Frieden lernen!

Frieden lernen!

Tagung zur Friedensbildung, 15.-17. Oktober 2015, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

von Melanie Hussak

Die Friedenspädagogik führt trotz gelegentlicher Aufmerksamkeitsschübe eher ein Schattendasein innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung. Drei Tage lang diskutierten in Koblenz daher Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis auf der von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderten Tagung »Frieden lernen! Perspektiven einer Friedensbildung im 21. Jahrhundert« über das Potential einer zeitgemäßen Friedenspädagogik. Die von der Friedensakademie Rheinland-Pfalz und dem Projekt »Friedensbildung, Bundeswehr und Schule« ausgerichtete Tagung sollte insbesondere einen wechselseitigen Wissenstransfer und Dialog zwischen Theorie, Praxis und Gesellschaft ermöglichen. Dazu wurden gezielt Akteure aus diesen unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Berufsfeldern zusammengebracht. Dementsprechend wurde die Tagung als dreiteilige Veranstaltung konzipiert.

Ziel der Konferenz war, sowohl für die akademische Beschäftigung mit friedenspädagogischen Fragestellungen als auch für die Auseinandersetzung mit Praktiken von Friedensbildung bzw. Friedenserziehung neue Anregungen zu geben. Daneben diente sie als interdisziplinäres Forum für strukturelle Fragen. Insbesondere für die Bereiche Lehrerausbildung und -fortbildung sowie für die Praxis einer zivilgesellschaftlichen ebenso wie universitär institutionalisierten Friedensbildung sollten neue Ideen entwickelt und für eine breite Öffentlichkeit transparent aufbereitet werden.

Neben der Beleuchtung gegenwärtiger Entwicklungen und bisheriger Erfolge aus Wissenschaft und Praxis bot die Konferenz also die Gelegenheit, strukturelle und konzeptionelle Zukunftsprojekte perspektivisch zu entwerfen und konkrete Schritte einzuleiten, aber auch Forschungsdesiderata der Friedenspädagogik zu diskutieren. Die Tagung thematisierte die notwendigen Bedingungen und Möglichkeiten zur Förderung von Qualitätsstandards und der weiteren Entwicklung von qualifizierten Ausbildungs- und Weiterbildungsangeboten. Im Folgenden sollen die drei thematischen Blöcke der Tagung kurz umrissen werden.

Im wissenschaftlichen Teil fokussierte die Tagung zum einen auf die Frage, ob und wie sich die Begrifflichkeiten und konzeptionellen Vorstellungen von Friedenspädagogik, Friedenserziehung und Friedensbildung voneinander unterscheiden. Zum anderen beschäftigten sich die Konferenzbeiträge damit, wie sich Konturen und Herausforderungen einer zeitgemäßen Friedensbildung des 21. Jahrhunderts skizzieren lassen. Der Schwerpunkt der Beiträge lag auf Methoden und (Fach-) Didaktiken zur Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten. Hier wurde insbesondere der Nutzen eines interdisziplinären Austausches benannt. Neuere Entwicklungen gibt es etwa in den Feldern der Neuropsychologie und Neurobiologie. In diesen Disziplinen angelegte Forschungsprogramme beschäftigten sich aktuell stark mit der Empathieforschung. Das Wissen um emotionale Lernprozesse kann zur Förderung der Entwicklung eigenständiger und handlungsfähiger Persönlichkeiten genutzt werden und findet so Anschluss an die Friedenspädagogik. Zahlreiche Studien bestätigten schon lange den Zusammenhang von Empathiefähigkeit, emotionaler Zuwendung und der Fähigkeit zum gewaltfreien Konfliktaustrag. Einmal mehr wurde an dieser Stelle deutlich, wie wichtig eine theoretische Fundierung für die Friedenspädagogik ist.

Die Breite der Methodenvielfalt in der angewandten schulischen und außerschulischen Friedenspädagogik wurde im Praxisteil der Tagung deutlich. In vier unterschiedlichen Praxisworkshops am dritten Tag der Veranstaltung konnten die Teilnehmenden selbst Erfahrungen aus neueren Projekten der Friedensbildung nachvollziehen. Der Austausch und die Reflexion über Methoden der Friedenspädagogik im Rahmen der Praxisworkshops sollten zudem einen Transfer in die eigene Friedensarbeit und friedenspädagogische Praxis erleichtern. Die Workshops boten einen Überblick über verschiedene Trainingsansätze, eine Einführung in das Lernspiel »Civil Powker« sowie ein tanzpädagogisch unterstütztes Konflikttraining.

Eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Lehrergewerkschaft, Lehrerfortbildung, einem Friedenskreis und der Kirche widmete sich der Verankerung von Friedenspädagogik an Schulen, etwa durch die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften. Hier wurde deutlich, dass sowohl direkte personelle als auch strukturelle Aspekte der Friedensbildung in Schulen zusammen in den Blick genommen werden müssen.

Die Tagung bildete den Abschluss des 2011 gestarteten Projekts »Friedenbildung, Bundeswehr und Schule«, einem Kooperationsprojekt der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden und der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden. Das Projekt soll nun in eine bundesweite Zusammenarbeit und Vernetzung im Rahmen des neu zu gründenden »Bundesweiten Netzwerks Friedensbildung« münden. Getragen werden soll das Netzwerk von den Landesnetzwerken der Friedensbildung und von bundesweiten Organisationen, die der Friedensbildung nahe stehen. Auf der Tagung wurde ein erster Entwurf des Gründungspapiers vorgestellt. Ein Initiativkreis begleitet die Entwicklung weiter und wird im nächsten Herbst ein größeres Treffen zur Gründung des Netzwerks vorbereiten.

Aufgrund der aktuellen Ereignisse wurde während der Veranstaltung zudem das Potential der Friedenspädagogik bei der Integration von Flüchtlingen beleuchtet. Die Flüchtlingsfrage stellt aus friedenspädagogischer Sicht eine große Lern- und Entwicklungsmöglichkeit dar. Friedenspädagogische Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte und die vielfältigen schulischen und außerschulischen Trainings- und Ausbildungsprogramme im Bereich der Friedensbildung sind eine wichtige Ressource für den konstruktiven Umgang mit der Flüchtlingskrise, so der Tenor der Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis. Dies reicht von Kenntnissen der altersadäquaten Aufbereitung von Unterrichtseinheiten zu den Themen Krieg, Flucht und Asyl bis hin zur Schulung von Lehrpersonen und MultiplikatorInnen zum Thema Traumatisierung.

Das Tagungsprogramm und der offizielle Tagungsbericht finden sich unter uni-ko-ld.de/frieden-lernen.

Melanie Hussak

Cyberwar & Cyberpeace

Cyberwar & Cyberpeace

Internationaler Pugwash-Workshop, 23.-24. Oktober 2015, Berlin

von Dietrich Meyer-Ebrecht, Ingo Ruhmann und Thomas Reinhold

Militärische Aktivitäten können heute wohl nirgendwo mehr auf der Welt unbeobachtet ablaufen – außer im Cyberspace. Das klingt paradox, dient doch der Cyberspace als übermächtiges Instrument für eine Ausspähung bis in den letzten Winkel der Erde. Dennoch, mit den nötigen Kenntnissen und Mitteln ausgestattet können zumindest Inseln im Informationsraum weitgehend vor Beobachtung geschützt werden. Hier können Waffen entwickelt, produziert und »stationiert« werden, ohne physikalischen Raum zu benötigen; hier können Waffen getestet und zum Einsatz vorbereitet werden, ohne physikalische Spuren zu hinterlassen, und ihre digitalen Spuren können verschleiert oder sogar ausgelöscht werden.

Mit seinem überlegenen Potential zur Geheimhaltung ist der Cyberspace bereits seit langem als fünfter Operationsraum – neben Land, Luft, See und Weltraum – in die militärischen Strategien fest eingebunden. In der Zivilgesellschaft sind Kenntnisse über militärische Aktivitäten im Cyberspace jedoch eher vage, trotz der snowdenschen Enthüllungen. Das ist nicht nur der Geheimhaltung zuzurechnen. Die abstrakte Natur der Materie bringt es mit sich, dass das öffentliche Interesse wenig ausgeprägt ist. Entsprechend schwierig ist es auch, die Auswirkungen militärischer Cyberoperationen abzuschätzen. Unklar ist zudem die völkerrechtliche Einschätzung. Über reale Risiken hinaus ist es die Summe dieser Unsicherheiten, die bedrohlich wirkt.

In dieser Situation ist es umso wichtiger, dass das Thema »Cyberwar« zunehmend in wissenschaftlichen Veranstaltungen aufgegriffen wird, so auch beim diesjährigen Treffen der Deutschen Pugwash-Gruppe in Berlin. Die deutsche Pugwash-Gruppe wurde im Zusammenhang mit der Gründung der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) bereits im Jahre 1959 ins Leben gerufen, zwei Jahre nach der ersten Pugwash Conference on Science and World Affairs. Mit dem diesjährigen Workshop »Cyberwar & Cyberpeace: Sind neue Regeln im Cyberspace möglich?« setzte die Gruppe eine Veranstaltungsreihe zu Cyberthemen fort, die von den europäischen Pugwash-Gruppen im Sommer 2013 in den Niederlanden initiiert wurde. Ziel des Workshops war es, die mit der Thematik befassten nationalen und internationalen Gemeinschaften von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen und einen Beitrag dazu zu leisten, dass sowohl in Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Komplexität der Sachzusammenhänge entsteht.

Das Programm spiegelte die Vielfalt der Thematik wider. Eröffnet wurde es mit Vorträgen über die technischen Aspekte gegenwärtiger Cyberangriffe, über Konsequenzen für die globale digitale Infrastruktur und über Möglichkeiten für Gegenmaßnahmen und Verteidigung. Hier wurde auch speziell nach den Aufgaben der Regierungen und der Rolle der Europäischen Union gefragt. Dass der Cyberspace als neuer politischer Raum verstanden werden muss, dessen Gestaltung neue juristische und friedenspolitische Fragen aufwirft, machten Vorträge zur juristischen Situation deutlich, die sich mit der Anwendbarkeit internationalen Rechts im Cyberspace, mit der Bedeutung des Tallinn-Manuals und mit den Herausforderungen der NSA-Affäre für das nationale und internationale Recht befassten. In zwei Vorträgen wurde analysiert, wie effektiv internationale Bemühungen zur Gewährleistung der Sicherheit in den globalen digitalen Netzen sein können. Eine Panelsitzung befasste sich mit Forderungen an Verwaltung, Politik und Wirtschaft, speziell bezüglich der Sicherheitsbelange, auch im Hinblick auf humanitäre Fragen.

Ein für Cyberangriffe spezifischer Aspekt sind die Folgen der Schwierigkeiten einer Attribution. Dass die Herkunft von Angriffen und die Identifikation eines Angreifers ein Problem ist, hat auf politischer und strategischer Ebene die Folge, dass es ohne klare Attribution auch keinen eindeutigen Gegner gibt und damit auch keine politische Möglichkeit der Abschreckung oder Begrenzung. Aus Sicht der Diplomatie gibt es damit keine Möglichkeit zwischenstaatlicher Abkommen, sondern allein die Option einer weiteren Aufrüstung.

In der Plenarsession »Military Options and Arms Control for the Cybersphere« wurden systematisch die für bisherige Rüstungskontroll-Vereinbarungen entwickelten Denkweisen, Ziele und Umsetzungsmaßnahmen betrachtet, und es wurde versucht, diese auf den Cyberspace zu übertragen. Diese Sichtweise erlaubt neue Schlussfolgerungen für die Arbeit zur Begrenzung der Rüstung im Cyberspace. So ist die bei Atomwaffen mögliche Option auf Nicht-Verteidigungsfähigkeit in der Informatik keine Option, da IT-Sicherheit (die vielfach ohnehin lückenhaft ist) gegen vielerlei Gefährdungen erreicht werden muss. Dagegen kann eine Strategie der gegenseitigen Zerstörung (mutually assured destruction, MAD, bei Atomwaffen von Bedeutung) bei Cyberangriffen durchaus eine Option sein, wenn demonstriert werden kann, dass ein Gegenschlag auch bei und nach einem Angriff erfolgen kann – allerdings liegt auch hierin eher eine Tendenz zur Aufrüstung. Ein beachtenswerter historischer Sonderfall war im Kontext des Zerfalls der Sowjetunion die unilaterale, aber reziproke Ankündigung sowohl der USA als auch der Sowjetunion, einen Teil ihrer Atomwaffen auch ohne Vereinbarung zurückzuziehen, um das Ende des Kalten Krieges zu signalisieren. Als universeller Weg zur Rüstungskontrolle hingegen wurde der Aufbau vertrauensbildender Maßnahmen beschrieben, die in der IT-Welt etwa die verstärkte Kooperation von Computer Emergency Response Teams (CERTs) bedeuten würde. Etablierte Strategien für Abrüstung sind in jedem Fall wichtige und viel zu wenig untersuchte Ansatzpunkte auch für die Abrüstung im Cyberspace.

In dieser Session ging es auch darum, für die Rüstungskontrolle aus den Erkenntnissen zu lernen, die aus den Snowden-Dokumenten zu ziehen sind. Dies fängt damit an, dass Cyberwaffen bisher gar nicht als solche erkannt werden. Die XKeyscore-Software der NSA ist eine klassische Angriffswaffe, über die lediglich als Spionagewerkzeug berichtet wird. Auch die Infrastrukturen der Cyberkrieger sind heute noch nicht ausreichend erhoben und systematisiert. Wie das »Transgression«-Programm der NSA zeigt, haben die Cyber-Einheiten genügend Kenntnisse voneinander, um sich gegenseitig – sogar auf dritter und vierter Ebene – durch Cyberattacken die Ergebnisse der jeweils gegnerischen Arbeit zu stehlen. Diese Erkenntnisse ließen sich für die Rüstungskontrolle nutzen. Mindestens ebenso wichtig sind die personellen und finanziellen Ressourcen der Cyber-Einheiten, die – der Darstellung verfügbarer Daten zufolge – das sechs- bis zehnfache der Ressourcen zur Verfügung haben wie ihre Gegenüber in der zivilen Strafverfolgung und der zivilen staatlich organisierten IT-Sicherheit. Auch diese Kräfteverhältnisse sollten für die Rüstungskontrolle bewertet und genutzt werden. Als Fazit wurde gezeigt, dass die zahlreichen neuen, aber auch die bereits bekannten Daten und Fakten zu Cyberwar-Akteuren bei weitem nicht angemessen für Rüstungskontrollansätze genutzt werden und damit zahlreiche Lösungsansätze ungenutzt bleiben.

Ein wichtiges Element der Pugwash-Workshops ist die Diskussion spezieller Themen in Arbeitsgruppensitzungen, die der persönlichen, thematischen und wissenschaftlichen Vernetzung dienen. In parallelen Sitzungen waren drei Arbeitsgruppen angesetzt. Es ging darin um die Kontrolle des Internet (Internet Governance) und den Datenschutz, um die Verwundbarkeit der zivilen kritischen Infrastrukturen, wie der Energieversorgung oder des Finanzsystems, (Humanitarian Issues) und um die Frage, ob der Cyberspace zur Arena einer neuen Kriegsführung werden könnte oder dies bereits ist (Cyberspace and Warfare).

Diese letztgenannte Arbeitsgruppe fokussierte sich in ihrer Diskussion auf das friedenspolitisch zentrale Problem der Rüstungskontrolle: Lassen sich Methoden der Rüstungskontrolle, die in den vergangenen Jahrzehnten für andere Waffentechnologien entwickelt wurden, auf den Cyberspace übertragen? Eine entscheidende Voraussetzung dafür wurde in einer präziseren Fassung des Begriffs »Cyberwaffe« gesehen, insbesondere um eine Abgrenzung zu legitimen zivilen sowie defensiven militärischen Anwendungen, wie Penetrationstests, zu gewährleisten. Eine Klassifikation über das Schadenspotential erscheint notwendig, aber schwierig. Es fehlen verlässliche Klassifikationsmethoden. Vor allem lassen sich Kettenreaktionen beim Angriff auf IT-Systeme nicht abschätzen. Weitere wissenschaftliche Arbeit ist dringend geboten, insbesondere um eine Grundlage für internationale Vereinbarungen zu legen.

An dieser Arbeitsgruppe nahm ein einziger Informatiker teil. Überhaupt waren InformatikerInnen deutlich unterrepräsentiert, nimmt man den Ruf nach wirkungsvollerer technisch-wissenschaftlicher Unterstützung friedenssichernder Ansätze angesichts des Potentials militärischer Operationen im Cyberspace ernst. In Gesprächen am Rande wurde eine zögerliche Haltung der Informatik – hier speziell im Fachgebiet Cybersecurity – deutlich, sich mit diesem »heißen« Themenkomplex zu befassen. Dabei ist eine aktive Teilhabe der Disziplin auch deshalb so wichtig, weil der Cyberspace im Gegensatz zu den vier anderen militärischen Operationsräumen von Menschen gemacht ist und seine Funktionsweise von Fachleuten definiert und kontrolliert wird. Beeindruckend war andererseits, welche Vielfalt an wissenschaftlichen Disziplinen an diesem Workshop beteiligt war. Die Komplexität des Themas fordert dies. Allerdings, und das ist eine andere Beobachtung, müssen die Verständigungsbrücken zwischen den Wissenschaften noch erheblich ausgebaut werden.

Die einzelnen Vorträge sowie Berichte aus den Arbeitsgruppen sind im Internet abrufbar: neu.vdw-ev.de/veranstaltungen/international-pugwash-workshop/.

Dietrich Meyer-Ebrecht, Ingo Ruhmann, Thomas Reinhold

Konzepte vom Frieden

Konzepte vom Frieden

Vier Friedensinstitute, vier Ansätze

von Christoph Marischka, Kathrin Jeske, Christine Schweitzer, J. Christopher Cohrs und Gert Sommer

Jenseits der Universitäten und großen Forschungseinrichtungen existieren in Deutschland auch kleinere Friedensforschungsinstitute und -organisationen, die sich bzgl. Finanzierung, politischen Leitlinien und Arbeitsweise von den anderen Einrichtungen abheben. Damit leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Vielstimmigkeit der deutschen Friedensforschung. W&F hat VertreterInnen der IMI, des ithf, des IFGK sowie des FFP um Darstellungen ihrer Institute gebeten. Sie beschreiben Strukturen, inhaltliche Schwerpunkte, politische Perspektiven und zukünftige Herausforderungen.

Zwischen Wissenschaft und Bewegung agieren

von Christoph Marischka

Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) wurde 1996 in Tübingen von Friedensbewegten aus verschiedenen Spektren als gemeinnütziger Verein gegründet. Anlass war damals die Aufstellung des »Kommando Spezialkräfte« im nahe gelegenen Calw. Die Gründung einer solchen Elitetruppe, die hinter »feindlichen Linien« agieren soll, wurde nach ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr Anfang der 1990er Jahre als weiteres Indiz für die Neuausrichtung der deutschen Streitkräfte – nicht mehr Verteidigung, sondern Einsatz – gewertet, in deren Zuge sich auch die deutsche Außenpolitik militarisieren würde. Nur 20 Jahre später werden militärische Mittel tatsächlich als integraler Bestandteil außenpolitischen Handelns verstanden. Die Ablehnung dieser Entwicklung und der militärischen Konfliktbearbeitung insgesamt eint die ansonsten sehr heterogene Mitgliedschaft der IMI.

Zur Zeit der Vereinsgründung fand Außen- und vor allem Militärpolitik nicht täglich auf den Titelseiten der großen Zeitungen statt. Von wichtigen Umstrukturierungen der Bundeswehr erfuhr man oft nur aus den Lokalzeitungen der jeweiligen Standorte. Die Politikwissenschaft setzte sich überwiegend sehr theoretisch mit Fragen von Krieg und Frieden auseinander, und auch in der Friedensbewegung war das Wissen über militärische Angelegenheiten begrenzt. Deshalb machte es sich die IMI zur Aufgabe, Informationen über die Bundeswehr, ihre Neuausrichtung und ihre Ausrüstung zusammenzutragen und aufzuarbeiten, um Widerstand zu ermöglichen und zu mobilisieren und somit zu einer friedlicheren Welt beizutragen. Der Verein versteht sich dabei auch als Scharnier zwischen Wissenschaft und Bewegung.

Mit dieser Ausrichtung ist es naheliegend, dass die IMI so gut wie nie institutionelle Förderung erhielt und sich fast ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren muss. Das bedeutet einerseits, dass der Verein sich ganz überwiegend auf ehrenamtliche Arbeit stützt. Diese Unabhängigkeit ermöglicht es andererseits, konsequent kritisch gegenüber der Regierungspolitik zu bleiben. Deshalb haben wir verschiedene Neubewertungen, die von vielen Friedensforschungsinstituten leider mitgemacht und unterstützt wurden, nicht nachvollzogen: etwa dass es für eine »Zivilmacht« Deutschland angebracht (oder gar Voraussetzung) sei, militärische Mittel einzusetzen; dass militärische Interventionen der Stabilisierung und Friedensschaffung dienen würden; dass die Bundeswehr mit (vormals) zivilen Mitteln der Außenpolitik enger verzahnt werden müsste. Wir sehen uns nicht als Teil der von Regierung und Militär planvoll aufgebauten »Strategic Community«, welche diese Annahmen (bei Differenzen im Detail) teilt, sondern vielmehr als Teil einer Bewegung, die dieser Community antagonistisch entgegensteht. Als Gegengewicht zum millionenschwer geförderten Diskurs der »Verantwortungsübernahme« und einer schrumpfenden Pluralität der »sicherheitspolitischen Debatte« halten wir diese Arbeit für notwendig und wertvoll.

