Rüstungskontrolle im Schwebezustand

Die Atomteststoppbehörde

Rüstungskontrolle im Schwebezustand

von Oliver Meier

Die internationale Atomteststoppbehörde (Comprehensive Test Ban Treaty Organization, CTBTO) befindet sich fast acht Jahre nach ihrer Gründung in einem eigenartigen politischen Schwebezustand. Aufgabe der Organisation ist es, die Einhaltung des Vertrags über das Umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, CTBT) zu überwachen. Aber das Abkommen, das seine Mitglieder verpflichtet „keine Versuchsexplosionen von Kernwaffen und keine andere nukleare Explosion durchzuführen“1, kann nicht in Kraft treten, obwohl es mittlerweile 176 Staaten gezeichnet und 125 ratifiziert haben.

Damit der Atomteststoppvertrag völkerrechtliche Verbindlichkeit erhält, müssen alle 44 Staaten, welche bei Vertragsabschluss 1996 Mitglieder der Genfer Abrüstungskonferenz waren und über Atomprogramme verfügten, den CTBT ratifizieren. Von diesen Staaten haben den Vertrag bisher

  • weder unterschrieben, noch ratifiziert: Indien, Nordkorea und Pakistan,
  • unterschrieben aber noch nicht ratifiziert: Ägypten, China, Indonesien, Iran, Israel, Kolumbien, USA und Vietnam.

Diese elf Staaten verhindern damit, dass die Ergebnisse der Arbeit der CTBTO auch tatsächlich und völkerrechtlich verbindlich zur Teststopp-Verifikation genutzt werden können.

Der Aufbau des Überwachungssystems für den Teststopp-Vertrag durch eine Vorbereitungskommission und das Provisorische Technische Sekretariat (PTS) in Wien hat trotz dieser politischen und rechtlichen Hängepartie gute Fortschritte gemacht. Mittlerweile beschäftigt die CTBTO fast 270 Mitarbeiter aus 69 Staaten. Wenn man von der ungewissen Zukunft des Vertrags selbst absieht, arbeitet die Organisation schon jetzt wie eine normale Abrüstungsbehörde.

Die amerikanische Abwendung

Die klare Ablehnung des CTBT durch die gegenwärtige US-Regierung bildet das größte Hindernis auf dem Weg zum Inkrafttreten des Vertrages. Solange die größte Militär- und Nuklearwaffenmacht der Welt nicht auf die Option zur Wiederaufnahme von Kernwaffentests verzichtet, werden auch andere Staaten, die über Kernwaffen verfügen oder verfügen möchten, sich die Möglichkeit zur Durchführung von Atomexplosionen offen halten wollen.

Präsident Bill Clinton unterzeichnete noch voller Stolz als erster Staatschef am 24. September 1996 den CTBT am Sitz der Vereinten Nationen. Damit schien der jahrzehntelange Kampf der USA um einen überprüfbaren Teststopp-Vertrag erfolgreich zum Abschluss gebracht. Aber die Hoffnung auf ein dauerhaftes Verbot aller Kernwaffentests geriet bald ins Wanken. Im Oktober 1999 weigerte sich der republikanisch dominierte Senat, den vom verhassten demokratischen Präsidenten favorisierten CTBT zu ratifizieren. Seitdem hat sich Washington kontinuierlich vom Vertrag distanziert.

Amerikanische CTBT-Gegner halten den Vertrag für nicht verifizierbar und befürchten, dass ein dauerhafter Verzicht auf Atomtests das eigene Nuklearwaffenarsenal gefährden könnte. Alterungsprozesse in vorhandenen Atomwaffen könnten Kernwaffentests zur Prüfung von Sicherheitsmängeln notwendig machen, so amerikanische Teststopp-Kritiker. Aber auch die Entwicklung neuartiger Atomwaffen wie »Mininukes« oder bunkerbrechende Kernwaffen soll möglich bleiben.2

Die USA bleiben durch die Unterschrift Clintons an den CTBT gebunden, bereiten aber einen möglichen vollständigen Rückzug aus dem Teststopp-Vertrag vor. Amerikanische Diplomaten weigern sich, jedem internationalen Dokument zuzustimmen, das den CTBT auch nur erwähnt. Und im August 2003 wies Präsident Bush das Energieministerium an, die Vorbereitungszeit für eine mögliche Wiederaufnahme von Kernwaffentests von ehemals 2-3 Jahren auf 18 Monate zu verkürzen.

Die Ablehnung des Teststopp-Vertrages durch Washington behindert auch den Aufbau der CTBTO. Seit August 2001 kürzt Washington den eigenen finanziellen Beitrag und behält eigenmächtig die Kosten für die Vorbereitung von Vor-Ort-Inspektionen ein. Begründung: solche Inspektionen, die die CTBTO nach einer vermuteten Vertragsverletzung zur Klärung des Sachverhalts durchführen könnte, würden erst nach Inkrafttreten des Vertrages durchgeführt werden – und genau dieses Inkrafttreten des Vertrags lehnt Washington ab.3

Aus Sicht der CTBTO ist die Kürzung finanziell noch zu verkraften weil sie bisher nur rund 5% (rund US$ 1 Millionen jährlich) des veranschlagten amerikanischen Beitrags beträgt. Aber möglicherweise stehen bald noch weitere Kürzungen ins Haus. Der US-Senat hat insgesamt US$ 7,5 Millionen aus dem diesjährigen Beitrag in Höhe von US$ 22 Millionen herausgeschnitten. Derartige Kürzungen, die vom US-Repräsentantenhaus in dieser Form abgelehnt werden, wären ein schwerer Rückschlag für die Arbeit der CTBTO auch wenn Außenministerin Condoleezza Rice am 16. Februar beteuerte, dass eine weitere Kürzung der US-Beiträge „… keine Änderung der US-Politik gegenüber dem CTBT“ bedeuten würde.4

Um den Aufbau des Systems zu vollenden und fertig gestellte Stationen zu betreiben, ist eine stabile Finanzierung notwendig. Jährlich benötigt die CTBTO etwa US$ 100 Millionen. Bisher wurden rund 95% der Beiträge von den Unterzeichnern des Vertrages eingetrieben. Dies ist eine im Vergleich zu anderen UN-Organisationen gute Quote. Einzelne Staaten, wie Brasilien und Argentinien, zahlen allerdings seit Jahren ihre Beiträge nicht. Damit schwächen sie die CTBTO auch wenn die Arbeit der Behörde (noch) nicht gefährdet ist.

Der Aufbau des Internationalen Überwachungssystems

Trotz der politischen Ablehnung des CTBT unterstützen die USA den Aufbau des internationalen Überwachungssystems (International Monitoring System, IMS) voll und ganz. Ein Grund für diese schizophrene Politik liegt im Interesse amerikanischer Geheimdienste an den IMS-Daten. Für die amerikanische Regierung dürften vor allem Daten aus Regionen interessant sein, in denen sie selber nicht über ausreichend hochwertige Überwachungsstationen verfügt, wie etwa in Zentral- und Südasien. Die USA sind als größter Abnehmer von IMS-Daten sogar bereit, der CTBTO für die Übermittlung aller verfügbaren Daten mehr zu zahlen als den regulären Satz. Das US-Interesse an den Daten der CTBTO ist ein eindrucksvoller Beleg für deren Qualität.

