Täter*innen: Wer sind sie? Wen verstehen »wir« als Täter*innen und weshalb? Wie können wir Taten erkennen, verstehen und bearbeiten? Sind Täter*innen intentional handelnde Akteure oder Opfer der Umstände?
W&F hat Autor*innen gebeten, ihre Forschungserkenntnisse mit uns zu teilen und uns zu zeigen, wie komplex es ist, Täter*innen und Täter*innenschaft zu verstehen. Ihre Beiträge können dabei helfen, Taten auch gesellschaftlich besser aufzuarbeiten und in der Zukunft präventiv zu begegnen.
Im Februar 2020 überfällt ein rechtsradikaler Täter mehrere Cafés, Kioske und Bars und tötet mindestens neun Menschen aus rassistischen Motiven. Auch 2021 kommt es in mehreren Städten Deutschlands inmitten einer laufenden Debatte zu rassistischer und exzessiver Polizeigewalt zu tödlicher Gewalt gegen Menschen in Polizeigewahrsam. Die Zahl gemeldeter häuslicher Gewalt schießt im Verlauf der Lockdowns während der Covid-19-Pandemie abrupt in die Höhe.
„Es war ein Sylvesterböller der besonderen Art: Am 31. Dezember, wenige Minuten vor dem Jahreswechsel schickte die Europäische Kommission in Brüssel an die Mitgliedsstaaten einen Verordnungsentwurf mit dem Vorschlag, Investitionen in Erdgas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Voraussetzungen als klimafreundlich einzustufen“ (taz, 03.01.22, S. 3).
Die neue Bundesregierung hat sich für die nächsten Jahre viel vorgenommen. Im Koalitionsvertrag finden sich unter dem selbsterklärten Ziel »mehr Fortschritt wagen«, notwendige Impulse u.a. zum Klimaschutz, einer feministischen Außenpolitik und allem voran Ziele zur Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen.
Wer als Täter*innen zu verstehen ist, was diese ausmacht und weshalb »wir« von Täter*innen sprechen ist nicht leicht zu beantworten – oder zumindest umstritten. Welche Rolle spielen individuelle Persönlichkeitszüge, Motivationen oder Ideologien, welche Rolle haben gesellschaftlich legitimierte und strukturelle Gewalt als Kontext? W&F hat Autor*innen aus der Forschung zu kollektiver (Massen-)Gewalt gebeten, ihre je eigenen Positionen darzulegen – mit zwei ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Christian Gerlach bezieht als Historiker Position, während sich Morgana Lizzio-Wilson, Winnifred Louis, Emma Thomas und Catherine Amiot als Psychologinnen zu diesen Fragen äußern.
Warum beteiligen sich Menschen an Völkermord und tragen dabei zur Auslöschung ganzer Gruppen bei? In Ruanda, Bosnien oder Indonesien, in Kambodscha oder auch unter dem Nationalsozialismus? So divers diese Fälle sein mögen, so ist sich die Forschung zu Täter*innen in verschiedenen Völkermorden spätestens seit der Goldhagen-Debatte in den 1990er Jahren einig, dass es sich eigentlich um gewöhnliche Männer und Frauen handelt. Dennoch stellt sich die Frage: Warum töten Sie?
Anstifter*innen, Kontext und die These vom »einsamen Wolf«
Angesichts der rechtsterroristischen Anschläge in Halle 2019 auf die dortige Synagoge, in Hanau im Februar 2020 sowie dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 hat die Aufmerksamkeit für diese Form politischer Gewalt erkennbar zugenommen. Neben der Solidarität mit den von rechter Gewalt Getroffenen und ihren Projekten der Selbstorganisierung und -ermächtigung wird intensiv über die Verantwortung staatlicher Instanzen sowie die Frage der Täterschaft diskutiert. Da zuletzt der Akt der rechtsterroristischen Gewalt in zahlreichen Fällen individuell ausgeführt wurde, hat die These vom »Einzeltäter« weite Verbreitung gefunden. Sie wird zugleich als unzureichend kritisiert, da sie wichtige Faktoren und Dynamiken der Radikalisierung unterschätzt.
Frauen als Täter*innen im mexikanischen Drogenkrieg
Frauen werden ebenso wie Männer zu Täter*innen. Dies zeigen viele Forschungen zu Kriegen und Konflikten. Entgegen dem weitläufigen Bild von Frauen als Opfer ist es meist eine bewusste und strategische Entscheidung der Frauen, in gewalttätige Strukturen einzutreten. Ein Einblick in die Motivationen und das Handeln von Täter*innen im mexikanischen Drogenkrieg soll einen Diskussionsbeitrag zur Problematik der verzerrten Wahrnehmung von Frauen als Täter*innen liefern und darüber hinaus eine eher unsichtbare Seite des mexikanischen Drogenkrieges zeigen.
In der übergroßen Mehrheit der Fälle erleben Frauen häusliche Gewalt durch Männer. Dies weist auf große strukturelle Probleme hin und kann nicht mit einer vermeintlichen »Devianz« einzelner Männer erklärt werden. In diesem Beitrag soll es vor allem um die Gewalt gegen Frauen, insbesondere in Partnerschaft und Familie, gehen und darum, warum das Private immer noch nicht politisch ist. Beleuchtet wird die Rolle der Frauen(haus)bewegung und ihr Einfluss auf das politische Handeln zur Ahndung dieser Taten. Abschließend geht es um mögliche Ansätze der Gewaltprävention, die über die verbale Aufgeschlossenheit gegenüber dem Thema hinaus gehen.