Da sich die Militarisierung der deutschen Außenpolitik wesentlich in Bündnisstrukturen vollzog, begleitet die IMI seit ihrer Gründung auch die Umstrukturierung und Osterweiterung der NATO und spätestens seit 2003 auch die Entwicklung der EU intensiv und kritisch. Darüber hinaus bedingt gerade der ehrenamtliche Charakter unserer Arbeit, dass die Themenschwerpunkte von den Interessen und Fähigkeiten unserer Mitglieder abhängen und nicht immer dem Mainstream folgen. Während wir einerseits kontinuierlich verfolgen, wie die Eliten – gegenwärtig unter dem Stichwort »Verantwortungsübernahme« – einen militaristischen Konsens etablieren und propagieren, unterstützen wir in lokalen und überregionalen Bündnissen jene, die sich diesem entgegenstellen. Das ist gegenwärtig insbesondere bei Rekrutierungsveranstaltungen der Fall, sowie zunehmend wieder an den Universitäten und in den einzelnen Fachdisziplinen. Außerdem ermutigen uns die wieder zunehmenden Proteste gegen einzelne Militärstandorte.

Christoph Marischka ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Vorstand der IMI.

Die philosophisch-ethische Perspektive verfolgen

von Kathrin Jeske

Islamische Friedensethik – dieses Forschungsprojekt ist eines von sechs, mit dem sich das Institut für Theologie und Frieden (ithf) in Hamburg aktuell beschäftigt. Ziel ist es, im Austausch, beispielsweise mit Islamwissenschaftlern, den jeweils anderen in seiner Denk- und Glaubenstradition zu verstehen und langfristig zu einem gemeinsamen Friedensbegriff zu kommen.

Zu erwarten ist diese weitreichende Herangehensweise nicht unbedingt, handelt es sich beim ithf doch um eine Einrichtung der katholischen Kirche. Träger des 1978 gegründeten Instituts mit acht fest angestellten und drei freien Mitarbeitern ist die Katholische Militärseelsorge. Deren praktische Arbeit wird durch die am ithf gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ethischen Problemen bei militärischen Einsätzen der Bundeswehr im Ausland direkt unterstützt. Darüber hinaus fördert die im selben Haus angesiedelte Katholische Friedensstiftung die Arbeit des Instituts. Als unabhängiges Forschungsinstitut bereichert das ithf die Friedensdebatte aus explizit ethischem Blickwinkel. Daher beziehen die Wissenschaftler zu Debatten um den Krieg in der Ostukraine genauso Stellung wie zu Syrien oder in der Debatte um bewaffnete Drohnen.

„Wir erarbeiten natürlich auch Standpunkte, die die katholische Kirche zu aktuellen Konflikten einnehmen kann,“ erläutert Professor Heinz-Gerhard Justenhoven, der das ithf seit zwanzig Jahren leitet. „Dabei ist uns der ökumenische und der interreligiöse Dialog wichtig.“ So gibt es Veröffentlichungen über Martin Luther ebenso wie Studien über orthodoxe Friedenstheologie. Praktisch geht es dann z.B. in einem interdisziplinären Forschungsprojekt mit der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr um die Frage, wie eine internationale Schutzverantwortung – das Prinzip der »responsibility to protect« – gegenüber bedrohten Menschen ausgestaltet werden muss.

Bernhard Koch, seit 2014 stellvertretender Leiter des Instituts, beschäftigt sich neben Theorien des Pazifismus, humanitärem Völkerrecht und den Grundlagen philosophischer Ethik mit der Frage, welche Argumentationsmuster vorgebracht werden, wenn der Einsatz von Drohnen beurteilt wird: „Um aus philosophisch-ethischer Perspektive zu tragfähigen Erkenntnissen zu kommen, muss man erkennen, an welchen Stellen in der Argumentation unterschiedliche normative Forderungen alternative Wege gehen. Das hilft, um in Debatten weniger aneinander vorbei zu sprechen. Auf der Basis welcher Gründe kommt man zum Schluss, dass das Töten eines Menschen durch bewaffnete Drohnen erlaubt sein könnte oder verboten sein müsste?“

Den Diskurs in Wissenschaft, Politik, Kirche und Öffentlichkeit baut das ithf durch Kooperationen mit weiteren wissenschaftlichen und kirchlichen Einrichtungen aus. Schließlich üben die Mitarbeiter Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland aus und nehmen als Referenten an Kongressen weltweit teil. Auch institutseigene Vorträge und Tagungen mit internationalen Gästen werden organisiert.

Zu den Kernaufgaben der Arbeit am ithf gehört ebenfalls, gegenwärtige Friedensvorstellungen zu erweitern, indem philosophisch-theologische Traditionen zur Orientierung herangezogen werden. Seit der Gründung haben daher Mitarbeiter des ithf klassische Texte der Friedensethik erschlossen und kommentiert. Aus dieser Textarbeit ist eine weltweit einzigartige Spezialbibliothek entstanden. Ferner sind in der Institutsreihe »Studien zur Friedensethik« die Ergebnisse von Forschungsarbeiten aus dem Institut und darüber hinaus nachzulesen.

Koch macht deutlich, dass es am ithf nicht nur um Grundlagenforschung geht: „Wir wollen Erkenntnismethoden identifizieren und in Beziehung setzen. Im Anschluss daran fragen wir auch nach deren konkreter Umsetzbarkeit. Denn: Eine gute normative Ethik zeichnet sich letztlich dadurch aus, dass sie auch realiter umzusetzen ist.“

Kathrin Jeske ist ist freiberufliche Fachredakteurin und Pressereferentin. Sie arbeitet zu wissenschaftlichen, gesellschaftspolitischen und Kulturthemen sowie zu Fragen der Krisen- und Konfliktkommunikation. Darüber hinaus betreut sie Projekte der internen und externen Unternehmenskommunikation für Verbände, Stiftungen, Agenturen und Non-Profit-Organisationen, u.a. beim ithf.

Über Gewaltfreiheit reflektieren und forschen

von Christine Schweitzer

Das Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung e.V. (IFGK) ist ein gemeinnütziger Verein mit ca. zehn aktiven Mitgliedern. Es wurde Anfang der 1990er Jahre von Menschen aus dem Umfeld des Bund für Soziale Verteidigung ins Leben gerufen, die ihre Praxis als AktivistInnen mit wissenschaftlicher Reflektion und Forschung zu Themen der Gewaltfreiheit in Theorie und Praxis verbinden wollten. Gleichzeitig wollten sie einen Rahmen schaffen, in dem einzelne MitarbeiterInnen Finanzanträge für Projekte stellen und diese Projekte, begleitet von anderen Mitgliedern des IFGK, dann durchführen konnten. Dies ist auch immer wieder in unterschiedlichem Ausmaß gelungen.

Auf diesem Wege entstanden u. a. eine Begleitstudie von Barbara Müller zum Balkan Peace Team – einem Freiwilligenprojekt im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren – und die erste Phase einer Studie über zivilgesellschaftliche Interventionen im ehemaligen Jugoslawien von Christine Schweitzer, die von der Deutschen Stiftung Friedensforschung finanziert und später zu einer Promotion ausgeweitet wurde. Bis heute begleitet das IFGK eng die Arbeiten von Martin Arnold zur Gütekraft; im Rahmen seines Projekts erstellte er u.a. eine Promotion über drei ProtagonistInnen der gewaltfreien Bewegung, die zumindest in an Gewaltfreiheit interessierten Kreisen viel Beachtung fand.

Das IFGK hat nur geringe Eigenmittel, bietet aber interessierten Menschen, die eine Finanzierung für ihre Arbeit suchen, den organisatorischen Rahmen, in dem sie dies tun können. So war das IFGK z.B. lange Zeit Partnerin der internationalen Nichtregierungsorganisation Nonviolent Peaceforce (NP) und unterstützte die Arbeit von Christine Schweitzer als Forschungs- und dann Programmdirektorin von NP. Zurzeit unterhält das Institut eine solche Kooperation mit einer US-amerikanischen Wissenschaftlerin, die eine große Vergleichsstudie zum Zivilen Peacekeeping erstellt hat, welche über das IFGK als Buch veröffentlicht werden wird.

Zudem entstehen aus den Reihen der MitarbeiterInnen immer wieder Arbeitspapiere, die diese neben ihrer beruflichen Tätigkeit (z. B. Achim Schmitz) oder als emeritierte Hochschulmitarbeiter (wie im Falle von Albert Fuchs) erstellen. Gelegentlich veröffentlicht das IFGK auch von Externen erstellte Studien.

Der zweite wichtige Tätigkeitsbereich des IFGK ist die Durchführung von Studientagen, die in der Regel zweimal pro Jahr stattfinden. Diese Studientage geben MitarbeiterInnen und externen Gästen die Möglichkeit, Forschungsarbeiten in einem solidarischen Rahmen vor TeilnehmerInnen vorzustellen, die an den gleichen Themen Interesse haben. Diese TeilnehmerInnen kommen meist entweder aus der Friedensbewegung oder sind Studierende der Friedens- und Konfliktforschung und verwandter Fächer. Knapp 400 Personen sind im Verteiler des IFGK und erhalten seine Einladungen und Informationen. Die Arbeitspapiere und Bücher haben sehr unterschiedliche Verbreitung. Sie werden je nach Thema von wenigen Dutzend bis zu geschätzt 1.000 LeserInnen rezipiert.

Die Probleme des Instituts sind dieselben, mit denen wohl auch andere rein »private« Einrichtungen zu kämpfen haben: Ohne universitäre Anbindung und Anerkennung ist es weder einfach, Mittel für Forschungsarbeiten zu akquirieren, noch in der akademischen Welt mit dem Erarbeiteten Gehör zu finden. Aber das Hauptziel des IFGK liegt sowieso eher darin, die Ergebnisse der Projekte für die praktische Arbeit nutzbar zu machen. Daher suchen das Institut und seine Mitglieder einen kontinuierlichen Austausch mit den sozialen Bewegungen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Erhaltung der Lebensgrundlagen engagieren. Generell sieht sich das IFGK als Ansprechpartner für Personen, Organisationen und Institutionen, die sich – in der Tradition der Arbeit von Gandhi, Martin Luther King und anderer – um eine gewaltfreie Konfliktaustragung bemühen und dabei wissenschaftliche Begleitung, Zuarbeit oder Reflexion wünschen.

Dr. Christine Schweitzer ist Mitarbeiterin im IFGK und Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung.

Friedenspsychologische Perspektiven stärken

von J. Christopher Cohrs und Gert Sommer

Das Forum Friedenspsychologie e.V. (FFP), vormals Friedensinitiative Psychologie – Psychosoziale Berufe, wurde 1982 im Zusammenhang mit der Diskussion um die Aufrüstung der NATO mit Pershing-II-Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern aus der Friedensbewegung heraus gegründet. Das FFP führte in seiner Anfangszeit vier große Kongresse durch und organisiert seit 1988 jährliche Fachtagungen. Ab 1985 gab es den regelmäßigen Rundbrief »Bewußt-Sein für den Frieden«, der 1991 zugunsten der Mitarbeit beim interdisziplinären »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden« (nunmehr »Wissenschaft und Frieden«) eingestellt wurde. In früherer Zeit gab das FFP regelmäßig fachlich fundierte Stellungnahmen zu aktuellen Themen heraus, z.B. zu Folter oder zum Irakkrieg.

Das FFP finanziert sich weitgehend über Beiträge der zurzeit etwa 100 Mitglieder. Für einzelne Aktivitäten, insbesondere die Fachtagungen, werden zusätzliche Mittel eingeworben, u.a. Sachmittel von Professorinnen oder Professoren, an deren Fachbereich die jeweilige Tagung stattfindet. Die Arbeit des FFP geschieht weitgehend ehrenamtlich, größtenteils durch Mitglieder des Vorstands und einige weitere Personen. Einzig für kleinere, eng umschriebene Aufgaben werden hin und wieder studentische Mitarbeiter bezahlt.

Das FFP möchte sowohl friedenspsychologische Perspektiven in der Wissenschaft stärken als auch – im Sinne eines friedenspolitischen Engagements – relevante psychologische Erkenntnisse in die allgemeine Öffentlichkeit bringen. Die wichtigste Aktivität des FFP sind daher die jährlichen Fachtagungen, die zumeist in Kooperation mit einer Professur an wechselnden Orten ausgerichtet werden. Die Tagungen dienen nicht nur dem Austausch unter den Mitgliedern, sondern auch der Gewinnung neuer Kontakte zu interessierten Personen und potenziellen Neumitgliedern, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit spezifischen Themen (z.B. Friedensjournalismus, Gewaltfreie Konfliktaustragungen, Menschenrechte, Rechtsextremismus) und der Schaffung einer größeren Öffentlichkeit für das FFP und für friedenspsychologische Themen. Aus den Tagungen gingen zahlreiche wissenschaftliche Publikationen hervor, u.a. »Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt und Friedenspsychologie«, sowie Herausgeberbände zum jeweiligen Tagungsthema und Sonderhefte verschiedener, auch internationaler, Fachzeitschriften.

Einer größeren wissenschaftlichen Sichtbarkeit der Friedenspsychologie soll auch der Gert-Sommer-Preis für Friedenspsychologie dienen, mit dem seit 2007 jährlich eine akademische friedenspsychologische Abschlussarbeit geehrt wird.

Eine kontinuierliche Herausforderung besteht darin, nicht nur neue Vereinsmitglieder zu gewinnen, sondern auch den Kreis der Aktiven im FFP zu halten oder zu vergrößern. Neben den Fachtagungen, an denen oft viele interessierte Studierende teilnehmen, versuchen wir dies auf verschiedenen Wegen. So wurden auf einer Zukunftswerkstatt Anfang 2013 langfristig angelegte Task-Forces zu spezifischen Themen gebildet, und in diesem Jahr wurde eine Nachwuchsgruppe des FFP auf Facebook etabliert. Unsere Webpräsenz wird zurzeit umgebaut, um das Angebot interessanter und relevanter zu machen, z.B. durch Informationen über Masterprogramme und Promotionsmöglichkeiten mit friedenspsychologischem Bezug, Praktikumsplätze und Perspektiven für Berufseinsteiger. Die Effektivität dieser Aktivitäten wird allerdings oft durch einen Mangel an Zeit unter den ehrenamtlich Tätigen eingeschränkt.

Insgesamt ist unser Eindruck, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Friedensthemen innerhalb der Psychologie sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene in den letzten Jahren erheblich mehr Beachtung findet. Zukünftig sollte sowohl die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung als auch die Öffentlichkeitsarbeit (z.B. durch fachliche Stellungnahmen) weiter intensiviert werden.

Prof. Dr. Christopher Cohrs ist Assistant Professor für Sozialpsychologie an der Jacobs University Bremen und der gegenwärtige Vorsitzende des FFP. Prof. Dr. Gert Sommer ist Professor i.R. in Marburg und Ehrenvorsitzender des FFP.

Forschungsmemorandum

Forschungsmemorandum

Naturwissenschaftliche Friedensforschung in Deutschland

von FONAS

Rüstungskontrolle und Abrüstung drohen weltweit aus den Fugen zu geraten, während neue zivile und militärische Technologien die Kriegsführung revolutionieren, ob Nuklearwaffen, Raketenabwehr, Cyberkrieg oder Drohnen. Seit drei Jahrzehnten analysieren in Deutschland Wissenschaftler/innen Veränderungen der Rüstungstechnik und beraten Politik und Öffentlichkeit. Nun besteht die Gefahr, dass diese unabhängige Expertise verloren geht. Aus diesem Grund legte der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit e.V. (FONAS) unter dem Titel »Naturwissenschaftliche Friedensforschung in Deutschland – Eine neue Förderinitiative ist dringend nötig« im November 2015 ein Forschungsmemorandum vor. W&F dokumentiert die Langfassung des Textes.

Aufgrund seiner Geschichte hat sich Deutschland in besonderer Weise verpflichtet, »dem Frieden zu dienen«. Bekenntnisse zu Frieden und Sicherheit müssen durch konkrete analytische Arbeit untermauert werden, wobei in der heutigen globalisierten Welt die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie eine Schlüsselrolle spielt. Sachkundige und unabhängige Analysen werden daher von staatlichen Entscheidungsträgern, den Ministerien und dem Parlament ebenso dringend benötigt wie von der Zivilgesellschaft. Die naturwissenschaftliche Friedensforschung trägt in besonderer Weise dazu bei, sicherheitspolitisch relevante Technikbereiche zu untersuchen, die komplexen Zusammenhänge verständlich aufzubereiten und friedens- und sicherheitspolitische Handlungsoptionen auszuarbeiten.

Das Verständnis militärischer Rüstungsdynamik und technologisch getriebener Konfliktkonstellationen sowie von Rüstungskontrolle und Verifikation benötigt eine kontinuierliche Beforschung und Analyse verschiedener Technologiefelder. Dies ist Voraussetzung dafür, dass auf der Basis technischen Sachverstands agiert und reagiert werden kann, sei es im Umfeld internationaler Verträge, wie des Nichtverbreitungsvertrags oder des Biologische-Waffen-Übereinkommens, bei vorbereitenden Vertragsverhandlungen in New York, Genf oder Wien,1 in aktuellen Konfliktsituationen, wie etwa den Nuklearverhandlungen mit dem Iran oder den Debatten um die strategische Stabilität, bei der Stationierung neuer Raketenabwehrtechnologien und der Weltraumrüstung, beim Chemiewaffeneinsatz in Syrien oder bei technologiegetriebenen Konfliktkonstellationen, wie dem zunehmenden Einsatz bewaffneter Drohnen.

Heute leistet die naturwissenschaftliche Friedensforschung mit ihrer technischen Expertise wichtige Beiträge zu aktuellen Entwicklungen in der Sicherheitspolitik und neuen Konfliktlagen sowie im Kontext bestehender und zukünftiger internationaler Verträge und deren Verifikation. Es besteht ein vielfältiges, technisch qualifiziertes Beratungsangebot. Zu den Nutzern auf Bundesebene gehören insbesondere die Rüstungskontrollabteilung des Auswärtigen Amtes, das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) und der Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung des Deutschen Bundestages.

Naturwissenschaftliche Friedensforschung

Seit einigen Jahrzehnten können politische Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit auf die naturwissenschaftlich orientierte, interdisziplinäre und unabhängige Expertise der naturwissenschaftlichen Friedensforschung zurückgreifen. In den 1980er Jahren wurden mit großem persönlichem Einsatz v.a. auf der Mittelbauebene mehrere kleine Arbeitsgruppen in Bochum, Darmstadt, Kiel2 und Hamburg gegründet (siehe Überblick im Anhang). In drei Jahrzehnten wurden erfolgreich auch international viel beachtete Kompetenzen aufgebaut, um natur- und technikwissenschaftliche Fragen der Friedens- und Konfliktforschung und die sicherheitspolitischen Auswirkungen von Technologien zu untersuchen und die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte an die damit verbundenen interdisziplinären Forschungsmethoden heranzuführen. Diese Entwicklung mündete zunächst in die Gründung des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS) 1995 und gipfelte 2006 in der erstmaligen Einrichtung einer Stiftungsprofessur im Bereich der naturwissenschaftlichen Friedensforschung. Anschubfinanziert durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) bildet die Professur heute den Kern des Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrums für Naturwissenschaft und Friedenforschung (ZNF) der Universität Hamburg.

Die Vernetzung und Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren sind integrale Bestandteile naturwissenschaftlicher Friedensforschung. FONAS initiiert gemeinsame Projekte, Workshops und Fachgespräche und pflegt einen intensiven Gedanken- und Personalaustausch mit einer Reihe von Institutionen. Beispielhaft sind etwa die gemeinsamen Workshops oder Treffen im Rahmen der durch FONAS-Mitglieder gegründeten Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Partner der Vernetzungstätigkeiten sind etwa Kolleginnen und Kollegen des Forschungszentrums Jülich (FZJ), des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) oder der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS).

Die Zukunft der naturwissenschaftlichen Friedensforschung

Die technische Entwicklung in den Informations- und Kommunikationstechnologien, bei Robotik und Signalverarbeitung, bei Nanotechnologien und neuen Materialien beschleunigt sich. Dabei sind militärische Nutzungen (etwa in neuen – auch unbemannten und autonomen – Waffensystemen, für die Gefechtsfeldautomatisierung, für den Cyberkrieg) eine Haupttriebkraft. Entsprechend steigt der Bedarf an technisch versierter Politikberatung.

Damit steht die naturwissenschaftliche Friedensforschung vor einer doppelten Herausforderung. Denn in den nächsten fünf Jahren kommt es in diesem Bereich zu gravierenden strukturellen und personellen Änderungen.

Schon heute ist ein sichtbarer Rückgang der personellen und materiellen Ressourcen zu verzeichnen, die sich auf die Forschungskapazitäten als auch bei den Politikberatungsangeboten in Bereich des FONAS-Netzwerks auswirken:

  • Die Generation von Wissenschaftler/inne/n, die FONAS gegründet und aufgebaut hat, tritt in den Ruhestand.
  • Der hochtalentierte wissenschaftliche Nachwuchs wandert nach der Promotion in andere Arbeitsbereiche oder in das Ausland (USA) ab. Grund sind mangelnde stabile Beschäftigungsperspektiven.
  • Die schwache institutionelle Absicherung an den Universitäten in Kombination mit der Diskrepanz zwischen dem interdisziplinären, problemorientierten Anforderungsprofil der Forschungspraxis naturwissenschaftlicher Friedensforschung und den disziplinären Anforderungen an Forschung und Ausbildung an den Universitäten.
  • Die Fördermöglichkeiten sind zunehmend eingeschränkt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Großförderer keine geeigneten Rahmenbedingungen für interdisziplinäre und anwendungsbezogene Projekte im Bereich der Fragestellungen naturwissenschaftlicher Friedensforschung bieten (DFG oder Ressortforschung der Ministerien). Auch Fördereinrichtungen, wie die Berghof Foundation, stehen inzwischen nicht mehr zur Verfügung. Ein erheblicher Anteil von Fördermitteln kommt von der DSF, die jedoch nur in sehr begrenztem Umfang fördern kann und zudem keine Mittel mehr besitzt, um strukturelle Fördermaßnahmen per Anschub zu finanzieren.

Die Problematik wird sich in den nächsten fünf Jahren weiter verschärfen, da die meisten Arbeitsgruppen keine Langzeitförderung mehr haben und auch die Lehrangebote zurückgehen. Die verbleibenden geringen personellen Potentiale an Instituten, wie IFSH und ZNF (siehe Übersicht am Ende), oder das Engagement einzelner Forscher/innen (z.B. HSFK, SWP) reichen nicht aus, um den gesamten Zyklus von Lehre, Forschung, Koordination und Politikberatung auch nur annähernd abzudecken.

Mit dem Wegfall der Lehre im Bereich der Friedenswissenschaften, über die nicht nur naturwissenschaftlicher Nachwuchs rekrutiert wurde, sondern auch eine große Zahl Studierender aus vielen Fachbereichen für die existierenden Problematiken sensibilisiert werden konnte, kann auch der Multiplikatoreffekt der Universitäten nicht weiter genutzt werden.

Die Notwendigkeit zu handeln: eine neue Förderinitiative

Es besteht dringender Handlungsbedarf. Aus Sicht des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS) ist eine bundesweit koordinierte, strukturelle Förderung nötig, um diesen thematischen und strukturellen Herausforderungen zu begegnen.

Eine solche gezielte und nachhaltige Förderung der naturwissenschaftlichen Friedensforschung investiert in eine dauerhafte Beratungs- und Forschungsinfrastruktur und

  • stärkt die bisherige naturwissenschaftliche Friedensforschung, sie schafft Kontinuität und sichert Wissensbestände,
  • erschließt neue Forschungsthemen mit hoher Bedeutung für die politische Praxis,
  • fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Dazu legt FONAS hiermit folgende Förderungsvorschläge vor:

1. Die Schaffung einer auf Dauer angelegten Forschungseinrichtung oder -abteilung für naturwissenschaftliche Friedensforschung Eine nachhaltige Struktur ist Voraussetzung, um auch jenseits befristeter Projektarbeit Themen kontinuierlich zu bearbeiten und über lange Zeiträume dem teils tagesaktuellen Beratungsbedarf gerecht zu werden. Angesiedelt in einer außeruniversitären Forschungsinstitution oder in Form eines An-Instituts an einer Universität würden dort eigene Forschung und Projektakquise stattfinden. Damit ließen sich auch einschlägige Qualifizierungsangebote verbinden. Neben Forschungs- und Qualifizierungsaufgaben übernähme eine solche Einrichtung aber auch eine themenorientierte Schnittstellenfunktion zur bundesweiten Koordination von Themen, Arbeiten und zur Projektakquise. Auch würde es Wissensbestände sichern (institutionelles Gedächtnis) und aufbereiten. Die Ausstattung eines solchen Instituts sollte die Leitung und bis zu fünf wissenschaftliche Mitarbeiter/innen im weiteren Ausbau umfassen.

2. Den Aufbau einer langfristig stabilen Projektförderung Dies könnte im Rahmen von ressort-orientierter Forschung erfolgen. Ebenfalls denkbar wäre eine Förderung in Form von Promotionsstipendien für eine interinstitutionelle, interdisziplinäre Graduiertenschule zu Rüstungskontrolle, Abrüstung und Rüstungstechnik-Folgenabschätzung mit einem überwiegenden Anteil an naturwissenschaftlichen Disziplinen. Im Sinne einer zielführenden Umsetzung einer solchen Fördermaßnahme böte sich die Deutsche Stiftung Friedensforschung als Projektträger an, die das Forschungsfeld aus einer langjährigen Förderpraxis sehr gut kennt und ein entsprechendes Programmkomitee leiten könnte.

3. Die Einrichtung zusätzlicher Forschungsstellen oder Stiftungsprofessuren in zentralen neuen Themengebieten der Rüstungstechnik-Folgenabschätzung, z.B. in den Bereichen Cyberkrieg, unbemannte Waffensysteme und Robotik. Diese Forschungsstellen/Professuren sollten komplementär zur Forschungseinrichtung (Punkt 1) geschaffen werden und mit dieser eng zusammenarbeiten. Sie würden sowohl für die Kontinuität der Forschung und die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses als auch für den wichtigen Multiplikatoreffekt an Universitäten sorgen.

Die Umsetzung dieser Vorschläge würde eine dauerhafte Beratungs- und Forschungsinfrastruktur schaffen, damit auch künftig eine qualitativ hochwertige Beratung von Politik, Medien und Öffentlichkeit durch eine unabhängige Expertise sichergestellt ist.

Anhang: Standorte naturwissenschaftlicher Friedensforschung – Kurzübersicht

Universität Hamburg

Das Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF, znf.uni-hamburg.de/), gegründet 2006 mit einer Stiftungsprofessur der DSF für fünf Jahre, ist eine von allen Fakultäten der Universität Hamburg getragene Einrichtung, die in Kooperation mit ihnen interdisziplinäre Forschung und Lehre durchführt. Die eigene Forschung ist vor allem auf die Entwicklung und Verbesserung von Verifikationsverfahren für die atomaren Rüstungskontrollabkommen und die Kernwaffenabrüstung gerichtet. Daneben forscht das ZNF aktuell – gefördert vom Auswärtigen Amt – an potentiell geeigneten Verfahren für eine Verifikation des Biowaffenübereinkommens sowie zur Modernisierung der kooperativen Luftbeobachtung im Rahmen des Open-Skies-Vertrages; die letzteren Arbeiten werden von Prof. i.R. Hartwig Spitzer durchgeführt. Der Stiftungsprofessor (Prof. Martin Kalinowski, Physik) ist seit April 2012 beurlaubt und arbeitet jetzt bei der Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty Organization (CTBTO) in Wien. Die Vertretung wird von Prof. Gerald Kirchner (Physik) wahrgenommen. Als Grundausstattung verfügt das Zentrum über weitere 1,5 Stellen für wissenschaftliches Personal, die ausschließlich befristet besetzt werden können. Mit der derzeitigen Vertretung ist die Existenz des Zentrums bis März 2019 personell und wissenschaftlich abgesichert.

Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)

Die Interdisziplinäre Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien (IFAR², ifsh.de/ifar) im Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) wird durch Prof. Götz Neuneck (Physik) geleitet. Der naturwissenschaftliche Fokus liegt auf Technikfolgenabschätzung und präventiver Rüstungskontrolle, etwa in Bezug auf Nuklear- und Raketenprogramme (Iran, Nordkorea), nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle, Raketenabwehr, unbemannte Systeme (UMS), Weltraum sowie neue Felder, wie Revolution in Military Affairs und Cybersecurity. Die Arbeitsgruppe verfügt zurzeit über nur eine feste Stelle (Prof. Neuneck), die in 4 Jahren neu besetzt werden muss. Doktoranden werben ihre Finanzierung über Drittmittel/Stipendien selbst ein. Zusätzlich wird der erste post-graduale Masterstudiengang »Peace and Security Studies« auch mit einem naturwissenschaftlichen Modul seit 2001 durchgeführt. Die Arbeitsgruppe wird des Öfteren von der Rüstungskontrollabteilung des Auswärtigen Amtes um Rat gefragt. Ob das bisherige Aufgabenspektrum mit der gegenwärtigen Ausstattung auch zukünftig bewältigt werden kann, ist unsicher. Das ZNF und das IFSH kooperieren in Lehre und Forschung.

TU Darmstadt

Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS, ianus.tu-darmstadt.de), gegründet 1988, ist eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Darmstadt. In ihr arbeiten Wissenschaftler/innen aus verschiedenen Disziplinen und analysieren den Einfluss von Forschung und Technik auf Konfliktkonstellationen und im Hinblick auf mögliche Waffenanwendungen (Dual-use), insbesondere im Hinblick auf die Ambivalenz von Nukleartechnologien sowie die nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung. Nachdem Dr. Wolfgang Liebert (Physik) 2013 von seiner Dauerstelle als IANUS-Koordinator auf eine Professur an der Universität für Bodenkultur Wien berufen wurde, wurde die Stelle nicht neu besetzt. Eine Stiftungsprofessur (unter Beteiligung der Berghof Foundation, der DSF und der TU Darmstadt) war 2010-2011 im Bereich der Biowaffenabrüstung nur kurz besetzt. Eine Neuausschreibung im Bereich Informationstechnologien scheiterte. IANUS-Sprecher bis Anfang 2015 waren Prof. Franz Fujara (Physik, jetzt pensioniert) und Prof. Martin Ziegler (Mathematik, inzwischen ausgeschieden). Mit dem neuen Sprecher (Prof. Alfred Nordmann, Philosophie) erfährt IANUS eine weitgehend neue Ausrichtung hin zu zweijährig besetzten thematischen Projekten, die darauf zielt, natur- und technikwissenschaftliche Friedensforschung durch Einbindung in internationale Zusammenhänge der interdisziplinären Friedensforschung fruchtbar zu machen. Langfristig sollen so Themen und Forschungsverbünde angestoßen werden, die den umfassenden Forschungsbedarf zu exemplifizieren suchen. Die Zukunft dieser zunächst auf zwei Jahre angelegten Findungs- und Themenentwicklungsphase und somit von IANUS insgesamt ist ungewiss.

TU Dortmund

Die Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung (P&D) (e3.physik.tu-dortmund.de /P&D/) wurde 1988 durch Dr. Jürgen Altmann (Physik) als Bochum Verification Project an der Ruhr-Universität Bochum begonnen, später musste die Universität wegen der Befristungsgrenze gewechselt werden. Seit 1997 arbeitete J. Altmann am Lehrstuhl Experimentelle Physik III der Technischen Universität Dortmund (mit wechselnder befristeter Beschäftigung aus Projektmitteln). Forschungsschwerpunkte sind kooperative Verifikation von Abrüstungs- und Friedensabkommen mit akustischen, seismischen und magnetischen Sensoren sowie Militärtechnik-Folgenabschätzung und präventive Rüstungskontrolle. Seit 2015 im Ruhestand, versucht J. Altmann, die Arbeitsgruppe in kleinerem Umfang weiterzuführen.

Anmerkungen

1) Weitere: Vollständiger Kernwaffenteststopp-Vertrag (CTBT), Spaltstoff-Produktionsstopp-Vertrag (FMCT), Übereinkommen über bestimmte konventionelle Waffen (CCW).

2) Später wieder eingestellt.

Der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit e.V. (fonas.de) ist der Fachverband derjenigen, die mit mathematischen, natur- oder technik­wissenschaftlichen Methoden an Fragen von Abrüstung und internationaler Sicherheit forschen. Er wird hauptsächlich getragen von den Forschungsgruppen in den Universitäten in Darmstadt, Dortmund und Hamburg, hat aber auch Mitglieder in anderen Einrichtungen.

Politik, Protest, Forschung

Politik, Protest, Forschung

Wie entstand die Friedensforschung in der BRD?

von Lisa Bogerts, Stefan Böschen und Christoph Weller

Bevor uns Erinnerungen und Erfahrungen der GründerInnen-Generation der Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland endgültig verloren gehen, erscheint eine Auseinandersetzung mit den Anfängen der deutschen Friedensforschung angebracht. Welche Einsichten sich aus einer Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung der Friedens- und Konfliktforschung in der BRD in ihrer ersten Phase gewinnen lassen, beschreibt dieser Artikel anhand erster Ergebnisse eines entsprechenden Forschungsprojekts.

Friedensforschung – nicht selten wird man komisch angeschaut, wenn man erzählt, man arbeite auf diesem Gebiet. Kann man zu Frieden »forschen«? Oder vielleicht sogar dafür? Frieden gilt als anerkanntes Ziel der Politik und ist deshalb häufig Legitimationsressource staatlichen Handelns. Die Debatten darüber sind immer politisch und zum Teil höchst normativ, weshalb sich schnell die Frage stellt, wie sich das wissenschaftliche Neutralitätsgebot und andere Standards auf so einen Gegenstand beziehen können. Und wie kann ein einzelnes Forschungsgebiet zu etwas arbeiten, was eigentlich eine gesamtgesellschaftliche oder letztlich globale Aufgabe ist?

Offensichtlich ist Frieden kein Forschungsgegenstand wie jeder andere. Es gibt ja Klischees, wie die von FriedensforscherInnen als romantische Hippies oder »Gutmenschen« (letzteres wurde jüngst zum »Unwort« des Jahres 2015 gekürt), die sich einbilden, die Welt retten zu können. Andere Vorurteile gehen in die umgekehrte Richtung und vermuten eine bestimmte Art von Kriegsforschung hinter dem positiv klingenden Begriff. Auf jeden Fall stellt sich die Frage nach den Besonderheiten der Friedensforschung und ihrer VertreterInnen. Sind FriedensforscherInnen also eher politisch engagierte Menschen mit einem akademischen Hintergrund, VertreterInnen einer pazifistischen Position in gesellschaftlichen Debatten oder BeraterInnen der Politik in Friedensfragen, wo es dann um Krisenprävention und Rüstungskontrolle, aber auch um Militäreinsätze und dergleichen geht?

Sucht man nach den Anfängen der deutschen Friedensforschung und betrachtet hierfür ihre Entstehungsphase in der Bundesrepublik Deutschland seit Ende der 1950er Jahre, wird ein Spannungsfeld ganz unterschiedlicher politischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Interessen sichtbar. Hinzu kommen die zeithistorischen Umstände, die nicht nur den Kontext bildeten, sondern eine wesentliche Rolle spielten: Atomzeitalter, Ost-West-Konflikt, Studentenbewegung und eine politische Aufbruchsstimmung mit der ersten sozial-liberalen Bundesregierung Ende der 1960er Jahre. Viele verschiedene Einflüsse, Akteure und Dynamiken waren hier am Werk; diese gilt es aufzuschlüsseln.

Es ist also sowohl wissenschaftssoziologisch und wissenschaftshistorisch, aber auch für das Selbstverständnis der Friedensforschung aufschlussreich, zu rekonstruieren, unter welchen Bedingungen sich die Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland etablieren konnte und welche sozialen, politischen, institutionellen und wissenschaftlich-disziplinären Einflussfaktoren dabei wirksam waren.1 In diesem Beitrag gehen wir aufgrund der Fokussierung unserer bisherigen Forschung vor allem auf die Phase vom Ende der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre ein.2

Viele Quellen für die Friedensforschung

Bereits in den 1950er Jahren hatten die »Ohne mich«-Bewegung gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die »Kampf dem Atomtod«-Bewegung gegen kriegerische Aktivitäten und atomare Bewaffnung protestiert; in den 1960er Jahren entwickelte sich dann die Studentenbewegung, deren Kritik sich nicht nur gegen den »Muff von 1000 Jahren«, sondern auch gegen verkrustete und autoritäre Strukturen der westdeutschen Gesellschaft und deren Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit richtete. Die Proteste betrafen dann bald auch den Vietnamkrieg und das atomare Wettrüsten, also auch friedenspolitische Themen.

Tatsächlich gab es eine Reihe vonWissenschaftlerInnen, die sich schon früh der Friedensforschung zurechneten und dabei einen engen Zusammenhang zu friedenspolitischen Aktivitäten herstellten. Theodor Ebert zum Beispiel promovierte 1965 zu gewaltfreien Methoden des Aufstands als Alternative zum Bürgerkrieg und orientierte sich dabei an den Konzepten Mahatma Gandhis. Ebert gehörte zu den SozialwissenschaftlerInnen, die es als ihre Aufgabe ansahen, die Bewegung mit Hintergrundwissen zu »unterfüttern«, d.h. ihren MitstreiterInnen Wissen zur Verfügung zu stellen, das für ihr politisches Engagement bedeutsam sein konnte.3 Sehr einflussreich wurde sein Buch zum gewaltfreien Aufstand,4 das v.a. für Kriegsdienstverweigerer zur Basislektüre in der Vorbereitung auf die damals üblichen Gewissensprüfungen wurde. WissenschaftlerInnen waren aber auch in einer ganz anderen Domäne aktiv, die noch viel näher an den Prozessen politischen Entscheidens angelagert war: In bilateralen und multilateralen Gesprächsforen, wie etwa der deutsch-britischen Königswinter-Konferenz oder dem Deutsch-Polnischen Forum, in denen sich hohe DiplomatInnen, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen aus Wirtschaft und Journalismus verschiedener Länder über Probleme im Rahmen des Ost-West-Konflikts austauschten, wurden politische Anliegen und wissenschaftliches Wissen verbunden.

Neben diesen politisch motivierten Domänen der Friedensbewegung und der Friedensdiplomatie kamen aus der Wissenschaft selbst unterschiedliche Entwicklungsimpulse: Zunächst entfaltete sich eine ethische Diskursdomäne. Das Atomzeitalter, vor allem die Angst vor atomarer Bedrohung im Kalten Krieg, war ein Motiv, das viele einflussreiche Personen der Friedensforschung in der Anfangszeit prägte. Deshalb überrascht es wenig, dass viele dieser Persönlichkeiten NaturwissenschaftlerInnen waren. Einer der Pioniere war Carl-Friedrich von Weizsäcker. Er war Kernphysiker und gehörte während des Zweiten Weltkriegs dem deutschen »Uranprojekt« zur Nutzung der Atomenergie an. Dass PhysikerInnen Kompetenz über Frieden zugeordnet wurde, hing damit zusammen, dass sie mit ihrem Sachverstand die damals viel debattierte Gefahr durch Kernwaffen erklären konnten. Sie konnten mit großer Autorität sprechen, da sie z.T. selbst an der Entwicklung von Grundlagenwissen beteiligt waren und nun durch ihre Distanzierung das moralische Problem sichtbar machten. Diese moralisch-ethischen Fragen waren auch für die Kirchen von großer Bedeutung, weshalb für die entstehende Friedensforschung auch Stimmen relevant waren, welche durch Bezug auf die Religion grundlegende ethische Fragen mithilfe wissenschaftlicher Expertise behandeln konnten.

Darüberhinaus etablierten sich in der Wissenschaft verschiedene eigenständige Forschungslinien, die sich auch mit Friedensfragen beschäftigten, etwa die Zukunftsforschung. Diese »Futurologie« hatte schon damals wenig mit Science-Fiction oder »Trendforschung« zu tun, in der medienwirksam spektakuläre zukünftige Entwicklungen »vorausgesagt« werden. Vielmehr sollten mögliche technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen untersucht und auf dieser Grundlage in eine bestimmte,verantwortbare Richtung gesteuert werden.5

Auch in Kerngebieten der Politikwissenschaft, insbesondere in deren Teildisziplin Internationale Beziehungen (IB), etablierte sich die Friedensforschung als Diskursdomäne. Als bedeutsam für die Entwicklung in Deutschland kann angesehen werden, dass viele Gründungspersönlichkeiten der deutschen Friedensforschung, wie z.B. Dieter Senghaas, Ekkehart Krippendorff oder Karl Kaiser, längere Forschungsaufenthalte an US-amerikanischen Universitäten verbrachten. Damit wurden inhaltliche Verbindungen zum US-amerikanischen IB-Diskurs geschaffen, und ein bemerkenswerter Wissenstransfer kam zustande, der große Wirkung in der deutschen Politikwissenschaft entfaltete.6

Die Breite der Forschung, die sich Ende der 1960er Jahre mit Friedens-Fragen beschäftigte, dokumentierten Karl Kaiser und Reinhard Meyers mit ihrer Studie zur Lage der Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland.7 Darin beschreiben sie ein sowohl politisch wie disziplinär außerordentlich breites Feld von WissenschaftlerInnen, Instituten und Initiativen, die alle für sich beanspruchten, »Friedensforschung« zu betreiben, und damit auch die Erwartung hegen konnten, im Falle einer besonderen Unterstützung der Friedensforschung ggf. an deren finanzieller Förderung partizipieren zu können. Die Breite des Feldes zeigte sich insbesondere an der Spannung zwischen den sogenannten »strategic studies«, die sicherheits- bzw. verteidigungspolitisch ausgerichtet waren, und einer Friedensforschung, welche die Abschreckungspolitik als „organisierte Friedlosigkeit“ kritisierte.8 Verbunden mit Johan Galtungs Beiträgen zu »struktureller Gewalt« und einem »positiven Friedensbegriff« entwickelte sich daraus die »Kritische Friedensforschung«,9 die von Anfang an der Kritik vornehmlich konservativer ForscherInnen ausgesetzt war, welche von einem militärischen Gleichgewicht als Kriegsverhinderungsstrategie überzeugt waren.10

Entwicklung durch Vernetzung und Institutionalisierung

Auffällig für die Entwicklung der Friedensforschung in der BRD ist, dass einerseits von Anfang an eine Fülle von Foren die unterschiedlichen Perspektiven zu verbinden versuchten und es andererseits auch mehrere Persönlichkeiten verstanden, die unterschiedlichen »Lager« an einen Tisch zu bringen. Es war gerade die geteilte Erfahrung des »Atomzeitalters«, welche viele gesellschaftliche Initiativen, die zu Friedensfragen arbeiteten, in einem erstaunlich engen Zeitfenster gleichzeitig mobilisierte.

Bereits 1957/58 wurde in Heidelberg die durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) finanzierte Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) eingerichtet, als „die vehementen Auseinandersetzungen um die Einrichtung der Militärseelsorge und um eine mögliche atomare Bewaffnung der Bundeswehr die Kirche zu spalten [drohten]“.11 Leiter der FEST wurde der Religionsphilosoph Georg Picht, der neben seinem zweibändigen Werk »Hier und Jetzt – Philosophieren nach Auschwitz und Hiroshima«12 weitere viel beachtete Beiträge zur Friedensforschung leistete. 1959 gründete sich der Sozialwissenschaftliche Studienkreis für Internationale Probleme (SSIP) in Bonn und richtete Arbeitsgruppen zur Konfliktforschung sowie zur Zukunfts- und Friedensforschung ein.13 Ebenfalls 1959 wurde die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) gegründet. Die Gründungsmitglieder – größtenteils Physiker – waren zwei Jahre zuvor als »Göttinger Achtzehn« bekannt geworden, als sie sich in ihrer »Göttinger Erklärung« gegen die atomare Bewaffnung der BRD aussprachen. Eine der Aufgaben der VDW, „das Bewusstsein der in der Wissenschaft Tätigen für ihre Verantwortung an den Auswirkungen ihrer Arbeiten auf die Gesellschaft wachzuhalten und zu vertiefen“,14 sollte für die Friedensforschung der Anfangsjahre prägend sein.

Gleichzeitig gab es erste Pläne für die Errichtung eines deutschen Friedensforschungsinstituts. Der Physiker Lothar Schulze etwa arbeitete daran und rief 1964 die Gesellschaft zur Förderung von Zukunfts- und Friedensforschung (GFZFF) ins Leben. Aus dem Nachlass der Physikerin und Pazifistin Freda Wuesthoff wurde 1958 die Forschungsgesellschaft für Friedenswissenschaft in Genf gegründet, deren deutscher Zweig in München von Christel Küpper als Studiengesellschaft für Friedensforschung geführt wurde. Um die »Theorie und Didaktik der Erziehung zum Frieden« umzusetzen, hatte sie schon 1958 einen »Arbeitsplan zur Friedensforschung« und 1962 einen Plan für einen deutschen Verein für Friedensforschung erstellt.15

Parallel zu dieser ersten Institutionalisierung erfolgte auch eine breite Vernetzung. Mitte der 1960er Jahre wurden erste Tagungen explizit zu Fragen der Friedensforschung organisiert, so u.a. von Klaus Gottstein 1966 das VDW-Kolloquium »Fragen des Übergangs in die Weltordnung des Atomzeitalters« und 1967 die VDW-Fachtagung »Soziale Verteidigung«. Auch politische Stiftungen veranstalteten Tagungen, beispielsweise die Friedrich-Naumann-Stiftung, die1968 eine Arbeitstagung zum Thema »Der geplante Frieden« ausrichtete.16 Hierbei spielte der Rechtswissenschaftler und Psychologe Peter Menke-Glückert eine wichtige Rolle, und er kann wohl als einer der wichtigsten Netzwerker der frühen Friedensforschung bezeichnet werden. Er trug wesentlich dazu bei, die einzelnen Initiativen zusammenzuführen, und verfolgte hierbei auch die Idee zur Gründung eines Vereins, der die wissenschaftlichen Initiativen auf dem Gebiet der Friedensforschung bündeln sollte.17

Für die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) im Juni 1968 gelang es Menke-Glückert schließlich, WissenschaftlerInnen ganz unterschiedlicher disziplinärer und politischer Couleur zusammenzubringen.18 Neben ihm selbst gehörten zu den AFK-Gründungsmitgliedern u.a. Lothar Schulze (GFZFF), Christel Küpper (Studiengesellschaft für Friedensforschung), Klaus Gottstein (VDW), Helga Haftendorn (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik), Gerhard Wettig (Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien), Paulus Engelhardt (Pax Christi) sowie Theodor Ebert (Berlin), Dieter Senghaas (Frankfurt a.M.), Ernst-Otto Czempiel (Marburg) und Gerda Zellentin (Köln). Schnell entwickelte die AFK vielfältige Aktivitäten, geriet darüber aber auch bald in den „ersten Richtungsstreit“19 zwischen traditioneller und kritischer Friedensforschung.

Die Auseinandersetzungen zwischen den AnhängerInnen einer politisch eher links orientierten Friedensforschung und den »affirmativen«, eher »konservativen« ForscherInnen prägten viele Debatten zu Beginn der 1970er Jahre. Dabei spielte der damalige gesellschaftspolitische Kontext eine wesentliche Rolle: Die sozial-liberale Koalition, welche ab Oktober 1969 herrschte, stützte sich auf eine in Gesellschaft und Politik vorhandene Aufbruchsatmosphäre und bestärkte diese. Die »neue Ostpolitik« von Willy Brandt und Egon Bahr brachte zudem Bewegung in die ideologischen Fronten, indem sie die bis dahin gängige Konfrontationspolitik der Westmächte infrage stellte.20 Schon im März 1969 war Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt worden und betonte in seiner Amtsantrittsrede den „Ernstfall Frieden“ und die Bedeutung der Friedensforschung, die seiner Meinung nach gefördert werden müsse. Bundeskanzler Brandt kündigte in seiner Regierungserklärung an, er werde die Initiative Heinemanns aufgreifen und die Friedensforschung unterstützen – „ohne die Unabhängigkeit dieser Arbeit zu beeinträchtigen“ –, um „damit einen deutschen Beitrag für die Befriedung der von Krisen und Kriegen zerrissenen Welt [zu] leisten“.21

Tatsächlich wurde 1970 unter der Schirmherrschaft von Heinemann die »Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung« (DGFK) als Institution zur finanziellen Förderung der Friedens- und Konfliktforschung eingerichtet. Dem folgten weitere Institutionalisierungen: 1970 wurde das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt unter von Weizsäckers Leitung in Starnberg eingerichtet, das neben der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK, ebenfalls 1970 gegründet) und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH, 1971) zu den großen Friedensforschungsinstituten der Bundesrepublik zählte. 1971 gründete der Physiker Georg Zundel die Berghof Stiftung für Konfliktforschung, die mit dem Stiftungsratsvorsitzenden Dieter Senghaas für die Friedensforschung und die Friedenspädagogik zur wichtigsten privaten Fördereinrichtung wurde.

Die DGFK verband nun durch ihre Förderung die unterschiedlichen Strömungen, Disziplinen und ideologischen Ausrichtungen der Friedensforschung. Doch dies konnte über die mit staatlicher Finanzierung der Friedensforschung einhergehenden Herausforderungen nicht hinwegtäuschen. Karl Kaiser, Vorsitzender des zweiten AFK-Vorstandes, hatte zum Thema »Friedensforschung und politische Durchsetzung« bereits Anfang 1970 formuliert: „Friedensforschung ist eine der Durchsetzung des Friedens verpflichtete Wissenschaft. […] Eine Friedensforschung, die sich zum gefügigen Instrument der raison d’etat eines Nationalstaats machen lässt, ist ein Widerspruch in sich. Friedensforschung braucht, gerade weil sie in der Nähe der Politik operiert, eine kritische Distanz.“22 Und 1971 wurde bei einer wissenschaftlichen Tagung »Zum Stand kritischer Friedensforschung« eine »Erklärung zur Friedenforschung« angenommen, die sich intensiv mit der politischen Umsetzung der Forschungsergebnisse beschäftigte: „Kritische Friedensforscher lehnen eine am Status quo orientierte Befriedungsforschung ab. Indem sie helfen, politische Apathie zu überwinden, die Fixierung auf Freund-Feind-Bilder abzubauen sowie verdeckte oder ideologisch verschleierte gesellschaftliche Konflikte bewußt zu machen, tragen sie dazu bei, emanzipatorische Lernprozesse in Gang zu setzen und eine nicht manipulierbare, politisch handlungsfähige Öffentlichkeit herzustellen.“23 Doch diese Unabhängigkeit der Forschung und ihre politischen Ansprüche stießen nicht auf uneingeschränkte Zustimmung, gerade bei politischen Akteuren, die sich an der Finanzierung der DGFK beteiligten: 1979 erklärte die Bayerische Staatsregierung ihren Austritt aus der DGFK.

Entwicklung trotz Gegenwind

Der »kurze Sommer« der Institutionalisierung der Friedensforschung endete vorerst 1983 mit der Auflösung der DGFK, welche durch den Mittelentzug Bayerns unabwendbar geworden war. Auffällig für die Entwicklung der Friedensforschung aber ist, dass dieser Wegfall einer zentralen Institution nicht zum Ende der Friedensforschung führte. Hierfür lassen sich verschiedene Gründe erkennen: Eine beträchtliche Zahl von WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen an verschiedenen Orten identifizierte sich inzwischen mit dieser Forschungsrichtung. Sie waren vernetzt (u.a. über die AFK), und zugleich hatten sich zwischenzeitlich mehrere Institute etabliert (FEST, HSFK, IFSH), sodass eine institutionelle Basis vorhanden war. Doch schon in dieser Phase zeigte sich sehr deutlich auch die Prekarität politisch relevanter Forschung: Gelingt keine ausreichende, politisch unabhängige Institutionalisierung, kann die wissenschaftliche Arbeit leicht ins Hintertreffen geraten gegenüber der institutionellen Existenzsicherung und wird davon möglicherweise sogar inhaltlich beeinflusst.

Neben dieser »äußeren« Gefahr lauert aber auch eine »innere«. Als ein politisiertes Forschungsfeld bleibt der Friedensforschung ihre eigene Geschichte immer eingeschrieben. Vielleicht war ja deshalb das Erschrecken der Kernphysiker so groß und entsprechend ihr Engagement in der Friedensforschung, weil es für sie gleichsam einen undenkbaren Fall darstellte, so direkt für die eigene Geschichte verantwortlich gemacht werden zu können. Das stellt sich für die Friedensforschung anders dar, weil sie von Anfang an dezidiert politisch wirksame Forschung sein wollte und immer noch sein will. Doch wie dies im Wandel der Problemstellungen, politischer und gesellschaftlicher Kontexte und institutioneller Rahmenbedingungen gelingen kann, erfordert ständige erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Reflexion sowie eine fortlaufende Rekonstruktion der eigenen Geschichte.

Dazu wollen wir mit diesem Beitrag anregen und zugleich alle FriedensforscherInnen einladen, sich an dieser Rekonstruktion zu beteiligen. Als Kontaktadresse fungiert der Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg, E-mail: LST-weller@phil.uni-augsburg.de.

Anmerkungen

1) Wie sich diese Fragen bearbeiten lassen, ist Gegenstand der Pilotstudie »Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik Deutschland: Entstehung und Entwicklung eines problemorientierten Forschungsfeldes«, die 2014/2015 von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) gefördert wurde und an der Universität Augsburg durchgeführt wird. Im Zuge dieser Studie wurden u.a. Interviews mit Beteiligten an dieser Anfangsphase der Friedensforschung geführt, Archivarbeiten durchgeführt und schriftliche Dokumente und Materialien analysiert.

2) Die schöne Studie »Geschichte der deutschen Friedensforschung« von Ulrike Wasmuht (1998, Münster: Agenda) behandelt die Zeit bis zum »dritten Richtungsstreit« in der deutschen Friedensforschung Anfang der 1990er Jahre.

3) Belege: Interview-Transkripte der Pilotstudie (siehe Fn. 1).

4) Theodor Ebert (1968): Gewaltfreier Aufstand – Alternative zum Bürgerkrieg. Freiburg i. Br.: Rombach.

5) Zur Zukunftsforschung vgl. Elke Seefried (2015): Zukünfte – Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945-1980. Berlin: de Gruyter Oldenbourg.

6) Auch in anderen Teilen Europas gab es bereits erste Friedensforschungseinrichtungen, wie das 1959 von Johan Galtung gegründete Peace Research Institute Oslo (PRIO) und das 1966 gegründete Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). 1964 gründete der niederländische Rechtswissenschaftler Bert Röling in Groningen die International Peace Research Association (IPRA), in der die deutsche Friedensforschung in den Anfangsjahren von Klaus Gottstein, einem Physiker, vertreten wurde.

7) Karl Kaiser (1970): Friedensforschung in der Bundesrepublik. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.

8) Dieter Senghaas (1969): Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt.

9) Vgl. den zentralen Band »Kritische Friedensforschung«, 1971 herausgegeben von Dieter Senghaas (Frankfurt a.M.: Suhrkamp), in dem auch der zunächst 1969 im Journal of Peace Research erschienene Beitrag »Gewalt, Frieden und Friedensforschung« von Johan Galtung in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.

10) Vgl. z.B. Erhard Forndran (1971): Abrüstungund Friedensforschung. Kritik an E. Krippendorff, D. Senghaas und Th. Ebert. Düsseldorf: Bertelsmann-Universitätsverlag; oder Gerhard Wettig: MBFR: Motor der Aufrüstung oder Instrument der Friedenssicherung? Aus Politik und Zeitgeschichte B 24/73.

11) FEST: Historie; fest-heidelberg.de.

12) Georg Picht (1980/81): Hier und Jetzt – Philosophieren nach Auschwitz und Hiroshima. Stuttgart: Klett-Cotta.

13) Belege in: Archivquellen Institut für Zeitgeschichte München (Dok. ED 702/100).

14) VDW: Geschichte und Ziele; vdw-ev.de.

15) Belege in: Archivquellen Institut für ZeitgeschichteMünchen (Dok. ED 702/57).

16) Belege: Interview-Transkripte der Pilotstudie (siehe Fn. 1).

17) Belege: Interview-Transkripte der Pilotstudie (siehe Fn. 1).

18) Dass sowohl die GründerInnen der AFK als auch kurze Zeit später der DGFK die Selbstbezeichnung »Friedensund Konfliktforschung« wählten, kann als Teil der politischen Integrationsbemühungen in einem heterogenen Feld gesehen werden.

19) Vgl. Ulrike C. Wasmuht (1998): Geschichte der deutschen Friedensforschung. Münster: Agenda, S.165ff.

20) Belege: Interview-Transkripte der Pilotstudie (siehe Fn. 1).

21) Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag in Bonn am 28. Oktober 1969.

22) Karl Kaiser (1970), op. cit., S.52 und 55.

23) Veröffentlicht in: Dieter Senghaas (Hrsg.) (1971): Kritische Friedensforschung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S.417.

Lisa Bogerts ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Stefan Böschen ist Senior Research Scientist am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am KIT, seit 2014 Co-Leiter des Forschungsbereichs »Wissensgesellschaft und Wissenspolitik« des ITAS. Christoph Weller leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg und ist Mitglied des Vorstands der AFK. Die AutorInnen arbeiten gemeinsam in der DSF-Pilotstudie »Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik Deutschland: Entstehung und Entwicklung eines problemorientierten Forschungsfeldes«.

Ein bisschen Frieden?

Ein bisschen Frieden?

Bestandsaufnahme zur Friedensforschung in Deutschland und den USA

von Volker Franke und Lina Tuschling

Aus der Innen-Perspektive erscheinen die gewohnten Strukturen und Inhalte eines Feldes oft selbstverständlich und alternativlos. Dies mag auch für unsere Sicht auf die deutsche Friedensforschung zutreffen, so dass Besonderheiten, durch die sie sich von der Friedensforschung in anderen Ländern unterscheidet, möglicherweise zu wenig Beachtung erfahren. Diesem Manko versucht der folgende Artikel mit einem Vergleich aus Sicht der US-amerikanischen Friedensforschung abzuhelfen. Die beiden AutorInnen nehmen dabei eine informierte Außen-Perspektive ein: Beide sind als ForscherInnen in den USA verankert, haben aber im Laufe von Studium bzw. wissenschaftlicher Arbeit Erfahrungen in der deutschen Friedensforschung gesammelt.

Friedensforschung wird häufig als der Teil der Konfliktforschung eingestuft, der die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden analysiert. Dazu werden die unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse und Forderungen der involvierten Staaten, Gruppen oder Individuen gegeneinander abgewogen und politische Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die einen nachhaltigen Frieden, den Schutz von Menschenrechten und manchmal auch die Überwindung von Unterentwicklung ermöglichen. Dieser Einstufung liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass Unfrieden – im extremsten Falle Krieg – die Norm, Frieden hingegen die Ausnahme ist. Denn sonst wäre ja umgekehrt die Konfliktforschung Teil der Friedensforschung. Friedensforschung wird in der Regel interdisziplinär und handlungsorientiert betrieben, z.B. von Historikern, Anthropologen, Soziologen, Psychologen, Politologen , Wirtschaftswissenschaftlern und/oder Naturwissenschaftlern, um der Forderung nach Frieden nicht nur akademisch, sondern auch pragmatisch und praxisrelevant gerecht werden zu können.

Vor über 40 Jahren konstatierte der SPIEGEL (1972), „daß die deutsche Friedensforschung trotz erheblicher Anstrengungen […] noch immer den internationalen Standard nicht erreicht hat. Zumal die amerikanische Friedensforschung ist der deutschen weit voraus. nicht zuletzt wegen der in den USA bevorzugten analytischen Methoden.“ [sic!] Wie sieht es mit dieser recht düsteren Einschätzung heute aus, da die deutsche Friedensforschung ihren Kinderschuhen entwachsen sein sollte? Dieser Frage beabsichtigen wir im Folgenden nachzugehen. Dabei werden wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Friedensforschung in Deutschland und in den USA aufzeigen sowie Hinweise für die Weiterentwicklung der Friedenswissenschaften generell, speziell aber in Deutschland geben.

Friedensforschung oder Sicherheitsstudien?

Wie wir »Frieden« wissenschaftlich konzipieren, hängt großenteils davon ab, welchen Stellenwert Sicherheitsdenken einnimmt. Um die Friedensforschung in Deutschland und den USA vergleichend analysieren zu können, ist daher vorab eine Abgrenzung der verwandten Felder Friedens- und Konfliktforschung und Sicherheitsstudien angebracht.

Friedensforschung zielt auf einen positiven Frieden, was nach Galtung (1971) nicht nur die Abwesenheit von Krieg an sich, sondern auch von direkter und struktureller Gewalt bedeutet. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise in den wissenschaftlichen Ansätzen des Liberalen Idealismus oder des Konstruktivismus die systematische Analyse von Konflikten auch Variablen wie Kultur, Identität und Religion mitberücksichtigt. Sicherheitsstudien (security studies) bedienen sich typischerweise der einen oder anderen Variante der realistischen Theorie der Internationaler Beziehungen und ihrer gedanklichen Ableger (z.B. Institutionalismus). Sie nehmen daher standardmäßig die Sicht eines spezifischen Akteurs ein, zumeist die des Staates. Dies führt nicht nur zu unzureichenden Analysen und reduktionistischen Handlungsempfehlungen. Es entspricht auch immer weniger einer sich zunehmend diversifizierenden weltpolitischen Sicherheitslage, die in wachsendem Maße von Individuen, Nichtregierungsorganisationen sowie nicht-staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren geprägt wird.

Da staatliche Entscheidungen zumeist reaktiv sind, d.h. in der Regel auf vorangegangene Ereignisse antworten oder ähnlichen Auswirkungen zukünftig präventiv vorbeugen wollen, basieren Entscheidungsprozesse fast zwangsläufig auf dem Streben nach einem negativen Frieden. Dieser Tatbestand spiegelt sich in der Finanzierung friedenswissenschaftlicher Studien wieder. In Deutschland, wesentlich mehr noch als in den USA, sind die Regierung selbst oder regierungsnahe Institutionen typische Auftrag- und Arbeitgeber für friedens- bzw. sicherheitsrelevante Studien. Dies erklärt sicherlich zum Teil, warum viele Studien den Erhalt oder die Herbeiführung von negativem Frieden – auch unter Einsatz militärischer Mittel, jedenfalls aber mit dem Staat als primärem Handlungsträger – in den Mittelpunkt rücken. Dies spiegelt sich nicht nur in den Themen der »Friedensgutachten« der letzten Jahre wider, sondern auch in den aktuellen Forschungsprogrammen, beispielsweise der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung oder des German Institute for Global and Area Studies in Hamburg.

Während in Deutschland Friedens- und Sicherheitsforschung dennoch recht eng miteinander verwoben sind, wie die Beispiele des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg oder des Internationalen Konversionszentrums in Bonn zeigen, sind beide Bereiche in den USA traditionell stärker getrennt. Dies lässt sich zum einen auf die Schwerpunktsetzung während des Kalten Krieges zurückführen, waren damals doch die Aufgabenbereiche der beiden Felder deutlich unterschiedlich definiert: Sicherheitsforschung beschäftigte sich fast ausschließlich mit militärischen Überlegungen und der Messung von Waffenkapazitäten, während die Friedensforschung auf Dialog und Diplomatie sowie auf den Versuch ausgerichtet war, über die Mitgliedschaft der staatlichen Konfliktparteien in internationalen Regimen Frieden zu institutionalisieren. Obgleich deutsche Forschungseinrichtungen traditionell beide Ansätze voranzutreiben suchen – vielleicht auch, weil man wegen der besseren Finanzierungsmöglichkeiten von sicherheitspolitischen Studien Friedensforschung oft nur als Nebenprodukt »mitbetreiben« kann –, stehen in Deutschland sicherheitspolitische Forschungsansätze oftmals im Vordergrund.

In den USA ist die Diversität an privaten sicherheits- und friedenspolitischen Zentren sowie Studienprogrammen deutlich größer. Die traditionelle Friedensforschung hat hier ihren Ursprung im nichtstaatlichen Bereich und ist insbesondere an kirchennahen und privaten Universitäten und Colleges angesiedelt, wie am Kroc Institute for International Peace Studies an der katholischen Notre Dame University, dem Center for Justice and Peacebuilding der Eastern Mennonite University, dem Program for the Advancement of Research on Conflict and Collaboration der privaten Syracuse University oder auf Bachelor-Ebene dem Baker Institute for Peace & Conflict Studies am Juniata College in Pennsylvania. Neben theologischen und philosophischen Aspekten werden in diesen Einrichtungen u.a. auch die Möglichkeiten gewaltlosen sozialen und politischen Wandels und strategische Friedensprozessarbeit wissenschaftlich analysiert. Gleichzeitig bringen diese Einrichtungen ihre Forschungsergebnisse unter anwendungsorientierten Gesichtspunkten in eine praxisrelevante Ausbildung ein.

In Deutschland widmen sich zwei kirchennahe Einrichtungen, nämlich das Institut für Theologie und Frieden und die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, speziell der Friedensforschung. Des Weiteren gibt es neben etablierten friedensorientierten Masterstudiengängen in Darmstadt/Frankfurt, Hamburg, Magdeburg, Marburg und Tübingen zwar an diversen Forschungseinrichtungen und Universitäten die Möglichkeit zur Promotion, jedoch nicht wie in den USA strukturierte Doktoranten-Programme. Der friedenswissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland hat es also wesentlich schwerer. Dies gilt sowohl im Hinblick auf akademische Interdisziplinarität als auch bezüglich der finanziellen Unterstützung. Ein interdisziplinäres und anwendungsorientiertes Doktorandenprogramm, wie etwa International Conflict Management an der Kennesaw State University, sucht man in Deutschland vergeblich.

Konvergenz der beiden Forschungsfelder

Mit dem Ende des Kalten Krieges und einer zunehmenden Fokussierung auf nachhaltige friedensschaffende Maßnahmen nach Bürgerkriegen und internen Gewaltkonflikten verwischte die Abgrenzung zwischen Friedens- und Sicherheitsforschung auch in den USA. Die beiden Bereiche wurden um neue, praxisorientierte Felder, wie Conflict Management und Conflict Resolution, ergänzt. Trotz der immer deutlicher werdenden Notwendigkeit, nachhaltige Lösungen durch umfassende Friedensarbeit zu finden, bleibt die Annäherung der beiden Felder jedoch ein langwieriger und schwieriger Prozess. Die Kluft zwischen Friedensforschung und Sicherheitsstudien ist weiterhin größer als in Deutschland; so gibt es z.B. zwischen den Sektionen für Peace Studies und für Security Studies der International Studies Association nur wenig Überschneidungen. Obgleich beide Bereiche ein gemeinsames intellektuelles Interesse verfolgen sollten, nämlich Konzepte zur Herbeiführung nachhaltigen Friedens zu entwickeln, besteht hier erstaunlich wenig Kommunikation, geschweige denn Zusammenarbeit. Wie sollen denn Lösungen für positiven Frieden erarbeitet werden, wenn noch nicht einmal diejenigen, die über solche Lösungen nachdenken, miteinander kommunizieren? Hier sind die Forscher in Deutschland ihren amerikanischen Kollegen um einiges voraus.

Ein Blick in das jährlich von fünf deutschen Friedensforschungsinstituten herausgegebene »Friedensgutachten« verdeutlicht das enge Verhältnis zwischen Friedensforschung und Sicherheitsstudien in Deutschland. Das »Friedensgutachten 2015« beispielsweise geht der Frage nach, wie eine verantwortungsbewusste deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, die dem Frieden dient, mit Blick auf gegenwärtige Krisen und Kriege sowie regionale Herausforderungen (Beispiel Ebola in Westafrika) praktisch und normativ auszugestalten ist. Hier kommen Friedens- und Sicherheitsforscher zusammen, um gemeinsam Strategien für die deutsche Politik auf internationaler Ebene zu diskutieren. Ein solches Zusammentreffen von Experten zu Fragestellungen von militärischen Einsätzen und neuen Sicherheitsbedrohungen, wie dem »Islamischen Staat«, bis hin zu nicht-traditionellen Sicherheitsthemen, wie Geschlechtergerechtigkeit und Entwicklungszusammenarbeit, findet man vereinzelt zwar auch in den USA (bspw. Franke und Dorff 2012 und 2013), allerdings nicht in einem regelmäßigen und institutionell verankerten Rahmen. Wo also in Deutschland bewusst Raum für interdisziplinären Austausch geschaffen wird, trifft man in den USA noch häufig auf getrennte Welten.

Förderung der Friedensforschung

In einem weiteren Aspekt unterscheidet sich die deutsche Friedenswissenschaft deutlich von der US-amerikanischen: in puncto staatlicher und privater Drittmittelförderung. Die Deutsche Stiftung Friedensforschung stellt zur Finanzierung von Großprojekten bis zu 175.000 Euro und für Kleinprojekte bis zu 20.000 Euro zur Verfügung – bei einer jährlichen Gesamtförderung von deutlich unter einer Million Euro. Hingegen erhielt allein das vom US-Kongress finanzierte Institute of Peace im Jahr 2014 Fördermittel in Höhe von 37 Mio. US$; im Jahr 2015 waren es 35,3 Mio. US$. Das Institut ist in einem brandneuen und architektonisch herausstechenden Nobelbau im Herzen der Hauptstadt Washington angesiedelt und beschäftigt derzeit mehr als 300 Mitarbeiter. Hinzu kommen Think-Tanks wie die Brookings Institution, das Center for Strategic and International Studies oder das Carnegie Endowment for International Peace sowie eine Vielzahl äußerst finanzkräftiger Stiftungen, wie Ford, Mellon, MacArthur oder Gates, die Forschungsprojekte an der Schnittstelle zwischen Frieden, Sicherheit und Entwicklung unterstützen. Von der US-Regierung werden sicherheitsrelevante Forschungsprojekte in deutlich größerem Ausmaß als in Deutschland direkt finanziert. So wurden beispielsweise 2008 vom amerikanischen Verteidigungsministerium im Rahmen seiner »Minerva Initiative« 50 Mio. US$ Fördergelder bereit gestellt, „um dem Verteidigungsministerium zu einem besseren Grundverständnis zu verhelfen, welche sozialen, kulturellen, verhaltensbedingten und politischen Kräfte die Regionen der Welt gestalten, die für die USA von strategischem Interesse sind“ (DoD 2015). Aus diesem Fördertopf wurden bislang mehr als 70 vorwiegend zu sicherheitspolitischen Themen arbeitende Forscher unterstützt. Von solchen Fördermitteln wie auch von der Vielfalt förderungswürdiger Themen können deutsche Friedenswissenschaftler nur träumen. Da sind bessere Kommunikation und engere Zusammenarbeit von Friedens-, Konflikt- und Sicherheitsforschern nur ein schwacher Trost.

Gemeinsame Friedensthemen

Thematisch nehmen die Herausforderungen für die Friedensforschung an Komplexität zu. Seit Ende des Kalten Krieges wurde der Begriff »Sicherheit« neu definiert und um Schnittstellenbegriffe, wie »Sicherheitssektorreform«, »menschliche Sicherheit« oder »nachhaltige Entwicklung«, erweitert. Sicherheitsstudien beschäftigen sich heute nicht mehr nur mit militärischen Aspekten, sondern auch mit Sachverhalten, die einen positiven Frieden stärken und fordern (Croll und Franke 2007; Debiel und Franke 2008). Menschenrechte sind längst ein wichtiges Thema für Friedens- wie für Sicherheitsforscher. Umweltschutz, Klimawandel oder Ernährungssicherheit sind zu akzeptierten Friedensforschungsbereichen herangereift, ebenso die Rolle von Nichtregierungsorgansiationen und der Wiederaufbau sozialer und politischer Infrastrukturen nach Konflikten.

Dies ist eine logische Folge der Globalisierung, die zur stetigen Verminderung der Souveränität von Staaten und zum zunehmenden Einfluss neuer Akteure führt. Auch stellt die rasende »Überjüngung« der ärmeren Weltgesellschaft ein Entwicklungs- und Sicherheitsproblem mit zunehmender Tragweite dar. In vielen Post-Konfliktländern des Globalen Südens ist knapp die Hälfte der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, und das bei noch immer erschreckend niedrigem Bildungs-, Gesundheits- und Einkommensstand (Weltbank 2015). In dieser Dynamik besteht das vielleicht größte Konfliktpotenzial der Zukunft, sowohl in politischer und sozialer Hinsicht als auch im Hinblick auf Ressourcenverteilung und -verwaltung. Gerade hier sind präventive, interdisziplinäre Lösungsansätze gefragt. Hier muss nicht nur im Sinne des negativen Friedens an der Verhinderung der Kriseneskalation gearbeitet werden, sondern Friedens- und Sicherheitsforscher in Deutschland wie in den USA sind gefordert, gemeinsam Ansätze zu erarbeiten, die den Ärmsten und Ausgegrenzten Hoffnung auf ein besseres, friedvolles Leben geben, ganz im Sinne eines von Johan Galtung propagierten positiven Friedens.

Fazit

Wie sieht es also aus mit der Friedensforschung in Deutschland im Vergleich zu den Vereinigten Staaten? Frieden, Sicherheit und Entwicklung gehören zusammen, wenn nachhaltig Konflikte gelöst und friedvolle Strukturen geschaffen werden sollen. Die Bedrohungen für den Frieden sind global, massiv und vielschichtig. Deshalb müssen die Lösungsvorschläge interdisziplinär, unprätentiös und anwendungsorientiert sein. Obwohl Kriesberg bereits 2002 eine Annäherung zwischen Sicherheits- und Friedenswissenschaften forderte, besteht in den USA noch immer eine intellektuelle Kluft zwischen den beiden Feldern, wohingegen sie in Deutschland enger miteinander verwoben sind. Vielleicht liegt dies auch an den weitaus begrenzteren Fördermöglichkeiten und infolgedessen engeren Zusammenarbeit in Deutschland. Allerdings ist die Interdisziplinarität in den USA deutlich ausgeprägter.

Genau in diesem Bereich sollte die deutsche Friedensforschung ihr Potential abrufen und zielgerichtet die nächste Generation von Friedenswissenschaftlern interdisziplinär, praxisbezogen und orientiert am Konzept des positiven Friedens ausbilden. Obgleich sie finanziell keineswegs mit der in den USA Schritt halten kann, besteht ihr »Wettbewerbsvorteil« darin, dass sie Friedens- und Sicherheitsforschung bereits sehr erfolgreich integriert und daher geradezu prädestiniert dazu sein könnte, eine Modellfunktion zur Erarbeitung anwendungsorientierter Lösungsansätze zu übernehmen. Allerdings bedarf es hierzu eines erheblich stärkeren Engagements von Sponsorenseite. Gerade für Grundlagenforschung wird in Deutschland nur relativ selten Geld bereitgestellt, da die Entscheidungsträger hauptsächlich an konkret umsetzbaren Handlungsempfehlungen interessiert sind. Die intensive Forschung, die dafür erforderlich ist, wird allerdings nur in den wenigsten Fällen finanziell gefördert. Dies führt zum einen zu Produkten, denen zu oft der nötige wissenschaftliche Unterbau fehlt, zum anderen zu einer »Inselforschung«, die die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse auf andere Sachverhalte schwierig macht.

Weiterhin entsteht durch die recht geringe Anzahl von Instituten, die sich der Schnittstelle zwischen Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungsforschung verschrieben haben, ein elitärer Kreis, der wiederholt und fast automatisch von einem ebenfalls überschaubaren Kreis von Drittmittelgebern gefördert wird. Hier könnte Deutschland von den Vereinigten Staaten lernen und (hoffentlich steigende) Fördermittel diversifizierter verteilen und zugleich neue und innovative Initiativen und Forschungs- sowie Studienprogramme initiieren. Heute, so sollte dieser Beitrag zeigen, ist die deutsche Friedensforschung in einigen Bereichen durchaus wettbewerbsfähig, hinkt in anderen aber noch immer der US-amerikanischen hinterher. Allerdings fällt das Fazit des Vergleichs längst nicht mehr so negativ aus wie 1972 im SPIEGEL beschrieben.

Literatur

H. Peter Croll und Volker Franke. (2007): Globale menschliche Sicherheit – Schnittstellen zwischen Entwicklungs- und Sicherheitspolitik. eins – Entwicklungspolitik Information Nord-Süd, Heft 15/16 2007, S.33-37.

Tobias Debiel und Volker Franke (2008): Auf tönernen Füßen? Zur normativen Begründbarkeit menschlicher Sicherheit. In: Cornelia Ulbert und Sascha Werthes (Hrsg.): Menschliche Sicherheit – Globale Herausforderungen und regionale Perspektiven. Baden-Baden: Nomos, S.66-77.

Department of Defence (2015): The Minerva Initiative – Program History & Overview; minerva.dtic.mil.

Volker Franke und Robert H. Dorff (2012): Conflict Management and »Whole of Government« – Useful Tools for U.S. National Security Strategy? Carlisle, PA: U.S. Army War College, Strategic Studies Institute.

Volker Franke und Robert H. Dorff (2013): Conflict Management and Peacebuilding: – Pillars of a new American Grand Strategy? Carlisle, PA: U.S. Army War College, Strategic Studies Institute.

Johan Galtung (1971): A Structural Theory of Imperialism. Journal of Peace Research, Jg. 8, Nr. 2, S.81-117.

Louis Kriesberg (2002): Convergence Between International Security Studies and Peace Studies. In: Michael Brecher und Frank P. Harvey (eds.): Conflict, Security, Foreign Policy, and International Political Economy – Past Paths and Future Directions in International Studies. Ann Arbor: University of Michigan Press, S.584-597.

DER SPIEGEL: Kultur ist gewaltsam. In: Der Spiegel 52/1972, S.97-98.

Weltbank (2015): Populations between 0-14 (% of total); data.worldbank.org.

Dr. Volker Franke ist Professor für Konfliktmanagement an der Kennesaw State University in der Nähe von Atlanta/Georgia, USA. Lina Tuschling ist Doktorandin in International Conflict Management an der Kennesaw State University.

Mainstreaming Decolonialism?

Mainstreaming Decolonialism?

Zum Mehrwert einer dekolonialen FuK

von María Cárdenas

In der deutschen Friedens- und Konfliktforschung (FuK) wächst das Interesse an postkolonialem Arbeiten zögerlich und vor allem seitens der Studierenden (vgl. Engels 2014, S.131). Sie hinterfragen das So-Seiende und fordern auf, die eigene Eurozentrik in Wissenschaft und Praxis zu überprüfen – dies kann verunsichern, aber auch neue Wege offenbaren. Ein »Mainstreaming«, d.h. die Sichtbarmachung und Untersuchung von (post-) kolonialen Machtstrukturen sowohl in den für uns interessanten Themenfeldern als auch innerhalb unseres Arbeitens sowie die Integration post-/dekolonialer Perspektiven in diese Themenfelder, ist für die deutsche FuK unablässig, wenn sie selbst-, herrschafts- und wissenskritisch sein möchte. Vor diesem Hintergrund appelliert die Autorin an eine dekoloniale FuK, die sich als dezidiert wissenspolitisch versteht, und nennt einige Anforderungen an diese.

Postkoloniale Perspektiven gewannen in der internationalen Forschungslandschaft in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Auch in Deutschland existiert eine rege Debatte zu Subalternität,1 zu epistemischer Gewalt,2 zur Eurozentrik des Wissens und zu queer-feministischen Perspektiven auf Postcolonial Studies (u.a. Gutiérrez Rodríguez 2003; Burchardt/Tuider 2014). Die Verankerung post- und dekolonialer Perspektiven in der deutschen Forschung und Wissenschaft (insbesondere in der deutschen FuK) folgt allerdings widersprüchlichen Trends: Zwar wurde z.B. 2008 an der Goethe-Universität in Frankfurt/M. ein neues Research Center for Postcolonial Studies (FRCPS) gegründet und eine neue Juniorprofessur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Gender/Postkoloniale Studien geschaffen; auch besteht reges Interesse seitens der FuK-Studierenden an postkolonialen Studien. Gleichzeitig gibt es jedoch in der Fläche nur ein geringes Lehrangebot und bis dato nur wenige Fachbeiträge aus der FuK, die postkoloniale Perspektiven dezidiert einbeziehen und integrieren (Engels 2014). Engels (2014, S.138-142) formuliert zudem die Sorge, durch ein Mainstreamen postkolonialer Perspektiven könnte – ähnlich wie bereits durch das Mainstreamen von »Gender« geschehen – die notwendige Macht- und Wissenschaftskritik aus den Augen verloren werden.

Dennoch ist nicht zu verkennen: Das Interesse für postkoloniale Perspektiven wächst auch in der deutschen FuK. Als Keynote-Speaker konnte Tarak Barkawi auf dem letztjährigen Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) auf die Implikationen von eurozentrisch strukturiertem Denken in der FuK und auf die damit einhergehende Universalisierung provinzieller europäischer Deutungsmuster hinweisen (wie z.B. die Idee des souveränen Staates) (siehe Tagungsbericht der AFK von Hawari und Schnellhammer 2015, S.4). Des weiteren ist ein ZeFKo-Sammelband mit Beiträgen aus unterschiedlichen Disziplinen mit einer Bestandsaufnahme kritischer post-/dekolonialer Debatten in der deutschen FuK in der Entstehung, und im Marburger M.A. Friedens- und Konfliktforschung wurden in den letzten zwei Jahren sieben Seminare mit dem expliziten Nexus zu Postkolonialen Studien angeboten.3 Postkoloniale Perspektiven werden nicht zuletzt auch von Studierenden selbst in die Lehre und Wissenschaft getragen, indem sie Episteme in Frage stellen und etablierte Perspektiven und Paradigmen herausfordern.4 Zögerlich aber kontinuierlich kommen postkoloniale Perspektiven also in der deutschen FuK an.

Post- und dekoloniale Studien

Im Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses so genannter Postkolonialer Studien bzw. Theorien steht die „Wirkmächtigkeit des Kolonialismus bis in die Gegenwart […] in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft in den ehemaligen Kolonien ebenso wie in den ehemaligen Kolonialmächten“ (Engels 2014, S.132). Ausgehend von einer konstruktivistischen Perspektive zeigen sie auf, dass Geschichtsschreibung ebenso wie die Einteilung von Gesellschaften entlang regionaler, ethnischer bzw. rassistischer Kategorien als ein politisches Projekt der Beherrschung der (Post-) Kolonien (und ihrer Subjekte) verstanden werden muss.

Das postkoloniale Herrschaftssystem wird u.a. durch die Entwertung des kolonisierten Subjekts gefestigt und hält sich ungeachtet formaler Dekolonisierungsprozesse bis heute durch die epistemische Gewalt, den Zivilisationsmythos und das Entwicklungsparadigma (vgl. Castro-Gomez 2005; Coronil 2005; Kerner 2012). Vor diesem Hintergrund untersuchen Postkoloniale Studien die Effekte kolonialer Denkweisen, Diskurse und Imaginationen, die noch heute unsere Wahrnehmung, unsere Perspektive und unser Handeln prägen und sich in Politik und Gesellschaft, in Kunst, Kultur, Wissenschaft und den Medien niederschlagen (Kerner 2012, S.9). So liegt auch dem postkolonialen Herrschaftsgefüge die idealtypische Annahme einer dichotomen Beziehung zwischen Kolonisierenden vs. Kolonisierten zugrunde, die Formen militärischer, epistemischer, struktureller und diskursiver Gewalt gegenüber (ehemals) kolonisierten Gesellschaften rechtfertigt und hierdurch Machtasymmetrien aufrechterhält (Quijano 2000, Castro-Gómez 2005, Engels 2014).5

Durch Konzepte wie Positivismus, Universalismus und Linearität werden die eurozentrische Positioniertheit und Perspektive von Wissenschaft und Geschichte sowie die Privilegierung von weißen6/männlichen/westlichen Stimmen einerseits verleugnet, werden andererseits periphere/deviante Perspektiven folklorisiert (und damit diskreditiert). Dies bezeichnet Walter Mignolo als „Geopolitik des Wissens“, einer Dimension der Kolonialität7 (vgl. Mignolo 2000, Quintero/Garbe 2013). Als „kritische Intervention, die interdisziplinär denkt und eine immense Bandbreite an Themen bearbeitet“ (Castro Varela und Dhawan 2005, S.7f.) und eine selbstkritische Positionierung der am wissenschaftlichen Prozess Beteiligten fordert (vgl. Reuter und Karentzos 2012, Macleod und Bhatia 2008, u.a.), haben die Postkolonialen Studien zu einer Diversifizierung der Wissenschaftslandschaft beigetragen, indem sie Simplifizierungen und Generalisierungen entlarven und auf Probleme der Wissensgenerierung durch die Repräsentation und Darstellung von subalternen und devianten, also von der europäischen weißen Heteronorm abweichenden, Subjekten hinweisen.

Jedoch wurden inzwischen auch die Postkolonialen Studien dafür kritisiert, dass selbst sie – häufig aufgrund ihrer akademischen Verwurzelung im Westen – europäische Vordenker und deren »Brillen« gegenüber peripherem Wissen (sowohl aus den Postkolonien als auch innerhalb des Westens) privilegieren und somit häufig eine epistemische Kolonialität reproduzieren, statt sie zu dekonstruieren (vgl. Grosfoguel 2007). Eine dekoloniale Perspektive müsse daher vielmehr 1. über den westlichen Kanon hinausgehen, 2. einer universalen Weltvorstellung ein pluriversales Verständnis entgegensetzen sowie 3. anerkennen, dass Wissen nur dekolonisiert werden kann, wenn peripheres Wissen aus dem Globalen Süden (und Norden) kontinuierlich Einzug in wissenschaftliche Diskurse findet (ebd., S.212).

Dekoloniale Perspektiven als Grundlage für die FuK

Welchen Mehrwert hat eine post-/dekoloniale Perspektive für die FuK bzw. weshalb sollten dekoloniale Perspektiven eine Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens in der FuK sein?

Bislang werden aus dem Globalen Süden formulierte FuK-Themen in den (deutschen) Wissenschaften, in politischen Auseinandersetzungen sowie im Alltag häufig verkleinlicht und Deutungsmuster, Perspektiven und Interpretationen aus dem Globalen Süden seltener wahr- oder ernstgenommen. Vielleicht ist es für Personen wie mich (die im Globalen Norden und im Globalen Süden sozialisiert wurde) einfacher, Eurozentrismus zu erkennen und aufzudecken. Sind die Menschen jedoch selbst davon betroffen, ist es häufig kein einfaches, oft ein unangenehmes Unterfangen. Es sollte auch nicht allein in der Verantwortung von Menschen des Globalen Südens liegen, den Abbau von epistemischer Gewalt gegenüber Perspektiven des Globalen Südens in der Wissenschaft einzufordern. Möchten wir (post-) koloniale Wissenshierarchien in der FuK abbauen, ist ein Mainstreaming dekolonialer Perspektiven unbedingt notwendig.8

Welche Kriterien muss also ein Mainstreaming erfüllen, damit das herrschafts- und wissenskritische Fundament nicht verloren geht? Sollen postkoloniale Perspektiven wirklich Einfluss nehmen oder – vergleichbar dem Gender-Mainstreaming – lediglich der weiteren Legitimierung etablierter eurozentrischer Wissenschaft dienen? Wie kann eine deutsche FuK herrschafts- und wissenskritisch sein ohne, wie Grosfoguel (2007, S.211) an den postkolonialen und subalternen Studien bemängelte, in der patriarchalen, heteronormativen Eurozentrik verhaftet zu bleiben?

Für eine Dekolonisierung der deutschen Friedens- und Konfliktforschung (ebenso wie der deutschen Friedensbewegung!) und für einen Aufbau einer herrschafts- und wissenskritischen deutschen FuK sind u.a. die nachfolgend kurz erläuterten Punkte relevant.9

(Historische) Friedensforschung dekolonisieren

Die historische FuK in Deutschland beschäftigt sich vor allem mit der neueren internationalen Geschichte, insbesondere dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und dem so genannten Kalten Krieg. Sowohl die Kolonisierung als zentrale Epoche von massiver kriegerischer Gewalt, Kriegsverbrechen und dem Genozid ganzer Gesellschaften als auch Konflikte aus und im Globalen Süden vor dem Ende der formalen Kolonisierung hingegen finden kaum ihr Interesse.10 Selbst im Kontext der ausgiebig untersuchten »Weltkriege« bleibt die Welt jenseits Europas/USA in der deutschen FuK allzu häufig objektiviert; d.h. sie wird nur als Spielball/Werkzeug/Projektionsfläche der so genannten Weltmächte betrachtet und wird damit unsichtbar, handlungs- und stimmlos (Ausnahmen sind Japan und China).

Auch die sozialpsychologische Friedensforschung ist in der Auswahl ihrer Untersuchungsobjekte, -themen und -konzipierung weiterhin stark eurozentrisch geprägt (vgl. Vollhardt und Cohrs 2014), obwohl es zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine post-/dekoloniale Perspektive gibt, etwa in den Forschungsfeldern Rassismus und Diskriminierung. Die Auseinandersetzung z.B. mit der lateinamerikanischen Befreiungspsychologie kann helfen, diese Lücken zu füllen und periphere Perspektiven aus dem Globalen Süden zu integrieren (vgl. ebd.).

Internationale Beziehungen dekolonisieren und Simplifizierungen vermeiden

Chojnacki und Namberger (2014) leisteten jüngst aus postkolonialer Perspektive einen wichtigen Beitrag zur Demystifizierung der so genannten »neuen Kriege« und gegen einen Missbrauch von essentialisierten Subalternen zur Legitimierung von Krieg. Internationale Regelwerke als Instrumente westlicher Intervention rückten in den letzten Jahrzehnten in den Mittelpunkt post- und dekolonialer Kritik und sollten aus dieser Perspektive auch von der deutschen FuK untersucht werden (vgl. u.a. Escobar 2007; Quijano 2000). Hier bietet es sich an, Entwicklungs- und Wirtschaftskooperation, Rüstungsexporte und militärische Unterstützung gedanklich und in der Analyse stärker miteinander zu verknüpfen. Ebenso sollten künstlich geschaffene nationalstaatliche Grenzen in ihrer Relevanz für die Analyse gesellschaftlicher Konflikte kontextualisiert und im Zweifelsfall relativiert werden. Hierzu gehört auch, Begriffe wie »Krieg« zu dekolonisieren und die Hierarchisierung von staatlich-militärischer Gewalt gegenüber formal anders organisierter Gewalt mit ähnlichen oder schlimmeren Folgen für die Gesellschaften in Frage zu stellen. Die Verlagerung der Gewaltausübung zur Absicherung politischer und wirtschaftlicher Interessen (z.B. Europas) von formellen (d.h. militärischen) hin zu anders-formalen Akteuren (z.B. Banden, privaten Sicherheitskräften etc.) und in die Peripherie wird durch diese Hierarchisierung unsichtbar. Folgen wir also der eurozentrischen Logik, so erleichtern wir diese Gewalt und stabilisieren das postkoloniale Herrschaftssystem.

Methoden/empirische Forschung reflektieren

Wenngleich die sozialwissenschaftliche FuK bereits (selbst-) kritisch mit empirischen Forschungsmethoden, insbesondere mit den ihnen inneliegenden Machtasymmetrien, umgeht (vgl. Engels 2014), so sind diese Reflexionen in anderen Bereichen der FuK, etwa der Friedenspsychologie, weniger vertreten.11 Neben der Forschungsreflexivität spielen aus postkolonialer Perspektive auch die »politics of location« eine zentrale Rolle, also die (privilegierte) Positioniertheit der Forschenden und ihre Beziehung zu den zu Erforschenden (Macleod und Bhatia 2008, S.578). Postkoloniale Studien verweigern sich oft experimenteller und quantitativer Forschung, fordern jedoch gleichzeitig, ihren Schlussfolgerungen im globalen und postkolonialen Gefüge Konsequenzen folgen zu lassen (ebd., S.586). Ein kritischer Austausch bzw. eine Debatte hierzu innerhalb der inter- und transdisziplinären FuK wäre sicher auch für post- und dekolonial Arbeitende anderer Schwerpunkte von Interesse.

Abbau von Hierarchien des Wissens

Vermeintliches Alltagswissen und Annahmen über die Welt sind in Deutschland deutsch/eurozentrisch und nicht universell. Dies spiegelt sich auch in den Methoden und Theorien der FuK wider und erschwert den Dialog mit nicht-akademisch und/oder nicht-eurozentrisch Denkenden bzw. schließt sie aus. Dekolonisieren des Denkens bedeutet in diesem Kontext auch, Wissen als Plural zu begreifen, welches erst durch die Integration von unterschiedlichen und auch widersprüchlichen Formen von Wissen (pl.) seine Textur entfaltet. Dies zu tun und auch sprachlich widerzuspiegeln ist eine Herausforderung, die nur durch den kontinuierlichen Dialog mit bzw. die Integration von Akteur_innen geschafft werden kann, die nicht dem klassischen westlich-weiß-akademischen Kanon entsprechen. Dies würde auch zu einer stärkeren Transdisziplinarität der FuK führen. Erfahrungen des gegenseitigen Ausschlusses und des Nebeneinanderherlebens gibt es allerdings auch innerhalb deutsch-weißer Perspektiven: Friedensforschung und Friedensbewegung sind hierfür ein Beispiel – in diesem Spannungsfeld bewegt sich W&F seit über 30 Jahren.

Abbau von dichotomen und folklorisierenden/romantisierenden Bildern über den/die andere(n)

Mit dem vorherigen Punkt eng verknüpft sind verstetigte Stereotype über den/die andere(n) sowie mitunter ein Positionierungszwang und eine Fremdinterpretation von Nicht-Weißen. Auch die Friedensbewegung (wie auch die deutsche Linke im Allgemeinen) schließt häufig Menschen unreflektiert aus, wenn diese den »Fantasien« der Bewegung über die/den andere(n) (dem/der es zu »helfen« gilt) und über das, was er/sie sagen/denken sollte, nicht entsprechen. Ungeachtet unseres Anspruchs innerhalb der FuK und der Friedensbewegung sind auch wir nicht frei von der (unwillentlichen) Anwendung und Reproduktion von z.B. diskursiver Gewalt, die auf kolonialen Denkmustern beruhen. Auch wohlwollende paternalistische und stereotypisierende Äußerungen und Denkweisen stellen eine Form psychologischer und epistemischer Gewalt dar, die eine Hierarchisierung von Subjekten entlang kolonialer Stereotype reproduziert und die so Etikettierten diskreditiert. Dies steht der Befreiung der deutschen Friedensbewegung und -forschung von kolonialer Gewalt(anwendung) im Wege. Hilfe im Sinne von gut gemeintem Paternalismus (der Linken) einerseits und militärische Disziplinierung (der Rechten) andererseits gehen beide auf die unterstellte Unfähigkeit der anderen zurück, ihre Probleme selbst zu lösen, infantilisieren sie und sind somit zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

Europa in der FuK provinzialisieren

Wie soll es von hier nun also weiter gehen? Zwei Vorschläge sollen die diesbezügliche Debatte beleben:

  • Periphere Stimmen integrieren kann auch heißen, mit Bündnissen, Bewegungen etc. aus den Postkolonien und aus der Peripherie des Nordens (Subalterne, Nichtakademiker_innen, Migrant_innen, Sans-papiers etc.) stärker zusammenzuarbeiten, von ihnen zu lernen und ihnen Plattformen zur Äußerung zu bieten.
  • Positionierung sollten nicht gescheut werden. Zunächst können durch Absehen von einer vermeintlichen Neutralität/Objektivität der Wissenschaft (und damit einhergehend eine Positionierung/Sichtbarmachung der Autor_innenschaft) Ungleichverhältnisse und Unsichtbarkeiten sichtbar gemacht werden. Hierbei geht es nicht um eine Verurteilung Privilegierter, sondern darum, Privilegien (ebenso wie Unterdrückung) als mögliche Einflusskategorie auf wissenschaftliche Positionen und Perspektiven offenzulegen. Eine dekoloniale FuK sollte sich nicht scheuen, sich wissenspolitisch zu positionieren. Dazu gehört zum Beispiel auch, aktuelle Diskurse um gute und schlechte Geflüchtete und Obergrenzen aus wissenschaftlicher Perspektive als das zu entlarven, was sie sind: ein Beweis, dass die so genannte Universalität von Menschenrechten auch heute noch im Sinne kolonialer Denkstrukturen nach eurozentrischen Maßstäben verteilt wird und eben nicht für alle gilt.

Anmerkungen

1) Als subaltern werden nach Antonio Gramsci Mitglieder von beherrschten Gesellschaftsgruppen niederen Rangs bezeichnet. (Ashcroft et al. 2007, S.198) Gayatri Chakravorty Spivak macht im Kontext postkolonialer Studien auf die Problematik der Zweckinterpretation und damit die Objektivierung der Subalternen durch die herrschende(n) Klasse(n) aufmerksam (ebd.).

2) Epistemische Gewalt entsteht, wenn durch die Vorherrschaft einzelner Stimmen und die gleichzeitige Unsichtbarmachung alternativer Deutungen (von Geschichte, von Wissenschaft, von einem Sachverhalt) die Idee entsteht/gefestigt wird, es gebe nur eine (bestimmte) Wahrheit (die des/der Privilegierten). Epistemische Gewalt findet statt, wenn durch den Verweis auf das (vermeintlich) So-Seiende Machtansprüche legitimiert werden.

3) Angabe gemäß den Seminarvorstellungen im Vorlesungsverzeichnis.

4) Siehe dazu in diesem Heft: »konferenz von unten« – Ein Streitgespräch.

5) Für eine Analyse der aktuellen Reproduktion kolonialer Denkmuster als Legitimationsfigur für militärische Gewalt in der deutschen Berichterstattung siehe beispielsweise Andrea Nachtigall und Torsten Bewernitz (2011): Von »FrauenundKindern« zu »Embedded Feminism«. Frauen(rechte) als Legitimation für militärische Interventionen in den Medien – Variationen einer Legitimationsfigur zwischen Kosovo-, Afghanistan- und Irakkrieg. In: Bettina Engels und Corinna Gayer (Hrsg.) (2011): Geschlechterverhältnisse, Frieden und Konflikt – Feministische Denkanstöße für die Friedens- und Konfliktforschung. Baden-Baden: Nomos, S.27-46.

6) Unter »weiß« wird hier nicht (allein) die Hautfarbe verstanden, sondern damit sind Zuschreibungen von soziokulturellen und intellektuellen Kompetenzen/Attributen gemeint, die häufig an phänotypische Merkmale/Hautfarbe geknüpft sind bzw. mit Vorstellungen von einem europäischen Erbe im Sinne von Abstammung einhergehen. Hierdurch werden bestimmte Privilegien freigesetzt. Vgl. Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (2009): Mythen, Masken und Subjekte – Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast.

7) Für eine deutschsprachige Einführung in das Konzept der Kolonialität siehe Quintero und Garbe (2013).

8) Ich habe diesen Absatz als Reaktion auf die Bitten meiner Redakteurinnen abgewandelt. Mir war zweifach nahe gelegt worden, den Absatz, wie er in seiner Ursprungsform war, zu streichen oder „deutlich [zu] entpersonalisieren“, weil er nicht zu dem sonst wissenschaftlich/akademischen Text passe und/oder sein Mehrwert nicht erkenntlich sei. Ich stimme damit nicht überein, habe jedoch nun versucht, einen Mittelweg zu formulieren, der weniger persönlich ist, aber doch meine Positioniertheit nicht verdeckt. Wissenschaft ist immer auch persönlich und hängt von unserer sozialen Herkunft, unseren Erfahrungen und unseren Perspektiven ab. Dekoloniale Forderungen kritisieren ja gerade, dass das Verschleiern unserer Positioniertheit eine vermeintliche, aber nichtexistente wissenschaftliche Objektivität vorgaukelt, die bislang die Fortschreibung von Euro-/Ethnozentrismus gefördert hat. Wissenschaft ist politisch und Politisches ist emotional.

9) Siehe dazu auch: Decoloniality Europe (2013): Charter of Decolonial Research Ethics. decolonialityeurope.wix.com.

10) Eine Ausnahme ist Sandra Mass (2006): Weiße Helden, schwarze Krieger – Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918-1924. Köln: Böhlau.

11) Für einen Überblick über Forschungsimplikationen für eine postkoloniale Psychologie siehe Macleod und Bhatia (2008).

Literatur

Bill Ashcroft, Gareth Griffiths, Helen Tiffin (2007): Postcolonial Studies – The Key Concepts. Abingdon: Routledge, Second edition.

Hans-Jürgen Burchardt und Elisabeth Tuider (2014): Das vermachtete Subjekt – Feministisch-postkoloniale Perspektiven auf Entwicklung. Politische Vierteljahresschrift 48 (2014), S.381-404.

Santiago Castro-Gómez (2005): Ciencias sociales, violencia epistémica y el problema de la »invención del otro«. In: Edgardo Lander (ed.): La Colonialidad del Saber – eurocentrismo y ciencias sociales. Perspectivas latinoamericanas. Buenos Aires: CLACSO libros, S.145-162.

María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan (Hrsg.) (2005): Postkoloniale Theorie – Eine kritische Einführung. Bielefeld: transcript.

Sven Chojnacki und Fabian Namberger (2014): Die »neuen Kriege« im Spiegel postkolonialer Theorien und kritischer Friedensforschung – Ein Plädoyer für die Befreiung von der Last der Vereinfachung. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, 3. Jg., Heft 2, S.157-202.

Fernando Coronil. Naturaleza del poscolonialismo – del eurocentrismo al globocentrismo. In: E. Lander (ed.): La Colonialidad del Saber – eurocentrismo y ciencias sociales. Perspectivas latinoamericanas. Buenos Aires: CLACSO libros, S.87-111.

Arturo Escobar (2007): Worlds and Knowledges Otherwise. Cultural Studies, 21(2), S.179-210.

Bettina Engels (2014): Repräsentationen, Diskurse und Machtfragen – Postkoloniale Theorieansätze in der Friedens- und Konfliktforschung. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, 3. Jg., Heft 1, S.130-150.

Ramòn Grosfoguel (2007): The Epistemic Decolonial Turn. Cultural Studies, 21(2), S.211-223.

Encarnación Gutiérrez Rodriguez (2003): Repräsentation, Subalternität und postkoloniale Kritik. In: Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodriguez: Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Münster: Unrast, S.17-37.

Mona Hawari und Christine Schnellhammer (2015): 47. Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft der Friedens- und Konfliktforschung. »Stell Dir vor, es ist Krieg … « – Zum wissenschaftlichen Umgang mit kriegerischer Gewalt. Tagungsbericht; afk-web.de.

Ina Kerner (2012). Postkoloniale Theorien zur Einführung. Hamburg: Junius.

Catriona Macleod und Sunil Bhatia (2008). Postcolonialism and Psychology. In: Carla Willig und Wendy Stainton-Rogers (ed.): The SAGE Handbook of Qualitative Research in Psychology. London: SAGE.

Walter D. Mignolo. (2007): Introduction. Coloniality of power and de-colonial thinking. Cultural Studies, 21(2-3), S.155-167.

Quijano, Anibal. „Coloniality of Power, Eurocentrism, and Latin America.“ Nepantla: Views from the South 1, Nr. 3 (2000): 533–80.

Pablo Quintero und Sebastian Garbe (2013): Kolonialität der Macht – De/Koloniale Konflikte: zwischen Theorie und Praxis. Münster: Unrast.

Julia Reuter und Alexandra Karentzos (Hrsg.) (2012): Schlüsselwerke der Postcolonial Studies. Wiesbaden: Springer VS.

Martina Tißberger (2013): Dark Continents und das UnBehagen in der weißen Kultur – Rassismus, Gender und Psychoanalyse aus einer Critical-Whiteness-Perspektive. Münster: Unrast.

Johanna Ray Vollhardt und J. Christopher Cohrs. Aktuelle sozialpsychologische Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, 2. Jg., Heft 2, S.246-278.

Catherine Walsh (2007): Shifting the Geopolitics of Critical Knowledge. Cultural Studies 21, Nr. 2-3, S.224-39.

María Cárdenas hat in Marburg FuK studiert und ist für das Zentrum für Konfliktforschung seit 2012 Redaktionsmitglied bei W&F. Im WS 2015/16 bietet sie am ZfK ein Seminar für Masterstudierende zur Verknüpfung von post-/dekolonialen Studien und Sozialpsychologie/Psychoanalyse an (Titel: »Kultur der Gewalt« in Lateinamerika? Dekolonial-sozialpsychologischer Think Tank).

»konferenz von unten«

»konferenz von unten«

Ein Streitgespräch

vom Organisationsteam der »konferenz von unten«

Ist die Friedens- und Konfliktforschung (FuK) elitär, der Praxis ihrer postkolonialen Kritiken enthoben und ausschließend? Als Studierende der Universität Marburg woll(t)en wir uns damit auseinandersetzen, inwiefern »alternative« Räume geschaffen werden können, die Möglichkeiten bieten, »Mittäter*innenschaft« in Machtstrukturen kreativ zu bearbeiten. Ein Versuch dazu war die erste »konferenz von unten« (kvu), die vom 23. bis 25. Oktober 2015 in Marburg stattfand. Konnten wir unserem eigenen Anspruch mit der »konferenz von unten« gerecht werden? Da wir als Organisationsteam immer noch dabei sind, über diese Fragen nachzudenken und Antworten darauf zu finden, haben wir uns dazu entschieden, die Reflexion über die kvu als fiktives Streitgespräch zu verfassen, um so unterschiedliche Meinungen widerzuspiegeln.

Ein Gedanke: Die FuK könnte so viel weiter sein. Denn im Laufe unserer jeweiligen – insgesamt sehr diversen – Studienbiographien sind uns, den Organisator*innen der kvu, viele spannende Perspektiven begegnet – auch in der FuK.

Anderer Gedanke: Was meint denn »divers«? Sind unsere Studienbiographien wirklich so divers? Vielleicht kommen einige von uns aus unterschiedlichen Fächern, aber fast alle dieser Fächer sind geisteswissenschaftlich geprägt, und wir studieren zusammen unter ähnlichen Voraussetzungen: finanziell mindestens minimal abgesichert, ein deutscher Pass und ein soziales Umfeld, das uns unterstützt; ein hauptsächlich studentischer Freundeskreis, Familien vor allem aus dem Bildungsmilieu, WGs als Wohnform, Aktivitäten in studentischen und politischen Gruppen.

Ein Gedanke: Und obendrein entsprechen die Hauptlinien der Forschung – also das, was uns beigebracht wird – im Gros einem liberalen Projekt. Hinter dem vermeintlichen Konsens, dass »wir« alle für »das Gute« einstehen, verstecken sich eine unreflektierte Haltung zur und ein unreflektierter Umgang mit der eigenen Position. Auch die FuK schafft und verstetigt bestehende Macht-, Ungleichheits- und Unterdrückungsstrukturen.

Anderer Gedanke: Aber wer ist denn genau »die« FuK? Studierende, Lehrende, Forschung, Inhalte, Seminare … können wir die wirklich derart vereinheitlichen? Müsste das nicht alles viel differenzierter dargestellt werden? Wenn wir eine kritische Perspektive ernst nehmen wollten, müssen wir auch die Unterschiede zwischen den Instituten etc. benennen. So stellt sich zumindest die Frage, ob sich einige Personen und/oder Inhalte nicht bereits kritisch mit den eigenen Positionen auseinandersetzen.

Ein Gedanke: Selbst wenn Lehre und Forschung in der FuK Angebote machen, die es ermöglichen, kapitalismuskritische, feministische und postkoloniale Perspektiven einzubringen, eifern diese Beiträge der Wettbewerbs- und Herrschaftslogik des immer Neuen hinterher: neue Begriffe, hochgradig elitär verklausulierte Ideen, etc. In diesen Perspektiven steckt aber andererseits so viel emanzipatorisches Potenzial, das hier ungenutzt bleibt und nicht in die Praxis umgesetzt wird. Wir setzen uns in Seminaren und in der Forschung auf theoretischer Ebene mit unserer gesellschaftlichen Positionierung auseinander und kritisieren die Ausnutzung von Privilegien – und im selben Moment verbleiben Studierende und Dozierende oft in ihren starren Rollen und Hierarchien: Der*die Dozent*in tritt als Expert*in von kritischen Wissensbeständen auf, die Studierenden ziehen sich zurück in ihre Rolle als passive Wissensempfänger*innen.1

Anderer Gedanke: Genau das trifft insbesondere auf wissenschaftliche Konferenzen zu. Zudem sollte einmal mehr angemerkt werden, dass Seminare sehr unterschiedlich sind und es vereinzelt Ansätze gibt, Hierarchien aufzubrechen.

Weiterer Gedanke: Ja, stimmt. Und dennoch bleibt der Eindruck bestehen, dass – insbesondere bei Konferenzen – Diskussionen formal gefragt, aber eigentlich nicht erwünscht sind. Verschiedenste Barrieren erschweren einen konstruktiven, ehrlichen, selbstkritischen Austausch. So herrschen zum Beispiel verinnerlichte hierarchische Diskussionsregeln vor, durch die der Inszenierung der Konferenz Vorrang vor ihrem Inhalt gegeben wird. Welche Studierenden, geschweige denn Menschen von außerhalb der Wissenschaftsinstitutionen, trauen sich überhaupt, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen oder gar interessierte Fragen zu stellen? Diese kollektive Selbstbeweihräucherung, Zirkelbildung, Elitensalons hinter ach so offenen Türen wollten wir in Frage stellen.

Die »konferenz von unten« – konfliktiv, mächtig, kreativ?

Ein Gedanke: Die Idee der »konferenz von unten« war es, einen Raum zu schaffen, der offen sein sollte für kritische Themen, für einen hierarchiereduzierten Austausch sowie für andere Formen der Wissensvermittlung und -aneignung. Realisieren wollten wir dies einerseits über sonst weniger berücksichtigte Methoden der Konferenzgestaltung (d.h. interaktive Workshops anstatt Panels und Frontalvorträge) und andererseits durch das Zulassen und Annehmen von Fragen, Zweifel, Spontanität und der Möglichkeit des Nichtverstehens.2

Anderer Gedanke: Und gleichzeitig war uns von Beginn an klar, dass eine Realisierung dessen im eigentlichen Sinne vielleicht gar nicht möglich ist, dass die Konferenz nur ein Versuch, ein Anfang sein kann, der an Grenzen stoßen würde.

Ein Gedanke: Unser Ziel (und ja, vielleicht auch die Illusion) war es, Menschen von innerhalb und außerhalb des Wissenschaftsbetriebs sowie Menschen aus weniger privilegierten genauso wie aus machtvollen Positionen einzuladen und zum gemeinsamen Austausch über Themen der Friedens- und Konfliktforschung zu ermutigen. Dabei wollten wir uns verschiedensten Fragen widmen: Was machen wir mit den Erkenntnissen der FuK? Wozu kann FuK dienen? Was bedeutet es, FuK zu studieren und damit zu arbeiten? Inwieweit ist die FuK Teil der Gesellschaft und der Ausschlüsse, die diese Gesellschaft produziert? Inwiefern machen wir uns damit zu Mittäter*innen dieser Strukturen, und wo bestehen Möglichkeiten der Kritik und Emanzipation? Unter dem Titel »Konflikt. Macht. Kreativität. Kritische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung« luden wir über verschiedene soziale Netzwerke, Mailing-Listen, studentische, universitäre und/oder aktivistische Kreise dazu ein, sich an der Konferenz zu beteiligen. Wir versuchten, die Konferenz möglichst barrierefrei, offen, interaktiv, hierarchiefrei und unabhängig, transparent und selbstkritisch zu gestalten, zum Beispiel durch offene Workshopformate, das Fehlen eines Teilnehmendenbeitrags, rollstuhlgerechten Zugang zu Räumlichkeiten, ein »Parkplatz-Team« für konkretes und akutes Unwohlsein sowie bei Problemen mit Äußerungen oder Themen, Kinderbetreuung, das Wochenendformat für arbeitende Menschen sowie die Alte Mensa als ein offener Raum, der nicht in erster Linie der Universität zugehörig ist.

Anderer Gedanke: Auch Kritik kann elitär sein, kann Ausschluss erzeugen und könnte in vielem so viel weiter sein. Schon angefangen bei der Sprache: Gerade beim Verfassen dieses Artikels ist mal wieder aufgefallen, dass es oft schwer fällt, komplexe Inhalte verständlich auszudrücken, denn nicht alles lässt sich ohne das entsprechende Vokabular in gleicher Weise formulieren. Und eigentlich sollte doch gerade dieser Artikel seinem eigenen Anspruch gerecht werden. oder?

Ein Gedanke: Durch ihre Struktur und Durchführung haben es einige Workshops möglich gemacht, sich nicht nur aufs Denken und Sprechen zu konzentrieren. Durch beispielsweise einen Theaterworkshop, ein Rollenspiel und filmisch-visuelle Beiträge wurden Emotionalität sowie körperliche Erfahrungen zugelassen und ein unkonventionelles Verstehen ermöglicht. Das gemeinschaftliche Gestalten und Erleben haben die kvu zu diesem offenen Raum werden lassen. Denn nicht im Verleugnen von Differenzen, Macht und Dissens, sondern im Begegnen und gemeinsamen Ringen kann Öffnung erst realisiert werden. Gleichzeitig ist die Konferenz – trotz des positiven Feedbacks – nicht erhaben über jeglichen Zweifel bezüglich der angestrebten Offenheit und Ziele.

Anderer Gedanke: Stimmt. Im Gegenteil: Zweifel war und ist eigentlich allgegenwärtiger Bestandteil der kvu, Selbstkritik eine unverzichtbare und ständige Begleiterin. In langwierigen Diskussionen vor und während der Konferenz haben wir versucht, unsere eigenen Ausschlüsse von bestimmten Menschen und bestimmten Perspektiven sowie unsere – vielleicht auch heimliche, weil nicht bewusste – Unterstützung der bestehenden Machtverhältnisse aufzudecken und zu verhandeln. Welche Ausschlüsse meinen wir? Na ja, sehen wir uns allein die relativ homogene Zusammensetzung der Teilnehmenden an: größtenteils Studierende, denen es möglich ist, eine solche Veranstaltung unentgeltlich in ihrer freien Zeit zu organisieren, die oft akademische Sprache (was mit diesem Artikel wieder einmal bewiesen wurde), vorausgesetztes »Fachvokabular« und »Expert*innenwissen« sowie die immer noch (für viele Menschen zurecht abschreckende) begrenzte Interaktivität einiger »klassischer« Beiträge (in Form von Vorträgen). Wir haben Menschen und Perspektiven ausgeschlossen, die nicht an unsere deutschsprachigen Diskussionen anknüpfen konnten, weil wir keine Übersetzungen anbieten konnten. Allein über unsere Werbung für Beiträge und Teilnahme über bestimmte (vor allem studentische) Kanäle haben wir unzählige Ausschlüsse produziert. Warum haben wir es nicht geschafft, mehr Schnittstellen mit Menschen aus der Praxis herzustellen, damit sie ihre Perspektiven in unseren Austausch hätten einbringen können? Und weil die verschiedenen Ausschließungen in uns allen derart verankert sind, haben wir, die wir an der Konferenz teilgenommen, mitgewirkt und die unterschiedlichen Themen dort miteinander verhandelt haben, wiederum konkret Ausschlüsse reproduziert.

Die »konferenz von unten« und ihre Kinder

Ein Gedanke: Am Ende der Konferenz frag(t)en wir uns: Wie funktioniert eine fruchtbare Verbindung von kritischer Wissenschaft und politischem Aktivismus? Wie verhindern wir ein Auseinanderdriften von kritischer Theorie und kritischer Praxis in späteren (Lohn-) Arbeitsverhältnissen? Was können neue Orte der Wissensvermittlung außerhalb der Universität sein? Was kann Konkretes aus der Vielfalt einer solchen Konferenz erwachsen? Kann eine Konferenz als Format bereits Widerstand sein?

Anderer Gedanke: Es ist bemerkenswert, dass die Gedanken, Methoden und Möglichkeiten, die während der kvu ausprobiert wurden, an Universitäten oft nicht ausreichend integriert werden. Sind doch zum Beispiel einige der Methoden und Inhalte (interaktive Elemente, das gemeinsame Erarbeiten von Wissen, generell das Hinterfragen der eigenen Position und das Offenlegen der eigenen Privilegien sowie das Ziel eines achtsamen Umgangs miteinander) in der Bildungsarbeit, aber auch in bestimmten (herrschaftskritischen) politischen Praktiken sehr viel präsenter.

Weiterer Gedanke: Bemerkenswert? Sind dies denn überhaupt repräsentative Wünsche der Mehrheit der FuK-Studierenden? Sind nicht viele vollkommen zufrieden damit, in einem – im Vergleich zu anderen Studiengängen – relativ kritischen Umfeld zu studieren? Und was ist mit dem Wunsch und vielleicht auch mit der Strategie, vom wissenschaftlichen Mainstream in der Friedens- und Konfliktforschung ernst genommen zu werden, um auf diese Weise Veränderungen herbeizuführen? Wir sollten uns fragen, für wen wir hier sprechen, ob wir überhaupt für irgendwen anders als uns selbst sprechen können, wollen und dürfen.

Ein Gedanke: Diese Fragen bleiben Bestandteil eines nicht abschließbaren Reflexionsprozesses. Schon der Titel der Veranstaltung, »konferenz von unten«, erscheint im breiteren gesellschaftlichen Verständnis etwas zynisch. Wir haben uns diesen Begriff angeeignet, aber mit welcher Berechtigung?

Anderer Gedanke: Und trotzdem ist doch der Titel – relativ gesehen und auf die Wissenschaft bezogen – immer noch richtig. Was sonst ist denn »von unten«, wenn nicht Perspektiven, die (noch) nicht im Mainstream-Wissenschaftsdiskurs angekommen sind und eventuell das Potenzial haben, diesen herauszufordern?

Ein Gedanke: Es bleibt offen, welche tatsächlichen Auswirkungen solche Konferenzformate auf die Teilnehmenden und die Friedens- und Konfliktforschung im Allgemeinen haben (können). Unser Wunsch nach einer offenen und selbstkritischen Wissenschaft bleibt auch nach und aufgrund der »konferenz von unten« bestehen.

Anderer Gedanke: Die aufgeworfene Kritik und der Versuch der Selbstreflexion sind gut und wichtig, aber wohin führt uns das? Unsere Erziehung, Sozialisierung und (Aus-) Bildung hinterlassen ihre Spuren: Offene Fragen, unauflösbare Spannungen erscheinen oft als Mangel, so etwas sollte es nicht geben. Wir brauchen immer und am besten sofort Antworten und Lösungen. Denn sonst fühlen wir uns nicht Mensch, denn mensch3 tut immer etwas oder weiß immer, was zu tun ist. Aber vielleicht ist das schon Teil des Problems. Und warum immer diese Trennung zwischen (selbstkritischem Nach-) Denken und Handeln? Ja, die Spannungen und Fragen ohne Antworten fühlen sich nicht gut an – und doch ist dieses Unwohlsein vielleicht notwendig, schafft vielleicht anders, gemeinsam verhandelte, sozusagen »langsame Antworten«. Was für uns dabei konkret bleibt, ist der ständige Versuch, die aufgeworfenen Fragen zu thematisieren. Auf diese Weise setzen wir diese letztlich in eine kritische Praxis um, oder?

… to be continued …

Wir freuen uns auf die »konferenz von unten« 2017 und auf andere Vorhaben, kritische Inhalte umzusetzen!

Anmerkungen

1) Übrigens betrifft dieses Phänomen auch die Seminare mit konservativen Inhalten, wobei hier ja vielleicht Form gleich Inhalt sein soll.

2) Das vollständige Programm ist online auf unserer Homepage zu finden: konferenzvonunten.wordpress.com.

3) Wir wollen »mensch« als alleinständigen Ausdruck verteidigen. Sprachwissenschaftlich wird darüber gestritten, ob »man« von Mann abstammt und daher eine Abwandlung Sinn macht oder nicht, jedoch verstehen wir – die wir diesen Text geschrieben haben – »mensch« als einen politischen Ausdruck, der den hegemonialen Sprachgebrauch gendersensibler gestalten soll, erstmal provoziert und deshalb zum Nachdenken anregt.

Für den Frieden forschen?

Für den Frieden forschen?

von Beatrix Austin, Konstanze Jüngling, Mathias Krams und Götz Neuneck

Friedensforschung ist facettenreich. Als interdisziplinäre Forschung verfügt sie über ein breites Themenspektrum, und mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche und weltpolitische Entwicklungen scheinen die Herausforderungen zu wachsen. Aber welche Motivationen und Prinzipien liegen dieser Disziplin zu Grunde? Welche Themen prägen Friedensforschung? Was leistet Friedensforschung, beziehungsweise was kann oder soll sie leisten? Wie verhält sich Friedensforschung zur Friedensbewegung bzw. zum Pazifismus? In den folgenden Beiträgen nähern sich vier Friedensforschende aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten diesen Fragen und erläutern aus ihrer persönlichen Perspektive, was sie in ihrer Forschung heute motiviert und beschäftigt und was und wen Friedensforschung erreichen soll.

Konflikttransformation mit Verstand, Herz und Kreativität

von Beatrix Austin

In meinem familiären Umfeld und Freundeskreis treffe ich nicht selten auf Personen, denen so gar nicht einleuchten will, was ich mit meinen Studien der Politikwissenschaft (Schwerpunkt Internationale Beziehungen) und Public Administration (Schwerpunkt Conflict Management) nun anfange. Sich – in welcher Form auch immer – für den Frieden einzusetzen, erscheint den Verwunderten als naiv und idealistisch, auf jeden Fall als eine Sisyphusaufgabe, bei der der Stein, der den Berg wieder herunter rollt, gar jedes Mal größer zu werden scheint. Doch gerade angesichts einer zunehmend gewaltvollen Welt scheint es mir unabdingbar, unermüdlich Verstand, Herz und Kreativität dafür einzusetzen, dass menschliche Gemeinschaften allerorts Alternativen zur Gewalt entdecken. Ebenfalls gilt es publik zu machen, dass genau dies auf der ganzen Welt immer wieder Friedensstifterinnen und Friedensstiftern gelingt.

In diesem Sinne verfolge ich die Friedensforschung als Aufgabe, fundierte Alternativen zu Krieg und Gewalt zu entdecken, zu prüfen und zu verbreiten. Als Mitherausgeberin des »Berghof Handbook for Conflict Transformation« habe ich Gelegenheit, solche Friedensstrategien gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus einer Vielzahl von Disziplinen und Weltregionen unter die Lupe zu nehmen: Forschung trifft auf Praxis und umgekehrt, was ich für immens wichtig erachte. Gleichzeitig begreife ich eine Tätigkeit in der Friedensforschung auch als Anforderung an das eigene berufliche und private Leben, in dem Gewaltlosigkeit ebenfalls den Maßstab setzen muss.

Wenngleich die Friedensforschung in den vergangenen Jahrzehnten an Profil gewonnen hat und in Universitäten, Institutionen und im öffentlichen Leben verankert ist, scheint sie nach wie vor eine Nischenwissenschaft zu sein. Dabei ist sie immens facettenreich – methodisch und thematisch herrscht eine Vielfalt, die es gelegentlich schwer macht, einen »roten Faden« zu erkennen oder eine klare »Friedenstheorie« zu vermitteln. Gleichzeitig kann die Nische jedoch genutzt werden, um kritische Fragen zu stellen – für mich eine der Hauptaufgaben der Friedensforschung – und diese Fragen auch mit denen zu erörtern, denen andernorts wenig Stimme zugestanden wird, nämlich den lokalen Akteuren in fragilen Friedensprozessen. Hier erfüllt die Friedensforschung den wichtigen Zweck, Herrschaftsverhältnisse kritisch zu beleuchten und zugleich in ihrem Zuschnitt und ihrer Methodik gewaltlastige Herrschaft nicht zu wiederholen.

Thematisch sehe ich die Friedensforschung breit aufgestellt. Zentral ist in meinen Augen, dass sie anwendungsorientiert ist und sich der praxeologischen Diskussion stellt. Kurt Lewin wird der Ausspruch zugeschrieben, „Research that produces nothing but books will not suffice“ (Forschung, bei der nur Bücher herauskommen, ist nicht gut genug) – ein wie für die Friedensforschung gemachter Satz. Zudem muss Friedensforschung offen bleiben für neue Impulse und Entwicklungen. Im »Berghof Handbook« untersuchen wir derzeit zum Beispiel das oft als »neu« beschriebene Phänomen, dass Gewalt außerhalb von Krieg und Bürgerkrieg zum Teil epidemische Formen angenommen hat: als soziale und privat organisierte Gewalt, als sexualisierte Gewalt, als Gewaltkriminalität etc. Bislang ist die Friedensforschung in diesem Themenfeld wenig in Erscheinung getreten, obgleich doch ihre Vision eines friedlichen Miteinanders unmittelbar betroffen ist und auch ihre Erkenntnisse (vor allem aus der konstruktiven Konfliktbearbeitung) relevant sind. Ein weiteres Thema, das ich als elementar ansehe, ist, dem Umgang mit gewaltvoller Vergangenheit (sowohl individuell als auch kollektiv/sozial) und seiner Rolle für die Friedfertigkeit oder Konflikthaftigkeit einer Gesellschaft nachzugehen.

Die Friedensbewegung spielt für meinen Werdegang und in meiner Tätigkeit keine prägende Rolle. Nachdrücklich geformt haben mich hingegen zum einen die Unterstützungskampagnen der Anti-Apartheidsbewegung in und für Südafrika, mit denen ich vor allem im schulischen und kirchlichen Umfeld in Berührung gekommen war. Zum anderen hat mich vom ersten Auslandsaufenthalt zu Studienzeiten an der Umgang mit meiner Verantwortung als junge deutsche Bürgerin beschäftigt, die andernorts schnell Stellung beziehen muss zur Gewaltvergangenheit Deutschlands.

Obgleich die Konzepte des Pazifismus und der Gewaltlosigkeit im Kern meinen Werten sehr nahe stehen, ist mir der Begriff der Konflikttransformation näher, da er zwar eine umfassende Vision formuliert (Verhaltensweisen, Werte und Strukturen so umzugestalten, dass sie einen gewaltfreien Umgang mit Konflikten ermöglichen und die soziale Gerechtigkeit befördern), gleichzeitig jedoch klar die »Nichtlinearität« von Konfliktverläufen anerkennt und in den Blick nimmt, wie selbst bei erneuten Rückfällen in die Gewalt immer von neuem eine Bewegung hin zum Frieden möglich werden kann.

Beatrix Austin, Dipl.Pol. und MA Public Administration, ist Senior Coordinator bei der Berghof Foundation. Sie arbeitet berufsbegleitend an einer Doktorarbeit zur Viktimisierung und Friedensförderung in Nachkriegsgesellschaften.

Für den Frieden über den Frieden forschen

von Konstanze Jüngling

Als ich vor acht Jahren ein Studium und anschließend eine Tätigkeit in der Friedensforschung aufnahm, trieb mich vor allem eine Frage an: Wie lassen sich fundamentale Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, durchsetzen? Während eines Praktikums bei einer Flüchtlingshilfeorganisation hatte mir ein Asylbewerber aus der russischen Nordkaukasus-Republik Tschetschenien von seinen Erfahrungen im Zweiten Tschetschenienkrieg erzählt. Tief schockiert über die dortigen Gräueltaten russischer und tschetschenischer Sicherheitskräfte grübelte ich darüber nach, was man gegen solche Verbrechen ausrichten kann. Ich wollte mehr über die Voraussetzungen für eine Abkehr von Gewalt herausfinden, um diese Erkenntnisse anschließend in die Praxis einzubringen. Als Doktorandin am Leibniz Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) ging ich folglich der Frage nach, unter welchen Bedingungen internationale Menschenrechtskritik die Großmächte USA und Russland zu Verhaltensänderungen mit Blick auf Orte wie Guantánamo oder Tschetschenien bewegen kann. Dieses Ziel, für den Frieden über den Frieden zu forschen, motiviert mich weiterhin und stellt für mich ein zentrales Element von Friedensforschung dar.

Aufgabe der Friedensforschung ist es aus Sicht der HSFK, „Vorschläge [zu] entwickeln, wie die Ursachen von Konflikten möglichst frühzeitig erkannt, ihrer gewaltsamen Austragung vorgebeugt und politische Regelungen für ihre Lösung getroffen werden können“.1 Im Unterschied zur Konfliktforschung ist die Friedensforschung damit explizit auf den Frieden hin orientiert und in diesem Sinne normativ. Eine solche „präskriptive Dimension“2 im Sinne einer klaren Zielvorgabe leitet meine Themenauswahl und hilft mir, die gelegentlich im Forschungsalltag auftretende Frustration zu überwinden. Ohne Konfliktforschung wäre Friedensforschung freilich kaum vorstellbar. Wer an der Verhinderung und Beilegung gewaltsamen Konfliktaustrags interessiert ist, kommt nicht umhin, die Ursachen bzw. Bedingungen von Konfliktdynamiken zu erforschen. Friedens- und Konfliktforschung sind für mich also zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Forschen für den Frieden bedeutet, dass Friedensforschung anwendungsorientiert ist und ihre Erkenntnisse an relevante Entscheidungsträger*innen weitergibt. Sie sollte zuvorderst diejenigen erreichen, die »friedensrelevante«, d.h. für eine Problematik bedeutsame, Positionen bekleiden – von Politiker*innen und Diplomaten*innen bis hin zu Mitarbeiter*innen von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen. Sie sollte auch Akteure ansprechen bzw. einbinden, die willentlich zu »Unfrieden« beitragen und scheinbar nicht am Frieden interessiert sind. Die Chance der Friedensforschung besteht aus meiner Sicht gerade darin, einen Raum zu schaffen, in dem die Konsequenzen eines Handelns frei von politischen bzw. diplomatischen Zwängen auf der Basis solider Forschung aufgezeigt und diskutiert werden können.

In einem neuen Projekt beschäftigt mich die Frage nach einem Zusammenhang zwischen den teils hochrepressiven Politiken im Nordkaukasus und einer beobachtbaren Transnationalisierung der von dort ausgehenden nichtstaatlichen Gewalt, wie sie sich u.a. in der Zahl an nordkaukasischen Kämpfern*innen beim »Islamischen Staat« widerspiegelt. Kategorisch auszuschließen, künftige Ergebnisse dieser Forschung mit denjenigen Akteuren zu diskutieren, die für eben diese repressiven Politiken verantwortlich sind, wäre verfehlt. Der Dialog mit vermeintlich »friedensunwilligen« Akteuren kann durchaus erfolgreich sein. Immer wieder haben sich etwa Rebellengruppen im Falle ihrer Einbindung durch zivilgesellschaftliche Akteure freiwillig humanitären Normen verpflichtet. Die Grenzen eines Engagements mit Stiftern*innen von Unfrieden sind dagegen dort erreicht, wo dies von den Gewaltakteuren zur puren Legitimationsbeschaffung genutzt wird. Jedoch sollte die Friedensforschung im Sinne ihres klassischeren Auftrags selbstverständlich auch immer die breitere, ebenfalls »friedensrelevante« Öffentlichkeit im Blick haben.

Ungeachtet bzw. gerade wegen seiner normativen Stoßrichtung ist Forschen über den Frieden für mich eine empirisch-analytische Angelegenheit und setzt – wie jede seriöse Forschung – eine ausreichende Unabhängigkeit der Forschenden voraus. Der oben erwähnte Anspruch, die Ursachen von Konflikten frühzeitig zu erkennen, heißt, dass Friedensforschung sich explizit auch solcher Themen annehmen sollte, die es (noch) nicht in den Fokus der Öffentlichkeit geschafft haben. Friedensforschung denkt langfristig und benötigt dementsprechend eine breite thematische Perspektive. Dessen unbenommen sollte freilich Friedensforschung gerade aufgrund ihrer thematischen Breite in der Lage sein, kurzfristig Antworten auf drängende Gegenwartsfragen bereit zu halten. Es ist die Mischung aus einem antizipativen Ansatz und einer expliziten Gegenwartsorientierung, die ein Forschen über den Frieden zum Forschen für den Frieden macht.

Konstanze Jüngling schloss ihre Promotion an der HSFK im November 2015 ab und ist jetzt wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg.

Strukturen offen legen und Wege bahnen

von Mathias Krams

Der Wunsch, mich in meinem Master mit den Themen Frieden und Konflikt auseinanderzusetzen, begründet sich in der Faszination für die Herausforderungen und zugleich Potenziale, die Konflikte mit sich bringen. Außerdem begeistert mich an dem Themengebiet seine normative Dimension -: das heißt für mich, durch Studium und Arbeit einen Beitrag zur Annäherung an Frieden zu leisten.

Kernelemente einer Ausbildung in der Friedensforschung sind meiner Einschätzung nach daher nicht nur die Aneignung von Wissen sowie die Herausbildung analytischer Fähigkeiten; eine Beschäftigung mit den behandelten Themen verlangt auch nach einer ständigen Reflexion und Infragestellung seiner eigenen gesellschaftlichen Positionierung und inhaltlichen Einstellungen im Kontext sich ständig wandelnder Realitäten. Frieden verstehe ich dabei in seiner weiten Definition (positiver Frieden), was bedeutet, dass zu dessen Erreichung neben der Bearbeitung von direkter Gewalt, wie z.B. kriegerischen Handlungen, auch die Überwindung von struktureller Gewalt in Form von sozialen Ungleichheiten und institutionalisierter Diskriminierung gehört. Immer stärker erkenne ich im Verlauf meines Studiums jedoch auch, dass dafür Strukturen und Praktiken in der Wissenschaft selbst angegangen werden müssen, die Ungleichheiten verstärken oder ignorieren. Dies ist insbesondere bei einer Wissenschaft problematisch, die auf den Anspruch zurückgeht, einen aktiven Beitrag zum Frieden zu leisten.

Aktuell scheint in der Friedens- und Konfliktforschung hingegen der Fokus vornehmlich darauf zu liegen, über den Frieden anstatt für den Frieden zu forschen. Sie droht damit den Kontakt zu denjenigen Akteur*innen zu verlieren, die sich aktiv für Frieden einsetzen, wie soziale Bewegungen und die darin involvierten Aktivist*innen. Persönlich halte ich das für fatal, da dadurch das für mich wichtige Ziel einer auf Veränderung abzielenden Forschung aus den Augen verloren wird. Zudem führt die starke Drittmittelabhängigkeit der Forschung dazu, dass – einer kapitalistischen Verwertungslogik folgend – Erkenntnisse im schlimmsten Falle sogar für militärische Zwecke missbraucht werden.

Hoffnung gibt jedoch, dass auch innerhalb dieser Wissenschaft Räume existieren, in denen ein Austausch sowohl zu den genannten Kritikpunkten als auch zu Veränderungsmöglichkeiten stattfindet. Verwiesen sei hier beispielsweise auf die im Oktober 2015 in Marburg studentisch organisierte »konferenz von unten«3 oder auf den jüngst gegründeten Arbeitskreis Herrschaftskritische Friedensforschung innerhalb der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK). Generell stellt sich jedoch die Frage nach den Möglichkeiten und dem Potenzial alternativer Formen der Wissensgenerierung und -vermittlung.

Ich selbst beschäftige mich derzeit inhaltlich vor allem mit dem Phänomen des Widerstandes, seinen Voraussetzungen sowie seinem Potential für gesellschaftliche Veränderungen. Auch zur Bearbeitung konkreter Konflikte kann eine Analyse von Widerstand einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie hilft, gewaltsame Strukturen offenzulegen und damit den Weg zur Annäherung an einen positiven Frieden zu ebnen. Besonders in den Fokus rückt hierbei die Analyse von Macht, sowohl in ihrer restriktiven Form zur Unterdrückung von Widerstand als auch in ihrer befähigenden Ausprägung, die soziale Organisierung und Widerstand ermöglicht.

Bei der Beschäftigung mit solchen Fragen verschwimmt die Grenze zwischen Friedensforschung und Konfliktforschung gezwungenermaßen, denn um sich der Förderung von Frieden zu widmen, bedarf es einer kritischen Analyse des Konflikts sowie der Herrschaftsverhältnisse, in die dieser eingebettet ist. Im Unterschied zur Konfliktforschung zeichnet sich die Friedensforschung nach meinem Verständnis jedoch durch ihre Orientierung auf ein festes, normatives Ziel aus: den »Frieden«.

Explizit zeigt sich dieser normative Charakter in der Debatte um pazifistische Konfliktbearbeitungsstrategien. Während sowohl Medien als auch Vertreter*innen der Wissenschaft und politische Entscheidungsträger*innen militärische Interventionen oftmals mit ihrer vorgeblichen Alternativlosigkeit und objektiven Notwendigkeit zum Erreichen bestimmter Ziele legitimieren, werden Plädoyers für ein gewaltfreies Vorgehen häufig als irrational und idealistisch abgetan. Für mich persönlich sehe ich die Herausforderung einer dem Pazifismus verschriebenen Friedensforschung daher darin, vermeintlich neutrale und rationale Empfehlungen für eine gewaltsame Konfliktbearbeitung zu dekonstruieren und ihre Unzulänglichkeit zum »Machen von Frieden« und zum Beseitigen der für den Konflikt ursächlichen strukturellen Gewaltverhältnisse ans Licht zu bringen. Zugleich ist es nötig, gewaltfreie Alternativen aufzuzeigen und diese durch eine explizite Stellungnahme zu postulieren, um damit die vordergründige Alternativlosigkeit zu durchbrechen.

Sich dieser Aufgabe zu widmen, darin sehe ich eine zentrale Herausforderung, der sich sowohl Friedensbewegung als auch kritische Wissenschaft gemeinsam annehmen sollten.

Mathias Krams ist Master-Studierender für Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg.

(Natur-) Wissenschaftliche Expertise wird gebraucht

von Götz Neuneck

In den 1980er Jahren machten die Bedingungen des Kalten Krieges, die eskalierende Überrüstung (Stichworte: Mittelstreckenraketen, Strategic Defense Initiative/SDI, Weltraumbewaffnung), die gefährlichen Militärdoktrinen und der mögliche Einsatz von Nuklearwaffen in Europa konkrete Schritte zur Kriegsverhütung nötig. Naturwissenschaft und Technik hatten im 20. Jahrhundert die Grundlage für das damalige Wettrüsten gelegt.

Folglich war es konsequent, die naturwissenschaftliche Expertise im Umkehrschluss auch einzusetzen, um Analysen über neue Waffenentwicklungen und ihren destabilisierenden Charakter durchzuführen oder darauf aufbauend neue Vorschläge für Krisenstabilität, Vertrauensbildung, Abrüstung und Verifikation zu erarbeiten und international zu diskutieren. Die Pugwash-Bewegung, die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs, Greenpeace und andere Nichtregierungsorganisationen leisteten diesbezüglich wichtige Beiträge. Die Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge der Vergangenheit (Mittelstreckenvertrag, Vertrag über die Begrenzung konventioneller Rüstung in Europa, nuklearer Nichtverbreitungsvertrag, Umfassendes Atomteststopp-Abkommen u.a.) wie auch künftige Begrenzungs- und Nichtverbreitungsregime (Verbot von Weltraumrüstung und von Killer Robots) kommen ohne naturwissenschaftlich-technische Expertise nicht aus. Vor dem Hintergrund des voranschreitenden technischen Fortschritts (Stichworte Cybertechnologien, vernetzte Kriegsführung etc.) müssen die Trends militärischer Forschung und Entwicklung beobachtet und ihre sicherheits- und friedenspolitischen Implikationen frühzeitig untersucht und diskutiert werden.4

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes zu Beginn der 1990er Jahre war die Hoffnung groß, diese Arbeiten würden nicht mehr gebraucht. Frieden sollte zukünftig stärker zu einer Aufgabe der Gestaltung eines positiven Friedens denn der bloßen Erhaltung des Friedens werden. Schnell wurde jedoch klar, dass weder die globale militärische Rüstungsdynamik gebrochen noch das Denken in Kategorien des Kalten Krieges (Abschreckung, Intervention, Weiterverbreitung etc.) beendet ist. Zu viele »Instrumente« wurden aus dieser Zeit übernommen (Beispiel Raketenabwehr), und die etablierten Rüstungskontrollregime drohen sogar zu zerfallen. Die heutigen Rüstungskontrollverträge sind veraltet, und die Abrüstung ist rückläufig bzw. wird durch neue Modernisierungsschübe überholt. Deshalb werden weiterhin sowohl naturwissenschaftlich-technische Analysen wie auch die Erarbeitung und Diskussion regionaler wie globaler Abrüstungsvorschläge (Beispiel nuklearwaffenfreie Welt) sowie der sich verändernden Bedingungen des Friedens gebraucht. Dies in Ausbildung, wissenschaftlicher Politikberatung, Vorträgen und Studien voranzutreiben, scheint mir weiterhin eine lohnenswerte Arbeit zu sein. Ziele sind dabei die solide und nachhaltige Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Erarbeitung friedenspolitischer Erkenntnisse und ihre Umsetzung in die Praxis (in der Politik, bei internationalen Organisationen und in der Zivilgesellschaft), und zwar auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.

Zweck der Friedensforschung ist es, unter den aktuellen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts die Bedingungen für Frieden und Sicherheit zu studieren, die Öffentlichkeit über gefährliche Entwicklungen, die zu Krieg und katastrophaler Zerstörung führen, aufzuklären und international zur friedlichen Krisenbewältigung, Prävention und Kriegsverhütung beizutragen. Friedensforschung sollte sich an den aktuellen Problemen und Randbedingungen orientieren und Vorschläge erarbeiten, die Öffentlichkeit und Politik erreichen. Auch Fragen von Global Governance und der Schaffung sozialer Gerechtigkeit gehören dazu. In diesem Sinne sollte die Friedensforschung unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Methoden die Bedingungen studieren, die zu mehr Frieden und Sicherheit führen, Kriege verhüten und den Gewalteinsatz verringern; außerdem sollte sie Vorschläge für eine friedlichere Welt erarbeiten.

Friedensforschung sollte primär, offensichtlich und auf Dauer dem Frieden dienen. Elementare Themen sind Kriegsursachenforschung, Abrüstung und Rüstungskontrolle, Krisenprävention, Konfliktmediation und -lösungsmechanismen, stabile Friedensordnungen, Recht und Frieden, künftige Kriegsbilder, Klima und Sicherheit, Friedensvor- und -nachsorge etc.

Der Pazifismus ist auch für die Friedensforschung ein wichtiges Grundprinzip. Gewaltlosigkeit ist ein entscheidendes Leitprinzip von Frieden, allerdings nicht immer praktikabel und durchhaltbar, insbesondere in einer Welt voller Waffen und wenig wirksamer Konfliktlösungsmechanismen. Dabei muss jede/r Forscher/in selbst entscheiden, ob für ihn/sie die pazifistische Alternative den besten Weg zum Frieden verspricht. Im Praxistext hat der Pazifismus wichtige Erfolge zu verzeichnen, ein Allerheilmittel ist er leider nicht.

Auch der Friedensbewegung kommt in diesem Gefüge eine wichtige Rolle zu. Sie kann auf gefährliche Fehlentwicklungen aufmerksam machen, öffentlichen Druck auf die Politik ausüben und den Friedensgedanken in die Gesellschaft bringen sowie gesellschaftliche Diskurse anregen und knüpft dabei oft an die Ergebnisse der Friedensforschung an. Dazu ist ein intensiver Austausch der Forscherinnen und Forscher mit lokalen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen hilfreich. Gemeinsame Tagungen oder Studien können zu einem fruchtbaren Austausch und fortgesetztem wechselseitigen Dialog führen.

Die Friedensbewegung kann sich bei den Friedensforschungsinstituten, z.B. durch Veröffentlichungen wie dem jährlich erscheinenden Friedensgutachten oder den Studien und Arbeitspapieren, über vielfältige Themen informieren oder Friedensforscher zu Vorträgen und Diskussionsrunden einladen. Dabei ist es wichtig, dass friedensbewegte Menschen zeigen, womit sie nicht einverstanden sind bzw. wo die Alternativen liegen. Beispielsweise hätte die Politik ohne die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten für weitere nukleare Abrüstung das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen inzwischen wohl aufgegeben, deshalb ist gesellschaftliches Engagement auf diesem Feld immer noch entscheidend. Dies gilt aber nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Staaten, wie die USA, Frankreich und Russland. Hier wäre mehr Zusammenarbeit sehr wünschenswert.

Der Physiker Prof. Dr. Götz Neuneck ist stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.


Anmerkungen

1) Siehe hsfk.de, »Was ist Friedensforschung?«.

2) Sabine Jaberg (2011): Friedensforschung. In: Hans Gießmann und Bernhard Rinke (Hrsg.): Handbuch Frieden. Wiesbaden: VS Verlag, S.53-70, 53.

3) Siehe dazu »konferenz von unten – Ein Streitgespräch« in dieser Ausgabe.

4) Siehe dazu auch das FONAS-Forschungsmemorandum »Naturwissenschaftliche Friedensforschung in Deutschland« in dieser Ausgabe.

Im/Mobilität und Konflikt

Im/Mobilität und Konflikt

Internationale Konferenz bei der HSFK, 2.-4. September 2015, Frankfurt

von Sabine Mannitz

Als hätten sie die aktuelle Zuspitzung des Migrationsdrucks auf die EU geahnt, veranstalteten das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), das Institut für Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt und das europäische Netzwerk Peace and Conflict Studies in Anthropology (PACSA) Anfang September in Frankfurt eine internationale Konferenz zum Thema »Im/mobilities: Products and Generators of Conflict«. Im Mittelpunkt stand die Ambivalenz von Mobilität und Immobilität: Während die Welt zunehmend von der Wanderung und Zirkulation von Menschen, Ideen und Gütern geprägt ist, rufen dieselben Prozesse auch Einschränkungen, Exklusion und Immobilität hervor. Um zu beleuchten, wie solche Dynamiken in Konflikt- und in Friedenssituationen wirken, lag der Fokus thematisch auf der (Re-) Produktion von Machtbeziehungen und Identitäten in der sozialen Alltagspraxis.

Ein Eröffnungsvortrag von Professor Tobias Kelly, University of Edinburgh, unter dem Titel »The immobility of human rights« bildete am 2. September den Auftakt. Er beleuchtete das Dilemma, dass die Menschenrechte, die zu den global am weitesten gereisten Ideen zählen, auf der Praxisebene an konkrete Akteure und Orte gebunden sind und auch die Wahrnehmung und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in spezifische soziale und kulturelle Kontexte eingebettet ist. Die daraus resultierenden Ungleichgewichte der Dokumentation und Repräsentation lassen wiederum nur einen Teil der Fälle in den globalen Kommunikationsfluss wandern, während ein weitaus größerer Teil als ortsgebundene Praxis bagatellisiert und damit zugleich »immobilisiert« wird: Wo alltägliche Gewalterfahrungen an der Tagesordnung sind, werden Menschenrechtsverletzungen nicht unbedingt als solche wahrgenommen. Gerade weil die Menschenrechte »von weit her kommen« und zu den prominentesten Aushängeschildern der Vereinten Nationen zählen, haftet ihnen ein Nimbus an. Nicht wenige Opfer von Folter und Gewalt bringen das Menschenrechtskonzept daher nicht mit ihren eigenen Belangen in Zusammenhang.

Mehr als dreißig Teilnehmer/innen aus elf Ländern präsentierten und diskutierten im Verlauf der beiden anschließendenTage ihre Forschungsarbeiten zu sozialen Erscheinungsformen und Handlungsstrategien sowie Ursachen, Wirkungen und Widersprüchen von Im/mobilitätsprozessen aus der Perspektive einer ethnologischen Friedens- und Konfliktforschung. Mobilität ist ein Schlüsselkonzept der zeitgenössischen ethnologischen Theoriebildung: Der globale »travel of ideas« und daran anschließende Prozesse der Übersetzung, Lokalisierung oder Anpassung von Normen, Konzepten und Handlungsstrategien bildeten dementsprechend einen thematischen Schwerpunkt. Während unter den Anwesenden große Einigkeit darüber herrschte, dass diese kulturellen Bearbeitungsformen als Rahmenbedingungen politischen Handelns verstanden sein wollen, scheint ein Großteil der (insbesondere entwicklungs-) politischen Praxis weiterhin von Modernisierungstheorien und einem Denken in Modellen geleitet zu sein, die Probleme der Passfähigkeit erzeugen.

Eine große Anzahl der Konferenzbeiträge widmete sich überdies verschiedenen Aspekten des globalen Migrationsgeschehens. Dass Wanderungsprozesse zur Geschichte der Menschheit gehören und dies trotz nationalstaatlicher wie auch internationaler Bestrebungen um Steuerung und Kontrolle weiterhin so bleiben wird, ist unter EthnologInnen unstrittig. Mehr und mehr lassen sich jedoch im Umgang mit Migration neben der Hierarchisierung von erwünschten (vornehmlich den hochqualifizierten) gegenüber unerwünschten (Armuts-) MigrantInnen auch folgenreiche Praktiken expliziter Immobilisierung feststellen: Von der Errichtung physischer Grenzen über die Internierung von Flüchtlingen bis hin zur Verweigerung von Aufenthaltstiteln, welche zu Mobilität berechtigen sowie den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt ermöglichen, ist ein Instrumentarium an Restriktionen zur Governance-Routine geworden, das den geografischen, sozialen, politischen und kulturellen Bewegungsraum der betroffenen Menschen empfindlich einschränkt.

Bei diesem Thema wurde deutlich, dass ethnografische Forschung sich in besonderer Weise eignet, die Unwägbarkeiten von Im/mobilitäts-Dynamiken offenzulegen. In Anbetracht der bestehenden Restriktionen entwickeln »immobilisierte MigrantInnen« Strukturen der Selbstorganisation und investieren in Techniken der Grenzüberschreitung, die sie teilweise Pioniere sein lässt, wo sie zu Parias gemacht werden. So stieß ein niederländisches Projektteam in seiner Forschung in Zentralafrika auf Kriegsflüchtlinge, die mittels mobiler Informations- und Kommunikationstechnologien transnationale Brücken zwischen ihrem Leben im Exil und den verschiedenen Herkunftsregionen schlagen, auf denen Wissen über das Konfliktgeschehen an verschiedenen Orten, Informationen über Versorgungs- und Zufluchtsmöglichkeiten oder Rückkehroptionen ausgetauscht werden. Als Vermittler, die zwischen den Friedensräumen und den Konfliktzonen Zentralafrikas Verbindungen schaffen, übernehmen sie für die soziale Bewältigung der Konfliktfolgen eine wichtige Funktion und bieten zugleich strukturelle Anknüpfungspunkte für Friedensinitiativen.

Sabine Mannitz