Ökologische Friedensentwicklung auf dem Prüfstand

Ökologische Friedensentwicklung auf dem Prüfstand

von Alexander Carius und Dennis Tänzler

Umweltbelastungen oder Ressourcenknappheit sind in der Regel nicht alleiniger Auslöser von Konflikten. Dies hat die Forschung zu Umwelt und Sicherheit in den letzten mehr als zwei Jahrzehnten deutlich gemacht. Vielmehr verstärken sich wandelnde Umweltbedingungen bereits akut oder latent bestehende Konfliktlagen. Ob Umweltdegradation in gewaltförmige Auseinandersetzungen mündet, hängt damit von Faktoren wie der sozioökonomischen und demographischen Entwicklung oder der spezifischen Konfliktgeschichte ab.

Bereits bestehende lokale und regionale Konflikte um Ressourcen (z.B. gemeinsam genutztes Wasser oder Agrarland) sind eng mit Armut und der Abnahme landwirtschaftlicher Nutzflächen gekoppelt. Verschärft sich dieser Problemkontext und übersteigt die Entwicklung Bewältigungskapazitäten von Gesellschaften, kann Umweltdegradation zu gewaltförmigen Konflikten und Aufständen führen. Aus der Perspektive der Umwelt- und Sicherheitsforschung ist die Prognose einer zunehmenden Konfliktwahrscheinlichkeit im Zuge des Klimawandels, wie sie in jüngster Vergangenheit verstärkt diskutiert wird, zunächst grundsätzlich plausibel (Carius et al. 2008; Tänzler 2009). Während die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren in einer Reihe von Staaten absehbar kritisch bleiben, ist mit Blick auf die ökologischen Ausgangsbedingungen vielfach eine drastische Verschlechterung zu erwarten.

Gleichzeitig verdeutlichen die Forschungsergebnisse aber auch, dass die Verknappung von Ressourcen bislang kaum bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte in Form von (Ressourcen-) Kriegen hervorgebracht, sondern vornehmlich zu lokalen Konflikten mit vergleichsweise geringer Konfliktintensität geführt hat. Die Multikausalität von Konflikteinflussfaktoren und ihre komplexe Wechselbeziehung haben vielfach zu Kritik an der Prognose von Umweltkonflikten geführt. Eine konfliktauslösende Wirkung von Umweltfaktoren eindeutig nachzuweisen, ist diesen Forschungsergebnissen zufolge schwierig. Zudem müssen diesen Fällen auch systematisch jene Fälle entgegengehalten werden, in denen Ressourcendegradation trotz widriger Umstände nicht zum Ausbruch gewaltförmiger Konflikte oder gar zwischenstaatlicher Kriege geführt hat.

Konfliktlandschaften

Eine Deutungsmöglichkeit für das Ausbleiben von zwischenstaatlichen Kriegen um Ressourcen liegt darin, dass Umweltdegradation und Verknappung meist noch nicht das Niveau erreicht haben, bei dem zur Wahrung der nationalen Interessen gewaltförmige Mittel eingesetzt werden. Dieser Erklärungsansatz erscheint mit Blick auf die regionale Ausbreitung und die Konfliktintensität plausibel und wird auch durch die Ergebnisse eines Gutachtens gestützt, das als externe Expertise für den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) zu den Sicherheitsrisiken des Klimawandels erstellt wurde (Carius et al. 2006). Die Historie von 73 Konflikten mit Ressourcenkomponenten von 1980 bis 2005 wurde anhand eines einheitlichen Analyserasters ausgewertet (vgl. Weltkarte auf Seite 38 Heftes). Dieses Inventar wurde mit der Annahme erstellt, dass die naturräumlichen Ursachen in diesen Fällen auch Folgen des Klimawandels hätten sein können. Die Konfliktlagen umfassten hierbei auch Konflikte unterhalb der Schwelle gewaltsamer, kriegerischer Auseinandersetzungen, beispielsweise in Form von anhaltendem, aber weitgehend gewaltfreiem Protest gegen die Folgen von Ressourcenverknappung. Neben den ökologischen Ursachen von Konflikten wurden verschiedene soziale, politische und wirtschaftliche Größen berücksichtigt, um ein breites Spektrum aus Einflussfaktoren zu erfassen. Eine Einordnung der Konflikte nach den ihnen zu Grunde liegenden Ressourcen erwies sich als schwierig, da in der Regel nicht von »reinen« Wasserkonflikten oder Konflikten aufgrund von Bodendegradation gesprochen werden kann. Vor dem Hintergrund der regional unterschiedlichen Konfliktmuster lassen sich vier Grundtypen von Konflikten identifizieren:

1. Lokal begrenzte Landnutzungs- und Bodendegradationskonflikte mit mittlerer Konfliktintensität, bei denen vor allem der Bevölkerungsdruck, Armut und asymmetrische Machtverteilung Einfluss haben und die insbesondere in Lateinamerika zu verorten sind.

2. Vorwiegend im Nahen Osten auftretende politisierte Wassernutzungskonflikte. Diese weisen trotz mittlerer Konfliktintensität ein hohes Eskalationspotenzial auf, das auf geopolitische Konstellationen und bestehende Konfliktlinien zurückzuführen ist. Eine sich verschärfende Wasserknappheit wirkt hier mit Bevölkerungsdruck, Migration, Armut und ethnische Spannungen zusammen.

3. Armutsbedingte Konflikte aufgrund von Wasser- und Bodendegradation, die vornehmlich in Afrika auftreten und lange Zeit lokal waren. Zu einer zum Teil hohen Konfliktintensität kommt eine nationale und grenzüberschreitende Ausbreitung der Konflikte hinzu. Gleichwohl werden auch diese Konflikte durch Regierungsversagen, asymmetrische Machtverteilung, Bevölkerungsdruck, Armut und ethnische Spannungen verstärkt.

4. Extreme Wettereignisse, insbesondere Fluten und Dürren, die eine große Zahl von Opfern fordern. Es zeigt sich, dass der Problemdruck beispielsweise in Süd- und Südostasien in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, wobei hier auch der Einfluss der Bevölkerungsdynamik von besonderer Bedeutung ist.

Umweltkooperation für Frieden und Stabilität

Die Auswertung der über 70 Umweltkonflikte zeigt, dass diese überwiegend lokal beschränkt waren. Nur vereinzelt gibt es Beispiele für grenzüberschreitende Konflikte, wie die Rebellionen bewaffneter Tuaregs in Mali und Niger in den 1990er Jahren. Neben dem Erklärungsansatz, dass sich der Umweltstress in einer Reihe von Regionen derzeit noch auf einem zu bewältigenden Niveau befindet, liegt eine weitere Erklärung in der stabilisierenden Wirkung der Zusammenarbeit, insbesondere bei grenzüberschreitenden Problemlagen.

Die Frage, wie kooperative umweltpolitische Arrangements die Konfliktprävention auf lokaler, regionaler und zwischenstaatlicher Ebene stärken und einen friedensfördernden Beitrag leisten können, beschäftigt die Umwelt- und Sicherheitsforschung schon seit einigen Jahren. Am weitesten fortgeschritten ist in diesem Zusammenhang die Forschung zu Verhaltensmustern an grenzüberschreitenden Gewässern. Empirisch zeigt sich, dass Konflikte um Wasser bislang noch in keinem der weltweit 263 grenzüberschreitenden Flussgebiete zu einem internationalen Krieg geführt haben. Bei der Analyse des Verhaltens von Anliegern an grenzüberschreitenden Gewässern kommen Forscher der Abteilung für Geowissenschaften an der Oregon State University zu dem Ergebnis, dass kooperative Arrangements sehr viel häufiger auftreten als gewaltsam ausgetragene Konflikte (Wolf 2004).

Die Konfliktgeschichte z.B. am Euphrat oder Nil verdeutlichet, dass zwar auch mit militärischer Gewalt gedroht wird, dass aber selbst in diesen Spannungsgebieten gemeinsame Lösungen und Kooperationsabkommen angestrebt werden. Durch institutionelle Arrangements wird die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Anliegern verstetigt und ein wesentlicher Beitrag zur Vertrauensbildung geleistet. Als Kernelemente einer stabilen Zusammenarbeit erweisen sich eine dauerhafte politische wie finanzielle Unterstützung, eine tragfähige Vision der Zusammenarbeit, die Schaffung einer gemeinsamen hydrologischen Datengrundlage sowie die Etablierung allerseits anerkannter Rechtsinstrumente. Neben der Kooperation am Nil zeigen die Beispiele am Indus (Indien und Pakistan) und Mekong (Laos, Kambodscha, Thailand und Vietnam), dass die Wasserkooperation zwischen den Anrainerstaaten sogar unter Kriegsbedingungen weitergeführt wird.

Will man Ansätze ökologischer Friedensbildung systematisieren, ergeben sich drei sich teilweise überschneidende Kategorien: (1) Bemühungen, Konflikte zu vermeiden, die sich direkt auf die Umwelt beziehen; (2) Versuche, einen Dialog zwischen den Konfliktparteien über Maßnahmen der grenzübergreifenden Umweltkooperation zu initiieren und in Gang zu halten; und (3) Initiativen, die darauf abzielen, über die Förderung nachhaltiger Entwicklung Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen (Carius 2008).

Bearbeitung ökologischer Konfliktursachen

Lautet die Minimalforderung für Frieden »Abwesenheit gewaltsamer Auseinandersetzungen«, dann kann die ökologische Kooperation möglicherweise eine Rolle bei der Verhinderung der Art von Gewalt spielen, die sich am Raubbau an natürlichen Ressourcen, der Vernichtung von Ökosystemen oder der Zerstörung der auf natürlichen Ressourcen basierenden Lebensgrundlagen der Menschen entzündet. Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen, die Umweltzerstörung mit gewaltsamen Konflikten in Verbindung bringen, weisen auf zwei zentrale Notwendigkeiten hin: Zum einen ist der Druck auf die Ressourcen zu vermindern, von denen die Menschen wirtschaftlich abhängen. Zum anderen ist die institutionelle Fähigkeit zu stärken, auf ökologische Herausforderungen zu reagieren. Mit anderen Worten besteht die unmittelbarste Form der ökologischen Friedensbildung in Maßnahmen zur Verhinderung ökologisch induzierter Konflikte (UNEP 2004; Conca et al. 2005).

Ökologische Kooperation kann unter Umständen auch den Unmut von Gruppen mildern, die sich als Opfer ökologischer Ungerechtigkeiten wahrnehmen und darin eine zusätzliche Verstärkung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Benachteiligung sehen. Latente Umweltprobleme können somit eine riskante Verbindung zwischen materieller Unsicherheit und der Selbstsicht betroffener Menschen als marginalisierte Gruppen bilden. In Situationen, wo ethnische Zugehörigkeit über politische und wirtschaftliche Chancen entscheidet, betreffen Umweltfolgen die verschiedenen ethnischen Gruppen häufig in ungleichem Maße. So leben in den am meisten verschmutzten Industriegebieten der postsowjetischen Länder des Baltikums mehrheitlich ethnische Russen – ein Zustand, der eine potentiell explosive Mischung aus sich verstärkender ethnonationaler Identität, verschärfter sozialer Benachteiligung und ökologischen Missständen erzeugt. Eine offensive ökologische Kooperation könnte mithelfen, eine wichtige Ursache dieses Unmuts zu beheben, der durch diese Art der sozialen Spaltung und Ausgrenzung noch angeheizt wird.

Umweltkooperation als Dialogplattform

Ein zweiter Ansatz der ökologischen Friedenssicherung zielt auf Konflikte ab, die keine konkrete ökologische Ursache aufweisen. Das Ziel ist, durch kooperative Antworten auf gemeinsame ökologische Herausforderungen Frieden zu schaffen. Initiativen, die gemeinsame ökologische Probleme in Angriff nehmen, können dort, wo andere politische und diplomatische Ansätze gescheitert sind, dazu genutzt werden, einen ersten Dialog zwischen den Konfliktparteien herzustellen. In vielen Fällen haben Staaten, deren Beziehung zueinander ansonsten durch Misstrauen und Feindseligkeit – wenn nicht gar offene Gewalt – geprägt sind, festgestellt, dass Umweltprobleme zu den wenigen Themen gehören, in denen sie einen kontinuierlichen Dialog aufrechterhalten können.

Einer der schwierigsten noch nicht gelösten Konflikte in der politisch überaus instabilen Kaukasusregion ist der Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan um Nagorny-Karabach. Im Herbst 2000 gelang es der georgischen Regierung, die zuvor schon einen Dialog über Umweltschutzthemen vermittelt hatte, Armenien und Aserbaidschan dazu zu bewegen, der Einrichtung eines trilateralen Biosphärenreservats in der südlichen Kaukasusregion zuzustimmen. Die Initiatoren hoffen, durch diese regionale Umweltkooperation nicht nur den Naturschutz und eine nachhaltige Entwicklung, sondern darüber hinaus auch die politische Stabilität in der Region zu stärken. Vorhaben dieser Art suchen zunächst einen gemeinsamen Bestand an umweltbezogenen Daten zu sammeln, Handlungskapazitäten aufzubauen und das ökologische Bewusstsein in der Bevölkerung der Region zu stärken. Unabhängige internationale Umweltbewertungen, zum Beispiel durch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, können mit objektiven und von beiden Seiten akzeptierten Daten einen ersten Grundstein für eine zukünftige Kooperation legen.

Ein ähnlicher Ansatz zeigt sich in Kaschmir, eine Region, um die sich Indien und Pakistan seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg erbittert streiten. Internationale Umweltschützer sind der Meinung, dass die Einrichtung eines Friedensparks im Karakorum-Gebirge zwischen Indien und Pakistan am westlichen Ende des Himalaja und das gemeinsame Management dieser einzigartigen Gletscherregion, in der viele Soldaten eher den widrigen Naturgewalten als dem politischen Feind zum Opfer fallen, den Grenzkonflikt entschärfen könnte. Das Konzept eines gemeinsamen Managements wurzelt darüber hinaus in der Erkenntnis, dass die Umweltverschmutzung die größte Gefahr für dieses einzigartige Ökosystem darstellt. Natürlich darf nicht erwartet werden, dass ein gemeinsames Umweltschutzprogramm in einem abgelegenen und kaum besiedelten Gebiet, wo schon die Aufrechterhaltung einer dauerhaften militärischen Präsenz an den Kosten scheitert, die strukturelle Dynamik des indisch-pakistanischen Konflikts grundlegend verändern wird.

Gemeinsame ökologische Herausforderungen können jedoch nicht nur als Türöffner für einen gesellschaftlichen Dialog dienen, sondern möglicherweise sogar traditionell von Konflikten geprägte Beziehungen transformieren, indem sie die einer Kooperation entgegenstehenden Barrieren überwinden und Misstrauen, Argwohn und divergierende Interessen durch eine gemeinsame Wissensbasis und gemeinsame Ziele ersetzen. Technisch komplexe Themen, bei denen die Konfliktparteien fast zwangsläufig mit unterschiedlichen und bruchstückhaften Informationen arbeiten, drohen das gegenseitige Misstrauen noch zu verstärken. Um diese Defizite zu überwinden, kann die technische Komplexität vieler ökologischer Themen dazu benutzt werden, eine gemeinsame Wissensbasis aufzubauen. Beispielsweise identifizierte die »Permanent Okavango River Basin Water Commission« (OKACOM) gemeinsame Untersuchungen des Okawango-Durchflusses und der möglichen Konsequenzen des Baus von Staudämmen zur Wasserkraftnutzung und Ableitung von Wasser für die Bewässerungslandwirtschaft als einen zentralen Schritt auf dem Weg zur Festlegung von gemeinsam akzeptierten Mindestanforderungen für ein erfolgreiches und friedliches Management der Wasserressourcen (Earle/Mendez 2004).

Hier könnte skeptisch eingewandt werden, dass solche Initiativen marginal und ohne Relevanz für die tatsächlichen Konfliktursachen sind – nicht unähnlich der Kooperation der Supermächte im Weltraum zu Zeiten des Kalten Kriegs. Dieser Einwand ignoriert aber, dass die politischen und ökonomischen Einsätze, um die es bei der Umweltkooperation geht, in den betroffenen Gebieten sehr hoch sind. Da Probleme, die gemeinsame Flussbecken, die regionale Biodiversität, Waldökosysteme oder die Land- und Wassernutzung betreffen, häufig sehr kontrovers sind und mit einem hohen Ressourceneinsatz einhergehen, werden sie in den beteiligten Staaten auf höchster Ebene verhandelt.

Nachhaltige Entwicklung als Voraussetzung für dauerhaften Frieden

Ein dritter Ansatz der Konfliktprävention und Friedensentwicklung durch Umweltkooperation geht davon aus, dass dauerhafter Frieden langfristige und umfassende Nachhaltigkeit voraussetzt. So zielt die Frage, ob die Wasserknappheit die »Ursache« der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern darstellt, am Kern des Problems vorbei. Die Lösung der gemeinsamen Wasserprobleme stellt eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden dar. Auch wenn die Wasserstreitigkeiten zwischen Israelis und Palästinensern den eigentlichen Konflikt nicht ausgelöst haben, stellt die Verwaltung der gemeinsamen Wasserressourcen nicht nur eine wichtige Möglichkeit dar, ungeachtet des übergeordneten Konflikts den Dialog zwischen beiden Parteien am Leben zu erhalten. Sie ist auch ein Schlüssel für die Verhandlungen zur Konfliktbeilegung. Bei den Verhandlungen zum Osloer Friedensabkommen zwischen Palästinensern und Israelis spielte die Wasserproblematik eine so bedeutende Rolle, dass zu diesem Komplex eine eigene Verhandlungsgruppe eingerichtet wurde – was im übrigen auch auf für die im Jahr 2004 aufgenommenen Verhandlungen zwischen Indien und Pakistan über den Kaschmirkonflikt gilt. Unabhängig davon, ob Wasser die Ursache für den Konflikt ist oder den bereits bestehenden Konflikt lediglich verschärft, ohne eine nachhaltige und gemeinsame Wasserpolitik wird es in der Region keinen dauerhaften Frieden geben (Kramer 2009). Dabei ist jedoch die Beliebigkeit dieses Arguments in der politischen Debatte zu vermeiden, denn Konzepte nachhaltiger Entwicklung zielen auf ein Gleichgewicht ökologischer, sozialer und ökonomischer Interessen zur Sicherung substanzieller und gleicher Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen und streben insofern einen gesellschaftlichen Idealzustand an, der frei ist von Verteilungskonflikten, Armut, Marginalisierung, Korruption und Gewalt.

Fazit

Ansätze der ökologischen Friedensentwicklung tragen bislang dazu bei, umweltinduzierte Konfliktlagen einzudämmen. Der Fortbestand dieses Befunds wird allerdings angesichts der prognostizierten Trends des globalen Klimawandels in Frage gestellt (Carius et al. 2008). Für eine Reihe von Abkommen zur Wasserverteilung an grenzüberschreitenden Flussgebieten ist beispielsweise eine Anpassung der Regelungen notwendig, weil mit einer Abnahme der Wasserverfügbarkeit zu rechnen ist. Diese Weiterentwicklung der Arrangements dürfte zum Teil auf beträchtliche Vorbehalte treffen. Bislang vorherrschende friedvolle Formen des Interessenausgleichs kommen damit auf dem Prüfstand und bedürfen der systematischen Stärkung der internationalen Gemeinschaft.

Literatur

Carius, Alexander (2007): Environmental Peacebuilding. Environmental Cooperation as an Instrument of Crisis Prevention and Peacebuilding: Conditions for Success and Constraints. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Adelphi Report 03/07. Berlin.

Carius, Alexander, Dennis Tänzler und Achim Maas (2008): Klimawandel und Sicherheit – Herausforderungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Herausgegeben von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Eschborn.

Carius, Alexander, Dennis Tänzler und Judith Winterstein (2006): Weltkarte von Umweltkonflikten: Ansätze zur Typologisierung. Gutachten im Auftrag des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU). Berlin, Potsdam.

Conca, Ken, Alexander Carius und Geoffrey D. Dabelko (2005): Frieden schaffen durch Umweltkooperation, in: Worldwatch Institute (Hrsg.): Zur Lage der Welt 2005: Globale Sicherheit neu Denken, 288-311. Münster.

Earle, Anton und Ariel Mendez (2004): An Oasis in the Desert: Navigating Peace in the Okavango River Basin, in: PEC News, Woodrow Wilson International Center for Scholars 2004, 1, 13-14, Washington DC.

Kramer, Annika (2008): Regional Water Cooperation and Peacebuilding in the Middle East. Studie im Rahmen der Initiative for Peacebuilding (IfP).

Tänzler, Dennis (2009): Entwicklungsrisiko Klimawandel. Die Notwendigkeit kooperativer Ansätze. SWP Working Paper. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.

UNEP – United Nations Environment Programme, Department of Early Warning and Assessment (DEWA) (Ed.) 2004: Understanding Environment, Conflict, and Cooperation. Nairobi.

Wolf, Aaron T. (2004): Regional Water Cooperation as Confidence Building: Water Management as a Strategy for Peace. EDSP Working Paper No. 1. Berlin: Environment, Development and Sustainable Peace Initiative.

Alexander Carius ist Mitbegründer und Geschäftsführer von Adelphi Research und Adelphi Consult. Er berät nationale und internationale Institutionen zu Fragen der Umwelt-, Entwicklungs- und Außenpolitik. Seit dem Frühjahr 2005 gehört er dem Beirat »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« der Bundesregierung an. Dennis Tänzler ist Senior Project Manager bei Adelphi Research. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden die internationale und europäische Klima- und Energiepolitik sowie Fragen von Umwelt, Klima und Sicherheit. 2007 und 2008 war Dennis Tänzler als Experte für Klima- und Energiepolitik im Planungsstab des Auswärtigen Amtes tätig.

Ein Klima der Gewalt?

Ein Klima der Gewalt?

Das Konfliktpotenzial der globalen Erwärmung

von Jürgen Scheffran

Im Jahr 2007 rückte das Drama um die globale Erwärmung in den Brennpunkt der weltweiten Öffentlichkeit. Zu Beginn des Jahres wurde der Dokumentarfilm des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore in Hollywood mit einem Oscar ausgezeichnet. Die »unbequeme Wahrheit« über schmelzende Gletscher, Naturkatastrophen und Klimaflüchtlinge bewegte weltweit Millionen von Menschen, ebenso wie auch das globale Live Earth Concert Mitte des Jahres.

Am Ende des Jahres wurde in Oslo der Friedensnobelpreis gemeinsam an Al Gore und den Weltklimarat (IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change) verliehen. In mehreren über das Jahr verteilten Einzelberichten hatte das IPCC die wissenschaftlichen, sozio-ökonomischen und politischen Dimensionen des Klimawandels ausführlich beleuchtet. Im Dezember 2007 bildeten mehr als Zehntausend Vertreter von Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen bei der Klimakonferenz in Bali das bislang größte politische Forum zu Klimafragen. Auf der Anklagebank stand vor allem die US-Regierung, durch deren Widerstand die Bali Roadmap ein schwacher Kompromiss blieb.

