Sozialpsychologie und Flucht


Sozialpsychologie und Flucht

von Helen Landmann, Anette Rohmann und Stefan Stürmer

Migration durch Flucht birgt Konfliktpotential. Als 2015 die Anzahl der Menschen, die nach Deutschland fliehen, plötzlich anstieg, verfünffachte sich die Anzahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zeitweise (Bundeskriminalamt 2016). Sozialpsychologische Forschung kann einen Beitrag leisten, um solche Konflikte zu vermeiden und ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zu fördern. Die Autor*innen beleuchten daher, welche Implikationen aus sozialpsychologischer Forschung abgeleitet werden können. Grundlage dafür bietet der Sammelband »Die Flüchtlingsdebatte in Deutschland – Sozialpsychologische Perspektiven« (2017), herausgegeben von Anette Rohmann und Stefan Stürmer.

In der aktuellen sozialpsychologischen Forschung im Bereich Flucht sind insbesondere drei Themenbereiche auszumachen, die Hinweise auf die Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens geben können: Kontakt, Partizipation und interkulturelle Kompetenz. Interventionen, die auf Basis dieser drei Prinzipien entwickelt wurden, lassen sich sehr gut mit psychologischer Forschung begründen und scheinen auch in der Praxis wirkungsvoll zu sein.

Kontakt: respektvolle persönliche Begegnungen

Das erste dieser drei Prinzipien ist Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung. Menschen in Deutschland, die Kontakt zu Geflüchteten hatten, haben tendenziell eine positivere Einstellung gegenüber Geflüchteten als andere (Becker, Ksenofontov, Benz, Borgert 2017; Wagner 2017). Dieser Zusammenhang zwischen Kontakt und Einstellung lässt sich vor allem dadurch erklären, dass Kontakt Ängste reduziert und gleichzeitig Empathie und Wissen über die andere Gruppe erhöht (Landmann, Aydin, van Dick, Klocke 2017). Dies verdeutlicht, wie wichtig die Integration in Bildung und Arbeit, aber auch einfach Unterhaltungen, beispielsweise im Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeiten, sind. Neben dem praktischen Nutzen solcher Bemühungen bieten sie wichtige Kontaktmöglichkeiten, die die Einstellung von Menschen mit und ohne Fluchterfahrung wesentlich beeinflussen können.

Kontakt beeinflusst die gegenseitigen Einstellungen besonders positiv, wenn er auf Augenhöhe stattfindet, wenn an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet wird und wenn der Kontakt von der Gesellschaft erwünscht ist (Wagner 2017). Diese Bedingungen in der Organisation von gemeinsamer (ehrenamtlicher) Arbeit umzusetzen, scheint daher empfehlenswert. Konkurrenzsituationen und Statusunterschiede sollten möglichst vermieden werden. Projekte, die die Arbeit an einem gemeinsamen Ziel beinhalten, sollten gefördert werden.

Allerdings kann Kontakt auch dann positiv wirken, wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind. Wichtig ist nur, dass der Kontakt von den Beteiligten nicht als negativ erlebt wird (Landmann et al. 2017). Ein positives Erleben von Kontakt wird wiederum wesentlich wahrscheinlicher, wenn sich die Beteiligten mit Respekt begegnen (Naegler und Kessler 2017). Respekt bedeutet, eine Person als gleichberechtigt anzuerkennen, sie ernst zu nehmen und ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Demzufolge kann schon durch bloßes Zuhören zwischen Ehrenamtlichen und Geflüchteten Respekt vermittelt und positiver Kontakt hergestellt werden (Naegler und Kessler 2017).

Neben diesen direkten Interaktionen findet Kontakt auch indirekt statt, zum Beispiel durch Medienberichte. Der Darstellung von Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung in den Medien kommt dabei eine zentrale Funktion zu. Sie kann sich förderlich oder hinderlich auf solidarisches Verhalten als Grundlage gelungener Integration auswirken (Imhoff und Lamberty 2017).

Zusammengenommen heißt das, Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung ist elementar für ein friedliches Zusammenleben. Dabei müssen lediglich die Grundregeln gegenseitigen Respekts eingehalten werden.

Wichtig ist allerdings auch, von Geflüchteten nicht »zu viel« Kontakt einzufordern. Die Erfahrung von Flucht, unsicherem Aufenthaltsstatus und schwierigen Unterbringungsbedingungen ist enorm aufreibend. In dieser stressigen Zeit erleben Geflüchtete Kontakt zu ihrer eigenen Gruppe – zu Menschen, die sie kennen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder die einfach ihre Sprache sprechen – als wichtige Unterstützung (Ager und Strang 2008). Kontakt zur Aufnahmegesellschaft sollte nicht zu Lasten dieser unterstützenden Kontakte gehen. Glücklicherweise schließen sich Kontakte mit der eigenen Gruppe – so genannte »soziale Bindungen« (social bonds) – und Kontakte zur Aufnahmegesellschaft – »soziale Brücken« (social bridges) – nicht aus (Ager und Strang 2008). Als ideal kann daher gelten, wenn eine Aufnahmegesellschaft den Geflüchteten beides ermöglicht: positiven Kontakt zu Menschen mit und ohne Fluchterfahrung.

Partizipation: Teilhabe in Form von Arbeit, Bildung und Mitbestimmung

Ein weiteres zentrales, auf sozialpsychologischer Forschung aufbauendes Prinzip, ist das der Partizipation (Rohmann und Stürmer 2017). Neben gesellschaftlicher Teilhabe durch Arbeit ist damit auch die Mitbestimmung bei Entscheidungsprozessen gemeint. Beispielsweise können Geflüchtete die Abläufe in Flüchtlingsunterkünften selbst mitbestimmen oder Integrationsprojekte mitgestalten. Diese Partizipationsprozesse finden aber selten statt, was das Risiko birgt, dass Integrationsprojekte nicht auf die Bedürfnisse abgestimmt und dadurch nicht nachhaltig sind (BAMF 2014). Partizipation ist eine organisatorische Herausforderung, kann aber enorm hilfreich sein. Partizipationsprozesse ermöglichen es, das Wissen der Betroffenen einzubinden, sie können die Identifikation mit dem Projekt fördern und wirken insgesamt stärkend auf die betroffene Gruppe (Doná 2007).

Auch im Rahmen ehrenamtlicher Arbeit kann die Teilhabe und Autonomie Geflüchteter gefördert werden. Man spricht hier von autonomieorientierter Hilfe, die im Gegensatz zu abhängigkeitsorientierter Hilfe darauf ausgerichtet ist, die Selbständigkeit Geflüchteter zu fördern (Becker et al. 2017). Das Bereitstellen materieller Güter wie Kleiderspenden stellt beispielsweise abhängigkeitsorientierte Hilfe dar. Hilfe zur Selbsthilfe hingegen, wie Unterstützung beim Lernen der Sprache oder bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, ist autonomieorientierte Hilfe. Wo möglich, sollte diese Hilfsform gewählt werden, da sie die Selbständigkeit fördert und von den Hilfeempfängern als angenehmer erlebt wird (Siem 2017).

Aufseiten der Aufnahmegesellschaft ist Mitbestimmung ebenfalls wichtig (Larsen, Arant, Grossert, Boehnke 2017). Nicht wenige Menschen in Deutschland nehmen die aktuelle Flüchtlingspolitik als einen Verlust an Kontrolle wahr. Dem kann die Möglichkeit zur Mitbestimmung, beispielsweise bei der Suche nach geeigneten Plätzen für Flüchtlingsunterkünfte oder durch die Mitgestaltung von Integrationsprozessen, entgegenwirken.

Interkulturelle Kompetenz: Trainings und Supervision

Ein drittes Prinzip, das sich aus unterschiedlichen Forschungssträngen ableiten lässt, ist interkulturelle Kompetenz – die Fähigkeit, mit kulturellen Unterschieden umzugehen. Konflikte und Spannungen können durch Missverständnisse aufgrund kulturellen Unwissens entstehen (Aydin, Kleber, Oelkrug, Leuschner, Wutti 2017). Interkulturelle Trainings können helfen, solche Missverständnisse zu vermeiden und damit einen respektvollen Umgang und positiven Kontakt zu ermöglichen (Mazziotta, Piper und Rohmann 2016).

In interkulturellen Trainings wird häufig auch Wissen über Stereotype vermittelt und darüber, wie schwer man diese Vorstellungen (»der typische Syrer« oder »der typische Flüchtling«) abschalten kann. Dieses Wissen kann beispielsweise Lehrer*innen helfen, die eigenen Stereotype zu reflektieren und Unsicherheiten im Umgang mit Schüler*innen und deren Familienangehörigen zu vermeiden (Martiny und Froehlich 2017).

Stereotype stellen außerdem die Grundlage für Diskriminierung, für negatives Verhalten gegenüber einer Person aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit dar (Wagner 2017). Diskriminiert zu werden wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden aus. Dies kann die Gesundheit der Betroffenen beeinträchtigen und zu Feindseligkeit führen (Maaitah, Harth, Kessler 2017). Diskriminierung zu vermeiden ist daher ein wichtiger Ansatz, um den Kreislauf gegenseitiger Feindseligkeit zu unterbrechen.

Zusätzlich zur Förderung der interkulturellen Kompetenz wäre eine Begleitung von Menschen, die direkt mit Geflüchteten zusammenarbeiten, sinnvoll. Für viele Ehren-, aber auch Hauptamtliche stellt die Arbeit mit Geflüchteten noch immer eine vergleichsweise neue Situation dar, auf die sie kaum vorbereitet werden konnten (Aydin et al. 2017). Regelmäßige Supervision ist an diesen Stellen dringend nötig.

Die drei Prinzipien – Kontakt, Partizipation und interkulturelle Kompetenz – bieten Ansatzpunkte, die in der praktischen Arbeit und für die Konzeption von Interventionen zur Konfliktvermeidung genutzt werden können. Hierbei sollte eine systematische Evaluation der umgesetzten Maßnahmen erfolgen. Ein Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis kann dieses evidenzbasierte Vorgehen fördern.

Literatur

Ager, A., und Strang, A. (2008): Understanding integration – A conceptual framework. Journal of Refugee Studies, 21(2), S. 166-191.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge/BAMF (Hrsg.) (2014): Möglichkeiten und Grenzen der Nachhaltigkeit von Integrationsprojekten. Nürnberg.

Bundeskriminalamt (2016): Kriminalität im Kontext von Zuwanderung – Bundeslagebild 2015. Wiesbaden.

Doná, G. (2007): The microphysics of participation in refugee research. Journal of Refugee Studies, 20(2), S. 210-229.

Landmann, H.; Aydin, A.L.; Van Dick, R.; Klocke, U. (2017): Die Kontakthypothese – Wie Kontakt Vorurteile gegenüber Geflüchteten reduzieren und Integration fördern kann. The Inquisitive Mind, de.in-mind.org, i.E.

Mazziotta, A.; Piper, V.; Rohmann, A. (2016): Interkulturelle Trainings – Ein wissenschaftlich fundierter und praxisrelevanter Überblick. Heidelberg: Springer.

Alle weiteren Referenzen sind Teil des folgenden Sammelbandes:

Rohmann, A. und Stürmer, S. (2017). Die Flüchtlingsdebatte in Deutschland – Sozialpsychologische Perspektiven. Beiträge zur Angewandten Psychologie, Band 2. Frankfurt: Peter Lang.

Helen Landmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Community Psychology der FernUniversität in Hagen. Sie forscht zur Rolle von Emotionen für das soziale Zusammenleben. Neben grundlegenden Mechanismen von moralischem Ärger und Gefühlen des Bewegtseins interessiert sie sich besonders für Interventionsansätze in den Bereichen Umweltschutz, Flucht und Integration.
Prof. Dr. Anette Rohmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Community Psychology an der FernUniversität in Hagen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Akkulturation, der Förderung interkultureller Kompetenzen, des Abbaus von Vorurteilen und der Gestaltung eines erfolgreichen Austauschs zwischen Theorie und Praxis.
Prof. Dr. Stefan Stürmer ist Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpsychologie an der FernUniversität in Hagen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Intergruppenforschung.

Wolf im Schafspelz


Wolf im Schafspelz

Welche Hilfe ist im Asylkontext hilfreich?

von Nadine Knab

„Wenn jeder dem anderen helfen wollte, wäre allen geholfen.“ Dieses Zitat der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach trifft keineswegs immer zu, besonders dann nicht, wenn die Hilfestellung zwischen unterschiedlichen Gruppen erfolgt, denn dann können bestimmte Formen von Hilfe zur Aufrechterhaltung von Machthierarchien führen. Der Artikel betrachtet die Rolle von Hierarchen bei der Interaktion zwischen Hilfegebenden und Hilfenehmenden im Asylkontext aus sozialpsychologischer Sicht.

Man erinnert sich noch leicht an die Bilder, die im Sommer 2015 veröffentlicht wurden: Menschen aus Deutschland heißen Geflüchtete mit Schokolade, Teddys und Blumen »Willkommen«; unzählige Menschen spenden Kleidung und helfen bei der Essensausgabe. Es scheint, diese Menschen sind motiviert, den Geflüchteten schnell zu helfen. Oder helfen sich diese Menschen letztlich nur selbst?

Hilfe und Hierarchie

Helfen wird von der Gesellschaft als positiv und sozial erwünscht angesehen. Wie kann es dann dazu kommen, dass Personen bestimmte Hilfsangebote ablehnen? Personen, die im Flucht- und Asylkontext arbeiten, werden häufig damit konfrontiert, dass ihre Tipps und Ratschläge von den Geflüchteten nicht angenommen werden. Es herrscht dann oft Unverständnis. Manchmal wird die Vermutung geäußert, die Geflüchteten seien einfach undankbar. Worin könnte dieses Verhalten begründet sein – in der Persönlichkeit der (aller) Ablehner*innen? Oder gibt es situationelle Umstände, die dazu beitragen?

Hilfsinteraktionen ist inhärent, dass die Gebenden Ressourcen zur Verfügung haben, die den Empfangenden zugute kommen können. Das heißt, zwischen einzelnen Personen besteht ein Machtungleichgewicht. Dieses Machtungleichgewicht kann z.B. in Form von physischer Überlegenheit (wenn eine erwachsene Person einem Kind hilft, etwas zu tragen), finanziellen Möglichkeiten (wenn Personen die Möglichkeiten haben, anderen Personen Geld zu spenden oder zu leihen) und im Flucht- bzw. Asylkontext auftreten, z.B. durch die eingeschränkten Sprachkenntnisse einer Person.

Hilfsinteraktionen kommen aber nicht nur zwischen einzelnen Personen, sondern auch zwischen Gruppen vor. Je nach Art der Interaktion kann dabei die Gruppenzugehörigkeit der Interagierenden sehr präsent sein. Sozialpsycholog*innen untersuchen seit ein paar Jahren Ursachen für und Reaktionen auf Hilfsangebote im Intergruppenkontext, insbesondere in Situationen, in denen eine privilegierte Gruppe Hilfe anbietet.

Unterschiedliche Formen von Hilfe

Neben dem Machtungleichgewicht, das in Hilfssituationen vorhanden ist, spielt zudem eine Rolle, ob Hilfe den Weg zur sozialen Gerechtigkeit ebnet, d.h. welche Art der Hilfe angeboten wird. Wie bereits angedeutet können bestimmte Formen von Hilfsverhalten dazu führen, bestehende Machtverhältnisse beizubehalten (Nadler 2002), und damit paradoxerweise langfristig zur Verschlechterung der Lage einzelner Personen oder Gruppen führen, denen Hilfe angeboten wird.

Es werden dabei zwei Arten von Hilfsangeboten unterschieden: abhängigkeitsorientierte Hilfe und autonomieorientierte Hilfe (vgl. Jackson und Esses 2000). Bei Ersterem wird die Lösung für ein Problem bereitgestellt, sodass die Abhängigkeit bei erneutem Auftreten des Problems wieder zutage tritt. Autonomieorientierte Hilfe hingegen versucht eher, die Werkzeuge an die Hand zu geben, um zukünftig selbst Probleme lösen zu können. Möchte man daher nur, dass die Geflüchteten mit genügend Kleidung und Nahrung versorgt sind, nicht aber auch mit Zugang zum Arbeitsmarkt, Sprachkursen, der Möglichkeit zur Teilhabe an kulturellen und politischen Ereignissen oder Entscheidungen, könnte es naheliegen, dass das Verhalten von einer Art Paternalismus geprägt ist. Unter Paternalismus versteht man eine nach außen positive Einstellung gegenüber Gruppen mit geringerem Status, die durch Dominanz und damit eine diskriminierende Haltung geprägt ist (vgl. Jackman 1994), was sich durch das Anbieten abhängigkeitsorientierter Hilfe zeigen kann. Ein Beispiel könnte im Asylkontext sein, wenn Geflüchteten statt Bargeld Gutscheine oder Sachleistungen zugesprochen werden, wie es im Sommer 2015 von einigen Politiker*innen gefordert wurde. Durch Gutscheine und Sachleistungen wird den Betroffenen jedoch das eigenständige Bestimmen über die Verwendung der finanziellen Mittel abgesprochen.

Die Form der Hilfe bestimmt daher oftmals, ob diese Hilfe angenommen wird oder nicht. Dieser Mechanismus kann mit Hilfe der Sozialen Identitätstheorie (Tajfel und Turner 1986) erklärt werden. Demnach sind wir bestrebt, eine positive Sicht auf uns und unsere Gruppe zu haben. Um zu einem Urteil zu gelangen, vergleichen wir uns dabei mit anderen Gruppen auf bestimmten Vergleichsdimensionen (z.B. Fähigkeiten, finanzielle Möglichkeiten, Status in der Gesellschaft). Personen einer Gruppe mit geringerem Status sind demnach mit zwei konkurrierenden Gedanken konfrontiert: zum einen mit der Motivation, ihre eigene Gruppe als positiv wahrzunehmen, zum anderen mit der Tatsache, dass die Bewertung ihrer Gruppe bei einem Vergleich mit der statushöheren Gruppe eher negativ ausfällt. Dabei kann allein schon die Hilfssituation an sich den Hilfesuchenden das Stigma von Abhängigkeit und Minderwertigkeit vermitteln (z.B. Nadler und Fisher 1986).

Personen, die dieses Machtungleichgewicht zwischen den Gruppen anerkennen, werden Hilfsangebote unabhängig von ihrer Art annehmen. Wenn der geringere Status internalisiert wurde, kann dies sogar soweit gehen, dass die statushöhere Gruppe positiver als die eigene bewertet wird (Sachdev und Bourhis 1987; Jost und Hunyady 2005). Wenn Personen dieses Machtungleichgewicht aber als nicht legitim ansehen, kann eine Möglichkeit darin bestehen, Hilfsangebote abzulehnen, um sich gegen dieses Machtungleichgewicht zu stellen. Somit kann die Ablehnung von Hilfe auch eine Art der Selbstermächtigung und eine Möglichkeit der Wiedererlangung einer positiven Gruppenbewertung darstellen.

Abhängigkeitsorientierte Hilfe: des Vorurteils kleine Schwester

Helfen ist daher nicht immer nur ein Zeichen von gutem Willen. Doch wann ist das Angebot abhängigkeits- oder autonomieorientierter Hilfe wahrscheinlicher?

Das Angebot abhängigkeitsorientierter Hilfe und offen geäußerte Vorurteile haben eine (von vielen verschiedenen) gemeinsame kausale Variable: die Wahrnehmung von Bedrohung. So konnten zum Beispiel Nadler et al. (2009) in zwei Studien zeigen, dass paradoxerweise der Gruppe mehr Hilfe angeboten wird, die als Bedrohung für die eigene Gruppe eingestuft wird. Diese Hilfe war allerdings nicht sensibel gegenüber dem Problem und damit der tatsächlichen Bedürftigkeit des/der Hilfesuchenden. Die Autor*innen erklären dies damit, dass die Gruppe, die sich bedroht fühlte, mit dem Hilfsangebot eine positive Wahrnehmung der eigenen Gruppe beibehält und gleichzeitig die Selbstermächtigung der anderen Gruppe verhindert.

Ähnliche Ergebnisse gibt es von Jackson und Esses (2000). Die Forscher*innen konnten nachweisen, dass Personen weniger bereit sind, Geflüchteten zur Selbstermächtigung oder autonomieorientierten Lebensweise zu verhelfen, wenn sie sich z.B. ökonomisch bedroht fühlen. In dieser Studie wurde den Teilnehmenden gesagt, dass es Immigrant*innen mit Erfolg geschafft hätten, Fuß auf dem kanadischen Arbeitsmarkt zu fassen. Die Teilnehmenden nahmen daher die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen auf dem kanadischen Markt für Personen, die bereits in Kanada wohnen, als geringer wahr als Teilnehmende der Studie, die die Information über die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration nicht erhalten hatten.

An einer weiteren Studie (Nadler et al., 2009) nahmen Schüler*innen einer prestigeträchtigen High School aus Israel teil. Ihnen wurde gesagt, dass sie und Schüler*innen einer anderen Schule Analogie-Aufgaben lösen sollten. Einem Teil der Schüler*innen wurde gesagt, dass die andere, weniger prestigeträchtige Schule in den letzten fünf Jahren in ihren Leistungen stets konstant geblieben war; einem anderen Teil wurde gesagt, dass die anderen Schüler*innen sich in den letzten fünf Jahren stetig verbessert hatten. Danach wurden die Analogie-Aufgaben gestellt. Den Schüler*innen der prestige-trächtigen Schule wurde dann gesagt, dass ein Schüler/eine Schülerin in der anderen Schule Schwierigkeiten bei der Lösung einiger Aufgaben habe. Sie hatten die Möglichkeit, dem anderen Schüler/der anderen Schülerin abhängigkeitsorientierte Hilfe (die gesamte Lösung einfach mitteilen), autonomieorientierte Hilfe (einen Hinweis zur Lösung geben) oder gar keine Hilfe anzubieten. Wenn zuvor die getrennte Gruppenzugehörigkeit bewusst gemacht worden war, boten die Teilnehmenden mehr abhängigkeitsorientiere Hilfe an.

