Friedensbewegung und Wissenschaft in Frankreich

Friedensbewegung und Wissenschaft in Frankreich

von Johannes M. Becker

Die Situation der französischen Friedensbewegung, somit auch die Quantitäten wie Qualitäten der Diskussion und des Engagements der Wissenschaftler in dieser Bewegung werden wesentlich von zwei Faktoren geprägt: Seit dem Frühsommer 1981 wird Frankreich bekanntlich von einer Regierungskoalition aus Sozialisten (PS) und Kommunisten (PCF) unter dem sozialistischen Staatspräsidenten Mitterrand regiert. Und Francois Mitterrand und die überproportional sozialistisch dominierte Regierung lassen gar keinen Zweifel aufkommen an ihrer Favorisierung der Installierung der US-amerikanischen Mittelstreckenwaffen, die der entscheidende Katalysator der mächtigen Friedensbewegung auf der ganzen Erde war. Überdies, auch das gehört zum ersten Aspekt, befürworten die beiden Parteien der Linken heute (diametral entgegengesetzt ihren Positionen bspw. im „Programm Commun“ von 1972) die nationale französische Nuklearbewaffnung in Gestalt der „Force de Frappe“, ja die PS/PCF-Koalition hat bereits kurz nach ihrem Machtantritt den gigantischen Ausbau dieses mit dem Flair de Gaullescher Politik nationalstaatlicher Souveränität versehenen Potentials beschlossen. 1

Der zweite Einflußfaktor auf die französische Friedensbewegung ist von der Regierungsarbeit von PS und PCF (und ihrem Beitrag zum „nuklearen Nationalkonsens“) nicht zu trennen: Der Tatbestand, daß die beiden traditionell stärksten und konsequentesten Friedenskräfte Frankreichs, eben Sozialisten und Kommunisten, – zum ersten Male seit der Phase der Liberation! – die Regierungsgewalt innehaben, verfehlt ihre Wirkung auf die Organisation der französischen Friedensbewegung nicht.

Diese wird mit Ausnahme der CODENE (Comité pour le Desarmement Nucleaire de l´Europe), eines sich vor allem vom PCF abgrenzenden, 1981 gegründeten Bündnisses von vielschichtigen Linkskräften um in erster Linie den PSU (Parti Socialiste Unifie) sowie das MDPL Claude Bourdets (Mouvement pour le Desarmement la Paix et la Liberte), von zwei anderen Organisationen repräsentiert: vom „Mouvement de la Paix“ und vom „Appel des Cent“.

Mouvement de la Paix

Das 1949 gegründete „Mouvement de la Paix“ blickt auf eine lange Tradition im Friedenskampf zurück mit seinem Engagement gegen die Remilitarisierung der BRD, gegen den Algerien- und Vietnamkrieg und auch gegen die „Force de Frappe“. Die Ende 1982 knapp 5000 eingeschriebenen Mitglieder, die in der Tradition von Persönlichkeiten wie Joliot-Curie, Aragon, Picasso, Eluard oder Vercors stehen, sowie die „Militants“ der Bewegung sind zum überwiegenden Teil Anhänger des PCF oder der Gewerkschaft CGT, zu einem ebenfalls beachtlichen Teil Anhänger des PS; Christen und Unorganisierte machen nur einen geringen Anteil aus.

Appel des Cent

Der „Appel des Cent“, der Aufruf von 100 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft, ergangen im Herbst 1981, steht, was seine politische Basis anbelangt, dem „Mouvement“ nahe, ist aber organisatorisch von diesem streng getrennt und versteht sich bewußt als ein überparteiliches Bündnis von Persönlichkeiten.

Wenn man sich die Politik des „Mouvement de la Paix“ und des „Appel des Cent“, die beide aufgrund vor allem ihrer Verflochtenheit mit der kommunistisch-linkssozialistisch orientierten CGT auch für die entscheidenden Wissenschaftlerinitiativen im Friedenskampf verantwortlich sind, nach ihren Inhalten betrachtet, so stößt man gerade bei Berücksichtigung ihrer politischen Affinitäten rasch auf einige Erklärungsmöglichkeiten für die konstatierbare Schwäche der französischen Friedensbewegung: Beide Organisationen kritisieren heute die „Force de Frappe“ nicht. 2 Und beide Organisationen, dies gilt insbesondere für den „Appel des Cent“ zeigen nicht die wahren Qualitäten und die wahren Triebkräfte der atomaren Bedrohung der 80er Jahre. Ihre Manifestationen laufen unter wenig aussagekräftigen Parolen wie „J'aime la vie – J'aime la paix“. da wird die allgemeine Abrüstung gefordert, und Transparente wie „Ni Pershing II – Ni SS-20“ (Weder…-Noch…) sind keine Seltenheit.

Treffen von Intellektuellen für Frieden und Abrüstung

Bereits am 29. Januar 1983 führte der „Appel des Cent“ diese auch „Versammlung der Intellektuellen“ genannte Veranstaltung in Paris durch. Eine ganze Reihe von Initiativen riefen hierzu auf: so ein „Appell von 24 Juristen für Abrüstung“ (Humanité v. 7.1.83), „Schriftsteller und Künstler für Abrüstung“ (Humanite v. 19. 1.83), ein „Appell von 35 Wissenschaftlern für Abrüstung“ (Humanité v. 17.1. 83) oder eine Mediziner-Initiative (Humanite v. 20. 1.83); mehrere Einzelpersönlichkeiten wie die Schriftstellerin Suzanne Prou, der Mediziner Leon Schwarzenberg oder der Sänger Maxime Le Forestier meldeten sich zu Wort. 3

So lauten die Forderungen bspw. in dem Juristen-Aufruf unter Bezug auf den Wortlaut des „Appel des Cent“: „Stopp der nuklearen Eskalation, Verhandeln, Abrüstung, sozialer Fortschritt und Entwicklung“. So heißt es in der Proklamation der Mediziner nach dem Hinweis auf die beiden Supermächte („principales puissances“): „Dieser Rüstungswettlauf muß aufhören, diesem Gleichgewicht des Terrors muß ein Ende gesetzt werden. Man muß dem Leben geben, was man (heute) für den Tod vergeudet.“

Die Diskussionen der Versammlung des 29. Januars selbst zeigten z. B. sehr konkret die immense Vergeudung durch Rüstung auf, der Hunger und Not auf weiten Teilen der Erde gegenüberstehen; sie griffen aber die entscheidenden politischen Fragen zu Beginn der 80er Jahre nur selten auf, anklingende Kritik an der Regierung Mitterrand, an ihrer Sicherheitspolitik wie an ihrer Außenpolitik, wurde als unpassende, als unwillkommene Kontroverse empfunden. Eine Passage aus dem ebenfalls wenig konkret gehaltenen Abschlußdokument: „Es ist schlimm zu sehen, wie kolossale Summen für den Bau von Waffen ausgegeben werden, die unsere Erde mehrfach zerstören können, während Millionen von Menschen immer noch an Hunger sterben. Wir wollen, daß unsere Stimme gehört wird, damit dieser Wahnsinnswettlauf, dieser Skandal aufhört, der keine Rücksicht auf menschliches Leben oder menschliche Werte nimmt.“ (Humanité v. 31.1.83) Gleichzeitig beteiligen sich französische Wissenschaftler an bedeutenden internationalen Aufrufen, so an dem Pariser Appell der 12000 Physiker aus 43 Ländern, der die „sofortige Einstellung der Atomversuche, der Produktion und der Stationierung neuer atomarer Waffen“ forderte (FAZ v. 11.11.83).

Welttreffen der Kulturschaffenden und Intellektuellen

Der „Appel des Cent“ plant für März/April 1984 ein erneutes Treffen in Paris, diesmal mit weltweiter Beteiligung. Es soll nach den Vorstellungen der Veranstalter weniger zu neuen, größeren Organisationsformen führen, als vielmehr zu einem allgemeinen Erfahrungs- und Gedankenaustausch. Neben einer Plenardiskussion sind berufsspezifische Arbeitsgruppen geplant. Dieses Welttreffen sollte die Möglichkeit bieten, mit den französischen Kollegen die anstehenden Fragen zu diskutieren. Dies um so mehr, als die CGT, der eine Vielzahl von Wissenschaftler-Friedensaktiven entstammt, eine außerordentlich klare und offensive Politik betreibt: gegen die „Force de Frappe“, gegen die amerikanische Enthauptungsstrategie, gegen eine Außenpolitik der Spannung mit den sozialistischen Ländern.

Der Informationsdienst Wissenschaft und Frieden wird vom Pariser Welttreffen berichten.

Anmerkungen

1 „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 27, 1982, 2 und „Lendemains“ 7, 1982, 28. Zurück

2 Ausführlicher mit der französischen Friedensbewegung befaßt sich mein Beitrag in den „Frankfurter Heften“ 38, 1983, 10. Zurück

3 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die beiden Hauptorgane der Kommunistischen Partei, „L´Humanité“ und „L´Humanite Dimanché“ (Auflage ca. 150000 bzw. 400000), eine klare, zumindest gegen die US-amerikanische Konfliktstrategie gerichtete Politik betreiben. Ich empfehle hier v.a. das Interview, „Science et Paix“ (L´Humanité Dimanche v. 1.11.83) mit den sechs Nobelpreisträgern P.A. Tschernenkow, N. Basw, O. Chamberlain, S. McBride, G, Debreu und M. H. F. Wilkins. Zurück

Johannes M. Becker, Diplompolitologe, z. Zt. Paris, promoviert an der Universität-Marburg über das deutsch-französische Verhältnis und Militärprobleme.

Editorial

Editorial

von Redaktion

Wenige Monate nach Stationierungsbeginn ist vollends klar geworden.- Die „Nachrüstung“ ist nur das erste Kapitel eines für die 80er Jahre konzipierten, gigantischen Militärprogramms. Die Zauberworte der Gegenwart — Mikrochip, Laser, Genetic Engineering beflügeln die Phantasie der Militärstrategen. Der Pakt von High Tech und Armageddon-Visionen wird zum Schlüsselereignis unseres Jahrzehnts.

Ein Hauptkapitel: die Weltraumrüstung. Sie ist Thema des Kongresses am 7./8. Juli '84 in Göttingen: „Naturwissenschaftler warnen vor der Militarisierung des Weltraums“. Diese Ausgabe des Informationsdienstes gibt einen Überblick zur Sache.

Einzustellen haben die um den Frieden Besorgten sich auf eine langfristige Auseinandersetzung. Da ist es gut zu wissen, daß die Friedensbewegung trotz vielfältiger Differenzen ihre Einheit gesichert hat. Die Aktionskonferenz am 11./12. Februar in Köln orientierte sich auf die Ausschöpfung aller Gemeinsamkeiten – Voraussetzung für die weitere Erhöhung der Ausstrahlungskraft der Friedensbewegung. Auch die Verbreiterung des Friedensengagements der Wissenschaftler ist offensichtlich. Im Sommersemester 1984 wird es an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland Tausende von Seminaren, Vorlesungen und Vorträgen zum Thema Krieg/Frieden geben. Die Veranstalter des 4. Medizinischen Kongresses „Ärzte warnen vor dem Atomkrieg“ rechneten mit 2000 Teilnehmern; mehr als 5000 Ärzte kamen am 30. März nach Tübingen. Andere „Fachgruppen“ planen für die nächste Zeit weitere Kongresse. Und überall auch das Thema: Widerstand.

Wie können die Wissenschaftler über allgemeine Bekundungen hinauskommen.? Walter Jens hat den großen Entwurf einer neuen Wissenschaftsethik in Tübingen gewagt. Es ist an der Zeit, daß sich die Wissenschaftlergemeinschaft mit dem dort niedergelegten Moralkodex auseinandersetzt. Nötig ist zugleich die Eröffnung einer strategischen Debatte über Friedenssicherung und Rüstungspolitik, die auch die wissenschaftliche Publizistik erfaßt. Um dieses Anliegen durch Material und argumentative Auseinandersetzung zu unterstützen, machen wir den Informationsdienst. Er muß allerdings noch weit größere Verbreitung finden. Wir sind dabei auf die aktive Unterstützung unserer Leser angewiesen.- Informieren Sie uns über die Geschehnisse vor Ort. Schreiben Sie uns. Helfen Sie uns bei der Gewinnung neuer Abonnenten. Als Werbeprämie haben wir lediglich die Stärkung der Friedensbewegung zu bieten.

Wissenschafts„konversion“ und Gewerkschaften

Wissenschafts„konversion“ und Gewerkschaften

von Johannes Wildt

Neues Selbstverständnis der Wissenschaftler

Es kann gar keinen Zweifel geben: Eine hervorragende Bedeutung für die Erfolge der Friedensbewegung hatten und haben in Zukunft die Organisationsformen, die die friedenspolitischen Initiativen einzelner Berufsgruppen zusammenfassen. Auf der Basis des gemeinsamen Interesses an der Verteidigung der Grundlagen der menschlichen Existenz ist es gelungen, Betroffenheit und Sachverstand zu gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit in einer Breite zu organisieren, die vielfach übliche Zersplitterung von Parteien, Verbänden, Konfessionen – auch die Gewerkschaften müssen in diesem Zusammenhang genannt werden – mindestens teilweise überwindet.