Die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit wirkte sich auch auf die US-Debatte aus1, und im US-Wahlkampf spielte das Klimathema eine Rolle, nicht zuletzt aufgrund des Desasters durch den Hurrikan »Katrina« 2005. Angesichts des Hurrikans »Gustav« im September 2008 musste Präsident George W. Bush seine Teilnahme am Parteitag der Republikaner absagen, und kurz darauf wurde sein Heimatstaat Texas vom Wirbelsturm »Ike« heim gesucht. Ungeachtet der Blockadehaltung in Washington entwickelte sich in den USA ein breites Klima-Bündnis, das Umweltgruppen ebenso umfasst wie US-Bundesstaaten. Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger leitete verschärfte Emissionsstandards für Kraftfahrzeuge in die Wege, was jedoch am 18. Dezember 2007 durch die US-Umweltbehörde gestoppt wurde – dem gleichen Tag, an dem US-Präsident Bush sein Gesetz zur Energieunabhängigkeit und -sicherheit (Energy Independence and Security Act) unterzeichnete.2 Nach Ansicht von Kritikern sind davon kaum tiefgreifende CO2-Emissionsminderungen zu erwarten. Dagegen starteten US-Kongress-Abgeordnete eine Initiative zur Klimasicherheit (Global Climate Change Security Oversight Act), die untersuchen soll, ob und wie der Klimawandel eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA darstellt.3

Globale Erwärmung: gefährlich wie Krieg?

Nicht zufällig hat das Nobelpreis-Komitee den bedeutendsten Friedenspreis an Akteure vergeben, die sich mit dem Umweltthema befassen. Der Laudatio zufolge kann die globale Erwärmung eine großflächige Migration in Gang setzen und zu stärkerem Wettbewerb um natürliche Ressourcen führen, verbunden „mit einer erhöhten Gefahr gewalttätiger Konflikte und Kriege“.4 Schon 2006 hatte der Bericht der britischen Stern-Kommission festgestellt: „Klimabedingte Schocks haben in der Vergangenheit gewalttätige Konflikte entfacht; in Regionen wie Westafrika, dem Niltal und Zentralasien stellen Konflikte ernste Risiken dar.“ 5 UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnte gar, dass die Gefahren des Klimawandels denen eines Krieges gleichkommen.

Im April 2007 diskutierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Initiative Großbritanniens erstmals die Sicherheitsrisiken des Klimawandels. Die damalige britische Außenministerin Margaret Beckett verglich den Klimawandel mit dem „heraufziehenden Sturm“ vor dem Zweiten Weltkrieg. Durch Migrationsdruck und Kampf um Ressourcen könnten Konflikte weltweit eskalieren. Der Vertreter Chinas Liu Zhenmin, äußerte allerdings Zweifel, ob der Sicherheitsrat die „professionelle Kompetenz“ in der Behandlung der Klimaproblematik habe und der geeignete Ort für Entscheidungen über weithin akzeptable Vorschläge sei.6

Im gleichen Monat präsentierte eine Gruppe ehemaliger Generäle und Admiräle der USA einen Bericht, der Klimawandel als „Bedrohungs-Multiplikator“ in bereits instabilen Weltregionen darstellt, die sich dadurch zu „Brutstätten“ für Extremismus und Terrorismus entwickeln könnten. Der Bericht empfiehlt, das Klimaproblem in die nationale Sicherheitsstrategie der USA zu integrieren und einen Beitrag zur Stabilisierung des Klimas zu leisten.7

Verschiedene Szenarien klimabedingter Sicherheitsrisiken wurden von einem Panel des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington durchgespielt, an dem u.a. der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey und Nobelpreisträger Thomas Schelling teilnahmen. Der im November 2007 vorgestellte Bericht sieht im Klimawandel „eine der größten Herausforderungen für die nationale Sicherheit“. Die Folgen könnten „nahezu jeden Aspekt des modernen Lebens destabilisieren“, neue Konflikte auslösen und bestehende Probleme verstärken.8 Mit steigenden Temperaturen würden bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte wahrscheinlicher und selbst ein Atomkrieg sei nicht auszuschließen.

Besonders dramatisch wurden die Klimafolgen in einer Studie zweier Pentagon-Berater dargestellt, die das Szenario einer Klimakatastrophe entwickelten, ausgelöst durch eine Abschwächung des Golfstroms im Nordatlantik. Nationen würden in Kämpfe um Nahrung, Wasser und Energie verwickelt. Kernenergie treibe die Verbreitung von Kernwaffen voran, ihr Einsatz werde wahrscheinlicher.9

Die bislang umfassendste Abschätzung der Sicherheitsrisiken des Klimawandels wurde vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Jahr 2007 erstellt. Wenn nicht bald wirksame Lösungen gefunden werden, „wird der Klimawandel zunehmend Spaltungs- und Konfliktlinien in der internationalen Politik hervorrufen, weil er vielfältige Verteilungskonflikte in und zwischen Ländern auslöst: um Wasser, um Land, um die Bewältigung von Flüchtlingsbewegungen oder um Kompensationszahlungen zwischen den wesentlichen Verursachern des Klimawandels und den Ländern, die vor allem von dessen destruktiven Wirkungen betroffen sein werden.“ Der WBGU-Bericht macht auch deutlich, dass die Menschheit angesichts der potenziellen Folgen des Klimawandels stärker zusammenarbeiten könnte, um die größten Gefahren zu verhindern und eine global koordinierte Politik in die Wege zu leiten.10

Klima als Stressfaktor

Neben akuten klimabedingten Katastrophen ist eine schleichende Schädigung natürlicher und ökologischer Systeme zu erwarten. Der Bericht von Arbeitsgruppe II des IPCC-Reports kommt zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel Arten und Ökosysteme in allen Teilen der Welt gefährdet.11 Trockengebiete breiten sich aus, Wasservorräte schrumpfen in Gletschern und Schneedecken in Gebirgsketten wie den Anden und im Himalaya. Wo natürliche Ressourcen bereits in einem kritischen Zustand sind, trägt die globale Erwärmung ein übriges dazu bei, die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme weiter zu untergraben.

Durch die Schädigung der natürlichen Ressourcenbasis nimmt der ohnehin schon vorhandene Umweltstress für die Bevölkerung zu. Eine Verbindung verschiedener Stressfaktoren – Bevölkerungswachstum, Mangel an Trinkwasser und Nahrung, mangelhafte Gesundheitsdienste, ökonomischer Niedergang, schwache politische Institutionen, usw. – könnte zu sich verstärkenden Kettenreaktionen führen, die die Gesundheit und das Leben von Menschen unmittelbar bedrohen und die gesellschaftliche Stabilität gefährden.12 Bestimmte soziale Reaktionsmuster wie Migration, Kriminalität und aggressives Verhalten können die Problematik weiter verschärfen. Degradierte gesellschaftliche Bedingungen sind mögliche Einfallstore für gesellschaftliche Unruhen bis hin zu bewaffneten Konflikten.

Ob Gesellschaften in der Lage sind, mit den Folgen zurecht zu kommen und die Risiken einzugrenzen, hängt von ihrer Verwundbarkeit ab, die nach einer Definition des IPCC beeinflusst wird durch den „Charakter, das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Klimawandels, sowie die Veränderungen, denen ein System ausgesetzt ist, seine Sensitivität und Anpassungsfähigkeit.“ Gesellschaften, die mehr von Ökosystem-Dienstleistungen und Landwirtschaft abhängen – was in vielen Entwicklungsländern der Fall ist – tendieren dazu, verwundbarer gegenüber Klimastress zu sein. Ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur über eine gewisse Schwelle hinaus (z.B. 2 Grad Celsius) würde zu disproportionalen Folgen führen.13 Abrupte und großflächige Veränderungen im Klimasystem über sogenannte »Umkipp-Punkte« hinaus – zum Beispiel das Abschmelzen der Grönland-Gletscher, das Abbrechen des westantarktischen Eisschildes oder der Zusammenbruch der thermohalinen Zirkulation im Nordatlantik – könnten unkalkulierbare Konsequenzen von kontinentalem und globalem Ausmaß haben.14

Am stärksten von Klimarisiken und Konflikten betroffen wären Länder, die nur geringe Anpassungsmöglichkeiten haben; aber auch reiche Länder sind nicht immun. Kaskadeneffekte könnten nach Ansicht des Stern-Berichts die Volkswirtschaften auch in Industrieländern hart treffen und globale Handels- und Finanzmärkte ins Chaos stürzen. In besonders fragilen Staaten gehen die Erosion sozialer Ordnung, staatliches Versagen und Gewalt Hand in Hand. In einem solchen Klima der Gewalt können sich die verschiedenen Risikofaktoren verstärken und ganze Regionen destabilisieren, bis hin zu Kriegen und Bürgerkriegen.

Dass es dazu kommt, ist keineswegs ausgemacht. Der Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und den damit verbundenen Konflikten und Sicherheitsrisiken wird seit Anfang der neunziger Jahre untersucht, ohne dass eine klare kausale Beziehung nachgewiesen wurde.15 Dies gilt auch für die Verbindung von Klima und Sicherheit.16

Seit Ende des Kalten Krieges hat sich der Sicherheitsbegriff gewandelt, von militärischen Streitkräftevergleichen und Kriegsszenarien hin zu einem Spektrum von Konfliktfaktoren. Das Konzept der ökologischen Sicherheit versucht, die Wechselwirkungen zwischen Umweltproblemen und Sicherheitsbedrohungen zu analysieren. Der Begriff der »menschlichen Sicherheit« zielt darauf ab, „Menschen vor kritischen und tief greifenden Bedrohungen zu beschützen und sie dazu zu ermächtigen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.“ 17 Einige Wissenschaftler kritisieren erweiterte Sicherheitsbegriffe, zum einen weil sie zu breit und zu unscharf sind, zum anderen weil sie es dem Militär erlauben, seine Instrumente in die Umweltpolitik auszudehnen18, die zur Problemlösung denkbar ungeeignet sind.

Konfliktkonstellationen

Viele Studien zur Klimasicherheit betrachten vier klimabedingte Problemkomplexe, die die Sicherheit von Menschen beeinträchtigen und zu Konflikten führen können: die Degradierung der Trinkwasser-Ressourcen, mangelnde Ernährung, Naturkatastrophen und Migration.

Degradation der Trinkwasser-Ressourcen

Mehr als eine Milliarde Menschen lebt ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die wachsende Bevölkerungsdichte, wechselnde Muster der Wassernutzung und Wirtschaftswachstum erhöhen den Druck auf die ohnehin schon degradierten Wasserressourcen. Klimawandel steigert diesen Druck und beeinträchtigt direkt die Landwirtschaft, die zu 80% von natürlichen Niederschlägen abhängt. Nach zuverlässigen Schätzungen des IPCC sinkt die Wassermenge in Flüssen, Seen und Reservoiren in vielen semi-ariden Gebieten, z.B. im westlichen Teil der USA, in Nordost-Brasilien, dem Mittelmeerraum und in Südafrika. Der WBGU-Bericht prognostiziert, dass bis 2020 allein in Afrika zwischen 75 und 250 Millionen Menschen einem klimabedingten Wasserstress ausgesetzt sein werden. Schrumpfende Gletscher und dünnere Schneedecken verringern die Wasserverfügbarkeit und das Potenzial für die Hydroenergie in der Nähe von Gebirgsketten, etwa im Hindukusch, im Himalaya und in den Anden, wo mehr als ein Sechstel der Weltbevölkerung lebt.

Eine Studie an der Oregon State University, die auf der Transboundary Freshwater Dispute Database basiert, fand einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Wasserpegel eines Bassins und der Wahrscheinlichkeit und Intensität von Konflikten.19 Skeptiker weisen allerdings darauf hin, dass historische Fälle von »Wasserkriegen« extrem selten sind. In Gebieten, die gegenüber Wasserkonflikten anfällig sind, ist eine stärkere Zusammenarbeit relativ häufig. Grenzüberschreitende Wasserabkommen und Institutionen haben sich bislang als widerstandsfähig gegenüber wechselnden politischen Bedingungen erwiesen, etwa die Beziehungen zwischen Israel und Jordanien, das Mekong-Komitee und die Indus River Commission. Diskussionen zwischen Indien und Pakistan über die Nutzung des Indus-Flusses haben sogar zur Wiederaufnahme bilateraler Gespräche über andere Themen geführt.

Folgen für Landwirtschaft und Ernährung

Mehr als 850 Millionen Menschen weltweit sind unterernährt, landwirtschaftliche Nutzflächen sind in vielen Regionen übernutzt. Durch Klimawandel dürfte sich die Ernährungsunsicherheit in vielen Entwicklungsländern weiter verschlechtern. Der WBGU prognostiziert, dass durch eine globale Erwärmung von 2 bis 4 Grad Celsius die landwirtschaftliche Produktivität weltweit sinken wird, bedingt durch Wüstenbildung, Bodenversalzung oder Wassermangel. Jüngste »food riots« als Folge steigender Lebensmittelpreise zeigen, dass hier mögliche Ursachen von Konflikten liegen.

Naturkatastrophen

Der IPCC-Bericht sagt extreme Wetterereignisse und damit verbundene Naturkatastrophen voraus. Dürren, Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen und Stürme sollen häufiger auftreten und mit größerer Intensität. 2005 richtete der Hurrikan »Katrina« an der Südküste der USA gewaltige Schäden an und kostete mehr als 1.300 Menschen das Leben. Die Hitzewelle des Jahres 2003 verursachte in Europa mehr als 35.000 Todesopfer und $15 Milliarden Dollar Schäden in der Landwirtschaft. Solche Ereignisse, ob nun schon eine Folge des Klimawandels oder nicht, bringen wachsende ökonomische und soziale Kosten mit sich, ganz zu schweigen von dem menschlichen Leid und den Opfern. Sie haben in der Vergangenheit zu Konflikten beigetragen, besonders in Zeiten und Gebieten, in denen bereits politische Spannungen herrschten, aber auch die Hilfsbereitschaft und Solidarität verstärkt. Einige Regionen, die gegenüber Stürmen und Überschwemmungen besonders anfällig sind, wie Zentralamerika und Südasien, haben schwache Ökonomien und Regierungen, was Anpassungsmaßnahmen und Krisenmanagement weiter erschwert.

Umweltmigration und Flucht

Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingskommissars gab es 2006 mehr als 8,4 Millionen registrierte Flüchtlinge und 23,7 Millionen im eigenen Land umgesiedelte Personen. Der Klimawandel wird diese Zahl wahrscheinlich erhöhen. Der Umweltwissenschaftler Norman Myers schätzt, dass die Zahl der Umweltmigranten von 25 Millionen Mitte der 1990er Jahre auf 150 Millionen bis 2050 ansteigen könnte20, obwohl es dafür keine empirischen Belege gibt. Aufgrund indirekter Effekte der Umweltzerstörung erscheinen diese Menschen in vielen Fällen als Wirtschaftsmigranten (z.B. Bauern, die Einkommen verlieren) oder als Kriegsflüchtlinge (bedingt durch umweltinduzierte Konflikte).

Am verwundbarsten sind Küsten- und Flussmündungsgebiete und Regionen, deren Ökonomien von klimasensitiven Ressourcen abhängen. Umweltmigration findet hauptsächlich innerhalb nationaler Grenzen von Entwicklungsländern statt, aber in Industrieländern nimmt der Migrationsdruck ebenfalls zu. In Europa könnte die Migration aus Sub-Sahara Afrika und der arabischen Welt, in Nordamerika aus der Karibik, Mittel- und Südamerika ansteigen. Der CSIS-Bericht macht einen potenziellen Konflikt aus zwischen China, das bei hoher Bevölkerungsdichte besonderes verwundbar gegenüber Ernteausfällen und Überschwemmungen ist, und Russland, das eine sinkende Bevölkerung und ein riesiges energie- und mineralienreiches Territorium hat, dessen landwirtschaftliche Produktivität mit einem wärmeren Klima eher zunimmt.

Die Wahrscheinlichkeit migrations-induzierter Konflikte nimmt zu, wenn Umweltmigranten mit der heimischen Bevölkerung um knappe Ressourcen konkurrieren, etwa um Acker- und Weideland, Wohnraum, Wasser, Arbeitsplätze und soziale Dienstleistungen, oder wenn sich die ethnischen Anteile in der Bevölkerung verschieben. Das Konfliktpotenzial hängt von der Geschwindigkeit und Intensität der Migrationsströme ab, aber auch von der Funktionsfähigkeit von Institutionen und ihren Konfliktregulierungsmechanismen.

Regionale Brennpunkte

Im folgenden werden einige regionale Fallbeispielen beleuchtet, die vom Klimawandel besonders betroffen sein werden (für Details siehe die eingangs erwähnten Studien, insbesondere den WBGU-Bericht).

Naher Osten

Ein oft diskutiertes Beispiel sind Wasserkonflikte in Nahost. Angesichts der historisch verwurzelten Konflikte in der Region ist der Zugang zu den wenigen Wasservorräten eine Frage der nationalen Sicherheit. Der Staat Israel war frühzeitig bestrebt, seine Wasseransprüche mit allen Mitteln abzusichern, auf Kosten der Palästinenser, denen deutlich weniger Wasser zugeteilt wurde als den Siedlern im Westjordanland. Das trockene Klima, Ungleichgewichte zwischen Wasserangebot und -nachfrage und die andauernde Konfrontation zwischen den Hauptakteuren in Nahost verschlimmern die Wasserkrise der Flüsse Nil, Euphrat und Jordan. Ob diese Konfliktlinien weiter verschärft oder eher kooperative Lösungen befördert werden, hängt davon ab, welche Fortschritte der Friedensprozess macht und ob es gelingt, Instrumente und Strukturen für eine friedliche Konfliktlösung zu schaffen. Die wichtigsten Sicherheitsabkommen in der Region, einschließlich des bilateralen Friedens-Vertrages vom Oktober 1994, behandeln die Wasserproblematik. Eine Lösung der Wasserkrise in der Region erfordert ein gemeinsames Wassermanagement und integrierte Implementierungsstrategien, wobei größere Transparenz und grenzüberschreitende Überwachungskapazitäten einen wichtigen Beitrag leisten können.

Nordafrika

Afrikas Nahrungsmittel-Produktion ist besonders verwundbar gegenüber Klimaveränderungen. Seit mehr als 20 Jahren ist der Verbrauch von Lebensmitteln pro Kopf gesunken und die landwirtschaftliche Fläche pro Kopf ist zwischen 1965 und 1990 von 0.5 Hektar auf 0.3 Hektar gefallen. Schlechte Versorgung mit Trinkwasser oder unzureichende Bewässerung können die Ernteerträge aus der Landwirtschaft in einigen afrikanischen Ländern bis 2020 um bis zu 50% reduzieren. Dies würde die Verfügbarkeit von Lebensmitteln erheblich beeinträchtigen und zu tief greifenden Nahrungsmittelkrisen führen, wodurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von schwachen und instabilen Staaten untergraben wird.

Wachsende Verluste an Agrarland spitzen die Konkurrenz zwischen ansässigen Bauern und wandernden Viehzüchtern zu. Im Falle des Darfur-Konflikts in Sudan eskalierte die Auseinandersetzung, als die Regierung gegen die den Bauern nahestehenden Rebellen mit Unterstützung von arabisch-stämmigen Milizen aus den Reihen der Viehzüchter vorging, die Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung verübten. In einer Studie des Sandia-Forschungslabors wurde untersucht, welche mögliche Rolle klimatische Veränderungen als verstärkender Faktor in diesem Konflikt gespielt haben oder noch spielen könnten, und ein Bericht des UNO-Umweltprogramms sieht in Darfur ein „tragisches Beispiel für den gesellschaftlichen Zusammenbruch, der aus einem ökologischen Kollaps entstehen kann“.21

Umweltveränderungen waren auch ein verschärfender Faktor in Ruanda im Jahr 1994. Bodendegradation, Bevölkerungswachstum und ungleiche Landverteilung haben die Umweltkrise in Ruanda in einen landesweiten Konflikt transformiert, was den radikalen Kräften die Gelegenheit gab, die ethnischen Spannungen in einen politischen Machtkampf bis hin zum Genozid zu eskalieren.

Mittelmeerraum

Trockenheit, Hitzewellen und Waldbrände bedeuten zunehmende Stressfaktoren im Mittelmeerraum. Eine mögliche Konsequenz ist die Verschiebung touristischer Zentren, landwirtschaftlicher Zonen und Ökosysteme nach Norden. Die zunehmende Konkurrenz um Ressourcen, einschließlich Land und Wasser, spielt bereits eine Rolle auf den Kanarischen Inseln und im Süden Italiens, Spaniens, Griechenlands und der Türkei. Der Klimawandel könnte diese Ressourcen weiter beeinträchtigen und den Tourismussektor gefährden, eine zentrale wirtschaftliche Einkommensquelle in der Region. In Südosteuropa würde ein Temperaturanstieg um 2 Grad Celsius nach Ansicht des Stern-Reports die Verfügbarkeit von Wasser im Sommer um 20 bis 30% verringern, eine Zunahme um 4 Grad Celsius gar um 40 bis 50%.

Zentralasien

Mehr als drei Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan wird bewässert, was bis zu 90% der regionalen Wasserressourcen verbraucht. Der größte Teil der Elektrizität wird durch Hydroenergie bereit gestellt. Die Hauptquelle ist Schmelzwasser aus Gletschern von nahegelegenen Gebirgsketten. Das IPCC prognostiziert einen starken Temperaturanstieg in Zentralasien, wodurch bis 2050 in einigen Gebieten etwa ein Fünftel der Gletscher verschwunden sein sollen. Dies gefährdet sowohl die Elektrizitätsversorgung als auch die Landwirtschaft. Die Staaten Zentralasiens sind gekennzeichnet durch weitgehend geschlossene Märkte, extreme soziale Ungleichheiten, schwache staatliche Strukturen und durch Korruption, was die Anpassungsfähigkeit gegenüber Veränderungen erschwert. Der Kampf um Land- und Wasserressourcen hat schon in der Vergangenheit eine wesentliche Rolle gespielt, verschärft durch ethnische Spannungen, separatistische Bewegungen oder religiös-fundamentalistische Gruppen.

