Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“

Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“

von Karin Stahl

Wie der Titel der für Juni dieses Jahres in Rio de Janeiro (Brasilien) geplanten UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED) bereits suggeriert, steht diese Konferenz für den Versuch, die vielfältigen Beziehungen zwischen Entwicklungsstilen, Unterentwicklung und Überkonsumtion einerseits und Umweltzerstörung bzw. -erhaltung andererseits herauszuarbeiten. Allgemeines Ziel dieser Konferenz ist es, der fortschreitenden Umweltzerstörung und zunehmenden Verarmung Einhalt zu gebieten und einen politischen Konsens aller Regierungen der UN-Staatengemeinschaft über künftige „nachhaltige“ Entwicklungswege herzustellen. Angesichts der Vielzahl von divergierenden Interessen zwischen Nord und Süd, zwischen Ost, West und Süd und zwischen Staaten innerhalb der verschiedenen Interessenblöcke mutet dies allerdings als ein äußerst schwieriges Unternehmen an.

Mit dem Appell an das gemeinsame Interesse und die gemeinsame Verantwortung aller Völker und Staaten für die Erhaltung der Umwelt und für das Überleben der Menschheit war bereits die von der UN eingesetzte Brundtland-Kommission angetreten, einen solchen politischen Konsens in ihrem programmatischen Bericht von 1987 zu formulieren.1 Die eher harmonistische Eine-Welt-Vision des Brundtland-Berichts von der gemeinsamen Verantwortung für die gemeinsame Zukunft und die damit verknüpfte Konsens-Strategie wurden jedoch schon kurze Zeit später wieder in Frage gestellt. Sowohl die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung wie auch die Südkommission stellten dem Brundtland-Bericht aus der Perspektive der Staaten der Dritten Welt ihre Agenda gegenüber und hoben die gegensätzlichen und konfligierenden Interessen zwischen Nord- und Süd in der Umwelt- und Entwicklungsproblematik hervor.2 (…) Zweifel sind angebracht, ob ein von allen getragener politischer Konsens überhaupt erreicht und globale Lösungsansätze gefunden werden können. (…)

Kernstücke der Vorverhandlungen für die geplante UN-Konferenz sind die Ausarbeitung von Prinzipien für den Schutz und die Nutzung von Wäldern, die als Grundlage für eine später zu erarbeitende Konvention zum Schutz von Wäldern dienen sollen. Weiterhin sollen ein umfassender Aktionsplan, die »Agenda 21«, mit prioritären Umwelt- und Entwicklungsprogrammen für das nächste Jahrhundert sowie eine sogenannte »Earth-Charta« ausgearbeitet werden, die eine Reihe von ethischen Prinzipien, Rechten und Pflichten erthalten und der »Agenda 21« zugrundegelegt werden soll.

Wesentliche Konfliktlinien und Interessenwidersprüche

Im Verlauf der Dritten Vorbereitungskonferenz (12.8.-4.9.1991 in Genf) wurden verschiedene Konfliktlinien, widerstreitende Interessen und Erwartungen deutlich, die sich gegen Ende der Konferenz zu wachsenden Nord-Süd-Spannungen verhärteten. Ein grundlegender Konflikt berührte die Gewichtung von umweltrelevanten und entwicklungsrelevanten Problemen und ihr Verhältnis zueinander. Die Dritte Vorbereitungskonferenz erlebte ein Wideraufleben der Nord-Süd Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Nord-Süd-Spannungen bestanden aber nicht nur auf Seiten der offiziellen Regierungsdelegationen, sondern ließen sich auch zwischen nördlichen und südlichen Nichtregierungsorganisationen beobachten. Im folgenden sollen die wichtigsten Konfliktlinien wiedergegeben werden.

Die Vernachlässigung der Entwicklungsproblematik

Auf den Vorbereitungskonferenzen wurden unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen Nord und Süd, vor allem was die anvisierten Ergebnisse betrifft, sichtbar. Den Industriestaaten (IL) geht es im wesentlichen darum, die globalen Umweltprobleme, die auch deren weitere Entwicklung bedrohen, einzudämmen, während die Entwicklungsländer (EL) auf eine Lösung ihrer gravierendsten Armuts-, Entwicklungs- und Umweltprobleme drängen. Die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung weist in ihrem Bericht der Lösung der Entwicklungs- und Armutsprobleme klare Priorität zu.

„Es wird keine nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik geben, solange fast die Hälfte seiner Bevölkerung unter den Bedingungen extremer Armut lebt. Die ökologische Tragfähigkeit unserer Entwicklung muß der menschlichen Entwicklung klare Priorität einräumen. Dies ist zusammen mit der rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen eine zentrale strategische Linie, der jedes weitere Engagement untergeordnet werden muß.3

In der Erklärung von Peking, die am 19. Juli 1991 in Vorbereitung von UNCED von 41 Ländern der Dritten Welt verabschiedet wurde, wird ebenfalls auf die Notwendigkeit verwiesen, den entwicklungsrelevanten Themen zumindest eine gleichrangige Bedeutung einzuräumen.4 (…)

Diese Appelle der Entwicklungsländer hatten bisher wenig Einfluß auf den Verlauf der Vorbereitungskonferenzen. (…)

Der Nord-Süd-Konflikt um die Gewichtung von Umwelt- und Entwicklungsfragen prägte den gesamten Konferenzverlauf und trat besonders deutlich in den Verhandlungen über die »Earth Charta«, die Inhalte und Zielsetzungen des Aktionsprogramms »Agenda 21« sowie in den Diskussionen der sektorübergreifenden Themen hervor. (…) Bisher wurde noch keine Einigung über einen Entwurf der »Earth Charta« erzielt. (…)

Die nur untergeordnete Bedeutung, die vor allem die Industriestaaten den Entwicklungsbedürfnissen der Dritten Welt zumessen, wurde auch in den Diskussionen um die Armuts- und Verelendungsproblematik während der Dritten Vorbereitungskonferenz deutlich. Zwar wurde in Übereinstimmung mit dem Konferenzdokument „Report on Poverty and Environmental Degradation“ eine Beziehung zwischen wachsender Verarmung und Umweltzerstörung in den Entwicklungsländern anerkannt, die tiefer liegenden Ursachen für Verelendung und Umweltzerstörung wurden jedoch in dem Dokument ausgeklammert.5 Mit dem Schlagwort der »armutsbedingten Umweltzerstörung« wird aus nördlicher Sicht die sich verschärfende Armuts- und Verelendungsproblematik in der Dritten Welt lediglich als ein weiterer Faktor betrachtet, der zur Umweltzerstörung beiträgt. Maßnahmen zur Beseitigung der Armut sind für den Norden daher vor allem in ihrer funktionalen Zuordnung zu Umweltzerstörung bzw. -erhaltung von Relevanz. In diesem Sinne forderten die USA die Konferenz auf, „sich auf spezifische Aktionsprogramme im Bereich Boden, Wasserzufuhr, Wälder und Ozeane zu konzentrieren, die den Druck der Armut, der eine so große Belastung für unsere Umwelt darstellt, abmildert“.6 Für den Norden steht offensichtlich nicht die Beseitigung der Armut und ihrer Ursachen (und damit auch der armutsbedingten Umweltzerstörung) im Vordergrund, sondern lediglich die Bekämpfung der Symptome der Armut, soweit sie die Umwelt belasten. Die vorgeschlagenen Programme zur Armutsbekämpfung beschränken sich lediglich auf bevölkerungspolitische und einkommensschaffende Maßnahmen, ohne die notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturreformen für den Erfolg dieser Maßnahmen und für eine soziale und umweltgerechte Entwicklung zu benennen.

Aus der Sicht südlicher NGOs stellt sich die ökologische Krise nicht primär als eine Umweltkrise dar, die durch Armut verschärft wird, sondern als eine umfassende sozio-ökologische Krise, die auf eine grundlegende Krise des dominanten nördlichen Entwicklungsmodells mit seinen verzerrten Kopien im Süden und der diesem Modell zugrunde liegenden ungleichen Weltwirtschaftsordnung verweist.7

Internationale ökonomische Rahmenbedingungen

Aus diesem globalen Verständnis von sozialer und ökologischer Krise wird der zweite Konfliktpunkt von UNCED deutlich. Sowohl Regierungsdelegationen als auch NGO-Vertreter aus der Dritten Welt geben sich nicht damit zufrieden, nur die Symptome einer fehlgeleiteten Entwicklung, wachsende Umweltzerstörung und Verelendung, durch verschiedene Einzelmaßnahmen und »Schönheitsreparaturen« zu lindern, ohne auch nur ihre Ursachen zu benennen, geschweige denn verändern zu wollen. Die fehlende Analyse insbesondere der externen und weltwirtschaftlichen Ursachen von Massenelend und Umweltzerstörung (z.B. Bodenverseuchung, Entwaldung) in der Dritten Welt und der entsprechenden notwendigen Korrekturen wurde sowohl von der Gruppe 77 der Entwicklungsländer wie auch von verschiedenen südlichen und nördlichen NGOs kritisiert. (…)

Als Hauptursachen für die zunehmende Verarmung und Umweltzerstörung wurden von den EL benannt: Das Entwicklungsmodell des Nordens mit seinen verschwenderischen Konsumstandards, die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die Verschuldungskrise und der Nettokapitaltransfer von Süd nach Nord, sinkende »terms of trade«, die vom Weltwährungsfond und Weltbank geforderten Strukturanpassungsprogramme, ungerechte Handelsstrukturen etc.. Während die IL darauf bedacht waren und sind, diese Themen aus der Konferenz auszuklammern, da es ja andere Verhandlungsforen gebe (IWF, GATT, UNCTAD etc.), drängten die EL darauf, im Rahmen von UNCED die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung wieder aufzunehmen.

„Es ist klar, daß es unter diesen Bedingungen (Verschuldung, sinkende terms of trade, Protektionismus der IL, Anm. d. Verf.) keine realistische Möglichkeit für die betroffenen Länder des Südens geben wird, Entwicklungsprogramme einzuleiten, die nachhaltig und umweltverträglich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß das, worauf es ankommt, nicht nur die Bildung eines globalen Umweltfonds oder anderer Fonds ist …, um Umweltprogramme zu finanzieren. Was auch und in erster Linie vonnöten ist, sind Maßnahmen aus der Agenda der traditionellen und festgefahrenen Nord-Süd-Verhandlungen, nämlich Maßnahmen a) zur Reduzierung der Schuldenlast … b) zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe … c) zur Verbesserung des Zugangs des Südens zu internationalen Finanzmitteln … d) zur Verbesserung der Handeslpreise auf ein Niveau, das die ökologischen Kosten der Produktion im Süden in Rechnung stellt … e) zur Verbesserung des Zugangs der südlichen Länder zu den Märkten des Nordens.“ 8 (…)

Mit ihrem Gegenentwurf zum Aktionsprogramm »Agenda 21«, in den alle wesentlichen Punkte einer zu reformierenden Weltwirtschaftsordnung aufgenommen wurden, hat die Gruppe 77 die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung zumindest wieder eröffnet. Sie kann sich in diesen Fragen der Unterstützung durch südliche NGOs versichern. Beide sind sich in ihrer Einschätzung einig, daß eine Lösung der Armuts- und Umweltprobleme nur unter veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und gerechten Verteilungsstrukturen von Macht und Reichtum möglich ist.

Dabei treffen südliche NGOs nicht immer auf Solidarität ihrer nördlichen Counterparts. Bei den NGOs des Nordens, vor allem den Umweltgruppen, fehlt aufgrund der oft nur punktuellen Orientierung auf ein spezifisches ökologisches Problemfeld (Erhaltung der Regenwälder, Schutz der Wale, Biotechnologie etc.) häufig ein themenübergreifendes Problembewußtsein für globalere Zusammenhänge. Aus der Perspektive des Südens werden aber gerade internationale Reformen als unerläßliche Voraussetzung angesehen, um dem Süden überhaupt erst einmal einen Handlungsspielraum zu eröffnen, Reformen auf nationaler Ebene im Sinne einer ökologisch und sozial tragfähigen Entwicklung einzuleiten. (…)

In Gegensatz zu vielen Regierungsvertretern aus der Dritten Welt haben die erdrückenden externen Abhängigkeiten und die Forderung nach Veränderung der externen Rahmenbedingungen von Entwicklung den südlichen NGOs nicht den Blick für notwendige interne wirtschaftliche und soziale Reformen verstellt.

„Für die Probleme, mit denen der Süden heute konfrontiert ist, können nicht nur der Kolonialismus, die post-kolonialen Ungerechtigkeiten des Weltsystems oder der Norden und seine multilateralen Entwicklungsagenturen verantwortlich gemacht werden. (…) so haben auch die Regierungen in vielen südlichen Ländern eine fehlerhafte Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben. (…) es gibt außerdem viel zu viele Beispiele von Machtmißbrauch, Habgier, Korruption und Größenwahn politischer Führer, die zur Abzweigung von Regierungsgeldern auf private Bankkonten von Politikern im Ausland, zu Prestigeprojekten statt zu Ausgaben, die die Bedürfnisse des Volkes befriedigen, und zu nationaler Mißwirtschaft geführt haben.“

Das Entwicklungsmodell des Nordens: Überfluß und Überkonsum

Neben den negativen makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungleichen Weltwirtschaftsordnung liegt aus der Perspektive des Südens die Hauptverantwortung für die globale sozio-ökologische Krise auch in dem dominierenden »nördlichen« Entwicklungs- und Zivilisationsmodell mit seinen verschwenderischen Produktions- und Konsummustern und seiner grenzenlosen Wachstumsorientierung.

Zur Stützung ihrer Argumentation verweisen die Entwicklungsländer zu Recht drauf, daß die IL mit nur 20% der Weltbevölkerung ca. 80% der Weltressourcen verbrauchen und auch 80% des Schadstoffausstoßes verursachen. Demnach liegt das Problem der Ressourcenerschöpfung und der Umweltverschmutzung zu vier Fünftel in dem ökonomischen Modell des Nordens und zu einem Fünftel in dem Entwicklungsmodell des Südens begründet. Nach Auffassung südlicher Regierungs- und NGO-Vertreter kann man daher nicht von einer »gemeinsamen« Verantwortung für die Umwelt sprechen, die gleiche Rechte und Pflichten für alle Staaten nach sich ziehe. (…) UNCED solle daher primär über eine grundlegende ökologische Strukturanpassung in den Industriestaaten verhandeln, da diese in erster Linie verpflichtet seien, ihr verschwenderisches Wirtschaftsmodell zu ändern.

Strukturanpassungsprogramm für den Norden

Folgende Elemente einer solchen »nördlichen« Strukturanpassungspolitik werden gefordert: eine drastische Reduzierung des Schadstoffausstoßes, der für den Treibhauseffekt verantwortlich ist; die Identifizierung und den Abbau von Konsummustern und Lebensstilen »nördlicher« Zivilisationen, die die globale Umwelt gefährden; eine drastisch reduzierte Produktion und Nutzung von toxischen Chemikalien und ein Exportverbot solcher Substanzen und radioaktiver Abfälle in Entwicklungsländer; Verabschiedung einer Konvention für Multinationale Konzerne, die diese weltweit zur Einhaltung umweltverträglicher Produktionsstandards verpflichtet; Transfer von umweltfreundlichen Technologien in die Dritte Welt zu Vorzugsbedingungen etc.9

Die IL zeigten auf den bisherigen UNCED-Vorbereitungskonferenzen allerdings nur wenig Bereitschaft, das westliche Industrialisierungs- und Konsummodell in Frage zu stellen. Unter dem Druck ihrer Industrie lehnen sie einschneidende Maßnahmen zur Begrenzung ihrer eigenen Produktion und des Konsums ab. (…) Die IL plädieren vorwiegend, was ihre eigenen Wirtschaften und Gesellschaften angeht, für den verstärkten Einsatz umweltfreundlicher Technologien und technischer Neuerungen, um die Umweltbelastung zu verringern und den Ressourcenverbrauch einzudämmen. Soweit einschneidendere umweltpolitische Maßnahmen vorgeschlagen werden (Schutz der Regenwälder, Erhaltung der Artenvielfalt, Wiederaufforstung etc.), sollen diese Maßnahmen vor allem in den Ländern der Dritten Welt durchgeführt werden, ohne diesen für den entgangenen wirtschaftlichen Gewinn Entschädigungen leisten zu wollen. Maßnahmen, die die eigene Industrie beeinträchtigen könnten (…) wurden bisher zurückgewiesen. (…)

Vertreter aus der Dritten Welt befürchten, daß im Sinne einer lediglich für den Süden propagierten »nachhaltigen Entwicklung« eine Welt mit zwei Lebensstilen festgeschrieben werde. (…) Die wenig kompromißbereite Haltung der IL, Abstriche an ihrem eigenen Entwicklungsmodell zu machen, bestärkte viele EL in ihrer Haltung, ihrerseits keine ökologischen Selbstverpflichtungen zu akzeptieren, die ihre weitere Entwicklung und ein wirtschaftliches Wachstum beeinträchtigen könnten. Diese Haltung wird durch die gravierende Wirtschafts- und Verschuldungskrise in vielen EL und die von IWF und Weltbank erzwungene Exportorientierung ihrer Wirtschaften sowie durch den Zwang der Devisenerwirtschaftung noch weiter unterstützt. Da die IL nicht über diese makroökonomischen Rahmenbedingungen verhandeln wollen, die den EL Raubbau an ihren eigenen Ressourcen quasi aufzwingen, wird sich an dieser Haltung wenig ändern. (…)

Die südlichen NGOs setzen dem dominanten Entwicklungsmodell ein eigenständiges Entwicklungsmodell der »self reliance« entgegen, das den Wachstumsmythos radikal in Frage stellt und sich, soweit wie möglich vom globalen Weltmarkt abgekoppelt, an den traditionellen Werten, Wirtschaftsweisen und Technologien orientiert und auf die Bedürfnisse lokaler Gruppen und Kommunen ausgerichtet ist.10 In ihrer Forderung nach einem radikalen Wandel von »Entwicklung« müssen sich auch die nördlichen NGOs den Vorwurf gefallen lassen, das nördliche Wirtschaftsmodell nicht wirklich ändern zu wollen, sondern allenfalls kosmetische Reparaturen vorzuschlagen. Wie schon im Bereich der internationalen Rahmenbedingungen wurden auch in der Frage künftiger Entwicklungswege die Nord-Süd-Spannungen in die Reihen der Nichtregierungsorganisationen übertragen. (…)

»Globale Commons« versus »Nationale Souveränität«

Angesichts der Hauptverantwortung der Industriestaaten für die globale Umweltzerstörung wiesen die Entwicklungsländer nicht nur das Konzept der »gemeinsamen Verantwortung« zurück, sondern stellten ebenfalls das Konzept der sog. »global commons« grundsätzlich in Frage.

Als »global commons« (globales Allgemeingut) werden die natürlichen Ressourcen klassifiziert, deren Erhaltung für das ökologische Gleichgewicht der Erde lebensnotwendig ist, und die daher einem besonderen internationalen Schutz und Kontrollregime unterliegen sollen. Zu diesen »Allgemeingütern« sollen nicht nur solche Ressourcen wie die Atmosphäre, die Luft und Meere gerechnet werden, die sich außerhalb nationaler Territorien befinden, sondern auch die (Regen-)Wälder und andere unberührte Gebiete, die als CO-2 Senken und als Pflanzen- und Tierreservoir für die Stabilisierung des Klimas und die Erhaltung des Artenreichtums von Wichtigkeit sind. Die Nord-Süd-Auseinandersetzungen um die »global commons« konzentrierten sich vor allem auf die letztgenannten Ressourcen, da sich diese fast nur noch auf den nationalen Territorien der Entwicklungsländer befinden und in den Industriestaaten bereits aufgebraucht oder zerstört wurden. Die Länder der Dritten Welt, offizielle Vertreter wie NGOs, befürchten, daß sich durch die Klassifizierung ihrer nationalen Ressourcen als »Gemeingüter« die Industriestaaten und Transnationale Konzerne den leichten Zugriff auf die natürlichen Ressourcen in der Dritten Welt sichern wollen. (…)

„Es ist der Versuch, Interesse für unsere Ressourcen zu erzeugen, um dadurch zu bestimmen und zu kontrollieren, wie diese Ressourcen genutzt und verwaltet werden. In gewisser Weise würde es einer Enteignung unserer Wälder und anderer biologischer Ressourcen durch die Hintertür und ohne `sofortige, adäquate und effektive` Entschädigung gleichkommen, indem wir als Verwalter die nominelle Kontrolle behalten.“ 11 (…)

Um ihre Rechte auf ihre natürlichen Ressourcen zu verteidigen, aber auch um Einschränkungen von Entwicklungsmöglichkeiten durch Umweltauflagen abzuwenden, wurde und wird von den EL das Prinzip der nationalen Souveränität über die natürlichen Ressourcen hochgehalten. (…) Sämtliche Formen einer Konditionalität werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abgelehnt.

Finanzielle Ressourcen

Eine der Hauptkonflikte zwischen Nord und Süd entzündete sich an der Frage, welche zusätzlichen finanziellen Leistungen die Industriestaaten bereit sind, den Entwicklungsländern für die ökologische Modernisierung und Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen. (…)

Streitpunkte waren die Höhe, Art und die Mechanismen der finanziellen Hilfen. Während die USA auf der dritten Vorbereitungskonferenz die von der Gruppe 77 geforderten zusätzlichen, über die gewährte Entwicklungshilfe hinausgehenden finanziellen Mittel kategorisch ablehnten und auf die Bedeutung von Privatkapital und Auslandsinvestitionen für die Finanzierung einer ökologischen Modernisierung in der Dritten Welt verwiesen, zeigten sich die EG und die meisten OECD-Staaten bereit, zusätzliche Mittel aufzubringen.12

Zurückgewiesen wurde hingegen das von der Gruppe 77 in ihrem Vorschlag über „Finanzielle Ressourcen“ eingebrachte Konzept der Kompensationszahlungen. Dieses Konzept geht von einer »ökologischen Schuld« der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern aus, die durch die jahrhundertelange Ausplünderung der Ressourcen im Süden, die Einführung umweltschädlicher Produktionsmethoden und Materialien, die Beeinträchtigung der Entwicklung im Süden durch die Zerstörung der globalen Umwelt und durch die zu errichtenden Naturschutzgebiete etc. entstanden ist. Die Gruppe 77 fordert daher von den IL weitere, zusätzliche finanzielle Aufwendungen, die quasi als Entschädigungsleistungen zu verstehen sind. Auch südliche, vor allem lateinamerikanische NGOs haben wiederholt auf die ökologisch-soziale Schuld der IL verwiesen und diese der ökonomisch-finanziellen Verschuldung der EL gegenübergestellt.

Umstritten ist ebenfalls die vorgeschlagenen institutionellen Mechanismen für die Verwaltung und die Vergabe der zusätzlichen Finanzierungsfonds. Der Norden tritt entschieden dafür ein, diese Finanzierungsfonds institutionell an die Weltbank anzugliedern und die in der Weltbank für die Finanzierung von Umweltprojekten neu eingerichteten »Global Environmental Facility« (GEF) aufzustocken. Vor dem Hintergrund ihrer negativen Erfahrungen mit der Auflagenpolitik der Weltbank, mit den Umweltfolgen von Weltbankprojekten, mit den sozial verheerenden Auswirkungen der von der Weltbank propagierten Strukturanpassungsprogramme und mit den undemokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Weltbank haben die Regierungsvertreter wie auch die NGOs aus der Dritten Welt dieses Modell abgelehnt. (…)

Die Entwicklungsländer, Regierungen wie NGOs, schlagen daher die Bildung eines gesonderten »Grünen Fonds« vor, der auf der Basis gleicher Repräsentation demokratisch kontrolliert und verwaltet werden soll.

„Jeder »Grüne Fond«, der aufgebaut wird, muß auf dem Prinzip des UN-Systems »ein Land, eine Stimme« basieren. … Die Demokratisierung von Finanzierungsmechanismen ist entscheidend für den Aufbau demokratischer Prinzipien, die die Art der Ressourcennutzung anleiten und den Schutz der Umwelt ermöglichen können.“ 13

Demokratisierung und Partizipation

Während die Interessengegensätze zwischen Nord und Süd in den beschriebenen Punkten von Anbeginn aufeinanderprallten, schien in den UNCED-Vorbereitungskonferenzen vorerst eine vordergründige Einigkeit hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen zu bestehen. Forderungen nach größerer Partizipation der Bevölkerung an umwelt- und entwicklungspolitischen Programmen und nach demokratischen Entscheidungsstrukturen wurden sowohl von nördlichen wie südlichen Regierungsvertretern und NGOs erhoben. Interessensgegensätze kamen jedoch darin zum Vorschein, was unter Demokratisierung und Partizipation zu verstehen sei und auf welche Bereiche sie sich beziehen sollten.