Die Entdeckung, in welchem Umfang die gesellschaftliche Arbeit im Beruf in den verhängnisvollen Hochrüstungskurs einbezogen ist, hat die Bereitschaft freigelegt, die eigene Kompetenz in die Waagschale der Friedenskräfte zu werfen. Die Breite, in der die Manifestation von Ärzten, Naturwissenschaftlern, Künstlern, Sportlern, Architekten, Pädagogen, Angehörigen psychosozialer Berufe etc. in Kongressen, Unterschriftensammlungen, Anzeigen, Publikationen, Vorträgen getragen wird, ist Beweis genug. In diesen berufsspezifischen Initiativen spielen nicht allein aber doch in vorderster Linie Wissenschaftler eine wichtige Rolle. Dies mag durchaus Gründe im nach wie vor hohen Sozialprestige der Wissenschaft, in den besonderen Freiheitsrechten der Wissenschaftler, ihrer relativen Unabhängigkeit von Weisungshierarchien, ihrer flexiblen Arbeitsorganisation, den überregionalen Kommunikationsnetzen und internationalen Kontakten in der Wissenschaft, dem erleichterten Zugang zu Kommunikationsmitteln etc. haben. Ausschlaggebend für das Engagement vieler Wissenschaftler ist jedoch die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung wissenschaftlicher Arbeit. Es muß hier nicht erneut ausgebreitet werden, in welchem Umfang wissenschaftliche Arbeit oder wissenschaftliche Erkenntnisse Schrittmacherdienste für die fortschreitende Hochrüstung und Militarisierung immer weiterer Bereiche des Lebens leisten, wie weit die wissenschaftliche Entwicklung direkt oder indirekt durch den militärisch-industriellen Komplex gesteuert wird, wieviel wissenschaftliche Arbeitskraft in diesem Zusammenhang abhängig beschäftigt wird.

Die Wissenschaftler haben hierzu umfangreiches Material zusammengetragen und sie haben was vielleicht noch bedeutsamer ist begonnen, ihre Arbeit aus dem kriegstreibenden Verwertungszusammenhang herauszulösen, um sie in den Dienst einer friedlichen, humanen und demokratischen Entwicklung der Gesellschaft zu stellen. In Ansätzen zeichnet sich so etwas ab wie ein Prozeß der Wissenschafts„konversion“.

Ein wesentliches Moment dieser Veränderung ist: Mehr und mehr Wissenschaftler überwinden ihr eingeengtes Selbstverständnis als Fachleute für den begrenzten Wissensbereich, für den sie sich als Spezialisten zuständig halten. Eingebunden in die sozialen Bewegungen stellen sie ihr Wissen in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Sie erkennen ihre Aufgabe, nicht nur wissenschaftliches Wissen zu gewinnen und anzuwenden, sondern damit die Verbreitung des Wissens zu verknüpfen. Erst die Demokratisierung des wissenschaftlichen Wissens gewährleistet, daß der wissenschaftliche Fortschritt in gesellschaftlichen Fortschritt umgemünzt werden kann. Zu den wesentlichen Beiträgen der Wissenschaft zur Friedensbewegung gehört sicherlich die Unterstützung der geradezu rasanten kollektiven Lernprozesse, die zu einer vor einigen Jahren kaum für möglich gehaltenen Verbreitung und Erhöhung des allgemeinen Wissensstandes über sicherheitspolitische Fragen geführt haben. In der Durchdringung des friedenspolitischen Engagements mit der Rationalität wissenschaftlichen Wissens entwickelt sich ein neuer Typus wissenschaftlicher Kultur bzw. Gegenkultur gegen die herrschende Unkultur , in der Rationalität und Emotionalität, Erkenntnis und Interesse nicht als Gegensatz, sondern als zwei Seiten eines kollektiven Emanzipationsprozesses erscheinen.

Gestiegenes Engagement der Gewerkschaften

Unter den Wissenschaftlern, die sich in den berufsgruppenspezifischen Friedensinitiativen engagieren, sind auch viele Gewerkschafter zu finden. Eine ganze Reihe von ihnen verbindet das friedenspolitische Engagement mit aktiver Gewerkschaftsarbeit. Nicht wenige jedoch haben durchaus aufgrund von Enttäuschungen in ihrer Gewerkschaft den Schwerpunkt ihrer gesellschaftspolitischen Betätigung in die berufsgruppenspezifischen Initiativen verlagert.

Aus der Sicht manches gewerkschaftlichen Funktionsträgers mag das zu beklagen sein. Wie auch immer man dies analysieren und bewerten mag es bleibt da sicher manches aufzuarbeiten sowie sich die Dinge entwickelt haben, lassen sich die Strömungen der Friedensbewegung innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften im allgemeinen und die Rolle der Wissenschaftler im besonderen als Ergänzung betrachten.

Immerhin hat sich in den letzten Jahren auch das friedenspolitische Engagement der Gewerkschaften verbreitert. Auch im Wissenschaftsbereich sind friedenspolitische Aktivitäten nicht etwa nur die Ausnahme geblieben. Dazu mögen nur wenige Hinweise aus dem Organisationsbereich genügen, den ich vertrete. Die GEW-Foren: „Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung“ haben das Thema Frieden, Friedenserziehung und Friedenspolitik, die Fragen der Rüstungskonversion und Militärpolitik umfassend behandelt (vgl. E&W, 1983,S. 7). Die Fachgruppe Hochschule in der GEW hat sich für die bundesweite Verbreitung des Appells Siegener Hochschullehrer eingesetzt und die Selbstverpflichtung der Wissenschaftler unterstützt mit und in ihrer wissenschaftlichen Arbeit nach „Kräften und Möglichkeiten die Fragen des Wettrüstens und der Atomwaffen … zur Diskussion zu stellen und dazu beizutragen, die Stationierung der neuen US-Raketen in unserem Land zu verhindern“. Gewerkschaftsgruppen haben sich daran beteiligt, die Aktionstage der Friedensbewegung zum Erfolg zu führen.

Zusammenarbeit Gewerkschaften – Friedensbewegung nötig

Besonders hervorzuheben ist, dank die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Friedensinitiativen außerhalb der Gewerkschaften intensiver geworden ist. Ein guter Erfolg war der zweite bundesweite Pädagogen-Friedenskongreß am 9./10. September 1983 in Köln, der von den Hamburger „Pädagogen gegen den Rüstungswahnsinn“, den Kölner „Lehrer für den Frieden“ und den Landesverbänden Hamburg und Nordrhein-Westfalen der GEW getragen wurde. Zudem wird die Kompetenz von Wissenschaftlern auch in den Gewerkschaften mehr und mehr nachgefragt. Der Beitrag von H. Wulf in der ersten Nummer des „Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden“ ist nur ein Beispiel von vielen.

Sofern eine solche Kooperation nicht durch Konkurrenz darum geprägt ist, wer in den sozialen Bewegungen das Sagen hat, kann sie sich für die Sache der Friedenspolitik nur zum Vorteil auswirken. Ich will mich an dieser Stelle darauf beschränken, auf einige Aspekte hinzuweisen, die mir als Wissenschaftler und Gewerkschafter besonders wichtig erscheinen.

Gewerkschaften sind ganz im Unterschied zu vielen spontanen Initiativen stabile Organisationen. Wenn es gelingt, das wissenschaftliche Wissen mit dem Organisationswissen in den Gewerkschaften zu verbinden, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß das Wissen nicht versickert, sondern längerfristig handlungsrelevant bleibt. Als Massenorganisationen haben die Gewerkschaften einen – wenn auch häufig nicht hinreichend genutzten Zugang zu breiten Kreisen der Bevölkerung. Gewerkschaften verfügen über zwar begrenzte, aber nicht zu unterschätzende Macht, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Gestaltung gesellschaftlicher Praxis zu nutzen. Es geht aber nicht allein darum, in der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften wissenschaftliches Wissen anzuwenden und zu verbreiten. Die Kooperation bietet gleichzeitig die Chance, das wissenschaftliche Wissen und die von Wissenschaftlern vorgeschlagenen praktischen Konsequenzen in Beziehung zu den Interessen der abhängig Beschäftigten zu setzen. Der Zugang von Gewerkschaften zu gesellschaftlichen Problemen gewinnt den verhandelten Sachverhalten häufig andersartige Aspekte ab, als aus wissenschaftlichem Gesichtswinkel sichtbar werden. Dies hat dann auch Folgen für die Qualität des wissenschaftlichen Wissens. Insbesondere läßt sich eine isolierte disziplinäre Betrachtungsweise nicht halten.

Der letzte Aspekt führt zu der Frage, die sich derzeit für die berufsgruppenspezifische Initiativen stellt, die vornehmlich disziplinär geprägt sind: wie denn die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen bestärkt werden kann. Der Informationsdienst des BdWi leistet dazu sicherlich einen wichtigen Beitrag. Die Kooperation sollte über den notwendigen Informationsaustausch zu gemeinsamen Aktivitäten führen. Wichtig erscheint es dazu, in einer gemeinsamen Diskussion genauer abzuklären, wie die Vorteile der Kooperation genutzt werden können. Wir Wissenschaftler in den Gewerkschaften sind jedenfalls dazu bereit und werden entsprechende Initiativen ergreifen.

Johannes Wildt ist Pädagoge und arbeitet in Bielefeld

Friedensforschung vor Neuanfang?

Friedensforschung vor Neuanfang?

Interview mit Peter Lock

von Peter Lock und Redaktion

Über die Situation der Friedens- und Konfliktforschung nach der Auflösung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK) und über die Perspektiven sprachen wir mit Peter Lock.

Unter dem Schlagwort von der „politisch einseitigen“ Friedens- und Konfliktforschung (im folgenden FuK abgekürzt) wurde die DGFK auf Betreiben konservativer Kräfte, vor allem in der CDU/CSU aufgelöst. Ist dieses hoffnungsvolle Kind der Entspannungsära damit bereits tot?

Der Prozeß, mit dem die FuK durch die Schließung der DGFK voll getroffen wird, hat eine längere Vorgeschichte. Die Konservativen in der Bundesrepublik haben seit der Geburtsstunde dieser Disziplin unter dem damaligen Bundespräsidenten Heinemann Kritik an der Heraushebung dieser Problemstellung geübt. Spätestens 1975 wurde der politische Druck verstärkt: Von der FuK wurden politiknahe, umsetzbare Ergebnisse gefordert. Die Förderungsgremien wurden verschiedentlich umgebaut, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Hatte die Friedensforschung denn ein gestörtes Verhältnis zur „politischen Praxis“?

Die DGFK hat immer wieder versucht, in den Dialog mit den sog. Praktikern zu kommen. Dieser Dialog war aber faktisch nichts anderes als eine Belehrung der politischen Praxis gegenüber der Forschung. Das Bundesaußenministerium, in einigen Fällen sogar das Verteidigungsministerium – haben gegenüber Friedensforschern doziert, auf deren angeblich falsche Meinung hingewiesen und sie auf offizielle Politikparadigmen festlegen wollen. Also auch auf den Nato Doppelbeschluß. Die FuK hat sich diesen Forderungen relativ weitgehend angepaßt.

Waren die Schwächen der FuK also eher inhaltlich-konzeptioneller Natur?

Erstens ist zu bedenken: Die Friedensforschung wurde vorzugsweise von jüngeren Wissenschaftlern betrieben, die in einer transitorischen Phase ihrer beruflichen Qualifikation mit dieser Thematik befaßt waren. Dies korrespondierte mit der Stellenstruktur der FuK: Seit ihrem Bestehen war sie durch Ein- bis Zwei-Jahresprojekte geprägt. Deren Zusammenfassung unter dem Dach der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFFK) und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg hat den falschen Eindruck aufkommen lassen, als sei bereits ein leistungsfähiger Forschungszweig entstanden. Daß diese, auf kurzfristige Mittelvergabe orientierte Struktur Anpassungsprozesse bei den Forschern begünstigte, liegt auf der Hand.

Zweitens muß man sich veranschaulichen, daß es eine eigenständige Disziplin „Friedens- und Konfliktforschung“ in der Wissenschaftssystematik eigentlich nur als Ideologiekritik an der bestehenden wissenschaftlichen Arbeitsteilung geben kann. Ihre Initiierung war eine offene Kritik an der Unfähigkeit der bestehenden Universitätsstruktur, sich adäquat mit Problemen der internationalen Beziehungen und Konfliktlösungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Dieses Versagen gerade der sozialwissenschaftlichen Disziplinen konnte die FuK – und kann sie nicht kompensieren. Sie war sich in weiten Teilen dieses Problems nicht mal bewußt.

Drittens hat „politikfähig“ zu werden für relevante Teile der FuK bedeutet, sich an den Auseinandersetzungen der politischen und militärischen Expertenhierarchie zu orientieren.

Von daher erklärt sich die Kluft zur Friedensbewegung. Diese hat Fragen aufgeworfen, die weit über den Horizont der institutionalisierten Friedensforschung hinausreichten.

