»30 Jahre später…«

»30 Jahre später…«

Friedenswissenschaft, Bewegung und Politik in trauter Runde? Podiumsdiskussion aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden«

von Redaktion

1983 war nicht nur der Höhepunkt der Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa, sondern auch Ausgangspunkt neuer öffentlicher Diskurse über Strategien der Friedenssicherung.

Konnte die erwachte Zivilgesellschaft die etablierte Außen- und Sicherheitspolitik nachhaltig herausfordern? Welche Rolle spielte engagierte Wissenschaft für den sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel seit dem Ende des Kalten Krieges? Ließ sich Pazifismus mit Realpolitik »versöhnen«?

Für solche Fragen bot die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« – 1983 zunächst als »Informationsdienst« gegründet – eine kritische Plattform an, ein Netzwerk der »Gegenexpertise«, das bis heute trägt. Wir ziehen Bilanz mit VertreterInnen aus Wissenschaft, Bewegung und Politik.

Podium: Edelgard Bulmahn, Bundesministerin a.D., MdB Ulrich Frey, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, AGDF Dr. Holger Nehring, Universität Sheffield, Arbeitskreis Historische Friedensforschung
Moderation: Dr. Corinna Hauswedell
Begrüßung: Michael Dedek, Kaufmännischer Geschäftsführer BICC

Termin: 25. Januar 2013, 18:30-20:30 Uhr
Ort: BICC, Pfarrer-Byns-Str. 1, 53121 Bonn

Diese Veranstaltung wird in Kooperation mit dem Bonn International Center for Conversion (BICC) durchgeführt.

Bremer Universität bestätigt Zivilklausel

Bremer Universität bestätigt Zivilklausel

Wichtiges Signal für Verantwortung in der Wissenschaft

von Ralf E. Streibl

„[…] But there are other areas of scientific research that may directly or indirectly lead to harm to society. This calls for constant vigilance. […]“ (Joseph Rotblat 1995)

Ausgesprochen erfreulich – und für viele erkennbar überraschend – hat nach monatelanger, intensiver und oft kontroverser Diskussion der Akademische Senat der Universität Bremen als höchstes beschlussfassendes Gremium der Universität Bremen in Bestätigung der Grundsätze früherer Beschlüsse am 25. Januar 2012 für die nachstehende Zivilklausel votiert und zugleich die Leitziele der Universität präzisiert. Die Entscheidung fiel mit überwältigender Mehrheit in allen Gruppen – bei nur drei (professoralen) Enthaltungen und einer (studentischen/RCDS) Gegenstimme:

„Der Akademische Senat steht weiterhin zu den Grundsätzen des Beschlusses Nr. 5113 (X/24. Sitzung v. 14. Mai 1986, insbesondere zur Ablehnung jeder Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung: Forschungsthemen und -mittel, die Rüstungsforschung dienen könnten, sind öffentlich zu diskutieren und sind ggfls. zurückzuweisen) und des Beschlusses Nr. 5757 (XIII/6. Sitzung vom 26.06.1991; Verpflichtung der Universität Bremen auf zivile Forschung). Der Akademische Senat stellt fest: Die Universität Bremen ist dem Frieden verpflichtet und verfolgt nur zivile Zwecke. Dies ist Bestandteil der Leitziele der Universität.“

Vorangegangen waren Monate mit Diskussionen im Akademischen Senat, in der Universität und in der Öffentlichkeit. Mehrere Informations- und Diskussionsveranstaltungen sowie diverse Presseberichte bildeten den Rahmen. In den Debatten vermengten sich dabei viele verschiedene Diskussionsstränge, u.a. über Sinn und Gefahren fremdfinanzierter (Stiftungs-) Professuren, über konkrete Firmenkooperationen, über die veränderte politische Lage nach dem Ende des Kalten Krieges, über „neue Sicherheitspolitik“, über Pazifismus, über Bildung für den Frieden, über Wissenschaftsfreiheit, über Dual-use, über Zivilklauseln an Hochschulen allgemein sowie ihre Operationalisierbarkeit im Besonderen und – nicht zuletzt – über Verantwortung in der Wissenschaft. All diese Themen haben inhaltlich miteinander zu tun, jedoch wurde die Diskussion durch die Verquickung sachlicher, politischer und emotionaler Aspekte zeitweise stark erschwert.

Vor dem Hintergrund der langen, durchaus kontrovers geführten Debatte mag es verwundern, dass am Ende ein solch klarer, deutlicher Beschluss für die Zivilklausel erfolgte. Zu seinem Zustandekommen mag auch ein wachsendes Verständnis für die zwei Ebenen der rechtlichen Dimension und der moralischen Bedeutung einer Zivilklausel beigetragen haben.

Wissenschaftsfreiheit

Die Freiheit der Wissenschaft ist sowohl im Grundgesetz als auch in der Verfassung des Landes Bremen garantiert (Einschränkungen ergeben sich nur durch andere in der Verfassung garantierte Grundrechte):

GG Art. 5: „(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

BremVerf Art. 11: „(1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.“

Das Bremische Hochschulgesetz wird dazu etwas ausführlicher. In §7 „Freiheit von Wissenschaft und Kunst, Forschung, Lehre und Studium“ heißt es u.a., dass das Land und die Hochschulen im Rahmen ihres Haushalts sicherzustellen haben, dass die Mitglieder der Hochschulen diese verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte wahrnehmen können. Entscheidungsbefugnis der Hochschulorgane in Fragen der Forschung ist nur hinsichtlich der Organisation des Forschungsbetriebes, der Förderung und Abstimmung von Forschungsvorhaben sowie bei der Bildung von Forschungsschwerpunkten gegeben.

Im Bremischen Hochschulgesetz ist ferner geregelt, dass Forschungsergebnisse aus Drittmittelprojekten innerhalb eines absehbaren Zeitraums veröffentlicht werden müssen (§75(5)).

Rechtliche Reichweite einer Zivilklausel

Eine Universität kann selbstverständlich keine Beschlüsse fassen, die verfassungsgemäße Rechte außer Kraft setzen würden. Insofern trifft die seitens des Rektors der Bremer Universität, Prof. Dr. Wilfried Müller, zu Beginn der Akademischen Senatssitzung getroffene Feststellung zu, dass einem Professor oder einer Professorin im Falle eines Verstoßes gegen die Zivilklausel keine dienstrechtlichen Folgen drohen würden.

Gerade weil kein grundsätzliches Verbot einer Beteiligung an einer Forschung mit militärischer Nutzung ausgesprochen wird, ist die Zivilklausel der Universität Bremen vereinbar mit Art. 5(3) GG und den entsprechenden anderen gesetzlichen Regelungen. Ein Vorwurf, die Existenz der Zivilklausel gefährde die Wissenschaftsfreiheit, geht somit ins Leere.

Völlig ohne dienstrechtliche Relevanz ist die Zivilklausel dennoch nicht. Sollte beispielsweise ein Hochschullehrer sich entscheiden, rüstungsrelevante Forschung zu beginnen, und Mitglieder seiner Arbeitsgruppe würden die Mitarbeit daran unter Verweis auf die im Akademischen Senat beschlossene Zivilklausel verweigern, so wäre die Universitätsleitung gefordert, sich schützend vor diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stellen, wenn ihnen seitens des Hochschullehrers dienstrechtliche Schritte angedroht würden.

Auf organisatorischer Ebene kann die Universität ferner beschließen, dem entsprechenden Hochschullehrer angesichts solcher Projekte keine weiteren, über die garantierte Grundausstattung hinausgehenden Forschungsgelder, Fördermaßnahmen o.ä. zur Verfügung zu stellen.

Moralischer Appell – gesellschaftliche Verantwortung

Die universitäre Zivilklausel – so die Rechtsstelle der Universität Bremen in einer den Mitgliedern des Akademischen Senats zur Kenntnis zugeleiteten Vorlage für die Landesrektorenkonferenz (Banik 2011) – beinhalte einen „grundsätzlich sanktionslosen moralischen Appell“. Dennoch könne die Zivilklausel „mittelbar Wirkungen auf das Verhalten der Forscherinnen und Forscher“ entfalten, z.B. durch den möglichen moralischen Druck der akademischen Gemeinschaft im Falle einer Missachtung.

Dies ist – was mögliche Wirkungen angeht – richtig, greift jedoch m.E. in der Gesamtbetrachtung zu kurz. Aus dem Fokus gerät dabei der Signalcharakter einer solchen Selbstverpflichtung: Wenn eine große Institution solch einen Beschluss fasst, hat dies eine andere Außenwirkung, als wenn einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – so erfreulich dies ist – für sich individuelle Entscheidungen treffen. Die Existenz solch einer Selbstverpflichtung kann beispielsweise im Rahmen von Berufungsverfahren thematisiert werden und ebenso bei Kontaktgesprächen mit möglichen Kooperationspartnern (beides geschieht übrigens in Teilen der Universität Bremen seit Jahren). Zum anderen muss dringend das Augenmerk auf den eigentlichen Hintergrund solch einer Selbstverpflichtung gerichtet werden: Es geht dabei um praktizierte gesellschaftliche Verantwortung für Auswirkungen und Folgen eigenen wissenschaftlichen Handelns.

Im Bremischen Hochschulgesetz ist dieser Verantwortungsaspekt erfreulicherweise direkt in den bereits genannten §7 zur Wissenschaftsfreiheit eingewoben: „(1) […] Alle an Forschung und Lehre Beteiligten haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse mitzubedenken. Werden ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Hochschule Forschungsmethoden oder -ergebnisse bekannt, die die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das friedliche Zusammenleben der Menschen oder die natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen können, soll dies öffentlich gemacht und in der Hochschule erörtert werden.“

Vor diesem Hintergrund greift auch der seitens eines Kritikers der bisherigen Zivilklausel in den Diskussionen der letzten Monate mehrfach geäußerte Vorwurf nicht, dass eine Zivilklausel ohne klare Kriterien dazu führen könne, dass alle möglichen Forschungsprojekte »skandalisiert« werden. Der Begriff der »Skandalisierung« enthält hier bereits eine Negativ-Wertung, die die zentrale Frage nach Einschätzung und (Selbst-) Reflexion der Forschung beschädigt. Unabhängig davon, ob es an einer Hochschule des Landes Bremen eine Zivilklausel gibt oder nicht, sind bereits durch das Hochschulgesetz ohnehin alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt aufgefordert, ein Augenmerk auf Forschungen und ihre möglichen Folgen zu haben und mögliche Bedenken oder Probleme publik zu machen und zur Diskussion darüber aufzufordern.

Bildung

Häufig wird als Argument gegen Zivilklauseln die Schwierigkeit ihrer Operationalisierung angeführt: A-priori-Definitionsversuche, welche Forschungsprojekte unbedenklich seien und welche nicht, sind zum Scheitern verurteilt. Hinzu kommen unzählige »zivil-militärischen Grauzonen«, die Wolfgang Liebert anschaulich beschreibt: „Was früher noch eindeutig »schwarz« erschien und nur militärischen Interessen dienlich war, hat auch Einzug in zivile Zusammenhänge gehalten. Umgekehrt werden ehemals für »weiß« gehaltene Forschungsbereiche mit dem (oft unzutreffenden) Argument, ökonomisch günstiger auch militärische Zielvorgaben erfüllen zu können, in die Grauzone hineingeführt.“ (Liebert 2009, S.445) Würde dadurch eine Zivilklausel nicht obsolet?

Ganz im Gegenteil: Gerade vor dem Hintergrund der geschilderten Problematik und Notwendigkeit des Umgangs mit Ambivalenz in der Forschung gewinnt die Reflexion enorm an Bedeutung – nicht zuletzt auch im Sektor der Lehre. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in der Pflicht, hinsichtlich ihrer Forschungen und Entwicklungen frühzeitig mit einer antizipativen Analyse zu beginnen, „die Fragen stellt nach Intentionen, wissenschaftlich-technischen Potentialen, normativen Rand- und Vorbedingungen, ambivalenten Entwicklungslinien, gewollten Wirkungen, nicht-intendierten Folgen und sichtbaren Entwicklungsrisiken“ (Liebert 2009, S.448).

Die Existenz einer Zivilklausel fordert alle Beteiligten in Forschung und Lehre dazu auf, sich selbst – und anderen – in der Institution entsprechende Fragen zu stellen und damit in einen stetigen und öffentlichen Diskurs zu treten (vgl. Streibl 2011).

Insofern steht weder zu erwarten noch wäre dies wünschenswert, dass mit dem nun gefassten Beschluss die inhaltlichen Debatten an der Universität Bremen enden. Für die weiteren Gespräche ist das aktuelle Bekenntnis zu ziviler Forschung eine gute gemeinsame Basis und eine konkrete Ausgangsposition.

Literatur

Banik, P./Rechtsstelle Universität Bremen (20.07.2011): Vereinbarkeit der Zivilklausel mit dem geltenden Recht. Vermerk für die Sitzung des Landesrektorenkonferenz (LRK) am 25.07.2011.

Liebert, W. (2009): Umgang mit Dual-Use von Technologien und Ambivalenz in der Forschung. In: Albrecht, S.; Bieber, H.-J.; Braun, R.; Croll, P.; Ehringhaus, H.; Finckh, M.; Graßl, H.; von Weizsäcker, E.U. (Hrsg.): Wissenschaft – Verantwortung – Frieden: 50 Jahre VDW. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S.445-450.

Rotblat, J. (1995): Remember your Humanity. Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises. pugwash.org/award/Rotblatnobel.htm.

Streibl, R.E. (2011): Für eine zivilisierte Bildung und Wissenschaft. In: FIfF-Kommunikation, 28 (4), S.44-50.

Ralf E. Streibl

Die neue European Peace University – Privatuniversität

Die neue European Peace University – Privatuniversität

von Gerald Mader

Jede Geschichte hat einen Beginn. Die Geschichte der European Peace University – Privatuniversität in Stadtschlaining/Österreich beginnt am 6. Juli 1982 mit der Gründung des Vereines »Österreichisches Institut für Friedensforschung« durch die damalige Wissenschaftsministerin Dr. Hertha Firnberg und den damaligen burgenländischen Landesrat Dr. Gerald Mader. Die Gründung erfolgte durch Privatpersonen, da die Österreichische Akademie der Wissenschaft wie die Burgenländische Landesregierung die Gründung eines Institutes für Friedensforschung in Stadtschlaining abgelehnt hatten. Utopisches Ziel des Vereins war es, den südburgenländischen Ort Stadtschlaining – unweit der Grenzen von Ungarn und der Tschechoslowakei, also nahe dem »Eisernen Vorhang« – zum Sitz einer Friedensuniversität für Ost- und Westeuropa zu machen. Das Gründungsziel stand im Widerspruch zur internationalen Entwicklung (Höhepunkt des Kalten Krieges). Die Friedensforschung galt damals als die Sprache der Verrückten, die an eine friedliche Lösung des Ost-West-Konfliktes glaubten.

Die Weichen zur Errichtung einer europäischen Friedensuniversität wurden schließlich bei der Generalversammlung der UNESCO am 5. Juli 1987 gestellt, bei welcher dem Antrag der österreichischen UNESCO-Kommission (Präsident Gerald Mader) auf Errichtung einer Friedensuniversität in Stadtschlaining einstimmig stattgegeben wurde. Leitbild dieser Friedensuniversität, an welcher nicht nur geforscht, sondern auch gelehrt werden sollte, war ein Europa, das ohne Feindbilder auskommt, ein Europa der Vielfältigkeit, der verschiedenen Kulturen und Religionen, ein Europa, das sich seiner besonderen Verantwortung für den Weltfrieden bewusst ist.

Am 22. November 1988 gründeten die Vertreter von ca. 40 nichtstaatlichen Organisationen (Universitäten, Friedensforschungsinstitute, nationale UNESCO-Kommissionen) das »European University Center for Peace Studies« (EPU). Die UNESCO räumte dem europäischen Universitätszentrum einen offiziellen Status als NGO ein. Die Gemeinde stellte den erforderlichen Grund für den Bau des Studentenheims zur Verfügung. Das Land Burgenland gewährte für den Bau des Studentenheims einen Wohnbaukredit (10.495.000 Schilling) sowie einen Zuschuss von 2,5 Mio. Schilling. Diese nicht unbeträchtliche Unterstützung durch die Burgenländische Landesregierung hängt damit zusammen, dass diese in ihrer neuen personellen Zusammensetzung (Landeshauptmann Karl Stix und Landeshauptmannstellvertreter Franz Sauerzopf) die Bedeutung der Friedensuniversität für die ganze Region und das Burgenland erkannt hatten.

In Österreich schuf die Novelle des §40(a) des Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes die rechtliche Voraussetzung für die Durchführung der universitären EPU-Lehrgänge. Mit dem Beginn des Pilotsemesters war 1992 aus der Utopie Wirklichkeit geworden. Im Jahre 1995 verlieh die UNESCO der EPU den Friedenspreis für Friedenserziehung. Der Erfolg war aber nur mit Hilfe von engagierten Mitarbeiter/innen, begeisterten Studierenden, selbstlosen Professor/innen und der Unterstützung durch die regionale Bevölkerung möglich.

Schlaining ist heute Sitz zweier Institutionen: des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) und der EPU – Privatuniversität. Der Gesetzgeber hat die rechtliche Trennung der beiden Einheiten veranlasst, die Kooperation aber setzen wir fort. Wir haben eine gemeinsame Erfolgsgeschichte (20 Jahre EPU), eine gemeinsame Infrastruktur und eine gemeinsame Zielsetzung: beizutragen zu Frieden, Entwicklung und Gerechtigkeit sowie zu den Menschenrechten, wie sie die UNO-Generalversammlung im Jahre 1948 deklariert hat.

Der lange Weg zur EPU – Privatuniversität

Seit 1992 führte die EPU den universitären Lehrgang »Peace and Conflict Studies« durch. Da die bestehenden universitären Lehrgänge ab 2009 nicht mehr zugelassen waren, beschloss der EPU-Trägerverein, sich um die Akkreditierung als Privatuniversität zu bewerben. Es war ein langes Verfahren, eine schwere Geburt, am Ende aber stand der positive Bescheid des Österreichischen Akkreditierungsrates vom 3. März 2010 für die European Peace University – Privatuniversität. In diesem Fall war es der burgenländische Finanzlandesrat Helmut Bieler, welcher für die Existenz der Friedensuniversität Verständnis zeigte. Die Burgenländische Landesregierung gewährte einen Jahreszuschuss von 100.000 Euro und eine Landeshaftung, die Burgenländische Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft (BEWAG) einen Zuschuss von 35.000 Euro jährlich. Die EPU – Privatuniversität ist jetzt berechtigt, zwei Masterstudien (Peace and Conflict Studies und European Peace and Security Studies) und einen universitären Lehrgang (Peacebuilding) anzubieten. Inzwischen konnten wissenschaftlich anerkannte Lehrgangsleiter/innen gewonnen werden.

Der Vorteil der EPU-Lehrgänge liegt unter anderem in der kleinen Zahl der Studierenden, welche eine intensive Betreuung durch die Professor/innen ermöglicht. Lehre und Forschung, Theorie und Praxis sind interdisziplinär verbunden. Friedensforschung ist keine Spezialdisziplin, sondern geht von einem weiten, umfassenden Wissenschaftsbegriff aus. Mehr als 1.000 Studierende haben den Lehrgang »Peace and Conflict Studies« bereits erfolgreich mit einem Masterdiplom abgeschlossen.

Aufgrund der Akkreditierung ist die EPU – Privatuniversität Teil des europäischen Hochschulraumes und des Bologna-Prozesses; damit sind strukturelle und finanzielle Probleme verbunden, aber auch die Chance eines neuen Aufbruchs, den wir mit neuen Professor/innen und einer neuen Werbestrategie unter dem Motto „Studieren für eine bessere Welt“ wahrnehmen wollen.

Perspektiven für die Zukunft

Der österreichische Bundesgesetzgeber stellt mit seinem Qualitätssicherungsgesetz vom 6. Juli 2011 die EPU – Privatuniversität vor die Wahl, nach Ablauf der Akkreditierungszeit entweder den Lehrbetrieb einzustellen oder diesen um zwei Grundstudien (Bachelor) zu erweitern und ein Masterstudium anzubieten, an welchen auch Berufstätige teilnehmen können (Fernstudium). Diese Erweiterung ist die gesetzliche Bedingung für eine künftige Akkreditierung als Privatuniversität.

Die zeitgerechte Umsetzung dieser Bedingung ist eine große wissenschaftliche und ökonomische Herausforderung für die EPU – Privatuniversität. Wissenschaftlich deshalb, weil die Ausarbeitung solcher Konzepte und Lehrpläne der Mitwirkung eines kompetenten wissenschaftlichen Teams für einen längeren Zeitraum bedarf, wie die Erfahrungen der Schlaininger Akkreditierung, aber auch die fehlgeschlagenen Akkreditierungsversuche Anderer zeigen. Eine ökonomisch/finanzielle Herausforderung ist es deshalb, weil das beste wissenschaftliche Konzept nichts nützt, wenn das Geld und die notwendige Infrastruktur fehlen. Leider kann die Privatuniversität nicht auf Reserven zurückgreifen, über welche die Donau-Universität (Bund und Land Niederösterreich) und die Burgenländischen Fachhochschulen verfügen.

Aufgabe der EPU – Privatuniversität wird es daher sein, bereits im Jahre 2012 eine erste Grundkonzeption zu erstellen, die als Entscheidungsgrundlage für öffentliche Stellen (Gemeinde, Land, Bund, EU), aber auch für die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft (private Förderer) gedacht ist. Die entscheidende Frage ist: Soll die Privatuniversität eingestellt oder mit zwei Bachelor-Studiengängen ausgeweitet werden?

Die große Chance, die mit einem solchen Projekt für das Burgenland verbunden ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Österreich und das Burgenland erhalten mit der Erweiterung eine in Europa einzigartige Privatuniversität, die sich auf eine umfassende Friedensforschung konzentriert und die sich interdisziplinär mit Kriegs- und Friedensursachen, aber auch mit der Lösung aktueller Friedensprobleme auseinandersetzt. Es wäre eine Universität, welche der Tradition und dem Geist von Schlaining gerecht wird. Die Privatuniversität würde nicht nur dem Ansehen des Burgenlands dienen, sondern zu einem Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor werden.

Mit Hilfe einer neuen Werbestrategie wollen wir die burgenländische Bevölkerung über den neuen Aufbruch und über die unterschiedlichen Perspektiven der Zukunft informieren. Wir sind davon überzeugt, dass es viele Politiker im Land, im Bund und in der Europäischen Union gibt, die den Aufbau eines solchen Projektes unterstützen wollen. Der Friede ist eine Aufgabe, die uns alle angeht. Er fällt nicht vom Himmel, sondern muß erarbeitet werden.

Gerald Mader

Curricula und Didaktik in der Friedens- und Konfliktforschung

Curricula und Didaktik in der Friedens- und Konfliktforschung

Jahrestagung des AK Curriculum der AFK, 10.-12. November 2011, Magdeburg

von Antje Holinski

Stellt die Friedens- und Konfliktforschung (FuK) besondere Anforderungen an die Lehre? Wenn ja, welche didaktischen und methodischen Gütekriterien machen die Spezifik der Friedenslehre aus? Und wie können DozentInnen der FuK ihre Kompetenzen auf dem Gebiet innovativer Lehr- und Lernformen stärken? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der letzten Jahrestagung des Arbeitskreises (AK) Curriculum der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK).

Der AK, der den Dialog der friedenswissenschaftlich Lehrenden an deutschsprachigen Universitäten institutionalisiert, widmet sich drei Hauptaufgabenfeldern:

Er ermöglicht den Informationsaustausch zur inhaltlichen Ausrichtung und zur organisatorischen Struktur der verschiedenen Studienangebote in der FuK.

Er unterstützt die Vernetzung der Lehrenden untereinander über Generationen- und Universitätsgrenzen hinweg. Diese Vernetzungsaktivitäten können zu engagierten Projektideen und Kooperationen führen, die der Verbesserung der Lehrqualität im gesamten Fachbereich zugutekommen.

Er ist bestrebt, für die Studierenden ortsübergreifende Bildungsangebote zu schaffen, die von den einzelnen Universitätsstandorten nicht oder nur in einem kleinen Rahmen angeboten werden können.

Vor rund zwei Jahren, im November 2009, erfuhr der AK Curriculum auf seiner mit Mitteln der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderten Jahrestagung in Augsburg eine grundlegende Neuausrichtung. Damit wurde auf den wachsenden Koordinierungsbedarf unter den Lehrenden der FuK infolge des erfolgreichen Aufbaus friedenswissenschaftlicher Studiengänge in den letzten Jahren und das steigende Bedürfnis nach hochschuldidaktischer Qualifizierung reagiert. Im vergangenen Jahr in Leipzig erfolgten dann Konkretisierungen und Konsolidierungen der neuen Initiativen. Die Magdeburger Tagung sollte nun den Fortschritt der neu angestoßenen Projekte bilanzieren und zusätzliche Impulse für bestehende wie neue Projekte liefern.

Die Tagung, auf der vom 10. bis 12. November 25 WissenschaftlerInnen zum Thema »Lehre vernetzen – Curricula und Didaktik in der Friedens- und Konfliktforschung« diskutierten, wurde vom AK Curriculum in Kooperation mit dem politikwissenschaftlichen Institut der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg organisiert und abermals finanziell von der Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördert. Hauptschwerpunkte der Arbeit bildeten ein Informationsaustausch über die Entwicklung der FuK-Masterprogramme, eine didaktische Lehreinheit sowie eine Debatte zu spezifischen Anforderungen an die Didaktik in der FuK-Lehre.

Deutsche FuK-Studiengänge

Zu Beginn der Tagung widmeten sich die VertreterInnen der Master-Studienorte (Augsburg, Duisburg, Frankfurt, Hamburg, Magdeburg, Marburg, Tübingen und bald Osnabrück) einer ausführlichen Bestandsaufnahme der Fortschritte im Auf- und Ausbau der deutschen FuK-Studiengänge. Zu den dabei erörterten Themen gehörten insbesondere die Zulassungs-, Studierenden- und AbsolventInnenzahlen an den verschiedenen Standorten und eine Diskussion über unterschiedliche Bewerbungs- und Zulassungsverfahren. Der Vergleich machte deutlich, dass sich die Master-Ausbildung in der FuK bei Bachelor-AbsolventInnen zunehmender Beliebtheit erfreut. Außerdem wurden Fragen des praktischen Studienalltags wie die Anrechnung außeruniversitär erworbener Qualifikationen, Bemühungen um eine internationalere Ausrichtung der Master-Programme, Erfahrungen mit Akkreditierungsabläufen und Fortschritte in der Alumni/ae-Arbeit besprochen. Darüber hinaus wurden verschiedene Kooperationsansätze diskutiert:

Mit dem laufenden Wintersemester 2011/12 bieten die Universitäten Marburg und Kent/GB erstmals den gemeinsamen Doppelmaster »Peace and Conflict Studies« an.

Aus einer engeren Zusammenarbeit mit der in Bonn angesiedelten Akademie für Konflikttransformation im Forum Ziviler Friedensdienst könnten sich positive Effekte im Hinblick auf die Praxiselemente in der FuK ergeben.

Die Einrichtung von Master-Programmen an österreichischen Hochschulen bietet die Möglichkeit, Friedenslehrende im gesamten deutschsprachigen Raum enger zu vernetzen.

Projekte des AK Curriculum

Zum Abschluss des ersten Tages beleuchteten die TeilnehmerInnen der Konferenz die Fortschritte, die im vergangenen Jahr erreicht worden sind. Als eines der deutlichsten Zeichen für die lebendige und effektive Arbeit der AK-Mitglieder kann dabei die Verwirklichung einer interaktiven Lehrendenplattform angesehen werden. Mit diesem webbasierten Angebot steht DozentInnen der FuK ab jetzt eine »Materialbörse« zur Verfügung, die gleichzeitig auch katalysatorische Wirkung auf die weitere Vernetzung der FuK-Lehrenden entfalten dürfte.

Zudem thematisierte der AK das erstmals Mitte 2012 erscheinende neue Publikationsmedium der AFK, die »Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung«, sowie die Fortschritte, die bei der Einrichtung einer so genannten »Praxis-School« erzielt worden sind. Die ebenfalls von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderte Initiative soll zur berufspraktischen Orientierung der FuK-StudentInnen aller Master-Standorte beitragen und vereint in dem dreitägigen Workshop im Juni 2012 verschiedene Trainings-, Selbsterfahrungs- und Lernelemente.

Ein viertes laufendes Projekt, das von den TeilnehmerInnen diskutiert wurde, war die Entwicklung eines FuK-Readers, der in Lehrveranstaltungen der Disziplin standortübergreifend zum Einsatz kommen könnte.

Didaktische Fortbildung zur Interkulturalität

Nach der ausführlichen Beschäftigung mit curricularen Aspekten der FuK sowie laufenden und abgeschlossenen Kooperationsprojekten der AK-Mitglieder, bildete eine didaktische Fortbildung einen zweiten großen Abschnitt der Magdeburger Zusammenkunft. Bereits auf der Jahrestagung in Leipzig gab es ein hochschuldidaktisches Angebot, das bei den TeilnehmerInnen auf sehr positive Reaktionen gestoßen war. Der Magdeburger Workshop zum Thema Interkulturalität wurde von Verena Brenner (FEST Heidelberg) und Naida Mehbedbegovic Dreilich (IFSH Hamburg) gemeinsam organisiert und durchgeführt.

Im ersten Teil des Workshops, der als Ganzes unter dem Titel »Lehren in Vielfalt« stand, trugen die Mitglieder des AK erste Gedanken zum Themengebiet »kultursensitive Lehre« zusammen und tauschten sich über persönliche Erfahrungen mit der Betreuung ausländischer Studierender aus. Daraufhin erfolgte eine interaktive Simulation, die den TeilnehmerInnen zur eigenen interkulturellen Sensibilisierung diente. Des Weiteren wurden anhand konkreter Fallbeispiele Herausforderungen, die sich für Lehrende aus kulturellen Differenzen ergeben können, erörtert und der produktive Umgang mit ihnen trainiert. Ein Erlebnisbericht von Miao-Ling Hasenkamp (Universität Magdeburg) zu ihren eigenen Erfahrungen mit Interkulturalität in verschiedenen Etappen ihrer akademischen Tätigkeit bereicherte die vierte Phase des Workshops. Den Abschluss des Trainings bildeten ein Vortrag und eine anschließende Diskussion über verschiedene Dimensionen des Kulturbegriffs und ihre Ausprägungen in Theorie und Praxis. Im Resümee unterstrich der AK einmütig die hohe Bedeutung kultureller Aspekte für die Lehre der FuK angesichts stetig wachsender Internationalisierungsbestrebungen im Hochschulbereich.

Anforderungen an Didaktik in der FuK-Lehre

Im dritten und letzten Abschnitt der Jahrestagung setzten sich die Friedenslehrenden mit der Fragestellung auseinander, ob die Lehre der FuK besondere Anforderungen an die Didaktik stellt, und wenn ja, worin genau diese Besonderheit liegt. Innerhalb der Fachdisziplin existiert ein heterogenes Spektrum an Verständnissen darüber, was Friedensforschung im Detail ausmacht. Bei all dieser Divergenz bekräftigten die TeilnehmerInnen in der Diskussion jedoch einen breiten Konsens in der didaktischen Zielsetzung der FuK: Auch wenn die Perspektive einer vollständigen Überwindung gewaltsamer Konfliktaustragung illusionär erscheinen mag, kann die FuK dem Frieden zumindest eine Verwirklichungschance eröffnen. Sie tut dies insbesondere, indem sie sich durch einen klaren Praxisbezug auszeichnet und die Master-Ausbildung methodisch stets am Ideal eines handlungsfähigen, kritisch-reflektierenden, kreativen und aktiven Individuums orientiert. Somit ähnelt die Lehre der FuK anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zwar in ihrer normativen und analytischen Ausrichtung, hebt sich aber speziell dadurch ab, dass sie das vielleicht utopischste Ziel von allen verfolgt.

In der anschließenden Arbeitsgruppenphase wurden diese Überlegungen zur Spezifik der FuK-Didaktik von einem Teil der AK-Mitglieder vertieft und Grundlagen für ein neues Projekt entwickelt, das danach fragt, wie Studierende didaktisch dazu befähigt werden können, das Alternative, das Außergewöhnliche, das Andere zu denken und konkrete Utopien zu entwickeln. Eine andere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit dem Thema »Feedback – Lernen im und am Konflikt«. Die Diskussion im Plenum ergab den Wunsch nach eingehenderer Behandlung dieser Problematik. Es wurde daher vereinbart, den didaktischen Workshop der nächsten Jahrestagung dem Thema Feedback zu widmen. Eine dritte Arbeitsgruppe schließlich setzte sich mit der Weiterführung und Umsetzung des Projektes »Praxis School« auseinander.

Tatjana Reiber (Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg) und Thomas Nielebock (Universität Tübingen) wurden als AK-SprecherInnen für weitere zwei Jahre gewählt.

Nähere Informationen bietet die Homepage der AFK: afk-web.de.

Antje Holinski

Forschen für den Frieden, nicht für’s Militär

Forschen für den Frieden, nicht für’s Militär

Kongress »Nein zur Militarisierung von Forschung und Lehre – Ja zur Zivilklausel«, 27.-29. Mai 2011, Technische Universität Braunschweig

von Lucas Wirl und Uwe Wötzel

An über 40 deutschen Hochschulen wird Forschung für den Krieg betrieben.1 Der Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes auf die akademische Lehre wächst. Rüstungskonzerne vergeben Forschungsarbeiten und finanzieren Stiftungsprofessuren, Jugendoffiziere der Bundeswehr lehren, und das Verteidigungsministerium stellte 2010 insgesamt 1,1 Milliarden Euro für Rüstungsforschung bereit (FAZ, 12.1.2011). Der Widerstand dagegen nimmt konkrete Formen an: Ein bundesweiter Kongress gegen die Militarisierung von Forschung und Lehre und für Zivilklauseln fand in Braunschweig statt. Dabei gründete sich das Netzwerk »Hochschulen für den Frieden – ja zur Zivilklausel«, um die Bündelung lokaler Aktivitäten zu unterstützen und bundesweite Aktivitäten zu entwickeln, und es wurde eine umfassende Abschlusserklärung gegen Kriegsforschung und für Zivilklauseln veröffentlicht.

Vernetzen für eine friedliche, nachhaltige und gerechte Welt

Das Haus der Wissenschaft der TU Braunschweig stand vom 27.-29.5.2011 ganz im Motto Albert Einsteins: „Ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen.“

Die Gewerkschaften GEW und ver.di, Studierendenorganisationen und WissenschaftlerInnen-Verbände luden zum ersten bundesweiten Kongress gegen die Militarisierung von Forschung und Lehre seit 20 Jahren ein. Über 100 TeilnehmerInnen von mehr als 20 Universitäten, von Gewerkschaften und friedensbewegten Organisationen nahmen an der Veranstaltung teil. Ein älterer Teilnehmer sagte über den Kongress: „Er war darauf gerichtet, die Friedensfrage wieder an die Unis zurück zu bringen.“

Die zunehmende Militarisierung von Forschung und Lehre wurde analysiert, Zusammenhänge der gezielten Militarisierung aller Lebensbereiche und der Indienstnahme für Kriegspolitik erörtert, Strategien für die Abwehr dieser gefährlichen Tendenzen, insbesondere gegen die bewusste Vermischung von zivilen und militärischen Zwecken (dual use), entwickelt. Im Mittelpunkt des ersten Abends standen aber auch wissenschaftspolitische Alternativen (sustainable science)2 und die großen forschungspolitischen Herausforderungen, um allen Menschen auf dieser Welt ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Internationaler Austausch und Vernetzung fanden bei einem Seminar der Organisationen INES und UNI statt.3

Der Kongress verstärkte die Vernetzung bestehender Initiativen für eine Friedensbindung mittels Zivilklauseln und verständigte sich über inhaltliche Fragen. Die Diskussion wurde vom Grundgedanken geleitet, dass Wissenschaft, Forschung und universitäre Lehre nur im Frieden gedeihen können und an zivilen Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts arbeiten sowie den Frieden fördern sollen. Dieser Grundgedanke, so der Kongresskonsens, muss wieder stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt und Richtschnur für das Engagement aller Hochschulangehörigen werden. Zivilklauseln sind in diesem Sinne ein Mittel zur Friedensbindung, als bewusster und verbindlicher Ausdruck für die zivile und friedliche Orientierung von Hochschulen.

Deshalb sprachen sich alle TeilnehmerInnen und VeranstalterInnen des Kongresses für die Verbreitung des Internationalen Appells »Ja zur Friedensbindung der Universitäten – Nein zur Militärforschung. Es ist Zeit zum Handeln!« aus.4 Die Unterzeichnerlisten des Aufrufs, der sich an Universitätspräsidenten und verantwortliche akademische Gremien richtet, sollen zu einem späteren Zeitpunkt an die International Association of University Presidents (IAUP) übergeben werden.

Wir sind empört!

Der umfassende Friedensauftrag des Grundgesetzes wurde wiederholt als bedeutendes Argument gegen die grobe Verletzung der Zivilklauseln an den Universitäten in Bremen und Tübingen gewertet.

Die Militarisierung von Wissenschaft und Forschung geht Hand in Hand mit der Militarisierung der ganzen Gesellschaft. Ob die Vereinnahmung von Universitäten durch Militärforschung, die Ausfuhr von Kriegsmaterial in andere Staaten oder die Entsendung der Bundeswehr zur Sicherung von Rohstoffquellen und Transportwegen für die deutsche Wirtschaft – keiner dieser Prozesse fördert eine friedliche Entwicklung der Welt; sie sind unvereinbar mit den Grundgedanken des Grundgesetzes.5

Voraussetzung für Frieden ist die Einhaltung der Menschenrechte sowie die Gestaltung von sozialen und ökologischen Lebensbedingungen für alle Menschen – ohne Anwendung von Gewalt. Weder Erfindungen der Militärforschung noch Interventionsarmee und Rüstungsexporte können zum Wohle der Menschheit beitragen. Bei der Friedensfrage geht es immer auch um die Auseinandersetzung mit struktureller Gewalt.

Durch die militärische und »sicherheitspolitische« Indienstnahme von Forschung und Lehre werden Partikularinteressen von Investoren bedient und Transparenz, Autonomie, Freiheit und Demokratie der Hochschulen angegriffen und unterlaufen. So genannte »wehrwissenschaftliche Forschung«6 unterliegt der Geheimhaltung, wird teilweise der zivilen Forschung nach dem »add-on-Prinzip« übergestülpt und blockiert notwendige Forschung zur Lösung von sozialen und ökologischen Problemen. Durch die Erhöhung der Drittmittelfinanzierung zieht sich der Staat immer mehr aus seiner Verantwortung zurück und verstärkt die Abhängigkeit der chronisch unterfinanzierten Universitäten sowie der Lehrenden, Angestellten und Studierenden von gewinnorientierten Geldgebern.

Für eine partizipative, demokratische, transparente und an der Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts ausgerichtete Wissenschaft bedarf es jedoch der Sicherstellung ausreichender öffentlicher Mittel für zivile Hochschulen.

Es ist Zeit zu handeln!

Um dies zu erreichen, ist eine breite gesellschaftliche Bewegung für Frieden erforderlich. Für Hochschulen bedeutet dies die Einführung bzw. Einhaltung einer verbindlichen und umfassenden Zivilklausel. Die ausschließlich friedliche Ausrichtung der Wissenschaft – der Forschung wie der Lehre – muss an jeder Hochschule, muss bundesweit eingefordert werden. Dazu bedarf es vermehrter Vernetzung, verstärkten Austauschs und besserer Zusammenarbeit zwischen gesellschaftlichen Gruppen.

Die Initiative »Hochschulen für den Frieden – ja zur Zivilklausel«7 hat sich zum Ziel gesetzt, diese gesellschaftliche Bewegung zu fördern und zu entwickeln. Die Initiative ist offen für alle, die sich für friedliche Konfliktregelungen einsetzen und gegen die Militarisierung des Wissenschaftssystems wenden. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn an unseren Hochschulen (wieder) für den Krieg geforscht wird. Wir werden es nicht dulden, wenn an unseren Hochschulen wieder militärische Geheimforschung betrieben werden soll – so der Tenor der Tagung, die stark von jungen und beeindruckend engagierten Teilnehmenden geprägt war.

Anmerkungen

1) Bundestags-Drucksache 16/10156: Öffentlich geförderte wehrtechnische und bundeswehrrelevante Forschung, von 21.8.2008.

2) Siehe z.B. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation.

3) INES = Internationale Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility; inesglobal.com. UNI= UNI global union, ein internationaler gewerkschaftlicher Dachverband; uniglobalunion.org.

4) Aufruf auf Englisch » Reject Research for the Military. It is time to act« unter www.inesglobal.com, auf Deutsch unter www.natwiss.de.

5) Dazu u.a.: Deiseroth, Dieter. Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta – aus juristischer Sicht. In: Peter Becker, Reiner Braun, Dieter Deiseroth (Hrsg.) (2010): Frieden durch Recht. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

6) Siehe z.B. Bundesministerium für Verteidigung: Wehrwissenschaftliche Forschung – Jahresbericht 2009.

7) Die Abschlusserklärung steht unter www.natwiss.de. Referate des Kongresses können unter inesglobal.com/commit-universities-to-peace.phtml abgerufen werden.

Lucas Wirl und Uwe Wötzel

Gründe zum Feiern

Gründe zum Feiern

Jubiläumsveranstaltung des ZfK und Verleihung des Peter Becker-Preises, 6. Mai 2011, Marburg

von Leonie Alteheld

„Hallo erst mal, ich weiß gar nicht, ob Sie schon wissen, dass nirgends mehr gelogen wird als bei Beerdigungen und Jubiläen. Ohne hier eine Systematik der Lügen zu versuchen, unterscheide ich grob zwei Arten: Erstens, es wird nur Positives gesagt und dieses in Superlativen! Zweitens, es wird vieles weggelassen, ausgespart.“

Mit diesen Worten bereitete Prof. Dr. em. Ralf Zoll die Festgäste in der Alten Aula der Universität Marburg auf seine Rede vor, welche am 6. Mai 2011 den Abschluss der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum des Zentrums für Konfliktforschung (ZfK) bilden sollte.

Zehn Jahre ZfK …

Zu Beginn der Veranstaltung aber redete die Präsidentin der Philipps-Universität, Prof. Dr. Katharina Krause. Sie würdigte das breite Angebot von Methodik und Didaktik in Lehre und Forschung, die Wege aufzeigen, wie sich gewalttätige Konflikte ohne den Einsatz von Militär regeln lassen. Nach einem Rückblick auf die Ursprünge des Zentrums, welches im Zuge der Friedensbewegungen der 1980er Jahre aus der Interdisziplinären Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung (IAFA) entstanden war, betonte sie das im deutschsprachigen Raum einzigartige Nebenfach-Studienangebot, welches aktuell über 1.000 Studierende in Anspruch nehmen. Seit 2004 bietet das ZfK auch den Masterstudiengang »Friedens- und Konfliktforschung« an, für den sich zu Beginn lediglich 18 Studierende bewarben. 2010 stieg die Zahl derer, die sich Hoffnung auf einen der 30 Studienplätze machten, auf fast 300 Bewerber. Ab diesem Jahr bietet das ZfK in Zusammenarbeit mit der Universität Kent zusätzlich den zweijährigen internationalen, englischsprachigen Doppelmasterstudiengang „Peace and Conflict Studies“ an

Die Präsidentin würdigte ebenfalls die Vielzahl internationaler Kooperationen und die interdisziplinäre Ausrichtung des Zentrums.

Den Platz am Rednerpult nahm anschließend der Bürgermeister der Universitätsstadt Marburg, Dr. Franz Kahle, ein. Er führte aus, wie gut das Zentrum für Konfliktforschung zur Stadt Marburg passe, und zog den Bogen vom Universitätsgründer Philipp dem Großmütigen bis hin zu aktuellen Marburger Konflikten.

Der geschäftsführende Direktor des ZfK, Prof. Dr. Mathias Bös, erläuterte schließlich, welche Aufgaben das Zentrum in der Ausbildung der Studierenden übernehme. So soll durch die Analyse von Konflikten Wissen geschöpft und bewahrt und aus der Vergangenheit gelernt werden, um die Zukunft sicherer zu machen. Fast schon philosophisch fuhr Bös fort: „In dieser Stellung zwischen Vergangenheit und Zukunft sind wir ein bisschen wie Wegweiser. Wegweiser, die gerade, wenn sie weiter den Weg in eine gesellschaftliche Praxis weisen sollen, den Weg selbst nicht gehen dürfen, weil sie sonst ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen könnten“. Die Arbeit am Zentrum sei jedoch nur möglich durch ein wissenschaftlich, national und international gut aufgestelltes Kollegium. Schon seit den Anfängen sei das Zentrum durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität geprägt, beispielsweise durch die Kooperation mit dem Marburger Zentrum für Nah- und Mitteloststudien (CNMS), aber auch mit dem Zentrum für interdisziplinäre Religionsforschung (ZIR).

… 30 Jahre Geschichte…

Die beiden letzten Redner der Jubiläumsveranstaltung waren die emeritierten Professoren Dr. Gert Sommer und Dr. Ralf Zoll. Als »Männer der ersten Stunde« spielen beide bis heute eine wichtige Rolle in der Geschichte der Marburger Friedens- und Konfliktforschung.

Gert Sommer war von 1977 bis 2006 Professor für Psychologie in Marburg und unter anderem Mitbegründer der IAFA. Er ging auf die Anfangszeit des Zentrums als Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung und generell auf die geschichtlichen Hintergründe der Friedens- und Konfliktforschung ein: Die 1970er und ’80er Jahre seien besonders durch die militärische Aufrüstung und Atomwaffenpolitik im Ost-West-Konflikt geprägt gewesen. Insbesondere in den USA wurde die Gefahr eines Atomkrieges marginalisiert. Die Sowjetunion als »das Böse« und der Antikommunismus prägten die westliche Welt. Der NATO-Beschluss von 1979, welcher festlegte, dass mehr als 500 weitere Atomraketen in Deutschland stationiert werden sollen, falls die UdSSR ihre SS-20 nicht reduziert, sorgte innerhalb der BRD für innenpolitische Kontroversen. 1981 demonstrierten 300.000 Menschen in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, 1982 sogar 500.000. Im Jahr 1983 fanden parallel Kundgebungen in Bonn, Berlin, Hamburg und Stuttgart mit 1,3 Millionen Menschen statt, welche die Beschlüsse der Politiker nicht einfach hinnehmen wollten.

Nach diesem politisch-geschichtlichen Abstecher ging Sommer direkt auf die Arbeit der 1985 gegründeten Forschungsgruppe ein, an der sich in ihren Anfängen rund 40-50 Mitglieder unterschiedlicher Fachbereiche beteiligten. Die Arbeit der IAFA war über die Jahre hinweg durch vielerlei Forschungen in unterschiedlichsten Bereichen geprägt. Auch die Ringvorlesung »Weltpolitik im Umbruch«, welche im Wintersemester 1988/89 an der Universität zum ersten Mal angeboten wurde und bis heute fortgesetzt wird, stellt einen wichtigen Teil der Lehre und der Arbeit der Organisation dar. Viele Professoren und Gastredner vermittelten den Studierenden in der Ringvorlesung wichtige Beiträge zur heutigen Friedens- und Konfliktforschung. Symposien, Umfragen und zahlreiche Publikationen sind ebenfalls Ergebnis der IAFA-Arbeit.

„Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung an der Philipps-Universität Marburg hat wohl nicht die große Welt verändert. Aber sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass höchst bedeutsame Themen wie Krieg und Frieden, Rüstung, Ressourcenverschwendung und Konfliktregelungsformen strukturell an der Philipps-Universität verankert wurden“, so Prof. Dr. Gert Sommer.

…. und 15 Jahre Lehre

Die Rede von Prof. Dr. Ralf Zoll bildete den Abschluss der ZfK-Feierlichkeiten. Mit Witz und Sarkasmus schaffte es Zoll, die Zuhörer zum Schmunzeln, Lachen und Nachdenken zu bringen. Der Soziologe arbeitete in den 1970er Jahren zur Bildungsreform innerhalb des deutschen Militärs und wurde später Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. 1981 bekam Zoll für seine Leistungen als Sozialwissenschaftler mit weltweiter Reputation das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er, Zoll, wolle mit der zu Beginn seiner Rede schon angesprochenen üblichen Praxis des Lügens zwar brechen, werde aufgrund der fehlenden Zeit jedoch zumindest an dem »Weglassen« vieler Dinge nicht vorbeikommen. Die positive Entwicklung des Zentrums für Konfliktforschung kann nach Zoll als Märchen erzählt werden. Dies passe gerade deshalb gut, da auch viel Böses in dieser Zeit geschehen sei, also wie im Märchen.

Bevor ein Curriculum für Studierende geschaffen wurde, musste erst definiert werden, was man unter Friedens- und Konfliktforschung überhaupt verstehe. Daher wurde für den Beginn der Lehre – die übrigens schon vor Gründung des ZfK 1996 aufgenommen wurde – ein dreibändiges Einführungswerk mit rund 1.600 Seiten erarbeitet, um den Studierenden die Grundlagen des Faches näher zu bringen. Der Weg durch die Gremien zur Etablierung des Zentrums sei jedoch nicht leicht gewesen. Oftmals standen die Forscher ablehnenden Mehrheiten gegenüber. War die Universitätsleitung schon bald auf der Seite der aufstrebenden Konfliktforscher, so sei es kein leichtes Unterfangen gewesen, sich beim Bildungsministerium in Wiesbaden bzw. beim Land Hessen durchzusetzen. Nach langem Kampf konnte schließlich in der Gründungsphase des ZfK auf Mitglieder aus 16 Fachbereichen zurückgegriffen werden.

Zum Abschluss seiner Rede richtete Ralf Zoll auch Wünsche an die heutigen Verantwortlichen des ZfK: Er wünsche sich, dass in Marburg die Bereiche Ökonomie und Ökologie stärker Berücksichtigung finden als bisher, dass Chancen für die interdisziplinäre Forschung intensiver genutzt und Kreativität, emotionale und soziale Intelligenz der Studierenden in Zukunft stärker gefördert werden.

Peter Becker-Preis an israelisch-palästinensische Projekte

Nach Abschluss der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläums folgte ein kleiner Empfang für die anwesenden Gäste. Ein weiterer Höhepunkt des Tages sollte die Verleihung des Peter Becker-Preises 2010 für Friedens- und Konfliktforschung sein. Der vom Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Becker gespendete, mit 10.000 Euro dotierte Preis wird seit 2000 alle zwei Jahre von der Universität vergeben. Nach einführenden Worten der Präsidentin und des Geschäftsführers stimmte Uli Jäger (Tübingen), dessen Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. vor zwei Jahren für das Projekt »Peace Counts on Tour« ausgezeichnet worden war, als Laudator auf die diesjährigen Preisträger ein.

Das Preisgeld wurde in diesem Jahr dreigeteilt. Prof. Dr. Gabriel Salomon von der Universität Haifa in Israel, der zu den Konflikten in Israel/Palästina arbeitet, bekam 5.000 Euro für sein Lebenswerk als Friedenspädagoge. Weitere 2.500 Euro gingen an den derzeit in den USA lebenden Israeli Dr. Sapir Handelman und das »Minds of Peace Experiment«. Er arbeitet in Kleingruppen mit Israelis und Palästinensern, die stark in den Konflikt eingebunden sind, und versucht dabei ihre »hearts and minds« anzusprechen. Ziel des Projektes ist es, gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten für diese spezielle Konfliktproblematik zu erforschen und so dabei zu helfen, Frieden in der Region Israel/Palästina zu stiften. Der dritte Preisträger, der ebenfalls 2.500 Euro erhielt, ist das »Day Care Center for Arab and Jewish Children at Risk« in Jaffa, Israel, bei der Zeremonie vertreten durch Lana Sirri. Das Tageszentrum, in dem etwa 50 jüdische, muslimische und christliche Kinder zwischen sechs und 13 Jahren betreut werden, möchte unter Berücksichtigung von Demokratie, aber auch unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen, den Kindern Bildung und soziale Fertigkeiten vermitteln.

Die Kommission, welche die Preisträger bestimmt hat, hätte wohl zu keiner besseren Entscheidung kommen können. Die Wissenschaftler bzw. Projekte ergänzen sich ideal in der Thematik ihrer Arbeit. Die Vergabe des Peter Becker-Preises 2010 war ein würdiger Abschluss dieses denkwürdigen Festtages einer der heutzutage wohl angesehensten und wichtigsten Organisationen Marburgs, dem Zentrum für Konfliktforschung.

Einige Reden der Jubiläumsveranstaltung sowie die Beiträge zur Verleihung des Peter-Becker-Preises stehen unter uni-marburg.de/konfliktforschung online.

Leonie Alteheld

Theoretische Herangehensweisen der Friedens- und Konfliktforschung

Theoretische Herangehensweisen der Friedens- und Konfliktforschung

IV. Workshop des AK Theorie der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, 15.-17. Juli 2010 in Augsburg

von Sina Birkholz und Andreas Jacobs

Mit der expliziten Thematisierung der theoretischen Grundlagen der Friedens- und Konfliktforschung (FuK) knüpfte der IV. Workshop des AK Theorie der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) direkt an die Debatten der drei vorausgegangenen Workshops des AK an. Im Laufe der von der Berghof Stiftung für Konfliktforschung finanzierten Workshop-Reihe hatte sich herauskristallisiert, dass viele der teilweise heftig geführten Diskussionen um konkrete Gegenstände von den unausgesprochenen Standpunkten der TeilnehmerInnen zu den großen meta-theoretischen Fragen von Normativität, Epistemologie und Methodologie bestimmt waren.

Entsprechend erschien die dezidierte Thematisierung genau dieser Grundlagen der Theoriebildung in der FuK dringend geboten. Diese Einschätzung, soviel sei vorweg genommen, sollte sich bestätigen: Auch wenn reichlich Zündstoff für zukünftige Theorie-Workshops über divergierende Epistemologieverständnisse und Methodenpräferenzen übrig blieb, so wurde doch mit Blick auf die Rolle von Normativität in der Theoriebildung, aber eben auch hinsichtlich des Selbstverständnisses der FuK an sich, ein weitgehender Konsens erzielt.

Zwischen den Zeilen lesen

Am IV. Workshop in Augsburg nahmen 28 Friedens- und KonfliktforscherInnen unterschiedlicher geistes- wie sozialwissenschaftlicher Disziplinen teil. In drei Panels wurden erstens »Die Aufgaben und Ziele der Theoriebildung in der Friedens- und Konfliktforschung« diskutiert, zweitens »Die normativen Dimensionen der Theoriebildung« ergründet sowie drittens »Wege zu friedenswissenschaftlicher Einsicht« mit Blick auf Epistemologie und Methodologie gesucht.

Die textuelle Ausgangsbasis für den Workshop bildeten sechs Diskussionspapiere. Bereits im ersten Panel konstatierte Michael Henkel, dass keines der Papiere explizit Position bezieht zu den Zielen friedenswissenschaftlicher Theoriebildung. In guter alter AFK-Tradition wurde diese Frage daher von außen (namentlich von Christoph Weller) an die Texte herangetragen. Während Gertrud Brücher prospektive Normprüfung in ihrem Papier als zentrale Aufgabe der FuK identifiziert, steht für Michael Berndt das Erklären und Verstehen bzw. die Kritik der Reproduktion von Gewaltverhältnissen im Vordergrund. Für Eva Herrschinger soll die Theoriebildung an zentraler Stelle die Schließung von Diskursen, z. B. über Gerechtigkeit, beobachten. Sabine Jaberg definiert die Reflexion der normativen Prämissen als Aufgabe der Theoriebildung, während Eva Senghaas-Knobloch auf die policy-Orientierung fokussiert. Der Beitrag von Peter Schlotter und Simone Wisotzky schließlich enthält sich der teleologischen Bestimmung und verweist auf die Pluralität und die dennoch bestehenden gemeinsamen Charakteristika der Theorieansätze.

Alle Papiere, so Henkel in seiner Einleitung zum ersten Panel, befassen sich zumindest implizit mit dem Selbstverständnis der FuK. Dies veranlasste ihn zu der provokanten Frage, ob – wenn die FuK in den 40 Jahren seit ihrem Bestehen primär um die Frage der eigenen Identität kreist – es »die« FuK überhaupt gibt. Davon angestoßen wurde diskutiert, was die FuK abhebt von anderen Disziplinen bzw. was sie eigentlich zu einer eigenständigen Disziplin werden lässt: Etwa ihr spezifisches Thema, also »der Friede«? Oder ihre Methodologie bzw. ihr besonderes »Methodenarsenal«? Oder ist die FuK primär deshalb eine Disziplin, weil sie sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend institutionalisiert hat? Etwa durch die Einrichtung spezifischer Stiftungen und Lehrstühle oder durch die Schaffung eigener friedenswissenschaftlicher (Master-)Studiengänge im Zuge der Bologna-Reform?

Interessanterweise spiegelte die Zusammensetzung und Positionierung der Teilnehmer des Workshops genau diese Institutionalisierung wieder. Jörg Calließ, der Historiker, betrachtete die FuK ebenso wie andere, der Friedensbewegung entstammenden Forscher als akademische »Zweitwohnung«, die sich primär durch die normative Orientierung am Thema Frieden auszeichnet. Mit Julika Bake bspw. hingegen wohnte dem AK Theorie wohl erstmals eine Forscherin bei, die ihre akademische Sozialisation in der institutionalisierten FuK durchlaufen hat.

Unentrinnbare Normativität

Während die identitätsprägende Institutionalisierung also faktisch voranschreitet, bleibt das spezifische Thema der FuK, wie im Laufe der Diskussion sehr deutlich formuliert wurde, aber nach wie vor der entscheidende identitätsstiftende Faktor: Die Aufgabe der FuK sei in jedem Fall eine normative, nämlich die Entscheidung »für« den Frieden (was immer der Begriff für den/die Einzelne/n auch bedeuten mag) und somit die Orientierung des Wissenschaftszweigs an, im Sinne dieser normativen Grundentscheidung wirkender, gesellschaftlicher Einflussnahme.

Diesem Postulat wurde nicht widersprochen, ganz im Gegenteil fand sich zunehmend ein Konsens dahingehend, dass die Gemeinsamkeit friedenswissenschaftlicher Forschung darin bestehe, dass an ihrem Ausgang stets das Bekenntnis zu Gewalttransformation und zur Vision einer Welt der zivilen Konfliktaustragung stehe. Dieser normative Grundimpuls sei der Kern der »unentrinnbaren Normativität«, welche alle Friedens- und KonfliktforscherInnen teilen. Damit konstituieren sich die primären Aufgaben für die Theoriebildung darin, zum Einen die unausgesprochenen Voraussetzungen der eigenen normativen Position zu klären und zum Anderen, die eigene Involviertheit auf möglichst allen Analyseebenen im Forschungsprozess zu reflektieren.

Allein: Was diese Einsicht für die konkrete Forschung, zuvorderst für die Methodologie und Methode, aber z. B. auch für den Friedensbegriff bedeutet, blieb hoch umstritten. Für Jaberg besteht die Konsequenz darin, offensiv mit der eigenen Normativität umzugehen, um neue Erkenntnisse im Schlagabtausch der Positionen zu gewinnen. Lothar Brock treibt diese Offensivität so weit, dass er die diskurstheoretisch inspirierte »Schließung« des Friedensbegriffs zur Notwendigkeit für die FuK erklärt. Die von ihm vorgeschlagene »Füllung« des Begriffs orientiert sich dabei an seiner Position in der akademischen Debatte um den erweiterten Sicherheitsbegriff und des neuen liberalen Interventionismus: Als anzustrebender Wert steht die Eliminierung physischer Gewalt als Regulativ menschlicher Beziehungen im Fokus. Die kontroversen Diskussionen um einen umfassenden Friedensbegriff würden durch eine solche Begriffsfüllung ad acta gelegt (zumindest solange diese Füllung im friedenswissenschaftlichen Diskurs eine hegemoniale Position einnimmt). Als Normen für die FuK gelten für Brock das Primat der zivilen Konfliktbearbeitung und die rechtsstaatliche Einbindung von Gewalt, die zugrunde liegende ontische Prämisse besteht in der – kontroversen – Annahme eines universalisierbaren Interesses aller Menschen, nicht der Willkür Anderer ausgesetzt zu sein.

Zwar erleichtert ein derart starker, »geschlossener« Friedensbegriff die Profilierung in der Wissenschafts-Community und die Etablierung von Frieden als Gegengewalt. Nichtsdestotrotz steht er im krassen Gegensatz zu der von Herrschinger geforderten »gerechten Praxis«, da Schließungsversuche in Diskursen immer zugleich – notwendigerweise – von der Exklusion abweichender Positionen und ihrer Träger begleitet werden.

Auch wenn Andreas Herberg-Rothe in Anlehnung an eine frühere Studie Helma Paschs zum Friedensbegriff in afrikanischen Sprachen die Existenz eines »Körpers der Bedeutungsvarianten« für Begriffe wie Frieden, Demokratie, Gewalt behauptete, hegte Weller Zweifel, ob eine solche Füllung des Begriffs tatsächlich sowohl inter-kulturell als auch inter-subjektiv zustimmungsfähig sei. Darüber hinaus forderte er, dass wenn der geschlossene Friedensbegriff die Basis für das Selbstverständnis der FuK als Wissenschafts-Community darstellen soll, diese Schließung in jedem Fall wissenschaftlich begründet werden müsse. Die wissenschaftlichen Kriterien für die inhaltliche Setzung des Begriffs seien erst zu entwickeln.

Glaubwürdigkeit durch Reflexion

Für Weller schienen die eigentlich relevanten Fragen, welche aus obiger epistemologischer Positionierung erwachsen, jedoch auch ganz andere zu sein: Wie kann im Forschungsprozess Distanz gewonnen und die eigene Involviertheit reflektiert werden? Wie kann die Erkenntnis der eigenen Involviertheit in der FuK oder, noch besser, in den (Sozial-)Wissenschaften im Allgemeinen integriert werden, so dass wissenschaftliche Analyseergebnisse nicht als vorhersehbare bloße Reproduktionen der eigenen normativen Prämissen diskreditiert werden können?

Mit diesen Fragen wurde der Kreis geschlossen, da sie sowohl an die Debatte um den Disziplinstatus der FuK anknüpften, als auch Themenfelder für die zukünftige Arbeit des AK Theorie eröffneten: Zwar kann die eigene, spezifische Methode kein notwendiges Kriterium für die Existenz einer akademischen Disziplin sein (wie Pasch unter Verweis auf etablierte Fächer wie die Romanistik oder Afrikanistik deutlich machte). Wenn die FuK aber das Postulat von der »unentrinnbaren Normativität« und den Verweis auf die zwangsläufige Involviertheit des Forschers als gesellschaftliche Konfliktpartei und wahrnehmendes Subjekt anerkennt und diese auch noch zum Identität stiftenden Faktor erhebt, dann ist sie nicht nur vollständig im Konstruktivismus angekommen, sondern muss sich auch systematisch Gedanken über die method(olog)ischen Konsequenzen dieser epistemologischen Einsichten machen.

Erste Ansätze hierzu wurden gegen Ende des dritten Panels unternommen. Max Webers bereits zum Klassiker avancierte Empfehlungen, das eigene Erkenntnisinteresse offen zu legen, und die Möglichkeit, Emotionen als Vorform der Erkenntnis oder als Gegenstand der Forschung in den Erkenntnisprozess einzubringen, wurden ebenso diskutiert, wie die Möglichkeit, von anderen Disziplinen, namentlich der Ethnologie und Geographie, zu lernen.

Während Weller auf die von ihm bereits angewandte Vorgehensweise verwies, das eigene Beobachten zu reflektieren, um dann mehrere Beobachtungsweisen alternativ darlegen zu können, wartete Brock mit einer Skizze zur »Ethik des wissenschaftlichen Arbeitens« auf. Aus der Position der Forscher, die mit »Wir in der Welt« zu charakterisieren ist, resultiere nach seinem Wissenschaftsverständnis die Notwendigkeit, im Forschungsprozess Forderungen nach Redlichkeit, Offenheit, Liebe zur Sache und gesellschaftlicher Nützlichkeit gerecht zu werden. Auch wenn diese Skizze gerade aufgrund ihres Konzept-Charakters und der Brock eigenen Entschlossenheit begeistern konnte, wurde schnell klar, dass sie ohne die konkretere Befassung mit der Frage der Methodik bloßer Appell bleiben müsse.

Methodenfragen sind Zukunftsfragen

Dementsprechend angeregt wurden die Debatten um die der Forderung nach wissenschaftlicher Reflexivität angemessenen Methoden auch in der Pause nach dem letzten inhaltlichen Panel fortgeführt. Nur folgerichtig griff die Abschlusssitzung des Workshops, in dem die Weiterarbeit des AK Theorie inhaltlich wie organisatorisch geregelt wurde, diese Themen wieder auf. Große Einigkeit bestand darin, dass, um es mit Simone Wisotzkys Worten zu sagen, „die Methodenfrage reizt“ und dass nur interdisziplinäre Betrachtungen und Erfahrungsaustausch dieser Thematik gerecht werden können.

So war schnell klar, dass der nächste Workshop des AK Theorie sich mit der Methodenfrage auf einer breiten interdisziplinären Basis auseinandersetzen soll. Heftig umstritten blieb, ob solch ein „Wettstreit der Methoden“ (Christina Schües) an einem einzigen oder zumindest einer kleinen Auswahl von konkreten Gegenständen vorgenommen werden soll, oder ob die vorausgegangenen Tagungen nicht gerade den Bedarf an abstrakteren Debatten belegt hatten.

Die genaue inhaltliche Ausgestaltung des nächsten Workshops wird dem neu gewählten Sprecherteam des AK Theorie, bestehend aus Julika Bake, Andreas Bock und Christina Schües obliegen, die Christoph Weller und Sabine Jaberg nach langjähriger erfolgreicher Tätigkeit als Sprecher-Team des AK Theorie ablösen.

Sina Birkholz und Andreas Jacobs

Interview mit Johan Galtung

Interview mit Johan Galtung

Die Fragen stellte Hajo Schmidt

Am 24. Oktober dieses Jahres begeht der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung seinen 80. Geburtstag. Johan Galtung, »von Freund und Feind« als ein Begründer der modernen Friedensforschung bezeichnet, hat auch im deutschsprachigen Raum auf Friedenswissenschaft und Friedenspraxis eminenten Einfluss ausgeübt.

Mit 80 Jahren darf sich auch ein so erfahrener und erfolgreicher Friedensforscher und Friedensaktivist wie Du die Frage stellen: Hätte aus mir vielleicht etwas ganz anderes werden können?

Ganz gewiss – hätte ich mich damals, 1951, nur nicht irgendwie berufen gefühlt, bei der Entwicklung einer konflikt- und friedensorientierten Wissenschaft helfen zu können. Bis dahin war der Beruf meines Vaters, also Arzt, aber dann auch die theoretische Chemie und die Physik im Spiel, sie alle aber konnten sich nicht gegenüber meiner neuen Berufung behaupten. Zwar schloss ich meine Mathematik-Studien ab und wusste eine Menge über Mathe, wusste aber auch, dass mir das gewisse Etwas fehlte, das einen richtigen Mathematiker ausmacht – so wie die Musikalität den Musiker. Ich hätte einen ganz ordentlichen Soziologen abgeben können, und könnte behaupten, dass ich dies in Bezug auf Konflikte auch bin. Aber das waren letztlich alles nur Mittel zum Zweck: Friedensstudien.

Das ist die Macht einer ursprünglichen, nunmehr fast 60 Jahre währenden Bindung, und ich bin glücklich und auch ein wenig stolz, ihr die Treue bewahrt zu haben, großartig unterstützt dabei von meinen beiden Frauen: zu Beginn von Ingrid in Norwegen und ab 1969 dann von Fumi in der ganzen Welt.

Welche Erfahrungen und Erlebnisse haben Dich definitiv auf den Weg der Friedensforschung und Konfliktbearbeitung gebracht? Ich denke dabei auch an Gefängniserfahrungen, die »Dritte Welt«-Armut oder die Heirat mit Fumi.

Ich denke, lebensweltlich habe ich ein Doppeltes erfahren. Da ist einmal die Wirkung erlebter Gewalt, insbesondere, als mir die norwegische Staatspolizei im Auftrag der deutschen Besatzer den Vater wegnahm und in ein KZ steckte. Aber auch das ganze Leiden, auf das ich überall in der Welt stieß, sei es nun direkt oder strukturell verursacht. Aber, gleich wichtig oder wichtiger noch: die Erfahrung des Gegenteils! Ich weiß, dass Liebe, Fürsorge, Füreinandereinstehen möglich sind, weil ich davon so viel von liebevollen Eltern mitbekommen habe. Wäre es anders gewesen, hätte man mich gewalttätiger behandelt, hätte ich mich vielleicht statt dessen im Bereich der Sicherheitsstudien engagiert! Und dann die Erfahrung des Wohlfahrtsstaats, dessen Entwicklung ich von etwa meinem zehnten bis fünfunddreißigsten Lebensjahr verfolgte, der zeigte, was möglich ist, der eine Menge Elend beseitigte, bis er dann auch seine eigenen Widersprüche schuf. Und ich erlebte, dass Nachbarstaaten friedlich kooperieren und in Harmonie leben können: die Nordischen Staaten, die zu einer wachsenden, immer stärkeren Eintracht fanden, als die Karikaturen einer Beziehung, nämlich Krieg und Besatzung, beendet wurden. Das waren wirklich starke Erfahrungen!

Gefängnis: Das war natürlich wichtig, um die Welt von unten zu sehen. Viele Dialoge, eine Doktorarbeit und ein Buch entwickelten sich daraus. Aber auch die Wahrnehmung der Absurdität des Systems, was mich später sehr empfänglich machte für alternative Umgangsweisen mit dem, was wir Verbrechen nennen, z.B. in der polynesischen Methode des h‘o pono pono.1

Lateinamerika: das Leiden an der Armut, an das Du erinnert hast, und an der Erfahrung, immer wieder von jemandem hoch aus dem Norden überfallen zu werden, wenn man etwas zu verändern suchte, um sich von den Entsetzlichkeiten zu befreien, die die große Mehrheit quälten.

Und Fumi natürlich: eine immer gegenwärtige Führerin, die Welt und die Dinge anders zu sehen als gewohnt, so wie ich es in meiner Widmung für sie in »A Theory of Civilisation« zum Ausdruck bringe.2.

Von welchen Wissenschaftlern, Denkern, Schriftstellern hast Du Dich besonders angesprochen und bereichert gefühlt?

Hier nur die wichtigsten. Grundlegend war Ibn Khaldun, vor ihm Sorokin und Toynbee. Marx und Smith, Kant und Freud. Nakamura. Die Weisheit der heiligen Texte, in Bibel, Koran, Bhagavadgita, Dao-De-Jing, den Analekten. Gandhi als Sozialwissenschaftler. Aber mehr als aus Überlegungen in den Schriften anderer Leute lernte ich durch die Beobachtung von und das Gespräch mit Menschen aus aller Welt. Ich verfahre eigentlich ganz empirisch und pragmatisch, respektiere meine eigenen Beobachtungen, gleiche sie ab mit denen von anderen und schaue mich dann ganz nüchtern überall in der Welt um nach etwas, das zu funktionieren scheint – wobei ich Bestätigungen und Erfolge sammle, wie ich früher, als Kind, Briefmarken gesammelt habe.

Ich wollte weiter gehen, Gegebenes transzendieren, und glaubte, dazu die condition humaine mehr von oben betrachten zu sollen, nicht einfach als komparative Soziologie, sondern als Soziologie Europas, des Westens, ja, der Welt; und dies nicht nur für die unmittelbare Gegenwart, sondern für zunehmend ehrgeizigere Zeitspannen. Makro-, Weltgeschichte. Und sehr bald fand ich heraus, dass nur wenige auf diesen Spuren wandelten, und dass von diesen viele nicht tief genug gegraben haben dürften – nach ihren eigenen unterbewussten Mythen nämlich, nach der Tiefenkultur und Tiefenstruktur, die ihre Arbeit konditionieren. Habe ich vielleicht ebenso viele Bücher geschrieben (151), wie ich einlässlich gelesen habe? Aber auf einem etwas oberflächlicheren Niveau bin ich wirklich ein gefräßiger Leser.

Ein psychoanalytisch geschulter Leser Deiner Werke, incl. der faszinierenden Autobiographie, könnte sich zu der Charakterisierung versteigen: Galtungs Existenz spannt sich auf zwischen dem Trauma vielfältigster Gewalterfahrung und dem Phantasma der Verwandlung dieser Gewalt in sozialen Kitt und humane Bereicherung. Würdest Du in dieser Kennzeichnung Deine Motive und Bemühungen auf‘s Knappste zusammengefasst erkennen, oder was würdest Du entgegnen?

Überschätze meine Traumata nicht, die nehmen sich doch recht bescheiden aus im Verhältnis zu der Liebe, die ich erfahren habe, und, ja, auch dem (z.B. meinen guten Schulleistungen geschuldeten) Erfolg. Nein, es war mehr das Gefühl, von meinen Talenten einen guten Gebrauch machen zu sollen, und dann das Gefühl, diesen gefunden zu haben. Die Galtungs, seit den Tagen der Wikinger eine alte Familie des niederen Adels, versehen mit dem Stempel »noblesse oblige«, der mich nicht weniger prägte. Vielleicht ging’s also mehr um ein gewisses Elitedenken als um Psychoanalyse?

Als ich Dich Anfang der Achtziger Jahre näher kennen lernte, warst Du für mich und viele meiner KollegInnen der Entdecker einer strukturellen, also in den politischen und ökonomischen Strukturen steckender und durch diese wirkender Gewalt. Wie kam es zur Erweiterung des Gewaltverständnisses um die »kulturelle Gewalt«, und welche Folgen hatte diese Komplettierung zur Gewalttrias von direkter, struktureller und kultureller Gewalt für Dein Friedensdenken und -handeln?

Alles ging aus von der direkten Gewalt und der ewigen Frage nach deren Ursachen, die man dann ja vielleicht beseitigen könnte. Eine wesentliche Annahme bestand darin, dass solcherlei Ursachen teilweise verborgen sein könnten, und ich war beeindruckt von dem formelhaften Gerede der Militärs und sicherheitsorientierten Leute, wenn sie von »Absicht« oder »Fähigkeit« (und Umständen) sprachen. Das ist vielleicht wichtig, wenn man mögliche Feinde zu identifizieren sucht, aber es ist zu bewusst, zu rational, um allein das einschlägige Feld abzustecken, indem man die ganze Welt auf böse Absichten und starke Kapazitäten hin absucht. Das Material also, aus dem Kriege entstehen.

Da ich ein wenig über nicht-indoeuropäische Sprachen gearbeitet hatte, stellte ich mir die Frage: Hat vielleicht die Sprachstruktur etwas mit dieser Problematik zu tun? Ein gut geformter Satz hat Subjekt, Prädikat, Objekt, wobei das Objekt dann das Opfer der Gewalt bezeichnet und das Prädikat eine Tätigkeit, aus der Schaden und Schmerz resultiert. Könnte es nun sein, dass die Idee eines Subjekts uns die »Wer war’s«-Frage stellen, nach einem »whodunit« fragen lässt, nach einem Akteur hinter dem Akt, einem Subjekt mit bestimmter Absicht? Wie verhielte es sich im Falle eines subjekt-freien Satzes, wo Gewalt sich einfach ereignet? Verloren Menschen ihr Leben und Auskommen nicht auch aus anderen Gründen als durch intendiertes Töten und zum Krüppel Machen?

Und hier kommt nun die Soziologie ins Spiel: Eine Struktur schreibt den Menschen gewisse Handlungsweisen, Handlungsgewohnheiten vor; es geht hier mehr um ein Sich-Verhalten als ein Handeln – ein Verhalten, auf das man sich einlässt, weil’s alle so machen, ohne weiteres Nachdenken. Oder um Nicht-Handeln, Akte des Unterlassens: Man tut nichts, wiederum ohne weitere Absicht. Das Ergebnis wäre strukturelle Gewalt, verborgen im Wirken der Tiefenstrukturen, welches das unangeleitete Auge schwer nur wahrnimmt. Aber ich fühlte, dass diese Gewaltverhältnisse, wie direkte Gewalt, aufrechterhalten werden müssen, und zwar durch etwas Solideres als individuelle Absichten.

Dies fand ich nun in der Tiefenkultur, in Ideen, die auch das legitimieren, was sich für bestimmte Menschen als zerstörerisch erweist, man denke an das »survival of the fittest«, die »Armut als Fingerzeig Gottes« und Ähnliches. Das Problem besteht dann darin, diese Tiefenphänomene aufzudecken, und der Mediations-Dialog kann dafür als ein Ansatz dienen: Was veranlasst Dich, genau dieses zu fühlen, zu denken, zu sagen? Ein anderer besteht in der mehr objektivierenden strukturellen und kulturellen Analyse, die nicht mit der Erforschung der öffentlichen Meinung oder der Frage, wie die Kindheit das Weltbild politischer Führer formt, verwechselt werden darf. Wir suchen nach etwas, das einwirkt auf uns alle, aber als etwas Verborgenes. Und das auch Mediatoren nicht ausspart, die ihrerseits jemanden brauchen, der seine oder ihre verborgenen Unterstellungen und Voreingenommenheiten aufdeckt. Hier vor allem ist der Ort, an dem Fumi eine so bedeutsame Quelle der Einsicht für mich darstellt.

Deine Beschäftigung mit den unterschiedlichen Tiefenkulturen der großen Zivilisationen hat auch Ausdruck gefunden in einer neuen, erweiterten Ökonomie- und Entwicklungstheorie. Inwiefern kann diese sich durch die gegenwärtige Finanzkrise bestätigt sehen?

Wenn man ein auf unbegrenztes unendliches Wachstum ausgerichtetes lineares System in eine materialiter endliche Welt einbaut, dann sollte es niemanden überraschen, wenn man früher oder später mit dem Kopf gegen die Wand läuft. Dann kann man versuchen, dieser Situation zu entkommen, indem man eine Finanzökonomie erfindet, die symbolisch ist und sich auf Ziffern auf Bildschirmen und Papier gründet. Nur, wenn die angezeigten Werte nicht gestützt werden durch eine Realökonomie, die sie unterstellterweise zur Grundlage haben und irgendwie reflektieren sollten, dann wird das Ergebnis in kurzen oder tiefer gehenden Crashs bestehen. Im Moment begehen wir beide Fehler gleichzeitig. Nein, die Finanzkrise war so leicht in meinen Theorien seit den frühen 1980er Jahren vorhersehbar, dass ihre Voraussage Züge des Trivialen, des Offensichtlichen hatte. Nur, es wird weiter gehen, in Anbetracht der Unfähigkeit des Westens, den Finanzsektor zu zähmen, und die Realökonomie wieder in Gang zu bekommen. China hat das entgegengesetzte Profil, nämlich eine blühende Realökonomie und eine vernünftig kontrollierte Finanzökonomie. Zumindest fürs erste. Und im übrigen geht’s in Richtung »grüne Ökonomie«…

Und was wären die Maximen einer wirklich an der Verbesserung des Schicksals der großen Bevölkerungsmehrheit interessierten, friedensorientierten Entwicklungspolitik?

Ich denke hier an eine Kombination des marxistischen Bestehens auf Grundbedürfnissen, des buddhistischen »nicht zu viel und nicht zu wenig«, der islamischen Idee der Nähe und des Teilens sowie der japanisch-chinesischen Art des Überwindens von Gegensätzen, wobei soziale Harmonie das umfassende Ziel abgibt. Dazu nehmen würde ich, aus der Tradition des liberalen Westens, ökonomisches Wachstum, Demokratie und Menschenrechte, aber alle drei Posten so verstanden, dass sie nicht allein westliche Kultur und Auffassungen reflektieren. So wie es detaillierter beschrieben ist in meiner »A Theory of Development« und in dem Titel von Paul Scott und mir, »Democracy – Peace – Development«.

Die Ausrichtung des wissenschaftlichen Tuns an der Pazifizierung und Humanisierung der Weltverhältnisse zeigte sich früh schon in Deiner Empirismuskritik und dem Umbau der Friedenswissenschaft zu einer »trilateralen«, einer empirisch-kritisch-konstruktiven Sozialwissenschaft. Inwiefern ist auch die Gründung von TRANSCEND Resultat dieser Denkhaltung? Welche Rolle spielt TRANSCEND nun in deinem Leben und Selbstverständnis?

TRANSCEND als ein Netzwerk von Wissenschaftlern/Aktivisten ist die Verkörperung der Idee, Theorie und Praxis zu verbinden, die ich der medizinischen Wissenschaft entliehen habe, oder anders: den Gesundheitsstudien, wie ich sie zu bezeichnen vorziehe. Aber das bedurfte einer philosophischen Unterfütterung, und die Idee einer trilateralen Wissenschaft, die nicht allein auf Daten und Theorie, sondern auch auf expliziten, präzisen Werten beruht, war das Ergebnis. Das habe ich alles ausgearbeitet in dem Buch »50 Years: 25 Intellectual Landscapes Explored«, das den Versuch darstellt, eine für meinen Geschmack befriedigendere epistemologische Basis zu entwickeln für die Sozialwissenschaften ganz allgemein, nicht nur für Friedensstudien, ein Versuch, der weit über das Gespann Aristoteles – Descartes – Weber hinausgeht. Vorstellungen des Okzidents wie des Orients habe ich als Grundbausteine in das Unternehmen eingebracht, was einige Leute, vornehmlich Deutsche, dazu brachte, mich als Esoteriker zu bezeichnen. Natürlich könnte ich mit gleicher Münze heimzahlen und sie als Provinzler bezeichnen, deren Außenwelt sich auf die kleine Europäische Halbinsel reduziert. Aber lieber würde ich sie einladen, das Buch zu lesen und sich dann selbst zu fragen, ob das »sowohl als auch«, für das ich stehe, uns nicht zu einem besseren Verständnis einer sich globalisierenden Welt verhilft.

Welche Empfehlungen zur Bearbeitung und/oder Transformation des Afghanistan-Konflikts – wenn diese vereinfachende Kennzeichnung gestattet ist – gibt ein an TRANSCEND geschulter Blick?

Ich stehe zu dem, was bei der großen TRANSCEND-Mediation vom Februar 2001 auf den Tisch kam, man vergleiche »50 Years: 100 Peace & Conflict Perspectives«. Hier folgen die grundlegenden Gesichtspunkte:

Alle ausländischen Truppen müssen raus – das bezieht sich auf die Uniformen und nicht notwendigerweise auf die Menschen;

eine Koalitionsregierung mit den Taliban, die von deren moralischer Einstellung Gebrauch macht;

Afghanistan als eine Föderation, welche die Autonomie der den Staat konstituierenden Nationen und die lokale Autonomie von 20.000 Dörfern respektiert – diesbetreffend ist das vergleichbarste Land die Schweiz, insofern beide einen Kern haben, der den Nachbarn abgeht, und gleichwohl sehr viel Gemeinsames mit ihnen;

Afghanistan als wichtiger Teil einer Zentralasiatischen Gemeinschaft, gebildet aus den Nachbarländern mit Einschluss Chinas (aber nicht Russlands und Indiens), die ihre Grenzen öffnet für Menschen derselben Sprache und desselben Glaubens;

eine an menschlichen Grundbedürfnissen orientierte Politik, die den unteren Schichten aufhilft in Bezug auf Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheit und Erziehung, ungeachtet der jeweiligen Nation und des jeweiligen Geschlechts. Von muslimischen Bruderstaaten wie Tunesien, der Türkei, Indonesien oder Mindanao muss Afghanistan lernen, wie man dies in Bezug auf die Gender-Problematik tut.

Für Sicherheit soll gesorgt werden durch die Zusammenarbeit von OEC, der Organization of the Islamic Conference, was auf dieselben Länder verweist, und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – nicht aber den USA, der NATO und dieser ISAF-Koalition.

Wir brauchen eine internationale, von den Vereinten Nationen gesponsorte Konferenz, mit den USA als Beobachter, da sie nicht zu Zentralasien gehören. Die Shanghai Cooperation Organization, SCO, und ECO, die Economic Cooperation Organization der Türkei, des Iran und Pakistans werden wichtige Rollen spielen.

Was sind, um zum Schluss zu kommen, Deine vier wichtigsten Bücher?

Ohne Zweifel die vier, die in diesem Herbst herauskommen: »A Theory of Conflict«, »A Theory of Development«, »A Theory of Civilization« und »A Theory of Peace«, alle bei TRANSCEND University Press. Ich habe an ihnen über Jahrzehnte gearbeitet, und sie gehen weit hinaus über Zusammenfassungen von bereits Publiziertem und entwickeln neue Ideen. Ich warne aber davor, sie als Einführungstexte nutzen zu wollen, setzen sie doch voraus, grundlegendere Texte vorher gelesen zu haben. Sie erscheinen so spät, weil ich unbedingt wollte, dass sie von der konkreten Praxis inspiriert seien und nicht von der üblichen Praxis des Aufsuchens von Bibliotheken – ich spüre diesen Mangel an Wirklichkeitsnähe bei den meisten akademischen Autoren, bei einem Habermas etwa, aber auch bei mir noch vor einigen Jahrzehnten.

Und welches Deiner Bücher ist Dein Lieblingsbuch?

Nun, am ehesten vielleicht das genannte Buch über Epistemologie, die »25 Landscapes«; vielleicht fühle ich darin doch einige grundlegende Durchbrüche auf dieser Reflexionsebene. Eine Wissenschaft, die sich symmetrisch verhält zu Vergangenheit und Gegenwart, die Holismus und Dialektik paart mit Atomismus und Deduktion etc. Aber was die Praxis betrifft, ist das Flagschiff natürlich das vorher schon genannte »50 Years: 100 Conflict & Peace Perspectives« – ich bin stolz auf die Arbeit, die dahinter steckt.

Was macht der Mensch mit 80, oder: Wird Dein Leben, lieber Johan, sich verändern?

Oh ja! Es gibt immer noch einige akademische Arbeiten, die ich fertig stellen muss, aber das nähert sich seinem Ende. Vielleicht werde ich mich dann auf eine andere Art des Kommunizierens verlegen, fasziniert vom Drama, wie ich es immer gewesen bin. Aspektreich, pointiert, dialogisch. Ob es den Weg ins Theater findet, ist weniger wichtig, die Art und Weise des Kommunizierens, das ist es, worauf es mir ankommt. Um einen kleinen Vorgeschmack zu bekommen, kann man sich meine Stücke in dem gemeinsam mit Graeme McQueen verfassten Buch »Globalising God« ansehen sowie in den »Peace Plays«, die ich mit zwei weiteren Amateur-Dramatikern, Vithal Rajan und S.P. Udayakumar, für TRANSCEND University Press Popular geschrieben habe.

Ich bin so unendlich dankbar für das reichhaltige Leben, das zu führen ich das Privileg habe! Wenn ich mich dabei verstrickt fühle in einen Überlebenswettbewerb mit dem US-Empire, so bin ich überzeugt, bei weit besserer Gesundheit zu sein, werde seinen Niedergang und Fall miterleben und von Herzen die großartige US-Republik genießen, mit all ihren Problemen und wunderbaren Menschen. Wir leben viel dort. Und leben gut!

Anmerkungen

1) Einführende Erläuterungen zu der Methode finden sich in: E. Victoria Shook (1985): Ho‘oponopono. Contemporary Uses of a Hawaiian Problem-Solving Process. Honolulu, HI: University of Hawai’i Press, East-West Center Studies.

2) Alle im Interview genannten Titel Galtungs sind erschienen oder werden erscheinen bei TRANSCEND University Press; www.transcend.org/tup. Eine Ausnahme bildet die Autobiographie Galtungs, die unter dem Titel »Auf Friedenswegen um die Welt: eine autobiographische Reiseskizze« 2006 beim Agenda Verlag, Münster, erschien. Im selben Verlag erschien 2007 auch ein Nachdruck der heute noch unersetzlichen Grundlagenschrift Galtungs »Frieden mit friedlichen Mitteln«.

Die Fragen zum Interview stellte Prof. Dr. Hajo Schmidt, Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität in Hagen. Aus Anlass des runden Geburtstags von Johan Galtung veranstaltet das Institut Frieden und Demokratie zusammen mit der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW) und der Ev. Akademie Villigst das Festsymposium »Friedensforschung und Weltinnenpolitik im 21. Jahrhundert« (2.-5.12.2010 in Villigst/Schwerte).

Entwicklung als Sicherheitstechnologie

Entwicklung als Sicherheitstechnologie

17. Sitzung des AK Gewaltordnungen der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaften (DVPW), 23. April 2010, Bonn

von Katrin Radtke

Über den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Sicherheit ist in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden. Stellte noch in den 1980er Jahren entsprechend des Friedensparadigmas Entwicklung in vielen regionalen Kontexten geradezu das Gegenteil zu militärischen Handlungen dar, verschwammen in den letzten Jahren die Konturen zwischen beiden Bereichen. Unter dem Motto »keine Sicherheit ohne Entwicklung – keine Entwicklung ohne Sicherheit« wird geradezu ein kausaler Zusammenhang zwischen militärisch zu leistender Sicherheit und zivil zu leistender Entwicklung hergestellt. Gerade die Genese von rein militärischen Interventionen zu Friedens- und Staatsbildungsprojekten trug zu diesem Wandel bei.

Die theoretischen und praktischen Implikationen der kausalen Verknüpfung von Entwicklung und Sicherheit sind erheblich. Indem Entwicklung bewusst eingesetzt wird, um gewisse politische Ziele zu erreichen, die von den Interessen der Gebergemeinschaft definiert werden, verliert Entwicklung seine primäre sozialethische Ausrichtung und wird zu einem interessengeleiteten technischen Instrument der Politik. So schreibt Duffield pointiert „…development is a technology of security that is central to liberal forms of power and government“. 1 Gleichzeitig werden aber auch Sicherheitsfragen zunehmend zu einem rein technischen Problem degradiert und somit entweder explizit oder implizit depolitisiert. Das partikulare Abschrecken, Ertragen, Überleben und »Managen« von perzipierten Bedrohungen steht im Mittelpunkt, weniger die Identifizierung und Behandlung ihrer Ursachen. Sicherheitsstrategien verengen sich häufig auf bewaffneten Schutz, Mauern, Schranken, Alarmanlagen, Überwachungssysteme und Risikoanalysen.

Erstaunlicherweise hat bisher – abgesehen von wenigen Ausnahmen – keine wirklich systematische kritische Auseinandersetzung mit dieser Technisierung und ihren Folgen stattgefunden. In politischen Diskussionen dominieren pragmatische Ansätze. Unter dem Erfolgsdruck verschiedener staatlicher Wiederaufbauprojekte hat man sich der systemimmanenten Kritik verschrieben und versucht Stellschrauben im Detail zu justieren. Ein Ausdruck davon ist etwa die Tatsache, dass in Deutschland auch nach Jahren eine Evaluierung des Einsatzes in Afghanistan noch nicht erfolgt ist. Aber auch auf wissenschaftlicher Seite hat man sich bisher – trotz intensiver Auseinandersetzung mit dem »neuen Interventionismus« und Konzepten wie »menschlicher Sicherheit«, »integrierten Missionen« u.a. – kaum mit den (nicht-intendierten) Folgen der konzeptionellen Verknüpfung von Entwicklung und Sicherheit beschäftigt.

Die Beiträge auf der 17. Tagung des Arbeitskreises Gewaltordnungen beschäftigten sich aus theoretischer und praktischer Perspektive mit dieser Forschungslücke.

Die Kontinuität der Treuhandschaft: Von der Entwicklungs- zur militärischen Interventionspolitik

In Auseinandersetzung mit der Frage der Technisierung von Entwicklung führte Conrad Schetter, ZEF Bonn, den Begriff der »Entwicklung als Praktik« ein. Dass sich Entwicklung überhaupt in diese Richtung wandeln konnte sei nur dadurch möglich gewesen, dass der Begriff der Entwicklung immer weniger zur Auseinandersetzung über unterschiedliche Gesellschaftsvisionen und über den entsprechenden Weg dorthin diente, da das liberale Gesellschaftsmodell seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr in Frage gestellt worden sei. Begriffe wie »Human Security«, die seither zu einem zentralen Schlagwort der EZ geworden sind, kombinieren in der Folge den »weichen« Faktor Mensch mit dem »harten« Faktor Sicherheit. Staatliche Souveränität sei inhaltlich verwandelt worden von nationaler Autonomie in eine Rechenschaftspflicht gegenüber der internationalen Sphäre. Entwicklungszusammenarbeit habe in der Folge eine Reduktion auf ihren Projektcharakter erfahren – eben auf Entwicklung als Praktik unter dem einzigen Gesichtspunkt der unmittelbaren »Machbarkeit« einer von außen gesteuerten Verbesserung. Diese Machbarkeit wiederum müsse sich quantitativ messen lassen. In diesem Sinn seien etwa die »Millenium Development Goals« entworfen worden, die mit quantitativen Zielvorgaben, aber völlig ohne eine gesellschaftliche Vision formuliert sind. Die EZ sei zugleich immer mehr zum Teil von größeren Interventionen in Krisengebiete geworden, operiert also oft in einem Feld des politischen Ausnahmezustands. Hier übernehme sie treuhänderisch die Aufgaben eines souveränen Staats. Trotz des verbalisierten Anspruchs von »Partizipation« durch die Betroffenen werde die Angemessenheit von EZ-Maßnahmen immer stärker von außen, durch die intervenierenden Organisationen, definiert.

Ziellose Herrschaft – Humanitarismus and Peacekeeping im Kongo

In seinem Vortrag untersuchte Kai Koddenbrock, Universität Magdeburg, die normative Ordnung und das Verständnis von Temporalität von humanitären Helfern und von Angehörigen der UN-Friedensmissionen im Kongo. Diese Konzeptionen seien von großer Bedeutung für die Bildung epistemischer, produktiver Macht in der internationalen Ordnung.

Aufbauend auf den Ergebnissen seiner Feldforschung in der Demokratischen Republik Kongo stellte er die These auf, dass die untersuchten Akteure ihre Arbeit aufgrund einer Ästhetik der Wirkung aufgenommen hätten, die von einem ständigen Gefühl der Nutzlosigkeit konterkariert werde. Ihr Kongo-Bild sei von starker Undurchsichtigkeit bestimmt. Es werde wiederum durch eine pragmatische Vorstellung des Kongo als Arbeitsplatz und einer bloß nationalen Vorstellung des »Ressourcenfluchs« stabilisiert. Die übergeordnete normative Ordnung der Internationalen enthalte zwei Kernelemente: Eine Sprachlosigkeit über ihre eigene Normativität und eine Art Deonotologie. Diese Deonotologie stehe in enger Verbindung zum Zeitverständnis der Internationalen, das sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft als Handlungshorizont ausblendet.

Vor diesem Hintergrund erwiesen sich, so Koddenbrock, die Überlegungen Chandlers und McFalls zum »Empire in Denial« und zur »therapeutischen Herrschaft« als zu intentional. Darüber hinaus stellten seine Ergebnisse die Stabilität der Machtbeziehungen in Frage, die der Begriff der »therapeutischen Herrschaft« impliziere. Aus diesem Grund führte Koddenbrock den Begriff der »ziellosen Macht« als Begriff für die Macht der Internationalen im Kongo ein.

Vom »Freiheitskämpfer« zum »EZ-Empfänger«?

Katja Mielke vom ZEF Bonn referierte zum Thema: Vom »Freiheitskämpfer« zum »EZ-Empfänger«?– Gedanken zur Objektifizierung der ländlichen Bevölkerung Nordost-Afghanistans im Zuge der Intervention seit 2001.

Der Wandel von Frieden zu Sicherheit als Motivation von Entwicklung(smaßnahmen) und die Art und Weise wie Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft darüber reden, spiegelt eine zunehmende Objektifizierung der Betroffenen wieder. Inwiefern die Depolitisierung und Technisierung von Entwicklung als Praxis wiederum Raum für eine grassroot-Politisierung der objektifizierten Gruppen in den Zielregionen von Entwicklung schafft, ist bislang offen. Allerdings, so argumentierte Katja Mielke, kann die unintendierte Ermächtigung von lokalen Mitarbeitern ausländischer Entwicklungsakteure vor Ort als erster Indikator dafür gewertet werden. Inwiefern finden eigene Bedürfnisse der Objektifizierten – nämlich mit der Adressierung der Frage, um wessen Frieden, Entwicklung und Sicherheit es eigentlich geht – noch Eingang in die Diskussion?

Katja Mielke führte vor dem Hintergrund ihrer Feldforschung in Afghanistan aus, dass es in Afghanistan trotz partizipativer Rhethorik fraglich sei, ob eine Einbeziehung der Bevölkerung in Entwicklungsmaßnahmen stattfinde. Die Masse der Bevölkerung würde durch EZ-Maßnahmen nicht erreicht, weil sie von Mittelsmännern (lokalen Machtakteuren, sog. »Ältesten«) mediatisiert wird. In Auseinandersetzung mit dem Foucaultschen Diskursbegriff stellte sie die Frage, wie es überhaupt möglich sei, die Perspektive der Anderen von außen zu erfassen. Aus ihrer Sicht greife die Charakterisierung der Bevormundung der Anderen zu kurz und sei durch den eigenen Diskurs bestimmt. Die Komplexität werde dadurch erhöht, dass sich der eigene Diskurs wiederum rhetorisch auf den dominanten Diskurs der Entwicklungsakteure einstellt. Ein besseres Verständnis über die Zusammenhänge und Beschaffenheit von Diskursformationen würde ermöglichen, verschiedene Formen der Wirklichkeit und des Wissens zu identifizieren und aufgrund so sichtbar werdender Unterscheidungen der Technisierung und Depolitisierung durch diskursive Annäherungen, also die Beteiligung (inclusion) der afghanischen Bevölkerung am Entwicklungsdiskurs und schließlich in der Entwicklungspraxis entgegen zu wirken.

Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit im Kontext von fragiler Staatlichkeit und militärischen Interventionen

Katrin Radtke von der Deutschen Welthungerhilfe Bonn erläuterte deren Strategie.

In verschiedenen Untersuchungen ist in den vergangenen Jahren nachgewiesen worden, dass im Kontext von Krieg und Gewalt immer mehr Mitarbeiter(innen) von humanitären und entwicklungspolitischen Organisationen Opfer von Anschlägen werden. Obwohl die Zunahme der Gewalt auf einige wenige Regionen beschränkt ist (darunter Afghanistan, Sudan und die Demokratische Republik Kongo) hatte diese Tatsache erheblichen Einfluss auf die Sicherheitsstrategien von NRO. Hatten die meisten Hilfsorganisationen im Rahmen ihrer Sicherheitsstrategien bisher auf die Akzeptanz ihrer Arbeit bei allen Konfliktparteien gesetzt, wird dieser Ansatz zunehmend in Frage gestellt. Immer mehr Organisationen bedienen sich militärischer Strategien, um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten. Unter anderem drückt sich dies in der Einstellung militärisch geschulten Personals und dem Rückgriff auf private Sicherheitsdienstleister aus.

Vor diesem Hintergrund stellte Katrin Radtke den Entwurf für eine Position der Welthungerhilfe zur Arbeit in fragilen Staaten vor. Sie betonte, dass der Akzeptanzansatz nach wie vor zentraler Bestandteil der Strategie der Welthungerhilfe sei. Um Akzeptanz zu erreichen, müssten allerdings zahlreiche Bedingungen erfüllt sein, darunter eine sehr genaue Auseinandersetzung mit dem lokalen Kontext, die Identifizierung und der Kontakt zu allen Konfliktparteien und eine klare Unterscheidbarkeit von anderen (insbesondere militärischen) Akteuren. Seien diese Bedingungen erfüllt, so verfolge die Welthungerhilfe in fragilen Staaten einen dreigliedrigen Ansatz: die Förderung von lokalen Selbsthilfekapazitäten, die Förderung von lokalen Advocacy-Potentialen und die Gewaltprävention.

Kommerzielle Sicherheit: Garant oder Totengräber sozialer Ordnung?

In seinem Vortrag stellte Marc von Boemcken von Bonner Konversionscentrum die These auf, dass mit der Reduktion von Sicherheit auf ihren technischen Charakter einer fortschreitenden Kommerzialisierung von Sicherheitsproduktion der Weg geebnet werde. In vielen Entwicklungsländern werde Sicherheit nicht mehr als kollektives Gut bereitgestellt, sondern von kommerziellen Netzwerken als Ware gehandelt und folge damit eher einer Markt- als einer Redistributionslogik. Welchen Einfluss hat diese Praxis auf das Verhältnis von Sicherheit und Entwicklung? Kann kommerzielle Sicherheit überhaupt als Wegbereiter oder sogar Vorbedingung von Entwicklung gesehen werden? Inwiefern unterminiert diese Praxis sogar Entwicklungsanstrengungen?

Marc von Boemcken argumentierte vor diesem Hintergrund, dass kommerzielle Sicherheitsordnungen dazu neigen, Sicherheit als ein exkludierendes und rivalisierendes Gut bereitzustellen. Dies würde auch durch typische bauliche Maßnahmen kommerzialisierter Sicherheitstechnik sichergestellt und symbolisiert, also etwa durch Zäune und Mauern, die In- und Exklusion von Sicherheit herstellen. Insofern Menschen systematisch von Sicherheitsleistungen ausgeschlossen werden, wird der Gesellschaftskörper nachhaltig fragmentiert. Dies gehe häufig auf Kosten eher holistischer, entwicklungsorientierter und explizit politischer Lösungsansätze. Gleichzeitig könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass unter bestimmten Bedingungen kommerzielle Sicherheitsakteure auch einen konstruktiven Beitrag zur Bereitstellung öffentlicher Sicherheit leisten können. So seien kommerzielle Dienstleistungen häufig in größere Sicherheitsnetzwerke eingebunden, und könnten insofern auch komplementär wirken. Auch unintendierte Inklusion durch Entlastungseffekte – etwa wenn Nachbarschaften von der Sicherheitsbestellung Einzelner mitprofitieren – seien potentiell beobachtbar. Problematisch, so Boemcken, ist jedoch etwa die Verschlechterung der Sicherheitslage für marginalisierte Schichten, wie dies etwa durch »Crime displacement« aus wohlhabenderen in ärmere Stadtviertel geschehen könne. Insgesamt seien die konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen eher unterschiedlich.

Coercive Security Governance. Der Fall des »Nationalkongresses zur Verteidigung des Volkes« (CNDP) in Nord Kivu (DR Kongo)

Sylvia Sergiou, FU Berlin, beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit alternativen Sicherheitssystemen. Insbesondere im Osten der Demokratischen Republik Kongo sei das staatliche Gewaltmonopol noch immer stark begrenzt. Verschiedene bewaffnete Gruppen forderten den Staat gewaltsam heraus und sorgten für ein hohes Unsicherheitsniveau. Die Rebellengruppe »Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes« (CNDP), angeführt durch den Dissidenten General Laurent Nkunda, formulierte entsprechend als eines ihrer Ziele die Herstellung von Sicherheit für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, die ruandischsprachige Bevölkerung in den beiden Kivu-Provinzen. In den Gebieten unter Kontrolle der CNDP (Masisi und Teile von Rutshuru Distrikt) werde Sicherheit für diese Gruppe erreicht, wovon jedoch auch andere Bevölkerungsteile in diesen Regionen profitierten. Erreicht werde dies durch ein Ordnungssystem, dass darauf abhebe, die Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen organisatorisch zu durchdringen. So wurden etwa lokale staatliche Beamte kooptiert und bestehende Systeme der Sicherheitsregulation wie die traditionelle Gerichtsbarkeit und das »Zehn-Häuser«-System rekonstruiert. Insgesamt beließ es die CNDP aber bei geringen Eingriffen in das alltägliche gesellschaftliche Leben und konzentrierte sich stark auf die Herstellung von äußerer Sicherheit gegenüber verfeindeten bewaffneten Formationen. Vor diesem Hintergrund hob Sylvia Sergiou hervor, dass zerfallene Staatlichkeit nicht gleich zu setzen ist mit Ordnungslosigkeit und Unsicherheit. Es gebe Sicherheit jenseits des Staates und diese sei im Falle des Ostkongos effektiver als staatliche Sicherheit.

Anmerkung

1) Duffield, Mark (2007): Development, Security and Unending War: Governing the World of Peoples, Cambridge: Polity Press, S. viii.

Katrin Radtke

Zeichen gegen den Krieg

Zeichen gegen den Krieg

Kritische Friedensforschung

von Ueli Mäder

Kriege sind leider aktuell und beständig. Aktuell, weil weltweit Kriege unzählige Menschen bedrohen; beständig, weil sich die Geschichte auch als eine Abfolge von Kriegen lesen lässt. Das bewog die Schweizerische Gesellschaft für Soziologie (SGS) dazu, ihren internationalen Kongress vom September 2007 an der Universität Basel ausschliesslich dem Thema Krieg zu widmen. Aus diesem Kongress gehen mehrere Publikationen und weitere Aktivitäten hervor. Sie sind ein kleines intellektuelles Zeichen gegen den Krieg und werfen die Frage nach weiteren Perspektiven auf.

Kriege haben viele Facetten, nationalistische, ideologische, politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle, ökologische. Kriege haben auch etwas mit der Knappheit und der Privatisierung wichtiger Ressourcen zu tun. Sie entzünden sich beispielsweise im Kampf um das Öl oder um das Wasser. Zu den vielfältigen Ursachen (und Folgen) von Kriegen gehören auch zahlreiche weitere Aspekte. Sie reichen von der forcierten Migration bis zur heroisierten Männlichkeit. Kriege sind komplex und lassen sich auf kein simples Machtkalkül reduzieren. Sie sind, in der soziologischen Tradition von Marcel Mauss formuliert, ein totales soziales Phänomen. Und so einigte sich der SGS-Vorstand anno 2006 darauf, den Krieg aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Der Entscheid fiel trotz der Einschätzung, dass das Thema weniger Interessierte ansprechen dürfte als etwa die Identität in der Postmoderne. Kriege seien zwar brisant, lautete ein Einwand, aber für die Wissenschaft nicht so relevant. Vierhundert Intellektuelle kamen dann gleichwohl an die Universität Basel. Das Programm bestand aus hundert Vorträgen und zahlreichen Workshops. Dabei interessierten vor allem drei Fragekomplexe. Erstens, welche Konfliktherde und Kriegsursachen am Anfang des 21. Jahrhunderts im Vordergrund stehen. Zweitens, welche (vielleicht ähnlichen) Erklärungsmuster sich bei der Vielzahl neuer Kriege (Bürger- und Umweltkriege, Staatszerfall, Terror) feststellen lassen. Und drittens, wie die Sicherheitspolitik auf die veränderten Problemlagen reagiert bzw. reagieren könnte. Die inhaltliche Palette war also relativ breit. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf vier Gesichtspunkte, die auch für die Frage bedeutend sind, wie sich Intellektuelle zum Krieg verhalten (könnten). Es geht dabei erstens um die sozialwissenschaftliche Tradition der Kriegsforschung, zweitens um ideologische Annahmen, drittens um mediale Diskurse und viertens um weiter führende Perspektiven der Konfliktforschung.

Tradition der Kriegsforschung

Wenn Du Frieden willst, so rüste zum Krieg. Mit diesen provokativen Worten eröffnete Christoph Maeder, der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie (SGS), den Kongress. Der bekannte Ausspruch schien sich zumindest während des Kalten Krieges zu bewahrheiten. Aufrüstung und Drohgebärden kennzeichneten das Verhalten der zivilisierten Blöcke. Kriege hinterließen aber auch in dieser Zeit viel Verheerung, Elend und Tote. Die blutige Spur führte von Vietnam und den schwelenden Konflikten in Südamerika über die Bürgerkriege in Nordirland und im Baskenland bis zu den militärisch geführten Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Ethnisch begründete Vertreibungen und Hegemonieansprüche im Balkan reaktivierten den Krieg ebenfalls in Europa. Die traurigen Ereignisse trübten die Gewissheit von einer friedlichen Welt. Und mit dem weltweiten Terrorismus kam ein neuer Feind auf. Er ersetzte der medial omnipräsenten Militärmaschinerie die ideologischen Gegensätze des Kalten Krieges, nach dessen Ende sich die Rüstungsausgaben nur vorübergehend senkten. Heute sind sie höher denn je. Und der Krieg gegen den Terrorismus hat mehr Tote zur Folge, als der Terrorismus selbst. Somit erweisen sich grosse Hoffnungen auf das staatliche Gewaltmonopol und internationale Vereinbarungen als trügerisch. Realistisch scheint hingegen die Vorstellung zu sein, mit Aufrüstung und präventiven Verteidigungskriegen den Frieden sichern zu können. Diese Illusion zeugt wohl von einer verkehrten Welt. Sie ist aber verbreitet und fordert die Friedensbewegung heraus. Ebenso alle Intellektuellen, die nicht nur schön reden und schreiben wollen, sondern auch willens sind, die aktuellen Geschehen kritisch zu analysieren und zu hinterfragen.

Der Krieg gilt laut Kurt Imhof, dem Vizepräsidenten der SGS, als Vater der Sozialwissenschaften. Thomas Hobbes fragte bereits, was eine friedliche soziale Ordnung angesichts egoistisch handelnder Naturrechtssubjekte religiös erweckter Glaubenskämpfer möglich macht. Diese Grundfragen der Sozialwissenschaften beschäftigten ihn aufgrund der Grausamkeiten religiöser Bürgerkriege. Die Kriegstreibenden wollten das Beste und brachten das Schlimmste hervor. Der Mensch erwies sich als Wolf. Hobbes postulierte deshalb den Leviathan als Herrscher und legitimierte so den Absolutismus. Die religiösen Überzeugungen verwies er auf das private Gewissen. Seine Auffassungen sind auch heute aktuell. Auch der Kampf um Werte hat wieder Auftrieb erhalten. Der Bürgerkrieg ist zurückgekehrt, obwohl man ihn schon für Geschichte hielt. Und mit dem Bürgerkrieg zieht der alte Leviathan neu legitimiert in die Moderne: Die friedenserzwingenden Interventionen von westlichen Zentrumsländern dokumentieren und reproduzieren ihn. Sie bekämpfen die so genannte »Achse des Bösen« und befördern den Krieg in Somalia, Afghanistan, im Irak und im Nahen Osten. Der Krieg gegen den Terrorismus ist weltweit präsent. Er bestimmt die Sicherheitspolitik der Nationalstaaten und unterläuft wichtige Grundlagen der Moderne. Fragen des Glaubens und Sinnentwürfe gelten als Privatangelegenheiten. Sie sind aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Krieg beginnt nach dieser Überzeugung, wenn gemeinschaftlich verbundene Individuen die Gesellschaft in ihrem Sinne umgestalten wollen. Das führt zu ethnischer Säuberung, zu Vertreibung und auch zum Genozid. Der Mechanismus ist am Anfang des 21. Jahrhunderts so modern wie zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Es gilt, ihn weiter zu analysieren und sich dem Krieg und der dunklen Seite der sozialen Ordnung zu stellen. Dazu gehört auch, was Intellektuelle besonders interessieren sollte, nämlich die kritische Auseinandersetzung mit verfänglichen ideologischen Grundlagen. Konkrete Hinweise vermittelt der Diskurswandel in der Schweiz.

Totale Verteidigungsgesellschaft

Laut dem Sicherheitsbericht 2007 der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich halten heute nur noch 61% der Befragten die Schweizer Armee für sehr oder zumindest für eher notwendig. Die Armee ist keine Selbstverständlichkeit mehr, wie Karl Haltiner, der Hauptautor der Studie, folgert. Die Armee steht offenbar nicht mehr im Zentrum der Gesellschaft. Aber vielleicht trügt der Schein, wie der Historiker Bernard Degen im Rahmen des Soziologiekongresses fragte. In seiner Botschaft gegen die Armee-Abschaffungsinitiative hielt der Bundesrat jedenfalls noch im Frühling 1988 fest: Das Wort, die Schweiz habe keine Armee, sie sei eine Armee, beschreibe eine Realität, die im Ausland immer wieder Bewunderung hervorrufe. In der Praxis ließen sich der autoritäre Charakter der Armee und der partizipative Charakter des politischen Systems nie klar trennen. Um die militärische Denkweise zu stärken, entstand sogar Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre die sogenannte Konzeption der Gesamtverteidigung. Sie zeigt, wie tief die Vorstellungen zur Landesverteidigung im Denken des Zweiten Weltkrieges verhaftet blieben. So motiviert und rückwärts orientiert reagierte die Gesamtverteidigung auf soziale Utopien einer besseren Gesellschaft. Karl Schmid, Professor für deutsche Literatur an der ETH schrieb schon 1960: „Wir sind im totalen Krieg, alle, auch die Neutralen. Der Umstand, dass er nur gelegentlich, an kleinen Fronten und fast verschämt, auch militärisch aufflackert, ist kein Indiz, dass Friede wäre; das jeweils rasche und gerade vom Osten her beflissene Ersticken der verräterischen Flamme hat vornehmlich den Sinn, uns in den Glauben einzulullen, es sei nicht Krieg, sondern wirklich Friede.“ Schmid zog daraus den Schluss: „Der totale Krieg verlangt ein totales militärisches Denken. Total ist es, indem es keine der aussermilitärischen Fronten auslässt, weder die wirtschaftliche noch die psychologische.“ Also galt es, dem totalen Krieg die totale Landesverteidigung entgegen zu halten.

Im Dezember 1964 liess der Bundesrat dann den abtretenden Generalstabschef Jakob Annasohn prüfen, wie sich eine wirksame Koordination aller Teile der totalen Landesverteidigung herbeiführen liesse. Annasohn argumentierte zwei Jahre später in seiner Studie, das Auftreten von Massenvernichtungsmitteln führe im totalen Krieg zum Ausweichen der Konfliktaustragung auf die politische, wirtschaftliche, psychologische, elektronische und subversive Ebene. Der totale Krieg umfasse nicht nur die Armee, sondern das ganze Land, seine ganze Wirtschaft und vor allem die Zivilbevölkerung in ihrer Gesamtheit. Die Gesamtverteidigung müsse sich daher nebst der militärischen Landesverteidigung vor allem auch auf die politische und zivile Verteidigung konzentrieren. Dazu gehörten die Aussenpolitik, der Staatsschutz, die psychologische Landesverteidigung, das Informationswesens, der Zivilschutz, die wirtschaftliche Landesverteidigung, die soziale Sicherung, der Kulturgüterschutz sowie zentrale Verwaltungsaufgaben. Als konkrete Massnahme führte Bernard Degen das Zivilverteidigungsbuch an, das Oberst Albert Bachmann und Georges Grosjean, von prominenten Professoren unterstützt, verfassten. Im Impressum des Handbuches finden sich auch renommierte Personen der Sozialdemokratie sowie die Präsidenten des Schweizerischen Schriftsteller-Verbandes und des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Sämtliche Haushalte erhielten das Buch zugestellt, das darüber aufklärte, dass der Krieg bloss in der äusseren Form eines Friedenszustandes getarnt sei. Wachsam gelte es jene Intellektuelle und künstlerisch Schaffenden ins Visier zu nehmen, welche die Wehrkraft schwächen. So wurde denn auch die Personenüberwachung massiv ausgebaut. Das brachte im Jahr 1989 die Fichen-Affäre ans Licht. Dabei handelte es sich um eine prophylaktische Bespitzelung von Tausenden unbescholtener Bürgerinnen und Bürger, die im Verdacht standen, sich gesellschaftskritisch zu engagieren. Die Bundespolizei legte weit über die Hälfte der personenbezogenen Karteikarten zwischen 1966 und 1985 an. Zum Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik von 1973, der diesem Geist entsprach, gab es im Nationalrat nur fünf Gegenstimmen. Der Bericht zielte erfolgreich darauf ab, den Zivilschutz auszubauen, die Aufgaben auf Natur- und industrielle Katastrophen zu erweitern und die Frauen mehr in Verteidigungsaufgaben zu integrieren. Als Beispiel neuer Bedrohung diente auch die so genannte Überfremdung, die (in den 1960er Jahren noch von Gewerkschaften und) ab den 1970er Jahren vor allem von rechtspolitischen Kreisen angeprangert wurde.

Hitzige Debatten löste dann in den 1980er Jahren die »Initiative für eine Schweiz ohne Armee« aus. Die Provokation schien zunächst als Plebiszit für die Armee zu wirken, erhielt aber im November 1989 viel mehr Zustimmung als weithin erwartet. Nachhaltig wirkten laut Bernard Degen auch die Aufarbeitung der zwiespältigen schweizerischen Neutralitätspolitik (während des Zweiten Weltkrieges) und die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft. Die Transparenz über Zugeständnisse an das Naziregime schuf Distanz zur militärischen und politischen Elite. Im Zivilleben verdrängten zudem Werte wie individuelle Entfaltung, Autonomie und Mitbestimmung den militärischen Disziplinbegriff. Auch renommierte Ökonominnen und Ökonomen stellten den verschwenderischen Einsatz menschlicher Arbeitskraft in Armee und Zivilschutz zunehmend infrage. Forderungen nach wirtschaftlicher Effizienz und Flexibilität kontrastierten die bürokratisierte Gesamtverteidigung. So hob dann Ende 1998 der Schweizerische Bundesrat die Zentralstelle für Gesamtverteidigung auf. Die Schweiz sollte sich nun mehr der Friedensförderung widmen und sich dabei auch mit neuen Kommunikationstechnologien auseinander setzen. Diese lassen sich nämlich nicht nur für den Krieg nutzen, sondern auch für das (intellektuelle) Engagement gegen den Krieg, das in der Schweiz mit dazu beigetragen hat, die Rüstungsausgaben stark zu senken. Weiter ist nun etwa zu analysieren, wie sich militärisches Denken in neuen Formen sozialer Anpassung und Disziplinierung manifestiert. Das ist – gerade für Intellektuelle – eine überaus wichtige und interessante Herausforderung.

Medien und Krieg

Mit dem zentralen Thema Medien und Krieg setzten sich während des Schweizer Soziologiekongresses mehrere Beiträge auseinander. Als Referent wirkte auch Jörg Becker vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Marburg mit. Er publizierte mit Mira Beham (2006) zusammen eine Studie »Operation Balkan«, die sich mit der Werbung für Krieg und Tod befasst. Andreas Platthaus würdigte sie als Beleg dafür, wie Medienbeeinflussung im Krieg und gekaufte Propaganda zum Tragen kommen.1 So waren die medialen Sympathien in den Balkankriegen der 1990er Jahre im damaligen Westeuropa bald geklärt. Häufige Vergleiche der serbischen Kriegführung mit der nationalsozialistischen Judenvernichtung deuten darauf hin. Sie erhöhten die Akzeptanz des Nato-Einsatzes auf dem Balkan.

Bereits zu Beginn der Kämpfe in Bosnien-Herzegovina (1992) brachte die amerikanische Werbeagentur Ruder Finn (im Auftrag des unabhängig gewordenen Kroatien und der seinerzeit noch nicht autonomen Republik Kosova) die Fotos aus Gefangenenlagern in Bosnien in Zusammenhang mit deutschen Konzentrationslagern. „In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen“, stellte Agenturchef James Harff 1993 fest. Die emotionale Aufladung veränderte auch den Sprachgebrauch in den Medien. Zwischen 1991 bis 1993 erhielt Ruder Finn von Kroatien über 200.000 Dollar Honorar. Becker zeigt am Beispiel der westlichen Medienberichterstattung über die Balkankriege der 1990er Jahre, wie viele Medien ihre Aufgabe vernachlässigen, unabhängig zu berichten. Dazu tragen laut Becker auch zu Helden verklärte Nichtregierungsorganisationen bei, die ihre ideologischen Vorstellungen als volonté general kaschieren. Becker plädiert für eine Pflicht, politische Propagandaaufträge offen zu legen.

Beim Kongress referierte auch Johan Galtung über Medien und Krieg. Er bezeichnete die Medien als vielleicht mächtigstes Hilfsmittel, um künftige Konflikte zu lösen und Kriege zu vermeiden. Galtung postulierte einen Friedensjournalismus, der sich dem Kriegs- bzw. Gewaltjournalismus widersetzt. Medien können laut Galtung Frieden schaffen. Entscheidend ist, wie über Konflikte berichtet wird. Galtung, der auch Träger des alternativen Friedensnobelpreises ist, kritisierte gängige Kriegsberichte dafür, sich vornehmlich für glorifizierte technologische Aspekte und dafür zu interessieren, „ob die Truppen gut in Form sind und ob es Sturm gibt oder Sonnenschein“. Reportagen über den Krieg ähneln laut Galtung oft jenen über ein Fußballspiel. Die Berichte reduzieren Konflikte auf Parteien, die ihre Kräfte messen. Es geht um Sieg oder Niederlage. Hintergründe kommen zu kurz. Kriege erscheinen als natürliches Schicksal. Der Friedensjournalismus fragt indes, was den Konflikt verursacht und was hilfreich sein könnte. Der Friedensjournalismus spürt jenen nach, die sich, wie Waffenhändler, im Hintergrund aufhalten und vom Krieg profitieren. Der Friedensjournalismus kümmert sich um die Opfer des Krieges. Er zeigt, wer wie betroffen ist, und skizziert auch alternative Szenarien. Kritische Medienanalysen sind konkrete Möglichkeiten für Intellektuelle, sich gegen den Krieg und gegen das militärische Denken zu engagieren.

Kritische Friedensforschung

Ältere Ansätze der Konfliktforschung, wie sie etwa Johan Galtung oder Dieter Senghaas vertreten, betonen strukturelle Ursachen der Gewalt. Neuere Ansätze konzentrieren sich mehr darauf, Konfliktdynamiken zu dekonstruieren. Beim SGS-Kongress kritisierte der Kasseler Soziologe Werner Ruf, wie sich Teile der Friedensbewegung entpolitisieren. Sabine Fischer und Astrid Sahm (2005, S.49-73) beschreiben Veränderungen der normativen Grundlagen der Konfliktforschung. Nach ihrer Analyse tritt die Existenz normativer Grundlagen bei der jüngeren, systemtheoretisch orientierten Generation bei weitem nicht so explizit hervor wie bei der älteren Generation der Kritischen Friedensforschung. Während die ältere Generation vor allem für eine inhaltliche Ausgestaltung des Friedens eintritt, richtet die jüngere Generation ihre Aufmerksamkeit von diesem (als zu utopisch empfundenen) Ziel weg auf mehr pragmatische Aspekte der Gewalt. Sie entfernt sich dabei von einem Friedensbegriff im Sinne der Abwesenheit von (struktureller) Gewalt und von einer Verteilungsgerechtigkeit, die normativ aufgeladen sei. Zur Begründung dient oft ein radikal konstruktivistischer Ansatz, der den Relativismus stark betont. Während die Kritische Friedensforschung konkrete Wege der Veränderung aufzeigen will, tendiert der radikal konstruktivistische Ansatz dazu, diverse Akteure zu befähigen, sich aufgrund der Einsicht in die Bedingtheit der eigenen und fremden Wahrnehmungssysteme von festgefahrenen Positionen zu lösen (und damit auch kompromissfähiger zu werden).

Die Kritik der Kritischen Konfliktforschung versucht, die Begriffe zu dekonstruieren (und auch von emanzipatorischen Inhalten zu lösen). Sie interessiert sich mehr für die Dynamik der Konflikte, denn für die Ursachenforschung. Strömungen der neuen Konfliktforschung wollen möglichst politisch abstinent sein und sich Werten enthalten. Sie fokussieren die personale und situative Gewalt. Damit erhöht sich die Gefahr, dass herrschaftliche Strukturen und auch das soziale Engagement aus dem Blick geraten, das laut Pierre Bourdieu (1997, S.779-823) kein Widerspruch zum wissenschaftlichen Arbeiten und zur Reflexivität zu sein braucht. Das Besondere eines Standpunktes besteht darin, ein Standpunkt in Bezug auf einen andern Standpunkt zu sein. Er erlaubt den Forschenden, den eigenen sozialen und intellektuellen Standpunkt im Forschungsfeld kritisch zu überprüfen. Ein sozial-reflexiver Konstruktivismus berücksichtigt diese Prägung, ohne sich damit radikal-konstruktivistisch von einer Praxis zu verabschieden, die permanent zu verändern ist.

Der SGS-Kongress zum Thema Krieg versuchte, Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen. Etliche Teilnehmende bezeichneten dieses Vorhaben, das eigentlich selbstverständlich sein müsste, als mutig. Einzelne Beiträge erschienen als Buch (Maeder 2009) und als Sonderausgabe der Schweizerischen Zeitschrift für Soziologie (Bergman 2009). Das Institut für Soziologie der Universität Basel initiierte in Kooperation mit dem Departement Gesellschaftswissenschaften und Philosophie ferner ein Zentrum für Konfliktanalysen. Lehrangebote sind bereits im Bachelor- und Masterprogramm integriert. Zudem bietet das Institut für Soziologie seit 2007 ein Nachdiplomstudium in Konfliktanalysen und Konfliktbewältigung an. Der vierte Jahreskurs fängt im April 2010 an. Im Jahr 2010 beginnen an der Universität Basel zudem ein Weiterbildungsmaster der Peace Academy und ein Transcend-Seminar.2 Das sind kleine Zeichen gegen den Krieg. Weitere müssen folgen. Aber von wem? „Bleiben also noch die Intellektuellen, deren Schweigen allgemein beklagt wird, obwohl manche von ihnen pausenlos und oft zu früh das Wort ergreifen“, schreibt Pierre Bourdieu (1997, S.823). Und weiter: „Sie sagen Dinge, die keiner hören will und dies noch dazu in einer Sprache, die man nicht versteht.“ Das ist leider nicht ganz falsch. Aber Intellektuelle sollten lernfähig sein und sich über fundierte Analysen hinaus so – anschaulich, differenziert, der Wahrheit verpflichtet und transparent normativ – gegen den Krieg engagieren, dass sie Aufmerksamkeit erlangen und verstanden werden.

Literatur

Becker, Jörg & Beham, Mira (2006): Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod. Baden-Baden: Nomos Verlag.

Bergman, Max & Imbusch, Peter & Mäder, Ueli & Nollert, Michael (2009): Neue Kriege. Sonderausgabe der Schweizeischen Zeitschrift für Soziologie, Heft 2, Zürich: Seismo Verlag.

Bourdieu, Pierre (1997): Das Elend der Welt. Konstanz: UVK-Verlag.

Jahn, Egbert & Fischer, Sabine & Sahm, Astrid (2005): Die Zukunft des Friedens. Bd. 2, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Maeder, Christoph & Mäder, Ueli & Schilliger, Sarah (2009): Krieg. Zürich: Seismo Verlag.

Anmerkungen

1) Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 54, 5. März 2007, S.37.

2) Alle Angebote finden sich unter: www.postgraduate-basel.ch

Ueli Mäder ist hauptamtlicher Ordinarius für Soziologie an der Universität Basel und Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit. Er leitet das Nachdiplomstudium Konfliktanalysen und Konfliktbewältigung.