Editorial

Editorial

von Christiane Lammers

In den Tagen, als dieses Heft entstand, wurden im Bundestag gerade mit der Kanzlermehrheit die sogenannten Sparbeschlüsse verabschiedet. Der öffentliche Protest dagegen war nicht sehr groß, die Ergebnisse der Niedersachsenwahlen bestätigten den Eindruck, daß in unserer Gesellschaft anscheinend keine Alternativen zu dieser Politik gesehen werden.

Ich halte diesen Beschluß – der sicherlich nur der Anfang sein wird – für fatal. Nicht allein wegen der Auswirkungen, die zu Lasten der Einkommensschwachen gehen, als vielmehr noch wegen des Denkens, das sich darin ausdrückt. Die Losung, die dahinter steht, heißt, »Augen zu und durch«. Es wird nicht wahrgenommen, daß wir uns nicht in einer Talsohle des berühmten Wirtschaftszyklus befinden, daß Investitionen nicht Arbeitsplätze schaffen, sondern zerstören, daß die Umverteilung zu Gunsten der Einkommensstarken weiter voranschreitet. Zufällig wurde zeitgleich in den Zeitungen die Meldung verbreitet, daß die Anzahl der Millionäre in Deutschland im letzten Jahr stark zugenommen hat.

Ohne eine apokalyptische Vision an den Himmel malen zu wollen, kann davon ausgegangen werden, daß mit zunehmender Verarmung von großen Gruppen in den Industrieländern die gesellschaftlichen Konflikte gravierender werden, die Gewalttätigkeit direkt oder indirekt zunehmen wird. Die US-amerikanische Gesellschaft ist hier ein eindrucksvolles Beispiel. Wenn der Lebensstandard in den Industrieländern – wie zu vermuten – mittels staatlicher »Sozial“hilfen auf einem Mindestmaß gehalten wird, geschieht dies doch weiterhin auf Kosten der sogenannten Entwicklungsländer. Zudem verliert Politik an Gestaltungsfähigkeit zugunsten der Mechanismen und Akteure des Marktes. Demokratie als konstituierendes Element eines dauerhaften Friedens wird zur Farce.

Ein wichtiger Faktor, der zu diesen Problemen geführt hat, wird unter dem Stichwort Globalisierung behandelt. Wissenschaftliche Expertise hierzu ist zwar z.T. vorhanden, aber zu wenig werden die gesellschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt. Zu wenig werden auch Handlungsmöglichkeiten offeriert und in der politischen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Bisher muß »Globalisierung« lediglich als Begründung herhalten für zweifelhafte Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands.

Auch die deutsche Friedens- und Konfliktforschung tut sich schwer damit, Konflikte, die infolge der sozialen und ökonomischen Entwicklung und im Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Weltmarkt entstehen, in ihre wissenschaftliche Diskussion einzubeziehen.

Ein Grund hierfür mag darin liegen, daß sich der Streit auch darum rankt, ob von einem weiten oder engen Friedensbegriff auszugehen sei, sprich: was denn nun ihr eigentlicher Gegenstand sei. Die Unmöglichkeit eine »Allwissenschaft« zu betreiben, wird in diesem Zusammenhang oft thematisiert.

Ein anderer Grund liegt aber auch in der Tabuisierung gesellschaftskritischer Ansätze infolge der Wende nach 1989. Dieses zu bewältigen, halte ich für eins der schwierigsten Kapitel der Friedensforschung.

Der alleinige Blick auf die politische Staaten-Weltordnung, der innergesellschaftliche Krisen und schwelende Bürgerkriege erst miteinschließt, wenn es zu Bundeswehr-, Nato- oder UN-Einsätzen kommt, folgt einem zu eingeschränkten Blickwinkel, um nachhaltige Friedenswissenschaft zu betreiben. Konfliktursachenforschung, die wichtige Hinweise für die Konfliktprävention geben könnte, wird heute zu wenig berücksichtigt. Um nicht in das Fahrwasser einer reinen Konfliktnachsorge zu geraten, müßte sich die Friedens- und Konfliktforschung diesen Themen widmen und an der Entwicklung zukunftsweisender Modelle mitwirken.

Interessanterweise hat ausgerechnet Greenpeace zu seinem 25jährigen Bestehen als Selbstanforderung die Notwendigkeit einer Öffnung für die soziale Gesellschaftsentwicklung formuliert. Die Ökologiebewegung hat offensichtlich erkannt, daß es isolierte Lösungen nicht (mehr) geben kann.

In diesem Sinne wurde in den letzten Jahren am Konzept des »Sustainable Development« gearbeitet, das ökologische und entwicklungspolitische Anforderungen verknüpft. Mit der UN Umwelt-Konferenz in Rio 1992 erlangte der Gedanke eine große Verbreitung, wenngleich die dort beschlossenen Verpflichtungen bisher keineswegs in die Realität umgesetzt wurden. Unzureichend berücksichtigt wurden zunächst auch die notwendigen innergesellschaftlichen Veränderungen in den Industrienationen selbst. Forschungsarbeiten, z.B. die des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie haben versucht, diese Lücken zu füllen.

Der »Nachhaltigen Entwicklung« ist unter dem Titel „Leben und Überleben“ der Schwerpunkt dieses Heftes gewidmet. Daß dies im Rahmen einer friedenswissenschaftlichen Zeitschrift geschieht, zu einem relativ späten Zeitpunkt, ist nicht zufällig. Konzepte sollten nicht aus Gründen der Unvollständigkeit von der Tagesordnung genommen werden, sondern durch weiterführende Expertise sinnvoll ergänzt, vervollständigt und – vor allem – umgesetzt werden.

Ihre Christiane Lammers

Leben bewahren gegen Wachstum, Macht, Gewalt

Leben bewahren gegen Wachstum, Macht, Gewalt

Zur Verknüpfung von Frieden und nachhaltiger Entwicklung

von Jürgen Scheffran

Kurz vor der Jahrtausendwende kollidiert die Wachstumsdynamik menschlicher Entwicklung mit den Grenzen des Raumschiffs Erde. Zum Zerreißen gespannt sind nicht nur die Wände des äußeren Rahmens, sondern auch die tragenden Innenstrukturen. Druck und Temperatur steigen, Abfallberge wachsen, Krankheit und Tod nehmen zu, die Belastbarkeit der ökologischen und sozialen Systeme sinkt. Konflikte unter den Bewohnern des Raumschiffs sind überall erkennbar. An den Kollisionspunkten von Natur und Gesellschaft sind katastrophale Entwicklungen bis hin zum Krieg zu verzeichnen. Und die Zahl der Druckpunkte nimmt zu.

Mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung wird der Versuch unternommen, die immer noch explosive Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken.1 Der zur Verfügung stehende Umweltraum soll planmäßig und sinnvoll genutzt werden und zugleich soll den Bewohnern des Raumschiffs Erde dauerhaft ein akzeptables, ja angenehmes Leben gewährleistet werden. Als Schlüssel zum Erfolg wird, neben einer effizienten und gerechten Ressourcennutzung und -verteilung, die Anpassung menschlicher Bedürfnisbefriedigung an die vorhandenen Möglichkeiten gesehen sowie die Neuorganisation menschlichen Zusammenlebens im Einklang mit der Natur. Kurz gesagt, es geht für die Menschen darum, Frieden mit sich selbst, mit anderen und mit der Natur zu schaffen.

Gleichgewicht des Lebens und zerstörerisches Wachstum

Das Leben auf der Erde ist möglich geworden durch ein diffiziles Gleichgewicht von Werden und Vergehen.

Der mit der Entropieerhöhung verbundene Zerfallsprozeß muß durch einen Aufbau- und Wachstumsprozeß ausgeglichen werden, unter Zufuhr von Energie, Materie und Information, deren Abfallprodukte und Folgewirkungen ebenfalls abgebaut und regeneriert werden müssen. Ungehemmtes, krebsartiges Wachstum ist Ausdruck einer Störung des Fließgleichgewichts, die die Existenzbedingungen des Lebens zerstören kann. Die Menschheit konnte im Verlauf ihrer Geschichte ihre Wachstumsrate steigern und ihre Sterberate soweit verringern, daß bis heute eine exponentielle Bevölkerungszunahme erfolgt. Bislang konnten zwar alle vorgefundenen Grenzen überschritten und immer neue Bereiche erobert werden. Bei Erreichen der letzten Grenzen des Planeten Erde stellt sich aber die Frage, ob sich ein Fließgleichgewicht eher durch Begrenzung der Wachstumsraten oder durch den Anstieg der Zerfalls- und Sterberaten einpegeln wird. Die erste Möglichkeit ist ein Gebot der Vernunft, denn die zweite Alternative bedeutet für zahllose Menschen Elend und Tod.

Die Anzeichen der globalen Krise sind bereits überdeutlich. Von Zerfallserscheinungen betroffen sind nicht nur die Länder der Dritten Welt (etwa durch Armut, Hunger, Umweltzerstörung, Krieg, Genozid, Flucht, AIDS), sondern auch die Industriestaaten. Hier zeigt sich der Verlust gesellschaftlicher Kontrolle u.a. an negativen Sozialphänomenen wie Alltagsgewalt, Kriminalität, Mafia, Drogen, Krankheiten, Sozialabbau, sozialer und politischer Fragmentierung, die die »soziale Entropie« erhöhen, Gewalt verursachen und den inneren Frieden gefährden.2 Mit den Menschen sterben die ökologischen und sozialen Strukturen, die die Existenz der Individuen garantieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt festigen sollen. Sozialabbau scheint die vorherrschende Strategie der Eliten zu sein, um die Grenzen des Wachstums an die Peripherie der eigenen Gesellschaften zu verlagern. Es ergibt sich das apokalyptische Bild einer von Katastrophen geprägten Welt, in der nur die stärksten und am besten geschützten eine (Über-) Lebenschance haben, auf Kosten der Schwächeren. Gewalt und Krieg können zugleich Ursache und Folge der anderen Problembereiche sein und wirken wie ein Katastrophenverstärker.

Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts wird sein, ob die sozialen Strukturen stark genug sind, den weiter wirkenden mächtigen Wachstumskräften Einhalt zu gebieten und zugleich den Frieden gegen Katastrophen und Gewaltkonflikte zu erhalten.

Wirtschaft, Technik und Macht

Der Schlüssel zum Verhältnis von Wachstum und Macht liegt in der Ökonomie, die in der zunehmend vernetzten Welt den Primat über alle Lebensbereiche gewonnen hat: „Die Weltökonomie hat sich verselbständigt, weil die Politik nicht in der Lage war, Instrumente zur Steuerung der globalen Entwicklung zu schaffen.“ 3 Die zur freien Marktwirtschaft gehörende Akkumulation von Kapital korrespondiert mit den Prinzipien des exponentiellen Wachstums und der Konzentration von Macht, die sich auf den Besitz von Reichtümern und Produktionsmitteln gründet. Neben dem Bevölkerungswachstum erzeugen der Kapitalzins sowie der angestrebte Zuwachs des Bruttosozialprodukts (der einer Beschleunigung der Wohlstandsmehrung entspricht) eine zusätzliche Wachstumsdynamik.

Das bestehende Wirtschaftssystem enthält wachstums- und machtfördernde Rückkopplungen: Verbraucher mit höherem Einkommen verfügen über mehr politische, gesellschaftliche und ökonomische Einflußmöglichkeiten, um ihren Einkommensvorsprung zu sichern; und Unternehmen mit hohen Gewinnen haben mehr Mittel, um in neue Produktionsmittel zu investieren. Beides führt zu einer Konzentration von Macht, die dazu benutzt wird, das ungerechte Spannungsgefälle zwischen Arm und Reich sowie die nicht-nachhaltige Ausbeutung der Natur aufrecht zu erhalten, während Instrumente zur Kontrolle von Wachstum und Macht unzureichend bleiben.

Die ambivalente wissenschaftlich-technische Entwicklung hat einen Anteil an der Wachstumsdynamik. Während Wissenschaft traditionell bestrebt ist, unbekanntes Territorium in der Welt des Wissens zu »erobern« (Wissen ist Macht), stellen technische Innovationen die Mittel bereit, mit denen die reale Welt erkundet und erobert, konstruktiv oder destruktiv verändert werden kann. Zwar haben leistungsfähigere technische Instrumente die Möglichkeiten zur Problemlösung (etwa zur Produktionssteigerung) verbessert, doch zugleich wurden immer wirksamere Macht- und Zerstörungsmittel bereitgestellt, die zur Herrschaftssicherung eingesetzt werden. Zugleich hat sich das Wachstum der technischen Produktionsmittel selbst als Problem erwiesen. Versuche, dem Wachstumsproblem der wissenschaftlich-technischen Zivilisation durch technische Eingriffe zu Leibe zu rücken, bringen weitere Probleme mit sich.4

Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung und Gewaltkonflikte

Eine Konsequenz gesellschaftlicher Zerfallserscheinungen ist die Zunahme von Konflikten und – damit verbunden – von Gewalt, hier verstanden als absichtliche Zerstörung lebendiger Strukturen. Die vier Hauptquellen der Knappheit (Bevölkerungswachstum, übermäßiger Konsum, Umweltverschmutzung, ungleiche Verteilung) verstärken sich oftmals wechselseitig. Die durch die Ressourcenknappheit auftretenden Mangelerscheinungen belasten soziale Systeme, fördern den ökonomischen Niedergang, schwächen staatliche Autorität und erhöhen die Konfliktspannung, die sich entlang vorhandener ethnischer, rassischer oder religiöser Trennlinien entladen kann, bis hin zu Krieg oder Bürgerkrieg. Gewaltkonflikte zeichnen sich besonders dann ab, wenn die Ressourcennutzung einiger Akteure elementare Lebensinteressen anderer Akteure berührt, die über Gewaltmittel verfügen und sich „zur Wehr“ setzen. Die Umweltdegradation kann auch indirekt den Konfliktrahmen beeinflussen, der durch weitere Faktoren (ökonomisches System, Bildungsgrad, ethnische Spaltungen, Klassentrennung, technologische und infrastrukturelle Fähigkeiten, Legitimität des politischen Regimes) bestimmt wird. Die kausalen Verbindungen sind nicht immer eindeutig nachzuweisen, und die durch Umweltknappheit hervorgerufenen sozialen Auswirkungen erscheinen dann als Hauptursachen des Konflikts. Oftmals summieren die Folgen sich auf und führen erst langfristig zu Konflikten.

Auch wenn Umweltknappheit bislang nur selten zu zwischenstaatlichen Konflikten geführt hat, haben umweltbedingte Konflikte signifikante indirekte Effekte auf die internationale Gemeinschaft, insbesondere wenn sie die Landesgrenzen überschreiten. Besonders betroffen sind die Entwicklungsländer, in denen die Verknappung von Wasser, Wäldern und vor allem fruchtbarem Land in Verbindung mit einer rapide wachsenden Bevölkerung großes Elend bedeutet. Da in Entwicklungsländern die institutionalisierten Konfliktregelungsmechanismen unterentwickelt sind, tragen Umweltkonflikte hier eine vergleichsweise größere Kriegsgefahr in sich als im industrialisierten Norden oder zwischen Nord und Süd. Schon heute trägt die Knappheit an erneuerbaren Ressourcen zu gewalttätigen Konflikten bei, etwa in einigen Staaten Afrikas, in Nahost, in Südasien und Mittelamerika.5 Die globale Erwärmung wird die Probleme weiter verschärfen.6

Nicht auszuschließen ist angesichts wachsender Konfliktfelder eine konfrontative Situation, wenn der Norden seinen wirtschaftlichen Wachstumspfad ebenso beibehält wie sein militärisches Droh- und Gewaltpotential, das gegen widerspenstige Staaten im Süden gerichtet wird. Umgekehrt könnten entschlossene Führer in Entwicklungsländern glauben, im Zuge einer Gegenwehr Industrialisierung auf Kosten der Umwelt zu erreichen und mit militärischen Mitteln, gegebenenfalls mit Massenvernichtungswaffen, eine Intervention abzuschrecken, worauf der Norden wiederum mit Counterproliferation und Raketenabwehr reagiert. Ein daraus folgendes neues Wettrüsten würde auf unheilvolle Weise mit den negativen Entwicklungen in den anderen Bereichen korrelieren.

Nachhaltige Entwicklung und die Grenzen der Bedürfnisbefriedigung

Leben bedeutet mehr als bloßes Überleben. Lebenswerte Bedingungen sind erforderlich, damit Lebewesen im Rahmen ihrer vorhandenen inneren und äußeren Möglichkeiten ihre Bedürfnisse individuell frei entwickeln und entfalten können. Ein Grundkonflikt menschlicher Existenz und der Kern der Diskussion über nachhaltige Entwicklung liegt darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Entfaltung der individuellen Bedürfnisse und der Begrenztheit der verfügbaren Ressourcen und Mittel herzustellen, deren Degradierung zu vermeiden ist. Grundsätzlich können sich Strategien zum Ausgleich von Bedürfniszielen und vorhandenen Ressourcen (von Soll- und Ist-Zustand) auf folgende Einflußfaktoren konzentrieren.7

1. Ökoverträgliche Nutzung natürlicher Ressourcen (Konsistenz):

Der Ressourcenverbrauch muß mit den natürlichen Stoff- und Energieströmen verträglich sein. Grenzen sind zum einen durch die Endlichkeit nicht-erneuerbarer Ressourcen gegeben, durch die begrenzte Regenerationsfähigkeit erneuerbarer Ressourcen und durch die Aufnahmefähigkeit der Natur gegenüber Abfällen. Die Erhaltung der Regeneration kann etwa geschehen durch Schaffung von Naturreservaten, Begrenzung von Nutzungs- und Ernteraten, Verbesserung der Regenerationsfähigkeit, Anpflanzungen und Erhalt gefährdeter Arten.

2. Verbesserte Wirksamkeit der Ressourcennutzung (Effizienzsteigerung):

Wie wirksam eine Ressource in die Befriedigung von Bedürfnissen umgesetzt werden kann, hängt ab von der Effizienz ihrer Gewinnung, Umwandlung, Nutzung und Regeneration. Die Ressourcennutzung wird durch Einsparen, strukturelle Änderungen, technische Mittel und »Einfallsreichtum« effizienter gemacht, so daß Bedürfnisse mit weniger Ressourcen befriedigt werden können (Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wohlstand/Lebensqualität).

3. Verringerung der Risiken (Schadensvermeidung):

Sofern der Ressourcenkonsum mit Gefährdungen und Schäden für eigene Bedürfnisse oder die anderer verbunden ist (z.B. durch freigesetzte Umweltgifte und Radioaktivität), ist entweder die Schadensursache zu beseitigen oder in ihren Folgenwirkungen auf ein verträgliches Niveau zu begrenzen (z.B. durch vereinbarte Abkommen).

4. Einflußnahme auf die gesellschaftlichen Verteilungsverhältnisse der Ressourcennutzung (Verteilungsgerechtigkeit):

Welchen Anteil Individuen vom Ressourcenkuchen nutzen können, hängt ab von den gesellschaftlichen Verteilungsprozessen und damit von Macht- und Interessenstrukturen. Die Abweichung von dem Mittelwert, der sich bei einer formal »gerechten« Verteilung pro Kopf der Bevölkerung ergäbe, ist ein Indikator für die Verteilungsungerechtigkeit. Durch Einsatz oder Androhung von Machtmitteln kann der Anteil zu eigenen Gunsten erhöht werden, während Demokratie, Recht und Sozialsystem einen gerechteren Ausgleich ermöglichen sollten.

5. Veränderung der Bedürfnisziele (Suffizienz):

Die Bedürfnisstruktur selbst wird geändert und an die natürlichen Rahmenbedingungen angepaßt. Im ersten Fall wird das vorhandene als »ausreichend« angesehen (es genügt), so daß keine weiteren Anstrengungen zur Bedürfnisbefriedigung unternommen werden. Im zweiten Fall werden »ersatzweise« neue Bedürfnisziele angestrebt, die mit anderen oder weniger Naturresourcen auskommen. Das potentiell unendliche Feld menschlicher Bedürfnisse wird durch externe Begrenzungen (vorhandenes Einkommen, verfügbare Mittel und Zeit, gesellschaftliche Rahmenbedingungen) und interne Begrenzungen (Ansprüche, religiöse oder ethische Selbstbeschränkung, Trägheit, ungenügende Kenntnis der Möglichkeiten, Aufnahmefähigkeit) eingeschränkt. Unterhalb der für die eigene Existenz notwendigen Minimalbedürfnisse ist keine Freiheit der Entscheidung mehr gegeben.

Die Diskussion um »sustainable development« dreht sich im Kern um diese fünf Konzepte, wobei jeweils unterschiedliche Prioritäten gesetzt werden. Nachhaltige Entwicklung versucht, die Entwicklung der vom Menschen geschaffenen Welt (Soziosphäre) in den begrenzten Rahmen der natürlichen Umwelt (Ökosphäre) dauerhaft einzubetten. Der Bezug zur Bedürfnisbefriedigung wird schon in der ursprünglichen Definition des Brundtland-Berichts hergestellt, denn hier wird das Ziel formuliert, „die Bedürfnisse heutiger Generationen zu befriedigen, ohne die Bedürfnisse kommender Generationen zu gefährden.“ 8 Menschliche Bedürfnisse werden somit zum entscheidenden Maßstab für nachhaltige Entwicklung, also eine subjektive, auf individuellen Wertmaßstäben basierende Größe. Aus der Forderung nach einer Gleichberechtigung zwischen den Bedürfnissen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen ergibt sich die Notwendigkeit der Erhaltung des Umweltraums.

