Wie sich die Zeiten ändern. Früher galt die Bundeswehr als Kriegsverhinderungsarmee – heute ist sie nach Scharping, Kujat und Angelika Beer eine Einsatzarmee.
Der Wahlkampf um das Weiße Haus war in diesem Jahr alles andere als langweilig: Ein bemerkenswert deutlicher Wettbewerb zwischen Demokraten und Republikanern, das Aufkommen einer neuen Grünen Partei, die vom Verbraucheranwalt Ralph Nader geführt wird, eine bescheidene, da zersplitterte Herausforderung durch die Rechten der Reform-Partei und ihren Kandidaten Pat Buchanan, viele landesweite Aufrufe und eine Liste politischer Themen, die von Steuersenkungen bis zu Immigration, Wahl- und Abtreibungsrechten reichte, die Wahlkampagne der First Lady, Hillary Clinton, in New York und sehr knappe Wahlkampfausgänge über das ganze Land hinweg.
EU-Truppe ohne Dänemark
Für die neue »Eingreiftruppe« der EU wird das NATO- und EU-Mitglied Dänemark keinen einzigen Soldaten abstellen. Die dänische Regierung vertritt die Auffassung, dass beim Einsatz dieser Truppe „eine klare Trennung von (erlaubten) zivilen und (verbotenen) militärischen Aufgaben nicht möglich sei und man daher allen derartigen Missionen fern bleiben müsse.“ (FR 22.11.00)
Die Ankündigung US-Präsident Clintons, die Entscheidung über die Stationierung des umstrittenen landesweiten Raketenabwehrsystems National Missile Defense (NMD) seinem Nachfolger zu überlassen, hat Befürwortern und Gegnern des Systems lediglich eine kurze Atempause verschafft. Spätestens nach der Vereidigung der neuen Administration im Januar wird die Debatte um Zweck und Architektur der Raketenabwehr jedoch wieder aufleben. Beide Präsidentschaftskandidaten haben sich prinzipiell für die Einführung einer Raketenabwehr zur Landesverteidigung ausgesprochen. Während der Demokrat Gore weitgehend an den bisherigen Plänen der Clinton-Administration festhalten möchte, hat der Republikaner Bush angekündigt, ein noch umfassenderes System entwickeln lassen zu wollen, das auch verbündete Staaten vor Raketenangriffen schützen soll. Gleichzeitig lockt Bush mit einer Überprüfung der US-Nukleardoktrin und stellt eine einseitige Reduzierung der Nuklearstreitkräfte in Aussicht. Auch scheint er eher geneigt zu sein, den ABM-Vertrag, der den USA und Russland die Entwicklung einer landesweiten Raketenabwehr verbietet, im Zweifelsfall aufzukündigen, falls Russland einer Anpassung des Vertrages nach US-amerikanischen Wünschen weiterhin nicht zustimmen sollte. Gore kündigte an, in intensive Verhandlungen zur Lösung des Streits insbesondere mit Russland, aber auch mit China zu treten.
Unterdessen wird die Debatte um NMD vor dem Hintergrund fehlgeschlagener Testflüge und wachsender Zweifel an der technischen Durchführbarkeit des Projekts zunehmend angereichert durch Forderungen nach Alternativen zur jetzigen NMD-Architektur. Es existieren mittlerweile aus den verschiedenen politischen Lagern einige neue Vorschläge, die das NMD-System entweder durch ein weniger aufwändiges ersetzen oder durch neu zu entwickelnde Komponenten zur See oder im Weltraum ergänzen sollen – letzteres mit möglicherweise verheerenden Folgen für den Abrüstungsprozess.
„Dem Weltraum kommt inzwischen eine viel grundlegendere und wesentlichere Rolle zu, als lediglich die Schlagkraft der Streitkräfte zu verstärken. Weltraum ist eine Voraussetzung. Er ist kein Luxus mehr, sondern eine Voraussetzung, um militärische Operationen durchführen zu können. Es hat sich gezeigt, dass der Weltraum für unsere nationalen Interessen von elementarem Interesse ist.“1 So die Direktion für Öffentlichkeitsarbeit im Hauptquartier des US-Weltraumkommandos im Juli 2000. Dieses Weltraumkommando der USA ist keine Fiktion, sondern unter dem Namen »US Space Command« seit 15 Jahren Wirklichkeit.
