Unser Heft 2-2015 befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Thema »Friedensverhandlungen«. Unsere Leitfrage damals: Wie kann eine nachhaltige Beendigung von Gewalt in den heute vorherrschenden »asymmetrischen Kriegen«, also in Auseinandersetzungen zwischen Staaten und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, erreicht werden. Es ging um Fragen einer sozial gerechten Entwicklung, um demokratische Partizipation, ohne deren Lösung der Konflikt nicht beigelegt werden könne. Auf die Bedeutung von Vereinten Nationen und Völkerrecht wurde hingewiesen und – gerade mit Blick auf die ethnopolitisch, religiös, kulturell aufgeladenen Grundlagen des Konflikts – auf die größtmögliche Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Friedensprozess. Ganz nüchtern mussten wir feststellen, dass Versuche, diese »neuen« Kriege diplomatisch zu lösen, oft in den Anfängen stecken bleiben.
Friedensnobelpreisträger 2017 ist ICAN, die vor zehn Jahren gegründete Anti-Atomwaffen-Initiative »International Campaign to Abolish Nuclear Weapons«. In ihr arbeiten über 450 Friedensgruppen aus über 100 Ländern zusammen. Im Juli 2017 wurde der von ICAN initiierte Verbotsvertrag, der u.a. Herstellung, Besitz, Einsatz und Lagerung von Atomwaffen verbietet, in New York von 122 Ländern beschlossen. Nicht dabei waren die Atommächte und die NATO-Staaten, unter ihnen auch Deutschland. „Vorbild für Ican waren andere Abrüstungsverträge: Zum Beispiel das internationale Übereinkommen zum Verbot von Landminen oder die Verträge zum Verbot von Streumunition oder chemischen Waffen.“ (Spiegel Online, 6.10.17)
Am 6. Oktober 2017 gab das Nobel-Komitee in Oslo bekannt, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) verliehen wird. ICAN soll die Auszeichnung erhalten „für die Arbeit, Aufmerksamkeit auf die katastrophalen humanitären Konsequenzen jeglichen Einsatzes von Atomwaffen zu lenken und für ihre bahnbrechenden Bemühungen um ein vertragliches Verbot solcher Waffen“.
Im Zuge der Nationenbildung seit Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich immer wieder so genannte stabilisierte De-facto-Regime. Sie entstanden vor allem durch den Zerfall größerer Staaten, durch post-koloniale Konflikte und infolge zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen. Solche Staaten stehen bis heute im Zentrum eingefrorener Konflikte, weisen nach der Drei-Elemente-Lehre des Staatsrechtlers Georg Jellinek (1851-1911) alle Merkmale eines Staates auf, werden jedoch nicht allgemein international anerkannt. Dieser unklare rechtliche Status verursacht nach wie vor in den De-facto-Staaten selbst, den Mutterstaaten – von denen sich die De-facto-Regime abspalteten – und auch international erhebliche Probleme. Da keine Kampfhandlungen stattfinden, sind die Konflikte aber nicht »heiß«, sondern eingefroren – aber nicht gelöst.
Der nordirische Friedensprozess mit dem Belfaster Abkommen von 1998 galt vielen als Modell für eine gelungene Bearbeitung eines Gewaltkonflikts. Doch die Konfliktursachen werden weiterhin nur halbherzig adressiert, und die Belfaster Regionalregierung ist Anfang 2017 zerbrochen. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit), der beim Referendum von einer Mehrheit der Nordir*innen auch deshalb abgelehnt wurde, weil er die EU-Grenze zwischen dem Norden und dem Süden der Insel errichten würde, hätte das Potential, den ohnehin schon »Kalten Frieden« zusätzlich zu gefährden und alte Gräben wieder aufzureißen. Die schwache britische Premierministerin Theresa May muss sich nun bei der Umsetzung des Brexit ausgerechnet auf die zehn Abgeordneten der unionistischen Partei Nordirlands, DUP, stützen.