Vor allem die USA und die EG hoben das Prinzip der Demokratie als Grundlage einer »nachhaltigen Entwicklung« und als Voraussetzung für weitere Entwicklungshilfe an die Dritte Welt hervor. Die USA plädierten dafür, die Prinzipien der Demokratie und der Marktwirtschaft als grundlegende ethische Prinzipien in der »Earth Charta« zu verankern.14 Demgegenüber erhoben viele Entwicklungsländer die Forderung, partizipatorische und demokratische Entscheidungsstrukturen vor allem auf den Bereich der internationalen (Wirtschafts-) Beziehungen (IWF, Weltbank) auszudehnen. (…)

Während die IL vor allem den Forderungen der EL nach Demokratisierung der internationalen Finanz-Institutionen ihren Widerstand entgegensetzten, zeigten sich besonders afrikanische Staaten gegenüber den Forderungen nach interner Demokratisierung ihrer eigenen Gesellschaften reserviert. Dies kann angesichts der autoritären und unterdrückerischen Regime in vielen Staaten der Dritten Welt nicht verwundern. Afrikanische NGOs wiesen z.B. darauf hin, daß viele Vertreter von sozial-ökologisch engagierten Gruppen Repressionen seitens ihrer Regierungen ausgesetzt sind. NGOs aus Nord und Süd plädierten wiederholt für die Notwendigkeit einer umfassenden Partizipation der betroffenen lokalen und indigenen Bevölkerungsgruppen bei der Definition und Durchführung von entwicklungs- und umweltpolitischen Prioritäten und Programmen. Sie setzten sich damit auch von den nur formaldemokratischen Forderungen der Industriestaaten ab und gingen über diese hinaus. (…)

Ausblick

Die oben aufgeführten Grundmuster der Nord-Süd-Auseinandersetzungen um Umwelt und Entwicklung verdeutlichen, daß sich die in der Gruppe 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer in den weiteren UNCED-Verhandlungen nicht mehr mit der nur untergeordneten Rolle entwicklungspolitischer Themen zufrieden geben werden. Sie drängen darauf, in dem Aktionsprogramm »Agenda 21«, die Umwelt- und Verelendungsproblematik in den Zusammenhang mit einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung und dem verschwenderischen nördlichen Wirtschaftsmodell zu stellen, da beide als wesentliche Ursachen für Umweltzerstörung und soziale Verelendung im Süden betrachtet werden. Damit stehen die Forderungen der Dritten Welt an eine Neue Weltwirtschaftsordnung, die die Nord-Süd-Debatte in den 70er Jahren beherrscht hatten und die in dem Bericht der Südkommission wieder aktualisiert wurden, erneut auf der Tagesordnung. In seinen Empfehlungen für eine weitere Verhandlungsstrategie der Entwicklungsländer rät das aus der Südkommission hervorgegangene South Centre:

„Der Süden sollte klarstellen, daß er keine der von der Konferenz empfohlenen Maßnahmen oder Vertragsentwürfe unterzeichnen wird, solange sie keine entsprechenden internationalen Maßnahmen und feste Zugeständnisse hinsichtlich der Nord-Süd Entwicklungsfragen und der globalen Wirtschaftsbeziehungen enthalten.“ 15

Ob die Staaten der Dritten Welt mit ihrer Konfrontationsstrategie Erfolg haben werden, ist angesichts ihrer eigenen Zerstrittenheit und der machtpolitischen Dominanz der führenden Industriestaaten allerdings zweifelhaft. „Den Kurs bestimmt auch in der internationalen Umweltpolitik die G7 – nicht die G 77.“ 16 Dennoch wird auch die G 7 gehalten sein, zumindest einige Zugeständnisse an die Entwicklungsbedürfnisse der Länder des Südens zu machen, wenn UNCED nicht an den zugespitzten Nord-Süd-Konflikten scheitern soll.

Anmerkungen

1) Vgl. Hauff, V. (Hrg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987 Zurück

2) Vgl. Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, Nuestra Propia Agenda, BID/UNDP, New York 1990; Die Herausforderung des Südens. Der Bericht der Südkommission. Über die Eigenverantwortung der Dritten Welt für dauerhafte Entwicklung, Bonn 1991. (…) Zurück

3) Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, a.a.O., 53 Zurück

4) Beijing Ministerial Declaration on Environment an Development, United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/85 Zurück

5) Vgl. United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/45 Zurück

6) Statement by the US Delegation on Poverty, Environmental Degradation, Sustainability, Health and Education, Geneva, August 29, 1991 Zurück

7) Martin Khor, Third World Network, Intervention at UNCED Plenary Session on Agenda 21/Financial Resources, Genf, August 1991 Zurück

8) South Centre, Environment and Development, Towards a Common Strategy of the South in the UNCED Negotiations and Beyond, Genf 1991, 10 Zurück

9) Vgl. South Centre, Environment and Development, a.a.O. Zurück

10) Vgl. u.a. Green Forum Philippines, An Alternative Development Economics, Manila 1991 Zurück

11) Statement by the Representative of Ghana on behalf of the Group of 77 in the Plenary of the 3rd Session of UNCED Prepcom in Items 2(A) and 2(B), Geneva, 26th August 1991 Zurück

12) Vgl. OECD Press Release, Meeting of OECD Ministers on Environment and Development, Paris, 2nd-3rd December 1991, Policy Statement (…) Zurück

13) Vandana Shiva, Why the World Bank cannot be trusted with environment protection and sustainable development, Third World Network Briefing Papers For UNCED, No. 9, August 1991 Zurück

14) Vgl. Statement of U.S. Position, UnCED Prepcom III, Statement of General Principles (A/CONF. 151/PC/78) Zurück

15) South Centre, Environment and Development, a.a.O., 8 Zurück

16) H.H. Lembke, Umwelt in den Nord-Süd-Beziehungen. Machtzuwachs im Süden, Öko-Diktat des Nordens oder Globalisierung der Verantwortung? Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1991 Zurück

Karin Stahl war Mitglied in der deutschen Delegation für die UNCED-Vorbereitungskonferenzen. Diesen Beitrag entnahmen wir in gekürzter Form dem epd-Entwicklungsdienst Dokumentation, Januar 1992.

»Dauerhafte Entwicklung« und Kommunalpolitik

»Dauerhafte Entwicklung« und Kommunalpolitik

von Dieter Kramer

Der im Frühjahr 1991 zurückgetretene Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff formulierte als knappe Zusammenfassung der Ziele seiner Politik: „… die Wirtschaftskraft Frankfurts stärken, zugleich darauf achten, daß der enorme Reichtum, der in dieser Stadt steckt, wirklich dazu genutzt wird, ein Stück soziale Gerechtigkeit und Reichtum für alle zu schaffen und in einer modernen, von wirtschaftlicher Dynamik geprägten Metropole aufzuzeigen, daß Stadt und Natur keine Gegensätze sind. Wir müssen gerade in einem solchen Raum vorbildliche ökologische Lösungen anstreben.“ Man könnte die Offenheit kritisieren, mit der hier unterschiedliche Ziele addiert werden, ohne ihre spannungsreichen Widersprüche zu thematisieren – aber einiges wird wenigstens genannt. Es lohnt sich durchaus, auch für die Einordnung der Kulturpolitik solche Kurzformeln der »Unternehmensphilosophie« einer Kommune ernst zu nehmen.

Zum Vergleich eine andere: „Frankfurt als die blühende Stadt der Liberalität und Experimentierfreude, des intellektuellen Disputes und der europäischen Aura, des produktiven Spannungsverhältnisses von Geld und avantgardistischer Kultur“. Redundante Leerformeln ohne ernsthafte Konsequenzen oder Verpflichtungen, könnte man dazu sagen; gravierender aber noch ist die Abwesenheit von wichtigen Themen wie Ökologie oder Soziales.

Einst waren Wiederaufbau und Fortschritt die »Vision«, die bündelnden Formeln für gemeinsame kommunale Aktivität. Immerhin könnte man sich heute auch noch andere Akzente, andere Ideen für die zukunftsfähige Metropole vorstellen, etwa nach dem Motto: Wenn Wohlstand und Prosperität in diesem Teil Europas einen überzeugenden Sinn haben sollen, dann den, Akzente zu setzen und Wege zu bahnen für eine Zukunft der Überlebensfähigkeit, für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und ihrer Lebensweisen als Voraussetzung des Wohlbefindens und des »anständigen Lebens« hier und anderswo. Wer, wenn nicht wir in einem der reichsten Länder der Erde, können dafür Ressourcen freisetzen? Wer kann ohne Verlust an Lebensqualität, ja mit einem Gewinn an solcher, eine ökologische Wende leben? Und wenn wir das tun, dann wird die übrige Welt mit Interesse darauf schauen – und uns vielleicht auch unseren Wohlstand weniger neiden.

Wachstumszwang?

Schöne Leitbilder genügen nicht. Es muß ansatzweise – gedanklich und praktisch – sichtbar werden, wie es denn weitergehen könnte. Man kann nicht die Daten der „Zivilisationskrise“ (Elmar Altvater), der „Begrenzungskrise“ (Kurt H. Biedenkopf), des Brundtland-Berichtes der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung kennen und eine Politik des „Weiter wie bisher“ verfolgen. Es macht keinen Sinn, das Wachstum der »dynamischen Metropole« zu beschwören und dabei zu verdrängen, daß Wachstum nur auf der Basis fortgesetzter weltweiter Ausbeutung, mit Risikotechnologien wie Atomkraft, um den Preis extremer Verletzbarkeit und mit zunehmendem Druck durch die wachsende Bevölkerung der armen Regionen der Erde denkbar ist.

Man kann aber nicht der Lebensstilgesellschaft, den Angehörigen der prosperierenden Schichten der Wohlstandsgesellschaft (und noch viel weniger den »Modernisierungsverlierern«) mit dem missionarischen Pathos der Askese und des Verzichts kommen. Was tun?

Politik muß glaubhafte Perspektiven für Zukunftsprobleme entwickeln. Geht es z.B. um Wachstumskontrolle oder Wachstumsbegrenzung? Durch Nichtausweisung von Gewerbeflächen usw. ließe sich theoretisch Wachstumsbegrenzung betreiben. Aber mit dem Argument des Gemeinnutzes, d.h. dem Programm der gleichmäßigen arbeitsplatz- und durchmischungsfördernden Planung, wird der Forderung nach einer wachstumshemmenden künstlichen Verknappung begegnet: Sie würde, sagt man, bedeuten, daß kapitalschwächere von kapitalstärkeren Nutzungen verdrängt würden (der Tokio- oder Singapur-Effekt). Es gäbe einen Verdrängungsprozess, der weil von externen Strukturen oder Faktoren abhängig, nicht mehr kontrollierbar wäre und der für den Arbeitsmarkt eher negativ wäre, und es würde der Druck auf die unkontrollierte Wohnraum-Umwandlung zunehmen, wird argumentiert.

Aber dieser Druck existiert ja ohnehin schon, und die Verdrängung findet seit Jahren statt. Zu sagen: Es gibt eine durch äußere Faktoren bestimmte Wachstumsdynamik, die politisch nicht zu bremsen ist, das bedeutet eine Kapitulationserklärung vor dem Selbstmordprogramm der Wachstumsgesellschaft.

Die Vorstellung von einem Gleichgewicht zwischen äußerer, fremdbestimmter Dynamik (des Wachstumszwangs), und innerer kommunaler Entwicklung hat hier ihre Grenzen: Wenn die innere (kommunalpolitische) Entwicklung nicht in der Lage ist, Einfluß auf die äußere zu nehmen oder sich ihr zu widersetzen, dann gibt es keine Freiräume. Daß sie sich diesen Zwängen nie wird total widersetzen können, darf kein Argument dafür sein, sich ihnen total auszuliefern. Und wenistens zu prüfen wäre, ob die spezifischen Werte einer Stadt wie z.B. Frankfurt, wie sie in der von den geographischen Lage in dem Eigensinn einer einzigartigen Struktur von Institutionen und Menschen liegen, nicht einen souveränen Umgang mit den fremdbestimmenden äußeren Faktoren ermöglichen statt einer prostitutiven Unterwerfung. Im Grunde kann jede Kommune ähnlich überlegen.

Akzente setzen

Eine Gesellschaft und eine Kommune sind nur dann zukunfts- und friedensfähig, wenn sie den Prinzipien von »Umweltverträglichkeit«, »dauerhafter Entwicklung« und Nachhaltigkeit gerecht werden. Die langfristigen Auswirkungen kommunaler Politik und urbaner Lebensform auf Ökologie und Umwelt müssen berücksichtigt werden, und zwar sowohl bezogen auf die direkte kommunale Lebenswelt, als auch bezogen auf die Fernwirkungen, die von der eigenen Lebensweise ausgehen. Der Kommune als umweltpolitischer Akteur bleiben nur wenige Möglichkeiten – keine Ausrede, sie nicht zu nutzen.

Ein Versuch, hohe Ziele zu stecken, ist das »Klimabündnis« der Städte mit den Indianern des Regenwaldes, bei dem Frankfurt Initiativen ergriffen hat. Die indirekten Wirkungen sind vielleicht noch wichtiger als die direkten (zu denen z.B. Tropenholzboykott gehört): Die Städte werden motiviert, über langfristige Strategien nachzudenken, tauschen Erfahrungen und Ideen aus, treten in einen Wettbewerb der Taten und Pläne ein. Beim sozialökologischen Umbau der Industriegesellschaften erwarten die Menschen von den Städten deutliche neue Akzente bei Verkehr, Energie, Wasser, Entsorgung.

Die ökologische Kommune steht für Zukunftsfähigkeit. Eine gelungen in die Problem-Realität dieser Erde eingeordnete Stadt, die perspektivisch umgeht mit Wohn-Not und Verkehrs-Widersprüchen, die exzessiven konsumaufwendigen Lebensstilen den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zwanglos vermittelt, und die gleichzeitig Menschen mit hohen, neuartigen Ansprüchen an Lebensqualität und Sinnorientierung Raum der Entfaltung und »tätigen Aneignung« wird – eine solche Stadt wäre ein überzeugender Beleg für die Gestaltbarkeit einer lebenswerten Zukunft. Es geht um überzeugende oder mindestens glaubhafte Vorstellungen und Praxisformen einer möglichen Zukunft für eine Gesellschaft, die an den Grenzen der Belastbarkeit ihres Lebensraumes angelangt ist und aus den Sackgassen des exponentiellen Wachstums nicht mehr herauszukommen scheint.

Soziale Qualitäten

Zu den heute gefragten Standortqualitäten der »postmaterialistischen«, zukunfts- und friedensfähigen Stadt gehört, daß hier Lebenspraxen und Lebensentwürfe lebbar und sichtbar werden, die glaubhaft zukunftsfähig sind. Dazu gehören z.B. auch Formen des Umganges mit Zeit, des Zeitregimes und der Mußefähigkeit – auch in der eigenen Lebenspraxis ihrer Repräsentanten, ebenso aber auch in den Formen des Umganges mit Arbeitskraft und Arbeitsmotivation der für die Kommune arbeitenden Menschen: Arbeitsleben und Freizeit müssen auch bei ihnen zu überzeugenden Formen von Lebensqualität zusammenfinden können. Insofern sind auch Sozial- und Tarifpolitik gefragt.

Definitionsmächte

»Kulturelle Öffentlichkeiten« der verschiedensten Art sind das Medium, in dem die Menschen sich über die Normen und Werte ihres Handelns verständigen. Menschen vergesellschaften sich auch kulturell, und wenn es in der heutigen »Begrenzungskrise« darauf ankommt, neue Standards für eine »dauerhafte Entwicklung« zu finden, dann geht dies nicht ohne kulturelle Öffentlichkeiten. Daß diese Standards auch hinreichend Raum für Neugierverhalten und expressive Verausgabungen enthalten müssen, das versteht sich – ohne solche Potentiale wäre Entwicklung nicht mehr möglich und wären heftige Konflikte zwischen den Generationen und Kulturen vorprogrammiert.

Die Städte sind heute bezüglich der globalen Umweltprobleme zentraler Ort gesellschaftlicher Selbstverständigung über deren Bewältigung. In ihnen befindet sich das bedeutendste Potential an »intellektueller Produktivität« daher sind sie in der Lage, Verständigungsprozesse über Umweltprobleme zu initiieren und zu unterstützen. Bei dieser Bereitstellung von Diskussionsfreiräumen sind die Städte besonders gefordert.

Die Zukunftsansprüche der modernen Mittelschichten, auf die Politik sich gerne beruft sind weit komplexer einzuschätzen als üblich. Sie reduzieren sich nicht auf den dekorativen Rahmen für die Inszenierung von Lebensstilen, sie sind auch nicht einfach als abfragbare Bedürfnisse vorhanden. Es ist denkbar, diese Schichten perspektivisch auch für mehr und anderes als »lifestyle« zu gewinnen. Der perspektivische Diskurs über die »zukunftsfähige Metropole«, die Thematisierung des Anspruchs auf „Leben in seiner Fülle“ (Dorothee Sölle), das Recht auf anständige und als sinnvoll empfundene Arbeit eingeschlossen, ist eigentlich ein Motiv, das für jemanden wie mich (schließlich zähle ich ja auch zu dieser Lebensstilgruppe) und die meisten derjenigen, die ich kenne, wichtig ist. Die Wohlstandsgesellschaft produziert auch bei ihren prosperierenden Gruppen Widersprüche und Brüche des »Wünschens und Begehrens«, die sich nicht einfach affirmativ auffangen lassen. Darauf hat Kulturpolitik Bezug zu nehmen, nicht auf »lifestyle«.

Neuartige Ansprüche an die Lebensqualität

Jener Wohlstand und Luxus, den sich die Angehörigen der prosperierenden Lebensstilgruppen in unserer Gesellschaft heute leisten können, wird nicht nur von den Apologeten der Marktgesellschaft, sondern auch von manchen ihrer Kritiker als besondere Chance der Wohlstandsgesellschaft empfunden.

Natürlich, wir wissen, daß die globalen Probleme erst aus dieser auf exzessiven Konsum angewiesenen Lebensweise resultieren, und daß die bloße Fortsetzung dieser Lebensweise die Probleme nur verschärft. Aber in einer prosperierenden Gesellschaft, deren Menschen nicht voll in Anspruch genommen sind durch die Zwänge des Alltags, sind auch Mittel vorhanden, um einen ökologischen Umbau in die Wege zu leiten. Und nur wenn die Menschen entsprechende Schritte nicht als Verzicht empfinden müssen, dann sind sie bereit, dazu beizutragen. Es gilt, diesen Wohlstand und diese Lebensweise so zu organisieren, daß sie mit dem Prinzip von »dauerhafter Entwicklung« in Einklang stehen.

Interessant ist in diesem Kontext das Umpolen von Lebenszeit und Kaufkraft auf »konsumtiven Konsum«, auf die Umsetzung von Zeit, Arbeitskraft und Geld in entsprechende Lebensqualitäten ohne zusätzliche Umweltbelastungen. Die Reichweite solcher Veränderungen ist gewiß nur begrenzt.

Aber wie wäre es, wenn sich bei uns die Standards, an denen Reichtum und Armut gemessen werden, ändern würden? Was würde geschehen, wenn „Leben in seiner Fülle“ plötzlich massiv eingefordert würde von einer jungen Generation, die erfährt, daß sie mittels materiellen Reichtums nicht nur um eine Zukunft in anständiger Umwelt, sondern auch um ein anständiges Leben selbst betrogen worden ist?

Überzeugende lebenskräftige und nachvollziehbare Formen und Praxen dieser Art scheinen mir wichtiger zu sein und eine größere Reichweite zu haben als ökologisch-pädagogische Konzepte und neue Curricula.

Politische Dimensionen des Modernisierungszwanges

In der politisch-kulturellen Diskussion hat sich ein ökonomistischer Determinismus breitgemacht. Von den Determinismen der Geopolitik, des Milieus, der Naturgebundenheit usw. ist die kulturwissenschaftliche Diskussion weitgehend abgekommen – sie favorisiert z.B. in der ethnologischen Diskussion statt des Determinismus einen »Possibilismus«: Die Menschen sind nicht den Umständen hilflos ausgelieefert. Sie können die Spielräume, die ihnen Natur und historische Voraussetzungen bieten, in unterschiedlicher Weise nutzen – das unterstellt dieser Possiblismus.

Die heutige Politik redet uns im Gegensatz dazu immer wieder den Sachzwang Weltmarkt ein, als bestände diesbezüglich nach wie vor ein Determinismus ohne Auswege. Sie konstruiert einen Modernisierungszwang, dem sich die Gesellschaft zu unterwerfen habe, und der ideologisch mit Formeln der Urbanität, der Fetischisierung von Schnelligkeit und avantgardismus abgestützt wird.

Der Politologe Frank Deppe hilft uns zu erkennen, daß es auch andere Interpretationsmöglichkeiten gibt. Er formuliert bezüglich der Aufgaben der Staaten von heute: „Unter den Bedingungen von sozialökonomischen und politischen Krisenprozessen (Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Staatsverschuldung) müssen diese sich zwischen dem Ausbalancieren von Wohlfahrtsansprüchen (Ausbau der sozialen Leistungen, Beschäftigungspolitik) und einer weltmarktorientierten Modernisierungspolitik entscheiden. Welche Optionen letztlich auch immer gewählt werden bzw. sich durchsetzen – dies ist freilich niemals ausschließlich der bloße Nachvollzug von äußeren Determinanten, sondern stets auch Resultat von inneren sozialen, politischen und ideologischen Auseinandersetzungen, bei denen sich Blöcke von Klassenfraktionen sowie von Interessengruppen formieren, die mit den bürokratisch-politischen sowie mit den ideologischen Staatsapparaten verbunden sind.“ <|>(S. 123)

Auch damit gewinnt Kultur an Gewicht. Die Option wird auch bestimmt von den sozialkulturellen Standards einer Gesellschaft: Was den Menschen wichtig und wertvoll ist, das geht auch in die politische Prioritätensetzungen ein. Mit ihren Standards entscheidet eine Gesellschaft darüber, wofür sie ihren Reichtum verwenden will.

Die Lebensqualität in einer Gesellschaft hängt in hohem Maße von solchen Standards ab. Sie erst machen gesellschaftlichen Reichtum zum sinnvollen Bestandteil von Lebensqualität.

Attraktivität und Stärke unserer Kultur

„Ich meine, daß die Kultur im sozietären, im deutschen Sinne des Wortes der beherrschende Faktor sein wird. Kultur bedeutet die Fähigkeit, ein Gesellschaftssystem zu strukturieren und für seine Verbreitung zu sorgen. Die Macht und Kraft von Gesellschaften beruht wesentlich auf ihrem Zusammenhalt, ihrer Fähigkeit, für sich selbst stark zu sein; eine starke Kultur ist das Selbstbild einer starken Gesellschaft.“ (Pascal Lamy, TAZ World Media 24.12.1990, S. 30/31)

Wenn wir diese Aussage von Pascal Lamy gelten lassen wollen (und einiges spricht für ihren Realitätsgehalt), dann wird es wichtig, zu klären, was denn unter der Stärke einer Kultur zu verstehen ist: Die Fähigkeit, stabil und dauerhaft sich zu entwickeln und eine überzeugende sowie attraktive Lebensform zu praktizieren?

Die Prosperitätsinseln der frühen Neuzeit, die Renaissance-Städte in Italien, haben aus ihrem Reichtum heraus ein neues humanistisches Menschenbild entwickelt, das vorbildgebend für weite Teile des Abendlandes wirkte. Wäre es nicht denkbar, daß aus unseren heutigen Prosperitätsregionen heraus ein neues, ein zukunftsfähiges Menschenbild des »anständigen Lebens« mit dauerhafter Entwicklung entsteht, das kulturell vorbildgebend wirkt und so die Vorherrschaft Europas nicht wirtschaftlich und militärisch, sondern kulturell abgesichert wird?

Literatur

Elmar Altvater: Die Zukunft des Marktes, Münster 1991
Kurt H. Biedenkopf: Zeitsignale, München 1989
Frank Deppe: Jenseits der Systemkonkurrenz. Überlegungen zur neuen Weltordnung, Marburg 1991
Volker Hauff: Ein Interview mit Claus Gellersen, in: FR 6.3.1991, S. 20
Klimabündnis der Europäischen Städte mit den Indianervölkern Amazoniens zum Erhalt der Erdatmosphäre. Dokumentation des Ersten Arbeitstreffens, Frankfurt/M, 1991 (Umweltamt)
Unsere Gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987

Dokumentation

Rigoberta Menchú. Eine Indigena als Kandidatin
für den Friedensnobelpreis 1992

Sie ist eine der tapfersten und engagiertesten Frauen der
guatemaltekischen Volksbewegung. Stellvertretend für die Menschen ihres Kontinents soll
sie den Friedensnobelpreis 1992 erhalten: Rigoberta Menchú aus dem Volk der Quiché.
Organisationen aus ganz Lateinamerika erheben diese Forderung. Rigoberta Menchús
Geschichte ist die Geschichte ihres Volkes. Von klein auf hat sie sich für die Rechte der
Bauern- und indianischen Gemeinden in Guatemala eingesetzt. Am eigenen Leib mußte sie die
skrupellose Verfolgung durch Militär und Staatsapparat erleiden. Ihr Vater wurde während
einer friedlichen Botschaftsbesetzung zusammen mit 30 weiteren Bauern von der Armee
ermordet, ihre Mutter und ihr Bruder zu Tode gefoltert. Obwohl Guatemala inzwischen
offiziell eine Demokratie ist, ist Rigoberta Menchú nach wie vor gezwungen, außerhalb
ihrer Heimat zu leben. Ein Votum für Rigoberta Menchú wäre ein sichtbares Zeichen für
die Unterstützung des indianischen Kampfes um Anerkennung ihrer Rechte.

Dr. Dieter Kramer ist Kulturwissenschaftler und arbeitet in Frankfurt. Ausführlicher beschäftigt er sich mit dem Problem von Lebensweisen, die mit dauerhafter Entwicklung und Nachhaltigkeit in Einklang stehen in einem Buch, das unter dem Arbeitstitel „Ein anständiges Leben mit Zukunft“ voraussichtlich im Frühjahr 1992 im Böhlau-Verlag (Wien, Köln) erscheinen wird.

Wasserkonflikte im Nahen Osten

Wasserkonflikte im Nahen Osten

von Andrea Lueg

Für den Nahen Osten werden Probleme und Konflikte, die aufgrund von Wasserknappheit entstehen, eine der größten Herausforderungen in der nahen Zukunft sein. Die meisten Länder der Region müssen bereits jetzt enorme Anstrengungen unternehmen, um ihre Wasserversorgung sicherzustellen und das Problem ist bestens geeignet, die zwischenstaatlichen Beziehungen in dieser Gegend voller ethnischer, religiöser und politischer Spannungen zu verschlechtern. Allerdings könnte die Wasserknappheit die einzelnen Länder auch zur Zusammenarbeit bewegen, gesetzt den Fall, sie erkennen darin ihre einzige Chance. Ein erster vager Schritt zu regionaler Kooperation könnte bereits vollzogen worden sein. Die Pläne für den Nahost-Friedensprozeß sehen vor, daß die bilateralen Gespräche von Verhandlungen auf multilateraler Ebene ergänzt werden. Eine der auf der ersten multilateralen Konferenz im Januar in Moskau gebildeten Arbeitsgruppen wird sich ab Mitte Mai in Wien mit dem Thema Wasser beschäftigen.