Neben dem Befund, dass ein Gefühl der Bedrohung zum Angebot abhängigkeitsorientierter Hilfe führt, gibt es auch Indizien, dass nicht einmal eine Bedrohung empfunden werden muss, sondern der wahrgenommene Status des Hilfesuchenden schon bestimmt, welche Art von Hilfe angeboten wird. Wird dem/der Hilfesuchenden ein geringer Status zugesprochen, dann werden aufgrund von Attributionsprozessen (z.B. Weiner 2006) geringere Fähigkeiten als Ursache für das Hilfsgesuch vorausgesetzt und abhängigkeitsorientierte Hilfe angeboten (Nadler und Chernyak-Hai 2014). Das Hilfsgesuch von Personen aus einer statushohen Gruppe hingegen wird eher auf situationelle, veränderbare und externe Ursachen zurückgeführt, sodass diesen autonomieorientierte Hilfe angeboten wird.

Personen im ehrenamtlichen Kontext sollten sich daher regelmäßig die Frage stellen, welche Hilfe den Geflüchteten tatsächlich langfristig helfen kann, sich als selbstständiges, zugehöriges Individuum in den neuen Gegebenheiten zurechtzufinden.

Um Machthierarchien aufrechtzuerhalten, sind also nicht immer offen geäußerte Vorurteile notwendig – sozial erwünschtes Verhalten in Form von (abhängigkeitsorientierter) Hilfe zu zeigen, kann zum selben Ergebnis führen. Wenn Geflüchtete nur als Opfer gesehen werden, ohne eigene (politische) Gestaltungsmöglichkeiten, fungiert Hilfe als Methode zur Aufrechterhaltung des Machtungleichgewichts. Im Bereich der Entwicklungshilfe wird diese Form von positiv erscheinender Machtausübung schon seit langer Zeit diskutiert (z.B. Bauer 1993) – vor der eigenen Haustüre, bei der ähnliche Interaktionsmuster auftreten, noch zu wenig.

Literatur

Bauer, P. (1993): Development Aid – End It or Mend It. International Center for Economic Growth, Occasional Papers Nr. 43. Oakland, California: Ics Press.

Jackman, M. (1994): The Velvet Glove – Paternalism and Conflict in Gender, Class, and Race Relations. Berkeley: University of California Press.

Jackson, L.M. and Esses, V.M. (2000): Effects of Perceived Economic Competition on People’s Willingness to Help Empower Immigrants. Group Processes & Intergroup Relations, 3(4), S. 419-435.

Jost, J.T. and Hunyady, O. (2005): Antecedents and Consequences of System-Justifying Ideologies. Current Directions in Psychological Science, 14(5), S. 260-265.

Nadler, A. (2002): Inter-Group Helping Relations as Power Relations – Maintaining or Challenging Social Dominance Between Groups Through Helping. Journal of Social Issues, 58, S. 487-502.

Nadler, A. and Chernyak-Hai, L. (2014): Helping Them Stay Where They Are – Status Effects on Dependency/Autonomy-Oriented Helping. Journal of Personality and Social Psychology, 1, S. 58-72.

Nadler, A. and Fisher, J.D. (1986): The Role of Threat to Self-Esteem and Perceived Control in Recipient Reactions to Help – Theory Development and Empirical Validation. In L. Berkowitz (ed.): Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 19). New York: Academic Press, S. 81-122.

Nadler, A.; Harpaz-Gorodeisky, G.; Ben-David, Y. (2009): Defensive Helping – Threat to Group Identity, Ingroup Identification, Status Stability, and Common Ingroup Identity as Determinants of Intergroup Helping. Journal of Personality and Social Psychology, 5, S. 823-834.

Sachdev, I. and Bourhis, R.Y. (1985): Social Categorization and Power Differentials in Group Relations. European Journal of Social Psychology, 15(4), S. 415-434.

Tajfel, H. and Turner, J.C. (1986): The Social Identity Theory of Intergroup Behavior. Psychology of Intergroup Relations, 5, S. 7-24.

Weiner, B. (2006): Social Motivation, Justice, and the Moral Emotions? An Attributional Approach. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates.

Nadine Knab, Mitglied der W&F-Redaktion, ist Doktorandin im Themenbereich Friedenspsychologie an der Universität Koblenz-Landau im Fachbereich Psychologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei den Themen Interventionen bei Intergruppenkonflikten, soziale Gerechtigkeit und verschiedene Formen kollektiven Handelns.

Flüchtlings­verantwortung


Flüchtlings­verantwortung

Europäische Asylpolitik in der Krise

von Anna Lübbe

Die so genannte europäische Flüchtlingskrise ist vor allem eine Krise der Zuordnung (Allokation) von Flüchtlingsverantwortung: Welcher Staat übernimmt das Asylverfahren und gewährt gegebenenfalls den Schutz und die weiteren in der Genfer Konvention vorgesehenen Rechte? Dürfen Flüchtlinge sich ihren Asylstaat aussuchen? In diesem Beitrag wird zunächst dargestellt, was die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zur Zuordnungsfrage sagt. Dann werden die Allokationsmechanismen des geltenden »Dublin-Systems« und die aktuellen Reformvorschläge der Europäischen Kommission diskutiert und bewertet.

Die 1951 verabschiedete GFK enthält kaum Bestimmungen darüber, welcher Vertragsstaat für welche Flüchtlinge die Verantwortung tragen soll.1 Der Notwendigkeit der Verantwortungsteilung war man sich aber bewusst, die Präambel mahnt zwecks Vermeidung unzumutbarer Belastungen für einzelne Staaten eine internationale Zusammenarbeit an.

Aus dem Flüchtlingsbegriff der GFK lässt sich immerhin ableiten, dass die Konvention nicht als völkerrechtliches Instrument konzipiert ist, das nur die Anrainerstaaten von Verfolgerstaaten (Erstaufnahmestaaten) in die Pflicht nimmt. Als Flüchtling ist nicht definiert, wer den Antragsstaat unmittelbar von einem Verfolgerstaat aus betritt, sondern wer sich irgendwo außerhalb seines Staatsangehörigkeitsstaates befindet und verfolgungshalber nicht in ihn zurückgeschickt werden kann. Die GFK geht davon aus, dass Flüchtlinge die vorgesehenen Gewährleistungen im Zweifel dort erhalten, wo sie sie nachfragen. Ein völkerrechtlicher Konsens, die GFK enthalte ein Recht der Betroffenen auf freie Wahl des Asylstaates, hat sich jedoch nicht etablieren können (Foster 2007, S. 235). Staaten können sich entscheiden, von der Zuordnung qua Antragsort durch Zuständigkeits- und Übernahmeabsprachen abzuweichen, also Allokationsregime zu errichten, die für die Betroffenen auch mit Zwangszuordnungen verbunden sein können.

Mangels Konsens über die Verantwortungsteilung haben sich in den Vertragsstaaten unterschiedliche Strategien und Missstände im Umgang mit realen oder befürchteten Überlastungen etabliert (Hathaway und Gammeltoft-Hansen 2015). Die Erstaufnahme- und Transitstaaten gewähren zwar zumeist Refoulement-Schutz,2 aber keine dauerhafte Lebensperspektive. In der Folge halten sich dort teils sehr viele Flüchtlinge auf, jedoch vielfach unter prekären Umständen. Die so genannten Fluchtzielstaaten, darunter Deutschland, tendieren dazu, die Weiterwanderung von Flüchtlingen von Erstaufnahme- und Transitstaaten aus als sekundäre Migration anzusehen und sich dagegen teils unter Einsatz enormer Ressourcen abzugrenzen. Verbreitet etablieren sich Mechanismen, irregulär ins Land gekommene Schutzsuchende rückwärts entlang der Fluchtrouten auf andere Schutzstaaten zurückzuverweisen.

In Zeiten steigenden Flüchtlingsaufkommens, wie aktuell, tendiert der Allokationskonflikt dazu, in unilateralen Abwehrmaßnahmen zu eskalieren. Es kommt vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Schutzsuchenden, zu Refoulement-Verstößen, unverhältnismäßigen Inhaftierungen, Versorgungsmissständen und »in orbit«-Situationen.3 Zäune werden gebaut, Aufnahme- und Verfahrensstandards werden gesenkt, und Forderungen nach der Setzung nationaler Obergrenzen greifen um sich.

Das Dublin-System

Die Allokation im so genannten Dublin-System ist von ihrem Ursprung im Schengen-Recht4 her nicht solidarisch, sondern sicherheitsorientiert konzipiert. Im Zuge des Abbaus der Binnengrenzen sollte die Grenzsicherung an den Außengrenzen des Kooperationsraumes intensiviert werden. Dazu passt das im Dublin-System vorherrschende Ersteintrittsprinzip: Für den Umgang mit Drittstaatlern soll derjenige Staat verantwortlich sein, der sie in den Kooperationsraum hineingelassen hat. Als Zuordnungsprinzip für Flüchtlingsverantwortung taugt das nicht: Die Staaten dürfen Asylantragsteller*innen nicht zurückweisen, und ohne Bereitstellung regulärer Zugangsmöglichkeiten mindestens für die Schutzbedürftigen unter den Migrant*innen ist die Abwehr irregulärer Migration auch nicht uneingeschränkt legitim.

Im Zuge der Erweiterungen der Europäischen Union, der Supranationalisierung des Asylrechts auf der Grundlage des Vertrags von Amsterdam (1999) und der Reform des Dublin-Systems zur Dublin-III-Verordnung (2013) blieb es bei der Herrschaft des Ersteintrittsprinzips. Es lag im Interesse der einflussreicheren, nicht am südlichen und östlichen Rand des Kooperationsraumes gelegenen Mitgliedstaaten, die Asylverantwortung von sich fernzuhalten und die Randstaaten des Dublin-Raumes zur Abgrenzung nach außen anzuhalten. So ist der Allokationskonflikt mit seinen prekären, kompetitiven Abgrenzungsstrategien an den Außengrenzen des Kooperationsraumes umso schärfer hervorgetreten – mit tödlichen Folgen für viele Tausend Schutzsuchende.

Effizient realisieren ließ sich das Dublin-System bekanntlich nicht (Lübbe 2015). Ungeachtet aller Abgrenzungsbemühungen kommen Schutzsuchende in großer Zahl auf irregulären Wegen nach Europa. Die überproportional belasteten Ersteintrittsstaaten boykottierten das System, indem sie ankommende Schutzsuchende weiterwandern ließen, statt sie zu registrieren. Und die Schutzsuchenden folgen nicht den Zwangszuordnungen des Dublin-Systems, sondern ihren Verbindungsinteressen und Lebenschancen. Die irregulären Dublin-Realitäten führen zu aufwendigen behördlichen und gerichtlichen Mehrfachbefassungen und werfen eine Fülle schwieriger Rechtsfragen auf. Insgesamt kann man sagen, dass sich das europäische Allokationsregime, das als knappes Vorverfahren vor dem Asylverfahren im jeweils zuständigen Staat gedacht war, zum bürokratischen Wasserkopf des Asylverfahrens entwickelt hat, soweit es nicht – von Anfang an und verstärkt unter der Krise – dem Vollzugsdefizit anheimfiel.

Kritik und Reformüberlegungen insbesondere zur Lastenteilung haben die europäische Asylkoordination stets begleitet. An Vorschlägen ist neben der freien Asylwahl und Varianten einer Zuordnung nach Länderquoten die Einräumung europäischer Freizügigkeit für die Anerkannten unter den Schutzsuchenden zu nennen (Sachverständigenrat 2015, S. 61ff). Keiner dieser Vorschläge wurde aufgegriffen. Noch bei der 2014 in Kraft getretenen Reform zur Dublin-III-Verordnung gab es nur unwesentliche Veränderungen des Bisherigen. Verspätete Bemühungen der EU-Kommission, während der Krise über die Aktivierung der Massenzustromrichtlinie und über Umverteilungen doch noch mehr Lastenteilung zu realisieren, scheiterten bzw. kamen mangels Beteiligungsbereitschaft kaum voran.

Reformvorschläge der EU-Kommission

In Reaktion auf die Krise entwickelt die EU derzeit neue Strategien (Europäische Kommission 2016). Die Lastenteilung innerhalb des Dublin-Raumes soll durch einen Umverteilungsmechanismus erreicht werden, der automatisch einsetzt, wenn ein Mitgliedstaat gemessen an einem relativen Soll, das sich an Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft orientiert, über 150 % Anträge zu verzeichnen hat. Die Asylkooperation innerhalb Europas soll durch Migrationspartnerschaften mit Drittstaaten ergänzt werden, auf deren Basis möglichst alle irregulär in Europa ankommenden Schutzsuchenden an außereuropäische Transitstaaten zurückverwiesen werden sollen.

Dem Vorschlag liegt die Idee zugrunde, dass Europa Flüchtlinge künftig möglichst kontingentweise und kontrolliert aufnehmen soll. Dass Schutzsuchende irregulär nach Europa kommen, soll weiterhin und verstärkt verhindert werden. Wer dennoch durchdringt, soll im Ersteintrittsstaat aufgefangen und mit seinem inhaltlich ungeprüften Schutzgesuch von den außereuropäischen »Migrationspartnerstaaten« zurückgenommen werden. Zu den auszuhandelnden Gegenleistungen kann neben finanzieller Unterstützung des Kapazitätsaufbaus vor Ort auch die kontingentweise Aufnahme Schutzbedürftiger aus dem außereuropäischen Ausland (Resettlement)5 gehören. Einmal angenommen, diese Strategie ließe sich für alle großen Zugangsrouten realisieren, liefe das für Europa auf eine Art Obergrenze hinaus, die ich im Unterschied zu Obergrenzen im nationalen Alleingang »kooperative Obergrenze« nennen möchte. Sie funktioniert nicht mit (innereuropäischen) Grenzzäunen, Wasserwerfern und Tränengas, sondern mit »Hotspot-Lagern«, Schnellverfahren und Rückführungen.

Für die Aufnahme von Resettlement-Kontingenten aus dem außereuropäischen Ausland, speziell aus Staaten, die unstreitig weit belasteter sind als Europa und in denen sich Schutzbedürftige unter dauerhaft nicht erträglichen Umständen aufhalten, spricht viel. Fluchtmigration im Rechtssinne ließe sich dabei besser von der sonstigen Migration trennen und in geordnetere, weniger aufwendige und kalkulierbarere Bahnen lenken. Auch fielen die aufwendigen Zuordnungs- und Asylverfahren und damit integrationsschädlich lange Phasen des prekären Aufenthalts weg. Den Ausgewählten würde diese Form des Zugangs lebensgefährliche Fluchtwege und Investitionen in Fluchthelfer ersparen. Und sie eröffnete gerade auch jenen eine Chance, die besonders dringend eine brauchen, weil sie es aus eigener Kraft bis zu einem für sie erträglichen Schutzort nicht schaffen. Schließlich ließe sich so vermeiden, dass durch die Flucht Familien zerrissen werden, denn die würde man als Ganze aufnehmen. Wenn solche regulären Zugangswege in relevantem Ausmaß zur Verfügung stünden, würde gewiss auch mancher Flüchtling, der zunächst nicht ausgewählt wurde, eher noch auf seine Chance warten, als es auf irregulärem Weg zu versuchen. Dadurch ließe sich das Migrationsgeschehen in ruhigere Bahnen lenken, anstelle von Wellen, die möglicherweise nicht nur auf akut schwankenden Schutzbedarfen, sondern auch auf selbstverstärkenden Mechanismen beruhen und die grundsätzlich vorhandene Aufnahmekapazitäten überlasten und -bereitschaften kippen lassen können.

Problematisch ist allerdings die Vorstellung, die Asylverantwortung ließe sich durch die Rückverweisung irregulär ankommender Schutzsuchender an außereuropäische Transitstaaten auf humane, effiziente und solidarische Weise im Wesentlichen auf die kontrolliert aufgenommenen Personen begrenzen. Ein umfangreiches Rückverweisungsregime in Hotspots am Rande Europas wäre auf menschenrechtsgerechte Weise wohl kaum zu realisieren (Markard und Heuser 2016). Und die Einordnung insbesondere der Türkei als tauglicher Verweisungszielstaat ist bis auf Weiteres mit zwingenden, in der Asylverfahrensrichtlinie niedergelegten Voraussetzungen unvereinbar (Peers 2016; Marx 2016).

Bedenken gegen die vorgeschlagene Reform bestehen auch im Hinblick auf die Familieneinheit. Zwar ist zu begrüßen, dass im Entwurf für eine neue Dublin-Verordnung die Relevanz familiärer Beziehungen für die Zuordnung auf Geschwisterbeziehungen und auf Beziehungen erweitert werden soll, die auf der Flucht eingegangen wurden. Jedoch geht in dem Entwurf die Rückführung in Länder außerhalb Europas solchen Zuordnungen zwingend vor. Dass dabei keinerlei Rücksicht auf familiäre Verbindungen in Europa genommen werden soll, ist mit dem Menschenrecht auf Familienleben unvereinbar (Lübbe 2017a).

Positiv ist zu bewerten, dass künftig Schutzsuchenden von Anfang an ein Rechtsbeistand gestellt werden soll. Das effizienzsteigernde Potential von mehr Verfahrensgerechtigkeit anstelle der Reduktion von Verfahrensrechten wird bisher verkannt. Hinsichtlich der Verteilung setzt das neue europäische System indessen nicht auf eine möglichst kooperative und interessengerechte Zuordnung, sondern auf Repression. Die Weiterwanderung Schutzsuchender soll mit drastischen Sanktionen unterbunden werden. Es ist zweifelhaft, ob sich die Zuordnungen auf diese Weise effizient realisieren lassen werden, zumal wenn die Gerichte nach und nach die menschenrechtlichen Grenzen der Anwendung dieser Vorgaben auf die entstehenden Realitäten herausarbeiten.

Im Hinblick auf die Lastenteilung wäre der innereuropäische Umverteilungsmechanismus ein Fortschritt. Inwieweit er allerdings Anwendung findet, hängt davon ab, in welchem Umfang es angesichts der zwingend vorrangigen Rückführungen an außereuropäische Transitstaaten noch zu innereuropäisch zu verteilenden Zugängen käme. Bei einer Überlastung der Ersteintrittsstaaten dürfte es jedenfalls bleiben. Der Ersteintrittsstaat muss vor der Dublin-Zuordnung prüfen, ob das Schutzgesuch auf einen außereuropäischen Staat verwiesen werden, wegen Zugehörigkeit des Betroffenen zu einem so genannten sicheren Herkunftsstaat im Schnellverfahren abgehandelt oder aus Sicherheitsgründen abgelehnt werden kann. Nur Gesuche, bei denen all das nicht der Fall ist, kämen überhaupt noch in das innereuropäische Zuordnungsverfahren.

Global gesehen wäre die kontingentierte Aufnahme Schutzbedürftiger aus dem Ausland an und für sich ein Kristallisationskeim für mehr Verteilungsgerechtigkeit. Die Idee der »geteilten Verantwortung« würde aber zur »verschobenen Verantwortung« pervertiert, würde das Resettlement künftig davon abhängig gemacht, dass die begünstigten Staaten in großem Stil irregulär zugewanderte Schutzsuchende zurücknehmen. Es ist nicht der Sinn des Resettlement, »kooperative Obergrenzen« für hoch entwickelte Regionen durchzusetzen.

Fazit

Eine kooperative Lösung für das Allokationsproblem ist unabdingbar, wenn der Dublin-Raum nicht in einem eskalierenden Abgrenzungswettbewerb ins Inhumane zerfallen soll. Der Lösungsversuch der EU-Kommission enthält positive Ansätze zu mehr innereuropäischer Lastenteilung, stellt sich aber zugleich als Steigerung der das europäische Asylregime ohnehin prägenden Tendenzen dar, die Lasten nach Kräften zu externalisieren. Das ist keine nachhaltige Strategie und verweist auf die Notwendigkeit, die Allokation von Flüchtlingsverantwortung global zu denken (Lübbe 2017b, sub IV.5.). Ein Anreiz für eine global gerechtere Lastenteilung könnte die Überzeugung sein, dass Humanität und Solidarität Werte sind, die zu achten sich auch deshalb lohnt, weil von Fluchtursachen bzw. Überforderung in anderen Zeiten andere Menschen bzw. Staaten betroffen sein können. Der Aufbau eines humanen und effizienten, globalen Regimes zur Allokation von Flüchtlingsverantwortung wird wohl ein längerer Prozess werden. Den im Zuge dieser Umstellung zu Tage tretenden inneren und äußeren Konflikten wird man sich stellen müssen.

Anmerkungen

1) Zuordnungsregeln sind in der GFK insofern enthalten, als Schutzbedürftige, die innerhalb ihres Heimatstaates oder in einem Staat einer weiteren Staatsangehörigkeit Schutz finden können, vom Konventionsflüchtlingsschutz ausgenommen sind (Art. 1(A)2 GFK), ebenso Menschen, die sich in einem Staat mit Rechten wie Staatsangehörige aufhalten (Art. 1(E) GFK). Eine negative Zuordnungsregel ist das Refoulement-Verbot (Art. 33 GFK), das nicht nur die Verweisung der Schutzbedürftigen auf den verfolgenden Heimatstaat, sondern auch auf jeden anderen Verfolgerstaat verbietet.

2) Refoulement-Schutz ist die Nicht-Zurückweisung in Verfolgerstaaten oder Staaten, die ihrerseits in Verfolgerstaaten abzuschieben drohen.

3) Als »refugee in orbit« bezeichnet man einen Flüchtling, der nirgends Zugang zu einem Anerkennungsverfahren und zu den Statusrechten findet.

4) Zum Schengen-Raum gehören bis auf Großbritannien und Irland und die Teilanwender Bulgarien, Rumänien, Zypern und Kroatien sämtliche EU-Staaten sowie die Nicht-EU-Staaten Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island.

5) Zum Ausbau des Resettlement enthalten die Reformvorschläge allerdings nichts Verbindliches, die Realisierung wird von der Bereitschaft der einzelnen Mitgliedstaaten abhängen. Immerhin besteht insofern ein Anreiz, als Resettlement-Aufnahmen auf den innereuropäischen Lastenteilungsmechanismus angerechnet werden sollen.

Literatur

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Hathaway, J.C. and Gammeltoft-Hansen, T. (2015): Non-Refoulement in a World of Co­­operative Deterrence. Columbia Journal of Transnational Law 52(2), S. 235-84.

Lübbe, A. (2015): Zur Reform des Europäischen Asylzuständigkeitssystems. Vortrag beim Georg-August-Zinn-Forum 2015 der ASJ/SPD, 11. Juli 2015, Frankfurt am Main; fluechtlinge-mtk.de/uploads/infos/104.pdf.

Lübbe, A. (2017a): Migrationspartnerschaften – Verweisung auf Transitstaaten ohne Rücksicht auf die Familieneinheit? Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 2017/1, S. 15.