Der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan ist kaum lösbar
Schon bei der Sezession Pakistans von Indien 1947 wurde die Region Kaschmir von Bürgerkrieg und Vertreibungen erfasst. Der Kampf um die nationale Zugehörigkeit der muslimischen Mehrheit wird bis heute blutig ausgetragen. Die Situation ist verfahren: Indien reagiert auf alle Autonomiebestrebungen mit harter Repression, Pakistan nutzt den Konflikt für eigene Zwecke.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Kriegs gelten viele ethno-territoriale Konflikte im postsowjetischen Raum als »eingefroren«, als nicht geregelt. Mehr noch: Im August 2008 lenkte der unversehens ausgebrochene Krieg um Südossetien die internationale Aufmerksamkeit erneut auf die Konflikt- und Kriegsträchtigkeit in der östlichen EU-Nachbarschaft. Hinzu kommt die jüngst reaktivierte Erfahrung in der Region, wie schnell ethnische Gewaltkonflikte »kreiert« werden können, wie im Fall der Krim und der Ostukraine. Darüber hinaus demonstriert das Beispiel Bergkarabach, wie ein langwieriger Friedensprozess ständig ins Leere läuft. Die massive Gewalteskalation an der Frontlinie im April 2016, die mehr als 200 Todesopfer forderte, zeigte einmal mehr, dass dieser Konflikt alles andere als militärisch eingefroren ist. Es wurde auch deutlich, wie leicht die »eingefrorenen Konflikte« der Region »auftauen« können, weshalb der jetzige Status quo auf Dauer brandgefährlich und unhaltbar ist.
Geschichtsdialog in Georgien, Abchasien und Südossetien
Die georgisch-abchasischen und georgisch-südossetischen Kriege der frühen 1990er Jahre stellen in vielerlei Hinsicht »Urkatastrophen« dar. Sie veränderten den gesamten politischen, sozialen, kulturellen und nicht zuletzt emotional-psychologischen Raum im Südkaukasus. Eine Reflexion und die intellektuelle Bewältigung dieser gewaltsamen Vergangenheit sind Voraussetzung eines jeden umfassenden Versöhnungsprozesses, wenn das Ziel darin besteht, die Bevölkerungen der Konfliktregionen für einen dauerhaften Frieden, gute Nachbarschaft und die Bereitschaft zur Annäherung zu gewinnen.
Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sind Georgien, Aserbaidschan, Armenien, Moldawien, die Ukraine und auch die Russische Föderation von eingefrorenen Konflikten betroffen, die sich auf die innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Lage im jeweiligen Land ebenso auswirken wie auf die Nachbarländer. Die Autorin beschreibt den Konflikt im Donezbecken (Donbass) der Ostukraine, der bereits mehr als drei Jahre anhält, aus ihrer Sicht. Sie stellt die These auf, dass auch dieser Konflikt einfriert, da sich die Ukraine und Russland nicht über die Zukunft der Region einigen können.
Implikationen für eine friedliche Bearbeitung ethnischer Konflikte
Das Åland-Archipel, gelegen inmitten des Bottnischen Meerbusens, gehört zu den reichsten Regionen in Europa, ist fester Bestandteil regionaler Kooperationsnetzwerke und strengt sich an, ein ebensolcher im Institutionengeflecht der Europäischen Union zu sein. Das Autonomiestatut von 1920/21 machte Åland zu einem Friedensprojekt sondergleichen. Dabei standen die Vorzeichen in der Geburtsstunde des finnischen Nationalstaates alles andere als günstig: Auf dem Festland tobte ein Bürgerkrieg, Nationalisten machten ihren Anspruch auf die Inselgruppe geltend, und die Åländer*innen selbst forderten die Wiedervereinigung mit ihrem Mutterland Schweden. Ähnliche Ausgangslagen führten vielerorts zu langen und blutigen Bürgerkriegen. Welche Lehren lassen sich also aus der Beschäftigung mit Åland, diesem Musterbeispiel ethnischer Konfliktregulierung, ziehen?