Bangladesch

In besonderem Maße gefährdet der Klimawandel die Sicherheit von Menschen in Bangladesch. Während der Monsunsaison überfluten Regen und Flusswasser oft ein Viertel, in Jahren hoher Flutpegel sogar bis zu 60% der Landfläche. 46% der Bevölkerung Bangladeschs lebt in niedrig liegenden Gebieten. Extreme Wetterereignisse betreffen Millionen von Bangladeschis, und seit 1960 starben etwa 600.000 Menschen als Folge von Zyklonen, Sturmfluten und Überschwemmungen.22 Ein Anstieg des Wasserpegels um einen Meter könnte 17% des Landes überfluten und 40 Millionen Menschen vertreiben. Das Eindringen von Salzwasser würde große Agrarflächen zerstören und die landwirtschaftliche Produktivität verringern, was die Bevölkerung zwingt, in höher gelegene Gebiete zu ziehen. Mehrfach schon gerieten im Gefolge massiver Migrationsbewegungen Menschen in Bangladesch und in Nachbarländern (inbesondere in Nordindien) in gewalttätige Auseinandersetzungen.23

Peru

Ein möglicher Brennpunkt für klimabedingte Wasserkonflikte ist Perus Hauptstadt Lima. Da die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 auf nahezu 5 Millionen Menschen anwachsen kann, wird damit auch der Wasserbedarf ansteigen. 80% der Wasserversorgung der Stadt stammen aus nahegelegenen Gletschern, die als Folge der globalen Erwärmung in wenigen Jahrzehnten weitgehend abschmelzen werden. Extreme Wasserknappheit ist vorprogrammiert, was den bestehenden gesellschaftlichen Problemkomplex aus sozialer Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut, wachsender Kriminalität und Korruption weiter zuspitzt. Auch Perus Energieversorgung steht auf dem Spiel, weil vier Fünftel der Elektrizität aus Wasserkraftwerken stammt, die auf wechselnde und unzuverlässige Wasserressourcen angewiesen sind.

USA

Die Hurrikan-Saison 2005 hat gezeigt, dass selbst das mächtigste Land der Welt gegenüber Naturkatastrophen verwundbar ist. Als der Wirbelsturm »Katrina« die Golfküste bei New Orleans mit Windgeschwindigkeiten bis zu 230 Kilometern pro Stunde traf, hinterließ er eine Spur der Verwüstung von der Größe Großbritanniens. Vorübergehende Zufluchtsorte wie der Superdome und das Convention Center wurden zu einem Hort des Elends und der Rechtlosigkeit. Der Sturm zerstörte die zivile Infrastruktur der Stadt, einschließlich der Wasser- und Sanitärsysteme, der Energieversorgung und der Kommunikations- und Transportnetzwerke. Das Versagen der lokalen und nationalen Behörden, die Folgen des Desasters in den Griff zu bekommen, stürzte die regionalen und nationalen Regierungen in eine öffentliche Vertrauenskrise. Wie in New Orleans offensichtlich wurde, sind die Ärmsten der Armen auch in den entwickelten Ländern besonders verwundbar gegenüber Katastrophen. Sie leben oft in Hochrisikogebieten und haben keine Ressourcen, um sich an den Klimawandel anzupassen, z.B. durch eine Versicherung gegenüber Klimaschäden.

Die Pazifik-Region

Wo Städte oder Teile davon unterhalb des Meeresspiegels liegen, wie in Naga (Philippinen), Bangkok (Thailand) und Semarang (Indonesien), ist das Risiko von Überflutungen besonders hoch. Viele Küstenstädte liegen im Mündungsgebiet großer Flüsse. Durch den Prozess der Bodenabsenkung besteht auch in höher gelegenen Gebieten das Risiko gefährlicher Überflutungen. Mindestens acht der 21 größten Städte am Pacific Rim sind von Bodenabsenkungen betroffen, einschließlich Tianjin, Shanghai, Osaka, Tokyo, Manila, Jakarta und Los Angeles. Weltweit sind mehr als 150 Regionen dem Risiko durch Überflutungen ausgesetzt, und in China allein sind 45 Städte und Distrikte betroffen (WBGU 2008).

Klima zwischen Krieg und Frieden

Die Beispiele zeigen, dass Klimaänderungen die Existenz von Menschen und Gesellschaften bedrohen und damit die menschliche Sicherheit in einem fundamentalen Sinne beeinträchtigen können. Vor allem sind Gruppen betroffen, die zu schwach sind, um mit den Folgen fertig zu werden, doch auch Mittel- und Oberschichten bleiben nicht verschont, wenn ganze Regionen bedroht sind.

Die gesellschaftlichen Implikationen des Klimawandels hängen entscheidend davon ab, wie Menschen, soziale Systeme und politische Institutionen darauf reagieren. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Treibhausgas-Emissionen zu vermeiden, das Klima auf einem nicht-gefährlichen Niveau zu stabilisieren und die Risiken zu verringern. Diese dürfen jedoch nicht andere Problemlagen verschlimmern, wie eine Renaissance der Kernenergie, die neue Sicherheitsrisiken und Proliferationsgefahren mit sich bringt, oder ein massiver und überstürzter Einstieg in die Bioenergie, die auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion geht. Sollten vorbeugende Maßnahmen versagen, stehen Schadenminimierung, Gefahrenabwehr und Konfliktregulierung auf der Tagesordnung. Die Stärke gesellschaftlicher Institutionen und die Effizienz von Konfliktregelungsmechanismen entscheiden maßgeblich darüber, ob Klimafolgen neue Kriege provozieren oder kooperative Lösungen in Gang setzen.

Die eingangs erwähnten Differenzen zwischen der britischen und chinesischen Position zur globalen Erwärmung zeigen eine mögliche Trennlinie zwischen Nord und Süd. Nach Ansicht vieler Entwicklungsländer liegt die Verantwortung hauptsächlich bei den Industrieländern, deren pro-Kopf Emissionen bei weitem über denen der Entwicklungsländer liegen. Für die Gegenposition steht die Bush-Administration, die nicht nur substanzielle eigene Verpflichtungen zur Emissionsminderung ablehnt, sondern zugleich impliziert, dass Entwicklungsländer wie Indien und China ihr Wachstum beschränken, obwohl sie noch weit vom amerikanischen pro-Kopf-Niveau entfernt sind. Wenn es nicht gelingt, diese und andere mit dem Klimawandel drohende Konflikte zu lösen, kann sich das Klimadrama schnell zu einer Tragödie entwickeln.

Anmerkungen

1) Eli Kintisch, Grassroots Effort Pays Dividends on Presidential Campaign Trail, Science, 21. Dec.2007: Vol. 318. no. 5858, 1850 – 1851.

2) Energy for America‘s Future, www.whitehouse.gov/infocus/energy, Jan. 15, 2008.

3) Global Climate Change Security Oversight Act, Congressional Record: 28. März 2007 (Senat), S4059-S4061; www.govtrack.us/congress/bill.xpd?bill=s110-1018. Related is House Resolution 1961.

4) Nobel Peace Price Committee 2007.

5) N. Stern, et al., Stern Review: The Economics of Climate Change, HM Treasury, London, 2006.

6) Proceedings of the Security Council meeting, www.un.org/News/Press/docs/2007/sc9000.doc.htm. Die Rede von Margaret Beckett ist verfügbar unter www.fpa.org/calendar_url2420/calendar_url_show.htm?doc_id=472794.

7) CNA Corporation, National Security and the Threat of Climate Change, vgl. http://SecurityAndClimate.cna.org.

8) K.M. Campbell, et al., The Age of Consequences: The Foreign Policy and National Security Implications of Global Climate Change, Washington, DC.

9) P. Schwartz, D. Randall, An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States National Security, Washington, DC, October 2003 (www.ems.org/climate/pentagon_climatechange.pdf).

10) R. Schubert et al., Sicherheitsrisiko Klimawandel, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Berlin 2007, www.wbgu.de/wbgu_jg2007.html.

11) Intergovernmental Panel On Climate Change, Climate Change Impacts, Adaptation and Vulnerability, Working Group II, Summary for Policymakers, Intergovernmental Panel on Climate Change, Fourth Assessment Report, 2007.

12) Fighting Climate Change: Human Solidarity in a Divided World, Human Development Report 2007/2008, United Nations Development Program, 2007.

13) See H.J. Schellnhuber, W. Cramer, N. Nakicenovic, T. Wigley and G. Yohe (eds.), Avoiding Dangerous Climate Change, Cambridge University Press, 2006.

14) T. M. Lenton, H. Held, E. Kriegler, J. W. Hall, W. Lucht, S. Rahmstorf, H.J. Schellnhuber, Tipping elements in the Earth’s climate system, Proceedings of the National Academy of Sciences, February 12, 2008, vol. 105, no. 6: 1786–1793.

15) Von der umfangreichen Literatur siehe: T. Homer-Dixon, T., On the threshold: environmental changes as causes of acute conflict. International Security 16 (2), 1991: 76–116; G. Bächler, V. Böge, S. Libiszewski, K.R. Spillmann (Hrsg.), Kriegsursache Umweltzerstörung; A. Carius, K.R. Lietzmann (Hrsg.), Umwelt und Sicherheit – Herausforderungen für die internationale Politik, Berlin u.a.1998; J. Scheffran, W. Vogt (Hrsg.), Kampf um die Natur – Umweltzerstörung und die Lösung ökologischer Konflikte, Darmstadt 1998. Eine empirische Analyse von 73 Fallbeispielen gibt A. Carius, D. Tänzler, J. Winterstein, World Map of Environmental Conflicts (in German) 2006, www.wbgu.de/wbgu_jg2007_ex02.pdf.

16) R. Swart, Security risks of global environmental changes. Global Environmental Change 6 (3), 1996, 187–192; J. Scheffran, Konfliktfolgen energiebedingter Umweltveränderungen am Beispiel des globalen Treibhauseffekts, in: W. Bender (ed.), Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft, Darmstadt, 1997, 179-218; A. Rahman, Climate change and violent conflicts. In: Suliman, M. (Ed.), Ecology, Politics and Violent Conflict. Zed Books, London/New York, 1999, 181–210; J. Barnett, Security and Climate Change. Global Environmental Change 13(1) 2003: 7-17; J. Scheffran, Climate change and security, Bulletin of the Atomic Scientists, May/June 2008, 19-25; H. Welzer, Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt 2008.

17) Human Security Now, Report of the Commission on Human Security, New York, 2003, www.humansecurity-chs.org/finalreport.

18) D. Deudney, Environment and security: muddeled thinking. The Bulletin of the Atomic Scientist 47(3) 1991: 23–8; Lothar Brock, The Environment and Security: Conceptual and Theoretical Issues. Conflict and the Environment. Kluwer, Dordrecht 1997.

19) S. Yoffe, G. Fiske, M. Giordano, M. Giordano, K. Larson, K. Stahl, A.T. Wolf, Geography of international water conflict and cooperation: Data sets and applications, Water Resources Res., Vol. 40, 2004.

20) N. Myers, Environmental refugees: a growing phenomenon of the 21st century. Philosophical Transactions of the Royal Society of London Series B-Biological Sciences 1420, 2002: 609–13.

21) M. Boslough, et al., Climate Change Effects on International Stability: A White Paper, Sandia National Laboratories Albuquerque, New Mexico, December 2004; Sudan: Post-Conflict Environmental Assessment, United Nations Environment Programme, Nairobi, June 2007.

22) IFRC 2002. World Disasters Report 2002. International Federation of the Red Cross.

23) H.G. Brauch, Climate Change, Environmental Stress and Conflict, in: Climate Change and Conflict, herausgegeben vom Bundesumweltmininsterium, Berlin, 2002, 9-112.

Dr. Jürgen Scheffran ist Physiker und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der University of Illinois, Urbana-Champaign. Er ist Mitglied der W&F-Redaktion.

Klimafluch(t)

Klimafluch(t)

von Editha von Colberg

Die Ergebnisse der Wissenschaft sind unmissverständlich: Der globale, anthropogen bedingte Klimawandel findet statt, die Folgen sind spürbar, ohne rasches Gegensteuern drohen unkontrollierbare Risiken. Der vierte Sachstandsbericht des International Panel on Climate Change (IPCC), der den wissenschaftlichen Konsens zur Klimaforschung en gros wiedergibt, macht explizit deutlich: Die globale Klimaerwärmung hat fatale Konsequenzen für das Leben auf unserer Erde. In den letzten 100 Jahren hat sich die globale Durchschnittstemperatur um ca. 0,74 °C erhöht, ab einem Anstieg um 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten wird eine „gefährliche“ Veränderung des Klimas erwartet. Bei ungebremstem Emissionsanstieg wird bis Ende des 21. Jahrhunderts eine Zunahme um bis zu 4 °C befürchtet. Andere Berichte wie der Stern-Review prophezeien unter Berücksichtigung sogenannter »Rückkoppelungseffekte« (wie das Entweichen von Methan durch auftauende Permafrostböden) bereits bis Mitte des Jahrhunderts 2 bis 5 °C Erwärmung. Die Folgen? Erhöhter Niederschlag, verstärkte Kondensation, steigende Meerespegel, extreme Wetterereignisse wie unkalkulierbare Sturmdynamiken oder ungewöhnliche Regen- bzw. Dürreperioden – der gesamte Wasserhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht. Die Ausbreitung von Wüsten sowie die Verschärfung internationaler Süßwasser- und Ernährungskrisen, um nur einige Konsequenzen zu nennen, sind vorprogrammiert.

In der aktuellen Diskussion um den Klimawandel gewinnt der Begriff des »Klimaflüchtlings« zunehmend an Bedeutung. Bewegen oder zwingen klimabedingte Veränderungen der natürlichen Umwelt tatsächlich Menschen zum Verlassen ihrer Heimat? Schließlich ist der Zusammenhang im Einzelfall schwer nachweisbar und Schätzungen über potenzielle globale Entwicklungen sind aufgrund des langen Zeithorizonts kaum verlässlich. Zudem wird argumentiert, dass selten Umweltveränderungen allein den Ausschlag zur Migration geben; die mit dem Konstrukt des »Klimaflüchtlings« transportierte Vorstellung, vor dem Klima per se zu fliehen, würde den Sachverhalt nicht treffend umschreiben. Doch ob nun jemanden statt als »Klimaflüchtling« als »Wirtschaftsflüchtling« bezeichnet wird, der flieht, weil er seinen degradierten Ackerboden nicht mehr bewirtschaften kann, oder als »Armutsflüchtling« nicht die Mittel und das Know-how hat, sich mittels kostspieliger Anpassungsmaßnahmen wie dem Bauen von Deichen etc. vor möglichen Überschwemmungen zu schützen, – die Kategorien bleiben fließend, der Problemdruck mindert sich indes nicht. Laut Stern-Review leben gegenwärtig ca. 200 Millionen Menschen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, ferner wurden beispielsweise allein zwischen 1945 und 1990 ca. 1,2 Milliarden Hektar Land von dem Prozess starker bis sehr starker Wüstenbildung ergriffen – dies entspricht immerhin der Gesamtfläche Chinas und Indiens. Der Großteil der Bodenzerstörung findet in Entwicklungsländern statt, wo es wiederum die ärmsten Gesellschaftsgruppen am meisten betrifft. Drei Viertel der Menschen, die in absoluter Armut leben, siedeln in ländlichen Gebieten und sind unmittelbar von landwirtschaftlichen Erträgen abhängig. Der Klimawandel wirkt sich also gerade in denjenigen Regionen besonders heftig aus, die zugleich die anfälligsten Systeme und deren Gesellschaften die geringsten Kapazitäten für den Umgang mit den Folgen des Klimawandels aufweisen. Gerade hier leben die ärmsten Gesellschaftsgruppen, die nicht nur exponentiell am meisten gefährdet, sondern auch strukturell in höchstem Maße verwundbar sind. Die schon bestehende Problemkonstellation aus Armut, Hunger, Wassermangel und Krankheiten wird durch die Folgen des Klimawandels zusätzlich verschärft; Naturkatastrophen führen hier sehr schnell zu sozialen Katastrophen, die Umweltproblematik wird zum Entwicklungsproblem.

Vor diesem Hintergrund liegt die Schlussfolgerung nahe: Wenn Regionen infolge von klimabedingten Umweltveränderungen unbewohnbar werden oder nicht mehr bewirtschaftet werden können, bleibt Migration unter den Bedingungen fehlender, alternativer »coping capacities« die einzig mögliche Anpassungsstrategie. Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms gibt es inzwischen bereits mehr Umwelt- als Kriegsflüchtlinge, auch wenn diese in den offiziellen Statistiken des UNHCR nicht aufgeführt werden. Dessen Angaben basieren nämlich auf einem verengten Flüchtlingsbegriff, welcher existenzielle Notlagen nicht als Grund für unfreiwillige Migrationsbewegungen akzeptiert und damit Millionen Entwurzelter ins völkerrechtliche Nichts degradiert. Doch auch dieses Rechtsverständnis rechtfertigt die Praxis der Zielländer von Migrationsprozessen keineswegs, die meinen, sich durch bedarfsgesteuerte Einwanderungs- bzw. Abschottungsgesetze dem Handlungsdruck entziehen zu können. Im Gegenteil: Gerade die OECD-Länder tragen als Hauptverursacher der globalen CO2-Emissionen Verantwortung. Sie sind an der Produktion von Schubkräften für unfreiwillige Migrationsprozesse maßgeblich beteiligt, und es liegt an ihnen, die globale Klimaerwärmung nicht nur als reines Umwelt-, sondern auch als Weltordnungsproblem zu begreifen und es als solches anzugehen.

Ihre Editha von Colberg

Die sieben energiebedingten Weltkrisen

Die sieben energiebedingten Weltkrisen

von Hermann Scheer

Die Anhänger des fossil-atomaren Weltbildes machen ihre Rechnung ohne die weltweiten Krisen, die direkt und indirekt von atomaren und fossilen Energien generiert werden. Sieben schwerwiegende Krisen lassen sich ausmachen. Und sie sind in der Zusammenschau zu sehen.

1. Die Weltklimakrise: 1998 hieß es in der Abschlusserklärung der Weltkonferenz der Klimawissenschaftler, dass sich die Welt mit ihrem fossilen Energieverbrauch auf ein Experiment eingelassen habe, dessen Folgen denen eines globalen Atomkriegs gleichkämen. Die Zahl einzelner Katastrophen – Stürme, Fluten, Dürren – steigt, und sie werden heftiger. Sie treten sogar frühzeitiger ein, als vielfach vorausgesagt.

2. Die Erschöpfungs- und Abhängigkeitskrise: Das brisanteste Problem der fossilen Energieversorgung ist die wachsende Abhängigkeit immer mehr Länder von immer weniger Förderquellen, allem voran bei Erdöl und Erdgas. Die USA sind heute bei 56% ihres Energiebedarfs importabhängig, Deutschland zu 80% und Japan zu 95%. Die relativ leicht und kostengünstig zu fördernden Erdölvorkommen gehen in wenigen Jahrzehnten zu Ende. Gleiches gilt für Erdgas. Zur Neige gehende Reserven einerseits und wachsender Bedarf andererseits führen zwangsläufig zu steigenden Energiekosten, die einschneidende Gefahren für die Weltwirtschaft bergen und das soziale Gefüge von Gesellschaften zu zerreißen drohen. Verfügbarkeitskonflikte bis hin zu Kriegen um »billige« Restressourcen sind in dieser Entwicklung angelegt.

3. Die Armutskrise: Entwicklungsländer ohne eigene fossile Ressourcen, also die Mehrzahl, müssen auf den Weltmärkten dasselbe für Energieimporte zahlen wie alle anderen, und das bei einem Bruttosozialprodukt pro Kopf, das deutlich unter 10% der westlichen Industrieländer liegt. Gleichzeitig sind sie wirtschaftlich noch mehr vom nicht leitungsgebundenen Erdöl abhängig. Die Folge der Energiearmut sind Raubbau an Biomasse, Versteppung, Landflucht in überquellende Slums der Städte, Zerstörung sozialer Strukturen und Staatszersetzung, sich zu internationalen Konflikten entwickeln.

4. Die Atomkrise: Seit den 1990er Jahren wollen immer mehr Länder Atomwaffen besitzen, vor allem weil die Atomwaffenstaaten auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts an der Atombewaffnung festgehalten haben. Der Zugang zu atomaren Waffenpotenzialen und die Anheuerung diesbezüglicher Spezialisten ist leichter geworden denn je. Damit ist der Schritt zu Atomwaffen schnell vollziehbar. Die Kündigungsfrist der Mitgliedschaft zum Nichtverbreitungsvertrag beträgt nur drei Monate. Die technische und politische Trennlinie zwischen ziviler und militärischer Nutzung kann also schnell überschritten werden. Hinzu kommt die wachsende Gefahr durch Atomterrorismus.

5. Die Wasserkrise: Die Gesamtwassermenge des Erdballs bleibt zwar konstant. Aber in die Atmosphäre geleitetes kondensiertes Süßwasser, das als Regen in Meeresgewässer fällt, wird dort zu Salzwasser. Die Süßwasserkrise in vielen Regionen des Erdballs geht zu einem erheblichen Teil auf die atomare und fossile Energieversorgung zurück. Drei Viertel des statistisch erfassten Wasserverbrauchs in Deutschland und etwa 50% in den USA gehen auf den Bedarf atomar-fossiler Dampfkraftwerke zurück! Noch gravierender ist das Problem in wasserarmen Regionen. Erheblichen Wasserbedarf gibt es zudem auch für das Waschen geförderter Kohle oder für die Erdölförderung, um damit Förderdruck zu erzeugen. Die Wasserkrise ist damit zu einem erheblichen Teil Resultat des atomar-fossilen Energiesystems.

6. Die Landwirtschaftskrise: Gleiches gilt für die Krise der modernen Landwirtschaft. Durch ihre Umstellung von eigenerzeugter auf chemische Energie sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten in dem der landwirtschaftlichen Produktion vorgelagerten Bereich ständig gewachsen. Die Kosten für den Einkauf von Energie und Düngemitteln sind erheblich gestiegen und reduzieren die Einkommen der Landwirte. Die Reaktion darauf sind weitere Produktionssteigerungen durch vermehrten fossilen Energie- und Düngemitteleinsatz – ein ökologischer und wirtschaftlicher Teufelskreis.

7. Die Gesundheitskrise: Dass schon beim Normalbetrieb von Atomkraftwerken Gesundheitsschäden durch radioaktive Strahlenbelastungen entstehen, wird immer wieder bestritten. Unbestreitbar sind solche im Uranbergbau. Bei Gesundheitsschäden durch fossile Energien sind die Resultate eindeutiger. Etwa ein Viertel der Menschheit ist demnach durch Energieemissionen gesundheitlich beeinträchtigt. Auf 1,8 Millionen jährliche vorzeitige Todesfälle kommt eine WHO-Schätzung allein in Afrika, wo besonders Kinder und Frauen vor allem durch »indoor emissions« betroffen sind, also durch traditionelle Holzverbrennung in Häusern und Hütten in Ermangelung technischer Alternativen zur Energienutzung.