Lübbe, A. (2017b): Allokation von Flüchtlingsverantwortung. Jahrbuch für Recht und Ethik, i.E..

Markard, N. und Heuser, H. (2016): Möglichkeiten und Grenzen einer menschenrechtkonformen Ausgestaltung von sogenannten »Hotspots« an den europäischen Außengrenzen. Gutachten, Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg, Stand 4. April 2016.

Marx, R. (2016): Rechtsgutachten zur unionsrechtlichen Zulässigkeit des Plans der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, die Türkei als sicherer Drittstaat zu behandeln. im Auftrag von Pro Asyl, 14. März 2016.

Peers, S. (2016): The final EU/Turkey refugee deal – a legal assessment. eulawanalysis.blogspot.de, 18. March 2016.

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2015): Unter Einwanderungsländern – Deutschland im internationalen Vergleich. Jahresgutachten 2015; svr-migration.de.

Anna Lübbe, Juristin und Mediatorin, ist Professorin für Öffentliches Recht und ADR an der Hochschule Fulda. Unter anderem zu den in diesem Beitrag behandelten Fragen hat sie 2016 für das Jahresgutachten 2017 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration eine Expertise geschrieben.

Klima – Gewalt – Flucht


Klima – Gewalt – Flucht

Das Beispiel Syrien

von Jürgen Scheffran und Christiane Fröhlich

Seit 2015 beherrscht die Debatte über Zuwanderung die deutsche und europäische Politik. Weltweit fliehen Millionen von Menschen, besonders aus den Krisenregionen Afrikas und des Nahen Ostens; Hunderttausende gelangten nach Europa. Viele Menschen gefährden nach wie vor ihr Leben bei dem Versuch, mit überfüllten Booten das Mittelmeer zu überqueren oder auf dem Landweg über die Balkanroute nach Europa zu gelangen. Die Ursachen von Migration und Flucht sind auf komplexe Weise mit anderen Krisenerscheinungen verbunden, auch mit dem Klimawandel. Dieser Beitrag beleuchtet das Problemgeflecht zwischen Klimawandel, Konflikt und Migration am Beispiel Syrien und diskutiert mögliche Konzepte und Alternativen.

Es ist nicht neu, dass Menschen wandern und dabei Grenzen überschreiten. Die Geschichte ist geprägt von großen Völkerwanderungen, umherziehenden Nomadenvölkern und »Landflucht« in urbane Zentren. Die Antriebsfaktoren und Motive sind vielfältig und reichen von der Suche nach Ressourcen, Einkommen und Lebens­chancen bis zur Flucht vor Krieg, Verfolgung und Naturkatastrophen (Black et al. 2011; Fröhlich 2016a). Angesichts von Bevölkerungswachstum und Globalisierung nehmen Migrationsbewegungen heute ein neues Ausmaß an. Die Wanderung vom Land in die Städte verstärkt die Urbanisierung und die Bevölkerungskonzentration in Megastädten, was mit sozialen und ökologischen Problemen verbunden ist. Die grenzüberschreitende Migration von Arbeitskräften hat ökonomische und kulturelle Implikationen, die das internationale System transformieren. Menschenunwürdige Lebensbedingungen und die Verschlechterung der ökonomischen, ökologischen, politischen und sozialen Lebensgrundlagen nötigen Millionen von Menschen zur Flucht.

Wechselwirkungen zwischen Gewaltkonflikten und Fluchtbewegungen

Neben politischer Verfolgung als Fluchtmotiv gibt es enge Verflechtungen zwischen Flucht und Gewaltkonflikten, die schon länger Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und politischer Debatten sind. Bewaffnete Konflikte und ihre Beendigung sind und waren eine der wesentlichen Triebkräfte für Fluchtbewegungen, darunter die beiden Weltkriege, das Ende des Kalten Krieges, die (Bürger-) Kriege im ehemaligen Jugoslawien, in Darfur, Afghanistan, Irak, Libyen und zuletzt in Syrien. Weltweit wurden 2015 etwa 8,6 Millionen Menschen durch Gewalt und Konflikte vertrieben (IDMC 2016), wobei die kriegsbedingten Anteile in Afrika, Nahost und der Ukraine am höchsten waren. Teilweise wurden die vor bewaffneten Konflikten flüchtenden Menschen selbst zu einem Konfliktfaktor, bedingt durch überfüllte Flüchtlingscamps oder mögliche Probleme und Differenzen zwischen einheimischen und zugewanderten Bevölkerungsgruppen. Damit verbundene Krisenerscheinungen betreffen Konflikte in der arabischen Welt ebenso wie die Terrorismusgefahr, Rechtspopulismus, Nationalismus und die politische Spaltung der Europäischen Union. Die EU wurde in der »Flüchtlingskrise« von 2015 davon überrascht, dass so viele Menschen über alle Grenzen hinweg in die Mitte Europas gelangen konnten. Viele der Flüchtlinge stammten aus Kriegs- und Krisengebieten, allen voran aus dem syrischen Bürgerkrieg, wo mehr als fünf Millionen Menschen in die Nachbarländer flüchteten (UNHCR 2017), v.a. in den Libanon und den Irak sowie nach Jordanien und in die Türkei. Einige Hunderttausend erreichten Europa.

Aufgrund des Ausmaßes und der Geschwindigkeit der weitgehend unkontrollierten Zuwanderung entwickelten sich Differenzen innerhalb der EU, verstärkt durch Proteste und Widerstände gegenüber Zuwanderung, bis hin zu gewalttätigen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln 2015/16 heizten die Stimmung gegen alle »Fremden« weiter auf. In Europa taten sich Risse auf, die zum Kampf der Kulturen und Religionen hochstilisiert wurden, verstärkt durch den »Islamischen Staat«, Terroranschläge in europäischen Zentren und die zunehmende rhetorische Vermischung von Flucht und Terrorgefahr, die zwar ohne empirische Grundlage ist, aber schnell politisches Momentum aufnahm (Bank et al. 2017).

Vielleicht am deutlichsten manifestiert sich diese Entwicklung in der Wahl von US-Präsident Donald Trump, der mit seiner Polemik gegen Zuwanderer, Terroristen und den Islam erfolgreich war. Konfliktträchtig sind insbesondere die angekündigte Mauer an der Grenze zwischen USA und Mexiko als Manifestierung eines verschärften Nord-Süd-Konflikts sowie die islamophoben Einreisebeschränkungen, die die Regierung Trump (bislang erfolglos) umzusetzen sucht.

Debatte über Klimawandel und Migration

Vor diesem Hintergrund sind auch der Klimawandel und andere Umweltveränderungen zu sehen, die die Lebensbedingungen von Menschen untergraben sowie umweltbedingte Konflikte und Migration zur Folge haben können. Historische Studien haben herausgearbeitet, wie Veränderungen der Umwelt und des Klimas mit gesellschaftlichen Umbrüchen, Kriegen und Migrationsbewegungen verbunden waren (Fagan 2009). Die natürliche Klimavariabilität, der Wechsel zwischen den Eis- oder Kältezeiten und die Schwankungen des Meeresspiegels setzten wiederholt gesellschaftliche Stabilität unter Druck. In vielen Fällen vermischten sich globale oder regionale Klimaänderungen mit lokalen Umweltproblemen, wie der Abholzung oder der Übernutzung von Böden, und den politischen und sozioökonomischen Bedingungen.

Die Debatte über »Klimaflucht« war schon früh Teil des Diskurses über den Klimawandel. So warnte der erste Bericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) bereits 1990, dass Klimaveränderungen zu großen Migrationsbewegungen führen könnten. Die Europäische Kommission rechnete 2008 mit einem „wesentlich erhöhten Migrationsdruck“ (EU 2008), und der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen sah in der klimabedingten Migration eines der künftigen Konfliktfelder der internationalen Politik, besonders in regionalen Brennpunkten (WBGU 2007). Nach einer Zusammenstellung im IPCC-Bericht von 2014 wurde in 18 Fallstudien Evidenz für verstärkte Migration gefunden, in sechs Fällen eine Verminderung von Migration und in sieben Fällen ein nach sozialen Gruppen unterschiedliches Migrationsverhalten (IPCC 2014, S. 770).

Für die Zukunft wird konstatiert, dass mit zunehmendem Klimawandel die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen von Menschen wie auch die politische Stabilität von Gesellschaften untergraben werden, besonders in fragilen Regionen und Risikozonen, wo verarmte und marginalisierte Bevölkerungsschichten zur Abwanderung gedrängt werden (Gemenne et al. 2015). Am direktesten wirkt Klimawandel durch Naturkatastrophen, wie Stürme und Überflutungen, die Menschen in die Flucht treiben, um das eigene Überleben zu sichern. Nach Schätzungen des Internal Displacement Management Center (IDMC) wurden alleine im Jahr 2015 weltweit etwa 19,2 Millionen Menschen durch Naturkatastrophen vertrieben, mit Abstand am häufigsten in Asien (China, Indien, Philippinen, Nepal, Myanmar), aber auch in Teilen Afrikas, Australiens und in Nord- und Lateinamerika (IDMC 2016).

Bei zunehmender Trockenheit und Dürre werden die landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren Wasser und Boden knapp, besonders in agrarisch geprägten Subsistenzwirtschaften. Wenn der Ertrag nicht mehr reicht, sind Hunger und Armut die Folge. Betroffen sind Menschen durch Trockenheit und Wassermangel im Mittelmeerraum, Dürren in der Sahelzone und Zentralasien, Stürme und Überschwemmungen in Mittelamerika, Süd- und Ostasien oder durch den Meeresspiegelanstieg in kleinen Inselstaaten, wie den Malediven. Bislang fehlen die empirischen Grundlagen, um abschätzen zu können, wieviele Menschen als Folge des Klimawandels auswandern werden (Jakobeit and Methmann 2012).

Der Nexus-Ansatz

Die komplexen Zusammenhänge, die es schwierig machen, die verschiedenen Fluchtmotive voneinander zu unterscheiden und die Verknüpfung von Ursache und Wirkung zu erkennen, wurden frühzeitig benannt (Scheffran 1994) und sind bis heute noch wenig verstanden (Burrows and Kinney 2016). Im Beziehungsgeflecht (Nexus) von Klimawandel, Migration und Konflikten sind komplizierte Wechselwirkungen und Reaktionsketten möglich, die sich unter Umständen gegenseitig aufschaukeln können: je mehr Konflikte, umso mehr Migration, was weitere Konflikte und Migration nach sich zieht. Solche Verstärkereffekte sind typisch für komplexe Systeme und Netzwerke, in denen Rückkopplungen, Kipppunkte und Risikokaskaden auftreten können. Entsprechend wurde der Klimawandel als möglicher »Risikoverstärker« angesehen, der im Zusammenspiel mit anderen Konnektoren (u.a. globalisierte Märkte, Handel, Transport, digitale Kommunikation und soziale Medien) verschiedene Problem- und Konfliktfelder zu internationalen Risiko- und Krisenlandschaften verknüpft (siehe die Diskussion in Scheffran 2016).

Die Vorstellung einer linearen Kausalität zwischen globalem Umweltwandel und Konflikten über klimabedingte Migration enthält mehrere Missverständnisse. Zunächst sind Migrationsentscheidungen komplex und nicht nur von ökologischen Faktoren bestimmt; innergesellschaftliche Probleme spielen meist eine größere Rolle. Die Migrationsforschung hat fünf Auslöser von (Binnen- und internationaler) Migration identifiziert: ökonomische, politische, demografische, soziale und ökologische Faktoren (Fröhlich 2016b). Sie alle sind eng miteinander verwoben und wirken durch Institutionen und Strukturen wie auch durch bestehende Migrationskanäle und -netzwerke. Doch selbst wenn die Motive für Migration zunehmen, können die Möglichkeiten zur Wanderung beeinträchtigt werden. Dies führt zu den so genannten »trapped populations«, die nicht die Fähigkeit zur Umsiedlung haben und ganz besonders verletzlich sind.

Es besteht in keinem Fall ein Automatismus zwischen Klimaschwankungen, Naturkatastrophen und Konflikt oder Flucht. Der Klimawandel kann sowohl gesellschaftliche Problemlagen verstärken als auch eine gesellschaftliche Transformation zur nachhaltigen Friedenssicherung anstoßen.

Der vertrackte Bürgerkrieg in Syrien

Die widersprüchlichen Entwicklungen lassen sich am Fall Syrien verdeutlichen. Die syrische Republik leidet wie die gesamte Levante schon seit Jahren an den Folgen der globalen Erderwärmung. Zuletzt suchte eine lange Dürreperiode zwischen 2007 und 2009 das Land heim. Während dieser Jahrhundertdürre“, wie sie von Einheimischen genannt wird, kam es zu wiederholten Ernteausfällen in Teilen des Landes, zu Viehsterben sowie zu einer deutlichen Zunahme der Binnenmigration. Eine wachsende Zahl von Kommentatoren und Analysten zieht die Binnenmigration vermehrt als Erklärung für Zeitpunkt und Intensität der syrischen Revolution heran (Werrell et al. 2015; Kelley et al. 2015).

Nun gibt es wenig Zweifel daran, dass der Klimawandel in Syrien reale Effekte hat. In den letzten zwanzig Jahren wurden zehn der zwölf trockensten Winter weltweit im Mittelmeerraum gemessen (NOAA 2011). Besonders dramatisch war eine Dürreperiode von 2007-9 (Fröhlich 2016a), die im Vorfeld der Revolution zu verstärkter Binnenmigration geführt haben soll. Um den tatsächlichen Einfluss der Dürre auf Ausmaß und Muster der Migration vor 2010 einschätzen zu können, ist es allerdings nötig, Zusammenhänge mit anderen Migrationsauslösern zu berücksichtigen. Zwischen 2002 und 2008 schrumpften Syriens Wasserressourcen um die Hälfte, zumindest teilweise auch wegen Übernutzung und Verschmutzung. Die Grundwasserressourcen werden seit Langem übernutzt. Kleinbauern und Landwirte sind deshalb stark von Regenbewässerung abhängig, was sie gegenüber Wetterextremen, Dürren und Niederschlagsvariabilität besonders empfindlich macht. Darüber hinaus führte das Missmanagement der alten und neuen Bewässerungssysteme zu einer graduell zunehmenden Bodenunfruchtbarkeit. Zusammenfassend kann man sagen, dass ökologische Herausforderungen in Syrien in der Tat zahlreicher geworden zu sein scheinen, dass dies aber auch durch schlechte Regierungsführung bedingt war.

Auch wirtschaftliche Faktoren haben die Binnenmigration in Syrien beeinflusst. Modernisierung, Landflucht und die nur langsame Integration ehemaliger Landarbeiter in andere Wirtschaftssektoren hatten sowohl in den ländlichen Gebieten als auch in den Städten ihre Spuren hinterlassen. Während die Landflucht von Arbeitskräften in urbane Räume die Produktivität der ländlichen Gebiete drosselte, stieg die Produktion in den Städten nicht schnell genug an, um eine gesunde Urbanisierung zu ermöglichen. Im Agrarsektor, der für ein Verständnis der Effekte einer Langzeitdürre am relevantesten ist, standen Landlose unter dem stärksten Druck, ihr Einkommen zu diversifizieren. Über die Jahre war saisonale Migration deshalb zu einer Überlebensstrategie geworden: Männer aus den nördlichen Provinzen Deir az-Zur, Rakka und Hasakah verbrachten dabei meist die Sommersaison als Arbeiter auf den Feldern im Süden und Westen und kehrten nach der Ernte nach Hause zurück. Dabei folgten sie oftmals etablierten Migrationskorridoren; solche Korridore erleichtern folgende Migrationsbewegungen, da Neuankömmlinge auf bereits bestehende soziale Netzwerke unter den Migrant*innen zurückgreifen können, also nicht ganz neu beginnen müssen. Auch soziopolitische und demografische Faktoren dürfen nicht vernachlässigt werden, etwa Patronagenetzwerke und der »youth bulge« (besonders hoher Anteil unter 25-Jähriger an der Bevölkerung), der Syrien wie viele andere nah­öst­liche Gesellschaften prägte.

Synergieeffekte und Anpassungsstrategien

In vertrackten Konfliktkonstellationen, wie in Syrien, ist es schwierig, geeignete Regulierungs- und Steuerungsmechanismen zu finden, um Stabilisierung zu erreichen. Dazu bedarf es einer antizipativen und adaptiven Politik, die hochriskante Pfade ausschließt. Dabei ist es sinnvoll, nicht nur den beschriebenen Nexus von Migration, Klimawandel und Konflikten zu analysieren, sondern auch mögliche Synergie-Effekte zwischen den politischen Bewältigungsstrategien in den jeweiligen Bereichen zu finden (Gioli et al. 2016).

Gelingt es etwa durch Klimapolitik, den Klimawandel einzudämmen, werden damit auch mögliche Konflikt- und Migrationsursachen verringert. Umgekehrt leisten kooperative Strukturen und Strategien des Konfliktmanagements einen Beitrag dazu, die Ursachen und Folgen von Klimawandel und Flucht abzuschwächen und gemeinsam zu bewältigen. Migrations- und Flüchtlingspolitik schließlich können die Integration und den Zusammenhalt von Gesellschaften stärken, was bessere Voraussetzungen schafft, um Konflikte und Klimafolgen in den Griff zu bekommen, auch für Migrant*innen selbst. Solche Synergieeffekte, die sich die komplexen Verflechtungen in konstruktiver Weise zunutze machen, sind erst ansatzweise im Blick.

Bislang diente die Warnung vor »Klimaflüchtlingen« dazu, die Dringlichkeit von Klimapolitik zu begründen. Dies wurde deutlich während der Verhandlungen über den Klimavertrag von Paris 2015, als öffentliche Repräsentanten, von US-Präsident Barack Obama bis zu Prince Charles, die hypothetisierte Bedrohung durch massenhafte Klimaflucht zur Begründung für ein Klimaabkommen benutzten. Für die französische Regierung diente dies als Hebel, um die europäische Verantwortung für die Vermeidung klimabedingter Migration herauszustreichen; dementsprechend wurde in Paris eine Task Force zu klimabedingter Zwangsmigration ins Leben gerufen. In diesem Kontext wurde betont, dass vorbeugende Investitionen in Emissionsvermeidung und Klimaanpassung effizienter seien als nachsorgendes Katastrophen- und Migrationsmanagement.

Rechtliche Instrumente und Regelungen im Umgang mit klimabedingter Migration sind noch Neuland. Es fehlen klare Definitionen oder rechtliche Regelungen zum Status der umwelt- oder klimabedingten Migration. Der Begriff »Klimaflüchtling« ist bisher keine rechtlich relevante Kategorie, und es ist schwer vorherzusehen, ob eine Erweiterung der Genfer Flüchtlingskonvention ein gangbarer und sinnvoller Weg wäre. Ein möglicher Ausgangspunkt sind die 2015 verabschiedete Nansen-Initiative, die auf humanitäre Schutzmaßnahmen zur Stärkung der Resilienz von Flüchtlingen setzt, und das Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge, Risikovermeidung und humanitäre Hilfe (Nash 2017). Ohne wirksame Maßnahmen besteht die Gefahr einer weiteren Versicherheitlichung der Debatte, die auf sicherheitstechnische Reaktionen setzt (Scheffran und Vollmer 2012).

Auch wenn die Vermeidung von Klimafolgen weiterhin die zentrale Aufgabe bleibt, kann die Anpassung an den Klimawandel einige Probleme in den betroffenen Ländern abschwächen. Dabei kann Migration selbst als Anpassungsstrategie gegenüber Klimafolgen angesehen werden (Black et al. 2011), welche die Handlungsfähigkeit betroffener Gemeinden stärkt. Migrationsnetzwerke können individuelle und kollektive Handlungsfähigkeiten ausbauen sowie zur Schaffung stabiler Strukturen zwischen Herkunfts- und Zielländern beitragen, etwa durch den Transfer von Geld, Wissen und Technologie in die Heimatländer, wo sie zum Volkseinkommen beitragen (Scheffran et al. 2012). Damit die Last nicht allein auf den Betroffenen liegt (was an Resilienz-Konzepten kritisiert wird), ist die Unterstützung durch staatliche oder internationale Institutionen wichtig, insbesondere durch Regierungen in Herkunfts- und Zielländern (co-development).

Literatur

Bank, A.; Fröhlich, C.; Schneiker, A. (2017): The Political Dynamics of Human Mobility – Migration out of, as and into Violence. Global Policy, 8, S. 12-18.

Black, R. et al. (2011): Migration and Global Environmental Change – Future Challenges and Opportunities. Final Foresight Project Report. London: Government Office for Science.

Burrows, K. and Kinney, P.L. (2016): Exploring the Climate Change, Migration and Conflict Nexus. International Journal of Environmental Research and Public Health, 13, S. 443.

EU (2008): Klimawandel und Internationale Sicherheit. Papier des Hohen Vertreters und der Europäischen Kommission für den Europäischen Rat. Abrufbar unter consilium.europa.eu.

Fagan, B. (2009): The Great Warming – Climate Change and the Rise and Fall of Civilizations. New York: Bloomsbury Press.

Fröhlich, C. (2016a): Climate migrants as protestors? Dispelling misconceptions about global environmental change in pre-revolutionary Syria. Contemporary Levant, 1(1), S. 38-50.

Fröhlich, C. (2016b): Menschliche Mobilität im Kontext ökologischer und politischer Krisen – Das Beispiel Syrien. In: Johannsen, M.; Schoch, B.; Mutschler, M.M.; Hauswedell, D.; Hippler, J. (Hrsg.): Friedensgutachten 2016. Münster: LIT, S. 89-100.

Gemenne, F.; Zickgraf, C.; Ionesco, D. (2015): The State of Environmental Migration 2015. Paris: Institute for Sustainable Development and International Relations, International Organization for Migration.

Gioli, G.; Hugo, G.; Manez Costa, M.; Scheffran, J. (2016): Human Mobility, Climate Adaptation, and Development. Introduction to Special Issue of Migration and Development, S. 1-6.

Internal Displacement Monitoring Centre/IDMC (2016): Global Report on Internal Displacement (GRID). Geneva, May 2016.

Intergovernmental Panel on Climate Change/IPCC (2014): Climate Change 2014 – Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Fifth Assessment Report, Working Group II Report. Geneva.

Jakobeit, C. and Methmann, C. (2012): Climate Refugees’ as Dawning Catastrophe? A Critique of the Dominant Quest for Numbers. In: Scheffran, J.; Brzoska, M.; Brauch, H.G.; Link, P.M.; Schilling, J. (eds.): Climate Change, Human Security and Violent Conflict. Berlin: Springer, S. 301-314.