Das IMS selbst ist bereits zu zwei Dritteln fertig gestellt. Zweihundertundneun der insgesamt 321 Überwachungsstationen sind errichtet. Das seismische Netzwerk, das darauf ausgelegt ist, Signale von unterirdisch durchgeführten Atomtests aufzunehmen, ist das Herzstück des Überwachungssystems. Fünfzig Stationen werden kontinuierlich Daten nach Wien übermitteln, weitere 120 Hilfsstationen können bei Bedarf zugeschaltet werden. Elf im Meer an Bojen verankerte Hydrophone oder in der Nähe von steil abfallenden Küsten stationierte Hochfrequenz-Seismometer können Explosionen in den Ozeanen oder auf kleinen Inseln feststellen. Das Infraschall-Überwachungsnetzwerk von 60 landgestützten Stationen dient dem Ziel, die von atmosphärischen Nukleartests verursachten Schallwellen festzustellen und diese Tests so zu lokalisieren. Achtzig Radionuklidstationen werden rund um die Uhr radioaktive Aerosole und Edelgase in der Atmosphäre messen, die von atmosphärischen Atomtests stammen oder von unterirdischen Tests, die ausgasen.

Von den Stationen werden die Daten an das International Data Centre (IDC) in Wien und von dort zügig an die Mitgliedstaaten übermittelt. Ein groß angelegter Dauertest im April und Mai diesen Jahres hat belegt, dass der für eine erfolgreiche Vertragsüberwachung notwendige Dauerbetrieb, inklusive sicherer Datenübertragung aus Wien gewährleistet werden kann.5

Die CTBTO bewertet und analysiert IMS-Daten nicht. Es obliegt den Mitgliedstaaten festzustellen, ob ihrer Meinung nach ein Vertragsverstoß vorliegt. Nach Inkrafttreten des Vertrags kann jeder Mitgliedsstaat eine Sitzung des Exekutivrats der Organisation beantragen, wenn er vermutet, dass ein anderes Mitglied gegen den Vertrag verstoßen hat. Stimmen 31 der 50 Mitglieder des Exekutivrats zu, wird eine Vor-Ort-Inspektion zur Klärung des Sachverhalts angeordnet. Klare Vertragsverstöße kann die Vertragsstaatenkonferenz an den UN-Sicherheitsrat melden.

Während der Aufbau des Überwachungssystems Fortschritte macht, bleibt die Vorbereitung der Vor-Ort-Inspektionen schwierig. Der Vertrag selbst beschreibt nur die groben Parameter künftiger Inspektionen, wie etwa Dauer und Umfang. Seit Jahren verhandeln Mitgliedstaaten in Wien über ein Handbuch zu Vor-Ort-Inspektionen, das Einzelheiten über die Rechte und Pflichten künftiger Teststopp-Inspekteure festlegen soll.

Der amerikanische Boykott der Vorbereitungen für Vor-Ort-Inspektionen stellt den Wert der Verhandlungen über ein Inspektionsregime insgesamt in Frage. Aber auch andere Staaten, wie etwa Israel, achten mit Argusaugen darauf, dass künftige Inspektoren nicht zu weitreichende Rechte erhalten. Sie fürchten, dass Inspektionen dazu missbraucht werden könnten vertragsfremde Einrichtungen auszuspionieren, etwa die geheime Atomanlage in Dimona.

Wie andere Verifikationssysteme, kann auch das IMS keine hundertprozentige Sicherheit bieten, dass alle Vertragsverletzungen aufgedeckt werden. Das System zielt eher darauf ab, Vertragsbrüche mit hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, und potenzielle Vertragsverletzer dadurch abzuschrecken.

Ein Unterlaufen des Überwachungssystems durch einen geheimen Kernwaffentest – ein Szenario das CTBT-Kritiker in den USA immer wieder als Schwachpunkt des Vertrages angeführt haben – dürfte ausgeschlossen sein. Militärisch relevante Tests haben eine Sprengkraft von mehreren Kilotonnen TNT-Äquivalent. Das IMS ist aber darauf ausgelegt, weltweit Explosionen mit einer Sprengkraft von mindestens einer Kilotonne zu entdecken. In vielen Gegenden kann das IMS schon jetzt Explosionen von wesentlich kleinerer Sprengkraft – in einzelnen Fällen von 10-25 Tonnen – feststellen und in den meisten Fällen auch lokalisieren.6

Zusätzliche Nutzung des IMS?

Schon seit Jahren gibt es Vorschläge, die Daten des IMS auch für andere Zwecke als zum Aufspüren von Kernwaffentests zu verwenden,. Das Überwachungssystem ist weltweit einmalig, nicht nur auf Grund seiner globalen Reichweite sondern auch wegen der schnellen Datenverfügbarkeit und der sicheren Übertragung an Empfänger weltweit. So könnten z.B. die Daten aus dem Infraschallnetzwerk dazu verwendet werden, die Luftfahrt vor Vulkanausbrüchen zu warnen. Möglich wäre es auch, bestimmte IMS-Daten zur Überwachung anderer internationaler Abkommen, insbesondere Rüstungskontrollabkommen, zu nutzen. Das Netzwerk von Radionuklidstationen etwa könnte auch geheime Produktionsanlagen für Kernwaffenmaterialien aufspüren.

Jahrelang scheiterten solche Vorschläge zur Nutzung von Synergieeffekten jedoch an den Ängsten einiger Staaten wie China, die eine Aufweichung der Regeln zum Schutz »vertraulicher« Informationen befürchten. Sie bestanden darauf, dass nur staatliche Datenzentren IMS-Daten empfangen dürfen. Erst die Tsunami-Katastrophe vom letzten Jahr hat solche Bedenken hinweg gespült. Achtundsiebzig IMS-Stationen hatten das Seebeben am 26. Dezember 2004 registriert und die Daten schon nach zwei Stunden an alle Mitgliedstaaten übermittelt. Dies schloss auch betroffene Staaten in der Region ein, wie etwa Indonesien und Thailand.7 Diese Daten wurden dort allerdings nicht entsprechend ausgewertet und damit eine wichtige Chance zur Frühwarnung vertan.

Im März diesen Jahres beschlossen die Vertragsmitglieder, dass das PTS auf Probebasis Daten an zwei Tsunami-Frühwarnorganisationen der UNESCO übertragen soll. Ob dieser wichtige Schritt zur Öffnung des Systems auch weitere Möglichkeiten für eine Nutzung der Daten zur Frühwarnung und Katastrophenhilfe eröffnet, muss allerdings abgewartet werden.8

Wie weiter?

Trotz beeindruckender Fortschritte beim Aufbau des Überwachungssystems liegt die Frage des Inkrafttretens des Vertrages wie ein dunkler Schatten über der Arbeit der CTBTO. Alle zwei Jahre beraten die Mitgliedstaaten, was unternommen werden kann, um das Inkrafttreten des Teststopp-Vertrags zu beschleunigen. Auf der vierten, nach dem entsprechenden CTBT-Paragrafen benannte Artikel XIV-Konferenz, die vom 21.-23. September 2005 in New York stattfand, wurde erneut deutlich, dass ein stetiges und druckvolles Drängen auf Vertragsbeitritt bei den noch außerhalb des CTBT stehenden Staaten ohne politische Alternative ist. Je kürzer die Liste der Blockierer ist, desto größer wird der politische Druck auf die noch ausstehenden Verweigerer und desto stärker ist die internationale Norm gegen Atomtests.

Der Sonderbeauftragte zur Förderung des Ratifizierungsprozesses, Jaap Ramaker, berichtete von seinen weitgehend erfolglosen Bemühungen weitere Annex II-Staaten von einem Vertragsbeitritt zu überzeugen.9 Die chinesische Regierung beteuerte gegenüber Ramaker, dass sie guten Willens sei, den CTBT zu ratifizieren und »nur« noch auf den Abschluss des parlamentarischen Ratifizierungsverfahrens warte. Gleichlautende Beteuerungen gibt es allerdings seit Jahren aus Peking. Pakistan erklärte, dass ein Beitritt zum Teststopp-Vertrag gegenwärtig keine Priorität besäße und die indische Regierung empfing Botschafter Ramaker erst gar nicht. Der wichtigste Schlüssel zum politischen Erfolg liegt aber weiterhin in Washington.

Der Fortschritt beim Aufbau des Verifikationssystems durch die Wiener Teststoppbehörde ist dabei ein wichtiges Seismometer für die politische Unterstützung für den CTBT insgesamt. Auch deshalb ist es wichtig, dass diejenigen Regierungen, die an den Zielen des Teststopp-Vertrags festhalten, die CTBTO weiter nach Kräften unterstützen. Nur dann ist gewährleistet, dass „bei Inkrafttreten des Vertrages … das Verifikationssystem in der Lage [ist], den Verifikationsanforderungen des Vertrages zu genügen.“10

Anmerkungen

1) Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Artikel I (1).

2) Eine Diskussion dieser Argumente findet sich in dem Report des CTBT-Sonderbeauftragten General John M. Shalikashvili (USA Ret.): Report on the Findings and Recommendations Concerning the Comprehensive Test Ban Treaty, January 4, 2001, http://www.armscontrol.org/act/2001_01-02/ctbtreport.asp

3) Philipp C. Bleek: White House to Partially Fund Test Ban Implementing Body, in: Arms Control Today, September 2001, http://www.armscontrol.org/act/2001_09/ctbtsept01.asp.

4) Daryl G. Kimball: The Status of CTBT Entry Into Force: the United States, Presentation at the VERTIC Seminar on the Comprehensive Test Ban Treaty on the Occasion of The Fourth Article XIV Conference on Accelerating Entry Into Force, New York, September 22, 2005, http://www.armscontrol.org/events/20050921_VERTIC.asp.

5) Background Document by the Provisional Technical Secretariat of the Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization prepared for the Conference on Facilitating the Entry into Force of the CTBT, CTBT-Art.XIV/2005/3/Rev.1, 7 September 2005.

6) Einschätzungen zur Verifizierbarkeit des Vertrages finden sich unter anderem im Bericht der Unabhängigen Kommission zur Verifizierbarkeit des Teststopp-Vertrages, London 7. November 2000, http://www.ctbtcommission.org/germanreport.htm und Ben Mines: The Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty: virtually verifiable now, VERTIC Brief 3, London, April 2004, http://www.vertic.org/assets/BP3_Mines.pdf.

7) Northern Sumatra Earthquake and the Subsequent Tsunami on 26 December 2004, CTBTO Press Release, 5. Januar 2005.

8) Oliver Meier: CTBTO Releases Test Ban Monitoring Data for Tsunami Warning, in: Arms Control Today, Vol. 35, No. 2, April 2005, S. 39-40.

9) Report of Ambassador Jaap Ramaker, Special Representative to promote the ratification process of the CTBT to the Conference on Facilitating the Entry into Force of the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, New York, 21-23 September 2005.

10) Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Artikel IV (1).

Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sowie Internationaler Repräsentant und Korrespondent der Arms Control Association in Berlin.

Atomwaffensperrvertrag vor dem Aus?

Atomwaffensperrvertrag vor dem Aus?

von Jörg Welke

Vom 2. bis 28. Mai 2005 tagt in New York die nächste Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Die Aussicht auf einen Verhandlungserfolg im Sinne nuklearer Abrüstung sind nicht gerade vielversprechend. Auf den Vorbereitungskonferenzen in den letzten drei Jahren haben sich die teilnehmenden Staaten nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen können. Keine der »Atommächte« ist offensichtlich bereit die Verpflichtung zur totalen nuklearen Abrüstung, die beim Abschluss des Vertrages zugesagt wurde, zu erfüllen. Setzen wir einmal voraus, dass es nicht zum »offenen Scheitern« des Vertragswerks kommt – da hieran vor allem die Atomwaffen besitzenden Staaten kein Interesse haben – so bleibt die Frage in welche Richtung ein zu erzielender Kompromiss tendiert.

New York im Mai 2020: Unglaubliche Menschenmassen feiern ausgelassen in den Straßen Manhattans, vor dem UN-Gebäude ist kein Durchkommen mehr, strahlende Gesichter wohin man auch schaut. Dann ist es soweit. Der amtierende UN-Generalsekretär verkündet feierlich: „Der letzte Atomsprengkopf auf dieser Erde ist entschärft und wird in seine Bestandteile zur Verschrottung zerlegt. Die Ära der nuklearen Bedrohung ist beendet.“ Zehn Jahre zuvor hatten sämtliche Atomwaffenstaaten mit der Auflösung ihrer nuklearen Arsenale begonnen. Nach weiteren fünf Jahren hatten sie sich während der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (Nichtverbreitungsvertrag, NVV) auf Verhandlungen zur weltweiten atomaren Abrüstung geeinigt.

Soweit das Wunschdenken. Die Wirklichkeit ist komplizierter, die Aussicht auf einen Verhandlungserfolg im Sinne nuklearer Abrüstung während der Überprüfungskonferenz in New York schwindet zusehends.

Als der NVV 1970 in Kraft trat, hatten diejenigen Staaten, die bereits im Besitz von Atomwaffen waren, ein für sie wichtiges Ziel erreicht: Sie sahen ihr Monopol auf den Besitz dieser Waffen nun völkerrechtlich festgeschrieben. Außer China, Frankreich, Großbritannien, der UdSSR und den USA hatte fortan kein anderes Land, das dem Vertrag beitrat, das Recht, Atomwaffen zu entwickeln oder zu erwerben. Die inzwischen 182 anderen Vertragsstaaten ließen sich allerdings nicht ohne Gegenleistung zur militärisch-atomaren Enthaltsamkeit bewegen. Vielmehr sollten ihnen Materialien, wissenschaftliches Know-how und alle Technologien zur Nutzung der damals begehrten Atomenergie für zivile Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Die Vereinbarung sah darüber hinaus für die Atomwaffenstaaten die vertragliche Pflicht vor, Verhandlungen über die Abrüstung und Abschaffung von Atomwaffen aufzunehmen.

Um zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomtechnologie zu unterscheiden wurde ein Sicherheitskontrollsystem (safeguards) installiert. Mit der Kontrolle wurde die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) beauftragt. Sie inspiziert seither regelmäßig weltweit Atomanlagen, außer denjenigen der Atomwaffenstaaten und der Nicht-Unterzeichnerstaaten des NVV, das sind Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea, das 2003 aus dem Vertrag wieder ausgeschieden ist.

Die Abrüstungsverpflichtung ist im NVV nicht im Detail konkretisiert. Weder sind die einzelnen Schritte zu einer vollständigen Abschaffung von Atomwaffen festgelegt, noch wurde ein Zeitplan definiert. So stieg die Zahl der Atomwaffen zwischenzeitlich bis auf 65.000 an. Trotz diverser Abrüstungsverträge ist ihre Anzahl heute höher als zu Vertragsbeginn.

Als der NVV ausgehandelt wurde sollte er zunächst für 25 Jahre gelten, mit Überprüfungskonferenzen im Fünfjahresrhythmus. 1995 wurde anlässlich der Konferenz zur Überprüfung und Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags entschieden, die Vereinbarung unbefristet auszudehnen. Das entsprach vor allem dem Wunsch der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten, ein großer Teil der blockfreien und Nicht-Atomwaffenstaaten betrachtete den Vertrag als diskriminierend. Sie stimmten der Verlängerung trotzdem zu, weil zusätzliche Versprechungen gemacht wurden, z.B. Verhandlungen zu einem umfassenden Teststoppabkommen (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT). Dieses Abkommen wurde 1996 auch abgeschlossen, kann aber erst in Kraft treten, wenn die 44 Staaten, die über Atomenergieanlagen verfügen, es ratifiziert haben. Bislang fehlen aber die Ratifizierungen von elf Staaten, darunter die USA und China.

Bei der letzten Überprüfungskonferenz im Jahr 2000 wurde einstimmig eine Liste von 13 »praktischen Schritten« zur Abrüstung der bestehenden Atomwaffenarsenale verabschiedet. Diese Liste enthält eine Bestätigung der Verpflichtung, alle Atomwaffen abzuschaffen, wie sie bereits in Artikel VI des NVV festgeschrieben ist.

Veränderte Sicherheitslage

Auf der nächsten Überprüfungskonferenz im Mai 2005 wollen die USA diese »13 Schritte« nun als »überholt« ad acta legen. So bezeichnete Ende letzten Jahres ein offizieller Regierungsvertreter aus Washington das Abschlussdokument der 2000er Überprüfungskonferenz inklusive der 13 Schritte als »historisch«.1 Es sei ein neues Dokument notwendig, das die veränderte Lage nach dem 11. September widerspiegele.

Zwei andere internationale Vereinbarungen haben die USA bereits erfolgreich torpediert: Das Inkrafttreten des umfassenden Teststoppabkommens und den ABM-Vertrag. Der ABM-Vertrag wurde einseitig von den USA aufgekündigt, und der Atomteststoppvertrag wird in absehbarer Zeit von den USA nicht ratifiziert werden. Die USA erwägen zudem die Wiederaufnahme von Atomtests. Das Abkommen zwischen George Bush und Vladimir Putin aus dem Jahr 2002 (Moskauer Vertrag bzw. Strategic Offensive Reduction Treaty, SORT), nach dem die stationierten strategischen Atomwaffen jeweils auf 1.700 bis 2.200 zu reduzieren sind, hebt den START-II-Vertrag auf, der 2002 noch nicht in Kraft getreten war. Nach der neuen Regelung werden die »überzähligen« Atomwaffen nur »nicht gefechtsbereit« gelagert und nicht verschrottet. Das widerspricht dem 2000 verabredeten Prinzip der Unumkehrbarkeit von Abrüstungsmaßnahmen.

Die Liste gebrochener Versprechen von Seiten der Atomwaffen besitzenden Staaten ist lang und der Unmut auf Seiten der Nichtatomwaffenstaaten groß. Der Unmut wächst auch deshalb, weil das im Artikel IV des NVVzugesicherte „unveräußerliche Recht“ auf Hilfe zur zivilen Nutzung der Atomenergie von den Atomwaffenstaaten zunehmend in Frage gestellt wird. Seitdem der Iran vermutlich an einem Urananreicherungsprogramm arbeitet, wollen die USA bestimmten Ländern diese Technologie verweigern. Nach einer entsprechenden Intervention des US-amerikanischen Präsidenten auf dem Gipfel der G8-Staaten im Juni 2004 wurde dort verabredet – entgegen den Vertragsverpflichtungen – Atomtechnologie nur an Staaten zu exportieren, die durch ein Zusatzprotokoll von der IAEO als »sicher« eingestuft werden. Allerdings hätte der Iran auch in diesem Fall das Recht zum Erwerb der Technologie zur Urananreicherung, es sei denn der IAEO lägen Beweise zur Ablehnung vor.

Überprüfungskonferenz 2005

Die veränderte Sicherheitslage nach dem 11.September, weltweiter »Krieg gegen den Terrorismus«, iranisches Atomprogramm und nordkoreanische Atomwaffen: Diese Stichworte sind die unguten Vorzeichen für die Überprüfungskonferenz des NVV im Mai. Bei den drei jeweils zweiwöchigen Vorbereitungskonferenzen, die 2002-2004 stattfanden, haben sich die teilnehmenden Staaten nicht einmal auf eine Tagesordnung für 2005 einigen können.

Die Ausgangspositionen könnten unterschiedlicher nicht sein: Die USA wollen ihr 2002 mit Russland ausgehandeltes SORT-Abkommen über die Reduzierung von strategischen Atomwaffen bereits als Schritt zur nuklearen Abrüstung verstanden wissen. Kritiker weisen aber darauf hin, dass dieses Abkommen eher ein Umrüstungs-, denn ein Abrüstungs-Abkommen ist: Die USA arbeiten an der Entwicklung neuer kleiner taktischer Atomwaffen – Mininukes – und bunkerbrechenden Atombomben, die die Gefahr eines atomaren Krieges erhöhen, da sie in »begrenzten« Kriegen eingesetzt werden können. Russland will sein Arsenal modernisieren, um die geplante Raketenabwehr der USA umgehen zu können. Das geplante US-Raketenabwehrsystem führt deshalb auch nicht zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes. Im Gegenteil, es erhöht die Gefahr eines atomaren Konflikts, da es zur Vergrößerung des Atomwaffenpotenzials führt. Für die taktischen Nuklearwaffen der beiden Länder gibt es sowieso keine vertraglichen Vereinbarungen.

Die aggressive Haltung der USA ist das entscheidende Problem für die Verhandlungen: Durch die Kriege im Irak und in Afghanistan und die Drohungen gegen die von Bush so titulierten Staaten der »Achse des Bösen« provozieren die Amerikaner in diesen Ländern geradezu den Willen zur Entwicklung und zum Bau eigener Atomwaffen. Viele – auch offizielle – Verlautbarungen aus diesen Ländern dokumentieren die Ansicht, dass nur der Besitz atomarer Waffen einen gewissen Schutz gegen militärische Aktionen der USA bietet. Ganz deutlich wird das in der Haltung der nordkoreanischen Regierung.

Die offizielle deutsche Regierungslinie propagiert Abrüstungsmaßnahmen in »kleinen Schritten« ohne vorgegebenen Zeitrahmen und lehnt (bislang) den Abschluss einer Nuklearwaffenkonvention ab. Deutschland brachte in die Vorbereitungskonferenzen des NVV in den vergangenen Jahren einige nützlich Arbeitspapiere ein – u.a. zur Problematik der taktischen Atomwaffen und zur Stärkung des Vertragsregimes –, fordert aber weder den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen von deutschem Boden noch eine Änderung der NATO-Strategie, die nach wie vor die Möglichkeiten eines nuklearen Ersteinsatzes vorsieht (siehe Artikel von Bernd Hahnfeld in dieser W&F-Ausgabe, d. Red.).

Einmischung von unten

Umso stärker sind die nichtstaatlichen Akteure gefragt. Viele Nichtregierungsorganisationen sind weltweit vernetzt, können Strategien zur nuklearen Abrüstung entwickeln und vorschlagen, wie dies mit dem Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention 1996 bereits passiert ist.

Hiroshimas Bürgermeister, Tadatoshi Akiba, setzt sich mit der weltweiten Bürgermeisterkampagne »2020 Vision« für ein weitergehendes Vorhaben ein, als lediglich den – ohnehin unzureichenden – NVV zu retten. In New York will eine Delegation von etwa 100 BürgermeisterInnen an der Überprüfungskonferenz teilnehmen und der internationalen Staatengemeinschaft ihren Plan vorlegen: Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention jetzt beginnen, die Verhandlungen 2010 abschließen, und bis 2020 sämtliche Atomwaffen abrüsten. Gewissermaßen als »Plan B« ist die »second track diplomacy« zu verstehen: Analog des Ottawa-Prozesses für das Verbot der Landminen wird zu einer gemeinsamen Verhandlungsrunde aus »willigen« Staaten und kundigen Nichtregierungsorganisationen eingeladen. Damit sollen die »nicht-willigen« Staaten diplomatisch isoliert werden.

In Deutschland engagiert sich die Kampagne »atomwaffenfrei bis 2020« für eine Atomwaffenkonvention und eine atomwaffenfreie Welt. Die Kampagne wurde vom Trägerkreis »Atomwaffen abschaffen« ins Leben gerufen. Dieser fordert insbesondere den sofortigen Abzug aller US-Atomwaffen, die sich auf deutschem Boden befinden und die im Rahmen der so genannten nuklearen Teilhabe im Kriegsfall auch von deutschen Soldaten eingesetzt würden.

Der Trägerkreis besteht aus 40 Mitgliedsorganisationen. Um sein Ziel – eine atomwaffenfreie Welt – zu erreichen, organisiert er unter anderem öffentlichkeitswirksame Aktionen und Lobbyarbeit bei Politikern und Diplomaten. Außerdem beteiligt sich der Trägerkreis aktiv an nationalen und internationalen Kampagnen, wie der Bürgermeisterkampagne der Mayors for Peace.

Der Trägerkreis versteht sich als deutscher Teil des globalen Netzwerkes »Abolition 2000«. Auch dieses Netzwerk, das 1995 gegründet worden ist, setzt sich für die Abschaffung aller Atomwaffen ein und besteht aus über 2000 Mitgliedsorganisationen weltweit.

Die ganz andere Vision 2020

New York im Mai 2020: Zur zehnten Überprüfungskonferenz des NPT treffen sich die Vertreter der drei Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag nicht gekündigt haben, in einem Café in der Nähe des UN-Hauptquartiers. Sie haben nicht mehr viel zu besprechen. Nach dem totalen Scheitern der siebten Konferenz 2005 entschieden sich zunächst sämtliche Staaten des Nahen Ostens, Atomwaffen zu entwickeln und zu bauen. Bereits ein Jahr später wurde nach einer Eskalation des Kaschmir-Konfliktes Bombay durch den dritten Atomwaffeneinsatz auf eine Stadt ausgelöscht. Die USA reagierten auf die andauernden »dirty bomb-Terroranschläge« im eigenen Land mit dem massiven und flächendeckenden Einsatz ihrer neu entwickelten Bunker Busters, wo auch immer Terrorzellen oder unterirdische Atomanlagen vermutet wurden. Kriegsführung mit nuklearem Material ist zur Normalität geworden, selbst in Bürgerkriegen auf dem mittlerweile so gut wie entvölkerten Kontinent Afrika finden Mini-Atombomben ihren Einsatz.

So weit die Befürchtung. Auch dieses Mal ist die Wirklichkeit vermutlich komplizierter.

Es bleibt zu hoffen, dass die Überzeugungskraft friedliebender Staaten und die Beharrlichkeit internationaler Nichtregierungsorganisationen der siebten Überprüfungskonferenz zum Erfolg verhelfen.

Anmerkungen

1) „U.S. seeks to defang NPT“ in: Japan Today, 31.12.2004.

Jörg Welke ist freier Journalist und arbeitet derzeit als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Sektion der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW).

Abrüstung und Rüstungskontrolle

Abrüstung und Rüstungskontrolle

Voraussetzung oder Folge von Deeskalation?

von Herbert Wulf

Abrüstung und Rüstungskontrolle sind kein zentrales Thema auf der heutigen politischen Agenda.1 Die Hochphase der Rüstungskontrollverhandlungen der 1980er Jahre, die zum Abschluss einiger wichtiger Verträge führte (INF, START I, CWC)2 ist vorüber, ebenso die Phase der Abrüstung unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges. Manche Verhandlungen wurden gestoppt und der Vertrag zum Verzicht auf Nukleartests (Comprehensive Nuclear Test-Ban Treaty, CTBT) ist bis heute nicht in Kraft, auch wenn sich die Atommächte bislang daran halten. Haben Abrüstung und Rüstungskontrolle angesichts der Rüstungskontrollkrise und der Umkehr des Abrüstungsprozesses von Anfang der 1990er Jahre heute keine Chance mehr?

Um Erfolg oder Misserfolg von Abrüstung und Rüstungskontrolle einschätzen zu können, ist es erforderlich, die Messkriterien hierfür zu benennen. Wenn das Ziel die vollständige Abrüstung sein sollte, wie dies in der Gründungsphase der Vereinten Nationen der Fall war, dann muss man tatsächlich von Scheitern sprechen. Sind die Ziele aber niedriger gesteckt, beispielsweise dass Abrüstung und Rüstungskontrolle in den Kriegen und Krisen des 21. Jahrhundert eine deeskalierende Rolle spielen können, dann sieht die Bilanz zwar nicht rundum positiv, aber auch nicht völlig negativ aus.

Ziele von Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik

Für die heutige Relevanz von Abrüstung und Rüstungskontrolle lohnt ein Blick auf die Konzeption und Entwicklung dieser Politiken des letzten halben Jahrhunderts. In den 50er Jahren blockierte der Ost-West-Konflikt alle Abrüstungsbemühungen. Angesichts der wachsenden Nuklearwaffenpotenziale und der zunehmenden Zahl der Atomwaffenstaaten, aber auch der steigenden Ausgaben für Militär und Rüstung war das ursprüngliche Ziel der vollständigen Abrüstung offensichtlich nicht durchsetzbar. Ende der 50er Jahre wurde daher, zunächst in der »strategic community« in den USA, dann auch in den dortigen Ministerien und in anderen Ländern über eine Alternative nachgedacht. Das wichtigste Ergebnis war die »arms control«, die Rüstungskontrolle, oder wie der von Wolf Graf von Baudissin im Deutschen geprägte Begriff genauer beschreibt, die »kooperative Rüstungssteuerung«.3 Als »Manifest« der Verfechter der Rüstungskontrolle gilt vielfach ein Aufsatz von Morton Halperin und Thomas Schelling aus dem Jahr 1961. Die Autoren entwickeln drei zentrale Kriterien für erfolgreiche Kontrolle der Rüstung: Die Erhöhung der Stabilität, die Verringerung der Zerstörungsfähigkeit und die Verminderung der Kosten der Waffensysteme bzw. der Militärapparate.4

Um Stabilität zu erzielen, ist kooperatives Verhalten erforderlich – am Besten auf der Grundlage verbindlicher Abmachungen und unter intensiver gegenseitiger Aufsicht; denn, wie es später die »Palme-Kommission«5 formulierte, kann es Sicherheit angesichts der gegenseitigen Zerstörungsfähigkeit nur gemeinsam geben. Alle Beteiligten, so die Grundannahme, haben Interesse an der Erhaltung von Stabilität, um die Kriegsgefahr zu dämpfen, riskantes Verhalten in Krisen zu vermeiden und die Kosten zu senken.

Die Stabilisierung der zerstörungsträchtigsten Waffen wurde in den folgenden drei Jahrzehnten zum zentralen Gegenstand vielfältiger Bemühungen. Auch die Verminderung der Zerstörungswirkung war ein Ziel internationaler Verhandlungen, wenn auch oft mit dem Hintergedanken, damit Nuklearwaffen einsatzfähig zu machen. Kaum eine Rolle spielten hingegen Kostenüberlegungen. Die Rüstungshaushalte wuchsen und die populäre Forderung, Entwicklung statt Abrüstung, blieb ein Ziel, das tatsächlich in immer weitere Ferne rückte. Vielleicht wichtiger noch: In vielen Fällen wurde hingenommen, dass Rüstungskontrolle zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion mit quantitativer und qualitativer Aufrüstung einherging, so in den SALT I und SALT II Abkommen über strategische Nuklearwaffen. Gegenüber den nuklearen Habenichts-Staaten hingegen wurde versucht, den Verzicht auf Atomwaffen im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages durchzudrücken.

Es fehlte der Rüstungskontrolle wegen dieses begrenzten Ansatzes nicht an Kritikern. Viele, nicht nur in der Friedensbewegung der späten 70er und 80er Jahre, sahen in der einseitigen Betonung der Stabilität einen Verrat am Ziel der Abrüstung. Einen Abbau der Waffenbestände hatte die Rüstungskontrolle bis in die 80er Jahre hinein nicht erreicht. Andere kritisierten den Gedanken als realitätsfremd, dass miteinander verfeindete Staaten daran interessiert sein könnten, Stabilität, ein Festhalten am status quo, zu vereinbaren. Ein Vertreter der realistischen Schule, Colin Gray, etwa formulierte sinngemäß: Rüstungskontrolle seit unmöglich, wenn sie nötig sei und nicht nötig, wenn sie möglich sei.6

Diese Situation änderte sich erst in der Endphase des Ost-West-Konfliktes. Unter dem Eindruck wachsenden wirtschaftlichen Rückstands gegenüber dem Westen war die Sowjetunion bereit auch Verträge abzuschließen, die man zuvor noch als nachteilig für die strategische Stabilität mit den USA angesehen hatte, wie den Vertrag über die Begrenzung von Mittelstrecken-Nuklearwaffen (INF). Das Tempo der Rüstungskontrolle steigerte sich enorm, und die Abkommen waren nun regelmäßig mit Reduzierungen von Waffensystemen verbunden. Rüstungskontrolle und Abrüstung fanden parallel zueinander statt. Mit dem INF-Vertrag wurde eine bestimmte Klasse nuklearer Waffensysteme abgebaut. Auf START I folgte START II mit tiefen Einschnitten bei den strategischen Nuklearwaffen, obwohl START II nie ratifiziert wurde. Die Chemiewaffenkonvention wurde ausgehandelt, die die Abschaffung einer ganzen Kategorie von Waffen vorsieht. In Europa wurde der Vertrag über konventionelle Streitkräfte (KSE) abgeschlossen und die Streitkräfte in Ost und West deutlich reduziert.

Auch in dieser kurzen Hochphase der Rüstungskontrolle blieb das Kriterium der Stabilität vorrangig. Abrüstung war wichtiges Nebenziel und wurde beschränkt auf Fälle, die allgemein als stabilitätsfördernd angesehen wurden. Die Zerstörungswirkung wurde ebenfalls stärker beachtet, etwa bei der Aushandlung der Chemiewaffenkonvention. Das Kriterium der Kostenersparnis blieb weiterhin im Hintergrund, obwohl finanzielle Engpässe viele Abrüstungsschritte beflügelten. Nur am Rande wurden die Kosten der Abrüstung, nämlich die Verschrottung oder Entsorgung der Waffen, bedacht, die in einzelnen Fällen erheblich sein können, so beispielsweise bei den Chemiewaffen, bei der Entsorgung der Atomsprengköpfe oder beim Räumen von Minen.

Eskalation – Stabilität – Deeskalation

Parallel zur Definition des Konzeptes der »arms control« mit dem Hauptziel der Sicherung der Stabilität zwischen gegnerischen Systemen, propagierten die Vertreter der klassischen realistischen Schule, der »strategic studies«, in den USA das Konzept der Eskalation. Die RAND Corporation etwa oder Hermann Kahn,7 bemühten sich um Konzepte, Nuklearwaffen im Krieg einsetzen zu können und dabei selbst Herr der Lage zu bleiben, also die Eskalation zu beherrschen. Auch wenn das Konzept der Eskalationskontrolle im strategischen Denken immer einen Stellenwert behalten hat, so setzte sich doch mit der Entstehung des nuklearen Gleichgewichts, der gegenseitig gesicherten Zerstörung (mutual assured destruction), die Erkenntnis durch, dass die Kontrolle der Eskalation nicht mehr nur von der Dominanz des eigenen militärischen Potenzials abhängig ist, sondern dass die Kategorie von militärischer Überlegenheit oder Unterlegenheit mit der Existenz und Anhäufung der Atomwaffen grundsätzlich in Frage gestellt war. Die Anerkenntnis dieses Zustandes war die Voraussetzung für Rüstungskontrolle und des Konzepts der Gemeinsamen Sicherheit, wie sie sich in den 1970er und 1980er durchsetzten.

Die Frage ist, kann aus diesen Erfahrungen – dass Eskalation auch im engen militärischen Sinne eine fragliche Kategorie geworden ist, dass das Konzept der Erhaltung der Stabilität immerhin auf eine Geschichte zurückblicken kann, in der die Nuklearwaffen nicht eingesetzt und eine direkte kriegerische Konfrontation zwischen Ost und West vermieden werden konnte – für die heutigen Krisen und Konflikte etwas abgleitet werden?

Die Fortentwicklung zu einem Kontinuum Eskalation – Stabilität – Deeskalation scheint logisch. Wenn Rüstungskontrolle in manchen Bereichen Eskalation verhindern und in anderen zur Stabilität beitragen konnte, warum nicht auch zur Deeskalation? Das Paradigma der Deeskalation nimmt – wie in der Vergangenheit das Eskalationskonzept und die Rüstungskontrolle – „konfrontative Zuspitzungen im internationalen System“, nämlich Krisen und Kriege, sowie „vor allem die Konfliktdynamik und ihre Akteure ins Visier“. Anders als die Eskalations- und Stabilitätskonzepte geht Deeskalation davon aus, „einen aktiven politischen Prozess der Konflikttransformation“ bewirken zu können.8 Deeskalation will nicht nur die Krise verhindern, sondern durch Prävention oder Nachsorge positiv beeinflussen. Und die Frage schließt sich an, ob Abrüstung und Rüstungskontrolle dazu beitragen können oder ob sie lediglich Resultat der Deeskalation sind. Simpel ausgedrückt (und nochmals an das oben zitierte Diktum von Colin S. Gray angeknüpft und vom Kopf auf die Füße gestellt): Ist Rüstungskontrolle nötig, um den politischen Prozess zur Kontrolle von Krisen und Schaffung von Frieden zu ermöglichen; oder kann Abrüstung und Rüstungskontrolle nur dem politischen Prozess folgen und ist sie dann überhaupt noch nötig?

Praktische Ergebnisse von Rüstungskontrollverträgen – drei Beispiele

1. Die Ambivalenz der Ergebnisse des Atomwaffensperrvertrags: Die Rüstungskontrolle hat, trotz der Krise seit Mitte der 1990er Jahre, auch Erfolge zu verzeichnen. Der wohl wichtigste war die im Mai 1995 ausgehandelte unbefristete Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages. Bei Abschluss des Vertrages im Jahr 1968 und der Ratifizierung im Jahr 1970 bestand die Befürchtung, dass innerhalb kurzer Frist mindestens zwei Dutzend Länder über Atomwaffen verfügen würden. Der Atomwaffenvertrag hat, trotz mancher Rückschläge, die Realisierung dieses Szenarios verhindert; eine Eskalation dieses Ausmaßes ist ausgeblieben, obwohl der Bau der Bombe in Israel, Indien und Pakistan sowie möglicherweise jetzt auch Nordkorea zur Sorge Anlass gibt. Der Vertrag sieht aber nicht nur die Begrenzung der Atomwaffenländer vor, sondern auch die Förderung der Entwicklung zivil nutzbarer Atomtechnologie und auch die Verpflichtung der Atomwaffenbesitzer, Verhandlungen zu einem möglichst frühen Termin zur generellen und vollständigen Nuklearabrüstung durchzuführen. Dieser letzte Passus im Vertrag (Artikel 6) wurde bei der Überprüfungskonferenz im Jahr 2000 noch einmal bestätigt. Aber kein Nuklearwaffenstaat hat diese Verpflichtung jemals ernst genommen oder zeigt sich gewillt, die vollständige Abrüstung der Atomwaffen tatsächlich in Angriff zu nehmen. Die Bemühungen der Atommächte, aber auch vieler anderer Ländern, zielen weiterhin auf Verhinderung der Proliferation von Atomwaffen und der zur Herstellung relevanten Technologien ab. Diese Politik ist zweifellos zu begrüßen. Aber nicht nur die potenziellen Atomwaffen der Möchtegerne wie Nordkorea oder der Verdächtigen wie Iran und der außerhalb des Atomwaffensperrvertrages stehenden Atommächte wie Indien, Israel und Pakistan sind das Problem, sondern ebenso und vor allem die Atomwaffen der völkerrechtlich anerkannten Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA. Mohamed El Baradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), kritisiert die einseitige Forderung der Nuklearstaaten, dass andere Länder keine Nuklearwaffen beschaffen sollen. Mit Blick auf die USA und deren Verhältnis zu Nordkorea sagte er: „In Wahrheit gibt es keine guten oder bösen Nuklearwaffen. Wenn wir nicht aufhören, doppelte Standards anzuwenden, werden wir mit noch mehr Nuklearwaffen rechnen müssen.“ 9 Wenn die Eskalation in diesem Rüstungssegment weiterhin verhindert und zumindest Stabilität erhalten werden soll, muss eine Deeskalation einsetzen. Die Doppelmoral der Atommächte gefährdet die positiven Ergebnisse der Vergangenheit. Um die Atomambitionen heimlicher und potenzieller Atomwaffenländer zu stoppen, muss eine realistische Perspektive der schon 1968 vereinbarten vollständigen Nuklearabrüstung aufgezeigt werden. Angesichts der nach wie vor großen Zahl von Nuklearsprengköpfen können die Atommächte hier deutlich »Flagge zeigen« und durch Abrüstungsmaßnahmen einen Deeskalationsprozess einleiten, der sich dann vertraglich abgesichert verstärken kann. Abrüstung kann also als Basis oder Voraussetzung für Deeskalation genutzt werden.

2. Abrüstung und Rüstungskontrolle als Folge von Deeskalation – der KSE-Vertrag: 1990, kurz vor der Auflösung des Warschauer Vertragsorganisation (WVO), unterzeichneten die NATO und die WVO den für Europa gültigen Vertrag über konventionelle Streitkräfte (KSE), in dem die Vertragsstaaten einem umfassenden Stabilitätssystem aber auch der Ausmusterung von über 50.000 schweren Waffen und einer deutlichen Reduzierung der Zahl der Soldaten zustimmten. Der Vertrag ist die Grundlage für die heute militärisch entspannte Situation in Europa. Dem Vertragsabschluss waren komplizierte und kontroverse Verhandlungen vorausgegangen. Mehr noch: Über mehr als ein Jahrzehnt hatten sich die erfolglosen Verhandlungen über »Mutual Balanced Force Reductions« (MBFR)hinzogen. NATO und WVO nutzten die Verhandlungen, um der anderen Seite Rüstungseinschränkungen abzuringen und damit die eigene Position zu stärken. Vordergründig konnte man sich nicht über die Personal- und Waffenbestände verständigen; jede Seite legte Zahlenmaterial vor, das die andere Seite anzweifelte.

Es bedurfte des KSZE-Prozesses (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und der sogenannten Helsinki-Vereinbarung von 1975, in der vage, aber politisch bedeutsame Absprachen über die Achtung der Menschenrechte, wirtschaftliche Kooperation und Sicherheit in Europa getroffen wurden. Dieser politische Vorlauf von zwei Jahrzehnten (1973 fanden Konsultationen zu MBFR statt, 1992 trat der KSE-Vertrag in Kraft) war offensichtlich notwendig, um Vereinbarungen über den Abbau militärischer Potenziale zu treffen. In diesem Falle waren Abrüstung und Rüstungskontrolle die Folge der Deeskalation. Das gesamte Verhältnis zwischen Ost und West musste sich gründlich ändern, vertrauensbildende Maßnahmen mussten erfolgen, bevor beide Seiten bereit waren, Abstriche an der im Zentrum Europas massierten militärischen Macht vorzunehmen. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes waren die Waffenarsenale offensichtlich überdimensioniert. Abrüstung war nicht nur vertraglichen Vereinbarungen zu verdanken sondern vor allem dem verbesserten politischen Klima. Tatsächlich sind in der Laufzeit des KSE-Vertrages erheblich mehr Waffen abgebaut worden (ähnlich wie bei START), als der Vertrag dies erforderte.

3. Deeskalation als Ergebnis von Abrüstung – Anti-Personenminenvertrag und Kleinwaffen: Als in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine ganze Reihe institutionalisierter Rüstungskontrollforen in die Krise kam (einige Verträge sind bis heute blockiert), war dennoch der Abschluss der Landminenvereinbarung möglich. Mit dem Ende des Kalten Krieges und parallel zur Etablierung der USA als einziger Supermacht setzte in vielen Ländern eine Neubewertung militärischer Risiken und damit auch der Bedeutung der Rüstungskontrolle ein. Interventionen in fernen Regionen wurden zahlreicher. Multilaterale Friedensmissionen auf der Basis eines Mandates der Vereinten Nationen rückten als neue militärische Aufgabenstellungen in den Mittelpunkt. Das Kriegsgeschehen in vielen Regionen der Welt wurde stärker beachtet und es herrscht weitgehende Übereinstimmung darüber, aus humanitären Gründen auf gewaltsam ausgetragene Konflikte deeskalierend einwirken zu müssen.10 Neben der daraus abgeleiteten notwendigen Umstrukturierung der Streitkräfte fanden die in diesen Konflikten vorrangig eingesetzten Waffen, wie Landminen und Kleinwaffen, erhöhtes Interesse der internationalen rüstungspolitischen und rüstungskontrollpolitischen Diskussion.

Die Art der Rüstungskontrolle, wie sie im Kalten Krieg etabliert worden war, erwies sich als nicht angemessen für diese neue Situation. Denn Stabilität war offensichtlich nicht das wesentliche Problem. Wichtiger waren die Verminderung der Zerstörungswirkung von Waffen, konkret der Schutz von Menschenleben, die Reduzierung der Waffenkosten und als neues Ziel kam die Deeskalation von Konflikten hinzu. Der Anti-Personenminenvertrag ist ein gutes Beispiel für die Umorientierung der Rüstungskontrolle. Wichtige Staaten, voran die USA, wollten Schützenminen alter Bauart verbieten, Minen mit modernen Selbstzerstörungsmechanismen aber zulassen. Dieser Ansatz entspricht der klassischen Rüstungskontrolle. Dem Problem, in diesem Fall der Gefährdung von Zivilisten, soll durch moderne Technik begegnet werden. Doch die meisten Vertragsstaaten stimmten der technischen Variante nicht zu. Weil eine Lösung im Forum der traditionellen Rüstungskontrolle (im Rahmen der Abrüstungskonferenz in Genf) nicht erreichbar war, verhandelte eine große Zahl sogenannter »gutwilliger« Staaten erfolgreich in einem neuen Rahmen, dem »Ottawa-Prozess«.

Der Vertrag von Ottawa11 ist weit davon entfernt, das Problem der Landminen gelöst zu haben. Dennoch zeitigte der Vertrag nicht nur Erfolge bei der tatsächlichen Räumung von Minen und der Zustimmung einer Mehrzahl der Länder, in Zukunft keine Anti-Personenminen herzustellen, zu verkaufen oder einzusetzen, sondern darüber hinaus gab es indirekte Folgen. Regierungen, die jahrelang im Rüstungskontrollforum die Verhandlungen blockiert hatten, sahen sich plötzlich mit einem Vertrag konfrontiert, dem sie zwar nicht angehörten, der aber dennoch öffentlichen moralischen Druck auslöst. Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) hatten genügend Druck erzeugt, um den Vertrag zu ermöglichen. Während die NRO sich vornahmen, dieses positive Ergebnis in anderen Bereichen zu wiederholen, bemühten sich viele Regierungen darum, dass ihnen das Rüstungskontrollforum nicht nochmals aus der Hand genommen wurde. Die derzeitigen Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen zur Kontrolle der Kleinwaffen (also Pistolen, Gewehre, Maschinengewehre usw.) sind auch ein Ergebnis des Landminenvertrages. Zunächst widerwillig, inzwischen aber doch ernsthafter, wurden Maßnahmen vereinbart und ein Aktionsprogramm in Angriff genommen, um der Anti-Personenminenplage Herr zu werden.12 Im Falle des Ottawa-Vertrages war es also möglich (in begrenztem Umfange) Abrüstungsmaßnahmen zu vereinbaren, um die Folgen dieser Waffen in den Konflikten einzuschränken. Zwar sind sich die Fachleute darüber einig, dass Minen und Kleinwaffen nicht die Ursache für gewaltsame Auseinandersetzungen sind, aber die leichte Verfügbarkeit der Waffen erhöht das Gewaltniveau. Die Deeskalation ist Ergebnis von Abrüstung und Abrüstung wiederum trägt zur Transformation der Konflikte bei.

Wie weiter?

Was sind die Unterschiede zwischen der »klassischen« Rüstungskontrolle und etwa den Verhandlungen im Rahmen des Ottawa-Prozesses? Zunächst ist hervorzuheben, dass der am Ende des Prozesses stehende Vertrag von Ottawa kein Rüstungskontroll – sondern ein Abrüstungsvertrag ist. Militärische Stabilität spielt keine Rolle, sondern die Verhinderung der Zerstörungswirkung von Waffen und die Schaffung von Voraussetzungen für politische Verständigung zur Entschärfung von Krisen und Beendigung von Kriegen. Allerdings fehlen wichtige Unterschriften von Staaten unter dem Ottawa-Vertrag. Länder wie die USA, Russland, Indien und China wollen aus militärischen Gründen nicht auf Anti-Personenminen verzichten.

Die mit einer Unterzeichnung des Vertrages von Ottawa verbundenen Kosten sind relativ gering und die positiven wirtschaftlichen Folgen der Minenräumung machen die Kosten mehr als wett. Es gibt keine aufwendige Verifikationsmaschinerie, nicht einmal eine Institution (wie im Falle der Chemiewaffen), die das Abkommen überwacht. Die Vertragsstaaten überwachen sich gegenseitig und durch regelmäßige Vertragskonferenzen. Wichtiger aber ist, dass die internationale Szene von NRO, die im Abkommen gar nicht erwähnt ist, die Überwachung übernommen hat und entsprechende Verstöße anprangert. Die Kombination »gutwilliger« Regierungen, vielfältiger national oder international operierender NRO und mobilisierter Öffentlichkeit ist der beste, und im Grunde einzige, Garant für die Einhaltung des Vertrages.

Der Vertrag von Ottawa hat seine Grenzen. Trotzdem war der neue Ansatz im Ottawa-Prozess weit erfolgreicher als die Verhandlungen im Rahmen der traditionellen Rüstungskontrollforen. Der Ottawa-Prozess ist bisher der einzige Fall »humanitärer« Rüstungskontrolle geblieben – der Schutz der Zivilbevölkerung vor diesen Waffen steht im Mittelpunkt. Ansätze hierfür gibt es auch bei den Kleinwaffen. Sie sind die eigentlichen Massenvernichtungswaffen; da die meisten Menschen in Kriegen durch Kleinwaffen und nicht durch konventionelle Großwaffen oder Atomwaffen sterben, ist deren Kontrolle besonders dringlich.

Abrüstung und Rüstungskontrolle können keine Garantie dafür geben, dass Krisen und Konflikte deeskalieren. Es gibt sowohl Situationen, in denen Abrüstung und Rüstungskontrolle die Voraussetzung für Deeskalation sein können als auch umgekehrt, politisch vereinbarte Deeskalation das Herunterfahren der Rüstungsarsenale möglich macht. Rüstungskontrolle und Abrüstung können an beiden Möglichkeiten auch für die Zukunft ansetzen.

Anmerkungen

1) Rüstungskontrolle zielt auf die Stabilität zwischen Gegnern ab und kann auch kontrollierte Aufrüstung bedeuten, während Abrüstung die Reduzierung militärischer Ressourcen (Waffen, Personal, Finanzen) bedeutet.

2) INF = Treaty on the Elimination of Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles 1988; START = Treaty on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms (START I 1994, START II, unterzeichnet 1993, nicht in Kraft); CWC = Chemical Weapons Convention 1997).

3) Baudissin, Wolf von und Lutz, Dieter S.: Kooperative Rüstungssteuerung. Sicherheitspolitik und strategische Stabilität. Baden-Baden, Nomos, 1981.

4) Halperin, Morton and Thomas Schelling: Strategy and arms control. Washington, DC, Pergamon-Brassey’s, 1975.

5) Der Palme-Bericht: Common Security. Bericht der Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit, Berlin 1982.

6) Colin S. Gray: House of Cards. Why Arms Control Must Fail. Ithaca, N. Y., 1992.

7) Herman Kahn: On Escalation. Metaphors and Scenarios, London: Pall Mall Press 1965 (Hudson Institute Series on International Security and World Order).

8) Siehe den Beitrag von Corinna Hauswedell in dieser W&F Ausgabe, S. 7.

9) El Baradei, Mohamed: U.S. Should Set Nuclear Disarmament Example, Reuters 26. August 2003. Zitiert in Disarmament Diplomacy, Nr. 73, Oktober/November 2003, S. 43.

10) Siehe hierzu jüngst United Nations High-level Panel on Threats, Challenges and Change: A More Secure World. Our Shared Responsibility. New York 2004.

11) Zum Inhalt des Vertrages sowie den Mitgliedsländern siehe SIPRI: SIPRI Yearbook 2004, Oxford University Press, Oxford 2004, S. 803 – 804.

12) Graduate Institute of International Studies: Small Arms Survey 2002. Oxford, Oxford University Press.

Prof. Dr. Herbert Wulf ist ehemaliger Leiter des Bonn International Center for Conversion (BICC). Er ist Berater des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) für Nordkorea und Vorsitzender des Vorstands von Wissenschaft und Frieden.