Bewaffnete Konflikte, vor allem diejenigen, die sich über eine lange Zeitperiode erstrecken, werden nicht selten mit dem dramatisch klingenden englischen Beinamen »protracted« oder »verschleppt« beschrieben. Ihnen beizukommen ist besonders schwierig. So wurde in der Friedensarbeit der vergangenen Jahrzehnte ein breites Spektrum an Instrumenten entwickelt, die nachhaltige Rahmenbedingungen dafür schaffen wollen, dass die Gewalt nicht wieder aufflammt. Innerhalb des riesigen Feldes der Friedensförderung konzentriert dieser Beitrag sich auf Mediations- und Dialogprozesse und auf die Rolle der Zivilgesellschaft in diesen – was natürlich nicht heißt, dass dies die einzigen Werkzeuge sind, die zum Aufbau des Friedens benötigt werden.
Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten der damalige US-Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär der sowjetischen KPdSU, Michail Gorbatschow, im Weißen Haus in Washington die so genannte »doppelte Nulllösung« für die »Intermediate-range nuclear forces« (INF, atomare Mittelstreckenwaffen) der beiden Großmächte. Der Vertrag regelte den Abzug und die Verschrottung aller landgestützten atomaren Raketen kürzerer (500-1.500 Kilometer) und mittlerer (1.500-5500 Kilometer) Reichweite sowie ihrer Abschussrampen und sonstigen Infrastruktur nicht nur in Europa, sondern weltweit, innerhalb von drei Jahren. Das INF-Abkommen wird in Kürze 30 und ist bis heute ein Kernelement der Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland, gerät aber zunehmend unter Druck.
Erstes Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung vor 70 Jahren
„[U]nter dem Schock von Krieg und Diktatur“, wie es der Potsdamer Historiker Patrick Bernhard formulierte,1 wurde 1947 und 1948, also noch vor der Verabschiedung des Grundgesetzes, in den Verfassungen oder in Landesgesetzen mehrerer deutscher Länder in den westlichen Besatzungszonen ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung verankert. Dies geschah in Hessen, Berlin, Württemberg-Baden, Bayern und (Süd-)Baden. Am weitesten ging das Land Baden, das in der französischen Besatzungszone lag. Denn hier wurde 1947 erstmals in Deutschland das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Grundrecht in die Verfassung aufgenommen.2
Zivile Konfliktbearbeitung und Beratung haben vieles gemeinsam. In beiden Tätigkeitsfeldern können Expert*innen entweder Ratschläge geben oder sogar Lösungen vorschreiben; beide Felder eröffnen aber auch die Möglichkeit, einen Raum zu bieten für Entwicklungsprozesse und für die Selbsthilfe. Dies hat für die Begleiter*innen von Prozessen der Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation Konsequenzen: Es bedarf der Räume, Möglichkeiten und Anregungen für Selbstreflexion – eine weitere Gemeinsamkeit mit der Beratung.
Im W&F-Dossier 75, »Friedenslogik kontra Sicherheitslogik«, erschienen als Beilage zu Heft 2-2014, veröffentlichte W&F den Beitrag »Friedenslogik und friedenslogische Politik« von Hanne-Margret Birckenbach. Das Dossier resultierte im Wesentlichen aus Vorträgen, die bei der Jahrestagung 2012 der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung gehalten worden waren. In einem Projekt der Plattform wird nun weiter über diese Friedenslogik nachgedacht.
Peace Summer School, 31. Juli-5. August 2017, Augsburg
Augsburg ist Friedensstadt! Dies geht zurück auf den Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555, der die Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben verschiedener Konfessionen schaffen sollte. Daran wird jedes Jahr am 8. August im Rahmen des »Augsburger Hohen Friedensfests« erinnert. Das dazugehörige Kulturprogramm, in dessen Rahmen die Peace Summer School stattfand, kommt dem Auftrag nach, auf ein friedlicheres Miteinander in der Gegenwart hinzuarbeiten und aktuelle Friedensfragen zu thematisieren. Denn auch heute, viereinhalb Jahrhunderte später, sind für uns Fragen nach dem friedlichen Zusammenleben in einer heterogenen Gesellschaft hochaktuell: Wie können wir Konflikte in unserem Umfeld – privat, im beruflichen oder im gesellschaftlichen Kontext – gestalten? Welches Verständnis von Frieden liegt unserem Handeln und Wirken zugrunde?
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