Kelley, C.P.; Mohtad, S.;Cane, M.A.; Seager, R.; Kushnir, Y. (2015): Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. PNAS, 112(11), S. 3247-3252.

Nash, S. (2017): From Cancun to Paris – an Era of Policymaking on the Migration and Climate Change Nexus. Dissertation, Universität Hamburg, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

National Oceanic and Atmospheric Administration/NOAA (2011): NOAA study – Human-caused climate change a major factor in more frequent Mediterranean drought; noaanews.noaa.gov, October 27, 2011.

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Scheffran, J.; Marmer, E.; Sow, P. (2012): Migration as a contribution to resilience and innovation in climate adaptation – Social networks and co-development in Northwest Africa. Applied Geography, 33, S. 119-127.

Scheffran, J. und Vollmer, R. (2012): Migration und Klimawandel – globale Verantwortung der EU statt Angstdebatte. In: Schoch, B.; Hauswedell, D.; Kursawe, J.; Johannsen, M. (Hrsg.): Friedensgutachten 2012. Münster: LIT, S. 209-221.

Scheffran, J. (2017): Klimawandel als Risikoverstärker in komplexen Systemen. In: Brasseur, G.; Jacob, D.; Schuck-Zöller, S. (Hrsg.): Klimawandel in Deutschland. Heidelberg: Springer, S. 287-294.

United Nations High Commissioner for Refugees/UNHCR (2017): Syria Regional Refugee Response – Inter-agency Information Sharing Portal. Stand vom 23. März 2017.

Werrell, C.E.; Femia, F.; Sternberg, T. (2015): Did We See It Coming? State Fragility, Climate Vulnerability, and the Uprisings in Syria and Egypt. SAIS Review of International Affairs 35(1), S. 29-46.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen/WBGU (2007): Sicherheitsrisiko Klimawandel. Berlin/Heidelberg: Springer.

Dr. Jürgen Scheffran ist Professor für Geographie und Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg. Er ist Mitglied der W&F-Redaktion.
Dr. Christiane Fröhlich ist PostDoc in ­CLISEC und Research Fellow am Insti­tut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität ­Hamburg.

Fluchtursachen und Verantwortung


Fluchtursachen und Verantwortung

Das Beispiel Afghanistan

von Katja Mielke

Das Beispiel Afghanistan verdeutlicht, wie klassische Fluchtursachen – vordergründig Krieg und Gewalt sowie damit verbunden fehlende Rechtstaatlichkeit, Diskriminierung und Verfolgung – durch das Fehlschlagen der internationalen militärischen, insbesondere aber auch der zivilen Intervention in den letzten 15 Jahren verstärkt wurden. Der gescheiterte Wiederaufbau des Landes kann aus dieser Perspektive durchaus als eigenständige Fluchtursache gelten, bedingt er doch die steigende Armut, zunehmende soziale Ungleichheit und als Ergebnis wachsende Perspektivlosigkeit. Daraus ergibt sich eine internationale Verantwortung für die würdevolle Aufnahme und Betreuung der geflüchteten Afghan*innen in Deutschland, Europa und weltweit.

Im April 2017 beginnt das vierzig­ste Kriegsjahr in Afghanistan. Der Gewaltkonflikt hat geschätzte 4,8 Millionen Menschen veranlasst, ihr Heimatland zu verlassen: Etwa 15 Prozent der Afghan*innen sind laut UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) über internationale Grenzen geflüchtet.1 Zum Jahresende 2015 wurden weltweit etwa 2,67 Millionen Afghan*innen offiziell als Flüchtlinge anerkannt; von ihnen ist fast jede/r Zweite (49 %) jünger als 18 Jahre (UNHCR 2016, S. 16). Afghan*innen stellen weltweit die zweitgrößte Flüchtlingsbevölkerung (die größte kommt aus Syrien). Hinzu kommt die immense interne Vertreibung. Sie belief sich allein im Jahr 2016 auf mehr als eine halbe Million Menschen (UN OCHA 2016). Mit den bereits vor 2016 vertriebenen 1,17 Millionen Binnenvertriebenen (Amnesty International 2016, S. 13) beläuft sich die offiziell registrierte Zahl der Vertriebenen im Inland auf 1,7 Millionen Menschen.2

Fluchtursache Gewalt und Krieg

Die Vertreibungszahlen spiegeln die zunehmende Unsicherheitslage in Afghanistan wider. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen ist von 2010 bis heute stetig fast um das Fünffache gestiegen. Parallel weist auch die Zahl ziviler Opfer von politischer Gewalt jedes Jahr neue Rekordwerte auf. Im letzten Jahr (2016) wurden 7.929 Zivilisten getötet und 3.498 verletzt, darunter immer mehr Kinder (923 getötet, 2.589 verletzt) (UNAMA 2016).

Zum Jahresende 2016 waren so genannte »Taliban« – eigentlich ein Kon­glomerat diverser bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen auf lokaler Ebene und mehr ein Label als eine kohärente Bewegung – so sehr erstarkt wie seit 2001 nicht mehr. Das Ausmaß der Kontrolle von Landesteilen durch regierungsfeindliche Truppen ist zum Politikum geworden. Trotz der sehr unterschiedlichen Einschätzung zwischen unabhängigen Beobachtern und US-Militär auf der einen und zwischen den Regierungen der USA und Afghanistans auf der anderen Seite ist unbestritten, dass die Regierung Einfluss und Kontrolle verliert.

Laut US-Militär (Roggio 2016) kontrollierten Taliban (»Aufständische«) Ende August 2016 lediglich acht von 407 Distrikten und besaßen Einfluss in weiteren 25 Distrikten, während die Regierung 88 Distrikte vollständig kontrollierte und in 170 Distrikten Einfluss ausübte (7,1 % weniger als Ende Januar 2016 und 15 % weniger als Ende November 2015); in 28,5 % der Distrikte konkurrierten die »Auständischen« und die Regierung um den Kontrollanspruch. Schon drei Monate später, Ende November 2016, hatte die Regierung weitere 6,2 % der Distrikte verloren (SIGAR 2017). Unabhängige Beobachter*innen schätzen die Regierungszahlen überdies als zu hoch ein. In Wirklichkeit hätten die Taliban bereits Ende Oktober 2015 70 Distrikte unter ihrer Kontrolle gehabt und bis November 2016 weitere 27 Distrikte hinzugewonnen, würden also knapp ein Viertel der Distrikte kontrollieren (Rogio 2016). Zudem waren bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen in der Lage, landesweit mehrere militärische Offensiven gleichzeitig zu koordinieren, zum Beispiel in Helmand, Urusgan, Kundus, Farah und Baghlan. Die respektiven Provinzhauptstädte befinden sich seit Monaten, wenn nicht Jahren, permanent in Gefahr, von Taliban erobert zu werden. Die zeitweise Eroberung von Kundus durch Taliban Ende September 2015 war daher keine Ausnahme, sondern ist symptomatisch für den Kontrollverlust der Regierung.

Im Januar 2017 lebte fast ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (9,2 Millionen) in Gebieten, die zwischen Regierung und Aufständischen »umkämpft« sind. Etwa zweieinhalb Millionen Personen lebten noch in Gebieten, die von Aufständischen, also Taliban oder Daesh (IS-Khorasan), kontrolliert werden, die meisten Bewohner der von Daesh kontrollierten Gebiete (vier Distrikte in der östlichen Provinz Nangarhar) sind wohl geflohen.

Diese Zahlen sind jedoch nur ein Aspekt, der das Ausmaß der Unsicherheit, dem die Bewohner*innen Afghanistans ausgesetzt sind, beschreibt. Die kürzlich erfolgten Anschläge – wie auf das Krankenhaus in Kabul im Februar 2017 – zeigen, dass auch die urbanen Zentren nicht mehr sicher sind. In Großstädten wie Kabul (ca. 4 Mio. Einwohner), Dschalalabad (mehr als 350.000) und Herat (über 800.000) sind die Menschen täglich in Gefahr, Selbstmordattentaten und Entführungen zum Opfer zu fallen. Der Verkehr außerhalb der Städte ist sehr riskant. Neben diversen Taliban-Fraktionen kämpfen zahlreiche andere bewaffnete Gruppen gegen den Staat, teilweise auch miteinander. In den ländlichen Gebieten hat sich die Unsicherheit nach der strategisch motivierten (Wieder-) Aufrüstung vormals entwaffneter Milizen seit 2009 enorm verschärft. So gibt es beispielsweise aus verschiedenen Provinzen, u.a. Baghlan, Berichte, dass Angehörige der staatlichen Afghan Local Police (ALP) ihre Waffen und Munition an »Aufständische« verkaufen.

Komplexe Unsicherheitslage

Der geschilderte Grad tatsächlicher und wahrscheinlicher physischer Unsicherheit – insbesondere die quantifizierbaren Faktoren von Unsicherheit, wie die Frequenz und Opferzahlen von Anschlägen, – sind ein harter Indikator dafür, dass Afghanistan kein sicheres Land ist. Zwei Aspekte verstärken diese Einschätzung zusätzlich: zum einen die Volatilität der (Un-) Sicherheitssituation, zum anderen das grundlegende Fehlen rechtstaatlicher Strukturen.

Volatilität der Sicherheitssituation meint, dass die Gewaltdynamiken in Afghanistan grundsätzlich unberechenbar sind und keine Planungsgewissheiten bestehen. Manche Distrikte befinden sich offiziell unter Regierungskontrolle, aber nur, weil Distriktbeamte zwischen 10 und 14 Uhr im Verwaltungsgebäude der Distriktregierung ihrer Tätigkeit nachgehen. Wenn sie allerdings gezwungen sind, ab 14:30 Uhr den Heimweg in die wenige Kilometer entfernte Provinzhauptstadt anzutreten, weil sie sonst Gefahr laufen, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, scheint die Einstufung »unter Regierungskontrolle« höchst fragwürdig. Regional verschieben sich zudem Einflussbereiche auch ad hoc und in nicht vorhersehbarer Weise, zum Beispiel wenn Taliban-Anhänger in ein Gebiet vordringen und im Namen ihrer Gruppe gewaltsam Steuern erheben, aber auch dann, wenn – wie unter Vize-Präsident Dostum in Farjab – regierungsloyale Fraktionen und afghanische Sicherheitskräfte Militäroperationen gegen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen unternehmen. Für Letzteres belegen die Statistiken steigende zivile Opferzahlen (UNAMA 2016).

Der Grad der Verwobenheit von Regierungsvertretern und Beamten mit kriminellen Netzwerken, korrupten Praktiken und wenig durchsetzungsfähigen Justizorganen bedingt zudem, dass die Bevölkerung bislang kaum Vertrauen in rechtstaatliche Institutionen aufbauen konnte. Solange derjenige mit den umfangreicheren Machtressourcen (Geld, Waffen, Gefolgschaft, traditioneller Status) Rechtsprechungsinstitutionen (ob Ältestenräte auf lokaler Gemeindeebene oder staatlich benannte Richter und Gerichte) zu seinen Gunsten beeinflussen kann, regiert das »Recht des Stärkeren«, und Diskriminierung und Verfolgung der Schwächeren sind an der Tagesordnung.

Die afghanische Regierung ist in dem Dilemma, dass sie ihrer Bevölkerung und zurückkehrenden Flüchtlingen trotz gegenteiliger Proklamationen weder physische Sicherheit noch Rechtssicherheit garantieren kann. Häufig sind Regierungspraktiken, insbesondere das Handeln von Regierungsvertretern (Ministern, Angehörigen der Streitkräfte, Verwaltungsbeamten auf subnationaler Ebene, Parlamentsabgeordneten) eine wesentliche Ursache der Unsicherheit oder tragen maßgeblich dazu bei. Zum Beispiel unterhalten einzelne Parlamentsabgeordnete private Milizen, die je nach Interessenslage auch gegen öffentliche Interessen und staatliche Politik ausgespielt werden. Diese Sachlage verschärft das Legitimationsdefizit der afghanischen Regierung zusätzlich und demonstriert, wie hochkomplex die Unsicherheitslage ist.

Fluchtursache fehlgeschlagene Intervention

Die internationale Gemeinschaft trägt Mitverantwortung für die gegenwärtige Situation in Afghanistan. Dies wird in drei Bereichen besonders deutlich:

  • Erstens haben Militär und zivile Interventen die Wahl ihrer Partner nicht ausreichend hinterfragt. Dies zeigte sich zum Beispiel auf nationaler Ebene in der bedenkenlosen Unterstützung der Nordallianzfraktion, die mit Schützenhilfe der USA im November 2001 Kabul einnehmen konnte und der die Ausrichter der kurz danach durchgeführten Petersberg-Konferenz die Besetzung von Schlüsselpositionen im Zuge der Regierungsneubildung ermöglichten. Parallel erfolgte der Ausschluss der Verliererfraktion, der Taliban, von den Friedensverhandlungen. In den Folgejahren wurden »die Taliban« zum Feindbild Nummer Eins stilisiert, nachdem die internationalen Truppen Osama bin Ladens, dem Drahtzieher hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht habhaft werden konnten. Die daraus abgeleitete systematische Delegitimierung der Taliban als abzulehnend und zu bekämpfend (Schetter und Mielke 2016) erfolgte parallel zu einer tendenziösen Gleichsetzung von Paschtunen – einer Ethnie – mit Taliban, wodurch vorhandene anti-paschtunische Tendenzen in der afghanischen Bevölkerung weiter Aufwind erfuhren. Seitens der Paschtunen hat dies wiederum zu Ablehnung und Radikalisierung geführt. So lässt sich beispielsweise in etlichen Regionen der Provinz Kundus beobachten, dass ein wichtiger Grund für den erneut zunehmenden Einfluss von Taliban in der systematischen Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen bei der Verteilung von Ressourcen durch die Nordallianz-dominierte Provinzregierung besteht. Die gegenwärtige Stärke von Taliban speist sich in beträchtlichem Maß aus dem Zulauf von Männern verschiedener ethnischer Herkunft (zunehmend Nicht-Paschtunen), die sich von der Unterstützung der Taliban versprechen, ihre Interessen und Teilhabeansprüche besser durchsetzen zu können.
  • Zweitens war die Entscheidung folgenreich, ab 2009 den Ausbau staatsnaher paramilitärischer Verbände (direkt) und privater Milizen (indirekt) zu fördern, nachdem in den Jahren zuvor umfangreiche Bemühungen für eine Demobilisierung potenzieller Kämpfer stattgefunden hatte und deren Waffen eingesammelt worden waren.
  • Drittens führten der Wiederaufbau sowie die Ausrichtung der Wirtschaft und des Beschäftigungssektors, die sich einseitig an den Bedürfnissen der Interventen orientierten, dazu, dass ab Mitte 2013 schon die bloße Ankündigung des Abzugs der westlichen Truppen zum Jahresende 2014 zu einem Einbruch der Wirtschaft führte. Dieser ökonomische Schock konnte bis heute weder durch lokale Nachfrage noch durch einen an lokalen Bedarfen orientierten Umbau des Beschäftigungssektors aufgefangen werden (Mielke und Grawert 2016).

Ausblick

Die Interventionspolitik der internationalen Gemeinschaft trug maßgeblich dazu bei, dass breite Bevölkerungsschichten nach 2001 nicht in den Genuss einer »Friedensdividende« kamen. Die genannten drei Faktoren verstärken die desolaten sozioökonomischen Indikatoren, die Afghanistan nach 15 Jahren Wiederaufbau aufweist: Die Armut steigt, mehr als ein Drittel der Bevölkerung kann sich nicht ausreichend ernähren, die soziale und Einkommensungleichheit ist seit 2001 stetig gewachsen.

Die afghanische Regierung ist in der gegenwärtigen Situation nicht in der Lage, Anreize zum Bleiben zu schaffen, also die Aussicht zu erhöhen, dass ein Verbleib in Afghanistan eine genauso aussichtsreiche und valide Option zur Lebensgestaltung bietet wie die Abwanderung ins Ausland. Zwar beharrt die afghanische Regierung im Rahmen ihrer Strategie für breitere Eigenständigkeit (Reformprogramm »Realizing Self-Reliance«) auf der Absorptions- und Integrationsfähigkeit aller afghanischen Flüchtlinge, de facto verfügt sie aber nicht über die Durchsetzungskraft (Kapazität und Willen), Bevölkerung und Rückkehrer*innen ausreichend Schutz und Sicherheit zu bieten, inklusive der Wahrung ihrer Persönlichkeits- und Menschenrechte, Schutz vor interner Vertreibung und Zukunftsperspektiven.

Bei der jährlichen Meinungsumfrage der Asia Foundation in Afghanistan gaben 52 % der befragten Afghan*innen 2016 an, dass sie Afghanistan verlassen würden, um eine Beschäftigung zu finden, wenn sie könnten (Burbridge et al. 2016). Gleichzeitig war Unsicherheit der meistgenannte Grund für Pessimismus (49 % der Befragten), noch vor Arbeitslosigkeit und schlechter Wirtschaftslage (38 %).

Aus dem Befund, dass nach 15 Jahren ziviler und militärischer Intervention die Schaffung menschengerechter Lebensverhältnisse in Afghanistan nicht erreicht wurde, leitet sich eine internationale Verantwortung für die würdevolle Aufnahme und Betreuung der geflüchteten Afghan*innen in Deutschland, Europa und weltweit ab.

Anmerkungen

1) Die Zahl 4,8 Millionen bezieht sich auf den offiziellen Stand Ende 2015 (UNHCR 2016). Es gibt keine vergleichbaren neueren Angaben; UNHCR aktualisiert die Statistiken jeweils zum Juni des laufenden Jahres (zum Weltflüchtlingstag am 20.6.). Allerdings ist davon auszugehen, dass die Zahl in etwa unverändert ist, denn die Zahl der Geflüchteten im Jahresverlauf 2016 muss mit der Zahl der (zum großen Teil de facto unfreiwillig) Repatriierten aus Pakistan (511.762 bis 20.11.16) und Deportierten aus Iran (406.022 bis 20.11.16) aufgerechnet werden.

2) Addiert man zu den 1,7 Millionen Binnenvertriebenen die Zahl der 2016 Repatriierten und Deportieren (= 1.023.840 Personen, siehe Endnote 1), die vermutlich zum großen Teil ebenfalls kein Zuhause haben, in das sie zurückkehren können, so muss von einer Zahl von bis zu 2,7 Millionen Entwurzelten innerhalb der Grenzen Afghanistans ausgegangen werden.

Literatur

Burbridge, H. et al. (2016): A survey of the Afghan people – Afghanistan in 2016. Washington, D.C.: Asia Foundation.

Amnesty International (2016): My children will die this winter – Afghanistan’s broken promise to the displaced. London: Amnesty International.

Mielke, K. und Grawert, E. (2016): Warum ­Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist. BICC Policy Brief 1/2016. Bonn: Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC).

Roggio, B. (2016): Analysis – US military assessment of Taliban control of Afghan districts is flawed. Long War Journal, 2.11.16.

Schetter, C. und Mielke, K. (2016): Was von Kundus bleibt – Intervention, Gewalt und soziale Ordnung. Politische Vierteljahresschrift 57(4), S. 614-642.

Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction/SIGAR (2017): High Risk List 2017. Arlington/Virginia, January 11. 2017. SIGAR ist eine Einrichtung der US-Regierung.

United Nations Assistance Mission in Afghanistan/UNAMA (2016): Afghanistan – Protection of civilians in armed conflict. Annual Report 2016. Kabul, February 2017.

United Nations High Commissioner for Refugees/UNHCR (2016): Global trends. Forced displacement in 2015. Geneva.

United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs/UN OCHA (2016): Afghanistan: Conflict induced displacements (as of 27 November 2016).

Katja Mielke, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC) und beschäftigt sich seit 2005 intensiv mit Afghanistan.

Migration und Flucht als Prozess


Migration und Flucht als Prozess

Die individuelle und gesellschaftliche Perspektive

von Yuriy Nesterko und Heide Glaesmer

Im Jahr 2015 waren weltweit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht vor Verfolgung und Vertreibung, davon ca. ein Drittel über die Staatsgrenzen des jeweiligen Herkunftslandes hinweg (UNHCR 2016). Dies ist die höchste Zahl Schutzsuchender bzw. Vertriebener seit Ende des Zweiten Weltkrieges und spiegelt die Zunahme an bewaffneten Konflikten wider. Die Geflüchteten sind häufigen und wiederholten Belastungen und Traumatisierungen ausgesetzt, wobei diese nicht nur im Herkunftsland, sondern auch während und nach der Flucht erlebt werden. Sie stellen einen zentralen Risikofaktor für die psychische und physische Gesundheit dieses Personenkreises dar. Dieser Artikel erläutert den prozesshaften Charakter von Migration und Flucht aus individueller und gesellschaftlicher Perspektive.

In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene Konzepte zur Beschreibung von Migration entwickelt. In einigen Ansätzen wird die Migrationserfahrung als kritisches Lebensereignis oder gar als traumatisch aufgefasst. Andere Autoren gehen von einer weniger defizitorientierten Betrachtung aus und sehen Migration als Chance (Faltermeier 2001). Im Folgenden werden das Akkulturationsmodell von Berry (1997), das Migrationsphasenmodell von Sluzki (2001) sowie die Fluchtprozessmodelle von Berry (1991), Keilson (1979) und Becker (2006) vorgestellt.

Strategien der Akkulturation

Im Akkulturationsmodell von Berry werden Akkulturationsstrategien als Anpassungen an eine neue bzw. andere kulturelle Umgebung beschrieben (Berry 1997). Hier ist zwischen der Ebene der Gesellschaft und der des Individuums zu unterscheiden.

Manche Gesellschaften akzeptieren kulturelle Diversität und fördern diese, andere erwarten von Zuwanderer*innen eine Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, wieder andere grenzen Migrant*innen aus (Berry 2005). Berry beschreibt zwei Dimensionen der Orientierung: die Aufrechterhaltung der Herkunftskultur und die Hinwendung zur Aufnahmekultur. Er nimmt an, dass eine Ausprägung auf beiden Dimensionen hoch oder niedrig sein kann, was in vier Akkulturationsorientierungen resultiert (siehe Abb. 1). Dies gilt für die gesellschaftliche Ebene (Migrationspolitik, Einstellungen) wie auch für das Individuum. Wenn es das politische Ziel ist, die Migrant*innen an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen, spricht Berry (2005) von einem »Melting Pot«, und wenn sowohl die Herkunftskultur aufrechterhalten als auch eine Hinwendung zur Aufnahmegesellschaft stattfinden soll, von »Multikulturalität«. Wenn die Integration der Einwanderer*innen nicht gewollt ist, können diese entweder ihre eigene Kultur weiter leben und sich in ethnischen Gruppen zusammenschließen (Segregation) oder ihnen wird die Aufrechterhaltung der Ursprungskultur verwehrt, was zur Exklusion führt.

