Profil eines Instituts

Profil eines Instituts

Friedensforschung an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft

von Constanze Eisenbart

Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) ist ein wissenschaftliches Institut, das von den evangelischen Kirchen der Bundesrepublik Deutschland getragen wird. Es hat die Aufgabe, Probleme zu identifizieren und zu bearbeiten, die heute und in Zukunft für das Zusammenleben der Menschen sowie für dessen natürliche, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen von struktureller Bedeutung sind.

Die wissenschaftlich-technische Zivilisation ist in eine Krise geraten, in der sich die Frage nach der Rolle der Philosophie, der Theologie sowie der Einzelwissenschaften mit großer Dringlichkeit stellt. Von den Wissenschaften initiierte oder gesteuerte, von der Technik ermöglichte Zerstörungsprozesse bedrohen die Gleichgewichtszustände in der Natur und damit auch die Lebensbedingungen der Menschen. Die Wissenschaft ist heute zur Reflexion ihrer Folgen wie ihrer Grundlagen genötigt. Will sie sich nicht in unverbindliche Allgemeinheiten verlieren, dann kann sie das nur leisten, indem sie eingegrenzte Fragestellungen untersucht, die sie als paradigmatisch erkannt hat. Solche Fragestellungen haben häufig wissenschaftskritische Konnotationen; fast immer liegen sie quer zu den Forschungsvorhaben der traditionellen Wissenschaft. Deshalb bedarf es zu ihrer Untersuchung des dialogischen Zusammenwirkens verschiedener Disziplinen. Eine der Ursachen der heute überall beobachtbaren destruktiven Abläufe – wie sie etwa seit fünfundzwanzig Jahren in immer neuen Vorstößen vom Club of Rome beschrieben werden – liegt in der Aufsplitterung der weltverändernden Wissenschaften in hermetisch gegeneinander abgeschottete Einzelfächer und in der Partikularität ihrer Weltdeutungsversuche und Weltveränderungsstrategien. Diese Aufsplitterung kann nicht durch romantisch-vage Beschwörungen eines verlorenen „Ganzen“ überwunden werden. Die Wissenschaft selbst muß versuchen, in einem neuen Aufklärungsschub den Horizont einer geschichtlichen Wahrheit aufzudecken, der die Einzelwissenschaften in ihren Differenzen und ihrer Partikularität umgreift und ihren verborgenen Totalitätsanspruch sichtbar macht. Erst wenn sich die Wissenschaften ihrer Machtförmigkeit bewußt sind, können sie Instrumente zur Kontrolle und zum verantwortlichen Gebrauch dieser Macht entwickeln. Das kann ihnen nicht von außen oktroyiert werden; sie müssen sich in den Stand setzen, selbst glaubwürdige und stichhaltige Antworten auf diese säkulare Herausforderung zu finden. Es wird sorgfältiger Arbeit, gründlicher Debatten und langwieriger Adjustierungen bedürfen, die Wissenschaft zur Vernunft zu bringen. In der Zwischenzeit sollte ein kontinuierlicher Austausch zwischen einmal etablierten Wissenschaften eingerichtet und so weit auf Dauer gestellt werden, daß er den herrschenden Tendenzen zur unaufhaltsamen Spezialisierung Widerstand leisten kann. Die Wissenschaften sind zu machtvoll, als daß man sie unkritisch ihrer Eigendynamik überlassen dürfte.

Geschichte der FEST

Die FEST wurde nach 1945 von den Kirchen eingerichtet, weil jene Generation, die zwei Weltkriege und den Nationalsozialismus erleben mußte, die Erfahrung gemacht hatte, daß die Kirche in der Welt des 20. Jahrhunderts ihre Verantwortung nicht wahrnehmen kann, wenn sie sich in die Bastionen „machtgeschützter Innerlichkeit“ zurückdrängen ließ oder gar sich freiwillig in ihnen einrichtete. Zur Wahrnehmung von christlicher Weltverantwortung gehört es nach der Überzeugung der Gründer der Evangelischen Studiengemeinschaft, die Voraussetzungen und das Selbstverständnis der Wissenschaften zu klären, die Konsequenzen der wissenschaftlich-technischen Modernisierungsschübe für das politische, gesellschaftliche und geistige Leben der Menschen zu untersuchen und zu prüfen, welche Folgerungen sich für Gesellschaft wie Kirche daraus ergeben, daß in unserer Zeit christliche Traditionen mit globalen Veränderungsprozessen zusammenstoßen, die selbst das Ergebnis der Säkularisation ursprünglich christlichen Denkens sind.

Diese hier nur knapp skizzierten Einsichten führten die FEST schon in den 50er Jahren dazu, auch nach den Bedingungen von Frieden in einer Völkergemeinschaft zu fragen, die sich den zivilisatorischen, militärischen und politischen Konsequenzen der Erfindung und Anwendung von Nuklearwaffen ausgesetzt sah. Durch die Kernwaffen hatte die von Menschen auslösbare Zerstörungskraft eine neue Qualität gewonnen. Die Betroffenheit über diese Auswirkungen wissenschaftlicher Forschung brachte Physiker, Historiker, Völkerrechtler und Theologen im Rahmen der FEST zusammen. Sie veröffentlichten 1959 den Band „Atomzeitalter Krieg und Frieden“, der die vielzitierten „Heidelberger Thesen“ enthielt, eines der Gründungsdokumente des Arbeitsbereiches »Friedensforschung«, der dann Mitte der 60er Jahre fest etabliert wurde. Seine Ergebnisse liegen in den fünfzehn Bänden der „Studien zur Friedensforschung“ sowie in zahlreichen anderen Publikationen des Institutes und seiner Mitarbeiter vor.

Von grundlegender Bedeutung für das Projekt erwies sich die Rede, die Carl Friedrich von Weizsäcker 1963 in Frankfurt hielt, als ihm vom Börsenverein des deutschen Buchhandels der Friedenspreis verliehen wurde. Angesichts der unvorstellbaren Zerstörungskraft der Nuklearwaffen war der Weltfrieden – und das hieß für Weizsäcker die Verhinderung des großen Atomkrieges – zur Lebensbedingung in der Krise der wissenschaftlich-technischen Zivilisation geworden. Diese Einsicht wurde von ihm, vielleicht nicht zum ersten Mal, aber sicher zum ersten Mal mit solcher Klarheit, in Deutschland formuliert. Daß dieser Frieden aber nicht das goldene Zeitalter einleiten würde, ist eine Erkenntnis, deren Richtigkeit uns in den letzten vier Jahren täglich vor Augen geführt wurde, die jedoch der von Hiroshima und Nagasaki traumatisierten Welt der frühen 60er Jahre fast ketzerisch erscheinen mußte. Von programmatischer Bedeutung für jenen Typus von Friedensforschung, wie ihn die FEST seit nunmehr dreißig Jahren betreibt, waren auch die Entwürfe die Georg Picht, Wolfgang Huber und Heinz-Eduard Tödt in dem Bändchen „Was heißt Friedensforschung“ (1971) zur Diskussion gestellt hatten.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen wurde während der folgenden Jahre in intensiven Auseinandersetzungen und durch ständige Revision der Grundlagenpapiere als Alternative zu jenem überwiegend statisch verstandenen Friedensbegriff, wie ihn Völkerrecht und politische Wissenschaften lange Zeit bevorzugten, ein mehrdimensionales, dynamisches Modell zur Beschreibung friedensgefährdender und friedensfördernder Vorgänge entwickelt: Frieden wird als Prozeß zur Beseitigung von Not, zur Beschränkung von Gewalt, und zur Verminderung von Unfreiheit verstanden. Die frühe Einbeziehung ökologischer Gesichtspunkte führte dazu, daß in einer ganzen Reihe von Teilprojekten nach den Bedingungen und Restriktionen von Frieden in einem weltpolitischen Felde gefragt wurde, das nicht nur durch das Duopol der Supermächte bestimmt war sondern durch ein vierfaches Spannungssyndrom: den Ost-West-Gegensatz, die zunehmenden Nord-Süd-Auseinandersetzungen, die wachsende Zahl von Süd-Süd-Konflikten und die Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen in Folge der rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Die Kombination der dreigliedrigen Zielprojektion mit dem vierteiligen Analyseraster ergibt ein Bündel von Kriterien, an denen sich die Themen messen lassen müssen, die im Rahmen der Friedensforschung bearbeitet werden sollten. Die komplexe Struktur dieser methodischen Matrix spiegelt sich in keinem Projekt, das an der FEST in den letzten dreißig Jahren untersucht wurde und erst recht nicht in jedem Arbeitsergebnis vollständig wider. Aber sie bildet die theoretische Basis, vor der sich Auswahl und Behandlung der Einzelfragen, die untersucht werden, auch dann zu rechtfertigen haben, wenn sie sich jeweils auf einen bestimmten sachlichen oder regionalen Aspekt des globalen Spannungsfeldes konzentrieren.

Die Problemkonstellationen der modernen Zivilisation und die Strukturfragen der zeitgenössischen Wissenschaft entziehen sich weithin der Aufklärung durch Einzeldisziplinen; sie überlagern die traditionellen Fächergrenzen. Angemessen können sie deshalb nur im Gespräch zwischen verschiedenen Disziplinen bearbeitet werden. Das Postulat der Interdisziplinarität wird nicht immer so erfüllt, wie es den Idealvorstellungen entspricht. Interdisziplinäres arbeiten erfordert einen hohen Aufwand an Übersetzungsanstrengungen zwischen den Fächern und gelingt oft nur nach Jahren der Zusammenarbeit. Dazu kommt, daß die Kapazität des gesamten Institutes mit zwölf hauptamtlichen, vier nebenamtlichen und wenigen aktiven »korrespondierenden« Kollegiumsmitgliedern sehr begrenzt ist. Da im Bereich der Friedensforschung mit Schwergewicht im besten Falle sieben Einzeldisziplinen vertreten sind, ist die FEST auf eine breit gefächerte Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern sowie mit in- und ausländischen Instituten angewiesen. Über vielfältige Beratungstätigkeit ist sie außerdem mit kirchlichen, administrativen und politischen Praxisfeldern verbunden. Alle diese interdisziplinären Aktivitäten setzen voraus, daß jedes Mitglied des Teams ausreichend Spielraum für seine Spezialuntersuchungen hat. Interdisziplinarität ist nur möglich, wenn sie disziplinär sicher verankert werden kann.

Aspekte der Friedensforschung

In der Gruppe, die den Arbeitsbereich »Frieden« an der FEST koordiniert, sind zur Zeit die Fächer Politologie, Ökonomie, Soziologie, Philosophie, Ökologie, Geschichtswissenschaft und Internationales Recht vertreten. Es ist ein Prinzip der FEST, daß sich jeder Wissenschaftler sowohl an einem mehr theoretischen Projekt als auch an einem politikberatenden Projekt beteiligt. Daraus erklärt sich die Vielfalt und die Verschiedenheit der Themen, die gleichzeitig, allerdings mit sehr unterschiedlicher Intensität, im »Forschungsdesign« des Institutes präsent sind. Mit Grundlagen und Methoden befassen sich Vorhaben wie „Geschichte der Friedenstheorien“, „Intertemporale Allokation und Gerechtigkeit“ und „Index for Sustainable Economic Welfare – Calculations for EC-countries“. 1992 veröffentlichten Hans Diefenbacher und Ulrich Ratsch unter dem Titel „Verelendung durch Naturzerstörung“ ein Buch, das sich mit den Grenzen befaßt, an die Wissenschaft stößt, wenn sie die Politik über den Zusammenhang von Umweltschutz und Entwicklung aufklären will. Wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen hohem Problembewußtsein und dem Mangel an wirksamer Problemlösungspolitik? Muß sich nicht auch die Wissenschaft anders organisieren und artikulieren, wenn sie sich in die Lage versetzen will, die Politik über so komplexe Tatbestände zu beraten? Ein Arbeitsvorhaben, das sich mit „neuen Strukturen des Nord-Süd-Konfliktes“ beschäftigt, setzt ein mit Untersuchungen über die Konzepte von »Sustainable Development« und »Carrying Capacity«, in denen gefragt wird, ob und wie weit die Tragfähigkeit von Ökosystemen mit Hilfe von Modellen abgeschätzt werden kann. Eine andere Arbeitsgruppe, die sich mit der Partikularität und Universalität von Menschenrechten beschäftigen soll und die mit dem Arbeitsbereich »Kirche« an der FEST verflochten ist, wird vorbereitet. Die Koordinationsgruppe »Frieden« diskutiert in jedem Semester Probleme, deren Klärung ihr für die Arbeit an den Einzelprojekten als hilfreich erscheint. Beispiele aus den letzten Jahren sind: »Theoretische Aspekte von Territorialität« angesichts einer Situation, in der gleichzeitig das Konzept des souveränen Territorialstaates immer fragwürdiger und brüchiger wird und überall ethnische Einheiten nach eigener Staatlichkeit streben, oder die Frage nach „kollektiver Identität und kultureller Prägung“ in Gesellschaften und Regionen, in denen zwar viel von Multikulturalität geredet wird, in denen aber gleichzeitig der Haß gegen Andersartigkeit in Mord und Brandstiftungen ausbricht.

Seit 1987 veröffentlicht die FEST einmal im Jahr zusammen mit dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt ein „Friedensgutachten“. Die Federführung wechselt von Jahr zu Jahr; in der FEST liegt sie bei Friedhelm Solms. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hält sich die Welt nicht mehr im prekären aber doch relativ stabilen Gleichgewicht der »Mutual Assured Destruction« gehalten. Zwar ist sie vom Alpdruck des großen Nuklearkrieges zur Zeit befreit, wird aber zunehmend durch regionale Krisen und Kriege bedroht. Für die Friedensforschung stellen sich in dieser geschichtlich völlig veränderten Situation neue Fragen, aber auch alte Probleme in neuen Konstellationen. Die „Friedensgutachten“ nehmen Themen wie Reformen der Weltwirtschaftsordnung, Menschenrechte, Entwicklungsländer und Ökologie auf, fragen nach der Rolle der Weltreligionen, nach Migration und Asyl. Daneben werden die traditionellen Problemstellungen nicht vernachlässigt: Nonproliferation und Konvention über Chemiewaffen, der Bürgerkrieg im früheren Jugoslawien, der Friedensprozeß im Nahen Osten, die Konflikte im Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Das »Friedensgutachten 1992« enthielt eine offen ausgetragene Kontroverse zwischen den drei beteiligten Instituten über Legitimität und Legalität der Teilnahme von Bundeswehreinheiten an der militärischen Friedenssicherung im Rahmen der UNO. Mit der Veröffentlichung von drei unterschiedlich argumentierenden Diskussionsbeiträgen sollte deutlich gemacht werden, daß es in dieser Frage auch innerhalb der Friedensforschung stark voneinander abweichende Auffassungen und Bewertungen gibt.

In Arbeitsvorhaben, die unmittelbar, als erbetene Stellungnahmen, oder mittelbar der Politikberatung dienen, hat die FEST neben der Interdisziplinarität zwei einfache methodische Grundsätze durchgehalten, die sich bewährt haben. Da es ihr erstens nicht darum gehen kann, eine bestimmte politische Option durchzusetzen, und da sie ihre spezifische Aufgabe immer darin gesehen hat, ideologischen Verhärtungen entgegenzuwirken und eine aufgeklärte und verantwortungsvolle Politik zu fördern, legt sie Wert darauf, verschiedene Optionen mit ihren jeweiligen Folgen und Folgekosten darzustellen und Kontroversen lieber offen auszutragen als zu verschleiern. Deshalb bittet sie regelmäßig Vertreter verschiedener Positionen um ihre Mitarbeit. Da sie zweitens die Wirklichkeitsferne und Politikunfähigkeit allzu abstrakter Überlegungen vermeiden möchte, bindet sie, wenn irgend möglich, Praktiker aus Politik, Publizistik, Verwaltung und gesellschaftlichen Gruppen in ihre Beratungen ein. Das gilt für die Projektgruppen über Menschenrechte ebenso wie für den seit 1986 bestehenden Expertenkreis »Nichtverbreitung von Kernwaffen«, für die Arbeitsgruppe »Ökologische Wirtschaftspolitik«, die regelmäßigen »Gespräche über Formen der Entwicklungszusammenarbeit« sowie für die einmal im Jahr stattfindenden »Heidelberger Gespräche« zwischen der Arbeitsgemeinschaft Dienste für den Frieden und der FEST.

Gelegentlich wird die FEST von kirchlichen oder staatlichen Stellen um Gutachten gebeten. So entstand auf Bitten des Bundesministeriums des Innern das „Gutachten zur geeigneten Organisationsform der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung zu Umweltfragen“ (1971); auf Bitten einzelner Landeskirchen die Gutachten „Alternative Möglichkeiten für die Energiepolitik“ (1977), „Tschernobyl – Folgen und Folgerungen“ (1986); „Pazifistische Steuerverweigerung und allgemeine Steuerpflicht“ (1992). Wenn sich die FEST bereit erklärt, gutachterliche Stellungnahmen zu erarbeiten, müssen vier Bedingungen erfüllt sein: es muß im Hause Sachverstand vorhanden sein; das Institut muß von vornherein bei der Formulierung der Fragestellung beteiligt werden; das Institut muß über die Zusammensetzung der Projektgruppen selbst entscheiden; die Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse muß gewährleistet sein.

Ein weiteres Tätigkeitsfeld der FEST ist die Erarbeitung annotierter Bibliographien. So wurden 1970 und 1976 Bibliographien zur Friedensforschung in den „Friedensstudien“ veröffentlicht (Band 6 und Band 12). 1992 erschien eine Bibliographie zur „Ethik und Wirtschaft“.

Aus der kirchlichen Trägerschaft der FEST ergibt es sich, daß Grundfragen und aktuelle Probleme der Friedensethik zu den Themen zählen, die in Publikationen wie in beratungsorientierten Tätigkeiten kontinuierlich bearbeitet werden. 1989 veröffentlichten Wolfgang Huber und Hans-Richard Reuter eine grundlegende historisch-systematische „Friedensethik“. In vielen Veröffentlichungen wurden sowohl ethische Kriterien für die politische Förderung des Friedens wie solche der persönlichen Gewissensentscheidung entfaltet. Hinter vielen Forschungsvorhaben der FEST steht die Frage nach dem Beitrag, den die ökumenische Gemeinschaft der Christenheit zu einer neuen politischen Weltordnung leisten sollte.