Am 1. September 1982 hat auf der Peterson Air Base in Colorado Springs das neue militärische Oberkommando für »Weltraum-Aktivitäten« SPACECOM seine Arbeit aufgenommen. „Es koordiniert die Weltraumaktivitäten der Air Force, die dort auch ihr Luftwaffenkommando NORAD unterhält. Derzeitige Aufgabe des SPACECOM sind die Katalogisierung und Überwachung von mittlerweile mehr als 5000 Satelliten(resten), der Schutz vor Kollisionen von US-Raumflugkörpern mit diesen 5000 Objekten und die Entwicklung von Anti-Satelliten-Waffen.“2 Als Streitkräfte-übergreifende Dachorganisation für das Air Force Space Command, das 1983 gegründete Naval Space Command der Marine und das 1984 installierte Army Space Command der Armee nahm das »United States Space Command« 1985 die Arbeit auf. Seinen Hauptsitz hat es ebenfalls auf der Peterson Air Force Base in Colorado.
Die Bedeutung des ABM-Vertrags für die strategische Stabilität
Die Verwirklichung der US-Pläne für eine National Missile Defense (NMD) werden früher oder später zur Aufkündigung des Anti Ballistic Missile Treaty (ABM-Vertrag) führen. Daher ist es wichtig, sich die Stellung des ABM-Vertrages im Geflecht der internationalen Vereinbarungen zu Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung genauer vor Augen zu führen.
In den letzten Jahrzehnten ist ein vielfältiges Geflecht von Vertragswerken entstanden, das durch gegenseitige Verstärkung eine Gesamtstabilisierung der prekären weltweiten Rüstung im Bereich von Massenvernichtungswaffen realisiert. Auf der Seite der Nichtweiterverbreitung finden sich der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) mit seinen weiteren Regelwerken und das Missile Technology Control Regime (MTCR). Daneben steht der Comprehensive Testban Treaty (CTBT), der bereits eine rüstungskontrollpolitische Komponente enthält. Ähnliches würde gelten, wenn der angestrebte Cutoff-Vertrag abgeschlossen wäre, der die Produktion von spaltbaren Materialien für Waffenzwecke unterbinden soll. Auf der Seite der Abrüstung finden sich die bekannten Vertragswerke zur strategischen Abrüstung, wie die START-Verträge, sowie die älteren Vereinbarungen aus dem SALT-Prozess. Ebenso findet sich hier der Vertrag zum Bann der Mittelstreckenraketen (INF) und die B- und C-Waffenkonvention. Eines Tages wird hier auch eine Nuklearwaffenkonvention auftauchen, die sich allerdings noch nicht im Aushandlungsprozess befindet. In der Mitte dieses Bildes würde sich unter dem Stichwort Rüstungskontrolle mit Ausstrahlung zur Abrüstung und zur Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen der ABM-Vertrag lokalisieren lassen.
Das Spitzentreffen zwischen Bill Clinton und Wladimir Putin am 4./5. Juni 2000 in Moskau sollte zu einem Durchbruch bei den seit langem stagnierenden Gesprächen über Änderungen des Raketenabwehr-Vertrages (Anti-Ballistic Missile Treaty, ABM) werden. Die Clinton-Administration wollte das bilaterale Abkommen von 1972 gravierend modifizieren, damit es mit ihren Plänen zur Aufstellung eines begrenzten Nationalen Abwehrsystems (National Missile Defense System, NMD) vereinbar wird. Denn der Kerninhalt des ABM-Vertrages besteht im Verbot eines solchen landesweiten Abwehrschildes. Angesichts der Raketenbedrohung aus so genannten Schurkenstaaten (die neuerdings offiziell »besorgniserregende Staaten« heißen) hielt es die alte US-Administration für geboten, ihr Territorium entsprechend zu schützen. Unter dem neuen Präsidenten dürfte das nicht anders sein.
Die neue Moskauer Führung hingegen macht sich – wie alle ihre Vorgängerinnen – das zentrale Anliegen des ABM-Abkommens zu eigen. Sie spricht sich vehement gegen das Nationale Abwehrsystem der Vereinigten Staaten aus. So konnte es nicht überraschen, dass sich auf dem Moskauer Gipfel beide Seiten unversöhnlich gegenüberstanden. Zum »Grand Bargain« kam es nicht. Dieser von der US-Regierung angestrebte »Große Tauschhandel« sah vor, dass der Kreml den Abänderungen des ABM-Vertrages zustimmt und damit sein »Ja« zum Rüstungsvorhaben der Administration gibt; im Gegenzug würde die Exekutive in Washington die von Moskau angestrebte drastische Verminderung der Nuklearwaffen akzeptieren. Statt des Raketenabwehr-Kompromisses unterzeichneten die beiden Präsidenten auf dem Gipfel nur zwei vergleichsweise bescheidene Abkommen. Das eine sieht die Zerstörung von waffenfähigem Plutonium vor; das andere ordnet die Einrichtung eines gemeinsamen Moskauer Zentrums an, in dem beide Seiten Frühwarndaten über ihre jeweiligen Raketenstarts austauschen (»information sharing«).