Mehr noch als die Orientierungen auf gesellschaftlicher Ebene werden die auf der individuellen Ebene diskutiert. Analog zu der gesellschaftlichen Ebene spricht Berry (1997) von Assimilation, wenn Individuen ihre Herkunftskultur aufgeben und sich der Mehrheitskultur zuwenden, wenn sie im Gegenteil nur die »alte« Kultur aufrechterhalten und die neue Kultur nicht annehmen, von Separation. Wenn an beiden Kulturen partizipiert wird, wird von Integration gesprochen, und wenn ein Verlust der Ursprungskultur stattfindet, aber auch kein Interesse an der Aufnahmekultur besteht, von Marginalisierung. Auf individueller Ebene ändern sich nach Berry (1990, zitiert nach Schrader 2010) durch Akkulturation Verhalten, Identität, Werte und Einstellungen und nach Trimble (2003, zitiert nach Schrader 2010) auch Affekte und religiöse Glaubenssätze. Die individuelle und die gesellschaftliche Ebene sind nicht unabhängig voneinander. Es kann nur aus allen vier Strategien gewählt werden, wenn die Gesellschaft offen und inklusiv ist und dies zulässt (Berry 2005). Weiterhin wird die Orientierung der Gesamtgesellschaft von der Orientierung einzelner Personen beeinflusst.

Ausgehend von einer Vielzahl empirischer Untersuchungen bezüglich der gesundheitlichen Auswirkungen der Akkulturationsstile wird davon ausgegangen, dass die Integrationsstrategie auf längere Sicht zur nachhaltigen Reduktion von Akkulturationsstress führt und daher mit dem größten Wohlbefinden einhergeht (Schmitz 2001; Gavranidou und Abdallah-Steinkopff 2007).

Phasen der Migration

Ähnlich wie Berry beschreibt Sluzki (2001) Migration als ein Stress verursachendes Ereignis. Er erkennt im Prozess der Migration „[… -] sowohl über kulturelle Grenzen hinweg als auch innerhalb ähnlicher Kulturräume – eine erstaunliche Regelhaftigkeit“ und spricht sogar von einer „kulturübergreifenden Validität“ seines Modells. Den Verlauf der Migration unterteilt er in fünf Phasen (Abb.2).

Bei der Beschreibung der Phasen wird der Schwerpunkt auf Konflikte, Krisen und Anpassungserfordernisse aus dem Blickwinkel der Migrant*innen und ihres familiären Systems gelegt.

In der Vorbereitungsphase werden Informationen gesammelt, die die Entscheidung auszuwandern unterstützen bzw. in Frage stellen. Die meisten Migrant*innen bewältigen diese Phase recht erfolgreich (Gavronidou und Abdallah-Steinkopff 2007).

Als nächstes folgt der eigentliche Akt der Migration, der in seiner Dauer variieren und je nach Umständen Krisen verursachen kann.

In der Überkompensierungsphase sieht der Autor die erste Anpassung an die neue Umgebung. In dieser Zeit ist der Migrant/die Migrantin darauf bedacht, das Alltagsleben effektiv zu organisieren und neigt dazu, Widersprüchen und Unstimmigkeiten aus dem Weg zu gehen, indem diese »verleugnet« und «schöngeredet« werden. Die Phase ist durch erhöhte Anspannung gekennzeichnet, die oft in die Bereitschaft und den Wunsch mündet, sich möglichst gut der neuen Situation anzupassen. Diese Herangehensweise kann allerdings nicht dauerhaft aufrechterhalten werden, da „Träume und Sehnsüchte unter dem Druck der Realität zusammenbrechen“, was zu erneuten Spannungen führen kann.

Die Phase der Dekompensation ist durch Konflikte gekennzeichnet. Es ist die Zeit, in der Widersprüche realistisch eingeschätzt werden, die Anforderungen der Aufnahmegesellschaft eventuell zu hoch sind und die gewohnten Bewältigungsmechanismen nicht greifen. Infolgedessen können psychische und körperliche Symptome auftreten. Gavranidou und Abdallah-Steinkopff (2007) sehen in dieser Phase eine Verbindung zu Berrys Akkulturationsmodell, weil ein Abwägen zwischen den kulturellen Riten, Normen und Werten des Herkunftslandes und der Kultur der Aufnahmegesellschaft stattfindet.

Beendet wird der Prozess der Migration mit der Phase der generationsübergreifenden Anpassungsprozesse und der Integration. In diesem Stadium kommt es innerhalb der Familie zu Auseinandersetzungen mit noch offenen Migrationskonflikten und noch nicht bewältigten Anpassungsleistungen. Diese Aufgaben haben gegebenenfalls Vertreter*innen der nachfolgenden Generationen zu lösen.

Die Dauer der Phasen kann sehr unterschiedlich sein, und je nach Fragestellung kann das Modell unterschiedlich angewendet werden. Man kann die Stadien als biographiebezogene Etappen des Migrationsprozesses betrachten, gleichzeitig kann man die Phasen auf ein kurzes migrationsspezifisches Ereignis projizieren. Das Modell von Sluzki ist nicht nur wegen des dynamischen Verständnisses von Migration interessant, es liefert auch Hinweise für Reifungsschritte während des Verlaufs und berücksichtigt damit den Entwicklungsaspekt einer jeden Migration.

Menschen, die aufgrund bewaffneter Auseinandersetzungen, organisierter Gewalt und Verfolgung ihr Heimatland verlassen, sich lebensbedrohlichen Situationen während der Flucht aussetzen und nicht selten unter schwierigen Verhältnissen in dem Aufnahmeland leben, sind nicht nur im Hinblick auf ihre psychische Verfassung, d.h. auf der Individualebene, von den »regulären« Migranten zu unterscheiden. Auf Grundlage einer Vielzahl rechtlicher Bestimmungen der Herkunfts- und Aufnahmeländer, variierender politischer Haltungen innerhalb des jeweiligen Aufnahmelandes und folglich eines sehr breiten Spektrums an unterschiedlichen Institutionen, die die Aufnahme koordinieren bzw. übernehmen, durchlaufen die meisten Geflüchteten einen von der »regulären« Migration stark abweichenden Einwanderungsprozess.

Phasen der Flucht

Berry, der mit der oben beschriebenen Akkulturationstheorie die Migrationsforschung nachhaltig prägte, hatte einige Jahre zuvor bereits ein Modell vorgelegt, welches die typischen Phasen einer Flucht beschreibt. Neben den sechs aufeinanderfolgenden Phasen postuliert Berry (1991) eine Reihe von typischen Ereignissen und Erfahrungen, die Geflüchtete und Asylsuchende während der Flucht durchlaufen.

Mit der Aufbruchsphase wird vor allem der Zeitraum beschrieben, der die größte Notlage des Geflüchteten markiert. Je nach Umständen und Möglichkeiten kann es sich um eine kürzere oder längere Phase handeln, die häufig von Kriegsgeschehen, wirtschaftlicher Not, Verfolgung, Inhaftierung, politischer Unterdrückung, direkter körperlicher Gewalt und/oder anderen existentiellen Bedrohungslagen gekennzeichnet ist. Die Länge und Schwere dieser Phase haben einen direkten Einfluss auf den späteren Akkulturationsprozess, auch weil die Entscheidung hinsichtlich eines potentiellen Aufnahmelandes, d.h. die Auseinandersetzung mit dem zukünftigen Leben im Exil, in dieser Zeit stattfindet.

Die Fluchtphase, die in ihrer Dauer ebenfalls stark variieren kann, geht meist mit weiteren traumatischen Erfahrungen, wie Ausbeutung, physischen und sexuellen Übergriffen, Verletzungen oder Tod und nicht zuletzt gefährlichen Reiserouten, einher. Eine zusätzliche Belastung in dieser Phase kann die Trennung von Familie bzw. die Abwesenheit von nahen sozialen Kontakten bedeuten.

Die erste Asylphase ist die Zeit der Unterbringung in Camps für Geflüchtete, meist nahe der Grenze zum Herkunftsland, die mit der Gefahr von Bombardierung, Inhaftierung oder Rückführung, aber auch mit häufig sehr widrigen Lebensumständen, wie mangelnder Hygiene, Wasser- und Nahrungsmangel, begrenzten bzw. nicht vorhandenen Rückzugsmöglichkeiten u.ä., einhergeht. Der überwiegende Anteil der aktuell Geflüchteten weltweit verbleibt in dieser Phase.

Ist das Zielland erreicht, folgt die Phase der Antragsstellung, womit das Warten auf die rechtliche Anerkennung beginnt. Diese Zeit, in der das Individuum auf institutioneller Ebene mit dem Fehlen von Entscheidungs- und Kontrollmöglichkeiten im Hinblick auf seine Zukunft konfrontiert wird, ist oft von Unsicherheit, sozialer Isolation, unklaren Aufenthaltsbestimmungen und zum Teil drohender Abschiebung geprägt.

Nach einer Entscheidung im Asylprozess – sofern diese keine Rückführung nach sich zieht – folgt die Phase der Niederlassung. Erst hier, im anerkannten Asylstatus, sind die notwendigen Grundlagen für den Prozess der Akkulturation geschaffen. Diese Phase wird, vergleichbar mit Erfahrungen anderer Migrant*innen, durch »klassische« Migrationsbarrieren, wie z.B. Erlernen der neuen Sprache, erlebter Diskriminierung, erschwerter Arbeitssuche oder Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem, charakterisiert.

Abschließend wird im Sinne der erfolgreichen Akkulturation die Adaptionsphase postuliert, in der Integrationsbemühungen der Geflüchteten und der Aufnahmegesellschaft ineinandergreifen. Berry (1991) betont, dass nicht alle diese Phase erreichen und im Vergleich zu den »regulären« Migranten die persönlichen Ressourcen zur erfolgreichen Bewältigung aufgrund der vorangegangenen Belastungen bei Geflüchteten oft schwächer ausgeprägt sind.

Sequentielle Traumatisierung

Das Konzept der sequentiellen Traumatisierung von Keilson (1979) gewinnt in den letzten Jahren vermehrt an Aufmerksamkeit. In einer Reihe von Untersuchungen, die auf der therapeutischen Arbeit mit in den Niederlanden verfolgten jüdischen Kriegswaisen basieren, postuliert Keilson drei Sequenzen des Traumaerlebens, die sich aus den Erfahrungen dieser Jugendlichen vor, während und nach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten manifestierten. Im Kern seiner theoretischen Überlegungen erweitert Keilson das klassische, auf der Individualebene stattfindende Konzept der Traumatisierung um einen größeren sozialen und politischen Rahmen, der zum Bedingungsfeld des individuell erlebten Traumas erklärt wird. Eine weitere bedeutende Erkenntnis seiner langjährigen Forschung ist die Beschreibung der kumulativen Wirkung der erlebten Belastung in der jeweiligen Phase, wobei der letzten Sequenz – der Wiedereingliederungsphase nach dem Nationalsozialismus – die stärkste kumulative Wirkung des erlebten Traumas zugeschrieben wird. Genau diese Zeit, d.h. der Neuanfang und die Rückkehr zur Normalität, wurde von den erwachsenen Befragten Jahrzehnte später als die schwierigste Zeit beschrieben (Keilson, 1979).

In Anlehnung an Keilsons Idee der gesellschaftlichen Kontextualisierung eines jeden traumatischen Erlebnisses erweiterten Becker und Weyermann (2006) auf Grundlage ihrer Arbeit mit politisch Verfolgten in Chile das Modell der sequentiellen Traumatisierung um drei weitere Sequenzen.

Die erste Sequenz nach Becker und Weyermann beschreibt den Beginn des traumatischen Prozesses, das heißt die Vorbedingungen, wie etwa Krieg oder politische Verfolgung, wirtschaftliche und soziale Not. Die zweite Sequenz ist die Phase der Eskalation der Bedingungen vor Ort, die jedoch noch keine unmittelbare Bedrohung des Einzelnen bedeutet. Die dritte Sequenz ist die Phase der akuten Verfolgung, die durch extreme existentielle Erfahrungen, wie Verhaftung, Folter, Kriegsgeschehen oder Tod, gekennzeichnet ist. Die vierte Phase, auch Chronifizierungsphase genannt, beschreibt neben der anhaltenden akuten Bedrohung die kurzen Zeiten des Wartens zwischen den unmittelbaren Verfolgungs- bzw. Bedrohungssituationen. Die fünfte Sequenz definiert die Zeit des Übergangs nach der akuten Bedrohung. Die Phase ist durch kontextuelle Umbrüche und persönliche Krisen gekennzeichnet. Je länger diese Sequenz dauert, umso traumatischer wird sie erlebt. Die sechste und letzte Sequenz ist die Zeit nach der Verfolgung, in der der traumatische Prozess weiter andauert, auch wenn die eigentliche Bedrohung nicht mehr existiert. Ähnlich der dritten Sequenz von Keilson ist es die Phase der Wiedereingliederung sowohl auf individueller als auch gesamtgesellschaftlicher Ebene.

In einer weiterführenden Arbeit übertrug Becker (2006) das Sechs-Sequenzen-Konzept auf die Situation der Geflüchteten und entwickelte ein Verlaufsmodell der potentiell traumatischen Sequenzen im Kontext von Flucht und Zwangsmigration (Abb. 3).

Die einzelnen Phasen bzw. Sequenzen sind dem Konzept von Berry (1991) sehr ähnlich und markieren die einzelnen, zum Teil von außen geschaffenen, institutionellen Stationen, die die meisten Geflüchteten durchlaufen. Eine Besonderheit des Ansatzes von Becker stellt die vierte Sequenz dar, die Chronifizierung der Vorläufigkeit. Es ist die Zeit, in der über den Asylantrag entschieden wird und Unklarheit hinsichtlich der eigenen Zukunft vorherrscht. Ein Ankommen im Aufnahmeland ist strukturell und innerpsychisch kaum möglich, der Bruch mit der Heimat setzt jedoch bereits ein. Diese Phase, in der der Einzelne eines wesentlichen Aspekts der eigenen Identität, nämlich der kulturellen bzw. ethnischen Zugehörigkeit, beraubt und als Geflüchteter seitens der Aufnahmegesellschaft stigmatisiert wird, kann unter Umständen mehrere Jahre dauern.

Psychische Belastungen

Die oben vorgestellten Modelle verdeutlichen den Prozesscharakter von Flucht und Migration aus individueller und gesellschaftlicher Perspektive. Die verfügbaren Befunde zu psychischen Belastungen bei Geflüchteten in Deutschland und international weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auf ein deutlich erhöhtes Risiko für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und andere psychische Störungen. Auch wenn verlässliche epidemiologische Daten fehlen, müssen wir davon ausgehen, dass mindestens 30-40 % der Geflüchteten klinisch relevante psychische Störungen aufweisen. In manchen Subgruppen mit besonders schwerwiegenden und langfristigen traumatischen Erfahrungen (z.B: Folteropfer, Kindersoldaten, Opfer sexualisierter Kriegsgewalt) dürfte die Häufigkeit psychischer Störungen deutlich höher sein (BAfF, 2015; Böttche et al. 2016).

Generell erleben Geflüchtete häufig lang andauernde, wiederholte und interpersonelle Traumatisierungen wie Krieg, Verfolgung und Folter (Johnson and Thompson 2008). Dazu kommen die Erfahrungen während der Flucht, in manchen Fällen über Wochen, Monate oder gar Jahre andauernd, welche mit weiteren traumatischen Ereignissen einhergehen können, aber auch mit Veränderungen, die sowohl kulturelle Werte als auch den sozioökonomischen Status und die sozialen Bezüge betreffen können (Assion et al. 2011).

Im Aufnahmeland erleben Geflüchtete häufig weitere Belastungssituationen, wie die Unsicherheit über den Aufenthalt und den Ausgang des Asylverfahrens. Zudem bietet das Leben in einer Erstaufnahmeeinrichtung bzw. einer Notunterkunft auf engstem Raum mit fehlenden Rückzugsmöglichkeiten und kaum vorhandenen Beschäftigungsangeboten unzureichende Bewältigungsmöglichkeiten, um angemessen mit Traumafolgen umzugehen (Steel et al. 2009). Betrachtet man Flucht als Prozess, der mit der Ankunft im Zielland nicht abgeschlossen ist, so spielen die Bedingungen und Erfahrungen im Aufnahmeland für den Verlauf psychischer Belastungen sowie für die Fähigkeiten zur Akkulturation eine wichtige Rolle. Die psychosoziale und therapeutische Betreuung kann dabei nur einen Teil leisten; bei der Verbesserung der Gegebenheiten und Regularien im Aufnahmeland (z.B. Unterbringung, Länge des Asylverfahrens, Arbeitserlaubnis) sind vor allem die Akteure auf politischer und Verwaltungsebene gefragt.

Unterscheidung zwischen Flucht und Migration

Ziel des Aufsatzes war es, theoretische Konzepte aus der Migrationsforschung heranzuziehen, um sich mit Migration und Flucht als Prozess auseinanderzusetzen und dessen Implikationen herauszuarbeiten. Zentraler Punkt ist die Betonung des Prozesscharakters der Migration bzw. der Flucht und dessen Bedeutung für die psychische Verfassung von Geflüchteten vor, während und nach der Flucht. Eine zu frühe Intervention oder eine pauschale Pathologisierung aller Geflüchteten als »Traumatisierte«, hinter der sich oft die Erwartung verbirgt, dass alle Geflüchteten psychische Probleme haben, ist in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll.

Vor dem Hintergrund der teilweise sehr kontrovers geführten Migrations- bzw. Integrationsdebatten in den meisten Aufnahmeländern sollte die Unterscheidung zwischen »regulären« Migranten und Asylsuchenden stets mitgedacht werden. Aus der Theorie wissen wir, dass die strukturell vorgegebenen und individuell erlebten Etappen eines »klassischen« Migrationsprozesses keinesfalls mit den Phasen einer Flucht gleichzusetzen sind. Wir wissen, dass bei »regulären« Migranten der Prozess der Akkulturation mit der Ankunft im Aufnahmeland einsetzt, wohingegen Geflüchtete erst in einem anerkannten Status in der Lage sind, der politisch und medial häufig zu lautstark geforderten Forderung nach Integration nachzukommen.

An dieser Stelle sei noch einmal darauf verwiesen, dass das von Berry (1997) entwickelte und definierte Konzept der erfolgreichen Akkulturation (im Sinne der Integration bzw. Multikulturalismus) eine zweiseitige Auseinandersetzung – d.h. sowohl seitens der Migrant*innen bzw. Geflüchteten als auch vonseiten der Vertreter*innen der Mehrheitsgesellschaft – mit der neuen und unbekannten Kultur meint. Ebenfalls psychologisch bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die unter Umständen über Monate und Jahre andauernde Phase des Wartens auf die Entscheidung über den Asylantrag, die Becker (2006) als „chronifizierte Vorläufigkeit“ beschreibt. Es ist naheliegend, dass sich in dieser Zeit die kumulative Wirkung eines erlebten Traumas mit schwerwiegenden Folgen für die psychische und physische Gesundheit des Betroffenen potenziert. Daher ist von großer Bedeutung, dass die aus der Forschung gewonnen Befunde und Erkenntnisse eine stärkere Berücksichtigung in der unmittelbaren Arbeit mit Geflüchteten erfahren – sowohl auf der Ebene der Versorgung als auch in der politischen und medialen Auseinandersetzung.

Literatur

Assion, H.; Bransi, A.; Koussemou, J. (2011): Migration und Posttraumatische Belastungsstörung. In: Seidler, G.H.; Freyberger, H.J.; Maercker, A. (Hrsg.): Handbuch der Psychotraumatologie. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 528-536.

Becker, D. (2006): Die Erfindung des Traumas – Verflochtene Geschichten. Berlin: Edition Freitag.

Becker, D and Weyermann, B. (2006): Toolkit – Gender, Conflict Transformation and the Psychosocial Approach. Bern: Swiss Development Co-operation.

Berry, J.W. (1991): Refugee Adaption in Settlement Countries – An Overview with an Emphasis on Primary Prevention. In: Ahearn, F.L. and Athey, J.L. (eds.): Refugee children – theory, research, and services. The John Hopkins series in contemporary medicine and public health. Baltimore: John Hopkins University Press, S. 20-38.

Berry, J.W. (1997): Immigration, Acculturation, and Adaptation. Applied Psychology – An International Review, 46, S. 5-68.

Berry, J.W. (2005): Acculturation – Living successfully in two cultures (Special Issue: Conflict, negotiation, and mediation across cultures – highlights from the fourth biennial conference of the International Academy for Intercultural Research). International Journal of Intercultural Relations, 29(6), S. 697-712.

Böttche, M.; Heeke, C; Knaevelsrud, C. (2016): Sequenzielle Traumatisierungen, Traumafolgestörungen und psychotherapeutische Behandlungsansätze bei kriegstraumatisierten erwachsenen Flüchtlingen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59, S. 621-626.

Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer/BafF (2015): Frühfeststellung und Versorgung traumatisierter Flüchtlinge – Konzepte und Modelle zur Umsetzung der EU-Richtlinien für besonders schutzbedürftige Asylsuchende. Verfügbar unter baff-zentren.org.

Faltermeier, T. (2001): Migration und Gesundheit – Fragen und Konzepte aus einer salutogenetischen und gesundheitspsychologischen Perspektive. In: Marschalck, P. und Wiedl, K.H. (Hrsg.): Migration und Krankheit. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, S. 93-113.

Gavranidou, M. und Abdallah-Steinkopff, B. (2007): Brauchen Migrantinnen und Migranten eine andere Psychotherapie? Psychotherapeutenjournal, 4, S. 353-361.

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Keilson, H. (1979 [2005]). Sequentielle Traumatisierung bei Kindern – Untersuchung zum Schicksal jüdischer Kriegswaisen. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1979. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Schrader, A.-C. (2010): Die Gesundheit spanischer Migranten in Deutschland – Effekte nach Migration aus interkultureller, stresspsychologischer und gesundheitspsychologischer Sicht. Dissertation; verfügbar unter https://repositorium.uni-osnabrueck.de/handle/urn:nbn:de:gbv:700-201005126250.