Das hört sich fast so an. als habe die FuK ihr jetziges „Schicksal“ verdient. Bedeutet die geplante Umstrukturierung, sprich die Vergabe der Fördermittel über die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) denn keinen Einschnitt?

Diese Umstrukturierung symbolisiert zunächst einmal den vollendeten Racheakt der etablierten Universitätsforschung. Ihr war es von Anfang an ein Dorn im Auge, daß aufgrund einer politischen Setzung von Gustav Heinemann eine Forschungsinfrastruktur geschaffen wurde, die nicht vollständig der Ideologie der Interessenfreiheit – von der Professoren meinen, daß sie in der DFG herrsche – entsprach. Der Einfluß der DFG auf die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung ist in den letzten Jahren immer mehr erweitert worden, und zuletzt war die Mittelvergabe dein DFG-Standard angepaßt. Dies drückte sich auch darin aus, dank die Förderungskommission mehrheitlich aus Personen bestand, die von der DFG oder den verschiedenen Ministerien benannt worden waren. Wir sind gewissermaßen am Ende dieses Prozesses angekommen. Nichtsdestotrotz bedeutet die jetzt herbeigeführte Situation, daß ein extrem konservativer Umschwung in der FuK zu befürchten ist.

Haben die Betreiber der „politischen Wende“ denn ein forschungspolitisches Konzept für diesen Bereich. Oder sehen Sie sich angesichts der zunehmenden „Akzeptanzkrise“ ihrer Sicherheitspolitik nur unter dem Druck, ihre praktische Politik besser verkaufen zu müssen?

Ich glaube, man sitzt hier eher der Illusion auf, daß man an den Status quo ante anknüpfen könne und daß politische Praxis auf Regierungsebene und sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen der Sicherheitspolitik, der internationalen Beziehungen usw. ohne Bruch zusammenkommen könnten. Daß Außenseiter wie Biedenkopf, der ja das Paradigma der Abschreckung jüngst für überprüfungswürdig erklärte, etwas weitergehende forschungspolitische Überlegungen vertreten, ist nicht auszuschließen. Insgesamt gilt: Auch wenn die wissenschaftlichen Repräsentanten der Regierungslinie natürlich stärker an den DFG-Mitteln partizipieren sollten der herrschaftskritische Impuls der ursprünglichen Friedensforschung, der durch die Friedensbewegung ungemein belebt worden ist, ist nicht mehr zu tilgen.

Hat die Sozialdemokratie noch ein eigenes Konzept für die FuK?

Die ländergestützten Institutionen, wie die Hessische Stiftung oder das Hamburger Institut arbeiten weiter. Das Land Hamburg hat sogar angekündigt, das hiesige Institut mit zusätzlichen Stellen zu versehen. Offensichtlich begreift die SPD die Verteidigung dieser regionalen Einrichtungen als Teil ihrer Identitätswahrung. Dies hat aber auch damit zu tun, daß der Sozialdemokratie durch den Regierungsverlust im Bund wichtige Politikberatungsinstanzen verlorengegangen sind. Dieser Beratungsbedarf muß aber abgedeckt werden.

Haben wir es de zufolge mit einer ausschließlich parteipolitischen Ausrichtung der FuK zu tun?

Im Moment scheint es im sozialdemokratischen Umfeld so zu sein, daß die neue Rolle als Opposition unendliche Freiräume des Neuformulierens von Paradigmen läßt. Das wird sich mit der zeitlichen Nähe zur nächsten Wahl und der Notwendigkeit, Positionen zu beziehen, meiner Meinung nach ändern. Es bleibt zu hoffen, daß die wissenschaftliche Substanz darunter nicht leiden wird.

Hat denn die Friedensbewegung noch etwas von der Friedensforschung zu erwarten. Auf welchen Feldern könnte die „professionals“ beratend tätig werden?

Der Nutzen der FuK wird weiterhin nur marginal sein. Sicherlich hat die Friedensforschung, in der Gestalt von Einzelpersönlichkeiten allerdings, dazu beigetragen, der Friedensbewegung methodisch den Weg zu öffnen: Sie hat know how vermittelt, wie man sich mit dem vormals tabuisierten Rüstungssektor und militärischen Doktrinen auseinandersetzen kann. Inzwischen hat die Friedensbewegung selbst soviel an Erfahrung gesammelt, an Expertise angehäuft, daß mir in dieser Hinsicht nicht bange ist. Und dieses Potential läßt sich im Gegensatz zur FuK nicht durch eine politische Entscheidung rückgängig machen.

Möglicherweise kann ein Beitrag einzelner Friedensforscher auch darin liegen, durch Kritik an taktischen Fehlern in der Argumentation der Friedensbewegung die Diskussion qualifizieren zu helfen.

Was ist in diesem Zusammenhang von den Vorschlägen mancher Friedensforscher wie J. Galtung zu halten; von den Überlegungen zur Änderung des Nato-Konzepts, zur Umrüstung der Bundesrepublik auf Defensivwaffen?

Man sollte darin zwei Seiten erkennen. Auf diesem Feld können sich Friedensbewegung und -forschung näherkommen. Denn hier kann sich etwas entwickeln, was in angelsächsischen Ländern „strategic community“, also eine strategische Debatte genannt wird. Hierzulande immer stigmatisiert und innerhalb der Abschreckungsideologie immer an die Nuklearmacht USA delegiert, eröffnet die Diskussion um defensive Strategien für uns Deutsche neue Möglichkeiten, uns einzuschalten. Diese Debatte um neue Modelle nationaler oder auch europäischer Sicherheit ist daher nützlich. Ich fürchte andererseits, daß sie sich verselbständigen könnte. Relativ technokratische bzw. voluntaristische Modelle, die nur falsche Hoffnungen wecken und daher letztlich Engagement lähmen können, helfen nicht weiter.

Die Friedensbewegung hat eine sehr wichtige Ausprägung unter den Wissenschaftlern erfahren. Ich denke hierbei an die berufs- bzw. fachspezifischen Initiativen und an den interdisziplinären Dialog über Friedens- und Abrüstungsfragen, der an den meisten Hochschulen inzwischen in Gang gekommen ist. Dieser „Aufbruch“ unter der Universitätsintelligenz steht in keinem Bezug zur institutionellen FuK. Kann man diese beiden Bereiche zusammenbringen?

Ich glaube nicht, daß man das zusammenbringen kann. Einzelne Personen der FuK können helfen und beratend tätig werden, den nötigen Forschungsprozeß erleichtern. Die Hauptarbeit muß arbeitsteilig und interdisziplinär von den Wissenschaftlerinitiativen geleistet werden. Gerade deren Entwicklung verkörpert für mich ansatzweise die Aufhebung des weiter oben erwähnten Widerspruchs: Friedensforschung kann im Grunde nicht als aparte, selbstisolierte Teildisziplin existieren. Die Orientierung der universitären Fachrichtungen wie Medizin, Physik etc. auf die Auseinandersetzung um die Fragen des menschlichen Überlebens und auf Beiträge zur friedlichen Konfliktlösung zwischen den Völkern ist entscheidend. Nur wenn für ein forschungspolitischer Bedarf formuliert und an den Hochschulen eingefordert wird, kann sich eine Dynamik ergeben, die zu einer wirklich substantiierten Friedens- und Konfliktforschung führen wird. Der Anfang dazu ist gemacht.

Wir danken für dieses Gespräch.

Peter Lock ist Assistent am Institut für Politische Wissenschaften an der Universität Hamburg, hat sich seit längerem an Projekten der Friedensforschung beteiligt und zu diesem Thema mehrere Arbeiten publiziert.

Kritische Universität Anno 1983

Kritische Universität Anno 1983

Der 20.10. und seine Folgen

von Redaktion

Daß dem auf Sensationen erpichten Tagesjournalismus die vielfältigen Aktivitäten der Friedensbewegung in der Aktionswoche vom 17. – 22. 10. zum Teil entgangen sind nimmt nicht wunder. Die Berichterstattung scheint einem standardisierten Vorher/Nachher-Muster zu folgen: Zuerst die bedrohlichen Beschwörungen vom „Krawallherbst“, dann die Verniedlichung, als wäre kaum etwas passiert.

Was sich an den Hochschulen in der Aktionswoche und speziell am Tag der Bildungseinrichtungen am 20. 10. ereignet hat, ist von uns leider nicht zu erfassen. Auch würde es den uns zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen. Wir wollen aber einen gewissen Überblick geben. Es mag für den engagierten Kollegen nützlich sein zu wissen, wo man sich ggf. Anregungen und qualifizierte Beiträge für die Friedensarbeit holen kann. Daher wollen wir schon in diesem Heft auf die verschiedenen kontinuierlichen Veranstaltungen, wie Ringvorlesungen hinweisen und wo es möglich ist, auch die Adressen der Verantwortlichen angeben.

Aachen:

In Aachen findet in diesem Semester eine Vorlesungsreihe „Verantwortung für den Frieden“ statt, zu der das Forum Wissenschaftler für Frieden und Abrüstung und das Institut für politische Wissenschaft an der RWTH Aachen einladen.

Das Programm im einzelnen:

26.10.83 Dr. Seyfarth
Grundlagen der Physik der Kernwaffenexplosion
02.11.83 Dr. Duisberg
Aachen im Atomkrieg: medizinische Folgen und Hilfsmöglichkeiten
09.11.83 Prof. Dr. Mey
Zusammenhänge zwischen innerer Demokratie und äußerem Frieden
23.11.83 Prof. Dr. Böttcher
Abschreckung als untaugliches Prinzip der Kriegsverhütung
30.11.83 Yogeshwar
„Verteidigung“ und „Entwicklung“
07.12.83 Prof. Dr. Kasig
4,5 Mrd. Jahre Entwicklung der Erde und des Lebens – gibt es angesichts der Massenvernichtungsmittel eine geologische Zukunft?
21.12.83 Prof. Dr. Glück
Naturwissenschaftliches Denken: Todesverdrängung und Massenvernichtungsmittel?
14.12.83 Prof. Dr. Rickers
Friede auf Erden theologische und kirchliche Aspekte zur gegenwärtigen Friedensdiskussion
11.01.84 Dr. Schmitz
Chemische Kampfstoffe
18.01.84 Prof. Dr. Schultze
Ansätze für eine neue Sicherheitspolitik
25.01.84 Prof. Dr. Wohlenberg
Unterirdische Kernwaffentests und Probleme der Überwachung
01.02.84 Prof. Dr. Ploeger
Psychosoziale Reaktionen im Katastrophenfall
08.02.84 Prof. Dr. Gatzemeier
Betroffenheit und rationaler Diskurs – Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Argumentation über Krieg und Frieden

FU Berlin:

1041(!) Beschäftigte der Freien Universität veröffentlichen einen Brief an den Regierenden Bürgermeister und die Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Sie appellieren an diese Politiker, sich gegen die Stationierung neuer Atomraketen einzusetzen. Der Offene Brief ist in der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ vom 1.9.1983 abgedruckt.

Auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Fachbereiche Physik und Politik sprachen der Uni-Präsident Lämmert und Prof. Dr. Hans-Peter Dürr. Als Physiker sei er besonders betroffen, formulierte Dürr, denn jeder Student, den er ausbilde, könnte in Zukunft selber Waffentechniken weiterentwickeln. Er schlug als Alternative zum Wettrüsten vor, über Defensivtechnologien nachzudenken.

Das Institut für Philosophie veranstaltet am 20.10. einen Vortrags-, Diskussions- und Informationstag. Es nahmen u.a. teil, die Professoren Tugendhat, Gollwitzer und Möbius.

Daß es eine Podiumsdiskussion gab, Filme gezeigt wurden und ein Friedensfest veranstaltet wurde, wollen wir nur der Vollständigkeit halber hinzufügen.

TU Berlin:

Lediglich inoffiziell diskutierten Mitglieder des Konzils der TU über das Thema „Die Verantwortung der Technischen Universität Berlin für den Frieden im Spannungsfeld ihrer wissenschaftlichen Disziplinen“, nachdem die geplante ausserordentliche Sitzung an einer Verfügung des Präsidenten gescheitert war. Diese wurde mit Formfehlern begründet. Der Vorsitzende des Konzilvorstandes sah dagegen hinter der formalen Begründung eindeutige politische Absichten. Für eine erneute Sitzung werden Unterschriften gesammelt. Professoren verfassten einen Offenen Brief an den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der am 28.10.83 in der Frankfurter Allgemeinen erschien. Darin heißt es na.: „Wir wissen, dank die Technologie moderner Massenvernichtungswaffen inzwischen einen Stand erreicht hat. den man treffend als „Automatisierung der Kriegsführung“ bezeichnet. Eine solche Automatisierung bedeutet nicht nur, dass im Kriegsfalle Vernichtungsstrategien maschinengesteuert angewendet , sondern auch, dass schon im Frieden Entscheidungen über die Auslösung von Kriegshandlungen wesentlich von Computern rechnend gefällt werden. Wir fürchten aus unserer Kenntnis der Geschwindigkeit und der Komplexität von solchen 'Computer-Entscheidungen, dass diese von Menschen in Zukunft nicht mehr sicher kontrolliert und daher politisch auch nicht verantwortet werden können …“

Der Fachbereichsrat des Otto-Suhr-Instituts hat eine Resolution zur drohenden Gefahr eines atomaren Krieges verabschiedet, in der die Aufstellung von Pershing 11 und Cruise Missiles kritisiert wird.

Die Professoren A. und G. Schwan und W. Skuhr bezeichneten dies als unzulässige Wahrnehmung des politischen Mandats.

Bochum:

Am 20.10. fielen die Vorlesungen an der Ruhr-Universität zwischen 10 und 12 und zwischen 14 und 16 Uhr aus. Stattdessen führte das Rektorat in Verbindung mit dem Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Prof. Dr. Ipsen, eine Vortragsveranstaltung zu dem Thema „Europäische Sicherheit und Stationierung“ durch.

Bonn:

Ein Arbeitskreis „Naturwissenschaften für den Frieden“ führt eine Ringvorlesung zum Thema „Wissenschaft und Frieden“ durch. Es werden u.a. referieren die Professoren: Kreck (Mainz), Altner (Heidelberg), Böckle, Kreck, Penselin (Bonn), Harjes (Bochum).

Bremen:

Am 23.9. trat ein Friedens- und Aktionskomitee für die Universität zusammen, in dem der Personalrat, die GEW-Betriebsgruppe sowie Vertreter studentischer und Hochschullehrer-Organisationen mitarbeiten. Dieses Komitee unterstützt eine uniweite Urabstimmung zur „Raketenfrage“.

Der Rektor setzte für den 20.10. einen „dies academicus“ an, der dem Thema l-Frieden und Abrüstung gewidmet war. Der Tag war vorlesungsfrei.

An zahlreichen Arbeitskreisen und Diskussionsveranstaltungen beteiligten sich Informatiker, Naturwissenschaftler, Pädagogen, Psychologen, Ökonomen etc.

Bremer Naturwissenschaftler warnten in einem Aufruf vor dem weiteren Wettrüsten. Zu den Erstunterzeichnern gehörten die Professoren Beyersmann (Chemie), Hildebrandt (Biologie), Kasche (Biologie) und Rensing (Biologie).

Kontaktadresse des Friedens-und Aktionskomitees.- Peter Alheit, FB 12, Tel. 218292 7

Darmstadt:

Gegen Ende des Sommersemesters hat sich an der TH spontan eine Initiative für Frieden und Abrüstung gebildet.

Einer der lnitiatoren, Prof. Dr. Krabs (Mathematik), formulierte:

„Nach unserer Auffassung ist es dringend notwendig, über diese Fragen von gegenwärtig existentieller Bedeutung wissenschaftlich zu reflektieren und sie auch in die Lehre einzubringen. Es wird sicherlich schwer sein, angesichts der fachlichen Spezialisierung einen Gesamtrahmen für die Diskussion Zu finden. Aber gerade hier sollten sich die Fachwissenschaftler aufgefordert fühlen, über die engen Grenzen ihres Gebietes hinauszudenken und es in einen gro6en Zusammenhang zu stellen.“

Die Liste der Veranstaltungen, die in diesem Semester stattfinden, hat uns so beeindruckt, daß wir sie ganz abdrucken:

(vs workshop; V Vortrag; K = Kolloquium; S – Seminar)

Azzola, A./Nickel, E./Podlech. A.: ws – Friedenssicherung und Rechtsordnung.

Bielefeld, U.. u. a.: ws – Beiträge einer kritischen Sozialwissenschaft zur Rüstungsdebatte. 13ockhorn. H., u. a.: ws – Chemische/biologische Waffen Lind ökologische Kriegsführung. Burkhardt, A.: – Sprache der Rüstung und Sprache der Ent-Rüstung. Fleischer, H.: V/K – Philosophische Ethik im Blick auf die Gegenwart (Krieg und Frieden). Gamm, H. J.: V Gesellschaftliche Bedingungen der Friedenserziehung. (Gamm, H. J./Koneffke, .: V – Kolloquium zum Problem der Friedenserziehung. Herbig. J.: V – Die Militarisierung der Wissenschaft.

Hoffmann, J./Bender, W.: S – Gewissen und Handeln der Christen für den Frieden. Hirsch. A./Krabs. W./Reemtsen, R.: ws Der Beitrag der Mathematik zur Rüstung und Abrüstung.

Ipsen, D.: – Rüstungsdynamik: Die Entwicklung des militärisch-industriellen Komplexes in der BRD).

Kankeleit, W.: S – (Fortsetzung) Nuklearwaffen.

Konstantin, J. u. a.: ws – Informatik und Rüstung; Filmvorführung.

Mohr, W.: S – Psychologie und Rüstung. Aspeke psychologischer Friedensforschung.

Nixdorff, K.: ws – Ökologische Kriegsführung am Beispiel biologischer Waffen.

Nixdorff, P.: S – Wissenschaftler im Konflikt Fallbeispiele (Fall Oppenheimer).

Pooria, M./Rzondetzko, L.: V – Friedenserziehung als pädagogisches Problem? Bildung Militarisierung – Dritte Welt.

Institut für Politikwissenschaft: V – Politische Probleme der Gegenwart (Diskussions- und Informationsveranstaltung.

Rode, R.: S Friedensforschung und Friedensbewegung.

Setzer, H.: S Ökologie – Ökonomie – Politik: Teil 1: Umwelt und Rüstung.

Treuheit, W.: ws – Dritte Welt: Herd internationaler Konflikte.

Vowe, G.: ws – Zur Struktur internationaler Konflikte – Erarbeitung von Szenarien.

Wolters, N.: V – Die Anfälligkeit der Versorgung

im Katastrophenfall – dargestellt am Beispiel der Wasserversorgung.

Dortmund:

Der Senat empfahl uni-weite Diskussion zur Verantwortung des Wissenschaftlers für den Frieden am 20.10.

Eine Reihe von Hochschullehrern – darunter der Prorektor Prof. Dr. Obendiek – verfaßte einen Aufruf der den Abgeordneten der Region, der Bundesregierung und den Universitäten in NRW zugehen sollte. In dem Aufruf heißt es: „Als Hochschullehrer sind wir verpflichtet, Erkenntnisse zu gewinnen und ihre Folgen zu bedenken. Dazu gehört das Wissen um die ungeheuren Wirkungen der neuen Vernichtungsmittel sowie die hohe Wahrscheinlichkeit, mit der ihr Einsatz erfolgen kann …“

Die Uni-Zeitung begann eine Umfrage „Was tun die Angehörigen der UniDo für den Frieden?“ Ein nachahmenswertes Beispiel?

Ein Arbeitskreis Dortmunder Wissenschaftler für den Frieden führte eine Repräsentativumfrage zur Friedenspolitik durch, die in Form einer Broschüre auch veröffentlicht wurde. Die Resultate der Umfrage konnten zur Verbreiterung der Friedensbewegung genutzt werden.

Seit dem 19. 10. sind folgende Einrichtungen zur „atomwaffenfreien Zone“ erklärt worden:

Arbeitsstelle für Schulentwicklungsforschung, HDZ, Max-Planck-Institut für Ernährungsphysiologie, Max-Planck-Institut für Systemphysiologie, Sozialforschungsstelle, Institut für Sozialpädagogik und die Sozialakademie. Außerdem die Unipressestelle!

Düsseldorf:

Seit 1 1/2 Jahren gibt es an der Universität Düsseldorf das sog. „Blaue Vorlesungsverzeichnis“. Unbemerkt von einer größeren Offentlichkeit hat sich dort eine Art „Kritische Universität“ etabliert. Daß neben vielen anderen Themen auch ein Seminar zur Problematik „Naturwissenschaft und Rüstung“ dabei ist, versteht sich. Um friedliche' Aufklärungsarbeit leisten zu können, sollen Themen behandelt werden wie B- und C-Waffen, Laserwaffen, Kriegswahrscheinlichkeit und mathematische Modelle, Rüstungskonversion, Nachrichtentechnik uswusf.

Am 19. 10. referierte Dr. Rainer Rilling auf einer Veranstaltung des BdWi über die Rüstungsforschung in der Bundesrepublik. Unter Bezug auf den Mainzer Appell veröffentlichten Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter der naturwissenschaftlichen Disziplinen einen Aufruf gegen die Atomraketen.

Freiburg:

Im Rahmen des colloquium politicum sind für das WS einige Veranstaltungen zur Frage der Militärblöcke und der Abrüstung geplant.

Gießen:

In einem Offenen Brief an die Bonner Parteien sprach sich 113 aller Hochschullehrer gegen die geplante Raketenstationierung aus. Nachzulesen in der Frankfurter Rundschau vom 29. 9. 83.

In der Aktionswoche beteiligten sich die Professoren Erb, Grunemeyer, Schmidt-Relenberg an der Aktion „F asten und Schweigen für den Frieden“, die die ganze Woche andauerte.

Göttingen:

In einer zweiseitigen Anzeige haben 769 Naturwissenschaftler und Mitarbeiter der Max-Planck-Institute für biophysikalische Chemie, experimentelle Medizin, Strömungsforschung und Aeronomie (Lindau) der DFVLR, der GWDG und der Universitätsinstitute der Fachbereiche Agrarwissenschaften, Biologie, Chemie, Forstwissenschaften, Geowissenschaften, Mathematik, Medizin und Physik sich in der Lokalzeitung dem Mainzer Appell angeschlossen.

Gleichzeitig wurde eingeladen zu einer öffentlichen Veranstaltung am 1 5. 1 1., an der u. a. die Professoren Aichele (Erlangen) und Schneider (Göttingen) teilnehmen werden.

Karlsruhe:

Die Universität Karlsruhe stellt heute zweifellos eine Hochburg der Wissenschaftlerbewegung für den Frieden dar. Seit einem Jahr existiert dort eine Friedensgruppe, in der Wissenschaftler und Studenten zusammenarbeiten.

Im August 1983 trug sie zusammen mit dem Arbeitskreis Karlsruher Friedenstage, den Grünen, dem BdWi und anderen Organisationen dazu bei, daß der Pershinghersteller Martin Marietta' einen Ausstellungsstand während des internationalen Kongresses IJCAI'83 (international joint conference of artificial intelligence) nicht aufbaute. Der Druck auf den Rüstungskonzern war durch eine Öffentlichkeitskampagne zu groß geworden.

In der Friedenswoche erschien eine Anzeige in drei Karlsruher Zeitungen, die von über 1000 (!) Mitgliedern der Hochschule unterzeichnet worden war.

An alternativen Veranstaltungen am 20. 10. nahmen ca. 2500 Hochschulangehörige teil. Es gab Vorträge und Podiumsdiskussionen in allen Fachbereichen: von den Architekten bis zu Informatikern. (Die genaue Liste liegt uns vor … )

An der Kundgebung „Wissenschaftler für den Frieden“ beteiligten sich etwa 2000 Menschen. Es sprachen die Professoren Buckel, Falk, Funck, Herrlich, Siekmann.

In einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten der Region äußerten 72 Hochschullehrer ihre Besorgnis über die neuen Atomraketen. Zur Begründung wird u. a. ausgeführt:

„Nach dein Völkerrecht sind wir verantwortlich für alle Kriegshandlungen in und aus unserem Land. Unsere Mindestforderung müßte ein zweites Schloß' sein, damit keine verbündete Macht Massenvernichtungsmittel gegen deutschen Willen auf oder von deutschem Boden aus einsetzen kann. Ohne dieses zweite Schloß wäre unsere staatliche Souveränität verletzt …

Angesichts der im Pentagon diskutierten ‚Enthauptungsstrategie‘ muß die Pershing II von der UdSSR als Ersteinsatzwaffe betrachtet werden. Durch die Zulassung dieser Waffe und durch den Freibrief für fremde, wenngleich verbündete Truppen in unserem Land machen wir uns zur Gefahr für den Weltfrieden. Dies würde gegen Artikel 26 unseres Grundgesetzes verstoßen …“

Rückfragen bezüglich dieser Initiative bitte an Prof. Dr. -Ing. Eduard Naudascher Direktor des Instituts für Hydromechanik an der Universität Karlsruhe. Anschrift: Am Rüppurrer Schloß 5, 7500 Karlsruhe.

„Uni-Inforrnation Karlsruhe“, hrsg. vom Rektor, brachte das Kunststück fertig, diese Initiative in einer 12-Zeilen-Meldung zu berücksichtigen. Die ausführlichen Artikel, die diese Kurznachricht umgarnen lauten: „Studentische Aktivitäten: Eine Reitgruppe stellt sich vor“ und „Karlsruher Germanistik von Australien aus gesehen“ (S. 20/21, Nov. 1983)

Kassel:

Der Konvent der Gesamthochschule hat sich dem „Mainzer Appell“ mit überwältigender Mehrheit angeschlossen. Gleichzeitig wurde beschlossen, alle Mitglieder der Universität zu einer Vollversammlung mit dem Thema „Wissenschaft und Frieden“ einzuladen. (20. 10.). Auf dieser Vollversammlung sprachen: Prof. Dr. Franz Neumann, Präsident der GhK, Prof. Dr. H. Gärtner Physik), Prof. Dr. Ing. A. Puck (Maschinenbau) und Prof. Dr. W. Rauh (Gesellschaftswissenschaften).

Konstanz:

In diesem Semester eine Ringvorlesung

„Die Wissenschaften und der Frieden“.

Nachfragen an Prof. Dr. Kempf, 0 75 31/88 25 64.

Mainz:

In Mainz hat sich eine Naturwissenschaftler-Arbeitsgruppe im Frühjahr 1983 gegründet. Diese Gruppe hatte maßgeblieben Anteil an der Vorbereitung und Durchführung des Mainzer Kongresses. Im Anschluß an den Kongreß konstituierte sie sich als „Naturwissenschaftler für den Frieden Mainz“.

Zur eigenen Weiterbildung und zur Qualifizierung der Öffentlichkeitsarbeit wurden AG's eingesetzt zu den Themen:

  • neue Waffentechnologien,
  • Rüstungsforschung
  • Militärstrategie und Technologieentwicklung

Neben den Arbeitsgruppen trifft sich 14-tägig das Plenum in dem regelmäßig 20 bis 30 Wissenschaftler mitarbeiten.

Die Resonanz auf den Mainzer Kongreß war so stark, daß die Referentenwünsche nicht mehr alle erfüllt werden können. Drei Veranstaltungen pro Woche werden von den Mainzer Kollegen bestritten.

In der Aktionswoche fanden drei Veranstaltungen statt:

Militärische Folgen von ABC-Waffen; Psychologische Kriegsvorbereitung; Die neue Qualität der Pershing II. Im Schnitt waren 300 Zuhörer anwesend. Am 20. 10. sprachen vor dem vollbesetzten Auditorium Maximum der DGB-Landesvorsitzende Lehlbach und der Mathematikprofessor Kreck. Veranstalter war die GEW.

Zur beliebtesten Lehrveranstaltung entwickelt sich in diesem Semester die Ringvorlesung zu Wissenschaft und Frieden im Rahmen des studium generale. Bei der ersten Sitzung waren 500 Teilnehmer anwesend.

Wer mit den „Mainzern“ Verbindung aufnehmen möchte, kann sich wenden an: Ulrich Oehmichen, c/o Uni Mainz, Fachbereich Geowissenschaften, Lehreinheit Mineralogie, Saarstr. 21, 6500 Mainz.

Marburg:

Seit dem Sommersemester 1982 gibt es am Fachbereich Physik eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung über das Thema „Physik und Rüstung“. Die Ergebnisse eines Seminars wurden in einem Buch unter diesem Titel zusammengefaßt. Im WS lief dieses Seminar weiter – eine Friedensinitiative gründete sich.

Am 19. 10. diskutierte der Fachbereichsrat die Problematik und verabschiedete eine Erklärung, in der der Mainzer Appell unterstützt wird. 21 der 24 gewählten Mitglieder unterschrieben! Nachdem sich in einer Unterschriftensammlung die Mehrheit der Fachbereichsangehörigen gegen die Raketenstationierung ausgesprochen hatte, wurde der Fachbereich für atomwaffenfrei erklärt.

In der Planung für das WS befindet sich ein Interdisziplinäres Seminar für Hörer aller Fachbereiche. Referieren werden aus den naturwissenschaftlichen Fachbereieben und der Medizin:

Dr. J. Altmann, Prof. Dr. M. Beato, Dr. U. Beisiegel, Prof. Dr. Elschenbroich, Prof. Dr. E. Gansauge, Prof. Dr. H. Kuni, Prof. Dr. 0. Melsheimer, Prof. Dr. F. Kühlhofer, Prof. Dr. C. Wissel.

Am 20. 10.: Podiumsdiskussion des BdWi „Hochschule und Stationierung“ Der Vizepräsident der Universität sprach ein Grußwort. Vor rund 1000 Zuhörern kamen für die Naturwissenschaftler zu Wort Dr. J. Altmann (Physik), Prof. Dr. H. Bauer (Gießen, Medizin), und der Biochemiker Prof. Dr. Miguel Beato. Standortbestimrnungen für die Sportwissenschaften leistete J. Fischer, wiss. Mitarbeiter, für die ev. Theologie Prof. Dr. W. Huber, für die Linguistik Prof. Dr. G. Keseling und für die Psychologie Prof. Dr. G. Sommer. Weitere Beiträge von Prof. Dr. L. Froese (Päd.) u. von Prof. Dr. (;. Hager (Jura).

Einen „Friedens-Hyde-Park“ führte der FB Gesellschaftswissenschaften durch. Die überwiegende Mehrzahl der Hochschullehrer beteiligte sich.

München:

In Bayern insgesamt war das Problem, daß die Vorlesungen erst zum 1.11. beginnen. An der Uni München gab die Initiative „Münchner Hochschulangehörige für den Krefelder Appell“ eine Zeitung zum Thema Frieden und Hochschule heraus und am Germanist. Institut wurden vielfältige Diskussionsrunden durchgeführt.

Am 2 0. 1 0. auf dem Geschw.-Scholl Platz Friedensversammlung der Hochschulangehörigen.

Münster:

In Münster haben sich bereits zwei Institutionen herausgebildet:

  • das Forum „Naturwissenschaftler für den Frieden“
  • ein Arbeitskreis Münsteraner Wissenschaftler für Frieden und Abrüstung.

Das Forum entstand bereits im Frühjahr 1981 und organisierte im WS 81/82 eine Ringvorlesung mit Vorträgen über A-, B- und C-Waffen-Systeme. Im April 1982 hatten bereits über 200 Naturwissenschaftler einen Anti-Aufrüstungs-Aufruf unterschrieben. Das Forum kann als eine wichtige Keimzelle für den Mainzer Kongreß bezeichnet werden.

Der uniweite Arbeitskreis hat für dieses Semester eine Ringvorlesung initiiert „Wissenschaftler und Friedensbewegung: Was leisten die Wissenschaften für den Frieden?“

Auch diesen Veranstaltungsplan mitsamt verantwortlicher Adresse wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten:

Mo. 28.11., Biologie: Genetische Strahlenrisiken (W. Köhnlein, H. Traut)

Mi. 30.11., Mathematik: Vergleich der Erstschlagsfähigkeit von Pershing 2 und SS 20 (M. Kreck)

Mo. 05.12., Rechtswissenschaft: Ziviler Ungehorsam als aktiver Verfassungsschutz (E. Küchenhoff, N.N.)

Mo. 12.12., Podium: NATO-Doppelbeschluß und die Genfer Verhandlungen. Ergebnisse und Perspektiven

Mo. 19.12., Ev./Kath. Theologie: Theologie und Frieden (K.W. Dahm, T.R. Peters, D. Schellong, H.-G. Stobbe)

Mo. 09.01., Psychologie: Psychologie und Friedensbewegung (Th. Barthmann, H.-D. Loewer, N.N.)

Mo. 16.01., Publizistik: Kriegspropaganda psychologische Verteidigung (H.D. Kübler, W. Lerg)

Mo. 23.01., Literaturwissenschaft: Friedenshoffnung und Gewalterfahrung in Lateinamerika: Der Schriftsteller Ernesto Cardenal (K. Biermann, H. Koch)

Mi. 25.01., Erziehungswissenschaft: Widerstand und Frieden: Ernst Bloch/Frieden lernen (K. Brose, P. Heitkämper, W. Rest)

Mo. 30.01-, Politikwissenschaft: Politikwissenschaft und Friedensgesinnung (G. W. Wittkämper)

Mo. 06.02., Podium: Was tut die Universität

Münster für den Frieden?

V.i.S.d.P. Prof. Dr. Helmut Koch, Melcherstr. 59, 4400 Münster

Oldenburg:

20.10.: Uni-Vollversammlung mit 1300 Teilnehmern. Es sprachen der Uni-Präsident, Hochschullehrer und Vertreter der Bediensteten und der Studenten.

Es wurde ein Friedensmanifest verabschiedet. Darin wird der 12.12. (Jahrestag des NATO-Doppelbeschlusses) zum dies academicus erklärt. An diesem Tag sollen also wieder mannigfache Diskussionen und Aktivitäten stattfinden. Im Sommersemester werden Projekte ins Auge gefaßt, insbesondere zu den Fragen

  • Gesellschaftliche Ursachen von bewaffneten Konflikten,
  • Rüstungskonversion,
  • ökonomische Funktion von Rüstung, Friedenserziehung,
  • Soziale Verteidigung.

Das Manifest dürfte über Dieter Bonitz, Lindenstr. 26, 29 Oldenburg zu erhalten sein.

Im Anschluß an die Vollversammlung beteiligten sich 5000 Studenten, Schüler und Hochschulangestellte an einer Demonstration in der Stadt und bildeten eine lange Menschenkette.

Als Beilage zum Oldenburger Wochenblatt erschien eine Zeitung „Oldenburger Wissenschaftler gegen den Rüstungswahnsinn“. Die Hochschul-Friedensinitiative arbeitet weiter und bereitet eine uni-weite Urabstimmung gegen die Raketenstationierung im November vor.

Tübingen:

Die GEW hatte zu einer zentralen Veranstaltung am 20.10. nachmittags eingeladen. Anschl. Kundgebung von Hochschullehrern und Studenten auf dem Marktplatz. (Teilnehmer: weit über 1000) Vormittags hatten zahlreiche Diskussionsrunden und Workshops an den einzelnen Fachbereichen stattgefunden.

Die „Studierenden und Lehrenden“ des Ludwig-Uhland-Instituts hatten an ihrem Haspelturm eine Fahne gesetzt, die sie als schützenswertes Kulturgut auswies.

Kommentar des Schwäbischen Tagblattes: „Die Uni blieb ruhig“

Außerdem zu berichten: eine Annonce von Wissenschaftlern in der Lokalzeitung. Der Osterbergkreis führt im November „Tübinger Gespräche“ zur atomaren Aufrüstung durch.

Wuppertal:

364 Professoren, Doktoren, Diplomer, Nichtwissenschaftler und Studenten erklären sich in der Zeitung am 20.10. gegen neue Atomrüstung.

Am gleichen Tag „dies academicus„ an der Gesamthochschule. Mehr als 1000 Teilnehmer bei den verschiedenen Diskussionsveranstaltungen.

Militärische Forschung an den Hochschulen

Militärische Forschung an den Hochschulen

von Rainer Rilling

Der folgenden Dokumentation liegt eine Auswertung der vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVtdg) herausgegebenen „Forschungsberichte aus der Wehrtechnik“ (314), der „Forschungsberichte aus der Wehrmedizin“ (44), sowie von 247 weiteren Veröffentlichungen zugrunde, die in der Bibliographie „Deutsche Forschungsberichte aus Naturwissenschaft und Technik“ erfaßt wurden und explizit eine Verbindung mit dem BMVtdg nennen.

(Insbesondere die zuletzt genannte Kategorie ist viel zu niedrig angesetzt, da Hunderte interner oder nur institutionsöffentlicher Berichte, Studien, Gutachten etc., z.B. des Amtes für Wehrgeophysik, des Amtes für Wehrverwaltung und Wehrtechnik, einiger Bundesanstalten, der DFVLR, FGAN und FhG, sowie der Forschungsstätten der Rüstungsindustrie hier nicht bibliographisch erfaßt wurden.) Von 641 erfaßten Publikationen stammen 127 aus Hochschulen (59 Forschungsberichte aus der Wehrtechnik FBWT,- 32 Forschungsberichte aus der Wehrmedizin den FBWM: 36 interne Berichte). Sie werden in dieser und der folgenden Nummer des Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden nachgewiesen, In einer späteren Ausgabe wird ein Überblick über die außeruniversitäre Rüstungsforschung gegeben.

Institutionelle Schwerpunkte

Seit Anfang der 70er Jahre ist ein bemerkenswertes Spektrum von Hochschuleinrichtungen für das BMVtdg tätig gewesen. Tabelle 1 zeigt, daß an insgesamt 28 Hochschulen in 65 Instituten, Einrichtungen etc. militärische Forschung betrieben wurde. Die meisten Aufträge erhielten die Hochschulen in Aachen, München, Karlsruhe und Braunschweig, mit einigem Abstand Bochum, Hamburg, Hohenheim und Ulm. Dabei ist die Forschung für das Militär an einigen Einrichtungen jahrzehntealte Tradition z. B. in Aachen, München oder Braunschweig. Hervorzuheben ist aber, daß auch relativ, junge Hochschulen Aufträge erhalten haben (Ulm, Bochum).Diese Schwerpunktsetzung wird bei einem Blick auf die Zahl der Einrichtungen, die an der jeweiligen Hochschule für das Militär Forschung betreiben, unterstrichen. (Schwerpunkte München, Aachen und Ulm) Die Münchner Hochschulen haben eine Sonderstellung sie sind geradezu breitbandig in die Förderung einbezogen, was zweifellos auch mit er lokalen Konzentration der Rüstungsindustrie und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen (DFVLR, FhG) zusammenhängt, die Rüstungsforschung durchführen. Ähnliches gilt für Karlsruhe.

Fachliche Schwerpunkte

Tabelle II ordnet die dokumentierten Publikationen fachlichen Schwerpunkten zu, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Klassifikationskriterien sich mehrfach geändert haben. Hier zeigt sich ebenfalls ein eindeutiges Bild.- Forschungen im Bereich der Wehrmedizin, der Luft- und Raumfahrtforschung, sowie der Informatik spielen in der Forschungspolitik des BMVtdg gegenüber den Hochschulen die wichtigste Rolle. Andere Bereiche treten demgegenüber weit zurück. Eine regionale, bzw. institutionelle Konzentration einzelner Fachgebiete ist offensichtlich (z. B. Karlsruhe, München, Ulm). Auffällig ist der rasche Bedeutungszuwachs der wehrmedizinischen Forschung (die auch die ABC-Waffen-Forschung größtenteils enthält), sowie vor allem die große militärische Bedeutung der Informatik. Hier handelt es sich offenbar um das einzige Gebiet, wo innerhalb des nationalen Forschungssystems eine militärisch relevante Disziplin im Hochschulbereich über eine gezielte Forschungsförderungspolitik des BMVtdg entwickelt wird. Von 34 FBWT des Bereichs Informatik/Mustererkennung, die zwischen 1970 und Anfang 1983 publiziert wurden, kommen fast die Hälfte (16) aus Hochschuleinrichtungen. Während manche hier dokumentierten Forschungsberichte durchaus moderate wissenschaftliche Qualität und zweifelhaften militärischen Nutzen geradezu glücklich vereinen, gilt dies für die Luft und Raumfahrtforschung, bzw. die Informatik offenbar nicht. Hier geht es um Wissenschaft, die nur dem Militärsystem nützt.

Tabelle I: INSTITUTIONEN DER RÜSTUNGSFORSCHUNG

Einrichtung Erfaßte Publikationen / Kontrakte Zahl der Institutionen (Institute / Lehrstühle
etc.)
Aachen 16 6
Bochum 7 2
Bonn 4 3
Braunschweig 10 3
Darmstadt 1 1
Düsseldorf 2 2
Essen 1 1
Erlangen 1 1
Frankfurt 1 1
Freiburg 2 2
Gießen 4 2
Göttingen 1 1
Hannover 3 2
Hamburg 6 2
Heidelberg 1 1
Karlsruhe 22 5
Kiel 2 2
Sporthochschule Köln 1 1
Mainz 3 3
Marburg 1 1
Universität München 8 6
TU München 7 4
Stuttgart 1 1
Stgt. Hohenheim 5 1
Tübingen 3 1
Ulm 6 5
Hochschule der Bundeswehr in Hamburg 1 1
Hochschule der Bundeswehr in München 9 3
Summe
28 128 65
Quelle: FBWT 1970 ff., FBWM 1969 ff. DFNT 1972 ff.

Tabelle II: FACHLICHE SCHWERPUNKTE DER RÜSTUNGSFORSCHUNG

Fachgebiet Anzahl Kontakte Institution (Anzahl Kontakte)
1. Wehrmedizin 32 U. München(8), Ulm (5), Hohenheim (4) Bonn
(3), D'dorf (2) Kiel (2), Mainz (2), Bochum (1), Essen (1), F/M (1), Heidelberg (1), Köln
(1), TU München (1)
2. Informatik 30 Karlsruhe (18), Braunschweig (5)
Bundeswehrhochschule München (5) Bonn (1), Erlangen (1)
3. Luft-& Raumfahrtfg. 24 Aachen(10), Bochum (6), Braunschweig (5),
Karlsruhe (1), TU München (1), Tübingen (1)
4. Schiffstechnik 9 Hamburg(6), Hannover (2), Göttingen (1)
5. Kernphysik 7 Giessen (4), Hannover (1), Marburg (1)
Mainz (1)
6. Optronik 4 TU München (3), Darmstadt (1)
7. Hochfrequenzphysik 3 Aachen (3)
8. Werkstoffe 3 Aachen (1), Karlsruhe (1),
Bundeswehrhochschule Hamburg (1)
9. Meteorologie 3 Tübingen (2), TU München (1)
10. Elektronik / Elektrotechnik 2 Aachen (1), Bundeswehrhochschule München
(1)
11.Strömungstechnik 2 Karlsruhe (2)
12. Kybernetik 2 TU München (1), Stuttgart ( 1 )
13. Verkehrsplanung 2 Bundeswehrhochschule München (2)
14.Chemie 1 Ulm (1)
15. Physikalische Chemie 1 Freiburg (1)
16. Biochemie 1 Freiburg (1)
17. Bakteriologie 1 Hohenheim (1)
18. Erziehungswissenschaften 1 Aachen (1)

Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Marburg und Geschäftsführer des BdWi

Vorrangig oder ausschließlich?

Vorrangig oder ausschließlich?

10 Thesen zum Gewaltverzicht

von Ulrich Hahn

In jüngster Zeit taucht von Seiten friedenspolitischer Organisationen sowie der Kirchen immer häufiger die Forderung nach einem »Vorrang ziviler« oder »gewaltfreier« Wege zur Lösung internationaler Konflikte auf, wie z.B. im Friedensgutachten 2007: Kriterien für die Auslandseinsätze der Bundeswehr; IALANA/International Assoz. of Lawyers against Nuclear Arms: Diskussionspapier vom 05.07.07: Die staatliche friedenspolitische Infrastruktur stärken; Grundsatzpapier der Aktionsgemeinschaft Dienste für den Frieden/AGDF: »Vorrangige Option Gewaltfreiheit«; Kampagne des Bundes für soziale Verteidigung/BSV: »Vorrang für zivil«.

Soweit die jeweiligen Verfasser nicht ohnehin militärische Einsätze für erlaubt halten und lediglich die Gewichtung von nicht militärischen und militärischen Mitteln verschieben wollen, vertreten sie die Forderung nach einem »Vorrang« möglicherweise aus taktischen Gründen, um eher mehrheitsfähig und damit realpolitisch zu erscheinen als mit der Forderung nach völligem Gewaltverzicht. Tatsächlich verfolgen viele mit uns, dem Versöhnungsbund, in Teilbereichen sehr verbundene Organisationen in Bezug auf militärische Einsätze ganz eigene Anliegen: Die IALANA tritt für die Einhaltung und Stärkung des Völkerrechts ein, welches den Krieg eindämmen will, aber militärische Einsätze nicht gänzlich ausschließt, das »Darmstädter Signal« und eine Reihe weiterer kritischer Offiziere lehnen – wie es ähnlich auch viele israelische Soldaten tun – den militärischen Einsatz außerhalb der reinen Landesverteidigung ab und möchten die Zivilcourage der Soldaten zur Verweigerung unrechter Befehle stärken, Teile der Opposition im Bundestag verteidigen das Recht auf parlamentarische Kontrolle aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und versuchen militärische Einsätze im Inneren zu verhindern; Friedensforschungsinstitute bemühen sich um eine Politikberatung dahingehend, die Zweckmäßigkeit mancher militärischer Einsätze zu hinterfragen und Kriterien für einen »vernünftigen« Einsatz der Gewalt zu formulieren.

Gegenüber diesen unterschiedlichen Ansätzen und Anliegen für eine Begrenzung und Zähmung militärischer Gewalt vertritt der Versöhnungsbund die Haltung eines unbedingten Gewaltverzichts, der für militärische Waffen und Einsätze keinen Raum mehr lässt, auch nicht als ultima ratio.

Wir wissen, dass uns dieser unbedingte Gewaltverzicht an die Grenze des Machbaren führt, dass er Fragen offen lässt, die nicht allein mit dem Hinweis auf alternative gewaltfreie Methoden beantwortet werden können.

Der unbedingte Gewaltverzicht öffnet uns andererseits einen offen Raum für die Gestaltung des mitmenschlichen Zusammenlebens, über die wir nicht nur distanziert nachdenken, wie über etwas, das man tun oder erreichen sollte, sondern die wir zu leben versuchen, in dem wir uns auf den Weg machen. Gegenüber dem – aus unserer Sicht – halbherzigen »Vorrang« der Gewaltfreiheit geben wir folgendes zu bedenken:

  • Wer den Vorrang fordert, bejaht und lässt Raum für den Nachrang. In Bezug auf ein Nacheinander von gewaltfreien und gewaltsamen Mitteln heißt dies, das Töten und Verletzen von Menschen zwar nicht direkt zu wollen, aber doch zumindest billigend in Kauf zu nehmen.
  • Dass Menschen anderen Menschen Gewalt antun, ist schlimm genug. Noch schlimmer ist jedoch, solche Gewalttat zu legitimieren, als Recht darzustellen, mit der Folge, dass die Gewalttat guten Gewissens geschehen kann. Von einem zivilen Schläger und Mörder kann ich Reue erwarten, von einem Soldaten der »rechtmäßig« handelte, nicht.
  • Die Rechtfertigung von militärischen Mitteln, auch nur zu nachrangigem Einsatz, schließt die Produktion und laufende Weiterentwicklung von Waffen ein, ebenso ihre Weitergabe, den Waffenexport. Um wirksam zu sein, muss das Militär der »guten Seite« immer besser gerüstet sein als das Militär potentieller »Schurkenstaaten«. Die im Entwurf der EU-Verfassung vorgesehene Verpflichtung zur ständigen Weiterrüstung drückt rechtlich nur aus, was schon der eigenen Logik der »ultima ratio« zugrunde liegt.
  • Der »Vorrang« gewaltfreier Methoden zur Konfliktlösung bleibt damit der herkömmlichen Rüstungspolitik verhaftet. Auch schon bisher setzten die Staaten militärische Mittel erst ein, »wenn es nötig war«. Der Ruf nach einem »Vorrang« bedeutet deshalb allenfalls eine quantitative Verlagerung von Einsatzmethoden, begründet aber keine neue Qualität in den internationalen Beziehungen.

Es gibt keine objektiven Kriterien dafür, wann und unter welchen Bedingungen das nachrangige Mittel zum Einsatz kommen soll. Es bleibt – wie bisher auch – eine politische Entscheidung derjenigen, die über das »nachrangige« Mittel, das Militär, verfügen. Im Frühjahr 1999 hatten im Kosovokonflikt die wohl bewusst nur unzureichend ausgestatteten OSZE-Beobachter nicht von sich aus festgestellt, dass ihre Mission gescheitert sei; sie wurden von der NATO aufgefordert, das Feld zu räumen, um Platz für den militärischen Einsatz zu machen.

Da das Militär sich schon immer nur als nachrangige »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« (Clausewitz) verstand, kann es mit der Forderung nach einem Vorrang gewaltfreier Mittel gut leben. Auch als »nachrangiges« Mittel entfaltet es eine dominante Eigendynamik, nicht nur bezüglich der Beschaffungskosten – gerade die geforderten »humanitären Einsätze« in aller Welt benötigen moderne Nachrichtensysteme, Transportkapazitäten, eine hohe Beweglichkeit der Infanterie, »intelligente Munition«, letztlich auch ein weltweites Netz von Stützpunkten für den schnellen Einsatz –, sondern auch im Denken: Wegen der schon vorausgesetzten überlegenen Waffen verspricht das Militär schnelle Lösungen, eine Abkürzung ungerechter Zustände, des Leidens von bedrohten Menschen, eine Beseitigung von Gefahren von Seiten böser Mächte. Schon das Vorhandensein des Militärs bindet die Fantasie für eine Konfliktlösung: Wer eine wirksame Waffe besitzt, denkt im Konflikt von Anfang an schon an den Einsatz dieser Waffe, auch wenn er sie nicht sofort zieht.

Das vorhandene und zum Einsatz bereite nachrangige Mittel prägt damit auch unvermeidlich schon die »vorrangige« Phase gewaltfreier Konfliktlösung. Wer überlegene Machtmittel besitzt, mag vielleicht selbst von sich den Eindruck haben, er sei zu einem ernsthaften Dialog mit der anderen Seite bereit. Die an solchen »nachrangigen« Machtmitteln unterlegene Seite weiß aber genau, dass ihr letztlich nur die Unterwerfung bleibt – »und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt«. Im Zusammenhang mit dem Reservemittel der Gewalt bleibt damit auch die zivile Konfliktlösung ein Instrument der Dominanz und somit ein Etikettenschwindel.

Die seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes 1990 immer mehr in den Vordergrund gerückte humanitäre Rechtfertigung für den Fortbestand des Militärs und seinen Einsatz als »ultima ratio« zur Schaffung von Frieden und Gerechtigkeit in der Welt hilft, dessen wahre Begründung auch vor uns selbst zu verschleiern: Um die bestehende ungerechte Verteilung der lebensnotwendigen Güter dieser Erde aufrecht zu erhalten, bedarf es militärischer und durch das Militär unterstützte wirtschaftlicher Macht. Um den unzähligen Opfern dieses wirtschaftlichen Unrechts Recht zu schaffen, bedürfte es aber weder militärischer noch nicht militärischer Interventionen, sondern einer Verhaltensänderung in den reichen (und nicht zufällig auch militärisch mächtigen) Staaten.

Das Militär ist einerseits Stütze dieses Systems der ungleichen Verteilung der Welt in Arm und Reich; zum anderen ist es wegen seiner riesigen Kosten auch selbst ein wesentlicher Teil des Problems weltweiter Ungerechtigkeit, zu deren punktueller Lösung es sich anbietet.

Der Glaube daran, dass wir dieses Militär in der Hinterhand brauchen, um anderswo Frieden, Ordnung und Gerechtigkeit zu schaffen, mit anderen Worten: die Splitter aus den Augen leidender Bevölkerungsgruppen zu ziehen, versperrt uns den Blick auf den Balken des Unrechts im eigenen Auge.

Der von den Medien gesteuerte Blick auf die tatsächlich vorhandenen Spitzen der Eisberge in Form von augenscheinlicher direkter Gewalt (Srebeniza, Darfur, Somalia, Ruanda) gibt uns das gute Gefühl, mit unserem Militär für die bedrängten Menschen schnell und wirksam etwas machen zu können, und hilft die Einsicht zu verdrängen, dass es die von uns gemachten Eisberge sind, deren Spitzen wir bekämpfen. Nur der unbedingte Gewaltverzicht, auch die eindeutige Distanzierung von den Gewaltmitteln des eigenen Staates und ihre Verurteilung durch uns verschafft uns einen unverstellten, freien Blick auf unser Verhältnis zur anderen Seite, auf Unrecht und Ungerechtigkeit, unsere eigenen Anteile hieran, unsere Möglichkeiten, zur Veränderung beizutragen, aber auch die Grenzen unserer Möglichkeiten.

Nur durch diese Distanzierung können wir auch der Gefahr entgehen, in unserem gewaltfreien Bemühen um Konfliktlösungen nur als eine Vorhut des schon auf seinen Einsatz wartenden Militärs angesehen zu werden. Im Verzicht auf die Gewalt können wir nicht alles tun und tragen deshalb auch nicht für alles Verantwortung. Je mehr wir uns von den ungerechten Mitteln der Machterhaltung trennen, desto weniger sind wir verantwortlich für die vollzogenen oder unterlassenen Möglichkeiten, die diesen Machtmitteln inne wohnen.

Es ist indes immer wieder zu beobachten, dass es den Befürwortern militärischer Einsätze sehr wichtig ist, hierfür auch von ihren Gegnern den Segen zu erhalten und ihnen andernfalls die Verantwortung für das Leiden derer zuzuschieben, denen durch militärische Mittel geholfen werden könnte. Es gilt hier das Argumentationsschema des fürsorglichen Dritten: »Würde ich meine dominante wirtschaftliche Rolle aufgeben, die es mir erlaubt, eine ausreichendes Waffenarsenal vorzuhalten, könnte ich ja den überlebenden Opfern meines Reichtums nicht mehr behilflich sein.«

Um die Gewalt zu überwinden, reicht es aus den genannten Gründen nicht aus, sie nur vermindern oder zähmen zu wollen. Es geht nicht um ein Mehr oder Weniger, um ein Vorher oder Nachher, sondern um ein Entweder-Oder, um ein gewaltfreies Leben und Handeln statt militärischer und anderer gewaltsamer Methoden in den zwischen-menschlichen und internationalen Beziehungen. Das schließt nicht aus, dass die Entwicklung zum richtigen Ziel schrittweise verläuft. Entscheidend ist aber, dass ich den jeweils verbleibenden Rest nicht legitimiere, sondern nicht aufhöre, ihn als Unrecht zu bezeichnen. Auch dem gewalttätigen Ehemann und Vater würde ich nicht raten, »vorrangig« gewaltfreie Mittel in seinen Beziehungen zu Frau und Kindern einzusetzen, sondern ihm sagen, dass alles andere schweres Unrecht ist.

Und wenn er auf dem Weg der Besserung mitteilen würde, er vergewaltige seine Frau jetzt nur noch einmal monatlich und schlage auch die Kinder nur noch, wenn es nicht anders gehe, könnte ich ihm dafür kein gutes Gewissen machen und müsste darauf bestehen, dass auch der verbliebene Rest seiner Gewalttätigkeit Unrecht bleibt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Gewalt oder militärische Einsätze im Einzelfall Menschen retten oder sonst Gutes bewirken können, so wie auch sonst schlechte Mittel gute Zwecke befördern können. Jedes Mittel hat jedoch seinen Preis.

Bei Folter und Todesstrafe gibt oder gab es zumindest einmal eine breite Übereinstimmung, dass solche Mittel generell zu ächten sind, auch wenn es Fälle geben sollte, in denen sich ein Einsatz für gute Ziele denken ließe (»Rettungsfolter«). Der menschliche Preis für diese Mittel ist für eine Gesellschaft auch dann untragbar. Bei der militärischen Gewalt sind wir noch auf dem Weg zu einer entsprechenden Mehrheitsmeinung. Aber auch hier geht es darum, nicht nur zu fordern, dass humaner und nachrangig gefoltert und getötet werden soll, sondern gar nicht, auch und trotz der nie auszuschließenden Fälle, dass die militärische Gewalt das einzige Mittel sein könnte, einen oder gar viele Menschen zu retten.

Weil die Mittel direkter Gewalt Ausdrucksform und auch Voraussetzung der uns umgebenden und unsere Beziehungen innerhalb der Gesellschaft und international prägenden strukturellen Gewalt sind, geht es nicht nur um eine »alternative« Ersetzung gewaltsamer Mittel durch gewaltfreie Methoden. Gewaltfreies Leben und Handeln bedingt einen völlig anderen Handlungsrahmen als das Leben mit Gewalt- und Zwangsmitteln in der Hinterhand. Der Gegensatz zur Gewalt ist nicht einfach dessen Negation, die Gewaltfreiheit, sondern eine umfassende Gerechtigkeit, die auf Partizipation, d.h. der Beteiligung aller Betroffenen beruht und gerade auch deshalb den Gewaltverzicht in den Beziehungen untereinander voraussetzt.

Ullrich Hahn ist Vorsitzender des Deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes

In eigener Sache

In eigener Sache

von R. Hagedorn

„Wissenschaft im Elfenbeinturm ist nicht mehr gefragt“
(R. Hagedorn, CERN, Mitinitiator des internationalen FREEZE-Aufrufs)

Die Friedensbewegung unter den Wissenschaftlern ist 1983 ein großes Stück vorangekommen. Eine Reihe öffentlichkeitswirksamer Kongresse – mit dem Höhepunkt Mainz – hat stattgefunden. Dutzende neuer Friedensinitiativen wurden vor allem in der zweiten Jahreshälfte gegründet. Wissenschaftliche Kompetenz ist zum festen Bestandteil der Argumentation der Friedensbewegung geworden. Gegenwärtig gibt es eine Reihe von Bemühungen zur bundesweiten Koordinierung der Friedensinitiativen, zur Verbesserung des Informationsaustausches und zur Verallgemeinerung der gemachten Erfahrungen. Ergänzend zu meist fachspezifischen Infos, Rundbriefen etc., die gegenwärtig entstehen, soll der „Informationsdienst Wissenschaft und Frieden“ die friedenspolitischen Bestrebungen – vieler Wissenschaftler unterstützen helfen. Der Informationsdienst wird

  • bundesweit friedenspoltische Aktivitäten im Wissenschaftsbereich dokumentieren
  • über inhaltliche Beiträge aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen und Disziplinen berichten
  • einen interdisziplinären Erfahrungs und Informationsaustausch organisieren helfen
  • politische Optionen über die weitere Arbeit sichtbar machen
  • über die Friedensbewegung im Ausland und auf internationaler Ebene berichten
  • Analysen und Materialien zum Problemkreis Rüstungsforschung, Militarisierung der Wissenschaft etc. liefern.
  • didaktisch aufbereitete Materialien dokumentieren
  • Wissenschaftlerinitiativen ein Forum zur Selbstdarstellung und Diskussion geben.

Wir laden alle Leser, alle Mitarbeiter und Vertreter der Wissenschaftler – friedensinitiativen dazu ein, den „Informationsdienst““ zu nutzen. Nur durch gemeinsame Arbeit kann der „informationsdienst“ zur politischen Stärkung und wissenschaftlichen Qualifizierung der Friedensbewegung und -öffentlichkeit im Wissenschaftsbereich beitragen.

Entrüstete Wissenschaft?

Entrüstete Wissenschaft?

von Paul Schäfer

Im Zeichen der Stationierung stehen die Wissenschaftler, die sich in den letzten Jahren als Teil der Friedensbewegung und -öffentlichkeit engagiert haben, vor denselben Problemen wie diese Bewegung selbst: der Drohung (mit) der Resignation; innere Zersplitterung; parlamentarischer Vereinnahmung; endlich Entpolitisierung. Für manche gilt das Schicksal außerparlamentarischer Oppositionsbewegungen in den 50er und 60er Jahren als geschichtliches Beispiel dafür, daß große gesellschaftliche Bewegungen, wenn sie im ersten Anlauf ihr Ziel nicht erreichen, aufgrund ihrer inneren Zersplitterung und Spontaneität gleichsam mit innerer Notwendigkeit zusammenbrechen müssen.

Solche besorgten Prognosen sind natürlich auch ein Mittel im Kampf gegen die Friedensbewegung. Dennoch stehen auch die einzelnen Berufsgruppen, die Ärzte, Juristen, Naturwissenschaftler, Journalisten oder Lehrer vor der Aufgabe im Zeichen der Stationierung eine gemeinsame Antwort auf die Frage zu geben, wie es weitergehen muß.

Gründlich verändern

Der Kampf gegen die Stationierung hat in diesem Jahr alle anderen politischen Fragen überlagert, sie beeinflußt, verändert oder unbedeutend gemacht. In einer ungeheuren Anstrengung entstand die größte, aktivste politische Massenbewegung in der Geschichte der Republik. Vermag diese Anstrengung nicht, den Beginn der Stationierung zu verhindern, so hat sie doch das Land tiefgreifend verändert. Diese Veränderung reicht, da stationiert wird, offenbar noch nicht aus. Gesellschaft, Kultur, Lebensweise, Alltag, Ökonomie, Sprech- und Denkweisen der Menschen müssen anscheinend noch gründlicher, wirksamer, weitreichender verändert werden. Die Isolierung der Kräfte, welche die Stationierung betreiben, muß vielfältig sein, denn diese sind in allen Bereichen unserer Gesellschaft vorhanden und verankert. Damit die Durchführung der Stationierung und der Gebrauch der Waffen verhindert wird, muß diese Veränderung weitergehen. Diese Aufgabe ist lösbar. Die Angst, die politische Niederlage führe zur resignierenden Selbstaufgabe, ist unbegründet; ebenso die These vom anstehenden Zusammenbruch der Friedensbewegung und -öffentlichkeit. Dem widerspricht eine Reihe von Fakten, die auch durch diese Bewegung selbst geschaffen wurden.

Neue Fakten: Mobilisierung

Das meint zunächst die Größenordnungen, mit denen wir es heute zu tun haben. Die Zahl der Wissenschaftler, die sich öffentlich zu Wort meldeten, ging zu Zeiten des Kampfes gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr in den 50er Jahren sicher in die Hunderte. Beim Streit um die Notstandsgesetzgebung und Bildungsreform waren es Tausende. Heute umfaßt die Friedensbewegung im Wissenschaftsbereich Zehntausende. Die Friedensbewegung hat an allen Hochschulen und Universitäten Mitstreiter – mögen sie auch oft noch in der Minderheit sein. Neue Disziplinen wurden erreicht – Psychologie, Pädagogik, Sportwissenschaft, Informatik etwa.

Interdisziplinarität

Quantität hat auch mit veränderten Qualitäten zu tun. Vieles spricht dafür, daß die eine Frage, Krieg oder Frieden, zu dem zentralen Anknüpfungspunkt eines in der deutschen Hochschulgeschichte beispiellosen interdisziplinären Gesprächs und Bemühens bereits geworden ist. Auch wenn manche Disziplinen erwartungsgemäß (man denke an die Geschichtswissenschaft) oder überraschenderweise (was ist mit der angeblich so radikalen Soziologie?) sich diese Frage noch vergleichsweise wenig zu eigen gemacht haben, so ist doch eine Entwicklung offensichtlich: interdisziplinäre oder disziplinübergreifende Ringvorlesungen oder gemeinsame Seminare finden vor allem seit dem Wintersemester 1983/84 bereits an Dutzenden von Hochschulen statt. Einige Beispiele sind auf den folgenden Seiten dokumentiert. Die Frage Frieden erfordert und ermöglicht vor allem den interdisziplinären Zugang. Offenbar ist das Problem zu komplex, als daß es einzelnen Wissenschaften – etwa der Physik oder einer so spezialisierten Profession wie der Friedensforschung überlassen werden könnte. Und offenbar kann man sich angesichts dieser Problematik den Luxus zweier aparter Kulturen der Wissenschaft nicht mehr leisten.

Einheitlichkeit und Differenziertheit – Verantwortung und Praxis

Wenn hier gegen die Prognose vom anstehenden Zusammenbruch der Wissenschaftler-Friedensbewegung die These gesetzt wird, daß die Friedensbewegung die Wissenschaftskultur der zweiten deutschen Republik so nachhaltig zu verändern beginnt wie kein zweites politisches Ereignis der Nachkriegsgeschichte, dann ist damit auch gesagt, daß die hier in Gang gekommene Entwicklung in beträchtlichem Maße unumkehrbar ist. Die Frage nach der gemeinsamen Verantwortung der Wissenschaftler für die Folgen ihres Handelns ist aufgebrochen wie nie zuvor, seitdem der letzte Krieg zu Ende war. Sie ergänzt Verantwortlichkeit, die kommt aus Betroffenheit, und Verantwortungspflicht, die aus den Informationsprivilegien des Wissenschaftlers sich ergibt. Die Zugänge sind unterschiedlich, doch das Ergebnis einheitlich: gemeinsame Stellungnahme und Bemühen, eigene, wissenschaftsspezifische Beiträge zu leisten. Hier geht es nicht „bloß“ um traditionelle wissenschaftsethische Diskussionen. Wo die besondere Verantwortung des Wissenschaftlers als „Mitverursacher und Fachkenner“ (H.-P. Dürr) die bewußte Mitwirkung in der Friedensbewegung einschließt, wird auch das Wissenschaftsverständnis nicht unverändert bleiben: etwa die Beurteilung wissenschaftlicher Probleme und Fragestellungen oder die Akzeptanz neuer, interdisziplinär entstandener Konzeptionen.

Natürlich spiegeln sich in der Friedensbewegung der Wissenschaftler die sozialen und politischen Richtungen unserer Gesellschaft wider. Ihre rasche Ausdehnung seit 1982 hat beispielsweise zu einer zeitweise starken Mobilisierung von sozialliberalen Wissenschaftlern geführt oder auch eher elitäre Positionen hervortreten lassen, was neue Konflikte mit eher konservativ-liberalen oder alternativen, endlich sozialistischen Richtungen entstehen ließ. Dennoch hat bisher der Mechanismus der Konsensbildung funktioniert, und es gibt keinen Anlaß zu meinen, daß im weiteren Entwicklungsgang solche Methoden notwendig versagen müßten.

So, wie die Friedensbewegung die politisch soziale Landschaft der BRD verändert hat, hat sie auch wesentliche Teile des Wissenschaftssystems verändert. Auch die Bewegungen der 50er und 60er Jahre haben Spuren hinterlassen: gerade im Wissenschafts- und Kulturbereich: Zeitschriften (z. B. „atomzeitalter“, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Das Argument“), Organisationen, Traditionen, die in die neuen Bewegungen hinüberwirken. Sie waren also keineswegs folgenlos. Die Auswirkungen der Friedensbewegung im Wissenschaftsbereich gehen heute bereits wesentlich weiter: sie betreffen politisch-weltanschauliche und kognitiv-wissenschaftsinhaltliche Komponenten des Wissenschaftsprozesses.

Probleme und Perspektiven

Dennoch sind zahlreiche Probleme aktuell, und ihre Lösung ist für eine Verstetigung der Friedensbewegung essentiell.

In toto ist das Wissenschaftssystem der BRD natürlich keineswegs „entrüstet“. Noch immer gibt es wohl eine – wenn auch knappe – schweigende Mehrheit, die unberührt ist von den gegenwärtigen Problemen.

Die Rüstungsforschung hat großen Umfang und immer noch Priorität. Sie nimmt unter der jetzigen Regierung nahezu ungestört weiter Aufschwung – wozu es freilich keiner Wende bedurfte. Die Aufrüstung der Gehirne ist im Gang – nicht zuletzt an den Hochschulen der Bundesrepublik. Einen Einblick gibt die Dokumentation, mit deren Abdruck in dieser Ausgabe des „Informationsdienst Wissenschaft und Frieden“ begonnen wird. Wie mit dieser Art Forschung und ihrer Klientel umzugehen sei, ist weiter umstritten, zumeist sogar weiter tabuisiert. Detaillierte Information und kontroverse öffentliche Diskussion ist auch hier geboten.

Auffällig ist auch die große Ungleichzeitigkeit der Entwicklung der Friedensbewegung im Wissenschaftsbereich. Das betrifft nicht das Verhältnis zwischen Wissenschaftlern und Studentenbewegung hier ist eine Gemeinsamkeit offensichtlich, die es in fast allen Fragen, welche die Studentenbewegung in den letzten anderthalb Jahrzehnten thematisierte, in solcher Deutlichkeit nicht gab. Ungleichzeitig ist vielmehr die Entwicklung in einzelnen Hochschulen und Regionen. Während sich einerseits ganze Hochschulen über ihre obersten Repräsentanzgremien dem Mainzer Appell anschließen, weigern sich andererseits nicht wenige Einrichtungen, Unterzeichnern des Appells auch nur die Chance zu geben, ihre Argumente darzulegen – und dies nicht nur südlich der Mainlinie. Die ganz persönliche Erfahrung der Diffamierung und Diskreditierung des Versuchs, argumentativ zum Aufbau einer Dialogstruktur beizutragen, haben in den letzten Monaten viele Wissenschaftler gemacht. Ungleichzeitig ist auch die Entwicklung in einzelnen Disziplinen – z.B. gibt es unter den Medizinern eine breite Diskussion und weitgehenden geteilte Positionen in Fragen des zivilen Ungehorsams, wogegen diese Frage unter Naturwissenschaftlern (etwa im Zusammenhang mit der Rüstungsforschung) noch weitgehend tabuisiert ist. Negativ wirkt sich hier aus, daß eine Kommunikationsstruktur zwischen den disziplinären Initiativen noch kaum existiert. Der „Informationsdienst“ soll für eine solche Kommunikation eine nützliche Dienstleistung bieten, die von allen Initiativen genutzt werden kann.

Drei letzte Probleme.

Die Verstetigung der Friedensbewegung im Wissenschaftsbereich hängt entscheidend davon ab, inwieweit es ihr gelingt, einen auf Dauer arbeitsplatzbezogenen Zugang zur Friedensproblematik zu etablieren – d.h. auch die Frage nach dem Beitrag der eigenen Disziplin, Richtung, Arbeitsgebiete für die Herstellung oder Verhinderung friedlicher Verhältnisse konkret zu stellen. Zweitens muß der schon jetzt erreichte Stand der Zusammenarbeit mit den außerwissenschaftlichen Sektoren der Friedensbewegung gehalten und intensiviert werden. Keineswegs ist es bisher gelungen, wissenschaftliche Beiträge auf dem Anforderungsniveau zu leisten, das diese Sektoren formulieren.

Ein Beispiel dafür ist der Zusammenhang von Aufrüstung und Abbau sozialstaatlicher Leistungen. Hier ist auch ganz im Gegensatz zu den USA! bisher nur vereinzelt versucht worden, die negativen Auswirkungen der Ressourcenbindung durch die Rüstung auf die Entwicklung des Hochschul- und Wissenschaftssystems zu untersuchen und politisch zu thematisieren.

Die Frage der Verstetigung ist für die Entwicklung der Friedensbewegung das zentrale organisationspolitische Problem. Seine Lösung heißt Veränderung der Wissenschaftskultur und Institutionalisierung. Veränderung der Wissenschaftskultur bedeutet mindestens: Hereinnahme der Friedensproblematik als leitende gesellschaftliche Fragestellung dort, wo es das disziplinäre Niveau, bzw. die wissenschaftsinterne Problemstruktur erlaubt. Institutionalisierung heißt zweierlei: Veränderung der vorhandenen Wissenschaftsorganisationen und Ausbildung entsprechender Organisationsstrukturen (zentral und dezentral), welche die Kontinuität von Friedensinitiativen sichern. Veränderung vorhandener Institutionen heißt etwa: Aufbau eines Systems wissenschaftlicher Anerkennung von Leistungen, die sich auf die Friedensproblematik beziehen. Einbringung der Probleme in Forschungsprogramme, Curricula, Kongresse, Förderungsgremien. Bildung neuer Organisationen: sie kann nur pragmatisch, konsensual, schrittweise erfolgen. Ein wichtiger Zwischenschritt hierzu ist: die an einigen Hochschulen bereits weit vorangekommene Gründung von hochschulweiten Wissenschaftlerinitiativen für den Frieden (vgl. etwa das Beispiel Münster), die Gründung von Büros oder Geschäftsstellen disziplinärer Initiativen oder einzelner Berufsgruppen, endlich die Sicherung einer übergreifenden Kommunikationsstruktur.

Paul Schäfer ist Diplomsoziologe und Redakteur von W & F.

Umkehren bevor es zu spät ist…

Umkehren bevor es zu spät ist…

von Friedensinitiativen

Unter dieser Überschrift veröffentlichte die Unterzeichnergruppe des Mainzer Appells wenige Tage vor der Bundestagsdebatte am 21. November einen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Anzeige, in dem es unter anderem heißt:

„In wenigen Tagen sieht der Bundestag vor einer folgenschweren Entscheidung, die eine neue Stufe des Wettrüstens einleiten könnte. Wir Naturwissenschaftler wollen noch einmal warnen vor Pershing II Raketen und Marschflugkörpern (Cruise Missiles), vor neuen Waffen, die nicht den Frieden sichern, sondern die Wahrscheinlichkeit eines Krieges erhöhen. Wir haben unsere Gründe im Juli auf dem Mainzer Kongreß erarbeitet und bekannt gemacht. Unsere Argumente sind nicht widerlegt.“

Das oberste Gut, das es für alle Deutschen zu wahren gilt, ist der Frieden.

Das sagte Adenauer 1955. Dieser Satz gilt heute umsomehr, denn Physiker, Strahlenbiologen, Mediziner und Katastrophenschutzexperten sagen unmißverständlich: der nächste Krieg wäre für Europa auch der letzte; was verteidigt werden sollte, würde unweigerlich zerstört würden.

Die Sicherung des Friedens erfordert Stabilität

Politiker sagen, daß die nukleare Abschreckung mit der Drohung des gesicherten Zweitschlags den Krieg der Blöcke verhindert hat. Selbst, wenn dieser Satz stimmt, bedeutet er angesichts der ständigen Aufrüstung keine Garantie für die Zukunft. Das Ziel muß aber Stabilität, nicht simple Gleichheit auf beiden Seiten heißen. Zweitschlagpotential ist überreichlich vorhanden.

Pershing II und Cruise Missiles machen den Frieden unsicherer

Bei aller Sorge wegen der neu aufgestellten sowjetischen SS 20-Raketen darf das vermeintliche Gleichgewicht nicht durch „Nachrüstung“ mit den qualitativ ganz neuartigen Pershing II Raketen und Cruise Missiles angestrebt werden. Ihre gegenüber der SS 20 zehnfach erhöhte Zielgenauigkeit bedeutet Vertausendfachung der Wirkung. Deshalb sind sie in der Lage gegnerische Kommando- und Kontrollzentren, sowie Raketensilos mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vernichten. Die Gefahr eines Krieges aus Versehen nimmt zu. Mit der Stationierung würde deshalb eine ganz neue, destabilisierende Runde der Rüstungsspirale beginnen. Kaum je ist ein einmal vollzogener Aufrüstungsschritt wieder zurückgenommen worden. Die technische Entwicklung macht dies künftig noch schwieriger.

Rüstungsstop ist möglich

Durch sofortiges Einfrieren der atomaren Rüstung in Ost und West könnte das Wettrüsten endlich angehalten und ohne zusätzliches Risiko Zeit gewonnen werden für Verhandlungen mit dem Ziel einer kontrollierten Abrüstung. Ein Einfrieren der Rüstung ist in zentralen Punkten kontrollierbar. Ein wichtiger Durchbruch ist z.B. in den letzten Jahren dadurch erzielt worden, daß die technischen Probleme der Kontrolle von unterirdischen Atombombenversuchen gelöst wurden. Ein Vertragsentwurf liegt der Genfer Abrüstungskonferenz vor. Für den sofortigen Abschluß dieses Vertrages bedarf es nur noch des politischen Willens… Wir Naturwissenschaftler wenden uns in dieser existenzbedrohenden Situation noch einmal an alle Bundestagsabgeordneten:

Setzen Sie sich dafür ein, daß Zeit gewonnen wird für ernsthafte Verhandlungen, die wirklich zur Rüstungsbegrenzung führen.

Stimmen Sie der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles nicht zu.“

BUNDESKANZLERAMT Horst Teltschik Ministerialdirektor 212 – K 35203/83

Herrn Peter Starlinger c/o Prof. Dr. H. Kneser
Institut für Genetik Weyertal 121 5000 Köln 41

Sehr geehrter Herr Starlinger,

der Bundeskanzler hat mich gebeten, den Eingang Ihres Schreibens vom 28. September
1983 zu bestätigen.

Der Bundeskanzler hat Ihre Ausführungen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen.
Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, daß er das von Ihnen gewünschte zusätzliche
Gespräch zur Zeit nicht führen möchte.

Mit freundlichen Grüßen