Trotz der Aufschiebung der NMD-Entscheidung durch den scheidenden US-Präsidenten Bill Clinton gilt es als wahrscheinlich, dass sein Nachfolger mit der Stationierung beginnen will. Zwar soll sich ein begrenztes Abwehrsystem lediglich gegen kleinere Raketenmächte richten, doch stellen sich Russland und China bereits auf eine NMD-Welt ein. Für sie geht es vor allem darum, ihre Abschreckungsfähigkeit gegenüber einer US-Dominanz zu sichern. Die sich abzeichnende Rüstungsdynamik ist jedoch keine Notwendigkeit. Bislang wurden die Möglichkeiten zur internationalen Kontrolle und Abrüstung von Atomwaffen und ballistischen Raketen, von Raketenabwehrsystemen und Weltraumwaffen kaum ausgeschöpft. Auch der Versuch, die Einführung von Raketenabwehr kooperativ zu stabilisieren, würde erhebliche Rüstungskontrollanstrengungen erfordern, ohne aber alle Risiken ausschließen zu können.
Das Verhältnis zwischen Raketenabwehr, Stabilität und Rüstungskontrolle spielte bereits in den achtziger Jahren eine Rolle. Im Frühjahr 1985 hatte ich Gelegenheit, an einem Symposium der Hanns-Seidel-Stiftung teilzunehmen, das der Debatte über die Strategic Defense Initiative (SDI) der USA gewidmet war. Per Satellit war Paul Nitze als hochrangiger Vertreter der Reagan-Administration zugeschaltet. Ausgehend von der Forderung Ronald Reagans vom 23. März 1983, Atomwaffen durch SDI „impotent und obsolet“ zu machen, fragte ich damals Nitze, ob der umgekehrte Weg nicht vernünftiger sei, also SDI durch die Abrüstung von Raketen und Atomwaffen obsolet zu machen. Nitze widersprach nicht grundsätzlich, hielt die Idee aber für politisch unrealistisch.
Ist militärisches Denken die Antwort auf die globalen Bedrohungen? Die Fragestellung klingt rhetorisch und die Annahme ist sicher nicht falsch, dass die Mehrheit der in Friedensforschung und Friedensbewegung Engagierten ein klares Nein als Antwort bereithält; allenfalls bereit, den militärischen Aufwand der Vergangenheit, die immense Bindung von Ressourcen zu rekapitulieren, ehe man sich die globalen Herausforderungen der Zukunft genauer vor Augen führt. Ulrich Albrecht beantwortet die Themenfrage mit ja. Er geht davon aus, dass militärisches Denken, die konzeptionellen Fähigkeiten von Strategen, von Konzepteuren neuer Waffensysteme gebraucht werden – nicht nur sie, sie aber auch, um den exorbitanten Herausforderungen der globalen Entwicklungen begegnen zu können. Gleichzeitig fordert er angesichts von NMD-Phantasien in den USA mehr Einmischung von Seiten der Wissenschaft.
Die menschliche Intelligenz ist die wichtigste Ressource um das Überleben dieser Spezies zu organisieren. Wenn die Nutzung menschlicher Kreativität in der großen Anstrengung des Kalten Krieges vorrangig militärischen Vorbereitungen galt, so liegt es nahe, diese Potenziale künftig für das Bestehen globaler Herausforderungen einzusetzen. Daher mein Ja zu der Frage, ob militärisches Denken als Antwort auf globale Bedrohungen gebraucht wird.