Der Tripelallianz-Krieg und die Rolle von Kindersoldaten
Der Krieg der Tripelallianz gegen Paraguay von 1864-1870 ist gut aufgearbeitet, wenn auch in Europa wenig bekannt. Das Ende fand dieser Krieg mit einem Kampf, der als Kinderschlacht bei Acosta-ñu bekannt wurde. Sie ist eine der ersten dokumentierten Einsätze von Kindersoldaten auf einer größeren Maßstabsebene. Aus diesem historischen Beispiel zeigen sich Herausforderungen der Fassung von Kindern als Täter*innen, die noch heute thematisiert werden: die Freiwilligkeit des Handelns, die Tat an sich und der Umgang mit minderjährigen Kombattant*innen.
Zwischenmenschliche Beziehungen nach dem Völkermord in Ruanda
Kann eine Beziehung zwischen einer Person und den Mitgliedern der Gemeinschaft, die ihre Angehörigen vergewaltigt und ermordet haben, wiederhergestellt werden? In einer historisch einmaligen Konstellation müssen die meisten der ehemaligen Täter*innen des ruandischen Tutsi-Völkermords von 1994 und ihre Opfer wie zuvor zusammenleben. Doch wie kann eine Beziehung wiederhergestellt werden, wenn ein abgrundtiefes Ausmaß an Gräueltaten zwischen den Menschen liegt? In diesem Artikel werden drei Ansätze vorgestellt, die die Fähigkeit zur Koexistenz fördern: die Formalisierung der Wahrheit, das gemeinsame Erzählen intimer Geschichten sowie eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Die Rolle der »Comités de Autodefensa Civil« in Peru
Die gängige Einteilung in Opfer und Täter*innen, die das Handeln in Kriegszeiten beschreibt, übersieht oft die Ambivalenzen der zivilen Beteiligung an bewaffneten Konflikten. Ein Blick auf die bäuerlichen Gemeinschaften, die während des internen bewaffneten Konflikts in Peru (1980-2000) in zivilen Selbstverteidigungskomitees organisiert waren, gibt Aufschluss über einige dieser Zweideutigkeiten. Die Selbstverteidigungskomitees trugen dazu bei, das tägliche Leben über die rein militärischen Angelegenheiten hinaus zu organisieren, einschließlich Strategien zur Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer*innen des »Leuchtenden Pfads«.
Aufarbeitung von Verbrechen durch zivilgesellschaftliche Organisationen
Mit der Gründung des »Investigative Commons« haben zivilgesellschaftliche Organisationen und Betroffene eine neue Möglichkeit, Taten und Täter*innen zu ermitteln und Verbrechen aufzuarbeiten. Der multidisziplinäre Ansatz der Projekte erlaubt eine neuartige inhaltliche und visuelle Verzahnung der Beweissicherung. Der Beitrag skizziert die Entwicklung des Investigative Commons und seinen Beitrag zur Ermittlung von Täter*innen.
Zwischen Klimaklagen und Verbrechen gegen den Frieden
Die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit werden durch Klimawandel und Umweltzerstörung bedroht, die friedensgefährdende Ökozide mit sich bringen können. Seit fünf Jahrzehnten gibt es Bestrebungen, schwerwiegende Umweltverbrechen im Rahmen des Völkerrechts zu regulieren. Im Kontext der jüngsten Debatte über Klimaklagen und die Rechte der Natur eröffnen sich neue Perspektiven, um auf verschiedenen Ebenen des internationalen Systems mit rechtlichen Mitteln Umweltschutz und Friedenssicherung zusammenzubringen.
oder „How to face the mess we’re in without going crazy?!“1
Nicht nur Friedensarbeit braucht Begleitung, sondern auch Friedensfachkräfte – und letztlich wir alle. Was hilft uns dabei, uns den Krisen der Menschheit zu stellen? Wie können wir mit den Gefühlen umgehen, die dabei entstehen? Daniela Pastoors forscht dazu, wie Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst psychosozial begleitet werden, und überträgt ihre Erkenntnisse in diesem Essay auf weitere gesellschaftliche Bereiche.
Die Politik des Kaiserreiches, auch im Ersten Weltkrieg, unterstützte Thomas Mann rückhaltlos. Diese Überzeugung änderte er nach 1918 deutlich. So kritisierte der Schriftsteller den Aufstieg der NSDAP bis 1933 mit klaren Worten. Aus dem kalifornischen Exil attackierte Mann den NS-Staat und den Zweiten Weltkrieg in seinen Radiosendungen. Seine ablehnende Haltung zum Militarismus, zur Aufrüstung und zu einem deutschen Hegemoniestreben änderte sich auch im Zeitalter des Kalten Krieges nicht. Mann war kein Kommunist und kein Antikommunist – sehr zum Unwillen konservativer Kreise in der Bundesrepublik.
Whitlock, Craig (2021): Die Afghanistan Papers. Der Insider-Report über Geheimnisse, Lügen und 20 Jahre Krieg. Berlin: econ-Verlag, ISBN 978-3-430-21074-4, 400 S., 24,99 €.
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