das Militär. Wir gaben in der BRD 1988 10 x mehr für militärische als für umweltbezogene Forschung und Entwicklung und 1000 x mehr für militärische als für Friedensforschung aus. Diese Prioritätsverzerrung bleibt weiterhin ein empörender Skandal, der den Widerspruch jedes empfindenden Menschen auslösen muß.

In den Ländern der 3. und 4. Welt sind – in zunehmendem Maß auch mit unseren Waffen – ständig Kriege geführt worden bzw. werden geführt. Viele davon sind überhaupt nur möglich durch unsere abgelegten aber auch unsere modernen Waffen. Im Hess. Rundfunk wurde am Fr. 22. 6. 90 mittags die Nachricht durchgegeben, daß die Bundesrepublik der Waffenexporteur mit den größten Wachstumsraten ist (Steigerung von 1988 bis heute um 60 % auf 1,3 Milliarden DM). Dies ist ein Skandal, besonders angesichts der offiziellen Propaganda, in der von Abrüstung stets geredet wird und Länder der 3. Welt ständig aufgefordert werden, Kriege zu beenden. Mit deutschen Waffen und mit deutscher Munition werden immer mehr Menschen in verschiedensten Ländern umgebracht. Ein gutes Geschäft? Viele meinen noch immer, mit Rüstungsexporten ließen sich auch auf Dauer gute Geschäfte machen. Die Bundesmarine wurde z. B. 1985 von Admiral Bethge, dem Vorgänger von Admiral Wellershoff, anläßlich seiner Verabschiedung in Kiel als „Werbeträger für die heimische Schiffbauindustrie“ und die Flottenverbände als „schwimmende Leistungsschau“ bezeichnet (Süddt. Zeitg. v. 19. 3. 1985). Dieselben für meine Begriffe perversen Töne waren bereits am 3. 12. 1901 in einem Schreiben des Präsidenten des Deutschen Flottenvereins an den Flotten-Propagandisten Admiral Tirpitz zu hören. Da wurde bereits argumentiert: (Durch den Bau der Kriegsflotte) „würden viele Industriezweige neue Aufträge erhalten, wodurch nicht nur diese über Wasser gehalten, sondern auch in den Stand gesetzt würden, ihre Arbeiter zu beschäftigen und bereits entlassene wieder einzustellen. Einer der wichtigsten Faktoren wäre aber der, daß durch den Auftrag neuer Kriegsschiffe und die dadurch herbeigeführte Belebung von Handel und Industrie die betreffenden Börsen-Kurse steigen, viele Werte gerettet und eine Konsolidierung des Marktes eintreten würde“. (Hug et al., 1979, S. 28). Manche haben wohl in den letzten 90 Jahren nichts dazugelernt. Wirtschaft kann demnach also nicht durch zivile Produktion, sondern bevorzugt durch Rüstungsproduktion florieren und aufrecht erhalten werden? Solche Einstellungen sind m. E. der ideale Nährboden und ideologische Rechtfertigung für illegale Exporte auch von U-Boot-Plänen oder C-Waffen-Fabriken bis hin zu Sturmgewehren, Panzern, Flugzeugen und Raketen. Es wurde auf dem Hamburger Kongreß von Militärs geäußert, sie seien an Rüstung nicht interessiert. Das glaube ich höchstens einigen Wenigen. Dazu haben die Militärs zu oft neue und bessere Waffen von ihren Politikern verlangt (und sie tun es heute noch) und dazu sind zuviele allzu früh pensionierte Militärs in gut bezahlte Positionen als Berater der Rüstungsindustrie gerückt.

Eine Welt für Alle?

In den letzten Wochen ist viel von der Entwicklung der 3. und 4. Welt geredet worden, besonders im Rahmen der vielen Sendungen zum Thema »Eine Welt für Alle«. Dabei ist immer wieder von Politikern der jetzigen Regierung die scheinbar selbstlose Hilfe zur industriellen Entwicklung angesprochen worden. Wichtiger wäre nach meinem Dafürhalten jedoch eine klare Stellungnahme zu folgenden Fragen gewesen: Sind wir Industrienationen, sind wir West-Europäer Vorbild oder Maßstab für die 3. und die 4. Welt? Nehmen wir das Beispiel der sogenannten »Entwicklungsländer«: Was heißt Entwicklungsland? Sollen und können alle Länder dieser Erde, sollen und können alle Menschen den jetzigen Lebensstandard der westlichen Industrienationen erreichen? Ist das finanziell und von der Ressourcen-Basis her machbar? Erlauben das die natürlichen Ressourcen (Schneider 1987)? Wir sind in den Industrieländern (IL) nur 1/4 der Menschheit und verbrauchen den größten Anteil an Ressourcen. Die »Entwicklungsländer« (EL) bzw. die »Unterentwickelten Länder« (UL) machen 3/4 der Menschheit aus (s. Tab. 1). In 10 Jahren werden 760 Millionen Menschen Arbeit suchen. Diese Menschen leben bereits heute. Kann für alle diese Menschen ein industrieller Arbeitsplatz geschaffen werden? Die Tabelle 2 zeigt eine Berechnung (die angenommenen Investitionskosten von 25.000 $ pro Arbeitsplatz sind nur ein Beispiel), welche für sich spricht.

Tab. 1: Anteile der Industrieländer (IL) bzw.
der Entwicklungs-/Unterentwickelten Länder (EL/UL) an der Bevölkerung und am
Ressourcen-Verbrauch.
Anteile an: IL EL/UL
der Weltbevölkerung 26% 74%
der Produktion marktverwertbarer Güter 78% 22%
Energieverbrauch 81% 19%
Kunstdüngerverbrauch 87% 13%
Traktoren 85% 15%
Eisenerzverbrauch 88% 12%
Weltrüstungsausgaben 87% 13%
Tab. 2: Investitionskosten für industrielle Arbeitsplätze.
Bangladesh 1.000,– $
Südkorea 29.000,– $
Brasilien 40.000,– $
westliches Industrieland 377.000,– $
Im Jahr 2000: 760 Mio. Arbeitssuchende
Bei ca. 25.000,– $ Investitionskosten pro industriellem Arbeitsplatz wären
19.000.000.000.000,– $ (19 Billionen) nötig.

Sind wir – so frage ich weiter – das geeignete Vorbild für die sich entwickelnden östlichen Nachbarn? Ist Wirtschaftswachstum bisheriger Art mit seiner Verschwendung von Naturgütern, der Ausbeutung von Natur, der Zerstörung von Umwelt und Lebensqualität und damit der Zerstörung der Lebensgrundlagen das allein selig machende Dogma? Die »freie Marktwirtschaft« wird am eigenen Abfall ersticken, wenn wir so weiter wirtschaften. Dies ist eine dem Entropie-Gesetz folgende, nicht zu umgehende Zwangsläufigkeit (Binswanger et al. 1978, FABER et al. 1983). Politik und Ökonomie müssen endlich lernen, daß die einfache Formel Produktivität=Funktion von Arbeit, Kapital und menschlichem Erfindungsgeist veraltet ist und höchstens kurzfristig den Wohlstand heben kann, nicht aber geeignet ist, das Überleben langfristig zu sichern. Die Naturvergessenheit der geltenden und herrschenden Ökonomie rächt sich zunehmend bitter, obwohl, oder gerade weil es uns momentan wirtschaftlich noch so gut geht. Aber wir beten das Wachstum des Bruttosozialproduktes wie das goldene Kalb an. Prof. Hans-Peter Dürr verglich dies auf der Hamburger Tagung mit einem Menschen, der von einem Hochhaus stürzt und immer schneller wird. Das läßt sich weiterspinnen: Noch im Vorbeifliegen am 3. Stock verkündet der Mensch jubelnd, es sei doch bisher alles bestens gegangen. Und manche die uns fliegen sehen, haben das dringende Bedürfnis hinterherzuspringen, weil sie den Jubelschreien des ersten Rasenden vertrauen. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, wann der rasende Flug zuende ist mit allen Folgen, deren Vorboten die Warner schon lange deutlicher sehen als die Jubler.

Wir in den reichen Industrieländern müssen umdenken und umschalten, um ein neues, besseres Vorbild zu geben. Wir müssen Schluß machen mit der Verschwendung von Gütern, mit der Ausbeutung der Natur und der Ausbeutung von Rohstoffe liefernden Entwicklungsländern. Und wir müssen endlich Schluß machen mit der Verschwendung von geistigen und materiellen Ressourcen für Rüstungszwecke, dem Rüstungswahnsinn, der höchstens noch der Darstellung von Dominanz dient. Konversion in der Rüstungsproduktion und auch in vielen Bereichen der zivilen Produktion ist nötig. Es gibt viele Signale und in vielen Schubladen der Industrie liegen schöne neue Technologien, die jeden high-tech-freak befriedigen, die zugleich aber, energie-, ressourcen- und umwelt- schonend sind. Die politischen Vorgaben fehlen. Militärische »Verteidigung« scheint allzu vielen Politikern noch immer viel nötiger als die Verteidigung unserer Lebensgrundlagen. Wollen wir unseren Wohlstand künftig mit Raketen oder mit dem Jäger 90 verteidigen?

Die Friedensbewegung und die Umweltbewegung haben weiterhin die gemeinsame dringende Aufgabe, für die nötigen Veränderungen das Bewußtsein bei den Menschen zu schaffen. Wir können und dürfen nicht aufgeben, nicht aufhören zu warnen, Alternativen vorzustellen und Umsetzungsstrategien zu entwerfen bzw. auf sie hinzuweisen. „Das ist schwer in einer Gesellschaft, in der die Grübelnden und die Handelnden getrennt sind“ (H.-P. Dürr auf dem Hamburger Kongreß).

Das Prinzip der Kooperation

Als Geowissenschaftler erlaube ich mir einen kurzen Rückblick in die Geschichte des Lebens auf der Erde. In den mehr als 4 Milliarden Jahren der Erd- und Lebensgeschichte hat sich im Verlaufe der Evolution ein Prinzip bestens bewährt: Das Prinzip der Kooperation, sowohl von einzelnen Organen innerhalb eines Organismus als auch die wahrscheinlich nicht bewußt erfolgte Kooperation von verschiedenen Organismen innerhalb eines Lebensraumes, ja sogar die Kooperation aller Organismen im Zusammenspiel mit den geologischen Prozessen auf der Erde im globalen Maßstab. (nachzulesen in dem bald erscheinenden Buch von Prof. Henno Martin, »Erdgeschichte und Menschwerdung«).

Kooperation, nicht Dominanz war in der ganzen Geschichte des Lebens stets das Erfolgsrezept für Höherentwicklung und Überleben. Diese Rezept gilt für Fragen des Friedens mit der Natur ebenso wie für die Fragen des Friedens unter den Menschen.

Die »Firma Natur« hat 4 Milliarden Jahre lang nicht »pleite gemacht«, weil die Evolution langsam und mit Bedacht arbeitet. Lernen wir aus der Erdgeschichte, aus der Evolution, übertragen wir ein Erfolgsrezept, das mehr als 4 Milliarden Jahre lang funktioniert hat, auf unsere heutigen, auch auf die politischen Verhältnisse und Verhaltensweisen. Das hieße aus der Geschichte zu lernen.

Brauchen wir für das Neue Denken neue Menschen? Aurelio Peccei, der verstorbene Initiator des Club of Rome, hat seinen »gemäßigten Optimismus« beschrieben (Peccei 1977, S. 49): „Obwohl eigentlich Laie, bin ich fest überzeugt, daß man dafür die menschliche Natur keineswegs zu verändern braucht. Wäre dies so, so wäre die Lage hoffnungslos. Vielmehr ist es die Rolle des Menschen und demzufolge seine Lebensweise, die sich der realen Welt von heute und seiner neuuerworbenen Macht anzugleichen haben. Das ist keine biologische sondern eine kulturelle Evolution, und daher übersteigt dieser Prozeß, so lange und so schwierig er auch sein mag, nicht unsere Möglichkeiten“.

Der Beitrag fußt auf dem Vortrag, den Prof. Schneider auf dem Kongreß der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« e. V. »Verwundbarkeit der Industrielandschaft Europa – Perspektiven kooperativer Sicherheit für die Nach-Militärische Ära«, Hamburg 22.–24. 6. 1990 gehalten hat.

Literatur

Binswanger, H. C., Geissberger, W. & Ginsburg, T. (1978): Der NAWU-Report: Wege aus der Wohlstandsfalle. Fischer, Frankf., 327 S.
Brown, L. R. (1987, Hrsgb.): Zur Lage der Welt 87/88–Daten für das Überleben unseres Planeten. World Watch Institute Report, S. Fischer, Frankfurt, 328 S.
Buntstift, e. V. (Hrsgb.): (1989): Altlasten der Rüstungsindustrie, Kraftzwerg e. V., Clausthal-Zellerfeld, Bundeskongreß Göttingen, 25./26. 11. 1989, Erweiterte Dokumentation. 178 S.
Ehrlich, P. R. & Ehrlich, A. H. (1983): Der lautlose Tod–Das Aussterben der Pflanzen und Tiere. S. Fischer, Frankf., 373 S.
Faber, M., Niemes, H. & Stephan, G. (1983): Entropie, Umweltschutz und Rohstoffverbrauch–Eine naturwissenschaftlich ökonomische Untersuchung. Lecture Notes in Economics and Mathematical Systems, 214, 181 S.
GLOBAL 2000 (1980): Der Bericht an den Präsidenten.- Zweitausendeins-Versand Frankf., 1438 S.
Gonnermann, B. & Mechtersheimer, A. (Hrsgb., 1990): Verwundbarer Frieden–Zwang zu gemeinsamer Sicherheit für die Industriegesellschaften Europas. Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin.
Herrmann, A. G. (1987): Untergrund-Deponie anthropogener Schadstoffe. Fortschr. Miner., 65, 2, 307-323.
Hug, W., Hoffmann, J. & Krautkrämer, E. (1979): Geschichtliche Weltkunde, Bd. 3, 286 S. Verlag Moritz Diesterweg.
Peccei, A. (1977): Die Qualität des Menschen–Plädoyer für einen neuen Humanismus. Deutsche Verlag-Anstalt Stuttgart, 232 S.
Knies, G. (1989): Die Unvereinbarkeit industrieller Zivilisation mit militärischer Gewalt. Mediatus, H. 12/89, 3-5.
Kummert, R., Osmann-Sigg, G. & Stumm, W. (1980): Gewässerschutz und Umweltökologie, Skript zur Vorlesung, Eidgen. Techn. Hochschule Zürich, EAWAG/IGW, 223 S.
Schneider, J. (1986): Rüstung oder Überleben–Frieden mit der Natur als Voraussetzung für die Existenz von Zukunft. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, 5/6, 26-30.
Schneider, J. (1987): Geosciences in Conflict: Provision of resources versus protection of environment. In: Arndt, P. & Lüttig, W. (Hrsgb.): Minerals Resources Extraction, Environmental Protection and Land-Use Planning in the Industrial and Developing Countries. E. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 29-46.
UNEP (1983): Umwelt weltweit. Bericht des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (UNEP) 1972-1982. E. Schmidt, Berlin, 668 S.

Prof. Dr. Jürgen Schneider, Institut für Geologie und Dynamik der Lithosphäre der Universität, Goldschmidtstr. 3, 3400 Göttingen

Die ökologische Kritik der Abschreckungspolitik

Die ökologische Kritik der Abschreckungspolitik

von Knut Krusewitz

Es gibt eine ökologische Geschichte des Kalten Krieges, eine Naturgeschichte der Abschreckung. Ihr Gegenstand sind die natürlichen Bedingungen und ökologischen Folgen der militärischen Indienstnahme, Instrumentalisierung und Gefährdung der Biosphäre und des Weltraums zur Aufrechterhaltung eines »Gleichgewichts des Schreckens« zwischen Nordatlantischer Allianz (NATO) und Warschauer Vertrag (WVO).

Aus dieser Geschichte sind zwei Erkenntnisse herzuleiten;

  • Die militärökologische Einsicht besagt, daß die militärische Abschreckungsdynamik erkauft wurde durch die Destabilisierung ökologischer Lebensbedingungen der Menschheit. Das stetige Wachstum der Vernichtungs- und Vergeltungsarsenale ging nicht zufällig einher mit einem wachsenden Verlust an globaler ökologischer Sicherheit.
  • Die friedensökologische Erkenntnis besagt, daß die Perestroika ihre ökologiepolitisch begründete Entspannungsdialektik entfaltet, die im NATO-Bereich von einer Ökologie- und Friedensbewegung vorangetrieben (werden) sollte, deren Interesse an der Überwindung der Abschreckungspolitik hinlänglich erwiesen ist.

So könnte der zweite entspannungspolitische Wandel in den Ost-West-Beziehungen innerhalb von zwanzig Jahren zu einer beispiellosen »Umwelt-Epoche« in der europäischen Nachkriegsgeschichte werden: Vor genau zwei Jahrzehnten thematisierte die NATO den engen Zusammenhang zwischen ökologischer Krise und Sicherheit – heute fordern die WVO-Staaten uns auf, die abschreckungspolitischen Konsequenzen aus den gemeinsamen Einsichten in die weltökologische Krisendynamik zu ziehen.

Die ökologische Geschichte der Abschreckung haben die Mitgliedstaaten der NATO und der WVO zwischen 1955 und 1985 objektiv gemeinsam gestaltet. Objektiv meint hier, das Abschreckungsverhältnis zwischen beiden Bündnissen erzwang ein spezifisches gemeinsames ökologisches Denken und Handeln, das wie wir später sehen werden, nicht mit den gesellschaftlichen Funktionsbedingungen innerhalb der beiden Bündnissysteme selber erklärt werden kann.

Der zeitliche Bezugsrahmen – 1955 bis 1985 – ergibt sich einmal durch das Gründungsjahr der WVO und zum anderen durch das Datum des Beginns der Perestroika in der UdSSR.

Dreißig Jahre lang konnten die meisten Länder in beiden Bündnissen über ihre Staatshaushalte in einem fast kriegsökonomischen Umfang (Renner, 1989, S. 7-24) die volkswirtschaftlichen, finanziellen, wissenschaftlichen und eben auch natürlichen Ressourcen mobilisieren, die ihre Abschreckungs- und Vergeltungsexperten glaubten, auf der Grundlage ständig fortgeschriebener Bedrohungsanalysen für die Reproduktion nuklearer, konventioneller und elektronischer Vernichtungsarsenale bereit halten zu müssen.

Diese Ressourcenbeschaffungsprogramme für das dynamische Realwachstum der unterschiedlichen Waffenarsenale waren indes nur eine Bedingung für die Entwicklung des Abschreckungssystems. Eine zweite Funktionsbedingung war die weder politisch noch ökologisch eingeschränkte Freiheit der Atommächte in beiden Bündnissen, die Erde und den Weltraum militärisch zu erobern, also für Produktion, Test, Stationierung von militärischer Abschreckungstechnik und den entsprechenden Manöverbetrieb der Streitkräfte zu nutzen. (Robinson, 1979; Westing 1980; Krusewitz, 1981; Benes, 1981; UNEP, Hrsg., 1983; Hauff, Hrsg., 1987)

Heute wird erkennbar, daß erst die Abschreckungsrealität mit ihren globalpolitischen, militärstrategischen und vernichtungstechnischen Implikationen eine totale Militarisierung der Biosphäre verursachte. Deren komplexe Rückwirkungen auf die Abschreckungsdynamik haben die Naturgeschichte der Abschreckung zu dem gemacht, was sie ist: die gigantischste, gesellschaftlich verursachte und zugleich unbegriffene Fehlentwicklung der Mensch-Natur-Beziehungen in der Weltgeschichte. Weil es aus abschreckungsstrategischen Gründen inzwischen keinen weltökologisch bedeutsamen Naturkontext mehr gibt, der als Kontinent, Weltmeer, Atmosphäre oder Weltraum nicht in die Kalküle der militärischen Vernichtungspläne einbezogen worden wäre, mußten auch die zivil organisierten Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft an globalstrategische Sicherheitsprinzipien der Abschreckungsmächte angepaßt werden. (Immler, 1984, S. 36-54, Krusewitz, 1986, S. 326-349; Bertell, 1987)

Mag sein, daß UmwelthistorikerInnen eines Tages den Nachweis liefern, daß die Militarisierung der Biosphäre kein Hauptziel der Abschreckungsplaner war; bereits heute ist nicht mehr zu bestreiten, daß sie das wesentliche ökologische Ergebnis der Abschreckungspraxis ist.

»Schutz« durch allgegenwärtige Vergeltungskraft

Abschreckungsplanung in Ost und West war und bleibt bis auf weiteres vor allem die Planung zur Führung und zur Verhinderung von Atomkriegen. Damit hat die Abschreckungsstrategie die Jahrtausende alte Gedankenfigur vom militärischen Angriffs- und Verteidigungskrieg ad absurdum geführt. Ein Krieg zwischen den Abschreckungsmächten ist nur noch als nuklearer Erstschlag und als nukleare Vergeltung, also als Vernichtungskrieg, denkbar. Der Schutz der NATO oder der WVO besteht nicht mehr in der Verteidigung, sondern, wie Raymond Aron in seinem großen Werk über »Frieden und Krieg« bereits vor über 25 Jahren nachwies, „in der Vergeltungskraft“, deren „Sicherheit“ wiederum durch „die Entfernung vom Feinde gewährleistet“ sei „als durch die Allgegenwärtigkeit.“ (Aron, 1986, S. 248; zuerst: 1962)

Daraus schließe ich:

Abschreckungsstrategien sind die einzige Kriegsplanungs- und Kriegsführungsoption, die nur dann »funktioniert«, wenn die gesamte Biosphäre, immerhin ein Kollektivgut der Menschen, von den Abschreckungsplanern als Medium der Kriegsführung »genutzt“wird.

Die Biosphäre als multifunktionales Manövergebiet

Aber auch dann, wenn der Kriegsfall zwischen Atlantischer und Warschauer Allianz niemals eintreten sollte, erzwingt die abschreckungsspezifische Strategiewahl ihre weltökonomisch ausgeprägte, und das beinhaltet eben – bündnisterritorial nicht begrenzbare – Militärpraxis. Denn sämtliche Atomkriegsübungen erfordern globale Naturnutzungsmuster für Ausbildungs-,Test- und Operationszwecke, die nur dann zu »realistischen« strategischen Erkenntnissen führen, wenn die Abschreckungsstreitkräfte „kriegsnah ausgebildet“ (BMVg., Hrsg., 1985) werden, mithin die Biosphäre und den Weltraum als multifunktionales Manövergebiet nutzen.

Angesichts dieser grundsätzlichen Beziehungen zwischen Abschreckung und Ökologie wundert es wahrscheinlich niemanden mehr, wenn die Abschreckungsstrategen auf dem Primat des Militärischen gegenüber dem Ökologischen beharren. Zumindest für die NATO-Planer ist diese Haltung nachgewiesen.(Krusewitz, 1985, S. 121 ff.; S. 126 ff.) Wer bereit ist, sich mit der Existenz einer »Abschreckungsvernunft« abzufinden, der muß tatsächlich am militärischen Primat festhalten. Andernfalls müßte er nämlich die Atomkriegsstrategen zum sicherheitspolitischen Offenbarungseid zwingen: Nuklearplanung, Atomkriegsübungen und Erstschlag wären nicht realisierbar, wenn sie ökologischen Imperativen unterworfen würden, folglich die Prinzipien, Normen und Restriktionen des Naturschutz-, Immissionsschutz-, Klimaschutz- oder gar Produkthaftungsrechts beachten müßten.

Den Antagonismus von Abschreckung und Ökologie

Abschreckung und Ökologie stehen in einem antagonistischen Verhältnis zueinander, ein Verhältnis, das nur auflösbar, nicht aufhebbar ist. Militärische Programmplanungen und ihre Umsetzungen in Ost und West haben sich bislang am Primat der Abschreckungs- und Vernichtungsfähigkeit orientiert, an der militärischen Fähigkeit also, durch den Erst- oder Vergeltungsschlag nicht nur die militärische, sondern auch die zivilen Strukturen, wozu allemal die Natur gehört, großräumig, langanhaltend und schwerwiegend zu zerstören. Im totalen Gegensatz zu solchen militärischen Planungen können ökologische Programme vom Primat der friedlichen Kooperation zwischen Völkern und Staaten hergeleitet werden. Die in der real existierenden Abschreckungswelt vorfindlichen Umweltprogramme sind zwar nicht frei von ökonomisch und sicherheitspolitisch verursachten Regelverstößen gegen wissenschaftlich gesicherte Einsichten in grundsätzliche Bedingungen eines von ökologischer Vernunft angeleiteten »Stoffwechselprozesses« zwischen Natur und Gesellschaft. Gleichwohl zwingen nicht einmal diese Umweltprogramme dazu, die Biosphäre für Ziele der politischen, ökonomischen oder ideologischen Vernichtung des Konkurrenten zu instrumentalisieren, ja, sogar manipulativ beherrschbar erscheinen zu lassen.

Ökologische Programme, die am Primat der Überlebensfähigkeit von Weltökologie und Menschheit ausgerichtet werden, können sogar als friedenspolitischer Hebel gegen die ökologischen Funktionsbedingungen der Abschreckung entwickelt werden mit dem Ziel, den Abschreckungszusammenhang aufzulösen. Nur Zyniker kämen auf den Gedanken, militärische Programme, die am Primat der Vernichtungsfähigkeit von Natur und Gesellschaft ausgerichtet werden, ließen sich zur Bewältigung weltökologischer Probleme einsetzen.

Kommen wir zur Abschreckungsdialektik, zur Beantwortung der Frage, ob, und wenn ja, wie, innerhalb der NATO und der WVO die abschreckungspolitisch verursachten ökologischen Krisenprobleme erkannt, erklärt und prognostiziert werden.

Ökologische Kritik der Abschreckung: Die NATO-Sicht

Die NATO war die erste welpolitisch einflußreiche Organisation, die versuchte, einen Handlungsrahmen zur Bewältigung der „weltumspannenden ökologischen Krise“ (NATO-Formel: 1969) zu entwickeln. Bereits im Jahre 1969 beschloß der Nordatlantikrat, das höchste Entscheidungsgremium des Bündnisses, “daß die NATO bei der Schaffung einer menschenwürdigeren Umwelt“ einen „bedeutsamen Beitrag“ leisten müsse. (NATO, Hrsg., 1971, S. 46)

Andere Institutionen des internationalen Politikmanagements haben solche ökologiepolitischen Ansprüche erst später formuliert:

  1. die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) im Jahre 1970;
  2. die Vereinten Nationen im Jahre 1972;
  3. die Europäische Gemeinschaft im Jahre 1973;
  4. die KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Jahre 1975.

Das erste Umweltprogramm einer bundesdeutschen Regierung wurde im Jahre 1971 verabschiedet. Es ist übrigens noch heute verbindlich. Die frühe thematische und konzeptionelle Beschäftigung der Nordatlantischen Allianz mit weltökologischen Problemen war durchaus anspruchsvoll; zu den Hauptthemenfeldern des im Dezember 1969 gegründeten »NATO-Umweltausschusses« gehörten in der Anfangsphase solche Probleme wie ökologische Krise und Stabilität, Umweltpolitik des Bündnisses, globale Umweltkooperation und ökologische Sicherheit. Ich erwähne dies aus zwei Gründen. Einmal, weil es heute die WVO-Staaten sind, die, wie noch darzustellen sein wird, über diese Umweltthemen ernsthaft mit den NATO-Ländern verhandeln wollen. Zum anderen, weil innerhalb der Nordatlantischen Allianz das anfängliche Problemniveau in den siebziger Jahren so nachhaltig vulgarisiert wurde, daß die Präsentation der folgenden ökologiepolitischen NATO-Positionen auch beim sachkundigen Publikum allemal Verwirrung stiftet.

„In der ganzen Geschichte der Menschheit“, lesen wir in einem NATO-Dokument, das im Jahre 1971 als »Das Atlantische Bündnis und die Umweltkrise« veröffentlicht wurde, „haben es die Nationen immer wieder für erforderlich gehalten, zum Schutz gegen äußere Aggressoren Bündnisse zu schließen. Für die Verschlechterung und den Verfall der Umwelt und der Ökologie und die damit verbundenen sozialen Erschütterungen, die für die etablierte Ordnung in den entwickelten Ländern vielleicht die ernsteste Bedrohung darstellen“ – und anscheinend eben nicht der Weltkommunismus« – „gibt es in der Menschheitsgeschichte hingegen kein Vorbild.“ Diese Form der Bedrohung „erfordert neue Arten von Bündnissen, damit die konzentrierte Kraft aller Beteiligten gegen den drohenden Umweltverfall eingesetzt werden kann.“ (NATO, Hrsg., 1971, S. 35)

Diese Argumentation verweist auf ein ökologisches Sicherheitsverständnis. Wenn der Verfall der Umwelt soziale Erschütterungen bewirkt, die zur Bedrohung der etablierten Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den entwickelten, also vor allem den NATO-Ländern führen können, dann reicht die tradierte militärische Abschreckungs- und Sicherheitspolitik nicht mehr aus, um die soziale Stabilität zu gewährleisten. Dies neue Sicherheitsverständnis, daß sich nicht mehr nur an militärischen, sondern auch an ökologischen Bedrohungserkenntnissen ausrichten sollte, hätte zu einer »ökologischen Dimension« der NATO entwickelt werden können, die wiederum als Grundlage für einen sicherheitspolitischen Paradigmawechsel nützlich gewesen wäre.

Die ökologische Krise unbestritten …

In der Frühphase der NATO-Umweltpolitik war zudem in den wichtigsten Allianzstaaten, den USA und der BRD, der bündnistransendierende Charakter der ökologischen Krise unbestritten. „Die Krise“ sei zwar „ in ihrem ganzen Ausmaß bisher noch nicht bekannt“, erklärte der NATO-Umweltausschuß im Jahre 1971, aber „daß wir uns in einer Krise befinden.“, stünde „außer Frage – einer Krise, die sich letzten Endes (!) für die Menschheit als genauso ernst erweisen mag wie die Frage nach Krieg und Frieden (!).“ Nicht nur die „Qualität des Lebens“ stünde nämlich „auf dem Spiel“, sondern „sogar die Möglichkeit des Lebens für die gesamte Menschheit“. (NATO, Hrsg., 1971, S. 12) SDI und Ozonlöcher, MX-Peacekeeper und Plutomiumverseuchung, Stealth-Bomber und Deponie-Zeitbomben, AirLand Battle und Ramstein, Pentagon-Budgets und USA-Wasserkrise lassen den NATO-Umweltausschuß seither grüßen. Bereits vor zehn Jahren wurde in der aufwendigsten Umweltstudie eines NATO-Staates, Global 2000, beklagt, „daß angesichts der Dringlichkeit, Reichweite und Komplexität der vor uns liegenden Herausforderungen“ die „auf der ganzen Welt in Gang gekommenen Anstrengungen (weit) hinter dem zurück“ geblieben seien, „was erforderlich ist“. Deshalb müsse „eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und gegenseitigen Verpflichtungen beginnen, wie sie in der Geschichte ohne Beispiel“ sei. (Council on Environmental Quality/State Department, Hrsg., 1980, S. 19 f.)

…aber die Praxis

Da war die Reagan-Administration, der MIlitärisch-Industrielle-Komplex und das erzkonservative Nordamerika vor. Weder die acht Jahre amtierende Reagan-Administration noch andere Regierungen innerhalb des Bündnisses haben seit Veröffentlichung der Global-2000-Studie auf die ständig wachsenden ökologischen Herausforderungen tatsächlich reagiert. Mir jedenfalls sind keine umweltpolitischen Aktivitäten und Verpflichtungen der NATO-Staaten bekannt, die zu der Vermutung Anlaß geben müßten, die historisch beispiellose Ära einer globalen Umweltkooperation habe bereits begonnen. Das Gegenteil dürfte stimmen.

Seit Ende der siebziger Jahre waren es nämlich die Ökologie- und Friedensbewegungen, die den Bedingungszusammenhang zwischen Abschreckung, Sicherheit und Ökologie zu einem Thema mit Praxis veränderndem Gehalt machten.

Diese Entwicklung hat die NATO durchaus registriert:

»Öko- und Friedensbewegung« erläuterte Günther Hartkopf, damals Umwelt-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, in der Sitzung des NATO-Umweltausschusses vom 17. Nov. 1981, „haben eine gemeinsame Grundstruktur: Sie wollen einen anderen, weniger an wirtschaftlicher Prosperität und mehr an Menschlichkeit, weniger in west-östlichem Lager-Denken und mehr in Kategorien weltweiter Mitverantwortung denkenden und handelnden Staat. Weltweite Sicherung des Friedens und Sicherung der überlebensnotwendigen Ressourcen sind gleichwertige Bausteine einer solchen »Umweltpolitik«. Folgerichtig sehen sie die Bundesrepublik nicht nur da in die Pflicht genommen, wo nationale Interessen direkt betroffen sind, wie z.B. beim Energieverbrauch, bei der Schonung der Ressourcen und der Natur, bei den Verteidigungsausgaben und bei der Entwicklungshilfe. Sie fordern Handeln auch da, wo im Rahmen des Nord-Süd-Konfliktes aus einer Gesamtverantwortung aller Regierungen dieser Welt jeder Regierung eine Mitverantwortung zukommt bei der Beseitigung von Hunger und Elend sowie für die Weiterentwicklung der Dritten Welt.“ (BMI, Hrsg., 1982, S.35)

Die sozialen Träger der NATO-Abschreckungspolitik haben eine völlig entgegengesetzte gemeinsame Grundstruktur: Sie bestreiten energisch deren Bedingungszusammenhang.

Die Position der Bundesregierung

Als repräsentativ für das heutige NATO-Problembewußtsein kann das außen-, umwelt- und sicherheitspolitische Selbstverständnis der amtierenden Bundesregierung gelten, wie es sich in der Beantwortung einer Anfrage der Grünen im Bundestag zum Thema „Folgen des Wettrüstens für die gesamteuropäische Umwelt“ vom August 1988 ausdrückte (Drs. 11/3874 v. 19. Jan. 1989).

Die hier interessierenden Fragen lauteten:

„Wie beurteilt die Bundesregierung die Erkenntnis der WVO-Staaten, wonach das Wettrüsten, vor allem auf nuklearem Gebiet, eine der gefährlichsten Ursachen für die Verschlechterung der Umwelt ist? Hat die Bundesregierung Studien veranlaßt, die diesen behaupteten Ursachenzusammenhang bestätigen oder widerlegen?“

Antwort: „Bei der zitierten Aussage handelt es sich nicht um eine »Erkenntnis« sondern um eine nicht belegte Behauptung. Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß die zur Gewährleistung unserer Sicherheit erforderlichen Verteidigungsanstrengungen „eine der gefährlichsten Ursachen für die Verschlechterung der Umwelt sind.“ “Bei der letzten Aussage handelt es sich zweifelsfrei um eine »Erkenntnis« unserer Regierung und nicht etwa um eine „nicht belegte Behauptung“.

Die andere Frage lautete:

„Die WVO-Staaten sind der Auffassung, “daß die Lösung der ökologischen Probleme eng mit der Festigung des Friedens und der internationalen Sicherheit sowie der Abrüstung zusammenhängt“. “Vertritt die Bundesregierung eine umwelt- und friedenspolitische Position, die dieser Auffassung nahekommt? Wenn nicht, worin bestehen die methodischen und sachlichen Differenzen?“

Antwort: „Die Bundesregierung bejaht die hohe Bedeutung, die der internationalen Behandlung und Lösung grenzübergreifender Umweltprobleme zukommt. Davon unabhängig ist die Friedenssicherung auf möglichst niedrigem Niveau der Rüstungen oberstes Ziel der Bundesregierung.“ und dann kommt's: „Internationaler Umweltschutz sowie Friedenssicherung und Abrüstung sind eigenständige (!), vorrangige Aufgaben, deren Lösungen nicht durch künstliche Verknüpfungen (!) behindert (!) werden sollte.“

Mit dieser abschreckungspolitischen Weltsicht fällt die Bundesregierung nicht nur um zwei Jahrzehnte hinter das frühe ökologische Sicherheitsbewußtsein der NATO zurück. Das wäre zu verschmerzen. Geradezu wahnhafte Realitätsvorstellungen offenbaren die Außen-, Umwelt- und Verteidigungsminister, die für die Beantwortung der Anfrage verantwortlich sind, wenn sie behaupten, ihre »Anstrengungen« zur Lösung umwelt-, friedens- und abrüstungspolitischer Probleme würden dadurch »behindert«, daß sie vom „potentiellen Gegner des Bundes“ (NATO-Jargon) »künstlich« verknüpft würden.

So, als ob die „zur Gewährung unserer Sicherheit erforderlichen Verteidigungsanstrengungen“ im Abschreckungssystem nicht längst die realen »Verknüpfungen« zustande gebracht hätten!

Die NATO hält an alten Denkmustern fest

Unfähig zu erkennen, daß die ökologischen Implikationen der Abschreckung selber zu einem ökologischen Sicherheitsproblem für die Menschheit geworden sind, halten die einflußreichsten NATO-Staaten dumpf, stur und verbissen an den gewohnten, inzwischen aber obsoleten Denkschemata und Organisationsmustern der abschreckenden Sicherheitpolitik fest. Als sei der weltökologischen Krisendynamik, den rasch fortschreitenden Prozessen der Klimaveränderung, der Meeresverseuchung, der Verwüstung nutzbarer Weltböden, der Entwaldung der Erde, das Aussterben ganzer biologischer Arten oder der Chemisierung und Verstrahlung der Biosphäre, mit Abschreckungspolitik beizukommen, halten unsere »Verteidigungsplaner« an den seit 20 Jahren als gemeingefährlich durchschauten Erkenntnismodellen der Bedrohungs- und Konfliktanalyse auch dann noch fest, wenn ihre Selbstgefährdung unabweisbar geworden ist.

Abschreckungsdialektik: Einer überragenden Mehrheit der Menschen hierzulande ist seit geraumer Zeit bewußt, daß die epochale Aufgabe, den Niedergang der Weltökologie zu verhindern, nicht zu bewältigen ist, wenn die Abschreckungsrealität in die Zukunft verlängert wird. Nicht zufällig ist der Zusammenhang zwischen „Bedrohungswahrnehmungen, Akzeptanz militärischer Verteidigung und Veränderungen von Grundorientierungen bei Jugendlichen“ zu einem Forschungsthema im »Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr« geworden. (Kern, 1989)

Ökologische Kritik der Abschreckung: Die WVO-Sicht

Die WVO-Staaten veröffentlichten im Juli 1988 ein ökologiepolitisches Positionspapier, das als „Folgen des Wettrüstens für die Umwelt und andere Aspekte der ökologischen Sicherheit“ während einer Tagung ihres »Politischen Beratenden Ausschusses« (15./16. Juli 1988) verabschiedet worden war. (Blätter, 1988, S. 1150 f.) Dies Dokument liest sich passagenlang wie die Anerkennung friedensökologischer Studien, Praxisberichte und Forderungskataloge der internationalen Ökologie- und Friedensbewegungen.

Er liest sich aber auch wie die Fortsetzung jenes berühmten Resolutionsentwurfs zum »Umweltkriegsübereinkommen«, den die Sowjetunion, unterstützt von einer Reihe anderer Staaten, im Jahre 1974 der Vollversammlung der Vereinten Nationen unterbreitete. „Die Resolution sollte nach dem Willen ihrer Urheber nicht nur den Waffenwettlauf und die Einführung neuartiger Kriegstechniken verhindern“, urteilte später der Schweizer Völkerrechtler Kurt Höchner, „sondern auch dem Schutz der Umwelt allgemein dienen. (Höchner, 1977, S.125)“

Wenn der im Okt. 1978 in Kraft getretene Vertrag über das „Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltveränderter Techniken“ (Fahl, 1980, S. 136-143) eine „Frucht der Entspannungsbemühungen der siebziger Jahre“ war (FAZ, 28. Mai 1983), dann darf man das Umwelt-Dokument der WVO-Staaten getrost als ein Ergebnis der Entspannungebemühungen der späten achtziger Jahre bewerten.

Die wichtigsten Erkenntnisse, Urteile und Postulate in diesem regierungsamtlichen Dokument ergeben zusammen eine radikale, ermutigende ökologische Kritik an jeder Version von Abschreckungsrealität und Apologetik.

Im diagnostischen Teil ihrer Argumentation räumen die Repräsentanten der WVO-Staaten ein, daß auch in ihren Gesellschaftssystemen noch sicherheits- und abschreckungspolitische Prinzipien und Praktiken herrschen, die mitverantwortlich sind dafür, „daß sich der Zustand der Umwelt ständig verschlechtert.“ Dazu gehören sämtliche militärische Aktivitäten, die ohne Umschweife als naturgefährdend behauptet werden: „Produktion, Lagerung und Transport verschiedener Waffenarten, der Bau von Militärobjekten und die Durchführung militärischer Übungen haben unmittelbare, negative Auswirkungen auf die Umwelt.“ In der bereits erwähnten Anfrage der Grünen an die Bundesregierung wurde auch gefragt, ob sie dieses WVO-Urteil „bestätigen oder widerlegen“ könne. Antwort: „Militärische Aktivitäten können(!) die Umwelt ebenso belasten wie andere menschliche Tätigkeiten.“ (Drs. 11/3974, S. 2) Da zu den »militärischen Aktivitäten« im Sinne der Bundesregierung per definitionen allemal kriegerische gehören, interpretiere ich diese Antwort als eine Mischung aus Arroganz, Dummheit und – vor dem Hintergund ungezählter ziviler Opfer militärischer Aktivitäten in Friedenszeiten bei Manövern, Tiefflug und Flugschauen – unerträglichen Zynismus. Abschreckungszynismus – eine notwendige Folge ihrer Abschreckungsarsenale, ihrer Abschreckungsökologie und ihres Abschreckungswahns?

„Das Wettrüsten“, erklären die WVO-Staaten, „zerstört in immer stärkerem Maße die Umwelt“, und die „Fortsetzung der Kernwaffenversuche, die großen Bestände an chemischen Waffen und deren unablässige Produktion, die Schaffung prinzipiell neuer Waffensysteme – all das kann unvorhersehbare und verheerende ökonomische Folgen haben.“ Hier allerdings irrten sich die Militär- und Umweltexperten des Warschauer Vertrages: all das »kann« nicht irgendwann verheerende ökologische Folgen haben, weil die bereits evident sind. Darüber mehr im nächsten Abschnitt.

Richtig wiederum ist die Erkenntnis, wonach das Wettrüsten – oder, in meiner analytischen Begriffswahl, die Abschreckung – „den Anstrengungen zum Umweltschutz“ zuwiderläuft und die „Lösung der bedeutsamen Aufgabe, ein harmonisches Gleichgewicht der Gesellschaft, Technik und Natur auf der Erde“, verhindert. Da die WVO-Staaten ihren eigenen Anteil am Wettrüsten nicht (mehr) bestreiten, interpretiere ich diese Haltung als ihre Verabschiedung vom Denken in apologetischen Kategorien der Abschreckungsvernunft.

Umweltorientierte Abrüstungsplanung

Im therapeutischen Teil ihres Positionspapieres schlagen sie vor, „den begonnenen Abrüstungsprozeß zu nutzen, um die Anstrengungen beim Umweltschutz zu aktivieren. Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung müssen mit konkreten Maßnahmen zum Schutz der Natur einhergehen.“ Diese Forderung eröffnet eine faszinierende Perspektive, die der umweltorientierten Abrüstungsplanung: In der Übergangs- und Auflösungsphase des Abschreckungssystems werden Waffenbeschaffungsprogramme, die bereits in langfristigen Finanzplanungen der NATO- und WVO-Staaten eingestellt wurden, nur noch bis zur Herstellung von entsprechenden Prototypen finanziert. Beide Bündnissysteme signalisieren sich in dieser Phase: Wir könnten Atomwaffen der »dritten“Generation, Stealth-Bomberflotten, neue Kampfflugzeuge mit »modularen“Abstandswaffen, binäre Chemiewaffen oder Röntgenlaser bauen, aber wir verzichten auf die Serienproduktion, weil unsere umweltkooperativen Interessen uns dazu raten. Die dadurch eingesparten Finanzmittel würden in einen Umweltfonds eingebracht, den die Mitgliederstaaten der NATO und der WVO gründen. Ein paritätisch besetzter Verwaltungsrat könnte dann konkrete Umweltschutzprojekte in den Mitgliedsländern (und anderswo) vorschlagen, deren Realisierung von den jeweiligen Parlamenten gebilligt werden müßten.

Ein solcher Umweltfonds böte, im Gegensatz zum bisherigen west-östlichen Umweltvertragswerk, das, an den Kooperationsformen der Abschreckungsrealität ausgerichtet, überwiegend umwelttechnische Transferleistungen regelt, eine friedenspolitisch gewollte materielle Basis für die Entwicklung der ökologischen Zusammenarbeit.

Zurück zur WVO-Position. Sie „erklären, daß sie aktiv dazu beitragen wollen, die dringlichen Probleme der Erhaltung der natürlichen Umwelt zu lösen und sie vor Kriegen und den Folgen des Wettrüstens zu bewahren.“ Die ökologischen Implikationen dieser Erklärung besagen, daß sie unter bestimmten Bedingungen bereit sind, zukünftig ihre militärischen Sicherheitsinteressen denen der ökologischen Sicherheit unterzuordnen. Zu diesen Bedingungen gehört nicht nur, daß die reale Abschreckungsdialektik auch in den NATO-Staaten ihre abrüstungsdynamische Wirkung entfaltet, sondern die „Gewährleistung der internationalen ökologischen Sicherheit“.

Sie erfordert, „verbindliche Prinzipien und Normen für das Verhalten der Staaten anzunehmen und die Hauptrichtungen der internationalen Zusammenarbeit auf ökologischem Gebiet zu bestimmen.“ Kaum vorstellbar, daß zu diesen »Hauptrichtungen« nicht der Zusammenhang von Abschreckung, Ökologie und Sicherheit gehören wird. „Diese Prinzipien, Normen und Richtungen sollen gemeinsam“ durch einen „konstruktiven Dialog ausgearbeitet werden. Ein entsprechendes völkerrechtliches Dokument könnte 1992 aus Anlaß des 20. Jahrestages der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen angenommen werden.“ Kommt der internationale Dialogüber eine verbindliche Konzeption der ökologischen Sicherheit zustande, dann bestünde noch begründete Hoffnung, daß endlich aus den weltweit unbestrittenen Erkenntnissen über Struktur und Dramatik der großen Weltprobleme die Realinteressen sämtlicher Völker auf diesem von Kriegen, Hungerepedemien, Armut, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Naturprobleme zerrütteten Planeten aufgedeckt werden. Durch den »ökologischen Sicherheitshebel« könnten die Realinteressen ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gehoben werden, ein Prozeß, der die Überwindung der Abschreckung gleichermaßen voraussetzt wie bewirkt.

Fazit

Die epochale Aufgabe, den Niedergang der Weltökologie zu verhindern, ist nicht zu bewältigen, wenn die NATO sich nicht von ihren langfristigen Abschreckungskonzeptionen – der AirLand Battle 2000-Doktrin, den Low Intensitiy Warfare-Programmen und der Discriminate Deterrrence-Strategie – rasch und eindeutig verabschiedet. Da die WVO-Staaten auf glaubwürdige, überprüfbare und überzeugende Weise damit begonnen haben, ihre Militärkonzeptionen und -doktrinen an Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit auszurichten, wurde den westlichen Abschreckungsoptionen die »Geschäfts«-grundlage entzogen.

In dieser historischen Situation sollte sich die internationale Friedens- und Ökologiebewegung auf die Verfolgung des umwelt–, außen– und friedenspolitischen Ziels konzentrieren, endlich den überlebenswichtigen Paradigmawechsel von der militärisch-abschreckend gestützten zur ökologisch-kooperativ fundierten Sicherheitspolitik zu vollziehen.

Literatur

Aron, Raymond, Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt, Frankfurt/M. 1986 (zuerst: Paris 1962)

Benes, Jaroslav, Radioaktive Kontaminination der Biosphäre, Jena 1981

Bertell, Rosalie, Keine akute Gefahr? Die radioaktive Verseuchung der Erde, München 1987

Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 33, Heft 9 (Sept. 1988)

Bundesministerium des Inneren (BMI), Hrsg., Umwelt Nr. 90 (5. Aug. 1982)

Bundesministerium der Verteidigung (BMVg.), Hrsg., Kriegsnah ausbilden. Hilfen für den Gefechtsfelddienst aller Truppen, Bonn 1985

Council on Environmental Quality/State Department, Hrsg., Global 2000. Bericht an den Präsidenten, Frankfurt/M. 1980

Fahl, Gundolf, Rüstungsbeschränkungen durch internationale Verträge, Berlin (West) 1980

Hauff, Volker, Hrsg., Unsere Gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987

Höchner, Kurt, Schutz der Umwelt im Kriegsrecht, Zürich 1977

Immler, Hans, Damit die Erde Heimat werde. Gegen ökologischen Selbstmord und atomaren Holocaust, Köln 1984

Kern, Lucian, »Bedrohungswahrnehmungen, Akzeptanz militärischer Verteidigung und Veränderungen von Grundorientierungen bei Jugendlichen«, in: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, SOWI-Arbeitspapier Nr. 23, München 1989

Krusewitz, Knut, Umweltkrieg, Königstein 1985

Krusewitz, Knut,“Militär, Ökologie und Gesellschaft«, in: Nobert Kunz, Hrsg., Ökologie und Sozialismus. Perspektiven einer umweltfreundlichen Politik, Köln 1986

Krusewitz, Knut, »Militär belastet die Umwelt: Probleme militärischer Umweltnutzung“, in: Jörg Hufschmid, Hrsg., Rüstungs- oder Sozialstaat?, Köln 1981

NATO, Hrsg., Das Atlantische Bündnis und die Umweltkrise, Brüssel 1971

Renner, Michael, National Security: The Economic and Environmental Dimensions, Washington 1989

Robinson, Julian, The Effects of Weapons on Ecosystems, Oxford 1979

Westing, Arthur, Warfare in a Fragile World. Military Impact on the Human Environment, London 1980

UNEP (United Nations Environmental Programme), Hrsg., Umwelt – Weltweit. Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen 1972-1982, Berlin (West) 1983

Dr. Knut Krusewitz ist Hochschullehrer an der Technischen Universität Berlin

Ökologie und Frieden

Ökologie und Frieden*

von Günter Altner

Unser desolates Verhältnis zur Natur ist seit langem durch bestimmte Weichenstellungen geprägt worden, die wir so ohne weiteres nicht aufzulösen vermögen. So möchte ich in meinem Referat, im Sinne einer kritischen Aufarbeitung, auf diesem Weg in die Vergangenheit zurückgehen.

Ich habe vor das in vier Schritten zu tun:

  1. Einige kurze Bemerkungen zur Situation der Krise zwischen Menschen und Natur.
  2. Der Ruf nach Frieden und Versöhnung mit der Natur erfordert eine tief in die Geschichte zurückgehende Aufarbeitung.
  3. Die Wiederentdeckung des Eigenwertes der Natur und die daraus resultierenden Verpflichtungen für Wissenschaft und Technik.
  4. Neue wissenschaftliche und gesellschaftliche Austragungsmuster zur Gewährleistung von mehr Frieden mit der Natur.

Die Krise zwischen Mensch und Natur

Man darf nicht verkennen, daß in den letzten zwei Jahrzehnten zugunsten des Umweltschutzes viel geschehen ist. Das Umweltbewußtsein hat sich in einem Maße vertieft, wie wir es vor ein oder zwei Jahrzehnten nicht erwarten konnten. Die Umweltpolitik ist zu einem zentralen Bereich politischen Handelns geworden, zahlreiche Umweltgesetze regulieren den Verbrauch der Natur. Die Staaten schließen über Grenzen hinweg Umweltabkommen. Inzwischen bestreitet niemand mehr, daß etwas geschehen muß im Verhältnis von Mensch und Natur. Über die Notwendigkeit des Umweltschutzes kann man sich auch spontan über Grenzen hinweg mit Wissenschaftlern aus dem Ostblock oder mit Vertretern aus den Entwicklungsländern verständigen. Und dennoch haben wir in den zurückliegenden Jahren den großen Ausverkauf der Natur nicht bremsen können. So ist es zwar gelungen, durch die Festlegung von Grenzwerten, national den Anteil von einzelnen Schadstoffen in Luft und Wasser zu senken, aber dafür ist der Anteil von einzelnen Schadstoffen, deren Auswirkungen wir im einzelnen noch nicht kennen, gestiegen. Und weltweit galoppiert der Artentod, sterben die Wälder, kranken die Seen, erwärmt sich das Klima, reißt über allem das Ozonloch auf.

Auf allen Gebieten, auf denen die Menschen bisher unter sich zu sein glaubten, »mischt« sich irgendwie die Natur dazwischen: Als Lebensgrundlage, aber vor allem heute als Müll, als Gift, als Strahlung, als Krankheit… Und überall dort, wo wir meinten, Natur auf Grund der von uns erkannten Gesetzmäßigkeiten einfach benutzen zu können, offenbart die Natur nun ihr gesellschaftliches Antlitz, als Müllproblem, als Krankheit, als Angst vor Verstrahlung, als Weltklimaproblem. Natur und Gesellschaft, Schöpfung und Menschheit sind im Prozeß der industriellen Moderne zu einer ebenso widersprüchlichen wie unauflösbaren Einheit geworden. Und diese Einheit hat die Gestalt der Überlebenskrise.

Wir müssen lernen, mit allem, was wir tun, auch der Natur Rechnung zu tragen, sie in unsere sozialen Bemühungen mit einzubeziehen, anderenfalls verwirken wir das Leben, belasten wir die Zukunft unserer Kinder. So wie die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert die Berücksichtigung der sozialen Frage unabdingbar machte, so stehen wir heute vor der ernsthaften Entscheidung, der irdischen Schöpfung entweder das Ihre zukommen zu lassen oder mit ihr unterzugehen. Aus dieser Situation kommt der Ruf nach Frieden und Versöhnung mit der Natur. Aber geht das nach der Entwicklung, die hinter uns liegt?

Der Psychotherapeut Martin Schrenk setzt hinter die vielfachen Anläufe und Versuche zu einer Versöhnung mit der Natur ein großes Fragezeichen. Er fragt: Kann Versöhnung mit der Natur überhaupt möglich sein? Wäre das nicht so, wie wenn einer im Nürnberger Gerichtssaal oder Eichmann in seiner Glaskabine den Juden zurufen wollte: Ich will mich mit Euch versöhnen! Schrenk will hier auf die Tatsache aufmerksam machen, daß diejenigen, die Natur im Zuge einer langen Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Industrie unterworfen und ausgebeutet haben, heute nun vorschnell aus Überlebensinteressen die Versöhnung mit der Natur ausrufen, ohne in eine tiefe Aufarbeitung und Nachdenkarbeit eintreten zu wollen. Vor jeder Suche nach einer Möglichkeit der Versöhnung mit der Natur muß das Eingeständnis der Schuld, muß ein Schuldbekenntnis stehen. Auch das ist wiederum ein schwieriger Punkt. Schuld, Schuldbekenntnis, Schuldaufarbeitung zwischen Menschen, das mag etwas sein, was wir verstehen, was wir auch zu vollziehen vermögen – aber kann das auch auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, mit Blick auf das, was zwischen uns gewesen ist, übertragen werden? Margarete Mitscherlich sagt, Trauer ist ein seelischer Vorgang, in dem ein Individuum einen Verlust mit Hilfe eines wiederholten schmerzlichen Erinnerungsprozesses langsam zu ertragen und durchzuarbeiten lernt, um danach zu einer Wiederaufnahme lebendiger Beziehungen zu den Menschen und den Dingen seiner Umgebung fähig zu werden. Gäbe es eine Möglichkeit, in einer Rückschau auf die europäische Wissenschafts-, Technik- und Industriegeschichte eine Trauerarbeit zu leisten, die uns in die Lage versetzt, zu einem neuen, lebendigen Umgang mit der Natur fähig zu werden?

Aufarbeitung der Geschichte

Das Bewegende an der Ökologiediskussion des letzten Jahrzehnts ist nicht zuletzt, daß zahlreiche Versuche einer solchen Aufarbeitung nach rückwärts stattgefunden haben. Aus diesen Denkansätzen und Traditionen heraus möchte ich ihnen drei Beispiele dieser zurückblickenden Aufarbeitungsarbeit vorführen. Sie reichen verschieden weit in die Geschichte des Lebens, in die Geschichte der Menschheit und speziell in die Geschichte der europäischen Menschheit zurück. Sie sprechen ganz verschiedene Stränge an, Stränge, die nur für unser heutiges Verhältnis zwischen Mensch und Natur unter dem Gesichtspunkt von Ökologie und Technik wichtig zu sein scheinen.

Da gibt es die Biologen, sie rätseln heute über die Bestimmung des Menschen. Ist der Mensch vielleicht doch eine biologische Fehlkonstruktion? Geht er an der Virulenz seines Großhirns zugrunde, wie die Säbelzahntiger ein Opfer ihrer überdimensionierten Zähne wurden? Das Großhirn ein gefährliches Belastungsorgan? Andere Biologen verweisen bedeutungsschwer auf die ungehemmte menschliche Aggression. Und dies in einer Art, da die großen Hoffnungen längst zeronnen sind, mittels Verhaltensforschung und unter Befragung der Graugänse Handlungsanweisungen für die Politik abzuleiten. Damals, – so lautet die These – unter den Voraussetzungen des Überlebenskampfes zwischen den steinzeitlichen Horden, sei dem Menschen das ihn heute noch kennzeichnende Aggressionspotential angezüchtet worden, nur – und das sei eben der entscheidende Unterschied, – seien eben inzwischen aus den Keulen unserer Altvorderen Raketen und ABC-Waffen geworden.

Diese These mancher Biologen befriedigt uns nicht. Wenn man ihre Logik aufzudecken versucht, so lautet das Ergebnis: Es geschieht der Natur ganz recht, daß wir sie zerstören; sie hat uns ja so konstruiert, daß wir sie zerstören müssen. Das führt an der Entscheidungsfreiheit des Menschen vorbei. Hier wird gewissermaßen ein theoretischer Netzwurf über die Naturgeschichte geworfen und aus diesem biologischen Netzwurf gefolgert, der Mensch sei fehlkonstruiert. Aber natürlich kann man sich zu dieser Theorie verhalten und feststellen, daß in dieser Theorie nicht alle Denkmöglichkeiten zur Deutung des Menschen enthalten sind. Aus seinem gesellschaftlichen Bewußtsein kann der Mensch auch anders sein und anders handeln wollen.

Nicht ganz so weit zurück an den Anfang der Menschheitsgeschichte, sondern nur in die jüdisch-christliche Tradition führt ein weiterer Aufarbeitungsversuch, der wiederum ein gewisses Licht auf unsere gegenwärtige Situation werfen kann. Wolfgang Giegerich, ein Psychoanalytiker aus der Schule von C.G. Jung, hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Die Atombombe als seelische Wirklichkeit. Ein Versuch über den Geist des christlichen Abendlandes“; mit einem Geleitwort von Herbert Pietschman, Ordinarius für theoretische Physik an der Universität Wien.1 Giegerich nimmt Bezug auf die jüdisch-christlichen Traditionen. Seine These: Es gebe in ihnen archetypisch vorweggenommen das, was sich in der Kernspaltung und im Bau der Atombombe und in der Anwendung der Atombombe später ereignet habe. Giegerich nimmt Bezug auf die bekannte Geschichte vom goldenen Kalb. Ich darf zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses daran erinnern: Moses kommt vom heiligen Berg und kehrt zum Lager seines Volkes zurück. Er trifft das Volk dabei an, wie es ein goldenes Kalb verehrt, eine große Kulthandlung mit diesem goldenen Kalb vollzieht, und Moses zerstört das Kalb: „Er nahm das Kalb, das sie gemacht hatten und zerschmelzte es im Feuer, zermalmte es zu Pulver und streute es auf das Wasser.“ Man kann auf jeden Fall, da hat Giegerich schon recht, diese Geschichte als eine urtypische Weichenstellung für die alttestamentlichen und selbst für die christlichen Traditionen in dem Sinne nehmen, daß der jüdisch-christlichen Frömmigkeit das Göttliche, das Heilige zu einem sehr frühen Zeitpunkt radikal aus der Natur herausgedrängt wurde. Und diesen Prozess der Verdrängung des Heiligen aus der Natur sieht Giegerich gewissermaßen als das Anfangsergebnis der Kernspaltung. Ich gebe ihm selber das Wort: „In Entsprechung zu den Kernspaltungen der Physik können wir die drei Aspekte der Ersten Kernspaltung folgendermaßen beschreiben.

  1. Die Göttlichkeit Gottes, die das erste Bestandstück des Bildes als solchen ausmacht, wird in den Himmel gehoben, oder eigentlich über alle Himmel hinaus, und wird rein spirituell. Sie leuchtet mit einer nie dagewesenen Intensität. Das ist das, was man heute in der Atomphysik bei der Kernexplosion »star« nennt.
  2. Das zweite Bestandstück des Bildes als solchen, das Irdisch-Sinnliche, wird durch die Abspaltung des Göttlichen zur (nicht mehr aus sich selbst heraus göttlichen) Schöpfung, das heißt zum Bloß-Natürlichen. Das ist die sogenannte nukleare Asche. Nukleare Asche gibt es also nicht erst als empirisches Resultat der buchstäblichen Kernexplosion dieses Jahrhunderts, die ganze Wirklichkeit ist vielmehr seit über zwei Jahrtausenden ontologisch nukleare Asche. Erst durch das Abstreifen der Göttlichkeit von der Welt wurde dies überhaupt in ihrer empirischen Nacktheit zugänglich und somit allmählich aufbereitet für eine freilich erst viel später einsetzende physikalische Forschung und technische Ausbeutung. Das was die Naturwissenschaften als ihre Gegenstände in den Blick fassen, ist nicht die ursprüngliche Natur, es ist immer schon ihre Asche. Das Gold des Goldenen Kalbes hätte gar nie einer chemischen oder physikalischen Analyse unterworfen, der Stier nicht für biologische Experimente benutzt werden können: weil das Prädikat Gott aus ihnen selbst hervorleuchtete.
  3. Die bei der Kernexplosion erfolgte Ausscheidung des Dritten der Zwei, der Bildlichkeit, brachte wie in der Physik die Freisetzung einer ungeheuren Energie. Diese freigesetzte Energie ist es, die erstens dem Gott den Schwung für das Abheben in die Transzendenz gab, die zweitens der Welt die Kraft für ihre Dämonisierung und für die immense Steigerung ihrer Wirklichkeit (ihres Wirklichseins) zuführte, wovon später zu handeln sein wird, und die drittens das erzeugte, was wir metaphysisch wie psychologisch den »Willen« nennen. Die uralte Geschichte von dem Goldenen Kalb ist also, im Zusammenhang der christlich-abendländischen Geschichte, zugleich auch der weit in die Zukunft vorausweisende Mythos von der Geburt des Willens im neuzeitlichen Sinn des Wortes, von der Geburt des neuzeitlichen Ichs, dessen innerstes Wesen der Wille ist.“ 2

Nun das ist, wie man so leger sagen würde, eine »steile« These. Aber eines ist an dieser These bedenkenswert und wird auch seit einiger Zeit lebhaft in der Theologie diskutiert: ob in diesem nüchternen Weltverhältnis, in diesem Abstrußen des Göttlichen von der Welt nicht eine entscheidende Weichenstellung zu sehen ist, die zu jener technisch-industriellen Kultur in Europa geführt hat, die so nirgendwo sonst auf der Erde entstanden ist.

Selbstverständlich gibt es auch im Alten Testament einen positiven Bezug zur Schöpfung, aber er ist nicht mehr dadurch definiert, daß das Heilige in der Natur anwesend gedacht wird, sondern dadurch, daß Schöpfung Geschenk ist, Existenzgrundlage aller Existenz, dem Menschen zu treuen Händen anvertrautes Gut, aber unbestreitbar durch eine abgrundtiefe Differenz vom Schöpfer selber getrennt. Das, so kann man sagen, sollte Geschichte machen. Insbesondere dann, als die Welt unter dem Einfluß von Wissenschaft und Technik zum Objekt des menschlichen Erkennens und zur natürlichen Ressource wurde.

An dieser Stelle gehe ich auf einen dritten Versuch der Aufarbeitung ein, der zeitlich wiederum ein Stück später anzusetzen ist, der uns an das Ende des Mittelalters und an den Anfang von neuzeitlicher Naturwissenschaft und Technik führt. Hier beziehe ich mich auf Carl Friedrich von Weizsäcker. Carl Friedrich von Weizsäcker hat in seinen Veröffentlichungen immer wieder davon gesprochen, daß von Galilei zur Atombombe ein schnurgerader Weg führe. Weizsäcker meint, es sei nicht nur die Rücksichtslosigkeit von Interessen, die Wissenschaft und Technik gefährlich und zerstörerisch gemacht habe. In der Erkenntnismethodik selber und in den durch sie ausgelösten technologischen Machbarkeiten liege das tiefere Problem des neuzeitlichen Fortschritts beschlossen. Die Welt als das Berechenbare, als die determinierbare, benutzbare Maschine, das war das Modell, dem man in den folgenden Jahrhunderten mehr und mehr Rechnung trug. Haeckel und Helmholtz sprachen im 19. Jahrhundert vom ewigen und unabänderlichen Kausalgesetz. Erst mit den erkenntnistheoretischen Umbrüchen in der Quantenphysik brach dieses Modell mechanistischen Herrschaftswissens zusammen. Hans Peter Dürr hat diesen Umbruch sehr plastisch geschildert. Der wesentliche Einbruch erfolgte durch die Quantenmechanik. War es bisher schon immer notwendig, bei ungenauer Kenntnis eines Zustandes auf ganz präzise Aussagen und insbesondere Vorhersagen zu verzichten, sich mit der Angabe ihrer Wahrscheinlichkeit zu begnügen, so stellt sich nun heraus, daß der Wahrscheinlichkeitscharakter von physikalischen Aussagen nicht allein von der subjektiven Unkenntnis herrührt, sondern im Naturgeschehen selbst eingeprägt ist. Eine noch so genaue Beobachtung aller Fakten der Gegenwart reicht prinzipiell nicht aus, um das zukünftige Geschehen vorherzusagen, sondern eröffnet nur ein bestimmtes Feld von Möglichkeiten, für deren Realisierung sich bestimmte Wahrscheinlichkeiten angeben lassen. Das zukünftige Geschehen ist also nicht mehr determiniert, nicht festgelegt, sondern bleibt in gewisser Weise offen. Das Naturgeschehen ist kein mechanistisches Uhrwerk mehr, sondern hat den Charakter einer fortwährenden Entfaltung. Die Schöpfung ist nicht abgeschlossen, die Welt ereignet sich in jedem Augenblick neu.

Hier fand das alte Bild von der Welt als Mechanismus und vom Menschen als Herrn und Meister der Natur ein Ende. Aber es wäre nun ganz irrig, wenn wir darauf hoffen wollten, daß die moderne Physik im Gefolge der Quantentheorie eine »weiche« Technik hervorgebracht hätte. Dort wo sich viele Vorgänge überlagern und technisch gebündelt und gesteuert werden, läßt sich daraus klassische Ausbeutungstechnik nach bewährtem Zuschnitt machen. Die Entwicklung der Atomtechnik als Bombentechnik und dann als friedliche Reaktortechnik, ist klassische Technik auf der theoretischen Grundlage einer ganz anders gearteten komplementären Physik. Das ist der Widerspruch des Atomzeitalters.

Kann man die Entwicklung der Quantenphysik als das Ergebnis einer internationalen wissenschaftlichen Leistung feiern, so führte die Atombombentechnik unter dem Druck des 2. Weltkriegs zu einer Spaltung der Wissenschaftlergemeinschaft, bei der die einen dort und die anderen dort am Bau der Bombe mitzuwirken hatten. Das erforderte, wie die Entwicklung in den USA zeigte, ganz neue Formen der Großtechnik. Aber darüberhinaus veränderte sich auch das politische Denken. Die Zerstörungsmöglichkeiten der Atombombentechnik begründeten die Strategie der Abschreckung. Die Physiker, die anfangs erkenntnis- und ideenleitend gewesen waren, gerieten hoffnungslos mit ihrem Können in politische Abhängigkeiten, aus denen sie sich bis heute nicht befreien konnten. Im Gegenteil, die Rüstungsforschung ist seit dem Bau der Atombombe einer ständigen Ausweitung unterworfen und dringt so in immer weitere Wissenschafts- und Wirtschaftsbereiche ein. In der Tat: von Galilei zur Atombombe führt ein schnurgerader Weg.

Der Eigenwert der Natur

Aber unter dem Druck dieser Fehlentwicklung, in der gewissermaßen noch einmal im Konzentrat die gesamte Entwicklung des neuzeitlichen Verhältnisses des Menschen zur Natur zum Ausdruck kommt, im Schatten der atomaren Zerstörungsmöglichkeiten, also hat sich nun in Theorie und Praxis ein neues Naturverständnis einzuspielen begonnen. Natur ist ein offenes Prozeßgeschehen, ist geschichtlich durch Einmaligkeit und Offenheit gekennzeichnet, unwiederbringbar in ihren jeweiligen Gestalten, unwiederbringbar auch in ihrer Jetztgestalt, wie wir sie heute zur Kenntnis zu nehmen haben. Dieses neue offene Naturverständnis hat interessanterweise eine breite ethische Diskussion über den Eigenwert der Natur provoziert. Diese ethische Diskussion hängt unmittelbar mit diesem neuen Naturverständnis seit dem erkenntnistheoretischen Umbruch in der Quantenphysik zusammen. Auch hier nur eine kurze Kennzeichnung. Da gibt es das Manifest österreichischer Wissenschaftler für den Umweltschutz. In dem heißt es: „Jede Form von Leben ist einzigartig und muß unabhängig von ihrem augenblicklichen Nutzwert für den Menschen geachtet und im Sinne einer elementaren Kulturleistung vor gedankenloser Ausrottung bewahrt werden.“ Hier wird in einer sehr deutlichen Sprache vom Eigenwert jeder einzelnen Naturform gesprochen, eben weil sich in ihr der Gang des bisherigen Prozesses spiegelt, weil sich in ihr jene Einmaligkeit zeigt, die für das menschliche Bewußstsein wahrnehmbar ist.

Ich habe hier eine einzige Stimme zitiert. Man könnte das Manifest der österreichischen Wissenschafatler in eine breite Palette von Überlegungen und Positionen eingliedern, über Hans Jonas bis hin zu Meyer-Abich, in denen unter sehr verschiedenen Ansätzen der Versuch gemacht wird, den Eigenwert der Natur, wie er unter den Krisen der Neuzeit für uns sichtbar gemacht worden ist, zu begründen. Insgesamt geht es also um eine neue Sensibilität gegenüber der Natur als Mitwelt im Sinne der Beachtung ihres selbständigen Wertes und Werdens. Nicht im Sinne romantischer Rückkehr in eine vortechnische und vorwissenschaftliche Zeit, sehr wohl aber geht es um die Entdeckung und Praktizierung gemeinsamer Überlebensinteressen, die Mensch und Natur zusammenschließen. Es geht um einen neuen, bewußten Stoffwechsel zwischen der menschlichen Gesellschaft und der Natur, der ökologisch und sozial nach beiden Seiten und auf beiden Wirkungsebenen zu verantworten ist. Das ist keine Kleinigkeit, wie wir aus der Konkurrenz sozialer, ökologischer, internationaler und auf die Zukunft der Generationen bezogener Bewertungskriterien wissen. Ökologische Sensibilität fügt sich nicht bruchlos mit den bisherigen Voraussetzungen und Zielen des Fortschritts zusammen. Überdies ist die Eigendynamik des wissenschaftlich-technisch-industriellen Komplexes auf dem Weg zu High-tech so stark und so geschlossen und so konzentriert und so unkontrolliert, daß sich die genannten Bewertungskriterien wie Gefühlsmusik im Windkanal des voranhastenden Fortschritts ausnehmen. Dennoch gilt es, die Kriterien ökologischer Orientierung, wie sie auf der Grundlage jener ökologischen Sensibilisierung in Richtung Eigenwert der Natur heute bewußt zu werden beginnen, in Form eines kurzen Katalogs zusammenzufassen:

Erstens:

Bei der Organisation von Technik ist die Selbstorganisation von Natur, auch der vom Menschen überformten Natur, möglichst weitgehend zu beachten und in das technische und wirtschaftliche Kalkül miteinzubeziehen.

Zweitens:

Beim Eingriff in die irdische Evolution ist auf die Kontinuität des bisherigen Prozesses, aus dem ja auch die menschliche Gesellschaft hervorgegangen ist, und auf die Vielfalt seiner Garanten zu achten. Wir leben in einer Zeit des sprunghaft wachsenden Artentodes und der daraus erfolgten Destabilisierung irdischer Öko-Systeme.

Drittens:

Beim Einlassen auf den Prozeß der Evolution darf die vorübergehende Einmaligkeit dieser Phase der Evolution, in der wir jetzt leben, nicht übersehen werden. Jede Phase ist unabdingbar notwendig. Ohne den Fortgang des nächsten Schrittes keine weitere Entfaltung des Lebens und sozialer Bedürfnisse des Menschen.

Viertens:

In der absichtsvollen Gestaltung der menschlichen Zivilisation ist der Zweck der Natur fortzusetzen und unter der Perspektive gesellschaftlicher Bedürfnisse zu steigern.

Es geht also insgesamt um eine sensible, tastende, Alternativen erwägende Steuerungskunst, die von ganz anderer Art ist als die flinken, vorschnell fixierten Fortschrittskonzepte von gestern. Gefordert ist eine Steuerungskunst, die bei allem, was sie tut, bei den wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch bei den technologischen Anwendungen, nach den Folgen fragt. Natur hat auch dort, wo wir sie überformen, in der Energietechnik, in der Chemietechnik, in der Landwirtschaftstechnik und wo auch immer, eine zu beachtende Eigenpotenz, die in das Kalkül unseres technischen Gestaltens als partnerschaftliches Element aufgenommen werden muß.

Das Glaubensbekenntnis der gegenwärtigen Technologie und Innovationspolitik hat demgegenüber eine ganz andere Ausrichtung. Bundesforschungsminister und BDI tönen miteinander:„Ideenreichtum, Mut zum Wagnis und zu neuen Wegen müssen unsere Antwort auf die technisch-ökonomische Dynamik der 80er Jahre werden, die uns zugleich fordert und Chancen bietet. Hier gilt es, die Positionen der deutschen Wirtschaft zu halten und auszubauen, weil von diesen Schlüsseltechnologien über das bereits heute realisierte Maß hinaus nachhaltige Wirkungen ausgehen werden, wenn sie in eine breite und differenzierte Produktpalette diffundieren.“3

Hier ist nicht von den Entwicklungsländern die Rede, auch nicht von der örtlichen Natur als entscheidende Ausgangsvoraussetzung menschlicher Produktion. Hier wird in einer klassischen Weise, bezogen auf die internationale Konkurrenz und bezogen auf die neuesten technischen Instrumente der Konkurrenzwirtschaft, der Wachstumswirtschaft das Wort geredet. Es gilt immer noch der Glaube, ich möchte sagen unser abendländischer, europäischer Glaube an die Allmacht wissenschaftlich-technischer Rationalität und der in ihr liegenden Gestaltungsmöglichkeiten, der diesen Erklärungen mitten in der ökologischen Krise die Feder geführt hat. Ich denke, es ist pure Gesundbeterei, wenn Lothar Späth mit Hilfe von High-Tech auf die geradezu selbstgläubige Renaturalisierung der technischen Zivilisation hofft. Auch wenn der informationstechnisch gesteuerte Produktionsansatz generell umweltfreundlicher ist als die alte Kohle- und Stahltechnik, so ist bei den zu erwartenden Zuwächsen mit einer steigenden Ausbeutung natürlicher und energetischer Ressourcen zu rechnen. Wenn der gesamte Bewertungsrahmen so bleibt, wie er ist, wenn der Aspekt der Natur als Gegenüber des Menschen so ausgeblendet bleibt, wie das in dieser Erklärung der Fall ist, besteht keine Hoffnung auf Frieden mit der Natur.

Es hat keinen Sinn, daß wir unseren ethischen Impuls hinsichtlich seiner Wirksamkeit überschätzen, wir nehmen an dieser Geamtentwicklung teil. Und das, was an zusätzlichen Gesichtspunkten aus der Umweltdiskussion kommt, greift bislang nicht wirksam genug. Es sei denn, wir verließen den Pfad der exzessiven Ausbeutung der Natur und würden uns der Nutzung material- und energiesparender Technologien und ökologisch orientierter Produktionsformen und einer Recycling-Wirtschaft zuwenden. Es geht also um Zielorientierung von Wissenschaft und Technik im kritischen Gegenüber zum industriell-militärischen Komplex. Es geht um Korrektur und Neuorientierung in einem Prozeß internationaler Konkurrenz, in dem Atomtechnologie, Raumfahrttechnik, Gentechnik, Informationstechnologien und Waffentechnologien dominieren.

Neue wissenschaftliche und gesellschaftliche Austragungsmuster

Das Generalziel ist schnell formuliert. es hätte zu heißen:

Im Gegenüber zu all diesen Zwängen, Sicherung des Überlebens der Menschheit, ausgewogenes Zusammenleben der Menschen mit der irdischen Natur, soziales Zusammenleben, innergesellschaftlich und international, aber entschieden eingebunden in die Gesamtverhältnisse der irdischen Schöpfung.

Es ginge insgesamt um ein neues Bewahrungswissen, um ein gleichgewichtsorientiertes Denken, das die irdische Biosphäre in ihrer unverwechselbaren Jetzt-Gestalt ernst nimmt und achtet. Diese Situation macht neue wissenschaftliche und gesellschaftliche Austragungsmuster notwendig. Der Präsident der Universität Tübingen konnte angesichts dieser Situation vor kurzem formulieren: „Wir haben wohl zu spät erkannt, daß das Überleben unserer Zivilisation nicht in erster Linie von Militärbündnissen, sondern vor allem von der intellektuell vorzubereitenden wachsenden Zusammenarbeit zwischen den Staaten, Regionen und Kulturen abhängen wird, und daß die zu ihrer Bewältigung notwendigen technischen Systeme einer breiten Konsensbildung bedürfen. Der Naturwissenschaftler kann, wenn er sich zu gesellschaftlichen Problemen äußert, seine apriorischen Annahmen mit Experimenten und Erfahrungen nicht mehr allein absichern, er weiß sich abhängig von wissenschaftstheoretischen und weltanschaulichen Vorgaben ebenso wie von seiner sozialen, ökonomischen und ökologischen Umwelt. Die Naturwissenschaften haben ihren autonomen Platz im gesellschaftlichen Umfeld verloren, und sehen sich fast unvorbereitet dem Anspruch ausgesetzt, daß Erkenntnisse ebenso wie deren technische Verwertung in der Gesellschaft verantwortet werden sollen“4

Das, was hier zunächst als eine Schwächung und Destabilisierung der Position des Naturwissenschaftlers und der Naturwissenschaften gilt, ist gleichzeitig die Voraussetzung für ein neues Verhältnis zwischen technischer Zivilisation und irdischer Lebenswelt. Die neue Kommunikationsdichte kann immer nur ein Mehr an demokratischer Politik bedeuten: ein Mehr an Kommunikation, ein Mehr an Abwägungen, ein Mehr an Abschätzungen von Alternativen. Eine solche Fortschrittsverantwortung im Sinne ökologisch orientierter Politik setzt Vielstimmigkeit und praktizierte Partizipationen voraus. In ihr müssen die, die anwaltschaftlich für den Schutz der Natur votieren und die, die sich für die Menschlichkeit der Produktionsprozesse einsetzen, also diejenigen, die ökologische und soziale Schutzinteressen geltend machen, in enger Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft und Technik stehen. Die Naturwissenschaften dürfen nicht an die Industrie ausverkauft werden. Und die Geisteswissenschaften dürfen nicht zu Akzeptanzwissenschaften verkommen. Interessenpolitik in der Demokratie kann und darf nicht nur wie in der Vergangenheit nach altem lobbypolitischem Zuschnitt gemacht werden, es sei denn jene aufkeimende Ehrfurcht vor der Natur in Verbindung mit der sozialen Verpflichtung und dem technologischen Entwurf wäre eine Täuschung. Wirtschaftsverbände und politische Administration tun sich nachweislich bis heute schwer, sich hier auf einen angemessenen Politikstil im Umgang mit der Ökologiebewegung, mit denjenigen, die ökologische Schutzinteressen vertreten, einzulassen. Dabei ist es doch am Tage, daß die so lebenswichtigen Alternativen, auf denen eine präventive Umwelt- und Fortschrittspolitik basieren könnte, ursprünglich nicht von den Parlamenten und nicht von den Hochschulen und nicht von den Industrien kamen. Gesucht und gefordert ist ein neuer Politikstil, wie es Reinhardt Ueberhorst immer wieder unterstreicht, ein Stil, der das Denken in Alternativen, das Abwägen so oder so gearteter Lösungen öffentlich betreibt.

Wir benötigen zur Gewährleistung dieser neuen ökologischen Orientierung bei der weiteren Gestaltung des Fortschritts einen offenen, diskursiven Politikstil, neue ergänzende Politikmuster. Ich nenne hier nur beispielhaft einige wenige Punkte. Natürlich benötigen wir die Einrichtung einer dem Parlament zugeordneten Technologie-Bewertungsstelle, vergleichbar dem Office of Technology Assessment (OTA) beim US-amerikanischen Kongress. Die Tatsache, daß das Parlament in den zurückliegenden Jahrzehnten immer erst im Nachhinein argumentieren konnte, zeigt ja überdeutlich, was hier fehlt. Und es ist eine beschämende Erfahrung, daß dieser Vorschlag für eine solche Technologie-Bewertungsstelle im Umfeld des Parlamentes, der von einer Bundestag-Enquete-Kommission in der vorigen Legislaturperiode erhoben wurde, bis heute verzögert und aus lobbypolitischen Gründen abgedrängt wurde.

Ich gehe noch weiter und sage: dieses herkömmliche Instrumentarium der Enquete-Kommissionen und einer solchen Technologie-Bewertungsstelle für das Parlament reicht nicht aus. Darüber hinaus ist zur Steuerung und Kontrolle der Eigenläufigkeit des technisch-industriellen Fortschritts sicher auch die Berufung von sogenannten Volksenquete-Kommissionen empfehlenswert, in denen alternative Forschungsansätze und ökologische und soziale Interessen für das Parlament in einer verpflichtenden Weise vertreten sein müßten.

Man könnte diese Liste der Forderungen noch weiter fortsetzen. Ich hebe hier nur noch einen Punkt hervor: die Erklärung und die Praktizierung von Moratorien, die Verhängung von Forschungsförderungs- und Produktionsstops im Falle kritischer, nicht hinreichend aufgeklärter Risikolagen. Wir benötigen, um Hans Jonas zu zitieren, „Gnadenfristen im Vormarsch des Fortschritts“. Kritische Wissenschaft, die ihre eigenen Methoden und die Folgen von Erkenntnis und Anwendung hinterfragt, Bürgerbewegungen und Sozialpartner müssen im Zuge eines großen gesellschaftlichen Umdenkungsprozesses lernen, miteinander im Blick auf die Folgen und im Blick auf die bestehenden Alternativen den Weg der Sorgfalt, der Prüfung und der Rücksichtnahme bei der ökologischen Gestaltung der Biosphäre zu finden. Wir stehen an einer Wendemarke, an der sich der Mensch der Herrschaft über seine technischen Mittel neu und in einem radikalen Sinne vergewissern muß. Wir bedürfen einer sorgfältigen Abstimmung unserer Interessen und neuer Formen des Naturumgangs. Das setzt ohne Zweifel auch neue rechtliche Regelungen für eine öffentliche Wissenschaftskontrolle voraus. Es ist der einzige Weg, den wir noch gehen können, wenn Überleben Ausdruck von Denken ist und Denken das Überleben der Menschheit und der irdischen Natur garantieren soll.

Anmerkungen

* Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Fassung des Vortrages von G. Altner auf dem Naturwissenschaftler-Kongreß in Tübingen (Dez. 1988). Zurück

1 Giegerich, Wolfgang: Die Atombombe als seelische Wirklichkeit. Ein Versuch über den Geist des christlichen Abendlandes. Schweizer Spiegel Verlag AG, Raben-Reihe, 1988 Zurück

2 Giegerich, Wolfgang: a.a.O., S. 300-301 Zurück

3 Zit. nach Altner, Günter: Unsere gemeinsamen Aufgaben – Über die Notwendigkeit des Zusammengehens von Ökologiebewegung und Gewerkschaften. In: Kieffer,K.W. u.a. (Hrsg.): Ökologisch denken und handeln: Strategien Mittlerer Technologie. Alternative Konzepte Nr. 67, Karlsruhe 1988, S. 67/68 Zurück

4 Theis, Adolf: Wie Katz und Maus? Zum Spannungsverhältnis zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. In: Futura 1/ 1988, S.20 Zurück

Prof. Dr. Dr. Günter Altner, Theologie / Biologie (Heidelberg)

Rüstung oder Überleben. Frieden mit der Natur als Voraussetzung für die Existenz von Zukunft

Rüstung oder Überleben. Frieden mit der Natur als Voraussetzung für die Existenz von Zukunft

von Jürgen Schneider

Täglich müßte eigentlich die folgende Meldung auf den Titelseiten der Tageszeitungen stehen: „Heute wieder 300 vollbesetzte Jumbo Jets abgestürzt! Niemand hat überlebt. 30 % der Insassen waren Kinder.“ In jedem Jahr sterben über 40 Millionen Menschen an Hunger. Das sind täglich 40.000 Kinder und 80.000 Erwachsene, die jämmerlich krepieren während wir unser durchaus problematisches prosperierendes Wirtschaftswachstum bejubeln. Jede Minute stirbt auf der Welt 1 Kind an Hunger, während jede Minute 5,3 Millionen DM für die Rüstung ausgegeben werden. 1979, im UNICEF-Jahr des Kindes, hatte das Weltkinderhilfswerk für Hilfmaßnahmen soviel zur Verfügung, wie die Welt in 2 Stunden für die Rüstung ausgibt. Weltweit werden 50 mal mehr Mittel für die Ausbildung und Ausrüstung eines Soldaten aufgewendet als für die Ausbildung schulpflichtiger Kinder (SIVARD 1983). Es muß allerdings erklärt werden, ob der Hungertod von Menschen auf der Welt unausweichliches Schicksal ist oder ob dafür bestimmte Strukturen verantwortlich sind, an denen wir aktiv beteiligt sind und daher mitverantwortlich.

Eine nächste Schlagzeile müßte lauten: „Heute wieder 12 Tier- und Pflanzenarten ausgestorben.“ Um 1900 starb jedes Jahr 1 Tier- oder Pflanzenart aus, heute sind es 12 Arten pro Tag und am Ende dieses Jahrhunderts wird es – wenn wir so weitermachen – jede Stunde 1 Tier- oder Pflanzenart sein, die völlig und unwiederbringlich ausgerottet sein wird. Am Ende dieses Jahrhunderts wird dann etwa bis aller Pflanzen und Tiere vernichtet sein, das sind insgesamt etwa 2 Millionen Arten. Ein Massensterben, ein Genozid dieser Größenordnung und dieser Geschwindigkeit ist ohne Beispiel in der mehr als 4 Milliarden Jahre währenden Geschichte des Lebens auf der Erde.

Wir haben als Menschen das Tempo der Evolution nach 4 Milliarden Jahren der langsamen Entwicklung auf ein revolutionäres Tempo gesteigert. Die letzten 45 Jahre des Atomzeitalters sind nur ein hundertmillionstel der Erdgeschichte. Aber wir haben es geschafft, Natur schneller zu zerstören, als sie sich regenerieren kann. Wir zerstören z.B. unsere Böden, die in den letzten 10.000 Jahren entstanden sind in rapidem Tempo. Bis zum Jahr 2000 werden ca. 18 % der Ackerböden erodiert sein.

Wissenschaft und Technik sind zur Grundlage geworden nicht nur von Erkenntnis, sondern auch von Naturbemächtigung und Naturzerstörung bis hin zur Möglichkeit der Vernichtung des Lebens in einem letzten totalen Krieg. Der Verlust von Tier- und Pflanzenarten bei gleichzeitigem exponentiellem Bevölkerungswachstum, die zunehmende Entwaldung, die fortschreitende Erosion, die Wüstenbildung, der Verlust von Anbau- und Wohnfläche, immer weniger reines Trinkwasser, die Verschmutzung der Atmosphäre und der Hydrosphäre, die Erschöpfung der ungleich verteilten natürlichen Ressourcen, menschliches Leid, Hunger und Elend wachsen. Die Erde wird von uns geplündert, Luft und Boden werden verseucht, Wasser vergiftet, Pflanzen und Tiere werden ausgerottet. Die Zerstörung unseres Planeten hat lebensbedrohende Dimensionen angenommen. Gegen diese Erkenntnis hilft keine Beschönigung.

Der lautlose Tod, das stille Sterben von Pflanzen und Tieren findet statt, ohne daß die Mehrheit der Menschen davon angemessen Notiz nimmt. Wir befinden uns – wie H. v. Ditfurth sagt (Ditfurth 1985) – in der Schlußprüfung der Evolution. Die nächsten Jahrzehnte werden darüber entscheiden, ob wir diese Prüfung bestehen oder nicht.

Zur globalen Situation

Die Studie „Global 2000 – Der Bericht an den Präsidenten“ (Global 2000, 1980) enthält zu den voraussichtlichen Veränderungen der Bevölkerung, der natürlichen Ressourcen und der Umwelt auf der Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts die heute wohl eindrucksvollste der Gesamtproblematik und zugleich das umfangreichste Datenmaterial dazu. Der Bericht zeigt unmißverständlich, was geschehen könnte, wenn wir keine Konsequenzen aus den Ergebnissen ziehen. Die Vertreter des US-Außenministeriums und des Council of Environment Quality schrieben im Vorwort an den damaligen Präsidenten Carter: „Die Schlußfolgerungen, zu denen wir gelangt sind, sind beunruhigend. Sie deuten bis zum Jahr 2000 auf ein Potential globaler Probleme von alarmierendem Ausmaß. Der Druck auf Umwelt und Ressourcen sowie der Bevölkerungsdruck verstärken sich und werden die Qualität menschlichen Lebens auf diesem Planeten zunehmend beeinflussen. – Angesichts der Dringlichkeit, Reichweite und Komplexität der vor uns liegenden Herausforderungen bleiben die jetzt auf der ganzen Welt in Gang gekommenen Anstrengungen allerdings weit hinter dem zurück, was erforderlich ist. Es muß eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Verpflichtung beginnen, wie sie in der Geschichte ohne Beispiel ist.“

Hatte dieser Bericht über die bedrohliche globale Situation Konsequenzen? Präsident Carter hatte seine „brain power“ mit den Untersuchungen zu dieser Studie Global 2000 beauftragt, um aus den Ergebnissen politische Konsequenzen ziehen zu können. Präsident Reagan hat gleich nach seinem Amtsantritt alle 50 hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb eines Monats entlassen und die Studie eingestampft. Die Folgestudie „Global Future – It´s time to act“ (Global Future 1981) wurde gar nicht mehr veröffentlicht. Reagan´s „brain power“ soll SDI aufbauen und weitere immer raffiniertere und kostspieligere Waffensysteme erfinden. Angesichts der in Global 2000 geschilderten Probleme und Bedrohungen der Biosphäre und des Lebens halte ich ein solches Verhalten für schlicht ignorant und verantwortungslos.

Eine internationale Behandlung der Ergebnisse dieser Studie ist bis heute nicht erfolgt. Oder hat jemand einmal etwas davon gehört, daß diese real existierenden und bedrohlichen Probleme eine angemessene Rolle auf den mit so großem Pomp aufgezogenen Weltwirtschaftsgipfeln gespielt hätten? Im Gegenteil: Die Studie Global 2000 wird abgetan,. diffamiert, beschönigt, verdrängt. Der Deutsche Bundestag hat im Oktober 1982 eine 4 stündige Debatte über Global 2000 abgehalten. Der Forschungsminister warnte vor einer Resignation vor den Problemen. Dabei blieb es dann auch. Es gab keine Beschlüsse, keine Programme, kein Aufschrecken, keine wirklich durchgreifenden Konsequenzen, höchstens ein paar – gemessen am Ganzen – halbherzige Symptombekämpfungen in Form von Teilbereiche des Systems erfassenden Umweltgesetzen. Die jetzige US-Regierung hat die internationale Kooperation auf diesem Problemfeld abgeblasen. Die übrige Welt der Industrienationen schließt sich dem Verschweigen an. In Ost und West erleben wir auf diesem Feld eine offizielle Vernebelungsstrategie. Staats- und privatkapitalistische Systeme verhalten sich in diesem Punkt gleichermaßen ignorant.

Wenn sich die weltweit heute festzustellenden Tendenzen und Entwicklungen der Umweltzerstörung, des Hungers und der militärischen Vergeudung von lebensnotwendigen Ressourcen nicht innerhalb kurzer Zeit grundlegend ändert, dann treibt unser Planet mitsamt der Menschheit in eine Katastrophe, deren Ausmaß in der Geschichte des Lebens ohne Beispiel ist. Wo immer wir unseren Blick hinwenden auf der Welt, die Prognosen der Global 2000 Studie erweisen sich im wesentlichen als erschreckend richtig. Aber die Symptome werden nicht wahrgenommen bzw. offiziell verdrängt. „An die Existenz einer weltweiten Katastrophe zu glauben, die sich lautlos vollzieht, ohne Blitz und Donner und ohne Gestank, das haben wir noch nicht gelernt“, schreibt Hoimar von Ditfurth (v. Ditfurth, 1985). Der „3. Weltkrieg“ gegen die Natur und die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen läuft – von den meisten nicht bemerkt – auf vollen Touren. Der Mensch ist dabei, einen stillen, aber wirkungsvollen Ausbeutungskrieg gegen Umwelt, Mitwelt und Nachwelt zu führen. Und er glaubt sogar, ihn gewinnen zu können durch immer mehr Einsatz an wissenschaftlich-technischer Intelligenz.

Fakten und Hintergründe der Bedrohung

Der Mensch hat unter gigantischem Fehleinsatz geistiger und materieller Fähigkeiten und Mittel die Möglichkeit entwickelt, mit seinem militärischen Vernichtungspotential in einem Weltkrieg, ja sogar in einem „begrenzten“ Atomkrieg den „nuklearen Winter“ auszulösen und damit alle ökologischen Kreisläufe zusammenbrechen zu lassen (z.B. Lobs, 1983). Dies würde das Ende jeder Zivilisation und jeder Kultur bedeuten. Die immer gewaltigere Rüstung dient dem Erreichen der Macht des Stärkeren. Dies ist Sozialdarwinismus in seiner perversesten Form.

Die exponentiell wachsende Ausbeutung der Erde wird unvermeidlich zu finalen Verteilungskämpfen um die letzten Ressourcen an Trinkwasser, Anbauflächen, Energie und metallischen sowie nichtmetallischen Rohstoffen führen.

Wir brauchen alle natürlichen und geistigen Ressourcen, alle Ideen zur Eindämmung des sicher für unsere Art aber auch für unsere natürliche Mitwelt tödlichen „3. Weltkrieges“, der heute gegen die Natur geführt wird. Rüstung als Vorbereitung auf einen möglicherweise zu führenden militärischen Weltkrieg wird absolut sinnlos' wenn der laufende Vernichtungskrieg gegen die Natur und unsere Lebensgrundlagen so weitergeht.

Von den 2,25 Millionen Wissenschaftlern in der weltweiten Forschung sind 500.000 mit militärischer Forschung und Entwicklung beschäftigt. Etwa 50 % aller Wissenschaftler und Ingenieure sind heute mit der Entwicklung von Waffen beschäftigt. Diese Menschen und ihr Sachverstand werden dringend gebraucht zur Bewältigung der existierenden Menschheitsprobleme. Aber nicht nur die Menschen werden gebraucht, sondern auch die Mittel, die in atemberaubend steigendem Maß in das Militär fließen:

„In der Welt kommen auf 100.000 Menschen 565 Soldaten und 65 Ärzte“ (Sivard 1983). In den 35 Jahren von 1946-1981 wurden 135 Milliarden Dollar für alle Entwicklungsprogramme der UNO inklusive Weltbank ausgegeben. Das erscheint eine große Summe. Aber das entspricht nur den heutigen Rüstungsausgaben von 7 Wochen. Die Kosten für ein Atom-U-Boot entsprechen heute dem Bildungsbudget von 23 Entwicklungsländern mit 160 Millionen Kindern im Schulalter. Eine makabre Verschiebung der Prioritäten.

Vor dem Hintergrund dieser Fakten sind die larmoyanten Reden der Regierungen der Industrienationen in West und Ost zu sehen, sie seien nicht in der Lage, ihre Entwicklungshilfeleistungen zu erhöhen. (Dazu ein Beispiel: Für die Lagerung der immensen Agrarüberschüsse geben die Länder der Europäischen Gemeinschaft jährlich 44 Milliarden DM aus. Damit kostete allein die Aufbewahrung der Butter- und Fleischberge (mit Strom auch aus Kernenergie) jährlich zehnmal mehr als die Bundesregierung weltweit für Entwicklungshilfe ausgibt (Stern v. 15.5.1986). Statt Entwicklungshilfe zu leisten, die den armen Ländern wirklich hilft, werden von den Industrienationen in Ost und West immer mehr technische Güter und Waffen exportiert. Die 3. Welt hat im letzten Jahrzehnt ihre Anteile am globalen Militärbudget auf 16 % erhöht. Diese Fakten sind nicht einfach nur Zahlen, sondern Dokumente der Verantwortungslosigkeit, aber auch der offensichtlichen Hilf- und Ratlosigkeit der gegenwärtigen offiziellen Außen- und Wirtschaftspolitik in Ost und West.

Moderne Industriestaaten sind in hohem Maße verwundbar durch wirtschaftliche Maßnahmen wie z. B. Schließung von Exportmärkten für Rohstoffe aller Art. Militärische Macht dient daher auch der Absicherung der ökonomischen Grundlagen für das exponentielle Wirtschaftswachstum der Industrienationen. 5-6 % aller Rohstoffe gehen heute in die Rüstung. Die Tendenz ist steigend. Damit sind langfristig nicht mehr beliebige Mengen an Rohstoffen vorhanden für das Wachstum der Rüstung und der zivilen wirtschaftlichen Ansprüche der Industrienationen, geschweige denn für die wachsenden Ansprüche der sich entwickelnden Länder mit ihrem z.T. äußerst rapiden Bevölkerungswachstum.

Das exponentielle Bevölkerungswachstum stellt uns global vor extreme Probleme. Die Industrieländer stellen heute 26 % der Weltbevölkerung, aber 78 % der Produktion an marktverwertbaren Gütern findet hier statt. Dabei verbrauchen wir 81 % der Energie, 70 % des Kunstdüngers,85 % der Traktoren, 88 % der Eisenerze und haben einen Anteil von 87 % an den Weltrüstungsausgaben. Die meisten der 2 Milliarden Menschen, die im Jahr 2000 mehr auf der Erde sein werden, leben in den unterentwickelten oder Entwicklungsländern. Dort existieren z.B. bereits heute 1,4 Milliarden Menschen ohne Zugang zu reinem Trinkwasser. Heute gibt es bereits ca.500 Millionen Arbeitslose in der 3. Welt und 30 Millionen Arbeitslose in den Industrieländern. Laut Studien der UN (UNEP 1983), der UNCTAD, der Weltbank und von SIPRI werden bis zum Jahr 2000 etwa 760 Millionen Menschen Arbeit suchen. Die meisten dieser Menschen leben bereits heute. Dies ist eine sozioökonomische Zeitbombe von höchster Brisanz. Unter der Annahme, daß ein Arbeitsplatz in der industriellen Produktion in einem Entwicklungsland 25.000 Dollar an Investitionen kostet (zum Vergleich: nach Angaben der Weltbank: in Bangladesch 1.000, in Südkorea 29.000, in Brasilien 40.000 Dollar und in einem Industrieland durchschnittlich 377.000 Dollar/Arbeitsplatz), dann wären bis zum Ende dieses Jahrhunderts 19 Billionen (19.000.000.000.000) Dollar nötig, um diese Arbeitsplätze in einer industriellen Produktion zu schaffen. Daß dies absolut unmöglich ist, ist leicht einzusehen. Die Konsequenz heißt aber auch: Herkömmliche Industrialisierung kann das Problem der Arbeitsplätze auf Dauer nicht lösen, weder in den Industrienationen noch gar in den Entwicklungsländern. Die an unseren Interessen, den Interessen der Industrieländer gemessenen Vorstellungen von Entwicklung und Entwicklungshilfe sind offensichtlich untauglich, um auch nur das Beschäftigungsproblem zu lösen. Angepaßte oder mittlere Technologie sind einzig mögliche Auswege.

Hunger und Not und ihre Gründe

Zuerst einmal muß der Versuch unternommen werden, das Problem des Hungers in den Griff zu bekommen. Der Hunger in den vielen Entwicklungsländern ist nicht primär das Problem mangelnder Düngemittel und Pestizide oder mangelnden Saatgutes, sondern ein strukturelles Problem (z. B. Brandt 1983, Mooney 1981).

D. h. zuallererst müssen die Besitzverhältnisse und die Verfügungsgewalt über die anbaufähigen Böden im Sinne der einheimischen Bevölkerungen gelöst werden. Dies ist nicht möglich, solange der Weltmarkt so funktioniert, wie er im Moment funktioniert. Auf großen Teilen der fruchtbaren Böden in den Entwicklungsländern werden nicht im Lande selbst benötigte Nahrungsmittel angebaut, sondern Nahrungsmittel für den Export, die Devisen bringen sollen (also „cash crop“, s. Mooney 1981), welche dann für zweifelhafte Industrialisierungsprojekte oder gar für aufwendige Rüstungsprogramme ausgegeben werden. Wenn diese Böden dann auch noch einem in- oder gar ausländischen Agrobusiness gehören, welches zentralisierte, technische und chemisierte Landwirtschaft betreibt, dann wird sich am bestehenden Hungerproblem gar nichts ändern.

Selbst konservative Berichterstatter wissen dies heute: „Gerade die steuerlich“ (d.h. politisch) „vielfach unterstützte Exporterzeugung von Nahrungsmitteln und Viehfutter ging auf Kosten des Anbaus der wenig attraktiven Basisnahrungsmittel wie Bohnen, Mais und Kartoffeln. Dafür trat die Agroindustrie ihren Siegeszug an. Sie stellte auf erstklassigen Böden hochmaschinell, technikintensiv und chemiekonzentriert erzeugte Nahrungsmittel in großen Volumina für den Export bereit. Doch Eiweiß für den Weltmarkt ist Eiweiß, das zu Hause fehlt. Die Agroindustrie konnte zwar (z. B.) Lateinamerikas Devisenhaushalte verbessern, aber nicht das Hungerproblem lösen. Angesichts der heutigen Überschuldung besteht auch keine Möglichkeit, von diesen Exporten abzurücken. Dieser Widerspruch zwischen Eiweißausfuhren und Eiweißmangel zu Hause wird die verbleibenden achtziger Jahre prägen“ (Handelsblatt, 30.8.1984, s. dazu auch Datta,1984).

Wenn die Karten der UN (s. Kidron & Segal, 1981) z. B. fast ganz Afrika als Nahrungsmittelüberschußregion ausweisen, d.h., daß dort hauptsächlich „cash crop“ angebaut wird, während dort die meisten Menschen hungern, dann ist das ein Beweis für die Ungerechtigkeit der sog. Weltwirtschaftsordnung. Ein „freier“ Weltmarkt nützt den Armen nichts, im Gegenteil. Die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrieländern steigt dadurch immer mehr und zugleich damit die Armut. Viele Entwicklungsländer dienen heute der Interessenlage der westlichen bzw. östlichen Industrienationen in mehrfacher Hinsicht, und dies macht verständlich, warum sie als Interessensphäre der jeweiligen Industrieländer reklamiert werden. Sie dienen vielen Industrieländern als Rohstofflieferanten (Energie- und mineralische Rohstoffe, Agrorohstoffe etc., s. z.B. Göricke & Reimann, 1982), sie dienen als Absatzfeld und auch als Versuchsfeld für neue und alte Waffen (Steigerung der Rüstungsausgaben in den Entwicklungsländern um bis zu 25 %), und nicht zuletzt dienen sie sogar als Natur- und Landschaftsreserve (z.T. stehen mehr Flächen in vielen unterentwickelten Ländern unter Naturschutz als bei uns). Entwicklungsländer sind auch vielfach der Produktions-„Hinterhof“ für die Billiglohnfertigung von bei uns benötigten oder scheinbar benötigten Produkten. Gleichzeitig dienen sie aber auch als Absatzhinterhof für die Überproduktion, die in den Industrienationen nicht vermarktet werden kann. Letzteres gilt besonders für den Agrarsektor, für Düngemittel, Pestizide, Pharmaka und Saatgüter, aber auch für andere Industrieprodukte. Immer mehr Gelder werden in die „Entwicklung“ dieser „Hinterhöfe“ der Industrienationen hineingesteckt, was zu weiterer Abhängigkeit führt. Die Schuldenlast der Entwicklungsländer ist inzwischen auf weit mehr als 2 Billionen DM angestiegen, eine astronomische Größenordnung. Die meisten dieser Länder werden ihre Schulden nie zurückzahlen können, im Gegenteil, sie müssen ständig neue Kredite auf dem internationalen Geldmarkt aufnehmen, um wenigstens die Zinsen bezahlen zu können. Die Handels- und Zahlungsbilanzdefizite nehmen in den meisten Entwicklungsländern zu. Viele Entwicklungsländer müssen inzwischen zur Bezahlung ihrer Schulden zwischen 5-10 % ihres Bruttosozialproduktes aufwenden. Das muß absehbar zu ihrem ökonomischen Ruin führen und damit zu einer weiteren Steigerung ihrer Abhängigkeit. Die Interessensphären der Industrienationen werden teilweise durch entsprechende Militärregime und militärische Unterdrückung in den Entwicklungsländern abgesichert. „Etwa die Hälfte der Regierungen in Entwicklungsländern werden gegenwärtig von Militär kontrolliert“ (Sivard 1983). Dies hält auch den internationalen Waffenhandel aufrecht und führt dazu, daß in den Entwicklungsländern immer mehr Devisen für Waffen und Militär ausgegeben werden. Damit steigt die internationale Abhängigkeit, steigen Hunger, Not, Armut und Arbeitslosigkeit bei der Mehrheit der Bevölkerung. Die Reichen werden trotzdem immer noch reicher und die Armen werden zwangsläufig immer ärmer. Die Gefahr lokaler militärischer Interventionen und globaler kriegerischer Konflikte steigt damit immer mehr an. Der bei uns ständig beschworene und wachgehaltene „Ost-West-Konflikt“, der schon für sich genommen bedrohlich genug ist, wird in unserer Wahrnehmung zunehmend zum Vorhang, hinter dem sich der Nord-Süd-Konflikt immer drängender und bedrohlicher entwickelt. Hierauf weist die Nord-Süd-Kommission seit Jahren hin, ohne daß dies von der Öffentlichkeit und der offiziellen Politik mit der gebührenden Aufmerksamkeit wahrgenommen würde. „Jede Verschärfung der Konflikte (mit den Entwicklungsländern) wie sie die unausweichliche Folge weiterer ökonomischer Ausplünderung und politisch-militärischer Intervention sein würde, verschlimmert nicht nur die unermeßlichen Leiden der Menschen dieser Region, sie könnte überall zu einem auslösenden Faktor eines nuklearen Weltkrieges werden“ (Kreye 1984).

Gleichzeitig gibt die Welt inzwischen über 2 Billionen DM pro Jahr für die Rüstung aus. Die Tendenz ist steigend. Ein Opfer dieses unkontrollierten Rüstungswettlaufes ist ohne jeden Zweifel die Weltwirtschaft. Für die hunderte von Millionen Menschen, die am Rande des Existenzminimums dahinleben, bedeuten die Militärausgaben unverminderte Armut ohne Hoffnung auf Erfüllung der elementaren Grundbedürfnisse. „Wie im Atomkrieg findet hier Völkermord statt“ (Sivard 1983).

Die Konsequenz

Die berechtigte Angst vor einem Nuklearkrieg und seinen katastrophalen Folgen darf uns nicht blind machen für die allgegenwärtige und real existierende Gefahr der Zerstörung unserer natürlichen und sozialen Umwelt, die schließlich auch die Umwelt der kommenden Generation ist. Die Menschheit ist nie zuvor einer größeren globalen Bedrohung ausgesetzt gewesen als unsere Generation. Das vernetzte System „Gaia“, unsere Erde mit ihrer Biosphäre, existiert seit mehr als 4 Milliarden Jahren. Weil sie immer mit negativ rückgekoppelten Systemen gearbeitet hat, hat die „Firma Natur“ in dieser langen Zeit der Erdgeschichte nicht Pleite gemacht. Dieses System Erde ist es wert, erforscht, verstanden und erhalten zu werden. Wir Menschen sind nicht die Krone der Schöpfung, aber wir haben durch unsere Vernunft und Einsichtsfähigkeit die Möglichkeit und die freie Entscheidung, dieses System zu erhalten oder zu zerstören.

Es ist eine zwingende Notwendigkeit, dem Frieden mit der Natur unbedingten Vorrang zu geben vor allen anderen Problemen. Sicherheitspolitik muß in allererster Linie Umwelt- und Zukunftssicherung sein. Militärische Sicherheitspolitik ist angesichts der globalen Probleme ein absoluter Anachronismus. Mit militärischen Mitteln lassen sich die globalen Probleme nicht lösen, höchstens vergrößern. Hier ist ein Umdenken bei Wählern und Politikern dringend erforderlich.

„Jede Waffe, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede abgefeuerte Rakete verkörpert im Grunde einen Diebstahl an jenen, die hungern und nicht genährt, oder an jenen, die frieren und nicht bekleidet werden“, resümierte bereits Dwight D. Eisenhower. Die Vereinten Nationen erstellten einen umfangreichen Bericht über den Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung. Darin wird die Notwendigkeit betont, Abrüstung als integralen Bestandteil von Entwicklung zu erkennen. Sicherheit, Abrüstung und Entwicklung sind unteilbar (z.B. Brock 1982 und UN-General Assembly 1981). „Rüstung und soziale Sicherheit geraten mehr und mehr in einen ökonomischen Gegensatz. In Zukunft wird beides zusammen nicht mehr zu haben sein“ (Steinweg, 1985). Militärausgaben sind eindeutig kontraproduktiv. Sie beeinflussen die zivilen Investitionen negativ (z.B. die dringende Entwicklung von alternativen Energiesystemen), sie lenken Forschungsaktivität auf Bereiche, die im zivilen Bereich kaum oder überhaupt nicht verlangt sind. Außerdem schaffen Militärausgaben weniger Arbeitsplätze als Ausgaben im zivilen Bereich. Konversionsprogramme (Umstellung militärischer auf zivile Produktion) müssen daher wichtige Bestandteile künftiger Wirtschaftspolitik und auch der kommenden Abrüstungsverhandlungen sein.

Es geht heute nicht mehr vorrangig um die Gegensätze zwischen Ideologien und Gesellschaftssystemen. Es geht um die Zukunft der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen und darum, ob es überhaupt eine Zukunft gibt. Das gilt heute global, ob Ost, ob Nord, ob Süd. Dies müssen die Öffentlichkeit und unsere Politiker erkennen und daraus Konsequenzen ziehen, deren erste in ernsthafter und essentieller Abrüstung bestehen muß.

Es müssen in allen Ländern angemessen interdisziplinäre und durch unabhängige Fachleute besetzte Gremien geschaffen werden, die sich mit den künftigen Entwicklungen befassen und diese bewerten, um die Bevölkerungs- und globalen Ressourcen- und Umweltprobleme in allen Planungen, Programmen und Entscheidungsprozessen entsprechend zu berücksichtigen (Global Future 1981). Eine ganz wichtige Aufgabe ist es dabei, die geschilderten Probleme als Realität anzuerkennen, die Systemzusammenhänge zu durchleuchten und dies ohne jede Beschönigung öffentlich zu machen, damit politische Entscheidungen auch getragen werden können. Daher sind auch Programme zur Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sinne aufzustellen. Die Schaffung öffentlichen Bewußtseins für die vernetzten globalen Probleme u.a. auch durch Einbeziehung dieser Problematik in die Lehre an Schulen und Universitäten in Form neuer Lehrpläne ist eine dringende Aufgabe. Nur durch genaue Kenntnis verantwortungsbewußter Bürger und Regierungen können die Probleme angegangen werden. Die Öffentlichkeit muß bewußt und aktiv an der Lösungsfindung beteiligt werden und teilnehmen. Offene und ehrliche Information, nicht Beschönigung und Verdrängung sind angesagt zur Bewältigung unserer Zukunftsprobleme.

Frieden durch Abrüstung und Frieden mit der Natur sind gleichwertig fundamentale Voraussetzungen für die Existenz von Zukunft. Ein Beginn auf diesem Weg ist der Abbau von Feindbildern nach innen und nach außen und eine neue Einstellung des Menschen der Natur gegenüber. Friedensforschung und Umweltforschung sind hervorragende Aufgaben und sind die wichtigste Herausforderung an uns, an unsere Hoffnungen und an unsere Fähigkeiten. Die Herstellung einer informierten und damit verantwortlichen Öffentlichkeit ist deshalb eine ganz wesentliche demokratische Aufgabe als erster Schritt auf dem Weg zu einer möglichen Zukunftsbewältigung.

LITERATURAUSWAHL

Brandt, W. (Hrsg., 1983): Hilfe in der Weltkrise – Ein Sofortprogramm – Der 2. Bericht der Nord-Süd-Kommission. – rororo aktuell, Verlag Rowohlt, Reinbek, Hamburg, 172 S.
Brock, L. (1982): Entwicklungspolitik und Rüstungswettlauf, Friedensforschung aktuell, Ausg. 4. Hess. Stiftg. f. Friedens- u. Konfliktforschg., Frankfurt S. 1-8.
Capra, F. (1985): Wendezeit – Bausteine für ein neues Weltbild. – Verlag Scherz, Bern, München, Wien, 512 S.
Datta, A. (1984): Welthandel und Welthunger. – Verlag dtv, München, 171 S.
Ditfurth, H.v. (1985): So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen – Es ist soweit. – Verlag Rasch & Rohring, Hamburg, 432 S.
Global 2000 (1980): Der Bericht an den Präsidenten. Zweitausendeins, Frankfurt, 1438 S.
Global Future, Es ist Zeit zu handeln (1981): Global 2000: Die Fortschreibung des Berichts an den Prasidenten. – Hrsg. d. dt. Ausgabe: A. Bechmann & G. Michelsen, Eine Veröffentl. d. Ökoinstituts Freiburg, Dreisam Verlag, Freiburg i. Brsg., 190 S.
Göricke, F. V. & Reimann, M. (1982): Treibstoff statt Nahrungsmittel – Wie eine falsche energiepolitische Alternative den Hunger vermehrt. – rororo aktuell, Verlag Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 181 S.
Kidron, M. & Segal, R. (1981): Hunger und Waffen – Ein politischer Weltatlas zu den Krisen der 80er Jahre. – Verlag Rowohlt, Reinbek bei Hamburg.
Kreye, O. (1984): Neue internationale Wirtschaftsordnung oder Rekolonialisierung der Entwicklungsländer? Zeitschr. f. Kulturaustausch, 34, H. 4, 325-333.
Lohs, K. (1983): Nach dem Atomschlag. – Pergamon Press, Kronberg/Taunus, 271 S.
Mooney, P.R. (1981): Saat-Multi und Welthunger – Wie die Konzerne die Nahrungsschätze der Welt plündern. rororo aktuell, Verlag Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 171 S.
Sivard, R.L. (1983): Entwicklung der Militär- und Sozialausgaben in 140 Ländern der Erde. UN-Report – 2. Deutsche Ausgabe, Militärpolitik Dokumentation, Extra 4, Verlag Haag & Herchen, Frankfurt, 44 S.
Steinweg, R. (1985): Rüstung und soziale Sicherheit. – Verlag Suhrkamp, Frankfurt, 448 S.
United Nations General Assembly, 36. Session (1981): Study on the relationship between disarmament and development. – Distr. General, A 36/356, 5. Oct. 1981, 177 S.
UNEP (1983): Umwelt – Weltweit, Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) 1972-1982, Beiträge zur Umweltgestaltung, Bd. A 88, Verlag E. Schmidt, Berlin, 674 S.

Jürgen Schneider ist Professor am Institut für Geologie und Dynamik der Lithosphäre der Universität Göttingen und Mitglied der Naturwissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden“

Ökologie und Militär

Truppenübungsplatz als Biotop?

Ökologie und Militär

von Thomas Lenius

Seit einiger Zeit versucht die Bundeswehr ihre Bemühungen im Umweltschutz, bedingt auch durch die militärische Sinnkrise, verstärkt öffentlichkeitswirksam darzustellen. Mit Hilfe einer publizistischen Offensive wird ernsthaft versucht, die Bundeswehr als den größten Umweltschützer der Nation hinzustellen (siehe hierzu z.B. Ausstellung und Broschüre »Bundeswehr und Umweltschutz«). Diesen Bemühungen ist offensiv zu begegnen.
Die Natur braucht kein Militär, das sie vor den Menschen schützt. Dies wäre ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, das, wenn zu Ende gedacht, zur Forderung nach Fortbestand der Streitkräfte führt, weil nur so Schutzgebiete für die Natur gesichert würden.
Seit Jahren ringen Umweltschützer, Friedensforscher und andere für eine von zivilen Stellen erstellte Umweltbilanz des Militärs, etwa in Form einer Studie des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Würden endlich alle Daten auf den Tisch gelegt, wären wir bereits einen großen Schritt weiter gekommen.
Etliche Studien haben ergeben, daß sich z.B. auf den Truppenübungsplätzen Flächen von erheblichem ökologischem Wert entwickelt haben.

Einführung

Die Erkenntnis, daß das Militär systembedingt in keinsterweise zur Verbesserung oder auch nur zum Erhalt der derzeitigen Umweltsitutation beitragen kann, war schon immer für Umweltschützer klar. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI rechnete Mitte der 80er Jahre 25 % aller Umweltbelastungen weltweit dem Militär an.

Die Umweltbelastungen gelten bereits für Friedenszeiten, im Krieg natürlich noch weitaus mehr. Die traurige Verbindung von Krieg und Umweltschäden ist uns ja gerade in der Bundesrepublik allzu bekannt, wo wir fünfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer auf durch den Krieg verseuchten Böden und Grundwasser sitzen.

Krieg bedeutete schon immer neben Tod und Elend für die Menschen auch Notzeiten für die Natur. Unübersehbar sind die ökologischen Schäden, die – um nur einige Punkte zu nennen – durch die Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki entstanden sind, durch den Einsatz von Herbiziden zur Entlaubung von Wäldern in Vietnam, der Erntevernichtung (»verbrannte Erde«) seit biblischen Zeiten bis heute die Ölverseuchungen von Meer und Küsten im irakisch-iranischen Krieg, die Freisetzung gewaltiger Mengen Luftschadstoffe durch brennende Ölfelder, Treibstofflager, zerbombte Fabriken u.a., durch Einsatz von Giftgas in mehreren Kriegen der Vergangenheit wie Gegenwart, durch Naturzerstörung durch Bombenabwürfe (in Südvietnam z.B. 10 Millionen Krater von je 67 m3 Volumen), Waldschäden (im zweiten Weltkrieg in Frankreich ca. 500 000 ha schwer geschädigt) usw.

Die Antwort der Ökologiebewegung auf Krieg lautet: „Wer auf der Seite des Lebens steht, der bekennt sich auch gegen Kriege und gegen Gewalt.“ (Hubert Weinzierl, 1991)

Doch Umweltzerstörung ist nicht auf Krieg beschränkt, bereits in Friedenszeiten stellt das Militär einen massiven Belastungsfaktor dar. Bereits im Normalbetrieb (bei Unfällen verstärkt) entstehen Umweltbelastungen

  • beim Bau, der Erprobung, dem Betrieb, der Instandhaltung und der Vernichtung von Waffen;
  • bei Manövern;
  • beim Bau und Betrieb von Kasernen, Flug- und Übungsplätzen, Depots, militärischer Infrastruktur, Schieß- und Radaranlagen;
  • beim Herstellen, Lagern, Transport und Verbrauch von Munition, umwelttoxischen Chemikalien sowie Treib-, Schmier- und Brennstoffen.

Die Anlagen und Aktivitäten des Militärs wirken sich schädigend aus auf Luft, Boden, Wasser und Landschaftsbild; sie erzeugen u.a. Lärm, Abgase, Abfälle und Strahlung und verbrauchen enorme Mengen an Ressourcen.

Die Hoffnung auf eine Wende nach dem Ende des Kalten Krieges (Stichwort: »Friedensdividende«) haben sich nicht erfüllt. Derzeit toben weltweit mehr als 40 Kriege; die Auflösung des Warschauer Paktes hatte auf westlicher Seite keine Entsprechung, NATO (im ehemaligen Jugoslawien erster militärischer Einsatz seit Bestehen) und Bundeswehr (Einsatz in Kambodscha und Somalia, im ehemaligen Jugoslawien) haben sich neue Aufgaben gesucht. Das bedeutet Umrüstung statt Abrüstung und damit kaum finanzielle oder ökologische Verbesserungen. Ein Schutz der Umwelt vor militärischen Anlagen und Aktivitäten kann nur durch qualitative Abrüstung erreicht werden.

Sonderstellung des Militärs im Umweltrecht

In den letzten 20 Jahren sind die wesentlichen Umweltschutzgesetze auf Bundesebene neu entstanden bzw. modernisiert worden. In vielen Gesetzen werden die Aktivitäten der Bundeswehr behandelt.

Hierfür Beispiele:

  • § 38 Bundesnaturschutzgesetz
  • § 3 Absatz 2 UVP-Gesetz
  • § 8 Benzinbleigesetz
  • § 10 Absatz 11, § 59, § 60 BundesImmissionsSchutzGesetz
  • § 17 Absatz 1 der 1. BImSchVerordnung
  • 14. BImSchV
  • § 24 Chemikaliengesetz
  • § 17a Wasserhaushaltsgesetz
  • § 24 Absatz 3 Atomgesetz
  • § 10 Absatz 1 Strahlenschutzvorsorgegesetz
  • § 29a Abfallgesetz
  • Artikel 54 b des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatuts.

Die Privilegien haben zwei Charakteristika:

1. Der Bundesminister der Verteidigung kann bei Bedarf (falls es die Sicherheit Deutschlands erfordert) pauschale und nicht weiter begrenzte Ausnahmen von der Anwendung der Gesetze anordnen. Es ist nicht bekannt, in welchem Umfang und mit welchen Gründen das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) von diesem Privileg in der Praxis gebraucht macht.

2. Der Vollzug der meisten Gesetze liegt nicht bei den hierfür üblichen Behörden, sondern bei der Bundeswehr selbst. Damit ist die Kontrolle über die Aktivitäten des Militärs in der Hand derjenigen, die kontrollliert werden sollen: Die Kontrolleure kontrollieren sich selbst.

Doch nicht nur das Umweltrecht ist mit Ausnahmeregelungen gespickt. Das gilt genauso für eine Reihe anderer Gesetze. Einige davon haben Auswirkungen auf Umwelt- und Naturschutz, z.B.

  • § 35 Absatz 5 Straßenverkehrsordnung
  • § 30 Luftverkehrsgesetz
  • § 5 Absatz 5 Gefahrgutverordnung Straße oder
  • das Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung.

Da die ausländischen Truppen in Deutschland nach dem NATO-Truppenstatut sich sowohl dem deutschen Recht unterwerfen müssen als auch dem Recht ihres jeweiligen Heimatlandes, gelten diese Vorschriften und die Ausnahmen auch für diese Truppen.

Diese Ausnahmen und Privilegierungen müssen aus Sicht der Umweltschutzorganisationen ersatzlos gestrichen werden.

Altlasten, Bodenzerstörung und Flächenverbrauch

Altlasten sind Boden- und Grundwasserverunreinigungen, die durch Ablagerung von Abfällen oder durch den Umgang mit gefährlichen Chemikalien auf Industrie- und Gewerbeflächen entstanden sind.

Rüstungsaltlasten sind gefährliche Hinterlassenschaften des Ersten Weltkrieges und des Hitler-Faschismus. Schon im Juni 1987 wies der BUND auf die Bedrohungen hin, die von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland ausgehen.

Eine klare zeitliche Abgrenzung für den Begriff Rüstungsaltlasten läßt sich schwer ziehen. In der Regel kann man das Ende des Zweiten Weltkrieges als Grenze für Rüstungsaltlasten setzen. Es handelt sich um ehemalige Rüstungsbetriebe, die der Herstellung und Verarbeitung von militärischen Sprengstoffen, Kampfstoffen, Pulver sowie deren Vorprodukten dienten und noch heute durch abgelagerte oder versickerte Schadstoffe Menschen und Umwelt gefährden. Die Bundesregierung hat Rüstungsaltlasten wie folgt definiert:

»Rüstungsaltlasten« sind alle Boden-, Wasser- und Luftverunreinigungen durch Chemikalien aus konventionellen und chemischen Kampfstoffen. Hierbei handelt es sich insbesondere um

  • chemische Kampfstoffe,
  • Sprengstoffe,
  • Brand-, Nebel- und Rauchstoffe,
  • Treibmittel,
  • Chemikalien, die den Kampfstoffen zur Erreichung taktischer Erfordernisse zugesetzt wurden,
  • produktionsbedingte Vor- und Abfallprodukte sowie
  • Rückstände aus der Vernichtung konventioneller und chemischer Kampfmittel.

Produktion und Verarbeitung hochgefährlicher Spreng- und Kampfstoffe unter Kriegsbedingungen führten an einigen Standorten der Bundesrepublik zu massiven Umweltverseuchungen. Zahlreiche hochgiftige Chemikalien (wie die krebserregenden aromatischen Amine oder Nitroaromate) im Boden, in Abfallhalden und im Grund- und Trinkwasser haben diese Standorte nachhaltig vergiftet.

Einige Rüstungsstandorte sind auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter militärisch genutzt worden.

Angesichts der emporschnellenden Zahlen von Rüstungsaltlasten hatte das niedersächsische Umweltministerium eine Gesetzesinitiative auf Bundesebene gestartet: Das Gesetz zur Finanzierung von Rüstungsaltlasten. Der Entwurf sah vor, daß die gesamte Finanzierung der Erfassung, Gefährdungsabschätzung und Sanierung von Rüstungsaltlasten zu Lasten des Bundes geht und nicht wie momentan, Ländersache bleibt. Die Bundesregierung hatte dieses Ansinnen zurückgewiesen.

Militärische Altlasten

Als militärische Altlasten werden alle kontaminierten Flächen die nach dem Zweiten Weltkrieg verseucht worden sind, bezeichnet. Bundeswehr, NVA, NATO und sowjetische Streitkräfte haben weite Flächen Deutschlands militärisch genutzt bzw. nutzen z.T. diese Flächen weiter. Dabei sind flächige Belastungen aufgrund von Aktivitäten der Streitkräfte entstanden. Dazu zählen Ablagerungen (»Mülldeponie hinter der Kaserne«) ebenso wie Ölwechsel im Gelände oder Bodenverseuchungen durch Schießübungen (z.B. bleihaltige Munition). Kontaminationen von Flugplätzen sind die Regel. Auf Militärflächen lagern Abfälle und Chemikalien und es wird mit hochgiftigen Stoffen umgegangen. Schon aufgrund der Lage solcher Flächen, aber auch in Verbindung mit ihrer Nutzung durch Menschen können Gefahren für Menschen und Umwelt entstehen.

Die Bundesregierung hat die Erfassung kontaminierter Flächen der Bundeswehr immerhin begonnen: Das Bundesverteidigungsministerium hat darüber hinaus die Wehrbereichsverwaltungen angewiesen, eigene Ermittlungen auf Liegenschaften der Bundeswehr anzustellen und die Erhebungen der Landesbehörden in die eigenen Ermittlungen einzubeziehen.

Die Kontamination militärischer Flächen ist in den USA bereits seit Jahren Diskussionsthema. Schätzungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums über die zu erwartenden Sanierungskosten variieren von 20 bis 200 Milliarden US-Dollar. US-Streitkräfte und andere ausländische Truppen haben jedoch auch auf Flächen in der Bundesrepublik (bzw. auf dem Gebiet der ehemaligen DDR) zahlreiche Altlasten hinterlassen. Nach einer als geheim klassifizierten Studie des Pentagon waren 364 Standorte der US-Streitkräfte 1990 in der BRD hochgradig kontaminiert. Beispielsweise lagerten die US-Streitkräfte an den Standorten Hohenfels und Grafenwöhr hochgefährliche Sonderabfälle zusammen mit alter, nicht explodierter Munition.

Auch in Friedenszeiten entstehen militärische Altlasten und Rüstungsaltlasten. Es handelt sich also keineswegs ausschließlich um sog. Kriegsfolgelasten. Allerdings werden die Schäden im Kriegsfall durch die höhere Produktion von Material verstärkt. Dies ist an einer Vielzahl von alten Rüstungsstandorten (z.B. Hirschhagen, Leverkusen/Waldsiedlung) durch enorme Grundwasser- und Bodenbelastungen deutlich sichtbar. Hier ist die bundeseigene Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG) als Rechtsnachfolgeunternehmen des reichseigenen Rüstungskonzerns »Montan« als Verursacher von Altlasten (z.B. Hirschhagen) heranzuziehen und zur umfassenden Finanzierung von Altlastensanierungen zu verpflichten.

Die Erfassung von Altlasten ist noch nicht abgeschlossen.

Eine vorläufige Zusammenfassung (1993) der Verdachtsflächen von militärischen Altlasten nach Verursachern enthält Tabelle 1.

Die Bodenzerstörungen betreffen nicht nur Bodenverseuchung. Durch den Einsatz von schwerem Gerät werden Bodenverdichtungen oder starke Erosion verzeichnet. Außerdem sind Teilflächen (Flugplätze) versiegelt worden. Der Flächenverbrauch des Militärs in Deutschland ist erheblich: Insgesamt wurden von allen Streitkräften zusammen über eine Million Hektar militärisch genutzt (für Truppenübungsplätze, Standortübungsplätze und Truppenunterkünfte). In den neuen Bundesländern hatten Nationale Volksarmee (NVA) und Westgruppe der Sowjetischen Truppen insgesamt 4,4 % der Landesfläche in Beschlag genommen (vgl. Tabelle 2). Auch im Verhältnis zur Siedlungsfläche (ca. 10 %) hat das Militär einen extrem hohen Anteil. Es ist offensichtlich auch heute noch selbstverständlich, daß dem Militär mehr Fläche zugestanden wird als dem Naturschutz.

Zur Sanierung von militärischen Altlasten sind die Verursacher zu verpflichten. So fordert der BUND von Bundeswehr und fremden, in Deutschland stationierten Streitkräften ihre Altlastenkataster und eine Dokumentation ihrer Sanierungsmaßnahmen offenzulegen.

Des weiteren fordert er seit längerem vom Finanzministerium die Offenlegung seines Altlastenkatasters, die umweltverträgliche Sanierung und die Dokumentation seiner Sanierungsmaßnahmen.

Versenkte Kampfmittel im Meer und munitionsverseuchte Böden

In Nord- und Ostsee sind im Zweiten Weltkrieg, direkt nach Kriegsende und auch noch später – möglicherweise sogar bis in die 80er Jahre hinein – mehrere hunderttausend Tonnen an Kampfmitteln verklappt worden. Es handelt sich dabei um unterschiedlichste Munition und Behälter mit Stoffen, die zur Herstellung von Kampfmitteln vorgesehen waren. Insbesondere chemische Kampfstoffe wurden einzeln oder verstaut in ausgedienten Schiffen an tiefen Stellen im Meer versenkt. Aus den Augen aus dem Sinn.

Die ökologischen Risiken, die von diesen Giftgasdeponien am Meeresgrund ausgehen, sind zur Zeit noch schwer einzuschätzen. Es muß überdies davon ausgegangen werden, daß Kampfmittel durch Grundschleppnetze von Fischern und durch Verdriftung auch in Gebiete außerhalb der eigentlichen Versenkungsstellen transportiert worden sind. Die bisher erfolgten Untersuchungen in einigen Versenkungsgebieten geben nur ein lückenhaftes Bild der tatsächlich vorhandenen Gefahr.

Die Problematik fällt rechtlich nicht unter den Begriff »Altlasten«, und somit gibt es auch nicht die dabei anzuwendenden gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zur Untersuchung und Sanierung der Standorte. Zudem liegen die Versenkungsgebiete meist in internationalen Gewässern, so daß eine nationale Verantwortlichkeit aufgrund der territorialen Zugehörigkeit des Gebietes entfällt. Die meisten Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg stammen aus reichsdeutscher Produktion. Die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches lehnt eine Zuständigkeit jedoch ab, weil die Versenkungsfahrten überwiegend unter dem Kommando der Allierten erfolgten.

Ungeklärte Verantwortlichkeiten und die Aussicht auf enorme Kosten für eine eventuell nötige Bergung und Entsorgung der Kampfstoffe haben eine ernsthafte Auseinandersetzung bisher immer wieder hinausgezögert. Doch nichts zu tun, ist auch eine Entscheidung – möglicherweise mit viel dramatischeren Konsequenzen.

Doch nicht nur im Meer gibt es unklare Rechtssituationen. Auch der Boden, in dem Kampfmittel gefunden werden, ist trotz seiner möglichen Versuchung keine »Altlast« im juristischen Sinne. Selbst der neue Entwurf eines Bodenschutzgesetzes will diese Position weiter fortschreiben.

Kosten der Bundeswehr

Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) hat im sogenannten Einzelplan 14 des Haushaltes 1993 insgesamt 49,9 Milliarden DM ausgegeben. Der größte Teil dieser Ausgaben sind Personalkosten (25,8 Milliarden DM). Insgesamt wendet das Verteidigungsministerium 12 Milliarden für sogenannte verteidigungsinvestive Ausgaben auf. Dazu zählen auch militärische Bauten, Erschließungsmaßnahmen bei Grunderwerb, aber auch Altlastensanierung usw. Der Haushaltsplan 1994 ist mit 48,5 Milliarden 2,75 % unter den Jahresansatz 1993.

Nach einem Vorschlag des BMVg sollen aufgrund eines Truppenübungsplatzkonzeptes in den nächsten Jahren allein in den neuen Bundesländern mehr als 1,1 Milliarden an Altlastensanierung aufgewendet werden. Angesichts der Altlastenverdachtsflächen dürfte dies nur ein kleiner Beitrag zur Linderung der Probleme sein.

Nicht alle Kosten der Bundeswehr sind klar bezifferbar, so wurden in den letzten Jahrzehnten aus anderen Haushaltstöpfen Maßnahmen für den militärischen Bereich (z.B. militärstrategische Bauvorhaben wie die Eifelautobahn, Forschungsvorhaben zur Entwicklung neuer Waffensysteme, militärische Anforderungen beim Brückenbau) finanziert oder mitfinanziert. Diese indirekten Kosten z.B. aus den Etats des Verkehrs-, Forschungs-, oder gar Entwicklungshilfeministeriums sind bisher nicht vollständig erfaßt worden.

Rüstungsforschung

Über die deutsche Rüstungsforschung findet trotz der sich abzeichnenden allgemeinen Neuorientierung im militärischen Bereich bisher keine öffentliche Diskussion statt. Dies hängt sicherlich mit der enormen Verschlossenheit dieses Forschungsbereichs zusammen. Die staatlichen Aufwendungen für die militärische Forschung sind nicht genau bekannt. Der Bundeshaushalt ist hier genauso wenig aussagekräftig wie Antworten der Bundesregierung, da in beiden nur Teile der Gelder enthalten sind, die für Forschung in diesem Bereich aufgewendet werden. Darüber hinaus werden bei Aufstellungen immer unterschiedliche Aufwendungen dazu gerechnet.

Zum Beispiel der Bundesbericht Forschung gibt für 1993 3,2 Milliarden Mark an. 1981 waren es erst 1,5 Milliarden, im Rekordjahr 1990 knapp 3,4 Milliarden. Die Bundesregierung bezifferte die Gelder für die Rüstungsforschung im Jahr 1990 auf 3,8 Millarden Mark. Das wären 400 Millionen mehr als im Bundesbericht Forschung der gleichen Bundesregierung.

Wenn man bedenkt, daß die Kürzungen der Ausgaben von 1990 bis 1993 bei der Rüstungsforschung geringer waren als die Einbußen der Gesamtausgaben der Verteidigungshaushaltes mit mehr als sieben Prozent, wird deutlich, daß Forschung in diesem Bereich immer noch wichtig ist. Der Haushalt des Forschungsministerium insgesamt beläuft sich auf neuneinhalb Milliarden DM (1993).

Über die Forschungsziele ist von seiten der Bundesregierung nichts Konkretes zu erfahren, alles Geheimhaltung! Auch wenn andere Staaten wie die USA regelmäßig handfeste Daten zur Rüstungsforschung veröffentlichen und damit alle Sicherheitsstrategen Lügen strafen. Aber das Stillschweigen kann auch noch andere Gründe haben, so können die z.T. horrenden Kosten für einzelne Projekte nicht öffentlich diskutiert werden.

Der Trend in der Rüstungsforschung geht derweilen aber in eine andere Richtung: dual-use heißt das Stichwort. Techniken werden für zivile Zwecke entwickelt und dann auch militärisch genutzt. Zum Teil werden diese »zivilen« Produkte unter militärischen Gesichtspunkten entwickelt. Auch die Bundesregierung zählt einzelne Posten aus dem Haushalt des Forschungsministeriums den Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien zu. Aber auch hier geht wieder Geheimniskrämerei vor Transparenz. Die zukünftige engere Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Verteidigung und Forschung (Zukunft?) läßt nichts Gutes erwarten.

Aber auch die Waffenerprobung bringt Umweltbelastungen

Mindestens zwölf Wochen im Jahr finden Waffenerprobungen in der Meldorfer Bucht statt, dröhnen Hubschrauber und rasen Tiefflieger darüber hinweg. Seeschwalben und Strandvögel stieben panisch in die Luft. Die wegen der Mauser flugunfähigen Brandgänse hasten davon, überschlagen sich und bleiben entkräftet liegen. Hundertausende Vögel aus Kanada bis Sibirien rasten im Wattenmeer. 90 % der ca. 200 Störungen in einem Sommer werden hier von Militäraktivitäten verursacht.

Diese nachhaltigen Störungen für Tier und Mensch im Nationalpark sind mit den Schutzzielen des Nationalparkes nicht vereinbar.

Die Einstellung der Waffenerprobung und aller Schießübungen an der Küste und im Wasser (Ostseeküste: z.B. Todendorf, Putlos; Nordseeküste: z.B. Meldorfer Bucht) wären logische Forderungen, um diesen Umweltbelastungen ein Ende zu bereiten.

Umweltschutz bei der Bundeswehr

Bei der Bundeswehr beschäftigen sich rund 700 Soldaten und zivile Mitarbeiter haupt- und nebenamtlich mit Umweltschutzaufgaben. Mit der sogenannten »Fachkonzeption Umweltschutz und Bundeswehr« sind Ziele und Aufgaben festgelegt worden, die „eine kontinuierliche Fortentwicklung des Umweltschutzes und einen umweltverträglicheren Friedensbetrieb der Streitkräfte in den 90er Jahren gewährleisten“. Auch das Truppenübungsplatzkonzept, daß eine weitestgehende Verlagerung der Übungen aus dem freien Gelände auf Übungsplätze und damit nach Auffassung der Bundeswehr eine weitere spürbare Entlastung der Umwelt mitsichbringen sollte, gehört dazu. (Die Entlastung dürfte wohl eher bei den Entschädigungszahlungen für Manöverschäden in der Landwirtschaft bzw. Forstwirtschaft erfolgen.)

Darüber hinaus ist für die Bundeswehr eine »Richtlinie zur umweltverträglichen Nutzung von Übungsplätzen der Bundeswehr« maßgeblich. Sie hat das Ziel, den hohen ökologischen Wert der Übungsplätze trotz der höheren Belastung durch das Truppenübungsplatzkonzept zu erhalten. Die Zukunft wird wohl zeigen, daß konzeptionelle Phantastie und militärischer Alltag nicht unter einen Hut bzw. Stahlhelm passen.

Auch für den Bereich energieschonender Umgang mit Ressourcen hat die Bundeswehr eine »Konzeption zur Schonung natürlicher Ressourcen in der Bundeswehr« erarbeitet.

Die Bundeswehr hatte z.B. 1990 von der NVA 1420 völlig überalterte Heizungsanlagen neben den technisch unzureichenden Tankanlagen oder den Abwassereinrichtungen übernommen.

Tiefflüge

Als Hauptbelastungsfaktoren beim militärischen Flugbetrieb sind Lärmentwicklung und Schadstoffemissionen, sowohl von den Maschinen selbst wie von den Flugplätzen ausgehend, zu nennen.

Untersuchungen haben gezeigt, daß Menschen in Tieffluggebieten vermehrt an Herz-Kreislauferkrankungen leiden, an psychischen Störungen und Schlafstörungen. Darüber hinaus kommt es bei den plötzlichen enormen Lärmereignissen des Tieffluges immer wieder zu Unfällen.

Tiere reagieren mit panikartigen Fluchtversuchen, die bei Haustieren zu Verletzungen führen können, mit Früh- und Fehlgeburten sowie Angst- und Aggressionsverhalten.

Stark betroffen sind Vögel, und das insbesondere in den Naturschutz- und Feuchtgebieten, die eigentlich durch internationale Abkommen (z.B. Ramsar-Abkommen) oder die EG-Vogelschutzrichtlinie geschützt sind. Militärischer Tiefflug konterkariert damit den Schutzzweck dieser Gebiete. Für rastende Zugvögel mit ihrem hohen Ruhe- und Nahrungsbedürfnis bedeutet das Auffliegen beim plötzlichen Lärm vermehrten Energiebedarf und verkürzte Freßzeiten; beides führt zu einer schlechteren Kondition mit geringeren Überlebenschancen und verminderten Bruterfolgen.

Nicht aus den Augen verlieren sollte man auch die Gefahr, daß Tiefflieger auf chemische Fabriken, Atomkraftwerke, bakteriologisch und gentechnisch arbeitende Forschungsinstitute, Munitionsdepots oder Treibstofflager abstürzen können. Diese Anlagen sind in der Regel nicht gegen Flugzeugabstürze geschützt.

Allein die »Beinahetreffer« der Vergangenheit der Atomkraftwerke Ohu, Niederaichbach und Stade, der Absturz einer F-16 im Kreis Pirmasens zwischen einem Giftgas- und zwei Atomwaffenlagern sowie der Zusammenstoß zweier F-16 unweit Biblis verlangen nach einem sofortigen Verbot für Tiefflüge und damit zusammenhängenden militärischen Flugübungen.

Militär und Naturschutz

Der Naturschutz benötigt in erheblichem Umfang Flächen, auf denen seinen Zielen Vorrang vor anderen Nutzungen eingeräumt wird. Wissenschaftliche Untersuchungen, Effizienzkontrollen, Erfahrungen aus der Landschaftsplanung und Biotopkartierung sowie sonstige Beobachtungen unterstreichen, daß mindestens 15 % der Landesfläche vorrangig für den Naturschutz zur Verfügung stehen müssen. Weitere Schutzgebietsausweisungen und andere Schutzmaßnahmen sind deshalb dringend erforderlich.

Truppenübungsplätze sind meist sehr großflächige Gebiete, die sich durch eine Vielzahl von in der genutzten Kulturlandschaft selten gewordenen Lebensräumen wie Moore, Heiden und andere nährstoffarme Lebensräume sowie meist wenig forstlich beeinflußte Wälder auszeichnen. Dazu kommt die relative Störungsarmut, da sich der militärische Betrieb normalerweise auf eng umgrenzten Flächen innerhalb der Übungsplätze abspielt und große wenig gestörte Pufferzonen darum herumliegen. Dadurch erklärt sich die durch mehrere Untersuchungen nachgewiesene hohe Bedeutung der meisten größeren Übungsplätze für selten gewordene Tiere und Pflanzengesellschaften.

Damit besitzen sie eine für den Naturschutz außerordentlich wichtige landschaftsökologische Substanz von entsprechend hoher Qualität und Wertigkeit. Da es in den intensiv genutzten Landschaftsräumen Mitteleuropas aufgrund des Nutzungsdruckes zukünftig immer schwieriger werden wird, weitere großräumige Flächen mit für Naturschutzzwecke wertvollem Potential dem Naturschutz zu widmen, zählen Umwandlung von Truppenübungsplätzen in Naturschutzgebiete, aber auch die Sicherung von Naturschutzbelangen auf weiter bestehenden Truppenübungsplätzen zu den aktuell wichtigen Naturschutzaufgaben.

Vom Truppenübungsplatz zum Naturschutzgebiet

Militärische Aktivitäten erstrecken sich in der Bundesrepublik aber nicht nur auf Gebiete innerhalb militärischer Liegenschaften (v.a. Truppenübungsplätze und Standortübungsplätze), sondern auch auf die freie Landschaft, wobei hier das neue Truppenübungskonzept der Bundeswehr eine durchgängige Entlastung mit sich bringen soll. Insbesondere werden durch Militärflugzeuge Störungen über militärische Liegenschaften hinaus verursacht, besonders durch Tiefflieger.

Im Zuge dieses Abbaus militärischen Potentials wird es auch zu einer Konversion eines nennenswerten Teiles der militärisch genutzten Areale kommen, speziell in den neuen Bundesländern. Dort ist geplant, über 50 Truppenübungsplätze und 300 weitere Übungsflächen aus der militärischen Nutzung zu entlassen. Von den 65 Truppenübungsplätzen, die eine Gesamtfläche von 517.000 Hektar darstellen, sind bisher neun für die Bundeswehr definitiv reserviert.

Die 20 Truppenübungsplätze, über die die Bundeswehr und die übrigen NATO-Staaten in den alten Bundesländern verfügen, sollen voraussichtlich fast alle weiterhin militärisch genutzt werden. Hier wird nur ein Teil der insgesamt 325 Standortübungsplätze verkleinert oder ganz aufgegeben.

Die genauen Angaben über die für eine Konversion bestimmten Übungsplätze und sonstigen Liegenschaften der Bundeswehr und der anderen NATO-Staaten sind der Öffentlichkeit bisher nicht in vollem Ausmaß zugänglich.

Werden militärische Liegenschaften von Gaststreitkräften geräumt, entscheidet zunächst das Bundesministerium der Verteidigung über eine militärische Anschlußnutzung. Besteht kein militärischer Bedarf, gehen diese Flächen – ebenso wie die von der Bundeswehr selbst freigegebenen Liegenschaften – in das allgemeine Grundvermögen des Bundes und damit in die Zuständigkeit der Bundesvermögensverwaltung beim Bundesministerium der Finanzen über. Diese prüft zunächst, ob Rückerwerbsansprüche früherer Eigentümer bestehen. Ist dies nicht der Fall und besteht auch kein ziviler Bundesbedarf, galt bisher die Regelung, daß die Liegenschaften wirtschaftlich verwertet und möglichst zum Verkehrswert verkauft werden müssen (§ 63 Abs. 3 Bundeshaushaltsordnung). Ein Teil der Liegenschaften der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) und der ehemaligen Sowjetarmee wurde an die Bundesvermögensverwaltung übergeben, die durch die Bundesvermögensämter bereits mit der Abwicklung von Verkäufen beauftragt worden sind. Nur in Brandenburg ist ein eilig gezimmertes Gesetz über die Militär-Liegenschaften in Landesbesitz in Kraft.

Da es in Mitteleuropa künftig immer schwieriger werden wird, weitere großräumige Gebiete mit reichhaltigem natürlichem Potential dem Naturschutz zu überlassen, stellen sich dort aktuell besonders vordringliche Naturschutzaufgaben. Außer den militärischen Übungsflächen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland kaum »Flächenreserven« dieser landschaftlichen Qualität in größerem Umfang. Der Konversionsproblematik kommt damit eine erhebliche Bedeutung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Mitteleuropa zu. Für landes-, bundes- und europaweite Biotop-Verbundsysteme sind die Truppenübungsplätze nicht ersetzbare Knotenpunkte, Refugien für das Naturpotential, von denen aus auch eine Wiederbesiedelung heute ausgeräumter Landschaften noch möglich zu sein scheint.

Die bis vor kurzem geplante Vorgehensweise bei der Nutzungsumwidmung der militärischen Liegenschaften durch die Bundesvermögensämter bedingt, daß Naturschutzerfordernisse nicht im nötigen Maß berücksichtigt werden können. Da diese in großem Umfang frei werdenden Flächen auch für andere Nutzungen interessant sind, werden von verschiedenen Seiten Ansprüche erhoben. Dazu gehört die Nutzung für Siedlungs- und Gewerbegebiete, Verkehrs- und Deponieanlagen, Industrieansiedlung, Infrastruktur- und Freizeiteinrichtungen. Diese Nutzungen sind jedoch aus der Sicht des Naturschutzes abzulehnen.

Stattdessen sollten die freiwerdenden Truppenübungsplätze unter Beteiligung des Verbandsnaturschutzes zu Naturschutzgebieten ausgewiesen werden.

Im Jahre 1992 betrug die Gesamtfläche der in der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesenen Naturschutzgebiete (NSG) 627 000 ha, das sind 1,8 % der Fläche Deutschlands. Die durchschnittliche Flächengröße eines Naturschutzgebietes in den alten Bundesländern beträgt ca. 120 ha. Der »durchschnittliche« Truppenübungsplatz (7400 ha in den alten Bundesländern) ist damit 62 mal größer als das »durchschnittliche« Naturschutzgebiet! Von den 3288 westdeutschen NSG sind 35 % größer als 100 ha und nur 0,02 % größer als 500 ha. Die Größe von naturnahen und natürlichen Flächen ist aber ein entscheidendes Kriterium für ihre Lebensraumqualitäten. Mit der Unterschutzstellung der freiwerdenden militärischen Liegenschaften könnte die Flächenausstattung der Naturschutzgebiete in der Bundesrepublik Deutschland erheblich ausgeweitet werden.

Forderungen

Die folgenden Forderungen und Empfehlungen sind als Grundlage für eine vorausschauende und naturschutzfachlich richtige Behandlung sowohl der weiterhin militärisch zu nutzenden als auch der frei werdenden Übungsflächen zu sehen.

  • Damit sichergestellt ist, daß die militärische Nutzung möglichst extensiv und naturverträglich durchgeführt werden kann, müssen bereits bei der Entscheidung über eine weitere militärische Nutzung oder Konversion einer Übungsfläche landschafts-ökologische und naturschutzfachliche Gesichtspunkte gleichberechtigt berücksichtigt werden.
  • Alle zu konvertierenden und aus Naturschutzsicht wertvollen Übungsplätze (dazu gehören z.B. keine betonierten Kasernenplätze) sind einstweilig als Naturschutzgebiete zu sichern.
  • Ebenso ist eine umfassende Altlastenerfassung notwendig. Bei Bedarf muß ein Sanierungskonzept erstellt werden. Aus Gründen des Verursacherprinzips sind die Kosten der Sanierung vom Bund zu übernehmen. Die Kosten allein der Räumung von Minen und anderer Munition belaufen sich auf bis zu 10.000,- DM pro Hektar.
  • Um auf allen in den letzten Jahrzehnten militärisch genutzten Flächen das Potential an natürlichen und naturnahen Lebensräumen bestmöglich schützen und entwickeln zu können, sind Erhebungen und Kartierungen der biotischen Ausstattung notwendig. Darauf aufbauend sind Pflege- und Entwicklungskonzepte zu erarbeiten und umzusetzen. Dabei sind bisher schon durch das Bundesverteidigungsministerium extern in Auftrag gegebenen Konzeptionen nicht weiter in der Schublade zu belassen, sondern in solche Konzeptionen einzuarbeiten.
  • Eine enge Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden und -behörden ist sowohl bei einer bevorstehenden Konversion als auch ggf. bei der weiteren militärischen Nutzung erforderlich.
  • Durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit muß die Bevölkerung auf die überragende Bedeutung gerade der großflächigen Übungsplätze für den Naturhaushalt und den Ressourcenschutz, insbesondere auch den Schutz des Grundwassers, aufmerksam gemacht und möglichst frühzeitig über die Entscheidung, welche Nutzung in der Zukunft vorgesehen ist, informiert werden. Die herausragende Bedeutung dieser Flächen für die Sicherung von Naturgütern, auch als Beitrag Deutschlands zur Erhaltung des Weltnaturerbes in Erfüllung der Deklaration von Rio de Janeiro, muß für die Öffentlichkeit klar herausgestellt werden.

Militärisch genutzte Truppenübungsplätze

  • Die Möglichkeit der Konversion weiterhin genutzter Truppenübungsplätze ist im Rahmen des Abbaus militärischer Potentiale zu prüfen und ihre langfristige Unterschutzstellung zu gewährleisten. Eine langfristige Konversion aller naturschutzrelevanten Flächen ist anzustreben.
  • Die ggf. weitere militärische Nutzung hat verstärkt die Belange des Naturschutzes zu berücksichtigen und ist so extensiv wie möglich zu gestalten. Zweckmäßig ist die Erarbeitung von integrierten Nutzungskonzepten, welche die Art der Geländebetreuung und der forstwirtschaftlichen Nutzung einbeziehen und in die sog. Benutzungs- und Bodenbedeckungspläne Eingang finden. Dabei muß sichergestellt sein, daß empfindliche Biotope vor Beeinträchtigung geschützt werden.
  • Eine umfassende Altlastenerfassung ist notwendig. Bei Bedarf muß ein Sanierungskonzept erstellt und seine Umsetzung später umgesetzt werden.
  • Die Geländebetreuung, ebenso wie Land-, Forst-, Fischereiwirtschaft u.a. sollte gerade auf militärischen Flächen der Vorbildfunktion des Staates gerecht werden und möglichst naturverträglich und umweltschonend arbeiten. Dazu gehört z.B. das Verbot der Anwendung von Dünge- und Pflanzenbehandlungsmitteln.
  • Bei allen zuständigen Verwaltungen von Bundeswehr, Geländebetreuung, Forstverwaltung, Bundesministerium der Finanzen und Bundesministerium der Verteidigung müssen Fachleute für Naturschutzaufgaben hauptamtlich verantwortlich sein, die eine spezielle Ausbildung z.B. in den Bereichen Biologie, Landespflege oder Umweltschutz absolviert haben. Diese Stellen sollen in engem fachlichen Kontakt zu den Naturschutzbehörden und -verbänden arbeiten.
  • Die Versiegelung weiterer Flächen, z.B. durch den Ausbau von Straßen, ist aus naturschutzfachlichen Erwägungen völlig zu unterlassen.
  • In die Überlegungen zur naturverträglichen Nutzung der Übungsplätze sind die Randbereiche innerhalb und außerhalb der Platzgrenzen mit einzubeziehen. Sie sollten zu funktionsfähigen Übergangs- und Pufferzonen entwickelt werden.
  • Militärisch nicht notwendige »Rekultivierungen« durch die Geländebetreuung dürfen nicht mehr erfolgen.
  • Eine forstliche Nutzung hat sich an Kriterien des Naturschutzes und nicht an wirtschaftlichen Kriterien zu orientieren. Dabei sollen möglichst viele Waldflächen der natürlichen Sukzession unterliegen. Die übrigen sind naturnah zu bewirtschaften.

Zur Konversion anstehende Truppenübungsplätze

  • Die Flächen der ehemaligen West-Truppen der Sowjetarmee sind nicht durch die Bundeswehr militärisch zu nutzen, wie dies nach der deutschen Einigung von Seiten der Bundesregierung zugesagt worden ist.
  • Gebiete, die aus der militärischen Nutzung genommen werden, sollen mit der Zielsetzung »Naturschutz«, sofern sie dafür geeignet sind, in das Eigentum der Länder übergehen und in Naturschutzgebiete umgewandelt werden.
  • Für diese Flächen, die naturschutzrelevant bzw. wichtig sind, ist in der Regionalplanung die Folgenutzung als »Vorrangfläche Naturschutz« verbindlich festzulegen.
  • Etwaige notwendige Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen sind in enger Kooperation mit Naturschutzverbänden und -behörden durchzuführen.
  • Eine intensive Nutzung von Flächen, die unter die oben genannten Naturschutzgesichtspunkten fallen, durch Dritte, z.B. Freizeitnutzung, ist in den meisten Fällen mit den Zielen des Naturschutzes nicht vereinbar. Eine neue Nutzung von z.B. Kasernenhöfen ist für die städtebauliche Entwicklung häufig wichtig.
  • Bei allen zuständigen Verwaltungen der Länder, Kreise und Gemeinden müssen Fachleute für Naturschutzaufgaben hauptamtlich für die Betreuung dieser Flächen verantwortlich sein und in engem fachlichen Kontakt zu den Naturschutzverbänden stehen.
Bereich Liegenschaften militärische Altlasten-
verdachtsflächen
Westgruppe der sowjetischen Truppen 1.026 700
Bundeswehr und genutzte NATO-Liegenschaften 3.500 500
US-Armee 847 364
Rüstungsaltlasten 3.500
Flächeninanspruchnahme des
Militärs
Bundeswehr (alt): ca. 402.000 ha (1,6 % der Fläche des alten Bundesgebietes); 7000
Liegenschaften
ehemalige NVA und Grenztruppen (DDR) ca. 277.000 ha bei 3.315 Liegenschaften an 900 Standorten
Alliierte Streitkräfte: ca. 253.000 ha bei 2.900 Liegenschaften
Westgruppe der Sowjetischen Streitk.: ca. 241.000 ha bei 1.026 Liegenschaften
Summe: 1.173.000 ha bei 14.241 Liegenschaften

Literatur

BUND (1993): BUND-Position Altlasten, BUND e.V., Bonn 1993

BUND (1995): BUND-Position Militär und Ökologie, BUND e.V., Bonn 1995

Bundesminister der Verteidigung (1992): Richtlinie zur umweltverträglichen Nutzung von Übungsplätzen der Bundeswehr, BMVg, Bonn 1992

Deutsche Bundesregierung (1989): Landschaftsverbrauch und Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1989

Deutscher Bundestag (1992): Entwurf eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der BRD (Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – RüstAltFG), Bonn 1992

Deutscher Bundestag (1990): Gefährdung von Mensch und Umwelt durch kontaminierte Standorte der chemischen Rüstungsindustrie (Rüstungsaltlasten)

Deutscher Bundestag (1990): Altlasten auf Liegenschaften der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte, Bonn 1990

Landesregierung Niedersachsen (1988): Bestandsaufnahme und Handlungskonzept für Rüstungsaltlasten in Niedersachsen; Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe »Rüstungsaltlasten«

C. Mussel, U. Philipp (1993): Beteiligung von Betroffenen bei Rüstungsaltlasten, GHK Kassel 1993

A. Oberholz (1991): Tödliche Gefahr aus der Tiefe, Bittere Erkenntnis zu Kriegs- und Rüstungsaltlasten, Kommunal-Verlag, Düsseldorf 1991

T. Schneider; E. Brandt; F. Claus; W. König; C. Wiegandt (1993): Rüstungsaltlasten. Handlungskatalog für Gemeinden und Bürgerinitiativen, BUND e.V., Bonn 1993

Aus Gründen der Landesverteidigung die Umwelt verschmutzen

Bundesminister der Verteidigung:

„Der Schutz von Leben und Gesundheit und der Schutz der Umwelt haben im Frieden Vorrang vor der Erfüllung anderer Aufgaben.

(…)

Das auch für die Bundeswehr geltende Umweltrecht umfaßt sowohl internationale Abkommen (z.B. Meeresumweltschutz) wie auch nationales Umweltrecht des Bundes, der Länder und – am Standort – der Kommunen. Mehr als 700 Gesetze, Verordnungen und Normen mit bundesweiter Verbindlichkeit bestimmen den Umweltschutz in der Bundeswehr.

Das Umweltrecht sieht Ausnahmen vor auch für den Fall, daß zwingende Gründe der Landesverteidigung oder zwischenstaatliche Verpflichtungen dies erfordern. Für die Bundeswehr gilt der Grundsatz, daß von den ihr gewährten Ausnahmen im Umweltrecht nur unter Anlegung eines strengen Maßstabs Gebrauch gemacht wird. Dies gilt sowohl in den Fällen, in denen der Bundesminister der Verteidigung die Regelungen in eigener Zuständigkeit treffen kann, als auch dort, wo das Umweltrecht für die Bundeswehr Ausnahmen im Einzelfall vorsieht. Sie sind unter sachgerechter Abwägung der widerstreitenden Interessen nur dann gerechtfertigt, wenn die Erfüllung des Verteidigungsauftrags gefährdet ist.“

(Umweltschutz in der Bundeswehr. Grundlagen, Maßnahmen und Absichten. Bericht des Bundesministers der Verteidigung an den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages, 1992)

Thomas Lenius ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des BUND (Referat Chemie) in Bonn.