Über 50% der Bevölkerung im Nahen Osten (außer Maghreb) sind entweder abhängig von Flüssen, die mehrere Länder durchqueren, von entsalztem Meerwasser oder von Grundwasserversorgung. Zwei Drittel der arabisch sprechenden Bevölkerung sind abhängig vom Wasser aus Flüssen, die aus nicht-arabischen Ländern kommen. So beziehen etwa Syrien und der Irak den größten Teil ihres Wassers aus dem Euphrat, der in der Türkei entspringt und Ägypten ist nahezu ausschließlich auf das Wasser des Nil angewiesen, dessen wichtigste Zuflüsse in Äthiopien liegen. Vereinbarungen oder Verträge über die Nutzung des Wassers, die von allen Anrainerstaaten akzeptiert werden, gibt es für keinen der wichtigen Flüsse oder Grundwasserreservoire. Auseinandersetzungen sind somit vorprogrammiert.

Der größte Teil der Fläche des Nahen Ostens sind aride (=wüstenhafte) Gebiete, in denen es in den letzten Jahren weniger Regen und häufigere Dürreperioden gab. Gleichzeitig haben das enorme Bevölkerungswachstum (jährlich im Durchschnitt 3 %), wachsende Einwanderungszahlen (z.B. von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel), eine expandierende Industrie und andere Modernisierungsmaßnahmen den Wasserverbrauch enorm in die Höhe getrieben. Einige Wasserquellen werden darüberhinaus durch eine unzureichende Instandhaltung und die unsachgemäße Handhabung von Wassereinrichtungen unbrauchbar gemacht.

Bei der Planung von Wasserbauprojekten wird auf die ökologischen Nebeneffekte häufig nicht geachtet: die Verbreitung von künstlicher Bewässerung in der Landwirtschaft des Nahen Ostens – notwendig, um den Bedürfnissen der rasch wachsenden Bevölkerung gerecht werden zu können – führt nicht nur zu einer Verschlechterung der Wasserqualität durch Versalzung, sondern ist ursächlich an einer Reihe weiterer Umweltprobleme beteiligt. Künstliche Bewässerung ist oft verantwortlich für die Verbreitung von Krankheiten, die in Gewässern übertragen werden und der Bau von Staudämmen bringt die Umsiedlung zahlreicher Menschen mit sich, was häufig nicht nur eine finanzielle sondern auch eine ökologische Belastung bedeutet. Beim Bau des Assuan Staudammes waren davon zum Beispiel mehr als 100.000 Menschen betroffen. Wenn den Problemen der Wasserverunreinigung nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, kann dies nur zu einer weiteren Reduzierung verfügbarer Wasserquellen führen.

Die am schwersten betroffenen Gebiete in der Region sind Israel, die besetzte West-Bank und der Gaza-Streifen, Jordanien, der Irak, Syrien, die Türkei und Ägypten mit den Flüssen Jordan, Euphrat und Nil sowie deren wichtigsten Zuflüsse.

Der Jordan

Der Jordan ist ein komplexes Flußsystem, dessen vier Hauptzuflüsse, der Dan, der Hasbani, der Banias und der Yarmuk in verschiedenen Ländern entspringen. Es ist das am härtesten von Wasserknappheit betroffene Gebiet in der Region. Das Flußbecken enthält sehr wenig Wasser um das vier Staaten (Jordanien, Israel, der Libanon und Syrien) sowie die besetzte Westbank konkurrieren. Mit Ausnahme des Libanon haben alle diese Staaten zuwenig Wasser.

Bereits in den 50er Jahren begann Israel Wasser aus dem See Genezareth am oberen Lauf des Jordan durch Kanäle an die Küste und in den Süden des Landes umzuleiten. Sein wichtigstes Wasserverteilungssystem der National Water Carrier, wurde 1964 fertiggestellt. Nach dem Krieg von 1967 erklärte die israelische Regierung das Wasser in den besetzten Gebieten zur strategischen Resource und stellte es unter seine militärische Kontrolle. Seitdem war es für Palästinenser nicht mehr möglich, ihre Wasserversorgung zu erweitern, während Israelis begannen, tiefe Brunnen zu bohren, um die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten zu versorgen. Einige davon lagen so nahe an natürlichen Quellen, daß die Brunnen palästinensischer Bauern austrockneten. Dabei ist wichtig anzumerken, daß palästinensisches Land, wenn es mehr als zwei Jahre unbewässert bleibt, nach israelischem Besatzungsrecht enteignet und zu israelischem Staatseigentum erklärt werden kann.

Die Fläche des bewässerten arabischen Landes in der Westbank fiel von 27% vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 auf 3,7% im Jahre 1991. Israelische Siedler dagegen bewässern 70% ihres Landes künstlich.

Mit der Zeit wurde Israel immer abhängiger vom Wasser der besetzten Gebiete und inzwischen kommen mindestens 40% seines Wasserverbrauchs aus der Westbank und Gaza. Mit der Aufnahme von etwa einer Million jüdischer Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion wird der Wasserbedarf weiter wachsen. Die enorme Bedeutung des palästinensischen Wassers für Israel macht eine Aufgabe der israelischen Kontrolle über die besetzten Gebiete bei den ohnehin ins Stocken geratenen Friedensverhandlungen schwer vorstellbar. Selbst eine autonome Verwaltung des Wassers durch die Palästinenser scheint unwahrscheinlich.

Sowohl Jordanien als auch Israel verbrauchen bereits jetzt mehr als 100% ihrer erneuerbaren Wasserreserven und die Qualität von Oberflächen- und Grundwasser verschlechtert sich rapide.

Die Wassersituation im Gaza-Streifen ist dramatisch. Das einzige große Grundwasserreservoir, das das ganze Gebiet mit Wasser versorgt, ist durch übermäßiges Abpumpen von Wasser bereits mit Meerwasser kontaminiert.

Israels National Water Carrier hat auch Jordaniens Wasserversorgung stark beeinträchtigt. Südlich des See Genezareth ist der Jordan nur noch ein verschmutztes Rinnsal und 1991 mußte das Land wegen Wassermangel seine künstlich bewässerten landwirtschaftlichen Flächen um zwei Drittel verkleinern. Hält das Bevölkerungswachstum dort unverändert an, dann wird Jordanien nicht in der Lage sein, eine angemessene Wasserversorgung sicherzustellen. Zumal es in der letzten Zeit außerdem eine große Zahl von Flüchtlingen (z.B. Palästinenser aus den Golf-Staaten) aufnehmen mußte.

Um zukünftigen Engpässen vorzubeugen, plante Jordanien gemeinsam mit Syrien den Bau des Maquarin Staudammes auf dem Yarmuk. 1967 besetzte Israel jedoch die Golanhöhen und damit den ursprünglich geplanten Standort des Projektes. Ein neuer Standort wurde zwar gefunden und Syrer und Jordanier einigten sich 1986 erneut auf ein gemeinsames Staudammprojekt auf dem Yarmuk. Doch mächtige Geldgeber, wie die US Agency for International Development, bestehen darauf, daß alle betroffenen Staaten den Plänen zustimmen, bevor der Bau weitergeht. Israel hat dies bisher nicht getan.

Der Nil

Von den neun Ländern, die der Nil durchquert, brauchen lediglich Ägypten und der Sudan sein Wasser zum Überleben und haben davon extensiven Gebrauch gemacht.

Ägypten hat eine der am schnellsten wachsenden Bevölkerung auf der Erde. Etwa alle neun Monate nimmt sie um eine Million Menschen zu. Das Land braucht das Nilwasser für die Nahrungsmittelproduktion und die Stromerzeugung, die seine Wirtschaft aufrechterhält. Von den 100 Millionen Hektar Fläche Ägyptens sind nur 2,5% kultiviert und das wiederum ist nur möglich mit dem Wasser des Nils. Der Bau des Assuan-Staudammes, fertiggestellt im Jahr 1971, wurde zum Schlüssel für die landwirtschaftliche Expansion. Mit Hilfe des nun verfügbaren Wassers ließen sich statt einer, zwei oder drei Ernten im Jahr einbringen.

Weniger abhängig vom Nil ist der Sudan, denn anders als in Ägypten profitiert die Landwirtschaft dort auch von Regenfällen.

In keinem der Nilanrainerstaaten gibt es derzeit ein großes Wasserversorgungsproblem. Der Grund dafür liegt allerdings allein in der Tatsache, daß stromaufwärts gelegene Staaten wie Äthiopien, Uganda und der Sudan bisher mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen hatten. Sobald diese Länder stabile Regierungen erhalten und Entwicklungsprogramme, wie z.B. Bewässerungsprojekte starten, wird die Konkurrenz um die Wasserversorgung aus dem Nil schärfer werden. In dieser Hinsicht bereitet Äthiopien sowohl Ägypten als auch dem Sudan die größten Sorgen, denn die äthiopischen Zuflüsse zum Nil versorgen ihn zu einem Großteil mit Wasser. Davon abgesehen scheint sich die Wassermenge, die sich jährlich im Nilbecken sammelt, insgesamt zu verringern.

Weil Ägypten zunehmend abhängig von ausländischer Nahrungsmittelversorgung wurde, versuchte es seine Wasserversorgung durch den Bau des Jonglei-Kanals aufzustocken, durch den die Sümpfe des südlichen Sudan umgangen werden sollten. Der Kanal sollte so Verdunstung verringern, den Wasserfluß regulieren und Wasservorräte bilden. Der Bürgerkrieg im Sudan machte diesen Plänen 1989 jedoch ein Ende.

Weiterhin verwendet Ägypten viel Geld für die Urbarmachung von Wüstenflächen und künstliche Bewässerungsprojekte, obwohl Agrarexperten bezweifeln, daß für solche Projekte überhaupt ausreichend Wasser zur Verfügung steht.

Die Urbarmachung von Wüsten, ganzjährige Bewässerung und der dramatisch gestiegene Gebrauch von Kunstdünger und Pestiziden hat schon eine Reihe schädlicher Begleiterscheinungen auf die Umwelt gehabt: von etwa 30% des kultivierten Bodens in Ägypten nimmt man an, das er versalzen ist, Kanäle am Weißen Nil sind mit wuchernden Wasserhyazinthen verseucht und die in Gewässern übertragene Schlafkrankheit verbreitet sich rasant.

Der Euphrat

Der Euphrat entspringt in den Bergen der östlichen Türkei und sammelt dort den größten Teil seines Wassers bevor er Syrien und den Irak durchquert und in den Golf mündet. Die drei Staaten konnten sich bisher nicht über eine gerechte Verteilung des Euphratwassers einigen und seit die Türkei 1981 in Südostanatolien ein ehrgeiziges Entwicklungsprojekt startete (die türkische Abkürzung ist GAP) sind ernsthafte Spannungen entstanden.

GAP ist ein multidimensionales Entwicklungsprojekt, das verschiedene Elemente wie Staudämme, Wasserkraftwerke und Bewässerungsanlagen mit Plänen für die Verbesserung der Landwirtschaft, Industrie und Ausbildung in dieser am wenigsten entwickelten Region der Türkei integriert.

Im Rahmen des Projektes sollen mehr als 1,7 Millionen Hektar Land künstlich bewässert, die Energie-Produktion verdoppelt und landwirtschaftliche Überschüsse erwirtschaftet werden, die die Türkei an ihre arabischen Nachbarn verkaufen will.

Ein großer Teil von GAP ist bereits fertiggestellt. Sobald es voll funktionsfähig ist, müssen sich die stromabwärts gelegenen Länder auf einen stark reduzierten Wasserfluß und eine verschlechterte Qualität des Euphrat einstellen. Syrien müßte nach Angaben amerikanischer Experten dann auf bis zu 40% seines Euphratwassers, der Irak sogar auf bis zu 90% verzichten.

In Syrien herrscht bereits jetzt Energiemangel und ein verringerter Wasserfluß würde das Kraftwerk am Thawra-Damm beeinträchtigen. Der Versuch, die Fläche des bewässerten Landes zu vergrößern, um mehr Ernten für die auch hier explosionsartig wachsende Bevölkerung zu ermöglichen, würde erschwert.

Die irakische Regierung hat sich seit langem die landwirtschaftliche Selbstversorgung zum erklärten Ziel gemacht. Übermäßige Bewässerung und fehlende Drainagen haben dort zu einer Versalzung der Böden geführt, die nur noch durch Spülungen mit frischem, sauberen Wasser zu beheben wäre. Als Folge der neuen großen Bewässerungsanlagen in der Türkei und Syrien jedoch ist der Euphrat bereits sehr salzhaltig, wenn er in den Irak fließt und macht dieses Verfahren unmöglich.

Die türkische Regierung verfolgt verschiedene Ziele mit ihrem Südostanatolien-Projekt. Zunächst einmal will sie die vorhandenen Wasserreserven für ihre Zwecke ausbeuten, bevor dies durch die Bedürfnisse der rasch wachsenden Bevölkerung in der Gesamtregion unmöglich wird. Außerdem hofft sie, der kurdischen Minderheit von etwa 8 Millionen Menschen in Südostanatolien durch wirtschafltiche Verbesserungen einen Anreiz zu geben, die Assimilation als Türken zu akzeptieren und somit auch die örtliche Unabhängigkeitsbewegung zu untergraben. Zwischen der Türkei und Syrien gibt es immer wieder unterschwellige Machtspiele, bei denen die Türkei versucht, den Nachbarn zur Aufgabe seiner Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu bewegen, indem sie droht, ihm „den Wasserhahn zuzudrehen“. Umgekehrt scheinen die Syrer diese Trumpfkarte keineswegs ablegen zu wollen und behalten sie statt dessen als Druckmittel für einen unverminderten Wasserfluß des Euphrat nach Syrien in der Hinterhand.

Um den irakischen und syrischen Protesten gegen GAP zu begegnen, schlug der türkische Präsident Özal eine »Peace-Pipeline« vor, die Wasser aus den türkischen Flüssen Seyhan und Ceyhan auf die arabische Halbinsel bringen sollte. Für die Saudis hätte die Pipeline beispielsweise Wasser zu einem Drittel der Kosten von Meerwasserentsalzung geboten. Aber weder Saudi-Arabien noch die anderen betroffenen Staaten waren begeistert von der Vorstellung, von der Türkei oder den Staaten, die dieser Pipeline hätte durchqueren müssen, wie z.B. Israel, Jordanien, und dem Irak, abhängig zu sein. Zumal, wenn es um eine so lebensnotwendige Resource wie Wasser geht.

Darüberhinaus hat auch der Iran angeboten, die Wasserversorgung der Golf-Staaten zu übernehmen. Sollte es darüber zu einer endgültigen Einigung kommen, wäre das Projekt »Peace-Pipeline« endgültig gescheitert.

Die arabische Halbinsel

Im wüstenhaften Klima der arabischen Halbinsel wo es keinerlei Flüsse von irgendwelcher Bedeutung und keine nennenswerten Niederschläge gibt, versuchen die Bewohner, den Mangel an Regen durch die Ausbeutung von Grundwasserreserven auszugleichen.

Diese Reservoire enthalten jedoch häufig Brackwasser und sind bereits überpumpt. Mit jeder tieferen Bohrung verschlechtert sich die Qualität des Grundwassers nur noch mehr.

Ein großer Teil des Wassers, das auf der arabischen Halbinsel verbraucht wird, kommt aus nicht erneuerbaren Quellen, dem sogenannten fossilen Wasser, in tief unter der Erde gelegenen Reservoiren, die sich vor tausenden oder Millionen von Jahren füllten. In Saudi-Arabien beispielsweise kommt lediglich ein Zehntel des Wassers aus erneuerbaren Quellen, wie Flüssen, Brunnen oder Meerwasserentsalzungsanlagen.

Der Ölreichtum hat es den Staaten am Golf ermöglicht, kostspielige Lösungen für ihre Wasserprobleme zu suchen. Es gab eine Reihe kurioser Pläne, so z.B. den Import von Wasser in Supertankern, das Abpumpen von Nilwasser nach Saudi-Arabien und sogar die Idee, Eisberge aus der Antarktis heranzuschaffen. Lediglich die Meerwasserentsalzung ist jedoch eine ernsthafte, wenn auch nur begrenzte Alternative und die Golf-Staaten haben in den vergangenen Jahren Milliarden von Dollar in entsprechende Anlagen gesteckt. In Kuwait wird heute bereits der gesamte Wasserverbrauch durch Entsalzungsanlagen gedeckt. Darin kann jedoch kaum eine langfristige Lösung liegen, zumindest nicht für größere Staaten wie Saudi-Arabien, wo die Meerwasserentsalzung die wachsenden Bedürfnisse der privaten Haushalte und der expandierenden Industrie nicht befriedigen kann.

Dennoch verbraucht Saudi-Arabien 90% seines Wassers für die Landwirtschaft und verfolgt weiterhin das Ziel der Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln. Die mit enormen Summen subventionierte Landwirtschaft produziert Ernten, die zu einem Zehntel der Kosten importiert werden könnten. Ob das kostbare, nicht-erneuerbare fossile Wasser nicht besser für zukünftige industrielle Bedürfnisse aufgespart, statt in der Landwirtschaft verbraucht werden sollte, bleibt dahingestellt.

Viele internationale Wasserexperten halten es für unabdingbar, die Subventionierung von Wasser in der gesamten Region zu stoppen, vor allem für wasserintensiven landwirtschaftlichen Anbau, z.B. von Zitrusfrüchten. Über höhere Wasserpreise oder gar Rationierung ließen sich Anreize schaffen, um Verschmutzung und Verschwendung einzudämmen.

Lösungansätze

Tatsache ist wohl, daß ohne eine gemeinsame Wasserpolitik und ein besseres Wassermanagement das Wasser in der Region nicht für alle Länder ausreichen wird. Zwar könnten sich einzelne Staaten wie Israel oder die Türkei mittels ihrer militärischen Überlegenheit ausreichende Mengen für ihre Wasserprojekte und ihren Bedarf sichern. Doch hochtechnologische Anlagen wie Staudämme, Meerwasserentsalzungsanlagen oder moderne Bewässerungsprojekte wären vor Sabotageakten auf die Dauer niemals sicher.

Die einzige Alternative zum ständigen Konflikt läge also darin, Wasser zu sparen und neue Wasserquellen zu erschließen. Dafür gäbe es eine ganze Reihe möglicher Ansatzpunkte. Modernere Bewässerungstechniken in der Landwirtschaft könnten dazu beitragen, daß nicht so viel Wasser durch Verdunstung verlorengeht. Eine Sanierung undichter Leitungssysteme würde ebenfalls große Mengen einsparen und der Wasserverschmutzung müßte dringend durch Aufklärung der Bevölkerung und Einsatz besserer Technik Einhalt geboten werden. Als eine neue Wasserquelle könnte die Meerwasserentsalzung dienen. Statt jedoch Erdöl oder Kernenergie dafür zu verwenden, böten sich gerade im sonnenreichen Nahen Osten Anlagen an, die mit Solarenergie betrieben werden können.

All diese Verfahren kosten allerdings sehr viel Geld. Die kostspielige Meerwasserentsalzung, bei der der Preis pro Liter bei ca. 3,50 DM liegt, können sich bisher nur die reichen Ölmonarchien am Persischen Golf leisten. Aus eigener Kraft werden die meisten Länder der Region die erforderlichen Mittel auch in Zukunft nicht aufbringen. Dazu bedarf es der Unterstützung der westlichen Industrienationen. Als Teilnehmer an der Nahost-Regionalkonferenz werden sie zeigen müssen, wieweit sie daran interessiert sind, Stabilität in die Region zu bringen.

Andrea Lueg ist freie Journalistin in Köln.

Verantwortliche Entwicklung

Verantwortliche Entwicklung

Die Herausforderungen der Umwelt*

von Devaki Jain

Verantwortliche Entwicklung wird gewöhnlich mit Bezug auf die Umwelt definiert – danach nämlich, ob die Elemente des Planeten Erde durch einen bestimmten Weg des ökonomischen, technologischen und demographischen Wachstums erhalten oder zerstört werden. Der Begriff ist überstrapaziert und oft mißbraucht.

Als Wirtschaftswissenschaftlerin, die auf dem Gebiet der Armut und ihrer Beseitigung in einem Land wie Indien arbeitet, würde ich vielleicht eine andere Definition wählen. Ich möchte verantwortliche Entwicklung als die Entwicklung definieren, die den Armen gegenüber verantwortbar und von ihnen tragbar ist. Die Armen können oft nicht jeden Entwicklungsvorstoß verdauen, durchhalten oder von ihm profitieren. Eine arme Frau ohne Land in den trockenen Ebenen Indiens, vielleicht die einzige Ernährerin der Familie, wird eine gute Milchkuh oder einen Büffel ablehnen. Selbst wenn man sie ihr schenkt, wird sie vielleicht zwei Ziegen vorziehen. Warum? Eine Kuh braucht umfangreiche Pflege, mehr Futter und Betreuung durch einen Tierarzt. Sie ist anfälliger für Krankheiten, der Stall, den sie benötigt, ist vielleicht größer, als die Frau zur Verfügung hat. Ziegen könnte sie aber bewältigen.

Es geschieht so oft, daß die Entwicklungsangebote an die Armen, nicht nur wirtschaftliche, auch soziale, kulturelle, wissenschaftliche, sogar pädagogische, gar nicht aufgenommen werden können. Aber da es sich um Vorstöße handelt, dringen sie in ihre Bereiche oft nur als Störung ein, korrumpieren und bringen ihren Rhythmus durcheinander. Oft geht es ihnen danach in jeder Hinsicht noch schlechter – ihren kulturellen und intellektuellen Status eingeschlossen.

Daher möchte ich in dem Begriff der Verantwortlichkeit eher die Verantwortung gegenüber den Menschen und dem, was für sie tragbar ist, betonen, als diejenige gegenüber der Erde, und dem, was für sie tragbar ist. Auch ziehe ich vor, von den verantwortbaren Möglichkeiten des Lebensunterhalts für die Armen zu sprechen, und den Aspekt des Lebensunterhalts in der Entwicklung gegenüber der Entwicklung im allgemeinen zu betonen.

Durch die Veränderung in der Auslegung dieses Begriffs hoffe ich, die Betonung vom Planeten, von der Erde zu den Menschen zu verschieben. Selbst diejenigen, die ihren Blick auf die Sicherheit des Planeten gerichtet haben, tun dies offensichtlich, um den Menschen einen gesicherten Lebensraum zu bieten. Mit anderen Worten, auch ihr Ziel ist dasselbe, wenn auch um eins versetzt. Doch meine Verschiebung in der Betonung ist Absicht, denn manchmal vergessen wir in unserem Enthusiasmus für alles »Grüne« die grundlegenden Fragen: für wen dieses Grüne, zu welchem Preis und auf wessen Kosten und durch welche Mechanismen?

Die Debatte

In der Aktivierung für den Bereich des Umweltschutzes gibt es heute zwei Strömungen. Eine ist die »Begrünung«, d.h. stetige Bemühungen und Ausübung von Druck, um die Erweiterung der Waldgebiete um jeden Preis sicherzustellen, und die andere ist die Sorge um das Überleben der Armen und die Beseitigung der Ungerechtigkeit auf der Welt. Diese beiden Ansätze prallen häufig aufeinander. Es sieht so aus, als seien die, die die grüne Karte hochhalten, nicht genügend an der Frage nach den Menschen interessiert und umgekehrt.

Die »Menschen«-Strömung legt ein Konzept für die Beseitigung der Armut vor, in dem Entwicklung mit der Erhaltung der Umwelt in engem Zusammenhang gesehen wird. Dieses Konzept führt konsequent zu zwei weiteren Thesen. Zum einen, daß Armut der größte Umweltzerstörer ist. In ihren Strategien, ihren Unterhalt zu sichern, übernutzen die Armen die Ressourcen, fällen Bäume etc. – daher kann durch die Beseitigung der Armut die Umwelt erhalten werden. Zum anderen stellt Unterstützung, finanziell und durch bessere Bedingungen für den Handel und die nationale Entwicklung, einen Hebel zur Beseitigung der Armut dar; darum muß Entwicklung auf der Tagesordnung stehen (nicht nur der Wald).

Auf der anderen Seite sieht ein grüner Aktivist die politischen und bürokratischen Repräsentanten der südlichen Länder als ein Hindernis für die grünen Ideen im Süden, für die Sicherheit und die Bewahrung des natürlichen Erbes des Südens. Er möchte sich mit Gleichgesinnten im Süden verbünden und den brasilianischen oder den malaysischen Regenwald retten. Der grüne Aktivist ist also unsicher, was die Zukunft der Umwelt in den Entwicklungsländern betrifft, und nimmt deshalb auf sich, die Führungsrolle zu übernehmen.

Doch weder sind die Armen die größten Umweltzerstörer, noch ist die Entwicklungshilfe immer fähig, die Armut zu lindern. Die Ungleichheit ist groß, und selbst in den Entwicklungsländern gibt es Gleichgültigkeit gegenüber der Armut.

„Niemand hat saubere Hände, jeder ist verantwortlich. Wir sind zugleich die Übeltäter und die Opfer.“ sagte Dr. Carl Segan vor zwei Jahren in Delhi zu der Herausforderung durch die Umweltzerstörung, der die Welt sich zu stellen hat. Der anerkannte Astronom, Wissenschaftler und Autor warnte, daß viele Teile der Welt bei einer fortgesetzten Erwärmung der Erde auf dem derzeitigen Niveau bis zum Jahr 2050 überflutet sein und tiefliegende Länder wie Bangladesh vollständig untergehen werden. Zwar seien die entwickelten Nationen die größten Produzenten von Kohlendioxid, das durch fossile Brennstoffe wie Holz, Kohle und Benzin entsteht, und daher in erster Linie für die Erwärmung der Erde verantwortlich, aber die Entwicklungsländer lägen nicht mehr weit zurück, sagte er. Die USA und die UdSSR seien die schlimmsten Übeltäter, aber alle Entwicklungsländer zusammengenommen lägen hinter ihnen an dritter Stelle.