Plädoyer für ein europäisches »DiplomatieZuerst!«-Konzept
Am 16. November 2000 haben auf Einladung der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) Persönlichkeiten aus der Friedensforschung die Raketenabwehrpläne der USA diskutiert und ein Memorandum »Warnung vor den Raketenabwehrplänen der USA – Plädoyer für ein europäisches Diplomatie Zuerst!-Konzept« beschlossen. Zu den Unterzeichnern gehören: Prof. Dr. Ulrich Albrecht, FU Berlin, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Vorsitzender des Beirats der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), Prof. Dr. Horst Fischer, Bochum, Dr. Bernd W. Kubbig, Projektleiter in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Dr. Wolfgang Liebert, Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit der Technischen Universität Darmstadt (IANUS), Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz, Direktor des Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Prof. Dr. Harald Müller, Geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Dr. Götz Neuneck, Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS), Dr. Ulrich Ratsch, Stellvertreter des Leiters der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Dr. Jürgen Scheffran, Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit der Technischen Universität Darmstadt (IANUS) und Dr. Herbert Wulf, Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC). Das Memorandum hat folgenden Wortlaut:
Militäretat 2001 dokumentiert Umbau der Bundeswehr
Die Bundeswehr soll weitreichend umstrukturiert werden. In seinen »Eckpfeilern für eine Erneuerung von Grund auf« hat Minister Scharping die Richtung vorgezeichnet. Kernpunkt ist die Bereitstellung von Krisenreaktionskräften im Umfang von 150.000 Menschen. Dies bedeutet eine Verdreifachung des Ist-Standes. Dass „in erster Linie Landesverteidigung und Kollektive Verteidigung Umfang und Struktur der Bundeswehr“ bestimmen würden, erweist sich als bloße Beruhigungsformel. Die deutschen Streitkräfte sollen „auf einen umfassenden Einsatz vorbereitet und für die wahrscheinlichsten Einsätze rasch verfügbar“ sein. Ein Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland gilt auch nach Scharpings Meinung derzeit und absehbar als unwahrscheinlich. Es bleiben die Einsätze zur so gen. Krisenbewältigung. Die der NATO und der EU zugesagten Streitkräfte müssten in der Lage sein, eine große Operation mit 50.000 Soldaten oder zwei mittlere Operationen mit jeweils bis zu 10.000 Soldaten über mehrere Jahre durchzuführen, heißt es bei Scharping.
In welche Kriege sollen künftig deutsche Soldaten geschickt werden? Nach Afrika? In den Kaukasus? Wenn ja, auf welcher Grundlage? Der Kosovo-Einsatz ohne UNO-Mandat solle Ausnahme bleiben, eine Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat bleibe bei solchen Kampfeinsätzen „wünschenswert“, sagt die Bundesregierung. Künftige Völkerrechtsbrüche sind also fast vorprogrammiert. An dem neuen kriegerischen Auftrag der Bundeswehr ist auch die neue Beschaffungsplanung ausgerichtet. Die Umstrukturierung kostet also Geld. Viel Geld.
Die deutsche Wirtschaft ist tonangebend in Europa – sie erbringt ein Viertel des EU-Sozialprodukts. Ganz offensichtlich setzt die rot-grüne-Regierung jetzt alles dran, entsprechend der ökonomischen Macht auch die politische und militärische auszubauen. Dazu gehört das Ringen um einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat genauso wie der Beschluss, die Zahl der für einen Einsatz außerhalb des NATO-Bereichs zur Verfügung stehenden Soldaten auf 150.000 zu verdreifachen. Dass die deutsche Regierung der EU für deren schnelle Eingreiftruppe 18.000 (der vorgesehenen 80.000 Soldaten) anbietet, dokumentiert auch hier einen Führungsanspruch. Doch militärische Macht hängt nicht allein von der Masse des eingebrachten Soldatenkontingents ab, sondern zunehmend von den technologischen Fähigkeiten. Bundeswehrgeneralinspekteur Kujat fasst das in die Worte: Deutschland muss, wenn es in Europa und darüber hinaus die Rolle spielen will, die seinen Gewicht als 80-Millionen-Volk in der Mitte Europas entspricht, Streitkräfte unterhalten, die von „Größe, Umfang, Ausrüstung und Fähigkeit entsprechend ausgestaltet“ sind.1 Es ist also nicht nur interessant sondern auch dringend notwendig, die geplante qualitativ größte Auf- und Umrüstung in der Geschichte der Bundeswehr genauer auf die damit verbundene Offensivfähigkeit zu untersuchen.
Öffentlich war der NATO-Krieg gegen Jugoslawien für deutsche und andere europäische Militärs Anlass, den waffentechnischen Vorsprung der USA herauszustellen und die Notwendigkeit einer eigenen »Aufholjagd« zu predigen. Eher intern wurden auch die Fehlschläge der NATO genutzt, um eigene – seit Jahren in der Entwicklung befindliche – Waffen zu preisen. In der vom Verteidigungsministerium herausgegebenen Zeitschrift Soldat und Technik bedauert z. B. Chefredakteur Hubatschek, „dass – wie schon in Bosnien – Truppen, das heißt u.a. Panzer, Geschütze, Gefechtsstände, Versorgungseinrichtungen – zumal getarnt im Gelände – bei weitem nicht im ausreichenden Maße getroffen wurden.“ Dabei, so Hubatschek weiter, „sind waffentechnische Möglichkeiten, diese Wirkung auch aus einer gewissen Distanz und ohne Verzahnung in den direkten Kampf zu erreichen, zweifelsohne gegeben. Man denke an zielsuchende Gefechtsköpfe von Flugkörpern oder an Kampfdrohnen, denen auch die Fähigkeit gegeben werden kann, einen Panzer von einem Traktor zu unterscheiden.“2
Wenn das Attribut »historisch« berechtigt ist, dann war der 13. Juni auf der koreanischen Halbinsel ein gewiss geschichtsträchtiger Moment mit großem Symbolgehalt. Offiziell noch im Kriegszustand, tauschten die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae Jung und Kim Jong Il, erstmals Freundlichkeiten per Handschlag aus. Vorrangig ging es bei diesem ersten innerkoreanischen Gipfel um Familienzusammenführung und den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen. Nicht wenig, bedenkt man, dass gegenseitig hochgeschaukelte Feindbilder und Feindseligkeiten ein halbes Jahrhundert lang den Umgang miteinander prägten. Eine friedliche Ära der Entspannung kann nunmehr vermutet, eine dauerhafte Annäherung erwartet, doch eine (Wieder-)Vereinigung keineswegs problemlos auf die Agenda gesetzt werden.
Der Gipfel begann, wie sich das Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang seit 1945 gestaltet hatte – verspätet, unter strikten Sicherheitsbedingungen und, von ausgewählten südkoreanischen Journalisten abgesehen, weitgehend unter Abschottung von der Öffentlichkeit. Noch in der Nacht des 10. Juni hatte der Sprecher des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung, Park Joon Young, erklärt, Pjöngjang habe vorgeschlagen, den Gipfel um einen Tag zu verschieben – aus „einigen kleinen technischen Gründen“. Park begründete die Verzögerung für koreanische Verhältnisse nachvollziehbar: Der Präsident glaube halt, „dass ein zusätzlicher Tag des Wartens kein Problem darstellt, haben doch beide Seiten darauf ein halbes Jahrhundert gewartet“. Umso größer war dann die Freude der Bevölkerung diesseits und jenseits des 38. Breitengrades, als sie am 13. Juni die Begrüßungszeremonie auf dem Flughafen von Pjöngjang im Fernsehen live miterleben konnte. Für die nordkoreanische Führung ein besonderer diplomatisch-politischer Coup, hatten ihr doch Anfang der neunziger Jahre hochdotierte Analysten von der Londoner »Economist Intelligence Unit« bis hin zu Experten im Washingtoner State Department eine ähnlich rasche Implosion wie in der Sowjetunion und Osteuropa prognostiziert.
Fünfeinhalb Monate – von Ende April bis Mitte September dauerte die Geiselnahme auf der philippinischen Insel Jolo. Doch so grell das Geiseldrama auch medial ausgeleuchtet wurde, so unterbelichtet blieben die wahren Hintergründe, der Krieg der Regierenden gegen die Bevölkerung in dieser Region und das desaströse Verhalten der Krisenstäbe in den Heimatländern der ursprünglich 21 von der ostmalaysischen Ferieninsel Sipadan Entführten. Rainer Werning mit einem Rückblick auf Gewinner und Verlierer des Geiselpokers.
Während Manilas Chefunterhändler Roberto Aventajado wochenlang lavierte und wiederholt die „alsbaldige Freilassung der Geiseln“ suggerierte, setzten die Krisenstäbe in Berlin, Paris und Helsinki auf die Friedfertigkeit und das Verhandlungsgeschick von Präsident Joseph Ejercito Estrada. Beide Rechnungen gingen nicht auf. Stattdessen schraubten die Kidnapper der Abu Sayyaf ihre Lösegeldforderungen in die Höhe, ermuntert durch die Zahlungsbereitschaft malaysischer Geschäftsleute und westlicher Verleger. »Hilfsprojekte« und »Entwicklungsgelder« – angeblich für Orangen, Mango und Kaffeeplantagen – sollten locker gemacht werden, dann, hieß es von offizieller Seite, seien die Kidnapper bereit, „schon am nächsten Tag“ weitere Geiseln freizulassen.