Für Individuen und soziale Gruppen ist der zur Verfügung stehende Umwelt- und Lebensraum jedoch nicht nur durch natürliche Grenzen gesetzt, sondern auch durch gesellschaftliche und politische Grenzen. Während die wohlhabenden Bewohner der entwickelten Industrienationen derzeit noch ganz gut auf Kosten räumlich und zeitlich entfernter Menschen leben, geht es den Menschen in Entwicklungländern derzeit weniger aufgrund von Naturgrenzen schlecht als vielmehr wegen ungerechter Macht- und Verteilungverhältnisse. Ihre Überwindung ist ohne Konflikte wahrscheinlich nicht zu haben. Konzepte nachhaltiger Entwicklung sind nur dann ethisch konsistent, wenn sie die Prinzipien der Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur für zukünftig entfernt lebende Menschen gelten lassen, sondern auch für heute in Elend lebende Menschen.9 Eine integrierte Strategie nachhaltiger Entwicklung muß den Zusammenhang aller fünf Einflußfaktoren untersuchen und das damit verbundene gesellschaftliche Veränderungs- und Konfliktpotential. So betrifft die Frage nach der Änderung der Bedürfnisstruktur die Suche nach alternativen gesellschaftlichen Leitbildern und Lebensformen. Die Aufgaben der Risikominderung und der Verteilungsgerechtigkeit betreffen unmittelbar die Macht- und Interessenstrukturen der Gesellschaft. Ihre weitgehende Ausblendung hat maßgeblich mit zu der Kritik an »nachhaltiger Herrschaftssicherung« beigetragen.10

Zukunftsaufgaben von Frieden und nachhaltiger Entwicklung

Die Friedensdimension von nachhaltiger Entwicklung ist in dem bisher gesagten immer wieder angeklungen. Tatsächlich bedingen sich die beiden Konzepte des Friedens und der nachhaltigen Entwicklung wechselseitig, im negativen wie im positiven Sinne.11 Die hier vertretene und weiter zu untersuchende These ist: Ohne Frieden kann nachhaltige Entwicklung an gewalttätig ausgetragenen Interessenkonflikten scheitern; und ohne nachhaltige Entwicklung wird ein friedliches Zusammenleben der Menschen angesichts von Ressourcenkonflikten kaum zu erreichen sein. Es ist eine zentrale Frage, ob es gelingt, den angesprochenen Teufelskreis aus Wachstum, Macht und Gewalt zu durchbrechen und den Übergang in eine zugleich friedliche und nachhaltige Welt zu schaffen. In der Übergangsphase werden die sozialen Systeme und Konfliktregelungsmechanismen enormen Belastungen und Anforderungen ausgesetzt.

Während die Debatte über den Begriff der nachhaltigen Entwicklung recht jung ist, kann der Friedensbegriff auf eine lange Tradition verweisen.12 Die Visionen vom Frieden können als Vorbild für Zukunftsentwürfe und alternative Gesellschaftsbilder dienen, so auch für das Konzept der nachhaltigen Entwicklung. Die Verbindung beider Bereiche zeigt sich auch daran, daß es bei »BedürfnisbeFriedigung« darum geht, Menschen »zuFrieden« zu stellen. Eine mögliche positive Verbindung und gegenseitige Stärkung beider Zukunftskonzepte soll auf folgenden Ebenen angedeutet werden.

1. Eindämmung von Wachstum, Macht und Gewalt:

Die Kopplung aus Wachstum, Macht und Gewalt ist zu durchbrechen. Die Implementierung von ökologischen, ökonomischen und technologischen Wachstumsgrenzen verringert auch das Wachstum von Macht- und Gewaltmitteln. Die Entschleunigung der Wachstumsdynamik schafft Zeit zum Aufbau demokratischer und rechtlich abgesicherter politischer und gesellschaftlicher Strukturen zur Kontrolle von Macht und Gewalt. Die Begrenzung von Macht- und Gewaltmitteln (etwa durch Abrüstung) schafft Vertrauen und setzt Ressourcen frei für die kooperative Durchsetzung von nachhaltiger Entwicklung. Eine Einhegung willkürlicher Machtausübung (insbesondere der letzten Supermacht USA) kann nicht durch die Steigerung der militärischen Bedrohung geschehen, sondern durch die Einbindung in ein Gewebe von kooperativen Beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen, die in internationalen Regimen ihren Ausdruck finden. Eine demokratische Machtteilung durch Beteiligung von Betroffenen ist anzustreben.

Das deutlichste Symbol der Fehlentwicklung ist die Atombombe, die ungehemmtes Wachstum (Kettenraktion), unvorstellbare Gewalt und Zerstörung (Druckwelle, Feuer, radioaktive Strahlung) und überzogene Allmachtphantasien (Weltherrschaft) miteinander vereint. Ihre Abschaffung würde dem Dreieck aus Wachstum, Macht und Gewalt die Spitzen nehmen und sollte auch ein zentrales Anliegen von Konzepten nachhaltiger Entwicklung sein.

2. Leitbilder und Lebensformen:

Konzepte von Frieden und nachhaltiger Entwicklung gründen auf ähnlichen Leitbildern und Lebensformen, die sich gegenseitig befruchten können. Leitbilder des Friedens (etwa Gewaltfreiheit, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Verständigung, Vermittlung) sind für die Realisierung von nachhaltiger Entwicklung von unmittelbarer Bedeutung. Die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« hat acht Leitbilder vorgestellt, die als Handlungsentwürfe für Akteure in unterschiedlichen sozialen Feldern zu verstehen sind.13 Diese betreffen den Anspruch, ein rechtes Maß für Raum und Zeit herstellen zu wollen; das Ziel einer ökologischen Marktwirtschaft; den Übergang von linearen zu zyklischen Produktionsprozessen; die Einstellung, lieber gut zu leben als viel zu haben; die Schaffung einer lernfähigen Infrastruktur; den Ausbau der Stadt zum Lebensraum; die Regeneration von Land und Landwirtschaft und schließlich die Suche nach internationaler Gerechtigkeit und globaler Nachbarschaft. Einige dieser Leitbilder sind in Friedenskonzepten von Kant bis Galtung enthalten. So fordert Galtung in seinen »Visionen einer friedlichen Welt« ein geändertes Verhältnis zu Raum und Zeit und betont die Notwendigkeit eines holistischen, dialektischen Denkens, die Partnerschaft mit der Natur, die Gerechtigkeit zwischen Menschen.14

3. Erhaltende Entfaltung des Lebens:

Frieden basiert auf den in den Menschenrechten festgelegten Grundrechten des Individuums auf „Existenzerhaltung des einzelnen aufgrund abnehmender Gewalt“ und „kontinuierliche Existenzentfaltung des einzelnen aufgrund zunehmender Gleichverteilung von Entfaltungschancen.“ 15 Entsprechend geht es im Konzept der nachhaltigen Entwicklung zum einen um Entwicklung im Sinne einer Entfaltung der Möglichkeiten und Fähigkeiten von Individuen und sozialen Systemen, zum anderen um die Erhaltung der dazu erforderlichen natürlichen Lebensgrundlagen. Statt durch das Wachstum materieller und energetischer Güter Grenzen zu zerstören, würde mit der Entfaltung in einen vieldimensionalen Werteraum hinein die Erhaltung natürlicher Bedingungen und Grenzen gesichert. Kurz: die Erhaltung soll der Entfaltung dienen, zugleich soll die Entfaltung eine erhaltende sein.16 Sustainable development könnte daher auch übersetzt werden mit »erhaltender Entfaltung«, was ausdrückt, daß es um eine interaktive und permanente Einflußnahme geht.

Während mit der Nachhaltigkeit die Entfaltung des Individuums an die Erhaltung der Umwelt gebunden ist, wird im Frieden die Existenzerhaltung des Individuums zur Grundvoraussetzung für seine Entfaltung. Zugleich ist menschliche Existenz ohne Entfaltung, die zur Selbstverwirklichung des einzelnen gehört, in Frage gestellt. Sie schafft rückwirkend auch die Bedingungen für die Existenzerhaltung in einer sich ändernden Welt.

4. Sicherheit zwischen Identität und Vielfalt:

Sicherheit betrifft die Erwartung, in Zukunft angestrebte identitätsbildende Werte gegenüber potentiellen Bedrohungen aufrecht erhalten zu können, also eine Differenz zwischen Chance und Risiko. In einer sich dynamisch wandelnden globalen Risikogesellschaft treten immer neue Bedrohungen von Sicherheit in Erscheinung, was zu einer Erweiterung des Sicherheitsbegriffes um ökonomische oder ökologische Dimensionen führt.17 Grundsätzlich stellt sich die Frage, wer Sicherheitsrisiken zu tragen hat und wer einen Nutzen hat, wer die Verursacher und wer die Leidtragenden sind, wer ein Risiko für wen als akzeptabel einstuft. Von besonderer Bedeutung sind die Kriterien der Identität, die es zu sichern und zu behaupten gilt. Die Antworten können höchst unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob sich die Identifikation auf die Person, eine soziale Gruppe, die Nation oder die ganze Welt bezieht. Während die globale Krise zur Auflösung sozialer Bindungen und damit zum Verlust von Identitäten führt, was oftmals Gewalt provoziert, zielen Frieden und nachhaltige Entwicklung auf die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Identitäten. Vielfalt der Identitäten ist eine Voraussetzung um die Dominanz einer »Mono-Kultur« (etwa der westlichen) zu verhindern und mittels Durchmischung das Entstehen von Feindbildern zu vermeiden.

5. Kooperative Konfliktlösung als schöpferisches Prinzip:

Konfliktpotential sei hier verstanden als ein Spannungsgefälle zwischen angestrebtem Bedürfnisziel und dem tatsächlich erreichten Wert. Die Überbrückung dieser Differenz (die Bedürfnisbefriedigung) ist Anlaß zum Handeln. Das Konfliktpotential kann durch erfolgreichen Mitteleinsatz, aber auch durch Rücknahme des Bedarfs abgebaut werden. Es wird deutlich, daß nachhaltige Entwicklung, die auf die gleichberechtigte Herstellung von Gleichgewichten zwischen Bedürfnissen und vorhandenen Ressourcen zwischen mehreren Akteuren zielt, ein wesentlicher Beitrag zur kooperativen Konfliktvermeidung und -lösung sein kann. Um die Konflikte, die bei der Implementierung nachhaltiger Entwicklung selbst auftreten können (Konflikte zwischen Werten, gesellschaftlichen Gruppen, Staaten und Generationen), zu bewältigen, ist ein Verhandlungsprozeß anzustreben, in dem die beteiligten Akteure über ihre Interessen, die verfügbaren Ressourcen und Mittel und die Strategien zum Ausgleich im Sinne der oben beschriebenen fünf Konzepte verhandeln können. Durch die Beschränkung auf konstruktive Konfliktmittel würden zuvor schlummernde geistige und physische Potentiale zur Problemlösung freigesetzt; Konflikte könnten dann als das von Dahrendorf einst angesprochene »fruchtbare und schöpferische Prinzip« dienen.18

6. Die Zukunft hier und heute gestalten:

Um die globale Krise in den Griff zu bekommen und den Menschen der Zukunft eine lebenswerte Welt erhalten zu können, muß jetzt gehandelt werden. Der heute noch bestehende Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum darf für zukünftige Generationen nicht verloren gehen. Daher müssen Wege gefunden werden, Optionen zu erhalten oder neue zu schaffen. Irreversible Fehlentwicklungen, bei denen Zukunftschancen für immer verloren gehen, müssen vermieden werden, etwa der Verlust von Arten und Wäldern, die Ausbreitung von Wüsten, die Überschwemmung von Küstenregionen oder die Freisetzung langlebiger Radioaktivität. Die Nutzung natürlicher Ressourcen darf ihre Regenerationsrate nicht überschreiten. Auf allen Ebenen müssen nachhaltige gesellschaftliche Strukturen geschaffen werden, die nicht nur die Stabilität der Ökosphäre garantieren, sondern selbst stabil sind gegenüber den Turbulenzen der Zukunft. Von besonderer Bedeutung ist die Schaffung eines nachhaltigen Rechts, das zukünftigen Generationen Garantien gegenüber Machtwillkür und Gewalt bietet, sowie der Ausbau von konstruktiven und kooperativen Konfliktregelungsmechanismen, die nicht gleich unter dem ersten Ansturm zusammenbrechen. Eine gemeinsame Arbeit an Konzepten von Frieden und nachhaltiger Entwicklung, die auf breite Akzeptanz, Vermittlung und Überbrückung von Gegensätzen, auf Kooperation und auf die Lösung von Konflikten zielen, ist ein wesentlicher Beitrag zur Gestaltung der Zukunft.

Gestalten bedeutet jedoch nicht, daß der Mensch sich zum Manager über die »außer Kontrolle geratene Naturmaschinerie« erhebt und an ihren entscheidenden Knöpfen dreht, um eine Havarie zu verhindern. Eher meint Gestalten die Schaffung lebendiger Strukturen innerhalb der natürlichen Netzwerke, die einem dauerhaften Gleichgewicht von Werden und Vergehen, von Wollen und Können entsprechen. Mit der Natur handeln, statt wider sie lautet die Devise (Hans-Peter Dürr). Dies bedeutet auch, daß der Mensch dort, wo er lebt, verantwortlich handelt. In einem regional-partizipativen Ansatz können die individuellen Werte und Einflußmöglichkeiten, die spezifischen Gegebenheiten und Möglichkeiten einzelner Regionen weitaus besser entfaltet werden als in einem vorwiegend globalen Lösungsansatz, bei dem die Ohnmacht des Individuums übermächtig wird.

Anmerkungen

1) In Deutschland v.a. durch: BUND/Misereor (Hrsg.), Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Basel et al.: Birkhäuser 1996. Zurück

2) Der Begriff wurde geprägt durch M. Wöhlcke, Soziale Entropie, München: dtv, 1996. Zurück

3) I. Hauchler, Globale Trends 1996, Stiftung Entwicklung und Frieden, Frankfurt: Fischer, 1995. Zurück

4) Siehe die Kontroverse: H. Markl, Pflicht zur Widernatürlichkeit, Der Spiegel, Nr. 48/1995; H.-P. Dürr, Pflicht zur Mitnatürlichkeit, Der Spiegel, Nr.5/1996, S. 154-155. Zurück

5) Siehe die Synthese des ENCOP-Projekts an der ETH-Zürich in diesem Heft sowie die Synopse des Projekts über Umwelt, Bevölkerung und Sicherheit an der Universität von Toronto in T. Homer-Dixon, V. Percival, Environmental Scarcity and Violent Conflict: Briefing Book, University of Toronto, AAAS, 1996. Zurück

6) Siehe W. Bender, u.a., Energiekonflikte – Wird die Menschheit das Energieproblem friedlich lösen? Dossier 22, Wissenschaft und Frieden, 2/1996. Zurück

7) Im Rahmen eines vom Autor entwickelten mathematischen Modells kann das nachhaltige Verhältnis aus angestrebtem »Bedürfnisnutzen«, nachhaltiger Ressourcennutzungsrate, Wohlstands- und Risikoeffekt der Ressourcen und gesellschaftlich bedingtem Ressourcenanteil in einer Gleichung zusammengefaßt werden. Die fünf Variablen entsprechen den folgenden fünf Konzepten nachhaltiger Entwicklung. Siehe J. Scheffran, Modelling Environmental Conflicts and International Stability, in: R.K. Huber, R. Avenhaus (Eds), Models for Security Policy in the Post-Cold Era, Baden-Baden: Nomos-Verlag, 1996, S. 201-220. Zurück

8) V. Hauff (Hrsg.), Unsere gemeinsame Zukunft, Greven 1987. Der Begriff wird von verschiedenen Blickwinkeln u.a. beleuchtet in: P. Fritz, J. Huber, H.W. Levi, Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive, Stuttgart: S. Hirzel Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1995. Zurück

9) Siehe M. Kalinowski, Über den engen Horizont hinaus. Versuche zur Einbeziehung der Interessen zeitlich und räumlich weit entfernt Betroffener in die Technikfolgen-Abschätzung, Wechselwirkung Nr. 60, April 1993, S. 11-14; M. Kalinowski, Kriterien für Ganzwelt- und Zukunftsorientierung, Darmstadt, IANUS Arbeitspapier 3/1996. Zurück

10) Siehe hierzu die Diskussion in Forum Wissenschaft, 3/1994. Zurück

11) Damit verbundene Fragen werden auch angesprochen in J. Scheffran, Frieden und nachhaltige Entwicklung, in: W. Vogt, Kultur des Friedens, Beiträge zum UNESCO Programm »Kultur des Friedens« (in Vorbereitung 1996). Zurück

12) Zur Ideengeschichte siehe etwa das Sammelwerk D. Senghaas (Hrsg.), Den Frieden denken, edition suhrkamp, 1995. Zurück

13) BUND/Misereor 1996, a.a.O., Kapitel 4. Zurück

14) J. Galtung, Visionen einer friedlichen Welt, in: Senghaas 1995, S. 385-418. Zurück

15) E.-O. Czempiel, Der Friede – sein Begriff, seine Strategien, in: Senghaas 1995, S. 165-176, hier S. 170. Zurück

16) Siehe W. Bender, Erhaltung und Entfaltung als Kriterien für die Gestaltung von Wissenschaft und Technik, IANUS-Arbeitsbericht 9/1991. Zurück

17) Zur Kritik des erweiterten Sicherheitsbegriffs siehe C. Daase, Ökologische Sicherheit: Konzept oder Leerformel? in: B. Meyer, C. Wellmann (Red.), Umweltzerstörung: Kriegsfolge und Kriegsursache, Frankfurt: edition suhrkamp, 1992, S. 21-52; L. Brock, Friedensforschung im Zeichen immer neuer Kriege, AFB-Texte 1/94. Zurück

18) Siehe R. Dahrendorf, Konflikt und Kontrolle im internationalen System, in: U. Nerlich (Hrsg.), Krieg und Frieden im industriellen Zeitalter, Beiträge der Sozialwissenschaft, Band I, Bertelsmann Verlag 1966, S. 310-320; Nachdruck eines Beitrags aus dem Jahr 1963. Zurück

Dr. Jürgen Scheffran ist wissenschaftlicher Assistent in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TH Darmstadt.

Das europäische Satellitenprojekt

Das europäische Satellitenprojekt

von Jürgen K. Bienlein

Am 20.und 21. September 1995 fand in Bonn ein Symposium „Satellite System for Security – a European Multi-User System“ statt. Die Tagung wurde organisiert von Eucosat (= European Control by Satellite), einer Interessenvertretung der Industrie. Tagungsort war das Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg. Vorliegender Bericht befaßt sich mit einem Symposium zum europäischen Satellitenprojekt. Diese Satellitenprojekt umfaßt im Endausbau zwei Satelliten mit optischen Sensoren, zwei mit Radar, zwei für Datenübertragung, dazu Leichtsatelliten für Sonderaufgaben und das zugehörige Bodensegment. Als Zweck wird Informationsbeschaffung für (militärische, humanitäre?) Einsätze in Krisengebieten genannt. Die Interessen der Industrie und der Militärs verschiedener Länder werden geschildert. Eine Bewertung aus der Sicht der Friedensbewegung sollte ein prinzipielles „Ja“ sein. Es soll der Hilfe für die Menschen in den Krisengebieten dienen. Zur Stärkung der begonnenen Vertrauensbildung müssen die Daten offen sein.

Vorbemerkung

Dieser Bericht ist keine Aufzählung der Vorträge. Die Sache ist stark interessengebunden. Diese werden aber nicht immer öffentlich geäußert. Man muß auf Zwischentöne hören. So ergibt sich ein Mosaik, das die Position des Autors widerspiegelt.

Das Projekt

Die Tagung beschäftigte sich nicht mit technischen Aspekten. Das (gegenwärtige) Projekt eines Systems von Aufklärungssatelliten in Europa wurde von Heinzmann (DASA) vorgestellt.

Die Architektur des Systems umfaßt folgende Satelliten und Zubehör:

  • Helios (opto-elektronische Sensoren),
  • Horus (Radar (SAR)),
  • DRS (data-relay satellite),
  • leichte Satelliten, die kurzfristig gestartet werden können, für besondere Aufgaben,
  • das zugehörige Bodensegment.

Die Grundlage des Entwurfs sind folgende Anforderungen:

  • globale Anwendung,
  • täglicher Update,
  • Fähigkeit zur Identifikation (d.h. 0.5m Auflösung),
  • Tag-Nacht und Allwetterfähigkeit,
  • Bildqualität nach Anforderung,
  • Lebensdauer acht Jahre,
  • Redundanz im Raum stationiert (d.h.: alle Komponenten doppelt),
  • Fertigstellung im Jahr 2005,
  • Datenübertragungsgeschwindigkeit 100 – 500 MHz.

Wer will dieses Projekt? Die treibende Kraft ist sicher Frankreich. Weitere Mitglieder werden gesucht. Deutschland will für den Radarteil die Systemführung. Wegen der erwarteten deutschen Anforderungen ist Allwetterfähigkeit vordringlich. Ferner hat die deutsche Industrie bereits Fähigkeiten dafür entwickelt.

Kosten: Darüber wurde auf der Tagung kein Wort verschwendet. Das ist wohl nur möglich wegen der alten Lebensweisheit: „Von Geld redet man nicht, Geld hat man.“ In den Medien werden Beträge zwischen 6 und 20 Mrd. DM genannt. Die Spannbreite rührt wohl daher, daß einmal ein Einstiegsprogramm, dann der Endausbau gemeint sind. Auf Deutschland dürften 30 bis 40% zukommen. Die Aufteilung auf die verschiedenen Ressorts ist noch nicht entschieden. Die Militärs haben betont, daß das System der Aufklärungssatelliten nicht nur für sie nützlich ist, d.h. sie wollen noch andere Finanzquellen heranziehen. In Frankreich bestehen auch finanzielle Engpässe.

Der Stand des Projekts

Im Mai 1994 hat die Bundesregierung entschieden, daß sich Deutschland prinzipiell an einem europäischen System von Aufklärungssatelliten beteiligen wird. Kanzler Kohl hatte Präsident Mitterand die Entscheidung für den deutsch-französischen Gipfel im Sommer 1995 versprochen. Der gegenwärtige Stand ist jedoch: noch keine Entscheidung.

Der vermutliche Grund für diesen Stillstand ist, daß die Firma Lockheed ein Angebot an Deutschland zu einem sehr günstigen Preis gemacht hat. Auf dem Korridor konnte man hören, daß das Angebot von massiven amerikanischen Werbemaßnahmen begleitet wird. In der Woche vorher ist der Präsident von Lockheed eingeflogen und der US-Botschafter hat ihm ein Essen gegeben. Ich weiß nicht, wer von deutscher Seite eingeladen war und wer gekommen ist. US-Politiker haben Briefe an Kanzler Kohl geschrieben. Die Sache ist also hochpolitischer als wir uns hatten denken können.

Die Eucosat-Tagung begann an einem Mittwoch. Am Montag vorher hatte MdB Dr. Rose (CDU, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses) zu einer Anhörung in Sachen Satelliten-Aufklärung in das »Wasserwerk« (ehem. Plenarsaal des Bundestages) geladen.

Der Stand der Dinge hatte Folgen für das Eucosat-Symposium auf dem Petersberg. Als Redner kamen statt der ursprünglich angekündigten Minister die Staatssekretäre (Außenamt: von Plötz, BMVg: Schönbohm, BMWi: Lammert (Koordinator der Luft- und Raumfahrt)). Bundestagsabgeordnete waren nur vier angekündigt. Der After-dinner-speaker war der Präsident des BDLI. Das Gerücht besagte, daß ursprünglich Kanzler Kohl diese Rede übernehmen wollte.

Wann wird die Entscheidung fallen? Deutschland sagt: in absehbarer Zeit; Frankreich: eventuell auch ohne Deutschland anfangen. Die Probleme liegen klar auf der Hand: a) Finanzierung in Deutschland und Frankreich, und b) muß mit den USA ein Deal gefunden werden.

Die Interessen der Industrie

Die Industrie macht alles, was Geld bringt (wir sollten das nicht in Pausch und Bogen verdammen): Aufklärung für Militärs, Verifikation für Abrüster, Beobachtung von Naturkatastrophen für den Zivilschutz. Man hört, daß ein US Satellitensystem ein „Geschäftsvolumen von 4 Mrd.$“ hat. Und die Industrie weiß, daß nur der Wehretat groß genug ist, um ein solches Projekt zu ermöglichen.

Die Interessen des französischen Militärs

Sie nennen als Grund die Unabhängigkeit von den USA. Diese haben nie die volle Information herausgegeben. Diese Klage ist auch von deutschen Militärs bekannt.

Nicht zu überhören war im September 1995 der französische Stolz auf den erfolgreichen Start des Helios-1a Satelliten am 7. Juli 1995, „der erstmals die Vorherrschaft der USA und Rußlands gebrochen hat“.

Die Interessen des deutschen Militärs

Hier halte ich mich eng an den Vortrag von Staatssekretär Schönbohm. Deutschland spiele seit der Vereinigung eine neue Rolle. Es hätte eine neue Handlungsfreiheit. Die Bundeswehr müsse sich an Friedensmissionen beteiligen, vornehmlich in Europa und seiner Peripherie. Auch wenn es im Moment keine existenzgefährdende Bedrohung Deutschlands und Europas gibt, beobachteten wir ein breites Spektrum potentieller Krisen und Konflikte. Die entscheidende Frage wäre der Zeitpunkt des Einsatzes. Die Streitkräfte werden strukturell diesem neuen Aufgabenspektrum angepaßt. Krisenreaktionskräfte sollen verlegbar sein in 3 bis 7 Tagen zum kleinen Teil und in 15 bis 30 Tagen in der Masse.

Wir müßten die Voraussetzungen für nationale Handlungs- und -entscheidungsfähigkeit schaffen. Die Führung der Krisenreaktionskräfte sollte in nationaler Zuständigkeit erfolgen. (Das ist konfliktträchtig. Die USA wollen Streitkräfte nur schicken, wenn sie den Oberbefehl haben. Und überhaupt: wie soll ein multinationaler Einsatz funktionieren, wenn jede Nation in eigener Zuständigkeit führt? d.Verf.). Indikatoren krisenhafter Entwicklungen müßten rechtzeitig gewonnen werden. Insgesamt bestehe ein erheblicher Informationsbedarf zur Lagefeststellung, zur lageangemessenen Entscheidung und zur Führung von Operationen in einem entfernten Einsatzraum. Die Deckung dieses Informationsbedarfs sei nur durch ein System aufeinander abgestimmter Teilsysteme möglich. Raumgestützte Aufklärung sei dabei von herausragender Bedeutung.

Es handele sich nur zum Teil um Informationsbedarf der Streitkräfte und des BMVg. Die deutschen Interessen ergeben sich aus einer ganzheitlichen Betrachtung politischer, wirtschaftlicher und militärischer Faktoren, d.h. sie sind ressortübergreifend. Neben den sicherheitspolitischen Interessen sind die wirtschaftspolitischen zu nennen: Spitzentechnologie, Strukturbereinigung in der europäischen Raumfahrtindustrie sowie Kommerzialisierung der europäischen Satelliten. Aus den operativen Interessen ergeben sich die Anforderungen an das Satellitensystem, u.a. der gesicherte Zugriff auf die Rohdaten, und an eine zwischenstaatliche Realisierung.

Die Interessen der anderen europäischen Länder

Die kleineren europäischen Länder nehmen, soweit erkennbar, eine abwartende Haltung ein. Vielleicht besteht ein Interesse in Italien und in Spanien, die beide schon bei Helios-1 mitarbeiten. Großbritannien scheint z.Z. kein Interesse an einem euroäischen Aufklärungssatelliten zu haben. Die Briten haben wohl ausreichenden Zugang zu den amerikanischen Informationen.

Bewertung

Wie können wir, die wir aus der Friedensbewegung kommen und die Erfolge der Satellitenaufklärung für die Verifikation von Rüstungskontrollverträgen gesehen haben, das geplante System bewerten?

  • Ein Satellitensystem ist, wie jedes technische Gerät, ambivalent. Erst beim Gebrauch durch den Menschen kann es zum Nutzen dienen oder aber zum Verderben. Die Ambivalenz wird sichtbar in unterschiedlichen Merkmalen (z.B. Genauigkeit, Redundanz, Übertragungsrate, Verschlüsselung, Manövrierbarkeit, Überlebensfähigkeit, Anordnung der Bodenstationen und den Kosten) militärischer und ziviler Systeme.
  • Eine europäische Eigenständigkeit bei einer Schlüsseltechnologie, Satellitenbau und Erdbeobachtung, scheint mir unerläßlich. Europa ist ein Wirtschafts- und Lebensraum, größer als die USA und Rußland, selbst als die ehemalige Sowjetunion. Wir möchten unsere kulturelle Vielfalt und unseren Lebensstandard halten. Eine auf dem Petersberg geäußerte Befürchtung war, daß die USA Einfluß nicht mehr über militärische Präsenz, sondern durch technologische Überlegenheit ausüben.

Die beiden Grundfragen:

  • Soll man sich um alle Probleme irgendwo in der Welt kümmern? Meine Meinung ist: Ja. Wir erleben seit einigen Jahren die rasche Globalisierung. Sie wird ermöglicht durch Fortschritte in der Transport- und Kommunikationstechnologie. Im Tourismus erfreuen wir uns ihrer, in der Wirtschaft spüren wir sie durch zunehmende Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer. Die Folgen der Globalisierung werden damit nicht zu Ende sein. Das prinzipielle Ja muß natürlich mit unseren Möglichkeiten gewichtet werden.

Wenn man sich um weltweite Probleme kümmern soll und will, braucht man die nötigen Informationen. Ein satellitengestütztes Aufklärungssystem ist heute eine wichtige Komponente. Aber: Zu allen gegenwärtigen Krisengebieten habe ich Vorträge gehört, wonach das Geschehen voraussehbar war, und zwar ohne Satelliten, nur aus der Kenntnis des Landes. In Pausengesprächen erfuhr ich dann, daß Sachbearbeiter die Möglichkeiten von Satelliten realistischer einschätzen.

  • Wie soll man sich kümmern? Die Krisen sind sehr unterschiedlicher Art. Um helfend einzugreifen, stehen Militäreinsätze und humanitäre Hilfe zur Verfügung. Inzwischen haben wir leider genügend Erfahrung, um die Grenzen beider Methoden zu erkennen. Die Diskussion, wie hier vorzugehen ist, darf nicht den Militärs alleine überlassen werden. Die Friedensbewegung muß sie aktiv und jetzt führen. Die Art des Vorgehens bestimmt natürlich auch viele technische Einzelheiten (und den Preis!). Ein Vortrag über die Arbeit des WEU Bildauswertezentrums in Torrejon/Spanien hat nützliche Anwendungen aufgezeigt.

Wie ist die Lage?

Frankreich scheint mir eindeutig auf militärische Lösungen zu setzen. Ich persönlich habe eine existentielle Angst vor den »neuen deutschen Aufgaben«. Der 2. Weltkrieg steckt mir noch zu sehr in den Knochen (um ein Wort der Umgangssprache zu benutzen, das aber den Sachverhalt richtig beschreibt). Das deutsche Vorpreschen in der Anerkennung von Slowenien und von Kroatien war ein unguter Anfang für die Wahrnehmung der »neuen Verantwortung«.

Unser Ziel sollte sein, die beginnende Vertrauensbildung in Europa zu festigen und auszudehnen. Geheime Datensammlung und -auswertung läuft dem zuwider. Es nutzt nichts, wenn wir dann drei statt bisher zwei (Informations-)Supermächte haben. Deshalb meine klare Forderung: Das europäische Satellitensystem arbeitet nur mit offenen Daten.

Dr. Jürgen K. Bienlein ist Professor am DESY in Hamburg und Mitglied der Arbeitsgruppe CENSIS in der Universität Hamburg

Friedenswissenschaft in Nordrhein-Westfalen

Friedenswissenschaft in Nordrhein-Westfalen

von Hajo Schmidt • Christiane Lammers

Im Auftrag des Wissenschaftsministeriums NRW wurde an der Fernuniversität Hagen in Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF) eine Studie zum Stand der Friedenswissenschaften in NRW erarbeitet. Die Studie unterzieht sich der doppelten Aufgabenstellung einer genauen Bestandsaufnahme friedenswissenschaftlicher Forschung und Lehre an den nordrhein-westfälischen Hochschulen (Universitäten, Gesamthochschulen, Fachhochschulen) einerseits, der Entwicklung begründeter Konsequenzen und Empfehlungen andererseits.

Als (späte) Initialzündung für die nun vorliegende Studie kann das Bochumer Round Table-Gespräch »Friedenswissenschaft in Forschung und Lehre an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen. Erfahrungen und Perspektiven« gelten, zu dem das »Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht« der Ruhr-Universität-Bochum in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn am 20. Februar 1989 eingeladen hatte. In gleich mehrfacher Hinsicht nämlich knüpft vorliegende Studie an Intentionen und Erfahrungen dieser Tagung an:

  • Als bemerkenswert erschien den meisten TeilnehmerInnen der Veranstaltung die unerwartete Differenz zwischen den ihnen jeweils bekannten FriedenswissenschaftlerInnen und friedenswissenschaftlichen Lehr- und Forschungsangeboten und den sich auf Hochschulebene abzeichnenden tatsächlichen Zahlen/Quantitäten. Diese genauer zu bestimmen und nach Möglichkeit, aus Kooperations- wie Förderungsgründen, institutionell und namentlich zu erfassen, wurde mithin ein wesentliches Ziel dieser Studie;
  • Die von Prof. R. Meyers (Münster) damals vorgelegte Erhebung über das einschlägige politikwissenschaftliche Angebot vermittelte einen bis dato unbekannten ersten Eindruck von friedenswissenschaftlicher Forschung und Lehre an den nordrhein-westfälischen Universitäten und Gesamthochschulen (incl. manifester Defizite), der das Bedürfnis nach einer disziplinär (über die Politikwissenschaft hinaus) und institutionell (die Fachhochschulen einbeziehenden) erweiterten Bestandsaufnahme stimulierte;
  • Zahlreiche Einzeläußerungen wie die der anwesenden Wissenschaftsministerin vorgetragenen Planungen der Münsteraner Kollegen bezüglich eines »Zentrums für Friedenswissenschaft« als »Interdisziplinäre Wissenschaftliche Einrichtung für Konflikt- und Friedensforschung« bestätigten und bekräftigten das gewachsene Interesse an und die Erwartung einer stärkeren und innovatorischen Verankerung der Friedenswissenschaft – und nicht zuletzt auch einer stärker systematisch betriebenen Lehre – an den Hochschulen;
  • Nicht zuletzt erhofften sich die TeilnehmerInnen für die Zukunft (und vom Münsteraner »Zentrum«) einen organisatorischen und inhaltlich stimulierenden Nukleus der nordrhein-westfälischen Forschung, zumindest aber eine Fortsetzung der Zusammenkünfte der friedenswissenschaftlich Interessierten. Beide Bedürfnisse, da bis heute unbefriedigt, sucht die Studie, durch Fragebogen und Empfehlungen, zu berücksichtigen.

Weltpolitische Veränderungen

Was die Bochumer Veranstaltung naturgemäß nicht thematisieren oder auch nur voraussehen konnte, war, wie sehr die weltpolitischen Veränderungen im Gefolge der Auflösung des bisherigen Ost-West-Konflikts die deutschsprachige Friedenswissenschaft/Friedensforschung ihrer bisherigen Schwerpunkte berauben und für neue (wenn auch nicht immer ganz neue) Herausforderungen sorgen sollte. Das Entfallen der traditionellen Rüstungsdynamik-Problematik sowie der im Rahmen der Blockkonfrontation verbleibenden Konzeptionierung von Entspannung und Sicherheitspartnerschaft erlaubten und verlangten tiefer ansetzende Reflexionen über die Möglichkeiten positiver Friedensgestaltung wie die friedenspolitische Nutzung unverhofft gewonnener Freiräume. Die 1989/1990 bei Politikern wie FriedenswissenschaftlerInnen zu beobachtende Euphorie über sich bietende Chancen der Konzeptionierung einer dauerhaften europäischen oder gar globalen Friedensordnung wurde allerdings recht bald und nicht allein durch den Zweiten Golfkrieg auf den Boden der Realität (sprich: Realpolitik) zurückgeholt und mit einer Fülle bewaffnet ausgetragener Streitigkeiten oder struktureller Konflikte konfrontiert.

„So sind im Schatten der Auflösung der Ost-West-Konfrontation und des globalen ideologischen Blockdenkens auf allen Ebenen Konflikte aufgebrochen, deren Austragungsformen dem eingeleiteten Entmilitarisierungs- und Abrüstungsprozeß zuwiderlaufen. Zugleich behindern sie die dringend gebotene Abwendung der sichtbarer werdenden ökonomischen und ökologischen Gefahren, die die Existenz der menschlichen Zivilisation, der Weltgesellschaft insgesamt bedrohen. Entscheidende Faktoren sind in diesem Zusammenhang: Die sich abzeichnende Verdoppelung der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2035, die Vervielfachung der ökologischen Belastungen (vor allem die sich abzeichnende Klimaveränderung), die zu erwartenden Auseinandersetzungen um Ressourcen (insbesondere Trinkwasser und Nahrung) und Energiequellen, die anhaltende Akkumulation von Reichtum in den Händen einer Minderheit der Weltbevölkerung, während eine große Mehrheit durch Not, Hunger und Krankheiten bereits täglich in ihrer Existenz bedroht ist. Das immense Wirtschafts- und Machtgefälle zwischen Nord und Süd, zwischen Osteuropa und Westeuropa, aber auch innerhalb der Wohlstands- wie auch der Armutsregionen selbst, verstärkt die gegenwärtigen ethno-nationalistischen und religiös-fundamentalistischen Widersprüche; dies führt zu einem Aufschaukeln der vorhandenen Konfliktkonstellationen. Millionen Menschen haben sich in den vergangenen Jahren auf die Wanderung begeben, um der Armut und dem Hunger, der Zerstörung ihrer Umwelt und den Folgen von Krieg, Bürgerkrieg und Unterdrückung zu entfliehen. Millionen werden folgen. Solange nicht die globalen Ursachen und Zusammenhänge dieser Entwicklungen ins Visier neuer Lösungsansätze genommen werden, werden die Zuwanderungswilligen vor allem als Belastung der Ökonomie der Gastländer wahrgenommen und als Feindbilder mißbraucht. Die neue Woge von Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus hat hier eine Wurzel.“ (Memorandum 1992: III)

Läßt sich schlagworthaft, im Rückgriff etwa auf die Feststellungen G. Krells (»Die klassische Friedens- und Sicherheitspolitik muß von der Ökologie- und Entwicklungsproblematik her neu definiert werden«, 1990: 24), V. Rittbergers (»… bedrohen die bisher unzureichend bearbeiteten Probleme der weltweiten Armut und Umweltzerstörung den internationalen Frieden«, 1994: 14), E. Bulmahns (»Die globalen Herausforderungen und die neuen Gefährdungen des Friedens erfordern eine grundlegende Neudefinition der Sicherheits- und Friedenspolitik«, 1992: 17) und vieler anderer von einem erforderlichen »Paradigmenwechsel« (Hauswedell) der Friedenswissenschaft der neunziger Jahre sprechen, dann stellt sich die Frage, ob die Friedenswissenschaft dies leisten kann. Zwei Befunde müssen hier pessimistisch stimmen.

Da ist zum einen die unbestrittene Tendenz, daß das friedenswissenschaftliche Forschungspotential weitgehend in außeruniversitäre Einrichtungen, zumal in die beiden Stiftungen des Öffentlichen Rechts, die »Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung« (HSFK) sowie das »Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg« (IFSH), abgewandert ist. Generell läßt sich sagen, daß „im Vergleich insbesondere mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien, den Niederlanden und den Skandinavischen Ländern Friedens- und Konfliktforschung in Forschung und Lehre an deutschen Universitäten nur sehr schwach repräsentiert sind …“ (Rittberger 1994: 14), was nicht zuletzt zu einem Mangel an qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchskräften führt. Es dürfte die Feststellung keine Vereinfachung sein, daß es institutionalisierte Friedensforschung an deutschen Hochschulen fast nur als Bereich bzw. Teilgebiet der Politikwissenschaft (Internationale Beziehungen) gibt. Schlimmer noch: Friedenswissenschaft als Friedenslehre gibt es gegenwärtig, deutschlandweit, weder als einen vollen Studiengang noch als einen festen Anteil in den Studien- und Prüfungsordnungen der Disziplinen und Ausbildungsgänge der Hochschulen (so auch das Ergebnis einer im Rahmen dieser Studie durchgeführten Recherche von Dr. D. Kinkelbur).

Ein zweiter negativer Trend ist darin zu sehen, daß möglicherweise die kurzzeitige Hoffnung nicht nur in der Politik, zu glauben, mit dem Ende des Ost-West-Konflikts seien die entscheidenden Probleme von Krieg und Frieden zumindest in der Ersten und Zweiten Welt gelöst, sich auf Bundesebene dahingehend durchgehalten und konkretisiert hat, daß die Förderung der Friedenswissenschaft und Friedensforschung durch den Bund bis Mitte der neunziger Jahre fortlaufend ausgedünnt und dann ganz eingestellt werden soll. Da hiervon nicht zuletzt die Sondermittel für Friedens- und Konfliktforschung der DFG betroffen sind, liegt hier eine manifeste Behinderung einschlägiger Forschung wie der Herausbildung eines kompetenten Wissenschaftlernachwuchses vor, von der nicht abzusehen ist, ob und inwieweit sie durch Maßnahmen einzelner Ländern kompensiert werden könnte.

<>Zur Lage in Nordrhein-Westfalen<>

Gewiß unternahm und unternimmt das Land NRW nicht unbeträchtliche Anstrengungen auf diesem Gebiet. Hierzu zählen vor allem, was Hochschulzugehörigkeit oder -nähe betrifft, die Errichtung, Etatisierung und/oder Förderung der Stiftung Entwicklung und Frieden e.V. (Bonn), des Instituts für Entwicklung und Frieden der Universität-Gesamthochschule Duisburg, der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn, des Instituts für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum, des Instituts für Entwicklungforschung und Entwicklungspolitik eben dort sowie des Bonn International Center for Conversion (vgl. MWF NRW 1993: 101ff). Außerdem hatte ja der Runderlaß der Ministerin »Betr.: Militärische Forschung« vom März 1991 dezidiert erinnert, daß die Gestaltung einer friedlichen Zukunft zentrale Leitperspektive von Forschung und Lehre der Hochschulen zu sein habe.

Unbekannt bzw. fraglich aber erschien uns, ob und inwiefern die angesprochene institutionelle und politische Unterstützung die Lage der Friedenswissenschaft an den Hochschulen – sowohl als anerkannter thematischer Bestandteil der Politik- und einiger anderer Wissenschaften wie als eines auf die inner- und zwischengesellschaftliche Pazifierung und Gewaltminderung bezogenen, disziplinenübergreifenden Wissenschaftsverständnisses – betrifft und beeinflußt. Über die generelle Frage: Wer lehrt und forscht friedenswissenschaftlich an den NRW-Hochschulen was und wie? hinaus wollten wir aus den dargestellten Gründen und auf NRW bezogen Genaueres wissen: Wie steht es hier mit der friedenswissenschaftlichen Agenda? Wie steht es hier um die (Möglichkeit der) Einheit von Forschung und Lehre, die faktische Realisierung der proklamierten friedenswissenschaftlichen Interdisziplinarität, um Versuche curricularer Einbindung bzw. grundständiger Entwicklung friedenswissenschaftlicher Angebote, kurz: um Rolle, Bedeutung, Selbstverständnis und Entwicklungsmöglichkeiten der Friedenswissenschaft an den Hochschulen dieses Landes?

Aufgaben, Anlage und Durchführung der Studie

Der im Februar 1994 an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen gestellte Antrag auf Förderung einer Studie »Zum Stand der Friedenswissenschaft, -forschung und -lehre an den Universitäten und Fachhochschulen Nordrhein-Westfalens« situiert sich im Kontext der vorgenannten realgeschichtlichen, wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Probleme und Herausforderungen.

„Die Studie soll Aufschluß darüber geben,“ heißt es im Antrag, „wie Friedensforschung und -lehre an den nordrhein-westfälischen Hochschulen – quantitativ wie qualitativ – integriert sind. Forschung und Lehre sollen hierbei getrennt untersucht werden. Die verschiedenen Profile der Hochschulen sollen berücksichtigt werden. Die unmittelbaren Untersuchungsergebnisse sollen als Grundlage für Überlegungen zur weiteren Förderung der Friedenswissenschaft in Nordrhein-Westfalen dienen. Die unterschiedlichen Anforderungen an die Friedenswissenschaft lassen es als notwendig erscheinen, daß sich die Studie sowohl auf die Entwicklung der Inhalte/Gegenstände des 'Fachs' bezieht als auch auf die Struktur der Hochschulforschung. Neben der Forschungsförderung ist die Frage der Curricula-Entwicklung, d.h. letztendlich also der Ausbildung personeller Ressourcen in den Friedenswissenschaften, ein wichtiger Gesichtspunkt der Studie.“

Entsprechend dieser Zielsetzung enthält die Studie einen analytisch-deskriptiven und einen empfehlend-präskriptiven Teil. Ersterer resümiert und dokumentiert, basierend auf der Auswertung von 69 Fragebögen von NRW-FriedenswissenschaftlerInnen sowie von 13 ergänzend durchgeführten Interviews mit derselben Klientel und getrennt nach Forschung und Lehre den Stand der Friedenswissenschaft an den Hochschulen des Landes zum Jahreswechsel 1994/95. Der Empfehlungsteil der Studie beruht auf demselben Daten- und Gesprächsmaterial sowie den Diskussionen und Schlußfolgerungen von Beirat und Verfasser/-in.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Was zunächst die Friedenslehre betrifft, so konzentriert sich diese stark auf die Universitäten Bochum, Bielefeld, Hagen, Köln, Wuppertal und Münster. Während an den Fachhochschulen friedenswissenschaftliche Lehrangebote fast ausnahmslos für angehende SozialpädagogInnen und -arbeiterInnen vorliegen, beteiligt sich an den Universitäten und Gesamthochschulen des Landes eine wachsende Zahl von Disziplinen an friedenswissenschaftlicher Lehre – in besonderem Maße allerdings die Politikwissenschaft und, mit Abstrichen, die Pädagogik. Inhaltliche Schwerpunkte liegen deutlich auf der Konfliktanalyse und Konfliktregulierung im Generellen und in internationalen Zusammenhängen sowie auf den innergesellschaftlichen Konfliktphänomenen insbesondere des Rechtsradikalismus. Aufgrund einer fast vollständigen curricularen Nichtberücksichtigung der Friedenswissenschaft erscheinen Rythmus und Häufigkeit der Lehrangebote als sehr beliebig und durch subjektives Engagement gesichert; lediglich an der Fernuniversität-Gesamthochschule Hagen gibt es in verschiedenen Fächern ein friedenswissenschaftliches Regelangebot.

Auch in NRW findet ein Großteil der Forschung außerhalb der Hochschulen statt; Forschungsschwerpunkte liegen örtlich gesehen, bei weitgehendem Ausfall der Fachhochschulen, in Bochum, Bielefeld, Köln, Duisburg und Wuppertal. Bei knappen Drittmitteln und der zunehmenden Beanspruchung der WissenschaftlerInnen durch Lehrverpflichtungen ist Friedensforschung eher noch abhängiger von der Eigeninitiative der Beteiligten als die Friedenslehre. Ist die Grundlagenforschung insgesamt schwach in der Friedenswissenschaft ausgebildet, so stammt der Löwenanteil friedenswissenschaftlicher Forschung wiederum aus der Politikwissenschaft, gefolgt von Pädagogik, Physik, Geschichte, Soziologie und Philosophie. Ausgenommen sind aus dieser Bewertung die Arbeiten innerhalb der ausgewiesenen universitären Forschungsinstitute. Die inhaltliche Schwerpunktsetzung verhält sich analog zu denen in der Lehre: Auch in der Friedensforschung steht die Bearbeitung der Bedrohungen und Konflikte auf globaler Ebene sowie die innergesellschaftlichen Konfliktfelder und Gewaltstrukturen deutlich im Vordergrund.

Generell schwach ausgebildet ist in der Friedenswissenschaft der Zusammenhang bzw. die Einheit von Forschung und Lehre. Interdisziplinarität ist weder in der Lehre noch in der Forschung nennenswert entwickelt und muß, abgesehen von einigen Ausnahmen, vorerst eher als Wunsch und Postulat denn als erlebbare Realität gelten.

Nicht zuletzt um diesen Mißständen abzuhelfen, empfiehlt die Studie zusätzlich zu der gezielten Förderung der fachübergreifenden, an Friedens-, Gewaltminderungs- und Gerechtigkeitsimperativen orientierten Forschung und Lehre die zumindest exemplarische universitäre Etablierung der Friedenswissenschaft als eigenständigen Studiengang sowie als transdisziplinäre, universitäre und fachhochschulische Orientierung, die ihre Lehrangebote in mehreren Studiengängen einbringen könnte.

Im ersten Falle dürfte eine gezielte Mittelzuweisung zu einer Konzentration friedenswissenschaftlicher Ressourcen, zur Verbesserung der Möglichkeiten interdisziplinären Arbeitens sowie zur Aufarbeitung inhaltlicher Desiderate und damit insgesamt zur nachhaltigen Integration einer multidisziplinären Friedenswissenschaft führen. Gezielte Mittel- und Stellenzuweisung würde im zweiten Falle die Grundlagen schaffen sowohl für die Herausbildung einer spezifischen Fachidentität wie für den Auf- und Ausbau einer solchen Friedenswissenschaft als attraktiver Friedenslehre: als disziplinärer Schwerpunkt etwa politik- oder sozialwissenschaftlicher Studien, als zertifizierbares Weiterbildungsangebot, als den Handlungs- und Praxisbezug akzentuierendes Zusatzstudium, als Nebenfach, schließlich als Hauptfach im Magister- und/oder Diplomstudium.

Zur Erreichung beider Zwecke verweist die Studie auf die Notwendigkeit und die institutionellen Möglichkeiten der Förderung von NachwuchswissenschaftlerInnen einerseits, der phantasievollen und unbürokratischen Nutzung landesweit vorhandener Potentiale andererseits: zeitweilige Abordnung von Lehrenden oder Austausch mit Deputatverrechnung, Lehraufträge, Lehr- und Forschungsnetze, das Einbringen von Teilen der Arbeitskapazität in bzw. das Umwidmen von Teilen des Lehrdeputats für friedenswissenschaftliche Arbeitszusammenhänge usw. In diesem Zusammenhang nennt der Empfehlungsteil eine Reihe sinnvoller und z.T. erprobter Handlungsmöglichkeiten und Tätigkeitsfelder für engagierte WissenschaftlerInnen und Hochschulen und verweist auf die Förderungsmöglichkeiten der Friedenswissenschaft – mittels Stiftungen, Fonds, Stipendien, Vereinsgründungen – durch gesellschaftliche Kräfte und Organisationen: Industrie und Wirtschaft, Gewerkschaften und Kirchen, Friedens- und andere politische Bewegungen.

Literatur

Bulmahn, Edelgard: Die Gesellschaft wird ihrer Zukunft beraubt. Die Bundesregierung dreht der Friedens- und Konfliktforschung endgültig 1995 den Hahn zu. In: Frankfurter Rundschau 204/2. September 1992, S. 17.

Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW (Hg.): Friedens- und Entwicklungsländerforschung. In: Forschung in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1993, S. 101-106.

Informationsstelle Wissenschaft und Frieden (Hg.): Friedenssicherung in den 90er Jahren. Neue Herausforderungen an die Wissenschaft (Memorandum 1992). Bonn 1992.

Rittberger, Volker: Exposé betr. Gründung einer Deutschen Stiftung für Internationalen Frieden. In: AFK-Rundbrief Nr. 2/94, S. 14f.

Prof. Dr. Hajo Schmidt ist Professor an der Fernuniversität Hagen (Arbeitsstelle Philosophie und Friedensforschung), Christiane Lammers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn und in der Redaktion von W&F.

Bewegung und Forschung

Eine Befragung zu den Erwartungen von Friedensbewegung an Friedensforschung

Bewegung und Forschung

von Redaktion

Das Verhältnis von Friedensforschung und Friedensbewegung ist vielschichtig und kompliziert. Abgesehen davon, daß man sicher nicht von der Friedensbewegung und der Friedensforschung sprechen kann, ist doch tendenziell festzustellen, daß sie sich eher auseinander entwickelt haben, als daß die Zusammenarbeit zwischen ihnen ausgebaut worden wäre. Wir fragten 16 exemplarisch ausgesuchte, größere überregionale Initiativen und Organisationen der Friedensbewegung nach ihrer Kritik, ihren Erwartungen, Anforderungen und Wünschen, die sie an die Friedensforschung bezogen auf Inhalt und Struktur haben. Die Antworten, die wir bekommen haben, werden im folgenden abgedruckt.

Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Deutsche Sektion (IPPNW)

Unsere berufsspezifische, international operierende Ärzte-Organisation ist geradezu angewiesen auf eine breite Expertise friedenswissenschaftlicher Forschung. Dieser Wissenschaftszweig sollte unbedingt ausgebaut werden; sowohl die öffentliche als auch die alternative Finanzierung sollte aufgestockt werden. Das breite Spektrum von etablierter bis utopischer Friedenswissenschaft ist unbedingt zu erhalten. Sie sollte sich mit der Grundlagenforschung befassen und möglichst präventive Vorgehensweisen erarbeiten. Die Friedensforschung in der Bundesrepublik müßte sich mehr international orientieren und ihre häufige Zentrierung auf die Bundesrepublik bzw. Europa vernachlässigen. Sie sollte versuchen, mit Selbstvertrauen die gesellschaftlichen Verhältnisse politisch mitzugestalten und selbstbewußt ihren politikberatenden Charakter ausbauen.

Komitee für Grundrechte und Demokratie

Die Friedensforschung ist auf den Hund gekommen

Die letzte »ami« (antimilitarismusinformation) hat es auf den Punkt gebracht: die Friedensforschung ist auf den Hund gekommen: 1994 wird der Etat für Hundefutter im Rüstungshaushalt höher liegen als der Gesamtetat, der für Friedensforschung zur Verfügung steht. Oder: wenn der Steuerzahler 13 Pfennige für Friedensforschung gibt, gibt er gleichzeitig (pro Jahr) 1.000,- DM für den Rüstungshaushalt. Kann man angesichts dieser Lage überhaupt viel von Friedensforschung erwarten?

Dennoch – natürlich hat »die Friedensbewegung« Erwartungen an Friedensforschung. Meine Erfahrungen in der Friedensbewegung mache ich seit über 10 Jahren bei Pax Christi, der Initiative »Kirche von unten« und nun beim »Komitee für Grundrechte und Demokratie«. Sprechen kann ich jedoch nur für mich, nicht für die Erwartungen einer ganzen Organisation.

M.E. sollte die Hauptaufgabe der Friedensforschung in der Auslotung der Möglichkeiten nichtmilitärischer und ziviler Konfliktbewältigung liegen. Dabei sollten sowohl die politisch-offizielle und institutionelle Ebene, aber auch die Ebene der Basisbewegungen, der Aktionsmöglichkeiten gesellschaftlicher Einflußnahme von unten eine Rolle spielen. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Ideen und Vorstellungen, aber sie sind oft noch nicht so weit entwickelt, daß sie bereits in größere Kreise von Politik und Gesellschaft hinein vermittelbar sind. Kritische Friedensforschung könnte in diesem Bereich die Vorschläge und Aktivitäten der Friedensbewegung unterstützen, untermauern und weiterentwickeln helfen.

Gleichzeitig muß kritische Friedensforschung aufpassen, daß sie sich nicht instrumentalisieren läßt – diese Gefahr ist gerade angesichts der Interventionsdebatte groß. Inzwischen bekommt man auf Podiumsdiskussionen schon ständig vorgehalten, daß doch die Friedensforscher auch großenteils für militärische Interventionen eintreten. Die Untermauerung neuer militärischer Interventionspolitik durch Friedensforschung hilft der Friedensbewegung natürlich nicht weiter, sondern wirkt extrem kontraproduktiv. Die »ultima-ratio«-Argumentationen von Friedensforschern zugunsten sog. humanitärer Militärinterventionen sind das Sprungbrett der Politiker für eine out-of-area-Politik von morgen, der es um ganz andere Interessen als humanitäre geht. Es gilt nicht zu erforschen, wie Kriege durch Kriege überwunden werden können, sondern wie neue Wege der gewaltfreien Bewältigung von Konflikten, Krisen und Kriegen gefunden werden können, und wie diese Möglichkeiten gesellschaftlich vermittelt werden können. Das ist – neben der Bearbeitung vieler wichtiger Einzelfragen und analytischer Arbeit – m.E. die wichtigste Aufgabe für künftige FriedensforscherInnen.

Bund für Soziale Verteidigung

Vier Themenbereiche erscheinen uns besonders wichtig:

  1. Europa: Während die westeuropäische Wohlstandsgesellschaft sich unter Führung der BRD anschickt, die militärische Absicherung ihrer Festung zu perfektionieren, gerät Ost-Europa mit zunehmender Geschwindigkeit in einen Macht- und Verteilungskampf, in dem Konfliktparteien immer häufiger militärische Gewalt als Mittel wählen, um Entscheidungen zu beschleunigen.
  2. Militär: Es gibt niemanden, der ernsthaft behaupten könnte, wir müßten uns zur Zeit militärisch verteidigen. Dieser Legitimationsverlust wird durch eine Ausweitung des Sicherheitsbegriffs und die Suggestion, der Militärapparat könne all diese Probleme lösen, aufzufangen versucht. Daß diese Omnipotenzphantasien vieler Militärs und Militärpolitiker völliger Quatsch sind, wird bei einem rationalen Austausch von Argumenten schnell deutlich. Man kann nunmal mit einem Düsenjäger das Ozonloch nicht stopfen, sondern nur vergrößern.
    Militärintervention zur Durchsetzung humanitärer Interessen, wird in dieser Diskussion zum neuen Generalargument; und auch hier zeigt sich bei näherem Hinsehen rasch, daß Militärs weder die beste Motivation noch die ausreichende Ausbildung, noch die richtigen AuftraggeberInnen und Strukturen haben, um tatsächlich effektive humanitäre Hilfe zu leisten oder auch nur durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sei ein hoher Bundeswehrsoldat in Somalia zitiert, der meinte, die Sachlage beim Ausladen von Lebensmitteln mit dem Satz „Wir sind nicht die Schauerleute der Nation“ klarstellen zu müssen. Nicht zuletzt wird die Rede vom Militär als letztem Mittel, der oft wie eine Heilslehre daher gebetet wird, zur Dauerlegitimation für Rüstungsausgaben. Wenn die Friedensbewegung dieses akzeptiert, gibt es keine vernünftige Begründung mehr gegen die Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit agierenden Militärmaschine.
  3. Ist die UNO nicht schon die Alternative? Der Weltsicherheitsrat baut die UNO zur Weltpolizei um. Die Mitglieder des Rates und ihre engen Verbündeten sind aber nicht eo ipso die Guten, sondern ein Teil des Problems. Aufgrund der Machtverhältnisse im Weltsicherheitsrat ist eine Intervention der UNO nur in kleinen Staaten denkbar; damit wird sie zum Herrschaftsinstrument der Metropolen.

Welche Alternativen lassen sich vorstellen?

Die Voraussetzung für die Entwicklung vielfältiger Strategien zur zivilen Konfliktaustragung ist das Nicht-Akzeptieren der Eskalationsleiter mit Krieg als letztem Mittel. Hier ist die Zielsetzung eine grundsätzlich andere als bei deeskalierenden Maßnahmen und Gewaltmindernden Mitteln. Krieg als letztes Mittel setzt immer ein Sieg-Niederlage-Denken voraus, während die Philosophie der Gewaltfreiheit eher mit einem Win-Win-Spiel zu vergleichen ist.

Nicht-militärische gewaltfreie Mittel: Vor die Bearbeitung dieser vier Themenfelder ist für den BSV die Frage zu stellen, welche staatlichen und nicht-staatlichen Möglichkeiten es gibt im außenpolitischen Bereich, die propagierte gewachsene Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland mit nicht-militärischen gewaltfreien Mitteln wahrzunehmen.

Im Bereich der Kirchen und Teilen der Friedensbewegung entsteht das Konzept des »Zivilen Friedensdienstes«, das als funktionales Äquivalent zum Militär ausgebaut werden soll. In diesem Zusammenhang sehen wir eine Reihe von relevanten Fragen an die Friedensforschung:

  1. Möglichkeit gewaltfreier und gewaltmindernder Außenpolitik
  2. Wirksamkeit von Embargo als politischem Druckmittel
  3. Delegation staatlicher Aufgaben im außenpolitischen Bereich an übergeordnete und untergeordnete Gremien Reformationsfähigkeit der UNO

Sollte die Friedensforschung ein Interesse an Ansätzen der Friedensbewegung haben, so wird sie vor allem die verschiedenen Aspekte der Diskussion um den Zivilen Friedensdienst wissenschaftlich begleiten müssen.

Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG/VK)

Die Friedensforschung sollte stärker auf die praktische Verwertbarkeit ihrer Forschungsergebnisse achten. Alternative Konzepte insbesondere zu militärischen Interventionen sollten interdisziplinär erarbeitet werden. Konkrete Erfahrungen von Initiativen und Organisationen z.B. in Jugoslawien sollten untersucht werden, und auf der Basis dieser Ergebnisse konkrete gewaltfreie Konzeptionen der Einmischung entwickelt werden, die für Organisationen der Friedensbewegung handhabbar sind.

Bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sollte die Friedensforschung die Verständlichkeit auch für Nicht-Fachleute stärker im Blickfeld haben.

Amnesty international

Zusammenhang zwischen Friedens- und Menschenrechtsarbeit

Amnesty international ist zwar keine Mitgliedsorganisation der Strukturen der »Friedensbewegung«, dennoch interessiert und beschäftigt uns der innere Zusammenhang von Friedens- und Menschenrechtsarbeit sehr. Dabei sind eine Reihe von Punkten von außerordentlicher Bedeutung und die Hilfe einer unabhängigen Friedensforschung, die sich damit beschäftigt, sinnvoll:

  1. Die Begründung von militärischen Aktionen, mit dem Argument des Schutzes der Menschenrechte und die damit zusammenhängende Frage der Zweck-Mittel-Relation (»Menschenrechte sind keine Munition«).
  2. Die Benutzung und der Mißbrauch von Menschenrechtsargumenten zur Polarisierung in ethnischen und Nationalitätenkonflikten.
  3. Die rechtzeitige zivile Einmischung zugunsten der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, um die Eskalation beginnender Krisen (die immer mit Menschenrechtsverletzungen verbunden sind) in Katastrophen zu verhindern, denen gegenüber nichts mehr getan werden kann.
  4. Die Stärkung des Instrumentariums, das dem vorbeugenden Menschenrechtsschutz dient, in internationalen Organisationen und Institutionen (UNO, KSZE, …).
  5. Die Stärkung der Zivilgesellschaft gegenüber einer Militarisierung von Gesellschaft und Außenpolitik, d.h., die Übersetzung von Menschenrechten in Bürgerrechte in jeder Gesellschaft.

Allein die Beschäftigung mit einem Katalog der vielen oft nicht gedachten oder angewandten Möglichkeiten nicht-militärischen Eingreifens in Konflikte wäre schon etwas, mehr jedenfalls als die Feststellung, daß es eben manchmal einen Konflikt zwischen Humanismus und Pazifismus gibt. Und für die eigenen Vorschläge sollte mensch dann auch laut werden und streiten – auch gegenüber PolitikerInnen der großen Koalition, die über die Gelder für die Friedensforschung bestimmen.

Netzwerk Friedenskooperative

Wer glaubt denn an den Weihnachtsmann?

Eine Wunschliste an die deutsche Friedensforschung müßte bei engagierten und betroffenen Menschen ziemlich lang werden. Schließlich sind die meisten rat- und hilflos gegenüber dem endlosen Greuel in Bosnien-Herzegowina, müde von der endlosen Diskussion um militärische »Lösungen«, wütend gegenüber dem offenbaren Unvermögen internationalen Krisenmanagements, einer von den G7 beherrschten UNO, die Kriegspartei wird, und einer Bundesregierung, die die Bundeswehr dazu benutzt, in Somalia den begehrten Sitz im Sicherheitsrat zu erfechten.

Aber wer glaubt denn an den Weihnachtsmann? Die Friedensforschungsinstitute werden die Frage, wie wir die Welt retten oder vielleicht die weitere Eskalation und Erweiterung des Krieges vor der eigenen Haustür (zuerst im Sandjak, der Vojwodina, in Mazedonien oder im Kosovo?) verhindern können, oder wenigstens erreichen, daß in der Bundesrepublik lebende Menschen nicht fürchten müssen, verbrannt zu werden, nicht stellvertretend für uns lösen – auch nicht mit mehr Geld, das ihnen jede/r wünscht. Als fachlich kompetente MitstreiterInnen für eine Veränderung politischen Handelns treten die ForscherInnen (noch) zu wenig in Erscheinung, während die sozialen Bewegungen sehr schwach geworden sind.

Mehr noch als die nie ernst genommene Politikberatung fehlen auch die kompetenten Analysen für sinnvolles Engagement von unten. Neben dem Frühwarnsystem, der Beobachtung und Warnung vor Konflikten, bevor geschossen wird, neben dem – nötigen – Fliegenbeinzählen der angehäuften Rüstungspotentiale, neben der Begleitung multilateraler Institutionen und den Ratschlägen, welche Konferenz und welche Maßnahmen auf der »hohen« politischen Ebene wünschenswert wären, fehlt also die Anstiftung zum Engagement von unten. Was können Gruppen, Städte, Organisationen, Kirchen im Konflikt, z.B. in Jugoslawien tun? Wo brennt es demnächst noch schlimmer, wenn wir uns nicht jetzt – und wie – engagieren? Wie können engagierte Menschen z.B. erfolgreicher als bisher die Rüstungsexporte, vielleicht zuerst in die Türkei – verhindern, und wie kann Friedensforschung dabei helfen? Kann die Forschung im Dialog mit Friedensgruppen einige der vielleicht naiven Vorschläge und Forderungen auf Nützlichkeit und Realisierungschancen abklopfen (z.B.: die Forderung nach einem Verzicht auf nationale Armeekontingente bei UN-Blauhelmen, also die persönliche Anstellung von Menschen bei der UNO für Aufgaben der Friedenserhaltung)?

Bundesarbeitsgemeinschaft für Friedens- und internationale Politik, Die Grünen

Wir als BAG Friedens- und internationale Politik haben einen großen Bedarf an friedenswissenschaftlicher Forschung. Wenn es darum geht, die Positionen zu den veränderten Bedingungen der Außen- und Sicherheits-, Entwicklungs- und Europapolitik zu entwickeln, sind Untersuchungen der kritischen Friedensforschung für uns Voraussetzungen dieser politischen Arbeit. Als ein Beispiel nenne ich die veränderte Rolle der internationalen Organisationen, von UNO über NATO und GATT, die in einer veränderten Welt sich selbst neu definieren und daher von uns neu verortet werden müssen.

So fordert die BAG durch die »Friedensdividende«, die im Zuge einer Abschaffung der Bundeswehr und der Umwidmung der Militärausgaben zu einem „Konversionsetat“ entsteht, u.a. die Friedenswissenschaft wieder stärker zu fördern. Wir sehen dabei allerdings große Unterschiede in der Verwertbarkeit friedenswissenschaftlicher Arbeitsergebnisse. Große, öffentlich geförderte Institute erarbeiten bei den gegebenen politischen Rahmenbedingungen (Abhängigkeiten der großen Parteien) Forschungsergebenisse, mit denen wir zum Teil wenig anfangen können. Als Beispiel: Wer, wie wir, die Abschaffung der Bundeswehr fordert, braucht keine Untersuchungen über »strukturelle Nichtangriffsfähigkeit«, sondern über die Operationalisierung einer kompletten Konversion der Bundeswehr. Nicht von ungefähr hat sich daher in den letzten Jahren beispielsweise als kritisches »linkes« Forschungsnetzwerk das Institut für Internationale Politik gegründet, das sich u.a. um solche Fragestellungen bemüht, das aber u.a. aus diesem Grund auch mit viel zu wenig Mitteln ausgestattet ist. Grundlagenforschung und tagespolitische Politikberatung sollten einander ergänzen. Die Form der Publikation sollte dem Publikationsmarkt überlassen bleiben und je nach Art der Veröffentlichung eine der bekannten Publikationsformen (Arbeitspapier, Buch-/Reihe, Zeitschriften) gewählt werden. Auch das setzt jedoch voraus, daß die finanziellen Mittel zur Produktion solcher Publikationen bereitgestellt werden.

Zu fördern sind Ansätze von Dokumentationszentren, die einen Überblick über die friedenswissenschaftliche Arbeit über die Publikationen hinaus geben.

Ohne Rüstung leben

Verstärkter Dialog zwischen Bewegung und Forschung

Zunächst einmal finden wir es gut, daß Friedensforschung nach der Meinung von Friedensbewegung überhaupt fragt. Denn eher ist es meist umgekehrt: Friedensbewegung berücksichtigt Ergebnisse der Friedensforschung in ihren Analysen und Folgerungen, ärgert sich über Friedensgutachten (wie das von 1993), freut sich über Stellungnahmen von Friedens- und KonfliktforscherInnen zum Friedensgutachten 1993. Erwartungen an die Friedensforschung haben wir folgende:

  • Verstärkter Dialog zwischen Friedensorganisationen und Friedensforschung (Runder Tisch 1x im Jahr).
  • Der politikberatende Teil von Friedensforschung sollte ausgebaut werden – gleichzeitig aber auch eine (Politik-)Beratung der Friedensorganisationen.
  • Friedensforschung sollte Konzepte entwickeln, mit denen Friedensorganisationen in der Lage sind, Aktionen/Kampagnen gegen bestimmte Rüstungsprojekte/out-of-Area-Einsätze/für die Abschaffung der Wehrpflicht/Bundeswehr unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen erfolgreich umzusetzen.
  • Friedensforschung sollte Pilotprojekte wie das »Balkan Peace Team« und den »Zivilen Friedensdienst« wissenschaftlich begleiten.
  • Friedensforschung sollte ihre Ergebnisse außerhalb der Friedensgutachten auch in 4seitigen Argumentationshilfen zu bestimmten friedenspolitischen Themen – gut aufbereitet – und für Laien verständlich – herausgeben – u.U. auch mit Pro- und Contra-Argumenten. Für diese »Argumente« könnten Friedensorganisationen als Mitherausgeber gewonnen werden.
  • Friedensforschung sollte in eigener Sache (Finanzierung) kampagnenmäßig öffentlich aktiv werden – indem anschaulich angezeigt wird, wieviel von einem 100,- DM Schein in die Friedensforschung, in die militärische Forschung usw. fließt.
  • Friedensforschung sollte »Runde Tische« zur Konversion initiieren sowie die Thematik »Rüstung/Rüstungsexport« im Verhältnis zum »Arbeitsplatzargument« für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten. (Vielleicht was für die »Argumente«-Reihe.)

„Eine Beerdigung zweiter Klasse“

„Eine Beerdigung zweiter Klasse“

Interview mit Dr. Peter Schlotter zur Zukunft der Friedensforschung

von Dr. Peter Schlotter und Achim Schmillen

Dr. Peter Schlotter ist langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt. Achim Schmillen (Redaktion »Wissenschaft und Frieden«) sprach mit ihm über Entwicklung, Strukturen und Perspektiven von Friedensforschung – insbesondere der HSFK – und über das Verhältnis zur Friedensbewegung.

Im folgenden Gespräch wollen wir drei Themenbereiche ansprechen. Das wäre zum ersten die Entwicklung der Friedensforschung in den letzten Jahren; der zweite Aspekt sind die Strukturen der Friedensforschung, also z.B. das Verhältnis zu den Universitäten; und ein dritter Aspekt soll sich auf die Beziehung zwischen Friedensbewegungen und Friedensforschung beziehen. Aber erst solltest Du mal kurz etwas zu Deiner Person und zu der HSFK sagen.

P. Schlotter: Ich bin seit 1974 an der HSFK. Damals war das Institut, das 1971 seine Arbeit aufnahm, noch in der Aufbauphase. Die Spannung zwischen denjenigen, die sich als »kritische Friedensforscher« verstanden und die viele Ansätze der marxistischen Diskussion aufgenommen hatten, und denjenigen, die sehr stark auf die Analyse zwischenstaatlicher Beziehungen orientiert waren, also das, was so die Linken die »traditionelle Friedensforschung« nannten, war noch sehr groß.

Das hatte viel damit zu tun, daß wir alle in der universitären Szene der späten 60er und frühen 70er Jahre sozialisiert wurden und deswegen natürlich auch sehr viel Lust hatten, grundsätzliche – zum Teil aber auch ideologisch aufgeladene – Diskussionen zu führen. Das hat sich im Laufe der späten 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre geändert, weil beide Positionen ihre theoretischen Prämissen stärker als früher in Frage gestellt haben. Darüber hinaus haben sich natürlich auch durch die unmittelbare Zusammenarbeit, zum Teil in den gleichen Forschungsgruppen, manche dieser Gegensätze abgeschliffen. Es hat sich in der Debatte über die »Nachrüstung«, bei allen Nuancen in der Einschätzung vieler Fragen und bei allen unterschiedlichen Zugängen, ein Konsens herausgebildet, der die Notwendigkeit der westlichen Reaktion in Frage gestellt hat; wobei als Grundposition von einem »Nuklearpazifismus« gesprochen werden könnte, ohne daß Nuklearwaffen in ihrer Abschreckungsfunktion generell von allen abgelehnt worden wären. Diese Position lag nicht auf der Linie dessen, was die Mehrheit in der Friedensbewegung vertreten hat, weil es keine »Weg mit ….«-Position war. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen haben mit den funktional unterschiedlichen Rollen von Wissenschaft und sozialer Bewegung zu tun.

Was die personelle Entwicklung angeht, so muß man selbstkritisch sagen, daß von Mitte der 70er bis Ende der 80er Jahre vor allem Frauen das Institut verlassen haben, aus vielerlei Gründen. Zum Teil waren es private Motive, die aber natürlich Reflex der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sind. Frauen sahen sich nicht in der Lage, die wissenschaftlichen mit ihren privaten und familiären Verpflichtungen zu verbinden. Es gab auch inhaltliche Gründe, die damit zu tun hatten, daß sich die HSFK im Gegensatz zum Beginn ihrer Tätigkeit stärker auf internationale Beziehungen mit den »männlichen« Themen Krieg, Abschreckung und Rüstung konzentriert hat und die innergesellschaftlichen Beziehungen und Konflikte eher etwas außer acht gelassen hat.

Der Personalbestand der HSFK ist nach dem anfänglichen Wachstum wieder geschrumpft. Das hatte damit zu tun, daß die Finanzmittel in den 80er Jahren nicht so geflossen sind, wie sie prognostiziert und versprochen waren. Es hat dabei gleichzeitig eine Konsolidierung stattgefunden, indem es gelungen ist, die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über sog. Planstellen aus dem Haushalt des Landes Hessen zu finanzieren. Jetzt, Anfang der 90er Jahre, haben wir einen Beschluß gefaßt, den Anteil der Wissenschaftlerinnen an der Gesamtzahl der Mitarbeiter der HSFK zu erhöhen. Wir haben in den letzten Jahren nur Frauen neu eingestellt, vor allem als »Nachwuchswissenschaftlerinnen«.

W&F: Wie war das denn vorher? War das wirklich so massiv, daß Ihr da gegensteuern mußtet?

P. Schlotter: Ja, das Problem ist, daß bis auf eine Kollegin nur Männer auf den unbefristeten wissenschaftlichen Planstellen sitzen.

W&F: Das heißt, Frauen haben praktisch nur befristete, projektbezogene Arbeitsverträge.

P. Schlotter: Ja, projektbezogene Arbeitsverträge oder halbe Planstellen mit der Möglichkeit für eine Promotion. Zur Zeit arbeiten 15 Wissenschaftler und 6 Wissenschaftlerinnen an der HSFK.

W&F: Gab es in den Jahren des NATO-Doppelbeschlusses oder zum Ende des Ost-West-Konfliktes nachvollziehbare Brüche oder Kurswechsel in bezug auf Arbeitsschwerpunkte in der HSFK? Kann man das sagen, oder ist das doch eher eine kontinuierliche Entwicklung?

P. Schlotter: Solche abrupten Kurswechsel haben wir nicht vorgenommen. Das geht schon aus praktischen Gründen gar nicht, weil in der Regel Drittmittelprojekte bearbeitet wurden, und auch die Planstellen in die Drittmittelprojekte involviert sind. Und jeder, der sich im Wissenschaftsgeschäft auskennt, weiß, daß man da gar nicht von heute auf morgen umsteuern kann. Es hat aber eine Veränderung stattgefunden. Die in den 70er Jahren stärker an Fragen der politischen Ökonomie orientierten Forschungsprojekte, die sich mit dem Verhältnis von Rüstung, Wirtschaft und Wirtschaftswachstum, mit Fragen des militärisch-industriellen Komplexes und ähnlichem beschäftigten, wurden in den 80er Jahren, abgesehen von kleineren Projekten zur Konversion, nicht mehr weitergeführt. Ich glaube aber, daß das kein Kurswechsel war, weil man das nicht mehr für wichtig hielt, sondern weil eigentlich niemand mehr einen großen wissenschaftlichen Ertrag darin sah, diese Forschung weiter zu betreiben.

Nachdem ich z.B. über die Beschaffung des Starfighters promoviert hatte und dann kleinere Arbeiten zum MRCA/Tornado veröffentlicht hatte, war mir klar, wie Rüstungsbeschaffungen laufen, so daß ich das auch nicht an jedem Waffensystem wieder neu exemplifizieren mußte. Das war natürlich insofern nachteilig, als man dann zwar weiß, wie so etwas läuft, andererseits aber natürlich in der politischen Debatte die Detailkenntnisse für den spezifischen Fall fehlen.

In den 80er Jahren haben wir uns sowohl aus inhaltlichen als auch politischen Gründen auf Fragen der Ost-West-Beziehungen und der Ost-West-Entspannungspolitik konzentriert. Das war natürlich auch der Reflex der Krise der Entspannungspolitik, wie sie sich in der sowjetischen Rüstung, im NATO-Doppelbeschluß, in Reagans Politik, in der Intervention Afghanistans oder der drohenden Intervention in Polen manifestierte. Die HSFK KollegInnen sahen sich politisch gefordert, auch wissenschaftlich die Entspannungspolitik der 70er in die 80er Jahre hinüber zu retten.

W&F: Auf dem letzten Colloquium der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) sagte Gert Krell in seinem Einführungsbeitrag unter anderem, daß auch die HSFK sich als Trägerin der Kritischen Friedensforschung verstehe. Er sprach das Spannungsverhältnis bezüglich des Politikberatungsbereiches an, welches so eine Art Dienstleistungsgewerbe sei. Wie geht die HSFK mit diesem Spannungsverhältnis um, wie löst sie diese Ansprüche ein? Macht sie jetzt kritische Politikberatung?

P. Schlotter: Ich möchte erst einmal etwas zu dieser Polarität oder Polarisierung Kritische Friedensforschung versus andere Friedensforschung sagen. Das war – wie gesagt – in vielem natürlich auch Reflex zugespitzter Debatten in den 70er Jahren. Ich erinnere mich, daß ein Produkt der kritischen, aber trotzdem auf politische Debatten orientierten Friedensforschung das »Anti-Weißbuch« gewesen ist, das 1974 erschien. Dieses Anti-Weißbuch wurde von dem damaligen Verteidigungsminister Leber und anderen als ein Produkt von Moskaus nützlichen Idioten abqualifiziert. Aber es war völlig »realpolitisch« auf die Debatte im Bundestag und in der Gesellschaft bezogen und keineswegs revolutionär oder antikapitalistisch. Zum Beispiel in der Kritik am MRCA, die wir – Ulrich Albrecht, Burkhard Luber und ich – dort geschrieben haben, argumentierten wir: Braucht man dieses Flugzeug? Was kostet dieses Flugzeug? Was stecken für Interessen dahinter? Und wir kamen dann zu dem Ergebnis: Man braucht es nicht. Aber das war nichts, was das politische System, wie es sich in der Bundesrepublik entwickelt hatte, transzendierte.

Es gab immer eine Richtung in der Friedensforschung, vor allem in den Studien über Probleme der »Dritten Welt«, die ihre Arbeit als Unterstützung von antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungsbewegungen verstanden hat. Aber spätestens mit dem Scheitern dieser Bewegungen bzw. mit der Einsicht in die begrenzten Möglichkeiten revolutionärer Umwälzungen haben sich diese ForscherInnen auf die Analyse und kritische Begleitung praktischer Politik umorientiert. Auch die Friedensforschung spiegelte damit die Desillusionierung wieder, mit der die hohen Erwartungen an die Veränderbarkeit der Welt durch eine tiefgreifende Ernüchterung ersetzt wurde.

Was die Frage der Politikberatung angeht, so sollte man nicht die Illusion haben, daß Wissenschaft die Politik wirklich beraten oder gar anleiten kann. Selbst diejenigen, die viel näher am politischen Prozeß arbeiten, wie z.B. die KollegInnen in der »Stiftung Wissenschaft und Politik«, sagen ja ziemlich ungeniert, daß der Einfluß ihrer Studien auf das, was in der Politik gemacht wird, minimal ist. In Ausnahmefällen mag das anders sein, wenn Forschungsergebnisse durch gute persönliche Beziehungen auf der Arbeitsebene von Ministerien in politische Initiativen eingehen. Wir haben uns immer verstanden als ein Institut, das neben der akademischen Forschung, orientiert am wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, die politische Debatte mit Beiträgen bereichern, die das politische Spektrum der Interpretationen erweitern will. Wir stellen in der Regel mit unseren »Reports«, mit dem »Friedensgutachten«, das mit den beiden anderen Instituten in Hamburg und Heidelberg herausgegeben wird, Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung. Wir haben auch Kontakte zur Beamtenebene in den einzelnen Ministerien, zu Abgeordneten, vor allem der SPD und vom Bündnis 90/Grüne, aber auch zu einigen der FDP und CDU. Aber letztlich bezieht sich das, was wir machen, auf die gesellschaftliche Diskussion, die Debatte in den Parteien, den Kirchen, den Friedensgruppen, Gewerkschaften, in Bildungssystemen, in der Erwachsenenbildung, Lehrerfortbildung und natürlich auf die Lehre im Universitätsbereich. Zwei der Forschungsgruppenleiter sind hauptamtlich an der Universität tätig, und fast alle MitarbeiterInnen nehmen Lehraufträge an Universitäten wahr.

W&F: Hat sich da irgendetwas geändert über die Jahre? Also haben sich da die Proportionen verschoben? Ist Politikberatung jetzt heute mehr oder weniger wichtig als zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses oder zu anderen Zeiten?

P. Schlotter: In den 70er Jahren war sicherlich das Institut stärker auf akademische Forschung hin orientiert, und in den 80er und 90er Jahren ging die Entwicklung mehr in Richtung Politikberatung, oder genauer ausgedrückt in Richtung auf Forschung, die auf die politische und gesellschaftliche Diskussion über Sicherheitspolitik bezogen war.

W&F: Habt Ihr einen interdisziplinären Forschungsansatz in der HSFK?

P. Schlotter: Wir haben den Anspruch, aber man muß leider sagen, es ist uns eigentlich selten gelungen, ihn wirklich einzulösen. In der Forschungsgruppe, die sich mit der Nicht-Weiterverbreitung von Nuklearwaffen beschäftigt, kommt eine Kollegin aus der Physik. Der interdisziplinäre Anspruch, den die Friedensforschung hatte und den sie ja auch weiter haben sollte, ist aus vielerlei Gründen nicht eingelöst worden.

W&F: Versteht Ihr Euch als reine Sicherheitspolitikwissenschaft?

P. Schlotter: Nein. Es sollte erst einmal geklärt werden, wie Sicherheitspolitik zu definieren ist. Wir haben uns in den 80er Jahren mit der traditionellen Sicherheitspolitik beschäftigt, im Sinne von Kritik der Abschreckung, Kritik der Rüstungspolitik, Vorschläge für eine andere Rüstungskontrollpolitik. Das war bezogen auf die große sicherheitspolitische Debatte in der Bundesrepublik seit Ende der 70er Jahre, die mit dem berühmten Satz von Egon Bahr: „Die Neutronenwaffe, eine Perversion menschlichen Denkens“ begann. Danach haben wir uns stärker auf Rüstungskontrolle, Abrüstung, Nicht-Weiterverbreitung, Entspannungspolitik, vertrauensbildende Maßnahmen, KSZE konzentriert. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und den sich damit entwickelnden neuen Problemen und Herausforderungen, Krisen und Konflikten haben wir das Spektrum der Arbeiten wieder erweitert. Der Anteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Rüstungskontrolle und Abrüstung beschäftigen, ist signifikant zurückgegangen zugunsten der neuen Fragestellungen Ethno-Nationalismus, nicht-militärisches Konfliktmanagement, Konfliktprävention und natürlich auch die Frage, ob in bestimmten Situationen auch eine Einmischung mit militärischen Mitteln erfolgen soll.

W&F: Du hast ja eine ziemlich klare Position bezüglich des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien vertreten. Kannst Du vielleicht einmal kurz schildern, wie in der HSFK so etwas diskutiert wird?

P. Schlotter: Zustandegekommen ist die Stellungnahme, weil einige Kollegen sich persönlich herausgefordert sahen, zu dem Krieg in Bosnien eine pointierte politische Stellungnahme vorzulegen. Verschiedene Papiere wurden vorgelegt, die sehr heftig und sehr kontrovers diskutiert wurden. Die Stellungnahme und der Report, die aus diesen Diskussionen hervorgingen, sind keine Meinungsäußerung der HSFK, sondern eine von Hans-Joachim Schmidt und mir. Sie beruht aber schon auf einem Konsens derjenigen, die an dem gesamten Report mitgearbeitet haben, und auf einem Konsens in der HSFK insofern, als niemand absolut dagegen war, daß wir beide diese Position in der Öffentlichkeit auch so prononciert vertreten. Es gibt keinen Report bei uns, der nicht ein bestimmtes Verfahren durchlaufen haben muß. Es wird eine Sitzung angesetzt (»WiKo«), an der jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter teilnehmen kann. Auf dieser Sitzung werden die Papiere ausführlich diskutiert und Empfehlungen für die Überarbeitung ausgesprochen. Im Endeffekt stehen aber natürlich der Autor oder die Autorin für das Papier inhaltlich gerade.

W&F: Autorisieren muß das niemand?

P. Schlotter: Nein. Die HSFK hat keinen Direktor, sondern einen Vorstand, der alle zwei Jahre aus dem Kreis der MitarbeiterInnen gewählt wird. Es gibt kein Prüfungsverfahren, aber jedes mit HSFK-Signum herausgegebene Papier muß eben inhaltlich durchdiskutiert werden. Insgesamt hat sich dieses Verfahren bewährt. Ich glaube, es ist bisher nichts aus der HSFK herausgegangen, in dem nicht gewisse Standards der Wissenschaftlichkeit eingehalten wurden.

W&F: Warst Du von der Reaktion auf Deine Stellungnahme zum Jugoslawienkonflikt überrascht? Oder über die Reaktionen auf das Friedensgutachten? Das letztere ist ja sowohl aus dem politischen Bereich als auch aus der Friedensbewegung ziemlich heftig kritisiert worden.

P. Schlotter: Ich finde die Kritik an dem Friedensgutachten, die aus der Friedensbewegung kam, unberechtigt, weil man nur einen Aspekt aus dem gesamten Gutachten herausgenommen hat. In dem Gutachten sind zum ersten Mal sehr deutlich auch die unterschiedlichen Positionen zur Frage militärischer Intervention thematisiert worden, und es wurde deutlich ausgesprochen, daß zwischen den Vertretern der Institute bzw. zwischen den Mitarbeitern der Institute kein Konsens darüber gefunden werden konnte, ob sich die Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien aus humanitären Gründen mit militärischen Mitteln einmischen sollten oder nicht.

Darüber gab es keinen Konsens, und die besonders heftigen Kritiker haben sich nur auf die eine Seite bezogen, die in dem Gutachten vertreten ist, und auf die andere nicht. Das finde ich unfair. Die Kritik an der Forderung in dem HSFK-Report, 100.000 UN-Blauhelme nach Bosnien zu schicken, war zu erwarten gewesen. Einiges von dem, was kritisch dagegen gehalten wurde, geht auch immer wieder in die Weiterentwicklung der eigenen Positionen ein. Manches an Kritik war vielleicht ein wenig überzogen. Ich habe damit keine Probleme, das gehört zur politischen Debatte. Auch ich habe – das will ich durchaus selbstkritisch sagen – vielleicht in der Präsentation ein wenig überpointiert bestimmte radikal-pazifistische Positionen kritisiert, was ich in der Form heute nicht mehr tun würde. Das war eine gewisse Überspitzung, wie auch die Gegenkritik eine Überspitzung war.

W&F: Du sagst, die HSFK will Politikberatung betreiben; auch wenn Du das insofern einschränkst, als daß Du sagst, daß der Einfluß auf der politischen Entscheidungsebene nicht sehr groß ist. Habt Ihr denn Ideen für eine Politikberatung für unten, also z.B. für die Friedensbewegung oder für Basisgruppen? Gibt es so ein Konzept?

P. Schlotter: Also, ich würde nicht sagen, daß der politische Einfluß von Wissenschaft generell gering ist. Er geht ja in der Regel nie direkt über diejenigen, die politische Verantwortung tragen, sondern er wirkt sich über die politische Debatte in der Gesellschaft aus, und die wiederum hat natürlich Rückwirkungen auf politische Entscheidungen. Es ist also eher eine mittelbare Einwirkung. Obwohl sicherlich ein Teil der Friedensbewegung der sog. etablierten Friedensforschung – etabliert, weil sie eben auch staatlich grundfinanziert wird und weil sie sich auch auf staatliche Außenpolitik bezieht – kritisch gegenübersteht, ist doch überhaupt nicht zu leugnen, daß viele der Thesen und viele der Einschätzungen der Friedensbewegung – z.B. Gleichgewichtsdebatte, die Nuklearfrage, Kritik der Abschreckung etc. – natürlich ganz fundamental auf dem beruht haben, was FriedensforscherInnen in den 70er Jahren geschrieben haben. Die HSFK ist ein Institut, das vom Land Hessen finanziert wird, d.h. letztlich bezahlt uns der Steuerzahler. Die HSFK ist ein wissenschaftliches Institut, unterliegt in entscheidenden Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Aber wir wollen auch politisch wirken. Die HSFK ist kein Institut, das von einer Partei oder Bewegung getragen wird. In dem Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaftlichkeit und dem Anspruch auf eine politische Wirkung mußten wir immer leben und werden wir immer leben müssen.

Gesellschaftliche und politische Gruppierungen, Kräfte und Organisationen können die Expertise der HSFK in Anspruch nehmen, sie können die Expertise der HSFK abfragen, sie können uns zur Beratung einladen. Das machen ja auch (fast) alle Parteien, Kirchen, Gesellschaften und die Friedensbewegung. Wenn die Gruppen in der Friedensbewegung Interesse an diesem oder jenem haben und uns nach einem Vortrag fragen, dann machen wir das.

Es gibt immer Veranstaltungen, auf denen Vertreter politischer Parteien erwarten, daß ein/e Friedensforscher/in das sagt, was die Einladenden schon immer meinen, und auch Friedensgruppen sind manchmal enttäuscht, weil sie denken, die Friedensforscher müßten doch genau die gleiche Meinung haben wie sie. Das ist nicht der Fall, und das ist auch gut so. Die Instrumentalisierung oder der Anspruch, Wissenschaft zu instrumentalisieren, sind keineswegs ein Ansinnen, das nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums angesiedelt ist.

W&F: Kommen wir zu den strukturellen Bedingungen. Du weißt ja, daß die Bundesmittel für die Friedensforschung gekürzt werden, ab 1996 sogar als eigenständiger Titel auslaufen und dann im Rahmen noch nicht näher spezifizierter Sonderprojekte weiterlaufen sollen. Aber letztendlich sieht es so aus, daß die Mittel perspektivisch gegen Null laufen.

P. Schlotter: Ja, das ist eine Beerdigung zweiter Klasse, kurzsichtig und blamabel für die Regierungskoalition.

W&F: Seid Ihr von diesen Kürzungen unmittelbar betroffen?

P. Schlotter: Unmittelbar nicht, da wir ja vom Land Hessen finanziert werden. Aber mittelbar natürlich schon, weil die HSFK bisher einige Forschungsprojekte über die DFG (Deutsche Forschungsgesellschaft) finanziert bekommen hat. Wenn diese Möglichkeit wegfällt, dann wirkt sich das natürlich mittelfristig negativ aus. Vor allem die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, was sicherlich eine ganz wichtige und zentrale Aufgabe unseres und wahrscheinlich aller Institute und aller Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland ist, wird davon betroffen sein. Darüber hinaus verschärft die allgemeine Verknappung der Mittel auf dem Wissenschaftssektor natürlich die Konkurrenz untereinander. Die HSFK erhält im hessischen Haushalt 1994, zumindest im Entwurf, weiterhin die Mittel, die sie auch im letzten Jahr zugewiesen erhielt. Und wir gehen davon aus, daß das weiter so bleibt.

W&F: Gibt es eine Einschätzung darüber, wie das Verhältnis zwischen diesem vom Land Hessen finanzierten Grundsockel und den Drittmittelprojekten ist?

P. Schlotter: Wir hatten in den 70er und Anfang der 80er Jahre manchmal sogar ein Verhältnis von der Hälfte Planmittel zu einer Hälfte Drittmittelfinanzierung. Das war eine ständige Zerreißprobe, weil die Stiftung eigentlich vorwiegend damit beschäftigt war, wieder neu Mittel einzuwerben. Das Verhältnis wurde dann auf zwei Drittel/ein Drittel heruntergefahren. Momentan liegt der Anteil der Drittmittel sogar noch niedriger. Wir werden das in den nächsten Jahren aber wieder ändern müssen, denn die Zuwendungen aus dem Etat des Landes Hessen werden natürlich nicht steigen. Im Gegenteil, es wird immer mehr auf ein Einfrieren hinauslaufen. Da machen wir uns keine Illusionen. Das heißt, wir müssen wieder stärker in den Drittmittelbereich gehen, auch um neue Kolleginnen und Kollegen an die Stiftung zu binden.

W&F: Also meinst Du, daß auch über die Deadline 1996 hinaus noch Perspektiven für die HSFK und für die anderen Institute vorhanden sind?

P. Schlotter: Was die HSFK angeht, gibt es keinerlei Signale, die andeuten, daß die Unterstützung für das, was die Stiftung macht, bei den Fraktionen des Hessischen Landtages abnähme.

W&F: Gibt es an der HSFK so etwas wie Visionen, welche Strukturen Friedensforschung zur Jahrtausendwende haben sollte? Was schwebt Euch für die 90er Jahre vor?

P. Schlotter: Man wird realistisch davon ausgehen müssen, daß in den nächsten Jahren die Mittel real weiter schrumpfen. Selbst wenn es 1994 zu einem Regierungswechsel in Bonn kommen sollte, ist damit noch längst nicht ausgemacht, daß dann zum Beispiel wieder Sonderfördermittel aus dem Bundeshaushalt für die DFG zur Verfügung gestellt würden. Und selbst wenn das der Fall wäre, werden die Beträge sicherlich nicht übermäßig hoch sein. Ich denke, die einzige Chance, das wissenschaftliche Umfeld der institutionell gebundenen Friedensforschung weiter am Leben zu halten, liegt darin, die Forschung an den Universitäten zu Fragen und Problemen der Friedensforschung zu intensivieren. Ich glaube auch, daß man sich jetzt verstärkt den psychologischen Mechanismen, die zur Kriegsbereitschaft führen, widmen und wieder verstärkt den innergesellschaftlichen Dimensionen und Ursachen gewalttätigen Verhaltens zuwenden sollte. Ebenfalls sollte die Untersuchung der innenpolitischen Situation in den westlichen Ländern – Stichwort Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit, neuer Nationalismus – als auch in den Regionen, wo schon direkt Krieg geführt wird, in den Vordergrund gerückt werden. Ich denke z.B., es wäre gegenwärtig eine interessante Fragestellung zu untersuchen, inwieweit sich rechtsradikale Tendenzen und deren Verarbeitung im Parteiensystem sowie eine mögliche Veränderung der Parteienstruktur in Deutschland auf die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland auswirken werden.

Also, ich glaube, die innenpolitische Dimension wird wieder stärker ins Blickfeld geraten, nachdem man sich während des Ost-West-Konfliktes, zumindest was die HSFK angeht, doch etwas, vielleicht auch zu sehr, auf die Fragen der zwischenstaatlichen Interaktion konzentriert hat.

W&F: Also man könnte sagen: Außenpolitik ist Innenpolitik?

P. Schlotter: Nein, das würde ich nicht sagen, aber wir sollten anstreben, die Verschränkung zwischen Außen- und Innenpolitik stärker ins Blickfeld zu bringen.

W&F: Stichworte wie »Ängste vor Migration«, »Asylbewerber«, gleichzeitig »Abschottung der Grenzen«, all das würdest Du mit einbeziehen?

P. Schlotter: Ja, natürlich gehört das dazu. Gewiß hat die Außenpolitik schon ihren Eigenwert als Reaktion auf das Verhalten anderer außenpolitischer Akteure, aber die Verschränkung von Innen- und Außenpolitik und die innergesellschaftlichen tektonischen Veränderungen und Verschiebungen, die muß man sicherlich stärker im Blickfeld haben.

W&F: Das wäre dann ja schon eine Umorientierung. Seid Ihr denn jetzt auf so etwas vorbereitet, oder müßt Ihr dann alles umstrukturieren in der HSFK?

P. Schlotter: Mit den momentan an der Stiftung beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann man sich sicherlich wieder stärker auf innenpolitische Fragen konzentrieren. Das Problem, vor dem eine Institution mit einem festen Stamm von MitarbeiterInnen steht, ist: was macht man, wenn es darum geht, Expertisen über andere Regionen zu erstellen? Hier ist eine kurzfristige oder auch mittelfristige Umorientierung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schwer möglich. Also, was mich z.B. angeht: ich kann kein Serbokroatisch und werde es wahrscheinlich auch nicht mehr lernen. Entweder muß man dann über Workshops und Arbeitsgruppen die Regionalexpertisen einwerben und in die Forschungsergebnisse integrieren oder man muß die eine oder andere Forschungsgruppe neu aufbauen. Das geht aber nur mit neuen Kolleginnen und Kollegen.

W&F: Dann wäre eine andere Möglichkeit noch – das praktiziert Ihr ja auch mit dem Friedensgutachten –, eine Kooperation mit den anderen Instituten einzugehen. Wie siehst Du denn angesichts der Mittelkürzung die mittelfristige Zukunft? Wird es zu mehr Kooperation kommen oder eher zu mehr Konkurrenz?

P. Schlotter: Wenn man es genau nimmt, gibt es über die Zusammenarbeit bei dem Friedensgutachten hinaus keine Kooperation. Es gibt auch keine gemeinsamen Projekte, die wir bei der DFG oder anderswo beantragt hätten. Das ist sicherlich ein Nachteil und hat durchaus etwas mit der Fixiertheit auf das eigene Institut zu tun und mit der Konkurrenz, die zwischen Organisationen ganz einfach existiert. Um so wichtiger ist es, daß es zumindest eine gemeinsame Publikation – das Friedensgutachten – gibt. Eine konkrete Konkurrenz um knappe Mittel zwischen diesen Institutionen hat es meines Wissens aber nie gegeben. Dieses liegt u.a. an den unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten.

W&F: Es wird also nicht aufgrund der Mittelkürzung zu einer stärkeren Kooperation kommen?

P. Schlotter: Erstmal ist jede dieser drei Institutionen an der Weiterfinanzierung durch ihren Geldgeber orientiert. Die HSFK am Land Hessen, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) am Hamburger Senat und die Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft an der Evangelischen Kirche. Man muß selbstkritisch sagen, und das ist ein bißchen blamabel, daß in der Friedensforschung doch eher jede/r ihren/seinen eigenen Weg geht; dies gilt im übrigen auch für die universitäre Forschung. Es ist zwar so, daß zu Konferenzen, die in Hamburg veranstaltet werden, MitarbeiterInnen der HSFK eingeladen werden und umgekehrt. Aber es ist schon ein gewisses Armutszeugnis, daß nicht mehr zusammen gemacht wird.

W&F: Im anglo-amerikanischen Raum gibt es ja auch Möglichkeiten der Finanzierung über Sponsoren, daß zum Beispiel Industriebetriebe an solche Institutionen herantreten. Hat es so etwas schon mal an der HSKF gegeben?

P. Schlotter: Wir machen prinzipiell keine Auftragsforschung. Das ist u.a. durch unsere Satzung verboten. Wir haben schon öfter versucht, einen Förderkreis der hessischen Friedensforschung auf die Beine zu stellen, in dem Gewerkschaften, Banken, Industrie, Kirchen und reiche Leute zusammenkommen und einen Fonds zur Verfügung stellen, mit dem Aktivitäten finanziert werden können, für die es im Wissenschaftsbetrieb kein Geld gibt. Aber das ist uns nie gelungen. Gerade bei denen, die das Geld haben, war keine Bereitschaft zu großen Spenden vorhanden. Also Sponsoring gibt es bei uns nicht. Wenn es auch nur eine Firma wäre, die Sponsor wäre, hielte ich das auch für sehr problematisch, was die Unabhängigkeit der HSFK anginge.

W&F: Wie sieht denn die konkrete Zusammenarbeit zwischen Universität und der HSFK aus? Gibt es zum Beispiel Vorstellungen eines Aufbaustudiums oder so etwas, um den universitären Strang zu stärken? Seid Ihr konkret in Forschungen bzw. Lehraufträge eingebunden?

P. Schlotter: Ein Großteil der Forschungsgruppenleiter in der HSFK ist hauptamtlich an der Universität beschäftigt. Sie sind Professoren nebenamtlich an der HSFK tätig. Damit ist natürlich schon eine dichte Kooperation zwischen Universität und HSFK gegeben, obwohl auch da die Zusammenarbeit noch besser sein könnte. Darüber hinaus nehmen die meisten WissenschaftlerInnen regelmäßig Lehraufträge an hessischen Universitäten wahr. Es ist aber nicht so, daß die HSFK sich als ein Institut versteht, das für die universitäre Wissenschaft Curricula oder sonstiges entwickelt. Es gibt in der HSFK spezialisierte Expertisen zu einzelnen Themen, und dazu bieten wir an der Universität Lehrveranstaltungen an. Aber wir verstehen uns ganz bewußt auch nicht als ein Universitätsinstitut, was Methoden der Lehre entwickeln soll. Das ist die Aufgabe der WissenschaftlerInnen an der Universität.

W&F: Gibt es denn Bestrebungen, daß diejenigen Leute, die diese Schnittstelle zwischen Universität und der HSFK verkörpern, so etwas wie eine Forschungsrichtung Friedensforschung oder eine Art Aufbaustudium oder Zusatzstudium entwickeln?

P. Schlotter: Da müßte man die Kolleginnen und Kollegen direkt fragen. Meines Wissens gibt es an der Frankfurter Universität keinen Versuch, ein Curriculum Friedensforschung aufzubauen.

W&F: Kommen wir jetzt zum Verhältnis zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung. Du hast schon erwähnt, daß das Verhältnis zur Zeit ziemlich gespannt ist, z.B. durch die von Euch produzierten Studien zu bestimmten Konflikten. War das schon einmal besser? Wie hat sich das rückblickend entwickelt?

P. Schlotter: Dazu müssen ja erst einmal zwei Differenzierungen vorgenommen werden. Die eine bezieht sich auf die Friedensbewegung. Sie war, auch in den 80er Jahren, nicht so homogen, wie es im Nachhinein scheinen mag, wenn es auch gewisse Grundüberzeugungen bezüglich der »Nachrüstung« gab. Sie hat sich notwendigerweise erstmal an einem »Anti« gegen etablierte Politik orientiert. Was eine Gegenkonzeption, eine Alternative betraf, ging es ja schon damals ziemlich durcheinander. Und das Spektrum hat sich nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Ost-West-Konfliktes – Stichworte Golfkrieg und Jugoslawien – nochmals differenziert.

Genauso galt und gilt das natürlich auch für die Friedensforschung. Es ist immer ein Trugschluß, eine Mystifikation gewesen, zu sagen, alle Friedensforscher wären früher Pazifisten gewesen. Das war nie der Fall, es gab immer Leute, die die Meinung vertraten: In bestimmten Situationen kann nukleare Abschreckung – Abschreckung, natürlich nicht nukleare Kriegsführung – vertretbar sein. Es gab auch immer diejenigen, die sagten: In bestimmten Situationen brutalster Gewaltausübung und diktatorischer Herrschaft ist Gegengewalt zu rechtfertigen. Insofern ist die Debatte eigentlich gar nicht so neu. Und insofern ist es auch nichts Neues, wenn einige, unter anderem auch ich, die Auffassung vertreten: In bestimmten Situationen, wo ein Volk ausgerottet oder vertrieben werden soll, ist Gegengewalt legitimierbar, und die Staatengemeinschaft muß den Opfern mit militärischen Mitteln (selbstverständlich nur unter der Verantwortung der UNO) helfen.

Das Verhältnis zur Friedensbewegung war immer etwas gespannt. Das ist notwendig und auch gut so, weil die Friedensforschung eben nicht den Anspruch haben kann und auch nicht haben sollte, in allem und jedem die Position einer gesellschaftlichen Bewegung zu vertreten, zumal sich selbstverständlich in der Friedensforschung der Bundesrepublik auch die unterschiedlichen innergesellschaftlichen Positionen niederschlagen. Das führt dazu, daß zum Beispiel viele, wie auch ich, zwar dezidiert gegen die »Nachrüstung« plädiert haben, aber die für mein Gefühl etwas übertriebenen apokalyptischen Visionen – „mit jeder neuen Rakete rückt der Dritte Weltkrieg näher“ und „Nuklearkrieg ist gleich Auschwitz“ und „Auschwitz ist gleich Hiroshima“ und und ähnliches – nie mitgemacht haben, ganz zu schweigen von den sehr problematischen Denkkategorien, die diese Gleichsetzungen implizieren und auf die Dan Diner und Micha Brumlik erst kürzlich wieder aufmerksam gemacht haben.

Oder daß viele trotz der Kritik an der NATO auch schon damals die Frage gestellt haben, ob die Existenz von Atomwaffen in einem bipolaren Verhältnis nicht doch die Bereitschaft dämpft, Kriege unterhalb dieser Ebene zu führen. Und leider, muß man sagen, muß die Frage nunmehr bejaht werden. Kaum waren der nukleare Deckel und die Bipolarität weg, wurden konventionelle Kriege in Europa wieder möglich. Insofern müssen sich auch diejenigen, die in der Friedensbewegung aktiv waren, fragen, ob sie damals das eine oder andere nicht ebenfalls falsch eingeschätzt haben.

Nötig wäre, sowohl manche Einschätzungen in der Friedensforschung als auch die Politik in der Friedensbewegung im Lichte des Endes des Ost-West-Konflikts kritisch zu reflektieren und auf die gegenseitigen neuen Herausforderungen auch Antworten zu geben. Sie können – und müssen vielleicht – von den alten abweichen. Ich finde es deshalb schade und auch politisch verheerend, daß innerhalb der gesellschaftlichen Gruppierungen, die nicht militaristisch sind – und ich glaube, das kann man für alle FriedensforscherInnen und Gruppen in der Friedensbewegung sagen –, der Streit zum Teil mit größerer Heftigkeit geführt wird als die Auseinandersetzung mit denjenigen, die – unter der Hand oder auch offen – eine an einem traditionellen nationalen Interesse orientierte Außenpolitik vorbereiten. Also, die Bösartigkeit der Kritik, die manchmal vorgebracht wird, finde ich einerseits unberechtigt, andererseits auch politisch destruktiv, weil sie von der gemeinsamen Auseinandersetzung mit anderen und sehr gefährlichen Richtungen ablenkt. Aber es ist ja nun leider, eine alte linke und pazifistische Tradition, lieber die eigenen Auseinandersetzungen ums Detail bis zum letzten Blutstropfen durchzufechten, als sich darauf zu konzentrieren, sich mit dem eigentlichen Gegner argumentativ politisch auseinanderzusetzen.

W&F: Noch eine letzte Frage, dann wären wir fast am Ende: Begreift Ihr Euch denn noch als Teil der Friedensbewegung? Oder könnte man sagen: Braucht Ihr die Friedensbewegung?

P. Schlotter: Was heißt, ein Teil der Friedensbewegung? Wir sind erst einmal ein Forschungsinstitut, und MitarbeiterInnen des Instituts sind Mitglieder von politischen Parteien oder sind aktiv in bestimmten Friedensgruppen oder halten in ihrer beruflichen Position Vorträge bei Gruppen der Friedensbewegung und bei anderen.

Wir sind im Rahmen des in bürgerlich-liberalen Gesellschaften ausdifferenzierten Wissenschaftssystems ein Forschungsinstitut, das in Friedensbewegungen hineinwirkt und von Friedensbewegungen natürlich auch Impulse erhält. Diejenigen, die sich als gesellschaftliche Gruppierung in die Politik einmischen wollen, brauchen wissenschaftliche Gegenexpertise, auf die sie sich beziehen können; und diese braucht, wie in unserem Fall im Wissenschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland, die Finanzierung über die Gesellschaft in Form vorwiegend staatlicher Mittel. Sie braucht aber auch einen gesellschaftlichen Resonanzboden, der sie trägt und der sagt: Also, das, was ihr dort macht, mit dem stimmen wir in vielem nicht überein, aber im Prinzip finden wir es wichtig und gut, daß es Leute gibt, die nicht nur das wiedergeben, was die offizielle Politik will, sondern kritische Gegenexpertisen (auch im Detail) erarbeitet. Die akademische Forschung oder die universitäre Forschung kann das kaum leisten. Dort ist mehr Grundlagenforschung angesagt, und die Universität hat den vorrangigen Auftrag, Studentinnen und Studenten mit wissenschaftlichem Denken vertraut zu machen und auf das Berufsleben vorzubereiten. An einem Forschungsinstitut kann man viel eher ein politisches Problem, für das sehr viele Detailkenntnisse nötig sind, untersuchen und dann der Gesellschaft Gegenexpertisen zur Verfügung stellen. Insofern, denke ich, brauchen Friedensbewegung und Friedensforschung einander, und wenn die Friedensbewegungen die gesellschaftliche Unterstützung von Friedensforschung aufgäben, würden sie sich letztlich nur den Boden unter den Füßen wegziehen, auf dem sie selber stehen

Vielen Dank

Profil eines Instituts

Profil eines Instituts

Friedensforschung an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft

von Constanze Eisenbart

Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) ist ein wissenschaftliches Institut, das von den evangelischen Kirchen der Bundesrepublik Deutschland getragen wird. Es hat die Aufgabe, Probleme zu identifizieren und zu bearbeiten, die heute und in Zukunft für das Zusammenleben der Menschen sowie für dessen natürliche, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen von struktureller Bedeutung sind.

Die wissenschaftlich-technische Zivilisation ist in eine Krise geraten, in der sich die Frage nach der Rolle der Philosophie, der Theologie sowie der Einzelwissenschaften mit großer Dringlichkeit stellt. Von den Wissenschaften initiierte oder gesteuerte, von der Technik ermöglichte Zerstörungsprozesse bedrohen die Gleichgewichtszustände in der Natur und damit auch die Lebensbedingungen der Menschen. Die Wissenschaft ist heute zur Reflexion ihrer Folgen wie ihrer Grundlagen genötigt. Will sie sich nicht in unverbindliche Allgemeinheiten verlieren, dann kann sie das nur leisten, indem sie eingegrenzte Fragestellungen untersucht, die sie als paradigmatisch erkannt hat. Solche Fragestellungen haben häufig wissenschaftskritische Konnotationen; fast immer liegen sie quer zu den Forschungsvorhaben der traditionellen Wissenschaft. Deshalb bedarf es zu ihrer Untersuchung des dialogischen Zusammenwirkens verschiedener Disziplinen. Eine der Ursachen der heute überall beobachtbaren destruktiven Abläufe – wie sie etwa seit fünfundzwanzig Jahren in immer neuen Vorstößen vom Club of Rome beschrieben werden – liegt in der Aufsplitterung der weltverändernden Wissenschaften in hermetisch gegeneinander abgeschottete Einzelfächer und in der Partikularität ihrer Weltdeutungsversuche und Weltveränderungsstrategien. Diese Aufsplitterung kann nicht durch romantisch-vage Beschwörungen eines verlorenen „Ganzen“ überwunden werden. Die Wissenschaft selbst muß versuchen, in einem neuen Aufklärungsschub den Horizont einer geschichtlichen Wahrheit aufzudecken, der die Einzelwissenschaften in ihren Differenzen und ihrer Partikularität umgreift und ihren verborgenen Totalitätsanspruch sichtbar macht. Erst wenn sich die Wissenschaften ihrer Machtförmigkeit bewußt sind, können sie Instrumente zur Kontrolle und zum verantwortlichen Gebrauch dieser Macht entwickeln. Das kann ihnen nicht von außen oktroyiert werden; sie müssen sich in den Stand setzen, selbst glaubwürdige und stichhaltige Antworten auf diese säkulare Herausforderung zu finden. Es wird sorgfältiger Arbeit, gründlicher Debatten und langwieriger Adjustierungen bedürfen, die Wissenschaft zur Vernunft zu bringen. In der Zwischenzeit sollte ein kontinuierlicher Austausch zwischen einmal etablierten Wissenschaften eingerichtet und so weit auf Dauer gestellt werden, daß er den herrschenden Tendenzen zur unaufhaltsamen Spezialisierung Widerstand leisten kann. Die Wissenschaften sind zu machtvoll, als daß man sie unkritisch ihrer Eigendynamik überlassen dürfte.

Geschichte der FEST

Die FEST wurde nach 1945 von den Kirchen eingerichtet, weil jene Generation, die zwei Weltkriege und den Nationalsozialismus erleben mußte, die Erfahrung gemacht hatte, daß die Kirche in der Welt des 20. Jahrhunderts ihre Verantwortung nicht wahrnehmen kann, wenn sie sich in die Bastionen „machtgeschützter Innerlichkeit“ zurückdrängen ließ oder gar sich freiwillig in ihnen einrichtete. Zur Wahrnehmung von christlicher Weltverantwortung gehört es nach der Überzeugung der Gründer der Evangelischen Studiengemeinschaft, die Voraussetzungen und das Selbstverständnis der Wissenschaften zu klären, die Konsequenzen der wissenschaftlich-technischen Modernisierungsschübe für das politische, gesellschaftliche und geistige Leben der Menschen zu untersuchen und zu prüfen, welche Folgerungen sich für Gesellschaft wie Kirche daraus ergeben, daß in unserer Zeit christliche Traditionen mit globalen Veränderungsprozessen zusammenstoßen, die selbst das Ergebnis der Säkularisation ursprünglich christlichen Denkens sind.

Diese hier nur knapp skizzierten Einsichten führten die FEST schon in den 50er Jahren dazu, auch nach den Bedingungen von Frieden in einer Völkergemeinschaft zu fragen, die sich den zivilisatorischen, militärischen und politischen Konsequenzen der Erfindung und Anwendung von Nuklearwaffen ausgesetzt sah. Durch die Kernwaffen hatte die von Menschen auslösbare Zerstörungskraft eine neue Qualität gewonnen. Die Betroffenheit über diese Auswirkungen wissenschaftlicher Forschung brachte Physiker, Historiker, Völkerrechtler und Theologen im Rahmen der FEST zusammen. Sie veröffentlichten 1959 den Band „Atomzeitalter Krieg und Frieden“, der die vielzitierten „Heidelberger Thesen“ enthielt, eines der Gründungsdokumente des Arbeitsbereiches »Friedensforschung«, der dann Mitte der 60er Jahre fest etabliert wurde. Seine Ergebnisse liegen in den fünfzehn Bänden der „Studien zur Friedensforschung“ sowie in zahlreichen anderen Publikationen des Institutes und seiner Mitarbeiter vor.

Von grundlegender Bedeutung für das Projekt erwies sich die Rede, die Carl Friedrich von Weizsäcker 1963 in Frankfurt hielt, als ihm vom Börsenverein des deutschen Buchhandels der Friedenspreis verliehen wurde. Angesichts der unvorstellbaren Zerstörungskraft der Nuklearwaffen war der Weltfrieden – und das hieß für Weizsäcker die Verhinderung des großen Atomkrieges – zur Lebensbedingung in der Krise der wissenschaftlich-technischen Zivilisation geworden. Diese Einsicht wurde von ihm, vielleicht nicht zum ersten Mal, aber sicher zum ersten Mal mit solcher Klarheit, in Deutschland formuliert. Daß dieser Frieden aber nicht das goldene Zeitalter einleiten würde, ist eine Erkenntnis, deren Richtigkeit uns in den letzten vier Jahren täglich vor Augen geführt wurde, die jedoch der von Hiroshima und Nagasaki traumatisierten Welt der frühen 60er Jahre fast ketzerisch erscheinen mußte. Von programmatischer Bedeutung für jenen Typus von Friedensforschung, wie ihn die FEST seit nunmehr dreißig Jahren betreibt, waren auch die Entwürfe die Georg Picht, Wolfgang Huber und Heinz-Eduard Tödt in dem Bändchen „Was heißt Friedensforschung“ (1971) zur Diskussion gestellt hatten.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen wurde während der folgenden Jahre in intensiven Auseinandersetzungen und durch ständige Revision der Grundlagenpapiere als Alternative zu jenem überwiegend statisch verstandenen Friedensbegriff, wie ihn Völkerrecht und politische Wissenschaften lange Zeit bevorzugten, ein mehrdimensionales, dynamisches Modell zur Beschreibung friedensgefährdender und friedensfördernder Vorgänge entwickelt: Frieden wird als Prozeß zur Beseitigung von Not, zur Beschränkung von Gewalt, und zur Verminderung von Unfreiheit verstanden. Die frühe Einbeziehung ökologischer Gesichtspunkte führte dazu, daß in einer ganzen Reihe von Teilprojekten nach den Bedingungen und Restriktionen von Frieden in einem weltpolitischen Felde gefragt wurde, das nicht nur durch das Duopol der Supermächte bestimmt war sondern durch ein vierfaches Spannungssyndrom: den Ost-West-Gegensatz, die zunehmenden Nord-Süd-Auseinandersetzungen, die wachsende Zahl von Süd-Süd-Konflikten und die Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen in Folge der rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Die Kombination der dreigliedrigen Zielprojektion mit dem vierteiligen Analyseraster ergibt ein Bündel von Kriterien, an denen sich die Themen messen lassen müssen, die im Rahmen der Friedensforschung bearbeitet werden sollten. Die komplexe Struktur dieser methodischen Matrix spiegelt sich in keinem Projekt, das an der FEST in den letzten dreißig Jahren untersucht wurde und erst recht nicht in jedem Arbeitsergebnis vollständig wider. Aber sie bildet die theoretische Basis, vor der sich Auswahl und Behandlung der Einzelfragen, die untersucht werden, auch dann zu rechtfertigen haben, wenn sie sich jeweils auf einen bestimmten sachlichen oder regionalen Aspekt des globalen Spannungsfeldes konzentrieren.

Die Problemkonstellationen der modernen Zivilisation und die Strukturfragen der zeitgenössischen Wissenschaft entziehen sich weithin der Aufklärung durch Einzeldisziplinen; sie überlagern die traditionellen Fächergrenzen. Angemessen können sie deshalb nur im Gespräch zwischen verschiedenen Disziplinen bearbeitet werden. Das Postulat der Interdisziplinarität wird nicht immer so erfüllt, wie es den Idealvorstellungen entspricht. Interdisziplinäres arbeiten erfordert einen hohen Aufwand an Übersetzungsanstrengungen zwischen den Fächern und gelingt oft nur nach Jahren der Zusammenarbeit. Dazu kommt, daß die Kapazität des gesamten Institutes mit zwölf hauptamtlichen, vier nebenamtlichen und wenigen aktiven »korrespondierenden« Kollegiumsmitgliedern sehr begrenzt ist. Da im Bereich der Friedensforschung mit Schwergewicht im besten Falle sieben Einzeldisziplinen vertreten sind, ist die FEST auf eine breit gefächerte Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern sowie mit in- und ausländischen Instituten angewiesen. Über vielfältige Beratungstätigkeit ist sie außerdem mit kirchlichen, administrativen und politischen Praxisfeldern verbunden. Alle diese interdisziplinären Aktivitäten setzen voraus, daß jedes Mitglied des Teams ausreichend Spielraum für seine Spezialuntersuchungen hat. Interdisziplinarität ist nur möglich, wenn sie disziplinär sicher verankert werden kann.

Aspekte der Friedensforschung

In der Gruppe, die den Arbeitsbereich »Frieden« an der FEST koordiniert, sind zur Zeit die Fächer Politologie, Ökonomie, Soziologie, Philosophie, Ökologie, Geschichtswissenschaft und Internationales Recht vertreten. Es ist ein Prinzip der FEST, daß sich jeder Wissenschaftler sowohl an einem mehr theoretischen Projekt als auch an einem politikberatenden Projekt beteiligt. Daraus erklärt sich die Vielfalt und die Verschiedenheit der Themen, die gleichzeitig, allerdings mit sehr unterschiedlicher Intensität, im »Forschungsdesign« des Institutes präsent sind. Mit Grundlagen und Methoden befassen sich Vorhaben wie „Geschichte der Friedenstheorien“, „Intertemporale Allokation und Gerechtigkeit“ und „Index for Sustainable Economic Welfare – Calculations for EC-countries“. 1992 veröffentlichten Hans Diefenbacher und Ulrich Ratsch unter dem Titel „Verelendung durch Naturzerstörung“ ein Buch, das sich mit den Grenzen befaßt, an die Wissenschaft stößt, wenn sie die Politik über den Zusammenhang von Umweltschutz und Entwicklung aufklären will. Wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen hohem Problembewußtsein und dem Mangel an wirksamer Problemlösungspolitik? Muß sich nicht auch die Wissenschaft anders organisieren und artikulieren, wenn sie sich in die Lage versetzen will, die Politik über so komplexe Tatbestände zu beraten? Ein Arbeitsvorhaben, das sich mit „neuen Strukturen des Nord-Süd-Konfliktes“ beschäftigt, setzt ein mit Untersuchungen über die Konzepte von »Sustainable Development« und »Carrying Capacity«, in denen gefragt wird, ob und wie weit die Tragfähigkeit von Ökosystemen mit Hilfe von Modellen abgeschätzt werden kann. Eine andere Arbeitsgruppe, die sich mit der Partikularität und Universalität von Menschenrechten beschäftigen soll und die mit dem Arbeitsbereich »Kirche« an der FEST verflochten ist, wird vorbereitet. Die Koordinationsgruppe »Frieden« diskutiert in jedem Semester Probleme, deren Klärung ihr für die Arbeit an den Einzelprojekten als hilfreich erscheint. Beispiele aus den letzten Jahren sind: »Theoretische Aspekte von Territorialität« angesichts einer Situation, in der gleichzeitig das Konzept des souveränen Territorialstaates immer fragwürdiger und brüchiger wird und überall ethnische Einheiten nach eigener Staatlichkeit streben, oder die Frage nach „kollektiver Identität und kultureller Prägung“ in Gesellschaften und Regionen, in denen zwar viel von Multikulturalität geredet wird, in denen aber gleichzeitig der Haß gegen Andersartigkeit in Mord und Brandstiftungen ausbricht.

Seit 1987 veröffentlicht die FEST einmal im Jahr zusammen mit dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt ein „Friedensgutachten“. Die Federführung wechselt von Jahr zu Jahr; in der FEST liegt sie bei Friedhelm Solms. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hält sich die Welt nicht mehr im prekären aber doch relativ stabilen Gleichgewicht der »Mutual Assured Destruction« gehalten. Zwar ist sie vom Alpdruck des großen Nuklearkrieges zur Zeit befreit, wird aber zunehmend durch regionale Krisen und Kriege bedroht. Für die Friedensforschung stellen sich in dieser geschichtlich völlig veränderten Situation neue Fragen, aber auch alte Probleme in neuen Konstellationen. Die „Friedensgutachten“ nehmen Themen wie Reformen der Weltwirtschaftsordnung, Menschenrechte, Entwicklungsländer und Ökologie auf, fragen nach der Rolle der Weltreligionen, nach Migration und Asyl. Daneben werden die traditionellen Problemstellungen nicht vernachlässigt: Nonproliferation und Konvention über Chemiewaffen, der Bürgerkrieg im früheren Jugoslawien, der Friedensprozeß im Nahen Osten, die Konflikte im Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Das »Friedensgutachten 1992« enthielt eine offen ausgetragene Kontroverse zwischen den drei beteiligten Instituten über Legitimität und Legalität der Teilnahme von Bundeswehreinheiten an der militärischen Friedenssicherung im Rahmen der UNO. Mit der Veröffentlichung von drei unterschiedlich argumentierenden Diskussionsbeiträgen sollte deutlich gemacht werden, daß es in dieser Frage auch innerhalb der Friedensforschung stark voneinander abweichende Auffassungen und Bewertungen gibt.

In Arbeitsvorhaben, die unmittelbar, als erbetene Stellungnahmen, oder mittelbar der Politikberatung dienen, hat die FEST neben der Interdisziplinarität zwei einfache methodische Grundsätze durchgehalten, die sich bewährt haben. Da es ihr erstens nicht darum gehen kann, eine bestimmte politische Option durchzusetzen, und da sie ihre spezifische Aufgabe immer darin gesehen hat, ideologischen Verhärtungen entgegenzuwirken und eine aufgeklärte und verantwortungsvolle Politik zu fördern, legt sie Wert darauf, verschiedene Optionen mit ihren jeweiligen Folgen und Folgekosten darzustellen und Kontroversen lieber offen auszutragen als zu verschleiern. Deshalb bittet sie regelmäßig Vertreter verschiedener Positionen um ihre Mitarbeit. Da sie zweitens die Wirklichkeitsferne und Politikunfähigkeit allzu abstrakter Überlegungen vermeiden möchte, bindet sie, wenn irgend möglich, Praktiker aus Politik, Publizistik, Verwaltung und gesellschaftlichen Gruppen in ihre Beratungen ein. Das gilt für die Projektgruppen über Menschenrechte ebenso wie für den seit 1986 bestehenden Expertenkreis »Nichtverbreitung von Kernwaffen«, für die Arbeitsgruppe »Ökologische Wirtschaftspolitik«, die regelmäßigen »Gespräche über Formen der Entwicklungszusammenarbeit« sowie für die einmal im Jahr stattfindenden »Heidelberger Gespräche« zwischen der Arbeitsgemeinschaft Dienste für den Frieden und der FEST.

Gelegentlich wird die FEST von kirchlichen oder staatlichen Stellen um Gutachten gebeten. So entstand auf Bitten des Bundesministeriums des Innern das „Gutachten zur geeigneten Organisationsform der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung zu Umweltfragen“ (1971); auf Bitten einzelner Landeskirchen die Gutachten „Alternative Möglichkeiten für die Energiepolitik“ (1977), „Tschernobyl – Folgen und Folgerungen“ (1986); „Pazifistische Steuerverweigerung und allgemeine Steuerpflicht“ (1992). Wenn sich die FEST bereit erklärt, gutachterliche Stellungnahmen zu erarbeiten, müssen vier Bedingungen erfüllt sein: es muß im Hause Sachverstand vorhanden sein; das Institut muß von vornherein bei der Formulierung der Fragestellung beteiligt werden; das Institut muß über die Zusammensetzung der Projektgruppen selbst entscheiden; die Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse muß gewährleistet sein.

Ein weiteres Tätigkeitsfeld der FEST ist die Erarbeitung annotierter Bibliographien. So wurden 1970 und 1976 Bibliographien zur Friedensforschung in den „Friedensstudien“ veröffentlicht (Band 6 und Band 12). 1992 erschien eine Bibliographie zur „Ethik und Wirtschaft“.

Aus der kirchlichen Trägerschaft der FEST ergibt es sich, daß Grundfragen und aktuelle Probleme der Friedensethik zu den Themen zählen, die in Publikationen wie in beratungsorientierten Tätigkeiten kontinuierlich bearbeitet werden. 1989 veröffentlichten Wolfgang Huber und Hans-Richard Reuter eine grundlegende historisch-systematische „Friedensethik“. In vielen Veröffentlichungen wurden sowohl ethische Kriterien für die politische Förderung des Friedens wie solche der persönlichen Gewissensentscheidung entfaltet. Hinter vielen Forschungsvorhaben der FEST steht die Frage nach dem Beitrag, den die ökumenische Gemeinschaft der Christenheit zu einer neuen politischen Weltordnung leisten sollte.

Literatur

Auszug aus den lieferbaren Schriften der FEST (neuere Publikationen):

Christine Lienemann-Perrin: Die politische Verantwortung der Kirchen in Südkorea und Südafrika. Studien zur ökumenischen politischen Ethik. München: Chr. Kaiser, 1992, 560 S., 120,- DM (nur über Buchhandel)

Constanze Eisenbart/Dieter von Ehrenstein (Hrg.): Nichtverbreitung von Nuklearwaffen – Krise eines Konzepts. Heidelberg, August 1990, (2)1992, 674 S., 43,- DM

Hans Diefenbacher/Bernhard Moltmann (Hrg.): Zum Verhältnis von Frieden und Sicherheit. Heidelberg, Februar 1991, 104 S., 12,- DM

Wolfgang Bock/Hans Diefenbacher/Hans-Richard Reuter: Pazifistische Steuerverweigerung und allgemeine Steuerpflicht. Ein Gutachten. Heidelberg, Juli 1992, 221 S., 22,- DM

Eckart Müller/Hans Diefenbacher (Hrg.): Wirtschaft und Ethik. Eine kommentierte Bibliographie. Heidelberg, Dezember 1992, 300 S., 29,- DM

Hans Diefenbacher/Susanne Habicht: Wachstum und Wohlstand – Neuere Konzepte zur Erfassung von Sozial- und Umweltverträglichkeit. Marburg: Metropolis, 1991

Hans Diefenbacher/Ulrich Ratsch: Verelendung durch Naturzerstörung – die politischen Grenzen der Wissenschaft. Frankfurt: S. Fischer, 1992

Dr. Constanze Eisenbart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg.

Editorial

Editorial

von Christiane Lammers

„Denken ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln vorausgeht.“ (Bert Brecht)

1993 scheint mehr denn je diese Weisheit außer Kraft gesetzt worden zu sein. Am Ende dieses Jahres bestimmt Pragmatismus, d.h. die Symptome der Krise kurzsichtig zu behandeln, und Emotion, im Sinne von »Wir sind wieder wer!«, das politische Handeln. Ein Blick beispielsweise in die Unterlagen der nun abgeschlossenen Haushaltsberatungen weist darauf hin, wie die Zeichen der Zeit in Deutschland – nicht viel anders als anderswo – gesetzt werden:

Das Verteidigungsministerium steht mit 48,5 Mrd. (- 2,7 %) zwar in diesem Jahr erst an dritter Stelle der Zuteilungsliste. Ein Hinweis auf bevorstehende Abrüstung könnte man vermuten. Die Kürzungen im Etat des Verteidungshaushaltes sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die immer noch reichlich fließenden Mittel nicht für die Finanzierung der Abrüstung nach dem Ost-West-Konflikt bereitgestellt werden, sondern daß hiermit die Umstrukturierung der Bundeswehr für die Wahrnehmung der »neuen deutschen Verantwortung« erfolgt. Schon ist in der Diskussion, daß die der Industrie durch die vorgenommenen Kürzungen im Beschaffungsetat entgehenden Gelder durch großzügigere Unterstützung des Rüstungsexportgeschäfts kompensiert werden sollen.

Platz eins im Bundeshaushalt nimmt der Einzelplan für das Arbeits- und Sozialministerium ein. Mit 130,4 Mrd. ist er der bei weitem größte Posten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch sehr schnell, daß hier nur eine Verwaltung der sozialen Misere stattfindet. Die Steigerung liegt vor allem an den erhöhten Rentenzuschüssen,- und diese werden zusätzlich noch erheblich durch Einsparungen bei der Arbeitsförderung und der Arbeitslosenhilfe aufgefangen. Die Etats für Frauen und Jugend, Familie und Senioren, Bildung und Wissenschaft sind überdurchschnittlich gekürzt worden: es wird wahrlich in die gesellschaftliche Zukunft investiert. Zum ersten Mal seit Bestehen werden auch die Mittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gekürzt. D.h., daß der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt weiter sinkt, und daß das von der Bundesregierung in Rio nochmals proklamierte 0,7 %-Ziel weiter in die Ferne rückt. Aber wir müssen ja alle den Gürtel enger schnallen!

Treiben wir das Zahlenspiel noch etwas weiter: Die Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung wurden um mehr als 50 % gekürzt; ein Erfolg insofern, daß sie nach der ursprünglichen Planung vollkommen gestrichen werden sollten. Diese nun beschlossenen 1,05 Mio. DM entsprechen ungefähr den Ausgaben der Bundesrepublik für einen 5-tägigen Bundeswehreinsatz in Somalia. Handeln vor oder ohne zu denken, besonders in Schwierigkeiten, scheint die Devise zu sein.

Man könnte die Hoffnung haben, daß auch in unserem Land durch die knapper werdenden Mittel die Militarisierung der Politik nicht weiter zu finanzieren ist. In diesen Zusammenhang wäre z.B. die massive Kritik des Bundesrechnungshof an der Planung des Jäger 90/Eurofighter zu stellen. Aber der Bundesrechnungshof als Mitstreiter der Friedensbewegung?

Wir wollen zum Jahresende mit diesem Heft zu all dem o.G. einen Kontrapunkt setzen: Der Schwerpunkt ist der Friedenswissenschaft gewidmet. Ihre historische Entwicklung während des Kalten Krieges, ihre heutigen Ausprägungen z.B. in institutionalisierter Form in der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und in der Forschungsstädte der Evangelischen Studiengemeinschaft, aber auch die eigenen fachspezifischen Forschungsparadigmen werden in den Beiträgen diskutiert. Dabei wird an vielen Stellen jedoch der Elfenbeinturm verlassen und nach dem konkreten Handlungsbezug dieser Wissenschaft gesucht. Fragen der Möglichkeit zur Politikberatung wie auch Anforderungen aus der Friedensbewegung an die Wissenschaft wurden explizit miteinbezogen. Entgegen dem mainstream steht auch das Dossier »Schwarze Ohnmacht. Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht«. Es umreißt die wichtigsten Bedingungsfaktoren der Entwicklung in den Ländern des afrikanischen Kontinents. Wenn Afrika – sei es in den Medien wie auch in der Politik – zum Thema wird, bekommt dies sehr oft den bitteren Beigeschmack von einem hilflosen Kind, gebeutelt durch Diktatur und Dürre, dessen Not zwar durch wohltätige Gesten gemildert, aber dem letztlich leider nicht geholfen werden kann. Die Beiträge des Dossiers stellen dagegen zum einen die Faktoren dar, die deutlich werden lassen, daß die afrikanischen Staaten keineswegs nur schicksalhaft dem heute existierenden Elend ausgeliefert sind. Zum anderen werden aber auch Handlungsschritte, die auf dem schwarzen Kontinent selbst zumindest zur Stabilisierung der Situation in Gang gesetzt wurden, umrissen. Auch für die im Norden in Zusammenhang mit Afrika diskutierten sicherheitspolitischen Maßnahmen sollten diese Analysen eine tragende Rolle spielen.

1994 ist zumindest was die verfassungsmäßig eingeräumten Möglichkeiten angeht, das Jahr des politischen Handelns. Ihnen und uns wünschen wir für die Zeit zwischen den Jahren Ruhe zum Nachdenken, daneben aber auch Muße zum Feiern.

Ihre Christiane Lammers

Friedenswissenschaft an den Hochschulen

Friedenswissenschaft an den Hochschulen

Perspektiven durch die neue Studienreform?

von Christiane Lammers

Seit 1990 wird über eine Studienreform in der Bundesrepublik diskutiert. Dieser Prozeß sollte sich besonders an einem vom Kanzler einberufenen Bildungsgipfel im Herbst 1993 kristallisieren. Dieses Arbeitstreffen der von der angestrebten Reform verschieden betroffenen Interessengruppen wurde mehrmals verschoben. Die Dissonanzen scheinen doch zu groß, um zu einem gemeinsamen Diskussionsprozeß zu kommen. So kann zur Zeit nur anhand der einzelnen vorliegenden Arbeitspapiere die Frage diskutiert werden, ob eine Reform der Hochschulen zu einer weitergehenden Etablierung der Friedenswissenschaft an den Hochschulen führen kann.

Die Situation der Friedenswissenschaft an den Hochschulen stellt sich derzeit wie folgt dar: Neben den beiden großen Friedensforschungseinrichtungen in der Bundesrepublik, der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), die beide Stiftungen des Öffentlichen Rechts sind, gibt es zahlreiche andere Einrichtungen, die mit unterschiedlichem Status und unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen an den Universitäten im Bereich Friedens- und Konfliktforschung arbeiten. Zu differenzieren ist zwischen 1. den Instituten (z.B. Institut für Entwicklung und Frieden, Duisburg; Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien, Osnabrück; Institut für Friedenssicherrungsrecht und humanitäres Völkerrecht, Bochum; Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung), 2. Arbeits-, Dokumentations- und Forschungsstellen und 3. den Forschungsgruppen und -projekten. Ihnen gemein ist, daß sie in der Regel weitreichend von Drittmitteln wie z.B. Stiftungsgeldern abhängig sind. Unterschiedlich ist ihre Integration in die Hochschulen, so daß i.d.R. bei den Instituten und auch bei der zweitgenannten Gruppe über die Anbindung an InhaberInnen von Hochstühlen (im wahrsten Sinne des Wortes oftmals eine abhängige Verbindung) zumindest ein gewisser Grad an stabiler Institutionalisierung erreicht worden ist (vergl. Handbuch Friedenswissenschaft, ExpertInnen, Institutionen, Hochschulangebote, Literatur; hrsg. v. C.Lammers, K. Battke, C. Hauswedell).

Nicht erreicht wurde, daß die Friedenswissenschaften einen gesicherten Status innerhalb der Lehre haben. D.h. es gibt bisher keinen Studiengang Friedenswissenschaft, es gibt keine eigenständigen Curricula etc.. Ebenso ist nur in wenigen Ausnahmen ein interdisziplinäres Arbeiten möglich, daß den Anforderungen, die der Themenkomplex Frieden stellt, gerecht würde. Am weitgehendsten ist eine fachübergreifende Forschung und Lehre noch in den durch Drittmittel finanzierten Projekten möglich (z.B. Forschungsprojekt „Naturwissenschaftliche und interdisziplinäre Aspekte der Sicherheitspolitik“, TH Darmstadt, Inst. f. Kernphysik). In der Konsequenz heißt das, daß gerade die heutigen Universitätsstrukturen eine den gesellschaftlichen Problemen entsprechende Forschung zu verhindern scheinen.

Nicht zuletzt aus dieser Beobachtung heraus stellt sich die Frage, ob zum einen bei den nun für die Studienreform vorliegenden Vorschlägen die Notwendigkeit einer Integration des Themenkomplexes Frieden in die Hochschulinhalte gesehen wird; und zum anderen, ob hierfür auch die entsprechenden Strukturveränderungen ins Auge gefaßt wurden.

„Die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen, die Vereinigung Deutschlands, der schrittweise Zusammenschluß Europas über den Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion zur politischen Union, die Befreiung und Demokratisierung Ost- und Südosteuropas bestimmen auch die Ziele und Schwerpunkte der Hochschulpolitik in den nächsten Jahren…“ (Hochschulrektorenkonferenz, Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Deutschland, Dokumente zur Hochschulreform 75/1992, S. 5) Dies ist eine der wenigen aufzufindenden Ausführungen, die tatsächlich etwas über die inhaltlichen Rahmenbedingungen und die Aufgaben der Hochschulen in den künftigen Jahren aussagt.

Einen weiteren Begründungszusammenhang, der sich aber schon auf der Schwelle befindet zur ansonsten rein von den ökonomischen Erfordernissen geprägten Argumentation, ist folgender: „Der Standort Deutschland muß auch in den Bereichen Bildung und Ausbildung sowie Wissenschaft und Forschung gesichert werden, damit die gestiegenen Anforderungen im wiedervereinigten Deutschland und im zusammenwachsenden Europa erfüllt und wichtige Zukunftsaufgaben nicht zuletzt im Hinblick auf den sich verschärfenden weltweiten Wettbewerb gelöst werden können. Dabei stellt sich die Aufgabe, Hochschule und Forschung im Zusammenhang mit dem gesamten Bildungs- und Qualifizierungssystem daraufhin zu überprüfen, wie durch strukturverbessernde Maßnahmen und Beseitigung finanzieller Engpässe Funktionsdefizite überwunden werden können und absehbaren Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft besser entsprochen wird.“ 1 Auf den Punkt bringt es letztendlich das Bundesministerium für Forschung und Technologie: „Der Stand der Forschung und der technologischen Leistungsfähigkeit ist eine wesentliche Grundlage der industriellen Zukunft unseres Landes. Er schafft Handlungswissen und Freiräume zum Erhalt und zur Gestaltung unserer Lebensumwelt. Ergebnisse der Wissenschaft sind darüber hinaus bedeutende Kulturwissenschaften. Die Entfaltungsmöglichkeiten, den Reichtum und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und auszubauen ist daher ein wesentliches Ziel der Bundesregierung. Die Herausforderung der Vollendung der deutschen Einheit, ein dramatisch verändertes internationales Umfeld, die Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen und nicht zuletzt Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland erhöhen die Notwendigkeit, Chancen von Forschung und Technologie zu nutzen.“ 2 Zu diesen Zielvorstellungen paßt dann auch, daß den Geisteswissenschaften in dem Bundesbericht an quantitativem Umfang etwas weniger Platz gewidmet wird als der Wehrforschung und -technik.

Daß keine qualitativen, d.h. inhaltlichen Prämissen für die zukünftige Bildungspolitik in Deutschland gesetzt werden, sondern es allein um die Frage geht, wie können wir den StudentInnenmassen »Herr« werden, zeigt dann auch sehr schnell die lange Liste der Reformvorschläge. Hier geht es in allen Papieren um Regelstudienzeiten, erfolgs- und qualitätsorientierte Mittelzuweisung an Hochschulen, um Effizienzsteigerung, verstärkten Ausbau der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten; Weiterentwicklung des Dualen Ausbildungssystems etc.. Im Originaltext lauten die Vorschläge z.B. unter der Überschrift „Qualitativer Ausbau und verbesserte Nutzung der Universitäten in den alten Ländern“ wie folgt:

  • „Konsolidierung und strukturelle Arrondierung in Anlehnung an die durch die Zielzahl von 1977 gegebene Größenordnung; in diesem Rahmen sind auch quantitative Veränderungen möglich.
  • Bei Fortschreibung der Zielzahl von 1977 Sicherung der angestrebten qualitativen und regionalen Aufgabenverteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen.
  • Duchführung von Sanierungen, Modernisierungen an vorhandenen Gebäuden und Ersatzinvestitionen. Verbesserung der Grundausstattung für Lehre und Forschung; Ergänzung und Modernisierung der apparativen Ausstattung.
  • Behebung personeller Engpässe zur Vermeidung von Zulassungsbeschränkungen in Fächern, in denen die Zahl der Bewerber die der vorhandenen Studienplätze übersteigt, der absehbaren Arbeitsmarktentwicklung entspricht und dieser Bedarf nicht durch den entsprechenden Ausbau der Fachhochschulen befriedigt werden kann.
  • Effektivere Nutzung der vohandenen räumlichen Kapazitäten.
  • Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten der Bibliotheken und anderer Infrastruktureinrichtungen, insbesondere Verlängerung der Öffnungszeiten.
  • Breitbandvernetzung im Hochschulbereich und Nutzung des Netzes zu forschungsgerechten Gebühren.“ 3 Wer auf einen Bezug der Maßnahmen auf die versteckt enthaltenen o.g. inhaltlichen Prämissen hofft, z. B. daß die als Schlagwörter fungierenden Begriffe »Interdisziplinarität« und »Vernetzte Handlungsfelder«4 sich in den sehr differenziert dargestellten Reformvorstellungen wiederfindet, hat umsonst gewartet. Hier wird zukunftsträchtige Politik gemacht, die ganz pragmatisch zum einen auf die leeren Kassen des Bundes und der Länder abzielt und zum anderen den nicht mehr weg zu diskutierenden Überfüllungen der Hochschulen Rechnung trägt.

Nach dem Bildungsgipfel, um im Bild des Kanzlers zu bleiben, kann es also nur noch bergab gehen.

Literatur

Lektüre, die alternative Reformvorschläge enthalten, sind: Torsten Bultmann, Zwischen Humboldt und Standort Deutschland. Die Hochschulpolitik am Wendepunkt. Forum Wissenschaft, Studien Bd. 25, Marburg 1993; und Freie Konferenz der StudentInnenschaften an Fachhochschulen (Hg.), Grundlagenpapier des Arbeitskreis Bildungsgipfel, 1993.

Anmerkungen

1) »Eckwertepapier« der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des vorgesehenen bildungspolitischen Spitzengesprächs 1993, S. 1. Zurück

2) Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bundesbericht Forschung, <%-2>Drucksache 12/5500, 21.07.1993, S. 1.<%0> Zurück

3) Zit. n. »Eckwertepapier« s.o., S. 16. Zurück

4) Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft/Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Grundsatzpapier zur Bildungs- und Forschungpolitik, Bonn Februar 1993, S.5. Zurück

Christiane Lammers, Redaktion W & F

Friedens- und Konfliktforschung vor der Abwicklung?

Friedens- und Konfliktforschung vor der Abwicklung?

„…in Zeiten der Abrüstung auch mit Kürzungen in diesem Bereich leben.“ Kommentar zu einer Antwort der Bundesregierung

von Corinna Hauswedell

Das obige Zitat aus der Antwort der Bundesregierung (Drucksache des Bundestages 12/2446 v. 16.4.92) auf die Kleine Anfrage der SPD zu Stand und Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung (FuK) ist verräterisch. Zwar ist man einerseits des (Eigen)Lobes voll über den politischen und wissenschaftlichen Input der FuK in den letzten Jahren und die hierfür bereitgestellte Bundesförderung. So heißt es in der o.g. Drucksache: „Die Förderung hat zu einer positiven Verankerung der Friedens- und Konfliktforschung in der Wissenschaft geführt… Die Aufnahme dieser Fragestellungen (»global change«, Migration u.a., d.V.) und der erforderlichen interdisziplinären Kooperation… kann als Erfolg der problemorientierten Friedens- und Konfliktforschung angesehen werden.“ Und an anderer Stelle: „Die Friedens- und Konfliktforschung hat mit ihren Impulsen die öffentliche Auseinandersetzung über Frieden, Sicherheit und Bedrohung versachlicht. Bereits darin liegt ihre gesellschaftliche und politische Bedeutung… Auf dem Weg zu diesem Ziel (Erhaltung des Friedens, d.V.) braucht die Bundesregierung hochrangigen Rat und Kritik der Wissenschaft. Deshalb hält die Bundesregierung Friedens- und Konfliktforschung für unverzichtbar….“. Auch wenn sicherlich viele FriedenswissenschaftlerInnen neben der „Versachlichung“ der friedenspolitischen Auseinandersetzung auch den Gedanken der Aufklärung, Warnung und Mobilisierung demokratischen Engagements als bedeutsam hinzufügen würden, entnimmt die geneigte Leserschaft dem Text zunächst eine positive Würdigung der FuK und liest erfreut weiter: „…sie (die Bundesregierung, d.V.) wird diesen Forschungsbereich daher weiter fördern.“

Da könnte fast der konkrete Anlaß für die Kleine Anfrage in Vergessenheit geraten. Erinnern wir uns: Im vergangenen Jahr hatte eine intensive Debatte um neue Themen und Forschungsschwerpunkte der FuK nach dem Ende des Kalten Krieges begonnen. Von einem Paradigmenwechsel war die Rede; es schien beinahe Konsens, daß der trügerischen Euphorie von 1989/90, der Friede sei auf den Weg gebracht, nun eine Neukonzipierung zukünftiger Konfliktanalyse und -bearbeitung folgen müsse. Denn bedrohlich schoben sich die neuen „Gefahren“ in den Vordergrund, „deren Nährboden politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Instabilitäten, ethnische Konflikte, Minderheitenprobleme und Flüchtlingsströme sein könnten“ (so auch die Bundestagsdrucksache 12/2446). Der Tendenz, diesen potentiellen „Gefahren“ oder „Bedrohungen“ – denn um potentielle handelt es sich bei solcherart globalen Herausforderungen – mit einer Relegitimierung des militärischen Faktors (vergl. out-of-area-Debatte) zu begegnen, wollten viele FriedenswissenschaftlerInnen nicht folgen. Zu Jahresbeginn erschienen das Memorandum „Friedenssicherung in den 90er Jahren“, herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, ein Papier des Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik (IFSH) „Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts“ sowie eine Reihe weiterer ähnlich argumentierender Publikationen. Grundtenor: Die nach dem Kalten Krieg sichtbarer werdenden Konfliktpotentiale, vor allem zwischen den Industrienationen und der sog. Dritten Welt, seien durch neue Militäroptionen nicht zu bewältigen, vielmehr müsse ein neues ziviles Konfliktregulierungs-Know-How entwickelt werden, müßten die Ursachen der Konflikte einer vertieften Analyse unterzogen werden. Die FuK wolle die offensichtlicher werdenden Interdependenzen von internationalen und innergesellschaftlichen Prozessen vor allem im ökologischen und ökonomisch-sozialen Bereich mit interdisziplinärer Expertise begleiten. Mitten hinein in diese Diskussion kam zum Jahresende 1991 die Meldung von der Kürzung der Bundesmittel für FuK im Haushalt 1992: Von der ohnehin marginalen Summe von 3,2 Mio DM (im gleichen Haushalt 3,6 Millarden DM für Militärforschung – trotz Abrüstungstendenz!) wurden im parlamentarischen Verfahren 1 Mio. DM gestrichen. Die Bundesregierung verkenne nicht, daß dies „zu Beeinträchtigungen bei bereits laufenden Projekten führen kann…“, versichere aber, „für die Jahre ab 1993 sehen die Haushaltsanforderungen des Bundesministers für Forschung und Technologie in etwa den gleichbleibenden Betrag vor.“ In etwa? Hier wollte man offensichtlich beruhigen.

Denn jüngste Blicke hinter die Kulissen der mittelfristigen Finanzplanung verraten im Gegenteil, daß die Gelder für FuK bis 1995 auf Null gebracht werden sollen; vielleicht bleiben etwa 500.000 DM übrig – gerade soviel wie die Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn jährlich erhält, um ihre Service-Aufgaben zu erfüllen. Und da wird sicherlich ein findiger Ministerialbeamter die Frage stellen, wozu denn noch eine Servicestelle nötig ist, wenn keine gesonderten Forschungsvorhaben in diesem Bereich mehr gefördert werden.

Beides, die eigentlich anstehenden inhaltlichen Neuorientierungen in der FuK sowie die dem zuwiderlaufenden Kürzungen waren der SPD-Fraktion immerhin eine Kleine Anfrage wert. Man tut gut daran, die Antwort der Bundesregierung bis zum Ende zu lesen: „Im Vergleich zu den außeruniversitären Einrichtungen ist die Verankerung der Friedens- und Konfliktforschung an den Hochschulen nicht so gut vorangekommen. Es gibt nur wenige Lehrstühle…, Fragen der Friedensforschung werden überwiegend durch Ringvorlesungen und außeruniversitäre Curricula behandelt.“ Und auf die Frage „Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die fundamental veränderte sicherheitspolitische Lage eine qualitative und quantitative Ausweitung sowie eine grundllegende Neukonzipierung der Forschungsförderung im Bereich der FuK verlangt?“ heißt es schließlich: „Die Bundesregierung teilt nicht die der Frage offenbar zugrundeliegende Auffassung, daß die bisherige Friedens- und Konfliktforschung Probleme der tatsächlichen Weltentwicklung nicht genügend berücksichtige. Sie vertraut hierbei auf die Wissenschaft, die an der öffentlichen Diskussion teilnimmt. Die Diskussion oder Einleitung einer Neukonzeption ist vorerst nicht vorgesehen. Zunächst ist die für 1993 vorgesehene Evaluation durch den Wissenschaftsrat abzuwarten.“ Das klingt mehr nach Abwicklung als nach Aufwertung, allemal wenn man die Gerüchte aus der mittelfristigen Finanzplanung hinzunimmt.

Wenn sich diese pessimistische Sicht bewahrheitet, ist mit der Streichung der Sonderforschungsmittel für FuK innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mehr gemeint als der endgültige Abbau einer sozialdemokratisch geprägten Reformruine. Hier wird – durchaus im Bewußtsein neuer Problemlagen – verzichtet auf politische Innovation; hier wird die »Selbstverwaltung der Wissenschaft« beschworen, wo Anforderungen aus dem politischen Raum gefragt wären. Diesen Mangel an neuer politischer Konzeptionsfähigkeit gerade in Bereich Friedens- und Sicherheitspolitik beklagen auch andere: die Bundeswehr allerdings und ihre Eingreifstrategen haben es leichter gehört zu werden – auch »in Zeiten der Abrüstung«. Und hier löst sich der scheinbare Widerspruch im Text der Drucksache 12/2446. Die Bundesregierung zitiert zwar in ihrer Antwort Argumente der Senatskommission der DFG, die wegen der Zivilisierungsleistungen für zukünftige Konfliktbewältigung der FuK eine noch höhere Bedeutung als im Kalten Krieg beimißt, sie teilt diese aber nicht. Sie beschwört die neuen „Gefahren und Unwägbarkeiten“ der internationalen Situation, wichtigste Aufgabe werde es sein, „Barrieren gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu errichten“ (aus der Antwort der Bundesregierung). Aus welchem Stoff diese „Barrieren“ aber sein müssen, um Frieden zu schaffen, – dazu wären Denkaufträge an FriedenswissenschaftlerInnen notwendig. Und zwar im Sinne der „systematischen Förderung von Zusammenhangwissen in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Politik, Völkerrecht, Militär, Technologie, Ökonomie, Ökologie, Kultur und Gesellschaft“ (aus dem o.g. Memorandum). Eine solche interdisziplinär anzulegende Forschung (und Lehre) wird es aber, wenn die Streichung der Bundesmittel bis 1995 vollendet wird, noch viel schwerer haben, als dies bei den gegenwärtigen Schwerpunkten des DFG-Sonderforschungsbereichs FuK ohnehin schon der Fall war. Bereits bisher war es für neuere, auch naturwissenschaftlich inspirierte friedenswissenschaftliche Ansätze äußerst kompliziert, in die gesellschaftswissenschaftliche Domäne einzudringen.

Es bleibt zu hoffen, daß diese jetzt ins Haus stehende weitgehende „Bedrohung“ – dies ist wirklich eine – der Friedenswissenschaften und ihrer Forschungsergebnisse von den WissenschaftlerInnen als Chance begriffen wird, sich über fachliche und politische Grenzen hinweg zu einer »Evaluation von unten« zu entschließen und gegen die Pläne der Bundesregierung gemeinsam vorzugehen. Bereitschaft dazu scheint vorhanden zu sein.

Der vollständige Text der Antwort der Bundesregierung ist bei der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn erhältlich. Aber vielleicht sollten möglichst viele ihn direkt beim Bundesminister für Forschung und Technologie bestellen…

Corinna Hauswedell ist Vorsitzende der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn.