Europe and the Middle East in Transition

Europe and the Middle East in Transition

Hessische Internationale Sommeruniversität (ISU), 18. Juli bis 15. August 2015, Marburg

von Lydia Koblofsky

Der Nahe und Mittlere Osten liegt in der direkten Peripherie der Europäischen Union. Über die regionale Nähe hinaus verbinden thematische Schwerpunkte eine lange gemeinsame Geschichte und eine nicht konfliktfreie Gegenwart – politische sowie ökonomische Interessen und gegenseitige Abhängigkeiten eingeschlossen. Gerade im Licht der Ereignisse der vergangenen Jahre hat das Thema höchst aktuellen Bezug.

Seit 2010 sind die Fragen nach den Beziehungen zwischen Europa und dem Nahen und Mittleren Osten sowie nach Friedensperspektiven und Konfliktbearbeitungsstrategien thematische Schwerpunkte der Internationalen Sommerschulen in Marburg. Ausgerichtet vom Centrum für Nah- und Mittelost Studien und dem Zentrum für Konfliktforschung fand im Sommer 2015 zu diesem Thema an der Philipps-Universität Marburg die 17. Hessische Internationale Sommeruniversität (ISU) statt. Während des vierwöchigen universitären Sommerstudienprogramms befassten sich die einschlägigen Seminare mit der Beziehung zwischen Europa und dem Nahen und Mittleren Osten aus politischer, ökonomischer, kultur- und regionalwissenschaftlicher Perspektive. Deutsch-Sprachkurse, Exkursionen und themenbezogene Rahmenveranstaltungen ergänzten das Programm.

Die Begegnung mit Menschen aus der ganzen Welt und der Austausch untereinander über das Schwerpunktthema stehen bei der ISU immer im Mittelpunkt. In diesem Jahr kamen 61 Studierende aus 23 Ländern nach Marburg, unter anderem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, den USA, Kanada, Israel, Ägypten, Spanien, Polen, dem Sudan und China. Cailin Clothier aus den USA schilderte seine Eindrücke: „Das Programm hat einen großen Einfluss, glaube ich. Es gibt den Themen, die wir diskutieren, ein Gesicht. Wenn man weit weg ist von den Geschehnissen im Nahen und Mittleren Osten, ist es leicht, sich eine klare Meinung zu bilden oder sich zu distanzieren. Aber wenn man persönlich mit den Menschen aus der Region spricht, bekommt man ganz neue Perspektiven mit.“

„Ich belegte einen Kurs zu Palästina und Israel, der mir bewusst gemacht hat, was dort passiert“, sagte Fernando Lugo Castillo aus Mexiko. „Ich konnte mich gut in beide Seiten hineinversetzen, da klar wurde, wie hart es für beide Seiten war und ist. Das Programm sensibilisiert die Studierenden für das Thema. Wir haben Studierende beider Seiten in der ISU, aus Israel und Palästina. Es ist interessant, von ihren persönlichen Erfahrungen zu hören. Ich glaube, das kann wirklich Veränderungen bewirken.“

Janaya Forth aus Kanada betonte, das Programm der ISU sei auch für ihre spätere berufliche Praxis interessant: „Ich studiere Soziale Arbeit und werde in Zukunft mit Menschen auf individueller Ebene arbeiten, Konflikte bearbeiten und Mediationen durchführen. Die Kurse der ISU haben nicht nur Hintergrundwissen zu bieten, sondern auch praxisrelevante Methoden und Fragen.“

Auch die Möglichkeit, Sprachkurse im Deutschen zu belegen, war für viele Studierende wieder ein wichtiger Grund, um an der ISU teilzunehmen. Daneben bot die ISU den Studierenden ein vielfältiges und umfangreiches Rahmenprogramm. Die Wochenendexkursionen nach Frankfurt am Main, Kassel und Straßburg sowie weitere kulturelle Veranstaltungen, Vorträge, Filmvorführungen und Besuche der Marburger Synagoge und Moschee komplettierten das Programm, das den internationalen Studierenden eine Zeit intensiver sprachlicher und interkultureller Erfahrungen sicherte.

Für Sanaa Tannous aus Syrien war der Besuch des Europäischen Parlaments in Straßburg ein Highlight der ISU: „Dort kommen 28 Länder mit 24 verschiedenen Sprachen zusammen und sprechen miteinander. Warum können wir – die arabische Welt – nicht etwas Ähnliches tun? Obwohl die europäischen Länder kulturell und sprachlich sehr divers sind, haben sie eine Basis gefunden, auf der sie miteinander kooperieren.“

Die Hessischen Internationalen Sommeruniversitäten sind ein Gemeinschaftsprojekt der hessischen Universitäten und werden vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert. Weitere Informationen im Internet unter uni-marburg.de/isu?language_sync=1.

Lydia Koblofsky

Akteurskonstellationen in Ressourcenkonflikten

Akteurskonstellationen in Ressourcenkonflikten

Workshop des AK »Natur – Ressourcen – Konflikte« der AFK, 17. Juli 2015, Hamburg

von Corinna Land und Nina-Kathrin Wienkoop

Konflikte um Ressourcen sind geprägt durch komplexe Wechselbeziehungen zwischen Akteuren, deren Interaktionen verschiedene Handlungsebenen miteinander verbinden und dabei die Grenzen geographischer und sozialer Räume überschreiten. Die wissenschaftliche Debatte konzentriert sich dabei stark auf die Rolle des Staates, wobei abwechselnd die Rückkehr des Nationalstaates oder die Auflösung staatlicher Ordnungsmacht postuliert wird. Auch die Beteiligung multinationaler Unternehmen und internationaler Institutionen hat große Aufmerksamkeit erfahren, unter anderem in der Diskussion um Bergbaukonflikte. Strittig ist dabei die Frage, inwieweit die Handlungsmöglichkeiten nationaler Regierungen dadurch eingeschränkt werden. Gleichzeitig demonstrieren Studien die Handlungsmacht lokaler Akteure, die zum Beispiel konkrete Bergbauprojekte durch politischen Widerstand blockieren. Der Verlauf von Ressourcenkonflikten hängt letztlich nicht allein von nationalen und internationalen Einflüssen ab, sondern auch von Aushandlungsprozessen vor Ort mit und zwischen lokalen Akteuren.

In der Friedens- und Konfliktforschung werden internationale und lokale Einflüsse auf Ressourcenkonflikte meist isoliert voneinander untersucht. Zwar gibt es erste Ansätze, denen es gelingt, diese Blickwinkel in der Forschung zu verbinden, es ist jedoch notwendig, die Debatte gegenüber Ansätzen aus anderen Forschungsrichtungen zu öffnen. Vor diesem Hintergrund bestand der Workshop neben zwei klassischen Paneldiskussionen auch aus einem reinen Methodenteil, um sich diesen Fragen systematisch zu nähern.

Am Beispiel des Bergbaus lieferte das erste Panel interessante Ansätze, verschiedene Handlungsebenen zusammenzubringen. Die Referentinnen behandelten den Einfluss internationaler Normen auf Konflikte und setzten diese in Bezug zu den Legitimitätsvorstellungen vor Ort, lokaler Ressourcengovernance und sozialen Bewegungen. Nina Engwicht analysierte, wie die Versuche internationaler Geberorganisationen und Nichtregierungsorganisationen, den Diamantensektor in Sierra Leone zu legalisieren, durch abweichende Legitimitätsvorstellungen (irregulärer) Schürfer und Händler unterminiert wurden. Marie Müller-Koné legte in ihrem Beitrag dar, wie Bergbau im Osten der DR Kongo von diversen parallel existierenden Regulierungsweisen geprägt ist, die transnationalen, staatlichen und lokalen Einflüssen entspringen. Sie schlägt zur Entschärfung der Konflikte eine hybridere Ressourcengovernance vor, die verschiedene Regelsysteme flexibel miteinander kombiniert. Auch Zoe Williams untersuchte in ihrem Beitrag, wie staatlicher Handlungsspielraum durch internationale und lokale Einflüsse geprägt wird, nahm dabei jedoch internationale Investorenschutzabkommen in den Fokus. Am Beispiel El Salvador zeigte sie auf, dass ein lokaler Konflikt zwischen Anti-Bergbau-Bewegung und Unternehmen zum nationalen Wahlkampfthema werden und die Regierung zum vorläufigen Bruch internationaler Verpflichtungen zwingen kann.

Die Beiträge des zweiten Panel beleuchteten Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehhaltern in Subsahara-Afrika und illustrierten die Diversität der beteiligten Akteure. In zwei Fallbeispielen aus Ghana legte Kaderi Noagah Bukari dar, dass vermeintlich externe Akteure eine entscheidende Rolle bei der gewaltsamen Eskalation von Konflikten einnehmen. Willis Okumu, Kaderi Noagah Bukari und Papa Sow leiteten für Fallbeispiele aus Kenia historisch her, dass die Auflösung sozialer Institutionen neuen Akteuren ermöglicht, Konflikte durch die Mobilisierung ethno-nationalistischer Ressentiments für ihre polit-ökonomischen Interessen umzudeuten. Für das Nigerbinnendelta in Mali bestätigte Nina-Kathrin Wienkoop das gleiche Phänomen. Sie wies über eine Prozessanalyse nach, dass die Auflösung der Konfliktpräventionsmechanismen direkt mit Dezentralisierungsmaßnahmen zusammenhängt, die wiederum von internationalen Akteuren vorangetrieben wurden. Über den Zugang der Politischen Ökologie gelingt es ihr, Konflikte um Natur mit Identität und Machtbeziehungen verknüpft zu analysieren.

Aus den vorgestellten Einzelfallstudien ging hervor, dass sich ähnliche Konfliktdynamiken über Region und Einzelfall hinaus wiederfinden. Wichtig ist daher die Frage nach der theoretischen Generalisierbarkeit und Erklärungskraft von Fallstudien. Allerdings eignet sich die klassische politikwissenschaftliche Komparatistik aufgrund sich wandelnder Kontextbedingungen und fallspezifischer Besonderheiten nur schwer für einen Vergleich komplexer Ressourcenkonflikte. Forscher_innen stehen zudem vor dem Problem, dass die Informationsqualität und der Zugang je nach Fall stark variieren. Hier findet die bisherige Literatur keine zufriedenstellende Antwort. Auch Prozessanalysen stoßen an diesem Punkt an ihre Grenzen, da sie erstens bereits eine Fülle an Informationen voraussetzen und zweitens vornehmlich für Einzelfallstudien konzipiert sind.

Trotz der Diversität der Beiträge wurde im Workshop deutlich, dass Friedens- und Konfliktforschende derzeit vor ähnlichen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, unterschiedliche Akteure und Ebenen methodisch reflektiert zu integrieren. Ein zentrales Manko ist nach wie vor der fehlende Austausch über disziplinäre und methodologische Grenzen hinweg, insbesondere zwischen quantitativ und qualitativ Forschenden. Letzteres gelang auch bei dieser Tagung kaum, obwohl gerade hier großes Potential liegt: So könnten etwa statistische Analysen durch Einzelfallstudien hinterfragt und andersherum fallspezifische Erkenntnisse auch stärker über den Fall hinaus nutzbar gemacht werden. Auch das Potential qualitativer Studien, erste Kausalbeziehungen abzuleiten, wird weithin unterschätzt.

Darüber hinaus sollten soziologische Handlungstheorien Eingang in die Friedens- und Konfliktforschung finden, da sie geeignet sind, sowohl dynamische Wechselwirkungen zwischen Akteuren zu erfassen als auch die Homogenisierung von Akteursgruppen zu vermeiden. Der Einbezug (neo-) marxistischer sowie partizipativer Ansätze bietet die Chance, auch Machtasymmetrien verstärkt zu berücksichtigen. Damit kann der Tendenz innerhalb des Forschungsfeldes entgegen gewirkt werden, Vorschläge für verbesserte Ressourcengovernance aufzustellen, anstatt Aneignung von und Deutungshoheit über Natur grundsätzlich zu hinterfragen.

Der Workshop illustrierte einerseits die Grenzen, die der aktuellen Forschung in dieser Hinsicht gesetzt sind, eröffnete andererseits spannende Ausblicke. Um diese Debatte weiterzuführen und um die Perspektive der sozialen Bewegungsforschung zu erweitern, organisiert der Arbeitskreis einen weiteren Workshop vom 27. bis 29. November an der Universität Tübingen, bei dem es um »Protest over Investment Projects in Land and Natural Resources« gehen wird.

Liebe statt Güte

Liebe statt Güte

Warum am Wort »gewaltfrei« festzuhalten ist

von Thomas Nauerth

Binnen weniger als zwanzig Jahren etablierte sich in Teilen der Friedensforschung und – bewegung unter Verweis auf Gandhis Verständnis von Gewaltlosigkeit bzw. Gewaltfreiheit ein neues Wort: „In den 1990er Jahren haben wir uns entschieden, »Satjâgrah« mit »Gütekraft« wiederzugeben“, erinnerten sich vor wenigen Jahren zwei damals an der Wortfindung beteiligte Friedensforscher.1 Eine kritische Debatte über diese Neuverdeutschung, über die immer häufigere Ersetzung der bisherigen Vokabeln »Gewaltlosigkeit« oder »Gewaltfreiheit« durch »Gütekraft«, fand bislang nicht statt. Der Autor dieses Artikels rät zur Vorsicht bei der Verwendung des Begriffes. »Gütekraft« als Wort helfe in der Debatte um Gewalt und Gewaltfreiheit nicht entscheidend weiter und habe zudem verschiedene Nachteile, die bedacht werden wollten und müssten.

Das Ausgangsproblem der Wortneuschöpfung »Gütekraft« liegt in einer seit langem bekannten, vielfältig beklagten und intensiv diskutierten Problematik des Wortes »Nonviolence« bzw. der entsprechenden deutschen Bezeichnungen »Gewaltlosigkeit« oder »Gewaltfreiheit«:

„Die Bezeichnung »Non-violence« ist für Nicht-Insider zumindest im Westen geradezu ein irreführender Begriff. Dies ist keine neue Einsicht. So schreibt Wolfgang Hertle […], der sich jahrzehntelang intensiv praktisch und theoretisch mit der Gandhi-Tradition beschäftigt hat: ‚Das sprachlich begriffliche Problem besteht, seit […] versucht wurde, die Philosophie und Praxis M. K. Gandhis in mitteleuropäische Sprachen zu übersetzen. Ob Gewaltlosigkeit oder Gewaltfreiheit, ob nonviolence oder Non-violence – immer schwingt die Abwesenheit von etwas Starkem, also Schwäche mit (selbst wenn diese eine negative Konnotation hat), der Begriff drückt […] nichts Positives und Kraftvolles aus.“ (Arnold und Egel-Völp 2011, S.5)

So einleuchtend solche Überlegungen auf den ersten Blick sein mögen, so viele Fragen stellen sich bei näherem Hinsehen.

Zunächst ist zu fragen, ob die Problematik bezüglich der Wörter »Gewaltfreiheit« bzw. »Gewaltlosigkeit« wirklich so groß sein kann. Nie gewinnt ein Wort seine Bedeutung allein durch seine Wortbestandteile, immer ist letztlich der Kontext entscheidend. Die Aussage, diese Wörter drücken „nichts Positives und Kraftvolles“ aus, zeugt zudem von einer Unterschätzung des Phänomens, dass Wörter immer auch durch reale Geschichte und Geschichten in ihrer Bedeutung geprägt sind. Das Wort »Gewaltfreiheit« ist konnotiert durch die Erinnerung an die großen gewaltfreien Bewegungen des 20. Jahrhunderts, es ruft beeindruckende Namen und große Geschichten in Erinnerung. Mohandas Gandhi, Martin Luther King, Hildegard Goss-Mayr, die Menschen in Südafrika und viele, sehr viele andere kämpften unter der Flagge »Nonviolence«. Es sind positive und äußerst kraftvolle Geschichten und Traditionen, in die man sich mit diesem Wort stellt. Kann man das einfach aufgeben, ein Wort, das seit Jahrzehnten eine bestimmte Praxis bezeichnet, von der wir heute noch alle lernen? Kappt man damit nicht auf semantischem Weg eine Traditionslinie, die aufzugeben sowohl sinnlos als auch gefährlich scheint?

Wenn Arnold schreibt, die „bisher übliche Begrifflichkeit hält vermutlich viele Menschen davon ab, sich für die Möglichkeiten der von Gandhi und anderen entwickelten Konzepte zu interessieren“ (Arnold 2012, S.9), so ist zu fragen, ob es durch Aufgeben bisher üblicher Begrifflichkeiten Menschen nicht geradezu unmöglich gemacht wird, die Möglichkeiten von Konzepten zu entdecken, die eben noch ganz anders geheißen haben.

Allein diese Überlegung scheint mir zwingend dafür zu sprechen, es bei der alten Terminologie zu belassen. Denn die Geschichte und die Geschichten von King, Gandhi, Goss-Mayr und vielen anderen müssen tradiert, erinnert und immer wieder erzählt werden – und damit ist das Wort »Nonviolence« dann auch automatisch positiv und kraftvoll konnotiert.

Nicht unsere Güte, sondern Gottes Kraft

Gütekraft ist zudem ein Wort, das ebenso nach Erklärung verlangt, wie es das Wort »Gewaltlosigkeit« bzw. »Gewaltfreiheit« immer schon getan hat. Die Wortschöpfer betonen diese Erklärungsbedürftigkeit ausdrücklich:

„Auch das ist kein sofort eingängiges Wort – aber wohl brauchbar, bis ein besseres zur Verfügung steht. Um es in den gemeinten Zusammenhang einzufügen, können wir einstweilen wie die Kooperation für den Frieden […] von der »Gütekraft der Gewaltfreiheit« sprechen. Sprachlich gesehen ist Gütekraft die Fähigkeit, etwas zu bewirken, die in der (personengebundenen) menschlichen Haltung der Güte und der (überpersönlichen) Qualität der Güte – vgl. »Gütesiegel« – liegt.“ (Arnold und Egel-Völp 2011, S.5)

Wenn »Gütekraft« als nicht sofort eingängiges Wort erst gedeutet werden muss, dann ist der Hauptvorteil dieses neuen Wortes schon wieder verspielt. Die hier gegebene Deutung von Gütekraft wirft zudem erhebliche inhaltliche Probleme auf. Es gehe um eine Fähigkeit, etwas zu bewirken, „die in der (personengebundenen) menschlichen Haltung der Güte und der (überpersönlichen) Qualität der Güte“ liegen soll. Unbenommen der rätselhaften Rede von einer »überpersönlichen Qualität der Güte« scheint dies doch zu bedeuten, dass man gütig sein muss, um gewaltfrei handeln zu können. Ist dies wirklich Aussage, Praxis und Erfahrung der großen gewaltfreien Bewegungen? Heißt den Feind zu lieben, ihm gütig zu sein? Und wie erklärt sich der Erfolg gewaltfreier Aufstände, der Erfolg von Menschen, die weder etwas von gewaltfreier Aktion noch gar von gütig sein und Gütekraft gehört haben, Menschen, die schlicht deswegen gewaltfrei agieren, weil Gewalt ihnen nicht zur Verfügung steht?

Das Problem ist ja nicht nur die Frage, welches Wort alle Aspekte einer bestimmten Praxis umfasst, sondern immer auch, welche Assoziationen es weckt. Die Rede von einem »gütekräftigen« Handeln klingt nun nicht nur ziemlich fremd, sondern kann die Assoziation hervorrufen, man müsse eine besondere Form der »Heiligkeit« haben: eben besondere Güte.2 »Gütekraft« ist insofern kein sehr einladendes Wort – es schmeckt nach (moralischer) Anstrengung.

Der Eindruck, es käme auf individuelle Güte an, um gütekräftig handeln zu können, ist aus einem weiteren Grund problematisch. Es gehe, so heißt es, bei dem Wort »Gütekraft« um „die Kraft, die bei gewaltfreiem Vorgehen zum Abbau sozialer Missstände zur Wirkung kommt und Grundlage für den Erfolg ist“ (Mahler und Arnold 2013). Damit ist die wichtige Frage aufgeworfen, um welche Kraft es eigentlich bei gewaltfreiem Handeln geht. Vielleicht kommt diese Kraft, die ich bei gewaltfreiem Handeln durchaus erfahren kann, überhaupt nicht von meiner Güte, sondern von ganz woanders her: von dort, wo jede Güte und jede Gutheit ihren Ursprung hat? Weil ich auf Gewalt verzichte und gewaltfrei handele, öffne ich die Möglichkeit, dass gütig mir das GUTE kräftig zur Seite steht. So jedenfalls Theorie und Überzeugung des Theologen Egon Spiegel: „Weil da etwas da ist, das dem menschlichen Zusammenleben als beziehungs- bzw. schalomstiftend inhärent ist – die Juden haben dafür die Chiffre JHWH –, deshalb können […] Menschen auf Gewalt verzichten, ja müssen es.“ (Spiegel 2008)

Da greift jemand ein, wenn wir uns waffenlos auf den Weg der Gerechtigkeit begeben. Hildegard Goss-Mayr, eine der großen gewaltfreien Aktivistinnen des 20. Jahrhunderts, scheint genau dies erfahren zu haben: „Wir wussten, dass in dieser Pioniersituation letztlich nicht wir es sind, die wirksam werden, sondern Gottes Kraft durch uns.“ 3 Gottes gute Kraft wirkt durch uns, wenn wir uns ohne Gewalt auf den Weg der Wahrheit und Gerechtigkeit begeben. Die Kraft ist nicht in uns, nicht wir sind gütekräftig, zumindest brauchen wir es nicht zu sein. Gewaltlos zu sein scheint auszureichen.

Wider den Glauben an Gewalt und Macht

Eine weitere Überlegung setzt an bei der Opposition zu gewalttätigem Handeln, die den Wörtern »Gewaltfreiheit« und »Gewaltlosigkeit« von ihren Wortbestandteilen her eigen ist. Vielleicht kommt es auf eine solche Opposition doch stärker an, als die Verfechter des Wortes »Gütekraft« meinen.

Der amerikanische Theologe Walter Wink spricht vom Glauben an die erlösende Macht der Gewalt. Er sieht diesen Mythos als die eigentliche Religion der Moderne: „Der Glaube, dass Gewalt »rettet«, ist so erfolgreich, weil er uns keineswegs wie ein Mythos vorkommt. Gewalt erscheint einfach in der Natur der Dinge zu liegen. Sie funktioniert. Sie erscheint unausweichlich, das letzte – oft auch das erste – Mittel bei Konflikten. Wenn eine Gottheit die Instanz ist, an die man sich wendet, wenn alles andere fehlschlägt, dann stellt die Gewalt mit Sicherheit eine Gottheit dar.“ (Wink 2014)

Die Rede von Gewaltfreiheit und Gewaltlosigkeit steht unverkennbar in radikaler Opposition zu dieser Gottheit und zu diesem Mythos. Vielleicht ist genau dies das wirklich Anstößige dieser Wörter – und zugleich auch ihre Kraft. Sie entlarven den herrschenden Mythos bzw. sie zeigen auf, dass er lediglich ein Mythos ist. Vielleicht brauchen wir gerade deswegen die Anstößigkeit und Provokation, die Irritation, die in »gewaltfrei« bzw. »gewaltlos« enthalten ist. »Gütekraft« könnte möglicherweise bereits infiziert sein von dem Grundmythos des Herrschaftssystems: ohne Kraft und Stärke keine Wirkung.

Eine solche Infizierung mit modernem herrschaftsförmigen Denken ist jedenfalls in folgendem Zitat unverkennbar: „Die Aussage »Gütekraft ist stärker als Gewalt« bedeutet also zweierlei. Erstens: Im Einsatz für mehr Gerechtigkeit ist gütekräftiges Vorgehen der eigenen Seite effektiver und wirkt schneller als ein Vorgehen, das den Gegner schädigt. Zweitens: Mit Gütekraft kann Gewalt der anderen Seite effektiver bzw. eher überwunden werden als mit gewaltsamem Vorgehen.“ (Arnold und Egel-Völp, S.7).4

Effektivität, Stärke und Schnelligkeit sind Erfolgskriterien der kapitalistischen Spätmoderne; klassische Kennzeichen gewaltfreien Handelns sind es gerade nicht.5Gewaltfreies Handeln ist langsame Arbeit an der Verwandlung der Feinde. Sie ist insofern auf lange Sicht nachhaltiger und effektiver als jedes gewaltsames Vorgehen – für den Fall, dass ihr das Wunder der Verwandlung gelingt.

Vom seligen gewaltfreien Lassen

Vollständig unsichtbar wird bei Aufgabe der Wörter »Gewaltfreiheit« bzw. »Gewaltlosigkeit« überdies der für die Theorie gewaltfreien Handelns so wichtige Aspekt des »Los-Lassens« (vgl. dazu Hahn 2014). Gewaltfreies Handeln ist immer auch ein Unterlassen von an sich denkbaren, möglicherweise kulturell auch üblichen Handlungen. Der Bereich des (Los-) Lassens ist umfangreich: Es geht um Nicht-Tun von Unrecht und Gewalt und von Nicht-Beteiligung und Nicht-Unterstützung von Unrecht und Gewalt. Man kann und muss vieles lassen, und vor allem, man kann mehr lassen, als man je aktiv wird handeln können. Es geht ja bei der notwendigen Überwindung des Herrschaftssystems im Sinne Winks6 nicht nur um einen gewaltfreien Kampf gegen aktiv ausgeübte Gewalt, es geht immer auch um die Bekämpfung struktureller Gewalt, auf die sich die konkreten Gewalt- und Herrschaftssysteme dieser Welt stützen. Denen muss ich nicht gütig meine Kraft zeigen, denen muss ich ihre Stützen nehmen, indem ich mir ein »Lassen« gönne.7

Im Wort »Gewaltlosigkeit« scheint mir dieser wichtige Aspekt des Lassens noch am ehesten widergespiegelt. Das Wort vermag insofern gerade von seinen so häufig als negativ empfundenen Wortbestandteilen her zumindest diesen einen wichtigen Aspekt gewaltfreien Handelns sehr adäquat zu benennen.

Insgesamt scheinen also die Vorteile des Wortes »Gütekraft« die damit unweigerlich auch mitlaufenden Nachteile keineswegs aufzuwiegen. Man sollte bei »Gewaltlosigkeit« bzw. »Gewaltfreiheit« bleiben. Wenn man erläutert, wie gewaltfreies Handeln geht, wieso es wirken kann, kann man immer noch dort, wo es sich anbietet, von »Kraft« und von »Güte« sprechen.

Anmerkungen

1) Martin Arnold und Reinhard Egel-Völp (2011), S.5.

2) Vgl. etwa die Aussage: „Gütekräftige Verhaltensweisen fließen aus inneren Haltungen, die ebenfalls als gütekräftig bezeichnet werden können und wesentlich die Würde des Gegners achten.“ (Arnold 2001). Zur Frage der »Haltungen«, die hinter einem gewaltfreien Lebens- und Handlungskonzept stehen, und zur Problematik moralischer Überhöhungen vgl. Nauerth (2000).

3) Zitiert nach Paul-Gerhard Schoenborn: Gütekraft – von Charismatikern der Gewaltfreiheit lernen. Zwischenrufe zu Kirche und Gesellschaft; zwischenrufe-diskussion.de. Bei diesem Text handelt es sich um eine Rezension von Martin Arnolds Band »Gütekraft – Hildegard Goss-Mayrs christliche Gewaltfreiheit (2011, Overath: Bücken & Sulzer).

4) Eine gewisse optimistische Machermentalität ist auch in anderen Veröffentlichungen erkennbar. Aus »Gütekraft« als neuem Wort für eine alte Sache wurde über die Jahre Gütekraft als eigentliches »Konzept« der Wirkungsweise gewaltfreien Handelns: „Im Gütekraft-Konzept sind sie präzisiert und zu einem neuen Gesamtmodell der Wirkungsweise des Vorgehens weiterentwickelt.“ (Arnold 2012, S.4). Eine kritische Diskussion dieses »Kraftkonzeptes«, in dem „Gewaltfreiheit ein wichtiges Element unter anderen, jedoch nicht das wichtigste“ sei (Arnold 2012, S.5) erfordert eine umfangreichere Untersuchung, die auch die bisherige Forschung bezüglich gewaltfreien Handelns mit einbeziehen müsste (vgl. im deutschsprachigen Raum die Arbeiten von Theodor Ebert, in der internationalen Diskussion vor allem die Arbeiten von Gene Sharp und Michael Nagler).

5) Vgl. dazu Nauerth (2000).

6) Walter Wink geht in seiner profunden Studie davon aus, dass die Mächte dieser Welt zu einem einzigen Herrschaftssystem miteinander verwickelt sind: „Wenn ein gesamtes Netzwerk von Mächten auf abgöttische Werte gründet, erhalten wir das, was man als das Herrschaftssystem bezeichnen kann.“ (Wink 2014, S.37).

7) „Bei der Analyse gesellschaftlichen Unrechts als Voraussetzung für gewaltfreie Gegenstrategien verwendete Hildegard Goss-Mayr oft das Bild eines auf der Spitze stehenden Dreiecks, das nur durch äußere Stützen in seiner labilen Lage gehalten werden kann. Zu diesen Stützen einer unrechten Situation gehören regelmäßig auch wir selbst mit unserer Zusammenarbeit, der vielgestaltigen Legitimation und Nutznießung. Noch bevor wir etwas tun und an manchen Stützen rütteln, können wir aufhören, selbst Stützen des Unrechts zu sein.“ (Hahn 2014, S.192).

Literatur

Martin Arnold (2001): Gütekraft (Satjagrah) – Ein Thema für die Friedens- und Konfliktforschung. Wissenschaft und Frieden 4-2001, S.55-58.

Martin Arnold und Reinhard Egel-Völp, Reinhard (2011): Gandhi neu entdecken: Von der Norm zur Kraft. „Gewaltfreiheit“ – nur etwas für „Kleinmütige, Schwächlinge und utopische Pazifisten“?; online unter gütekraft.net.

Martin Arnold (2012): Von der Gewaltfreiheit zur Gütekraft. In: Schweitzer, Christine (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam und Gewaltfreie Aktion in den Bewegungen – Über das Verhältnis von Theorie und Praxis. Berlin: AphorismA, S.23-36 (zitiert nach der leicht erweiterten Fassung von 2013 unter martin-arnold.eu).

Ullrich Hahn(2014): Gewaltfreiheit als Kunst des Lassens. In: Thomas Nauerth: Friede findet tausend Wege – 100 Jahre Versöhnungsbund. Ein Lesebuch. Minden: Versöhnungsbund, S.190-196.

Mirjam Mahler und Martin Arnold (2013): Gewaltfreiheit -> »Gütekraft«! Minden: Bund für Soziale Verteidigung e.V. (BSV), Informationsblätter.

Thomas Nauerth (2000): Zum Weltverständnis gewaltfreien Handelns. In: Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden. Idee, Erfahrungen, Ziele. Opladen: Leske und Budrich, S.48-56.

Egon Spiegel (2008): Ohne Gewalt leben – Spiritualität und Praxis gewaltfreier Weltgestaltung. In: ders. und Michael Nagler (Hrsg.): Politik ohne Gewalt – Prinzipien, Praxis und Perspektiven der Gewaltfreiheit. Münster: LIT Verlag, S.55-140.

Walter Wink (2014): Verwandlung der Mächte – Eine Theologie der Gewaltfreiheit. Regensburg: Friedrich Pustet, S.49.

Priv. Doz. Dr. theol. Thomas Nauerth ist Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes, arbeitet am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück und ist Redakteur der Website friedenstheologie.de.

Der Fall des Geheimen

Der Fall des Geheimen

30. Jahrestagung des FIfF, 7.-8. November 2014, TU Berlin

von Rainer Rehak

Im November 2014 fand an der TU Berlin die 30. Jahrestagung des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), »Der Fall des Geheimen – Blick unter den eigenen Teppich«, statt – erstmalig unter dem neuen Namen FIfF-Konferenz. Die Konferenz beschäftigte sich vorwiegend mit der Rolle der deutschen Geheimdienste im globalen Ausspähungsskandal. Ein wesentlicher Grund für diese Schwerpunktsetzung war, dass bei der politischen Verantwortungsfrage nach wie vor mit dem Finger auf andere Länder und deren Dienste gezeigt wird. Der diesbezügliche deutsche Parlamentarische Untersuchungsausschuss wurde demnach fälschlicherweise NSA-Ausschuss genannt, obwohl die Bezeichnung und Ausrichtung BND/Verfassungsschutz-Ausschuss korrekt gewesen wäre.

Um sich diesem vieldimensionalen Thema in angemessener Breite zu nähern, waren Politiker, Hacker, Rechtswissenschaftler, Historiker, Geheimdienstexperten, Datenschützer und Politikwissenschaftler zur Mitwirkung eingeladen. Das FIfF steuerte seine technische Expertise bei. Die Geladenen kamen gern – in einem Falle gerade deshalb, weil die Konferenz die Friedensausrichtung explizit im Namen führte –, und alle trugen ihr Wissen zusammen, so dass interessante Erkenntnisse, lebhafte Diskussionen und neue Sichtweisen entstanden.

Das Fazit der Konferenz war, dass deutsche Geheimdienste historisch konsistent mit einer Kombination aus fragwürdiger politischer Gesinnung, systematischer Unfähigkeit und fortgeschrittener Reformaversion behaftet, jedoch keinesfalls außer Kontrolle geraten sind, sondern sich explizit und regierungsgestützt entlang sportlicher (lies: verfassungswidriger) Interpretationen von im Kern kaputten (G10-) Gesetzen aktiv gegen alle Grundrechtsträger richten – und das alles im Schulterschluss mit superb finanzierten befreundeten Diensten hüben und drüben. Aber auch über tagesaktuelle politische Entwicklungen und Lösungsperspektiven wurde debattiert.

Alle Vorträge wurden live im Internet übertragen und stehen noch zum Download bereit. Daran wirkten mit Ute Bernhardt, Matthias Bäcker, Wolfgang Coy, Hans-Jörg Kreowski, Constanze Kurz, Wolfgang Neškoviæ, Frank Rieger, Anne Roth, Ingo Ruhmann, Peter Schaar, Erich Schmidt-Eenboom, Patrick Sensburg, Hans-Christian Ströbele, Gregor Wiedemann, Andy Müller-Maguhn und schließlich auch das Nö-Theater mit seinem am Abend vorgeführten Stück »V wie Verfassungsschutz«.

Parallel zum Vortragsprogramm gab es zwei interessante und sehr gut besuchte Workshops: Den Kickoff-Workshop zur Kampagne »Cyberpeace« des FIfF leiteten die SprecherInnen der Kampagne Sylvia Johnigk und Stefan Hügel. Die von der Stiftung Bridge geförderte Kampagne setzt sich für ein Verbot militärischer Operationen im digitalen Raum ein. In dem Workshop »Faire Computer« stellte Sebastian Jekutsch die vergangene und aktuelle Arbeit der AG Faire Computer vor und warb für Mitarbeit.

Im Rahmen der Konferenz vergab das FIfF auch in diesem Jahr wieder den FIfF-Studienpreis, der herausragende Abschlussarbeiten im Bereich der kritischen Informatik würdigt. Diesjähriger Preisträger ist Benjamin Kees mit seiner Diplomarbeit »Identifikation gesellschaftlicher Probleme automatisierter Videoüberwachung«, die er im Fachbereich Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin verfasst hatte und selbst vorstellte.

Vor Ort waren etwa 400 TeilnehmerInnen zugegen. Weitere etwa 150 schalteten sich im Internet per Livestream dazu. Wer sich in den Pausen weitläufiger mit der digitalen Welt beschäftigen wollte, konnte auch die Stände der Free Software Foundation Europe, von Tactical Tech, der FIfF-AG Faire Computer und dem Freifunk-Projekt aufsuchen. Letzteres versorgte die Konferenz mit einem freien WLAN.

Hervorzuheben ist die großzügige Unterstützung durch den Chaos Computer Club. Zu den weiteren Unterstützern gehören Netzpolitik.org, die GI-Ethikgruppe, der Lehrstuhl Informatik und Gesellschaft der TU Berlin, der AStA der TU Berlin, Uberspace.de und viele ehrenamtliche HelferInnen.

Weitere Informationen und Videos zur FIfF-Konferenz unter fiffkon.de.

Rainer Rehak

Lehre vernetzen – Lehre verbessern

Lehre vernetzen – Lehre verbessern

Jahrestagung des AK Curriculum der AFK, 6.-8. November 2014, Tübingen

von Hendrik Burmester

Wie kann die Lehre in der Friedens- und Konfliktforschung die Möglichkeiten, die sich durch den technischen Fortschritt der letzten zehn Jahre ergeben haben, nutzen? Welche Bedürfnisse haben die Studierenden der Friedens- und Konfliktforschung? Wie lassen sich Friedens- und Konfliktforschung und Friedenspraxis näher zusammenbringen? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich der AK Curriculum der AFK auf seiner Jahrestagung »Lehre vernetzen – Lehre verbessern«, die im November 2014 in Tübingen in den Räumen der Berghof Foundation stattfand. Es nahmen 20 Teilnehmer/innen an der Jahrestagung teil, die auch dieses Jahr durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung gefördert wurde.

Der AK Curriculum der AFK hat sich zum Ziel gesetzt, dass sich die Lehrenden der Friedens- und Konfliktforschung besser vernetzen können. Diese Vernetzung bietet die Grundlage für eine Verbesserung der Lehre und für die Entwicklung gemeinsamer Angebote für Studierende der Friedens- und Konfliktforschung, die einzelne Studiengänge alleine nicht oder nur eingeschränkt anbieten könnten.

Der inhaltlich größte Anteil der Jahrestagung 2014 beschäftigte sich unter den Stichwörtern »e-learning« und »inverted classroom« mit der Frage, wie die inzwischen sehr ausgereiften und dadurch kostengünstigen Möglichkeiten von Onlinetools, Internetplattformen, Smartphones und Tablets sinnvoll in die Lehre integriert werden können. Caroline Kärger (Universität Duisburg-Essen) stellte die Zwischenergebnisse eines Projektes zum »inverted classroom« vor. Inhalt dieses Projektes ist es, eine Vorlesung so umzugestalten, dass sich die Studierenden durch Onlinephasen zwischen den Sitzungen bereits Wissen aneignen, auf das in der Vorlesung zurückgegriffen werden kann. Dazu gehört auch, dass es in jeder Vorlesung Elemente gibt, in denen die Studierenden auf ihren Smartphones oder Tablets kleine Aufgaben bearbeiten und sich so aktiv an der Vorlesung beteiligen können.

Eine eintägige didaktische Weiterbildung, die von Claudia Bremer (Universität Frankfurt) zum Thema »e-learning und Blended-Learning-Szenarien in der friedenswissenschaftlichen Hochschullehre« durchgeführt wurde, zeigte den Teilnehmenden ein weites Feld von Möglichkeiten auf, wie Onlineangebote in die Lehre integriert werden können. Dabei konnten die bisherigen Erfahrungen aus der Lehre eingeordnet und reflektiert werden. Gleichzeitig wurde erarbeitet, auf welche Weise »e-learning« didaktisch sinnvoll eingesetzt werden kann, um die Lernprozesse der Studierenden zu strukturieren und erfolgreicher zu machen.

Ein Novum dieses Jahrestreffens war die direkte Einbindung der Studierendenperspektive durch einen Beitrag von Studierenden der Universität Frankfurt, die die Ergebnisse der ersten Konferenz zur Vernetzung der Studierenden der Friedens- und Konfliktforschung vorstellten und mit den Anwesenden diskutierten. Darüber hinaus wurde der 2012 erstmals durchgeführte Praxisworkshop für Studierende der Friedens- und Konfliktforschung reflektiert, um wichtige Lehren für die Neuauflage 2015 zu ziehen.

Die Teilnehmenden befassten sich außerdem mit der Frage, welche neuen Initiativen aus ihrer Sicht sinnvoll wären. In diesem Zusammenhang wurde beschlossen, einen Internetblog zur Didaktik in der Friedens- und Konfliktforschung einzurichten und zu eruieren, ob es gemeinsam entwickelte, digitale Lehrmaterialien für die Einführung in die Konfliktanalyse geben sollte. Darüber hinaus wurde diskutiert, wie in der Lehre neuen Herausforderungen für die Friedens- und Konfliktforschung begegnet werden kann.

Ein weiterer zentraler Punkt der Jahrestagung des AK Curriculum war der Austausch der Vertreter/innen der verschiedenen Friedensforschungsstudiengänge in Deutschland und Österreich über die aktuellen Zahlen zu Bewerbungen und Zulassungen und die damit verbundene Diskussion verschiedener gemeinsamer Herausforderungen, wie eine effektive Alumniarbeit und den gestiegenen Abschlussstress der Studierenden.

Die nächste Jahrestagung des AK Curriculum wird vom 19. bis 21. November 2015 stattfinden. Weitere Informationen finden sich auf der Homepage der AFK unter afk-web.de.

Hendrik Burmester

Aus dem Herausgeberkreis

Aus dem Herausgeberkreis

von W&F-Herausgeberkreis

30 Jahre Informatik für den Frieden

FIfF Kommunikation 4/2014

Zwei Texte aus dem Jahre 1984 lassen in der neuen FIfF Kommunikation »30 Jahre FIfF – Informatik für den Frieden« noch einmal die Intentionen nachempfinden, die vor 30 Jahren den Antrieb zur Gründung des »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« gaben: die Sorge um eine von Militär und Rüstungsindustrie vereinnahmte Informatik. Diese Sorge ist so aktuell wie nie zuvor, denn heute sind die gefährlichen Konsequenzen nicht mehr zu übersehen. So widmet sich diese Ausgabe insbesondere den politischen Aufgaben, die das FIfF in den kommenden Jahren herausfordern werden, und der gegenwärtigen technischen, gesellschaftlichen und politischen Ausgangslage.

»Cyberpeace«, ein Gegenentwurf zur militärischen Kolonisation von Internet und Kommunikationsinfrastrukturen, ist das Leitmotiv der zukünftigen Arbeit. Unter diesem Stichwort wird ein Katalog politischer Forderungen zur Durchsetzung des Primats einer friedlichen Nutzung der IT zur Diskussion gestellt. Er ist Grundlage der gerade angelaufenen Kampagne »Cyberpeace« des FIfF. Mehrere Beiträge befassen sich mit dem Missbrauch der Informationstechnologie für die »Neuen Kriege«, zeigen systemische Zusammenhänge auf, widmen sich sicherheitspolitischen Fragen zur Militarisierung des Cyberspace und befassen sich mit einer Bewertung der realen Bedrohung. Abgerundet wird dieser Themenbereich mit Beiträgen über die Funktion der Institutionen, über die Frage der Begriffe und mit der Kolumne »Betrifft: Cyberpeace«.

Weitere Beiträge befassen sich mit der Wahrung der Menschenrechte in sicherheitspolitischer Sicht, mit Arbeit im Homeoffice-Zeitalter und mit der Nachhaltigkeit von IT-Produkten – u.a. berichtet die Kolumne »Betrifft: Faire Computer« über unseren Elektroschrott in Ghana. Und anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des WorldWideWeb wird kritisch nachgefragt: »Quo vadis WWW?«

Inhaltliche Anfragen richten Sie bitte an die Redaktion redaktion@fiff.de. Ein Rezensionsexemplar senden wir Ihnen auf Anfrage an fiff@fiff.de gerne zu. Auf unserer Webseite fiff.de/fk finden Sie weitere Informationen zur aktuellen Ausgabe und zu vorangegangenen Heften.

What the FuK?!

What the FuK?!

3. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 2.-3. April 2014, Ev. Akademie Villigst

von AFK

Die 3. Konferenz junger Wissenschaftler_innen (ehemals Nachwuchstagung) der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK), »What the FuK?! – Kritische Perspektiven in der/auf die Friedens- und Konfliktforschung«, wurde in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Villigst organisiert und von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) gefördert. Die Konferenz befasste sich mit dem Potenzial kritischer Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung (FuK). Kritische Perspektiven zeichnen sich durch die Einsicht aus, dass auch Wissenschaft zur Konstituierung und Reproduktion sozialer Fakten beiträgt und damit Teil gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse ist oder sein kann. Die Beschäftigung mit konkreten Forschungsthemen beinhaltet vom Standpunkt kritischer Perspektiven daher die (Selbst-) Reflexion darüber, welche spezifischen gesellschaftlichen Kräfte die jeweils vorliegende dominante Ausdeutung von Forschungsfeldern diskursiv ermöglicht haben und welche alternativen Deutungen dabei an den Rand gedrängt wurden. So legen beispielsweise postkoloniale Ansätze nahe, den Blick auf das eigene Involviertsein von Forscher_innen zu werfen und zu fragen, aus welcher Perspektive und mit welcher Absicht und Funktion »Wissen« über »andere« generiert wird. Dabei spielen Diskurse eine ebenso große Rolle wie materielle Aspekte.

Kritische Perspektiven in Theorie und Praxis

Ganz im Sinne ihres Titels wurde bei der Tagung auch bezüglich der didaktischen Konzeption mit den üblichen Konferenzritualen gebrochen, u.a. durch den Verzicht auf eine »Keynote Speech« einer etablierten wissenschaftlichen Stimme und das Angebot alternativer Austauschformate: drei parallele Workshops (der Film »Halfmoon Files« und das Konzept »epistemischer Gewalt«; Kritische Schreibwerkstatt; Dekolonisierung von Forschungsmethodologien) und ein »World Café« zu den Schwierigkeiten und Herausforderungen junger Wissenschaftler_innen im universitären Berufsfeld. Die breit gefächerten Panels knüpften an Reflexionen über das Selbstverständnis der FuK an, aber auch an Debatten zu Ansätzen, die in einer Kritischen Friedens- und Konfliktforschung progressives Potenzial für eine inhaltliche, methodische und (meta-) theoretische Weiterentwicklung der FuK insgesamt sehen.

Insgesamt fanden acht Panels mit 18 Papieren und ein Roundtable statt. Gleich mehrere Panels befassten sich kritisch mit etablierten und neueren Konzepten der FuK. So stand im Panel »Galtung revisited?! Überlegungen zum Gewaltbegriff der FuK« das Konzept »epistemischer Gewalt« im Mittelpunkt. Das Plädoyer für eine erneute Hinwendung zu weiten Gewaltbegriffen über eine wissenschaftstheoretische bzw. wissenssoziologische Perspektive wurde zwar grundsätzlich begrüßt, muss sich jedoch auch mit der altbekannten Kritik weiter Gewaltbegriffe auseinandersetzen. Im Panel »Zentrale Konzepte in der Kritik: Staat, Governance und Demokratie« wurden zum einen die Konflikt-Blindheit und der Problemlösungsbias modernen Regierens unter dem Leitmotiv der »Governance« problematisiert; zum anderen wurde aufgezeigt, dass die These des »gescheiterten Staates« zu kurz greift und Staatlichkeit nicht auf simple Dichotomien wie erfolgreich/gescheitert reduziert werden kann. Auch Impulse für eine neue und im Ansatz breitere Fundierung der Theorie des Peacebuilding wurden diskutiert. Das Konzept des Peacebuilding stand auch im Panel »Grassrots, Communities and the local – Diskurs und Praxis vor dem Hintergrund globaler Machtverhältnisse« auf dem Prüfstand. Dabei wurde einerseits deutlich, wie »das Lokale« als wirkmächtige Wissenskategorie in (Beobachtungen von) Peacebuilding-Prozessen hervorgebracht wird. Andererseits wurde eine »Ownership of Peace«, welche von unten, durch Graswurzelinitiativen erwächst, als Alternative zu den gängigen, »top-down« konzeptualisierten Ansätzen lokaler Ownership eingebracht.

Im Panel »Rassismus – ein vernachlässigter Konflikt in der FuK« wurde eine kritische Reflexion über die (Re-) Produktion von Rassismus im Forschungsprozess angestoßen. Dabei richtete sich der kritische Blick zum einen auf die (Re-) Konstruktion von Forschungsobjekten in der Friedenspädagogik, zum anderen auf die reflektierte Wahrnehmung rassistischer, westlicher Forschungspraxis mit Blick auf jordanische Rap-Musik, die anhand von Zitatbeispielen thematisiert wurde.

Den methodischen Schwerpunkt der Tagung legten das Panel »Kritische Perspektiven in der/auf die Feldforschung» sowie der Roundtable »Forscher_innen zwischen Theorie und politischer Realität«. Während das Panel die Spannungsfelder einer kritischen Herangehensweise an (Feld-) Forschungsprozesse beleuchtete, beispielsweise anhand des Gültigkeitsanspruchs dekonstruktivistischer Herangehensweisen oder der Policy-Relevanz von Feldforschung als »Verbesserungs- vs. Bestätigungswissen«, diskutierte der Roundtable die Wahrnehmung der Friedensforschung als »männlich« dominiert – sowohl auf Grund der institutionellen Besetzung und Themensetzung als auch in Bezug auf die erlebte Praxis in Interviews und der Feldforschung. In beiden Formaten wurde deutlich, dass das Nachdenken darüber, wie kritische (Feld-) Forschung aussehen könnte, eine Reflexion des Erlebten und eine Positionierung des Forschenden in diesen Situationen bedeutet und grundlegende Fragen von Moral und Verantwortung in der Forschung aufwirft.

Ähnlich grundsätzliche Fragen behandelte das Panel »(Un-) Kritischer Wandel – Selbstbeobachtungen der FuK als Disziplin«. In einer kritischen Rekonstruktion und Reflexion des Selbstverständnisses der FuK wurde einerseits die These vertreten, dass der Etablierungs- und Anerkennungswunsch der FuK zur Anpassung an Regeln der »scientific community« geführt und somit die Verdrängung des kritischen Potentials der FuK zur Folge gehabt habe. Andererseits besäße die kritische entwicklungspolitische Bildungsarbeit das Potenzial, der fehlenden Reflexion der Selbstpositionierung von Friedens- und Konfliktforscher_innen in Lehre und Forschung entgegen zu wirken. Im Panel »Zwischen allen Stühlen – Zum Verhältnis von wissenschaftlicher Analyse, Politikberatung, gesellschaftlicher Legitimation und Kritik« wurde aus friedenswissenschaftlicher und diskursforschender Perspektive ein kritischer Blick auf das Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und Auftragsforschung, Selbstverständnis und Wertorientierung der FuK geworfen. Am Beispiel der Zivilklausel-Debatte wurde aufgezeigt, dass kaum über Frieden gesprochen werde, vielmehr ein partikularisierender Sicherheitsbegriff die Debatte dominiere. Dem Friedensbegriff stehe ein höchst individualistisch konzipierter Freiheitsbegriff gegenüber, und das in der Realität längst von unterschiedlichen Entwicklungen bedrohte Ideal der »Forschungsfreiheit« diene dazu, Rüstungsforschung zu legitimieren und Frieden als gesellschaftlichen Leitbegriff zu marginalisieren.

Schließlich wurde im Panel »Theoretisch informiert? Kritische (Meta-) Theorie-Perspektiven im Gespräch« neben postkolonialen oder poststrukturalistischen Ansätzen die in diesem Kontext eher unübliche theoretische Systemtheorie als kritischer Ansatz eingeführt. Dass das gemeinhin als eher konservativ verstandene Paradigma der Systemtheorie im Rahmen einer FuK als progressiv gelten könnte, provozierte die zentrale, tagungsübergreifende Frage: Sind kritische Theorieansätze in der FuK selbst bereits im Mainstream angelangt? Unabhängig davon zog sich als roter Faden die Frage durch die Konferenz, wie mit den theoretisch gewonnenen Erkenntnissen konkret umgegangen werden kann und soll: Wie geht der/die Forschende konkret mit der gemachten (Selbst-) Reflexion um? Wie kann ein kritischer Reflexionsprozess auch Eingang in die schriftlichen Arbeiten finden? Wie kann ein Reflexionsprozess bereits in die methodische Herangehensweise integriert werden?

Die Philosophie lehrt, dass es nicht entscheidend ist, die richtigen Antworten zu geben, sondern dass es von weit größerer Bedeutung ist, die richtigen Fragen zu stellen. Die 3. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK unterstützte die Teilnehmenden dabei, solchen Fragen einen Schritt näher zu kommen.

Resümee

Die hohe Zahl der Einreichungen auf den »Call for Papers«, die tatsächlichen Beiträge und das Feedback aller Teilnehmenden lassen darauf schließen, dass mit »Kritischen Perspektiven in der/auf die Friedens- und Konfliktforschung« ein vernachlässigtes, aber stark nachgefragtes Thema bedient wurde. Eine weitere Erkenntnis der Tagung besteht darin, dass ein hierarchiefreier Austausch im Wissenschaftsbetrieb innerhalb und zwischen unterschiedlichen Statusgruppen durchaus möglich ist. Die rege Beteiligung »passiver« wie »aktiver« Teilnehmer_innen hat gezeigt, dass junge Wissenschaftler_innen dazu ermutigt werden können, ihre eigenen kritischen Perspektiven im Forschungsfeld frei zu entwickeln und die eigene Forschung gewinnbringend mit etablierten Konzepten, Theorien und Methoden zu kontrastieren. Abschließend möchten wir, die Organisator_innen, uns bei allen Teilnehmer_innen und Unterstützer_innen für das Engagement »zur Stärkung der kritischen Stimme« herzlich bedanken!

Farhood Badri, Richard Bösch und Claudia Simons unter Mitarbeit von Claudia Brunner, Christine Buchwald, Frederik Caselitz, Patrick Delaney, Maximilian Lakitsch, Andrea Pabst, Simon Pflanz, Vera Kahlenberg und Michaela Zöhrer

Ein Bonner »Irrwitz«

Ein Bonner »Irrwitz«

Die Kissinger-Professur für Völkerrecht

von Lukas Mengelkamp

Seit einigen Monaten beschäftigt man sich an der Bonner Universität mit der Person Henry Kissinger, denn nach dem früheren Nationalen Sicherheitsberater und US-Außenminister soll eine Stiftungsprofessur benannt und im Wesentlichen mit Geldern des Verteidigungsministeriums finanziert werden.

Die jüngsten Auseinandersetzungen um Henry Kissinger finden in Bonn weniger in den Räumlichkeiten des Historischen Seminars der Universität statt, als vielmehr in Pressemitteilungen, Pamphleten und Zeitungsartikeln. Die Person Kissinger polarisiert. Während die einen ihn vor einem internationalen Gericht sehen wollen, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkerrechtsbruch, preisen ihn die anderen als einen großen Staatsmann.

In Bonn hat man Kissinger auserkoren, als Vorbild für die Forschung und Lehre des Völkerrechts zu dienen. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, das Bundesverteidigungsministerium und das Auswärtige Amt gaben im Mai vergangenen Jahres bekannt, dass sie anlässlich des 90. Geburtstages eines „der großartigsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts“ (Thomas de Maizière) eine »Henry Kissinger Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht« einrichten wollen. In der Bekanntmachung konnte man weiter lesen, dass der damalige Außenminister, Guido Westerwelle, den Mann für einen „Meister der Kunst des Machbaren“ hält. Doch die Zahl der Kritiker der Professur wächst, sie reicht vom AStA und dem Studierendenparlament über Universitätsmitglieder und Alumni bis zu auswärtigen Wissenschaftlern.1

Henry Kissinger – Vorbild für Lehre und Forschung des Völkerrechts?

Der emeritierte Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke hat den Protest gegen die Professur in einem Interview mit dem Deutschlandradio als „Irrwitz“ bezeichnet.2 Dass man es mit einem »Irrwitz« zu tun hat, ist auch für die Kritiker der Professur klar, wenn auch in einem anderen Sinne. Denn für Kissinger war so einiges »machbar«, nicht zuletzt auch Handlungen, die gegen Internationales Recht verstießen, ebenso gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten und US-Gesetze. Besonders während der Präsidentschaft Richard Nixons waren solch hinderliche Nebensächlichkeiten wie Gesetze für Kissinger kein Problem. Sein Motto dabei: „The illegal we do immediately. The unconstitutional takes a little longer.“ 3

Keine Frage: Kissinger war mit seinem auf die Supermächte fixierten Gleichgewichtsdenken und seinem paranoiden Glauben, dass Moskau und Peking die kommunistischen Bewegungen in der ganzen Welt fernsteuerten, damals nicht alleine. Eine derartige Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben und Gesetzen wie bei Kissinger war aber auch in Zeiten des Kalten Krieges im Westen kaum ein zweites Mal zu finden. Dieses Denken entfaltete eine Wirkung auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, die erschaudern lässt.

Für Kissinger waren im Vietnamkrieg Massenbombardements der neutralen Staaten Kambodscha und Laos oder nordvietnamesischer Großstädte eine pure Notwendigkeit, um die Regierung in Hanoi unter Druck zu setzen. Dass unzählige Zivilisten dabei ihre Leben verlieren würden, dessen war man sich in Washington von Beginn an bewusst. Heute gehen konservative Schätzungen von 950.000 Toten allein in Kambodscha und Laos aus. Bis in die Gegenwart leidet die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten unter den Blindgängern und der anhaltenden Vergiftung ganzer Landstriche durch das hoch-toxische Entlaubungsmittel Agent Orange.

Die Aufnahme bilateraler Beziehungen zur Volksrepublik China wird von vielen als Henry Kissingers Meisterstück bezeichnet. Doch auch dies hat eine dunkle Seite, die man in Bonn nur zu gerne ignoriert. Da die USA und die VR China damals keine diplomatischen Beziehungen unterhielten, waren Vermittlerstaaten zur Kontaktherstellung notwendig. Einer davon war Pakistan. Wie der Princeton-Historiker Gary J. Bass in seiner jüngsten Studie »The Blood Telegram – Nixon, Kissinger and a Forgotten Genocide«4 über die Massaker des pakistanischen Militärs an den Bengalen und den darauf folgenden Bangladesch-Krieg von 1971 herausstellt, hielt Kissinger auch dann noch dem pakistanischen General und Staatspräsidenten Yahya Khan die Treue, als dieser in Dacca (heute Dhaka) massenhaft Zivilisten ermorden ließ. Kissinger war es nicht nur egal, dass dies mit US-amerikanischen Waffen geschah, Nixon und Kissinger gingen in ihrer Unterstützung für Yahya Khan sogar so weit, Lieferungen von F-104-Kampfflugzeugen nach Pakistan anzuordnen, obwohl dies gegen ein vom Kongress erlassenes Waffenembargo verstieß. In Kissingers Logik war die Unterstützung eines Völkermordes unumgänglich, da über Pakistan (aber auch über Rumänien) einer der geheimen Kanäle nach Peking verlief. Wie Bass herausstellt, waren Nixons und Kissingers Motive auch von Vorurteilen gegen Inder und Bengalen bestimmt, die nicht selten als rassistisch eingestuft werden müssen.

Die Liste mit Kissingers Verantwortung für Verbrechen, die in keiner Weise mit der Ehrung in Bonn in Einklang zu bringen sind, ließe sich noch fortsetzen: über die Unterstützung des Pinochet-Putsches und -Regimes in Chile und die Aufforderung an die argentinische Militärjunta, ihren »Schmutzigen Krieg« zu intensivieren, bis zur Billigung des indonesischen Angriffskrieges gegen Osttimor. Dieser kleine Ausschnitt sollte reichen, um zu verdeutlichen, warum eine »Henry Kissinger Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung« mehr als unangemessen ist. Allein, die Professur zeichnet sich nicht nur durch einen unerträglichen Namen aus, sondern auch durch eine unerträgliche Finanzierung.

Präzedenzfall Bundeswehr-Professur

Die klamme Universität Bonn bekommt für die Professur vom Bundesverteidigungsministerium auf fünf Jahre jährlich 250.000 Euro und vom Auswärtigen Amt 50.000 Euro. Ziel ist es, in Bonn einen neuen Schwerpunkt für Internationale Sicherheit aufzubauen. Die Professur soll hierbei als Fundament dienen für ein Netzwerk sowie einen Think-Tank. Warum ausgerechnet eine Professur an einer Universität dazu dienen soll, einen Think-Tank aufzubauen, ist schon fragwürdig. Wenn dieser Think-Tank dann auch noch hauptsächlich vom Bundesverteidigungsministerium bezahlt wird, dann muss man sich um die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre in Bonn sorgen. Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik gibt es (bis jetzt) an einer zivilen Universität einen Lehrstuhl, der direkt vom Verteidigungsministerium finanziert wird.

Benannt nach einer Person, die das Völkerrecht missachtete, finanziert von einer militärischen Institution, soll sich diese Professur besonders dem Thema »Cybersecurity« widmen. In Zeiten der NSA-Affäre wirft der Zugriff des Verteidigungsministeriums auf die zivile Hochschullandschaft zusätzliche Fragen auf, denn eine kritische Auseinandersetzung mit der allumfassenden Überwachung ist sicher nicht zu erwarten.

Aus Sicht ihrer Kritiker steht die Professur im Dienste der Neuausrichtung der Bundeswehr als Interventionsarmee. Was sonst soll Völkerrechtsforschung im Schatten von Henry Kissinger sein? Schon nach der Rede von Bundespräsident Gauck auf der diesjährigen »Sicherheitskonferenz« in München jubelte die Interventionslobby: „Souveräne Staaten haben eine Armee, um sich selbst und ihre Interessen verteidigen zu können. […] Mit einer Ausnahme: Deutschland. […] Bis heute überwölben moralische und rechtliche Kriterien jede sicherheitspolitische Debatte. Gibt es ein Mandat des UN-Sicherheitsrates? Geschieht alles im Rahmen der Nato? Sind Out-of-area-Einsätze vom Grundgesetz gedeckt?“ 5 Jetzt will sich das Verteidigungsministerium auch noch einen Lehrstuhl zulegen, welcher einer interventionskonformen, wenn auch recht phantasievollen Auslegung des Grundgesetzes und des Völkerrechts die »wissenschaftliche« Legitimation liefern soll.6 Dass diese Vorgänge im Lichte der neuen deutschen machtpolitischen Ambitionen zu sehen sind, verdeutlichte auch ein Beitrag auf WDR5: „Eine Professur für Völkerrechtsordnungen nach Henry Kissinger zu benennen, zeugt schon von einer gewissen Chuzpe. […] Warum kann so jemand nun Pate stehen für eine Professur über internationale Beziehungen in Deutschland? Die politische Elite ist hierzulande gerade dabei, die Koordinaten der verteidigungspolitischen Diskussion zu verschieben hin zu dem Ideal einer robusten Außenpolitik, die den Einsatz des Militärs zur Wahrung der eigenen Interessen selbstverständlich mit einschließt.“ 7

Protest gegen die Professur

Im März 2014 wurde von der mittlerweile gegründeten »Initiative Zivile Universität Bonn« eine als Petition ausgelegte Erklärung gegen die Professur veröffentlicht. Im Sommersemester 2014 wird es Informationsveranstaltungen und Protestaktionen geben.8 Der Protest gegen die Professur wird so schnell nicht verebben, denn einerseits belegen die Fakten, dass Henry Kissinger nicht der zu bewundernde politische Pragmatiker ist, sondern jemand, der Gesetze und Werte demokratischer, rechtsstaatlicher Gesellschaften gebrochen hat, wann immer es ihm passte. Andererseits zeigt das Bonner Beispiel die immer weiter voranschreitende Einflussnahme Dritter auf Forschung und Lehre, eine Einflussnahme, die befördert wird durch eine katastrophale Bildungspolitik, die die Universitäten drastisch unterfinanziert zurücklässt.

Anmerkungen

1) Hier sei besonders verwiesen auf den Artikel von Klaus Meschkat: Der Fall Kissinger und die Uni Bonn. Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 2/2014, S.91-92.

2) Interview geführt von Dirk Müller mit Christian Hacke: Gauck-Rede »Kein Freibrief für militärische Aktionen«. Deutschlandradio, 01.02.2013.

3) „Das Illegale machen wir sofort. Das Ungesetzliche dauert etwas länger.“ Henry Kissinger zum damaligen US-Botschafter in der Türkei, William Macomber. Gesprächsmemorandum eines Treffens mit Mitgliedern der türkischen Regierung vom 10. März 1975; wikileaks.org/plusd/cables/P860114-1573_MC_b.html#efmCS3CUB.

4) Garry J. Bass (2013): The Blood Telegram. Nixon, Kissinger and a Forgotten Genocide. New York: Alfred A. Knopf.

5) Malte Lehming: Gauck befreit Deutschland aus der politischen Pubertät. Tagespiegel, 01.02.2014.

6) Sabine Jaberg: Auslandseinsätze der Bundeswehr: Jenseits der grundgesetzlichen Friedensnorm. In: Thomas Nielebock, Simon Meisch, Volker Harms (Hrsg.) (2012): Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium. Hochschulen zum Frieden verpflichtet. Baden-Baden: Nomos, S.177-221.

7) Christoph Fleischmann: Kissinger ist kein Vorbild. WDR5, 06.03.2014.

8) Die Initiative gegen die Professur betreibt die Website zivile-uni-bonn.de mit einer Zusammenstellung der bisherigen Berichterstattung zum Streit um die Professur.

Lukas Mengelkamp ist Student der Geschichts- und Politikwissenschaft (B.A.) an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Mitglied des Studierendenparlaments.

Die Logik der Staatsränder

Die Logik der Staatsränder

Laudatio zur Verleihung des Christiane-Rajewsky-Preises

von Claudia von Braunmühl

Die Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) schreibt seit zwanzig Jahren den Christiane-Rajewsky-Preis aus. Der Preis richtet sich an jüngere WissenschaftlerInnen oder Initiativen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben. Beim AFK-Kolloquiums 2013 wurde der diesjährige Preis an Maximilian Lakitsch vergeben. Die Laudatio bei der Preisverleihung hielt Claudia von Braunmühl.

[…]

Die Arbeit, die wir heute mit dem Christiane-Rajewsky-Preis auszeichnen, war – auf unterschiedliche Weise – für alle in der Jury eine Herausforderung. Die am Institut für Philosophie der Universität Graz vorgelegte Dissertation trägt den Titel »Unbehagen im modernen Staat. Über die Grundlagen staatlicher Gewalt«.1 Ihr Autor, Maximilian Lakitsch, nimmt das Thema der im letzten Jahr preisgekrönten Arbeit – die Bedeutung von und der Umgang mit Staatsgrenzen2 – auf seine Weise mit den Mitteln der politischen Philosophie auf und betreibt in der Tat sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung.

Die Arbeit sucht nach einer Erklärung für die Gleichzeitigkeit von Charakteristika eines modernen Staates – Souveränität, Legitimität und rechtlicher Regelungsraum – und staatlichem Handeln, das als grausames Willkürhandeln allen Legitimität zugeordneten Merkmalen zuwider laufen kann, ohne die Legitimität des solchermaßen handelnden Staates im Kern zu erschüttern. Maximilian Lakitsch nähert sich dieser widersprüchlichen Gleichzeitigkeit über den Begriff des Staatsrandes. Ich zitiere aus seiner Zusammenfassung:

„Welchen modernen Staat der Welt man auch betrachtet, man wird immer Manifestationen des Staatsrandes finden. Ohne den Ausschluss von Menschen, die einen Staatsrand konstituieren, kann keine Gruppe von Menschen mit einer Rechtsordnung vereint werden, um eine Rechtsgemeinschaft zu bilden. […] Agiert die Staatsgewalt im Bereich der Rechtsgemeinschaft, so ist sie an die Rechtsordnung gebunden. […] Agiert die Staatsgewalt im Bereich des Staatsrandes, so ist sie an keinerlei Rechtsordnung und Prinzipien gebunden. Hier agiert sie jenseits der Erfordernisse von Legitimität – sie übt a-legitime Gewalt aus. […] Stoßen uns manche Handlungen des Staates […] vor den Kopf und breiten ihr Unbehagen aus, so ist das dem Donnergrollen von nebenan aus dem Staatsrand geschuldet, den man immer vernehmen wird, so lange es moderne Staaten gibt.“ (S.222/223)

Die philosophischen Grundlagen für diese Lesart der politischen Wirklichkeit findet Maximilian Lakitsch bei Walter Benjamin, Carl Schmitt und Giorgio Agamben; die politische Realität, die seine Rezeption dieser Theorien beglaubigt, an unterschiedlichen Orten in Zeit und Raum.

Die drei Autoren sind klug gewählt. Obgleich extrem verschieden, sind doch alle drei geeignet, das Thema des Auftretens von staatlichen Gewaltakten und der Formierung von Staatsrändern, an denen dies ohne Erschütterung staatlicher Legitimität geschieht, theoretisch zu fundieren. Die Kernthese lautet, dass in die Konstitution, ja die Legitimität eines Staates notwendig Gewalt gegen Menschen und die Reduzierung von Menschen auf das »nackte Leben« eingeschrieben ist. Die Kritik von Lakitsch an staatlicher Gewalt beschränkt sich nicht auf den Nachweis von Ausgrenzungsmechanismen oder die Wegnahme von Rechten von Staatenlosen, sie beruft sich auch nicht auf naturrechtliche oder vertragstheoretische Grundlagen. Die Aussage ist sehr viel drastischer: Der Rechtsstaat muss innerhalb seines Gefüges Gewalt als »rechtsetzend« anerkennen (Benjamin), er muss die Ausnahmezustände der Lager zur Normalität erklären (Schmitt), und er braucht den »homo sacer« (Agamben), der konstitutiv für die Grundlegung souveräner Macht und ihrer Rechtsordnung und gleichzeitig Nicht-Teil der Gemeinschaft ist, also letztendlich Legitimität der Legalität unterordnet.

Genau hier gewinnt der Begriff des Staatsrandes seine Bedeutung. „Der Staatsrand ist für einen modernen Staat [also] ein staatliches Konstitutivum.“ (S.144) Er bedeutet nicht einfach eine Grenze zwischen Innen und Außen und verdankt sich nicht einem gleichsam vorvertraglichen mythischen Gründungsereignis. Vielmehr wird er in fortlaufender Neu-Konstituierung von Staatlichkeit immer wieder gewalttätig ins Werk gesetzt. Der Staatsrand wird bewohnt von den Ausgeschlossenen; die in ihm lebenden Menschen gehören nicht zur Rechtsgemeinschaft. Den an die Staatsränder Verwiesenen begegnet die reine Staatsgewalt „ohne jegliches Verhältnis zu irgendwelchen Verhaltensregeln oder Prinzipien“ (S.145); diesen Menschen bleibt nichts als das nackte Leben.

Die politische Realität, die die von Maximilian Lakitsch ausgewählten Theorien empirisch beglaubigt, zeigt er an unterschiedlichen Beispielen auf: Die Verdrängung und Zwangsassimilierung der Ureinwohner in Nordamerika und Australien, der Völkermord an den Armeniern im späten osmanischen Reich, die Vernichtung der Juden in Europa, der erzwungene Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, die ethnischen Säuberungen im zerfallenden Jugoslawien, die Ausgrenzung und Ausweisung von Sinti und Roma in diversen Ländern Europas, Flüchtlingslager, Abschiebehaft und Abschiebung von Flüchtlingen im Schengen-Europa, nicht zuletzt auch in Deutschland und Österreich, das Elend an der Außengrenze der EU, eingehend geschildert und analysiert in der im letzten Jahr preisgekrönten Arbeit von Silja Klepp, und schließlich der Konflikt zwischen Israel und Palästina. In all diesen gewalttätigen Vorgängen wirkt, so Maximilian Lakitsch, die „Logik der Staatsränder als primäre Ursache“ (S.179).

Wie kann eine Arbeit, deren Kernthese dem modernen Staat wesensmäßig die Möglichkeit umfassender und dauerhafter Einhegung der Staats-Gewalt und also Friedensfähigkeit abspricht, wie kann eine solche Arbeit mit dem Nachwuchspreis der deutschen Friedens- und Konfliktforschung ausgezeichnet werden?

Der Theorieansatz von Maximilian Lakitsch nimmt essentielle Ambivalenzen von Staatlichkeit in den Blick und zwingt uns zu genauerem Denken bei der zur Gewohnheit gewordenen Rede von der Staatsgewalt. Er erinnert daran, dass der Staat weder ein a priori und aus sich heraus an Menschenrechten und Gemeinwohl orientierter Akteur noch eine neutrale Instanz ist. Aus der Analyse der Praxis an den Staatsrändern gewinnt Maximilian Lakitsch – durchaus erschreckende – Einsichten, die zur Konfrontation mit der Ambivalenz staatlich organisierter gesellschaftlicher Gefüge zwingen. Indem er die unausgewiesenen Voraussetzungen moderner Staatlichkeit offen legt, fordert er die Friedensforschung eindrücklich auf, theoretisch und praktisch ihre eingeübten Denk- und Vorgehensweisen zu überdenken. Die Arbeit verweist auf die Notwendigkeit solcher Auseinandersetzung, gibt deren Instrumente und Verfahrensweisen aber nicht vor.

Es blieb in der Diskussion der Jury aber auch ein Unbehagen, das mit der Entscheidung, dieser Arbeit bzw. ihrem Autor den diesjährigen Preis zu verleihen, nicht vollends beigelegt war. Die wichtigsten Einwände und Fragen sollen hier dargelegt werden. Wir haben sie – der Christiane-Rajewsky-Preis dient ja immer auch der Aufnahme eines Gesprächs – wir haben sie Maximilian Lakitsch mitgeteilt und sind gespannt auf seine Antwort.

Ein Blick in die biographischen Daten von Maximilian Lakitsch sagt uns, dass er sich in seinem Studium intensiv mit interkulturellen und interreligiösen Fragen auseinandergesetzt hat. Er hat in damit thematisch verwandten Zusammenhängen auf UN- und zivilgesellschaftlicher Ebene gearbeitet. Er ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter im Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung in Stadtschlaining. Wir meinen, in diesen Daten ein friedenspolitisches Engagement erkennen zu können, ein Engagement, dessen Wegweiser wir in der auf explizite Handlungsorientierung verzichtenden Arbeit je nach Leseweise gar nicht oder nur undeutlich gefunden haben. Lieber Preisträger, wir bitten um Lesehilfe.

Weitere Fragen: Liefert sich die Arbeit nicht den Theorien ihrer Denk-Väter aus, indem sie deren Welt-Konstruktionen als gleichsam objektive Wahrheit nimmt und nun die dazu passenden Realitäten sucht und findet, andere, möglicherweise nicht minder geschichtsmächtige, aber ausblendet?

Trifft die behauptete Norm-Ungebundenheit des modernen Staates an seinen Rändern wirklich zu? Sind die Bemühungen hin zu einem menschenrechtsbasierten internationalen Konstitutionalismus wirklich so gering einzuschätzen. Sind sie nicht Teil eines zivilisatorischen Prozesses, sondern eher wesenswidrige Sisyphos-Anstrengungen?

Und schließlich das doch auch ein wenig vereinnahmungsverdächtige, die Arbeit durchziehende »Wir«: Wem gilt es? Das Unbehagen, das »wir« haben, ist es nicht vielleicht das »Behagen« von anderen? Wer also ist »Wir«?

So viele Fragen: Jede durchaus ernst zu nehmen. Sie sind aber keine prinzipieller Einwand oder Infragestellen, sondern Ausdruck des Anstoßes zu Beunruhigung und Nachdenken, der von dieser Arbeit ausgeht. Mit ihren von Theorie und Empirie bekräftigten Reflektionen über Staatsgewalt vergegenwärtigt sie uns die prekären, ambivalenten staatspolitischen Grundlagen, mit denen Friedensbestrebungen sich notwendigerweise auseinandersetzen müssen. Damit liegt sie im Kern, man möchte fast sagen, im Kern des Kerns, von Friedens- und Konfliktforschung. Dafür möchte ich Ihnen, lieber Maximilian Lakitsch, im Namen der AFK diesen Preis überreichen.

Anmerkungen

1) Dissertation von Maximilian Lakitsch: »Unbehagen im modernen Staat. Über die Grundlagen staatlicher Gewalt«. Erscheint im Mai 2013 bei Transcript.

2) Dissertation von Silja Klepp: »Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsrecht: Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer«. Bielefeld: Transcript, 2011.

Prof. Dr. Claudia von Braunmühl ist unabhängige entwicklungspolitische Gutachterin sowie Beraterin und Honorarprofessorin für Internationale Politik am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin.

»Agents for Peace«

»Agents for Peace«

Potenziale für sozialen Wandel durch Friedenslehre

von Lydia Marion Koblofsky

Spätestens seit der Einrichtung eigenständiger Postgraduiertenprogramme hat sich die Friedens- und Konfliktforschung international als akademische Fachdisziplin etabliert. Doch Ansatz und Anspruch der entstandenen Studiengänge sind divers. »Friedenslehre«, »Friedenserziehung« oder »Friedens- und Konfliktforschung«: Schon die Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen weist auf konzeptionelle Differenzen hin. Können und sollen Studiengänge der Friedens- und Konfliktforschung einen Beitrag zum »Frieden« leisten? In einer empirischen Studie untersuchte Lydia Koblofsky von Dezember 2010 bis Mai 2011 das Friedenspotenzial des »Peace and Conflict Studies Programme« der Makerere University in Uganda.

In einem Beitrag zur Friedenslehre an akademischen Institutionen stellte sich Thomas Dominikowski 1991 die Frage: „Was heißt und zu welchem Ende studieren wir Friedenswissenschaft?“ (Dominikowski 1991b, S.291) Seiner Definition von Friedenslehre zufolge geht es nicht nur um die Vermittlung von Inhalten, sondern auch um die Qualifizierung zum Friedenshandeln – denn letzlich müsse das Ziel die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse sein (ebd. S.291). In Abgrenzung zur Neutralität anderer Wissenschaften sollte kritische Friedensforschung über bewusstes gesellschaftspolitisches Engagement einen direkten Beitrag zum Frieden leisten (ebd. 1991a, S.15 f.). Verbunden mit diesem normativen und praxisbezogenen Verständnis der Friedensforschung hatten in den 1990er Jahren auch das Paradigma der Gewaltfreiheit sowie alternative Lehr- und Lernformen einen wichtigen Platz in den Diskussionen um die Lehre der Disziplin in Deutschland (Brühl 2005, S.545). Im Prozess der »eigenständigen« Institutionalisierung der Friedens- und Konfliktforschung an den Hochschulen finden diese Ideen allerdings kaum mehr Resonanz.

Doch der Blick über den Tellerrand der deutschen Hochschullandschaft hinaus offenbart ein anderes Selbstverständnis der Friedens- und Konfliktforschung und eine andere disziplinäre Entwicklung der Studiengänge auf diesem Gebiet. Denn auch in (Post-) Konfliktregionen steigt die Zahl der Institutionen, die entsprechende wissenschaftliche und/oder praxisorientierte (Aus-) Bildung anbieten. So gibt es beispielsweise an Universitäten in Liberia, Sierra Leone, Nordirland, Israel, Sri Lanka oder Costa Rica (Post-) Graduiertenprogramme im Themenbereich Frieden und Konflikt. Trotz eines wachsenden Interesses an wissenschaftlicher Lehre und Forschung sind jedoch der Einfluss und das Potenzial der Friedens- und Konfliktforschung in Bezug auf langfristige Friedenssicherung noch nicht ausreichend untersucht (Lenhart et al. 2011, S.9).

Transformatives Lernen in Theorie und Praxis

Welche Erkenntnisse, aber auch Fragen die Lehr- und Lernerfahrungen im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung in einem (Post-) Konfliktland liefern können, soll exemplarisch am Beispiel einer empirischen Untersuchung des Masterstudiengangs »Peace and Conflict Studies« der Makerere University in Ugandas Hauptstadt Kampala beleuchtet werden.1 Das zweijährige Aufbaustudium wurde 2003 ins Leben gerufen, ist explizit multidisziplinär aufgestellt und inhaltlich an einer praktischen Auseinandersetzung und Bearbeitung der verschiedenen regionalen Konfliktlagen in Ostafrika orientiert. Die zugrunde liegende Auswertung quantitativer Daten und qualitativer Interviews rückte sowohl Einstellungs- und Verhaltensänderungen der Studierenden als auch deren Umsetzung im Rahmen professioneller Beschäftigungsfelder ins Zentrum des Interesses.

Friedenslehre an der Makerere University

Die Förderung ziviler, explizit gewaltfreier Konfliktbearbeitung ist das Kernziel der universitären Ausbildung am Peace and Conflict Studies Programme (PCSP) der Makerere University in Kampala: Laut eigener Angaben möchte das Masterprogramm zur Entwicklung einer »Kultur des Friedens« in der Region der Großen Seen beitragen. Deshalb sollen akademische Lehre und Forschung vor allem zu Friedenshandeln befähigen und aktivieren. Folglich sind Praxiselemente nicht nur Zusatzangebot oder Erweiterung der Lehre, sondern Methode und Anspruch zugleich: Die Verbindung zwischen wissenschaftlicher Auseinandersetzung und praktischem Erfahren und Erleben ist ein Schlüsselelement des Lernens. Über beide »Kanäle« sollen sich die Studierenden Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen, die sie in die Lage versetzen, friedensfördernd tätig zu werden. Auf der Homepage des PCSP wird dies wie folgt formuliert: „Der Master in Friedens- und Konfliktforschung […] möchte die Absolvent_innen für Friedensarbeit begeistern […]“ – Studierende sollen zu Akteuren in Friedensprozessen werden.

Der zweite Lernprozess, den das Studium anstoßen möchte, findet auf der zwischenmenschlichen Ebene statt, in Form von Gruppenprozessen innerhalb der Studienjahrgänge. Durch gemeinsame Erlebnisse sollen Interaktion, Gruppenzusammenhalt und -identifikation stimuliert werden. Das Studium der Friedens- und Konfliktforschung möchte Studierenden nicht nur beruflich-professionelle Qualifikationen, sondern auch persönliche Fähigkeiten vermitteln: „Dieses Programm bestärkt die Studierenden, in privaten, professionellen und gesellschaftlichen Bereichen sowohl als Menschen als auch als Führungspersönlichkeiten friedensfördernd zu handeln […].“ 2 Es geht hier demnach um ein ganzheitliches Konzept der Friedensarbeit, in dem die Trennung zwischen Beruflichem und Privatem unscharf wird (siehe auch Dominikowski 1991a, S.22).

Perspektivwechsel? Transformatives Lernen durch Erfahrung

Wie kann ein Studium einen Beitrag zu einer entsprechenden Handlungsorientierung leisten und Studierende als »Friedensarbeiter_innen« – im Gegensatz zu »Friedensgelehrten« – (aus-) bilden (Dominikowski 1991a, S.22)? Ansätzen der kritischen Pädagogik zufolge setzt eine Veränderung der Einstellung und des Handelns einen transformativen Lernprozess voraus. Transformatives Lernen wird in diesem Beitrag definiert als „tiefgreifende strukturelle Veränderungen grundlegender Einstellungen, Gefühle und Handlungen“.3 Fetherston und Kolleg_innen (2007, S.264) beschreiben diesen Ansatz in einer Studie zu transformativer Pädagogik in der Friedens- und Konfliktforschung als das emanzipatorische Potenzial von Bildung. Demzufolge ist emanzipatorische Bildung kein technisches, zweckdienliches Unternehmen, bei dem Inhalte konsumiert werden, sondern erfordert (Selbst-) Reflexion und die Dekonstruktion gewohnter Denkmuster. Durch diese (Lern-) Prozesse soll die Konformität mit dem Status quo aufgebrochen werden. Es geht darum, eine kritische Distanz zu den Bezugssystemen zu schaffen, in deren Rahmen Menschen sich ihre Realität erschließen: „Transformation beinhaltet das kritische Hinterfragen von Bedeutungsmustern und sozialen Diskursen […]. Durch grundlegende Perspektivwechsel in Verständnisprozessen, das »reframing« von »Problemen«, werden persönliche Veränderungen und sozialer Wandel möglich.“ [Übersetzung d. Verf.] (Fetherston et al. 2007, S.264) Zusammengefasst kann transformatives Lernen somit als »Katalysator« eines Bewusstseinsbildungsprozesses beschrieben werden (vgl. Freire 2006 [1970], S.35).

Frieden lernen? Erfahrungen aus der Praxis an der Makerere University4

Aus den empirischen Forschungsergebnissen am PCSP der Makerere University lässt sich die These ableiten, dass bei den Studierenden sowohl auf rationaler als auch auf emotionaler Ebene der konzeptionell beschriebene »katalysatorische« Transformationsprozess wirkt. Besonders die praktischen Erfahrungen sensibilisieren, betonen die Studierenden (Interview K9, 20. April 2011). Auch der aktuelle Koordinator des PCSP schätzt beispielsweise die Bedeutung von Exkursionen und Studienfahrten als sehr hoch ein: „[F]ünf Tage [im Feld] vermitteln mehr, als ein Jahr [an der Universität].“ (Interview C3, 3. Mai 2011) Die Teilnehmer_innen könnten so das theoretisch angeeignete Wissen direkt in der Praxis hinterfragen, erklärt ein ehemaliger Koordinator und Lehrender (Interview C2, 6. Mai 2011).

Verantwortung für den Frieden

Perspektivwechsel wird laut Interviewpartner_innen auch durch Trainings und Workshops initiiert, die auf Einstellungs- und Verhaltensreflexion und -veränderung (hin zu gewaltfreier Konfliktaustragung) abzielen.5 Der Projektleiter dieser Trainings und Workshops hat die Erfahrung gemacht, dass die Teilnehmer_innen durch diese persönliche Involvierung häufig ein unmittelbares Verantwortungsgefühl für Friedensprozesse entwickeln – „ein Gefühl der persönlichen Anwaltschaft für den Frieden“ („a feeling for being an agent for peace“) (Interview K8, 19. April 2011).

Der Begriff »agent for peace« wurde in den Interviews beinahe zum geflügelten Wort, das von vielen prägenden Erfahrungen und Einstellungen der Befragten getragen zu sein scheint. Der PCSP-Koordinator beschreibt beispielsweise ein einschneidendes Erlebnis eines Absolventen des Studiengangs, der als Chef einer »Rapid Response Unit« der Polizei die Anweisung bekam, eine Demonstration in Kampala gewaltsam aufzulösen. Er verweigerte den Befehl und begründete dies gegenüber dem PCSP-Koordinator später wie folgt: „Ich habe Friedens- und Konfliktforschung studiert, wie könnte ich so einen Befehl ausführen?“ (Interview C3, 3. Mai 2011) Dies ist nur ein Beispiel für Reflexionsprozesse bei (ehemaligen) Studierenden der Friedens- und Konfliktforschung, das sehr direkt die Einstellungs- und Verhaltensänderungen im Sinne gewaltfreier, »friedensorientierter« Konfliktaustragung verdeutlicht.

„Wir müssen Frieden schaffen, nicht nur darüber reden“6

Nicht nur auf die eigene Person bezogen, sondern auch in Beziehung zu Anderen erweist sich ein hoher Praxisanteil im Studium als sinnvoll. Auf Exkursionen sei der Kontakt und die Interaktion mit Kommiliton_innen sehr intensiv und positiv, sagen viele Studierende. Beziehungsarbeit, das heißt das (Wieder-) Herstellen zwischenmenschlicher Beziehungen, ist in sozial fragmentierten Kontexten zentrales Moment der Konflikttransformation (Lederach 1997). Speziell für die ugandische Gesellschaft sind diese »zwischenmenschlichen« Aspekte von tragender Bedeutung: Obwohl in Uganda eine ansonsten relativ starke Trennung ethnischer, religiöser und sozialer Gruppen besteht, sind die Masterjahrgänge des PCSP bezüglich durchaus »konfliktiver« soziologischer Merkmale sehr heterogen zusammengesetzt.7 Insbesondere im Hinblick auf die beruflichen Tätigkeitsfelder der Studierenden hat dieser positive Kontaktaufbau auf der Mikroebene gesamtgesellschaftliche Relevanz. Denn es ist durchaus davon auszugehen, dass im vertrauensvollen Umgang innerhalb der Studierendengruppen ein tief greifender Wandel der Wahrnehmung bisher distanzierter oder gar »verfeindeter« Gruppen stattfindet, der zum Abbau von Feindbildern führen kann.8

Die Eliten des Landes: (Hoffnungs-) Träger der Veränderung?

Nach Angaben der Mitarbeiter des PCSP sind 80% der Studierenden berufstätig9 und repräsentieren ein weit gefächertes Spektrum von Berufsrichtungen und gesellschaftlichen Sektoren.10 Besonders für die Weiterqualifizierung oder Spezialisierung von Menschen mit langjähriger Berufserfahrung ist das Masterprogramm interessant. In der empirischen Untersuchung war auffällig, dass viele der Studierenden hochrangige Positionen in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik, Sicherheit, Justiz oder der Zivilgesellschaft besetzen. Dementsprechend bildet das PCSP sowohl derzeitige als auch zukünftige Führungspersonen (leaders) des Landes (aus). Im Bereich ziviler Konfliktbearbeitung ist diese sozioökonomische Zusammensetzung der Studierenden von großer Bedeutung. Denn in der Transformation komplexer Konfliktsituationen ist eine konstruktive Einbindung der mittleren und höheren Führungsebenen einer Gesellschaft meist zentral. Mit Lederach gesprochen hat diese Statusgruppe die Kapazität, Prozesse und Menschen in den oberen und unteren Schichten einer Gesellschaft anzusprechen und zu beeinflussen (Lederach 1997, S.51). Akademische Institutionen bieten für diese Zielgruppe einen viel versprechenden Anknüpfungspunkt. Die Eliten eines Landes werden auf der einen Seite als (potenzielle) Studierende angesprochen. Auf der anderen Seite sind sie aber auch indirekt Rezipient_innen der akademischen Analysen und Expertise, die Universitäten zur Verfügung stellen.

Friedenslehre macht einen Unterschied

Vor dem Hintergrund der Konzepte transformativer Lernprozesse kann dem Masterstudium in Peace and Conflict Studies großes Wirkungspotenzial auf »positive« gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse zugeschrieben werden. Dieses grundsätzlich optimistische Fazit deckt sich auch mit der Schlussfolgerung einer Ländervergleichsstudie zu Projekten im Bereich Friedensbildung (peace education) der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF). Demnach empfiehlt die DSF, „[…] in Krisen- und Konfliktgebieten auch auf Friedensbildung zu setzen. Sie ist sicher nicht der alleinige oder der Königsweg zur friedlichen Konflikttransformation, kann aber einen wichtigen Beitrag leisten.“ (Lenhart et al. 2011, S.5 f.) Im Sinne einer veränderungsorientierten Friedens- und Konfliktforschung sollte dabei besonders eine Bildung für den Frieden (education for peace) im Gegensatz zur Bildung über Frieden (education about peace) im Zentrum stehen.

Wie es in der Friedenslehre gelingen kann, neben der Sachkompetenz auch die Handlungskompetenz von Studierenden zu aktivieren, lässt sich am Peace and Conflict Studies Master der Makerere University eindrücklich beobachten. Dort zeigt sich das Friedenshandeln nicht nur in der häufig gewählten Selbstbeschreibung (ehemaliger) Studierender als »agents for peace«, sondern auch im privaten und beruflichen Engagement für Frieden, das in sehr vielen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Ebenen stattfindet.

Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn in der Friedens- und Konfliktforschung verstärkt über die Lehrkonzepte und deren (friedens-) pädagogische Ausrichtung diskutiert würde, denn dies ist ausschlaggebend, um Studierende zu kritischer Auseinandersetzung zu befähigen und dadurch einen Beitrag zu gewaltfreiem sozialen Wandel zu leisten (vergleiche Fetherston et al. 2007, S.263).

Literatur

Brühl, Tanja (2005): Die Friedensforschung an den Hochschulen. Auf dem Weg zum etablierten Studienfach? In: Jahn, Egbert/Fischer, Sabine/Sahm, Astrid (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens Band 2. Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generation. Wiesbaden: VS Verlag, S.537-555.

Dominikowski, Thomas (1991a): Frieden lehren?! Über Friedenslehre und Curricula der Friedenswissenschaft an Hochschulen. Bonn: AFB-Texte Nr. 2/91.

Dominikowski, Thomas (1991b): Was heißt und zu welchem Ende studieren wir Friedenswissenschaft? In: Esser, Johannes/Frindte, Wolfgang /Krahulec, Peter (Hrsg.): Friedenswissenschaft und Friedenslehre an Fachhochschulen und Universitäten. Frankfurt a. M.: Haag und Herchen, S.291-299.

Fetherston, Betts/Kelly, Rhys (2007): Conflict Resolution and Transformative Pedagogy: A Grounded Theory Research Project on Learning in Higher Education. Journal of Transformative Education, Jg. 5 Nr. 3, S.262-285.

Freire, Paulo (2006): Pedagogy of the Oppressed. New York/London: Continuum, 30. Jubiläumsausgabe, englische Erstausgabe von 1970.

Koblofsky, Lydia (2012): »Agents for Peace«? – The peacebuilding potential of the MA. Peace and Conflict Studies Programme (PCSP) at Makerere University in Kampala, Uganda. Marburg: Masterarbeit eingereicht an der Philipps Universität.

Lederach, John Paul (1997): Building Peace. Sustainable Reconciliation in Divided Societies. Washington: United States Institute of Peace.

Lenhart, Volker/Karimi, Alamara/Schäfer, Tobias (2011): Feldevaluation friedensbauender Bildungsprojekte. Osnabrück: Deutsche Stiftung Friedensforschung, Forschung DSF Nr. 30.

Anmerkungen

1) Der vorliegende Artikel basiert auf einer Masterarbeit der Autorin, die im Februar 2012 im Fach Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg eingereicht wurde. Auf Grundlage einer empirischen Forschung am Peace and Conflict Studies Programme (PCSP) der Makerere Universität wurde das friedensfördernde Potenzial des Masters in Peace and Conflict Studies in Kampala untersucht. Im Rahmen eines sechsmonatigen Forschungsaufenthaltes von Dezember 2010 bis Mai 2011 wurden standardisierte Datensets von 87 Studierenden des Masterprogramms erhoben und 45 qualitative teil-standardisierte Interviews mit Studierenden, Absolvent_innen und (ehemaligen) Mitarbeiter_innen des PCSP durchgeführt. Zusätzliche Forschungsmethoden waren teilnehmende Beobachtung und die Analyse von internen und externen Dokumenten (vgl. Koblofsky 2012).

2) Homepage des PCSP der Makerere Universität mapcs.mak.ac.ug [Übersetzung d. Verf.].

3) Homepage des Transformative Learning Centre; tlc.oise.utoronto.ca/About.html [Übersetzung d. Verf.].

4) Das empirische Interviewmaterial wird im Folgenden unter Angabe der anonymisierten Kennziffer und des Datums (wie in der zugrunde liegenden Masterarbeit) zitiert. Die quantitativen Daten beziehen sich ebenfalls auf die Auswertung der Daten in der genannten Masterarbeit (Koblofsky 2012).

5) Dies gaben 18 von 38 interviewten Studierenden an (47%) (vgl. Koblofsky 2012, Anhang III).

6) Interview K8, 19. April 2011.

7) Im Hinblick auf die soziologischen Merkmale Geschlecht, regionale Herkunft, Religion und Alter ist die Studierendenschaft des PCSP sehr heterogen.

8) Vgl. Koblofsky 2012, Anhang I.

9) Information des Buchhalters des PCSP vom 16. November 2011.

10) Die häufigsten Arbeitsfelder (ehemaliger) Studierender sind Regierungsstellen im Bereich der Legislative, Judikative, Exekutive oder in der Verwaltung (20 von 77; 26%), NROs bzw. soziale Arbeit (10 von 77; 13%), Universitäten bzw. wissenschaftliche Institutionen (9 von 77; 12%) und internationale Organisationen (8 von 77; 10%) (vgl. Koblofsky 2012: Anhang III).

Lydia Koblofsky ist Absolventin des Marburger Masterstudiengangs Friedens- und Konfliktforschung und arbeitet als Fachpromotorin für Globales Lernen beim Entwicklungspolitischen Netzwerk Hessen und dem Marburger Weltladen. In der Ausgabe 3/2011 der W&F veröffentlichte sie zusammen mit Johannes Maaser einen »politischen Reisebericht« aus Uganda.