Die wechselseitige Krisenansteckung: Nicht zufällig treten die skizzierten Krisen gleichzeitig auf. Je höher der Energieverbrauch, desto mehr heizen sich die damit einhergehenden Probleme an. Man muss nicht einmal die oft beschriebenen Horrorszenarien beschwören, dass das nördliche Europa den warmen Golfstrom verliert und deshalb vereist oder dass weltweit Küstenregionen überschwemmt und dauerhaft unbewohnbar werden, und auch nicht die Gefahren des Durchbrennens eines weiteren Atomreaktors. Solche Gefahren sind mehr oder weniger wahrscheinlich, werden aber immer noch als hypothetisch bewertet. Nicht mehr hypothetisch ist die geschilderte, womöglich immer häufigere Kriseneskalation.

Hermann Scheer ist Präsident von EUROSOLAR und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien

Globale Herausforderungen

Globale Herausforderungen

von Jakob von Uexküll

Die globalen Herausforderungen entstehen heute vor allem durch das Durchbrechen von Grenzen – „das Ende des Anderen“ (Ulrich Beck). Die Folgen unserer Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen sind zum ersten Mal in der Geschichte global: sogar geologische Zeiträume sind dadurch moralisch relevant geworden. Wie gehen wir mit dieser einmaligen Verantwortung um, ohne von ihr erdrückt zu werden? Können wir sie irgendwie managen?

Der wissenschaftliche Konsens sagt noch „ja“, aber nur wenn wir in den nächsten Jahren (nicht mehr Jahrzehnten) auf sehr vielen Gebieten radikal umsteuern. Die Grenzen des Wachstums sind endgültig erreicht. Das Klima-Chaos erlaubt kein Entkommen. Die Folgen der ökologischen Globalisierung sind nicht steuerbar. Geldschulden können gestundet oder umgeschuldet werden. Aber mit schmelzenden Gletschern kann man nicht verhandeln und Folgen eines Umweltbankrotts können ewig nachwirken!

Der Klima-Bericht von Sir Nicholas Stern beschreibt den Klimawandel als das größte Marktversagen aller Zeiten. Es handelt sich aber auch um ein beispielloses Politik- und Medienversagen, denn das Klimachaos ist ja nicht von informierten Bürgern gewählt worden. Im Gegenteil! Schockiert von den zunehmenden Katastrophenmeldungen lehnen jetzt immer mehr Menschen die Gesamt-Richtung ab. In den neoliberalen Vorreiter-Ländern USA und Großbritannien sind weniger als 20% der Meinung, dass die Globalisierung im Ganzen positiv ist. Die Idee, dass mehr Konsum besser ist, beginnt Unterstützung zu verlieren. Die britische Zeitung The Guardian berichtete kürzlich von einem Dorf, das versucht seine CO2-Emissionen zu verringern: „Plötzlich fühlt sich das Ehepaar mit einem Zweithaus in Barbados schuldig statt beneidet, und die Werte der bürgerlichen Mittelschicht beginnen sich zu verändern.“

Wir haben jetzt die Wahl, entweder weiterhin mit kleinen Reformen »Business as usual« zu betreiben, und vielleicht dabei noch reicher zu werden, wie ein erfolgreicher Pokerspieler auf der sinkenden Titanic. Oder wir können die Zukunft ernst nehmen und jetzt umsteuern. Privat und beruflich können wir dabei schon recht viel verändern, um ein Teil der Lösung zu werden. Aber wir wissen, dass dies nicht ausreichen wird! Wir müssen uns zugleich gesellschaftlich und politisch engagieren, um die Regeln, Institutionen und Informationsströme so zu ändern, dass sie unseren höchsten Werten entsprechen und unsere persönlichen Veränderungen unterstützen.

Das Hauptproblem heute ist, dass wir die großen globalen Krisen nicht lösen, obwohl wir das Wissen, die Arbeitskraft und die Ressourcen dazu haben. Warum? Viele Umfragen zeigen, dass große Mehrheiten problembewusst und handlungsbereit sind – auch um große Schritte zu unternehmen. Was hält sie zurück? Die Antwort ist eindeutig: der feste Glaube, dass es nicht ausreichen wird, weil die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft nicht mitziehen werden! Wir müssen also jetzt durch eigenes Vorangehen mehr Menschen davon überzeugen, dass sie Veränderungen erreichen können und ihre Schritte sich lohnen! Jedes existierende Gesetz, jede Regelung, jedes Abkommen, jede Institution, auch jede Gewohnheit, muss unter dem Aspekt seiner Zukunfts- und Umweltverträglichkeit neu überprüft und bei Bedarf geändert werden.

Die Basis unseren Handelns kann nur jener Wert sein, der allen Menschen gemeinsam war und ist: die tief gefühlte Verpflichtung, unseren Kindern und ihren Kindern eine bessere Welt zu übergeben. Wie schnell unsere moderne Zivilisation zusammenbrechen kann, zeigte sich in dem Superdome Sportstadium von New Orleans nach dem Hurrikan Katrina, als junge kräftige Männer die knappen Trinkwasservorräte an sich rissen, während Frauen, Kinder und alte Menschen hilflos zuschauten.

Wir brauchen heute ein neues Verständnis von Gefahren und Risiko-Hierarchien. Der Klimawandel ist nicht nur ein Umweltrisiko, sondern bedroht unsere Sicherheit, Menschenrechte, Hunger- und Armutsbekämpfung u.v.a.m. Ulrich Beck weist darauf hin, dass in der Weltrisikogesellschaft der „Versicherungsschutz paradoxerweise mit der Größe der Gefahr abnimmt.“ Unsere Hauptaufgabe ist die Entwicklung integrierter Antworten. Eine effektive Energie-Effizienzrevolution z. B. erfordert eine tiefgreifende ökologische Steuerreform. Wohlstandsmehrung kann nicht länger bedeuten, unseren wirklichen Reichtum – eine gesunde Erde – zu opfern im Austausch für Computer-Ausdrucke, die uns erzählen wie reich wir angeblich sind. Für viele sind die Konsequenzen schon da. In Australien werden aus Wassermangel ganze Städte evakuiert.

Die Schaffung von Lebensqualität mit weniger Energie und Ressourcen muss unser Ziel sein, wenn wir eine Zukunft voller Konflikte vermeiden wollen. Wir brauchen ein Wirtschaften auf der Basis von Reife und Zusammenarbeit, nicht Unreife und Gier. Nicht maximaler Produkt-Besitz, sondern optimierte Dienstleistungen werden die Kriterien des ethischen Verbrauchens sein. Der baldige Höhepunkt der globalen Ölvorräte, der sogenannte peak oil, noch vor wenigen Jahren nur von einigen Außenseitern vorausgesagt, wird jetzt von den meisten Öl-Experten akzeptiert. Die kommende, unaufhaltbare Masseneinwanderung von Klimaflüchtlingen aus Nordafrika etc. wird in Europa Ausmaße erreichen, die unsere Mitmenschlichkeit auf sehr harte Proben stellen wird. Unsere derzeitigen Probleme werden dagegen lächerlich erscheinen. Die nötigen Veränderungen müssen bei uns selbst beginnen, im Wiederentdecken der Eigenschaft, die die alten Israelis »hochma« nannten, d.h. die Fähigkeit zu fühlen und zu handeln als ob die Zukunft von jedem von uns abhängt.

Jakob von Uexküll ist Gründer des World Future Council.

Umwelt: Langfristig kriegsbeschädigt

Umwelt: Langfristig kriegsbeschädigt

von Gina Mertens

Auch wenn es zur Zeit noch schwierig ist, genaue Untersuchungen und zuverlässige Messwerte zu erhalten, so lässt sich dennoch feststellen, dass in Jugoslawien als Folge der NATO-Bombardments schwerwiegende Schäden mit langfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit – gerade auch für nachfolgende Generationen – und die natürliche Umwelt entstanden sind. Zu diesem Schluss kommt auch das Umweltbundesamt in einem internen Bericht1 an das Umweltministerium. Eine Veröffentlichung dieses Berichtes hätte wohl zur Folge gehabt, dass das Argument der »Humanitären Intervention« – welch Orwellscher Euphemismus! – noch stärker in Frage gestellt worden wäre. Mehr und mehr wird jetzt deutlich, dass die NATO einen Umweltkrieg geführt und damit klar gegen die Genfer Konvention verstoßen hat, in der es u.a. heißt: „Bei der Kriegsführung ist darauf zu achten, dass die natürliche Umwelt vor ausgedehnten, lang anhaltenden und schweren Schäden geschützt wird. Dieser Schutz schließt das Verbot der Anwendung von Methoden oder Mitteln der Kriegsführung ein, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie derartige Schäden der natürlichen Umwelt verursachen und dadurch Gesundheit oder Überleben der Bevölkerung gefährden.“2 Hierfür werden sich NATO-Militärs und PolitikerInnen zu verantworten haben – Den Haag ist wohl vielen eine Reise wert.

Was ist in Jugoslawien konkret passiert? Welche Schäden sind wo und wodurch zu erwarten? Kurz-, mittel- und langfristige Schäden sind durch die Freisetzung unterschiedlicher Substanzgruppen entstanden:

Schäden durch Uran 238

Uran ist ein natürlich vorkommendes Schwermetall mit einer extrem hohen Dichte von 19,1 g/cm. Aufgrund dieser Eigenschaft eignet es sich waffentechnisch gesehen besonders gut, um Panzerungen aus Stahl zu durchdringen. Beim Auftreffen und Zersplittern solcher Urangeschosse kommt es zu einer Feinverteilung von Uranpartikeln, die sich dann selbst entzünden. Das getroffene Zielobjekt geht in Flammen auf und es entsteht giftiges Uranoxid. Dieses wird vom Menschen direkt durch die Mundschleimhaut, die Lunge oder über offene Wunden in den Körper aufgenommen. Dosisabhängig findet man bei solchen PatientInnen Symptome und Schweregrade einer Schwermetallvergiftung. Insbesondere sind dieses Nierenschäden, Nervenlähmungen, Schädigungen des Herzens, des Verdauungstraktes, der Kapillaren u.v.a.

Abgesehen von dieser sogenannten. chemotoxischen Wirkung wirkt Uran radiotoxisch, d.h. der Organismus wird zusätzlich durch Strahleneinwirkung geschädigt. Uran ist ein Alpha-Strahler mit sehr geringer Reichweite. Es wird in menschlichen Knochen wie Kalzium eingelagert. Durch Bestrahlung des Blut bildenden Knochenmarks können Leukämien, Anämien sowie Knochentumore entstehen. Uran wirkt embryoschädigend, da es die Plazentaschranke passieren kann. Fehlgeburten, Missbildungen und kindliche Tumorerkrankungen sind mögliche Folgen.3

Urangeschosse wurden erstmals 1991 im Golfkrieg eingesetzt. Das sogenannte Golfkriegssyndrom bei ehemaligen Soldaten wird damit assoziiert.4 Der Einsatz dieser Geschosse in Jugoslawien ist von mehreren NATO-Offiziellen bestätigt worden.5 Das jugoslawische Außenministerium berichtete über den Einsatz von Urangeschossen in der Region von Prizren am 30.3.1999 sowie in Bujanovic am 18.4.1999.6

Anders als im ursprünglichen Naturzustand, als Erz in und unter der Erde, liegt der Uranstaub frei an der Luft und wird immer wieder neu aufgewirbelt. Je nach Windverhältnissen kann er auch über Hunderte von Kilometern verteilt werden. Uranstaub kennt keine Grenzen. Im April wurden in Makedonien vom National Institute for Health Protection (NIHP) bis zu achtfach erhöhte Radioaktivitätswerte (Alpha-Strahlung) in der Luft gemessen.7

Uran hat eine Halbwertzeit von 4,5 Milliarden Jahren. Es strahlt also unendlich weit in die Zukunft und kann immer wieder neu von Menschen aufgenommen werden – ein Verbrechen an gegenwärtigen und nachfolgenden Generationen. Die UN-Menschenrechtskommission sieht dies ähnlich und beschäftigt sich seit Jahren in einem Unterausschuss mit der Ächtung dieser Munition.8

Zum Einsatz von Urangeschossen wäscht unser Verteidigungsministerium die Hände in Unschuld. In einem Antwortschreiben an die IPPNW vom 5.5.1999 heißt es: „Dem Bundesministerium der Verteidigung ist bekannt, dass sich Munition mit abgereichertem Uran im Bestand von alliierten Streitkräften befindet.“ Und etwas weiter: „Die Bundeswehr besitzt keine Munition, die abgereichertes Uran enthält. Es ist davon auszugehen, dass diejenigen Bündnispartner, die über solche Munition verfügen, diese im Rahmen der Verteidigung im Bündnis auch einsetzen. Es ist dem Bundesministerium der Verteidigung nicht bekannt, ob solche Munition im Rahmen der Lufteinsätze gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verwendet wird.“ Ja hat denn das BMVg überhaupt danach gefragt oder hat es sich verhalten wie die berühmten drei Affen: Nichts hören, sehen und sprechen? Bloß keine Verantwortung. Es gab Abgeordnete, die fragten und keine Antwort erhielten.9 Wer bei einer Gewalttat einfach weg schaut und nichts dagegen unternimmt, trägt Mitschuld. Erst recht bei einer gemeinsamen Tat, die hier auch noch fälschlicherweise mit »Verteidigung des Bündnisses« umschrieben wird. Der Dreh, wir waren's nicht, das war doch die NATO, ist reichlich verdreht und auch keineswegs neu: Unter der Tarnkappe »NATO-Soldat« durften deutsche Soldaten auch in der Vergangenheit schon das, was sie als Deutsche gerade nicht dürfen, nämlich den Umgang mit Atomwaffen üben. Es wird so getan, als gäbe es eine eigenständige NATO-Staatsangehörigkeit! Die schlimme Schlussfolgerung dieser verqueren Logik ist, dass im NATO-Bündnis alles an Waffensystemen, wie furchtbar auch immer, eingesetzt werden kann, was mindestens ein Bündnispartner erlaubt. Ebenso beunruhigend ist die Tatsache, dass gewählte PolitikerInnen den Kriegseinsatz beschlossen haben, aber danach keine ausreichenden Informationen mehr erhalten (oder sich nicht darum bemüht haben).

Die UN-Kommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, hat der NATO angedroht, dass auch sie für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden kann.10 Wohl nicht mehr als ein kleiner Hoffnungsschimmer!

Schäden durch Bombardierung von Industriekomplexen

Im gesamten jugoslawischen Staatsgebiet sind gezielt Industrieanlagen, darunter Chemiewerke, Erdölraffinerien, Düngemittelfabriken, Treibstofflager und Kraftwerke, bombardiert worden. In der vertraulichen Studie des Umweltbundesamtes11 heißt es: „Es ist davon auszugehen, dass durch die Zerstörung dieser Anlagen die darin befindlichen Stoffe zu großen Teilen in die Umwelt gelangt sind.“ Man wusste also was man tat. Bei der Bombardierung von o. g. Industrieanlagen ist mit einer Unzahl freiwerdender Giftstoffe zu rechnen – angefangen von Giftgasen wie z.B. Chlorgas oder Vinylchlorid bis hin zu Dioxinen, Schwermetallen und Öl –, die Boden, Grund- und Oberflächenwasser und Luft belasten und schwere Folgen für die menschliche Gesundheit haben:

  • Beispiel Chlorgas: Verätzung der Schleimhäute, Atemnot und Tod durch qualvolles Ersticken;
  • Beispiel Ethylenchlorid: Hautausschläge, Leber- und Nierenschäden, zentrale Depression, krebserzeugende Wirkung;
  • Beispiel Dioxine: dosisabhängig Leberschäden (bis hin zum Tod im Leberkoma), Chlorakne, Krebs, Infertilität und schwere Missbildungen in den nachfolgenden Generationen, insbesondere Anenzephalie (Geburt ohne Gehirn, nicht lebensfähig), Anophtalmie (Augenlosigkeit), Lippen- Kiefer- Gaumenspalte, Phokomelie (Gliedmaßenmissbildung), Siamesische Zwillinge, Spina bifida (Rückenmarkdefekt). Insbesondere ist hier das als Seveso-Gift bekannt gewordenen 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-Dioxin (TCDD) zu nennen, welches auch Bestandteil vom im Vietnamkrieg angewandten Agent Orange war.

Da diese giftigen Substanzen sowohl in der Luft als auch im Grund- und Oberflächenwasser sowie im Boden freigesetzt werden ist mit einer lang anhaltenden Vergiftung und Verseuchung ganzer Ökosysteme einschließlich der Lebewesen zu rechnen.

Eine Gruppe von WissenschaftlerInnen des Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe (REC) kommt zu dem Schluss, dass die Umwelt im gesamten Staatsgebiet Jugoslawiens betroffen ist.12 Aber auch die Anrainerstaaten sind geschädigt. In Bulgarien ging z.B. vom 23.-26.5.1999 saurer Regen nieder als Folge der Brände in Jugoslawien. In die Donau wurde laut BBC News vom 19.4.1999 Ethylenchlorid abgelassen um Explosionen zu verhindern. Ebenso wurden Ölteppiche auf der Donau gesichtet.13

In der Monitor-Sendung vom 20.5.1999 berichtete Prof. Spyridon-Rapsomanikis (Universität Thessaloniki, Umweltchemiker) über eigene Messungen in Griechenland, bei denen bis zu fünfzehnfach erhöhte Werte in der Luft für Dioxine, Furane, PCB und andere Schadstoffe festgestellt wurden, die auf brennende Fabrikanlagen in Jugoslawien zurückzuführen sind. Man kann z.Z. nur spekulieren wie katastrophal die Werte dort vor Ort waren und sind.

Chemische Waffen sind aus guten Grunde geächtet. Die Produktion chemischer Waffen nahmen die USA in Libyen und dem Irak zum Anlass für Bombardements. Aber gibt es für die Betroffenen eigentlich einen Unterschied, ob sie direkt durch Chemiewaffeneinsatz sterben oder schwer geschädigt werden oder indirekt durch freigesetzte Gifte in Folge der Bombardierung von Industrieanlagen? Werden die verantwortlichen PolitikerInnen einmal die Stirn haben, einem Kind mit schweren Fehlbildungen und seinen Eltern ins Gesicht zu sagen: Tut mir leid, aber Du bist nun mal ein Kollateralschaden einer humanitären Intervention? Das ist kaum zu erwarten – von Kollateralschäden spricht in der Regel nur, wer fernab vom Elend und ohne persönliche Betroffenheit versucht die Folgen seines Handelns zu verschleiern.

Zusätzliche Schäden
der Ökosysteme

Auch der »ganz normale« Krieg hinterlässt schwere Schäden für das Ökosystem in Jugoslawien:

  • Die weitere Bodennutzung wird unabhängig von der chemischen Belastung auch durch Militärschrott wie ausgebrannte Panzer, Flugzeuge, Minen, Splitterbomben und Blindgänger erschwert. Durch die Bombardierungen wurden Krater aufgeworfen, die zur Bodenerosion beitragen.
  • Bedingt durch die Bombardierung von Energieunternehmen, Raffinerien, Treibstofflagern und die Zerstörung der Verkehrswege sind Energie und Treibstoff absolute Mangelware. Die Zerstörung der Heizkraftwerke trägt zusätzlich dazu bei, dass im kommenden Winter damit gerechnet werden muss, dass unzählige Wohnungen nicht ausreichend beheizt werden können. Abgesehen von den direkten Auswirkungen auf die Gesundheit wird dies vermutlich gerade in ländlichen Gebieten zu verstärkter Abholzung führen.
  • Problematisch sind auch die Folgen der Flüchtlingslager für das Grund- und Oberflächenwasser, bedingt durch unzureichende Klärmöglichkeiten für Abwässer und eine – zumindest zeitweilige – Müllentsorgung in die Umwelt.14

An diesen drei Punkten wird deutlich, dass auch zur Vermeidung weiterer großer Umweltschäden eine schnelle Wiederaufbauhilfe für ganz Jugoslawien dringend notwendig ist.

Weitere Folgen für die Zivilgesellschaft

Abgesehen von den direkten toxischen Auswirkungen der o.a. Substanzen wie Missbildungen usw. haben diese auch andere verheerende Folgen. So berichtete mir eine jugoslawische Ärztin über eine Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen aus der berechtigten Furcht vor Missbildungen, mit all den seelischen Belastungen, die ein solcher Eingriff mit sich bringt.

Die Angst vor den Spätfolgen trifft eine Gesellschaft, die durch eine hohe Arbeitslosigkeit – in Folge der Bombardierung ziviler Arbeitsplätze, wie z.B. der totalen Zerstörung der Autofabrik Jugol-Cars, in einigen Regionen über achtzig Prozent – destabilisiert ist. Mangelnde Zukunftsaussichten tragen dazu bei, dass der Konsum von Beruhigungsmitteln drastisch angestiegen ist, dass die Gefahr von Abhängigkeitserkrankungen wächst.

Die Co-Präsidentin der internationalen IPPNW, Dr. Mary Wynne Ashford, gewann Mitte Mai in Gesprächen mit russischen PolitikerInnen und KollegInnen den Eindruck, dass durch die Bombardements die horizontale Atomwaffenproliferation weiter vorangetrieben wurde.15 Hintergrund ist die offene Frage, ob die NATO Jugoslawien auch dann bombardiert hätte, wenn dieses im Besitz von Atomwaffen gewesen wäre. Die fatale Konsequenz könnte für viele Länder sein, die Atomwaffenentwicklung voranzutreiben, um sich sicherer zu fühlen. Weltweit erschwert das aber nicht nur weitere Abrüstungsbemühungen, es bringt vor allem die Gefahr noch größerer Konflikte mit unübersehbaren Schäden mit sich.

Fazit

Die ethnischen Vertreibungen und die vielfältigen Übergriffe auf die albanische Bevölkerung durch das serbische Regime sind schärfstens zu verurteilen. Die europäischen Staaten wären gut beraten gewesen, wenn sie sich schon vor zehn Jahren politisch und ökonomisch engagiert hätten um den Menschenrechten in dieser Region zur Geltung zu verhelfen. Kriege lösen die Probleme nicht, das haben die Vertreibungen in Kroatien, Bosnien, dem Kosovo gezeigt, die jeweils in und nach den Kriegen explodierten. Das zeigt auch die aktuelle Entwicklung im Kosovo. Kriege sind nur eine Stufe in einer Eskalationsspirale, die zu weiterem Desaster führt; sie wirken destabilisierend, sie zerstören die natürlichen Lebensgrundlagen. In Kriegen werden die Milliarden ausgegeben, die dringend für zivile Konfliktbearbeitung und Sicherheitsstrukturen gebraucht würden.

Anmerkungen

1) Umweltbundesamt, Erste Einschätzungen zu den ökologischen Auswirkungen des Krieges in Jugoslawien. Unveröffentlichtes Manuskript vom 5.5.1999

2) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, Kapitel III, Art. 55, Abs.1

3) U. Gottstein, Gesundheitsschäden durch abgereichertes Uran“ im Irak? Hessisches Ärzteblatt, 56 JG (1995), S. 237-239

4) U. Gottstein, a.a.O. Siehe auch D. Fahey, Case Narrative. Depleted Uranium (DU) Exposures. Sept. 2nd, 1998. Swords to Plowshares, inc./ National Gulf War Resource Center, Ic. / Military Toxics Project, Inc.