Doch die widerstreitenden Positionen, auf die ich oben hingewiesen habe, sind inzwischen verhärtet. Die UN-Konferenz zum Umweltschutz könnte, mit den Worten Maurice Strongs, des Generalsekretärs der UNCED, ein „großer Mißerfolg“ werden. Der UNCED-Prozeß ist – und das ist in UN-Kreisen bekannt – deutlich in zwei Lager gespalten. Das eine ist das der hochindustrialisierten Länder, die sich mit den Umweltproblemen nur in stark spezialisierter Form beschäftigen wollen (Ozon, Artenvielfalt, Wald, Erwärmung der Erde etc.) und die nur die Symptome angehen wollen, nicht aber die systemischen Fragen wie internationale Gerechtigkeit, verantwortliche Lebensweise und die einseitige Kontrolle der Ressourcen. Das andere Lager, das der Entwicklungsländer, sieht in dem Programm des Nordens eine Bedrohung seiner Souveränität, seines Rechts auf Entwicklung und auf die Nutzung seiner natürlichen Ressourcen in der Weise, die es selbst für die beste hält.

Die größte Aufmerksamkeit auf der UNCED-Konferenz gilt zur Zeit dem Wald. Während ein Ozonabkommen bereits unterzeichnet und unter Dach und Fach ist und getrennte Verhandlungen über die Erwärmung der Erde und den Artenschutz geführt werden, betonen die westlichen Länder die Notwendigkeit weltweiten verantwortlichen Managements. Am stärksten konzentrieren sie sich allerdings auf den tropischen Regenwald. Gerade dieses Thema zu forcieren war wahrscheinlich die schlechteste Wahl, die die westlichen Nationen treffen konnten, wenn man bedenkt, daß Wälder, anders als Ozonschicht und Atmosphäre, souveräne nationale Ressourcen sind.

Die Entwicklungsländer befürchten, wenn sie der Notwendigkeit von Umweltmanagement auch nur in allgemeinster Form ohne entsprechende ausgleichende, die Notwendigkeit von Entwicklung anerkennende Zusätze zustimmen, könnten auf der Konferenz in Rio getroffene Vereinbarungen die Hilfen, den Handel und die Schuldenpolitik beeinflussen. Ökonomische Hebel also, die sich alle ausschließlich in den Händen der entwickelten Länder befinden – und auf diese Weise wirtschaftliche Entwicklungsprogramme in souveränen Staaten von »grünen« Vorbedingungen abhängig gemacht werden. Schließlich sehen die Entwicklungsländer natürlich in dem Versuch, das Problem der Wälder in den Vordergrund zu rücken, einen Versuch, die Aufmerksamkeit von dem gewaltigen Energiehunger des Nordens abzulenken.

Die Nachdenklichen unter den führenden Politikern allerdings möchten einen Durchbruch erzielen und aus der Sackgasse herausfinden. Der indische Premierminister Mr. Rao sagte im November anläßlich der Eröffnung einer internationalen Konferenz: „Die Herausforderung des 21. Jhs. scheint schlicht darin zu bestehen, sicherzustellen, daß eine Gruppe von Geschöpfen – die Menschen nämlich – das gelungene Werk nicht sabotieren, das der Schöpfer vollbracht hat. … Seien wir gewarnt! Lassen wir das 21. Jahrhundert nicht zum Jahrhundert der zerstörten Hoffnungen werden.“

Er warnte vor den „beunruhigenden Tendenzen“ der Aufrüstung und der regionalen Konflikte. Abrüstung, sagte er, sei die einzig mögliche Antwort, wolle man die Sicherheit für die Zukunft gewährleisten. Mr. Rao warnte vor der Gefahr einer Loslösung der Wissenschaft von gesellschaftlichen Zielen, die sich im Wettrüsten in besonders dramatischer Weise manifestiert. Das Gebot der Stunde sei verantwortliche Entwicklung im Kontext der Umweltprobleme. Auch müsse entschieden werden, wie der Konsum in der entwickelten Welt auf ein akzeptables Maß reduziert werden könne, und er fügte hinzu, daß der Einzelne heute isolierter sei, verletzbarer und verwirrter als jemals zuvor. Es gebe eine zunehmende Apathie gegenüber der gesellschaftlichen Realität, die die Menschen umgibt. „Wenn dieser Trend sich fortsetzt, könnte es passieren, daß das Individuum seiner Menschlichkeit bald ganz und gar verlustig geht.“

Die Erklärung dieses Kongresses, die wir erhalten haben, kommt zu genau derselben Analyse, wie der indische Premierminister. „Wir sind in eine Phase eingetreten, in der sich die weltweite Entwicklung der Menschheit mit den Erfordernissen menschlichen Überlebens im Konflikt befindet. Das Wettrüsten, der Hunger und die Umweltzerstörung sind Gründe für die zunehmenden Konflikte überall auf der Welt.“

Wir sehen also, daß das, was uns zurückhält weder mangelndes Bewußtsein für die Fragen ist noch mangelnde Vorstellungskraft oder fehlende Entschlossenheit, das Trennende zu überwinden. Wir wissen, was nicht stimmt; wir wissen, was zu tun ist. Wir tun es nicht, weil es oft ein zu großes „Opfer“ verlangt – ein altmodisches Wort, von Moralisten gebraucht und mißbraucht, das, wenn man es „Tauschhandel“ nennt, besser klingt, aber dasselbe meint. Gandhi gründete seinen moralischen Appell an seine Mitstreiter auf diese alte Tugend des »Opfers« – wir müssen solche Ideen neu überdenken.

Die Rolle der Wissenschaftler und Ingenieure

Die Frage, die ich stellen möchte, lautet: Können Wissenschaftler und Ingenieure vermitteln? Können sie die Menschen und den Planeten aus dieser schwierigen Lage befreien? Ich glaube, sie können es. In sämtlichen Analysen der sich schnell verändernden Welt nehmen Wissenschaft und Technologie eine zentrale, eine entscheidende Stellung ein. Die Südkommission, ein Forum, das sich seit drei Jahren um ein Verständnis für den Süden bemüht, und das sich der Vision einer sicheren und gerechten Welt widmet, sagt Folgendes: „Die Technologie hat wesentlich zur Globalisierung beigetragen, sie ist von entscheidendem Einfluß auf das Tempo der gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen überall auf der Welt. Das Tempo der wissenschaftlichen und technologischen Weiterentwicklung hat weitreichende Auswirkungen auf alle Aspekte der Gesellschaft und alle Bereiche der menschlichen Beziehungen. Neue Technologien eröffnen der Menschheit dramatische neue Möglichkeiten, die genutzt werden könnten, um einige der hartnäckigsten Hindernisse zu beseitigen, die der Entwicklung des Südens im Wege stehen. Doch wissenschaftliche und technologische Innovationen sind nicht notwendigerweise heilbringend, wie ihre militärische Anwendung und ihre Folgen für die Biosphäre beweisen. Zudem könnten durch die ungleiche Verteilung wissenschaftlicher Kompetenz globale Ungerechtigkeiten und die Machtlosigkeit und Abhängigkeit derer, die nicht über dieses Potential verfügen, noch verstärkt werden. … Für jeden Versuch, Ungleichgewicht zu beseitigen, ist es wieder von zentraler Bedeutung, auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie aufzuholen. Aber gerade deshalb sind die Wissenschaftler und Ingenieure, die diese Aufgabe übernehmen, aufgerufen, ihr Denken auf die gesellschaftlichen Ziele zu richten. …

„Die tiefgreifenden Auswirkungen der jüngsten Weiterentwicklungen in Wissenschaft und Technologie im Norden haben die Bedingungen für eine Wissenschafts- und Technologiepolitik im Süden erschwert. Es ist die Pflicht aller Länder im Süden langfristige Anstrengungen zur Erhöhung ihrer eigenen Kompetenz auf diesem Gebiet zu unternehmen und aufrechtzuerhalten. Die jeweilige Stoßrichtung und die Prioritäten können sicher von Land zu Land variieren, aber ein gemeinsames und fundamentales Ziel muß sein, den Bestand an wissenschaftlich qualifiziertem Personal zu erhöhen, ohne die Bemühungen um die Modernisierung der Gesellschaften im Süden zu behindern.“

Die Wissenschaftler und Ingenieure können auf verschiedenen Ebenen vermitteln: intellekuell, politisch und moralisch. Auf der intellektuellen Ebene gibt es bereits Ideen und Strategien, die zum Schutz der Menschen und des Planeten beitragen könnten. Meiner Ansicht nach brauchen wir eine weit größere Konzentration auf diese spezifischen Punkte und eine Art Zusammenschluß der Meinungen. Dieser Zusammenschluß wird vielleicht zunächst in den Grenzen der beiden Hemisphären stattfinden müssen, um dann in einer weltweiten Solidarität fortgeführt zu werden.

Zur Verdeutlichung: Es ist notwendig, international für eine Bewegung einzutreten, die wegführt von der Zentralisierung und hin zu dem, was man dezentralisiertes Management von Wirtschaft und Gemeinwesen nennen könnte. Wir alle kennen die bedeutenden Umwälzungen, die in diese Richtung zielen. Aber was wir alle nicht kennen, und womit wir uns nicht befaßt haben, sind die Grundlagen, der institutionelle Rahmen für die Entwicklung.

In Indien nennen wir das Panchayati Raj, eine Regierungsform mit einem Dorf oder einer Gruppe von Dörfern als Basis. Wir verabschieden im Parlament gerade ein Gesetz, nach dem wir dann die Repräsentanten auf Ortsebene und aus der örtlichen Bevölkerung wählen werden. Unsere Hoffnung ist, ihnen dadurch die Möglichkeiten zu geben, nicht nur ihre Entwicklung selbst gestalten und durchführen zu können, sondern auch Zugang zu Ressourcen und ihrer Nutzung zu erhalten.

Dieser Ansatz zur Dezentralisierung weitet sich auf die Gebiete der Industrie und der Landwirtschaft aus. Dr. Abdus Salam, hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Korea eine hervorragende Analyse von Wissenschaft und Technologie für die industrielle Entwicklung erstellt. Er hat gezeigt, daß die breitgestreute und auf kleinen Einheiten basierende Produktionsweise die effizientere, die effektivere und die technologisch angemessenere ist. Denn je geringer die Größe, desto leichter fällt die Anpassung an das rapide Tempo der wissenschaftlichen und technologischen Weiterentwicklungen. Die Logik dieses Ansatzes ist unbestreitbar. In große Einheiten gebundene Kapitalmengen abzuziehen ist weit kostenaufwendiger, als die Demontierung einer Maschine oder Technologie, die klein, aber darum auch billiger ist.

Auf der politischen Ebene, so scheint es, herrscht eine weit größere Notwendigkeit, die Probleme derer zu verstehen, die sich für größere soziale Gerechtigkeit in den Entwicklungsländern einsetzen. Es muß uns klar sein, daß heute selbst Menschenrechtsaktivisten, selbst Umweltschützer im Süden nicht gerne die Souveränität des Südens gegen die „grüne“ Sache oder die Sache der Menschenrechte eintauschen würden. Das ist ein Fehler. Gewiß, die Sicht wird durch den Dunst politischer und bürokratischer Führung verschleiert. Aber was der grüne Aktivist, sagen wir in Deutschland, verstehen muß, ist, daß auch sein Gegenüber in Malaysia, Brasilien oder Indien diese Länder, vor allem die G7-Staaten des Nordens, durch einen ähnlichen Schleier sieht. Die Führer der G7 Staaten erscheinen uns nicht als edel, selbstlos, unkorrumpierbar, demokratisch oder voller Verständnis für den Planeten. Sie erscheinen in genauso wenig schmeichelhaften Farben.

Abfall und die USA

In den »harten« – zwischen Regierungen, offiziell zwischen Nord und Süd – wie in den »sanften« – Umweltschützer, der Nicht-Regierungs-Sektor – Debatten über unseren Planeten, die gegenwärtig auf ECCO 1992 in Brasilien hinarbeiten, bleibt die Welt weiterhin gespalten in Nord und Süd, reich und arm, die technologisch Fortgeschrittenen und die Rückständigen.

Menschen, in ihren jeweiligen Rollen, werden nur als reiche oder arme Objekte in Betracht gezogen. Arm bedeutet hohe Bevölkerungsdichte, das Fällen von Bäumen und Zerstörung von Land als Teil einer Überlebensstrategie. Reich bedeutet hoher Energieverbrauch, Produktion von Giftmüll in Industrie- und Wohngebieten. Die Kategorisierungen schließen das Selbst nicht ein, uns selbst, die Subjekte.

Um diese Situation zu verändern und uns selbst zum »geometrischen Punkt« zu machen – als Subjekte und nicht als Objekte – schlage ich eine andere Einteilung vor, die um den Begriff »Abfall« konstruiert ist. Ich schlage vor, daß wir die Welt/Gesellschaft einteilen in Abfallproduzierende und Nicht-Abfallproduzierende, mit Zwischenkategorien wie Abfallrecycling und Abfallreduzierung.

Die traditionelle Einteilung der Welt und die Art, in der die Akteure handeln, bieten uns keine emotionalen Hebel, die uns tatsächlich zu einer Geisteshaltung und zu Gewohnheiten bewegen könnten, die die Prozesse, durch die Umweltschäden reduziert würden, wirklich in Gang brächten. Darum schlage ich diese andere Art der Einteilung der Welt vor.

Die Hauptaufmerksamkeit gilt zur Zeit dem Aspekt der Verschmutzung durch Abfall. Abwässer und Abgase, die in die Erde, ins Wasser, in die Luft geleitet werden. Ein weiterer Aspekt bei der Produktion ist der Abfall, der wiederverwertet werden kann und der umweltverträglich ist. Auf diesem Gebiet werden verschiedene Technologien und Prozesse diskutiert und ausgetauscht.

Überdies gibt es auch Produktionen, bei denen überhaupt kein Abfall entsteht. Es gibt Formen der Verarbeitung und des Verbrauchs, die die restlose Verwertung des Rohmaterials sicherstellen. Zum Beispiel wird der pflanzliche Abfall, der aus der Küche kommt, an die Kühe verfüttert. Bäume wie Bananenbäume oder Kokospalmen werden in allen ihren Teilen genutzt. Mit anderen Worten, es gibt keinen Abfall. Es gibt Kulturen, die Abfall gar nicht erst zulassen. Ich nenne sie abfallvermeidende Kulturen. In diesen Kulturen werden Bäume danach ausgewählt, ob sie in allen ihren Teilen verwertbar sind. Es gibt Beispiele für Traditionen von Nahrungszubereitung und -konsum, in denen nicht die geringste Menge an Abfall erlaubt ist; in denen jeder angehalten ist, nicht mehr auf seinen Teller zu nehmen, als er essen kann. Es gibt religiöse Sanktionen und Mythen, die es den Menschen verbieten, Verschwendung von Korn oder gekochter Nahrung zuzulassen.

Nicht-abfallproduzierende Gewohnheiten oder Kulturen entstehen aus einer engen Verflechtung mit der Natur. Aus allem, was die Natur hervorbringt, dem Wasser, dem Boden und was auf ihm wächst, wird das ausgewählt, was in allen seinen Teilen verbraucht werden kann, ohne etwas verkommen zu lassen. All dies zusammengenommen kann man als die nichtverschwendende, abfallvermeidende Kultur bezeichnen, die in der Mehrzahl der frühen Gesellschaften und Kulturen fest verwurzelt war. Einige dieser »Kulturen, Sittenkodices« existieren weiter in den weniger »zivilisierten« Teilen der Erde.

Es ist interessant, daß in diesem Moment, auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert, die meisten fortgeschrittenen, industrialisierten und wohlhabenden Gesellschaften zur Praxis der geringen Abfallproduktion und ebenso zu einer rationalen Verteilung des Abfalls zurückkehren.

Es ist interessant zu beobachten, daß, befördert durch den Alarm, den die Umweltschützer geschlagen haben, Altes und Neues eins geworden sind. Zugleich legitimiert diese Übereinstimmung jene alten Praktiken, und vielleicht können die »neuen Gesellschaften« einen tieferen Einblick in die Traditionen der alten Gesellschaften gewinnen. Möglicherweise wollen sie nicht nur die Methoden der Abfallbeseitigung untersuchen, einschätzen und ihnen nacheifern, sondern auch die Methoden einer Lebensweise, die Abfallproduktion vermeidet oder minimiert. Abfallminimierung ist, genauso wie wirtschaftliche Produktion und Konsum, ein Aspekt menschlichen Verhaltens. Man kann Abfallminimierung als die eine Seite der Münze sehen, deren andere die Einschränkung des Konsums ist.

Wenn wir die Methoden betrachten, die Frauen in den armen Ländern anwandten, bevor sich die Brennholzkrise abzeichnete, so handelte es sich dabei um einen im höchsten Maße konservierenden und regenerierenden Prozeß. Mit der Einführung der rapiden Kommerzialisierung, die sich durch die Notwendigkeit beschleunigten Produktionswachstums auszeichnet, das wiederum eine schnelle Nutzung der Ressourcen erfordert, begann das gesamte System dieser Praktiken sich zu verändern, und der Mangel wurde in den armen Ländern so sehr zur Neurose wie der Krieg oder die Atomtests in den reichen Ländern. Man könnte daher argumentieren, daß die traditionellen Praktiken der Frauen zusammengenommen mit der Herausforderung von bestehenden Paradigmen durch Forschung zu und Analyse von Frauenfragen einen Weg aus der Sackgasse weisen.

Zwar wurde bei den jüngsten Veränderungen in Osteuropa Kritik laut, doch richtete sich diese weniger gegen die Eigentumsverhältnisse als gegen die zentralistischen wirtschaftlichen und politischen Strukturen. Das Streben gilt größerer Freiheit und dem Glauben, daß mehr Freiheit in Form ökonomischer und politischer Rechte mehr Raum bieten wird für Initiativen der ökonomischen und gesellschaftlichen Umgestaltung.

Darüberhinaus muß den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten mit ökonomischen, sozialen und politischen Managementstrategien begegnet werden, die bei gravierenden Versorgungsengpässen – ökonomischen und natürlichen – die Lieferung der Waren ermöglichen. Das alternative Paradigma, hervorgebracht durch die Erfahrung und die Sichtweise der Frauen, könnte in der Tat nicht nur für die Entwicklungsländer einen Ausweg bedeuten, sondern ebenso für diese sich neu herausbildenden ehemaligen sozialistischen Länder.

Ein gemeinsames Programm

Lebensweisen

Wir sehen also, daß Nord und Süd ein ähnliches Programm haben können, wenn man es um das Problem des Abfalls konstruiert. Eine Kultur, die nicht verschwendet und Abfall vermeidet, kann Teil einer gemeinsamen Ethik sein. Die Wissenschaft kann sich lediglich darum bemühen, die durch Abfälle verursachte Verschmutzung zu verringern. Ingenieure können im nachhinein Technologien entwickeln, die keine giftigen Gase oder Abgase produzieren. Aber nur Menschen können den Prozeß wirklich umkehren und so, im vorhinein, die eigentliche Wurzel des Problems entdecken.

Zur Diskussion steht heute, mit den Ländern im Süden zu verhandeln – zu bezahlen, damit sie weniger giftige Technologien verwenden, z.B. Kühlschränke, die kein FCKW abgeben.

Ich schlage vor, daß wir die höchste Priorität der Lebensweise einräumen. Sie ist unter unserer Kontrolle, menschlicher Kontrolle. Sie ist nicht »weit weg«, wie Gesetze und internationale Marktmechanismen. Sie liegt in unserer Hand. Indem wir daher die Welt nach der Kategorie »Abfall sortieren«, zeigen wir direkt auf die Verantwortlichen für die Zerstörung. Unser Beifall gehört dem Naturschutz, unsere Wertschätzung den Kulturen. Die feineren Unterschiede, die ökologisch und ökonomisch innerhalb der Länder bestehen, werden registriert. Mit anderen Worten, die Aufmerksamkeit würde in gleichem Maße auf den Norden wie auf den Süden gelenkt. Das Spezifische – die Produzenten und Konsumenten – würde aufgezeigt, und die Verantwortlichkeiten würden nicht vertuscht.

Würde die Welt in dieser Weise unterteilt, würde sich nicht nur ein völlig neues Bild ergeben, sondern die Finger würden genau auf die relevanten Stellen zeigen. Wir würden aufhören, auf Distanz zu gehen; es wäre nicht mehr möglich, sich der Verantwortung zu entziehen. Vielleicht würde zudem in den gesellschaftlichen Gruppen das Bewußtsein für die eigene Verantwortlichkeit wachsen; mit anderen Worten, vielleicht entsteht auf diese Weise ein besseres Werkzeug, mit dem die tatsächliche Veränderung der Verhaltensweisen herbeigeführt werden kann, die anscheinend der Schlüssel ist für die Erhaltung unseres Planeten.

Ein Appell

Ich möchte an Sie appellieren, daß wir, vergleichbar der heute berühmten Gruppe mit dem Namen Naturwissenschaftlerinitiative – Verantwortung für den Frieden, die diesen Kongress initiiert hat, eine Naturwissenschaftlerinitiative – Verantwortung für den Abfall ins Leben rufen und in unsere Vorbereitungen für Brasilien eine neue Art der Schichtung einführen. Ich erinnere mich, als ich in Triest war, beim Gründungstreffen zweier großer Netzwerke – der Third World Women Science and Technology Association einerseits, der naturwissenschaftlichen Institutionen andererseits – waren genau an jenem Tag die Zeitungen voll von der Nachricht, daß mit Giftmüll beladene Schiffe in einen afrikanischen Hafen einliefen, nachdem sie zuvor von einem anderen abgewiesen worden waren, und ich dachte, Dr. Salam und die anderen dort versammelten Wissenschaftler könnten gemeinsam diese Vorgehensweise öffentlich verurteilen.

Geistige Partnerschaft

Zur Zeit leben all diejenigen, die aus der Konsumgesellschaft aussteigen, in Ghettos, in Kommunen. Ob Nord oder Süd, sie sind Vegetarier, sie bleiben unter sich. Sie sind keine Massenbewegung.

Ein Vorschlag an meine Schwestern in Europa war, die Debatte über den Schuldenerlaß für den Süden zu vertiefen. Anhand von Studien lassen sich die tatsächlichen Auswirkungen auf ihren Warenkorb erkennen, d.h. die Waren, die sie kaufen, die sie essen, die sie tragen, die Häuser, in denen sie wohnen, ihre Einkommen, ihre jeweilige Arbeit. Wenn zum Beispiel die deutsche Regierung die Schulden irgend eines seiner Schuldnerländer erlassen würde, käme die deutsche Wirtschaft unter Druck, weil es sich hier um eine Investition handelt, ein Darlehen, das sich nicht so leicht abschreiben läßt und das eingeplant war. Aber was genau wären die Folgen für die »Bürger« (nicht für den Handel)? Wenn sie das klären könnten und es dann als ein Programm vorbrächten, und die Frauen im Süden genau sagen würden, welcher Art die Auswirkungen dieses Schuldenerlasses auf sie wären, dann könnten wir sehen, ob das Opfer, das die deutschen Frauen vielleicht zu bringen bereit sind, den Frauen im Süden tatsächlich helfen könnte. Nach allem, was Sie darüber wissen, würde der Schuldenerlaß eine kleine Gruppe von kleinen Betrieben und Händlern entlasten, die Güter herstellen, die für die Massen bedeutungslos sind.

Genau diese Art der Untersuchungen, die exakt die Gruppen von Menschen aufzeigt, die durch die großen politischen Themen wie zwischenstaatliche Verschuldung betroffen sind, würde das gesellschaftliche Interesse wachrufen. Ich sehe die Frauen in Europa aufhorchen, wenn sie die genauen Auswirkungen erfahren, die diese Politik auf sie und in ähnlicher Weise auf ihre Schwestern im Süden haben würde. Dann könnten sie die Verfahrensweise bei der Vergabe von Krediten tatsächlich beeinflussen. Dies ist eine Art der Aufdeckung von Informationen, durch die wir zu Erkenntnissen gelangen könnten.

Der Kongress könnte also eine führende Rolle übernehmen, indem er diejenigen Aspekte der wissenschaftlichen und ökonomischen Theorie zusammenträgt, die sich für eine verantwortliche Entwicklung und insbesondere für die Bekämpfung der Armut als schädlich erweisen. Eine solche Kritik zu katalogisieren, zusammenzufassen und zu artikulieren wäre äußerst hilfreich angesichts der derzeitigen Weltlage, die nach einem alternativen Paradigma sucht, das weder rein marktorientiert noch rein staatlich organisiert ist.

Eine weitere Empfehlung an diesen Kongress lautet, Versuche einer kritischen Untersuchung traditioneller Entwicklungsmethoden auf verschiedenen Gebieten zu unterstützen, wie auf dem der Ressourcen, Boden und Wasser, der wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen, des sozialen Managements oder der Gesundheit. Der Versuch bestünde darin, aus diesen Katalogen und genau geprüften Dokumentationen den Entwurf eines Curriculums zu erstellen, das nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in den entwickelten Ländern in die moderne Erziehung Eingang findet.

In dem Bericht der Südkommission, „Herausforderungen für den Süden“, haben wir die Einrichtung von geistigen Elitezentren im Süden empfohlen, die auf dem gesellschaftlichen, ökonomischen und geistigen Klima des Südens aufbauen sollen. Ihre Signale sollten Aufnahme und Aufnahmebereitschaft im Norden finden, damit die Verantwortbarkeit und Tragbarkeit der weltweiten Entwicklung gewährleistet ist.

Gandhi

So sehe ich ein gemeinsames Programm entstehen, das sich begrifflich fassen läßt als kollektiver Widerstand mittels persönlicher Teilnahme, wenn es um Entwicklungen geht, die eindeutig nicht am Menschen orientiert sind oder am Ziel einer besseren Welt.

Ich sehe keine andere Möglichkeit für uns, Druck auszuüben auf die gängige Politik und die herrschende Wirtschaft, als durch das, was Ghandi »Satyagrahe« nannte, d.h. eine Form so massiven und kollektiven Widerstands oder Boykotts, daß die Ökonomie zum Stillstand kommt. Gandhi hatte die Inder angewiesen, die Stoffe aus Manchester zu boykottieren und nur selbstgewebte Stoffe zu tragen. Durch die Unterstützung der Massen hat er es tatsächlich geschafft, England einen Schlag zu versetzen. Er forderte unterdrückte Gruppen stets auf, massenhaften Widerstand zu leisten. Er rief die Frauen auf, gegen die Herrschaft der Männer aufzubegehren, sogar den Geschlechtsverkehr zu verweigern, weil dies der einzige Weg war, klar zu machen, daß sie keine Sexobjekte sind. Er forderte die sogenannten oberen Kasten auf, ihre Toiletten selber sauberzumachen und auch die Toiletten derer, die angeblich dafür geboren sind, die Abtrittsgruben zu säubern. Er bestand darauf, daß Männer kochen und nähen sollten, und er bestand darauf, daß Frauen in den öffentlichen Demonstrationen mitmarschieren sollten. Er forderte die Intellektuellen auf, manuelle Arbeit zu tun. Tatsächlich mußten die, die zur Bewegung gehörten, diese Tätigkeiten ausüben, um an dem politischen Kampf teilnehmen zu dürfen.

In der Gründungserklärung der INES führen wir eine Reihe von Pflichten auf, die von den Mitgliedern zu erfüllen sind. Aber unsere eigene persönliche Verantwortung wird nicht angesprochen. In einem Workshop dieses Kongresses „Wissenschaft und Ethik“, leitet Franz Moser eine Diskussion über die zerstörerischen Tendenzen in uns selbst. Für mich ist dies für das Überleben der Menschen und des Planeten entscheidend. Unsere persönlichen Handlungen, unsere Lebensweise, Opferbereitschaft, Selbstkontrolle.

Mahatma Gandhi illustriert vielleicht derzeit am besten den praktischen Aspekt, die Umsetzbarkeit eines solchen Konzepts für globales Handeln. Er bestand darauf, daß seine Mitstreiter für die politische Befreiung von Ausbeutung und Abhängigkeit praktizierten, was sie predigten.

Will man Widerstand leisten gegen die wirtschaftliche Kontrolle durch Großbritannien, kann man nicht Produkte verwenden, die dort hergestellt wurden. Im Gegenteil, man verwendet, was man selbst produziert (der Kern der Selbständigkeit). Will man die Schranken und die Konflikte zwischen den Klassen, den Kasten und den Geschlechtern überwinden, so muß man wie die Armen leben, ihre Lebensweise übernehmen, das »Unwürdige« tun, das die Harijans tun; Man versetzt sich in die Haut der Anderen, wie man sagt, in das Bewußtsein der Anderen, um in deren Geist und im eigenen die Distanz abzubauen. So kommt es zu geistiger Konfliktlösung.

Viele Gelehrte haben über seine Methoden geschrieben – den Unterschied zwischen ihm und Marx verdeutlicht. Beide hätten eine Gesellschaft der Gleichheit und Gerechtigkeit angestrebt, doch sei Marx amoralisch gewesen, während Gandhi seine Hoffnung auf das moralische Bewußtsein des Menschen setzte. Gandhi postulierte den Menschen als gut – die Seele Gottes sei in ihm/ihr. Hobbes dagegen hatte vom Menschen gesagt, er sei „gemein, viehisch und schroff“. In Gandhis Augen war der Mensch ein Spiegelbild Gottes – und Gott umfaßte, wie es dem Grundgedanken des Hinduismus entspricht, nicht mehr und nicht weniger als das Universum, den Rhythmus, jenen Supercomputer, der das All ordnet.

Gandhi hoffte also, das Selbst könnte blankgeschliffen werden. Er stellte sehr schwierige Anforderungen an seine Mitstreiter für den Frieden. Jeder von ihnen mußte ein Meister der Selbstkontrolle und der Selbstdisziplin sein, ein Vorbild an Furchtlosigkeit, ohne Angst vor dem Tod, um an den kollektiven Massenaktionen teilnehmen zu können.

Solche Ideen sind es, über die wir erneut nachdenken müssen. Wir müssen auch unsere Verantwortung personalisieren – nicht nur unsere Rechte.

Da die UNESCO an diesem Kongreß beteiligt ist, möchte ich sie auf zwei Bereiche aufmerksam machen. Der eine ist der Bereich der Erziehung. Wir müssen in unseren Schulen und anderen Erziehungs- und Ausbildungsstätten »gerechte Geister« heranbilden.

In den besten Beispielen Ghandischer Pädagogik liegt das Gewicht auf einer Erziehung der jungen Menschen zur Überwindung der Spaltungen, von denen sie sich umgeben sehen. Durch direktes Leben reinigen sie ihren Geist von diesem Zustand des Getrenntseins. Aus diesem Grund bestehen die Schulen darauf, daß jeden Tag manuelle und niedrige, produktive Arbeiten getan werden müssen, um die Hierarchie zwischen geistiger und schwerer körperlicher Arbeit aufzuheben. (Lakshai Ashram)

Traditionelle und einheimische Wissenschaft und Technologie müssen zur modernen Währung werden – einen Platz in der gängigen Wissenschaft und Technologie erhalten. Das nenne ich den »indischen Geist«. Es gibt hervorragende Methoden der Wasserspeicherung in der Wüste in der Türkei, China und Indien, der Bodenkonservierung, der Schädlingsbekämpfung bei der Lagerung von Nahrungsmitteln, ganz abgesehen von Methoden des Energiesparens, der pflanzlichen Medizin usw.. Sie haben Methoden der Astronomie, die Mathematik, der Werkzeugbearbeitung. Die gesellschaftliche und politische Bewältigung von Konflikten nicht zu vergessen. Wir müssen sie integrieren um nach einer Überprüfung die naturwissenschaftliche Erziehung zu verändern.

Der Gedanke des Dalai Lama

Ich glaube, was wir heute brauchen, ist mehr Denken, mehr Einheit im Denken, mehr Führung im Denken. Aber wofür wir tatsächlich mobilisiert werden müssen, ist Handeln.

Handeln, etwas verändern ist die Methode, und es sind Einheit und globales Handeln, was wir durch solche Versammlungen erreichen wollen. Aber die Lücke klafft in der theoretischen ideologischen Führung, nicht in der Fähigkeit zum Handeln. Selbst für Nord-Süd Bündnisse, für Bündnisse zwischen Wissenschaftlern, Ingenieuren und gesellschaftlich Aktiven brauchen wir einen Standpunkt, einen gemeinsamen ethischen, geistigen, einigenden Rahmen – mit einigen ausgearbeiteten und akzeptierten moralischen Codes und Antworten. Vergangene Woche war der Dalai Lama in Delhi zu einem Treffen der Foundation for Universal Understanding. Er fragte die Inder: „Wo sind eure großen Geister? Ihr brachtet Geister hervor, die in die Zukunft sehen konnten. Heute sind euch die Füße gebunden.“ Wir müssen unserem Geist Beachtung schenken, unseren Kulturen und unserer Erziehung, die ihn nähren. Ghandi tat das.

* Vortrag auf dem Kongreß »Challenges« am 30.22.91 in Berlin.

Devaki Jain arbeitet am Institut of Social Studies Trust in Bongalore, Indien.

Die ökologischen Folgen des Golfkrieges

Die ökologischen Folgen des Golfkrieges

Ein vermeidbares Verbrechen an den künftigen Generationen

von Olaf Achilles

Vor dem militärischen Konflikt am Golf waren sich alle Kriegsteilnehmer und auch die Weltöffentlichkeit darüber im klaren, daß militärische Handlungen in dieser Region eine ökologische Bedrohung weit über die Grenzen Kuwaits hinaus bedeuten werden. Schon vor allen Kriegshandlungen konnte festgehalten werden:

  • Die Wiederherstellung der Internationalen Sicherheit gemäß der UN-Charta in dieser Region war nur durch die Gefährdung der Internationalen Ökologischen Sicherheit möglich.
  • Die Wiederherstellung der territorialen Integrität Kuwaits konnte nur durch die (ökologische) Verletzung der territorialen Integrität vor allem der angrenzenden Staaten erfolgen.
  • Bei einem Einsatz der Instrumente der militärischen Sicherheit wäre die Ökologie Kuwaits, insbesondere die betroffene Wüstenökologie, aber auch der Golf selbst, existenziell stark bedroht.
  • Brennende Ölfelder könnten eine verheerende Wirkung auf das Weltklima, vor allem aber auf das regionale Klima haben.
  • Das Umweltkriegsverbot sowie das Kriegsvölkerrecht werden bei einem Krieg verletzt werden.

Nach dem Prinzip der Schadensminderung hätten sämtliche militärischen Maßnahmen in der Region aus Gründen der Internationalen Ökologischen Sicherheit unterlassen werden müssen. Allein der potentielle Schadstoffausstoß brennender Ölfelder, und hierbei insbesondere die klimaschädlichen Gase, hätten angesichts der schon stattfindenden dramatischen Änderungen im Weltklima, zu einem besonnenen, weitsichtigen und möglichst ausschließlich diplomatischen Lösungsweg führen müssen.

Folgende »ökologische Verbrechen«, hervorgerufen durch die Mißachtung des »Umweltkriegsverbots-Vertrag« vom 18. Mai 1977 und des Zusatzprotokolls I zu dem Genfer Abkommen vom 12. Dezember 1977, konnten während und nach dem Krieg festgestellt werden:

  • Mutwillige und durch absehbare Kriegsfolgen hervorgerufene Zerstörung und Inbrandsetzung der Ölquellen in Kuwait und im Irak durch den Irak und die Alliierten
  • Mutwilliges und durch absehbare Kriegsfolgen verursachtes Einlassen von Öl in den Golf durch den Irak und die Alliierten
  • Mutwillige Zerstörung insbesondere der atomaren und chemischen Industrieanlagen im Irak durch die Alliierten
  • Ökologische Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung in Kuwait und Irak durch Zerstörung der zivilen Versorgungsinfrastruktur, sowie Verseuchung der Umwelt insbesondere der Flüsse durch den Irak und die Alliierten
  • Einsatz ökologisch bedenklicher Waffensysteme; potentieller Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch den Irak und die Alliierten; Verminung Kuwaits durch den Irak
  • Unterlassene Hilfeleistung bei der Schadensbegrenzung ökologischer Kriegsfolgen; Ausbleiben einer Evakuierung Kuwaits
  • Fälschung und Zurückhaltung von Daten zu den ökologischen Schäden

Die Datenlage

Auf einer ersten wissenschaftlichen Konferenz am 2.1.91 in London, die auf Initiative der Grünen in England stattfand, äußerten einige Experten gegenüber der Weltpresse ihre Befürchtungen über die möglichen Auswirkungen eines Krieges. Neben den zu erwartenden lokalen und eventuell globalen Klimaänderungen, könnte u.a. der Monsunregen in Indien direkt beeinflußt werden, was im Extremfall zu Ernteausfällen und damit zum Hungertod von Millionen von Menschen führen würde. Auch könnte die Ozonschicht über Indien und in anderen Bereichen der durch Raucheintrag gestörten Stratosphäre geschädigt werden.

Die Verseuchung der Golfgewässer sei bei einem Krieg vorgezeichnet und würde damit den Nahen und Mittleren Osten eines wichtigen Teils seiner natürlichen Nahrungsmittelgrundlage berauben (Dokument AI, Independent 3.1.91/ FR 4.1.91/ dpa 9.1.91).

Die deutschen Umweltverbände warnen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz vor einer globalen Umweltkatastrophe als Folge eines Golfkrieges. Der Deutsche Naturschutzring (DNR), der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) erklärten u.a., daß die weltweiten ökologischen Folgen eines Krieges weit über das Tschernobyl-Desaster hinaus gingen. Wer heute Krieg führe, könne dies nur noch um den Preis der eigenen ökologischen Vernichtung tun (div. Presse 12.1.91). (Dokument A II, Taz 12.1.91) Zahlreiche Wissenschaftler wenden sich mit weiteren ökologischen Szenarien gegen den Krieg. Die weltweit bekanntesten sind die »Abschlußerklärung der Scientific Task Force vom 14.1.91 in New York« (Dokument A IIIa) sowie eine Studie über die potentiellen Folgen eines Krieges für den Golf durch Öleintrag (Dokument A IIIb).

Das Britisch-Meteorologische Institut veröffentlicht am 15.1.91 in London eine Studie zu den möglichen Klimafolgen brennender Ölquellen in Kuwait. Die Studie stelle ein »worst-case szenario« dar und wird von der Industrie als „übertrieben pessimistisch“ bezeichnet. (Dokument A IV)

Schon im November 1990, vor dem Ausbruch des Golfkrieges, hatten kuwaitische Exilpolitiker an amerikanische und kanadische Ölbrandexperten wie Red Adair Aufträge für einen eventuellen Löscheinsatz vergeben. (Spiegel 41/91) (Dokument AV)

Zerstörung der Ölfelder in Kuwait

„In Washington wird davon ausgegangen, daß Saddam Hussein seine Drohung wahrmachen und die drittgrößten Ölvorräte der Welt in Kuwait vor einem eventuellen Rückzug vernichten wolle.“ (Dokument A VI FAZ 24.1.91)

Das US-Energieministerium gibt bekannt, das brennende Ölfelder allenfalls regionale Umweltschäden verursachen, aber keine globale Bedrohung auslösen würden. Intern wird ein Erlaß herausgegeben, der allen Wissenschaftlern, die mit Bundesmitteln forschen untersagt, sich negativ zu den ökologischen Folgen des Golfkrieges zu äußern. (Dokument A VII und A VIII, FR 25.1.91/Scientific American 5/91)

Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums vom 12.2.91 stehen seit einer Woche mehr als 50 Öl-Quellen in Brand. Wie es dazu kam sei unklar. Die meisten seien von den Irakern selbst angezündet worden, um die eigenen Stellungen gegen alliierte Luftangriffe zu schützen. Möglicherweise seien einige Feuer im Zuge der Angriffe der alliierten Luftangriffe entstanden. (Dokument A IXa, SZ 13.2.91 Dokument IXb, Taz 14.2.91, FR 14.2.91)

Die US-Luftwaffe beginnt damit, das Land in Todeszonen (Killing Boxes) einzuteilen und Bomben auf die Planquadrate abzuwerfen. Die Todeszonen werden systematisch abgesucht und angegriffen. „Wir sehen jetzt meilenweit verbrannte Erde und Bombenkrater“, berichtet ein US-Bomberpilot nach Einsätzen über Kuwait und Südirak. Die US-Piloten bezeichnen die neue Strategie als exzellent und sprechen von einer systematischen Zerschlagung der Armee. (Dokument A X, TSP 14.2.91)

Die Süddeutsche Zeitung meldet, die alliierten Piloten hätten den Auftrag bekommen, die Ölfeuer mit Bomben auszulöschen. Im Umkreis der brennenden Quellen breiten sich große Seen von Öl über die Wüste aus. (Dokument A XII, SZ 19.2.91)

Präsident Bush bezichtigt den Irak einer Politik der »verbrannten Erde«. Er verfolge das Ziel, die gesamte kuwaitische Ölindustrie zu zerstören. Die iranische Nachrichtenagenur INRA berichtet, die Umweltkatastrophe sei eine Konsequenz der alliierten Luftangriffe auf Kuwait sowie auf die Öl- und Wirtschaftszentren des Iraks. Die Rauchwolken reichen bis in den Süden Irans hinein.<> (Dokument A XIII, FR 25.2.91)<>

Der Spiegel berichtet von verminten Ölfeldern. (Dokument A XIV, Spiegel 8/91)

Die Kuwait Oil Company gibt eine erste Untersuchung bekannt, nachdem alle 950 Ölförderungsanlagen gesprengt worden seien. (Dokument A XVII, FR 2.3.91)

Einsatz von Öl als Waffe in Kuwait und am Golf

Die alliierten Streitkräfte bombardieren am 28.1. die Ölpumpanlage Sea Island, mit Hilfe derer die irakische Armee Öl in den Golf gepumpt hatten. Nach Schätzungen von Experten sind 1,5 Milliarden Liter Öl ausgeflossen, 40 mal soviel wie bei dem Tankerunglück Exxon Valdez. Der Ölteppich ist 900 km2 groß und bewegt sich mit 20 Stundenkilometern Geschwindigkeit auf die saudi-arabische Küste zu.

Am 29.1. sollen bereits 1,7 Milliarden Liter Öl in den Golf geflossen sein, davon eine Milliarde aus der Ölverladestation. Der Rest komme von 5 irakischen Schiffen, darunter drei Tankern, die vorsätzlich vor Kuwait-Stadt zerstört worden seien. Eine andere Quelle seien vermutlich beschossene Tanks und Raffinerien in der verlassenen saudi-arabischen Stadt Chafdschi. (Dokument C Ia, FR 30.1.91, C Ib, FAZ 29.1.91)

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Deutsche Naturschutzring fordern in einer gemeinsamen Erklärung wegen der Ölkatastrophe am Golf eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. (Dokument C II, KSTA 30.1.91)

US-General Schwarzkopf bestätigt, daß seit Tagen erneut Öl von der Halbinsel Fao aus dem Tankerterminal Mina el Bakr fließe. Weil fast alle schwimmenden Ölsperren zum Schutz der Meeresentsalzunganlagen und Kraftwerke benötigt werden, sind Millionen Tiere im Golf ungeschützt einem qualvollem Tod ausgesetzt (Dokument C III, SZ 1.2.91)

General Schwarzkopf schließt nicht aus, daß die Anlage bei Fao durch alliiertes Bombardement leckgeschlagen wurde (Dokument C IV, SZ 8.2.91)

Ein hoher Mitarbeiter der saudiarabischen Umweltbehörde informiert, 20-30% des Öls im Golf seien „die Folge von Angriffen der Alliierten auf irakische Ziele zu Lande und zu Wasser“. Mittlerweile sind 160 Küstenkilometer von dem Ölteppich betroffen. Saudi-arabische Wissenschaftler schätzen den Ölteppich auf lediglich 1,5 Millionen Barrel Öl. Das Öl, das zuerst an die Strände Saudi-Arabiens gespült wurde, stamme aus irakischen Tankern, die von amerikanischen Bombern angegriffen worden seien (20.2.). (Dokument C VI, TAZ/TSP/FR 21.2.91)

Verschleierung der Kriegsfolgen

In einer Stellungnahme des Worldwatch Instituts aus Washington vom 1. März werden die kuwaitischen Verantwortlichen in Anspielung auf die Londoner Smogkatastrophen aus den 50er Jahren aufgefordert, Kuwait erst nach der Löschung der Brände wieder zu besiedeln. Auch würde durch die Kriegshandlungen die Wüste Jahrhunderte brauchen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. In einer neuen internationalen Ordnung müsse der Schutz der Umwelt im Zentrum stehen. (Dokument B I)

Gesundheitsbeamte in Bahrain warnen am 17. März die Bevölkerung, daß das Atmen mit dem täglichen Rauchen von 20 bis 30 Zigaretten gleichzusetzen ist. Auch könnte verstärkt Hautkrebs auftreten, da die weit über 100.000 Flugeinsätze der Alliierten die Ozonschicht beeinträchtigt haben, teilte Jaffar al-Bareeq, Präsident der Bahreiner Krebsgesellschaft mit. Sie bitten die Weltgesundheitsorganisation um Hilfe. (Dokument B II, Environmental Outlook 19.3.91)

In Kuwait wurde nach einer im März herausgegebenen Schätzung des US-Umweltbundesamtes EPA ungefähr zehnmal soviele Schadstoffe in die Luft ausgestoßen, wie alle Industrieanlagen und Kraftwerke der USA zusammen. (Dokument B III)

Die ersten Ausläufer der Rauchwolke erreichen Europa. Das British Meteorological Office hat Satellitenfotos ausgewertet, die zeigen, daß sich rußhaltige Regenwolken bis an das Westufer des schwarzen Meeres, Rumänien, Bulgarien und Griechenland erstrecken. Im Osten hat der Qualm Afghanistan und Griechenland erreicht. (Dokument B IV, Spiegel 25.3.91)

Kuwaitische Umweltexperten vom kuwaitischen Institut für wissenschaftliche Forschung (KISR) fordern die Evakuierung von Teilen Kuwaits. In den Krankenhäusern häufen sich die Fälle von Bronchialasthma und anderen Atemwegserkrankungen, Hautinfektionen und Blutgeschwüren. Eine Untersuchung von sieben frischgeschlachteten Schafen habe schwerwiegende Irritationen ihres Lungengewebes gezeigt. Ein Tag in Kuweit-Stadt habe eine Wirkung ähnlich dem Rauchen von 250 Zigaretten. Es wird berichtet, daß 40 Ölquellen nachträglich in Brand gesetzt wurden, um die hochgiftigen und tödlichen Gase abzufackeln. Es wird beklagt, daß weder die Vereinten Nationen noch die US-Umweltbehörde, die Expertenteams an den Golf entsand haben, das KISR wegen dessen Untersuchungen konsultiert haben. (Dokument B V, FR 28.3.91)

Der Direktor des Überwachungssystems des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) Michael Gwynne erklärt, daß die Umweltschäden durch die Ölbrände nur mit denen von Tschernobyl vergleichbar seien. „Doch wie in Tschernobyl fehlen uns auch jetzt verläßliche Daten“. (Dokument B VI, FR 30.3.91)

Der Koordinator der UN-Hilfsaktionen am Golf, Prinz Sadruddin Aga Khan berichtet am 11.4., daß schwarzer Schnee im Himalaya gefallen sei. Das Regenwasser im Iran ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO gesundheitsgefährdend mit Blei und Ruß verseucht. Eine Probe im Südwesten Irans von Mitte März (!) habe sechsmal soviel Blei aufgewiesen, wie Trinkwasser höchstens enthalten darf. Auch der Natriumgehalt des Wassers liege vielfach über den Sollwerten. Die Erde sei stark durch Ruß und Schwermetalle verseucht. In der kuwaitischen Ölstadt Ahmadi nehmen bei Kindern Ekzeme zu, Frauen fällt das Haar aus. (Dokument B VII, FR 13.4.91)

Am 29.4. veranstaltet der Umweltausschuß des deutschen Bundestages ein Hearing zu den Umweltfolgen am Golf. Zahlreiche Experten beklagen, daß nur sehr wenige Daten vorhanden sind. Auch gebe es keinerlei Koordination innerhalb der Ministerien, der EG oder der UNO. Die Gesundheitsgefahr für die Bewohner Kuwaits schätzt der Kieler Toxikologe Prof. Dr. Ottmar Wassermann auf 10 bis 100mal höher als die Krebsgefahr in Westdeutschland. Unter Berücksichtigung von zehn Luftschadstoffen einschließlich des Dieselausstoßes komme gemäß der geltenden bundesdeutschen Grenzwerte, bereits ein Krebstoter auf 500 Einwohner pro Jahr. Kuwait müsse sofort evakuiert werden. (Dokument B VIII, wib 2.5.91)

Die dichteste Ruß-Wolke erstreckt sich über Kuwait, dem östlichen Irak und den westlichen und südlichen Teilen des Iran. Meteorologen des britischen Wetterdienstes haben über Kuwait in 2000 Metern Höhe Konzentrationen von 30.000 Rußteilchen pro Kubikmeter Luft ermittelt, das 30-fache dessen, was in einer Großstadt bei Smogalarmstufe vorhanden ist. Auch bei den Schadstoffen Schwefeldioxid und den Stickoxiden konnte man mit 1000 ppb das 20-fache bzw. mit 50 ppb das 10-fache eines Smognotstandes ermitteln. (Dokument B III, World Watch 7/8 91)

Die Todesrate in Kuwait wird wegen der noch immer anhaltenden Ölbrände nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um zehn Prozent steigen. Nach monatelangem Schweigen über die Umweltverschmutzung begann die kuwaitische Regierung in den vergangenen Tagen damit, über das staatliche Fernsehen Warnungen zu verbreiten.

50 bis 75% der Fläche Kuwaits seien mit öligem Ruß bedeckt. (Dokument B XIII, FR 20.9.91, Dokumente DI bis D III)

Zerstörung der (Wüsten-)ökologie

Tony Burgress, vom Wüsten-Institut der Universität von Arizona in Tucson sagte, er habe noch nie eine solche Zerstörung gesehen. Kuwaits Wüste sei vor dem Krieg trotz der Ölförderung ökologisch intakt gewesen, mit erheblichen Bewuchs und artenreichem Tierleben. Nun aber sei die Wüste weitgehend vom rußigen Abfall der Feuer bedeckt, der weder Wasser durchlasse noch das Keinem von Samen erlaube. Das gesamte Mikroleben im Wüstensand sei weitgehend abgestorben. (Dokument B IX, FR 26.6.91)

Ein UN-Beamter teilt mit, die Bewegungen tausender Fahrzeuge hätten während des 41tägigen Krieges die Bodenfläche, auf der sonst nur Kamele zogen, völlig verändert. Da die Wüste eine sehr lange Regenerationszeit benötige, seien Erosionen und heftige Sandstürme nach Angaben des UN-Wüstenexperten Ayoub unausweichlich. (Dokument B X, FR 6.7.91)

Zerstörung der Infrastruktur des Iraks

Der stellvertretende britische Generalstabschef teilt mit, daß die Bombenangriffe der Alliierten „beträchtliche Schäden“ vor allem an Einrichtungen zur Produktion chemischer und atomarer Waffen anrichten. Die Anlagen zur Rohölförderung im Irak seien zu 50 Prozent zerstört und die Lagermöglichkeiten für Öl schwer getroffen worden. (Dokument A V )

Alle wichtigen Raffinerien im Irak sind nach Angaben der Alliierten beschädigt oder geschlossen. Die Daura-Raffinerie bei Bagdad, welche 71.000 Barrel Öl am Tag produzierte, wurde in der ersten Bombennacht bereits getroffen. Danach zielten die Alliierten auf den Baiji-Komplex, die größte Anlage des Iraks mit 150.000 Barrel Ölförderung pro Tag. Basra, mit 70.000 Barrel am Tag, wurde ebenfalls getroffen (FT 15.2). (Dokument A XI)

Es wird bekannt, daß der türkische Staatspräsident Özal im letzten Moment eine Bombardierung der irakisch-türkischen Öl-Pipeline durch US-Flugzeuge verhindert hat (26.2.). (Dokument A XV SZ 27.2.91)

Das alliierte Oberkommando gibt bekannt, daß insgesamt 14 große Atom-oder Chemieanlagen zerbombt wurden. Über die Auswirkungen auf die Umgebung sei nichts bekannt. Andere Quellen sprechen im nachhinein von 31 Anlagen. (Dokument A IV, Taz 1.3.91, Dokumente D VI bis D IV)

Der Autor trug diese Stellungnahme auf der bundesweiten Anhörung zum Golfkrieg am 30. November 1991 in Stuttgart vor.

Dipl.-Ing. Olaf Achilles, Forschungsgruppe Ökologische Sicherheit, Bonn

Abkehr vom Wachstum

Abkehr vom Wachstum

Grundlage für eine ökologisch-solidarische Weltwirtschaft

von Manfred Busch

»Wachstum«, »Wohlstand«, »Freihandel«, »freiheitliche Weltwirtschaft« und »internationale Arbeitsteilung«, das alles sind hochgradig ideologisch belastete Begriffe. Sie sind weniger durch Wahrheitssuche als durch Interessenverschleierung geprägt. Ausgangspunkt eines alternativen Außenwirtschafts- und Entwicklungskonzepts ist eine grundlegend ideologie-kritische Position.

Ideologische Begriffe sind das Gegenteil von Aufklärung und Vernunft. Die Wissenschaften, die für sich in Anspruch nehmen, aufklärerisch zu wirken, sind nicht nur in autoritären Systemen eng mit den herrschenden Interessen verbunden, sondern auch bei uns im Westen. Dies gilt in einer kapitalistischen Gesellschaft natürlich in besonders hohem Maße für die Wirtschaftswissenschaften.

Wachstumspolitik im nationalen Rahmen

»Wachstum« ist der Kernbegriff einer Wirtschaftstheorie, die mehr zur Verschleierung als zur Erklärung ökonomischer Sachverhalte dient, und einer Wirtschaftspolitik, die unter dem Deckmantel scheinbar gesicherter Lehrsätze und Plausibilitäten knallharte Interessenpolitik durchsetzt.

»Wachstum« ist eine gesetzlich fixierte Zielgröße der Wirtschaftspolitik und gilt gemeinhin als Meßlatte ökonomischen Erfolgs. Die jeweils aktuelle Wachstumsrate ziert die Schlagzeilen; unsere Wirtschaftsfachleute singen das hohe Lied vom Wachstum in einer freien Weltwirtschaft.

Diese Wachstumspolitik wird seit mindestens 20 Jahren von vielen Seiten massiv kritisiert – daraus darf man allerdings nicht den Fehlschluß ziehen, in der Praxis der Wirtschaftspolitik habe sich viel geändert. Die sog. neue Nachdenklichkeit der Wirtschaftspolitiker gibt es nur in ihren Sonntagsreden; die Praxis ist immer noch die alte.

Die Vorstellung, daß Wachstum grundsätzlich positiv sei und zu einer Wohlstandsvermehrung führe, hat jenseits der Systemgrenzen eine vordergründige Plausibilität, die sich aus dem einfachen »je mehr, desto besser« ableiten läßt. So wird z.B. die Industrialisierung im 19. Jahrhundert wie folgt charakterisiert: „Der natürliche Wachstumstrieb, wie er auch dem Menschen eigen ist, konnte sich frei entfalten. Die Bäume der Produktion konnten plötzlich in den Himmel wachsen“ (Kurt Biedenkopf in „Die neue Sicht der Dinge“, 1985, S. 156). Industrielles Wachstum ist aber weder »natürlich« noch – angesichts einer endlichen Welt – unendlich fortzuführen. Bei unseren heutigen Wirtschaftsprozessen handelt es sich, wenn wir im Bild bleiben wollen, großteils eher um krebsartige Wucherungen als um Wachstum.

Eine Kernaussage dieser etablierten westlichen (neoklassischen) ökonomischen Theorie kann man wie folgt formulieren: Ein marktwirtschaftliches System findet unter den Bedingungen vollständiger Konkurrenz, d.h. vor allem bei frei beweglichen Preisen und funktionierendem Wettbewerb, seinen natürlichen und gleichzeitig optimalen Wachstumspfad von allein, aus sich selbst heraus.

In der Realität sind diese Modellbedingungen natürlich nirgends umgesetzt, und das Wachstumsziel wird verfehlt. Deshalb streiten die etablierten Wirtschaftspolitiker über die Reichweite ihrer Aufgabe: Sollen sie Wachstumsförderung allein durch das rigorose Streben nach Annäherung der Realität an die Modellbedingungen betreiben, z.B. über den Rückzug des Staates aus wirtschaftlicher Tätigkeit oder eine Mobilitätsförderung für Arbeitslose, oder sollen sie auch aktiv Wachstum fördern, vor allem durch Technologieförderung (Schlüsseltechnologien), Privilegierung von Investitionen, Steuergeschenke an Unternehmen und massive Exportförderung?

Was so neutral als „Schaffung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen“ bezeichnet wird, bedeutet in der wirtschaftspolitischen Praxis z.B. das Unterlaufen von Tarifverträgen. Denn: nach unten unflexible »Faktorpreise«, d.h. Löhne und Kreditmarkt-Zinsen, die auf Veränderungen in Angebot und Nachfrage nicht reagieren, gelten als Wachstumsbremsen. Angriffspunkt neoklassischer Ökonomen sind hier vor allem die Löhne, die in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit nach unten gehen müßten. Der Sachverständigenrat (die »Fünf Wirtschafts-Weisen«) läßt ja keine Gelegenheit aus, die seiner Ansicht nach „zu hohen“ Löhne gerade auch in Ostdeutschland anzugreifen. Sinken die Löhne nur genügend stark, so das marktwirtschaftliche Credo, dann wird die Beschäftigung auch des letzten Arbeitslosen wieder rentabel. Die Frage, ob damit eine ausreichende Versorgung der Beschäftigten gesichert bleibt, ist für den Propheten der reinen Lehre unwichtig.

Wachstumshemmend sind aber auch alle umwelt- oder sozialpolitisch begründeten Auflagen, also Eingriffe in das angeblich freie Spiel der Märkte. Mit der Forderung nach freier unternehmerischer Entfaltung wird faktisch der Vorrang der Ökonomie vor allen anderen gesellschaftlichen Interessen, auch der Ökologie, durchgesetzt.

Die Mängel des wachstumspolitischen Wirtschaftskonzeptes

Die etablierte Wachstumspolitik beruft sich zur Begründung ihrer weitreichenden Maßnahmen auf ein Konzept, das entscheidende Mängel aufweist:

Das Bewertungs- oder Qualitätsproblem

Die Wachstumstheorie hat kein Konzept, nützliche von schädlichen Gütern zu unterscheiden. Auch schädliche Güter vermehren das Sozialprodukt, auch die Reparatur von Schäden, die aufgrund der Produktionsweise entstehen, wirkt wachstumsfördernd. Ein vermehrter Pestizideinsatz erhöht die chemische und die landwirtschaftliche Produktion, erhöht die Trinkwasser-Aufbereitungskosten und damit den „Wert“ des Trinkwassers – und nicht zuletzt die Krankheitskosten. Alles steigert das Sozialprodukt. Heute wird der Anteil der ökologischen Folgekosten am Sozialprodukt für die BRD auf bis zu 20% geschätzt. Und diese Folgekosten wachsen doppelt so schnell wie das Sozialprodukt.

Die Befriedigung überflüssiger Bedarfe steigert ebenfalls das Sozialprodukt, z.B. der Bau des Transrapid, eines kostentreibenden Fremdkörpers in unserem Verkehrssystem, die Entwicklung und Einführung des hochauflösenden Fernsehens, die bemannte Weltraumfahrt; alles Objekte staatlicher Fördermaßnahmen. Wachstumspolitik braucht unsinnige, überflüssige und schädliche Produkte, bis hin zu Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten. Sie produziert einerseits ökologische Zerstörung und soziales Elend, auf der anderen Seite den Schein einer Überflußgesellschaft.

Güter, die keinen Markt und keinen Preis haben, z.B. die Luft, die wir atmen, oder die natürliche Umwelt gehen dagegen unabhängig von ihrer tatsächlichen Bedeutung überhaupt nicht in die Berechnung ein. Das gleiche gilt für Produkte der Tauschwirtschaft; weder die Subsistenzprodukte der Dritten Welt noch die Hausarbeit bei uns tauchen im Sozialprodukt auf.

Das Ressourcenproblem

Das Ressourcenproblem kam mit der Studie des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ weltweit in die Debatte. Produktionsfaktoren, die keinen Preis haben, werden hemmungslos verbraucht, auch wenn ihr Erhalt lebenswichtig ist. Das »qualitative Wachstum« fordert zum sparsamen Umgang mit unseren Ressourcen auf, steigert also die Ressourcen-Effizienz, z.B. den spezifischen Energieverbrauch; durch Mengenwachstum wird dieser relative Spareffekt aber häufig überkompensiert. Zudem werden zahlreiche Umwelt-Probleme auch mit modernster Technik überhaupt nicht beherrscht. In manchen Bereichen ist jeder geringe Verbrauch noch zuviel; Schwermetalle oder Dioxine z.B. werden überhaupt nicht abgebaut. Wir müssen also dahin kommen, nicht nur relativ, sondern absolut weniger zu verbrauchen.

Das Verteilungsproblem

Zwar vergrößert das Wachstum des Sozialprodukts den Verteilungsspielraum und entschärft damit vorübergehend das Verteilungsproblem – dies ist ein wichtiger Grund für seine politische Attraktivität, für den „Zwang zum Wachstum“ moderner Industriegesellschaften (Biedenkopf, S.155). Andererseits bleibt die ungerechte Vermögens- und Einkommensverteilung im nationalen und internationalen Maßstab aber unangetastet, ja sie verschärft sich sogar. Die Verteilungsspielräume werden weiterhin ungleich genutzt, die eh schon Bessergestellten profitieren mehr, die anderen weniger oder gar nicht.

Die Wachstumsgläubigen

Die Konfrontation mit den verheerenden Folgen der Wachstumspolitik kann die Rechtgläubigen allerdings nicht erschüttern. Für sie ist die Ursache nicht zuviel Markt, zuviel Wachstum, sondern zuwenig. Sie haben scheinbar auf alle Probleme eine Antwort:

  • Wenn nur die Umwelt ihren gerechten Preis erhielte, die VerbraucherInnen nützliche, umweltschonende Produkte nachfragten und die Unternehmen in umweltverträgliche Technologien investierten, dann ließe sich das Umweltproblem schon lösen;
  • wenn nur die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand vorangetrieben und eine verstärkte Qualifizierung der Arbeitskräfte realisiert würde, dann ließe sich die Beschäftigung steigern und damit auch die soziale Frage lösen usw.

Ob diese Rahmenbedingungen realisierbar und durchsetzbar, also praxistauglich sind, lassen sie im Dunkeln. Alle Erfahrung zeigt, daß diese geforderten »idealtypischen« Funktionsbedingungen nicht realisierbar und auch nicht wünschenswert sind. Die Löhne dürfen nicht voll flexibel sein, weil die Menschen damit zum Spielball ökonomischer Entwicklungen würden. Selbst noch so niedrige Löhne können nicht verhindern, daß arbeitssparender technischer Fortschritt Arbeitsplätze vernichtet; die gesellschaftliche Antwort hierauf muß Arbeitszeitverkürzung sein und nicht Lohnsenkung. Zahlreiche Umweltprobleme entziehen sich einer rein marktwirtschaftlichen Lösung: die Gefahren der Atomtechnologie, der Gentechnologie, der Chemieindustrie und vieles andere muß gesellschaftlich bewertet, aus der Bewertung müssen Konsequenzen gezogen werden. Hier ist in erster Linie staatliches Handeln gefordert, gestützt auf eine demokratische Entscheidungsfindung.

Wachstumspolitik im Weltmaßstab

Wie der Wachstumsbegriff besitzt auch das Konzept der »internationalen Arbeitsteilung« und des »Freihandels« eine vordergründige Plausibilität: „Soll doch jeder machen, was er am besten kann, dann profitieren alle davon“. Erfahrungen, die jeder Mensch in seinem unmittelbaren Lebensumfeld gesammelt hat, werden pauschal und unzulässig auf die Weltwirtschaft übertragen.

Grundlage für die heutige Außenhandelstheorie, die im Freihandelsdogma ihren entsprechenden politischen Ausdruck gefunden hat, bildet wiederum die (neoklassische) Wachstumstheorie. Im Ergebnis: Freihandel fördert Wachstum und Wohlfahrt aller (!) beteiligten Länder.

Die Außenhandelstheorie, wie sie allen StudentInnen der Wirtschaftswissenschaften beigebogen wird, verbleibt im Prinzip auch heute noch auf dem Stand von David Ricardo Anfang des 19. Jahrhunderts, der mit seinem „Theorem der komparativen Kostenvorteile“ die Vorteilhaftigkeit des Außenhandels für alle Beteiligten, wirtschaftlich Unterlegene wie Überlegene, aufzeigen wollte. Er demonstrierte an einem Beispiel, daß eine wechselseitige Spezialisierung im Handel – hier Tuch, dort Wein – für England und (!) Portugal Vorteile bringen kann.

Ein überraschendes Ergebnis, denn Portugal war damals gegenüber England führend sowohl bei der Wein- als auch bei der Tuchproduktion. Der clevere Engländer Ricardo wollte den widerspenstigen Handelspartnern in Portugal weismachen, daß sie von einer Spezialisierung Portugals auf Wein Vorteile hätten. Mit der Konsequenz, daß die Engländer sich auf das industriell herstellbare Tuch spezialisieren konnten – wirtschaftsgeschichtlich gesehen mit großem Erfolg, denn der Markt für Tuche war der »Markt von morgen«.

Solche Modelle, die von vorgegebenen Produktionsbedingungen und Ressourcenausstattungen ausgehen (natürliche Umwelt, Land und Arbeit bei Ricardo, später Kapital und Arbeit bei Heckscher-Ohlin), können die Charakteristika einer dynamisch wachsenden Weltwirtschaft nicht adäquat abbilden – auch nicht in den mathematisch verfeinerten neuzeitlichen Varianten. Der Begriff »Kapital« ist nämlich doppeldeutig: eine monetäre Wertsumme einerseits, ein realer Produktionsgüterbestand andererseits. Beides aber ist nicht an Ländergrenzen gebunden: Finanzkapital kann ex- und importiert werden, ebenso können Produktionsgüter an verschiedenen Standorten investiert werden. Beide ändern häufig – in Abhängigkeit von internationalen Rahmenbedingungen – ihren Wert bzw. ihre Fähigkeit zur Produktion. Zudem wird der Welthandel nicht von Ländern, sondern von Unternehmen betrieben, ein Großteil des Welthandels sogar zwischen verschiedenen Betrieben des jeweils gleichen multinationalen Konzerns.

Die »gegebene Faktorausstattung« eines Landes wird damit zur Fiktion, sie kann nicht zur Erklärung oder Begründung des Außenhandels dienen – die Theorie ist eigentlich mit ihrem Latein am Ende.

Die Vorstellung, daß ein Land über einen vorgegebenen Bestand an Arbeitskräften und Kapital verfügt, der die relative Vorteilhaftigkeit der Produktion und damit die weltweit günstigste Produktionsstruktur determiniert, ist nicht nur theoretisch unsinnig, sondern auch historisch falsch. Einige Länder wie z.B. Japan haben es – unter dem Schutz einer konsequenten Protektion – geschafft, den Kapitalstock ihrer Volkswirtschaft zu modernisieren und damit Weltmarkt-konkurrenzfähig zu machen. Gerade die Verbesserung der Sachkapital-Ausstattung und der Qualifikation der Beschäftigten muß doch Ziel der Politik sein, nicht die Anpassung des Handels an eine scheinbar naturgesetzlich vorgegebene Ausstattung.

Entsprechend müßte eine Weltentwicklungspolitik darauf ausgerichtet sein, die Voraussetzungen für einen gleichberechtigten Handel zu schaffen, z.B. im Rahmen der GATT-Verhandlungen, nicht den gegenwärtigen Rückstand zu zementieren.

Diese und andere konzeptionelle Fehler werden aber als notwendige Vereinfachungen verharmlost, um zu den gewünschten »praxistauglichen« Folgerungen zu kommen. Und die sind um so eindeutiger: Alle Länder müssen – angeblich im eigenen Interesse – Handel treiben, sich spezialisieren und in den Weltmarkt integrieren. In Ländern mit relativ niedriger Kapitalausstattung und hoher Unterbeschäftigung der Arbeitskräfte, also der Dritten Welt, sind eben die Löhne quasi naturgesetzlich niedrig. Mit anderen Worten: Die billige Arbeitskraft gilt nach Ricardo als „komparativer Kostenvorteil“ der Entwicklungsländer.

In den Worten von Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: „Freier Handel ist ein wichtiger Entwicklungshelfer“ (Referat am 6.12.1991 in Königswinter). Schließlich erhalten die Dritte-Welt-Länder, so das Argument, doch erst im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung für ihre Rohstoffe und einfachen Produkte die begehrten, technisch hochwertigen Industriegüter – Voraussetzung für Wachstum und Wohlstandsmehrung.

Die behaupteten Vorteilen des Freihandels und der internationalen Spezialisierung werden allerdings durch die konkreten Erfahrungen der Dritten Welt nicht bestätigt:

  • Gerade die für die Dritte Welt wichtigen Waren, vor allem Agrarprodukte, Textilien und andere einfache Industriegüter, unterliegen scharfer Weltmarktkonkurrenz und harten protektionistischen Maßnahmen der Industrieländer. Damit sind die Dritte-Welt-Länder strukturell benachteiligt, ihre Terms of Trade verschlechtern sich zunehmend, ihre Weltmarktintegration bringt nicht genügend Devisen, sie bleiben abhängig vom Norden.
  • Wenn international operierende Unternehmen, die »Multis«, Teile ihrer Produktion in Entwicklungsländer verlagern, um dort die niedrigen Reallöhne auszunutzen, ist das Sozialdumping. Wo bleibt die Forderung »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«?

In der Zeitschrift Impulse, nach Selbsteinschätzung „das Magazin für unternehmerischen Erfolg“ von Dezember 1991 liest sich das so: „Marokko, die beste Werkbank in Afrika. Facharbeiter zu Billiglöhnen gibt es vor allem in den größeren Städten“ (S. 108), oder „Vietnam: Die Löhne sind niedrig, es gibt eine hohe Zahl deutschsprechender Fachkräfte. Viele Projekte mit der ehemaligen DDR sind eine gute Basis für neue Kooperationen“. Solche „verlängerten Werkbänke“, auf denen mit billigen Arbeitskräften, insbesondere auch Frauen, nach westlichem Standard für westliche Märkte produziert wird, dienen vor allem den Interessen der Industrieländer. Gleiches gilt für Investitionen, die der Erschließung von Rohstoffquellen für den Norden sicherstellen.

Die ausbeuterische Handelsstruktur wird quasi naturgesetzlich gerechtfertigt; die Entwicklungsländer werden auf ewig in die abhängige Rolle der Rohstofflieferanten und verlängerten Werkbänke abgedrängt.

Die Schuldenfalle

Die Integration in den Weltmarkt als offensive Wachstums- und Industrialisierungsstrategie führte viele Dritte-Welt-Länder in die Katastrophe. Ihr Versuch einer nachholenden Industrialisierung endete in der Schuldenfalle, der Überschuldung. Per Saldo müssen die Entwicklungsländer mehr Schuldendienst zahlen, als ihnen an Entwicklungshilfe und privatem Kapital neu zufließt.

Zur Erfüllung ihres Schuldendienstes müssen viele Dritte-Welt-Länder ohne Rücksicht auf Verluste exportieren. Von einer sinnvollen Entwicklungsstrategie kann unter solchen Bedingungen nicht mehr die Rede sein, es bleibt nur noch der Ausverkauf des Volksvermögens. Als Beispiel sei hier der hemmungslose Export von Tropenholz in die Industrieländer genannt, der die landwirtschaftlichen Produktionsvoraussetzungen späterer Generationen unwiderruflich zerstört, oder der Import von als Wirtschaftsgut deklariertem Giftmüll.

Trotz dieser negativen Erfahrungen bestehen die Industrieländer auf uneingeschränkter Marktwirtschaft und noch stärkerer Weltmarktintegration für die Dritte-Welt-Länder. Ihnen wird zugemutet, was die Industrieländer im eigenen Bereich nicht umgesetzt haben, nämlich die Durchsetzung marktradikaler Konzepte ohne entsprechende wirtschaftliche Voraussetzungen.

Wer sich nicht nach diesen Auflagen richtet, wird bestraft. Der wichtigste Hebel hierzu sind die internationalen Schuldenverhandlungen. Aber auch die neue »Entwicklungszusammenarbeit« der Bundesregierung z.B. definiert die Einführung eines marktwirtschaftlichen Systems und die Einbindung in den Weltmarkt als Voraussetzung, um einem Entwicklungsland Entwicklungshilfe zu geben.

Mit dieser unbedingten Forderung nach Integration in den Weltmarkt setzen die wirtschaftlich Stärkeren rücksichtslos ihre Interessen durch. Die Fortführung der Ausbeutung kann dann auch noch als »höhere Vernunft« bzw. »Hilfe« deklariert werden.

Daß dieses Konzept vor allem auch zur Aufrechterhaltung des ausbeuterischen Status quo dient, läßt sich schon daran erkennen, daß eine »nachholende Entwicklung« nach dem Vorbild der kapitalistischen Industrieländer heute gar nicht mehr möglich wäre. Dies müßte bereits an dem überbordenden Energieverbrauch scheitern, der sich errechnet, wenn man den Pro-Kopf-Verbrauch eines US- oder Bundesbürgers auf die Welt-Bevölkerung umlegt. Anderes Beispiel: Nordrhein-Westfalen leistet sich genau so viele Autos wie der gesamte afrikanische Kontinent.

Alternativen zum Ziel des Wirtschaftswachstums und der Weltmarktintegration

Wirtschaftswachstum und Weltmarktintegration, Wachstumsraten von Bruttosozialprodukt und Welthandel sind keine sinnvollen, jenseits aller gesellschaftlichen Interessen tauglichen wirtschaftspolitischen Zielgrößen. Sie geben keinen Aufschluß über den tatsächlichen Entwicklungsstand, die Lebensqualität oder die Entwicklungschancen der Menschen.

Auch die Zielgröße „qualitatives Wachstum“ (CDU-Leitsätze 1984) bietet hier keinen Ausweg; „qualitatives Wachstum“ ist nur die propagandistische Antwort auf die massive Wachstumskritik seit den siebziger Jahren. Otto Schlecht, der langjährige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, kennzeichnete diesen postulierten Zusammenhang zwischen Wachstum und Umweltqualität einmal so: „Wachstum ist die Voraussetzung dafür, daß die notwendigen Investitionen zum Recycling, zur Abwasserreinigung, zur Vermeidung von Umweltverschmutzung durchgeführt werden können.“ Mit anderen Worten: Das quantitative Wachstumsmodell soll – durch technokratische Umweltnachsorge geringfügig modifiziert – weiterverfolgt werden. Eine Schrumpfung bzw. sogar der Abbau schädlicher Produktionszweige ist weiterhin tabuisiert; die ökologischen Folgen moderner Wachstumsbranchen, z.B. der Gentechnologie, werden weiterhin systematisch verharmlost. Dies gilt auch für das Modernisierungs-Konzept des »sustainable growth«, des dauerhaften Wachstums des Brundtland-Reports (Oxford 1987, S.92f).

Wir müssen uns vom scheinbar neutralen Wachstumsziel verabschieden. Die Frage „Wachstum: Ja oder Nein?“ ist falsch gestellt. Wachstum darf nicht mehr Ziel an sich sein, sondern nur noch als das statistische Ergebnis eines Entwicklungsprozesses angesehen werden, bereinigt um die Folgekosten des Wirtschaftens; es wird damit zu einem Indikator unter vielen. Das gleiche gilt für das Wachstum des Welthandels und die Weltmarktintegration: Beide sind nicht Werte an sich, sondern Instrumente, die wahlweise und nach sorgfältiger Prüfung selektiv einzusetzen sind. Neue Zielgrößen müssen sein: Sicherung der Grundbedürfnisse, Erhalt der natürlichen Umwelt, Verringerung des Ressourcenverbrauchs, soziale Gerechtigkeit, Bekämpfung der Erwerbslosigkeit u.a.

Solche Ziele können über Indikatorensysteme dargetellt und nachvollziehbar gemacht werden, die eine Vielzahl von quantitativen und qualitativen Elementen enthalten. Indikatorensysteme lassen sich nicht ohne explizite Wertungen, nicht ohne die Benennung von gesellschaftlichen Interessen aufstellen; sie dürften zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, zwischen Ost und West sehr unterschiedlich ausfallen und Kontext-abhängig sein.

Marktwirtschaft und Weltmarktintegration dürfen nicht ideologisch, sondern nur instrumentell betrachtet werden. Ergebnis des Wirtschaftsprozesses dürfte ein selektives Wachstum sein, in dem einige Sektoren der Wirtschaft wachsen, andere schrumpfen; für die Dritte Welt ist eine selektive Weltmarktintegration anzustreben. Dieser wirtschaftliche Umbau kann nicht einem anonymen Weltmarktprozeß bzw. multinationalen Konzernen überlassen bleiben, sondern muß gesellschaftlich und demokratisch entschieden werden.

Dr. Manfred Busch ist wirtschaftspolitischer Sprecher der GRÜNEN im Landtag NRW.

Ökologische Bilanz des Golfkrieges: Bagatellisieren und vertuschen

Ökologische Bilanz des Golfkrieges: Bagatellisieren und vertuschen

von Olaf Achilles

Auch vier Monate nach dem Golfkrieg weiß die bundesdeutsche Öffentlichkeit wenig vonden ökologischen Folgen des Golfkrieges. Die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen. Ihre Auffassung: „nach wie vor (stehen) zuverlässige Informationen nicht im ausreichendem Umfang zur Verfügung (…). Dies gilt insbesondere für die Umweltbelastungen, die durch die brennenden Ölquellen in Kuwait entstehen“ (Bt.-Prt. 25/12 S.1830).

Keiner evakuiert Kuwait und neben den Menschen im Irak sterben auch weiterhin die Zugvögel. Für diesen Krieg wurden die ökologischen Folgen billigend in Kauf genommen. Deswegen ist eine ökologische Bilanz dringend erforderlich.

Die Bundesregierung will noch ein Flugzeug in die Region schicken, daß in der Lage ist, die in der Luft befindlichen Schadstoffe zu messen. Darüber hinaus will sie ein Meßfahrzeug in Kuwait einsetzen.

Diese Maßnahmen könnten sich ebenso zum Flop entwickeln wie die (viel zu späte) Entsendung des Ölbekämpfungsschiff Mellum in die Region. Als „teuren Schildbürgerstreich“ hat der Bund der Steuerzahler den Einsatz bezeichnet, da es unverrichteter Dinge Mitte Juni wieder den Heimathafen angesteuert hat. Das Schiff hat keinen Tropfen Öl in der Region aufgenommen und wurde vorher zeitaufwendig wie auch teuer ausgerüstet.

Bundestagsanhörung

Am 29.4.91 fand im Deutschen Bundestag eine Anhörung zu den ökologischen Folgen des Golfkrieges statt, wo einige interessante Hintergrundinformationen jedoch keine wirklichen Daten genannt wurden. Aussagen zur ökologischen Situation im Irak entfielen gänzlich.

Die anwesenden Wissenschaftler konnten im wesentlichen nur Vermutungen äußern, so daß der Vorsitzende des Umweltausschußes von Geldern mit dem Satz „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ die Sitzung geschlossen hat. Dabei kamen die Vermutungen ganz klar zur Aussage, daß Daten geheimgehalten werden, darüber hinaus aber deutlich sei, daß Kuwait (und angrenzende Regionen) sofort evakuiert werden müssten. Das »Nicht-Wissen« der Bundesregierung ist somit Bestandteil einer »ökologischen Entwarnung«, wie sie auch in der Tendenz in einigen Fragestellungen während dieser Anhörung deutlich wurde.

Dr. Wolfgang Seiler vom Fraunhofer-Institut von Garmisch-Patenkirchen machte darauf aufmerksam, daß die Nichtmethan-Kohlenwasserstoffe über größere Strecken transportiert werden und bereits im April in verschiedenen Meßstationen auf der Erde eine Zunahme zu verzeichnen war. In den Vereinigten Staaten wurden in 10-12 km Höhe „ausgeprägte Schichten mit sehr starken Aerosolpartikelkonzentrationen“ gefunden, die wahrscheinlich Schwefelsäuretröpfchen sind. Den Ruß werde man natürlich, wie auch beim DDT geschehen, in der Antarktis nachweisen können. Es ist lediglich eine Frage der Konzentrationen.

Studie des Umweltbundesamtes

Inzwischen (im Mai) hat das Umweltbundesamt eine Studie mit dem Titel »Ökologische Auswirkungen des Golfkrieges« veröffentlicht. Auf 50 Seiten gibt es zu den bekannten Bereichen interessante, detaillierte Hintergrundinformationen, es werden jedoch keinerlei Primärdaten veröffentlicht. Dennoch war der Tenor in der Pressemitteilung ebenfalls als »ökologische Entwarnung« zu verstehen: „Erste Ergebnisse der Messungen weisen darauf hin, daß die Schadstoffkonzentrationen in den betroffenen Gebieten geringer ausfallen, als ursprünglich angenommen“. Wer wo was gemessen hat, wurde allerdings nicht bekanntgeben.

Der Ölteppich wird in seinen Grenzen vom März des Jahres abgelichtet. Genauso waren in der Anhörung des Deutschen Bundestages, auf die sich diese Ausarbeitung ebenfalls bezieht, Satellitenaufnahmen aus der Region von Ende Februar (!) zu sehen. Bis jetzt sind uns keine Aufnahmen aus März/April oder Mai bekanntgeworden.

Augenzeugen berichteten uns z.B. von Rauchschwaden im südlichen Griechenland. Auffallend leise ist es auch im Iran oder gar Indien. Der Meteorologe Dr. Carl hat auf einer Wissenschaftskonferenz zum Golfkrieg im Mai in Köln seine Berechnungen über den wahrscheinlichen Eintrag von Klimagasen dargelegt. Demnach wird der Monsumregen in Indien eher und heftiger einsetzen.

Die jetzige klimatische Situation in Asien, besonders Indien, Afghanistan und Pakistan: Monsunfluten, starke Hitze, starke Regenfälle. Der heißeste Sommer seit 1916… Und die Überschwemmungen in Bangladesch? Normale Auswirkungen des Treibhauseffektes…? Empirisch sind die Zusammenhänge natürlich nicht nachweisbar.

Tatsache aber ist, daß durch die Brände zwischen 3 und 5 Prozent der Welt-CO2-Gesamtemission freigesetzt werden und noch einmal durch Methan im CO2-Äquivalent berechnet weitere ca. 4-15% hinzuzurechnen sind. Alle Anstrengungen der Bundesregierung, unseren CO2 Ausstoß bis zum Jahre 2025 zu halbieren, werden somit fast nivelliert.

Die ökologischen Folgen für die Region werden derzeit immer schlimmer. Inzwischen liegt auch auf dem Golfgewässer ein feiner Ölschmierfilm, der wiederum die Trinkwassergewinnung beeinträchtigen könnte. Die Wassertemperatur ist um 5 Grad gesunken, in Dharan lag die Lufttemperatur im April um 12 Grad niedriger.

Alle Vögel sind schon da – alle?

Der Naturschutzbund Deutschland macht in einem Faltblatt („Alle Vögel sind schon da – alle?“) darauf aufmerksam, daß 100.000 Zugvögel gestorben seien. „Nach dem Massensterben der dort beheimateten Tierwelt flogen in den letzten Monaten tausende von Zugvögeln in den Öltod“. In Saudi-Arabien, so der SPD-Abgeordnete Michael Müller, seien 90% der Vögel bereits tot.

Red Adair, der weltbekannte Feuerlöschmann in Sachen Ölquellen, spricht inzwischen von ca. vier bis sechs Jahren Löschzeit. Über 150 Quellen seien gelöscht, was natürlich nicht bedeutet, daß sie nicht mehr sprudeln. Dennoch gibt es anscheinend große Schwierigkeiten bei der Materialversorgung. Die kuwaitischen Behörden seien unfähig. Die Bundesregierung gibt derweil auf Anfrage bekannt, daß das Öl, bei Einfrierung des Verbrauchs auf das Niveau von 1990, weltweit nach 43 Jahren aufgebraucht ist.

Die SPD drängt die Bundesregierung, endlich Gespräche mit den dortigen Regierungen über Hilfeleistungen bei den ökologischen Folgen durchzuführen. Michel Müller, Monika Ganseforth sind mit dem MdB-Kollegen Kübler nach Kuwait gereist. Müller in einem Gespräch mit den Ökologischen Briefen: „Ich habe den Eindruck, daß die ökologischen Schäden des Golfkrieges in Kauf genommen wurden“.

Bundestagsantrag von Bündnis 90/Die Grünen

Die Gruppe Bündnis 90/ Die GRÜNEN will in der letzten Parlamentswoche einen Antrag „Nationale und internationale Konsequenzen der ökologischen Auswirkungen des Golf-Krieges“ in den Bundestag einbringen. Die Forderungen des 22seitigen Dokumentes sind der Situation sicher angemessen, jedoch bleibt die Analyse weit hinter den ökokologischen Fakten zurück. Die Klimawirksamkeit der Ölbrände wird nicht nur ausgeblendet, sondern verneint: „Auch wenn die apokalyptischen Vorhersagen einiger Klimaforscher und Wissenschaftler bislang nicht eingetroffen sind, müssen die ökologischen und gesundheitlichen Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung in der Region als katastrophal bezeichnet werden“. Die »apokalyptischen Vorhersagen« beruhen auf (streng) wissenschaftlichen Annahmen und wurden als Möglichkeit dargestellt, wenn eine bestimmte Menge Öl verbrennt und gleichzeitig die Emissionen eine bestimmte Höhe erreichen. Es wurde nie gesagt, daß dieses zwangläufig passiert. Die GRÜNEN machen so im Nachhinein kritische Wissenschaftler zu »Schwarzmalern«.

Die wichtigen Forderungen in dem Antrag zur Reduzierung des CO2 Ausstosses und des Ölverbrauches werden nicht in den direkten Bezug zu der Freisetzung der klimawirksamen Gasen oder gar der jetzigen Klimasituation in Asien oder Bangladesch gesetzt (s.o.). Auch wird in der Analyse unterteilt zwischen „dem verbrecherischen Einsatz von Erdöl als Waffe“ und „normalen Schäden“ im Krieg. Daß die Alliierten nach eigenen Angaben über 85% der Erdölanlagen im Irak zerstört haben, zu Beginn der Bodenoffensive Ölgräben und Felder bewußt mit Napalm in Brand gesetzt haben und schließlich allein durch die direkten Kriegshandlungen den Ölteppich wie auch die brennenden Ölfelder zu einem Drittel mitverursacht haben, entfällt leider ebenso. Also auch an dieser Stelle leider keine ökologische Bilanz.

In den Medien bleibt die ökologische Situation im Irak zur Zeit immer noch unerwähnt. Alle Daten, insbesondere auch Radioaktivitätsmessungen blieben bis heute geheim. Dabei fordert der Krieg erst jetzt die meisten Opfer, wie wir es aus zahlreichen Reiseberichten in der Presse mitgeteilt bekommen. Auch auf dem Hearing im Bundestag wurde nichts neues bekannt. Der Krieg ist zuende, der Umweltkrieg geht weiter – mit offizieller und mit Eigenzensur – wie wir es aus dem Golfkrieg eigentlich schon kennen.

Die MÖP e.V. gibt eine Broschüre zu den ökologischen Folgen des Golfkrieges heraus. Sie kostet 8 DM (ab 5 Stk. Rabatt) und kann bereits bestellt werden.

Literatur

Deutscher Bundestag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; Anhörung vom 29.4.1991: „Umweltauswirkungen des Golfkrieges und die Möglichkeiten der Bundesregierung Deutschland zur Mitwirkung bei der Beseitigung dieser Kriegsfolgen“.

ders: Bundesregierung: Antwort auf die kleine Anfrage Bündnis 90/Die GRÜNEN „Rohstoffsicherung der Bundesrepublik Deutschland“

Bündnis 90/Die GRÜNEN: „Nationale und internationale Konsequenzen der ökologischen Auswirkungen des Golf-Krieges“; Antrag Bundestag v. 14.6.91

Der Naturschutzbund Deutschland: Natur in Gefahr; Faltblatt Ausgabe 2, Mai 1991

Frankfurter Rundschau v. 13.6.91: „Red Adair wettert gegen Kuwait“

Michael Müller: „Zu den Umweltfolgen des Golfkrieges“; Gespräch in den 'ökologischen Briefen` Heft 23/91 S.17

Umweltbundesamt: „Ökologische Auswirkungen des Golfkrieges – vorläufige Bestandsaufnahme Mai 1991“: Berlin 1991

das. Presseerklärung 9/91 „Ökologische Auswirkungen des Golfkrieges“ v. 3.6.91

Dipl.-Ing. Olaf Achilles, Arbeits- und Forschungsstelle Militär, Ökologie, Planung Bonn.

Umweltverbände und Streitkräfte – Konflikte und Zusammenarbeit

Umweltverbände und Streitkräfte – Konflikte und Zusammenarbeit

Reinhard Sander

Prof. Reinhard Sander, zweiter Vorsitzender des Deutschen Naturschutzrings, hielt auf dem Symposion »Bundeswehr und Umweltschutz« eine Rede zum vorgegebenen Thema: . Dabei wurde wohl erstmalig die Bundeswehr offiziell von den Umweltverbänden in die Pflicht genommen. Wir dokumentieren in Auszügen. Die vollständige Rede ist beim DNR anzufordern.

„Gerne habe ich Ihre Einladung angenommen, um hier vor und mit Ihnen den Bereich Militär und Umwelt aus unserer Sicht zu diskutieren. Das Thema heißt im Untertitel »Konflikte und Zusammenarbeit«. Ich möchte mich in meinem Beitrag mehr den nicht unerheblichen Konflikten zuwenden, deshalb aber am Anfang dankbar anerkennen, daß es an der Basis unserer Umweltorganisationen vielfältige Formen der Zusammenarbeit mit einzelnen Vertretern der Bundeswehr gibt. Sie sind Mitglieder in unseren Umweltverbänden, sie beteiligen sich an unseren Aktionen, manche bekleiden sogar Funktionen.

(…) Deshalb einige Bemerkungen zu unserer Organisation, dem DNR, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände, der 1950 gegründet wurde. Die 96 Mitgliedsverbände weisen eine sehr unterschiedliche Größe auf – von Großverbänden wie dem Deutschen Alpenverein mit über 500.000 Mitgliedern oder dem Verband der Gebirgs- und Wandervereine mit sogar über 800.000 Mitgliedern – gibt es kleine, gleichwohl sehr leistungsstarke Organisationen, wie z.B. die hessische Gesellschaft für Ornitologie und Naturschutz, die mit ihren paar Hundert Mitgliedern mehr zustande bringt als mancher große Verband. Sie alle haben sich auf unser Grundsatzprogramm verpflichtet, das unter Federführung des leider viel zu früh verstorbenen, vormaligen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Herrn Dr. Günter Hartkopf, 1987 verabschiedet wurde.

Ich zitiere aus diesem Grundsatzprogramm: „In Verantwortung vor der Schöpfung ist es unser ethischer Auftrag, die Umwelt um ihrer selbst willen zu sichern und alles menschliche Leben umfassend zu schützen. Das ökologische Gleichgewicht ist zukünftig auf hohem Niveau zu stabilisieren und die dynamischen Prozesse sind zu erhalten. Die Nutzung der Natur und ihrer erneuerbaren Ressourcen darf deren Regenerierungsfähigkeit nicht übersteigen. Wasser, Boden, Luft und die freilebende Pflanzen- und Tierwelt sind sozial verpflichtende Güter des Allgemeinwohls, denen sich die private Nutzung unterzuordnen hat“.

Alle aktuellen globalen und regionalen Umweltprobleme zusammen haben die ökologische Krise unseres Planeten verursacht. Die Zerstörung der Ozonschicht, der Treibhauseffekt, die Klimaveränderung, die rasche Ausdehnung der Wüsten nicht nur in der Sahelzone; die Vernichtung der Regenwälder, des reichsten Ökosystems der Erde, der dramatische Anstieg der Zahlen aussterbender Tier- und Pflanzenarten, der Verlust schützenswerter Biotope, kurz: die Übernutzung der Lebensgrundlage der Erde durch die Menschen bedroht alles Leben.

In unserem Grundsatzprogramm heißt es u.a.: „Wirksamer Umweltschutz fordert von allen Menschen, umweltbewußter zu leben und unsere Existenzgrundlagen so pfleglich zu behandeln, daß auch künftige Generationen eine lebenswerte Umwelt vorfinden.“ Sie sehen, der DNR hat einen globalen und gleichzeitig lokalen Ansatz. Alle Umweltprobleme müssen entsprechend global und lokal erkannt und angegangen werden!

Das Militär als globaler Belastungsfaktor

Diese grundlegenden Gedanken und Maßstäbe müssen auch für das Militär gelten! Reden wir über das Militär, so müssen wir es weltweit als Faktor betrachten. Lassen Sie mich daher zuerst zur globalen Fragestellung äußern: Die Militärausgaben haben derzeit einen Anteil am Weltbruttosozialprodukt von 6,15%. Sie belaufen sich weltweit auf ca. 1000 Mrd. US-Dollar. Eine Umweltrelevanz ergibt sich allein schon daraus, da diese Gelder gebunden sind und nicht z.B. im dringend gebotenem internationalem Klimaschutz investiert werden.

Der Militär-Anteil an den Staatsausgaben beträgt weltweit nach UNO-Angaben ca. 25-28 %, in der Bundesrepublik sind es 1990 nach NATO-Kriterien offiziell 21,6% am Bundeshaushalt. (…) Die Folgen einer Klimaänderung lassen sich mit den Folgen eines Atomkrieges vergleichen. So kam Gro Harlem Brundtland auf der Konferenz »The Changing Atmosphere« 1988 in Toronto zu der Feststellung, daß nur ein Atomkrieg die zu erwartenden Auswirkungen der Klimaveränderungen übertreffen könne. Das Militär kann uns beides bescheren. Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, hier noch einmal zu verdeutlichen, daß die Bundeswehr Mitglied eines Militärvertragssystems ist, das auf die Produktion, Erprobung und schlimmstenfalls Einsatz von Atomwaffen und biologischen sowie chemischen Waffen setzt. Atombombentests verseuchten die halbe Hemisphäre unseres Planeten. Eine UN-Kommission errechnete 1980, daß an den Folgen von 441 oberirdischen Tests in den 50er und 60er Jahren 150 000 Menschen gestorben sind oder noch daran sterben werden. Die radioaktiven Werte des Bodens, der Luft und im Wasser der Bundesrepublik waren in den 60er Jahren teilweise höher, als nach Tschernobyl. Landstriche wurden unbewohnbar, Tausende von Menschen wurden zwangsumgesiedelt (Bikini-Atoll). Allein die Atomwaffenproduktion in den USA hat ungeheure Folgen: Über 100 Milliarden US-Dollar, dies entspricht mehr als Zweidrittel des gesamten Haushalts der bisherigen Bundesrepublik, soll die Entseuchung der 280 Fabriken und 20 Waffenproduktionsgebiete in den USA kosten. (Inzwischen werden schon 200 Milliarden Dollar Kosten genannt!). Mit einer Infrastruktur im Werte von 24 Milliarden US-Dollar, auf einer Fläche von fast viermal der Größe wie des Saarlandes und mit einem jährlichen Etat von 8 Milliarden US-Dollar eine makabre Bilanz der Sicherheit! Nachdem in einzelnen Gebieten bewußt Millionen Liter schwer radioaktiv verseuchten Wassers freigesetzt wurden, u.a. wurden sie direkt ins Grundwasser gepumpt (!), ist eine Entseuchung dennoch nicht zu erreichen. Bei ihren Manövern zu Wasser verloren die Militärs bisher weltweit ein ganzes Atomwaffenarsenal. Über 50 Atomsprengköpfe und neun U-Boot-Reaktoren sollen laut Greenpeace auf dem Meeresgrund liegen. Insgesamt gab es über 1200 Unfälle an Bord dieser Schiffe. Alles potentielle Tschernobyls!

Auch auf dem Land fanden derartige Unfälle statt. Noch heute ist in Palomares in Spanien die Strahlung eines Atomwaffenunfalls von 1966 vorhanden. Das Militär krankt an einer zweifachen Irrationalität. Kommt es mit seinen Waffen zum Einsatz, zerstört es was es verteidigen soll. Atomwaffen, bio-chemische Waffen, aber auch großflächig einsetzbare konventionelle Waffen, stehen für die potentielle globale Vernichtung, den potentiellen Massenmord bereit.

Zivilisationsunverträglichkeit

Mit der Vorbereitung dieser vernichtenden Verteidigung wird das zu Verteidigende bereits schwer geschädigt. Das Militär vernutzt lebensnotwendige Ressourcen im gigantischen Ausmaß, belastet und zerstört regionale und globale Ökosysteme. Und ergänzend sei noch erwähnt, daß die Friedensforschung inzwischen nachweist, daß ein Industrieland, wie die Bundesrepublik, strukturell nicht verteidigungsfähig ist. Atomkraftwerke, zentrale Stromversorgung wie dezentrale Öllagerung in Häusern, Chemiefabriken – sie alle lassen einen Verteidigungsplaner erschauern. Die Zivilisationsverträglichkeit von Militärmaßnahmen scheint ebenso wenig gegeben wie eine Umweltverträglichkeit.

Die Umweltbelastung des Militärapparates in der Bundesrepublik wurde bisher weder vom Umweltminister (z.B. im Umweltbericht 1990), noch vom Umweltbundesamt (z.B. im Jahresbericht 1990) noch von Seiten des Raumordnungsminister (z.B. im Raumordnungsbericht 1990) dem Ausmaß entsprechend eingehend thematisiert. Will man auf bundesweite Daten und Fakten in diesem Bereich zurückgreifen, ist man auf Informationen der Bundeswehr selbst angewiesen.

Die Bundeswehr als Umweltschützer?

Die Bundeswehr ist seit Mitte der achtziger Jahre darauf bedacht, sich nach außen hin als sehr aktiven Umweltschützer darzustellen. Berichte und Studien zur Umweltsituation bleiben jedoch intern bzw. geheim oder werden äußerst beschönigt der Öffentlichkeit dargestellt. Angesichts der Tatsache, daß wir anteilig am Staatshaushalt über 21% dem Militär zur Verfügung stellen, halten wir diesen Zustand für nicht mehr tragbar. Selbst die parlamentarische Kontrolle versagt. Anfragen im Bundestag werden nur ungenügend beantwortet. Wir wissen von Beschwerden der Grünen und der SPD in diesem Bereich. Abgeordnete haben am meisten Einfluß auf die Gestaltung der Staatsausgaben. Will man umwelt- oder sogar klimaverträgliche Politik gestalten, brauchen sie zumindestens Basisinformationen und Kontrollmöglichkeiten. Hiervon kann im Bereich Militär und Umwelt nicht ausgegangen werden. Im Ausland dagegen, z.B. in Holland oder den USA, gibt es bereits umfassende, detailierte und teilweise jährliche Berichte über die Umweltsituation bei den Streitkräften. Angesichts der zugespitzten ökologischen Weltsitutation (vgl. den neuen Bericht der Enquete-Kommission zur Vorsorge und zumSchutz der Erdatmosphäre) und dem historischen Kontext (Wiedervereinigung/ Wiener Verhandlungen u.a.) ist es nicht mehr zu verantworten, daß grundsätzliche und lebenswichtige Fragen, welche man muß es wiederholen allein durch die Bundeswehr bisher 21% der Staatsausgaben betrafen, nicht mehr allein den Militärs zu überlassen. (…) Die US-Streitkräfte widmen sich, bedingt durch enorme Umweltbelastungen ihres Militärbetriebes, verstärkt der Problematik in den USA, ohne allerdings auf die Umweltbelastung ihrer Liegenschaften im Ausland einzugehen. Wir wissen inzwischen, wie schlimm es bei uns auf einigen Liegenschaften aussieht und fordern energisch, daß nun endlich ein Erhebung von Seiten der Bundesregierung durchgeführt wird. (…) Gerade auch angesichts der eklatanten Umweltprobleme der Militärs in der ehemaligen DDR und auf den alliierten Liegenschaften in der westlichen BRD muß die Forderung von Umweltschützern und Friedensforschernendlich umgesetzt werden: Wir brauchen sofort ein Sondergutachten des Rates für Umweltfragen der Bundesregierung zum Bereich Militär. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir die Umsetzung verstärkt einfordern werden.

Offenheit

In unserem Grundsatzprogramm heißt es unter dem Punkt »Offenheitsprinzip«:

„Jedes Verschweigen oder Verniedlichen von Umweltschädigungen ist als kriminelles Unrecht zu behandeln. Nur absolute Offenheit von Politik, Staat und Wirtschaft mit unbeschränktem Akteneinsichtsrecht hilft, die verlorene Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen.“ Dies gilt natürlich auch für die Bundeswehr! Nicht nur die USA verfügt über sehr interessante und umfangreiche und vor allem öffentlich nachzuvollziehende Umweltprogramme im Bereich ihrer militärischen Liegenschaften. Auch in der UdSSR gibt es solche Ansätze, aber auch Hinweise die befürchten lassen, daß es dort ebenfalls katastrophale Zustände gibt. Wenn wir uns die Hinterlassenschaften in der ehemaligen DDR betrachten, ist dieses nicht verwunderlich. 1988 kam ein Vorstoß von dem politisch beratenden Ausschuß der Warschauer-Pakt Staaten. Eine am 16. Juli 1988 veröffentlichte Erklärung widmete sich den »Folgen des Wettrüstens für die Umwelt und andere Aspekte der ökologischen Sicherheit«. Dort heißt es: „Das Wettrüsten zerstört in immer stärkerem Maße die Umwelt, läuft den Anstrengungen zum Umweltschutz zuwider und verhindert die Lösung der bedeutsamen Aufgabe, ein harmonisches Gleichgewicht von Gesellschaft, Technik und Natur auf der Erde herzustellen. Die Produktion, Lagerung und der Transport verschiedener Waffenarten, der Bau von Militärobjekten und die Durchführung militärischer Übungen haben unmittelbare, negative Auswirkungen auf die Umwelt“ (S. 23). Obwohl die NATO seit 1969 einen Umweltausschuß »CCMS« eingerichtet hat, vermissen wir bis heute eine Stellungnahme zum Bereich Militär und Umwelt.

Keine Privilegien für die Bundeswehr

Des weiteren fordert der DNR, daß alle Privilegien der Bundeswehr und der Alliierten Streitkräfte innerhalb des Umweltrechts gestrichen werden. So heißt es in unserem Grundsatzprogramm unter dem Punkt Gleichheitsprinzip: „Auch die Bundeswehr als integraler Bestandteil von Bürgern und Staat und die Alliierten Streitkräfte haben sich an den allgemein gültigen Umweltvorschriften zu orientieren“. Die Zusammenarbeit mit den Umweltverbänden setzt daher voraus, daß die Bundeswehr gewillt ist, sich wie alle Träger öffentlicher Belange innerhalb der Planung demokratisch einem Abwägungsprozeß zu stellen, ihre Umweltsituation zu veröffentlichen und Schädigungen zu stoppen, sowie alte und neue Altlasten mit Priorität anzugehen. Alle Maßnahmen, von der Müllsammelaktion einer Kompanie, über die Baumpflanzungen zum Tag der Umwelt, bis hin zur sogenannten Ölüberwachung mit Bundeswehrflugzeugen über der Nordsee sind sicher wertvoll. Aber andererseits gibt es Schießübungen der Bundeswehr in der Melldorfer Bucht bis in die jüngsten Tage. In der ehemaligen DDR sollen fast alle Truppenübungsplätze, auch die in Naturschutzgebieten gelegenen, übernommen werden wie z.B. das 250 ha große Gebiet in der Collwitz-Letzinger Heide nördlich von Magdeburg sowie die 1000 ha große »Sandische Wiese« auf der Halbinsel Zingst. Die Teilnehmer des 10. internationalen Wattenmeertages in Bremen haben bereits am 17.9. dagegen energisch protestiert und es wurden bereits über 34. 000 Unterschriften gegen Ihre Absichten gesammelt! In unserem Grundsatzprogramm heißt es zum schon erwähnten Punkt Offenheitsprinzip: „Erst wenn durch offengelegte Probleme und glaubwürdiges Verhalten der Verantwortlichen eine Basis des neuen Vertrauens geschaffen worden ist, können die Verantwortlichen ihren Anspruch auf Solidarität der Bürger zu ihren Gunsten mit Recht erheben. Der DNR wird diesen Weg von Offenheit zur Solidarität mitgestalten.“

Ich habe heute diese Gelegenheit genutzt, offen mit Ihnen zu reden und die Konflikte, wie sie sich mir aus der Sicht der Deutschen Umweltverbände darstellen, in aller Schonungslosigkeit anzusprechen. Angesichts der globalen Umweltsituation werden von uns allen wesentlich höhere Anstrengungen gefordert. Ernst Ulrich von Weizäcker beziffert sie in seinem neuen Buch »Erdpolitik« auf die fünf- bis achtfache Potenz, wenn wir den Wettlauf gewinnen wollen. Sie werden mir sicher zustimmen, daß dies in erhöhtem Maße für eine zahlenmäßig so starke und mächtige gesellschaftliche Kraft, wie die Bundeswehr gilt. Wir alle müßen auch tagtäglich auf dem komplizierten ökologischen Gebiet dazulernen und umdenken. Auf diese ständige Bereitschaft zum Umdenken kommt es an. Die deutschen Umweltschutzverbände leisten dabei der Bundeswehr gerne Hilfestellung, soweit das in ihren Kräften steht. Der DNR und seine Mitgliedsverbände sind jedenfalls zur Zusammenarbeit auf allen Ebenen herzlich gerne bereit, wenn es dadurch geht, den Umweltschutz konsequent voranzutreiben.

»Militär, Rüstung und Klima«

»Militär, Rüstung und Klima«

Studie über die Klimaverträglichkeit von Militär und Rüstung

MÖP

Der weltweite Militärapparat verbraucht ökonomische und naturelle Ressourcen. Über die Art und das Ausmaß existieren bisher kaum Angaben. Daß der Betrieb von Streitkräften die Umwelt beeinträchtigt und schädigt, ist inzwischen Allgemeinwissen. Wie aber sieht es mit dem Beitrag des Militärs zum Klima aus? Die Grünen im Bundestag beauftragten die MÖP, eine Studie zum Thema »Militär und Klima« für eine parlamentarische Anfrage und für die Arbeit in der Enquete-Kommission »Vorsorge und Schutz der Erdatmosphäre« zu erstellen. Sie wurde im Oktober vorgelegt.

Die Studie beginnt mit einer kurzen Einführung in die Problematik des Treibhauseffektes und des Ozonlochs. Anschließend wird der Gebrauch klimarelevanter Gase im Rüstungs- und Militärbereich behandelt. Dabei sind der Energieverbrauch der Streitkräfte, aber auch militärischer Verkehr insbesondere der Flugbetrieb von großer Bedeutung. Es wird dargestellt, wie das Militär die Umwelt als Waffe benutzt und Klimaexperimente durchführt. Die Stationierung der Militärapparate und der Übungsbereich und Unfälle haben punktuell und potentiell klimatische Folgen. Weiterhin erfolgen vergleichende Berechnungen zum Rüstungs- und Militärbereich gemessen an verschiedenen Parametern (z.B. CO2-Emission, FCKW-Verbrauch). Die Ergebnisse sind beunruhigend. Parlamentarier sollten gerade die Staats-Ausgaben klimaverträglich gestalten, da sie hierauf Zugriff haben und eine Vorbildfunktion wahrnehmen und es ihre Aufgabe ist, Schaden vom Volk abzuwenden. Das Geld im Militärbereich wird aber zumeist in klimaschädliche Bereiche investiert. Auch ist eine Kontrolle in dieser Hinsicht bisher nicht möglich gewesen. Die Militärs experimentieren mit unserem Klima in mehrfacher Hinsicht:

  • Das Militär kann ungehindert Klima-Experimente durchführen. Wetterbeinflussung, Experimente in der Ionosphäre, Ozonbomben sind die Stichworte. Es hat ungehinderten Zugang zu den empfindlichen Bereichen der Atmosphäre. Die entsprechenden Fluggeräte haben meist ozonzerstörende Treibstoffe bzw. Treibstoffadditive.
  • Die Umwelt dient dem Militär als Waffe z.B. bei Waldvernichtung durch Herbizideinsatz.
  • Die potentiellen Folgen der Militärapparate sind klimarelevant: Nuklarer Winter, Atomkrieg aus Versehen, Atombombenunfälle, Abstürze von Militärmaschinen auf »zivilisatorische Bomben« wie z.B. Chemiewerke etc.
  • Die weltweite Bereitstellung der »militärischen Sicherheit« verbraucht riesige Mengen an monetären, intellektuellen und natürlichen Ressourcen, die dringend zum Klimaschutz und damit zum Aufbau der Internationalen ökologischen Sicherheit (IÖS) benötigt werden.
  • Die Bereitstellung des mobilen und stationierten Militärapparates, der Ge- und Verbrauch dieser Ressourcen in natürlicher (Betriebsstoffe etc.) und in Produktform (Flugzeuge, Panzer etc.) schädigt das Klima in quantifizierbarem Ausmaß.
  • Die Rüstungsindustrie ist ein Hauptverursacher der FCKW-Produktion.

Der Militär-Anteil an den Staatsausgaben beträgt weltweit nach UNO-Angaben ca. 25-28 %, in der Bundesrepublik sind es 1990 nach NATO-Kriterien offiziell 21,6 %. Das Militär hat weltweit einen Anteil am Kerosinverbrauch von mind. 24 %. Dies ergibt allein einen jährlichen CO2-Ausstoß von 136 Mio Tonnen, was 18,3% der CO2-Gesamtemission der Bundesrepublik ausmacht. Hinzu kommt, daß diese Emissionen gerade in klimasensiblen Zonen der Atmosphäre entstehen.

Der gesamte Militärapparat in der Bundesrepublik hat Berechnungen der Studie zur Folge eine CO2-Emission von ca. 39,1 Mio Tonnen pro Jahr. Dies sind 5,26 % der Gesamt-CO2-Emission der Bundesrepublik, oder 21,72% der Emission der Haushalte und Kleinverbraucher, bzw. 39,1% der Industrie-Emission nach Angaben der Enquete-Kommission. Herausgefunden wurde auch, daß die US-Army weltweit einen jährlichen Energieverbrauch von ca. 14% des Gesamtverbrauchs der Bundesrepublik bzw. 51,3% des Gesamtverbrauchs von Holland hat. 1988 waren dies 56,12 Mio Tonnen Steinkohleeinheiten. Dies wird sich natürlich wegen der Golf-Krise dieses Jahr steigern. Gerade bei den klimarelevanten Gasen nimmt der Rüstungs- und Militärbereich eine führende Position ein:

Allein US-Navy und Air-Force verbrauchen das 2,8fache des bundesdeutschen Gesamtkonsums an Halon 1211, nämlich 2348,28 t/a. Das US-Militär konsumiert nach eigenen Angaben über die Hälfte des Gesamt-FCKW-113-Verbrauchs der USA. Insgesamt sind es 1048,72 t/a nach Angaben des Pentagon (Stand 1986).

Es ist geplant, die Arbeit an dieser Thematik fortzusetzen, zumal international wenig in diesem Bereich bisher zusammengetragen wurde. Hierfür sind aber dringend Gelder u.a. Unterstützung notwendig. Die Studie erscheint als Band 6 in der Reihe für kommunale und ökologische Friedensforschung des Verlagshaus Riedmühle in Alheim. Kosten ca. 16,80.- DM. Wir bitten darum, auf diese Arbeit aufmerksam zu machen.

MÖP e.V., Reuterstr. 44, 5300 Bonn 1, Tel. 0228/26 11 08 • Fax. 0228/26 13 59

Golfkrieg und Ökologie: Ein heiliger, gerechter Umweltkrieg?

Golfkrieg und Ökologie: Ein heiliger, gerechter Umweltkrieg?

von Knut Krusewitz

Kriege brauchen noch immer, auch wenn sie inzwischen mit computergestützter Kriegsführungstechnik, mit einem »arsenale dell' apokalisse« (L' Espresso) und mit säkularisierter Bedienungsmannschaft geführt werden, allemal ihrer ideologischen Überhöhung, sogar ihrer militärgeistlichen Rechtfertigung. Zumal dann, wenn die „Fabrikarbeiter des Todes“ (Kurt Tucholsky) ihn in Kulturlandschaften austragen, in denen das Welterbe jüdischer, christlicher und islamischer Ursprünge gerade mühsam archäologisch restauriert wird. Die theologischen oder politischen Konstrukte vom gerechten und heiligen Krieg schließen immer die Rechtfertigung ein, die Natur des jeweiligen Gegners zu nutzen, um ihn vernichtend zu schlagen. Es sei „lächerlich“, erklärte der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in der zweiten Kriegswoche, „wegen der Umwelt den Krieg zu unterbrechen.“ Und so sieht die Umwelt nach nur sechs Kriegswochen auch aus.

1. Golfkrieg und Umweltkriegsrecht

Angesichts der apokalyptischen Folgen des heiligen und gerechten Umweltkrieges fordern dieser Tage einflußreiche Umweltinstitutionen wie Greenpeace und das Worldwatch Institute von der Staatengemeinschaft die rasche Verabschiedung einer »Genfer Konvention gegen ökologische Kriegsführung«. Dadurch sollen Öko-Terrorismus, Öko-Krieg und Umweltkrieg als Kriegsverbrechen deklariert und entsprechend geahndet werden.

Was hier gefordert wird, gibt es bereits. Nach Beendigung des Vietnamkrieges (1975), in dessen Verlauf die US-Streitkräfte »ecowarfare« zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte zum integralen Bestandteil einer Militärstrategie gemacht hatten, verabschiedeten die Vereinten Nationen auf sowjetische Initiative zwei Völkerrechtsgesetze, die Methoden und Mittel der Umweltkriegführung verbieten. Die einschlägigen Prinzipien und Normen finden sich im »Umweltkriegsverbots-Vertrag« vom 18. Mai 1977 und im »Zusatzprokoll I zu den Genfer Abkommen« vom 12. Dez. 1977.

Auf die umwelt- und friedenspolitische Relevanz dieser Gesetze habe ich seit 1983 immer wieder öffentlich aufmerksam gemacht. Mit bescheidenem Erfolg. Das könnte sich ändern, wenn das umwelt- und friedenswissenschaftliche Interesse nicht mehr nur auf die Analyse des Themas konzentriert wird, ob die Alliierten durch die UN-Resolution (Nr. 678) zum Krieg gegen Irak »bevollmächtigt« wurden oder nicht, sondern darüberhinaus auf die Analyse des Themas, wie sie ihn, wenn überhaupt, führen durften und wie nicht.

Von erheblichem Interesse ist folglich die Beantwortung der Frage, ob die USA und ihre Verbündeten durch die UNO ermächtigt wurden,

  • ihre Kriegsziele eigenmächtig zu bestimmen,
  • die dazu erforderlichen Kriegsmethoden und Waffenarsenale selbst zu wählen
  • sowie die Natur der Golfregion als Medium zur Erreichung der Kriegsziele zu nutzen.

Meine Zentralthese: Weder der Irak noch die Alliierten haben ihre jeweiligen Ziele, Methoden und Mittel ihrer Kriegsführungen den geltenden Völkerrechtsnormen unterworfen, weshalb der vorgeblich konventionell geführte Krieg bereits nach wenigen Tagen zu einem Umweltkrieg eskalieren mußte. Umkehrschluß: Nur dadurch, daß beide kriegführende Parteien schwere Verstöße gegen die einschlägigen ökologischen, humanitären und kulturellen Normen des Umweltkriegsverbots-Vertrages und des Zusatzprotokolls I von Kriegsbeginn an einplanten, konnte das „environmental inferno“ (TIME) überhaupt entstehen. Der bewußte Verstoß gegen Kriegsrechtsnormen wird im Zusatzprotokoll I zum »Kriegsverbrechen« erklärt. Deshalb reicht das geltende Umweltkriegsrecht aus, um die ökologischen, humanitären und kulturellen Verbrechen, derer sich alle kriegführenden Parteien schuldig gemacht haben, innerhalb des UNO-Systems zu ahnden. Über die komplexen Kriegsverbrechen wird gleich geredet. Zuvor einige Bemerkungen zur Ermittlungsmethode.

2. Umweltkrieg – was ist das?

Öko-Krieg und Umweltkrieg charakterisieren unterschiedliche ökologische, militärische und kriegsrechtliche Realitäten. Von ökologischer Kriegsführung rede ich, wenn kriegführende Parteien die Natur zu „militärischen oder sonstigen feindseligen Zwecken als Mittel der Zerstörung, Schädigung oder Verletzung eines anderen Vertragsstaates nutzen.“ (Art. I Umweltkriegsverbots-Vertrag) Methoden und Techniken der ökologischen Kriegsführung wurden in diesem Golfkrieg sowohl vom Irak als auch von den Alliierten angewendet. Beispiele für die militärische oder feindselige Manipulationen der Natur sind:

  • Verseuchung des Persisch-Arabischen Golfs;
  • Verseuchung der regionalen Atmosphäre;
  • Reduzierung der Wassermenge des Euphrat um vierzig Prozent;
  • Zerstörung sensibler Vegetationsformen und -zonen durch ihre Nutzung als Aufmarschgebiete und Todeszonen (»killing boxes«).

Diese umweltveränderten Techniken haben allesamt „weiträumige, lange andauernde oder schwerwiegende Auswirkungen“ (ebda.) auf Natur und Gesellschaft, weil ihre summierten oder potenzierten Effekte bereits nach wenigen Kriegswochen das regionale ökologische Gleichgewicht katastrophenartig stören.

Zu der Klasse von Techniken der ökologischen Kriegsführung rechne ich zudem den gezielten Einsatz »sekundärer« Öko-Waffen.

Beispiele im Golfkrieg:

  • Zerstörung von Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Stoffe und/oder Kräfte enthielten;
  • Zerstörung ziviler Infrastrukturen, die zur Aufrechterhaltung überlebensfähiger Umweltbedingungen unerläßlich waren.

Von Umweltkrieg rede ich, wenn nicht nur ökologische Medien, sondern zudem auch die Zivilbevölkerung, ihre Volkswirtschaft und ihre Kulturgüter zu Angriffs- und Zerstörungsbereichen gemacht werden.

Im Zusatzprotokoll I wird der sachliche und kriegsrechtliche Zusammenhang zwischen Öko-Krieg und Umweltkrieg hergestellt durch die Art. 35 (Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung), Art. 48 (Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele), Art. 51 (Absoluter Schutz der Zivilbevölkerung), Art. 53 (Schutz von Kulturgütern), Art. 54 (Schutz lebensnotwendiger ziviler Objekte und Gebiete), Art. 55 (Schutz der natürlichen Umwelt) und Art. 85 (Ahndung von Verletzungen dieses Protokolls).

Die materiellrechtlichen Bestimmungen dieser beiden Völkerrechtsgesetze sind geeignet, völkerrechtserhebliche Umweltkriegstatbestände bereits im jetzigen Stadium des Golfkonflikts zu benennen.

3. Vorläufige kriegsökologische Bilanz

Aus methodischen und systematischen Gründen ist es sinnvoll, kriegsökologische Tatbestände nach drei Schadenskategorien zu ermitteln.

  • Primäreffekte, das sind die medialen Schäden in den Bereichen Boden, Wasser, Luft, Vegetation, Fauna und Klima sowie ihre militärisch beeinträchtigten Wechselwirkungen.
  • Sekundäreffekte, das sind die komplexen Rückwirkungen der Primäreffekte auf die Gesellschaft in den Bereichen Leben, Gesundheit, Volkswirtschaft, Infrastruktur und Kultur.
  • Tertiäreffekte, das sind die ökologischen, menschlichen und ökonomischen Kriegskosten, mit denen die Überlebenden konfrontiert sind.

Kriegsökologische Primäreffekte treten in der Golfregion (und darüber hinaus) auf durch zerstörte Ölfelder, Pipelines, Tankanlagen, Verladestationen, atomare und chemische Anlagen, Munitionsdepots, Staudämme, durch das teilweise Wasserembargo (Euphrat) und durch die Eingriffe in die Wüsten- und Meeresökologie.

Rußwolken mit ihrem Gemisch aus Stickoxiden, Salpetersäure, krebserzeugenden Kohlenwasserstoffen, ultragiftigen Dioxinen und Schwefeldioxid sowie Giftgaswolken aus zerstörten C-Waffen-Anlagen schlagen sich im gesamten Naturhaushalt der Region nieder. Dabei ist es zweitrangig, ob sich in den nächsten Monaten und Jahren 1000 oder 1500 mg/m2 im Jahr von diesem toxischen Gemisch in Wohngebieten, Erntegürteln, Wäldern, Flüssen, Seen und Küstengewässern deponiert.

Kriegsökologische Sekundäreffekte gefährdeten bereits nach wenigen Kriegstagen die Gesundheit und das Überleben der Zivilbevölkerung in Kuwait und im Irak.

So fand auf irakischem Territorium ein »stummer« Giftgaskrieg statt, der nicht durch den Einsatz primärer, sondern sekundärer Giftgaswaffen ausgelöst worden war. Nach der Zerstörung der wichtigsten C-Waffen-Anlagen, aber auch Düngemittel- und Pflanzenschutzfabriken im Irak durch die US-Streitkräfte registrierte die französische Armee »Giftgaswolken« in der Atmosphäre. C-Waffen-Experten aus der CSFR wiesen Giftgaskomponenten noch im nördlichen Saudi-Arabien nach. Es ist bekannt, daß in allen irakischen Städten, in denen Chemiefabriken zerstört wurden, Epidemien auftraten, die anscheinend über die Hälfte der Kontaminierten hinwegraffte.

Ein zweiter, Überleben gefährdender kriegsökologischer Zyklus entwickelte sich nach der Zerstörung wichtiger Infrastruktursysteme in Kuwait und im Irak. In sämtlichen größeren oder strategisch wichtigen Städten wurden systematisch Ver- und Entsorgungseinrichtungen zerstört, aber auch Industrie- und Gewerbebetriebe, Wohngebiete, Kommunikations- und Verkehrssysteme, selbst landwirtschaftliche Versorgungsgebiete.

Die Zerstörung der Infrastruktur weist bestimmte Ähnlichkeiten mit militärischen Manipulationen natürlicher Abläufe auf: Hier wie dort reagieren komplexe Realitätsbereiche auf kriegerische Eingriffe mit grundsätzlich nicht planbaren Effekten.

Solche Eingriffe werden durch die Verflechtung einzelner ökologischer und infrastruktureller Komponenten rückgekoppelt, aufgeschaukelt und dadurch in ihrer Wirkung multipliziert.

Aus diesem Grunde ist es heute noch nicht möglich, die Rückwirkungen der Primäreffekte auf die kuwaitische und irakische Bevölkerung zu quantifizieren.

Das ist bislang nur für einen Teilbereich der Tertiäreffekte möglich: Der Irak hat fast hundert Prozent der kuwaitischen Ölexport-Kapazitäten zerstört, die Alliierten über zwei Drittel der irakischen.

Die volkswirtschaftlichen Kriegsschäden machen nach ersten Schätzungen im Irak Aufbau-Investionen in Höhe von 200 Milliarden Dollar nötig, in Kuwait in Höhe von 100 Milliarden Dollar. In diese Berechnungen sind weder die humanitären und kulturellen noch die ökologischen Investitionskosten eingestellt. Zudem macht der Iran Entschädigungsforderungen in Höhe von 900 Milliarden Dollar (!) an den Irak aus dem Krieg zwischen 1980 und 1988 geltend.

Umweltkrieg – wer sind die Täter?

Die vorherrschende Meinung, der Irak habe den Umweltkrieg begonnen, sei sogar der einzig dafür Verantwortliche, kann kaum durch Kenntnisnahme der Tatsachen zustande gekommen sein.

Tatsächlich führte nicht der Irak eine „neue Variante der Kriegsführung“ ein, wie der SPIEGEL glauben machen will, sondern die Alliierten. Sie waren die ersten, die mit der Einleitung von Rohöl in den Golf den jüngsten „Krieg gegen die Natur“ (WELT) eröffneten. „Das erste Erdöl, das nach Beginn des Golfkrieges die Küste Saudi-Arabiens verseuchte, ist aus irakischen Tankern ausgelaufen, die von Flugzeugen der multinationalen Streitkräfte attackiert worden waren.“ Das bestätigte jetzt ein hoher Vertreter der saudi-arabischen Umweltbehörde gegenüber AP.

Erst danach öffneten die irakischen Streitkräfte die Ventile der Ölverladeplattform »Sea Island« . Nach saudiarabischen Angaben sind 20 bis 30 Prozent des Öls im Golf die Folge von Angriffen der Alliierten auf irakische Ziele, den Rest hätten die Iraker ins Meer fließen lassen.

Den ersten »schwarzen Regen« löste ebenfalls nicht der Irak aus, sondern die Alliierten. Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur IRNA sei der erste Fall von schwarzem Regen in der Golfregion durch alliierte Zerstörungen irakischer Öltanks und Ölfelder verursacht worden. Erst danach begann der Irak mit der Inbrandsetzung kuwaitischer Ölanlagen.

Bereits vor Kriegsausbruch haben die USA versucht, die Türkei „zum Umweltkrieg“ gegen den Irak (STERN) zu veranlassen: „Die Türken sollten Saddam Husseins Zweistromland das Wasser abdrehen. Mit Hilfe eines bestehenden Staudammsystems könnte die Türkei in Anatolien den beide Länder durchquerenden Tigris zu einem Rinnsal reduzieren und den Euphrat so weit aufstauen, daß von ihm gar kein Wasser mehr bis in den Irak gelangt.“

In der zweiten Kriegswoche reduzierte die Türkei tatsächlich die Euphratzufuhr um 40%.

Im Unterschied zum Irak haben die Alliierten durch ihre ökologische Kriegsführung einen Giftgaskrieg auf irakischem Territorium ausgelöst.

Eine umweltkriegsrechtliche Bewertung kommt somit zu dem Ergebnis, daß sich beide kriegführenden Parteien schwerer Verstöße gegen die Bestimmungen des einschlägigen Völkerrechts schuldig gemacht haben. Die Bundesregierung trifft der Vorwurf, daß sie zumindest die alliierten Kriegsverbrechen gebilligt hat.

Fazit

Der Golfkrieg hat die Lehre aus dem Vietnamkrieg bestätigt, daß Kriege, die mit den Methoden und Waffenarsenalen des Kalten Krieges geführt werden, sachlich, rechtlich und logisch den Charakter von Umweltkriegen annehmen müssen. Spätestens hier erweist sich die Absurdität der Rechtfertigungskonstrukte vom »gerechten« und vom »heiligen« Krieg. Kriege, die wegen ihrer Konzeption notwendigerweise gegen die unabdingbaren universellen Grundsätze der Menschheit und der ökologischen Vernunft verstoßen, können eben nur Kalten Kriegern noch als gerecht oder heilig erscheinen. Nicht nur angesichts der wirklichen Überlebensprobleme der Menschheit erscheinen sie als kriminelle Akte. Die unaufgebbare Alternative bleibt die Durchsetzung gewaltfreier Methoden und Mittel der Konfliktbewältigung, die sich an den komplexen weltgesellschaftlichen Ursachen, aber auch Zukunftsaufgaben ausrichtet. Unter »neuer Verantwortung« des vereinten Deutschland verstehe ich dann auch nicht den Einsatz von Streitkräften außerhalb des NATO-Gebietes – mal als militärisch, mal als ökologisch deklarierte Eingreiftruppe.

Neue Verantwortung haben wir dort zu übernehmen, wo es um den Umbau einer Weltnatur- und Weltwirtschaftsordnung geht, in der zwanzig Prozent der Menschheit achtzig Prozent des Weltreichtums beanspruchen und ihre achtzig Prozent des Weltmülls dem Rest der Menschheit aufbürden.

Solange diese »Ordnung« das bleibt was sie ist, werden die Umweltkriegsplaner von heute ihre »gerechten« Kriegsanlässe auch zukünftig glaubhaft machen können. Den zwanzig Prozent zumindest.

Literatur

Repräsentative Nachrichtenmagazine (TIME, NEWSWEEK, L'ESPRESSO, SPIEGEL, SOUTH) und Tageszeitungen (FR, FAZ, Int. HERALD TRIBUNE, NZZ, ND) zwischen August 1990 und März 1991.

Monografien

Knut Krusewitz, Umweltkrieg, Königstein 1985 (mit umfangreichen Quellenangaben).

Prof. Dr. Knut Krusewitz, Privatdozent, Friedens- und Umweltforscher, Berlin.