Schmitz, P.G. (2001). Akkulturation und Gesundheit. In: Marschalck, P. und Wiedl, K.H. (Hrsg.): Migration und Krankheit. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, S. 123-145.

Sluzki, C.E. (2001): Psychologische Phasen der Migration und ihre Auswirkungen. In: Hegemann, T. und Salman, R. (Hrsg.): Transkulturelle Psychiatrie. Bonn: Psychiatrie-Verlag, S. 101-115.

Steel, Z.; Chey, T.; Silove, D.; Marnane, C.; Bryant, R.A.; van Ommerenn, M. (2009): Association of torture and other potentially traumatic events with mental health outcomes among populations exposed to mass conflict and displacement – a systematic review and meta-analysis. The Journal of the American Medical Association, 302, S. 537-549.

United Nations High Commissioner for Refugees/UNHCR (2016): Global Trends – Forced Discplacement in 2015. Geneva.

Dr. rer. med Yuriy Nesterko ist Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Med. Psychologie und Med. Soziologie, Universität Leipzig. Er forscht im Bereich Migration und Gesundheit.
PD Dr. P.H. Heide Glaesmer ist Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin und stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Leipzig. Sie leitet die Arbeitsgruppe »Psychotraumatologie und Migrationsforschung«.

Flucht, Stadt und Rassismus

Flucht, Stadt und Rassismus

Geflüchtete in europäischen Städten

von René Kreichauf

Lagerähnliche Aufnahme- und Unterbringungspraktiken wurden im Kontext einer europäischen Angst vor Flüchtlingen als Teil asylfeindlicher Gesetzesvorhaben über Jahrzehnte etabliert. Die städtische Wohnversorgung von Geflüchteten spiegelt daher die Verräumlichung einer Gesetzgebung wider, die auf Ausgrenzung zielt. An den Beispielen Kopenhagen, Berlin und Madrid zeigt der Artikel die Strukturen, rassistischen Motive und Folgen dieser Lagerunterbringung auf.

Bis heute hat sich das System der Lagerunterbringung – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – verstetigt und fortwährend perfektioniert: Mittlerweile werden in allen EU-Mitgliedsstaaten Geflüchtete größtenteils in so genannten Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften in oder fernab von Städten zwangsuntergebracht. Der Umgang mit Geflüchteten, konkrete integrationspolitische Maßnahmen sowie insbesondere die Bereitstellung von Infrastrukturen und Wohnraum erfolgen zumeist lokal, aber nicht ohne Bezug zur europäischen und nationalen Flüchtlingspolitik.

Die Etablierung des Lagers in Kopenhagen, Berlin und Madrid

In Dänemark wird die Unterbringung der Asylsuchenden zentralistisch gesteuert. Das Udlandsservice (Einwanderungsbehörde) in Kopenhagen ist dem dänischen Justizministerium unterstellt und für das Asylverfahren und die Unterbringung zuständig. Es beauftragt das dänische Rote Kreuz oder Kommunen mit der Wohnraumversorgung. Die Unterbringung in Zentren ist in Dänemark Teil des Asylverfahrens und obligatorisch. Die Verteilung der Unterkünfte und von anerkannten Flüchtlingen erfolgt anhand der »Kommunekvoter«, einer Quote für die Zuweisung von Zugewanderten und Geflüchteten. Die Quote wird anhand der Einwohner_innenzahl einer Stadt und des Anteils (aller) Ausländer_innen berechnet. Kommunen, die bereits einen allgemein hohen Migrant_innenanteil haben (so genannte »Zero Communes« wie Kopenhagen, Arhus und Aalborg), dürfen keine weiteren Geflüchteten aufnehmen. In Kopenhagen gibt es daher keine Unterkünfte. Die Lager sind hier räumlich isoliert in Wäldern und alten Militäranlagen im Umland angelegt.

In Spanien werden die Lager direkt von der Subdirectora General Adjunta de Integración de los Inmigrantes (Integrationsbehörde) des Ministeriums für Arbeit und Soziales betrieben. Sie sind ein fester Bestandteil des spanischen Integrationsprogramms für Asylsuchende, das auf eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem und letztlich auf die Teilhabe der Flüchtlinge an der spanischen Gesellschaft abzielt. Mehr als die Hälfte aller Asylsuchenden in Spanien werden – zumindest in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft – in Madrid untergebracht: Zwei (von vier) der staatlich betriebenen Centros de Acogida a Refugiados (ähnlich den deutschen Gemeinschaftsunterkünften), ein Abschiebelager, von Nichtregierungsorganisationen angemietete Wohnungen sowie Spaniens einzige Erstaufnahmeunterkunft befinden sich in der Hauptstadt. Obwohl sich die Unterkünfte insgesamt durch ihre Lage in Nachbarschaften auszeichnen, sorgt die Architektur der Unterkünfte (vergitterte Fenster, Eingangstore, hohe Zäune etc.) für räumliche Barrieren.

In Deutschland ist die Aufnahme und Unterbringung der Asylsuchenden im Asylverfahrensgesetz sowie im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Der »Königsteiner Schlüssel« entscheidet über die Verteilung der Geflüchteten auf die Bundesländer. Die konkrete Umsetzung der Gesetze und die Entscheidung über die Wohnformen obliegen den Ländern und Kommunen. Berlin ist, trotz der Möglichkeit, nach drei Monaten Aufenthalt privaten Wohnraum anzumieten, durch die Herausbildung eines Lagersystems geprägt, das aus drei offiziellen Erstaufnahmeeinrichtungen sowie ca. 60 Gemeinschafts- und Notunterkünften besteht und in dem ca. 75% der rund 40.000 Asylsuchenden untergebracht sind (Stand August 2015). Aufgrund der relativen Entscheidungshoheit über die Art der Wohnversorgung, die Auswahl von Betreiberfirmen bzw. -organisationen und von Standorten kann daher durchaus von einer Lagerpolitik als Stadtpolitik gesprochen werden.

Die untersuchten Städte beherbergen jeweils drei Lagerformen: Erstaufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft und Abschiebezentrum. In jüngerer Zeit wird ein Trend zur Zusammenführung der unterschiedlichen Funktionen erkennbar (Flughafenverfahren, Gemeinschaftsunterkünfte auch als Erstaufnahmezentren und Orte der Abschiebung, zentrale Lagerkomplexe wie Sandholm in Dänemark oder Tempelhof in Berlin). Durch die Dublin- und EURODAC-Verordnungen, die einen EU-weiten Austausch über die Identität der Flüchtlinge ermöglichen, sowie durch die Vereinheitlichung der Aufnahmebedingungen hat sich zudem ein untereinander verbundenes Geflecht von Lagern mit dem Ziel der europaweiten Organisation der Fluchtmigration und der Unterbringung herausgebildet (Kreichauf 2015).

Das Lager als sozialräumliche Exklusionsfigur und als Instrument der Abschreckung

Die (offizielle) politische und verwaltungstechnische Rechtfertigung für die Anlage der Massenunterkünfte verläuft in allen Fallbeispielen nach folgendem Argumentationsmuster: Der Anstieg der Zahl der Flüchtlinge war bzw. sei unvorhersehbar und zwinge Entscheidungsträger_innen zu einer spontanen und effizienten Antwort. Da die angespannten Wohnungsmärkte die Flüchtlinge nicht absorbieren können und die Unterbringung in privatem Wohnraum mit hohem Zeit- und Organisationsaufwand verbunden sei, entstehe ein Handlungsdruck, auf den nur pragmatisch mit der schnellen Bereitstellung großer Unterkünfte für die »Masse« der Asylsuchenden reagiert werden könne. So behauptete ein Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales: „Das ist einfach ein Gebot der schieren Not […]. Wir müssen kurzfristig reagieren. Da sind Wohnheime eben auch ein notwendiges Übel.“

Deutlich werden an diesem Vorgehen vor allem die Konstruktion eines fortwährenden Ausnahmezustandes und die Problematisierung der steigenden Flüchtlingszahlen, die die Massenunterkunft als vermeintlich unvermeidbare Reaktion legitimieren. Bei genauerer Betrachtung des empirischen Materials werden jedoch vier zentrale Ziele und soziopolitische Funktionen der Unterbringung in Lagern deutlich: 1.sozialräumliche Exklusion, 2. Abschreckung, 3. Disziplinierung und ökonomische Ausbeutung sowie 4. Kontrolle und unmittelbarer Zugriff auf die Flüchtlinge.

1. Sozialräumliche Exklusion

Anhand von 35 Kategorien wurde im Rahmen der Studie »The European Fortress City« die sozialräumliche Exklusion in zehn Unterkünften in den untersuchten Städten hinsichtlich ihrer Lage, ihren räumlichen Ausgrenzungstendenzen sowie symbolischer und individueller Isolationsmechanismen bewertet. Auffällig ist, dass vor allem die Erstaufnahmeeinrichtungen physisch und symbolisch von ihrer Umgebung abgetrennt sind. In Dänemark ist die systematische räumliche Ausgrenzung der Asylsuchenden – politisch gesteuert durch die »Kommunekvoter« – am offensichtlichsten. Alle Unterkünfte sind außerhalb städtischer Siedlungen angelegt. Besonders prägnant ist die Lage und Struktur des Center Sandholm. Es bildet einen nach außen abgeschotteten Raum, der über Zäune und Mauern sowie eine Pförtneranlage und Einlass- bzw. Ausgangskontrollen abgesichert wird. Unmittelbarer Nachbar des Center ist ein militärischer Stützpunkt der dänischen Armee samt Schießübungsgelände.

2. Abschreckung

Alle interviewten Flüchtlingsorganisationen und -initiativen in Berlin und Kopenhagen hoben die Bedeutung des Diskurses über den Missbrauch des Asylrechts und sozialstaatlicher Leistungen hervor, der als Instrument für die Einführung der Lagerunterbringung genutzt wird. In diesem Zusammenhang ist das Flüchtlingslager ein Instrument der politisch forcierten Abschreckung weiterer Migrantinnen und Migranten einerseits und der Stigmatisierung der Asylsuchenden als »Sozialschmarotzer« andererseits. Das Lager hilft, das Bild »fremder Eindringlinge« zu konstruieren, und dient gleichzeitig als Rechtfertigung für den Umgang mit dieser Gruppe.

3. Disziplinierung und ökonomische Ausbeutung

In Madrid funktioniert das Heim als ein Ort, der die Integration durch gezielte Integrationsmaßnahmen, Sprachunterricht und Arbeitsmarktvorbereitungskurse fördern soll.„Das ist keine Unterkunft zum Essen und Schlafen, sondern es ist eine Unterkunft mit einem Arbeitsprogramm“, erläuterte eine Mitarbeiterin einer Unterkunft. Das Programm korreliert mit der sozialräumlichen Struktur der Unterkunft als Ort unmittelbarer Kontrolle, Einschüchterung und Bestrafung. Dies wurde bei der Befragung der Heimleitung deutlich: „Manchmal nehmen sie nicht teil. Dann muss man sie per Lautsprecher ausrufen, und wir können die finanzielle Unterstützung kürzen oder ihre Zeit in der Unterkunft beschränken.“ Das Programm ist primär an der ökonomischen Integration der Flüchtlinge ausgerichtet sowie an der Bedeutung ihrer Arbeitskraft für die spanische Wirtschaft, die bis zur Krise 2008 wesentlich vom Niedriglohnsektor und vom irregulären Arbeitsmarkt abhängig war (Frenzel 2009). Dass ein direkter staatlicher Zweck des Arbeitsmarkts- und Integrationstrainings, das mit der Unterbringung in der Massenunterkunft verbunden ist, die Herausbildung einer Masse billiger Arbeitskräfte für den irregulären Arbeitsmarkt in Spanien sein könnte, wurde von vielen spanischen Interviewpartner_innen vermutet.

Disziplinierungspraktiken und ausgeprägte Machthierarchien werden nicht nur physisch-symbolisch (Militäranlagen als Unterkünfte, Gitter vor Fenstern einiger Unterkünfte etc.) erkennbar, sondern zeigen sich auch in Strategien des Heimpersonals. Im Berliner Lager Klingsorstraße werden Informationen über Mietwohnungen nur an einzelne ausgesuchte Bewohner_innen weitergegeben. Im Center Sandholm gibt es ein »Activation Program«, das aus der Reinigung aller Räumlichkeiten, Wäsche waschen und Gartenarbeit besteht. Abwesenheit wird mit der Kürzung des Taschengeldes und mit schlechteren Wohnbedingungen sanktioniert.

4. Kontrolle und Zugriff auf Geflüchtete

Schließlich garantiert die Lagerunterbringung die Kontrolle und den Zugriff auf Migrant_innen während des Asylverfahrens, wie der Berliner Flüchtlingsrat erläuterte: „Neben der Abschreckung ist immer auch ein definiertes Ziel die Kontrolle. Das heißt der Zugriff auf den Ausländer zum Zweck der Abschiebung.“ Innerhalb der Unterkünfte gibt es dabei sowohl direkte als auch indirekte Kontrollformen. Während die direkte Kontrolle vor allem durch Identitätsprüfungen der Geflüchteten und Besucher_innen, physische Grenzen wie Mauern und Zäune, Wachpersonal und – wie in Madrid – auch durch Videoüberwachung bestimmt wird, werden indirekte Kontrollmechanismen vor allem durch Eingriffe in die Privatsphäre der Bewohner_innen erkennbar. Das Personal, aber auch andere Asylsuchende, erzeugen einen Zustand permanenter Beaufsichtigung, wie ein Flüchtling im Center Sandholm beschrieb: „Alles, was ich tue, wird kontrolliert: wann ich gehe, wann ich zurückkomme, wann ich Post erhalte und wann ich Wäsche wasche.“

Das Lager als rassistisches Merkmal europäischer Asylgesetzgebung

In den Untersuchungen zu Unterbringungspraktiken als materielle Verwirklichung der Asylgesetzgebung wird unmittelbar deutlich, dass das Lager den physischen Raum administrativer und politischer Gewaltausübung in Bezug auf Geflüchtete darstellt. Es ist ein Raum, der zur Entwicklung und Manifestierung des Eigenen und des (ethnisch) Fremden dient und dafür (als gesetzlich vorgeschriebene Unterbringung für Flüchtlinge) auch politisch initiiert wurde und wird. Miles (2000) argumentiert, dass dieser Einschluss durch Ausschluss – je nach Kontext, in dem dies stattfindet, und wenn ein rassistischer Diskurs vorangegangen war – rassistisch sein kann.

Die Entstehung der Lager und die Etablierung regulierender Asylgesetze in den 1980er und 1990er Jahren gehen in Dänemark und Deutschland auf eine politische Zielsetzung zurück: Die Zuwanderung soll durch Abschreckung und durch Verschlechterung des Lebensstandards der Migrant_innen verhindert werden. Dabei wurde in aller Deutlichkeit offen auf „rassistische Argumentationsmuster rekurriert“ und „Flüchtlingen ein absichtlicher Missbrauch des Asylrechts unterstellt“ (Wichert 1994). Diese Debatte und die bis heute geltenden und weiter ausgebauten Asylrechtsverschärfungen sind laut Morgenstern (2002) durch einen kulturalistischen Rassismus, die Berufung auf kulturelle Unterschiede und die vermeintliche Unmöglichkeit eines Zusammenlebens geprägt. Morgenstern (2002), Herbert (2001) und Bade (2015) stellen fest, dass eine konservative, restriktive Reaktion der Politik vielfach bis heute als einzige Lösung gegen den vorgeworfenen Missbrauch des Asylrechts angesehen wird.

In Bezug auf Ausländergesetze und die Rolle des Staates sprechen Kalpaka und Räthzel (1990) sowie Jäger (1992) dann von Rassismus, wenn 1. die Andersartigkeit von Menschen, beispielsweise durch körperliche Erscheinungsformen und kulturelle Merkmale, herausgestellt wird, wenn 2. diese negativ (oder auch positiv) bewertet wird, die Bewertung eines Menschen also einen Bezug zu angenommenen andersartigen Erscheinungsformen und kulturellen Merkmalen herstellt, und wenn 3. diese Bewertung aus einer Position der Macht vorgenommen wird. Hall (2000) erläutert in diesem Zusammenhang, dass rassistische Ideologien immer dann entstehen, wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft ist und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu gesellschaftlichen, kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen. Essed (1991) und Link (2002) betonen, dass diese Form des Rassismus durch einen „weißen Konsens“ weniger erkennbar wird. Auch Pieper (2008) erklärt, dass durch die ideologische Funktion des Rechts als Basis des modernen Rechtsstaats diese rechtlichen Abwertungsprozesse „als normal, rechtlich geregelt und vor allem als gerecht und damit notwendig“ erscheinen und schließlich ihre rassistischen Komponenten verbergen.

In der Studie zu Berlin, Kopenhagen und Madrid wird deutlich, dass durch die Asylgesetzgebung und das Lager diskriminierende, ausgrenzende und rassisierende Markierungsprozesse stattfinden, die die Betroffenen als »fremd« und »nicht-zugehörig« bestimmen und ihnen dadurch eine untergeordnete Stellung in der Gesellschaft zuweisen. Asylsuchende in allen Untersuchungsstädten bezeichnen die Lager als Gefängnisse und als Orte, die sie nach außen kriminalisieren und in ihrer Lebensgestaltung unterdrücken. Befragte berichten von Diskriminierung (faul, da keine Arbeit; arm und dem Sozialstaat auf der Tasche liegend; kriminell, weil in einer gefängnisähnlichen Behausung lebend oder beim Schwarzfahren erwischt), die eng mit ihrem rechtlichen Status als Menschen ausländischer Herkunft mit unsicherem Aufenthalt und den durch die Asylgesetzgebung geschaffenen Zuständen zusammenhängen. Die Unterkünfte selbst spielen aufgrund ihrer Architektur, der städtebaulichen Anordnung und ihrer Lage eine besondere Rolle in der Entwicklung von Ressentiments gegenüber dem »Fremden«. Sie korrespondieren mit der rassistischen Markierung der Bewohner_innen und tragen gleichsam zu deren Verstärkung bei.

Die zwangsweise Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften erfolgt in allen Untersuchungsstädten seit der Verschärfung der jeweiligen Asylgesetzgebung in den 1980er und 1990er Jahren – nicht weil das Lager die humanitär oder ökonomisch »beste« Unterbringungsform darstellt und sinnvoll ist, sondern weil es die konkrete politische Aufgabe und Motivation verfolgt, als Symbol Zugewanderte abzuschrecken und als Raum die in einer fortschrittlichen Gesellschaft niedrigsten Lebensbedingungen anzubieten und rechtlich zu legitimieren. Die Lagersysteme und die einzelnen Lager sind als Räume der physischen wie sozialen Exklusion und als Folge der Ausländergesetzgebungen ein zentraler Bestandteil des – wie Pieper (2008) erörtert – institutionellen Rassismus.

Im Rahmen der Gesetzgebung entsteht Rassismus hiernach im Raum, und gleichermaßen entwickelt sich der Raum durch Rassismus. Die Lagerunterbringung zeigt damit zwei Dimensionen auf: Erstens werden die Geflüchteten durch die Verortung in diesem negativ konnotierten Raum als Gruppe überhaupt erst wahrgenommen – das ist der Ausgangspunkt rassisierender Markierungs- und Stigmatisierungsprozesse. Die Lagerunterbringung erzeugt Auffälligkeit durch bestimmte physische oder innere Strukturen (z.B. Konzentration von Menschen auf engstem Raum, Verlust der Privatsphäre, Abhängigkeit von Betreuenden bei der Verrichtung alltäglicher Aktivitäten,, erzwungene Erwerbslosigkeit etc.). Nach außen wird vermittelt, dass die Bewohner_innen einer Unterkunft nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, sondern als „subhuman beings“ (Untermenschen) oder „criminals and prisoners“ (Kriminelle und Zuchthäusler) wahrgenommen werden, wie Aktivist_innen in Berlin und Kopenhagen erläuterten. Diese Zustände tragen zur Entstehung von Konflikten innerhalb der Lagerbewohnerschaft und so wiederum zu Vorbehalten und irrationalen Ängsten in der Bevölkerung bei (=Rassismus durch Raumproduktion). Und zweitens ist dieser Raum überhaupt erst durch eine rassistische Gesetzgebung geschaffen wurden (= Raumproduktion durch Rassismus).

Das Lager als neuer Grenzraum in der europäischen Stadt

In allen drei Untersuchungsstädten schränken Asylgesetze den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen durch die gesetzlich vorgeschriebene Zwangsunterbringung in Lagern, Arbeits- und Ausbildungsverbote, das mittlerweile wieder in allen Untersuchungsstädten wirkende Sachleistungsprinzip, die Leistungskürzung unter das Existenzminimum und den systematischen Ausschluss von medizinischer Versorgung ein. Insgesamt verwehrt die Asylgesetzgebung damit den Geflüchteten rechtliche Möglichkeiten, für den Lebensunterhalt selbst zu sorgen und den Lebensalltag sowie das Lebensumfeld eigenständig zu wählen und zu gestalten.

Das Lager ist zentrales Resultat der Asylpolitiken auf supranationaler, nationaler und teilweise lokaler Ebene und gleichermaßen der Raum, in dem sich Asylpolitiken manifestieren. Herz (2008) bringt das prägnant zum Ausdruck: „The camp is politics having become space.“ (Das Lager ist zum Raum gewordene Politik.) Europaweit hat sich die Massenunterkunft als materielles Instrument von Asylpolitiken etabliert. Das Lager übernimmt die Funktion eines Grenzraums, der durch materielle wie symbolische Barrieren gekennzeichnet ist und den systematischen Ausschluss Zugewanderter mit unsicherem Aufenthaltsstatus von der Teilhabe am urbanen Leben garantiert – obwohl sie räumlich in (oder in der Nähe von) europäischen Städten leben.

Anmerkung

Dieser Artikel basiert auf Forschungsergebnissen des Projekts »The European Fortress City – The Socio-Spatial Exclusion of Asylum Seekers in Copenhagen, Berlin and Madrid«. Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen des internationalen Masterstudiums »4 Cities – Unica Euro Master in Urban Studies« an der Vrije Universiteit Brussel, der Université Libre de Bruxelles, der Universität Wien, der Københavns Universitet, der Universidad Autónoma de Madrid und an der Universidad Complutense de Madrid von 2013 bis 2015 durchgeführt. Für diesen Beitrag wurden die Originalzitate aus den Interviews in Kopenhagen und Madrid ins Deutsche übersetzt.

Literatur

Klaus J. Bade (2015): Zur Karriere und Funktion abschätziger Begriffe in der deutschen Asylpolitik – Essay. Aus Politik und Zeitgeschichte/APuZ 25/2015 – Flucht und Asyl.

European Migration Network (2013): The Organisation of Reception Facilities for Asylum Seekers in Different Member States – Spain. Hrsg. von der Europäischen Kommission.

Philomena Essed (1991): Understanding Everyday Racism – An Interdisciplinary Theory. Newbury Park, London, New Delhi: Sage Publications.

Veronika Frenzel (2009): Schwarzarbeit – Schattenbrüder. E+Z – Entwicklung und Zusammenarbeit, Ausgabe 6/2009.

Stuart Hall (2000): Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Nora Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument.

Ulrich Herbert (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland – Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtling. München: C.H. Beck.

Manuel Herz (2008): Refugee Camps – or – Ideal Cities in Dust and Dirt. In: Ilka and Andreas Ruby (eds.): Urban Transformation. Berlin: Ruby Press.

Siegfried Jäger (1992): BrandSätze – Rassismus im Alltag. Duisburg: DISS.

Annita Kalpaka und Nora Räthzel (1990): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. In: Otger Autrata et al. (Hrsg.): Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument.

René Kreichauf (2016): From Fortress Europe to the European Fortress City – The Translation of EU Asylum and Border Policies into Space. In: René Seyfarth und Frank Eckardt (eds): Urban Minorities. Bauhaus Urban Studies Bd. 6. Würzburg: Königshausen u. Neumann (im Erscheinen).

Jürgen Link (2002): Institutioneller Rassismus und Normalismus. In: Margarete Jäger und Kauffmann (Hrsg.): Leben unter Vorbehalt – Institutioneller Rassismus in Deutschland. Münster: Unrast.

Robert Miles (2000) Bedeutungskonstitution und der Begriff des Rassismus. In: Nora Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument, S.17-33.

Christine Morgenstern (2002): Rassismus – Konturen einer Ideologie. Einwanderung im politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg: Argument.

Tobias Pieper(2008): Die Gegenwart der Lager – Zur Mikrophysik der Herrschaft in der deutschen Flüchtlingspolitik. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Frank Wichert(1994): Das Grundrecht auf Asyl – Eine diskursanalytische Untersuchung der Debatten im deutschen Bundestag. Unveröffentlichte Magisterarbeit, online beim Duisburger Institute für Sprach- und Sozialforschung (DISS).

René Kreichauf studierte Stadt- und Regionalplanung sowie Stadtsoziologie in Berlin, Brüssel, Wien, Kopenhagen und Madrid. Aktuell forscht er als Doktorand der Freien Universität Berlin und der Vrije Universiteit Brüssel zu Formen urbanen Asyls in europäischen und nordamerikanischen Städten.

Die Würde des Menschen in schwierigen Zeiten

Die Würde des Menschen in schwierigen Zeiten

von Wolfgang Uellenberg van Dawen

Das Versagen des Rechtsstaates in der Neujahrsnacht in Köln und anderen Städten führte zu vielfältigen Reaktionen und zu einer kontroversen Debatte, die ein erhellendes und zugleich erschreckendes Schlaglicht auf den Zustand unseres Gemeinwesens wirft. Für Rechtspopulisten und Rassisten sind die kriminellen Übergriffe auf Frauen nichts anderes als die Bestätigung sämtlicher Vorurteile und Feindbilder gegenüber Migranten, und die rechtspopulistische und unterschwellig rassistische »Alternative für Deutschland« (AfD) profitiert gemäß den Meinungsumfragen davon.

Der überwiegende Teil der Medien und der Politik richtet den Fokus nicht in erster Linie auf die von sexualisierter Gewalt verstörten und traumatisierten Opfer, sondern vornehmlich auf die vermuteten Täter. Es waren, daran bestehen kaum Zweifel, vor allem junge Migranten aus den Ländern des Maghreb, aber auch solche anderer Herkunft. Fest steht bisher ebenfalls, dass es überwiegend keine Flüchtlinge waren. Dennoch reagierten Koalitionspolitiker, allen voran solche der CSU, sofort mit Forderungen nach Verschärfung des Aufenthaltsrechtes und nach rascher Abschiebung, unabhängig davon, ob dies rechtlich und faktisch überhaupt möglich ist.

Die differenzierte Analyse der Ursachen massenhafter sexueller Übergriffe steht ebenso noch am Anfang wie die Diskussion über ein zielführendes und angemessenes Handeln – in erster Linie im Interesse der Opfer, aber ebenso der Migrant/innen und Geflüchteten, die nun Angst haben, pauschal verdächtigt und diskriminiert zu werden. Vereinfachungen und Schuldzuweisungen werden am Ende kein einziges Problem lösen, es besteht aber die Gefahr, dass die Angst vor »den Fremden« wächst und viele verunsicherte, bisher hilfsbereite und für die Flüchtenden Empathie empfindende Menschen sich nun zurückziehen oder gar in den Chor der Hardliner einstimmen.

Die Würde des Menschen gerade in diesen schwierigen Zeiten zu wahren ist eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen, die für eine humane Flüchtlings- und Einwanderungsgesellschaft und für die Wahrung einer menschenrechtlich orientierten Politik eintreten. In erster Linie geht es hier um die Würde der Frauen. Wer hilft den Opfern? Wer begleitet sie bei ihren Aussagen vor den Ermittlungsbehörden? Und wie sollen die Täter identifiziert werden? Fragen über Fragen …

Das Sexualstrafrecht ist bei weitem nicht so eindeutig formuliert, dass jeder Übergriff überhaupt als Sexualdelikt verfolgt wird. Überfällig ist also eine Reform des Sexualstrafrechts mit der Maßgabe, dass ein »Nein« der Frauen genau das ist: ein »Nein«, und wenn es nicht akzeptiert wird, dies eine Straftat ist. Ob es nun zu einer Beschleunigung der Reform kommt, bleibt abzuwarten. Sie darf aber nicht auf die lange Bank geschoben oder verwässert werden. Darum muss auf die Übergriffe in der Neujahrsnacht die längst überfällige Debatte über den alltäglichen Sexismus geführt werden. Dies ist keine Relativierung der konkreten Übergriffe oder gar eine Entschuldigung für die Täter, sondern ein Aufruf, für die Würde der Frau einzutreten.

Patriarchalische Frauenbilder und die Reduzierung der Frau auf ein Objekt männlicher Dominanz sind, egal wo wir ihnen begegnen, als solche zu benennen. Vergessen wir nicht, dass sie in fast allen Religionen zu finden sind und auch in unserer Gesellschaft lange dominierten. Bis Mitte der 1970er Jahre wurde den Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch noch die Rolle der Hausfrau in der Ehe zugewiesen, und die Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit einigen Jahren strafbar. Der erreichte Fortschritt darf aber eben nicht nur für die einheimischen, sondern muss für alle Frauen gelten.

Die Debatte muss konkret geführt werden und Folgen haben, sonst bleibt sie oberflächlich und scheinheilig. Die öffentliche Empörung richtet sich derzeit auf Täter mit Migrationshintergrund, aber wer schützt die Migrantinnen vor Ausbeutung und Demütigung nicht nur in den Familien, sondern auch in der Mehrheitsgesellschaft und in der Arbeitswelt? Wie hart gehen denn die Behörden gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vor, in Köln und anderswo? Wie hart werden Bordellbesitzer und ihre Hintermänner verfolgt, und warum nehmen Boulevardblätter immer noch Werbeanzeigen auf, in denen die Ware Frau vermarktet wird? Wo bleibt eigentlich die Reaktion der Verantwortlichen der »fünften Jahreszeit« in der »Hauptstadt des Frohsinns«? Denn während die ganze Stadt sich empört, feiert sie Karneval wie gewohnt – und das heißt mit deutlich sexistischer Schlagseite. Dringend überprüft und verändert werden muss das Sicherheitskonzept, und dazu gehört Transparenz über mögliche Gefahren. Denn wo es für Frauen – und nicht nur für sie – in den Städten gefährlich ist, ist doch meist bekannt.

Aber Aufklärung alleine genügt nicht: No-go-Areas darf es in unserem Land nicht geben, und zur Verhinderung bedarf es nicht nur der Prävention und Ursachenbekämpfung, sondern auch des Schutzes vor Ort. Statt enge Ordnungspartnerschaften zwischen Stadt, Polizei und Sicherheitsdiensten zu knüpfen, wurde immer mehr Personal abgebaut. Was nützen die stattdessen fast flächendeckend installierten Videokameras? In der konkreten Situation nichts! Angesichts des Versagens der Polizeibehörden in Köln und anderswo fordern nun viele einen starken Staat. Sicherheit, ob durch Prävention oder durch Repression, kann es aber nicht zum Nulltarif geben und nicht mit einer Schwarzen Null im Haushalt als Ziel.

Die schwierigste Diskussion dreht sich wohl um die Bewertung der Täter. Leicht machen es sich die Vereinfacher auf beiden Seiten: Rechtspopulisten und so genannte besorgte Bürger bis weit in die Mitte der Gesellschaft zeigen auf das Aussehen, die Herkunft und die Religion der Täter und reproduzieren damit tief verwurzelte, rassistisch geprägte Weltbilder. Eine Karikatur in der Süddeutschen Zeitung vom 9.1.2016, die eine schwarze Männerhand zeigt, welche eine weiße Frau sexuell belästigt, legt offen, welche Urängste vor dem »schwarzen Mann« selbst in einer liberalen Zeitung zum Vorschein kommen.

Differenzierende Aussagen der Sozialwissenschaft zu autoritären Strukturen, sozialen Verwerfungen und überkommenen Rollenbildern scheinen zu erklären, warum junge Männer zu sexualisierter Gewalt neigen. Daraus können dennoch nicht die konkreten Taten abgeleitet werden. Es ist unmöglich und eine falsche Verallgemeinerung, wenn aus kulturellen Traditionen auf eine bestimmte Gewaltbereitschaft geschlossen wird. Ebensowenig zielführend wäre es, auf jede sozialkulturelle Einordnung zu verzichten und die Kritik an einem religiös hergeleiteten und anerzogenen patriarchalischen Frauenbild als Rassismus zu verurteilen.

Einfache Erklärungen gibt es nicht, und darum bedarf es einer offenen und von Sachkunde bestimmten Debatte, die zu Konsequenzen führen muss. Dazu gehört, mit einer klaren Haltung und mit Nachdruck solchen Menschen – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – entgegenzutreten, die die Regeln des Zusammenlebens nicht akzeptieren. Sexualisierte Gewalt und andere Formen der Kriminalität dürfen nicht toleriert, sondern müssen nach Recht und Gesetz bestraft werden.

Es ist aber eine völlige Illusion zu glauben, es reiche zur Integration aus, wenn eine »Leitkultur« verordnet, das Grundgesetz als Pflichtkanon gepredigt und mit erhobenem Zeigefinger die moderne deutsche Geschlechterrolle eingefordert wird. Integration muss gelebt werden, und gerade hier ist in den letzten Jahren trotz vieler Erfolge viel zu wenig geschehen. Viel zu gering sind die Aufwendungen für eine präventive und konsequente Sozialarbeit. Es fehlen Sozialarbeiter/innen an den Schulen und Streetworker auf den Straßen. Seit mindestens drei Jahren weiß das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen beispielsweise um die Gefährdung junger Männer, etwa aus Marokko, die in die Kriminalität abzugleiten drohen. Wie wurde reagiert, abgesehen von einem sinnvollen Präventionsprojekt der AWO Köln in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium? Viel mehr solcher Projekte – und nicht nur Projekte, sondern nachhaltige Integrationsmaßnahmen – hätten stattfinden müssen.

Dies gilt erst recht für die soziale Integration. Noch immer sind es vor allem Migrantinnen und Migranten, die von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit betroffen sind. Noch immer werden sie bei der Bewerbung um gute Arbeit und qualifizierte Ausbildung diskriminiert. Noch immer sind die Bildungssysteme und die Curricula nicht auf unterschiedliche Herkunftssprachen ausgerichtet. Seit diesem Jahr verweigert Nordrhein-Westfalen aus finanziellen Gründen über 18-jährigen Migranten und Geflüchteten den Zugang zu den Berufskollegs, um dort einen Hauptschulabschluss zu machen. Ein Skandal, den die Landesregierung aussitzen will.

Anerkennung ihrer eigenen Sprache und Kultur, aber ebenso Anerkennung und Wertschätzung ihres Lebens in Deutschland wird den Migrantinnen und Migranten viel zu selten zuteil und bleibt oft auf bloße Bekenntnisse beschränkt. Integration ist eine Herausforderung voller Mühen und muss oft auf beiden Seiten große Unterschiede überwinden, ist die Anstrengung aber wert. Allerdings kann Integration nur dann gelingen, wenn die sich vertiefende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, die in vielen Städten immer unübersehbarer wird und vor allem Menschen mit Migrationshintergrund ausgrenzt, überwunden wird. Diese Spaltung der Gesellschaft in einem reichen Land fördert Konkurrenzen zwischen Einheimischen und Migranten, insbesondere Geflüchteten, um bezahlbaren Wohnraum, um Plätze in Kitas und Schulen, um Ausbildung und gute Arbeit. Meist fordern jedoch nicht diejenigen, die sich in engen Verhältnissen einrichten müssen, die Ausgrenzung, sondern diejenigen, die auf der gesellschaftlichen Pyramide weiter oben stehen. Es sind ihre Vorurteile und ihre Ängste, etwas abgeben zu müssen zugunsten eines handlungsfähigen Staates, um die Folgen der von den Eliten unserer Gesellschaft so oft beschworenen Globalisierung sozial gerecht zu bewältigen, die den Weg in eine integrative Gesellschaft und ein friedliches Zusammenleben blockieren.

Dr. Wolfgang Uellenberg van Dawen, Historiker, war bis 2014 Leiter des Bereichs Politik und Planung der ver.di Bundesverwaltung in Berlin und engagiert sich für eine humane Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik in Köln.

Burden-Sharing

Burden-Sharing

Wie und weshalb die EU die türkische Flüchtlingspolitik unterstützt

von Michelle Kerndl-Özcan

Die Europäische Union hat ihre Unterstützung der türkischen Flüchtlingspolitik und des Aufbaus eines funktionierenden Asylsystems in der Türkei im letzten Jahrzehnt sukzessive erweitert. Dabei leistet sie insbesondere finanzielle und technische Hilfe, während sie sich kaum an UNHCR-Umsiedlungsprogrammen aus der Türkei beteiligt. Dieser Beitrag hinterfragt die Motivationen dieses Engagements und setzt das geleistete Burden-Sharing in Zusammenhang mit den breiteren Zielen der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik.

In den letzten Jahren hat sich eine entscheidende Veränderung der Migrationsrouten in die Europäische Union vollzogen. Während noch vor zehn Jahren die meisten Flüchtlinge über die Mittelmeeranrainerstaaten Italien und Spanien in die EU gelangten, fanden 2010 über 80% aller irregulären Eintritte in der türkisch-griechischen Grenzregion Evros statt (vgl. McDonough/Tsourdi 2012, S.1). Das türkische Asylsystem wird von einer richtungsweisenden Besonderheit bestimmt: Es wird nur Flüchtlingen Asyl gewährt, die aufgrund von Geschehnissen in Europa geflohen sind. Nicht-europäische Flüchtlinge, die vom Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) und den zuständigen türkischen Behörden als politische Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden, dürfen nur so lange in der Türkei bleiben, bis sie durch das UNHCR in einen Drittstaat umgesiedelt werden (vgl. Tokuzlu 2010, S.11). Aufgrund langer Wartezeiten bis zu einer Umsiedlung, einer strikten Residenzpflicht und schlechten Lebensbedingungen während des Aufenthalts (siehe hierzu Kaya 2009, S.5f.) sind die meisten Flüchtlinge in der Türkei »irregulär«. So wurden alleine im Jahr 2009 146.337 irreguläre Migrant_innen an der türkisch-griechischen Grenze festgenommen, während sich im selben Jahr lediglich 7.834 beim UNHCR um politisches Asyl bewarben (Edsbäcker 2011, S.22f.). Die Statistik verdeutlicht weiter, dass die allermeisten Flüchtlinge die Türkei lediglich als Transitstaat auf ihrer Flucht in die EU nutzen.

Parallel zum schrittweisen Abbau der Innengrenzen im Raum der EU gewann die Sicherung der Außengrenzen zunehmend an Bedeutung. So stilisieren die bisherigen Ansätze zur gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik, wie die Schengener Abkommen sowie die Verträge von Maastricht und Amsterdam, Flüchtlinge in erster Linie als Sicherheitsbedrohung und fokussieren auf Maßnahmen zur Kontrolle der irregulären Migration in das Gebiet der EU. Diese reichen von restriktiven Visabestimmungen und Sanktionen gegen Transportunternehmen über militärische Kontrollen der EU-Außengrenzen bis hin zur Kooperation mit Drittstaaten wie der Türkei (vgl. Hurwitz 2009, S.1f.).

Finanzielles und technisches Burden-Sharing

Der Politikwissenschaftler James Milner definiert internationales Burden-Sharing bzw. Lastenausgleich als einen Mechanismus, mittels dem die vielseitigen Kosten der staatlichen Aufnahme von Flüchtlingen in einer gerechteren Weise zwischen Staaten verteilt werden (Milner 2005, S.56). Oft wird zwischen finanziellem, technischem und physischem Burden-Sharing unterschieden (vgl. bspw. Hurwitz 2009, S.146).

Finanzielles Burden-Sharing der Türkei durch die EU findet auf drei Ebenen statt:

  • Erstens spielt die EU eine entscheidende Rolle in der Bereitstellung finanzieller Mittel für das UNHCR Türkei, dessen Budget 2012 32,3 Mio. US$ betrug (UNHCR 2013).
  • Zweitens erhält die Türkei Unterstützung aus dem regionalen EU-Programm AENEAS, welches Drittstaaten finanzielle und technische Hilfe in den Bereichen Migration und Asyl gewährt (vgl. Europäische Kommission 2008, S.62).
  • Schließlich erhält die Türkei als EU-Beitrittskandidatin seit 2001 Unterstützung im Rahmen der »Pre-Accession Financial Assistance Programs« der EU, welche 2007 durch das »Instrument for Pre-Accession Assistance« ersetzt wurden.

Das Gros der EU-Unterstützung fließt dabei an Projekte zum Aufbau eines Asylinformationssystems sowie zur Ausbildung von Grenzschutzbehörden (vgl. Delegation of the European Union to Turkey 2007, S.18).

Im Rahmen des technischen Burden-Sharing engagiert sich die EU vorrangig in zwei Bereichen:

  • Da ist zum einen die Kooperation mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Seit der Gründung 2004 wurde die Zusammenarbeit von Frontex und den türkischen Behörden an der türkisch-griechischen Land- und Seegrenze sukzessive ausgebaut. Am 28.1.2013 unterzeichneten beide Seiten eine gemeinsame Vereinbarung zur weiteren Vertiefung der Kooperation (vgl. Frontex 2013).
  • Zum anderen gibt es so genannte Twinning-Projekte zur Unterstützung von Beitrittskandidaten. Exemplarisch sei ein Projekt von 2007 genannt, welches die EU mit 15 Mio. Euro unterstützte. Hier wurden unter anderem zwei Abschiebelager für irreguläre Migrant_innen errichtet (Europäische Kommission 2007). Es folgten mehrere Twinning-Projekte zur Einrichtung eines Asylinformationssystems, zur Beratung der Legislative sowie zum Ausbau von Institutionen zur Bekämpfung irregulärer Migration.

Die ausgeprägte finanzielle und technische Unterstützung der Türkei durch die EU dient dabei in erster Linie als Instrument zur Verfolgung des sicherheitspolitisch definierten Ziels, die Zahl der Flüchtlinge zu minimieren. Dieses Ziel soll durch den Abschluss eines Rückübernahmeabkommens sowie eine stärkere Grenzsicherheit erreicht werden.

Die Bedeutung eines Rückübernahmeabkommens

Laut Rat der EU sollen Rückübernahmeabkommen bevorzugt mit Staaten angestrebt werden, durch die viele Flüchtlinge in die EU migrieren und die in geografischer Nähe der EU liegen (Tokuzlu 2010, S.7). Da die Türkei beide Kriterien erfüllt, wurde der Abschluss eines Abkommens von der EU seit langem mit hoher Priorität betrieben. Seit 2005 fanden Verhandlungen statt, auf deren Grundlage türkische Staatsbürger_innen sowie irreguläre Migrant_innen, die über die Türkei in die EU einreisen, in einem Schnellverfahren in die Türkei zurückgeführt werden können. Im Gegenzug verspricht die EU türkischen Staatsbürger_innen schrittweise Visaerleichterungen. Die türkische Regierung weigerte sich lange, der EU-Forderung nach Aufnahme von Drittstaatsangehörigen nachzukommen, da sie befürchtet, dass ein solches Abkommen die drastisch gestiegene Zahl an internationalen Flüchtlingen in der Türkei weiter erhöhen und die Türkei eine Art »Pufferzone« oder gar ein »dumping ground« für in der EU unerwünschte Flüchtlinge werden könnte (Kirisci 2012, S.75). Die EU war und ist bemüht, derartige Zweifel durch intensives Engagement im Burden-Sharing auszugleichen.

Nach erheblichem Druck der EU wurde im Juni 2012 ein bilaterales Rückübernahmeabkommen paraphiert, welches am 16.12.2013 durch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sowie den türkischen Innenminister Muammer Güler unterzeichnet wurde. Allerdings hängt die Umsetzung des Abkommens noch von der Ratifizierung des Rates der EU, des Europäischen Parlaments sowie des türkischen Parlaments ab. Der Inhalt des Abkommens berücksichtigt die Bedenken der Türkei: Während diese eingewilligt hat, eigene Staatsbürger_innen aufzunehmen, sollen Angehörige von Drittstaaten erst drei Jahre nach Ratifizierung in die Türkei zurückgeschoben werden können (vgl. Europäische Kommission 2013).

Bisher hatte die Türkei lediglich ein Rückübernahmeabkommen mit dem EU-Mitgliedstaat Griechenland abgeschlossen. Durch das Abkommen erhofften sich griechische Entscheidungsträger sowohl weniger Flüchtlinge im eigenen Land durch Abschiebungen in die Türkei als auch die Abschreckung von Flüchtlingen vor irregulären Übertritten der türkisch-griechischen Land- und Seegrenzen. Allerdings führte die Implementierung des Abkommens seit 2001 nicht zu den angestrebten Ergebnissen. Von 65.300 Flüchtlingen, die Griechenland zwischen 2002 und 2010 in die Türkei zurückschieben wollte, nahm die Türkei lediglich 2.425 Menschen auf (Icduygu 2011, S.7). Gründe für die beschränkte Umsetzung sind – neben den traditionell angespannten bilateralen Beziehungen – Schwächen des finanziellen Lastenteilungsmechanismus sowie das Fehlen einer gemeinsamen Datenbank, auf deren Grundlage nachgewiesen werden könnte, welche Flüchtlinge über die Türkei eingereist sind (vgl. Cramer-Hadjidinos 2011, S.66). Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die intensiven Bemühungen der EU zum Aufbau eines türkischen Asylinformationssystems, welches schließlich in die europäische Datenbank »Schengen Informationssystem« (SIS) integriert werden könnte, aus den Negativerfahrungen des türkisch-griechischen Rückübernahmeabkommens resultieren.

Daneben fordert die EU die Aufhebung des oben erwähnten geografischen Vorbehalts. Die EU-Asylverfahrensrichtlinie konstatiert, dass Flüchtlinge nur in einen Drittstaat abgeschoben werden können, in dem die Möglichkeit besteht, als politischer Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt zu werden. Die Türkei gilt daher nicht als sicherer Drittstaat. Obgleich das türkische Asylsystem weitere menschen- und flüchtlingsrechtspolitische Defizite aufweist, ist davon auszugehen, dass die Türkei nach der Aufhebung des geografischen Vorbehalts als sicherer Drittstaat anerkannt würde (vgl. Tokuzlu 2010, S.15). Folglich macht das jüngst unterzeichnete Rückübernahmeabkommen die Einführung von Visaerleichterung für türkische Staatsangehörige abhängig von der Einrichtung eines Asylsystems nach »internationalen Standards« – sprich: der Aufhebung des Vorbehalts (vgl. Europäische Kommission 2013).

Am geografischen Vorbehalt hält die Türkei vor allem aus ökonomischen Gründen fest. Türkische Entscheidungsträger befürchten im Falle einer Aufhebung einen weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen in der Türkei, was erhebliche Kosten verursachen könnte. Deswegen verweisen türkische Entscheidungsträger bei allen Verhandlungen um einen EU-Beitritt oder die vollständige Implementierung des Rückübernahmeabkommens – beiden müsste die Aufhebung des geografischen Vorbehalts vorausgehen – immer wieder auf die Notwendigkeit eines weitreichenden Burden-Sharing (vgl. Kaya 2009, S.15).

In diesem Zusammenhang spielt die türkische Perspektive auf eine EU-Mitgliedschaft eine entscheidende Rolle. Im Falle einer Mitgliedschaft bewertet die Türkei die Kosten der Aufhebung des Vorbehalts als gering, da sie dann von innereuropäischen Lastenausgleichsmechanismen profitieren würde (vgl. Cramer-Hadjidimos 2011, S.66). Türkische Entscheidungsträger sind sich bewusst, dass auch Ungarn, Lettland und Malta den zuvor geltenden geografischen Vorbehalt im Laufe der Beitrittsverhandlungen aufheben mussten (vgl. Kirisci 2012, S.74). So zeigte sich die Türkei nach der Erhebung zur Beitrittskandidatin, als die Hoffnungen auf eine baldige Mitgliedschaft noch hoch waren, zunächste zu einer umfassenden Reform bereit. Als die Aussicht auf eine Mitgliedschaft im Laufe der langwierigen Beitrittsverhandlungen weiter in die Ferne rückte, konstatierte sie allerdings, sie würde den Vorbehalt erst nach einem offiziellen Mitgliedschaftsversprechen durch die EU aufheben. Die EU hingegen verlangt die Aufhebung als Vorbedingung für die Mitgliedschaftsperspektive und Visaerleichterungen. So ist die Aufhebung des geografischen Vorbehalts zu einem Druckmittel für beide Seiten geworden (vgl. Kaya 2009, S.23).

Grenzsicherung im Interesse der EU

Die Türkei befindet sich an einer der sensibelsten Grenzen der EU. Sie liegt zwischen der EU und Staaten wie Irak, Iran oder Syrien, die im sicherheitspolitischen Diskurs der EU zunehmend mit religiösem Fanatismus und islamistischem Terrorismus in Verbindung gebracht werden (vgl. Baklacioglu 2010, S.4f.). So liegt ein wesentlicher Fokus des Burden-Sharing der EU auf Projekten zur Verbesserung der Grenzsicherheit in der Türkei. Ziel dabei ist die effiziente Kontrolle sowohl der Grenzen im Osten und Südosten der Türkei, über welche die meisten Flüchtlinge einreisen, als auch der türkisch-griechischen Grenze, über welche die meisten Flüchtlinge in die EU weiterreisen. Durch die Finanzierung von Projekten zur Stärkung der Grenzschutzeinheit und Grenzpolizei sowie zum Aufbau von Abschiebelagern sollen die Grenzen im Osten und Südosten der Türkei undurchlässiger gemacht werden, während die engere Kooperation mit Frontex in erster Linie der Sicherung der türkisch-griechischen Grenze dient. Dadurch findet eine Transformation der EU-Grenzen in die Türkei statt.

Die EU strebt eine Minimierung der Zahl von irregulären Migrant_innen in der Türkei an. So erhofft sie sich einerseits eine Abnahme der irregulären Grenzübertritte in der türkisch-griechischen Evros-Region sowie andererseits eine gesteigerte Bereitschaft der Türkei zur Aufhebung des Vorbehalts. Als adäquates Mittel werden neben der Unterstützung der türkischen Grenzkontrollen auch Rückübernahmeabkommen der Türkei mit weiteren Drittstaaten angestrebt. Folglich übt die EU Druck auf die Türkei aus, selbst Rückübernahmeabkommen mit häufigen Transit- und Herkunftsstaaten abzuschließen. Bislang hat die Türkei derartige Abkommen mit Griechenland (2001), Syrien (2001), Kirgistan (2003) sowie mit den Schwarzmeeranrainern Rumänien (2004) und Ukraine (2005) ratifiziert, wodurch eine Transformation auch der internationaler Grenzen erfolgt (vgl. Soykan 2010, S.221).

Physisches Burden-Sharing

Physisches Burden-Sharing bezeichnet die Teilnahme am UNHCR-»Resettlement«, durch welches anerkannte Flüchtlinge aus Erstasylstaaten mit hohen Flüchtlingszahlen in Industriestaaten umgesiedelt werden. Im Gegensatz zur hohen Beteiligung an finanziellen und technischen Instrumenten des Burden-Sharing ist das EU-Engagement an Umsiedlungsprogrammen aus der Türkei deutlich geringer. Von 37.418 Flüchtlingen gemäß der Genfer Flüchtingskonvention, die zwischen 1995 und 2010 aus der Türkei umgesiedelt wurden, nahmen europäische Staaten – ohne die skandinavischen Staaten – lediglich 990 Personen auf (siehe Tabelle).

Umsiedlungen aus der Türkei nach Herkunftsländern (1995-2010)

Herkunftsland Umsiedlung nach
Kanada USA Ozeanien Sonstiges Europa Skandinavien Andere Gesamt
Afghanistan 192 258 3 17 89   559
Iran 4.841 10.061 2.921 269 3.667 12 21.771
Irak 1.043 10.335 1.788 689 1.732 33 15.620
Afrika 436 326 1 7 55   825
Nordafrika 15       1   16
Asien   34     13   47
Naher/Mittlerer Osten 74 4 10 7 6 1 102
Bosnien und Herzegowina   45   1     46
Gesamt 6.601 21.063 4.723 990 5.563 46 37.418
Mit korrigierten Zahlen nach Kirisci 2012, op.cit., S.72

Auch das zögerliche Engagement der EU-Mitgliedstaaten in Umsiedlungsprogrammen steht in engem Zusammenhang mit der Konstruktion von Flüchtlingen als sicherheitspolitische Herausforderung. Dabei sind Flüchtlinge, die auf irregulärem Weg in die EU gelangen, keineswegs eine größere Sicherheitsbedrohung als Flüchtlinge, die durch Neuansiedlungsprogramme in die EU kommen.

Europäische Entscheidungsträger rechtfertigen ihre geringe Aufnahmebereitschaft damit, dass ein umfassender globaler Ansatz mit ausgeprägtem Engagement in der Region nachhaltiger und somit der Beteiligung an Umsiedlungsprogrammen vorzuziehen sei. So definiert das Stockholmer Programm von 2010 den Kapazitätsaufbau in Drittstaaten und die Verbesserung der Lebensverhältnisse in Herkunftsstaaten als primäre Ziele des EU-Flüchtlingsschutzes. Mit den oben diskutierten finanziellen und technischen Instrumenten soll der Flüchtlingsschutz in Staaten, die in Konfliktregionen liegen, ausgebaut werden, während entwicklungspolitische Projekte Fluchtursachen in Herkunftsstaaten bekämpfen sollen. Die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen durch Neuansiedlungsprogramme hingegen erwähnt das Stockholmer Programm erst als zweite Priorität (vgl. Europäischer Rat 2010, S.33).

Zweifellos bilden die Bekämpfung der Fluchtursachen und die Unterstützung von Erstasylstaaten wichtige Pfeiler der Politik zum internationalen Flüchtlingsschutz. Allerdings stellt sich die Frage, ob der globale Ansatz der EU die Aufnahme von Flüchtlingen – direkt oder durch Umsiedlungsprogramme – ausschließen muss. Selbst die zuständige EU-Innenkommissarin Malmström stellt gravierende Mängel der EU-Flüchtlingspolitik fest: „Die europäischen Versprechen, Menschen in Not zu helfen, wurden in jüngster Zeit gründlich auf die Probe gestellt, und Europa hat bei dieser Prüfung kollektiv versagt.“ (zitiert aus Kopp 2012, S.26)

Die Art des EU-Engagements im Burden-Sharing leitet die in der EU stattfindende »Versicherheitlichung« von Flüchtlingen in die Türkei weiter. Die türkische Asylpolitik ist traditionell in erster Linie von sicherheitspolitischen Bedenken geprägt, im Rahmen derer insbesondere kurdische Flüchtlinge – parallel zu islamischen Flüchtlingen in der EU – als Sicherheitsbedrohung konstruiert werden (vgl. Kirisci 2012, S.66f.). Durch den Fokus der EU-Unterstützung auf den Ausbau des militärischen Grenzschutzes und den Aufbau einer Datenbank wird Flüchtlingspolitik einmal mehr in einen sicherheitspolitischen Kontext gerückt.

In diesem Zusammenhang konstatiert der Politikwissenschaftler Nurcan Özgür Baklacioglu, Ziel des EU-Engagements im Burden-Sharing und Ziel der asylpolitischen Forderungen im Beitrittsprozess sei der Aufbau einer «Festung Türkei» nach dem Vorbild der «Festung Europa» (vgl. Baklacioglu 2010, S.5). Die Europäisierung der türkischen Asylpolitik führt somit kaum zu einer stärkeren Beachtung von Flüchtlingsrechten in der Türkei, sondern schränkt im Gegenteil die Möglichkeit auf Zutritt zu türkischem Territorium und Asylverfahren ein.

Literatur

Baklacioglu, Nurcan Özgür (2010): Building »Fortress Turkey«: Europeanization of Asylum Policy in Turkey. Aktualisierte Fassung seines Artikels in The Romanian Journal of European Studies, No.7-8/2009.

Cramer-Hadjidimos, Katharina (2011): Eine griechische Tragödie. Europa stößt im Umgang mit irregulären Migranten an seine Grenzen. Internationale Politik 1-2011, S.62-67.

Delegation of the European Union to Turkey (2007): Standard Summary. Project Fiche, Project number: TR 06 01 01, Twinning number: TR 06 IB JH 01.

Edsbäcker, Karolina (2011): Turkey’s Asylum Policy in the Light of EU Accession. The Impact of its Geographical Limitation to the Geneva Convention. Lund University, Department of Political Science.

Euro-Mediterranean Human Rights Network (2013): An EU-Turkey Readmission Agreement – Undermining the Rights of Migrants, Refugees and Asylum Seekers? oppenheimer.mcgill.ca.

Europäische Kommission (2007): Standard Summarized Project Fiche, IPA decentralised National Programmes. Project number: TR 07 02 16, TWINNING NO: TR 07 IB JH 05.

Europäische Kommission (2008): Aeneas programme. Programme for financial and technical assistance to third countries in the area of migration and asylum. Overview of projects funded 2004-2006..

Europäische Kommission (2013): Cecilia Malmström signs the Readmission Agreement and launches the Visa Liberalisation Dialogue with Turkey. Pressemitteilung – IP/13/1259 vom 16.12.13.

Europäischer Rat (2010): The Stockholm Programme – an open and secure Europe serving and protecting citizens (2010/C 115/01).

Frontex (2013): Frontex signs a memorandum with Turkey. frontex.europa.eu, ohne Datumsangabe.

Hurwitz, Agnès (2009): The collective responsibility of states to protect refugees. Oxford: Oxford University Press (Oxford monographs in international law).

Icduygu, Ahmet (2011): The Irregular Migration Corridor between the EU and Turkey: Is it Possible to Block it with a Readmission Agreement? Research Report Case Study, EU-US Immigration Systems 2011/14.

Kaya, Ibrahim (2009): Reform in Turkish Asylum Law: Adopting EU Acquis? Robert Schuman Centre for Advanced Studies, European University Institute Florence (CARIM Research Reports).

Kirisci, Kemal (2012): Turkey’s New Draft Law on Asylum: What to Make of it? In: Seçil Paçacý Elitok und Thomas Straubhaar (eds.): Turkey, migration and the EU. Potentials, challenges and opportunities. Hamburg: Hamburg University Press (Edition HWWI, 5), S.63-80.

Kopp, Karl: In Europa nicht willkommen. Weltsichten 8/2012, S.26-29.

McDonough, Paul; Tsourdi, Evangelia (2012): Putting Solidarity to the Test: Assessing Europe’s Response to the Asylum Crisis in Greece. Hrsg. von UNHCR Policy Development and Evaluation Service (New Issues in Refugee Research, Januar 2012, Research Paper No. 231).

Milner, James (2005): Burden Sharing. In: Matthew J. Gibney und Randall Hansen (eds.): Immigration and asylum. From 1900 to the present. Santa Barbara, Calif, Oxford: ABC-CLIO, S.56-57.

Soykan, Cavidan (2010): The Impact of Common European Union Immigration Policy on Turkey. In: Ethnologia Balkanica 14, S.207-225.

Tokuzlu, Lami Bertan (2010): Burden-Sharing Games for Asylum Seekers between Turkey and the European Union. EUI Working Papers. San Domenico di Fiesole/Italiien: Robert Schuman Centre for Advanced Studies.

UNHCR (2013): 2013 UNHCR country operations profile – Turkey..

Michelle Kerndl-Özcan erwarb an der Universität Marburg einen Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Die Autorin wohnt in München und Istanbul und ist momentan in Elternzeit.

Festung Europa

Festung Europa

von Jürgen Nieth

Das Europäische Parlament hat am 10. Oktober „den Betriebsvorschriften für das elektronische Grenzüberwachungssystem Eurosur mit 479 zu 101 Stimmen bei 20 Enthaltungen klar zugestimmt. Da damit eine politische Einigung zwischen dem Parlament und dem Ministerrat erzielt worden ist, steht der gestaffelten Einführung des Systems ab Anfang Dezember nichts mehr im Wege.“ (NZZ 11.10.13) „Nur die Grünen und die Linke stimmten dagegen.“ (BG 11.10.13)

Hightech-Aufrüstung

„Eurosur soll mit hochwertiger Sicherheitstechnik arbeiten. Dazu zählen Drohnen, offshore-Sensoren, ein Satellitensuchsystem und automatisierte biometrische Identitätskontrollen.“ (ND 11.10.13.) „Mit Eurosur sollen Informationen zwischen Grenzbeamten und Zollbehörden, den Küstenwachen und der Marine schneller ausgetauscht werden. Überwachungsinstrumente wie Satelliten oder Schiffsmeldesysteme ermöglichen über ein geschütztes Kommunikationssystem die Weitergabe in Echtzeit. Das System soll eng mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert werden.“ (SN 11.10.13.) „In einer ersten Phase werden nationale Systeme modernisiert und elektronisch vernetzt […] Ein maritimes Meldesystem für das Mittelmeer, Teile des Atlantiks (Kanarische Inseln) und das Schwarze Meer soll später in das Netzwerk eingebunden werden.“ (welt-online 12.10.13) „Die Kommission schätzt die Kosten bis 2020 auf 244 Millionen Euro.“ (NZZ 11.10.13) Andere Berechnungen kommen zu wesentlich höheren Zahlen. Die SZ (19.10.13) geht von 340 Millionen Euro aus, und laut einer Studie der Böll-Stiftung „könnten sich die Kosten von Eurosur und dem »Smart border package«, mit dem sämtliche Ein- und Ausreisen von Drittstaaten in die EU erfasst werden sollen, auf bis zu zwei Milliarden Euro belaufen“. (ND 11.10.13.)

Abschottung oder Hilfe?

Die Überschriften der meisten deutschsprachigen Zeitungen sind eindeutig: „Abschottung aus einem Guss“ (taz 09.10. 13), „Moderne Technologie gegen illegale Migration“ (NZZ 11.10.13.), „Neues System zur Grenzüberwachung“ (StZ 11.10. 13), „Über Wachen und Dichtmachen“ (ND 11.10.13), „EU billigt Drohneneinsatz gegen illegale Einwanderung“ (Zeit-online, 10.10.13), „EU kauft Flüchtlingsabwehrsystem“ (FR-online 10.10.13), „EU verschärft Überwachung an den Außengrenzen“ (SZ-online 10.10.13).

Die EU-Innenkommissarin, Cecilia Malmström, spricht zwar davon, das neue System werde helfen, „das Leben jener Menschen zu retten, die sich selbst in Gefahr bringen, um Europas Küsten zu erreichen“, doch der Schwerpunkt liegt offensichtlich nicht auf Hilfe, sondern auf Flüchtlingsabwehr. So schreibt die SZ (11.10.13), laut Gesetzestext solle Eurosur dem Zweck dienen, „illegale Einwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität aufzudecken, ihr vorzubeugen und sie zu bekämpfen. Die Rettung von Menschenleben wird zwar im gleichen Absatz, nicht aber im gleichen Atemzug genannt. Weil sich eine Reihe von Mitgliedstaaten dagegen aussprachen, sie zum Ziel zu erheben, soll Eurosur zur Seenotrettung nur mehr »einen Beitrag« leisten.“ Die taz (09.10.13) zitiert den Linken Europa-Abgeordneten Hunko, nach dem „ein Vorschlag des Europäischen Parlaments, die Aufgaben von Eurosur auf die Seenotrettung auszuweiten, von den europäischen Innenministern »geschlossen abgelehnt« wurde“. Und in der SZ (19.10.13) schreibt Heribert Prantl: „Die EU schützt Grenzen und nicht Flüchtlinge […] Der Tod der Flüchtlinge ist Teil der Abschreckungsstrategie.“

Abdrängen statt Hilfe

Die Einschätzung Prantls wird bestätigt durch Recherchen des ARD-Magazins »Monitor« (17.10.13). Danach hat die EU-Grenzschutzbehörde Frontex „zugegeben, was von Menschenrechtsorganisationen bereits seit längerem kritisiert wird: die Beteiligung an illegalen Abdrängungsmanövern, sogenannten Push-Backs im Mittelmeer. Die Statistiken von Frontex wiesen (so Frontex Leiter Ilkka Laitinen) fünf bis zehn Verdachtsfälle pro Jahr auf“. Eine Zahl, die Karl Kopp von Pro Asyl gegenüber dem ND als „rührend“ bezeichnet. „Seine Organisation habe basierend auf Interviews zusammen mit Partnerorganisationen in den letzten zwölf Monaten Push-Back-Fälle der griechischen Küstenwache dokumentiert, die alleine 2.000 Menschen betreffen.“ Trotzdem birgt das Eingeständnis von Frontex gegenüber »Monitor« Brisanz, denn im Februar letzten Jahres hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte „die Praxis, Flüchtlinge auf hoher See auch unter Einsatz von Gewalt zurück in das Herkunftsland oder in Länder zu zwingen, wo ihnen Verfolgung droht, […] als menschenrechtswidrig gewertet“. (ND 18.10.13)

Umfassende Flüchtlingsabwehr

Die nordafrikanischen Länder sollen stärker in die Flüchtlingsabwehr einbezogen werden. „Die ersten Partner […] waren die neuen Machthaber Libyens […] Ägypten, Tunesien und Algerien hingegen hatten sich lange jeder Beteiligung […] verweigert […] Doch auf Druck aus Südeuropa signalisierten die drei Länder im September, nun doch beitreten zu wollen.“ (taz 09.10.13) „Mit den sogenannten »Mobilitätspartnerschaften«, die die EU in solchen Fällen eingeht, werden Drittländern zum Beispiel Visaerleichterungen und Informationen über Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten in Europa in Aussicht gestellt, sie müssen sich im Gegenzug aber zu einer Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Menschenschmuggels und zu einer Rücknahme illegaler Migranten verpflichten.“ (FAZ 04.10.13)

Christopher Ziedler verweist in der StZ (05.1013) darauf, dass durch diese »Rücknahmeabkommen« der Fokus noch stärker auf Flüchtlingsabwehr gelegt wird. „Letztlich können die Behörden über Satelliten und Drohnen künftig sehen, wenn ein Boot an der afrikanischen Küste ablegt, und die Kollegen auf der anderen Seite informieren, damit die dortige Küstenwache die Flüchtlinge aufhält.“ Er zitiert die Grüne Europa-Abgeordnete Keller: „ Das erspart ihnen (den Flüchtlingen) eine tödliche Überfahrt, rettet aber nicht unbedingt ihr Leben, sie haben ja einen Grund zu fliehen.“

Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer, hat nach „Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen seit 1998 bereits mehr als 19.000 Menschenleben gekostet“. (NZZ 05.10.13)

Abkürzungen:

Bonner Generalanzeiger (BG), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau (FR), Neues Deutschland (ND), Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Stuttgarter Nachrichten (SN), Stuttgarter Zeitung (StZ), Süddeutsche Zeitung(SZ), tageszeitung (taz), Die Welt (Welt).

Jürgen Nieth