5) U.a. von Major General Charles Wald, U.S. Verteidigungsministerium, in einem Interview mit ABC News am 4.Mai 1999

6) Bundesrepublik Jugoslawien, Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheitn, AID Memoire über die Verwendung von unmenschlichen Waffen bei der Aggression gegen die BR Jugoslawien. Belgrad, 15.5.1999. Faxkopie liegt in der IPPNW-Geschäftsstelle, Berlin.

7) The Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe. Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict. Preliminary Findings. Report prepared for: European Commission DG-XI- Environment, Nuclear Safety and Civil Protection. Juni 1999. Seiten 29-30

8) (UN-Menschenrechtskommission, Resolutionen 1996/16, 1997/36)

9) Z.B. Heidi Lippmann in der Bundestagsfragestunde vom 21.4.99 oder Annelie Buntenbach.

10) taz vom 6.5.1999, S. 2

11) Umweltbundesamt, a.a.O., S.2

12) Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe,a.a.O.

13) U.a. in der Monitor-Sendung vom 20.05.1999, Bericht der Biologin Dragana Tar

14) Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe, a.a.O., S. 23ff

15) Mary Wynne Ashford, Gastbeitrag in der FR vom 29.05.1999

Dr. med. Regina Mertens ist Vorstandsmitglied der IPPNW, Sektion Deutschland

Konflikt und Kooperation

Konflikt und Kooperation

Akteursmodelle in Ökonomie und Ökologie

von Jürgen Scheffran

„Sollen zwei Nachbarländer Zölle auf die Produkte des jeweils anderen erheben? Sollen zwei Firmen, die dasselbe Produkt herstellen, sich den Markt durch Absprachen aufteilen oder einander bis zum eigenen Ruin unterbieten? Sollen zwei Tierarten auf demselben Territorium friedlich nebeneinander leben oder sich die knappen Ressourcen streitig machen?“1
Solche Fragen sind Variationen über ein Thema: Unter welchen Bedingungen werden Konflikte zwischen Akteuren ausgetragen und wann lohnt sich kooperatives Verhalten? Die Beispiele zeigen, dass die zugrundeliegende Problematik nicht auf ökonomische Systeme beschränkt ist, sondern im Reich der belebten Natur überall anzutreffen ist. Glaubt man jüngeren Forschungergebnissen, kann die Konfliktforschung um neue interdisziplinären Perspektiven bereichert werden.

Eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden Wissenschaftskulturen erscheint um so dringlicher, als sich die Wachstumsdynamik der menschlichen Sphäre auf Kollisionskurs mit den ökologischen Leitplanken befindet. Auch wenn menschliche Überlebensstrategien sich im Verlauf der Evolution erfolgreich gegenüber den Naturgewalten und der Konkurrenz mit anderen Lebewesen behaupten konnten, geraten sie nun in Konflikt mit der Natur, den Mitmenschen und zukünftigen Generationen. Die grundsätzlichen Möglichkeiten zur Vermeidung der globalen Katastrophe sind bekannt, doch sind sie bislang an eingefahrenen Verhaltensweisen und an gesellschaftlichen Interessen- und Konfliktlagen gescheitert, die einer Veränderung entgegenwirken. Pessimistische Stimmen begründen gar die Unmöglichkeit, menschliches Verhalten zu ändern.2 Dem an Nutzenmaximierung, Konkurrenz und Nullsummenspiel ausgerichteten Denken gegenüber steht jedoch ein Verhalten, demzufolge Menschen ihre Werte und Ziele am besten gemeinsam, d.h. kooperativ erreichen.

Die Balance von Konflikt und Kooperation

Zwischen Konflikt und Kooperation besteht eine diffizile Balance, die sich im Verlauf der biologischen Evolution wie auch der menschlichen Geschichte herausgebildet hat. So ist in der Natur der Kampf keineswegs die allein vorherrschende Umgangsform zwischen Lebewesen; die Herausbildung kooperativer Strukturen scheint bedeutsamer zu sein als weithin angenommen. Gegenüber den »lauten« Konflikten der Menschheitsgeschichte standen die meist »stillen« Bestrebungen zur Zusammenarbeit und kooperativen Konfliktlösung nur selten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Beides liegt nahe beieinander: „Wo immer Menschen in welcher Form auch immer zusammenarbeiten, können Differenzen über Art, Ziele und Mittel dieser Zusammenarbeit auftreten.“3 Diese Differenzen sind wesentliche Antriebskräfte von Konflikten. Während die Literatur über Krieg und Krise, Konflikt und Gewalt ganze Bibliotheken füllt, sind empirisch gehaltvolle theoriebildende Arbeiten über das Phänomen der Kooperation „ausgesprochen rar“ (R. Meyers, S. 48). Der Autor versteht dabei unter „Kooperation … ein Grundmuster menschlichen Verhaltens …, das die Zusammenarbeit mehrerer Individuen bei der Lösung einer Aufgabe oder bei der Befriedigung eines gesellschaftlichen Bedürfnisses thematisiert.“

Während hier das Gemeinsame in den Mittelpunkt der Kooperation gestellt wird, kennzeichnet eine nunmehr 50-Jahre alte Definition die kooperative soziale Situation dadurch, dass jeder daran Beteiligte seine Ziele nur in dem Maße erreicht, wie auch die anderen Beteiligten ihre Ziele erreichen.4 Mit dem Gelingen einer Kooperation ist eine effizientere individuelle Zielerreichung verbunden, auch wenn gemeinsame Ziele nicht ausgeschlossen sind. Neben dieser vorwiegend auf Mittelreduzierung orientierten Kooperation können Akteure auch versuchen, ihr Verhalten an den Zielen und Präferenzen anderer zu orientieren, d. h. Kooperation ist die „Adjustierung des Verhaltens von Akteuren anhand der vorausgesehenen Präferenzen anderer“, also eine Verhaltensmodifizierung in Richtung auf die Partnerwünsche.5

Um Wege aus der globalen Krise zu finden, sind letztlich alle Formen der Kooperation bedeutsam. Zu klären sind dabei die Bedingungen für einen kooperativen Konfliktaustrag zwischen Menschen wie auch für die immer wieder beschworene Koevolution von Soziosphäre und Ökosphäre. Um diesen Fragen nachzugehen, sollen im folgenden neuere Theorie- und Modellansätze beleuchtet werden, die in den vergangenen Jahre entwickelt und im Bereich der Ökonomie und der Ökologie eingesetzt wurden.6

Der Kontext
der Konfliktmodellierung

Die Modellierung von Konflikt und Kooperation ist nicht neu, doch verändert haben sich der Gegenstand, die Methodik und die interdisziplinären Verknüpfungen. Mathematische Methoden sind oftmals in militärische Entscheidungprozesse eingeflossen. Beispiele sind die Lanchester-Gleichungen der Kriegführung, die Richardson-Gleichungen der Rüstungsdynamik und die Spieltheorie zur Analyse von Entscheidungen. Daraus abgeleitete Modelle wurden im Kalten Krieg zur Grundlage von Streitkräftevergleichen und Schlagabtauschszenarien verschiedener Waffengattungen.7 Bestrebungen, mit Hilfe der Mathematik gesellschaftliche Probleme und Konflikte besser zu verstehen, um sie vermeiden oder lösen zu helfen, sind relativ jungen Datums.8

Waren Modelle des Ost-West-Konflikts noch von der Bipolarität zweier hochgerüsteter Supermächte bestimmt und Sicherheit auf die militärische Dimension beschränkt, so haben sich in den neunziger Jahren mit dem Sicherheitsverständnis auch die Modellkonzepte gewandelt. In der neuen Welt-(un-) ordnung müssen eine Vielzahl von Akteuren auf staatlicher, substaatlicher und internationaler Ebene sowie auch ökonomische, ökologische, soziale und ethnische Konfliktfaktoren in Betracht gezogen werden, die oftmals in komplizierter Weise miteinander verwoben sind. Dieser Vielfalt der Probleme steht eine Vielfalt der Methoden gegenüber, von denen einige hier vorgestellt werden.

Die grundsätzlichen Probleme und Grenzen der Konfliktmodellierung dürfen dabei nicht übersehen werden, ohne dass hier eine tiefergehende Kritik möglich wäre. In den Sozialwissenschaften geht es, anders als in den Naturwissenschaften, um Entscheidungsprozesse, subjektive Wahrnehmungen und Werte, den »freien Willen«, nicht-determiniertes Verhalten, einen situationsabhängigen Kontext, Lernprozesse und eine fortwährenden Verhaltensanpassung. Aufgrund solcher Probleme hat Herbert Simon die Sozialwissenschaften als die eigentlich »harten« Wissenschaften bezeichnet, da sie in mancher Hinsicht komplexer als die Naturwissenschaften seien.9

Wachstumsdynamik und Konkurrenz

Nach gängiger Vorstellung umfasst ein System eine Menge von Zuständen, Relationen und die darauf wirkenden Operationen. In der Physik geht es um Kräfte, die auf den Bewegungszustand einwirken; in der theoretischen Ökologie um eine Wachstumsfunktion, die die Zu- oder Abnahme der Population beeinflusst; in der Ökonomie um die Produktionsfunktion, die die Güterproduktion bestimmt. In dynamischen Systemen verhalten sich die Akteure eindeutig und deterministisch, d.h. nach festen Regeln. Zu untersuchen sind die Gleichgewichtszustände und Bedingungen für Stabilität.

Dynamische Konkurrenzmodelle beschreiben die Interaktion zwischen zwei oder mehreren Akteuren (z.B. Individuen, Populationen, Staaten), die um die Einflussnahme auf bestimmte Systemgrößen konkurrieren (z.B. Güter, Waffen, Nachwuchs, Emissionen). Typische Beispiele sind das Lanchester-Modell, das Richardson-Modell oder das Räuber-Beute-Modell der Populationsdynamik von Lotka und Volterra.10 Die Wirkung der Interaktion auf die Wachstums- und Produktionsfunktionen kann zu einer gegenseitigen Schädigung (Eskalation) oder zum gegenseitigen Nutzen (Kooperation) beitragen.11 Letzteres entspricht in der Ökologie der Symbiose oder dem Mutualismus, bei denen zwei oder mehr Arten voneinander profitieren (z.B. bei der Bestäubung von Blüten, der Verbreitung von Samen, der gemeinsamen Jagd).

Die wichtigsten Prozesse, die die Wachstumsdynamik einer Systemgröße bestimmen, sind die in einem Zeitraum stattfindenden Zugänge durch Geburten und Zuwanderung und die Abgänge durch Todesfälle und Abwanderung. Halten sich die vier Prozesse die Waage, bleibt die Systemgröße konstant (Fließgleichgewicht). Letztlich wird die Wachstumsrate durch die verfügbare Ressourcenmenge (Kapazität) begrenzt, die in die logistische Wachstumsfunktion als Obergrenze eingeht. Der Toleranzbereich der limitierenden Umweltfaktoren definiert eine ökologische Nische, in der in der Regel nur ein Konkurrent überleben kann (Ausschließungsprinzip). Mithilfe der technischen Effizienzsteigerung ist es dem Menschen gelungen, eine ökologische Nische nach der anderen zu besetzen oder zu zerstören und die dort lebenden Arten zu verdrängen. Bislang hat es die Ökonomie nicht geschafft, nach dem Vorbild der Ökologie Wachstum zu begrenzen. Möglicherweise kann die Schaffung kooperativer (Dienstleistungs-) Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft zur »Nutzenmehrung« beitragen, ohne dass damit ein weiter erhöhter Verbrauch natürlicher Ressourcen verbunden ist.

Komplexität, Chaos, Selbstorganisation

Im Gegensatz zur geordneten mathematischen Modellwelt der Newtonschen Dynamik, symbolisiert durch das vorhersagbare Schwingen eines Pendels oder die reguläre Bewegung von Sonne, Mond und Planeten, steht die Unvorhersagbarkeit und Nichtdeterminiertheit der Alltagserfahrung, was etwa in der turbulenten Bewegung von Gasen und Flüssigkeiten, beim Wetter oder in den zwischenmenschlichen Beziehungen zum Ausdruck kommt. In den siebziger Jahren wurde in den Naturwissenschaften systematisch damit begonnen, sprungartige Zustandsänderungen zu untersuchen wie Phasenübergänge und Selbstorganisation. Dabei gewonnene Erkenntnisse wurden auch auf das kollektive Verhalten sozialer und ökonomischer Systeme übertragen.

Die Erkenntnis, dass bereits kleine Ursachen große Wirkung zeigen können und aus Unordnung Ordnung entstehen kann, ist auch für das Verständnis sozialer Konflikte von Bedeutung. Spätestens mit der chaotischen Auflösung des Ost-West-Konflikts wurde Chaos zum Paradigma der unvorhersehbaren und zunehmend komplexer werdenden gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik, derzufolge kollektive Phänomene auf der individuellen »Mikroebene« zu qualitativen Phasenübergängen auf der systemstrukturellen »Makroebene« führen können. Dies ist auch für ökonomische Prozesse bedeutsam, etwa bei der Entstehung globaler ökonomischer Strukturen, der Erklärung von Börsencrashs oder der Asienkrise. Schließlich spielt auch das Entropiegesetz in Verbindung mit der Theorie dissipativer Strukturen und der ökologischen Theorie von Komplexität und Stabilität eine wichtige Rolle, um die Grenzen des Wirtschaftswachstums und die Zunahme »sozialer Entropie« aufzuzeigen.12 Bestrebungen zur Anwendung von Methoden der nichtlinearen Dynamik zur Entwicklung einer evolutionären Ökonomie wurden seit 1987 vor allem vom Santa Fe Institut unternommen.13

Optimierung und Steuerung

Die Kontroll- und Optimierungstheorie untersucht die Steuerbarkeit des Systemverhaltens unter Berücksichtigung von Nebenbedingungen und Zielvorgaben. Durch die Festlegung von Optimierungsziel und Nebenbedingungen tritt der Modellierer oder Modellanwender als außerhalb des Modells stehender Akteur in Erscheinung, der in das Modell eingreift, indem er an den »freien« Steuerparametern dreht. Das Grundmodell ist der Regelkreis, der Sollwert und Istwert zum Ausgleich bringt. Die damit verbundenen Verfahren der Informationsverarbeitung, Regelung und Steuerung wurden nach dem Krieg untersucht in der allgemeinen Systemtheorie (von Bertalanffy), der Kybernetik (Wiener, Ashby), der Informationstheorie (Shannon, Jaynes), der Automatentheorie (Turing, von Neumann), der dynamischen Programmierung (Bellman, Pontrjagin). Heute werden dabei gewonnene Methoden eher der Operations Research zugeordnet.

Für die Konfliktmodellierung von Bedeutung ist, dass die Systemoperationen und ihre Abfolge nicht mehr determiniert, sondern durch Entscheidungsprozesse beeinflussbar sind. Daran schließt sich die Frage an, ob ein Akteur außerhalb des Systems sich über seine Steuergrößen bewusst ist, über welche Beobachtungsinstrumente er verfügt, um die Abweichung von Soll- und Ist-Zustand festzustellen, und welche Strategien er daraus ableitet, um die Dynamik in einem gewünschten Sinne zu lenken. Dabei können Konflikte auftreten hinsichtlich der zu wählenden Zielfunktionen und der zu ergreifenden Optionen sowie in Bezug auf die Wirkungen des eigenen Handelns.

Biologische Systeme (Ökosysteme, Populationen, Organismen) sind zur Selbsterhaltung und Selbstregulierung fähige dynamische Systeme, die für einen ausreichenden Zeitraum gegenüber einer stochastischen Umwelt stabil bleiben können, sofern die Störungen nicht zu stark oder zu rasch erfolgen. In den Wirtschaftswissenschaften entsprechen die Begriffe Planung, Realisation und Überwachung den Prinzipien der Steuerung, Regelung und Rückkopplung. Ein Beispiel ist die Regelung des Marktpreises im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Das »freie Spiel der Kräfte« und die »unsichtbare Hand« des Marktes, die eine »Harmonie der Interessen« herstellen sollen, werden oft weniger durch staatliche Eingriffe gestört als vielmehr durch Konzentrations- und Monopolisierungsprozesse, die einen Interessenausgleich verhindern.

Die Theorie der Umwelt- und Ressourcenökonomik versucht, in den ökonomischen Wachstumsprozess im Sinne der Umwelterhaltung steuernd einzugreifen, ohne auf Optimierungskalküle zu verzichten. Durch Kreislaufprozesse soll sichergestellt werden, dass Stoffe und Energie, die der Natur als Input entnommen und in durch wirtschaftliche Aktivität veränderter Form als Output zurückgegeben werden, im Rahmen nachhaltiger Grenzen bleiben, damit das »Raumschiff Erde« insgesamt lebensfähig bleibt. Der Wert des »Kapitals Natur« soll erhalten und nicht für die Zukunft entwertet werden.14

Entscheidungs- und Spieltheorie

Bei Entscheidungsmodellen kann ein Entscheidungsträger aus einer Reihe von Optionen frei wählen, wobei unterstellt wird, dass diejenige Option gewählt wird, in der eine bestimmte Auszahlungsfunktion (Nutzen, Wert) optimiert wird, die die betrachteten Ereignisse zueinander in Beziehung setzt und im Sinne einer Präferenzordnung vergleichbar macht. Selbst bei nur einem Bewertungskriterium ist die Auswahl der Optionen dann nicht eindeutig, wenn die Auszahlung auch von verschiedenen möglichen Umweltzuständen abhängt, deren zukünftiges Eintreten ein Entscheidungsträger nicht kennt. Auf diese Ungewissheits- und Risikosituation kann er mit unterschiedlichen Strategien reagieren (Krabs 1997, Kap.3).

Die rationale Entscheidungstheorie (Rational Choice), zumal in der Gestalt des Nutzen maximierenden und vollständig informierten »Homo Oeconomicus«, enthält eine Reihe von Voraussetzungen, die Kritik auf sich gezogen haben. Eine umfassende Betrachtung müsse die vielfachen individuellen und sozialen Begrenzungsfaktoren der menschlichen Rationalität in die Analyse einbeziehen. Oftmals wird nur ein bestimmtes Anspruchs- oder Zufriedenheitsniveau angestrebt, das der Verhältnismäßigkeit der Mittel entspricht. Schließlich ist nicht immer garantiert, dass eine eindeutige Präferenz-Reihenfolge zwischen verschiedenen Gegenständen zustande kommt.15

Während die Entscheidungstheorie generell die Auswahl geeigneter Verhaltensoptionen untersucht, befasst sich die auf John von Neumann und Oskar Morgenstern zurückgehende Spieltheorie mit Situationen, in denen Entscheidungen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer Spieler abhängen. Mit Lösungskonzepten wird nach geeigneten Strategien gesucht, um die eigenen Interessen am besten zu erreichen. Im nicht-kooperativen Fall individueller Rationalität ist das Nash-Gleichgewicht relevant, in dem kein Spieler sich alleine verbessern kann, solange der jeweils andere Spieler an seiner Strategie festhält. Dagegen können in kooperativen Spielen die Spieler miteinander kommunizieren, Abmachungen treffen und Koalitionen bilden. Kooperative Spieltheorie zielt auf die Ermittlung und angemessene Verteilung von Koalitionsgewinnen. Ein Lösungskonzept ist hier die Pareto-Optimalität, wenn ein Spieler durch Abweichen vom Gleichgewicht einen Vorteil nur auf Kosten eines anderen Spielers erzielen kann.

Da eine Spielsituation aus vielen Spielern mit vielen Handlungsoptionen hoffnungslos unüberschaubar wird, beschränkt sich die Spieltheorie zunächst auf zwei Spieler mit je zwei Optionen, also vier mögliche Ereignisse. Das Paradebeispiel ist nach 50 Jahren Spieltheorie immer noch das Gefangenendilemma, wonach es für einen Gefangenen vorteilhafter ist, seinen Mitgefangenen als erster zu verpfeifen, wenn er dafür eine Belohnung erhält, statt in der Hoffnung auf das Schweigen des anderen ebenfalls zu schweigen. Ohne kontrollierte Absprache entgeht beiden Spielern der Kooperationsgewinn. Dieses Beispiel wurde zum Muster für Konflikte in den unterschiedlichsten Bereichen, vom Wettrüsten im Kalten Krieg bis zum Allmende-Problem im Klimakonflikt. Dabei wird oft übersehen, dass das Gefangenendilemma einer speziellen Präferenzordnung entspricht, die in kooperativen Konfliktsituationen nicht anzutreffen ist.16

Auch wenn die neuere Spieltheorie in der Lage ist, dynamische Spielsituationen mit unvollständiger Information sowie Kooperation und Kommunikationsprozesse zu beschreiben, verschont die grundsätzliche Kritik an der Entscheidungstheorie die Spieltheorie nicht.17

Dynamische Spiele und Evolutionsspiele

Während die klassische Spieltheorie meist statische Spielsituationen beschreibt, haben viele interessante ökonomische Fragestellungen eine dynamische Struktur. Mathematisch sehr anspruchsvoll ist die Theorie der Differentialspiele, in der mehrere Spieler ihre Steuervariablen in Abhängigkeit vom Verhalten der anderen Spieler wählen, um die Systemdynamik im Sinne ihrer eigenen Zielfunktion optimal zu steuern. Beispiele sind das Abfangen einer Lenkrakete, die Kollisionsvermeidung zwischen Schiffen oder die Profitmaximierung unter Konkurrenz.18

Wiederholte Spiele können als Spielbaum dargestellt werden, doch wird es mit zunehmender Verästelung immer schwieriger, eine explizite Lösung zu finden. Als Modell dient wieder das Gefangenendilemma, das mit einer Computersimulationen wiederholt gespielt wird. Die dabei gewählte Handlungsanweisung bestimmt aus der Vergangenheit, ob der Akteur in Zukunft kooperieren oder betrügen soll. Vorbild ist ein Computerturnier, das der amerikanische Politologe Robert Axelrod Anfang der achtziger Jahre unter konkurrierenden Programmen veranstaltete.19 Als eindeutiger Sieger ging daraus die einfache Strategie TIT FOR TAT (Wie du mir, so ich dir) hervor, die von dem Psychologen Anatol Rapoport aus Toronto stammte: Kooperiere beim ersten Mal und tue dann genau das, was der Gegner beim letzten Mal getan hat.

1992 wurde ein ähnliches Turnier durchgeführt, mit Regeln, die das Ganze etwas realitätsnäher machen sollten (Delahaye/Mathieu 1998). Weder einfache Strategien wie TIT FOR TAT noch sehr komplizierte Strategien konnten die vorderen Plätze belegen. Die erfolgreichsten Strategien griffen auf den gesunden Menschenverstand zurück mit Regeln wie: Es ist besser, nett zu sein als böse. Man muss reaktiv sein und rasch vergeben. List und Tücke bringen nichts.

