Kommunale Konfliktberatung


Kommunale Konfliktberatung

Herausforderungen gesellschaftlicher Veränderungen friedenslogisch bearbeiten

von Hagen Berndt und Ornella Gessler

Krisen und gesellschaftliche Veränderungen schaffen Verunsicherung und Konflikte. Ein wesentlicher Teil davon wird auf kommunaler Ebene erlebt und ausgehandelt. Akteur*innen in Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung von Städten, Gemeinden und Landkreisen sind damit befasst. »Kommunale Konfliktberatung«, die im Folgenden dargestellt wird, kann Akteur*innen dabei unterstützen und friedenslogisches Vorgehen gegenüber sicherheitslogischen Lösungsansätzen stärken.

Gesellschaft ist immer im Wandel. In Städten, Gemeinden und Landkreisen werden größere gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche für die Bürger*innen alltäglich und direkt spürbar, beispielsweise in strukturellen Veränderungen wie Gebietsreformen, Digitalisierung oder Rückbau oder Sanierung von Stadtteilen. Kommunale Akteure aus Verwaltung, Politik oder Zivilgesellschaft gehen mit diesen (neuen) gesellschaftlichen Herausforderungen tagtäglich um, sie setzen politische Vorgaben um, sie gestalten diese oft mit und reagieren auf konkrete Herausforderungen (Bogumil und Holtkamp 2013). Allerdings gibt es häufig auch in gut funktionierenden kommunalen Strukturen für den Umgang mit Konflikten und Krisen keine erprobten Lösungswege, insbesondere wenn dabei politische, soziale und kulturelle Teilhabe unterschiedlicher Gruppen gewährleistet und unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse mit einbezogen werden sollen.

Konfliktbearbeitung in Kommunen

Wie mit Konflikten umgegangen wird und nicht ob Konflikte überhaupt ausgetragen werden, ist wesentlich. Gewöhnlich funktionieren gesellschaftliche Institutionen der Konfliktbearbeitung gut (Stadt- und Gemeinderäte, Gerichte, Vereine, Schlichtungsmechanismen etc.). Häufig gibt es bereits kompetente Personen oder glaubwürdige Einrichtungen, die dabei unterstützen, dass das »Konfliktmanagement«1 in konstruktiven Bahnen verläuft. Wenn jedoch die Beantwortung neuer Herausforderungen auf Schnittstellen definierter Verantwortlichkeiten stößt, zeigen sich häufig die Grenzen dieser Institutionen.

Der Konfliktforscher Friedrich Glasl beschreibt in seinem Modell über Konfliktdynamiken (1998), dass sich unbearbeitete Konflikte in eine zunehmend gewaltträchtigere Eskalationsspirale begeben können. Bei fortgeschrittener Eskalation ist Glasl pessimistisch, ob die Deeskalation ohne eine Intervention von außen noch gelingen kann. Er schlägt eine Intervention beispielsweise durch unterstützende Mediation, bei höheren Eskalationsstufen auch die gewaltförmige Intervention vor.

Diese Differenzierung von Interventionen findet im kommunalen Raum jedoch selten statt. Konflikte werden häufig früh durch sicherheitslogische Interventionen angegangen, z.B. durch Einsatz von Polizei, Repression und staatlicher Überwachung. Methoden und Ansätze, die einem friedenslogischen Vorgehen (vgl. Birckenbach 2012) entsprechen, nutzen eher die Entwicklungschancen von Konflikten. Beispiele sind hierfür z.B. Community Communication (Stiftung SPI 2017) oder Kommunale Konfliktberatung.

Systemische Beratung für die Konfliktbearbeitung

Der systemische Ansatz der Kommunalen Konfliktberatung ist aus der Beratungspraxis zu kommunalen Konflikten entwickelt worden (vgl. Berndt und Lustig 2014).2 Kommunale Konfliktberatung setzt dort an, wo bestehende Problemlösungsfähigkeiten, Institutionen und Strukturen an ihre Grenzen stoßen. Akteur*innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Verwaltung werden dabei begleitet, die komplexen lokalen Herausforderungen und Konflikte zu entwirren, Bedürfnisse verschiedener Interessengruppen herauszuarbeiten, die Wirkung (oder fehlende Wirkung) von Lösungsansätzen zu verstehen und neue Optionen zu entwickeln.

Kommunale Konfliktberatung betrachtet Konfliktdynamiken vor Ort systemisch. Die Verantwortung für den Umgang mit den Herausforderungen verbleibt im gesamten Prozess bei den Akteur*innen in der Kommune, sie sind selbst für die Auswahl und Umsetzung von Strategien und Lösungen zuständig. Die Autonomie der Akteur*innen bei der Entscheidung über ihre Handlungen, die den Konfliktverlauf beeinflussen (könnten), wird von der Beratung unterstützt. Während des Beratungsprozess werden funktionierende Ressourcen und Ansätze genutzt und gestärkt. Die Beratung findet in Form einer mandatierten, allparteilich verstandenen Intervention durch ein externes Beratungsteam in einem begrenzten Zeitraum statt (Berndt und Lustig 2016; Berndt und Dörner 2021).

Der Beratungsprozess der Kommunalen Konfliktberatung ist idealtypisch in sieben Schritte gegliedert, die sich in ihren Grundsätzen an konstruktive Erfahrungen mit Konfliktbearbeitung anlehnen. Aufgrund der Komplexität gesellschaftlicher Strukturen und Interdependenzen werden jedoch in jedem Beratungsprozess Anpassungen vorgenommen, daher verläuft die Beratung oftmals nicht strikt chronologisch. Im gesamten Beratungsprozess bedarf es stets einer kritischen Reflexion gesellschaftlicher Machtverhältnisse: werden alle Stimmen gehört, »erleben« die Konfliktakteur*innen sich zusätzlich auch als gehört und werden ihre berechtigten Anliegen für Entscheidungen wirksam?

Kommunale Konfliktberatung versteht sich als allparteiliches Vorgehen. Aufgrund gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die Menschen systematisch ausschließen, die von Klassismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Trans- und Homofeindlichkeit oder anderen Formen der Diskriminierung betroffen sind, bezieht Kommunale Konfliktberatung im Sinne einer Allparteilichkeit deren Perspektiven bewusst in den Beratungsprozess ein. Dies bedeutet auch, in der Beratungspraxis Widersprüche sichtbar zu machen, auszuhalten und neue Lösungswege zu entdecken.

Im Folgenden wird der idealtypische Aufbau einer Beratung skizziert.

Vertrauen aufbauen und Beratungsmandat klären

Zu Beginn werden Gespräche mit kommunalen Entscheidungsträger*innen geführt. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen und das Einverständnis der Akteur*innen für die Beratung einzuholen. Der Beratungsprozess wird durch eine Kooperationsvereinbarung mandatiert. Die Konfliktberater*innen agieren jedoch während der Beratung als unabhängige, externe Intervenierende (s. a. Blunck 2021).

Perspektiven hören und Konfliktdynamiken verstehen

Im nächsten Schritt des Beratungsprozesses führen die Konfliktberater*innen vor Ort Hintergrundgespräche mit Akteur*innen, um die verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen, Wahrnehmungen, Interessen und Bedürfnisse zu hören. Es ist wichtig einen Rahmen zu schaffen, in dem Akteur*innen sprechen und erleben, dass ihnen zugehört wird, damit sich die Bereitschaft entwickeln kann, sich mit eigenen Rollen im Konflikt und den Anliegen der anderen Akteur*innen auseinanderzusetzen. Die Berater*innen schaffen Raum für empathisches Zuhören, in dem Vertrauliches diskret behandelt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Berater*innen die Positionen und Standpunkte übernehmen.

Zur Erhellung des Konfliktgeschehens wird im folgenden Prozessschritt eine umfassende Situations- und Konfliktanalyse durch systemische Analysemethoden erstellt. Dabei werden Faktoren, die das Konfliktgeschehen beeinflussen, erfasst und Dynamiken dargestellt. Die kommunalen Akteur*innen entwickeln so ein tieferes Verständnis für das Konfliktgeschehen und für ihre eigenen Rollen in Bezug auf Konfliktdynamiken und Handlungen anderer Akteur*innen.

Aus der Praxis: In einer Einheitsgemeinde in Sachsen-Anhalt wurden mehr als 30 eigenständige Dörfer mit einer Kernstadt administrativ zu einem neuen Gebilde zusammengefasst. Die Bewohner*innen waren in unterschiedlicher Weise in die Entscheidungen der Kernstadt eingebunden, abhängig davon, ob sie auch weiterhin über gewählte Ortschaftsräte verfügten, über Heimatvereine organisiert waren oder keine eigenen Strukturen hatten. Sie erlebten zunehmend Einbußen in Bezug auf ihre Selbstwirksamkeit innerhalb der neuen Gemeinde, was sich teilweise in Ablehnung politischer Strukturen niederschlug. Zugleich tat sich in den Augen von Verwaltung und politischen Gremien eine Kluft zu Zivilgesellschaft und Bürger*innenschaft auf, die trotz vieler Bemühungen nicht überbrückbar erschien. Die systemische Situations- und Konfliktanalyse machte den Beteiligten deutlich, dass scheinbar eindeutige Schuldzuschreibungen als Erklärungsmuster für das Geschehen nicht ausreichen. Die Analyse legte offen, dass historische und gegenwärtige Verletzungen (z.B. Nachwendeerfahrungen von Kontrollverlust und Abwertung, Gemeindegebietsreformen), aber auch begrenzte Ressourcen, schwache Strukturen und unzureichende Kommunikation zur Konfliktdynamik beigetragen hatten.

Handlungsoptionen entwickeln

Auf Grundlage der Situations- und Konfliktanalyse werden Handlungsoptionen identifiziert. Die am Konflikt Beteiligten entwickeln selbstverantwortlich neue Handlungsweisen oder passen bestehende Maßnahmen an, um die Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. Die Stärke dieser Phase liegt darin, dass Akteur*innen sich als Handelnde begreifen, die einer Opferhaltung innewohnende Ohnmacht durchbrechen, und gleichzeitig auf ihre eigenen Interessen achten. Berater*innen begleiten und unterstützen dabei, Vertrauen in die Handlungsbereitschaft anderer Akteur*innen zu entwickeln oder Maßnahmen auf intendierte oder nicht intendierte (Neben-)Wirkungen zu untersuchen.

Handlungsoptionen auswählen und Synergien schaffen

In diesem Beratungsschritt stellen Akteur*innen Verbindlichkeiten her und erleben sich als Teil einer konstruktiven Dynamik, an der sie gemeinsam mit anderen wirken. Das zu Beginn des Prozesses den Berater*innen erteilte Vertrauen wird zunehmend auf den Konfliktbearbeitungsprozess und die anderen Konfliktakteur*innen übertragen. Konfliktberater*innen schaffen in dieser Phase primär einen allparteilichen Rahmen für die Entwicklungen eines gemeinsam getragenen Handlungskonzepts und schlagen geeignete Formate für dessen Darstellung vor.

Aus der Praxis: In der oben beschriebenen Gemeinde wurden erfolgreich neue Formen der Bürger*innenkommunikation entwickelt: sogenannte »Zukunftsgespräche«, an denen auch Kommunalpolitiker*innen teilnahmen. Vor Ort ausgewählte Personen wurden zu Moderator*innen fortgebildet. Diese sorgten für eine Atmosphäre gegenseitigen Zuhörens, besonders wenn widerstreitende Ansichten geteilt wurden. Auf Seiten der Bürger*innen konnten auch diejenigen ihre Sichtweisen einbringen, die bislang noch nicht von der Kommunalpolitik gehört worden waren. Die entwickelten Ideen und Vorschläge wurden veröffentlicht und die Bürgermeisterin und die Stadtverwaltung reagierten mit konkreten Antworten und Umsetzungsschritten darauf (VFB Salzwedel e.V. 2019).

Maßnahmen umsetzen und Exit-Strategien

Die letzten beiden Beratungsschritte bestehen in der Begleitung der Maßnahmen und den Exit-Strategien. Die vereinbarten Maßnahmen können z.B. in Aktionsplänen festgehalten, mit Indikatoren belegt und umgesetzt werden. Zum Schluss eines Beratungsprozesses verlassen die Berater*innen diesen. Die Konfliktbearbeitung soll dann durch Akteur*innen in der Kommune selbständig und nachhaltig verlaufen. Zukünftig übertragen sie ihre Erfahrungen auf neue Herausforderungen, mobilisieren und entwickeln Strukturen zur Konfliktbearbeitung.

Ausblick für Kommunale Konfliktbearbeitung

Gesellschaftliche Krisen sind Kennzeichen der Gegenwart. Konfliktbearbeitung wird damit zu einer Zukunftsaufgabe. Kommunen benötigen Strukturen, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. Ausschließlich sicherheitslogische Maßnahmen reichen nicht mehr aus: friedenslogische Konfliktbearbeitung muss gestärkt werden. „Ein zentraler Schritt für den zukunftsfähigen Umgang mit Konflikten ist (…) die Anerkennung, dass es sie gibt, dass sie als Zeichen von Entwicklung und Wandel (…) gelesen werden können, und dass sie Chancen bieten, wenn alle (…) auch Beteiligte der Lösung sind.“ (Gatzemeier und Berndt 2021).

Unsere Erfahrung zeigt: Häufig sind es relativ einfache und die kommunalen Haushalte nur wenig belastende Veränderungen, die Wirkungen im Konfliktgeschehen entfalten. Wir verbinden mit der Kommunalen Konfliktberatung zweierlei: die unabhängige Beratung ist mandatiert und vertrauensvoll angebunden an diejenigen, die Entscheidungen auch umsetzen (Hebelwirkung); die Beratung ermöglicht jedoch auch gesellschaftliche Teilhabe von denjenigen, die auf gewaltfreie Weise bislang wenig Aussicht darauf hatten, ihre Interessen und Bedürfnisse einzubringen (Präven­tionswirkung). Damit kann Kommunale Konfliktberatung zu einer erfolgreichen und nachhaltigen Konflikttransformation auf kommunaler Ebene beitragen. Dies zu gewährleisten, ist Aufgabe zivilgesellschaftlich-staatlicher Zusammenarbeit.3

Anmerkungen

1) Vergleiche für das Verständnis von Konfliktmanagement auch: Bundesregierung 2020.

2) In diesem Artikel werden Erfahrungen aus Beratungsprozessen beschrieben, die im Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung des Vereins zur Förderung der Bildung – VFB Salzwedel e.V. im Rahmen des Projekts »Kommunale Integrationsstrategien für Vielfalt und Teilhabe« ausgewertet wurden. Dieses Projekt wird aus Mitteln der EU aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF), der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie der Stiftungen Dialoge und Begegnungen, Demokratie von unten bauen und Heidehof Stiftung kofinanziert.

3) Ein Beispiel hierfür ist die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Sachsen-Anhalt, der Freudenbergstiftung und dem Verein zur Förderung der Bildung – VFB Salzwedel e.V. über die Gründung des Kompetenzzentrums Kommunale Konfliktberatung, welches Kommunen in verschiedenen Bundesländern bei lokalen Herausforderungen berät.

Literatur

Berndt, H.; Lustig, S. (2014): Kommunale Konfliktberatung. Konzeption zur Beratung von Kommunen im Wandel. Köln: forumZFD.

Berndt, H.; Lustig, S. (2016): Kommunale Konfliktberatung – ein Beitrag zum Umgang mit Fragen des Zuzugs und der Integration. In: Warndorf, P. K. (Hrsg.): Integration – zwischen Konflikt und Prävention. Münster: MV Wissenschaft.

Berndt, H.; Dörner, W. (2021): Kommunale Konfliktberatung. Wenn Konflikt sich nicht von selbst lösen lassen. In: Arajärvi, O. /Schweitzer, C. (Hrsg.): Konfliktbearbeitung in der Nachbarschaft. Praxisbeispiele für ein friedliches Miteinander aus Deutschland, der Slowakei, Indien, den USA und Bosnien-Herzegowina. Bonn: Verlag Stiftung Mitarbeit, S. 83-100.

Berndt, H.; Gatzemeier, U. (2021, i.E.): Integration und Teilhabe: Kommunale Konflikte als Aufgabe und Chance. In: Hohnstein, S., Langner, J., Zschach, M. (Hrsg.): Lokale Konflikte in der Migrationsgesellschaft – Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. Deutsches Jugendinstitut Halle.

Birckenbach, H.-M. (2012): Friedenslogik statt Sicherheitslogik. Gegenentwürfe aus der Zivilgesellschaft. In: Wissenschaft und Frieden, 2/2012, S.42-47.

Blunck, M. (2021): Eine besondere Beziehung: Die „Insider-Outsider“- Dynamik in der Kommunalen Konfliktberatung. In: Großmann, K. et al. (Hrsg.): An Konflikten wachsen oder scheitern? Beiträge zur Reflexion eines komplexen Phänomens. Erfurt, S. 159-172.

Bogumil, J.; Holtkamp, L. (2013): Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. Eine praxisorientierte Einführung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Bundesregierung (2020): Abschlussbericht des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Berlin: Bundes­ministerium des Inneren.

Glasl, F. (1998): Selbsthilfe in Konflikten. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben.

Stiftung SPI (2017): Community Communication. Diskursive Beteiligung im Gemeinwesen.

Verein zur Förderung der Bildung – VFB Salzwedel e.V. (2019): Wir für uns. Ohne Bürgerinnen und Bürger keine Stadt. Kommunale Konfliktberatung in Gardelegen. Selbstverlag.

Hagen Berndt ist Leiter des Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung des Vereins zur Förderung der Bildung – VFB Salzwedel e.V.
Ornella Gessler ist Projektreferentin im Vorhaben „Kommunale Integrationsstrategien für Vielfalt und Teilhabe“ durchgeführt im Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung.

Symbol und Modell Chongqing


Symbol und Modell Chongqing

Entwicklung und soziale Konflikte im chinesischen Hinterland

von Florian Thünken

Die innergesellschaftlichen Konsequenzen der rasanten urbanen Entwicklungen Chinas stehen im Fokus dieses Beitrags. So klaffen große Lücken zwischen den Metropolen und dem eher vernachlässigten Hinterland: es herrscht ein klares Einkommens-, Wohlstands- und Bildungs­gefälle, ebenso unterscheiden sich im direkten Vergleich Lebensweise und Familienstrukturen zum Teil stark. Kaum eine Stadt bündelt diese Herausforderungen so deutlich wie Chongqing, die »größte Stadt der Welt«.

Die Volksrepublik China wird medial allzu oft durch eine wirtschaftliche Linse betrachtet, bei der stetiges und vermeintlich ungebremstes Wachstum im Fokus steht, meist begleitet von beeindruckenden Bildern chinesischer Megastädte, wie z.B. Beijing, Shanghai oder Shenzhen. Diese Bilder der gigantischen, dicht bevölkerten und im ständigen Wandel befindlichen Metropolen, mit ihren riesigen Hochhauslandschaften und einer hochmodernen Infrastruktur, unterstreichen das Bild einer im Aufbruch befindlichen Nation. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich allerdings ein vielschichtiges Bild, gerade mit Blick auf die kleinen und mittelgroßen Städte jenseits der entwickelten Megastädte. Dabei offenbaren sich große Lücken zwischen den Metropolen und den weniger entwickelten kleinen Städten: ein klares Einkommens-, Wohlstands- und Bildungsgefälle, ebenso unterscheiden sich im direkten Vergleich Lebensweise und Familienstrukturen zum Teil stark. Der Zugang zu den großen Städten, und damit zu wichtigen Ressourcen wie Bildung, Arbeit, sozialen Sicherungssystemen und sozialem Wohnungsbau, wird durch systemische Hürden, wie z.B. dem System der Haushaltsregistrierung, dem »Hukou«, erschwert.

Das daraus entstehende soziale Konfliktpotential, welches sich aus der sich öffnenden Schere zwischen arm und reich sowie zwischen städtischem und ländlichem Raum ergibt und das langfristig die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei bedrohen könnte, wird von der Zentralregierung seit Ende der 2000er Jahre mit gezielten Maßnahmen angegangen. Das Programm zur „neuartigen Urbanisierung“, welches mit einer „menschliche[n] Urbanisierung“ von 2014 bis 2020 unter anderem für eine schnellere Entwicklung kleiner und mittelgroßer Städte sorgen sollte, ist eine solche Maßnahme (Meyer-Clement 2015, S. 5-8). Dabei wird der eingeschlagene Weg einer weiteren und stetigen Urbanisierung des Großteils der Landbevölkerung nicht in Frage gestellt. Denn die drohende Überalterung der chinesischen Gesellschaft, noch bevor ein zufriedenstellendes Wohlstandsniveau für große Teile der Bevölkerung realisiert wurde, erhöht den Druck auf die chinesische Regierung, das Land möglichst schnell von der »Werkbank der Welt« hin zu einer Innovationswirtschaft mit höherer Wertschöpfung zu entwickeln.

Im Folgenden sollen die oben beschriebenen Konflikte um Wohlstandsverteilung, Zugang zu Stadt, (Bildungs-)Gerechtigkeit und Differenzen zwischen Stadt und Land am Beispiel der Metropole Chongqing erörtert werden.

Chongqing: geographische und administrative Verortung

Chongqing liegt im Südwesten Chinas am Yangzi und ist die jüngste von fünf sogenannten regierungsunmittelbaren Städten – und die einzige, die nicht an der weiter entwickelten Ostküste liegt. Die Entwicklung des Hinterlands, die Umsiedlung von mehr als einer Million Menschen aufgrund des Baus des Drei-Schluchten-Staudamms in der Nachbarprovinz Hubei, und die Vorgabe, als wirtschaftlicher Motor für große Teile des Südwestens zu wirken, führten dazu, dass Chongqing im Jahr 1997 von der Provinz Sichuan abgespalten wurde. Regierungsunmittelbare Städte unterstehen direkt der Zentralregierung in Beijing und stehen somit auf dem gleichen administrativen Rang wie Provinzen. Zwar handelt es sich administrativ um Städte, doch umfasst das Verwaltungsgebiet oft ein riesiges, wenig urbanisiertes Hinterland. Somit ist es rein formalrechtlich zwar korrekt von Chongqing als größter Stadt der Welt zu sprechen, in Wirklichkeit finden sich neben dem eigentlichen Stadtkern aber viele größere und kleinere Städte sowie kleine und teils sehr arme Gemeinden und Dörfer, die über eine Fläche verstreut sind, die ungefähr der Größe Österreichs entspricht (siehe Karte). Über 65 Prozent der 32 Mio. Einwohner*innen leben bereits heute in Städten und Gemeinden.

In den Fokus des wissenschaftlichen und medialen Interesses rückte die Stadt von 2007 bis 2013, als unter Bo Xilai nicht nur eine radikale Kampagne gegen mafiöse Strukturen geführt wurde, sondern die Verwaltung auch massiv in den sozialen Wohnungsbau investierte, das Hukou-System durchlässiger gemacht und alte sozialistische und maoistische Ideale erneut beschworen wurden. Ähnlich wie in der Nachbarstadt Chengdu in der Provinz Sichuan konzentrierte sich die politische Führung in Chongqing in der Folge auf eine bessere Integration von Stadt und Land, z.B. durch Angleichung der sozialen Sicherungssysteme und Ausbau der Infrastruktur. Damit diente Chongqing auch als Modell: viele der lokalen Experimente spiegeln sich mittlerweile, wenn auch in abgeschwächter Form, in politischen Plänen auf der Zentralebene wider – wie dem »Plan zur neuartigen Urbanisierung«.

Städtischer Wandel und gesellschaftlicher Umbruch im Zentrum

Besucht man die am Berg gebaute Kernstadt Chongqings, so zeigt sich der dramatische Wandel: das historische Stadtzentrum im Bezirk Yuzhong wurde radikal umgestaltet, traditionelle Bauwerke finden sich kaum noch. Viel mehr prägen neue architektonische Landmarken aus Glas und Stahl mittlerweile die städtische Landschaft. Auch die angrenzenden Stadtbezirke vermitteln das Bild einer pulsierenden Metropole, die anscheinend niemals zur Ruhe kommt. Gesellschaftlich ist die Stadt ebenfalls im Wandel begriffen. War das Stadtbild, insbesondere im Zentrum, vor rund zehn Jahren noch von einfachen Lastenträger*innen geprägt, den sogenannten »Bangbang«, so trifft man diese heute nur noch selten an (Qin 2015). Längst haben Expresslieferdienste das traditionelle Gewerbe verdrängt. Wanderarbeiter*innen, die früher oft als »Bangbang« tätig waren, verdingen sich in anderen Branchen und ziehen, auch aufgrund stetig steigender Immobilienpreise, zunehmend in die Peripherie der Großstadt oder kehren gar ganz in ihre Heimatorte zurück, die sich in den letzten Jahren oft teils zu mittelgroßen Städten entwickelt haben. Damit folgen sie vermeintlich der Logik des Urbanisierungsplans der Zentralregierung, der die großen Städte Chinas als wirtschaftliche Motoren versteht, die indirekt umliegende Städte und Gemeinden mit entwickeln sollen.

Die Folgen für die Peripherie

In Chongqing wurden dementsprechend Teile der alten industriellen Basis in Vororte und Satellitenstädte verlegt, in denen sich auch neue Industrien bevorzugt ansiedeln sollen. Zusammen mit der Verschiebung von Arbeitsplätzen wird auch die industrielle Verschmutzung aus den großen urbanen Zentren in die Peripherie verlagert.

Verschlechtert wird die ökologische Situation, gerade in der Peripherie, zusätzlich durch längere Dürreperioden und geringe Niederschlagsmengen. Es wird kontrovers diskutiert, ob dies negative Auswirkungen der Konstruktion des Drei-Schluchten-Staudamms auf das lokale Mikroklima sind, oder, wie die meisten Expert*innen vermuten, es sich eher um Effekte der globalen Erwärmung handelt (Jiao 2013, S. 52f.). Während in der Kernstadt in den letzten Jahren die Luftqualität verbessert wurde, nahm diese in einigen Satellitenstädten rapide ab. Laut Urbanisierungsplan sollen sich Wanderarbeiter*innen und Landbewohner*innen vermehrt in diesen kleinen und mittelgroßen Städten ansiedeln und zur Entwicklung beitragen. Dabei gelten kaum Voraussetzungen für die Ansiedlung, die Haushaltsregistrierung kann in den meisten Fällen problemlos verlegt werden. Die großen Metropolen hingegen sollen den Zuzug stärker reglementieren und dürfen eigene Kriterien für die Niederlassung erlassen. Gängige Kriterien, die oft in Punktesystemen ausgedrückt werden, reichen von einer gesicherten Beschäftigung, einem Dach über dem Kopf oder einer Mindestauf­enthaltsdauer in der Stadt, bis hin zur Verpunktung der eigenen Bildungsbiographie oder der Einzahlung in diverse soziale Sicherungssysteme (Wang 2021, S. 283f.).

Urbanisierung von unten gesehen

Bei Gesprächen mit Menschen, die in kleinen und mittelgroßen Städten in der Peripherie und deren angeschlossenen Gemeinden und Dörfern leben, zeigt sich schnell, dass allerdings nicht nur die politische Lenkung der Migration eine wichtige Rolle bei der Wohnortswahl spielt. Die weitaus größten Faktoren – und oftmals Hindernisse – sind wirtschaftlicher Natur (Zhan 2011, S. 278f.). Dabei üben die großen Metropolen immer noch eine ungebrochene Anziehungskraft aus, insbesondere aufgrund der weitaus besseren Schulen, besser ausgebauter sozialer Sicherungssysteme und eines höheren Lebensstandards.

Die oft unzureichend ausgebildeten Landbewohner*innen können allerdings meist nur um schlecht bezahlte Arbeitsplätze in den Metropolen konkurrieren. Parallel wird das Leben in den großen Städten immer kostspieliger. Somit bleibt vielen Wanderarbeiter*innen letztlich nur die Ansiedlung in weniger beliebten und weniger prosperierenden Städten.

Ein entscheidender Grund dafür, überhaupt in eine kleine Stadt zu ziehen, ist die große Differenz in den Bildungsangeboten zwischen Stadt und Land. Auch wenn die Schulen in kleinen Städten oft immer noch weitaus schlechter ausgestattet sind als jene in den Metropolen, so können durch den Umzug doch die Bildungschancen der eigenen Kinder verbessert werden. Eine bessere Arbeit, berufliche oder gar persönliche Selbstverwirklichung hingegen werden nur selten als Gründe für die Niederlassung in kleineren Städten genannt. Das Verständnis der meisten ist: Nur durch Bildung können die nachfolgenden Generationen einen sozialen Aufstieg erreichen.

Interessanterweise wird das städtische Leben von vielen Landbewohner*innen nicht per se als etwas Erstrebenswertes angesehen, anders als von Partei und Regierung, die Urbanisierung als einzigen Weg zur Modernisierung verstehen. Das Landleben wird generell als ruhiger, selbstbestimmter und gesünder angesehen. Viele neue Stadtbewohner*innen sehen den Aufenthalt in den Städten daher auch als eine Phase, nach deren Ende sie ihren Ruhestand auf dem Land verbringen wollen. Einzig die nachkommenden Generationen sollen langfristig in den Städten Fuß fassen, so das Narrativ.

Konflikte um Boden
und Wohnraum

Bei einem permanenten Umzug in eine Stadt sollte langfristig auch der Hukou in diese Stadt verlegt werden, nur so erhält eine Bewohner*in vollen Zugang zum städtischen System. Um allerdings nicht das Bodennutzungsrecht zu verlieren, das an den Besitz eines ländlichen Hukou geknüpft ist, verlegen Landbewohner*innen oftmals nur den Hukou einer Ehepartner*in in die Stadt. Dieses strategische Kalkül kann zu weiteren Konflikten zwischen ländlicher Bevölkerung und der Regierung führen. Land ist eine knappe Ressource in China, die für die weitere Expansion der Städte, aber auch für die Herstellung der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln, dringend benötigt wird. Haushalte, die ihre Bodennutzungsrechte nicht aufgeben wollen, stellen aus Sicht der Regierung eine doppelte Belastung dar. Sie nehmen sowohl städtische Leistungen in Anspruch, führen ihren Boden aber nicht einer weiteren wirtschaftlichen Verwertung durch die Lokalregierung zu, sei es als Agrar- oder Bauland.

Aufgrund ihrer oft prekären Lage sind neue Stadtbewohner*innen aber häufig nicht gewillt, den eigenen Boden aufzugeben, gilt er doch als letzte Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Die neuen Wohnverhältnisse spielen hierbei ebenfalls eine Rolle. Selbst wenn Landbewohner*innen über verschiedene Programme, bei denen z.B. Agrarland gegen Wohnraum getauscht wird, vergünstigten Zugang zu städtischen Wohnungen erhalten, sind diese oft nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten – trotz »menschlicher Urbanisierung«. Bemängelt werden unter anderem Größe, Qualität und Lage der Wohnungen. Familien vom Land leben oft mit mehreren Generationen unter einem Dach und haben häufig mehrere Kinder. Ersatzwohnungen sind aber meist nur auf die Kernfamilie zugeschnitten, liegen meist in der Peripherie der Städte und es wird nicht selten am Baumaterial gespart.

Selbst in Chongqing, wo überdurchschnittlich viele Ressourcen in den sozialen Wohnungsbau investiert wurden, genießt dieser keinen guten Ruf und wird allenfalls als Sprungbrett in die Stadt gesehen. In kleineren Gemeinden trifft man auf Familien, die lieber illegal eigene Häuser errichten, die es ihnen erlauben einer eher traditionellen Lebensweise nachzugehen, als städtischen Wohnraum in Anspruch zu nehmen. Hier zeigt sich, dass gerade auf der untersten administrativen Ebene die Umsetzbarkeit politischer Vorgaben aus Beijing problematisch ist und die Entwicklung vor Ort gänzlich vom Plan abweichen kann, auch wenn sich dies nicht unbedingt in den Statistiken niederschlägt. Zwar steigt die Urbanisierungsrate Jahr um Jahr – wie sich der Prozess der Urbanisierung konkret gestaltet, wird aber nicht reflektiert.

Fazit

Am Beispiel der regierungsunmittelbaren Stadt Chongqing können eine Vielzahl aktueller sozialer Konflikte im urbanen Raum veranschaulicht werden, die auch in anderen Teilen der Volksrepublik zutage treten. Konflikte um den Zugang zu Städten und sozialen Sicherungssystemen, Verteilung von Ressourcen, in Form von Boden oder Bildung, sind weiterhin ungelöst und werfen die Frage auf, wer zukünftig wo und wie in China leben kann.

Während Migration in kleine und mittelgroße Städte erleichtert wird, können sich die Megastädte weiter abschotten und ihre Bürger*innen nach einem zunehmend engeren Kriterienkatalog zulassen. Zusammen mit der Verlegung von umweltschädlichen Industrien in administrativ niederrangige Orte und der Schaffung eines Systems von Satellitenstädten, die in Abhängigkeit der Megastädte stehen, ergibt sich ein eher düsteres Bild der urbanen Entwicklung. Zwar wird die große Lücke zwischen Stadt und Land perspektivisch in nicht allzu ferner Zukunft überbrückt werden, da ein Großteil der Landbewohner*innen zu Städter*innen wird, allerdings werden sich die Gräben zwischen Städten unterschiedlicher Größe nur langsam verkleinern. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass ein sozialer Aufstieg stark erschwert wird und sich die soziale Schichtenbildung erhärtet, da die großen Städten vornehmlich den gebildeten Eliten offen stehen, während schlechter ausgebildeten Arbeiter*innen der Zutritt verweigert wird. Dies könnte langfristig, anders als von der Regierung und Partei angestrebt, sogar das soziale Konfliktpotential weiter erhöhen und destabilisierend auf die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei wirken.

Literatur

Jiao, M. et al. (2013): Addressing the Potential Climate Effects of China’s Three Gorges Project. Bulletin – World Meteorological Organization, 2013 Vol. 62 No. Special Issue, S. 49-53.

Meyer-Clement, E. (2015): Was ist neu an ­Chinas Programm für „neuartige Urbanisierung“? Kompetenznetz Regieren in China, Background Paper No. 1/2015, S. 1-10.

Qin, J. (2015): Chongqing „Bangbang“: Dushi ganzhi yu xiangtu xing. Beijing: SDX Joint Publishing.

Wang, X. (2021): Permits, Points, and Permanent Household Registration: Recalibrating Hukou Policy under „Top-Level Design“. Journal of Current Chinese Affairs, Vol. 49 (3), S. 269-290.

Zhan, S. (2011): What Determines Migrant Workers’ Life Chances in Contemporary China? Hukou, Social Exclusion, and the Market. Modern China, Vol. 37 (3), S. 243-285.

Florian Thünken ist promovierter ­Sinologe am Institut für Kulturwissenschaften Ost- und Südasiens – Sinologie der Julius-­Maximilians-Universität Würzburg. Er hat zur Peripherie Chongqings geforscht.

Konflikt findet Stadt


Konflikt findet Stadt

Jahrestagung der Plattform ZKB, 6.-8. März 2020, Loccum

von Ute Finkch-Krämer

Die diesjährige Jahrestagung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung hatte das Thema »Konflikt findet Stadt. Was kann kommunale Konfliktbearbeitung leisten?«. Zwei Tage lang diskutierten Aktive der Plattform und ihrer Mitgliedsorganisationen mit Polizist*innen, Vertreter*innen von Kommunalbehörden und Wissenschaftler*innen über dieses Thema. Bemerkenswert und erfreulich war, dass über die geladenen Referent*innen hinaus Polizist*innen und Vertreter*innen von Kommunalbehörden zur Tagung gekommen waren und sich aktiv an der Diskussion beteiligten. Trotz einiger krankheitsbedingter Absagen waren etwa 75 Teilnehmer*innen in Loccum, die auch außerhalb des offiziellen Programms intensiv miteinander diskutierten. Was die Teilnehmenden Anfang März erst ahnen konnten: Es war eine der, wenn nicht sogar die letzte friedenspolitische Tagung dieses Frühjahrs, die noch im gewohnten Format stattfinden konnte (wenn auch mit ersten Maßnahmen zum Infektionsschutz, wie dem Verzicht auf Händeschütteln).

Es wurden konkrete Beispiele kommunaler Konfliktbearbeitung aus dem In- und Ausland vorgestellt, verschiedene Konfliktbegriffe gegeneinander abgewogen und die jeweiligen Konfliktursachen betrachtet. Während in den ausländischen Beispielen (Beirut, Nordostsyrien, Mostar) der Umgang mit Krieg, Bürgerkrieg und politisch motivierter Gewalt sowie der Umgang mit knappen lebensnotwendigen Ressour­cen im Vordergrund standen, waren bei den deutschen Beispielen personelle Konflikte in Familie, Schule und Nachbarschaft, Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum und der oft frappierende Unterschied zwischen gefühlter und tatsächlicher Sicherheit auf öffentlichen Plätzen im Fokus.

In allen vorgestellten Beispielen war das explizit oder implizit formulierte Ziel, Gewalt zu verringern, Menschen zur kon­struktiven Konfliktaustragung zu befähigen und die Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raums so zu gestalten, dass Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Entscheidungen einbezogen werden und sich alle Bewohner*innen einer Kommune oder eines Stadtviertels im öffentlichen Raum gerne und angstfrei aufhalten und ihn nach ihren Bedürfnissen nutzen können. Dazu gehört insbesondere, dass niemand ausgegrenzt wird und öffentliche Räume tatsächlich öffentlich bleiben und nicht in private Räume mit privatem Hausrecht umgewandelt werden.

Nicht zu unterschätzen sind neben den Konflikten innerhalb von oder zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Kommune oder des Stadtteils Konflikte zwischen Bürger*innen und Verwaltung oder zwischen verschiedenen Bereichen der Verwaltung. Die parteipolitische Instrumentalisierung von Konflikten erschwert die Bearbeitung manchmal zusätzlich. Die Frage, ob ehrenamtliche Gemeinderäte mit ihren zunehmend komplexer werdenden Aufgaben überfordert sind, stand auch im Raum. Ebenfalls mit bedacht werden muss, dass es unterschiedliche Rollen gibt – »manche Dinge kann nur die Polizei machen« (z.B. Strafverfolgung), für andere sind Beschlüsse des Gemeinderats oder des Stadtrats notwendig.

Vor allem, aber nicht nur, an den Beispielen aus Beirut, Mostar und Nordostsyrien wurde deutlich, dass Städte und Kommunen viele Konfliktursachen nicht direkt beeinflussen können. Dazu gehören insbesondere die Auswirkungen gesamtstaatlicher oder internationaler Machtkonflikte, extreme soziale Ungerechtigkeiten, die durch das jeweilige Wirtschaftssystem hervorgerufen und aufrecht erhalten werden, Flucht und Migration sowie begrenzte finanzielle Ressourcen bei einer Vielzahl von staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben, die auf kommunaler Ebene bewältigt werden müssen, von Verkehrs­infrastruktur über Wohnungsbau bis zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Auch wenn insgesamt überwiegend über die Möglichkeiten von Konfliktbearbeitung in Kommunen in Deutschland diskutiert wurde, war dieser Aspekt wichtig. Denn auch in Deutschland werden auf kommunaler Ebene Konflikte sichtbar, die ihre Ursache außerhalb der Kommune haben. Der Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kommunalen Konfliktbearbeitung im Inland und in klassischen Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit wurde auch durch ein Projektbeispiel von EIRENE deutlich. Im Projekt »Starke Nachbar_innen – Konfliktfähiges Zusammenleben von und mit Geflüchteten« wurde in der Region, in der die Geschäftsstelle von EIRENE ihren Sitz hat (Neuwied), mit einem ähnlichen Ansatz gearbeitet wie sonst in den internationalen Projekten von EIRENE, einschließlich einer externen Evaluation nach den gleichen Kriterien.1

Durch die Podiumsbeiträge von Expert*innen aus den Bereichen Städtegeografie und Stadtplanung wurde deutlich, wie langfristig die Auswirkungen stadtplanerischer Entscheidungen sind. Viele Gebäude, die heute noch genutzt werden, sind vor 100 oder mehr Jahren gebaut worden, was heute gebaut wird, wird voraussichtlich die Städte und Kommunen für die nächsten 100 Jahre prägen. Wegen des Klimawandels muss daher jetzt schon überlegt werden, wie das Stadtklima nicht nur im sozialen, sondern auch im physischen Sinne erträglich bleibt oder wieder erträglich gemacht werden kann. Auch das Interesse an der Nutzung des öffentlichen Raums hat sich verändert und wird sich weiter verändern.

Sehr deutlich wurde, dass Expert*innen für Konfliktbearbeitung im kommunalen Bereich oft erst einbezogen werden, wenn die Probleme den politisch und verwaltungsmäßig Verantwortlichen über den Kopf gewachsen sind: „Niemand gibt gerne zu, dass es in seinem Bereich Konflikte gibt.Und dass zeitlich befristete Projekte Gefahr laufen, die Situation nur vorübergehend zu verbessern, sodass politische Lobbyarbeit für eine dauerhafte Finanzierung dringend notwendig ist. Wohl oder übel müssen bestehende Förderlinien genutzt werden, etwa »Demokratie leben« oder Mittel für die Integration von in den letzten Jahren Geflüchteten. Die Regeln für die entsprechenden Projektanträge erschweren es, ergebnisoffene Beteiligungsprozesse zu initiieren und zu begleiten. Nicht alle Bürger*innen haben die Zeit und die Kraft, sich ehrenamtlich in entsprechenden Projekten zu engagieren; wachsende soziale Ungleichheit verschärft das. Viele Hauptamtliche in den Kommunen, deren Fachkompetenz benötigt wird, haben Schwierigkeiten, die zusätzliche Arbeit mit ihren oft weiter bestehenden Routineaufgaben unter einen Hut zu bekommen. Generell gilt: Menschen kommen nicht zusammen, um Konflikte zu bearbeiten, sondern um gemeinsam etwas zu erreichen.

Trotzdem waren sich die Teilnehmer*innen im Wesentlichen einig, dass das Glas nicht halb leer, sondern halb voll ist. Schon deswegen, weil sichtbar wurde, wie viel Projekterfahrungen und wie viel mit dem Thema befasste Gruppen in Staat, Verwaltung und Fachorganisationen es schon gibt. Dementsprechend fanden sich am letzten Vormittag, der als »Open Space« konzipiert war, zehn Ad-hoc-Arbeitsgruppen zusammen, die fast alle mit konkreten Vereinbarungen zu einer Weiterarbeit ins Abschlussplenum zurückkehrten. Die Themen reichten vom Umgang mit pauschalen Vorurteilen gegen Muslime über die Frage „was kann zivile Konfliktbearbeitung gegen Rasssimus und Rechtsextremismus tun?“ bis hin zu konkreten Vereinbarungen für neue Forschungsarbeiten oder neue kommunale Projekte.

Da das Thema Rechtsextremismus auf Grund der Erkrankung des dafür vorgesehenen Referenten erst im Open Space behandelt werden konnte und sich dazu mit Abstand die größte Gruppe zusammenfand, gab es aus dieser Gruppe heraus eine klare Empfehlung, dass die Plattform ZKB sich auf ihrer nächsten Jahrestagung mit diesem Thema befassen soll, das ganz offensichtlich vielen Menschen auf den Nägeln brennt.

Die Jahrestagung wird von der Evangelischen Akademie Loccum ausführlich dokumentiert werden.

Anmerkung

1) https://eirene.org/sites/default/files/datei/externeevaluationstarkenachbarinnen2017-2019.pdf eingesehen am 12.4.2020

Ute Finkch-Krämer

Hybride Kriegführung in urbanen Zentren


Hybride Kriegführung in urbanen Zentren

Relevanz für die zivile Verteidigung

von Dirk Freudenberg

Der Anteil der Weltbevölkerung steigt stetig und wird bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts auf zehn Milliarden Menschen anwachsen. 2050 werden etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben, u.a. in 43 Megastädten mit jeweils mehr als zehn Millionen Einwohner*innen. Auch die deutschen Großstädte legen seit Jahren zu. Dabei ist insbesondere der im Urbanen lebende Bevölkerungsanteil abhängig von Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge und so genannten Kritischen Infrastrukturen. Aus sicherheitspolitischer Sicht ergeben sich daraus für den Autor Herausforderungen für die Zivile Verteidigung, insbesondere unter den Bedingungen hybrider Bedrohungen bzw. Hybrider Kriegführung.

Das Verständnis darüber, was hybride Bedrohungen ausmacht und was sie von anderen Phänomenen abgrenzt, ist in der Literatur uneinheitlich. Hybride Kriegführung zeichnet sich nach der hier vertretenen Sichtweise dadurch aus, dass der Schwerpunkt der »Wirkmittel« wie der angegriffenen Ziele im zivilen Bereich liegt, das heißt, die eingesetzten Mittel entstammen nicht dem »klassischen« militärischen Waffenarsenal, und sie erzeugen ihre Wirkung vor allem im zivilen Raum. Für klassische konventionelle militärische Kräfte und Fähigkeiten könnte sich somit eine »Leere des Gefechtsfeldes« ergeben, da sie nicht mit einem äquivalenten Gegner konfrontiert sind, sondern dieser sein Militär allenfalls begleitend offen einsetzt, um hybride Aktionen zu verschleiern, zu unterstützen oder abzusichern.

Der Schwerpunkt von Verwundbarkeiten und der darauf abzielenden Effektoren1 liegt damit eindeutig im zivilen Bereich. Allerdings ist die Abhängigkeit der Bevölkerung und der Wirtschaft in Deutschland von zivilen Kritischen In­frastrukturen2 in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen, sodass der Schutz Kritischer Infrastrukturen aus sicherheitspolitischer Sicht einen nationalen Sicherheitsfaktor darstellt. Hieraus erwächst die Forderung, Zivile Verteidigung3 nicht länger als eher lästiges Anhängsel einer vornehmlich militärischen Verteidigung, sondern als gleichwertigen Pfeiler einer Gesamtverteidigung anzusehen. Die Aufrechterhaltung des gesamtgesellschaftlichen Systems im Krisenfall verlangt danach, die Bedeutung der Zivilen Verteidigung anzuheben und ihre Fähigkeiten umfassend zu stärken.

Moderne Wirkmittel Hybrider Kriegführung

Zu den neuartigen Bedrohungen, welche die negative Kehrseite moderner Informationstechnologie darstellen, gehören Bedrohungen im und aus dem Cyberraum im Sinne krimineller oder kriegerischer Handlungen (Cyberwar). Es handelt sich hierbei um gezielte politisch oder ökonomisch motivierte Angriffe, bei denen die Informationstechnologie (IT) sowohl Ziel als auch Mittel zum Zweck sein kann. Beabsichtigt sind gewaltgleiche Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Bevölkerung oder auf die wirtschaftliche und/oder politische Handlungsfähigkeit eines Staats. Hier geht es um die Penetration, Lahmlegung oder sogar »Umdrehung« elektronisch gesteuerter Systeme eines Gegners, also seiner strategisch oder existenziell wichtigen Informatik, mit verheerenden Folgen für den Staatsapparat und seine Selbstbehauptung sowie für die Gesellschaft.

Von jedem beliebigen Punkt, egal ob auf dem Meer oder dem Land, in der Luft oder im Weltraum, sind Ziele im globalen virtuellen Cyberraum innerhalb von Sekunden erreichbar, bekämpfbar und ausschaltbar. Damit wird die räumliche Gewaltgrenze des Krieges weiter aufgelöst, der Krieg wird in diesem Szenario des Information Warfare ortlos, unsichtbar im räumlichen Nirgendwo, ohne zwischen der zivilen und der militärischen Sphäre zu unterscheiden. Ein Akteur kann seine konventionelle Unterlegenheit also durch asymmetrische Kriegführung kompensieren und auf elektronischem Wege Schäden an der Heimatfront des Gegners, insbesondere an dessen Kritischen Infrastrukturen, anrichten. Zudem ist die Anwesenheit des Störers oder Saboteurs am Anschlagsort nicht erforderlich – Angriffe können aus beliebiger Distanz über den Cyberraum erfolgen.

Dabei geht es vor allem darum, die Daten, die zum Betrieb eines militärischen oder zivilen Systems benötigt werden, zu manipulieren oder zu löschen; die materielle Zerstörung von Gütern oder Anlagen ist dazu nicht erforderlich. Im Extremfall können ganze Staaten lahmgelegt werden. Da keine physischen Schäden verursacht werden, können die kompromittierten Anlagen nach erfolgter Kapitulation relativ rasch wieder in Betrieb genommen werden. Dadurch bleiben die Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche System und die Lage der Bevölkerung überschaubar.

In der Literatur wird ein solches Szenario als »digitaler Erstschlag« bezeichnet, eröffnet doch der Cyberwar die Option, mit einem »digitalen Enthauptungsschlag« eine rasche und totale Überlegenheit und einen »Sieg« zu erreichen. Das klassische militärische Prinzip des Erstschlags bekommt hierdurch – unbenommen der immer umfassenderen Aufklärung im konventionellen Bereich – eine neue Bedeutung.

Auswirkungen auf urbane Räume

Die Auswirkungen des Ausfalls Kritischer Infrastrukturen auf Großstädte und die Bevölkerung sind in einem solchen Fall, wie bereits punktuelle Störungen in Friedenszeiten zeigen, enorm. Ein digitaler Enthauptungsschlag ist absehbar nicht auf einzelne Stadtteile, Städte oder Regionen begrenzt, sondern führt zu großräumigen Ausfällen, welche unter Umständen das gesamte Staatsgebiet betreffen. Die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, d.h. die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen, werden in kürzester Zeit zusammenbrechen bzw. die Bevölkerung nicht mehr erreichen. Weicht die städtische Bevölkerung in der Folge in umliegende, unter Umständen weniger betroffene ländliche Gebiete aus, könnten die dort gegebenenfalls noch (rudimentär) funktionierenden Infrastrukturen und Ressourcen in kurzer Zeit überlastet werden und auch dort völlig zum Erliegen kommen.

Folgerungen

Gerade die hybriden Möglichkeiten im Cyberraum zeigen, dass die strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit weiter unter Druck gerät, sich allmählich auflöst und rein militärische Risiken der Vergangenheit angehören. Dementsprechend sind Lösungsansätze, Schutz- und Abwehrmaßnahmen in entsprechender Vielfalt zu entwickeln. Hiervon sind auch die Phasen der Bedrohungsanalyse und der Planung des Umgangs mit den Herausforderungen betroffen. Die Einschätzung der (militärischen) Bedrohungen primär dem Militär zu überlassen, wie es die »Konzeption Zivile Verteidigung (KZV)« des Bundesinnenministeriums des Inneren von 2016 vorsieht, ist unter dem Gesichtspunkt der oben beschriebenen hybriden Bedrohungen inkonsequent. Vielmehr sind auch die Bereiche Territorialverteidigung, Heimatschutz und Zivilschutz einzubeziehen. Das könnte unter den Bedingungen hybrider Bedrohungen bedeuten, dass althergebrachte Krisenreaktionsmittel und -formen hinsichtlich ihrer Ausformungen und Zuständigkeiten nicht (mehr) passen oder nicht rechtzeitig und umfangreich genug zum Einsatz kommen können und damit zu spät Wirkung entfalten, um die Auswirkungen des hybriden Angriffs einzudämmen.

Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Fähigkeiten zur gesamtgesellschaftlichen Prävention bzw. die dazu erforderlichen nationalen Sicherheitsakteure einsatzorientiert aufzustellen und zu vernetzen. Das »Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr« von 2016 konstatiert, dass hybride Bedrohungen nach hybrider Analysefähigkeit sowie entsprechender Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit verlangen, was erhebliche Auswirkungen auf den Charakter und das Verständnis von Landes- und Bündnisverteidigung im 21. Jahrhundert hat. Bereits aus der abstrakten Gefährdungslage, das heißt der bloßen Denkbarkeit und damit Möglichkeit der Materialisierung einer Bedrohung, ergeben sich Anforderungen an eine effiziente zivil-militärische Gesamtverteidigung. Dies ergibt sich auch aus dem Umkehrschluss der ursprünglichen Begründung für die nachrangige Unterstützungsfunktion des Zivilschutzes, wonach der Zivilen Verteidigung in Krise und Krieg die entscheidende Unterstützungsrolle für die militärische Verteidigung zugewiesen wird, um vorrangig die Verteidigungsfähigkeit und Operationsfreiheit der Streitkräfte zu gewährleisten.

Diese Vorrangigkeit ist angesichts der hybriden Bedrohungen unter Umständen in dieser Einseitigkeit nicht mehr zu halten. Im Gegenteil: Der moderne Ansatz Hybrider Kriegführung gründet gerade auf der Überlegung, die grundlegenden Regeln des Krieges zu verändern, indem die Rolle der nicht-militärischen Mittel zur Erreichung politischer und strategischer Ziele wächst und die Wirkmacht der Waffengewalt übertrifft. Darüber hinaus erfordert die Ausrichtung hybrider Bedrohungen und Kriege auf nicht-militärische »Gravitationszentren« nicht notwendigerweise eine militärische Kriegs- bzw. Konfliktentscheidung. Die Forderung, den Stellenwert der Zivilen Verteidigung anzupassen, begründet sich daher u.a. darin, dass Angriffe mit hybriden Fähigkeiten möglicherweise die eigenen militärischen Fähigkeiten unterlaufen könnten und eine Abwehr und Reaktion gegebenenfalls (nur noch) mit zivilen Fähigkeiten und Wirkmitteln möglich ist. Diese Ansicht lässt sich auch verfassungsrechtlich begründen: Die Zivile Verteidigung ist gewissermaßen als notwendige Komponente der alleine zum äußeren Schutz wirksamen Gesamtverteidigung vom Verfassungsauftrag des Grundgesetzes mit erfasst, welcher eine wirksame bzw. effektive Verteidigung erfordert.

Wer den bisherigen Ausführungen zustimmt, muss zum Schluss kommen, dass Zivile Verteidigung, Zivilschutz und dementsprechend auch der umfassendere Bevölkerungsschutz im Rahmen einer Gesamtverteidigung neu zu bewerten und anzupassen und mit den Fähigkeiten und Mitteln der militärischen Verteidigung neu zu vernetzen sind.

Anmerkungen

1) Im militärischen Kontext ist ein Effektor eine Maßnahme, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Die Bandbreite von Effektoren reicht vom Flugblatt oder einer Falschmeldung bis zum Einsatz klassischer militärischer Waffen.

2) »Kritische Infrastrukturen« sind gemäß der Definition des Glossars des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe „Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“ (bbk.bund.de).

3) Zivile Verteidigung ist nicht zu verwechseln mit Sozialer Verteidigung. Das Bundesministerium des Inneren definiert Zivile Verteidigung so: „[Sie] dient der Vorbereitung auf die Abwehr schwerwiegendster Gefahren für den Staat und seine Bürgerinnen und Bürger. Streng genommen geht es dabei um die Abwehr kriegsbedingter Gefahren und schwerster innerer Notstände. Es muss Vorsorge dafür getroffen werden, die Handlungsfähigkeit von Staat und Verwaltung gerade bei schwersten Krisen zu gewährleisten. Nur so kann bereits ihr Entstehen möglichst verhindert oder zumindest ihre Folgen bewältigt werden.“ (bmi.bund.de)

Dr. Dirk Freudenberg ist Referent im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und Dozent an der BBK-Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz in Bonn.

Aus Platzgründen erscheint dieser Artikel ohne den umfangreichen Literaturapparat. Das Manuskript mit Literaturhinweisen kann gerne bei redaktion@wissenschaft-­und-frieden.de angefordert werden.

Space in Peace and Conflict


Space in Peace and Conflict

Zentrumstage am Zentrum für Konfliktforschung, 18.-20. Oktober 2018, Marburg

von Alexandra Engelsdorfer und Nadine Dammaschk

Was ist »Raum«, und welche Räume spielen in Bezug auf Frieden und Konflikt eine Rolle? Während die Bedeutung von »Raum« in Grenzkonflikten offensichtlich ist, scheint die Relevanz von »Raum« in anderen Bereichen der Friedens- und Konfliktforschung auf den ersten Blick weniger deutlich. Während der Zentrums­tage, die alle zwei Jahre am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg stattfinden, zeigten dieses Jahr internationale Wissenschaftler*innen, dass Räume für Frieden eine außergewöhnliche Rolle spielen und als Analysekategorie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Konflikten leisten und dabei neue Perspektiven eröffnen.

Was ist Raum?

Die fächerübergreifende Relevanz des Themas wurde schon in der interdisziplinären Eröffnungsdiskussion mit Benedikt Korf (Universität Zürich, Geographie), Bettina Engels (Freie Universität Berlin, Politikwissenschaft), Ernst Halbmayer (Universität Marburg, Ethnologie) und Melanie Hartmann (Zentrum für Konfliktforschung, Soziologie) herausgearbeitet. Dabei wurden nicht nur die unterschiedlichen fächerspezifischen Zugänge zu Raumkonzepten diskutiert, die von eher physisch-materiellen Räumen in der Geographie und Politikwissenschaft bis zu sozial-kulturellen Räumen in der Ethnologie und Soziologie reichen, sondern auch erste Gemeinsamkeiten herausgestellt: Raum ist mehr als der bloße haptische Raum, der als eine Art Bühne fungiert, auf der sich Handlungen und Konflikte abspielen. Raum ist ein soziales Produkt und als solches auch veränderbar. Einig waren sich die Diskutierenden auch darüber, dass Theorien auf ihre empirische Relevanz hin überprüft werden müssen und umgekehrt. Susanne Buckley-Zistel, geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung, bezeichnete die interdisziplinäre Qualität von Raum als inspirierendes Moment der Konferenz: „Es wird in allen Präsentationen deutlich, dass wir von unterschiedlichen Disziplinen kommen. Es gibt nicht nur einen Ansatz zu Raum, sondern viele verschiedene Ansätze, die unsere Arbeit auch in Zukunft bereichern werden.“

Die Punkte dieser Eröffnungsdiskussion zogen sich auch wie ein roter Faden durch die acht folgenden Panels zu »Spatializing Memories«, »Contested Spaces«, »Urban Spaces and Places«, »(Un-)Securitizing Space«, »Conceptual Approaches to Space«, »Negotiating Borders«, »Space Making« und »Space and Protest«. Die Bandbreite und Aktualität von Räumen wurde an zahlreichen beeindruckenden Beispielen aus der Praxis und an konzeptionellen Forschungsarbeiten veranschaulicht.

Wie tragen Raumkonzepte zu Konflikten bei? Grenzen, Städte und Proteste

Wie relevant die konzeptuelle Anwendung von Raum für das Verständnis aktueller politischer Prozesse ist, verdeutlichte Sabine Hess, Professorin für Migrationsstudien der Universität Göttingen, anhand des gegenwärtigen Migrationsregimes der Europäischen Union in ihrem Keynote-Beitrag: „Wir sehen überall nicht nur die Rückkehr hoch militarisierter und materialisierter Grenzen, sondern auch von offenkundigen Formen von Menschenrechtsverletzungen.“ Indem diese Grenzregime der EU „die Externalisierung von Migranten und Migrantinnen auf neo-koloniale Weise radikal vorantreiben“, zeigen sie auf, wie dicht Raum, Grenzen, Migration und Konflikt miteinander verwoben sind. Im Panel zu »Urban Spaces and Places« wurde die besondere Qualität von städtischen Räumen herausgestellt, die entweder selbst zum umkämpften Konfliktgegenstand werden oder aber Konfliktverläufe durch ihre räumliche Struktur beeinflussen. So zeigte John Hanna (Universität Delft) am Beispiel der terroristischen Attentate in Paris im November 2015, wie architektonische Verräumlichungen in Städten bestimmte Konfliktnarrative begünstigen, andere wiederum benachteiligen und wie Raum somit den weiteren Umgang mit dem Konflikt bestimmt. Am Beispiel von Amman erörterte Jilian Schwedler (City University New York) im Panel »Space and Protest« die symbolische Bedeutung von Protestorten, während Fabian Frenzel (University of Leicester) die räumlichen Ordnungsmechanismen von Protestcamps beleuchtete. Dimitris Soudias (Universität Marburg) und Burcu Togral Koca (Leibniz Institute for Research on Society and Space) ergänzten das Panel um theoretische Perspektiven auf Protestcamps im Spannungsfeld von strukturalisierender Verräumlichung und anti-struktureller Krisensituation sowie um eine Analyse der Refugee Rights Movements in Berlin.

Wie wird Raum gemacht? Aufarbeitung von Konflikten und deren Erinnerung

Während der Konferenz wurden neben den strukturellen Auswirkungen von Räumen auf Konflikte und Friedensbemühungen auch die Konsequenzen des »spatial turn«, der Betrachtung des Raumes in seiner Formbarkeit und Veränderbarkeit durch Menschen, diskutiert. So zeigte Annika Björkdahl, Professorin für Politikwissenschaft der Lund Universität, in ihrer Keynote, wie Raum als Produkt sozialer Handlungen wichtige Einblicke in das Verständnis von Konflikten und das Entstehen von Frieden gewährt. „Raum“, betonte Björkdahl, „ist politisch und inhärenter Teil von Machtverhältnissen.“ Migrationsbewegungen, Grenzen und Territorien als Faktoren, die eine essentielle Rolle in Frieden und Konflikten einnehmen, wären ohne Konzeptualisierungen von Raum nicht verständlich. Diese Komponente wurde u.a. in den Panels »Spatializing Memories« und »Contested Spaces« deutlich: Im Ersteren zeigten Lia Kent (University of Canberra), Gruia Badescu (University of Oxford), Stefanie Kappler (University of Durham) und Johanna Mannergren Selimovic (University of Stockholm), wie in Osttimor und Bosnien-Herzegowina Räume aufgrund bestimmter politischer Interessen produziert werden, wie in Südafrika Machtpolitiken mithilfe von Denkmälern in Erinnerungspolitiken reproduziert werden, aber auch, wie die Erinnerung an den Krieg in Alltagsgegenständen ihren räumlichen Ausdruck findet. Dass Räume auch umkämpft sind und um ihre Deutungshoheit gerungen wird, veranschaulichte Emily Mannheimer (Erasmus University Rotterdam) am Beispiel des Konflikttourismus in Belfast im Panel »Contested Spaces«.

Fazit

Die Zentrumstage verdeutlichten jenseits der inhaltlichen Diskussionen, wie eine Konferenz Impulse für eine nächste Generation von Wissenschaftler*innen geben kann. Stéphane Voell, Geschäftsführer des Zentrums für Konfliktforschung, beobachtete, wie die unterschiedlichen Präsentationen zum Thema »Raum« studentische Teilnehmende auch im Nachhinein noch beschäftigten und wie die Studierenden sich über die Konferenz hinaus über Raum und seine Bedeutungen austauschten. Sie seien eingeladen, wie alle anderen Teilnehmenden, denen die Konferenz neue Gedankenanstöße gegeben hat, mit an Bord zu kommen, um die Forschung zu Raum weiterzuführen und zu denken.

Alle Vortragenden und Teilnehmenden sowie die Organisationsverantwortlichen und Helfenden trugen dazu bei, die Konferenz zu einem großen Erfolg und inspirierenden Anknüpfungspunkt für die weitere Forschung zu Raum in der Friedens- und Konfliktforschung zu machen. Unterstützt wurde die Konferenz von der Universitätsstiftung Marburg und dem Ursula-Kuhlmann Fonds.

Alexandra Engelsdorfer und Nadine Dammaschk

Solidarische Städte – Städte der Zuflucht


Solidarische Städte – Städte der Zuflucht

von Dirk Vogelskamp

Um die aktuellen Flucht- und Wanderungsbewegungen über das Mittelmeer zu unterbinden und zu kontrollieren, werden seitens der Europäischen Union vermehrt und hektisch diplomatische Anstrengungen unternommen, afrikanische Regierungen, darunter despotische Regime, in die Migrationsabwehr einzuspannen. Dagegen ist Widerstand möglich, u.a. im weltweiten Netzwerk der »Sanctuary Cities«.

Von der Europäischen Union wird eine vertiefte Zusammenarbeit (Migrationspakte) im Bereich der Migrationskontrolle und -steuerung mit einer Reihe von Herkunfts- und Transitstaaten in Afrika (u.a. Niger, Nigeria, Senegal, Mali, Äthiopien, Sudan, Tunesien, Ägypten, Libyen …) angestrebt. Acht Milliarden Euro werden dafür bis ins Jahr 2020 in Aussicht gestellt. Die jeweiligen Pakte zielen darauf, die unerwünschten Migrationsbewegungen einerseits bereits in den ausgewählten Regionen wirksam zu verhindern, also noch bevor sich Menschen auf der Flucht von den nordafrikanischen Küsten nach Europa aufmachen. Andererseits verfolgen sie den Zweck, Abschiebungen »irregulärer Migranten« in die Herkunfts- oder Transitstaaten weit umfänglicher als bisher zu ermöglichen (Rückübernahmeabkommen). Unverhohlen wird in neokolonialer Manier gedroht, notfalls auch handels- und entwicklungspolitische »Instrumente« einzusetzen, um migrationspolitisches Wohlverhalten zu erzwingen.

Mit diesen Abkommen sollen Schutzsuchende schon außerhalb Europas festgesetzt und an der Weiterwanderung gehindert werden. Der Nebeneffekt: Menschen auf der Flucht, Migrantinnen und Migranten, die unerträglichen Lebensbedingungen zu entkommen suchen, werden aus europäischer Perspektive unsichtbar gemacht. Ebenso werden dadurch die tatsächlichen Ursachen von Flucht, Vertreibung und Migration, die, grob formuliert, in weltweit kapitalistisch betriebener und zwangsweise aufrecht erhaltener Ungleichheit liegen, ausgeblendet. Es ist ein »cash for migrants«-Programm, eingewickelt in humanitäre Phrasen und einen »Marshall-Plan mit Afrika«, das die europäische Öffentlichkeit vorsätzlich täuscht.

Politisch enger verzahnt werden Wirtschaftshilfe und Entwicklungsgelder mit dem europäischen Migrationsmanagement. Dazu gehört unter anderem die technische Grenzaufrüstung und die Ausbildung afrikanischer Grenztruppen. Durch diese Abschottungskooperationen wird der »Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz« auf afrikanisches Territorium ausgelagert. Zugleich steigen die Todeszahlen an Europas Außengrenzen weiter an: Im Jahr 2017 gelten bis Anfang März bereits 487 Menschen als tot oder vermisst.

In den Kontext dieser Abschottungskooperationen mit afrikanischen Regierungen gehört auch die von Innenminister de Maizière und dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Oppermann, lancierte Debatte um Auffanglager in Nordafrika, die bislang noch kontrovers geführt wird.

Eine Krise der Menschenrechte

»Die Menschenrechte«, denen sich die europäische Staatengemeinschaft nicht nur verpflichtet fühlen müsste, sondern die sich alle Staaten der EU rechtsverbindlich zur Grundlage ihrer eigenen Ordnung gemacht haben, werden angesichts der immensen Fluchtmigration obsolet. Denn was bleibt von »den Menschenrechten« im weltweiten Lager­universum, in dem jene zwangsweise ihr Leben zu fristen verdammt sind, die keine Aufnahme in Europa gefunden haben, keinen sozialen Ort finden, an dem die Grundlagen ihrer sozialen und politischen Existenz garantiert werden? Was bleibt von »den Menschenrechten«, von der Würde und der Freiheit all derjenigen, die zwangsweise aus Europa in ihre (vermeintlichen) Herkunftsstaaten deportiert werden, denen sie doch entfliehen wollten? Was ist mit den Menschen, die, Not und Elend, Krieg und Gewalt soeben entkommen, täglich, Jahr für Jahr, im Mittelmeer auch aufgrund europäischer Grenzsicherung ertrinken? Wer schützt ihre Menschenrechte? Die Brüchigkeit der liberalen Menschenrechtskonstruktion wird offensichtlich.

In den Menschen auf der Flucht, ganz gleich, aus welchen Gründen sie aufgebrochen sind, und in ihren Bedürfnissen nach einem sicheren und sozialen Ort kommt damit der Dissens zu den gegebenen nationalstaatlich geordneten Herrschaftsverhältnissen in einer durch abgrundtiefe Ungleichheit gespaltenen Welt zum Ausdruck. Sie sind die Subjekte der Menschenrechte. Es ist ihr Kampf um die stets umstrittenen Menschenrechte. Es ist ihr Kampf um ein Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit und einen sozialen Ort, an dem sie Gemeinschaft selbst- und mitbestimmend leben können. Und – hätten wir sie nicht zu unterstützen?

Was können wir tun?

Auch in Deutschland werden zurzeit viele Aktivistinnen und Aktivisten von dem weltweiten Netzwerk der »Sanctuary Cities« (Zufluchtsstädte/solidarische Städte) inspiriert. Das sind Städte und Gemeinden, die allen ihren Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen gewährleisten wollen und sich weigern, Repressionen gegen Migranten/Migrantinnen ohne Aufenthaltsrecht auszuüben oder an Abschiebungen mitzuwirken. Dabei werden Bündnisse von flüchtlingssolidarischen Aktionsgruppen teilweise mit kommunalen Verwaltungen, Gesundheitsbehörden, Schulen, Gewerkschaften und sogar Polizeiorganisationen geschlossen, die die Spaltung der Bürgerschaft in legale, »illegale« oder lediglich geduldete Bürgerinnen und Bürger nicht mitbetreiben wollen. Ein städtisches Existenzrecht für alle. Allein in den USA gehören bereits über 200 Städte und Bezirke dieser Bewegung an. Auch unsererseits wäre über das Menschenrecht auf einen sozialen Ort als unabdingbare Voraussetzung der Menschen- und Bürgerrechte verstärkt und neu nachzudenken.

Dirk Vogelskamp arbeitet als Referent im Komitee für Grundrechte und Demokratie zu den Schwerpunkten Flucht, Asyl, Migration und Menschenrechte.

Dieser Text erschien in einer leicht ge­­kürzten Fassung bereits in den »Informationen« 01/2017 (März) des Komitees für Grundrechte und Demokratie ­(grundrechtekomitee.de).

Gewaltfreier Widerstand und urbaner Raum

Gewaltfreier Widerstand und urbaner Raum

von Markus Bayer und Janet Kursawe

Die Bilder ähneln sich: Protestierende Menschenmassen mit bunten Fahnen und Plakaten sammeln sich auf zentralen Straßen und Plätzen. Sie erheben Forderungen gegen Korruption, für ein Leben in Freiheit und Würde, für mehr Mitbestimmung oder gar für das Ende eines Regimes. Straßenproteste und Demonstrationen in urbanen Zentren – zumeist Hauptstädten – bewegen in den letzten Jahren Kontinente übergreifend zahlreiche Länder. Dieser Beitrag skizziert, warum Städte in diesem Kontext eine besondere Relevanz und Dynamik als Konfliktraum aufweisen. Anhand der drei von Gene Sharp eingeführten Kategorien gewaltfreien Widerstandes wird erläutert, wie die Stadt die gewaltfreie Konfliktaustragung begünstigt.

Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und an der Nikolaikirche in Leipzig 1989, Proteste auf dem Platz der Befreiung in Kairo 2011, dem Taksim-Platz in Istanbul 2013 oder dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew 2013/14 wurden zu Symbolen eines globalen Phänomens: des gewaltfreien Widerstandes gegen korrupte und autokratische Regime. An sich ist weder das Phänomen des gewaltfreien Widerstandes noch seine symbiotische Beziehung mit Städten neu. Bereits die römischen Plebejer sollen ab dem Jahr 494 v.Chr. mehrfach Gewaltfreiheit als Methode eingesetzt haben: Sie streikten für mehr Rechte, indem sie die Stadt so lange verließen, bis ihre Forderungen erfüllt waren. Geschichten gewaltfreien Widerstandes liegen jedoch allzu oft unter den Erinnerungen an »glorreiche« Tode, Märtyrer und romantisierte gewaltsame Aufstände begraben. Trotz eines Aufschwungs, den die Forschung nach den überwiegend friedlichen Transitionen in Osteuropa und erneut im Zuge des »Arabischen Frühlings« erfährt, steht eine systematische Analyse des Verhältnisses von urbanem Raum und friedlichem Widerstand bislang aus.

Die Stadt als Konfliktraum

Seit 2007 leben nach Angaben der Vereinten Nationen erstmals in der Geschichte der Menschheit weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Was heute bereits global gilt, wird um 2050 auch auf die bislang vergleichsweise wenig urbanisierten Kontinente Asien und Afrika zutreffen. Dann werden in Asien 60% und auf dem afrikanischen Kontinent 56% der Bevölkerung in Städten leben. Weltweit wird der Anteil der urbanen Bevölkerung im Jahre 2050 66% betragen (UN DESA 2014, S.7 und S.20f.).

Damit wird auch die besondere Bedeutung städtischer Ballungsgebiete als Konflikträume wachsen. Städte wiesen von Anbeginn an ambivalente Gesichter auf und sind in mannigfaltiger Weise mit Konflikten und Gewalt verbunden. Zunächst erwuchsen sie selbst aus einer konfliktreichen und oft gewaltsamen Geschichte, in der die Landbevölkerung, von ihren Äckern vertrieben, in Massen in die Städte zog. Als dicht besiedelte Räume und Herbergen für eine kulturell meist sehr heterogene Bevölkerung entwickelten sich die Städter häufig zum Hort sozialer Konflikte und gewaltsamer Revolutionen. Als symbolische Zentren der Macht, als industrielle Produktionsstandorte oder als Verkehrsknotenpunkte wurden sie darüber hinaus häufig zu Schlachtfeldern in Kriegen und Bürgerkriegen. Zugleich gelten Städte als Orte der technologischen und sozialen Innovation, als Zentren kultureller Zivilisation und als Ursprung der Demokratie. Die Stadt lässt sich daher als Raum beständiger Aushandlungen und Konflikte beschreiben.

Außerdem ist sie eine Ansiedlung mit baulich symbolischem Zentrum und einer klaren Arbeitsteilung. Beide Aspekte sind für friedlichen Widerstand zentral. Als symbolträchtige Orte sind Städte Sitze von Regierungen und Verwaltungsapparaten; ihre Architektur spiegelt in Form von Plätzen, Verwaltungsgebäuden und Monumenten die gegenwärtigen Machtverhältnisse wider und legitimiert diese ihrerseits. Die in Städten herrschende Arbeitsteilung führt zu einer sozialen Differenzierung der Gesellschaft und zu einer erhöhten Interdependenz zwischen allen sozialen Gruppen: Wer selbst keine Nahrungsmittel produziert, ist auf den lokalen Markt angewiesen; wer in der Stadt lebt, braucht städtische Versorgungsbetriebe, Krankenhäuser, Infrastruktur. All dies erhöht die Notwendigkeit für Kooperation und freiwillige Gefolgschaft und eröffnet Räume für die Verweigerung eben jener.

Wo Macht ist, da ist auch Widerstand

Bis heute gibt es trotz vieler historischer Beispiele keinen einheitlichen Begriff für das Phänomen des gewaltfreien Widerstandes. Definitionsversuche beziehen sich (wie auch die Begriffe selbst) häufig auf die Negation von Gewalt. Dies ist problematisch, weil dadurch suggeriert wird, Gewalt sei das eigentliche Phänomen und gewaltfreier Widerstand nur die Abwesenheit derselben.

Allen Definitionsversuchen liegt die Annahme zugrunde, die Macht eines Herrschers oder einer Regierung sei kein unveränderliches Quantum, sondern auf die Zustimmung, den aktiven Gehorsam und die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen (Sharp 1973, S.9). Folglich zielen Akte des gewaltfreien Widerstandes auf den Entzug von Gehorsam ab. Seit Gandhi gilt ziviler Ungehorsam als kollektives Mittel in politischen Konflikten. Er grenzt sich von Gewalt ebenso ab wie von der herkömmlichen, legalen Politik, die besonders in autoritären Staaten nur begrenzte Möglichkeiten der Partizipation zulässt. Gewaltfreier Widerstand ist in diesem Sinne eine überlegt eingesetzte, nicht institutionelle Praxis, die bewusst gesellschaftliche Regeln verletzt und sich überwiegend in rechtlichen Graubereichen, zuweilen sogar in der Illegalität, abspielt. Er verzichtet bewusst auf den Einsatz physischer Gewalt gegen die politischen Gegner (Chenoweth and Cunningham 2013, S.273). Die Entscheidung für gewaltfreien Widerstand kann strategisch motiviert oder das Ergebnis prinzipieller Überzeugung sein.

Gewaltfreier Widerstand ist ein Massenphänomen, d.h. größere Menschenmassen müssen mobilisiert und dazu gebracht werden, einem Regime über längere Zeit die Gefolgschaft zu verweigern mit dem Ziel, einen Regierungs- oder Politikwechsel zu erzwingen. Partizipation wird damit zu einem Schlüssel des Erfolgs gewaltfreier Bewegungen (Chenoweth and Ulfelder 2015, S.3). Neben dem für einen breiten Teil der Bevölkerung wichtigen moralischen Faktor verweisen VertreterInnen gewaltfreien Widerstandes oft auf dessen »strategische« Vorteile: Gewaltfreier Widerstand ist massentauglicher als gewaltsamer Widerstand, der eine besondere Ausbildung und Bewaffnung voraussetzt und hohe Anforderungen an die physische Fitness und die Risiko- oder Opferbereitschaft der Kämpfer stellt. Friedliche Widerstandsbewegungen sind daher in der Regel deutlich heterogener (Zunes 2011, S.402) und im Durchschnitt etwa viermal so groß wie gewaltsame Widerstandsgruppen (Chenoweth/Stephan 2011, S.32). Da Sicherheitskräfte und Bürokraten des bekämpften Regimes durch gewaltfreie Bewegungen nicht physisch bedroht werden, fällt es ihnen leichter, den Gehorsam zu verweigern und die Seite zu wechseln (Chenoweth/Ulfelder 2015, S.3). Dieser Punkt ist für den Erfolg gewaltfreier Bewegungen von Bedeutung, da es ihnen gelingen muss, das bekämpfte Regime empfindlich zu treffen, um erfolgreich zu sein. Dazu ist es erforderlich, eine möglichst große Anzahl von Personen und Netzwerken zu mobilisieren, die über Kapazitäten (Zugang zu Ressourcen, Herrschaftswissen, etc.) verfügen, durch deren Verlust die Existenz des Regimes ins Wanken gerät.

Gewaltfreier Widerstand und urbaner Raum

Viele der Mechanismen friedlichen Widerstandes können sich ausschließlich in städtischen Ballungsgebieten effektiv entfalten. Zum einen ist aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte hier die Mobilisierung einfacher; zum anderen werden Proteste in (Haupt-) Städten durch die dort vorherrschenden guten Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten und die besondere symbolische Bedeutung des Ortes in der Regel medial schnell »sichtbar«, sodass sie ohne Zeitverlust auch an anderen Orten im In- und Ausland Nachahmer finden können.

Eine vernetzte wirtschaftliche Struktur mit organisierter Arbeit und hoher Arbeitsteilung, wie sie in modernen Großstädten vorherrscht, erleichtert zudem die Ausbreitung von Protesten auf andere soziale Gruppen, wie Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände, die ihrerseits ein hohes Mobilisierungspotenzial aufweisen.

Im Versuch, gewaltfreien Widerstand begrifflich zu fassen, teilte Gene Sharp mögliche Aktionsformen in drei Kategorien bzw. Eskalationsstufen ein: Protest und Überzeugung, Verweigerung sowie gewaltfreie Intervention (Sharp 1969). Während die erste Stufe eine Kommunikation zwischen zwei Konfliktparteien herstellt und einen gesellschaftlichen Dissens verdeutlicht, zielt die zweite Stufe darauf ab, durch Akte der Verweigerung nicht zu den zuvor aufgezeigten Missständen beizutragen. Die letzte Stufe der Eskalation besteht in der gewaltfreien Intervention, die so ausgelegt sein soll, dass sie nicht ihrerseits zu Missständen beiträgt, sondern solche möglichst unterbindet. Wir zeigen im Folgenden, welche zentrale Rolle der städtische Raum dabei jeweils spielt.

Protest und Überzeugung: Symbolische Politik

Bei Protest und Überzeugung handelt es sich überwiegend um symbolische Gesten, um den politischen Gegner, die öffentliche Meinung oder die Opposition zu beeinflussen. Sharp zählt hierzu Protesttechniken, wie öffentliche Reden und Briefe, Karikaturen, Protestmärsche und Demonstrationen mit Zurschaustellung von Flaggen, Transparenten und Symbolen, die genau genommen keine Akte des Widerstandes, sondern der Kommunikation sind. Sie dienen dazu, auf Missstände hinzuweisen, Forderungen zu formulieren und Aufmerksamkeit zu schaffen, um Anhänger für weitere Aktionen zu mobilisieren. Sichtbarkeit ist in dieser Phase die wichtigste Bedingung. Forderungen müssen gehört, mobilisierte Menschenmassen müssen gesehen werden.

Die Stadt bietet hierfür den Raum und das Forum. Mit ihren dichten Kommunikationskanälen befördert sie einerseits die Sichtbarkeit von Protestbewegungen, erleichtert aber auch die Organisation und Mobilisierung der Opposition. In ländlichen, weit abgelegenen Gebieten mit eingeschränktem Zugang zu Internet und Mobilfunk und geringer Bevölkerungsdichte sowie wenig Präsenz internationaler Journalisten ist es kaum möglich, diese Sichtbarkeit herzustellen.

Verweigerung

Formen der Verweigerung gehen in der Regel über rein symbolische Gesten hinaus. Sharp unterteilt sie in soziale Verweigerung (wie etwa Boykott von und Rückzug aus sozialen Institutionen, Flucht in unzugängliche Gebiete oder den städtischen Untergrund), Boykotte (Bestreiken von Gütern und Leistungen), Streiks und politische Verweigerung (Boykott des politischen Systems durch Einstellen von Bürgerpflichten, wie Steuerzahlung, und Ablehnung des Wahlrechts). Auch für diese Aktionsformen gilt: je sichtbarer umso wirkungsvoller.

Eine besondere Bedeutung kommt dabei den ökonomischen Boykotten und Streiks zu. Ein illustratives Beispiel boten die iranischen Bazarhändler, die während der islamischen Revolution 1978/79 landesweit wochenlang mit der Schließung der Bazare gegen das Schah-Regime protestierten. Da der Bazar eine wichtige wirtschaftliche Säule des Iran ist, schwächte dieser Streik die finanzielle Kraft der Schah-Monarchie dramatisch. Während solcherart Verweigerungen in den Dörfern der Peripherie für ein Regime wegen ihrer marginalen Größe in der Regel zu verkraften sind, stellen sie im Zentrum nicht nur ökonomisch eine größere Herausforderung dar. Massenhafte Verweigerung von Gehorsam im Zentrum der Macht, wie etwa beim Generalstreik gegen den Kapp-Putsch in Deutschland 1918, symbolisiert für jedermann sichtbar, dass die Macht des Regimes nicht einmal mehr ausreicht, um die Gefolgschaft in der Hauptstadt zu gewährleisten, und zeigt damit eine Legitimitätskrise des Regimes an.

Gewaltfreie Intervention

Als direkteste Form des gewaltfreien Widerstandes ist die gewaltfreie Intervention die größte Herausforderung für ein bestehendes Regime. Hierzu zählen jene gezielten Aktionen von Bürgern, Staatsangestellten oder externen Akteuren, wie internationalen Organisationen oder anderen Staaten, die die Funktionsfähigkeit des Staates bedrohen bzw. seine Legitimität offen in Frage stellen. Die Bandbreite reicht von der Besetzung öffentlicher Räume und Plätze über die Etablierung alternativer ökonomischer Praktiken, wie Landnahme oder Schaffung neuer Märkte und Transportsysteme, bis hin zu politischen Interventionen, wie der gezielten Überlastung staatlicher Behörden oder der Errichtung paralleler Regierungen. Diese alternativen Praktiken sind an eine kritische Masse unzufriedener Menschen und den Austausch oppositioneller Ideen gebunden und richten sich u.a. direkt gegen die staatliche Infrastruktur, die zur Umsetzung einer bestimmten Politik notwendig ist. Daher entstehen sie vorrangig in städtischen Ballungsräumen bzw. den Hauptstädten.

Potenziale und Grenzen gewaltfreien Widerstandes

Nicht nur aus normativen Gründen ist Gewaltfreiheit der Gewalt vorzuziehen, auch ihre demokratisierende Langzeitwirkung spricht für friedliche Mittel des Widerstands. Denn die Revolte selbst führt zu einer Machtverteilung an viele statt an wenige einzelne, da sich große Massen und damit in der Regel breite Koalitionen aus unterschiedlichen Gruppen zu gemeinsamen Aktionen zusammenfinden. Die aus diesen Bewegungen hervorgehenden Institutionen und Gesellschaften sind daher pluralistischer und demokratischer als jene, die eine gewaltsame Entstehungsgeschichte aufweisen (Zunes 2011, S.402).

Allerdings gelingt es gewaltfreien Bewegungen oft nicht, ihr Mobilisierungspotenzial von urbanen Räumen zu entkoppeln, zu verbreitern und zu verstetigen. Die Bilanz der arabischen Proteste zeigt zudem, dass friedlicher Widerstand von gewaltsamen Akteuren vereinnahmt wird und zu gewaltsamem Konfliktaustrag und Krieg führen kann.

Eine weitere, ungewollte Facette gewaltfreien Widerstands zeigte sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen junger Frauen durch Dutzende in Gruppen auftretende Männer gehörten spätestens seit Januar 2011 zu den hässlichen Geschehnissen der dortigen Revolution. Die gewalt- und herrschaftsfreien Räume und Plätze, die sich die Protestbewegung erhoffte, konnten nicht aufrecht erhalten werden, sondern wurden von anderen Gruppen zu gewaltförmigen und kriminellen Zwecken ausgenutzt.

Die Proteste auf dem Kiewer Maidan machten zudem klar: Ein erheblicher Teil der friedlich Protestierenden verzichtete nur aus strategischen und nicht aus prinzipiellen Gründen auf Gewalt. Gewaltfreiheit bleibt damit an bestimmte situative Faktoren gebunden. Sind diese nicht gegeben, greifen vermeintlich gewaltfrei Protestierende zuweilen doch zu Gewalt, wie viele der ehemaligen Teilnehmer der Maidan-Proteste, die seither die militärischen Aktivitäten der ukrainischen Regierung in diversen ultra-nationalistischen Freiwilligenverbänden flankieren.

Das Potential friedlicher Bewegungen zeigt sich also vor allem dann, wenn größere Gruppen eine gesellschaftliche Transformation anstreben, ein konstruktives Programm zur Veränderung der Gesellschaft verfolgen – und vor allem aus Überzeugung auf gewaltsame Mittel verzichten.

Literatur

Erica Chenoweth and Maria J. Stephan (2011): Why Civil Resistance Works – The Strategic Logic of Nonviolent Conflict. New York: Columbia University Press.

Erica Chenoweth and Kathleen Gallagher Cunningham (2013): Understanding nonviolent resistance -An introduction. Journal of Peace Research 50(3), S.271-276.

Erica Chenoweth and Jay Ulfelder (2015): Can Structural Conditions Explain the Onset of Nonviolent Uprisings? Journal of Conflict Resolution, April, S.1-27.

Gene Sharp (1969): The Technique of Nonviolent Action. In: Adam Roberts (ed): Civilian resistance as a national defence – non-violent action against aggression. [New ed.]. Harmondsworth: Penguin (Pelican books), S.107-127.

Gene Sharp (1973): The Politics of Nonviolent Action – Part I: Power and Struggle. Boston: Porter Sargent Publishers.

United Nations Department of Economic and Social Affairs (UN DESA), Population Division (2014): World Urbanization Prospects. The 2014 Revision. Highlights.

Stephen Zunes (2011): Nonviolent Revolution in the Middle East. Peace Review – A Journal of Social Justice, 23(3), S.396-403.

Markus Bayer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt »Nonviolent Resistance and Democratic Consolidation« am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik der Universität Duisburg-Essen.
Dr. Janet Kursawe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin/Politikwissenschaftlerin (Friedens- und Konfliktforschung) am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen.

Städte als Friedensbotschafter

Städte als Friedensbotschafter

Die International Association of Peace Messenger Cities

von Alfred Marder

In der Regel wird die Kompetenz und Zuständigkeit für das Thema Krieg und Frieden auf der Ebene der Staaten bzw. Regierungen verortet. Das Leben der Menschen spielt sich aber vor Ort ab, in Dörfern und Städten. Dort erleben sie Gewalt, Krieg und Zerstörung oder aber Sicherheit und Frieden. Außerdem sind die Kommunen für den praktischen Schutz ihrer Bürgerschaft zuständig, haben also ein eigenes Interesse an friedlichen Zuständen, denn schützen können sie die Menschen kaum, wenn die Städte zu Zielen werden. Der Autor berichtet von einem Zusammenschluss von Städten, die sich gemeinsam die Förderung des Friedens und der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt haben.

Im Vorfeld des Internationalen Jahres des Friedens ernannte 1985 die Generalversammlung der Vereinten Nationen 62 Städte aus der ganzen Welt zu »Peace Messenger Cities«, zu Friedensbotschaftern. Die Auswahl erfolgte anhand von Aktivitäten, mit denen die jeweilige Stadtverwaltung ihre Bürgerschaft für den Weltfrieden und die Unterstützung der Vereinten Nationen mobilisierte. Beispielsweise die Stadt in der ich lebe, New Haven im US-Bundesstaat Connecticut. New Haven beging schon damals jedes Jahr am 24. Oktober den Tag der Vereinten Nationen und organisierte an den Schulen Veranstaltungen zur Förderung des Friedens und der Vereinten Nationen. An diesem Tag gestalteten die Kinder Transparente und Plakate mit ihren eigenen Ideen und marschierten damit um das Stadtzentrum zum Stadtpark. Dort gab es Rede- und Musikbeiträge, und immer war ein Vertreter der Vereinten Nationen dabei.

Der damalige Bürgermeister der französischen Stadt Verdun lud 1988 zusammen mit dem damaligen UN-Generalsekretär Perez de Cuellar alle Friedensbotschafterstädte nach Verdun ein, wo ihnen der Generalsekretär Urkunden und Medaillen überreichte. Außerdem schlug er den Städten vor, sich in einer Organisation zusammenzuschließen, die den speziellen Bedürfnissen von Städten eine Stimme verleihen und Advokatin für den Frieden sein könnte. De Cuellar betonte, dass die Vereinten Nationen nicht nur von den nationalen Regierungen, sondern auch von den Stadtspitzen hören müssten, da diese den Menschen am nächsten seien, ihre Bedürfnisse besser kennen würden und somit ihre Anforderungen und Anliegen am besten transportieren könnten.

Atomwaffen, moderne Kriegsführung und die Städte

Im folgenden Jahr wurden die Städte nach Warschau eingeladen, um in Polen den 45. Jahrestag des Sieges über den Faschismus zu begehen. 1990 richtete dann New Haven eine Generalversammlung der Friedensbotschafterstädte aus, und dabei kamen die Vorbereitungen zur Gründung der International Association of Peace Messenger Cities (IAPMC, Internationale Vereinigung der Friedensbotschafterstädte) zum Abschluss. Die Diskussion kreiste vor allem um die Ziele der neuen Organisation. Ohne große Debatte wurde die vollständige Abschaffung von Atomwaffen als Schlüsselthema festgelegt, das alle Städte verbindet. Die Erfahrungen der Städte Hiroshima und Nagasaki unterstrichen die Relevanz dieser Entscheidung. Die Bedrohung der Städte durch die moderne Kriegsführung landete auf der Agenda ebenfalls ganz oben.

Zu dieser Zeit dominierte das allmähliche Abflauen des Kalten Krieges die globale Politik. Vorher waren die Militärausgaben in die Höhe geschnellt, die Finanzmittel zur Deckung der Grundbedürfnisse der städtischen Bevölkerung hingegen ständig gesunken. Jetzt war die »Friedensdividende« in aller Munde. Bei der Generalversammlung der IAPMC waren sich alle einig, dass die städtischen Spitzen darauf drängen sollten, einen Teil dieser Dividende in die Städte zu lenken. Ein wichtiger Punkt für die Mitgliedstädte war natürlich auch die Unterstützung für die UN-Charta.

Daraus ergaben sich weitere Fragen, die in der IAPMC seither immer wieder neu diskutiert werden: Wie kann man die Ziele der Organisation den Menschen in den Städten näher bringen? Wie macht man den BürgerInnen bewusst, dass die Städte keine Inseln sind, sondern dass sich Krieg und Frieden dort unmittelbar auswirken?

Bei der Generalversammlung 1992 in Genf trat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes an die IAPMC heran und bat um Beteiligung an der weltweiten Landminenkampagne. Das stieß sofort auf Zustimmung, und die IAPMC beteiligte sich am Organisationskomitee der Kampagne, entsandte eine Delegation nach Kambodscha und ermutigte die Mitgliederstädte, ihre Bürgerschaft über diese Aktivitäten zu informieren. Der so genannte Ottawa-Prozess mündete Ende der 1990er Jahre im Vertrag zum Verbot von Antipersonenminen. Auch wenn dem Vertrag noch nicht alle Staaten beigetreten sind, markiert dieses völkerrechtliche Verbot der Herstellung und des Einsatzes von Landminen eine wichtige Etappe mit hoher moralischer Relevanz.

Die Führung der IAPMC nahm außerdem Kontakt zu den Mayors for Peace, den Bürgermeistern für den Frieden, auf. Dieser Städtezusammenschluss, der in den frühen 1980er Jahren von den Bürgermeistern von Hiroshima und Nagasaki initiiert worden war, konzentriert sich thematisch ganz auf die Abschaffung von Atomwaffen. Die IAPMC wurde von den Mayors for Peace nicht nur zu ihren Generalversammlungen eingeladen, sondern auch zu den Vorstandsdiskussionen über ihre globale Kampagne. Auch zu Abolition 2000, einem globalen Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Abschaffung von Atomwaffen, unterhält IAPMC Kontakte und beteiligt sich an Konferenzen und Demonstrationen am Rande von UN-Tagungen und -Sitzungsperioden.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der politischen Strukturen der sozialistischen Länder in Osteuropa in den frühen 1990er Jahren stürzte die IAPMC in eine Krise: Viele Friedensbotschafterstädte kamen aus dieser Region und bezogen sich bei ihren Aktivitäten auf den Zweiten Weltkrieg, auf den Kampf gegen den Faschismus und seine Folgen. Der radikale Umbruch in diesen Ländern wirkte sich direkt auf die Städte aus. Zusätzlich führten die Jugoslawienkriege innerhalb der IAPMC zu Zerwürfnissen. Dennoch gelang es der polnischen Delegation unter Beteiligung vieler IAPMC-Mitgliedstädte, etliche Kommunen in Jugoslawien mit humanitärer Hilfe zu beliefern. Direkt nach den Bombardements der NATO hielt der Vorstand der IAPMC ein Treffen in Kursevac ab, um den Menschen vor Ort seine Solidarität zu demonstrieren.

Bei der internationalen Friedenskonferenz in Den Haag 1999 organisierte die IAPMC einen Workshop, in dem sie andere internationale Städtevereinigungen zusammenbrachte, darunter zum ersten Mal auch »Local Authorities«, den größten globalen Städteverbund. Dabei einigten sich die anwesenden Vertreter darauf, gemeinsam die Kampagnen zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen sowie zur Senkung der nationalen Militärhaushalte bzw. zur Abschöpfung einer Friedensdividende zu intensivieren.

Innerhalb der Vereinten Nationen wirbt die IAPMC um die Schaffung einer eigenen Kategorie für Städte. Die Zivilgesellschaft ist bei den Vereinten Nationen in Form von Nichtregierungsorganisationen aktiv. Die Städte hingegen werden der Regierungsebene zugerechnet, dabei haben sie ganz andere Bedürfnisse als ihre Staatsführung. Sie sind nahe an den Menschen und können im Kampf für Frieden, nachhaltige Entwicklung, Weltgesundheit und bei den zahllosen weiteren in den Vereinten Nationen abgehandelten Themen eine wichtige organisatorische Rolle spielen. Bei den Vereinten Nationen stieß dieses Ansinnen zunächst auf Wohlwollen, das löste sich auf Betreiben der westlichen Staaten aber bald in Luft auf.

Die ursprünglichen 62 Friedensbotschafterstädte waren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ausgesucht und benannt worden. Um weitere Städte einbinden zu können, führte die IAPMC Verhandlungen mit den Vereinten Nationen, die einer Ausweitung der Mitgliedschaft zustimmte. Seither hat sich die Zahl der Mitgliedstädte etwa verdoppelt.

Die IAPMC ist auch Mitglied des UN-Komitees für den Internationalen Friedenstag, den 21. September. Die Friedensbotschafterstädte initiierten ein Programm, das per Livestream Schulkinder in Städten der ganzen Welt zusammenbringt. In ihren Aufführungen präsentieren die Kinder ihren Wunsch nach Frieden und tauschen in vielen Sprachen Grüße aus. Diese Art der Zusammenarbeit kostet die Schulen praktisch nichts, da sie ohnehin über die nötige Technik verfügen. Die IAPMC will das Programm ausweiten und lädt weitere Städte zur Teilnahme ein.

Allerdings ist die Organisation auch ständig mit strukturellen Problemen konfrontiert. In den meisten Städten wird die Führungsspitze regelmäßig in Wahlen bestimmt, die je nach Stadt alle zwei, drei oder vier Jahre stattfinden. Nach einem Wechsel der Führungsspitze ändert sich oft die Politik und damit auch die Beteiligung an der IAPMC. Auch ein Wechsel in der Staatsregierung wirkt sich häufig auf die lokale Ebene aus.

Krieg und Frieden ein Thema für Kommunen

Krieg und Frieden, der Militärhaushalt und damit zusammenhängende Fragen betreffen die Städte zwar direkt, das Mandat zur Bearbeitung dieser Themen wird ihnen aber nicht wirklich zugestanden. Dabei können die Stadtspitzen, also die Bürgermeister und Stadtparlamente, wesentlichen Einfluss auf Fragen von Krieg und Frieden nehmen. In manchen Ländern sind die Bürgermeister national einflussreiche Persönlichkeiten.

Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden: Die Städte und die Menschen in den Städten sind die Ziele der modernen Kriegsführung mit all ihren Schrecken. Wenn Krieg herrscht, können Städte ihren Dienst an den Bürgern nicht mehr erbringen – und sie können ihre Bürger nicht schützen. Krieg und Frieden sind daher auch Themen für die Kommunen.

Alfred Marder ist Ehrenpräsident der International Association of Peace Messenger Cities und lebt in New Haven, Connecticut/USA. Mehr Informationen zur IAPMC gibt es unter iapmc.org.
Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen.

Flucht, Stadt und Rassismus

Flucht, Stadt und Rassismus

Geflüchtete in europäischen Städten

von René Kreichauf

Lagerähnliche Aufnahme- und Unterbringungspraktiken wurden im Kontext einer europäischen Angst vor Flüchtlingen als Teil asylfeindlicher Gesetzesvorhaben über Jahrzehnte etabliert. Die städtische Wohnversorgung von Geflüchteten spiegelt daher die Verräumlichung einer Gesetzgebung wider, die auf Ausgrenzung zielt. An den Beispielen Kopenhagen, Berlin und Madrid zeigt der Artikel die Strukturen, rassistischen Motive und Folgen dieser Lagerunterbringung auf.

Bis heute hat sich das System der Lagerunterbringung – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – verstetigt und fortwährend perfektioniert: Mittlerweile werden in allen EU-Mitgliedsstaaten Geflüchtete größtenteils in so genannten Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften in oder fernab von Städten zwangsuntergebracht. Der Umgang mit Geflüchteten, konkrete integrationspolitische Maßnahmen sowie insbesondere die Bereitstellung von Infrastrukturen und Wohnraum erfolgen zumeist lokal, aber nicht ohne Bezug zur europäischen und nationalen Flüchtlingspolitik.

Die Etablierung des Lagers in Kopenhagen, Berlin und Madrid

In Dänemark wird die Unterbringung der Asylsuchenden zentralistisch gesteuert. Das Udlandsservice (Einwanderungsbehörde) in Kopenhagen ist dem dänischen Justizministerium unterstellt und für das Asylverfahren und die Unterbringung zuständig. Es beauftragt das dänische Rote Kreuz oder Kommunen mit der Wohnraumversorgung. Die Unterbringung in Zentren ist in Dänemark Teil des Asylverfahrens und obligatorisch. Die Verteilung der Unterkünfte und von anerkannten Flüchtlingen erfolgt anhand der »Kommunekvoter«, einer Quote für die Zuweisung von Zugewanderten und Geflüchteten. Die Quote wird anhand der Einwohner_innenzahl einer Stadt und des Anteils (aller) Ausländer_innen berechnet. Kommunen, die bereits einen allgemein hohen Migrant_innenanteil haben (so genannte »Zero Communes« wie Kopenhagen, Arhus und Aalborg), dürfen keine weiteren Geflüchteten aufnehmen. In Kopenhagen gibt es daher keine Unterkünfte. Die Lager sind hier räumlich isoliert in Wäldern und alten Militäranlagen im Umland angelegt.

In Spanien werden die Lager direkt von der Subdirectora General Adjunta de Integración de los Inmigrantes (Integrationsbehörde) des Ministeriums für Arbeit und Soziales betrieben. Sie sind ein fester Bestandteil des spanischen Integrationsprogramms für Asylsuchende, das auf eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem und letztlich auf die Teilhabe der Flüchtlinge an der spanischen Gesellschaft abzielt. Mehr als die Hälfte aller Asylsuchenden in Spanien werden – zumindest in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft – in Madrid untergebracht: Zwei (von vier) der staatlich betriebenen Centros de Acogida a Refugiados (ähnlich den deutschen Gemeinschaftsunterkünften), ein Abschiebelager, von Nichtregierungsorganisationen angemietete Wohnungen sowie Spaniens einzige Erstaufnahmeunterkunft befinden sich in der Hauptstadt. Obwohl sich die Unterkünfte insgesamt durch ihre Lage in Nachbarschaften auszeichnen, sorgt die Architektur der Unterkünfte (vergitterte Fenster, Eingangstore, hohe Zäune etc.) für räumliche Barrieren.

In Deutschland ist die Aufnahme und Unterbringung der Asylsuchenden im Asylverfahrensgesetz sowie im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Der »Königsteiner Schlüssel« entscheidet über die Verteilung der Geflüchteten auf die Bundesländer. Die konkrete Umsetzung der Gesetze und die Entscheidung über die Wohnformen obliegen den Ländern und Kommunen. Berlin ist, trotz der Möglichkeit, nach drei Monaten Aufenthalt privaten Wohnraum anzumieten, durch die Herausbildung eines Lagersystems geprägt, das aus drei offiziellen Erstaufnahmeeinrichtungen sowie ca. 60 Gemeinschafts- und Notunterkünften besteht und in dem ca. 75% der rund 40.000 Asylsuchenden untergebracht sind (Stand August 2015). Aufgrund der relativen Entscheidungshoheit über die Art der Wohnversorgung, die Auswahl von Betreiberfirmen bzw. -organisationen und von Standorten kann daher durchaus von einer Lagerpolitik als Stadtpolitik gesprochen werden.

Die untersuchten Städte beherbergen jeweils drei Lagerformen: Erstaufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft und Abschiebezentrum. In jüngerer Zeit wird ein Trend zur Zusammenführung der unterschiedlichen Funktionen erkennbar (Flughafenverfahren, Gemeinschaftsunterkünfte auch als Erstaufnahmezentren und Orte der Abschiebung, zentrale Lagerkomplexe wie Sandholm in Dänemark oder Tempelhof in Berlin). Durch die Dublin- und EURODAC-Verordnungen, die einen EU-weiten Austausch über die Identität der Flüchtlinge ermöglichen, sowie durch die Vereinheitlichung der Aufnahmebedingungen hat sich zudem ein untereinander verbundenes Geflecht von Lagern mit dem Ziel der europaweiten Organisation der Fluchtmigration und der Unterbringung herausgebildet (Kreichauf 2015).

Das Lager als sozialräumliche Exklusionsfigur und als Instrument der Abschreckung

Die (offizielle) politische und verwaltungstechnische Rechtfertigung für die Anlage der Massenunterkünfte verläuft in allen Fallbeispielen nach folgendem Argumentationsmuster: Der Anstieg der Zahl der Flüchtlinge war bzw. sei unvorhersehbar und zwinge Entscheidungsträger_innen zu einer spontanen und effizienten Antwort. Da die angespannten Wohnungsmärkte die Flüchtlinge nicht absorbieren können und die Unterbringung in privatem Wohnraum mit hohem Zeit- und Organisationsaufwand verbunden sei, entstehe ein Handlungsdruck, auf den nur pragmatisch mit der schnellen Bereitstellung großer Unterkünfte für die »Masse« der Asylsuchenden reagiert werden könne. So behauptete ein Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales: „Das ist einfach ein Gebot der schieren Not […]. Wir müssen kurzfristig reagieren. Da sind Wohnheime eben auch ein notwendiges Übel.“

Deutlich werden an diesem Vorgehen vor allem die Konstruktion eines fortwährenden Ausnahmezustandes und die Problematisierung der steigenden Flüchtlingszahlen, die die Massenunterkunft als vermeintlich unvermeidbare Reaktion legitimieren. Bei genauerer Betrachtung des empirischen Materials werden jedoch vier zentrale Ziele und soziopolitische Funktionen der Unterbringung in Lagern deutlich: 1.sozialräumliche Exklusion, 2. Abschreckung, 3. Disziplinierung und ökonomische Ausbeutung sowie 4. Kontrolle und unmittelbarer Zugriff auf die Flüchtlinge.

1. Sozialräumliche Exklusion

Anhand von 35 Kategorien wurde im Rahmen der Studie »The European Fortress City« die sozialräumliche Exklusion in zehn Unterkünften in den untersuchten Städten hinsichtlich ihrer Lage, ihren räumlichen Ausgrenzungstendenzen sowie symbolischer und individueller Isolationsmechanismen bewertet. Auffällig ist, dass vor allem die Erstaufnahmeeinrichtungen physisch und symbolisch von ihrer Umgebung abgetrennt sind. In Dänemark ist die systematische räumliche Ausgrenzung der Asylsuchenden – politisch gesteuert durch die »Kommunekvoter« – am offensichtlichsten. Alle Unterkünfte sind außerhalb städtischer Siedlungen angelegt. Besonders prägnant ist die Lage und Struktur des Center Sandholm. Es bildet einen nach außen abgeschotteten Raum, der über Zäune und Mauern sowie eine Pförtneranlage und Einlass- bzw. Ausgangskontrollen abgesichert wird. Unmittelbarer Nachbar des Center ist ein militärischer Stützpunkt der dänischen Armee samt Schießübungsgelände.

2. Abschreckung

Alle interviewten Flüchtlingsorganisationen und -initiativen in Berlin und Kopenhagen hoben die Bedeutung des Diskurses über den Missbrauch des Asylrechts und sozialstaatlicher Leistungen hervor, der als Instrument für die Einführung der Lagerunterbringung genutzt wird. In diesem Zusammenhang ist das Flüchtlingslager ein Instrument der politisch forcierten Abschreckung weiterer Migrantinnen und Migranten einerseits und der Stigmatisierung der Asylsuchenden als »Sozialschmarotzer« andererseits. Das Lager hilft, das Bild »fremder Eindringlinge« zu konstruieren, und dient gleichzeitig als Rechtfertigung für den Umgang mit dieser Gruppe.

3. Disziplinierung und ökonomische Ausbeutung

In Madrid funktioniert das Heim als ein Ort, der die Integration durch gezielte Integrationsmaßnahmen, Sprachunterricht und Arbeitsmarktvorbereitungskurse fördern soll.„Das ist keine Unterkunft zum Essen und Schlafen, sondern es ist eine Unterkunft mit einem Arbeitsprogramm“, erläuterte eine Mitarbeiterin einer Unterkunft. Das Programm korreliert mit der sozialräumlichen Struktur der Unterkunft als Ort unmittelbarer Kontrolle, Einschüchterung und Bestrafung. Dies wurde bei der Befragung der Heimleitung deutlich: „Manchmal nehmen sie nicht teil. Dann muss man sie per Lautsprecher ausrufen, und wir können die finanzielle Unterstützung kürzen oder ihre Zeit in der Unterkunft beschränken.“ Das Programm ist primär an der ökonomischen Integration der Flüchtlinge ausgerichtet sowie an der Bedeutung ihrer Arbeitskraft für die spanische Wirtschaft, die bis zur Krise 2008 wesentlich vom Niedriglohnsektor und vom irregulären Arbeitsmarkt abhängig war (Frenzel 2009). Dass ein direkter staatlicher Zweck des Arbeitsmarkts- und Integrationstrainings, das mit der Unterbringung in der Massenunterkunft verbunden ist, die Herausbildung einer Masse billiger Arbeitskräfte für den irregulären Arbeitsmarkt in Spanien sein könnte, wurde von vielen spanischen Interviewpartner_innen vermutet.

Disziplinierungspraktiken und ausgeprägte Machthierarchien werden nicht nur physisch-symbolisch (Militäranlagen als Unterkünfte, Gitter vor Fenstern einiger Unterkünfte etc.) erkennbar, sondern zeigen sich auch in Strategien des Heimpersonals. Im Berliner Lager Klingsorstraße werden Informationen über Mietwohnungen nur an einzelne ausgesuchte Bewohner_innen weitergegeben. Im Center Sandholm gibt es ein »Activation Program«, das aus der Reinigung aller Räumlichkeiten, Wäsche waschen und Gartenarbeit besteht. Abwesenheit wird mit der Kürzung des Taschengeldes und mit schlechteren Wohnbedingungen sanktioniert.

4. Kontrolle und Zugriff auf Geflüchtete

Schließlich garantiert die Lagerunterbringung die Kontrolle und den Zugriff auf Migrant_innen während des Asylverfahrens, wie der Berliner Flüchtlingsrat erläuterte: „Neben der Abschreckung ist immer auch ein definiertes Ziel die Kontrolle. Das heißt der Zugriff auf den Ausländer zum Zweck der Abschiebung.“ Innerhalb der Unterkünfte gibt es dabei sowohl direkte als auch indirekte Kontrollformen. Während die direkte Kontrolle vor allem durch Identitätsprüfungen der Geflüchteten und Besucher_innen, physische Grenzen wie Mauern und Zäune, Wachpersonal und – wie in Madrid – auch durch Videoüberwachung bestimmt wird, werden indirekte Kontrollmechanismen vor allem durch Eingriffe in die Privatsphäre der Bewohner_innen erkennbar. Das Personal, aber auch andere Asylsuchende, erzeugen einen Zustand permanenter Beaufsichtigung, wie ein Flüchtling im Center Sandholm beschrieb: „Alles, was ich tue, wird kontrolliert: wann ich gehe, wann ich zurückkomme, wann ich Post erhalte und wann ich Wäsche wasche.“

Das Lager als rassistisches Merkmal europäischer Asylgesetzgebung

In den Untersuchungen zu Unterbringungspraktiken als materielle Verwirklichung der Asylgesetzgebung wird unmittelbar deutlich, dass das Lager den physischen Raum administrativer und politischer Gewaltausübung in Bezug auf Geflüchtete darstellt. Es ist ein Raum, der zur Entwicklung und Manifestierung des Eigenen und des (ethnisch) Fremden dient und dafür (als gesetzlich vorgeschriebene Unterbringung für Flüchtlinge) auch politisch initiiert wurde und wird. Miles (2000) argumentiert, dass dieser Einschluss durch Ausschluss – je nach Kontext, in dem dies stattfindet, und wenn ein rassistischer Diskurs vorangegangen war – rassistisch sein kann.

Die Entstehung der Lager und die Etablierung regulierender Asylgesetze in den 1980er und 1990er Jahren gehen in Dänemark und Deutschland auf eine politische Zielsetzung zurück: Die Zuwanderung soll durch Abschreckung und durch Verschlechterung des Lebensstandards der Migrant_innen verhindert werden. Dabei wurde in aller Deutlichkeit offen auf „rassistische Argumentationsmuster rekurriert“ und „Flüchtlingen ein absichtlicher Missbrauch des Asylrechts unterstellt“ (Wichert 1994). Diese Debatte und die bis heute geltenden und weiter ausgebauten Asylrechtsverschärfungen sind laut Morgenstern (2002) durch einen kulturalistischen Rassismus, die Berufung auf kulturelle Unterschiede und die vermeintliche Unmöglichkeit eines Zusammenlebens geprägt. Morgenstern (2002), Herbert (2001) und Bade (2015) stellen fest, dass eine konservative, restriktive Reaktion der Politik vielfach bis heute als einzige Lösung gegen den vorgeworfenen Missbrauch des Asylrechts angesehen wird.

In Bezug auf Ausländergesetze und die Rolle des Staates sprechen Kalpaka und Räthzel (1990) sowie Jäger (1992) dann von Rassismus, wenn 1. die Andersartigkeit von Menschen, beispielsweise durch körperliche Erscheinungsformen und kulturelle Merkmale, herausgestellt wird, wenn 2. diese negativ (oder auch positiv) bewertet wird, die Bewertung eines Menschen also einen Bezug zu angenommenen andersartigen Erscheinungsformen und kulturellen Merkmalen herstellt, und wenn 3. diese Bewertung aus einer Position der Macht vorgenommen wird. Hall (2000) erläutert in diesem Zusammenhang, dass rassistische Ideologien immer dann entstehen, wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft ist und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu gesellschaftlichen, kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen. Essed (1991) und Link (2002) betonen, dass diese Form des Rassismus durch einen „weißen Konsens“ weniger erkennbar wird. Auch Pieper (2008) erklärt, dass durch die ideologische Funktion des Rechts als Basis des modernen Rechtsstaats diese rechtlichen Abwertungsprozesse „als normal, rechtlich geregelt und vor allem als gerecht und damit notwendig“ erscheinen und schließlich ihre rassistischen Komponenten verbergen.

In der Studie zu Berlin, Kopenhagen und Madrid wird deutlich, dass durch die Asylgesetzgebung und das Lager diskriminierende, ausgrenzende und rassisierende Markierungsprozesse stattfinden, die die Betroffenen als »fremd« und »nicht-zugehörig« bestimmen und ihnen dadurch eine untergeordnete Stellung in der Gesellschaft zuweisen. Asylsuchende in allen Untersuchungsstädten bezeichnen die Lager als Gefängnisse und als Orte, die sie nach außen kriminalisieren und in ihrer Lebensgestaltung unterdrücken. Befragte berichten von Diskriminierung (faul, da keine Arbeit; arm und dem Sozialstaat auf der Tasche liegend; kriminell, weil in einer gefängnisähnlichen Behausung lebend oder beim Schwarzfahren erwischt), die eng mit ihrem rechtlichen Status als Menschen ausländischer Herkunft mit unsicherem Aufenthalt und den durch die Asylgesetzgebung geschaffenen Zuständen zusammenhängen. Die Unterkünfte selbst spielen aufgrund ihrer Architektur, der städtebaulichen Anordnung und ihrer Lage eine besondere Rolle in der Entwicklung von Ressentiments gegenüber dem »Fremden«. Sie korrespondieren mit der rassistischen Markierung der Bewohner_innen und tragen gleichsam zu deren Verstärkung bei.

Die zwangsweise Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften erfolgt in allen Untersuchungsstädten seit der Verschärfung der jeweiligen Asylgesetzgebung in den 1980er und 1990er Jahren – nicht weil das Lager die humanitär oder ökonomisch »beste« Unterbringungsform darstellt und sinnvoll ist, sondern weil es die konkrete politische Aufgabe und Motivation verfolgt, als Symbol Zugewanderte abzuschrecken und als Raum die in einer fortschrittlichen Gesellschaft niedrigsten Lebensbedingungen anzubieten und rechtlich zu legitimieren. Die Lagersysteme und die einzelnen Lager sind als Räume der physischen wie sozialen Exklusion und als Folge der Ausländergesetzgebungen ein zentraler Bestandteil des – wie Pieper (2008) erörtert – institutionellen Rassismus.

Im Rahmen der Gesetzgebung entsteht Rassismus hiernach im Raum, und gleichermaßen entwickelt sich der Raum durch Rassismus. Die Lagerunterbringung zeigt damit zwei Dimensionen auf: Erstens werden die Geflüchteten durch die Verortung in diesem negativ konnotierten Raum als Gruppe überhaupt erst wahrgenommen – das ist der Ausgangspunkt rassisierender Markierungs- und Stigmatisierungsprozesse. Die Lagerunterbringung erzeugt Auffälligkeit durch bestimmte physische oder innere Strukturen (z.B. Konzentration von Menschen auf engstem Raum, Verlust der Privatsphäre, Abhängigkeit von Betreuenden bei der Verrichtung alltäglicher Aktivitäten,, erzwungene Erwerbslosigkeit etc.). Nach außen wird vermittelt, dass die Bewohner_innen einer Unterkunft nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, sondern als „subhuman beings“ (Untermenschen) oder „criminals and prisoners“ (Kriminelle und Zuchthäusler) wahrgenommen werden, wie Aktivist_innen in Berlin und Kopenhagen erläuterten. Diese Zustände tragen zur Entstehung von Konflikten innerhalb der Lagerbewohnerschaft und so wiederum zu Vorbehalten und irrationalen Ängsten in der Bevölkerung bei (=Rassismus durch Raumproduktion). Und zweitens ist dieser Raum überhaupt erst durch eine rassistische Gesetzgebung geschaffen wurden (= Raumproduktion durch Rassismus).

Das Lager als neuer Grenzraum in der europäischen Stadt

In allen drei Untersuchungsstädten schränken Asylgesetze den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen durch die gesetzlich vorgeschriebene Zwangsunterbringung in Lagern, Arbeits- und Ausbildungsverbote, das mittlerweile wieder in allen Untersuchungsstädten wirkende Sachleistungsprinzip, die Leistungskürzung unter das Existenzminimum und den systematischen Ausschluss von medizinischer Versorgung ein. Insgesamt verwehrt die Asylgesetzgebung damit den Geflüchteten rechtliche Möglichkeiten, für den Lebensunterhalt selbst zu sorgen und den Lebensalltag sowie das Lebensumfeld eigenständig zu wählen und zu gestalten.

Das Lager ist zentrales Resultat der Asylpolitiken auf supranationaler, nationaler und teilweise lokaler Ebene und gleichermaßen der Raum, in dem sich Asylpolitiken manifestieren. Herz (2008) bringt das prägnant zum Ausdruck: „The camp is politics having become space.“ (Das Lager ist zum Raum gewordene Politik.) Europaweit hat sich die Massenunterkunft als materielles Instrument von Asylpolitiken etabliert. Das Lager übernimmt die Funktion eines Grenzraums, der durch materielle wie symbolische Barrieren gekennzeichnet ist und den systematischen Ausschluss Zugewanderter mit unsicherem Aufenthaltsstatus von der Teilhabe am urbanen Leben garantiert – obwohl sie räumlich in (oder in der Nähe von) europäischen Städten leben.

Anmerkung

Dieser Artikel basiert auf Forschungsergebnissen des Projekts »The European Fortress City – The Socio-Spatial Exclusion of Asylum Seekers in Copenhagen, Berlin and Madrid«. Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen des internationalen Masterstudiums »4 Cities – Unica Euro Master in Urban Studies« an der Vrije Universiteit Brussel, der Université Libre de Bruxelles, der Universität Wien, der Københavns Universitet, der Universidad Autónoma de Madrid und an der Universidad Complutense de Madrid von 2013 bis 2015 durchgeführt. Für diesen Beitrag wurden die Originalzitate aus den Interviews in Kopenhagen und Madrid ins Deutsche übersetzt.

Literatur

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René Kreichauf studierte Stadt- und Regionalplanung sowie Stadtsoziologie in Berlin, Brüssel, Wien, Kopenhagen und Madrid. Aktuell forscht er als Doktorand der Freien Universität Berlin und der Vrije Universiteit Brüssel zu Formen urbanen Asyls in europäischen und nordamerikanischen Städten.

Krieg und artifizieller Städtebau

Krieg und artifizieller Städtebau

Bestandsaufnahme und Problematik

von Andrea Kretschmann

Der Krieg ist schon längst eine Frage der Städte geworden, und in diesem Sinne verlagert dieser sich auf neue Territorien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Räume, in denen militärische Apparate intervenieren, immer vorgestellte Räume sind, die fernab der betreffenden Regionen in sozialen Prozessen hervorgebracht werden. Ein wesentliches Element dieser Raumproduktionen ist gegenwärtig die artifizielle Stadt. In nie dagewesenem Maße vermittelt sie sozialräumliche und kulturelle Aspekte des Territoriums, auf dem der Gegner zu Hause ist. Es zeigt sich jedoch, dass diese Aspekte nicht authentisch oder neutral, sondern mit kultureller Bedeutung über die gegnerischen Räume aufgeladen ist.

Der Krieg ist eine Frage der Städte geworden, das ist bekannt. Nimmt man etwa das von der NATO im Jahr 2003 veröffentlichte Papier »Urban Operations in the Year 2020«1 zur Hand, so wird deutlich, dass das Militärbündnis das Einsatzgebiet ihrer Mitgliedsstaaten in starkem Maße in Städten verortet. Dies geschieht vor dem Hintergrund der zunehmenden Verstädterung der Weltbevölkerung. Aus Sicht der NATO wird insbesondere eine Gemengelage aus wachsenden urbanen Slums und einer sich auf engem Raum divers zusammensetzenden Bevölkerung verstärkt für Aufstände und zivile Unruhen in den Städten sorgen.2

In strategischer Hinsicht gilt für den Städtekrieg: Die Kämpfenden sind nicht nur für den Kampf zu schulen, sondern – damit die SoldatInnen die Aktivitäten des Gegners antizipieren können – auch mit möglichst detaillierten Informationen über den Feind zu versehen. Schon immer hat man in die Ausbildung von SoldatInnen auch Propaganda im Sinne eines bewusst kolportierten, einseitigen Blicks auf den Gegner eingebracht, um diese auf den Kampf einzuschwören. Mit der Verstädterung des Krieges wird das Wissen über den Gegner jedoch in besonderem Maße räumlich erschaffen (ob bewusst oder unbewusst, das sei hier dahingestellt), denn die Verstädterung bringt ein bisher eher vernachlässigtes Genre militärischer Architektur zur Blüte: die artifizielle Stadt.

Um sich auf den Ernstfall vorzubereiten, sehen Militärs die Notwendigkeit, das Training aus dem offenen Gelände in städtische Umgebungen zu verlagern. Unter KriegsstrategInnen geht man ohnehin davon aus, dass auf lineares Voranschreiten ausgerichtete Kampfstrategien heute überholt sind3 und es stattdessen einer netzwerkartigen Organisation des Kampfes bedarf. Die Verstädterung des Krieges erfordert aber eine komplexe Kriegsführung – städtisches Gelände gilt als schwierig im Vergleich zum traditionell bevorzugten offenen Gelände.4 Insbesondere Kriege in verslumten Städten oder Flüchtlingslagern zu führen erweist sich dabei als Herausforderung. In der Strategieforschung hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass so genannte intelligente Bomben zwar nützlich sind, um hierarchisch strukturierte, über zentralisierte Infrastrukturen verfügende Städte unter Kontrolle zu bringen, allerdings „haben High-tech-Waffen deutliche Schwächen, wenn es darum geht, arme städtische Regionen, wie etwa Mogadischu/Somalia oder den Stadtteil Sadr City der irakischen Hauptstadt Bagdad, zu kontrollieren“.5 Die militärischen Apparate der westlichen Länder haben in diesem Sinne nicht nur ihre Doktrinen um den urbanen Raum ergänzt, sondern auch einen großen Teil ihrer militärischen Übungen.

Übungsanlagen für den Städtekampf

Nachbildungen städtischer Räume für Trainingszwecke sind deshalb heute keine Seltenheit mehr. Über eine der größten artifiziellen Städte verfügt mit seinem »Urban Warfare Training Center« derzeit das israelische Militär,6 dicht gefolgt von den USA. Letztere betreiben in Colorado Übungen in Fort Carson; in Louisiana kann in Fort Polk im städtischen Raum trainiert werden, und in Alaska hält Fort Richardson Möglichkeiten für derartige Übungen bereit. Das britische Militär trainiert für die »Military Operations on Urban Terrain« (MOUT, Militärische Einsätze im städtischen Umfeld) in seiner Stanford Battle Area.

Über die europaweit größten Trainingseinrichtungen verfügt momentan das französische Militär in verschiedenen »Centres d’entrainement aux actions en zones urbaines« (Trainingszentren für Einsätze in städtischen Zonen). Von seiner führenden Position in Europa wird Frankreich jedoch spätestens im Jahr 2020 verdrängt werden. Dann soll auf dem Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark in Sachsen-Anhalt die noch größere Übungsstadt Schnöggersburg fertig gestellt sein – allerdings wird selbst deren Fläche nur ein Fünftel des israelischen MOUT-Geländes ausmachen.7 „Mit der Errichtung des Urbanen Ballungsraumes wird das GÜZ zur größten und modernsten Übungseinrichtung Europas, wenn es um die Simulierung von Ernstfällen in Krisengebieten geht“, heißt es auf der Website der Bundeswehr.8

Bislang verfügte das deutsche Militär über so genannte Ortskampfanlagen auf dem Truppenübungsplatz in Lehnin, darunter das fiktive Städtchen Rauhberg, sowie über das Trainingsdorf Bonnland auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg. Beide werden wohl bald als Vorläuferinnen der »städtebaulichen Entwicklung« von Kampfanlagen zu betrachten sein. Greift man in Bonnland noch auf die Struktur eines abgesiedelten Dorfes mit 120 Gebäuden zurück, zeichnet sich Rauhberg schon durch eine in Ansätzen städtische Infrastruktur aus. Die Anlage umfasst 70 Gebäude, die in unterschiedlicher Bauart (mit und ohne Keller, teilweise möbliert) zur Verfügung stehen. Sie verfügt u.a. über ein Kanalnetz, über Fußgängerunterführungen, einen Bahnhof, eine Schule, Einkaufsläden, Tankstellen, Gaststätten und einen Flugplatz. Zudem können Gebäudebrände dargestellt werden, und Lautsprecher können Gefechtslärm simulieren. Rauhberg hat zudem elektrisch gesteuerte Geräte zur Zieldarstellung, auf die mit Übungsmunition geschossen werden kann.9

Die artifizielle Stadt der zweiten Generation ist damit nicht mehr als willkürliche Ansammlung von Häusern zu sehen, sondern stellt bereits ausschnitthaft einen urbanen Raum dar. Schnöggersburg, das demgegenüber großstädtische Züge trägt, soll nach Fertigstellung einer ausdifferenzierten „ganze[n] Stadt“ 10 so ähnlich wie möglich sein. Hier werden etwa 500 Häuser aufgebaut, die in verschiedene Viertel unterteilt sind, darunter eine Altstadt, eine Neustadt, aber auch ein Elendsviertel. U.a. gibt es eine Müllhalde, einen U-Bahn-Tunnel, Kanalisationsschächte und eine Stadtautobahn. „Die Einsatzrealität der Bundeswehr zeigt, dass derzeitige und zukünftige Konflikte und Krisenherde dort entstehen, wo soziale und kulturelle Ballungsräume zu finden sind. Bereits heute kennzeichnen [sic!] eine Vielzahl von unterschiedlichen Operationsarten die internationalen Missionen der Bundeswehr. Diese reichen von humanitären Einsätzen bis hin zu bewaffneten Konflikten im Rahmen Frieden erzwingender Maßnahmen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, hat das Bundesministerium der Verteidigung entschieden, einen »Urbanen Ballungsraum« im Gefechtsübungszentrum Heer auf dem Truppenübungsplatz Altmark zu schaffen“,11 erläutert die Bundeswehr in Bezug auf Schnöggersburg.

Die Nachbildung von Städten zu Trainingszwecken ist allerdings keine gänzlich neue Entwicklung; militärische Nachbauten urbaner Räume haben Tradition. Im Zweiten Weltkrieg etwa sollte das wiederholte Bombardement artifizieller deutscher und japanischer städtischer Bebauung bei der Entwicklung amerikanischer und britischer Brandbomben helfen.12 Planspiele in artifiziellen Städten gab es auch während des Kalten Kriegs, so auch vonseiten der Bundeswehr, die im bereits erwähnten Bonnland schon in den 1960er Jahren trainierte.

Zielten die Simulationen jedoch früher darauf ab, sich auf die Einnahme einer durch eine nationale Armee verteidigten Stadt vorzubereiten, trainiert man heute für asymmetrische Kriege. Geübt werden sollen Praxen, die es den Einsatzkräften ermöglichen, einer heterogenen Feindgruppe gegenüberzutreten, die nicht wie eine reguläre Armee organisiert ist.13 Es wird damit gerechnet, auf ein zersplittertes Schlachtfeld ohne klassische Frontlinien und auf dezentral operierende, eventuell auch technisch gut ausgerüstete Einheiten zu treffen. In der NATO-Terminologie sind dies derzeit vor allem Charakteristika von „non-article 5 operations“,14 also von Einsätzen, die abseits der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung eines Landes zu verorten sind.

Auch die Bundeswehr begreift „Einsätze der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung […] im erweiterten geografischen Umfeld“ im Kontext der „Sicherheitsvorsorge“ als ihre vorrangige Aufgabe.15 Dies wird allerdings im Kontext der Frage, inwieweit dies mit §80 des Strafgesetzbuches (Vorbereitung eines Angriffskrieges) vereinbar ist, in Politik und Bevölkerung seit Jahren kontrovers diskutiert. Derartige Operationen verschieben (die Begründung für) den Krieg immer stärker in Richtung eines „Krisenmanagement“,16 in dessen Rahmen das Militär regelmäßig auch zu zivilen Aufgaben herangezogen wird. Kurzum: In den nachgebauten Städten wird für den »low intensity war« geübt.

Kulturelle Verortung

Die artifiziellen Städte und die dort ablaufenden Simulationen werden jeweils an die Umgebung angepasst, in der die Militärs der unterschiedlichen Länder agieren. Dabei strebt man an, reale Kampfterrains und -situationen möglichst authentisch nachzubilden. So ist Israels Städtebau etwa einer Wüstenstadt nachempfunden; alltagssprachlich trägt diese den Namen »Baladia«, arabisch für Stadt. Auch die ArchitektInnen und StadtplanerInnen der US-amerikanischen MOUT-Gelände nahmen teilweise arabische Regionen als Vorlage. Im Jahr 2006 verfügte etwa Fort Carson über drei verschiedene »irakische Dörfer«.17 Das britische Militär wiederum trainiert in der Stanford Battle Area in der Nachbildung eines afghanischen Dorfes.

Für die in den Städten bzw. Dörfern stattfindenden Trainings wird auch hinsichtlich der Ausstattung der Architektur mit »Leben« beträchtlicher Aufwand betrieben; beabsichtigt ist die Nachbildung der Kriegsszenerien möglichst in ihrer ganzen Komplexität. Dies wird nicht nur als nötig erachtet, weil urbane Kriegssituationen ohnehin hohe Opferzahlen in der Zivilbevölkerung mit sich bringen,18 sondern auch, weil ein wesentliches Problem gegenwärtiger urbaner Kriegsführung darin besteht, den Feind überhaupt vom Zivilisten zu unterscheiden. „Die Gefahr lauert in der Kanalisation, auf Häuserdächern, in Gebäuden. Attentäter verstecken sich in Menschenmengen“, formuliert etwa der ehemalige Leiter des GÜZ, zu dem auch Schnöggersburg gehört, in diesem Zusammenhang.19

In der Konsequenz muss der Soldat nicht nur den feindlichen Kämpfer verstehen können, sondern auch die Zivilbevölkerung. In den irakischen Dörfern der USA sind daher nicht nur Moscheen mit Minaretten verbaut, es wird auch der Ruf des Imam zum Gebet nachgeahmt. Hier laufen nicht nur Esel durch die Stadt, sondern auch bezahlte zivile Personen in regionsspezifischer Kleidung.20 In Schnöggersburg gibt es u.a. eine Apotheke und eine Bäckerei; ZivilistInnen werden von den SoldatInnen selbst gespielt. „Es ist äußerst wichtig, dass wir so nah wie möglich an der Realität ausbilden“, erläuterte ein Oberst der Bundeswehr.21

Konsequenzen aus stadtsoziologischer Perspektive

Lässt man – notwendig zu reflektierende, aber bereits anderswo problematisierte – Aspekte der Auswirkungen einer derartigen Kriegsführung außen vor und betrachtet diesen Komplex aus einer stadtsoziologischen Perspektive, dann ist Folgendes zu berücksichtigen: Mit dem artifiziellen Städtebau werden Imaginationen der sozialen Ordnung in den Zielregionen transportiert, die in die späteren Kriegshandlungen einfließen dürften. In der Soziologie hat man sich darauf verständigt, Architektur als ebensowenig neutral anzusehen wie den Raum selbst. Raum ist keineswegs einfach vorhanden, sagt Henri Lefebvre, sondern immer schon sozial hervorgebracht; er ist ein Produkt gesellschaftlicher Prozesse.22 In diesem Sinne sind die Übungsdörfer und -städte des Militärs keine authentisch Nachbildung von Realität. Stattdessen enthalten sie in ihrer räumlichen Anordnung bestimmte Vorstellungen des feindlichen Gegenübers, die im Kontext historischer, aktueller oder heraufziehender Konflikte entstehen.

Für die nachgebauten irakischen Dörfer des Militärs in den USA etwa zeigte Stephen Graham auf, dass diese im Kontext eines komplexen Wechselspiels von Politik, Think-tanks und Medien entstanden, in dem vom »Krieg gegen den Terror« geprägte, stereotype Bilder des Feindes verarbeitet wurden. Die Städte innerhalb der zu bekriegenden Regionen wurden in diesem Zusammenhang als Räume konstituiert, deren einzige Funktion darin zu bestehen scheint, TerroristInnen Unterschlupf zu bieten. In diesem Sinne repräsentieren die Trainingsflächen „nicht die komplexen kulturellen, sozialen oder psychischen Realitäten des Urbanen im Mittleren Osten, sondern die imaginierten Geografien der Militärs sowie der Themenpark-Designer, die für ihren Entwurf und Bau hinzugezogen werden“.23

Da in den artifiziellen Städten für den Ernstfall trainiert wird, haben die hierin verbauten symbolischen Ordnungen einen Streuungseffekt. Architektur antizipiert kommende Nutzungsbedürfnisse24 und wird insofern auf Funktionen hin gebaut. Diese zeigen an, „wo wir sind und was zu tun ist“.25 Der in den Übungsstädten architektonisch und schauspielerisch strukturierte Raum reduziert die Breite der Handlungsoptionen und entlastet, indem er Praktiken kanalisiert. Indem die »Städte« spezifische sozialräumliche Anordnungen darstellen und deren kulturelle Nutzung simulieren, wird in ihnen der Raum dergestalt strukturiert, dass in ihm bestimmte Bewegungen sowie Handlungen angeregt und zugelassen, andere wiederum verunmöglicht oder erschwert werden. Das heißt, in die Übungen der Soldaten gehen spezifische räumlich konstituierte Sinngehalte – für die USA etwa Stereotype über das alltägliche Leben sowie Freund und Feind in der arabischen Welt – ein und dürften von diesen wiederum reproduziert werden – mit der Folge eines spezifischen Umgangs mit der Zivilbevölkerung im realen Einsatz.

Auch für Schnöggersburg stellt sich die Frage, welche sozialen Sinngehalte hier architektonisch verarbeitet werden. Anders als bei den Übungsanlagen etwa der USA lässt Schnöggersburg zunächst offen, auf welches vorgestellte »Anderswo« es abstellt. Seine Kirche kann nach Bedarf mit wenigen Handgriffen in eine Moschee umgebaut werden und umgekehrt.26 Laut Auskunft der Bundeswehr ist die »Stadt« nicht auf ein konkretes Interventionsziel hin gebaut, sondern es handelt sich um eine „Fabelstadt, die sich in der ganzen Welt befinden könnte“.27 Schon der Vergleich mit den anderen skizzierten Städten und Dörfern zeigt jedoch, dass hier eine hierarchisch strukturierte Anlage mit einer zentralisierten Infrastruktur im Bau ist, wie sie neben vielen anderen etwa auch deutsche Großstädte kennzeichnet.

Fazit: Die urbane Imagination des Feindes

Es ist schon längst Krieg in den Städten, auch unter Beteiligung Deutschlands, und dieser Krieg basiert vielfach nicht auf direkten Erfahrungen, die SoldatInnen in der Region des Feindes machen, sondern auf Imaginationen derselben. Die Existenz artifizieller Städte verdeutlicht, dass die Räume, in die militärische Apparate kriegerisch intervenieren, immer vorgestellte Räume sind. Weitab vom eigenen Lebensumfeld imaginiert sich der Westen etwa den irakischen Feind.

Neu daran ist, dass heute in nie dagewesenem Maße sozialstrukturelle und kulturelle Aspekte des Alltagslebens in die Übungssituationen eingebaut werden. Hier liegt der zentrale Unterschied zum althergebrachten Training im offenen Gelände: Es entsteht so der Anschein, als sei etwa der Alltag im Irak schon erfahren worden. Auch die Bundeswehr meint, ihre SoldatInnen könnten den sozialen Sinn, den ZivilistInnen in Afghanistan einer Situation zuschreiben, durch das Nachspielen schon ansatzweise erfassen. So ist man beim deutschen Militär der Auffassung, dass durch das Hineinversetzen der SoldatInnen in die „je nach Szenario […] afghanische Bevölkerung, Polizei oder Armee […] die interkulturelle Kompetenz der Soldaten geschult“ wird.28 Was aber vordergründig als realistische Darstellung des feindlichen Gegenübers oder der Zivilbevölkerung daherkommt, ist keine Wiedergabe des Gegebenen, sondern imaginatorisch angeeignete Realität. Als solche ist sie mit spezifischem, sozial und kulturell aufgeladenem Sinn versehen.

Auch wenn die Regionen der Welt sich im Zuge der Globalisierung derart nahe kommen, dass für Staaten (mit dem tatsächlichen Ziel oder dem Vorwand der Befriedung) „ein schnelles Handeln auch über große Distanzen erforderlich“ 29 scheint, so zeigt sich, dass damit keine tiefere oder verständnisvollere Wahrnehmung dieser Räume einhergehen muss. Nicht zuletzt ist ein gewisser stereotyp verkürzter Blick auf das feindliche Gegenüber auch eine elementare Bedingung des Kriegführens; das ist der Sinn von Propaganda. Während diese jedoch auf Komplexitätsreduktion abstellt, werden mit den artifiziellen Städten Komplexitätssteigerungen vorgenommen; asymmetrische Kriegsführung verlangt geradezu danach. Am Beispiel der US-amerikanischen Übungsstädte zeigt sich, dass hiermit nicht unbedingt eine verstehende Perspektive einhergeht. Stereotypisierende Grenzziehungen werden dann nicht aufgehoben, sondern vielmehr auf spezifische Weise differenziert.

Anmerkungen

1) NATO (2003): Urban Operations in the Year 2020. RTO-TR-071, S. xii.

2) Ibid, S.4.

3) Ibid, S. iii.

4) Gerald Yonas and Timothy Moy (2001): Emerging technologies and military operations in urban terrain. In: Michael C. Desch (eds.): Soldiers in Cities – Military operations on urban terrain. Carlisle/Pennsylvania: U.S.Army War College – Strategic Studies Institute, S.131-139.

5) Interview mit Mike Davis: The rising tide of urban poverty. 12.5.2006, socialistworker.org

6) Israeli Defence Force (2011): Urban Warfare Training Center – Simulating the Modern Battle-Field. idfblog.com, 26.10.2011.

7) Thorsten Jungholt (2015): Bundeswehr soll in Israel den Häuserkampf lernen. welt.de, 30.8.2015. Konkret soll Schnöggersburg etwa sechs Quadratkilometer groß werden.

8) Bundeswehr (2013): Schnöggersburg – Die neue Übungsstadt. iud.bundeswehr.de, 14.2.2013.

9) Bundeswehr (2015): Ausbildergruppe des Ausbildungszentrums Infanterie des Bereichs Lehre Ausbildung, Orts-/Waldkampf BONNLAND und LEHNIN. deutschesheer.de, 6.1.2015.

10) Siehe hierzu die Äußerung von Oberstleutnant Peter Makowski in: Katrin Löwe (2012): Bundeswehr – Angriff in Schnöggersburg. Mitteldeutschen Zeitung, 9.5.2012.

11) Bundeswehr (2013), op.cit.

12) Mike Davis (2002): Dead cities – and other tales. New York: The New Press, S.65ff.

13) NATO (2003), op.cit., S.1

14) NATO (2003), op.cit., S.9

15) Peter Makowski (2013): Urbaner Ballungsraum »Schnöggersburg« im Gefechtsübungszentrum Heer. Infobrief Heer 18(1), S.8-9.

16) NATO (2015): Topics: Crisis management. nato.int, 29.1.2015.

17) Stephen Graham (2006): Cities and the »War on Terror«. International Journal of Urban and Regional Research, 30(2), S.255-276.

18) NATO (2003), op.cit., S. iii.

19) Spiegel Online (2012): Bundeswehr bekommt Übungsstadt – Schöner schießen in »Schnöggersburg«. 20.6.2012.

20) Steve Graham (2006), op.cit., S.266f.

21) Bundeswehr (2010): Afghanistaneinsatz: Letzte Übung der Saarlandbrigade vor dem Ernstfall. deutschesheer.de, 3.12.2010.

22) Henri Lefebvre (1991): The Production of Space. Oxford: Cambridge.

23) Stephen Graham (2006), op.cit., S.267

24) Norman Foster (2004): Hightech-Gestaltung – Ästhetik und Nachhaltigkeit prägen die Regeneration der Städte. In: Hubert Burda und Christa Maar (Hrsg.): Iconic Turn – Die neue Macht der Bilder. Köln: DuMont, S.247-259.

25) Markus Schroer (2013): Raum, Zeit und Soziale Ordnung. In: Petra Ernst und Alexandra Strohmaier (Hrsg.): Raum – Konzepte in den Künsten, Kultur- und Naturwissenschaften. Baden-Baden: Nomos, S.11-24.

26) Thomas Gerlach (2013): Zukunft der Bundeswehr – Geisterstadt Schnöggersburg. taz.de, 29.7.2013.

27) Welt online (2012): Bundeswehr übt in Sachsen-Anhalt den Häuserkampf. 10.5.2012.

28) Bundeswehr (2010), op.cit.

29) Bundesministerium der Verteidigung (2011): Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011.

Andrea Kretschmann ist Soziologin und Kriminologin am Centre Marc Bloch in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Soziologie der Gewalt und des Konflikts, der Soziologie des Staates und der Rechtssoziologie. Sie ist Mitherausgeberin der Buchreihe »Verbrechen & Gesellschaft« und des Kriminologischen Journals.