Literatur

Auszug aus den lieferbaren Schriften der FEST (neuere Publikationen):

Christine Lienemann-Perrin: Die politische Verantwortung der Kirchen in Südkorea und Südafrika. Studien zur ökumenischen politischen Ethik. München: Chr. Kaiser, 1992, 560 S., 120,- DM (nur über Buchhandel)

Constanze Eisenbart/Dieter von Ehrenstein (Hrg.): Nichtverbreitung von Nuklearwaffen – Krise eines Konzepts. Heidelberg, August 1990, (2)1992, 674 S., 43,- DM

Hans Diefenbacher/Bernhard Moltmann (Hrg.): Zum Verhältnis von Frieden und Sicherheit. Heidelberg, Februar 1991, 104 S., 12,- DM

Wolfgang Bock/Hans Diefenbacher/Hans-Richard Reuter: Pazifistische Steuerverweigerung und allgemeine Steuerpflicht. Ein Gutachten. Heidelberg, Juli 1992, 221 S., 22,- DM

Eckart Müller/Hans Diefenbacher (Hrg.): Wirtschaft und Ethik. Eine kommentierte Bibliographie. Heidelberg, Dezember 1992, 300 S., 29,- DM

Hans Diefenbacher/Susanne Habicht: Wachstum und Wohlstand – Neuere Konzepte zur Erfassung von Sozial- und Umweltverträglichkeit. Marburg: Metropolis, 1991

Hans Diefenbacher/Ulrich Ratsch: Verelendung durch Naturzerstörung – die politischen Grenzen der Wissenschaft. Frankfurt: S. Fischer, 1992

Dr. Constanze Eisenbart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg.

Editorial

Editorial

von Christiane Lammers

„Denken ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln vorausgeht.“ (Bert Brecht)

1993 scheint mehr denn je diese Weisheit außer Kraft gesetzt worden zu sein. Am Ende dieses Jahres bestimmt Pragmatismus, d.h. die Symptome der Krise kurzsichtig zu behandeln, und Emotion, im Sinne von »Wir sind wieder wer!«, das politische Handeln. Ein Blick beispielsweise in die Unterlagen der nun abgeschlossenen Haushaltsberatungen weist darauf hin, wie die Zeichen der Zeit in Deutschland – nicht viel anders als anderswo – gesetzt werden:

Das Verteidigungsministerium steht mit 48,5 Mrd. (- 2,7 %) zwar in diesem Jahr erst an dritter Stelle der Zuteilungsliste. Ein Hinweis auf bevorstehende Abrüstung könnte man vermuten. Die Kürzungen im Etat des Verteidungshaushaltes sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die immer noch reichlich fließenden Mittel nicht für die Finanzierung der Abrüstung nach dem Ost-West-Konflikt bereitgestellt werden, sondern daß hiermit die Umstrukturierung der Bundeswehr für die Wahrnehmung der »neuen deutschen Verantwortung« erfolgt. Schon ist in der Diskussion, daß die der Industrie durch die vorgenommenen Kürzungen im Beschaffungsetat entgehenden Gelder durch großzügigere Unterstützung des Rüstungsexportgeschäfts kompensiert werden sollen.

Platz eins im Bundeshaushalt nimmt der Einzelplan für das Arbeits- und Sozialministerium ein. Mit 130,4 Mrd. ist er der bei weitem größte Posten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch sehr schnell, daß hier nur eine Verwaltung der sozialen Misere stattfindet. Die Steigerung liegt vor allem an den erhöhten Rentenzuschüssen,- und diese werden zusätzlich noch erheblich durch Einsparungen bei der Arbeitsförderung und der Arbeitslosenhilfe aufgefangen. Die Etats für Frauen und Jugend, Familie und Senioren, Bildung und Wissenschaft sind überdurchschnittlich gekürzt worden: es wird wahrlich in die gesellschaftliche Zukunft investiert. Zum ersten Mal seit Bestehen werden auch die Mittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gekürzt. D.h., daß der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt weiter sinkt, und daß das von der Bundesregierung in Rio nochmals proklamierte 0,7 %-Ziel weiter in die Ferne rückt. Aber wir müssen ja alle den Gürtel enger schnallen!

Treiben wir das Zahlenspiel noch etwas weiter: Die Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung wurden um mehr als 50 % gekürzt; ein Erfolg insofern, daß sie nach der ursprünglichen Planung vollkommen gestrichen werden sollten. Diese nun beschlossenen 1,05 Mio. DM entsprechen ungefähr den Ausgaben der Bundesrepublik für einen 5-tägigen Bundeswehreinsatz in Somalia. Handeln vor oder ohne zu denken, besonders in Schwierigkeiten, scheint die Devise zu sein.

Man könnte die Hoffnung haben, daß auch in unserem Land durch die knapper werdenden Mittel die Militarisierung der Politik nicht weiter zu finanzieren ist. In diesen Zusammenhang wäre z.B. die massive Kritik des Bundesrechnungshof an der Planung des Jäger 90/Eurofighter zu stellen. Aber der Bundesrechnungshof als Mitstreiter der Friedensbewegung?

Wir wollen zum Jahresende mit diesem Heft zu all dem o.G. einen Kontrapunkt setzen: Der Schwerpunkt ist der Friedenswissenschaft gewidmet. Ihre historische Entwicklung während des Kalten Krieges, ihre heutigen Ausprägungen z.B. in institutionalisierter Form in der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und in der Forschungsstädte der Evangelischen Studiengemeinschaft, aber auch die eigenen fachspezifischen Forschungsparadigmen werden in den Beiträgen diskutiert. Dabei wird an vielen Stellen jedoch der Elfenbeinturm verlassen und nach dem konkreten Handlungsbezug dieser Wissenschaft gesucht. Fragen der Möglichkeit zur Politikberatung wie auch Anforderungen aus der Friedensbewegung an die Wissenschaft wurden explizit miteinbezogen. Entgegen dem mainstream steht auch das Dossier »Schwarze Ohnmacht. Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht«. Es umreißt die wichtigsten Bedingungsfaktoren der Entwicklung in den Ländern des afrikanischen Kontinents. Wenn Afrika – sei es in den Medien wie auch in der Politik – zum Thema wird, bekommt dies sehr oft den bitteren Beigeschmack von einem hilflosen Kind, gebeutelt durch Diktatur und Dürre, dessen Not zwar durch wohltätige Gesten gemildert, aber dem letztlich leider nicht geholfen werden kann. Die Beiträge des Dossiers stellen dagegen zum einen die Faktoren dar, die deutlich werden lassen, daß die afrikanischen Staaten keineswegs nur schicksalhaft dem heute existierenden Elend ausgeliefert sind. Zum anderen werden aber auch Handlungsschritte, die auf dem schwarzen Kontinent selbst zumindest zur Stabilisierung der Situation in Gang gesetzt wurden, umrissen. Auch für die im Norden in Zusammenhang mit Afrika diskutierten sicherheitspolitischen Maßnahmen sollten diese Analysen eine tragende Rolle spielen.

1994 ist zumindest was die verfassungsmäßig eingeräumten Möglichkeiten angeht, das Jahr des politischen Handelns. Ihnen und uns wünschen wir für die Zeit zwischen den Jahren Ruhe zum Nachdenken, daneben aber auch Muße zum Feiern.

Ihre Christiane Lammers

Friedenswissenschaft an den Hochschulen

Friedenswissenschaft an den Hochschulen

Perspektiven durch die neue Studienreform?

von Christiane Lammers

Seit 1990 wird über eine Studienreform in der Bundesrepublik diskutiert. Dieser Prozeß sollte sich besonders an einem vom Kanzler einberufenen Bildungsgipfel im Herbst 1993 kristallisieren. Dieses Arbeitstreffen der von der angestrebten Reform verschieden betroffenen Interessengruppen wurde mehrmals verschoben. Die Dissonanzen scheinen doch zu groß, um zu einem gemeinsamen Diskussionsprozeß zu kommen. So kann zur Zeit nur anhand der einzelnen vorliegenden Arbeitspapiere die Frage diskutiert werden, ob eine Reform der Hochschulen zu einer weitergehenden Etablierung der Friedenswissenschaft an den Hochschulen führen kann.

Die Situation der Friedenswissenschaft an den Hochschulen stellt sich derzeit wie folgt dar: Neben den beiden großen Friedensforschungseinrichtungen in der Bundesrepublik, der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), die beide Stiftungen des Öffentlichen Rechts sind, gibt es zahlreiche andere Einrichtungen, die mit unterschiedlichem Status und unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen an den Universitäten im Bereich Friedens- und Konfliktforschung arbeiten. Zu differenzieren ist zwischen 1. den Instituten (z.B. Institut für Entwicklung und Frieden, Duisburg; Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien, Osnabrück; Institut für Friedenssicherrungsrecht und humanitäres Völkerrecht, Bochum; Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung), 2. Arbeits-, Dokumentations- und Forschungsstellen und 3. den Forschungsgruppen und -projekten. Ihnen gemein ist, daß sie in der Regel weitreichend von Drittmitteln wie z.B. Stiftungsgeldern abhängig sind. Unterschiedlich ist ihre Integration in die Hochschulen, so daß i.d.R. bei den Instituten und auch bei der zweitgenannten Gruppe über die Anbindung an InhaberInnen von Hochstühlen (im wahrsten Sinne des Wortes oftmals eine abhängige Verbindung) zumindest ein gewisser Grad an stabiler Institutionalisierung erreicht worden ist (vergl. Handbuch Friedenswissenschaft, ExpertInnen, Institutionen, Hochschulangebote, Literatur; hrsg. v. C.Lammers, K. Battke, C. Hauswedell).

Nicht erreicht wurde, daß die Friedenswissenschaften einen gesicherten Status innerhalb der Lehre haben. D.h. es gibt bisher keinen Studiengang Friedenswissenschaft, es gibt keine eigenständigen Curricula etc.. Ebenso ist nur in wenigen Ausnahmen ein interdisziplinäres Arbeiten möglich, daß den Anforderungen, die der Themenkomplex Frieden stellt, gerecht würde. Am weitgehendsten ist eine fachübergreifende Forschung und Lehre noch in den durch Drittmittel finanzierten Projekten möglich (z.B. Forschungsprojekt „Naturwissenschaftliche und interdisziplinäre Aspekte der Sicherheitspolitik“, TH Darmstadt, Inst. f. Kernphysik). In der Konsequenz heißt das, daß gerade die heutigen Universitätsstrukturen eine den gesellschaftlichen Problemen entsprechende Forschung zu verhindern scheinen.

Nicht zuletzt aus dieser Beobachtung heraus stellt sich die Frage, ob zum einen bei den nun für die Studienreform vorliegenden Vorschlägen die Notwendigkeit einer Integration des Themenkomplexes Frieden in die Hochschulinhalte gesehen wird; und zum anderen, ob hierfür auch die entsprechenden Strukturveränderungen ins Auge gefaßt wurden.

„Die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen, die Vereinigung Deutschlands, der schrittweise Zusammenschluß Europas über den Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion zur politischen Union, die Befreiung und Demokratisierung Ost- und Südosteuropas bestimmen auch die Ziele und Schwerpunkte der Hochschulpolitik in den nächsten Jahren…“ (Hochschulrektorenkonferenz, Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Deutschland, Dokumente zur Hochschulreform 75/1992, S. 5) Dies ist eine der wenigen aufzufindenden Ausführungen, die tatsächlich etwas über die inhaltlichen Rahmenbedingungen und die Aufgaben der Hochschulen in den künftigen Jahren aussagt.

Einen weiteren Begründungszusammenhang, der sich aber schon auf der Schwelle befindet zur ansonsten rein von den ökonomischen Erfordernissen geprägten Argumentation, ist folgender: „Der Standort Deutschland muß auch in den Bereichen Bildung und Ausbildung sowie Wissenschaft und Forschung gesichert werden, damit die gestiegenen Anforderungen im wiedervereinigten Deutschland und im zusammenwachsenden Europa erfüllt und wichtige Zukunftsaufgaben nicht zuletzt im Hinblick auf den sich verschärfenden weltweiten Wettbewerb gelöst werden können. Dabei stellt sich die Aufgabe, Hochschule und Forschung im Zusammenhang mit dem gesamten Bildungs- und Qualifizierungssystem daraufhin zu überprüfen, wie durch strukturverbessernde Maßnahmen und Beseitigung finanzieller Engpässe Funktionsdefizite überwunden werden können und absehbaren Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft besser entsprochen wird.“ 1 Auf den Punkt bringt es letztendlich das Bundesministerium für Forschung und Technologie: „Der Stand der Forschung und der technologischen Leistungsfähigkeit ist eine wesentliche Grundlage der industriellen Zukunft unseres Landes. Er schafft Handlungswissen und Freiräume zum Erhalt und zur Gestaltung unserer Lebensumwelt. Ergebnisse der Wissenschaft sind darüber hinaus bedeutende Kulturwissenschaften. Die Entfaltungsmöglichkeiten, den Reichtum und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und auszubauen ist daher ein wesentliches Ziel der Bundesregierung. Die Herausforderung der Vollendung der deutschen Einheit, ein dramatisch verändertes internationales Umfeld, die Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen und nicht zuletzt Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland erhöhen die Notwendigkeit, Chancen von Forschung und Technologie zu nutzen.“ 2 Zu diesen Zielvorstellungen paßt dann auch, daß den Geisteswissenschaften in dem Bundesbericht an quantitativem Umfang etwas weniger Platz gewidmet wird als der Wehrforschung und -technik.

Daß keine qualitativen, d.h. inhaltlichen Prämissen für die zukünftige Bildungspolitik in Deutschland gesetzt werden, sondern es allein um die Frage geht, wie können wir den StudentInnenmassen »Herr« werden, zeigt dann auch sehr schnell die lange Liste der Reformvorschläge. Hier geht es in allen Papieren um Regelstudienzeiten, erfolgs- und qualitätsorientierte Mittelzuweisung an Hochschulen, um Effizienzsteigerung, verstärkten Ausbau der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten; Weiterentwicklung des Dualen Ausbildungssystems etc.. Im Originaltext lauten die Vorschläge z.B. unter der Überschrift „Qualitativer Ausbau und verbesserte Nutzung der Universitäten in den alten Ländern“ wie folgt:

  • „Konsolidierung und strukturelle Arrondierung in Anlehnung an die durch die Zielzahl von 1977 gegebene Größenordnung; in diesem Rahmen sind auch quantitative Veränderungen möglich.
  • Bei Fortschreibung der Zielzahl von 1977 Sicherung der angestrebten qualitativen und regionalen Aufgabenverteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen.
  • Duchführung von Sanierungen, Modernisierungen an vorhandenen Gebäuden und Ersatzinvestitionen. Verbesserung der Grundausstattung für Lehre und Forschung; Ergänzung und Modernisierung der apparativen Ausstattung.
  • Behebung personeller Engpässe zur Vermeidung von Zulassungsbeschränkungen in Fächern, in denen die Zahl der Bewerber die der vorhandenen Studienplätze übersteigt, der absehbaren Arbeitsmarktentwicklung entspricht und dieser Bedarf nicht durch den entsprechenden Ausbau der Fachhochschulen befriedigt werden kann.
  • Effektivere Nutzung der vohandenen räumlichen Kapazitäten.
  • Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten der Bibliotheken und anderer Infrastruktureinrichtungen, insbesondere Verlängerung der Öffnungszeiten.
  • Breitbandvernetzung im Hochschulbereich und Nutzung des Netzes zu forschungsgerechten Gebühren.“ 3 Wer auf einen Bezug der Maßnahmen auf die versteckt enthaltenen o.g. inhaltlichen Prämissen hofft, z. B. daß die als Schlagwörter fungierenden Begriffe »Interdisziplinarität« und »Vernetzte Handlungsfelder«4 sich in den sehr differenziert dargestellten Reformvorstellungen wiederfindet, hat umsonst gewartet. Hier wird zukunftsträchtige Politik gemacht, die ganz pragmatisch zum einen auf die leeren Kassen des Bundes und der Länder abzielt und zum anderen den nicht mehr weg zu diskutierenden Überfüllungen der Hochschulen Rechnung trägt.

Nach dem Bildungsgipfel, um im Bild des Kanzlers zu bleiben, kann es also nur noch bergab gehen.

Literatur

Lektüre, die alternative Reformvorschläge enthalten, sind: Torsten Bultmann, Zwischen Humboldt und Standort Deutschland. Die Hochschulpolitik am Wendepunkt. Forum Wissenschaft, Studien Bd. 25, Marburg 1993; und Freie Konferenz der StudentInnenschaften an Fachhochschulen (Hg.), Grundlagenpapier des Arbeitskreis Bildungsgipfel, 1993.

Anmerkungen

1) »Eckwertepapier« der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des vorgesehenen bildungspolitischen Spitzengesprächs 1993, S. 1. Zurück

2) Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bundesbericht Forschung, <%-2>Drucksache 12/5500, 21.07.1993, S. 1.<%0> Zurück

3) Zit. n. »Eckwertepapier« s.o., S. 16. Zurück

4) Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft/Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Grundsatzpapier zur Bildungs- und Forschungpolitik, Bonn Februar 1993, S.5. Zurück

Christiane Lammers, Redaktion W & F

Friedens- und Konfliktforschung vor der Abwicklung?

Friedens- und Konfliktforschung vor der Abwicklung?

„…in Zeiten der Abrüstung auch mit Kürzungen in diesem Bereich leben.“ Kommentar zu einer Antwort der Bundesregierung

von Corinna Hauswedell

Das obige Zitat aus der Antwort der Bundesregierung (Drucksache des Bundestages 12/2446 v. 16.4.92) auf die Kleine Anfrage der SPD zu Stand und Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung (FuK) ist verräterisch. Zwar ist man einerseits des (Eigen)Lobes voll über den politischen und wissenschaftlichen Input der FuK in den letzten Jahren und die hierfür bereitgestellte Bundesförderung. So heißt es in der o.g. Drucksache: „Die Förderung hat zu einer positiven Verankerung der Friedens- und Konfliktforschung in der Wissenschaft geführt… Die Aufnahme dieser Fragestellungen (»global change«, Migration u.a., d.V.) und der erforderlichen interdisziplinären Kooperation… kann als Erfolg der problemorientierten Friedens- und Konfliktforschung angesehen werden.“ Und an anderer Stelle: „Die Friedens- und Konfliktforschung hat mit ihren Impulsen die öffentliche Auseinandersetzung über Frieden, Sicherheit und Bedrohung versachlicht. Bereits darin liegt ihre gesellschaftliche und politische Bedeutung… Auf dem Weg zu diesem Ziel (Erhaltung des Friedens, d.V.) braucht die Bundesregierung hochrangigen Rat und Kritik der Wissenschaft. Deshalb hält die Bundesregierung Friedens- und Konfliktforschung für unverzichtbar….“. Auch wenn sicherlich viele FriedenswissenschaftlerInnen neben der „Versachlichung“ der friedenspolitischen Auseinandersetzung auch den Gedanken der Aufklärung, Warnung und Mobilisierung demokratischen Engagements als bedeutsam hinzufügen würden, entnimmt die geneigte Leserschaft dem Text zunächst eine positive Würdigung der FuK und liest erfreut weiter: „…sie (die Bundesregierung, d.V.) wird diesen Forschungsbereich daher weiter fördern.“

Da könnte fast der konkrete Anlaß für die Kleine Anfrage in Vergessenheit geraten. Erinnern wir uns: Im vergangenen Jahr hatte eine intensive Debatte um neue Themen und Forschungsschwerpunkte der FuK nach dem Ende des Kalten Krieges begonnen. Von einem Paradigmenwechsel war die Rede; es schien beinahe Konsens, daß der trügerischen Euphorie von 1989/90, der Friede sei auf den Weg gebracht, nun eine Neukonzipierung zukünftiger Konfliktanalyse und -bearbeitung folgen müsse. Denn bedrohlich schoben sich die neuen „Gefahren“ in den Vordergrund, „deren Nährboden politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Instabilitäten, ethnische Konflikte, Minderheitenprobleme und Flüchtlingsströme sein könnten“ (so auch die Bundestagsdrucksache 12/2446). Der Tendenz, diesen potentiellen „Gefahren“ oder „Bedrohungen“ – denn um potentielle handelt es sich bei solcherart globalen Herausforderungen – mit einer Relegitimierung des militärischen Faktors (vergl. out-of-area-Debatte) zu begegnen, wollten viele FriedenswissenschaftlerInnen nicht folgen. Zu Jahresbeginn erschienen das Memorandum „Friedenssicherung in den 90er Jahren“, herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, ein Papier des Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik (IFSH) „Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts“ sowie eine Reihe weiterer ähnlich argumentierender Publikationen. Grundtenor: Die nach dem Kalten Krieg sichtbarer werdenden Konfliktpotentiale, vor allem zwischen den Industrienationen und der sog. Dritten Welt, seien durch neue Militäroptionen nicht zu bewältigen, vielmehr müsse ein neues ziviles Konfliktregulierungs-Know-How entwickelt werden, müßten die Ursachen der Konflikte einer vertieften Analyse unterzogen werden. Die FuK wolle die offensichtlicher werdenden Interdependenzen von internationalen und innergesellschaftlichen Prozessen vor allem im ökologischen und ökonomisch-sozialen Bereich mit interdisziplinärer Expertise begleiten. Mitten hinein in diese Diskussion kam zum Jahresende 1991 die Meldung von der Kürzung der Bundesmittel für FuK im Haushalt 1992: Von der ohnehin marginalen Summe von 3,2 Mio DM (im gleichen Haushalt 3,6 Millarden DM für Militärforschung – trotz Abrüstungstendenz!) wurden im parlamentarischen Verfahren 1 Mio. DM gestrichen. Die Bundesregierung verkenne nicht, daß dies „zu Beeinträchtigungen bei bereits laufenden Projekten führen kann…“, versichere aber, „für die Jahre ab 1993 sehen die Haushaltsanforderungen des Bundesministers für Forschung und Technologie in etwa den gleichbleibenden Betrag vor.“ In etwa? Hier wollte man offensichtlich beruhigen.

Denn jüngste Blicke hinter die Kulissen der mittelfristigen Finanzplanung verraten im Gegenteil, daß die Gelder für FuK bis 1995 auf Null gebracht werden sollen; vielleicht bleiben etwa 500.000 DM übrig – gerade soviel wie die Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn jährlich erhält, um ihre Service-Aufgaben zu erfüllen. Und da wird sicherlich ein findiger Ministerialbeamter die Frage stellen, wozu denn noch eine Servicestelle nötig ist, wenn keine gesonderten Forschungsvorhaben in diesem Bereich mehr gefördert werden.

Beides, die eigentlich anstehenden inhaltlichen Neuorientierungen in der FuK sowie die dem zuwiderlaufenden Kürzungen waren der SPD-Fraktion immerhin eine Kleine Anfrage wert. Man tut gut daran, die Antwort der Bundesregierung bis zum Ende zu lesen: „Im Vergleich zu den außeruniversitären Einrichtungen ist die Verankerung der Friedens- und Konfliktforschung an den Hochschulen nicht so gut vorangekommen. Es gibt nur wenige Lehrstühle…, Fragen der Friedensforschung werden überwiegend durch Ringvorlesungen und außeruniversitäre Curricula behandelt.“ Und auf die Frage „Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die fundamental veränderte sicherheitspolitische Lage eine qualitative und quantitative Ausweitung sowie eine grundllegende Neukonzipierung der Forschungsförderung im Bereich der FuK verlangt?“ heißt es schließlich: „Die Bundesregierung teilt nicht die der Frage offenbar zugrundeliegende Auffassung, daß die bisherige Friedens- und Konfliktforschung Probleme der tatsächlichen Weltentwicklung nicht genügend berücksichtige. Sie vertraut hierbei auf die Wissenschaft, die an der öffentlichen Diskussion teilnimmt. Die Diskussion oder Einleitung einer Neukonzeption ist vorerst nicht vorgesehen. Zunächst ist die für 1993 vorgesehene Evaluation durch den Wissenschaftsrat abzuwarten.“ Das klingt mehr nach Abwicklung als nach Aufwertung, allemal wenn man die Gerüchte aus der mittelfristigen Finanzplanung hinzunimmt.

Wenn sich diese pessimistische Sicht bewahrheitet, ist mit der Streichung der Sonderforschungsmittel für FuK innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mehr gemeint als der endgültige Abbau einer sozialdemokratisch geprägten Reformruine. Hier wird – durchaus im Bewußtsein neuer Problemlagen – verzichtet auf politische Innovation; hier wird die »Selbstverwaltung der Wissenschaft« beschworen, wo Anforderungen aus dem politischen Raum gefragt wären. Diesen Mangel an neuer politischer Konzeptionsfähigkeit gerade in Bereich Friedens- und Sicherheitspolitik beklagen auch andere: die Bundeswehr allerdings und ihre Eingreifstrategen haben es leichter gehört zu werden – auch »in Zeiten der Abrüstung«. Und hier löst sich der scheinbare Widerspruch im Text der Drucksache 12/2446. Die Bundesregierung zitiert zwar in ihrer Antwort Argumente der Senatskommission der DFG, die wegen der Zivilisierungsleistungen für zukünftige Konfliktbewältigung der FuK eine noch höhere Bedeutung als im Kalten Krieg beimißt, sie teilt diese aber nicht. Sie beschwört die neuen „Gefahren und Unwägbarkeiten“ der internationalen Situation, wichtigste Aufgabe werde es sein, „Barrieren gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu errichten“ (aus der Antwort der Bundesregierung). Aus welchem Stoff diese „Barrieren“ aber sein müssen, um Frieden zu schaffen, – dazu wären Denkaufträge an FriedenswissenschaftlerInnen notwendig. Und zwar im Sinne der „systematischen Förderung von Zusammenhangwissen in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Politik, Völkerrecht, Militär, Technologie, Ökonomie, Ökologie, Kultur und Gesellschaft“ (aus dem o.g. Memorandum). Eine solche interdisziplinär anzulegende Forschung (und Lehre) wird es aber, wenn die Streichung der Bundesmittel bis 1995 vollendet wird, noch viel schwerer haben, als dies bei den gegenwärtigen Schwerpunkten des DFG-Sonderforschungsbereichs FuK ohnehin schon der Fall war. Bereits bisher war es für neuere, auch naturwissenschaftlich inspirierte friedenswissenschaftliche Ansätze äußerst kompliziert, in die gesellschaftswissenschaftliche Domäne einzudringen.

Es bleibt zu hoffen, daß diese jetzt ins Haus stehende weitgehende „Bedrohung“ – dies ist wirklich eine – der Friedenswissenschaften und ihrer Forschungsergebnisse von den WissenschaftlerInnen als Chance begriffen wird, sich über fachliche und politische Grenzen hinweg zu einer »Evaluation von unten« zu entschließen und gegen die Pläne der Bundesregierung gemeinsam vorzugehen. Bereitschaft dazu scheint vorhanden zu sein.

Der vollständige Text der Antwort der Bundesregierung ist bei der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn erhältlich. Aber vielleicht sollten möglichst viele ihn direkt beim Bundesminister für Forschung und Technologie bestellen…

Corinna Hauswedell ist Vorsitzende der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn.

Sind Kriege wieder führbar? oder: Warum wir Krieg generell ablehnen

Sind Kriege wieder führbar? oder: Warum wir Krieg generell ablehnen

von Bendorf • Birk • Gonsior

Prof. Dr. W. Buckel war und ist ein wackerer, unermüdlicher Mitstreiter der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden«. In unserer vorletzten Ausgabe war sein Brief an den Vorstand der Initiative zu lesen, in dem er seine abweichende Meinung zum Golfkrieg kundtat. Prof. Buckel schrieb darin u.a.: „Der fundamentalistische Standpunkt »Krieg um keinen Preis« ist einfach in der Realität sinnlos.“

Die Debatte über die Legitimation von Kriegen, die durch den Golfkrieg aufbrach, ist auch im Vorstand der Naturwissenschaftler-Initiative geführt worden. Wir veröffentlichen einige persönliche Kurzstatements aus diesem Kreis, mit der Aufforderung zur Einmischung an unsere Leser und Leserinnen.

Prof. Dr. Bernhard Gonsior

Friedliche Wege in die Zukunft?

Unser Kongreß in Münster zu Beginn dieses Jahres enthielt diesen Satz als Motto. Nur das Fragezeichen fehlte, das heute meine Stimmung wiedergibt. Es reflektiert die Erkenntnis, wie schwer es ist, friedliche Wege in die Zukunft zu finden.

Nach dem Zerfall des sog. Ostblocks wurde klar, daß das bilaterale Problem der Ost-West-Konfrontation einer multilateralen Problematik weichen würde. Der Golfkrieg zeigte Charakteristika der Nord-Süd-Auseinandersetzung, ausgebrochen auf der Basis der ungelösten Probleme im Nahen Osten. Wer hätte gedacht, daß dabei auch unter uns die Meinung aufkam, unter bestimmten Umständen sei Krieg möglich und führbar, wenn es zur Lösung von Problemen beiträgt.

Ich denke, daß der Golfkrieg gezeigt hat: Krieg darf nicht sein. er löst keine Probleme, er zerstört.Wir müssen in der Zukunft eine Diskussion darüber führen, ob dies unsere unumstößliche Position ist, ob wir damit noch Konsens erreichen können.

Diese Diskussion war deutlich und klar angesichts der atomaren Bedrohung eines Ost-West-Konflikts. Es besteht die Gefahr einer Aufweichung dieser Position unter gewissen Umständen. Das begünstigt Kriege, wie sie in Zukunft drohen: Nationalitätenkonflikte, Rohstoff- und Energiekonflikte, die die Nord-Süd-Konfrontation bestimmen werden und die Auseinandersetzung um Wasser und andere lebenswichtige Quellen.

Die atomare Bedrohung bleibt: das START-Abkommen ist kein einschneidender Abrüstungsvertrag geworden; die nuklearen Sprengköpfe bleiben, modernisiert kehren sie nach Europa zurück, Frankreich produziert neue, atomare Kurzstreckenraketen (HADES), die nach Deutschland reichen.

Auch bei uns wird weitergerüstet. Der Etat für Wehrforschung steigt. Die NATO probt das Umdenken und Umlenken auf neue Feindbilder. Auf welche?

Ich denke, unsere Position muß eindeutig auf Kriegsvermeidung, auf das friedliche Lösen von Konflikten gerichtet sein. Das Denken von Ausnahmen bedeutet unser Versagen. Unsere Position muß Militärkritik sein. Unsere Position sucht den Frieden unter den Völkern und mit der Natur, so sehr man an den Umständen auch verzweifeln mag.

Unsere konstruktive Utopie besagt: Unter dem gemeinsamen Dach Europas vom Atlantik bis zum Ural darf es keine Atomwaffen geben, muß die gemeinsame Sicherheit durch gemeinsame Abrüstung vorangetrieben werden. Unsere konstruktive Utopie verlangt, daß wir von den Atommächten bis 1995 eine drastische Reduktion der atomaren Waffen fordern, damit Weiterverbreitung vermieden und der Weiterverbreitungsvertrag gesichert wird. Auch die Bush-Gorbatschow-Initiativen sind dann noch weit von dem entfernt, was wir fordern müssen. Unsere konstruktive Utopie enthält schließlich, daß wir den Frieden mit der Natur zum Bestandteil unserer gemeinsamen Sicherheit machen.

Nach wie vor bleiben unsere Forderungen aus den Hamburger Abrüstungsvorschlägen und der Mainzer Appell zur Verantwortung für den Frieden maßgebend.

Rosemarie Bendorf

Wir müssen eine klare Sprache sprechen

Es fällt mir schwer aus aktueller Sicht etwas zur Krieg/Frieden-Problematik zu schreiben, denn meine Haltung ist zu dieser Frage starr und unverrückt, seid ich denken kann. Das rationale Element spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Geboren und aufgewachsen nach dem Krieg, haben dessen Spuren und Folgen doch nachdrücklich meine Kindheit bestimmt. Meine Spielplätze lagen, nicht ungefährlich, in Trümmergrundstücken; drei meiner Onkel waren im Krieg umgekommen; meine Familie, die vorher in drei oder vier eng beieinanderliegenden Dörfern gelebt hatte, war nun zerstreut zwischen Hamburg und München, Cottbus und Köln. Der Neuanfang in der Fremde und mit einer armseligen Habe war schwer. Noch heute bin ich voller Bewunderung für meine Tanten, die ohne ihre Männer Flucht und Neubeginn mit ihren kleinen Kindern unter den schwierigsten Bedingungen durchstanden und meisterten. Hinzukam eine wirklich überzeugende antimilitaristische Erzeihung in meinen ersten Schuljahren, gefestigt durch die Lektüre Heinrich Bölls, dessen Bücher ich verschlang.

Einige Anmerkungen möchte ich machen zum heuchlerischen und verbrämenden Umgang mit Worten und Begriffen. Eine klare Sprache ist aber eine Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Es beginnt damit, daß das Kriegsministerium Verteidigungsministerium heißt, ohne mit der ihm unterstellten Armee samt Waffenarsenal streng den Kriterien einer reinen Verteidigungsstreitmacht zu genügen. In der DDR wurde z.B. oft das Bild Wilhelm Buschs gebraucht, der seine »Waffen« – die Stacheln – nur zu seiner Verteidigung einsetzt und einsetzen kann. Es endet damit, daß Waffen »peace keeper« heißen und vorgegeben wird, daß Kriege zur Konfliktlösung tauglich, ja mitunter das einzig mögliche Mittel seien.

Damit bin ich bei der gegenwärtigen Situation. Im Philosophischen Wörterbuch fand ich unter dem Stichwort Krieg folgende Definition: „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mittels organisierter bewaffneter Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele und ökonomischer Interessen.“ Eine schrecklich trockene Formulierung – nichts von Tod, Verwüstung, Haß und Schuld! Die Formulierung ist mir dennoch wichtig, weil sie klipp und klar sagt, wozu das Mittel Krieg einsetzbar ist: zur gewaltsamen Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen des Kriegführenden. Krieg so entsprechend seinem Zweck eingesetzt, brachte oft den gewünschten Erfolg (siehe die Geschichte Preußens). Aber Konflikte, wie man in jüngster Zeit lesen und hören konnte, wurden durch Kriege nie gelöst und sie sind auch per definitionem kein brauchbares Instrument dafür. Jede x-beliebige Nachricht aus Krisengebieten bestätigt dies wieder und wieder. Die Vorgabe mit Hilfe des Krieges Konflikte lösen zu wollen, scheint mir nur vorgetäuscht, um die eigentlichen ökonomischen und politischen Interessen zu bemänteln. Dies ist ein weiterer Grund für mich den Krieg abzulehnen, da er unmöglich das Ziel, zu dem er vorgeblich eingesetzt wird, erreichen kann.

Mit weiteren Ablehnungsgründen, die vor allem in der immer stärkeren Verletzlichkeit moderner Industriegesellschaften, der möglicherweise weltzerstörenden Wirkung der neuesten Waffensysteme und dem Wegfall des Feindblocks im Osten liegen, will ich mich hier nicht befassen. Sie erhärten meine Absage an den Krieg – sind aber für mich nicht ausschlaggebend.

Fazit: Ich lehne den Krieg, zu welchem Zweck auch immer ab. Meine Gründe sind mehr emotionaler Art als rationaler; werden aber durch die Forschungen zu den Folgen eines Krieges in der heutigen Welt nur erhärtet.

Dr. Isolde Birk

Kriege durch klügere Politik und Stopp des Waffenexports verhindern

Insbesondere im Zusammenhang mit dem Golfkrieg wurde viel darüber diskutiert, ob es richtig sei, einen Aggressor – wie zum Beispiel Saddam Hussein – mit Waffengewalt dazu zu bringen, seine Truppen wieder zurückzuziehen und das Land aufzugeben. Von vielen wurde diese Massnahme begrüsst, weil sie Krieg für die einzige oder adäquate Möglichkeit hielten, Kuwait zu befreien. Hierbei spielte auch der Wunsch, S. Hussein zu bestrafen, eine grosse Rolle.

Ich bin voll und ganz der Meinung, daß es die Völkergemeinschaft nicht tolerieren sollte, daß ein Land überfallen wird. Und sicher ist es auch richtig, daß der jeweilige Aggressor bestraft werden sollte. Aber ich halte Krieg für das falsche Mittel, um das überfallene Land wieder zu »befreien« und wie gerade das Fallbeispiel Golfkreig wieder zeigt, wird eben nicht der Aggressor durch den Krieg bestraft (zumindest nicht angemessen), sondern das Volk, eigentlich sogar mehrere Völker.

Krieg ist immer ein Zeichen für politisches bzw. diplomatisches Versagen. Sogar die Tatsache, daß S. Hussein Kuwait angreifen konnte, war schon eine Folge politischen Versagens, denn es gab genug Gründe zu befürchten, daß er Kuwait angreifen wollte. Es wäre also möglich und notwendig gewesen, vor dem Angriff auf ihn einzuwirken, um diesen zu verhindern. Und: hätte man versucht, Kuwait mit einem solchen Aufwand zu »befreien«, wenn es dort kein Öl gäbe? Und: hätte S. Hussein angreifen können, hätten ihm andere Länder nicht Waffen und Industrieanlagen zur Herstellung von Waffen geliefert?

Aber es wurde Krieg gegen Hussein geführt und das Ausmaß der Zerstörung, auch in Kuwait, ist weit grösser, als es zu erwarten gewesen wäre, hätte man sich ausreichend bemüht, mit anderen politischen Mitteln Husseins Abzug zu erreichen:

  • Es wurden mehr Soldaten und Zivilisten verwundet und getötet.
  • Leben und Gesundheit der Bevölkerung sind durch die zerstörte Infrastruktur und dem daraus folgenden Mangel an Lebensmitteln und sauberem Wasser bedroht.
  • Auch ohne den Einsatz von A-, B- und C-Waffen war die Zerstörung durch konventionelle Waffen verheerend. Aber immer besteht heute bei Kriegen die Gefahr, daß auch A-, B- und C-Waffen eingesetzt werden. Und es besteht auch immer die Gefahr, daß im Falle einer Eskalation auch die beste B- und C-Waffen-Konvention nicht eingehalten wird.
  • Durch den Krieg wurden auch zunächst unbeteiligte Völker betroffen: so wurde Israel mit C-Waffen bedroht und mit konventionellen Waffen angegriffen.
  • Der ökologische Schaden, der durch ins Grundwasser und ins Meer diffundierendes Öl sowie durch die Verbrennung des Öls entstanden ist, ist schon jetzt katastrophal und die weiteren Auswirkungen sind noch gar nicht abzuschätzen. Die ökologischen Schäden haben noch mehr als die Anwendung von Waffen globale Auswirkungen, die uns noch lange verfolgen werden.

Fehlende Überweisungen ausländischer Arbeitnehmer in der Golfregion an ihre Familien in der Heimat bedrohen deren Existenz. Länder der sogenannten »Dritten Welt« wurden während des Golfkrieges noch mehr vernachlässigt, und da für den Krieg auch von den nicht direkt beteiligten Industriestaaten immense Summen ausgegeben wurden, steht weniger Geld für Entwicklungshilfe zur Verfügung.

Dies sind nur einige wenige Punkte, die darauf hinweisen, daß ein »Befreiungskrieg« weit grössere Schäden anrichtet als andere politische Mittel, auch wenn diese vielleicht mehr Zeit brauchen.

Dies gilt nicht nur für den Golfkrieg, sondern für alle Kriege. So könnte zum Beispiel auch der Bürgerkrieg in Jugoslawien durch Einmischung von außen in Form von Waffengewalt eskalieren. Aber: gäbe dies diesen Bürgerkrieg ohne (deutsche und andere) Waffenlieferungen von aussen?

Krieg muß nicht sein und darf nicht sein. Es gibt genug andere politische Mittel, um Krieg zu vermeiden. Auch Angriffskriege wie die eines machtgierigen Saddam. Durch eine klügere Politik und Diplomatie hätte man diesen Krieg verhindern können, hätte man das gewollt. Vor allem aber hätte man ihn verhindern können, hätte man keine Waffen geliefert.

Naturwissenschaftliche Verifikationsforschung in Bochum

Naturwissenschaftliche Verifikationsforschung in Bochum

Zweite Phase angelaufen

von Jürgen Altmann

Seit April 1988 läuft im Institut für Experimentalphysik der Ruhr-Universität Bochum (RUB) das Forschungsprojekt „Neue technische Mittel für kooperative Verifikation in Europa“. Dieses Projekt wurde von der Stiftung Volkswagenwerk – im Rahmen integrierter Forschung und Lehre zu Fragen der Friedenssicherung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und des bewaffneten Konflikts an der RUB – zunächst für drei Jahre gefördert. Gemäß dem Ziel, zukünftige Verifikationsverfahren angewandt-physikalisch zu erforschen, arbeiten wir an Sensoren, mit denen man Land- und Luftfahrzeuge über mittlere Entfernungen (von 20 m bis zu einigen km) nachweisen kann. Konkret untersuchen wir seismische, akustische und magnetische Signale, die von fahrenden oder fliegenden Fahrzeugen hervorgerufen werden. Sensorsysteme können sicherstellen, daß keine Panzer ein Depot oder eine Fabrik heimlich (z.B. durch die Umfriedung) verlassen; sie können Flugbewegungen auf Flugplätzen mitzählen. Obergrenzen in einer Region können durch Überwachung der Grenzlinien überprüft werden; im Kontext Friedenserhaltender Maßnahmen ist auch die Kontrolle vereinbarter waffenfreier Zonen möglich.1

Für diese Forschung mußte ein größeres Meßsystem aufgebaut werden. Nachdem Anfang 1989 zwei Physik-Doktoranden hinzugekommen waren, bemühten wir uns 1. um internationale Kooperationspartner und 2. um die Erlaubnis, an militärischen Fahrzeugen die uns interessierenden Signale zu messen. Mit beidem waren wir in der ehemaligen CSSR am schnellsten erfolgreich: Im August 1989 führten wir – gemeinsam mit tschechoslowakischen Wissenschaftlern – die ersten Messungen seismischer und akustischer Signale an einem Jeep, einem mittleren und einem schweren Lkw sowie einem Panzer durch.2 Kurz darauf durften wir auch an entsprechendem Gerät der Bundeswehr messen; an den Experimenten im Dezember 1989 auf dem Truppenübungsplatz Baumholder (Rheinland-Pfalz) nahmen dann schon Wissenschaftler(innen) aus der CSFR, aus Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und den USA teil.3 1990 kamen Partner aus der UdSSR, Kanada und der ehemaligen DDR dazu.

Die Serie internationaler Meßkampagnen an Militärgerät wurde fortgesetzt: Im Dezember 1990 – wieder in Baumholder – waren vor allem Gruppen von Fahrzeugen das Meßobjekt. Flußüberquerungen mit Heeresgerät nahmen wir im April 1991 in Windheim-Jössen an der Weser auf. Die erste Messung militärischer Flugzeuge machten wir im Mai dieses Jahres in Bechyne, CSFR.

Die Auswertungen der vielen Meßdaten sind in vollem Gang. Einige erste Ergebnisse sind z.B.: Seismische Signale von mittleren und schweren Lkw sowie von Kettenfahrzeugen sind – auch bei langsamer Fahrt – noch in 300 m Entfernung stärker als die normale Bodenunruhe. Kettenfahrzeuge erzeugen starke rhythmische Bodenvibration, die streng an das Aufschlagen der Kettenglieder gekoppelt ist; daraus läßt sich wahrscheinlich ein Erkennungskriterium gewinnen. Bei Radfahrzeugen scheint die Lage komplizierter: Reifen-Schwingungen und Reifenprofil sowie akustisch eingekoppelte Signale des Motors tragen zur Bodenvibration bei.

Ähnliche Messungen sind in der Militärforschung der Industrieländer schon seit Jahren durchgeführt worden (zur Gefechtsfeld-Aufklärung, zum Zünden von Minen usw.). Deren Ergebnisse sind aber geheim. Wo überhaupt etwas darüber veröffentlicht wird, werden nur allgemeine Angaben gemacht. Ausführliche Meßbedingungen und -daten werden nicht angegeben; oft werden Achsen nicht beschriftet.4 Es scheint, daß die staatlichen Rüstungsforschungs-Abteilungen sich auch nicht sonderlich bemühen, den Abrüstungs-Verhandlern die Fähigkeiten der Sensoren für die Verifikation nahezubringen. Um der Öffentlichkeit – und damit auch allen Staaten – eine fundierte Beurteilung der Verifikation mit Sensoren zu ermöglichen, müssen wir daher ihre Eigenschaften von Grund auf neu messen und analysieren.

Naturwissenschaftliche Abrüstungsforschung an Hochschulen kann ihre Ergebnisse – anders als die militärische Forschung – publizieren. Sie kann aber noch weitere Akzente setzen, indem sie international, vor allem blockübergreifend (soweit man das heute noch sagen kann), durchgeführt wird. Sie kann internationale Kooperation in der Verifikationsforschung schon zu einer Zeit ermöglichen, in der Staaten zu offizieller Zusammenarbeit noch nicht bereit sind, und so die Akzeptanz für neue Verifikationsmethoden auf allen Seiten erhöhen. Das Bochumer Projekt steht in einer Reihe mit der internationalen Zusammenarbeit bei der Detektion unterirdischer Kernwaffentests, mit dem USA-UdSSR-Projekt zum Nachweis von Kernsprengköpfen und mit der Pugwash-Arbeitsgruppe zur Verifikation des Chemiewaffenabkommens.5

Unser Projekt hat – gemeinsam mit der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung – etwa halbjährlich Arbeitstagungen in Bonn durchgeführt, wo sich Personen aus Ministerien, Wissenschaft und Industrie über die Wiener Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) sowie über Verifikationsmethoden ausgetauscht haben. Im internationalen Rahmen haben wir die Workshops on Verification of Arms Reductions mit initiiert und vorbereitet. Der erste Workshop fand Ende 1988 in London statt, der zweite im September 1990 in Wien.6 Weil die Teilnehmer(innen) aus Verhandlungsdelegationen und Regierungsbehörden, Politik- und Naturwissenschaft, Industrie und Militär in Ost und West kamen, wurden sowohl die aktuellen Entwicklungen in den Verhandlungen wie auch die Perspektiven von Abrüstung und Verifikation diskutiert. Der Wiener Workshop war vor allem auf den KSE-Vertrag bezogen; hier wurden auch erstmals ausführlicher Ergebnisse naturwissenschaftlich-technischer Verifikationsforschung vorgetragen.

Die Gutachter der Stiftung Volkswagenwerk haben das Bochumer Projekt sehr positiv beurteilt. Die nunmehr bewilligten Mittel für die zweite Phase enthalten ein weiteres Graduiertenstipendium für eine(n) dritte(n) Doktoranden/in. In den verbleibenden zwei Jahren wollen wir noch mindestens je eine Meßkampagne an Land- und an Luftfahrzeugen machen, und zwar möglichst auf dem Territorium der (ehemaligen) UdSSR. Die ersten beiden Doktorarbeiten (über den seismisch-akustischen Nachweis von Landfahrzeugen, über einen SQUID-Magnetfeldsensor mit Hochtemperatur-Supraleiter) sind abzuschließen; die noch ausstehenden Forschungsberichte über Meßkampagnen müssen – nach ausführlicher Datenauswertung – geschrieben werden. Mit dem Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der RUB wollen wir Musterformulierungen für einen Vertragsartikel, für das Verifikationsprotokoll und für den technischen Anhang ausarbeiten, wie sie zur Regelung der Sensor-spezifischen Aspekte in einem künftigen Abrüstungsvertrag in Europa (KSE 2 oder 3?) stehen könnten. Weil naturwissenschaftliche Abrüstungsforschung noch auf geraume Zeit erforderlich bleiben wird, werden wir uns dafür einsetzen, daß diese Forschung – nach Auslaufen der fünfjährigen Startfinanzierung durch die Stiftung Volkswagenwerk – an der RUB institutionalisiert und auf Dauer weiterbetrieben wird.

Mitarbeit an Lehrveranstaltungen (Auswahl)

  • Konventionelle Rüstungsbegrenzung in Europa heute – interdisziplinäre Vorlesung zu technischen, historischen und rechtlichen Fragen
  • Physik und Technik der Verifikation von Rüstungsbegrenzungsabkommen
  • Abrüstung und Rüstungskontrolle II – Praxis der Rüstungskontrolle: Vertragsanwendung, Vertragsbruch, Verifikation
  • Kooperative Sicherheitsstrukturen im neuen Europa – Abrüstung, Verifikation, Zusammenarbeit

Meß- und Auswertegeräte (Auswahl)

  • 21 Geofone; 14 Mikrofone; 2 Magnetfeld-Sensoren; 3 Unterwasser-Mikrofone
  • 30 Vorverstärker-Kanäle
  • Analog-Digital-Wandler mit Multiplexer für 64 Kanäle, 12 Bit Auflösung, 80.000 Werte/Sekunde kontinuierlich auf Festplatte
  • Laptop-Computer (niedriger Stromverbrauch, 80C286) mit Erweiterungsbox für Steckkarten, externe Festplatte 1050 Megabyte, externe optische Platte für 800-Megabyte-Kassetten
  • Schnelle Computer (80386) – auch hier können die externen Platten angeschlossen werden
  • 2 große 12-V-Batterien (je 230 Ah), Ladegerät, 220-V-Wandler für netzunabhängigen Meßbetrieb
  • 2100 m Kabel
  • selbst geschriebenes Meß- und Auswerteprogramm, insgesamt ca. 600 Kilobyte Quelltext in Turbo-Pascal

Anmerkungen

1) Für den Sensoreinsatz zur Verifikation s. z.B.: J. Altmann, B. Gonsior, Nahsensoren für die kooperative Verifikation der Abrüstung von konventionellen Waffen, Sicherheit und Frieden, vol. 7, no. 2, pp. 77-82, 1989. Zurück

2) R. Alfier, J. Altmann, L. Anger, W. Baus, B. Gonsior, J. Hanousek, W. Kaiser, J. Klinger, J. Malek, M. Pospisil, V. Rudajev, I. Sabo, Ground Vibration and Acoustic Waves Produced by Land Vehicles of the Warsaw Treaty Organization – Results of the 1989 Measurements at Doksy, CSFR, Verification – Research Reports, no. 1, Bochum: Brockmeyer, 1990. Die von uns gegründete Berichtsreihe ist auch für Ergebnisse aus anderen Institutionen offen, z.B.: Burkhard Rost, Automatic Sensor Networks for Verifying Disarmament of Aircraft, Verification – Research Reports, no. 2, Bochum: Brockmeyer, 1991. Zurück

3) R. Alfier, J. Altmann, W. Baus, A. DeVolpi, B. Gonsior, J. Grin, J. Hanousek, V. Journé, W. Kaiser, J. Klinger, P. Lewis, J. Malek, J. Matousek, M. Pospisil, B. Rost, V. Rudajev, I. Sabo, P. Stein, Ground Vibration, Acoustic Waves and Magnetic Disturbances Produced by Land Vehicles of the North-Atlantic Treaty Organization – Results of the 1989 Measurements at Baumholder, FRG, Verification – Research Reports, no. 3, Bochum: Brockmeyer, to appear in 1991. Zurück

4) S. z.B. die Jahresberichte der schwedischen Verteidigungsforschungsanstalt FOA: Seismology 1985, FOA Rapport C 20605-T1; Seismology 1986, FOA Rapport C 20662-9.1 (2.2). S. auch: A. Güdesen, G. Becker, J. Klemp, Luft- und Bodenschallsensoren in der Wehrtechnik, in: Jahrbuch der Wehrtechnik, Bd. 19, Koblenz: Bernard & Graefe, 1990. Zurück

5) Unser Projekt wurde zu mehreren internationalen Buchprojekten über die Verifikation der Abrüstung konventioneller Streitkräfte eingeladen, u.a.: R. Kokoski, S. Koulik (eds.), Verification of Conventional Arms Control in Europe: Technical Constraints and Opportunities, Stockholm/Boulder: SIPRI/Westview, 1990; J. Grin, H. van der Graaf (eds.), Unconventional Approaches to Conventional Arms Control Verification – An Exploratory Assessment, Amsterdam: VU University Press, 1990; F. Calogero, M. L. Goldberger, S. P. Kapitza (eds.), Verification – Monitoring Disarmament, Boulder etc.: Westview, 1991. Zurück

6) J. Altmann, J. Rotblat (eds.), Verification of Arms Reductions – Nuclear, Conventional and Chemical, Berlin etc.: Springer, 1989; J. Altmann, H. van der Graaf, P. Lewis, P. Markl (eds.), Verification at Vienna – Monitoring Reductions of Conventional Forces, to be published. Zurück

Dr. Jürgen Altmann ist Physiker an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied der Naturwissenschaftler – Initiative »Verantwortung für den Frieden«

Exkurs zum Friedensbegriff in der Friedenswissenschaft

Exkurs zum Friedensbegriff in der Friedenswissenschaft

von Karlheinz Koppe

Die Debatte über die Spannweite des Friedensbegriffes (und analog dazu des Sicherheitsbegriffes) ist so alt, wie es Friedens- und Konfliktforschung gibt. Unbeschadet oder trotz umgangssprachlicher Begriffsbildungen wie »innerer Friede« und »soziale Sicherheit« wird von vielen Friedensforscherlnnen der Begriff Frieden mehr oder weniger eng auf den Zustand der internationalen Beziehungen bezogen und die damit <->zusammenhängende Sicherheitsproblematik ebenfalls mehr oder weniger eng militärisch/territorial interpretiert. Dies wird nur scheinbar durch den Verweis auf den Gegenbegriff von Frieden, nämlich Krieg, bestätigt, denn schon beim Begriff »Bürgerkrieg« zögern wir, den entsprechenden Gegenbegriff zu benutzen: »Bürgerfrieden«, was in der Tat innerem Frieden und sozialer (innerer) Sicherheit sehr nahe käme. Hilfsbegriffe wie »negativer Frieden«, »positiver Frieden« und »Gerechtigkeit« geben das, was zum Ausdruck gebracht werden soll, nur unvollkommen wider.

Die Wissenschaftlerlnnen, die sich seit Mitte der sechziger Jahre kritisch mit diesem »engen« Friedens- und Sicherheitsverständnis auseinandersetzen und deshalb sich zur »kritischen Friedensforschung« rechnen, haben stets die innere, gesellschaftliche Dimension des Friedens in ihre Analysen und theoretische Reflektionen einbezogen. Ihr Gegenbegriff ist nicht allein Krieg, sondern Gewalt in allen ihren internationalen und innergesellschaftlichen Erscheinungsformen. Galtungs Arbeiten zur »strukturellen Gewalt« haben freilich die Auseinandersetzung enger versus weiter Friedensbegriff nicht beendet, wohl aber – wie ich meine – zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung geführt.1 Mit der Zeit haben Friedensforscherlnnnen beide Ansätze bestenfalls als komplementär gelten lassen oder einfach ihren jeweiligen eigenen Ansatz verfolgt, ohne weiter auf diese Auseinandersetzung einzugehen. Nicht zuletzt aufgrund der politischen Rahmenbedingungen und der staatlichen Forschungsförderungspraxis konnten sich die »traditionellen« Ansätze mit einer Fülle empirisch angelegter Untersuchungen durchsetzen.2 Ich habe dies stets für eine Verarmung der Friedensforschung gehalten, die zu einer Vernachlässigung theoretischer Reflektion geführt hat.

Forschung über Ursachen und Bedingungen von Gewalt

Für mich hat es Symbolwert, daß das erste wirklich deutsche friedenswissenschaftliche Kolloquium vom 17. – 19. Juli 1990 in Berlin just in dem Haus am Kleinen Wannsee tagte, in dem 19 Jahre zuvor eine Erklärung verabschiedet wurde, die als eines der Grunddokumente der kritischen Friedensforschung in der Bundesrepublik bezeichnet werden kann. Dort heißt es: „Friedensforschung ist Forschung über Ursachen und Bedingungen von Gewaltanwendung. Sie fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen friedfertigen Konfliktverhaltens. Ihre Forschungsstrategie, die die strukturelle Dimension kollektiver Gewalt berücksichtigen muß, ist auf die Verminderung organisierter Gewaltpotentiale sowie kollektiver und individueller Gewaltanwendung gerichtet.“ 3 Auch der Wissenschaftsrat, der zur Gründung der inzwischen wieder aufgelösten Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung gutachterlich Stellung nahm, hatte sich ähnlich geäußert: „Sie (Friedensforschung) ist »engagierte Wissenschaft«, die auf Veränderung der bestehenden Verhältnisse gerichtet ist, soweit diese durch Unfrieden und die Austragung von Konflikten mit Gewalt gekennzeichnet sind… Da das Verhältnis der Staaten zueinander mit den inneren Verhältnissen in den Staaten zusammenhängt, und der gesellschaftliche Friede wiederum von der Einstellung der Individuen zueinander und zu ihrem eigenen Leben beeinflußt wird, kann der Frieden nicht nur als ein Phänomen zwischenstaatlicher Beziehungen verstanden werden. Vielmehr muß die wissenschaftliche Erforschung des Friedens einschließlich der sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Strukturen sowie der psychologischen Faktoren erfolgen.“ 4 Bemerkenswert ist, daß der eher traditionellen Denkschemata verpflichtete Wissenschaftsrat die Kategorie »Krieg« und »Bürgerkrieg« durch den weiteren Begriff »Unfrieden« erweitert, um damit gewaltträchtige innergesellschaftliche Konflikte zu bezeichnen, und analog dazu die Kategorie »Frieden« durch den Begriff »gesellschaftlicher Friede«.

Daraus leite ich ab, daß die Auseinandersetzung über den Friedensbegriff für die Friedenswissenschaft unverzichtbar ist. Der Streit um ein enges oder weites Verständnis ist notwendig und darf nicht zugunsten des engen Verständnisses beendet oder auch nur verkürzt werden. Er ist in den letzten Monaten erneut virulent geworden, unter anderem weil – wie ich vermute – die inzwischen schon »klassisch« zu nennende Friedensforschung (in den achtziger Jahren weitgehend synonym mit Rüstungskontrollforschung und Ost-West-Konfliktforschung) durch die politischen Ereignisse obsolet geworden ist, und zwar nicht erst seit dem 3. Oktober oder 9. November 1990.

Friedensforschung und globale Probleme

Die Friedenswissenschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Kanada, aber auch in Finnland und teilweise in Norwegen und Schweden, hat übrigens zu keinem Zeitpunkt eine Entscheidung für einen engen oder weiten Friedensbegriff gesucht. Rund die Hälfte aller friedenswissenschaftlichen Curricula (peace studies) in diesen Ländern rangieren unter dem Begriff der conflict resolution, die nach Lösungsmodalitäten für äussere und innere Konflikte sowie Überwindung von Gewalt (wiederum in allen ihren Erscheinungsformen) sucht. Vor allem werden in diesen Ländern die neuen Bedrohungen in den Bereichen der Wirtschaft und der Umwelt ausdrücklich und intensiv in die Friedensforschung einbezogen. Die Eigenprojekte und Drittmittelbewilligungen des United States Institute for Peace (USJP), das vom Kongreß unterhalten wird (und von dem bei Gründung – zu Unrecht – befürchtet wurde, daß es sich eher in Richtung eines traditionellen Strategieforschungsinstituts entwickeln könnte) beziehen sich auf Konflikte unterschiedlichster Art. Ähnliches gilt für die großen US-amerikanischen Stiftungen (Ford, Rockefeller, Carnegie, MacArthur). Bemühungen, wie sie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der VW-Stiftung zu erkennen sind, nämlich Friedensforschung auf einen sehr engen Friedens- und Sicherheitsbegriff festzulegen (andere Fragestellungen werden natürlich auch gefördert, dann aber unter Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Ökologie usw.), sind dort unvorstellbar. Das von der kanadischen Regierung in Ottawa unterhaltene Canadian Institute for International Peace and Security (CJJPS) hat in den letzten zwei Jahren den ökonomischen und ökologischen Bedrohungen einen gleichen friedens- und sicherheitspolitischen Rang, wenn nicht sogar einen Vorrang gegenüber militärisch-sicherheitspolitischen Untersuchungen eingeräumt. Schließlich und endlich hat das jüngste Friedensgutachten der drei (bundesrepublikanischen Friedensforschungsinstitute (HSFK, IFSH, FES) ebenfalls die neuen Bedrohungen deutlicher als bisher hervorgehoben. Rüstungskontrolle ist nur noch eins von vier Kapiteln und überdies das letzte. An erster Stelle stehen »Globale Probleme«, eingeleitet mit einer Studie zur »Internationalen Klimakonvention«. Gert Krell schreibt in seinem einführenden Essay: „Die klassische Friedens- und Sicherheitspolitik muß von der Ökologie- und der Entwicklungsproblematik her neu definiert werden.“ 5 Das gilt für die Friedensforschung gleichermaßen, denn sonst entsteht die absurde Situation, daß die Politik zum Vorreiter eines neuen Friedensverständnisses wird und die Wissenschaft nur noch empirisch die politischen Vorgaben nachbereitet. Wer sollte unter solchen Umständen noch Friedensforschung fördern wollen?

Ein denkbares und nach meiner Ansicht notwendiges Einvernehmen darüber, daß der Friedensbegriff nicht enggeführt werden, sondern Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses bleiben sollte, beantwortet freilich nicht einen anderen, pragmatischen Einwand gegen einen allzu ausufernden Friedens- und Sicherheitsbegriff: die Sorge, daß ein weiter Friedensbegriff kaum überschaubar und noch weniger handhabbar sei. Ein(e) Friedensforscherln könne nicht die Fülle aller denkbaren friedensrelevanten Faktoren im Blick haben. Empirische Untersuchungen würden wenn nicht unmöglich, so doch erheblich erschwert. Ein weites Friedensverständnis schließt jedoch nicht aus, daß der/die einzelne Wissenschaftlerln sich einem bestimmten Forschungsbereich zuwendet, um diesen zu analysieren und zu bearbeiten. Andere werden die Verknüpfungen der verschiedenen Ebenen und Felder zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen. Beide können aus ihren jeweiligen Erkenntnissen Schlüsse ziehen und in die theoretische Reflektion einbringen.

Schnittstellenforschung

Das wiederum bedeutet nicht, daß sich Friedensforschung zur Wirtschafts- oder Umweltforschung entwickeln muß. Der Beitrag der Friedensforschung sollte vielmehr darin bestehen, die Schnittstellen zu erkunden, wo beispielsweise wirtschaftliche, ökologische oder gesellschaftliche Erscheinungen und Vorgänge beginnen, den äußeren und/oder inneren Frieden zu gefährden. Das sind vor allem jene Gefährdungen, die grenzüberschreitende Wirkung haben und damit die Interessen von Nachbarstaaten beeinträchtigen. Oft genanntes Beispiel ist neben der Luftverschmutzung (saurer Regen, Treibhauseffekt, Ozonlöcher), die grenzüberschreitende Nutzung von Wasser und Ressourcen (Nil, Euphrat, Jordan, Niger, Ostsee, Nordsee, Tropenwälder, Erdöl – die Besetzung Kuweits durch den Irak wurde – zumindest formaljuristisch – mit dem Anzapfen irakischer Ölfelder durch die Kuweitis begründet). Auch der Rechtsextremismus kann eine friedensgefährdende Dimension annehmen, wenn er durch eine Bedrohung demokratischer Ordnungen oder territoriale Forderungen die internationalen Beziehungen gefährdet. Das gleiche gilt für linksextreme Aktivitäten ebenso wie für ethnisch oder fundamentalreligiös determinierte Spannungen. Der Umgang mit Muslimen oder Staatsangehörigen von Dritte-Welt-Ländern in den Industriestaaten kann unter Umständen die sowieso schon latent gespannten Nord-Süd-Beziehungen verschärfen. In allen diesen Fällen kann die Friedenswissenschaft auf Expertisen der relevanten Disziplinen zurückgreifen oder sich um Kooperation mit diesen bemühen, um die friedenspolitische (in den meisten Fällen potentiell friedens- und sicherheitsgefährdende) Dimension solcher Vorgänge zu untersuchen und in vielen Fällen überhaupt erst sichtbar zu machen. So erscheint mir beispielsweise eine kritische Überprüfung der Europäischen Gemeinschaft auf ihre internationale (und vielleicht sogar europäische) Friedensverträglichkeit hin überfällig, nachdem über Jahrzehnte hinweg die friedensstiftende Wirkung der Integration einfach unterstellt und nie hinterfragt wurde.

Verträglichkeitsforschung

Damit komme ich neben dem, was ich mit Schnittstellenforschung als einer wichtigen Aufgabe der Friedenswissenschaft bezeichne, zu einem weiteren Begriff, der helfen kann, sich dem Friedens- und Sicherheitsbegriff zu nähern: Verträglichkeitsforschung. Den Begriff der Verträglichkeit als friedensrelevantes Kriterium haben Christine und Ernst Ulrich von Weizsäcker eingeführt, als sie über die „Irrtumsverträglichkeit“ (Fehlerfreundlichkeit) technologischer Systeme schrieben. 6 Dies gilt in allererster Linie sowohl für Atomwaffen wie auch für die Atomkraft als solche, aber ebenso für jeden Eingriff in die natürliche Umwelt. Danach muß ein System so gestaltet werden, daß auch ein Irrtum oder ein Fehler keine irreversiblen Folgen auslöst, etwa einen »GAU« wie in Tschernobyl oder im Extremfall die Zerstörung der Zivilisation oder der Schöpfung überhaupt. Ich habe zu diesem Zweck ein Raster von »Verträglichkeiten« entworfen, das bei der wissenschaftlichen Bewertung der Friedensrelevanz von Verhaltensweisen und Vorgängen helfen kann.

Bedingungen für eine friedensverträgliche Sicherheitspolitik

Das Friedens- und Sicherheitsverständnis in den neunziger Jahren muß anderen Kriterien als das herkömmliche Sicherheitsverständnis standhalten. Es muß unter anderem folgendes leisten:

  1. Es muß friedensverträglich sein. Das heißt: es muß auf der Ebene der allgemeinen Wahrmehmung mindestens die gleiche, tatsächlich aber mehr Sicherheit gewährleisten; die Bevölkerung muß die Gewißheit haben, daß selbst einschneidende Abrüstungsmaßnahmen ihre Sicherheit nicht mindern, sondern erhöhen.
  2. Es muß international verträglich (partnerverträglich) sein. Das heißt: es muß allen Gliedern des internationalen Systems gleiche Sicherheit gewährleisten; der in Europa entwickelte Ansatz der gemeinsamen Sicherheit muß auf die Nord-Süd-Beziehungen und die Süd-Süd-Beziehungen ausgeweitet werden. Gleiche Sicherheit ist nicht quantitativ mit Blick auf Truppenstärken und Bewaffnung zu verstehen, sondern im Hinblick auf die Wahrnehmung von Sicherheit, auf das Sich-sicher-Fühlen.
  3. Es muß irrtumsverträglich (fehlerfreundlich) sein. Das heißt: die Risiken der derzeitig praktizierten Sicherheitspolitik müssen erkennbar gemindert werden; Verzicht auf atomare (bakteriologisch-biologische und chemische) Abschreckung, Reduzierung konventioneller Streitkräfte und Rüstung, sowie Verzicht auf die Militarisierung des Weltraums, auf weitere atomare Testexplosionen und auf Rüstungsexporte.
  4. Es muß wirtschafts- und sozialverträglich sein. Das heißt: Ressourcen für den Abbau asymmetrischer Beziehungen in der Weltwirtschaftsordnung und die Schaffung weltweiter und innerstaatlicher sozialer Gerechtigkeit müssen freigesetzt werden; Maßnahmen zur Überwindung der weltweiten Arbeitslosigkeit, der Verelendung in der Zweidrittelwelt, der Verschuldung der Entwicklungsländer, der neuen Armut in den Wohlstandsregionen.
  5. Es muß umwelt- und zukunftsverträglich sein. Das heißt: Verzicht auf weiteren Raubbau und weitere Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung zu Lasten kommender Generationen und Einsatz aller Ressourcen für die Erhaltung und in vielen Fällen Wiederherstellung der natürlichen Lebensbedingungen (Vorrang umweltschonender und risikoarmer Energieformen, umweltgerechter und ausreichender Nahrungsproduktion).
  6. Es muß zivilisationsverträglich sein. Das heißt: es muß der zunehmenden gewalt- und technologiebedingten Entfremdung (Stress) des Menschen entgegensteuern, die Menschenrechte achten sowie der Lage der Frauen, der Kinder, der Alten, der Behinderten und der Minderheiten jeder Art gerecht werden.
  7. Es muß konfliktverträglich sein. Das heißt: es muß Raum für den gewaltfreien Austrag von Konflikten schaffen, die durch unterschiedliche Prioritätensetzungen und Interessenwahrnehmungen sowie wirtschaftliche, soziale, ethnische, religiöse und kulturelle Spannungen immer wieder entstehen.
  8. Es muß global ordnungsverträglich sein. Das heißt: es muß die sicherheitswahrenden Funktionen und Kompetenzen internationaler und regionaler Organisationen verstärken und ausbauen (System der Vereinten Nationen u.a.).
  9. Es muß transitionsverträglich sein. Das heißt: es muß den Übergang von der herkömmlichen Sicherheitspolitik mit vorrangig militärischen Mitteln zu einer Sicherheitspolitik deutlich machen, die sich auf weitgehend gewaltfreie und kontrollierte politische Macht stützt, die wiederum auf internationale Verteilungsgerechtigkeit und Bewahrung der Umwelt ausgerichtet ist.

Anmerkungen

1) Ein Beispiel für die Hilflosigkeit bei der Begriffsbestimmung liefert E.0. Czempiel: „Wie beispielsweise die Diskussion um die Neue Weltwirtschaftsordnung zeigt, wird von einigen Ländern der Dritten Welt sogar als 'Gewalt' der Industriestaaten empfunden, was aus deren Perspektive sich so überhaupt nicht darstellt. Ein industriell hochentwickelter Staat, der im internationalen Wirtschaftssystem seine Standortvorteile wahrnimmt, übt sicher keine Gewalt aus, wenn er durch die Ausnutzung seiner Vorteile anderen Ländern wirtschaftliche Möglichkeiten nimmt und dadurch Hunger und Armut bewirkt. Hier hat also ein Verhalten, das beim besten Willen nicht als Gewalt bezeichnet werden kann, Folgen, die auf der Adressatenseite zu Recht als gewaltsam angesehen werden. Das herkömmliche Friedensverständnis endet hier sowieso; wahrscheinlich wird deswegen die internationale Politik der Gegenwart, vor allem im Nord-Süd-Bereich, nicht als Friedensproblem angesehen.“ Czempiel, Ernst-Otto, Friedensstrategien – Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986, Seite 49 f. Inzwischen wird solches Verhalten tatsächlich als eine Form von Gewalt interpretiert, die Frieden und Sicherheit international und innerstaatlich gefährdet. Zurück

2) Hierzu hat Dieter Senghaas eine einleuchtende Deutung gefunden: „Rüstungen – so lautet der Befund am Ende des Kapitels zur Abschreckungsproblematik – verschlingen nicht nur finanzielle Mittel; sie sind auch zum Nachteil der politischen Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen einer politischen Friedensgestaltung 'aufmerksamkeitsfressend'. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich nicht von der Abschreckungs- und Rüstungsanalyse ablenken … aber seine Absicht ist es sehr wohl, die Aufmerksamkeit auf Probleme umzulenken, die – wenigstens nach meiner Beurteilung – zur Zeit die wesentlichen sind: auf die langfristigen politischen Probleme der Friedensgestaltung, bei denen es sich auch um weltordnungspolitische handelt. Mit ihnen sich zu beschäftigen scheint mir wichtiger zu sein, als – wie in der Friedensdiskussion üblich geworden – hinter den immer wieder neuesten Rüstungsrunden herzuhecheln.“ Senghaas, Dieter, Die Zukunft Europas – Probleme der Friedensgestaltung, Frankfurt 1986, Seite 17 f. Die Feststellung von Senghaas trifft leider nicht nur auf die Friedensdiskussion zu, sondern im gleichen Maße auch auf die (bundesrepublikanische) Friedensforschung. Zurück

3) Erklärung zur Friedensforschung, in: Senghaas, Dieter (Hg), Kritische Friedensforschung Frankfurt 1971, Seite 416 ff. Zurück

4) Gutachten des Wissenschaftsrates vom Mai 1970, Auszüge in: Dokumentation zur Tätigkeit der Deutschen GeseUschaft für Friedens- und Konfliktforschung 1970-1983, Eigenveröffentlichung der DGFK, Bonn 1983, Seite 13 ff. Zurück

5) Gert Krell, Egon Bahr und Johannes Schwerdtfeger (Hrsg.), Friedensgutachten 1990. Münster 1990. Die Bemerkung von Krell findet sich auf Seite 24. Zurück

6) Christine und Ernst Ulrich von Weizsäcker, Fehlerfreundlichkeit, in: Klaus Kornwachs (Hg.), Offenheit, Zeitlichkeit, Komplexität. Zur Theorie offener Systeme. Frankfurt am Main 1984. Zurück

Karlheinz Koppe ist Leiter der Arbeitsstelle Friedensforschung in Bonn (AFB).

Positiv bestimmter Friedensbegriff – Ergebnisse interdisziplinärer Bearbeitung politischer Begriffe

Positiv bestimmter Friedensbegriff – Ergebnisse interdisziplinärer Bearbeitung politischer Begriffe

von Helmut Metzler

Die Dynamik politischer Prozesse führt zu Wandlungen von Begriffsinhalten, die sich einesteils in Neubestimmung althergebrachter Termini, andernteils darin äußern, daß letztere durch neue ersetzt werden. Im Umkreis des Themas »Frieden« finden wir solche Prozesse sowohl spontan ablaufend als auch bewußt gestaltet. Das heißt aber, daß Begriffsumgang und Begriffsbildung selbst ein Bestandteil gesellschaftlicher Bewußtseinsbildung sind. Dementsprechend spielte in der offensiven Auseinandersetzung US-amerikanischer Friedensorganisationen mit der Reaganschen Rüstungspolitik die Neudefinition zentraler Begriffe der Sicherheitspolitik eine zentrale Rolle.1

Das nachfolgende Definitionsangebot entsprang aus dem Bedürfnis wissenschaftlicher Selbstverständigung und dient als geistiges Organisationsmittel für interdisziplinäre Forschung zum Thema „Der positiv bestimmte Begriff des Friedens im gesellschaftlichen Bewußtsein“. Da im gesellschaftlichen Bewußtsein das Alltagsdenken zweifelsohne im Vordergrund steht, ist es naheliegend, eine Definition ähnlich der von Vogt/Rubbert-Vogt zu verwenden. Diese Autoren formulieren: Der positive Frieden „zielt auf einen gerechten und gewaltfreien Interessenausgleich zwischen den Konfliktpartnern im System der internationalen Bemühungen, auf die Tolerierung andersartiger Denk- und Lebensweisen, auf die Verwirklichung menschenwürdiger Verhältnisse überall auf der Welt und nicht zuletzt auf eine Anerkennung gemeinsamer Überlebens- und Vernichtungsbedingungen im Zeitalter der Nuklearwaffen“ 2

Entwicklungsstabilität von Menschengemeinschaften

Aus wissenschaftsorganisatorischen Überlegungen, daß nämlich Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete aller Fakultäten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einer nebenberuflichen, aus eigener Verantwortung übernommenen Friedensforschung auf einer vereinheitlichenden Grundlage arbeiten, empfiehlt sich eine Begriffsbestimmung höherer Allgemeinheit, die aber auch den Nachteil größerer Abstraktheit in Kauf nehmen muß. Der Spezifik des Gegenstandes, d.h. dem Frieden als Wirklichkeit, als Wunsch und als Gefährdetem, angemessen, bot sich an, ihn systemwissenschaftlich zu definieren:

Frieden ist Entwicklungsstabilität von Menschengemeinschaften, in die der Bezug auf die Menschheit als Ganzes bis hin zum Einzelmenschen eingeht. Das heißt: Menschengemeinschaften leben in Frieden, wenn sie die in ihrer Entwicklung auftretenden Widersprüche und Konflikte zwischen ihren einzelnen Bürgern oder auch Teilgemeinschaften sowie gegenüber außenstehenden Gemeinschaften kooperativ bzw. bewußt ohne Einsatz bewaffneter materieller oder geistiger Gewalt lösen bzw. dämpfen. Diese systemwissenschaftliche und zugleich objektwissenschaftliche Definition integriert in sich eine Empirie aus einer psychologischen, einer linguistischen und einer logischen Erhebung sowie Modellüberlegungen aus Logik und Linguistik. Obwohl sie geeignet ist, eine große Bandbreite von alltäglichen Sprechweisen über Frieden in einem einheitlichen Begriff integrativ zu verarbeiten und so sowohl psychologische als auch soziologische und völkerrechtliche Erkenntnisse miteinander zu verbinden, so befriedigt sie jedoch nicht die politischen Alltagsansprüche friedensbewegter Wissenschaftler. Hier sind Aussagen, wie die von Vogt/Rubbert-Vogt zitiert wesentlich attraktiver.

Eine solche, politische Orientierungen gegenwärtiger Auseinandersetzungen einbeziehende, positive Bestimmung des Begriffs »Frieden« ist der subjektiven Komponente, wie sie jedem politischen Phänomen eignet, besser angemessen als die obige systemwissenschaftliche Definition.

Anwendungsforschung – Grundlagenforschung

Teilt man die Auffassung von Egbert Jahn, der Friedensforschung generell als Anwendungsforschung versteht, „die zur Verwirklichung eines politischen und gesellschaftlichen Zieles, des Friedens, beitragen will“ 3, dann sind die im Zusammenhang mit der angegebenen systemischen Definition verfolgten Ziele, eine große Bandbreite alltäglicher Sprechweisen zu überdecken und eine hohe Allgemeingültigkeit anzustreben, irrelevant. Gegen die angestrebte großflächige Überdeckung von Friedensverständnis spricht auch eine Überlegung E.-0. Czempiels, daß „ein Begriff nicht … heterogene gesellschaftliche Zustände abdecken kann“ 4, worauf noch zurückzukommen sein wird. – Gegenüber der Auffassung von E.Jahn läßt sich vertreten, daß jede wissenschaftliche Forschungsrichtung, so auch die Friedensforschung, einen Grundlagenanteil verfolgen muß, und daß es sogar in die Verantwortung der Wissenschaftler fällt, theoretische Arbeit hoher Allgemeingültigkeit zu leisten, um mögliche Universalien bestimmter Gegenstandsgebiete erfassen zu können. Jedoch sind aus wissenschaftsinternen Gründen gewählte Definitionen, wie die vorgetragene systemwissenschaftliche, wegen ihrer inhaltlichen Konzentriertheit und gleichzeitigen Armut an politischer Handlungsanleitung ungeeignet für eine politische Propaganda. In diese können sie nur eingeflochten in konkret das Handeln orientierende Erläuterungen vermittelt werden. Mit diesem Hinweis wird das Wechselverhältnis zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung angesprochen, dem besonders unter dem Aspekt des Alltagsdenkens Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Alltagsbewusstsein

Klaus Horn charakterisiert Alltagsdenken als „konservativ“ 5. Diese Beschaffenheit drückt Karl Marx etwas anders aus, indem er dem Alltagsdenken nachsagt, im Extremfall „paradox zu wissenschaftlichem Denken“ zu stehen6.

Diese Spannung zwischen wissenschaftlichem und Alltagsdenken muß auch für die Arbeit mit Ergebnissen der Friedensforschung in der Friedensbewegung in Rechnung gestellt werden. Die Ursachen für die genannte Eigenart des Alltagsdenkens liegen einerseits in generellen Zügen menschlicher Kognition begründet, andererseits aber auch in gesellschaftlichen Faktoren von Entwicklungsträgheit. Erstere wurden von Klaus Holzkamp unter dem Gesichtspunkt der widerspruchseliminierenden Funktion menschlicher Wahrnehmung und der Widerspruchrekonstruktion im Denken diskutiert7, während letztere im Rahmen sozialpsychologischer Untersuchungen zur Vorurteilsbildung behandelt wurden. Diese Widerspruchselimination ist selbst nur ein Spezialfall einer allgemeineren Beschaffenheit alltäglichen Denkens, nämlich komplexe Strukturen möglichst mithilfe von Ausdrücken mit einstelligen Prädikaten, d.h. unter Nutzung einfacher Eigenschaftsbegriffe zu verarbeiten. Das bedeutet, daß ein relationaler Friedensbegriff aus dem Völkerrecht ebensowenig dieser Vereinfachungsneigung gerecht wird wie ein systemischer, der unumgänglich ist, wenn von einem die Menschheit als Ganzes betreffenden Frieden gesprochen wird. Dieser Tatsache muß Rechnung getragen werden und zwar sowohl, wenn Wissenschaftler an einen begriffsredefinierenden Disput in der Friedensbewegung ähnlich dem zur »national security« in den USA teilnehmen, nämlich als selbst in die Friedensbewegung integrierte Personen, als auch im Bemühen, Friedensforschungsergebnisse in die öffentliche Bewußtseinsbildung, also in die Friedensbewegung, einzubringen. Weitere Eigenarten des Alltagsdenken scheinen in ähnlicher Richtung zu wirken, z.B. daß es der unmittelbaren Lebenssicherung dient und nur unter Anstrengung auf generalisierte Themen zu lenken ist, daß es weniger analytisch und deduktiv arbeitet, sondern eher assoziativ und durch Anschauung bzw. Wahrnehmung geleitet ist, daß zeitweilig die eine oder andere Komponente des Alltagsdenkens dominiert, d.h. Abbildung, Entwurf oder Projektion (als Mischung aus falscher Abbildung und falschem Entwurf). Bei Anerkennung der angegebenen Einschränkungen ist dennoch zu erwarten, daß das Alltagsdenken einer Leistungssteigerung bezüglich der Erfassung komplexer Strukturen unterliegt. Diese Vermutung gründet für das Friedensdenken in den Zwängen, die aus den globalen Problemen entspringen, die als Entwicklungsantriebe gewertet werden können. Es gelten hier analoge Überlegungen zu denjenigen, die bezüglich der Entwicklung der Widerspruchswahrnehmung in „Interpersonelle Wahrnehmung und Urteilsbildung“ vorgetragen wurden8.

Aus dieser Sicht läßt sich eine Aussage von 0.Czempiel akzeptieren, daß im Hinblick auf seine Komplexität der Friedensbegriff aus dem Alltagsverständnis herausgenommen werden muß, weil dieses ihn verkennt und so verfehlt. Der Friede müsse „auf seinen wissenschaftlichen Begriff gebracht werden“ 9. Ergänzend ist hier hinzufügen, daß dieser Begriff dann aber wiederum in das Alltagsdenken überführt werden muß, damit dieses, Demokratie realisierend,an der Friedenspolitik mitwirken kann.

»Leben« und »Entwicklung«

Um das Überführungsproblem etwas zu verdeutlichen, muß die tatsächliche Komplexität des Friedensbegriffs, wie sie aus der angegebenen systemischen Definition zu entnehmen ist, erläutert werden. Frieden wird als Attribut höherer Stufe verstanden, das sich vermittels der Attribute »Leben« und »Entwicklung« realisiert. Damit wird von einer erweiterten Reproduktion der Gemeinschaft ausgegangen. Zugleich ist ausgedrückt, daß Frieden ein Attribut höherer Stufe über Gemeinschaft ist. Hierdurch kann Frieden als Weltfrieden für die Menschheit ebenso wie als Frieden für Teile der Menschheit begriffen werden.

Frieden wird als Stabilität in der Selbstregulation menschengemeinschaftlicher Entwicklung verstanden, damit als fördernde Bedingung, als Steigerungsfaktor für die Entfaltung gesellschaftlicher Dynamik, für die auftretende Widersprüche und Konflikte selbstverständlich sind.

Positive und negative Begriffsbestimmung gehen in den Frieden gleichermaßen ein, ohne daß aber nur militärische Auseinandersetzungen ausgeschlossen werden, sondern ebenso z.B. psychologische Kriegsführung als Form eines Einsatzes geistiger Gewalt.

In der negativen Begriffsbestimmungskomponente ist auf das Bewußte verwiesen, weil jede Form von Krieg bewußt geschieht, nicht aber jedes Auftreten von geistiger Gewalt bereits Kriegscharakter hat. Vielmehr muß im Unbewußten wirkende geistige Gewalt als Widerspruchs- und Konfliktquelle angesehen werden, deren Aufdeckung und Bewältigung zur Dynamik der Friedensgestaltung gehören.

Wenn auch der Gemeinschaften betreffende Frieden, d.h. ein systemisch betrachteter Frieden, in den Vordergrund gerückt ist, so berücksichtigt die angebotene Definition doch auch den zwischenstaatlichen (relationalen) Frieden. Als Grenzfälle lassen sich Konkretisierungen gewinnen, die den Frieden statisch als Zustand bzw. Eigenschaft bestimmen oder auch die interpersonelle ebenso wie die menschlich individuelle Ebene erfassen.

Die systematisch mehrdeutige Verwendung des Friedensbegriffs

An dieser Stelle muß auf den Einwand E.-0.Czempiels zurückgekommen werden, daß „ein Begriff nicht zwei heterogene gesellschaftliche Zustände abdecken kann“. Im Alltagsdenken erfolgt dies aber, wie in empirischen Untersuchungen zum Umgang mit dem Terminus »Frieden« belegt werden konnte10.

Der »Kunstgriff«, der dies erlaubt, ist, daß der Terminus systematisch mehrdeutig verwendet wird, wobei die jeweils für die Verständigung notwendige Eindeutigkeit durch die Einbettung in den verbalen und nonverbalen Kontext gegeben ist. Nur ideologische Borniertheit, feindbildstrukturiertes Denken u.ä. verkennen im politischen Disput den systematisch-mehrdeutigen Gebrauch des Terminus »Frieden«, reißen die Bedeutungen auseinander und spielen sie gegeneinander aus. In den Friedensdiskussionen früherer Jahre in der DDR trafen z.B. Meinungen aufeinander, in denen Vertreter einzelner christlicher Gruppen den persönlichen Seelenfrieden aller Menschen als entscheidende Voraussetzung für einen Weltfrieden angaben und Marxisten dagegen hielten, daß eine friedliche Weltordnung allein durch eine friedliche Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen zu erreichen sei. Unter dem Dach der Ideologisierung wurde dieser Gegensatz in der Weise in die Gedankenwelt projiziert, daß es zwei unvereinbare Friedensbegriffe gäbe, einen individualistischen und einen kollektivistischen. Diese Art des nicht-kooperativen Meinungsstreites war eine der praktisch-politischen Anlässe für den Verfasser, sich der Aufklärung der Semantik des Friedensbegriffs zuzuwenden. Der von Czempiel geforderten Vereinfachung begrifflicher Festlegung ist im Sinne des klassischen Konzepts von Theoriebildung zuzustimmen. Das Bemühen, Friedensforschung im lebendigen Kontakt mit der Friedensbewegung zu gestalten, muß die Spezifik des Friedensbegriffs, eines systematisch mehrdeutigen Gebrauchs des zugehörigen Terminus, auch für die Theoriebildung in Rechnung setzen. Dem Erfordernis versucht die oben angebotene Definition entgegenzukommen.

Überlegungen der vorgetragenen Art betreffen nur die kognitive Komponente. Wollen wir die dagegen anschaulich-emotionale erfassen, die wir unbedingt einbeziehen müssen, wenn wir den entwerfenden Umgang mit dem Friedensbegriff als Orientierung für Friedenshandeln anregen bzw. fördern wollen, dann können wir nicht wie Dolf Sternberger einen Bruch zwischen einem religiös gepflegten utopisch anmutenden Friedensbegriff und einem realistischen, der z.B. Gedanken wie die von Th.Hobbes über menschliches Verhalten in einer kapitalistischen Ellbogengesellschaft berücksichtigt, betonen. Vielmehr gilt es auf der entwerfenden ebenso wie auf der abbildenden Seite das Alltagsdenken anzureichern. Das erfordert, nicht nur den Eigenschafts- bzw. Zustandsbegriff von Frieden, z.B. als Ruhe und Harmonie, als paradiesische Versorgung, entwerfend zu nutzen, sondern auch den systemischen bzw. den relationalen. Systemisch läßt sich z.B. erklären, warum und unter welchen Bedingungen »Frieden wiederum Frieden heckt« und warum für das Gegenstück gilt, daß sich Krieg selbst zersetzt. Solche Einblicke in Selbstregulationen sind für den modernen Menschen generell, insbesondere aber für den Berufspolitiker wichtig, daß er seinen entwerfenden Umgang mit dem Friedensbegriff weiterentwickeln kann. Damit wird eine wichtige geistige Potenz für die Friedensbewegung aktivierbar. – Es ist klar, daß nicht alleine durch einen besseren Umgang mit dem Friedensbegriff in seiner abbildenden und entwerfenden Funktion politische Kräfte in Gang kommen. Werden aber die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie abbildungs- und handlungsorganisierende Funktion von Schemata und über die gesellschaftliche Bedeutsamkeit von Vorurteilen – im Zusammenhang mit dem Feindbildbegriff wurde sie ja weltweit diskutiert11 – Ernst genommen, dann wird man bei allen soziologischen sowie sozialpsychoanalytischen und anderen sozialpsychologischen Überlegungen über Sozialtraditionen und über Interessenlagen in den menschlichen Antrieben diesen kognitiven Komponenten, wie sie in der vorangehenden Begriffsdiskussion angesprochen wurden, einen angemessenen Platz einräumen.

Positiver Friedensbegriff und Weltgesellschaft

Für den positiv bestimmten Begriff des Friedens ist im Hinblick auf die emotional-wertende Seite und deren Wirksamkeit in den psychischen Entwürfen hervorzuheben, daß er ein Individuen und Gemeinschaften beliebiger Größe zusammenführendes Phänomen betrifft und daß er aus dieser Sicht einen Wert repräsentiert, der für das Zusammenwachsen der Menschheit zu einer Weltgesellschaft eine ähnliche Bedeutsamkeit haben kann, wie sie der durch den Begriff der Nation repräsentierte Wert für die Überwindung von Stammesgrenzen in der Herausbildung von inneren Märkten und von modernen Staaten ausübte. Über diesen Wert sollte in gründlicher Weise nachgedacht werden. Im Unterschied zum Begriff der Nation kann die durch Friedensbeziehungen und -aktivitäten zusammengeschlossene Gemeinschaft beliebig erweitert werden und muß sich nicht regional begrenzen, etwa als EG oder als Staatengruppe im KSZE-Prozeß. Diese Wert-Rolle des Friedensbegriffs kann dadurch stärker ins Bewußtsein gehoben werden, daß die Einigungsprozesse nicht nur unter ökonomischem und Militärmacht erweiterndem Aspekt öffentlich beurteilt werden, sondern daß der Frieden als »Völker verbindender und so Einigungsprozesse fördernder Wert« selbst auf die Fahnen der Friedensbewegung geschrieben wird, Weltfrieden als orientierender Wert zur Bildung einer Welt-Völkergemeinschaft förderativer Struktur und zur politischen Profilierung der Herausbildung eines Weltmarktes beinhaltet nicht einen Zustand bzw. eine Eigenschaft, sondern ein tätiges Verhältnis und ist nur als Kooperation und Koevolution zu begreifen und zu gestalten.

Anmerkungen

1) Ugl. R.Herwig: »National security« – eine Neubestimmung des Begriffsinhaltes durch die Frauen-Friedensbewegung der USA. Ebenso: H.Schorcht: Was ist »nationale Sicherheit«? – Bemühungen der USA-Friedensbewegung um eine Neubestimmung des Begriffs. Beide Beiträge in: Pro pace mundi 8, Jena 1990, i. Vorb. Zurück

2) W.R.Vogt (Hrsg.): Angst vorm Frieden. Über die Schwierigkeiten der Friedensentwicklung für das Jahr 2000. Vorwort. Darmstadt 1989. S.IX Zurück

3) E.Jahn: Von der internationalen Friedensforschung zur nationalen Sicherheitsforschung? In: Perspektiven der Friedensforschung. B. Moltmann (Hrsg.),Baden-Baden 1988 (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.U., AFK; Bd.15) S.93 Zurück

4) E.-O. Czempiel: Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft. Paderborn; München; Wien; Zürich 1986 (UTB für Wirtschaft: Uni-Taschenbücher; 1397) S.26 Zurück

5) Vgl. K. Horn: Zur Bedeutung sozialpolitischer, kultureller und ideologischer Aspekte für die Kriegsursachenforschung. Einführende Bemerkungen zur Diskussion. In: K.Horn: Gewalt – Aggression – Krieg. Baden-Baden 1988 (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.U., AFK; Bd.13) S.292 Zurück

6) Ugl. Karl Marx: Lohn, Preis und Profit. In: K.Marx/F.Engels: Werke Bd. 16. Berlin 1968, S.129 Zurück

7) Vgl. K.Holzkamp: Sinnliche Erkenntnis – Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Frankfurt a.M. (Fischer Athenäum Taschenbücher FAT 4100). S.213ff, 344f Zurück

8) Vgl. H.Hiebsch et al.: Interpersonelle Wahrnehmung und Urteilsbildung. Psychologische Grundlagen der Beurteilung von Menschen. Berlin 1986, S.104ff Zurück

9) E.-0.Czempiel, a.a.0., S.23 Zurück

10) Vgl. H.Metzler: Untersuchungen zur Struktur des Friedensbegriffs im Alltagsdenken. In: Bewußt-Sein für den Frieden. Rundbrief der Friedensinitiative Psychologie. Psychosoziale Berufe e.V. Marburg Sonderausgabe Dezember 1989, S.56ff. oder ders.: Empirische Untersuchungen zum alltäglichen Verständnis des Begriffs des Friedens. pro pace mundi 5 Jena 1989, S.71ff Zurück

11) Vgl. W.Lilli: Entwicklung von Feindbildern aus sozialpsychologischer Sicht. In: Feindbilder im Dienste der Aufrüstung. G.Sommer et al. (Hrsg.) Beiträge aus Psychologie und anderen Humanwissenschaften. Marburg 1987 S.16ff; ferner: J. Schissler/Ch. Tuschhoff: Kognitive Schemata: Zur Bedeutung neuerer sozialpsychologischer Forschungen für die Politikwissenschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 35253/88, 23.Dezember 1988 Zurück

Dr. Helmut Metzler ist Hochschullehrer für Psychologie an der Friedrich Schiller-Universität Jena.

Von der »flexible response« zur gegenseitigen defensiven Dominanz

Politiker, Militärs und Friedensforscher aus den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik: Das alternative Gesamtkonzept für die Nato

Von der »flexible response« zur gegenseitigen defensiven Dominanz

von Friedens- und KonfliktforscherInnen

Am 28.4.89 wurde in Pressekonferenzen in Washington, London und Bonn ein Gesamtkonzept für die Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik der NATO vorgestellt. Die Urheber: der British American Security Information Council in Verbindung mit der Alternative Security Working Group (Großbritannien) und dem Comittee on National Security (USA). Zu den Verfassern bzw. Unterstützern des Papieres zählen solch prominente Leute wie die ehemaligen SIPRI-Direktoren Frank Barnaby und Frank Blackaby, der ehemalige CIA-Direktor William E. Colby, die Direktorin der Oxford Research Group Scilla Elworthy, Raymond Garthoff (Brookings Institution), der Präsident von Pugwash Prof. Joseph Rotblat, Flottillenadmiral Elmar Schmähling und der frühere Direktor der US-Abrüstungsbehörde Paul Warnke. Bemerkenswert ist v.a. die Tatsache, daß US-amerikanische, britische und deutsche Sicherheitsexperten in engerer Zusammenarbeit begonnen haben, über alternative Konzepte zur bestehenden NATO-Strategie nachzudenken. Es nimmt nicht wunder, daß bei der unterschiedlichen Ausgangslage die Annäherung an eine gemeinsame, neue Sicherheitspolitik ein mühsamer Prozeß ist. Viele Vorschläge sind daher eher zurückhaltend formuliert. Immerhin. Eine Grundrichtung ist hier skizziert, die weitergehenden Überlegungen Türen öffnet.Wir veröffentlichen im folgenden Auszüge aus dem „Comprehensive Concept“.

Die Ziele und die neuen Wege des Denkens

Die Vorstellungen eines sicheren Europas sind natürlich nicht vereinbar mit dem Ausmaß der gegenwärtigen militärischen Konfrontation. Die beiden Bündnisse gegeben gegenwärtig 500 bis 600 Milliarden Dollar jährlich für militärische Vorbereitungen innerhalb und um Europa herum aus – eine Summe, die in etwa dem gesamten Nationalprodukt Großbritanniens entspricht. Im Zentrum der Konfrontation, in den beiden deutschen Staaten zusammen, kommt ein Soldat – oder Angehöriger der Streitkräfte – auf 54 Einwohner.

Angesichts der im wesentlichen stabilen Natur der politischen Situation in Europa ist dieses Ausmaß der Militarisierung absurd. Es ist die Konsequenz der Bemühungen beider Bündnisse, Sicherheit durch einseitige Entscheidungen über Rüstung und Militärausgaben zu erreichen – eine Konsequenz, die mit der irrigen Ansicht verbunden ist, daß höhere Militärausgaben größere Sicherheit bewirken. Dieser Wettbewerb führt zu größerer Unsicherheit, einem höheren Ausgabenniveau und treibt ein endloses technologisches Wettrüsten an.

Gemeinsame Sicherheit

Es gibt inzwischen eine Reihe von Vorschlägen über Sicherheit, die den Weg weisen für ein sicheres Europa. Möglicherweise erweist sich als gewichtigste Vorstellung die der »Gemeinsamen Sicherheit«: Sicherheit kann nur noch gemeinsam mit dem potentiellen Gegner erreicht werden.

Sicherheit muß auf Vereinbarungen abzielen – im einzelnen oder insgesamt – mit Staaten, die zu Recht oder fälschlicherweise als potentiell feindselig angesehen werden. Dies hat eine Reihe von Schlußfolgerungen. Es schließt die einseitige Einführung von Waffensystemen aus. Es erfordert Transparenz und ein Ende der Geheimniskrämerei bezüglich militärischer Entwicklungen – es gibt gemeinsame Sicherheit, wenn jede Seite über die militärischen Entwicklungen der anderen Seite informiert ist. Wenn sie nicht gut informiert ist, dann wird sie den schlechtesten Fall annehmen und entsprechend reagieren.

Hinreichende Verteidigungsfähigkeit

Eine zweite neue Vorstellung ist die der »hinreichenden Verteidigungsfähigkeit«. Staaten brauchen eine Stabilität bezüglich ihrer Militärstrukturen; sie benötigen lediglich eine militärische Struktur, die ausreicht, um einen Angriff abzuschrecken. Dies betrifft in besonderer Weise die atomaren Waffensysteme. Für Abschreckungszwecke benötigt man nur eine kleine Zahl unverwundbarer Atomsprengköpfe – und es gibt keinen Bedarf, über diese Zahl hinauszugehen, was immer die andere Seite unternehmen mag. Parität bei den Nuklearsprengköpfen ist aus Sicherheitsgründen nicht erforderlich.

Gegenseitige Defensive Dominanz

Die dritte Vorstellung ist die einer »gegenseitigen defensiven Dominanz«. Parität produziert nicht notwendigerweise Stabilität. Wenn Staaten oder Bündnisse über gleiche Streitkräfte verfügen, die starke offensive, aber schwache defensive Fähigkeiten besitzen, liegt eine unstabile Situation vor, auf der jede Seite versucht sein könnte, als erste loszuschlagen. Ein Wandel hin zu defensiveren Strukturen erfordert Veränderungen nicht nur bei Waffensystemen sondern auch hinsichtlich der Doktrinen, der Taktik, der Übungen usw. Wären in ganz Europa defensive Fähigkeiten stark und offensive Fähigkeiten schwach, dann könnte kein Staat einen erfolgreichen Angriff starten. Deshalb wird bei den Verhandlungen über die Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa so viel Wert gelegt auf die Verringerung vor allem der offensiven Fähigkeiten und auf Schritte hin zu einer denfensiven Ausrichtung.

Demilitarisierung der internationalen Beziehungen

Schließlich zeigen die Erfahrungen der europäischen Länder der Nachkriegszeit, daß Sicherheit nicht nur eine militärische Angelegenheit ist – in der langfristigen Sicht nicht vorrangig eine militärische Angelegenheit. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft fühlen sich in ihren wechselseitigen Beziehungen untereinander sicher vor dem Einsatz militärischer Streitkräfte. Das hat nicht zu tun mit irgendeiner Parität bei ihren militärischen Fähigkeiten. Die gesamte Vorstellung des Einsatzes militärischer Streitkräfte zur Regelung irgendwelcher Streitigkeiten ist einfach ausgeschlossen. Die politischen Beziehungen untereinander sind demilitarisiert. Ihre Sicherheit hängt von einer Vielzahl von Verbindungen untereinander ab – nicht nur wirtschaftliche Verbindungen sondern auch soziale, kulturelle und persönliche Verbindungen gleichermaßen. Es gibt keinen Grund dafür, warum dieses Muster internationaler Beziehungen – d.h. die Demilitarisierung dieser Beziehungen – langfristig nicht auch über den Rest von Europa ausgebreitet werden kann.

Drei Etappen für ein sicheres Europa

Drei Etappen können wir uns vorstellen, um Fortschritte auf dem Weg zu einem tatsächlich sicheren Europa zu machen.

Die erste Etappe erfordert die Übernahme der Vorstellung der »Gemeinsamen Sicherheit« – zwischen den potentiellen Gegnern müssen militärische Entwicklungen und Strukturen und die Formen der Verringerung vereinbart werden.

Die zweite Etappe ist die gegenseitige defensive Dominanz, in der die Fähigkeit für offensive militärische Aktionen eliminiert wird.

In der dritten Etappe muß eine Beziehung erreicht werden, in der militärische Dispositionen nicht länger für relevant gehalten werden, um auf irgendeine Weise Streitigkeiten zwischen den Staaten zu regeln. Diese dritte Etappe erfordert eine intensive Entwicklung aller Verbindungen, die Nationen so zusammenzuführen, daß der Krieg zwischen ihnen ausgeschlossen werden kann.

Vierzig Jahre lang wurden die Diskussionen über die Sicherheit in Europa immer identifiziert mit der Diskussion über das militärische Gleichgewicht zwischen der NATO und dem Warschauer Vertrag. Es überrascht deswegen nicht, daß einige Leute diesen militärischen Antagonismus als unveränderbare Größe ansehen: die Sowjetunion ist der Feind und wird es immer sein und deshalb wird es immer substantielle militärische Streitkräfte auf beiden Seiten der Trennungslinie in Zentraleuropa geben.

Es ist eine der Lektionen in diesem Jahrhundert, daß »Feindstrukturen« dieser Art alles andere sind als unverrückbar… Politiker im Westen sollten sich auf den Gedanken einstellen, daß die Sowjetunion ebenfalls möglicherweise aufhört, der Feind zu sein.

Wenn wir langfristig ein Europa erreichen, in der die Vorstellung über den Gebrauch oder die Androhung von Gewalt ausgeschlossen wird, dann können die beiden Allianzen sich auflösen. Die NATO wurde als Organisation ins Leben gerufen, um auf eine spezifische Bedrohung zu antworten – jener aus der Sowjetunion. Falls diese Bedrohung nicht länger existiert, dann gibt es keine Notwendigkeit für diese Organisation, sich damit zu befassen. Die NATO ist nicht der richtige Ort für Aktionen, die bei Konflikten oder Spannungen irgendwo in der Welt in Gang gesetzt werden müssen. Die Vereinten Nationen sind der richtige Ort, um sich mit solchen Problemen zu befassen; sie beweisen heute wesentlich mehr Effektivität als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Maßnahmen, die Spannungen außerhalb Europas betreffen, sollen mit dem politischen Ziel verbunden sein, die Fähigkeiten der UN auszubauen.

Die Verhandlungen

Die Geschichte der Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen ist insgesamt nicht ermutigend. Insbesondere die vorangegangenen Verhandlungen über die konventionellen Streitkräfte in Europa dauerten 14 Jahre und erreichten keine Übereinkunft.

Es gab eine Tendenz bei den Rüstungskontrollverhandlungen in der Vergangenheit, sie in feindseliger Weise als Null-Summen-Spiel zu führen. Das Ziel glich manchmal dem eines militärischen Wettstreits – nämlich einen militärischen Vorteil über den Gegner zu erzielen. Die Ausgangsvorschläge schienen meist so angelegt, daß sie auf die Verringerung jener Systeme zielten, bei der der Gegner einen militärischen Vorteil hatte, und jene Systeme zu erhalten, bei der die eigene Seite im Vorteil war. Wenig Begeisterung gab es dafür, Sicherheit und eine Entlastung der Ressourcen für friedlichere Zwecke durch gemeinsames erfolgreiches Arbeiten zu erzielen.

Es wäre ein großer Vorteil, wenn die neuen Verhandlungen eine weniger feindselige Form bekämen. Sie sollten Teil eines Versöhnungs- und Rückversicherungsprozesses sein; sie sollten begleitet werden durch eine Entlastung bei den Verteidigungsausgaben und durch Verbesserungen der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Ideal wäre es für die Teilnehmer, wenn sie die Verhandlungen im Geiste gemeinsamer Sicherheit führten, als gemeinsame, kooperative Suche nach einer weniger gefährlichen und weniger verschwenderischen Struktur der militärischen Präsenz in Europa. Die Teilnehmer sollten auf die Einführung neuer Waffensysteme verzichten – und tatsächlich im Idealfall auch ihre Forschungsanstrengungen auf diesem Gebiet der Entwicklung verringern – während die Verhandlungen laufen.

Eines der wesentlichen Zeile der Verhandlungen sollte die Einführung erheblich größerer Transparenz bei militärischen Fragen sein. Im neuen System der Überprüfbarkeit, das beim Abschluß eines Vertrages notwendig wäre, hat militärische Geheimniskrämerei keinen Platz. Tatsächlich richtet sie sich gegen das Grundprinzip der gemeinsamen Sicherheit: man kann sich nur dann mit dem potentiellen Gegner über militärische Strukturen verständigen, wenn jede Seite weiß, welche militärischen Strukturen bestehen. Wesentlich größere Transparenz hätte den vorteilhaften Nebeneffekt, größere Teile der Geheimdiensteinrichtungen abbauen zu können.

Verifikations-Forschung

Die neuen Verhandlungen sollen durch größere substantielle Forschungsmittel gestützt werden, vor allem im Bereich der Überprüftechnik. Es gibt ein großes Ungleichgewicht zwischen den Forschungs- und Entwicklungsmitteln, die für neue Waffen vergeben werden (die in fast allen Fällen destabilisieren und die Sicherheit verringern) und Forschung und Entwicklung, die zur Unterstützung der Abrüstung und Rüstungskontrolle aufgebracht werden.

Die neuen Verhandlungen könnten sinnvollerweise durch regelmäßige internationale Dialoge zwischen Militärs begleitet sein, die sich mit der Bedrohungswahrnehmung und den Doktrinen befassen. Da eins der Hauptziele darin besteht, militärische Strukturen hin zu Verteidigungsoptionen zu ändern, sollten beide Seiten versuchen, eine gemeinsame Beurteilung der Arten eines solchen Wandels zu erreichen; dies wäre eine nützliche Ergänzung zum Verhandlungsprozeß selbst.

Unglücklicherweise gibt es kein Zeitlimit für die neuen Verhandlungen – vor allem nachdem die vorangegangenen Verhandlungen solange andauerten und nichts erreichten. Die Verhandlungsführer sollten bestärkt werden, substantielle Übereinkünfte vor der 4. KSZE-Folgekonferenz im März 1992 in Helsinki zu erreichen. Eine gemeinsame Vorgabe durch die Regierungschefs mit diesem Ziel wäre hilfreich.

Öffentlicher Druck

Ein Grund für das Scheitern der bisherigen Verhandlungen war fehlendes öffentliches Interesse daran. Nur wenige Leute wußten, daß diese Verhandlungen stattfanden und noch weniger kannten die Gegenstände, um die beide Seiten stritten. Regierungen sollten öffentliche Debatten zu diesen Fragen der Sicherheit in Europa entfachen und sie nicht als zu komplexe Fragen behandeln, die einfache Leute ohnehin nicht verstehen. Es bedarf eines gewissen, allgemeinen öffentlichen Drucks auf Regierungen, diese Verhandlungen auf jede mögliche Weise zu beschleunigen. Dies würde verstärkt, wenn eine starke europäische Abrüstungsbewegung existierte, die auch staats-unabhängige Organisationen in den Ländern des Warschauer Vertrages umfaßte. Die entspannteren Verhältnisse in diesen Ländern machen dies jetzt möglich. Es sollte auf diese Weise möglich sein, das alte Bild zu vermeiden, die öffentliche Meinung bedränge nur eine Seite.

Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte

Die neuen Verhandlungen sind potentiell ein großer Fortschritt gegenüber den vorangegangenen, indem sie erheblich mehr und vorrangig Sensibilität zeigen, die Möglichkeiten für einen Überraschungsangriff oder großangelegte offensive Operationen zu beseitigen. Die Ausgangslinie der NATO-Vorschläge für die Bezifferung bestimmter offensiver Waffensysteme, die beide Seiten behalten, bezeichnet rund 95% der gegenwärtigen NATO-Kräfte. Das Argument der NATO scheint darin zu liegen, daß die Vorneverteidigung an den westdeutschen Grenzen ein bestimmtes Mindestmaß militärischer Verbände beider Seiten 100 Kilometer diesseits und jenseits der Grenze erfordert und daß die NATO-Verbände nicht wesentlich über diesem Mindestmaß liegen. Die NATO scheint tatsächlich zu behaupten, daß ihre vorhandenen Streitkräfte erforderlich sind, mehr oder weniger unabhängig von der Größe der offensiven Streitkräfte der anderen Seite. Dies ist unglaubwürdig, vor allem, wenn die Verringerungen sich auf offensive Waffensysteme konzentrieren sollen.

Eine anspruchsvollere Ausgangslinie

Wir brauchen eine anspruchsvollere Ausgangslinie: d.h. eine Reduzierung um mindestens 10% unterhalb des gegenwärtigen Streitkräfteniveaus der NATO. Auf jeden Fall muß die NATO in der nächsten Etappe bereit sein, über die Verringerung um 5% bei ihren Streitkräften hinauszugehen; deshalb sollte die NATO jetzt mit intensiven Untersuchungen darüber beginnen, wie diese Strukturveränderungen aussehen, die weitere Verringerungen mit sich brächten.

Die NATO schlägt jetzt eine Obergrenze für den Gesamtbestand von Kampfpanzern mit 40.000 in Europa vor – was nur sehr geringe Reduzierungen aus der NATO-Seite zur Folge hat. Da Kampfpanzer offensive Waffen par Excellence sind, gibt es gute Gründe dafür, eine radikalere Reduzierung vorzuschlagen.

Die NATO scheint auch den Vorschlag einer defensiven Zone auf beiden Seiten des Mittelabschnitts der Grenze, aus der alle Atomwaffen und alle offensiven Waffen zurückgezogen werden, aber in der defensive Waffen zugelassen sind, nicht zu mögen. Vermutlich hat die NATO etwas gegen diesen Vorschlag, weil er sich auf die vorne stationierten Streitkräfte bezieht. Dieser Vorschlag wäre allerdings viel leichter zu verifizieren als eine umfassende Begrenzung der Panzer in Europa und es wäre eine sehr wirksame Maßnahme, um dem Ziel näher zu kommen, groß angelegte offensive Operationen unmöglich zu machen.

Die NATO ist gegenwärtig ebenso wenig bereit, Begrenzungen bei Kampfflugzeugen vorzuschlagen, da sie in kurzer Zeit wieder nach Europa verbracht werden könnten. (Natürlich können sich die Verhandlungspositionen verändern). Es wäre möglich, sich mit dieser Frage zu befassen, indem eine globale Obergrenze bestimmter Flugzeuge vereinbart wird, zum Beispiel bei den US-F und FB 111 sowie den sowjetischen Backfire-Bombern. Die INF-Verhandlungen stellen dafür einen Präzedenzfall dar. Diese Verhandlungen waren ursprünglich nur auf Europa begrenzt. Sie endeten in einem Abkommen über ein vollständiges, weltweites Verbot einer bestimmten Waffenkategorie.

Wir brauchen als Ergänzung zu diesen Verhandlungen einige Maßnahmen einseitiger Zurückhaltung. Die Sowjetunion hat natürlich hierbei schon ein Beispiel gegeben. Die NATO hat einige Jahre lang ein Spektrum von Waffensystemen entwickelt, die unter die Rubrik »Follow-On-Forces-Attack« (FOFA) fallen. Sie sollen präzise Schläge auf die zweite Welle der (östlichen) Verbände ausführen und auf Einrichtungen hinter der gegnerischen Linie. Diese Fähigkeiten, obwohl sie zweifellos für Verteidigungszwecke konzipiert sind, könnten auch bei einem Angriff sehr wirkungsvoll sein, Krisen destabilisieren und für die andere Seite provozierend wirken. Auf diesem Gebiet bedarf es also einseitiger Selbstbeschränkung.

Atomare Verbände

Lange bevor eine signifikante Verringerung der konventionellen Streitkräfte in Europa zur Debatte stand, geriet die NATO-Doktrin der Flexible Response unter ernsthaften und wirksamen Beschuß. Diese Doktrin erfordert einen möglichen Ersteinsatz von Atomwaffen gegen einen konventionellen Angriff.

Die NATO beschreibt diese Doktrin auch als »kontrollierte Eskalation«. Das Wort »kontrolliert« ist eindeutig falsch. Wenn einmal die atomare Schwelle überschritten wird, dann kann niemand vernünftig annehmen, daß die Eskalation kontrolliert werden könnte, bevor Europa verwüstet ist. Mit den Worten von Bundy, Kennan, McNamara und Gerard Smith in einem Artikel aus dem Jahr 1982: „Es ist Zeit zu erkennen, daß niemand bisher erfolgreich und überzeugend darlegen konnte, daß von jeglichem Einsatz von Atomwaffen, selbst auf der untersten Skala, ernsthaft erwartet werden könnte, daß er begrenzt bliebe. Jede seriöse Analyse und jede militärische Übung seit 25 Jahren hat gezeigt, daß selbst der begrenzteste Gefechtsfeldeinsatz enorm zerstörerisch für ziviles Leben und Gut sein wird. Niemand kann darauf vertrauen, daß ein derartiger atomarer Schlagabtausch nicht zu weiteren Verwüstungen führt. Jeder Einsatz von Atomwaffen in Europa … birgt ein hohes Risiko der Eskalation.“

Falls Fortschritte erzielt werden, um die Bedrohung durch groß angelegte konventionelle offensive Operationen zu beseitigen, wird diese Kritik umso stärker werden. Falls ein Abkommen ausgehandelt wird, um die konventionellen Streitkräfte zu verringern, dann macht es Sinn, auch einen Vertrag zur Begrenzung der Rolle der Atomwaffen auf die einfache Funktion der Abschreckung gegen ihren Einsatz durch jeden anderen Staat anzustreben und folgerichtig über taktische Atomwaffen zu verhandeln. Diese Waffen sind nicht für die Abschreckung im eigentlichen Wortsinn geeignet – es sind präemptive Kriegsführungswaffen. Für Abschreckungszwecke sollten Atomwaffen nicht vorne stationiert sein, wo sie verwundbar sind und wo sie überrannt werden können, was zu dem bekannten Dilemma »use-them-or-lose-them« (setze sie ein bevor du sie verlierst) führt.

Atomwaffenverbände kurzer Reichweite

Verhandlungen über taktische Atomwaffen in Europa sollten deshalb zugleich zu den Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte laufen. Die NATO hat allen Grund, auf diesem Gebiet einseitig Bewegung zu zeigen und mit dem Abzug der atomaren Artilleriewaffen zu beginnen, verbunden mit der Aufforderung an die Sowjetunion das gleiche zu tun. Die Verhandlungen sollten sich anschließend mit bodengestützen Atomraketen mit Reichweiten unter 500 km befassen. Im Idealfall sollten sie vollständig beseitigt werden – ein Vorschlag, der als »dritte Null-Lösung« bekannt ist. Falls dies nicht gelingt, sollten nur sehr geringe Systeme auf beiden Seiten verbleiben. Die Sowjetunion verfügt über wesentlich mehr Raketen dieser Kategorie als die NATO, so daß ein substantieller numerischer Vorteil bei der NATO läge.

Einige westliche Politiker scheinen ängstlich bemüht zu sein, Kurzstreckenraketen auf europäischen Boden zu halten, offensichtlich deshalb, weil die Vereinigten Staaten eher bereit wären, einen atomaren Schlagabtausch zu beginnen, wenn diese Raketen vorhanden sind. Das könnte tatsächlich sein; doch genau dies eröffnet ein mögliches Szenario, in dem beide Großmächte entscheiden, einen Atomkrieg in Europa auszufechten und ihren Schlagabtausch so zu begrenzen, daß ihre eigenen Territorien verschont bleiben. Dies ist kaum im europäischen Interesse.

Diese Vorschläge zur Beseitigung taktischer Atomwaffen und zur Veränderung der NATO-Strategie hin zur »No-First-Use«-Doktrin sind nicht weit entfernt von den Hoffnungen vieler Menschen, die eine atomwaffenfreie Welt erstreben und die sehen, daß die Doktrin einer minimalen Abschreckung berechtigterweise von einer Vielzahl anderer Nationen übernommen werden könnte. Der Abzug taktischer Atomwaffen würde allerdings zumindest anerkennen, daß sie für Kriegsführungszwecke nicht gebraucht werden können. Dies wäre ein logischer Weg, um das in die Tat umzusetzen, was in gemeinsamen Erklärungen bei den Gipfeln von Präsident Reagan und Gorbatschow stand, daß nämlich „ein Atomkrieg niemals gewonnen werden kann und deshalb nie ausgetragen werden darf.“

Seestreitkräfte

Seestreitkräfte sind vom Mandat für die Konferenz über die Reduzierung konventioneller Streitkräfte in Europa ausgenommen. Ohne Zweifel hält die NATO dies für einen Verhandlungsvorteil, zumal die Seestreitkräfte der NATO denen des Warschauer Vertrages überlegen sind. Allerdings werden Verhandlungen an einigen Punkten und in einigen Foren über Rüstungskontrolle und Abrüstung auf See beginnen müssen. Soweit ersichtlich sind nur Unterseeboote, die ballistische Raketen mit Atomsprengköpfen tragen, einbezogen worden.

Höchst wünschenswert wäre es, wenn ein Abkommen ausgehandelt würde, vergleichbar jenem, das für Europa beabsichtigt ist, um alle taktischen Atomwaffen von Kriegsschiffen abzuziehen. Sie haben keine klare militärische Funktion und sie sind besonders gefährlich, da sie keinen »besonderen Einsatzgenehmigungen« unterworfen sind – an Bord der Schiffe könnte entschieden werden, ob sie abgefeuert werden und die Kommandozentralen könnten nichts unternehmen, um dies zu stoppen.

In den neuen Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen, die zwischen den 35 Mitgliedstaaten des KSZE-Prozesses – der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – begonnen haben, hat die Sowjetunion vorgeschlagen, daß die Manöver zur See in die Tagesordnung mit aufgenommen werden. Die NATO scheint diesem Vorschlag nicht zuzustimmen; das ist eine unvernünftige Haltung. Es gibt guten Grund für bestimmte Begrenzungen – um Provokationen zu vermeiden, zum Beispiel bei Seemanövern in der Nähe der Küsten eines Landes ohne die Zustimmung der betreffenden Regierung.

Chemische Waffen

Chemische Waffen sind ebenso von der Tagesordnung der Konferenz über die Reduzierung konventioneller Waffen in Europa ausgeklammert, weil sie Gegenstand globaler Verhandlungen sind. Diese Verhandlungen sind allerdings über viele Jahre sehr langsam vorangekommen. Falls es innerhalb von zwei Jahren keinen weltweiten Vertrag gibt, dann wäre ein regionales Abkommen zwischen NATO und Warschauer Vertrag zu rechtfertigen.

Ziel eines solchen Abkommens wäre der Abzug aller chemischen Waffen aus dem Gebiet, das durch das Mandat der KSZE-Gespräche abgedeckt wird – oder, als zweitbeste Lösung, aus dem zentralen Raum Mitteleuropas. Dies sollte verbunden sein mit umfassenden Vorkehrungen für Inspektionen, die im Rahmen der globalen Verhandlungen erörtert werden. Auf diese Weise würde ein regionales Abkommen sich als nützliche vertrauensbildende Maßnahme erweisen und wertvolle Erfahrungen bereitstellen, die von den globalen Verhandlungen anschließend übernommen werden können. Darüberhinaus sollte es ein Verbot über jegliche militärische Übungen geben, die den Einsatz solcher Waffen simulieren…

Quelle: Frieden und Abrüstung. Hrsg: ifias, 53 Bonn

Für nützliche Zwecke forschen: Global Challenges Network

Für nützliche Zwecke forschen: Global Challenges Network

von Redaktion

Er wolle nicht immer nur gegen etwas kämpfen, hat Hans-Peter Dürr, Professor für Physik am Max-Planck-Institut in München, einmal gesagt. Daher rief er statt SDI die WPI ins Leben. WPI steht für World Peace Initiative. Zur Präzisierung und Umsetzung dieser Idee gründete Dürr mit Freunden am 27.1.87 in Starnberg den Verein Global Challenges Network. Ziel des Vereins ist die weltweite Vernetzung von Initiativen zu den Problemen Krieg und Frieden, Nord-Süd-Konflikt, Erschöpfung nicht regenerierbarer Ressourcen und Zerstörung unserer natürlichen Umwelt.

Nach dem „Vorbild“ der Fletscher-Kommission, die für das SDI-Programm 800 Einzelprojekte definierte, sollen viele Projekte entwickelt und gefördert werden. Es soll dabei vor allem Wert gelegt werden auf praktische Problemlösungsansätze. In diesem Jahr sollen noch zwei internationale Konferenzen organisiert werden. Den Beginn macht im Juli eine Konferenz in Sternberg, auf der das Konzept konkretisiert werden soll. Teilnehmen werden Repräsentanten von Greenpeace International, GLOBAL 2000, der Pugwash-Konferenz, des Club of Rome, der Union of Concerned Scientists und der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion.

Auf dem Moskauer Friedensforum trug Dürr seine Ideen vor und regte die Bildung einer Internationalen Studiengruppe (International Science and Technology Study Group) an. Ihre erste Aufgabe würde es sein – die drängenden globalen Probleme zu strukturieren und sie in handhabbare Projekte aufzulösen,

  • praktische Ansätze zu prüfen,
  • das bestehende Problemlösungspotential in Wissenschaft, Technik und Industrie herauszuarbeiten,
  • Quellen der politischen und finanziellen Unterstützung ausfindig zu machen.

Dürr verwies auf zahlreiche Ansätze in vielen Ländern, die Volkswirtschaft mit nichtmilitärischen Initiativen zu stimulieren. Auch sei die Bereitschaft zur Ost-West-Kooperation bei wissenschaftlich-technischen Unternehmungen wieder im Wachsen. Die meisten Initiativen jedoch zielten auf partikulare neue Technologien. In Anbetracht der enormen Kosten für Forschung und Entwicklung in diesen Feldern (z.B. der Weltraumforschung) scheine es jedoch bedeutend, diesen traditionellen Ansatz zu revidieren. Anstatt mit der Entwicklung spezifischer Technologien zu beginnen und der nachfolgenden Erwägung ihrer Anwendungsmöglichkeiten und -gefahren, sollte am Anfang die Entscheidung stehen, welche Probleme gelöst werden sollten. Eine Reihenfolge entsprechend der sozialen Dringlichkeit müßte festgelegt und dann könnten Forschung und Entwicklung auf den Weg gebracht werden.

Dürr führte weiter aus: „Die treibende kraft hinter vielen enormen technologischen Entwicklungen und Innovationen gegenwärtig ist nicht hauptsächlich der Wunsch, den Menschen bessere Lebenschancen oder mehr Lebensqualität anzubieten, sondern eher – wie ich fürchte – der Eifer, die Gewinne einer ökonomischen Elite zu steigern und die Macht weniger über viele zu festigen (…)

Vielleicht verlangt die Lösung der drängenden globalen Probleme nicht solch extreme Technologien und HighTech wie bei der Weltraumforschung und SDI. Deshalb könnten einige Angst haben, daß die Bearbeitung dieser Probleme intellektuell nicht ehrgeizig genug sei, um die Phantasie und den Enthusiasmus unserer Wissenschaftler und Techniker anzuregen und daß dies Geschäft nicht „glänzend“ genug sei, ihre Eitelkeit zu nähren. Einige von ihnen werden es sicher vorziehen, ihren Namen in Verbindung mit einem Stern zu sehen als mit einem Plan zur Nutzbarmachung der Wüste. Wir sollten jedoch erkennen, daß … angesichts der Geschwindigkeit, mit der wir der Katastrophe entgegengehen, viele Menschen – gerade junge Menschen – während der letzten Jahre eine Motivation entwickelt haben, ihre Arbeit und ihre intellektuellen und moralischen Energien den wahren menschlichen Bedürfnissen zu widmen (…)

Die verschiedenen Projekte von Global Challenges Network werden eine hervorragende Chance für eine enge Zusammenarbeit zwischen Ost und West bieten" insbesondere wenn wir uns zuerst konzentrieren auf die Probleme der Ökologie und der Energie, in denen beide Seiten „im gleichen Boot“ sitzen (…)

Ich lade Sie alle ein, meine Ideen für eine Kooperation bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen zu erwägen, Ihre Kritik zu äußern und über Wege nachzudenken, in welcher Form Sie sich beteiligen können (…)“

Die Einladung von Dürr sollte aufgegriffen werden. Nicht zuletzt das Projekt amerikanischer und sowjetischer Wissenschaftler zur Erprobung von Verifikationsverfahren bei Atomtests hat gezeigt, welch große Wirkung von solchen Unternehmungen ausgehen kann. Warum sollten nicht Teile der Scientific community beginnen – neben dem nach wie vor nötigen Engagement gegen Katastrophenpolitik und Techno-Manie -, auf neue und konstruktive Art, an den Problemen unserer Zukunftssicherung zu arbeiten?