Ausgangspunkt der Theorie der Evolutionsspiele war in den siebziger Jahren die Überlegung des englischen Biologen John Maynard Smith, dass die im Verlauf der Evolution herausgebildeten Merkmale und Strategien Ergebnisse eines Selektionsprozesses sind, bei dem die für die Fortpflanzung der Gene weniger erfolgversprechenden ausgeschieden wurden. Mithilfe spieltheoretischer Methoden gelang es ihm, am Beispiel eines Falke-Taube-Konflikts eine genselektionistische Erklärung für Ritualkämpfe zu finden. Konflikte innerhalb einer Tierart fasst Maynard Smith als Spiele auf, wobei die erfolgreichere Strategie sich im Lauf der Generationen rascher ausbreitet.20

Angewendet wird die Theorie der Evolutionsspiele in den Natur- und Sozialwissenschaften überall dort, wo es eine Konkurrenz zwischen Verhaltensweisen oder Strategien gibt. Eine wichtige Rolle für die Durchsetzung von Strategien spielt das Erfolgskriterium (Fitness): in der Biologie geht es um das Überleben des Individuums oder der Art, in der Ökonomie um die Existenz einer Firma, in den Sozialwissenschaften um gesellschaftliche Anerkennung, die Bildung von Institutionen oder die Durchsetzung sozialer Strukturen und Verhaltensweisen. Von zentraler Bedeutung ist das Lösungskonzept der evolutionsstabilen Strategie, wenn bei einem geringen Anteil von »Abweichlern« (Mutanten) die Fitness der Mutanten geringer ist als die der nicht mutierten Individuen. Evolutionsspiele bilden auch die Grundlage für die evolutionäre Ökonomik, die insbesondere die Ausbreitung und Durchsetzung bestimmter technischer und wirtschaftlicher Pfade analysiert (z.B. des Linksverkehrs in Großbritannien, des VHS-Standards bei Videorecordern oder von Mustern der Industrieansiedlung)(vgl. Brandes/Recke/Berger 1997).

Die Theorie der Evolutionsspiele weist die stärksten Bezüge zur Soziobiologie auf, die fruchtbare Diskussionsanstöße zur Erklärung menschlichen und sozialen Verhaltens liefern kann, etwa bei der Erklärung bestimmter Traditionen und kultureller Phänomene wie Altruismus, Kooperation und Fürsorge.21 Allerdings ist die Komplexität menschlichen Verhaltens deutlich höher, u.a. aufgrund der Fähigkeit zur Selbstreflektion über die eigenen Ziele und Handlungsoptionen. Durch die menschliche Lernfähigkeit findet eine erhebliche Beschleunigung in der sozialen Evolution statt, die die biologische Evolution an Geschwindigkeit bei weitem übertrifft.22

Von der künstlichen Intelligenz zur künstlichen Gesellschaft?

Im Unterschied zu herkömmlichen Systemmodellen, die von einem Modellierer konstruiert wurden, um einen bestimmten Ausschnitt der Realität abzubilden, geht es bei Akteursmodellen um die Untersuchung der Frage, wie ein mit bestimmten Merkmalen und Handlungspotentialen ausgestatteter Modellakteur sich in einer vorgegebenen Systemumgebung verhält und mit anderen Akteuren wechselwirkt. Eine Steuerung des Systems erfolgt nun nicht mehr nur von außen durch den Modellierer, sondern »von innen« durch einen von ihm geschaffenen Agenten, der in der Modellwelt ein gewisses Eigenleben zu entfalten vermag. Entscheidend ist, mit welchen Merkmalen der Modellakteur ausgestattet ist, wie »intelligent« und lernfähig er ist, wie gut er seine Umwelt beobachten kann, über welche Ziele und Handlungsmittel er verfügt und aufgrund welcher Regeln er diese einsetzt.

Bisherige Versuche in dieser Richtung, wie sie von Thomas Schelling bereits in den sechziger und siebziger Jahren begonnen wurden oder heute an der Brookings Institution und am Santa-Fe-Institut durchgeführt werden, simulieren mit Hilfe leistungsfähiger Computer die Interaktion und Bildung kollektiven Verhaltens für eine Vielzahl einfacher Akteure, bei denen eine vorgegebene Regelkombination das Verhalten bestimmt.23 Entsprechende Modelle orientieren sich an den Prozessen und Regeln, wie sie im menschlichen Gehirn ablaufen, etwa beim Denken oder in der Mustererkennung (Artificial Intelligence, neuronale Netze), in der biologischen Evolution (Artificial Life) oder in der sozialen Umwelt (Artifical Societies).

Bei »Artificial Societies« (soviel wie künstliche Gesellschaften) handelt es sich um computergestützte Simulationsverfahren, die regelbasiertes Verhalten von Akteuren in einer gegebenen Umwelt darstellen und somit das Entstehen sozialer Prozesse von der Basis her beschreiben. Methodisch verknüpfen solche Modelle eine Reihe verschiedener Verfahren, von denen zwei hier erläutert werden:

  • Mithilfe von genetischen Algorithmen (nach John Holland) werden auf dem Computer zur Lösung von Optimierungsproblemen evolutionäre Prozesse in der Natur nachgeahmt, die durch Mutation, Kreuzung und Selektion neue, immer überlebensfähigere Muster hervorbringen. Eine »Fitnessfunktion« bewertet und selektiert einzelne Muster bezüglich ihrer Güte für die Problemlösung.
  • Zelluläre Automaten (nach Stephen Wolfram) sind diskrete und räumlich verteilte dynamische Systeme, die aus einer großen Zahl identischer Komponenten (den Zellen) zusammengesetzt sind. Jede Zelle repräsentiert einen Automaten mit einer endlichen Zahl von Zuständen und einer gegebenen Regelstruktur, die das Verhalten in der Umgebung bestimmt. Zelluläre Automaten werden eingesetzt als Modelle physikalischer und biologischer Phänomene (strömende Flüssigkeiten, Galaxienbildung, Erdbeben, biologische Musterbildung); zur Simulation und Bildverarbeitung und zur Untersuchung von kollektivem oder kooperativem Verhalten in komplexen Systemen.

Künstliche Gesellschaften werden quasi als Labors betrachtet, in denen soziale Strukturen auf dem Computer nachgebildet werden, um fundamentale „makroskopische soziale Strukturen und interessante kollektive Verhaltensweisen zu entdecken“ (Epstein 1997). Elemente solcher Modelle sind zum einen die Akteure, die mit internen Merkmalen (z.B. Stoffwechsel, Sichtweite) und bestimmten Verhaltensregeln versehen sich durch eine gitterförmige Landschaft bewegen, in der für sie lebenswichtige Ressourcen (etwa Zucker) vorhanden sind und in der sie mit anderen Akteuren wechselwirken. Beispiele sind die Verhaltensregeln, sich in Richtung hoher Nahrungsdichte zu bewegen oder stärkeren Konkurrenten auszuweichen. Auch Umweltveränderungen werden durch Regeln bestimmt, etwa die Regenerationsrate der Ressourcen oder eine Veränderung der Nahrungsverteilung im Sommer und Winter. Untersucht wurden etwa die Wohlstandsverteilung bei den Akteuren, die für die Umwelt tragfähige Zahl von Akteuren oder der Grad der Umweltverschmutzung. Simuliert wurden Handel, Krieg oder die Ausbreitung von Seuchen, die Herausbildung von Nachbarschaftverhältnissen, Freundschafts- und ökonomischen Netzwerken.

Obwohl Modelle von Artificial Societies einige Elemente sozialer Strukturbildung darstellen können, sind bislang die Regeln der handelnden Akteure und der sie umgebenden Landschaft noch recht einfach geblieben.

Ziel-Mittel-Interaktion

Ein Ansatzpunkt, um über die bisher dargestellten einfachen dynamischen Akteursmodelle hinauszugehen, ist der Versuch, wesentliche Kategorien menschlichen Handelns wie Ziele und Mittel in die Interaktion einzubeziehen, wobei die an der Spieltheorie und an Rational-Choice geäußerte Kritik zu berücksichtigen ist. Dazu soll hier abschließend ein von mir selbst entwickeltes Modell skizziert und unter dem Aspekt der Kooperationsmöglichkeiten erläutert werden, ohne damit verbundene Probleme der Modellierung hier diskutieren zu können.

Das SCX-Konfliktmodell entstand aus der Bestrebung, die dynamische Interaktion zwischen Akteuren zu analysieren, die verfügbare Mittel (C) zur Beeinflussung ihrer Systemumgebung (X) einsetzen und die Ergebnisse der Handlungen aller Akteure anhand der eigenen Bewertungskriterien und Ziele (S) beurteilen, um daraus neue Handlungen abzuleiten. Um ein Ziel zu verfolgen, können die Akteure den Mitteleinsatz im Rahmen gegebener Grenzen erhöhen oder reduzieren und die Richtung des Mitteleinsatzes ändern, wobei ihre jeweilige Motivation in Bezug auf die wahrgenommene natürliche und soziale Umwelt handlungsleitend ist.24 Die innerhalb des gegebenen Handlungsspielraums gewählten Richtungen der Mittelflüsse und die Lernfähigkeit bestimmen maßgeblich mit, ob die Akteure ihre jeweiligen Ziele in gewünschter Zeit erreichen können bzw. ob sie in Konflikt mit anderen Akteuren geraten. Die Akteure handeln nicht notwendig rational oder zieloptimierend, sondern sie orientieren sich an einem von ihnen als »ausreichend« bewerteten Zielzustand.25 Schließlich spielt auch die subjektive Wahrnehmung der eigenen Lage sowie des Verhaltens der anderen Akteure eine wesentliche Rolle.

Im Rahmen des Modells kann untersucht werden, unter welchen Bedingungen eine Eskalation von Konflikten erfolgt (Instabilität), wann Chaos eintritt und wieweit durch eine Steuerung des Mitteleinsatzes oder die gegenseitige Anpassung der Ziele eine Konflikteskalation vermieden bzw. Kooperation erreicht werden kann. Dazu wurde bzw. wird das Rahmenmodell auf verschiedene Probleme im Bereich der Sicherheitspolitik (Wettrüsten, Abrüstung), Umwelt- und Energiepolitik (Wasserkonflikte, Klimakonflikt, Fischereikonflikt) sowie der Ökonomie (Joint Implementation, Tarifkonflikt) angewendet.26

Neben einer Simulation des Klimakonflikts und des Aufzeigens von Stabilisierungsmöglichkeiten wurden auch die Kooperationsmöglichkeiten in der Energie- und Klimapolitik untersucht. Damit werden Bedingungen identifiziert, unter denen der Zielkonflikt zwischen Umweltzielen (Emissionsminderung) und Wirtschaftszielen (Wachstum) in Abhängigkeit von den technisch-ökonomischen Leistungsparametern sowie den Zielsetzungen und Handlungspräferenzen entspannt werden kann. Beispielhaft wurde analysiert, wann eine Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bei der gemeinsamen Emissionsminderung für beide von Vorteil sein kann (Joint Implementation). Es zeigt sich, dass trotz einer Hemmschwelle für einseitige Vorleistungen unter bestimmten Bedingungen ein Kooperationskanal im Präferenzraum existiert, den beide durch Absprachen absichern müssen. Eine Kompensationsstrategie könnte zusätzliche Anreize schaffen, etwa indem die durch Kooperation eingesparten Mittel über einen Fonds verteilt werden, um den Prozess in gewünschter Weise zu steuern.27

Schließlich lässt sich anhand des Modellrahmens eine Klassifikation von Umweltkonflikten vornehmen und diskutieren, welchen Beitrag nachhaltige Entwicklung zur Konfliktvermeidung bzw. Konfliktlösung leisten kann. Es wird ein Zusammenhang hergestellt zu fünf Konzepten nachhaltiger Entwicklung (Konsistenz, Gerechtigkeit, Effizienzsteigerung, Risikoverringerung, Suffizienz).28

Anmerkungen

1) J.-P. Delahaye, P. Mathieu: Altruismus mit Kündigungsmöglichkeit, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1998, S. 8ff.

2) S. Leunig, J. Heider: Warum Menschen ihr Verhalten nicht ändern, Jahrbuch Ökologie 1998, Beck, S. 21-30.

3) R. Meyers: Begriff und Probleme des Friedens, Opladen: Leske und Budrich, 1994.

4) M. Deutsch: The theory of Co-operation and Competition, Human Relations 2, 1949, S. 129-152; S. 131ff; zitiert nach: A. Aulinger, (Ko-)Operation Ökologie – Kooperationen im Rahmen ökologischer Unternehmenspolitik, Marburg: Metropolis, 1996, S.30.

5) R. Axelrod, R.O. Keohane: Achieving Cooperation under Anarchy, World Politics 38/1 (Oktober 1985); zitiert nach H. Müller, Die Chance der Kooperation – Regime in den internationalen Beziehungen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993, S.4.

6) Die hier vorgestellten Überlegungen fassen einige Aspekte der Vorlesung »Mathematische Konfliktmodellierung« qualitativ zusammen, die ich im Wintersemester 1998/99 am Fachbereich Mathematik der TU Darmstadt hielt.

7) J. Scheffran: Strategic Defense, Disarmament, and Stability – Modelling Arms Race Phenomena with Security and Costs under Political and Technical Uncertainties, Doktorarbeit, Fachbereich Physik der Universität Marburg, IAFA-Schriftenreihe, Band 9, 1989; G. Neuneck: Die mathematische Modellierung von konventioneller Stabilität und Abrüstung, Baden-Baden, Nomos, 1995.

8) B. Ebbesen, W. Engelmann, M. Jathe, G. Neuneck, R. Reimers: Mathematik und Abrüstung, in: U. Kronfeld, W. Baus, B. Ebbesen, M. Jathe (Hrsg.): Naturwissenschaft und Abrüstung, Münster: Lit-Verlag, 1993, S. 209-256; R. K. Huber, R. Avenhaus (Hrsg.): Models for Security Policy in the Post-Cold War Era, Baden-Baden, Nomos, 1996.

9) H. Simon: Giving the Soft Sciences a Hard Sell, Boston Globe, 3. Mai, 1987.

10) Vgl. J. M. Epstein: Nonlinear Dynamics, Mathematical Biology and Social Science, Santa Fe Institute, Addison Wesley, 1997.

11) W. Krabs: Mathematische Modellierung – Eine Einführung in die Problematik, Stuttgart, Teubner, 1997, Kap. 6. Siehe auch: J. Scheffran: Biodiversität, Ökosystemdynamik und nachhaltige Nutzung – Komplexität, Konflikt und Kooperation aus der Modellperspektive, in: M. Hummel, J. Scheffran, H. R. Simon: Konfliktfeld Biodiversität, IANUS-Arbeitsbericht 2/1998.

12) M. Binswanger: Das Entropiegesetz als Grundlage einer ökologischen Ökonomie, in: F. Beckenbach, H. Diefenbacher (Hrsg.): Perspektiven einer ökologischen Ökonomie, Marburg, Metropolis, 1994, S.155-200; C. Wissel, Theoretische Ökologie – Eine Einführung, Springer, 1989.

13) K. Arrow, P.W. Anderson, D. Pines (ed.): The Economy as an Evolving Complex System, Addison-Wesley, 1988; W. Brian Arthur, Steven N. Durlauf, David A. Lane (eds.): The Economy as an Evolving Complex System II, Addison-Wesley, 1997.

14) Siehe etwa A. Endres, I. Querner: Die Ökonomie natürlicher Ressourcen – Eine Einführung, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989; Brandes/Recke/Berger, Produktions- und Umweltökonomik, Stuttgart, Ulmer, 1997; N. Hanley, J. F. Shogren, B. White: Environmental Economics in Theory and Practice, Oxford University Press, 1997.

15) Zur Problematik ordinaler Wertzuweisungen in den Sozialwissenschaften siehe R. Wille, U. Wille: On the controversy over Huntington's equations – When are such equations meaningful?, Mathematical Social Sciences 25 (1993), S. 173-180.

16) Vgl. W. Engelmann: Game Theoretical Models for Disarmament, Doktorarbeit, Fachbereich Mathematik der TU Darmstadt, Aachen, Shaker, 1992.

17) Stellvertretend siehe die Kontroverse zwischen Harald Müller und Otto Keck, die entlang der von Habermas geprägten Unterscheidung von strategischem und kommunikativem Handeln geführt wurde. In: Zeitschrift für internationale Beziehungen (ZiB), 1.Jg. (1994) Heft 1, S. 15-44; ZiB, 2. Jg. (1995) Heft 1, S. 5-48 und ZiB, 2. Jg. (1995) Heft 2, S. 371-391.

18) Siehe den Überblick in: Y. C. Ho, G. J. Olsder: Differential Games – Concepts and Applications, in: M. Shubik: Mathematics of Conflict, North-Holland, 1983, S. 127-186.

19) R. Axelrod: The Evolution of Cooperation, New York, Basic Books, 1984.

20) J. M. Smith: Evolution and the Theory of Games, Cambridge University Press, 1982. Verschiedene Anwendungsbeispiele werden qualitativ beschrieben in Spektrum-Digest 1/1998, Kooperation und Konkurrenz.

21) Der Begriff Soziobiologie wurde maßgeblich geprägt durch den Insekten- und Biodiversitätsforscher Edward O. Wilson. Siehe E. O. Wilson: Sociobiology – The New Synthesis, Harvard University Press, 1975; sowie aktuell E. O. Wilson: Die Einheit des Wissens, 1998. Zur kritischen Würdigung siehe Die Zeit, 19.10.1998, S. 41. Dort findet sich auch eine Auseinandersetzung mit den Ansichten des Biologen und Direktors der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl.

22) H.-J. Hemminger: Soziobiologie des Menschen – Wissenschaft oder Ideologie? Spektrum-Digest 1/98, S.42-50.

23) T. C. Schelling: Micromotives and Macrobehavior, Norton 1978; J.M. Epstein, R. Axtell: Growing Artificial Societies, Social Science from the Bottom Up, MIT Press, 1997, S.2; R. Axelrod: The Complexity of Cooperation – Agent-Based Models of Competition and Collaboration, Princeton University Press, 1997; R. J. Gaylord, Louis J. D'Andria: Simulating Society – A Mathematics Toolkit for Modeling Socioeconomic Behavior, Springer/Telos, 1998; G. W. Flake: The Computational Beauty of Nature – Computer Explorations of Fractals, Chaos, Complex Systems, and Adaptation, Cambridge, MIT Press, 1998. Die aktuelle Entwicklung kann verfolgt werden im Journal of Artificial Societies, das im Internet unter http://www.soc.surrey.ac.uk/JASSS gratis bezogen werden kann.

24) Entsprechende Modellansätze sind in der jüngeren Psychologie zu finden; siehe etwa J. T. Townsend, J. Busemeyer: Dynamic Representation of Decision-Making, in: R. F. Port, T. van Gelder (Hrsg.): Mind as Motion – Explorations in the Dynamics of Cognition, MIT Press, 1995, S. 101-120.

25) Dieses »satisfizierende Verhalten« wird begründet in R. Kohleick: Werttheorie und technischer Wandel – Zum Vergleich neoricardianischer und evolutionärer Ökonomik, Marburg, Metropolis, 1997, S. 190.

26) Stellvertretend für die bisherigen Arbeiten siehe J. Scheffran: Umweltkonflikte und nachhaltige Entwicklung – ein Konfliktmodell und seine Anwendung in der Klima- und Energiepolitik, in: A. Carius, K. M. Lietzmann (Hrsg.): Umwelt und Sicherheit, Springer, 1998, S. 209-232. Dort findet sich eine Literaturübersicht.

27) Vgl. S.Pickl, J.Scheffran: Conflict and Cooperation in Energy and Climate Change, SWIIS'98 Conference in Sinaia, Romania, May 14-16, 1998; J. Scheffran: Control and Cooperation in a Dynamic Game Model – The Case of Energy and Climate Change, IANUS-Arbeitsbericht 8/1998. Die Idee wird hinsichtlich der kooperativen Spieltheorie ausgeführt in: S. Pickl: Der tau-value als Kontrollparameter, Modellierung und Analyse eines Joint-Implementation Programms mit Hilfe der dynamischen kooperativen Spieltheorie und der diskreten Optimierung, Doktorarbeit eingereicht am Fachbereich Mathematik der TU-Darmstadt, 1998.

28) J. Scheffran, Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung des Friedens, in: J. Scheffran, W. Vogt: Kampf um die Natur, Umweltzerstörung und die Lösung ökologischer Konflikte, Darmstadt, Primus 1998, S. 291-301.

Dr. Jürgen Scheffran ist wissenschaftlicher Assistent in der Interdisziplinären Forschungsgruppe IANUS an der TU Darmstadt.

Ökologisch und sozial verträgliche Arbeit im Kontext globaler Konkurrenz

Ökologisch und sozial verträgliche Arbeit im Kontext globaler Konkurrenz

von Hans Diefenbacher

Die Erklärungsmuster für die Lage und Entwicklung weltwirtschaftlicher Strukturen und deren wechselseitige Verflechtung ist immer eine Frage der Sichtweise. Dies zeigt der Beitrag von Hans Diefenbacher, der anhand unterschiedlicher Leitbilder verschiedene Erklärungstypen für die wichtigsten Probleme der Weltwirtschaft gibt. Einer rein ökonomischen Logik, die einen funktionierenden Markt für die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Komponenten voraussetzt, stellt er eine ökologisch und sozial verträgliche Organisation der Wirtschaft als Grundlage für das Funktionieren des Marktes gegenüber.

Traditionelle weltwirtschaftliche Analysen benennen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten die folgenden Probleme als die wichtigsten Hemmnisse bei der weiteren Entwicklung der globalen Wirtschaft:

  • Die Wachstumsschwäche der Industrieländer führt zu hohen Arbeitslosenraten;
  • Turbulenzen auf den Devisenmärkten haben immer wieder die Destabilisierung der Währungssysteme zur Folge;
  • die Spannungen in den Welthandelsbeziehungen haben zugenommen, da es vielfach zu regionalen Abschottungstendenzen gekommen ist;
  • der wirtschaftliche Erfolg beim Übergang der Länder Osteuropas zur Marktwirtschaft stellt sich nur sehr zögerlich ein;
  • die ökonomische Misere in etwa der Hälfte der Entwicklungsländer zeigt keine Anzeichen der Besserung
  • und es gibt deutliche Zeichen einer Krise des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der internationalen Organisationen.

Dennoch schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF) die Entwicklung von Weltwirtschaft und internationalem Finanzsystem als Ganzem nach wie vor grundsätzlich positiv ein, obwohl die »emerging markets« in Asien nicht mehr als uneingeschränkte Erfolgsgeschichte betrachtet werden können. Die Gründe für eine mangelhafte ökonomische Entwicklung armer Länder, im Süden wie im Osten, wird in der traditionell ökonomischen Weltsicht nach wie vor kategorisch der mangelhaften Befolgung marktliberaler Rezepte zugeschrieben. In dieser Sichtweise sind ein zu hohes Ausmaß staatlicher Interventionen in das Wirtschaftsgeschehen, mangelnde Liberalisierung des Außenhandels, zu geringe Freizügigkeit im internationalen Kapitalverkehr, zu schlechte Bedingungen für ausländische Investoren und vor allem Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus die entscheidenden Entwicklungshemmnisse.1

Global – lokal: Verschiedene Weltsichten

Aber diese Problem-Kategorisierung ist eben nur eine Sicht der Weltwirtschaft. In gewisser Weise ist sie logisch konsistent, da sie auf einem bestimmten ökonomischen Weltbild gründet. Ihr Leitbild besteht jedoch prinzipiell in der Restauration der Funktionsbedingungen eines »freien Marktes«, einer Marktwirtschaft »ohne Adjektive«, da sie davon ausgeht, dass einzig die Institution des Marktes für Produzenten wie Konsumenten jene Informationen bereitstellt, die für eine effiziente Wirtschaftsweise unabdingbar sind. Nur eine möglichst liberale marktwirtschaftlich orientierte Ordnungspolitik führt nach dieser Lehre zu einer optimalen Wirtschaft.

Aber dies ist, wie gesagt, nicht die einzig mögliche Sicht der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Ein anderer Erklärungstyp orientiert sich am Maßstab einer Ordnungspolitik, die sich am Leitbild einer ökologisch und sozial angepassten Weltwirtschaft ausrichtet. Vor einem derartigen Hintergrund würde eine alternative Liste der sechs wichtigsten Probleme der Weltwirtschaft etwa wie folgt lauten:

  • Die Wirtschaftspolitik ist weltweit nach wie vor nicht am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert. Unbestritten ist, dass die gegenwärtige Art, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann: „Wir verbrauchen von der Erde zuviel und zu schnell, und wir produzieren zuviele Abfälle. Wir machen es der wachsenden Weltbevölkerung immer schwerer, auf dieser Erde ein menschenwürdiges Dasein zu führen.“ 2 Der Konsumstil der entwickelten Länder ist in keiner Hinsicht globalisierbar, ohne in kürzester Frist zum ökologischen Kollaps zu führen: weder der Energieverbrauch noch der Fleischkonsum, nicht der Rohstoffverbrauch und auch nicht das Müllaufkommen. Dennoch überzieht die westliche Welt Osteuropa und die Länder des Südens mit einer Werbestrategie, als könne ihr Wirtschaftsstil als leuchtendes Vorbild dienen.
  • Maßnahmen zur Verringerung klimarelevanter Emissionen sind aufgrund der Eigendynamik der Verflechtung von Weltwirtschaft und nationalen Ökonomien noch nicht richtig angelaufen, im Gegenteil: Unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Krise beginnen sich viele Industrieländer von Zusagen, zu denen sie noch vor fünf Jahren bereit waren, wieder zu verabschieden. Kurzfristiges Denken gewinnt die Oberhand, denn die Folgen mangelhaften Klimaschutzes werden um ein Vielfaches teurer sein als die rasche Realisierung von Energie-Einsparpotentialen heute kosten würde – soweit Nutzen und Kosten hier überhaupt in Geldeinheiten ausgedrückt werden können.
  • Die derzeitigen Weltwirtschafts- und -handelsstrukturen führen zu einer fortgesetzten Umverteilung der Einkommen, so dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Ab einem bestimmten Ausmaß der Ungleichheit droht sich dieser Mechanismus zu verselbstständigen: Schuldner zahlen einen steigenden Teil ihres Einkommens in Form von Zins- und Zinseszins-Zahlungen an Gläubiger. Das ist ein stabiler Trend, der sich weltweit zwischen verschuldeten Ländern und Gläubigerländern, aber auch innerhalb einzelner Länder, ja sogar innerhalb von Regionen und Kommunen nachweisen lässt.
  • Die internationalen Finanzströme haben sich zunehmend vom Produktionssektor abgelöst und führen ein Eigenleben, das von den internationalen Institutionen mit ihren derzeitigen Rechten kaum noch kontrolliert werden kann. Ein immer größerer Teil der globalen Finanztransaktionen dient spekulativen Zwecken – derzeit sind es neunzehn Zwanzigstel der Geldvolumen, die täglich an den internationalen Kapitalmärkten gehandelt werden.
  • Die Regionalisierung der Welthandelsströme hat zur gegenseitigen Abschottung und zum Aufbau vielfältiger protektionistischer Strukturen geführt, die in eklatantem Widerspruch zu den Lippenbekenntnissen für eine freie Weltwirtschaft stehen und die positiven Errungenschaften einer Globalisierung der Wirtschaft wieder gefährden. Vor allem Industrieländer wollen nach wie vor beides: Handelsüberschüsse erzielen und auf den internationalen Kapitalmärkten die Gläubigerposition einnehmen. Dies ginge langfristig jedoch nur dann, wenn es einen zweiten Globus gebe, zu dem wir alle diese Überschüsse transportieren würden. Wenn die westlichen Länder ihre Märkte vor allem für mittel- und osteuropäische Staaten nicht öffnen, verkommt ihr Bekenntnis zur freien Weltwirtschaft zum puren Zynismus.
  • In der internationalen Diskussion um Veränderungen der Weltwirtschaftsstrukturen werden entscheidende sensitive Fragen nach wie vor ausgeklammert: Die Palette reicht von der nach wie vor eklatanten Ungleichbehandlung von Frauen im Wirtschaftsleben bis zur weltweit notwendigen Konversion der Rüstungsindustrie.

Damit sind wir an dem ursächlichen Grund angelangt, der für die Existenz der verschiedenen Weltsichten verantwortlich ist. Wer eine nicht ausreichende Strukturanpassung und eine mangelnde Integration in einen globalen Markt als entscheidende Begründung für Armut und Arbeitslosigkeit identifiziert, vertritt eine ökonomischen Logik, die einen funktionierenden Markt als Voraussetzung für die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Komponenten begreift: Erst müsse »am Markt« Geld verdient werden, um sich ökologische und soziale Errungenschaften leisten zu können. Dieser Haltung entgegen tritt eine Weltsicht, die statt dessen eine ökologisch und sozial verträgliche Organisation der Wirtschaft als Grundlage und Rahmenbedingung für das Funktionieren des Marktes sieht.

Zum Gebrauch
ökonomischer Begriffe

Die alltägliche Verwendung des Begriffs der Globalisierung erscheint auf diesem Hintergrund, wie auch die Verwendung der Begriffe Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit als eine Verselbstständigung einer abstrakten Logik, eine „weitreichende Abstraktion von gesellschaftlichen Verhältnissen mit der Absicht der Konstruktion einer »reinen« Theorie, deren Rationalität dann umgekehrt »imperialistisch« (Kenneth Boulding) der Gesellschaft angedient werden kann.“ 3

  • In einer Situation, in der die reichen Länder vor allem aufgrund der Ungleichverteilung technischer Produktionsmöglichkeiten nahezu alle Güter effizienter produzieren können, läuft die Forderung nach Entwicklung einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit implizit auf den Versuch der Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen heraus – wie die Entwicklung der Terms of Trade der letzten Jahrzehnte zeigt. Es besteht die Gefahr, dass die eine Region als »Niedriglohngebiet« stabilisiert wird, weil die andere ihre Vormachtstellung als Technologie- und Entwicklungszentrum retten möchte.
  • Globalisierung trägt dann zur Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt bei, wenn durch die verstärkte Integration in den Weltmarkt zunehmend Kostenvorteile zum Vorteil auch der schwächeren Marktteilnehmer genutzt werden können. In einer Situation hingegen, in dem die armen Länder bereits einen sehr hohen Spezialisierungsgrad ihres Exportangebotes aufweisen oder ihre Wirtschaftsleistung sehr stark auf die Nachfrage ihrer Handelspartner ausgerichtet haben, ohne dass damit ein hoher Marktanteil auf dem Weltmarkt des entsprechenden Produktes einhergeht, wird eine weitere Globalisierung in der Regel nur die Verletzlichkeit der heimischen Wirtschaft erhöhen und die Gefahr der Destabilisierung der heimischen Versorgung hervorrufen: Die heimischen Akteure verlieren zunehmend die Kontrolle über das Wirtschaftsgeschehen im Lande.4

Was ist in dieser Situation zu tun? Ich möchte die These aufstellen, dass es nicht möglich ist, die Entwicklung der Wirtschaft »dem Markt« zu überlassen, im Gegenteil: Die Kategorie der »Verantwortung« muss in der Ökonomie eine zunehmende Rolle spielen. Die Aufgabe, diese Verantwortung wahrzunehmen, richtet sich gerade auch an uns, die Bewohner der reichen Staaten und an die von unserem politischen System autorisierten Entscheidungsträger in den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen. Sie sind primär aufgefordert, ihre eigene Wirtschaft so zu organisieren, dass sie nicht über 80 Prozent des globalen Verbrauchs von Energie und Rohstoffen benötigen. Nur ein ökologisch und sozial verantwortbarer Umbau der Wirtschaft der reichen Industrieländer, eine drastische Reduktion der Stoff- und Materialströme kann den armen Ländern mittel- und langfristig Weltmarktbedingungen schaffen, die ihnen eine eigenständige Entwicklung überhaupt ermöglichen. Die wirkungsvollste Politik der reichen Länder bestünde im Entwurf und der Umsetzung einer »Ökonomie der Genügsamkeit« in ihrem eigenen Verantwortungsbereich.5

Leitbild der lokalen Nachhaltigkeit – Hilfe zur Selbsthilfe

Ohne Schritte zu »Systemen lokaler Nachhaltigkeit« wird dies nicht möglich sein.6 Im Grunde bedeutet dies einen recht entschiedenen Wechsel der Perspektive: Es geht darum, Konzepte der lokalen Nachhaltigkeit mit der Sicherung der Befriedigung von Grundbedürfnissen zu verknüpfen. Auch für die Entwicklung der vorgeblich schon »entwickelten« Länder gilt es, das Subsidiaritätskonzept »Hilfe zur Selbsthilfe« verantwortlich anzuwenden und all das den Gemeinden in Produktion, Handel und Organisation zu überlassen, was vor Ort entschieden und gemacht werden kann.7

Es geht also darum, auch im Kontext globaler Konkurrenz ökologisch und sozial verträgliche Formen der Arbeit zu sichern. Dazu sind zwei verschiedene Ebenen der Politik notwendig: zunächst einmal konkret die Unterstützung lokaler Initiativen vor Ort, und, zum zweiten, die Ergänzung durch die Schaffung eines Ordnungsrahmens auf nationaler Ebene, so dass die Initiativen nicht ständig in ihrer Existenz bedroht werden.

Welche Möglichkeiten bestehen nun zur Förderung lokaler nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen? Ich möchte ein Minimum an Aktionsfeldern nennen:8

  • Es muss viel dafür getan werden, um den konstanten Abfluss von Mitteln von Arm nach Reich zu bremsen, vielleicht sogar umzulenken. Dazu müssen neue Organisationsformen erdacht oder alte wiederbelebt werden, um Kapital in armen Regionen zu halten: Auch Arbeitslose haben oft eine Rest-Ersparnis, die sie bei Banken angelegt haben, deren investives Verhalten ihnen nicht zugute kommt. Daher ist es notwendig, zusätzliche Kredit- und Bankensysteme auf lokaler Ebene zu schaffen, mit deren Hilfe »nicht rentable« ökologische und soziale Projekte verwirklicht werden können und in deren Folge auch die Schaffung zusätzlicher Arbeitsangebote im ökologischen und sozialen Bereich ermöglicht werden.
  • Viele Menschen sind aus dem formellen Sektor der Wirtschaft in den letzten Jahren ausgegrenzt worden: ältere Arbeitnehmer, Alleinerziehende, Vorruheständler, aber auch zunehmend junge Menschen gehören zu der steigenden Zahl von Langzeitarbeitslosen. Es ist möglich, Arbeitszusammenhänge jenseits der traditionellen Geldökonomie zu schaffen, die diesen Menschen nicht nur eine andere Art des Einkommens, sondern vielleicht auch einen Teil ihres Selbstwertgefühls zurückgeben können, da sie so wieder erfahren, dass ihre Arbeitskraft gebraucht wird. Zu diesen Arbeitsformen gehören Tauschringe, Zeitsparbanken und andere Formen von Beschäftigungsinitiativen.
  • Ein möglichst hoher lokaler Selbstversorgungsgrad ist auch bei Energiedienstleistungen aller Art anzustreben. Dazu gehört die Schaffung neuer Wettbewerbsmöglichkeiten für eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien aus lokalen Ressourcen ebenso wie die Förderung von Energie-Einsparungstechniken aller Art, von der Wärmedämmung bis zu »intelligenten« Produkten (vom Kühlfach in der Außenmauer der Küche bis zum Warmhaltefach, das im Heizkörper integriert ist).
  • Gefördert werden sollte auch ein langsamer Ausstieg aus einer industrialisierten Landwirtschaft, deren Logik sich zum Schaden der Konsumenten wie der Produzenten teilweise verselbstständigt hat. Dazu gehört die Schaffung neuer Vermarktungsformen für ökologisch erzeugte Produkte, insbesondere die Revitalisierung dauerhaften Konsumenten-Produzenten-Beziehungen zwischen Stadt und (umgebendem) Land; wenn ein Landwirt langfristig weiß, wer und zu welchen Preisen seine Produkte abnehmen wird, ist er den Unwägbarkeiten der EU-Agrarmärkte nicht mehr völlig ausgeliefert.
  • Schließlich ist generell die Schaffung von Modellen neuer Organisationsformen lokaler Ökonomien zu nennen: Dazu gehören verschiedene Formen der Genossenschaften, Kooperativen, neue Formen der gemeinschaftlichen Nutzung von Investitionsgütern, insbesondere auch von Kraftfahrzeugen (car-sharing) und ähnliches mehr.

Bei allen diesen Aktionsfeldern bestehen lokale Handlungsspielräume, die durchaus genutzt werden können. Dabei sind jeweils die Bedingungen zu untersuchen, die durch die Einbindung der Wirtschaft in nationale und globale Zusammenhänge zunächst gegeben sind. Eine Analyse dieser Bedingungen soll jedoch nicht danach fragen, welche Standortvorteile in einer Region für den »globalen« Markt genutzt werden können; die Analyse soll vielmehr unter der leitenden Fragestellung stehen, inwiefern in den verschiedenen Bereichen lokal eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, die lokal konkurrenzfähig sind.

»Aufgeklärter Interventionismus« zur Gestaltung
der Weltwirtschaft

Eine ökonomische »Weltsicht« – damit komme ich zu der zweiten, vorhin angesprochenen Politikebene – die sich am Leitbild lokaler ökologischer und sozialer Verträglichkeit orientiert, kann auf der Ebene der (Welt-)Wirtschaftspolitik ihre Entsprechung nur durch die gezielte Planung aufeinander abgestimmter weltwirtschaftlicher Instrumente finden, durch die der Rahmen für die Entfaltung marktwirtschaftlicher Kräfte erst gebildet wird. Eine solche Strategie der politischen Gestaltung der Weltwirtschaft könnte als »aufgeklärter Interventionismus« bezeichnet werden.

Die Überzeugungskraft der neoliberalen Wirtschaftstheorie war in den Kreisen der Politiker offenkundig nicht so groß, dass man von eklatanten Verstößen gegen diese Theorie bei der Ausgestaltung der Weltwirtschaftsordnung Abstand genommen hätte. Aber da der Anspruch der Theorie und ihr Credo, nur in einer freien Weltwirtschaft könne das Wachstum über die Zeit optimal gestaltet werden, niemals aufgegeben wurde, wurden diese Verstöße in Form von Preisfestsetzungen, Quoten, Zöllen und dergleichen nicht koordiniert; sie sind vielmehr eher zufällige Ergebnisse der jeweiligen machtpolitischen Konstellation. Keinesfalls sind sie Ausdruck einer gezielten Planung mit Hilfe aufeinander abgestimmter weltwirtschaftlicher Instrumente, wie sie ein »aufgeklärter Interventionismus« fordern würde.

Wollte man die armen Länder im Osten und im Süden tatsächlich in den Weltmarkt integrieren und diese Forderung nicht nur als strategisches Lippenbekenntnis formulieren, müssten die reichen den armen Ländern die Chance gewähren, zumindest mittelfristig bei einer Reihe von Produkten kalkulierbare Exportüberschüsse zu erzielen. Das wird aber nur dann möglich sein, wenn sich die Industrieländer zu freiwilligen und überlegten Produktionseinschränkungen bereit finden werden. Es erweist sich immer mehr als Illusion, die angeschlagene Konjunktur in den Industrieländern durch die Erschließung neuer Absatzmärkte im Osten oder Süden sanieren zu wollen, ohne den Empfängerländern die Möglichkeit zu gewähren, sich ein äquivalentes Handelspotential zu erschließen. Doch darf die Erzielung von Exportüberschüssen zur Bedienung externer Schulden keinen Vorrang bekommen vor der Versorgung der heimischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und einem Minimum an Infrastruktur und Dienstleistungen. Andernfalls wird der Prozentsatz der Bevölkerung weiter steigen, der auch von einer sich verbessernden Konjunktur abgekoppelt bleibt, weil diese sich an der kaufkräftigen Nachfrage und nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Nur ein Beispiel: Würden die westlichen Länder die Schutzzölle auf Textil- und Agrarimporte aus Ländern der Dritten Welt streichen, so hätten diese – ceteris paribus – potentielle Mehreinnahmen von 150 Milliarden Dollar; das entspräche nahezu dem Dreifachen der Entwicklungshilfe aller zwanzig reichen OECD-Staaten. So schnell wie irgend möglich sollten deshalb jene Zölle abgeschafft werden, die die Einfuhr höher verarbeiteter Produkte gegenüber der Einfuhr von Rohmaterialien diskriminieren. Ebenfalls so schnell sollten die Industrieländer sämtliche Subventionen für Exporte in weniger entwickelte Länder auslaufen lassen. Es sollte außerdem zumindest ein Plan für die schrittweise Beseitigung der nicht-tarifären Handelshemmnisse aufgestellt werden.

Die Umkehr der Beweislast

Anstelle einer weiteren Deregulierung des internationalen Verkehrs von Waren und Dienstleistungen fordert Herman Daly, bis vor kurzem Mitarbeiter der Weltbank, im Rahmen eines grundlegenden Wechsels der Perspektive eine Umkehr der Beweislast: „Als Regel müsste die Förderung heimischer Produkte gelten. Falls zweckmäßig, könnte ein ausgeglichener Außenhandel genutzt werden; er dürfte aber die inneren Angelegenheiten nicht so beherrschen, dass dem Land ökologische und soziale Katastrophen drohen. Man sollte konsequenterweise jede Maßnahme zur weiteren Integration von Volkswirtschaften zunächst als schlechten Vorschlag betrachten und für jede einzelne Ausnahme von dieser Regel überzeugende Argumente verlangen.“

Anmerkungen

1) IMF (Hrsg.) (1996): World Economic Outlook, October 1996, S. 1ff.

2) Milieu defensie Amsterdam: Nachhaltige Entwicklung in den Niederlanden, Übersetzung des Instituts für sozialökologische Forschung, Frankfurt 1994, S. 19.

3) Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit (1996): Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 112.

4) Vgl. dazu u.a. Sassen, Saskia (1995): Losing Control? Sovereignty in an Age of Globalization. New York: Columbia University Press.

5) Vgl. Goudzwaard, Bob/Lange, Harry de (1995): Genoeg van te veel, genoeg van te weinig – wissels omzetten in de economie. 4. erweiterte Aufl. Baarn: Ten Have.

6) Vgl. als Überblick u.a. Diefenbacher, Hans (1996): Die lokale Agenda 21 – dauerhaft umweltgerechte Entwicklung in der Stadt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 41. Jg., Heft 9, S. 1140 – 1143.

7) Vgl. dazu auch Tetzlaff, Rainer (1997): Ist der Weltmarkt auch das Weltgericht?, in: Welternährung, Heft 1/97, S. 12.

8) Vgl. ausführlich hierzu: Douthwaite, Richard/Diefenbacher, Hans (1998): Jenseits der Globalisierung Handbuch für lokale Ökonomie. Mainz: Mathhias-Grünewald-Verlag.

9) Vgl. Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung, 14.4.1994, S. 6.

Dr. Hans Diefenbacher ist wissenschaftlicher Referent an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) in Heidelberg und Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für Umweltfragen.

Konfliktstoff Wasser

Konfliktstoff Wasser

Ein Bewässerungsprojekt und seine Folgen

von Rainer Stoodt

»Ne mutlu türküm Diyene« – Glücklich ist, wer sich Türke nennen darf. Die riesigen Lettern auf dem Staudamm des Atatürk-Stausees sind Programm. Hier manifestiert sich der Stolz der türkischen Nation, ein »Jahrhundertprojekt« zu realisieren, hier soll der Sprung in die Neuzeit stattfinden. Mehr als zehn Jahre baute die türkische Republik im Südosten der Türkei zwischen den Städten Adiyaman und Urfa einen der größten Staudämme der Welt, die Stauhöhe beträgt 160 m. Mit seinen 800 Quadratkilometern Fläche ist der Stausee etwa anderthalb Mal so groß wie der Bodensee. Der Atatürk-Damm ist Teil des aufwendigen, integrierten Entwicklungsprogramms »Güneydogu Anadolu Projesi« (Südostanatolien-Projekt), das im Endzustand 22 Staudämme aufweisen soll und mit 19 Energiegewinnungsanlagen bis zu 8.000 kWh vor allem in den westtürkischen Energiesektor liefern soll. Daneben verspricht sich die Türkei durch Bewässerungsanlagen die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (besonders in der Harran-Ebene auf einer Fläche von 1,6 Mio. ha).
Nicht zuletzt kann die Türkische Republik mit Hilfe der Staudämme die Wassermengen bestimmen, die von Euphrat und Tigris nach Syrien und in den Irak fließen, die Türkei wird zur regionalen Wassersupermacht; Konflikte mit den Nachbarn sind vorprogrammiert.

Sechs landwirtschaftlich geprägte kurdische Provinzen – Gaziantep, Adiyaman, Urfa, Diyabarkir, Mardin und Siirt – umfaßt das Projektgebiet. Gestaut werden die beiden Flüsse Euphrat und Tigris sowie deren Nebenflüsse. Neben den drei großen Staudämmen Keban, Karakaya und Atatürk am Euphrat umfaßt das in 13 Teilprojekte gegliederte Vorhaben noch 18 weitere Dämme und 17 hydroelektrische Kraftwerke. Die Gesamtfläche umfaßt etwa 73.000 Quadratkilometer, was einer Fläche der Benelux-Staaten entspricht und fast 10% des türkischen Staatsgebietes umfaßt. 1985 lebten dort etwa 4,3 Millionen Menschen in 4.100 Dörfern und 5.150 kleineren Siedlungen.

Ein ausgedehntes Bewässerungssystem mit Pump- und Tunnelanlagen, wie z.B. die beiden parallelen Urfa-Tunnel – vom Atatürk-Stausee zur Haranebene – mit einer Länge von 27 Kilometern und einem Durchmesser von 7,62 Metern, soll bis zum Jahr 2010 eine Fläche von 1,6 Mio. Hektar bewässern. Zur Zeit werden etwa 100.000 ha Ackerland künstlich bewässert.

Neben dem Ziel der großflächigen Bewässerung steht das GAP-Projekt im Kontext der allgemeinen Energieproduktions-Planung der Türkei mit mehreren hundert Dämmen verschiedener Größenordnung. Die Türkei will zu einem Agrar- und Stromexportland aufsteigen.

Planungsziele in dem bereits 1988 vorgelegten Masterplan sind:

  • eine exportorientierte Agrarproduktion, vornehmlich in die nahöstlichen Nachbarstaaten;
  • die Ansiedlung verarbeitender Industriezweige, von Lebensmittelfabriken bis hin zur Konsumgüterproduktion;
  • der Aufbau einer Schwerindustrie und die Steigerung der Energieproduktion durch die hydroelektrischen Großanlagen.

Südostanatolien – Nordwest-Kurdistan soll so zur Kornkammer für den Nahen Osten und zum wirtschaftlichen Brückenkopf zwischen Europa und Nahost werden.

Die Investitionssumme beläuft sich bisher auf etwa 55 Milliarden DM. Da sich die Weltbank weigerte, das Projekt mitzufinanzieren, wurde es bisher zu 90% durch den innertürkischen Kreditmarkt finanziert, lediglich die Turbinenanlagen konnten durch internationale Kredite einer Schweizer Holding bezahlt werden. Zwar bemühte sich die türkische Regierung um weitere internationale Kredite, aufgrund der Brisanz der Wasserfrage jedoch ohne Erfolg. So weigerte sich die japanische Regierung nach einer Intervention Syriens, einen Kredit über 348 Mio. US-Dollar auszuzahlen (NZZ 10.10.91). Das GAP-Projekt kostet den türkischen Staat jeden Tag 2 Mio. US- Dollar und verursacht, wie westliche Finanzexperten der Weltbank kritisieren, ein Drittel der türkischen Inflationsrate (Financal Times 24.7.92).

Entwicklung oder Befriedung

Der bereits oben genannte Masterplan beinhaltet neben einer reichhaltigen Datenerhebung Vorschläge für Stadtplanung, für die Entwicklung der ländlichen Räume sowie für Ausbildung und Qualifikation.

Während die Bereiche Ausbildung und Qualifikation genauso wie die Information der Bevölkerung weitgehend vernachlässigt wurden, haben die erhobenen Daten nicht nur ökonomische Folgen. Zum ersten Mal seit Gründung der türkischen Republik 1923 wurden genaue Daten über die ökonomischen, sozialen, politischen und religiösen Strukturen der bis dahin bewußt vernachlässigten kurdischen Region zusammengetragen. „Sehr stark religiöse Bevölkerung, steht unter dem Einfluß der folgenden Scheichs (…), eigentlich rückständige Bevölkerung, ist aber dem Einfluß des sozialdemokratischen Politikers XY erlegen„, heißt es dort zum Beispiel. Erfaßt wird, ob Anschläge der PKK in der Nähe eines Dorfes zu verzeichnen sind, ob die Bevölkerung staatsloyal, neutral oder seperatistisch einzustufen ist und vieles mehr (Medico Report 7,1991, S. 10.).

Diese Daten, ergänzt durch Bevölkerungsstatistiken, bilden eine Grundlage für den Krieg des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung. Besonders im östlichen Teil des GAP-Gebietes werden fast täglich Dörfer zerstört, deren Bevölkerung vom Militär eine Zusammenarbeit mit der PKK unterstellt wird.

So dienen die erhoben Daten nicht allein der regionalen Entwicklung sondern auch der Selektion. Selektiert werden die »Guten« und die »Bösen«, das zu integrierende Potential, das an der zukünftigen Entwicklung teilhaben soll, und die nicht mehr zu integrierenden Bevölkerungsteile, die aus dem Gebiet vertrieben werden sollen.

Die veröffentliche Ausgabe des Masterplans verschweigt auch ganz bewußt, daß in der betroffenen Region Kurdinnen und Kurden leben. In dem ursprünglichen, von den Japanern vorgelegten Entwurf war noch die Rede von den ethnischen Unterschieden der regionalen Bevölkerung, die für die wirtschaftliche Entwicklung genutzt werden sollten. Dieser Passus wurde ersatzlos gestrichen.

Landwirtschaft

Bestimmender Wirtschaftszweig im Projektgebiet ist die Landwirtschaft. 80% der Bevölkerung leben direkt von der Landwirtschaft, davon 53 % in Subsistenzwirtschaft. Diese Familien bewirtschaften weniger als 2,5 ha Land, das ihnen meistens gehört oder das sie vom Staat bzw. von Großgrundbesitzern gepachtet haben. Der Gesamtanteil dieses Besitzes beträgt lediglich 8% der Gesamtanbaufläche. Diesen kleinen Wirtschaftsbetrieben stehen jene 7% der Familien gegenüber, denen 51% der wirtschaftlich nutzbaren Fläche gehören. Dazu kommen etwa 30% landlose Familien, die sich größtenteils als Wanderarbeiter während der dreimonatigen Baumwollernte im Westen des Landes verdingen. Eine 1973 begonnene Landreform wurde nie zum Abschluß gebracht, im Gegenteil – in der 80er Jahren erhielten fast alle Großgrundbesitzer ihr »verlorenes« Land zurück. Die noch bestehende Landreformbehörde führt heute die Flurbereinigungen durch, da eine allgemeine Zersplitterung der Besitzverhältnisse durch das Realerbrecht (alle Kinder erhalten Land zu gleichen Teilen) verbunden mit dem islamischen Erbrecht (Söhne erben doppelt so viel wie Töchter) weiter zunimmt.

Auf der Harran-Ebene, dem zentralen Projektgebiet, im dem teilweise mit der Bewässerung begonnen wurde, wird bisher in erster Linie – da fast 6 Monate des Jahres kein oder nur geringer Niederschlag fällt – Trockenfeldbau betrieben. Dazu kommen Gerste und Weizen, in geringem Maße Kichererbsen, Pistazien und Linsen und in den Randgebieten, ermöglicht durch höhere Niederschläge oder künstliche Bewässerung, auch Wein und Gemüse. Durch den Wassermangel kann derzeit nur eine Ernte pro Jahr eingebracht werden. Ein Teil der Ebene wird von Nomaden als Sommerweide genutzt.

Mit der angestrebten Bewässerung des Gebietes sollen mindestens zwei Ernten pro Jahr möglich werden. Mit den steigenden Erträgen werden auch die Einkommen der Bauern steigen, allerdings auch die Kosten. Die Einführung der Bewässerungswirtschaft wird die Bauern zwingen, Kredite für Saatgut, Teile des Bewässerungssystems, Maschinen und Pestizide aufzunehmen. Man muß davon ausgehen, daß es in erster Linie die Großgrundbesitzer und Investoren aus der Westtürkei sein werden, die das größte Stück vom Kuchen abbekommen werden.

In einem ausgewogenen Verhältnis könnten Baumwolle, Mais, Soja, Sesam und Obst angebaut werden. Vergleiche mit anderen Entwicklungsprojekten in der Türkei deuten allerdings daraufhin, daß in erster Linie Baumwolle, deren Preis staatlich garantiert wird, und Getreide als Monokulturen angebaut werden (Tekinel, S. 29). Die Anbieter der leistungssteigernden Agroindustrie stehen zwar schon »Gewehr bei Fuß«, bis heute gilt die Infrastruktur jedoch als mangelhaft. Ungeklärt sind auch die Absatzmöglichkeiten für die Produkte (Financal Times v. 24.7.1992).

Agrosoziale Verhältnisse

Nicht abzusehen sind auch die sozioökonomischen Folgen, die die Entwicklung zur Agroindustrie mit sich bringen wird. In der GAP-Region leben z.Z. etwa 4,5 Mio. Menschen. Nach Beendigung des Projekts sollen es über 12 Mio. sein. Mit der Zwangsumsiedlung tausender kurdischer Familien in die Westtürkei soll die Ansiedlung türkischer Familien aus der dicht besiedelten Schwarzmeeregion einhergehen. Eine beträchtliche Anzahl landloser Bauern sieht sich aufgrund der Zerstörung ihres traditionellen Lebens- und Arbeitsraumes, der Subsistenzwirtschaft, gezwungen, die Heimat zu verlassen, um in den rapide wachsenden Gecekondu-Vierteln der türkischen Großstädte und der kurdischen Städte wie Diyarbakir, Adiyaman, Mardin oder Siverek ein karges Dasein zu fristen und mit Tagesjobs den Lebensunterhalt zu bestreiten. Bereits die Umsiedlung der überfluteten Dörfer bereitete der Türkei massive Probleme. Zahlreiche DorfbewohnerInnen, die seit 1985 durch das Ansteigen des Atatürk-Sees evakuiert werden mußten, haben bis heute noch nicht die vereinbarte Entschädigungssumme erhalten, die landlose Bevölkerung ging sowieso leer aus.

Katastrophal sind die Aussichten im östlichen Teil des GAP-Gebietes. Die Provinzen Diyarbakir, Batman, Mardin und Cizre sind z.Z. Schauplatz einer ethnischen Säuberung, in dessen Folge bisher, so der Menschenrechtsverein von Diyarbakir, weit über 2.000 Dörfer entvölkert wurden. Das Militär vertreibt die Menschen, vernichtet deren Häuser und brennt die Felder und Olivenhaine ab, die Militärverwaltung verweigert den Vertriebenen regelmäßig die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Dörfer. Hier entsteht eine völlig neue Situation in Bezug auf Landbesitz und die zukünftige Nutzung der Böden, besonders da es in dieser Region keine Boden-Kataster gibt. Das Gebiet gilt als Hochburg der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) .

Mit den Umsiedlungsaktionen und den ethnischen Säuberungen schafft die türkische Regierung Fakten, die die Entwicklung einer Agroindustrie mit großen Feldern und modernem Landbau forcieren kann. Das Bewässerungsprojekt wird nur einer kleinen Schicht von Großgrundbesitzern und kapitalkräftigen Anlegern zugute kommen, die Masse der Bevölkerung wird noch mehr verelenden.

Zahlreiche Dörfer, die seit 1985 im Rahmen der Überflutungen an Euphrat und Tigris evakuiert wurden, haben bis heute noch nicht die vereinbarte Entschädigungssumme erhalten, die landlose Bevölkerung ging sowieso leer aus. Das Dorf Sylemanbey am Euphrat wurde 1985 evakuiert, bis heute streiten sich die 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner mit dem türkischen Staat um mindestens 1,5 Millionen türkische Lira, die ihnen bereits 1985 zugesagt, bis heute aber nicht ausgezahlt wurden. Die meisten der Vertriebenen hausen heute in den Slums von Diyabarkir, Urfa oder Mardin.

Nach Aussage von DorfbewohnerInnen erhielten die Großgrundbesitzer aufgrund ihres Einflusses bei den Behörden umgehend Entschädigungszahlungen. Dazu kam, daß sie, im Wissen um Entschädigung, Land in den zu überflutenden Gebieten aufkauften. Die Gleichen kaufen nun in dem ausgewiesen Tourismusbereich am Atatürk-See wiederum Land, das später an internationale Hotelketten weiterverkauft werden soll. So werden die Reichen immer reicher, während ein Großteil der vertriebenen kurdischen Bevölkerung weiter verarmt.

Ökologische Auswirkungen

Zu den politischen Problemen in der Region kommen ökologische. Umweltschützer werfen den Planern vor, die ökologischen Folgen des riesigen Stausees nicht bedacht zu haben. Probleme wie Versalzung oder die Änderung des Regionalklimas tauchen in den Planungsvorgaben des Masterplans überhaupt nicht auf, eine Umweltverträglichkeitsstudie wurde bisher nicht erstellt, sie soll erst nach (!) Abschluß der Bestandsaufnahme erarbeitet werden, wenn wesentliche Teile des Projektes bereits fertiggestellt oder im Bau sind.

Umweltrelevante Aspekte finden sich in den bisher erschienen Ausgaben nur insoweit, wie sie die ökonomischen Zielsetzungen unterstützen.

Besonders gravierend könnten sich auch die Maßnahmen der türkischen Armee erweisen. Seit über fünf Jahren werden besonders im Tigris-Projektgebiet zur Guerillabekämfung systematisch die vorhandenen Wälder abgebrannt.

Kulturdenkmäler

Bei jedem Staudammbau werden kleinere oder größere Ortschaften überflutet, deren BewohnerInnen müssen das Gebiet verlassen. Hier – wie auch in vielen anderen Ländern, die solche Projekte als Entwicklung verstehen – oftmals ohne Entschädigung und ohne den Menschen eine Perspektive zu geben. Im Fall des GAP-Projekt kommt noch dazu, daß durch das Aufstauen und die Bauarbeiten in großer Zahl Kulturdenkmäler zerstört werden. Das empört besonders kurdische Intellektuelle und Nationalisten, die den Umgang des türkischen Staates mit seinen Kulturschätzen scharf kritisieren. Das GAP-Gebiet war seit Tausenden von Jahren besiedelt, dem Atatürk-Stausee fielen u.a. die Hauptstadt des Komagene- Königreichs Samsat und die 9.000 Jahre alte Siedlung Nevali Çori zum Opfer.

Ein ähnliches Schicksal wird bei Aufstauung des Tigris die römische Stadt Hasankeyf treffen. Verhindert wird der Bau des Itisu-Dammes möglicherweise durch den Guerillakampf der Arbeiterpartei Kurdistans. Deren Vorsitzender, Abdullah Öcalan, erklärte bereits im Juni 1993 in einem Interview mit dem britischen Radiosender BBC, seine Organisation werde den Bau dieses Dammes nicht zulassen, da er ein kolonialistisches Projekt sei und nicht den Interessen der Bevölkerung diene. Zudem sei die kulturelle Zerstörung einer so bedeutenden Stadt wie Hasankeyf nicht zu akzeptieren. Dies ist im Übrigen eine der wenigen Aussagen der PKK zum GAP-Projekt. Es scheint aber, daß kurdische Nationalisten dem Projekt als integriertes Entwicklungsvorhaben insgesamt positiv gegenüberstehen.

Der Streit ums Wasser

Wasser ist in der Region des Nahen Osten Mangelware. Durch fehlende Niederschläge sind die Türkei, Syrien und der Irak auf eine ständige Bewässerung ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen angewiesen. Somit wird der Zugang zu Wasser zu einer existenziellen Frage.

In einem Abkommen konnte Syrien 1987 die Türkei verpflichten, mindestens 500 m³/s Euphratwasser zu garantieren. Während Syrien sich immer wieder beklagt, daß diese Menge nicht erreicht wird, fordert der Irak 700 m³/s. Da es bisher noch keine völkerrechtlich verbindliche Regelung zur Nutzung von Flußanliegern gibt, kann die Türkei mit den Durchflußgeschwindigkeiten Druck auf die am Unterlauf der beiden Flüsse liegenden Staaten ausüben. Letztendlich sitzt das Land am Oberlauf immer am längeren Hebel, wobei erst mit dem vollständigen Ausbau aller Staudämme die Türkei die Wassermengen fein regulieren kann.

Der ehemalige UN-Generalsekretär Butros-Ghali erklärte, daß das Wasser eines Tages zu einem neuen Zündstoff in der Region werden kann: „Wenn es zu einem weiteren Krieg in dieser Weltgegend kommen wird, dann wird er ums Wasser geführt werden.“ Denn die Türkei macht schon jetzt mit ihrem Wasser Politik: Während des zweiten Golfkrieges wurde – mit Zustimmung der Syrer – dem Irak buchstäblich das Wasser abgedreht. Die vertragsgemäße Belieferung Syriens mit dem lebenswichtigen Euphratwasser wird immer wieder von einem Ende der Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans abhängig gemacht.

Ausblick

Ob das gesamte Projekt bis zum Jahre 2005 steht, ist noch längst nicht klar. Zum einen gibt es massive Proteste der Anrainerstaaten, allen voran Syrien. Es wird deutlich, daß dringend ein internationales Abkommen über die Zukunft des Wassers notwendig ist. Dabei werden sich auch multinationale Gremien einmischen, und es ist davon auszugehen, daß die Türkei nicht allein über die Wassermengen von Euphrat und Tigris entscheiden kann.

Zweitens kann schon jetzt der Zeitplan nicht mehr eingehalten werden: An den Baustellen im östlichen GAP-Gebiet wird nicht mehr gearbeitet, da die Guerilla der Nationalen Volksbefreiungsarmee ARGK in der Vergangenheit mehrmals Materiallager und Fahrzeugpools angegriffen hat.

Drittens muß die allgemeine wirtschaftliche Lage der Türkei berücksichtigt werden. Wirtschaftskrise und der Krieg in Kurdistan haben dafür gesorgt, daß die Kassen leerer wurden und dringend benötige Gelder zum Weiterbau bzw. Ankauf von Importprodukten nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Arbeiten an den begonnen Dämmen am Tigris sind daher weitgehend eingestellt worden, der Bau von Bewässerungsanlagen am Euphrat ist ins Stocken geraten. Bei der allgemeinen ökonomischen und wirtschaftlichen Krise der Türkei ist nur aus Prestigegründen ein weiterer Fluß der Kapitalmittel in Richtung GAP-Projekt zu erwarten.

Literatur

Hauptmann, Gerhard (1988): Nevali Çori: Architektur, in: Anatolica XV, S. 99-110.

Hinz-Karadeniz, Heidi u. Stoodt, Rainer (Hrsg.) (1993): Die Wasserfalle. Vom Krieg um Öl zum Krieg um Wasser: Aufstieg und Fall eines Großprojektes in Kurdistan, Gießen.

Hinz-Karadeniz, Heidi (1994): Vom Krieg um Öl zum Krieg um Wasser. In: Hinz-Karadeniz /Stoodt (Hrsg.) Kurdistan: Politische Perspektiven in einem geteilten Land, Gießen, S. 203-229.

Jungfer, Eckhardt (1998): Wasserressourcen im Vorderen Orient. Geographische Rundschau 50, H. 7-8, S. 400-405.

Kolars, J.F. / Mitchell, W.A. (1991): The Euphrates River and the Southeast Anatolia Project, Carbondale and Edwardsville.

Riemer, Andrea (1998): Die Türkei an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Die Schöne oder der kranke Mann am Bosporus, Frankfurt.

Struck, Ernst (1994): Das Südostanatolien-Projekt. Geographische Rundschau 46, H. 2, S. 88-95.

Tekinel, O. et. al. (1992): »Southeastern Anatolian Projekt« and its possible effects on development of the GAP-Region and Turkish agriculture, in: Deutsch-Türkische Agrarforschungen, hg. vom Verband deutsch-türkischer Agrar- und Naturwissenschaftler e.V., Hohenheim.

Rainer Stoodt, M.A., Autor mehrerer Bücher zum Thema Türkei – Kurdistan.

Internationales Workshop des BITS: »Das Nukleare Erbe der Sowjetunion: Folgen für Umwelt und Sicherheit«

Internationales Workshop des BITS: »Das Nukleare Erbe der Sowjetunion: Folgen für Umwelt und Sicherheit«

von Oliver Meier

Am 17. und 18. Oktober haben mehr als 50 ExpertInnen aus den USA, Rußland und anderen europäischen Staaten in Berlin über »Das Nukleare Erbe der Sowjetunion: Folgen für Umwelt und Sicherheit« beraten. Das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) hatte den internationalen Workshop in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert, um den Umgang mit den nuklearen Altlasten auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR aus umwelt-und sicherheitspolitischer Sicht zu diskutieren.

Die TeilnehmerInnen nahmen zunächst eine Bestandsaufnahme der ökologischen Probleme und der Lage der Atomwaffen vor. Die ReferentInnen aus Deutschland, Norwegen und den USA sowie Vitaly Shelest (Berater der russischen Duma) stellten einmütig fest, daß die sichere Verwahrung von Atommüll und Sprengköpfen nicht gewährleistet ist und immer noch dringender Handlungsbedarf besteht. Alexander Nikitin (Direktor des Center for Political and International Studies in Moskau) und Igor Sutyagin (USA and Canada Institut, Moskau) verdeutlichten anschließend, daß außerdem die Gefahr einer Wiederaufwertung von Atomwaffen droht.

Danach evaluierten die TeilnehmerInnen die vorhandenen internationalen Hilfsprogramme. Auch sechs Jahre nach dem Ende der Sowjetunion bestehen erhebliche Defizite bei der Umsetzung solcher Hilfsprogramme. Dies liegt zum einen an den politischen Strukturen in Rußland selbst, wie Ulrich Albrecht von der Freien Universität darlegte. Phil Rogers von der Central European University in Budapest untermauerte diese These indem er schilderte, daß Bürgerbewegungen nur sehr begrenzten Einfluß auf die Politik der Regierung hätten.

Zum anderen werden internationale Hilfsprogramme häufig am eigentlichen Bedarf in Rußland vorbei geplant. In den USA drohen die Mittel zudem der innenpolitischen Auseinandersetzung über den richtigen Kurs gegenüber Rußland zum Opfer zu fallen, wie Jo Husbands von der amerikanischen Akademie der Wissenschaften beklagte. Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung bewertete anschließend die von ihrem Umfang her wesentlich bescheideneren Hilfsprogramme der Europäischen Union.

Defizite wurden auch in der nuklearen Abrüstungspolitik konstatiert. Botschafter a.D. Thomas Graham mahnte die Nuklearwaffenstaaten, ihre Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung ernster zu nehmen und forderte, endgültig auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Diskutiert wurde dann unter anderem, wie die Gefahr eines versehentlichen Abschusses von Atomwaffen oder eines Unfalls verringert werden kann. In der Abschlußdiskussion wurden Alternativen zu den bestehenden Politikansätzen erörtert. Dabei wurde klar, daß es dringend einer engeren Verknüpfung von sicherheits- und umweltpolitischen Fragestellungen bei der Konzipierung von Hilfsprogrammen bedarf.

Einen stimmungsgerechten Ausklang der Tagung erlebten die Teilnehmer bei einem gemeinsamen Ausflug zu einem ehemaligen sowjetischen Atomwaffenlager in der Nähe von Berlin.

Ein Konferenzreader mit den Beiträgen der ReferentInnen kann gegen einen Unkostenbeitrag bestellt werden über das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), Rykestr. 13, 10405 Berlin, Tel.: (030) 441 0220, FAX (020) 441 0221, e-mail: meier@zedat.fu-berlin.de

Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und Lehrbeauftragter am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin.