Ziviler Widerstand im Kosovo

Ziviler Widerstand im Kosovo

von Christine Schweitzer

Zu den Selbstverständlichkeiten des »militärgläubigen« friedens- und sicherheitspolitischen Mainstreams gehört zweifelsohne, die Effektivität gewaltfreien zivilen Widerstands in Frage zu stellen. Auch wenn die Mainstreamer sich im Hinblick auf ihr eigenes Überzeugungs- und Wertesystem (und dessen Auswirkungen!) nicht annähernd vergleichbar kritisch gebärden, sollten VertreterInnen der aktiven Gewaltfreiheit sich diesen Fragen doch stellen. Gerade bei offensichtlichem Misserfolg kann ein »zweiter Blick«, eine nähere Untersuchung der Umstände und Bedingungen des Versagens, aufschlussreich und fruchtbar sein. In Form einer Art erweiterter Besprechung einer einschlägigen Monographie von H. Clark wirft Christine Schweitzer im Folgenden einen solchen »zweiter Blick« auf die Entwicklung im Kosovo zwischen 1989 und 1997.

Schon beinahe vergessen ist, dass der Kosovo1 nicht nur Schauplatz des ersten Kriegs der NATO ohne ein Mandat der Vereinten Nationen gewesen ist, sondern auch eins der eindrucksvollsten Beispiele zivilen Widerstandes in Europa darstellt. Ungefähr von Sommer 1989 bis Herbst 1997 versuchten die albanischen Kosovaren, durch ausschließlich gewaltfreie Mittel der serbischen Gleichschaltung nach Aufhebung der Autonomie 1989 zu entgehen und ihr Ziel der Unabhängigkeit des Kosovo durchzusetzen. Auf den ersten Blick scheint der zivile Widerstand im Kosovo keine Erfolgsgeschichte zu sein. Er blieb letztlich erfolglos, während der nachfolgende bewaffnete Kampf 1998-1999 dazu führte, dass die Kosovo-Albaner der Unabhängigkeit von Serbien ein Stück näher gekommen sind, wenngleich um den Preis vorübergehender Vertreibung und von Krieg. Ist dies also wieder ein Beleg dafür, dass Gewaltfreiheit doch nichts bringt?

Keine eindeutigen »Lehren aus der Geschichte«

So eindeutig sind die Lehren nicht, die aus dieser Geschichte gezogen werden können. Zum einen ist die Tatsache als solche beachtenswert, dass über sieben oder acht Jahre hinweg ziviler Widerstand von quasi einem ganzen Volk getragen und trotz zahlloser Provokationen und fortdauernder Menschenrechtsverletzungen durch die serbische Polizei aufrecht erhalten wurde. Und dies in einem zeitgeschichtlichen und kulturellen Umfeld, das wie wenig andere von Krieg und Gewalt geprägt war. (Man denke an die zeitgleichen Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegowina.) Dem von Präsident Ibrahim Rugova angeführten Widerstand gelang es, die Unterdrückung durch das serbische Regime nicht zum Alltag werden zu lassen und gleichzeitig das Ausbrechen eines Krieges zu verhindern zu einer Zeit, als die internationale Aufmerksamkeit in erster Linie auf Bosnien gerichtet war und deshalb wenig Hilfe und Unterstützung von Dritten erwartet werden konnte.

Zum Zweiten hatte der zivile Widerstand – vergleicht man ihn mit anderen historischen und gegenwärtigen Beispielen, die erfolgreicher waren – einige entscheidende inhärente Schwächen, die sein letztendliches Versagen im Grunde schon früh andeuteten. Dazu unten mehr.

Zum Dritten spielt auch in dieser Phase die sog. Internationale Gemeinschaft eine sehr unrühmliche Rolle. Sie versagte darin, den Ernst der Lage richtig einzuschätzen und erkannte den zivilen Widerstand nicht als Form der politischen Auseinandersetzung – es blieb ja scheinbar alles »friedlich«. Der Kosovo wurde allein als ein Problem der Menschenrechte, aber nicht als Schauplatz eines Unabhängigkeitskampfes gesehen. Druck zu handeln wurde erst empfunden, als 1998 die Kämpfe zwischen der erstarkten Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) und dem serbischen Militär und der Sonderpolizei zu Hunderttausenden von Binnenflüchtlingen führten. Ein Druck, der bekanntlich dann zur NATO-Intervention und der anschließenden Unterstellung des Kosovo unter ein Quasi-Protektorat der UNO führte.

Aus all diesen Gründen lohnt es sich, die Phase des gewaltfreien Widerstandes näher zu betrachten. Hierzu ist 2003 eine exzellente Studie des englischen Aktivisten und Kosovo-Kenners Howard Clark in deutscher Sprache erschienen.2 Das Buch, das für die deutsche Ausgabe vom Autor mit einem neuen Nachwort versehen wurde, untersucht die Phase des zivilen (gewaltfreien) Widerstands der Kosovo-Albaner. Clark beschreibt die verschiedenen Stationen des Kampfes, die Stärke und das Potential dieser Bewegung, wie auch ihre Grenzen und Schwächen. Schließlich geht er auch auf das Versagen der internationalen Diplomatie ein und wagt in dem Nachwort einen Rückblick auf die Bewegung aus heutiger Sicht.

Besonderheiten des kosovo-albanischen Widerstands

Der Widerstand der Kosovo-Albaner konzentrierte sich auf die Schaffung paralleler Institutionen und wurde von praktisch der gesamten Bevölkerung mit getragen. Trotz seines letztendlichen Misserfolgs ist er ein beeindruckendes Beispiel dafür, über welch langen Zeitraum eine gewaltlose Strategie aufrechterhalten werden kann. Dabei war er anfangs durchaus nicht vorhersehbar. 1988 erwarteten die meisten Beobachter der Situation eine Intifada, nicht gewaltfreien Widerstand. Die Entscheidung für Gewaltfreiheit stellte eine rein pragmatische Entscheidung dar, wobei einige der Führer der Kosovo-Albaner mit den Theorien von Gandhi u. a. vertraut waren. Howard Clark macht vier Gründe für diese Entscheidung aus:

  • Erfahrung mit den Massendemonstrationen 1981, die mit viel Gewalt niedergeschlagen wurden;
  • ein Streik der Bergleute 1989, der viel Eindruck machte;
  • eine von StudentInnen initiierte Versöhnungsbewegung unter den Kosovaren, bei der 2.000 Familien bis 1993 das Ende der Blutrache verabredeten und
  • die Entwicklung von 1989 (Bürgerrevolutionen als »Erfolgsgeschichten«).

Der gewaltfreie Widerstand konzentrierte sich auf den Aufbau eines parallelen, von Albanern getragenen Systems. Öffentliche Aktionen (Demonstrationen z.B.) wurden nach 1991 als zu gefährlich betrachtet. Man fürchtete – im Nachhinein kann man sagen, zu Recht –, dem serbischen Regime einen Vorwand für gewaltsames Durchgreifen zu liefern. Das parallele System konzentrierte sich auf die drei Bereiche Schule, Gesundheitswesen und Regierung.

In den Schulen war im August 1990 ein serbisches Curriculum erlassen worden. Die albanischen LehrerInnen weigerten sich, der Lehrplanänderung Folge zu leisten und unterrichteten weiter gemäß dem alten Curriculum. Daraufhin entließen die serbischen Behörden alle Schuldirektoren und zahlten keine Löhne mehr aus. Zu Beginn des nächsten Schuljahres (September 1991) stand dann die Polizei vor den Schulen und verweigerte den albanischen SchülerInnen den Zutritt zu ihren Schulen. Daraufhin begann die albanische Führung mit dem Aufbau von Schattenschulen, die zuletzt von 220.000 SchülerInnen besucht wurden, die von 19.000 LehrerInnen unterrichtet wurden. (In der Mehrzahl handelte es sich hierbei um weiterführende Schulen, nachdem die Hauptschulen ein Jahr später wieder eröffnet wurden.) Ebenso wurde die albanisch-sprachige Universität in Pristina geschlossen; auch sie wurde illegal fortgeführt und hatte zuletzt 16.000 StudentInnen. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen muss allerdings festgestellt werden, dass – zwangsläufig – die Qualität des Schul- und Universitätsunterrichts abfiel und dass der Schulbesuch vor allem von Mädchen wieder zurückging, nachdem der Gedanke, dass auch Mädchen formale Bildung genießen sollten, erst in den letzten Jahrzehnten hatte verankert werden können.

Ein zweiter Schwerpunkt lag auf dem Gesundheitswesen, nachdem die meisten albanischen ÄrztInnen ihre Arbeit in den Krankenhäusern verloren und die Behandlung grundsätzlich in serbischer Sprache erfolgen musste. Viele der entlassenen Ärzte engagierten sich, oftmals ehrenamtlich, bei der humanitären Organisation »Mutter Theresa«, die in erster Linie Ambulanzen aufbaute. Allerdings funktionierte das alternative Gesundheitssystem nicht besonders gut. Die Kindersterblichkeit stieg, viele Krankheiten (Lungenkrankheiten z.B.) stiegen ebenfalls drastisch an und auch hier wurden Frauen besonders Opfer, da Geburten nicht mehr in den Krankenhäusern, sondern zu Hause stattfanden und mit hohem Risiko behaftet waren.

Das dritte Hauptelement des Widerstandes war die Errichtung eines parallelen politischen Systems. Es fanden zweimal Wahlen zu einem kosovo-albanischen Parlament statt (das allerdings nie zusammentrat) und ein funktionierendes Verwaltungs- und Regierungssystem wurde eingerichtet.

Grenzen und Schwächen der Widerstandsbewegung

Allerdings, und dies kann als eine der zentralen Schwächen des Widerstandes angesehen werden und wohl als einer der Gründe, warum er letztlich zusammenbrach, fehlte eine Strategie, wie die Ziele – die Unabhängigkeit von Serbien/Republik Jugoslawien – aus eigener Kraft hätten erreicht werden können. Stattdessen setzte man von Anfang an auf die internationale Gemeinschaft, die dem Kosovo die Selbstständigkeit geben und durch die Stationierung von Truppen absichern sollte.

Eine zweite Schwäche des Widerstandes war seine Passivität. Der Alltag ging weiter, ohne dass Veränderungen sichtbar wurden und ohne dass besondere Akte des Widerstands durchgeführt werden konnten. Hier zeichnete sich erst 1997 eine Veränderung ab, als die StudentInnen in Pristina mit Demonstrationen für die Wiedereröffnung von Schulen und der Universität begannen. Zur gleichen Zeit begannen allerdings auch die gewaltsamen Aktivitäten der Kosovo-Befreiungsarmee, der anderen Antwort auf den Stillstand der politischen Entwicklung.

Ein drittes kritisches Element war das Fehlen jeglicher Dialogbereitschaft mit dem Gegner. Lange Zeit galt jeder Kontakt, auch zu serbischen Oppositionellen, als verratsverdächtig. Ebenso suchte man z.B. auch bei den Studentenprotesten 1997 vergeblich Transparente in serbischer Sprache.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass der gewaltfreie Widerstand im Kosovo versagte, weil es ihm nicht gelang, den Konflikt (gewaltlos) so zu eskalieren, dass die Gegenseite gezwungen worden wäre, nach einer Lösung zu suchen. Dies schaffte erst die UCK, deren Terrorakte die serbische Polizei und das Militär zu massiven Gegenaktionen veranlasste, was dann seinerseits die internationale Gemeinschaft auf den Plan rief, die zuvor eher geneigt war, die Vorgänge im Kosovo als interne Angelegenheit Serbiens bzw. Jugoslawiens anzusehen. Die Frage des Status des Kosovo ist immer noch nicht geklärt – anstatt der Herren aus Belgrad haben jetzt die Vereinten Nationen und die NATO das Sagen, doch zweifeln nur wenige Beobachter daran, dass, was immer im Einzelnen die völkerrechtlichen Regelungen sein werden, der Kosovo gewiss nicht mehr nach Serbien zurückkehren wird.

Anmerkungen

1) »Kosovo« wird hier als die internationale Schreibweise des Namens benutzt. Im Albanischen heißt er »Kosova«.

2) Clark, Howard (2003): Ziviler Widerstand im Kosovo. Hrsg. Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung, Kassel, Weber & Zucht, 304 Seiten, 20 EUR.

Christine Schweitzer (Hamburg) arbeitet als Mitarbeiterin des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung an einer Studie über Interventionen im Raum des ehemaligen Jugoslawien und für die internationale NGO Nonviolent Peaceforce.

Die Folgen des Kosovo-Krieges

Die Folgen des Kosovo-Krieges

von Norbert Mappes-Niediek

Die mehr als vier Jahre Abstand haben an den Debatten zum Kosovo-Krieg nichts verändert; die Argumente der Gegner und der Befürworter der NATO-Intervention sind allenfalls noch starrer geworden. Nur einige wenige Nebel von damals haben sich ein wenig gelichtet. Vom 1999 viel diskutierten »Hufeisen-Plan«, den der ungeschickte deutsche Verteidigungsminister Scharping der Öffentlichkeit präsentiert hatte, ist heute nicht mehr die Rede. Selbst hohe Militärs geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass dieser angebliche Geheimplan zur Massenvertreibung der Albaner bloß ein Instrument der Desinformation war. Die Gegner der Intervention dagegen nehmen von ihren fixen Ideen von damals nicht so leicht Abschied. Zur Gewissheit hat sich verfestigt, der Westen habe damals ganz Serbien besetzen wollen und seine Absicht in einen »Annex B« des in Rambouillet verhandelten Autonomieplanes für das Kosovo versteckt. Wem es gelingt, in einem nebelfreien Moment einen scharfen Blick zurück auf die Ereignisse des Jahres 1999 und ihre Folgen zu werfen, der muss heute zu einer zweifach gespaltenen Bilanz kommen. Erstens: Die Folgen für die Weltpolitik sind, soweit sie sich überhaupt schon erkennen lassen, negativ gewesen; die Folgen für die Region dagegen waren überraschend positiv. Zweitens: Auch für die Region war der Krieg ein gefährliches Abenteuer, das vergleichsweise glücklich ausgegangen ist.

Mit dem 78-tägigen Bombardement Jugoslawiens von März bis Juni 1999 haben alle beteiligten NATO-Staaten sowohl die UN-Charta als den NATO-Vertrag, der Out-of-area-Einsätze an eine entsprechende Resolution des Weltsicherheitsrates bindet, und die Deutschen darüber hinaus ihr Grundgesetz gebrochen. Dass der Buchstabe der UN-Charta für Weltmächte nicht das alleinige Maß ihres Handelns ist, ist in der Charta mit ihrem Veto-Recht schon angelegt. Gegen den Bruch des NATO-Vertrages erhob sich kein Kläger. Wie relativ seine Bestimmungen sind, ist allen Mitgliedern dieses machtpolitisch verfassten Klubs seit jeher bewusst. Am irritierendsten von den drei Rechts- und Vertragsbrüchen ist der Umgang der Deutschen mit ihrem Grundgesetz. Einmal ernsthaft auf die Probe gestellt, wurde es zur Makulatur. Ausgerechnet in einem Land, das sich mehr als jedes andere auf seine Verfassung beruft, wo die Politiker sich oft hinter den Verfassungsrichtern verstecken und dessen Bürger unter Politik gern den Rechtsvollzug eines unwandelbaren Gesetzes verstehen, ist Außenpolitik offenbar dem rechtlichen Zugriff entzogen.

Die Kosovo-Intervention, durch keine Resolution des Sicherheitsrats gedeckt, hat den Vereinten Nationen weiter Legitimität entzogen. Dieser Prozess der Delegitimierung hat nicht erst im Kosovo begonnen. Die Rolle der strategischen Agentur im ex-jugoslawischen Krisenmanagement hatte die UNO schon im Winter 1994/95 politisch an die informelle Balkan-Kontaktgruppe und militärisch an die USA abgeben müssen. Dem Sicherheitsrat kam von da an nur noch zu, der Politik der Groß- und Regionalmächte einen möglichst weiten Rahmen zu stecken. Die Intervention wegen des Kosovo war dann der Präzedenzfall für den Angriff auf den Irak durch die USA und Großbritannien. Wie im Kosovo kam die Weltorganisation auch im Irak erst nachträglich wieder ins Spiel. Im Kosovo durfte sie sich noch unauffällig unter die Akteure mischen und so tun, als wenn sie von Anfang an dabei gewesen wäre. In den Irak kam sie schon am Nasenring. Welche Spätfolgen daneben der Bruch über die Kosovo-Frage für die Stimmung der Welt- und Atommacht Russland hat, lässt sich noch nicht richtig absehen. Die Nichteinmischung der Amerikaner in der Tschetschenienfrage ist kein beruhigendes Signal. Offenbar entstehen schon wieder – wenn auch geographisch stark veränderte – Einflusszonen, die, wie im »Kalten Krieg«, der UNO keinen Platz lassen.

Nach offiziellen jugoslawischen Angaben, die noch vom Milosevic-Regime erhoben wurden, sind bei dem Bombardement zwischen dem 24. März und dem 9. Juni 1999 3.300 Menschen getötet worden, darunter 1.500 Zivilisten. Einen Streit gab es nur um die Zahl der getöteten Soldaten: Belgrad verringerte die offizielle Zahl später wieder, offenbar aus Sorge um die Moral der Truppe; die NATO dagegen schätzte die Verluste der jugoslawischen Armee, vielleicht ebenfalls aus Propaganda-Gründen, auf 5.000 Mann. Die Massenvertreibungen der Kosovo-Albaner – zwischen 800.000 und 900.000 Menschen wurden für eine Zeit außer Landes getrieben – und die Repression gegen die Daheimgebliebenen dürften an die 10.000 Menschenleben gekostet haben. Den wirtschaftlichen Schaden des Krieges hat die damals oppositionelle Belgrader Expertengruppe G-17 in einem Gutachten gleich nach dem Ende des Bombardements auf 29,6 Milliarden Dollar geschätzt. Allein 23,2 Milliarden davon entfallen allerdings auf den schwierigen Posten »entgangenes Bruttoinlandsprodukt«. Gegenüber dem Vorjahr sank die Wirtschaftstätigkeit in Jugoslawien im Jahr 1999 um mehr als 40 Prozent, die Industrieproduktion sogar um 44 Prozent.

Was wäre passiert, wenn die NATO nicht interveniert hätte? Viele halten diese Frage zu Unrecht für unzulässig oder für zynisch. In Wirklichkeit kommt man an ihr nicht vorbei, wenn man die Intervention historisch einordnen und für zukünftige Entscheidungen auswerten will. Die Annahme, der bewaffnete Konflikt zwischen der albanischen »Kosovo-Befreiungsarmee« UCK und anderen Formationen der albanischen Minderheit auf der einen und der serbischen Polizei und der jugoslawischen Armee auf der anderen Seite sei schon befriedet und wäre ohne die NATO-Intervention bald zu Ende gewesen, ist jedenfalls verfehlt. Die relative Ruhe des Winters 1998/99 hatte das Kosovo weniger der Stationierung von OSZE-Beobachtern zu verdanken als der üblichen Winterwaffenruhe, die auch in Bosnien in jedem Jahr mehr oder weniger eingehalten wurde. Auch ohne das Massaker von Racak im Januar 1999 war klar, dass der bewaffnete Konflikt mit der Schneeschmelze weitergehen würde. Dem Kosovo drohte ein bosnisches Szenario: Ein jahrelanger, zäher Krieg auf kleiner Flamme, mit relativ starren Fronten, begleitet von ständigen Verhandlungen, Autonomie- und Friedensplänen, die immer wieder halb vereinbart und in letzter Minute dann doch abgelehnt worden wären, unter ohnmächtiger Aufsicht von UN- oder OSZE-Beobachtern, mit indirekter Versorgung der kämpfenden Armeen durch den UNHCR und humanitäre Agenturen, bei mal offener und dramatischer, mal schleichender Massenflucht der Bevölkerung. Die Zahl der Toten und dauerhaft Vertriebenen hätte bei diesem Szenario am Ende sicher weit höher gelegen.

Schon im Winter 1998/99 war es vorwiegend die UCK, die den Waffenstillstand immer wieder brach und überzogene Gegenreaktionen von Polizei und Armee gezielt provozierte. Es entwickelte sich ein festes Muster, das aus vielen Guerillakriegen bekannt ist: Um die Partisanen in den Wäldern von ihrem Nachschub abzuschneiden, mussten serbische Armee und Polizei die Zivilbevölkerung in den Dörfern terrorisieren und mit brutalen »Strafmaßnahmen« einschüchtern. Das hätte sich ohne die NATO-Intervention sicher so fortgesetzt. Die UCK und mit ihr die gesamte albanische Volksgruppe verfolgte das Ziel, den Konflikt zu internationalisieren und die Weltgemeinschaft zur Intervention zu drängen. Für eine Einigung am Verhandlungstisch stand es extrem schlecht: Milosevic war innenpolitisch in Bedrängnis und hätte sich mit einem Referendum gegen ausländische Einmischung im Kosovo auch noch politisch eingemauert; die albanische Seite stand zu dicht vor dem Ziel der Unabhängigkeit, um sich jetzt noch mit einer halben Lösung abfinden zu lassen. Dass die Albaner, die UCK eingeschlossen, in Rambouillet trotzdem ein Autonomiestatut unterschrieben und auf das Ziel der Unabhängigkeit de facto verzichteten, lag am gewaltigen Einsatz der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright und an der Unerfahrenheit der albanischen Unterhändler.

Aus diesem Szenario haben Kritiker den Schluss gezogen, dass der Westen die falsche Seite bombardiert hätte: Die größere Schuld hätte ja auf der Seite der Kosovo-Albaner gelegen. Diesem Schluss liegt ein dreifaches Missverständnis zu Grunde. Erstens hätte der Westen, selbst wenn er gewollt hätte, die andere, albanische Seite gar nicht bombardieren können. Guerillas lassen sich aus der Luft nicht bekämpfen. Zweitens war es nicht der Sinn des Bombardements, Jugoslawien für seine »Schuld« zu »bestrafen«. Die Regierung in Belgrad war vielmehr deshalb das Hauptangriffsziel der Intervention, weil sie den Schlüssel für die Lösung des Konflikts verwahrt hielt. Kriegsziel war es, Belgrads Souveränität über das Kosovo aufzuheben oder zu neutralisieren. Dieses zweite Missverständnis wurde vom Westen auch noch genährt, wenn in der Propaganda die serbischen Gräuel übertrieben dargestellt und der Charakter der UCK geschönt wurde, so dass den Bürgern im Westen der Krieg als moralische Strafaktion erscheinen musste. Drittens lebte die albanische Minderheit tatsächlich unter einer unerträglichen Unterdrückung, die früher oder später immer wieder zu bewaffneten Konflikten geführt hätte.

Das Ziel, Belgrad die Herrschaft über das Kosovo abzunehmen, wurde tatsächlich erreicht. Alle albanischen Flüchtlinge kehrten aus den Nachbarländern zurück. Die Stationierung der internationalen Friedenstruppe Kfor macht Kriege zwischen Albanern und Serben auch in der näheren Zukunft unwahrscheinlich.

Gegen diesen Erfolg steht ein Misserfolg: Die serbische Bevölkerungsgruppe wurde entweder in die Flucht getrieben, oder sie wanderte ab, oder sie lebt heute in »ethnisch reinen« Enklaven, zuweilen unter starken Sicherheitsproblemen. Diesen Prozess kann man aber nicht umstandslos als »ethnische Säuberung« werten und gegen die Massenvertreibung der Albaner im Frühjahr 1999 rechnen. Ein nicht geringer Teil der serbischen Bevölkerung in vorwiegend albanischer Umgebung hat das Kosovo bereits mit dem Abzug der Armee verlassen. Die Spannungen zwischen Albanern und Serben währten zum Zeitpunkt der Intervention schon fast 20 Jahre. In dieser Zeit hatten die meisten serbischen Familien Söhne zur Polizei oder zur Armee gegeben. Nach den Massenentlassungen der Albaner aus dem öffentlichen Dienst 1990 waren vor allem Kosovo-Serben in die freien Positionen gerückt; die serbische Minderheit hatte ihre Interessen mit denen des Staates eng verbunden. Von den verbliebenen Serben wurden von Mitte 1999 bis Mitte 2000 viele durch gezielte Morde in der Nachbarschaft in die Flucht getrieben. Die Täter waren meistens junge »Nachkriegshelden«, die während des kurzen Guerilla-Krieges nicht zum Zuge gekommen waren und sich nachher an wehrlosen alten Leuten schadlos hielten. Die albanische Öffentlichkeit war zum Mitleid mit Serben, die zu Opfern wurden, noch nicht fähig und weigerte sich, der Polizei bei der Aufdeckung dieser Verbrechen zu helfen. Eine albanische Staatsautorität, die diese De-facto-Vertreibung hätte orchestrieren können, gab es damals nicht. Die UNO-Zivilverwaltung stand dem Phänomen hilflos gegenüber. So traurig der Exodus der Serben aus dem Kosovo auch ist: Eine gezielte Massenvertreibung durch »die« Albaner war er nicht. Die Versuche, die geflüchteten Serben wieder anzusiedeln, scheitern fast alle. Dabei lässt sich erkennen, dass die Gründe für die Abwanderung vielschichtig waren: Viele Serben haben berechtigte Angst vor Ausschreitungen, aber viele wollen auch nicht in einem albanisch dominierten Gemeinwesen leben.

Zu den Passiva der Bilanz wird auch gerechnet, dass die Intervention für das Kosovo-Problem keine dauerhafte Lösung gestiftet hat. Noch immer ist der Status des Gebiets ungeklärt, und viele offene Rechts- und Eigentumsfragen behindern den Aufbau. Streng genommen darf man dieses Problem der Intervention aber nicht anlasten. Wenn über eine Militäraktion Völkerrecht gesetzt würde, wäre die Rolle der Vereinten Nationen endgültig marginal. Dass es keine Lösung gibt, reflektiert vielmehr die Paralyse der Weltorganisation, die auch nach überstandenen Krieg nicht in der Lage ist, die verbliebenen, entschärften Probleme zu lösen. Obwohl sich die Haltung Russlands durch die Intervention nicht verhärtet hat, hat der Sicherheitsrat für das Gebiet keinen Fahrplan. Alle Orientierungen, die der UNO-Generalsekretär und sein Vertreter im Kosovo ausgeben, entspringen nur der Verlegenheit.

Während des Bombardements war die Befürchtung aufgekommen, die Position von Slobodan Milosevic in Belgrad würde selbst bei einer Niederlage Jugoslawiens noch stärker werden. Tatsächlich richtete sich der Zorn der Bevölkerung im Frühjahr 1999 gegen die Mächte, die die Bomben warfen, und nicht gegen das eigene Regime. Im Herbst 1999 gelang es dem Regime sogar, eine gewisse Aufbaustimmung zu verbreiten. Nach der Winterpause 1999/2000 war es damit aber schon wieder vorbei. Vor allem in bürgerlichen, nationalserbischen Kreisen und in der serbisch-orthodoxen Kirche wuchs die Überzeugung, dass Serbien mit Milosevic nicht mehr aus der Sackgasse kommen würde. Den ganzen Sommer über gelang es der Opposition, besonders dem späteren Premier Zoran Djindjic, immer besser, die zerstrittenen Oppositionsparteien zu einen, wichtige gesellschaftliche Kräfte auf ihre Seite zu ziehen und Skeptiker innerhalb des Regimes zur Neutralität zu bewegen. In der Rückschau erschien der Kosovo-Krieg vielen Serben, die die Haltung ihrer Regierung unterstützt hatten, als das letzte Gefecht des Slobodan Milosevic, sein Rücktritt als die überfällige Konsequenz der Niederlage. Den Streit um das Kosovo hatte Milosevic sich als Pfand aufgehoben, das er bei Bedarf gegen die Unterstützung seines mürbe gewordenen Volkes eintauschen konnte. Als das Pfand verloren war, hatte er nichts mehr zu bieten. Heute sind die zerstrittenen Regierungsparteien in Belgrad zwar gegenüber dem Kosovo völlig manövrierunfähig – jeder, der sich von der starren Position der Regierung wegebewegte, würde von allen anderen gesteinigt. Aber hinter vorgehaltener Hand geben alle zu, dass das demokratische Serbien mit den Problemen des Kosovo hoffnungslos überfordert wäre und noch schlechter funktionieren würde als sowieso schon. Der Regimewechsel in Belgrad hat die permanente Kriegsgefahr auf dem Balkan deutlich entschärft. Wenn der Regimewechsel eine Folge der NATO-Intervention war, gehört die Beruhigung mit auf die »schwarze Seite« der Bilanz.

In der Rückschau auf den Kosovo-Konflikt sehen die meisten Serben sich auch heute noch im Recht. Nur ein radikaler Themenwechsel von den »patriotischen« auf soziale Fragen macht es möglich, dass wenige pazifistische und etliche nationalistische Parteien heute in Belgrad gemeinsam regieren. Das Gefühl nationaler Scham und Schande wegen der in serbischem Namen verübten Kriegsverbrechen ist noch immer auf kleine Gruppen beschränkt und steht hinter dem verbreiteten Opfer-Mythos weit zurück. Das Haager Kriegsverbrechertribunal wird in Serbien ebenso als prinzipiell antiserbisch empfunden wie in Kroatien als antikroatisch. Das Ressentiment gegen den Westen, das in Serbiens öffentlicher Meinung seit jeher einen festen Platz hat, ist durch den Kosovo-Krieg natürlich nicht kleiner, aber auch nicht größer geworden. Das Gefühl, man habe mit einem gerechten Anspruch kapituliert und müsse sich nun beugen und unterordnen, lässt sich leichter ertragen, wenn es mit einer mentalen Redimensionierung der eigenen Nation zusammenfällt: Mag der Anspruch auch berechtigt gewesen sein – mit dem untauglichen Versuch, der ganzen Welt zu widerstehen und selbst die Warnungen des verbündeten Russland zu überhören, hatte Milosevic sich auf Kosten seines Volkes übernommen. Der national orientierte Ex-Präsident Kostunica hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Winter 2000/01 demonstrative Nähe zu den Europäern gezeigt und den Amerikanern deutlich gezürnt. Er gab die Haltung bald auf, weil sie lächerlich wirkte. Der Beitritt zur Europäischen Union gilt vielen Serben als illusionär, aber offene Gegnerschaft gegen die Perspektive gibt es nicht. In den letzten Monaten hat die Regierung Zivkovic Anstalten gemacht, sich in den europäisch-amerikanischen Konfliktpunkten – Irak, Internationaler Gerichtshof – mehr der US-Position zuzuwenden. Die öffentliche Meinung in Belgrad lässt es geschehen.

Auch die Befürchtungen, die Intervention würde das prekäre Gleichgewicht der regionalen Mächte durcheinander bringen, haben sich nicht bewahrheitet. Rumänien und Bulgarien, die beide skeptisch gegen die Intervention waren, überboten sich schon im Irak-Krieg wieder gegenseitig in ihrer Loyalität zu den USA. Bei der mazedonischen Bevölkerungsmehrheit war nach dem Kosovo-Krieg die Abneigung gegen die USA und die NATO stark; der Westen wurde als Verbündeter der Albaner wahrgenommen. Die Abneigung hat aber letztlich nicht verhindert, dass die USA eine wichtige Rolle bei der Vermittlung im mazedonischen Konflikt des Jahres 2001 spielen konnten und die NATO sogar Truppen stationieren durfte. Am problematischsten war die Wirkung der Intervention auf extremistische Albaner. Sie fühlten sich stark, übernahmen im Schlepptau der ahnungslosen NATO-Truppen die Macht in den Gemeinden im Kosovo und ließen sich erst mit Mühe und nach Monaten wieder aus den Rathäusern vertreiben. Etliche Extremisten begannen sogleich nach der Befreiung des Kosovo Konflikte in den Albanergemeinden Südserbiens und in Mazedonien anzuzetteln. Die Besatzungsmächte im Kosovo, besonders die USA, zögerten lange, bis sie gegen dieses Treiben vorgingen. Zum einen fürchteten sie bei Racheanschlägen der Extremisten die Solidarität der kosovo-albanischen Bevölkerung, zum anderen wurden sie auch in dieser Frage wieder Opfer ihrer eigenen Propaganda, nach der die Ziele der albanischen Kämpfer sich bloß auf die politische Lage im Kosovo richteten. Die angebliche »großalbanische« Option, die in der serbischen Kriegspropaganda eine große Rolle gespielt hatte, blieb aber Schimäre. Großalbanisch orientierte Parteien erzielten bei den Kosovo-Wahlen Ergebnisse im Promille-Bereich. Die großalbanische Fraktion einer ominösen »Albanischen Volksarmee« (ANA oder AKSh abgekürzt) in Mazedonien versucht seit zwei Jahren vergeblich, Kämpfer für ihre Sache zu mobilisieren.

Wenn die Folgen der Kosovo-Intervention für die Welt negativ, für die Region aber unter dem Strich positiv waren, so deutet das noch einmal auf den längst diagnostizierten Reformbedarf der Vereinten Nationen hin. Die Souveränität Jugoslawiens war für die Weltöffentlichkeit ein deutlich geringerer Wert als die Vermeidung eines jahrelangen Bürgerkriegs. Nur nach den Maßstäben von Regierungen, die ebenfalls Bürgerkriege gegen Minderheiten führen wollen, und nach den Regeln der UNO-Charta ist es anders herum.

Spricht das alles für die Wiederholbarkeit solcher Interventionen? Wenn der Erfolg den Befürwortern auch nachträglich Recht geben mag, so tut er es doch auf wenig überzeugende Weise. Die Strategen der NATO hatten den Verlauf des Krieges irrig kalkuliert. Man glaubte, nach falsch ausgewerteten Erfahrungen aus Bosnien, Belgrad werde schon nach wenigen nächtlichen Luftangriffen nachgeben. Stattdessen reagierte Belgrad mit einer massenhaften Vertreibung der albanischen Bevölkerung. Mitte April gerieten etliche Regierungen von NATO-Staaten zu Hause unter Druck, weil ihre Luftstreitkräfte mangels Erfolg zunehmend zivile Ziele zu bombardieren begannen. Um die zunehmend skeptische Öffentlichkeit bei der Stange zu halten, wurden die zivilen Opfer verharmlost und die Gräuel der serbischen Kriegspartei noch übertrieben. Warum Belgrad schließlich doch kapitulierte, ist bis heute ungeklärt. Eine plausible Annahme geht davon aus, dass die Drohung mit Bodentruppen der entscheidende Faktor war.

Versetzt man sich heute in die Entscheidungssituation vom März 1999 zurück, so lässt sich der Beschluss zum Eingreifen heute besser als damals rechtfertigen. Dass es aber überhaupt zu einer solchen Situation kam, ist nicht allein die Schuld des Slobodan Milosevic, sondern auch Folge einer verfehlten Krisenlösung. Es lohnt, sich noch ein wenig weiter als bis ins Frühjahr 1999 zurückzuversetzen. Der erste verhängnisvolle Fehler geht zurück in die frühen neunziger Jahre, als die Außenpolitik der EU noch ganz und gar in ihrer bürokratischen Phase steckte, die Union sich aber irrtümlich schon für fähig hielt, die Probleme des auseinanderfallenden Jugoslawien zu lösen. Jugoslawien, so diagnostizierte damals eine Juristenkommission unter dem französischen Ex-Justizminister Robert Badinter, zerfiel gerade in seine sechs Republiken; sie seien die legitimen Nachfolger des föderativen Staates. Das »Badinter-Gutachten« führte dazu, dass das heterogene Bosnien kurz darauf nach einem EU-typischen, bürokratischen Automatismus als selbstständiger Staat anerkannt wurde, das homogenere Kosovo, weil es keine Republik war, aber nicht. Die letzte Chance auf eine friedliche Lösung wurde Ende 1995 beim Abkommen von Dayton vertan, das den bosnischen Krieg beendete. Damals beschlossen die Unterzeichnerstaaten, den so genannten äußeren Wall der Sanktionen gegen Jugoslawien, seinen Ausschluss aus den internationalen Finanzinstitutionen, trotz des Friedens in Bosnien nicht aufzuheben. Eine der Bedingungen für die Aufhebung dieser Sanktionen war ein Autonomiestatut für das Kosovo. Die US-Unterhändler von Dayton haben gegen spätere Kritik zu Recht eingewandt, es sei unmöglich gewesen, das Problem Kosovo in Dayton gleich mit zu lösen; man hätte sich auf Bosnien konzentrieren müssen. Der eigentliche Fehler war aber ein anderer: Der Westen hätte die Sanktionen gegen Jugoslawien nach Dayton ersatzlos aufheben, das Regime Milosevic rehabilitieren und derselben Konditionalität unterstellen müssen wie das Tudjman-Regime in Kroatien. Solange Serbien unter Sanktionen stand, konnte Belgrad, selbst wenn es das gewollt hätte, die albanische Minderheit nicht integrieren. Von den Albanern aber verlangte der Westen, sich einem Regime zu fügen, das derselbe Westen als Paria behandelte. Dass diese Lage irgendwann zur Explosion führen würde, war schon damals klar. Schon im Sommer 1996, kaum ein halbes Jahr später, trat die »Befreiungsarmee« UCK auf den Plan. Mag uns die Erfahrung mit dem Kosovo auch an einigen friedenspolitischen Überzeugungen irre werden lassen, eine wenigstens bestätigt die Erfahrung glanzvoll: Der Krieg im Kosovo war nicht die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, sondern wieder einmal die Folge ihres Versagens.

Norbert Mappes-Niediek arbeitet seit Beginn der Kriege im früheren Jugoslawien als freier Südosteuropa-Korrespondent für deutsche Zeitungen und Rundfunkanstalten

Mazedonien: Internationaler Frieden ohne lokale Entwicklung?

Mazedonien: Internationaler Frieden ohne lokale Entwicklung?

»Globale Kultur« der Konfliktprävention und Transformation

von Tobias Denskus

Wer Mazedonien eine »Erfolgsgeschichte« nennt für Konfliktprävention der »Internationalen Gemeinschaft« auf dem Balkan, der hat prinzipiell Recht – er kommt nur wahrscheinlich nicht aus Mazedonien. Auch gut zwei Jahre nach der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Armee und UCK-Kämpfern gibt es noch keine Erklärung, warum der Konflikt eskalierte (Vankovska 2003: 11), und wie die Zukunft des Landes, das etwa die Größe Hessens und gut zwei Millionen Einwohner hat, aussehen kann. Auch wenn eine institutionelle Perspektive (Aufnahme bzw. Assoziierung mit NATO und EU) skizziert wird,1 bleibt eine der drängenden Fragen, welche Werteperspektive damit einhergeht, die über das „Imitieren der westlichen Demokratie“ (Vankovska 2003: 9, Nikolovska 2003: 16) hinausgeht. Denn die „Erwartung, Demokratie dämme quasi als Selbstläufer ethnische Konflikte ein [hat sich nicht] bestätigt“ (Schlotter 2002: 1108).

Im Rahmen dieses Artikels sollen zwei konkrete und interdependente Thesen untersucht werden, die schlaglichtartig die Entwicklungen in Mazedonien beleuchten:2

Zum einen die Erfolgsthese: Haben die internationalen Akteure erfolgreich Konfliktprävention umgesetzt und können mögliche Erfolge »vernachhaltigt« werden? Und zum anderen die Globalisierungsthese: Die »Globale Kultur« (Paris 2003), angetrieben vom Ideal der (liberalisierten) Demokratie, formt maßgeblich den Modernisierungs- und Transformationsprozess, ohne jedoch zu einem zukunftsweisenden Gesamtkonzept von Sicherheit, Entwicklung und Frieden für die Mazedonier beitragen zu können. Das Beispiel der »liberalisierten« Wirtschaft macht dies besonders deutlich.

Zur Erfolgsthese

„Alles in allem kann man feststellen, dass in der Mazedonien-Krise der gesamte Katalog aus diplomatischem Druck, militärischen Drohungen, wirtschaftlichen Anreizen und finanziellen Versprechen erfolgreich zur Anwendung kam. Friktionen und Rivalitäten zwischen den Akteuren blieben gering.“ (Kluss 2003: 178). „In fact, it [Macedonia] is an underperforming post-conflict country still very much at risk, unable to tackle – operationally or politically – its security challenges without upsetting an uncertain ethnic balance.“ (ICG 2003: i)

Alleine die Verhinderung eines Bürgerkrieges und einer Militärintervention sind große Erfolge. Dass es den meisten Menschen in Mazedonien heute schlechter geht als vor zehn Jahren (Veljkovic 2003: 1) und zentrale Probleme, die seit der Unabhängigkeit 1991 im Raum stehen, nur ansatzweise gelöst sind (Ackermann/Pala 1996: 84),3 lässt allerdings den Eindruck zu, dass sich die Vertreter der »Internationalen Gemeinschaft« gegenseitig auf die Schultern klopfen, und froh sind, dass die institutionellen Arrangements relativ reibungslos funktioniert haben.

Großen Anteil am vordergründigen Erfolg haben die langfristig ausgerichteten UN- und OSZE-Missionen, die bereitwillig von den mazedonischen Regierungen aufgenommen wurden und eng mit den anderen internationalen »Spielern« (EU, NATO, USA) verbunden waren (Sokalski 2003, Frowick 2003, Troebst 1995). Dass sich dabei »weichere Maßnahmen« (z.B. das diplomatische Engagement der Parlamentarischen Versammlung der NATO und des Europaparlaments (Kluss 2003: 177f.), hoher persönlicher Einsatz – des EU-Beauftragten Javier Solana, des OSZE Hochkommissar für nationale Minderheiten, Max van der Stoel oder des OSZE-Sondergesandten Robert Frowick – und der politische Wille internationaler »Schwergewichte« wie der USA wirkungsvoll ergänzten, kann als großer Erfolg gewertet werden.

Trotz des gewaltsamen Aufflammens des Konfliktes im Frühjahr 2001 und anderer Dissonanzen – zum Beispiel der schädlichen Rolle des UN-Embargos (Vankovska 2003: 3f.) oder der Beendigung der UN-Mission durch den Sicherheitsrat, mit dem China offenbar die Anerkennung Taiwans durch die mazedonische Regierung bestrafen wollte – bleibt die Erkenntnis, dass in Mazedonien Vieles richtig angegangen und manch Schlimmeres verhindert werden konnte. Realpolitische Erfolge, die auf dieser Ebene auch einer friedenswissenschaftlichen Analyse standhalten: Internationales Konfliktmanagement bestand nicht nur in Absichtserklärungen oder leeren Drohungen, sondern konnte präventiv einer möglichen humanitäre Katastrophe entgegensteuern.

Zur Globalisierungsthese

„Rapid liberalization remains at the core of the peacekeeping formula, despite mounting evidence that hasty democratization can, in at least some circumstances, work against the goal of establishing a stable peace.“ (Paris 2003: 455)

Mit der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung hält eine »Globale Kultur«4 Einzug, die als »Schock-Therapie« ihre Wirkung nicht verfehlt hat: Die industrielle Produktion hatte in 2002 einen Umfang von weniger als 50% der Produktion von 1990, makro-ökonomische Stabilisierungsvorhaben haben zu einem hohen Handelsdefizit geführt und Privatisierungen wurden oft als »Selbstbedienungsladen« für die neue Elite benutzt – eine »economy of the party« (Veljkovic 2003: 1) ist entstanden.

Damit hängen dann ein »jobless growth« (Eftimoski 2003: 8) und eine steigende Zahl von öffentlichen Wohlfahrtsempfängern zusammen – ca. 300.000 Personen im Jahr 2002 (Pecijareski 2003: 6). Qualitative Verbesserungen haben seit 1991 kaum stattgefunden: „From the aspect of human development, as economic growth that generates higher level of employment, ensures security of the population and more equal income distribution […], contributes to sustained human development and supports democracy in the society – we can conclude that economic growth […] does not satisfy essential criteria to be »qualitative«.“ (Eftimoski 2003: 8)

Auch die mazedonischen Analysten sprechen sich nicht gegen wirtschaftliche Reformen aus, sie betonen aber, dass die verordnete Schock-Therapie der internationalen Finanzinstitutionen erhebliche Auswirkungen hatte und haben wird: „The negative effects include the fact that even though stable, the overpriced national monetary value […] led to massive import followed by unbalanced accounts regarding their payments. The fact that our own sources could not cover the consequences of such action, led to a need for loans and dependence upon those very same creditors.“ (Pecijareski 2003: 6)

Notwendige Reformen, zeitlich nicht an die lokalen Bedingungen angepasst, im Zusammenspiel mit fehlenden oder »personalisierten« wirtschaftspolitischen Strategien sind eine zentrale Komponente des internationalen Engagement, das die politisch-ökonomische Facette des Konflikts nicht entschärfen kann. Zusammen mit den Schwierigkeiten der sich entwickelnden Zivilgesellschaft ergibt sich das Bild einer Abwärtsspirale mit paradoxem Ausgang: „Democracy as well as civil society hang around as empty phrases as long as there is no substance i.e. solid economic ground for change and progress.“ (Vankovska 2002: 12)

Internationaler Frieden ohne lokale Entwicklungschancen?

Das gegenwärtige politische System ist also kaum nachhaltig ausgerichtet: „The changes that have occurred in the political system not only reversed the realization of the political goals by creating fundamental doubts about the projected parliamentary democracy, but also questioned the civic and lawful character of the country. (…)The elections were turned into a site of continuous carcinogenic metamorphosis of the already immunosupressed political body. Between democracy on one side and the greed for power on the other, we chose the latter.“ (Pecijareski 2003: 3/4)

Die Entwicklungen in Mazedonien seit seiner Unabhängigkeit haben gezeigt, dass die Prävention von Konflikten möglich ist. Die Verzahnung von (sicherheits-)politischen, militärischen und wirtschaftlichen Aspekten eröffnet viele Möglichkeiten für eine aktive und wirksame Konfliktprävention. Diese Interventionen scheinen aber mit den Zahnrädern einer großen, globalen Maschine verknüpft zu sein, die selten kritisch-reflektiert eingesetzt wird. Bei der Unterstützung von Transformationsländern sollten den Menschen vielmehr Möglichkeiten aufgezeigt werden, die Amyrta Sen als „overall freedoms of people to lead the kind of lives they have reason to value“ (1999: 10) definiert. Die gegenwärtigen Diskurse, die auf schnelle, vermeintlich ent-politisierte Lösungen abzielen, um Nachkriegsgesellschaften auf den »globalen Kurs« der letztlich westlich induzierten nachholenden Entwicklung zu führen, übersehen zum Beispiel die Dimension lokaler Lebenswelten – eine Tendenz der aktuellen Friedens- und Konfliktdebatte, die Hensell generell kritisch sieht.5

Es wäre daher zu einfach, Mazedonien als »Erfolg« auszugeben, genauso, wie es zu einfach ist, die internationalen Friedensbemühungen leichtfertig in Frage zu stellen. Wenn aber selbst gelungenes Konfliktmanagement schon so viele Fragen offen lässt, wie es derzeit in Mazedonien der Fall ist, muss allerdings die Frage erlaubt sein, welcher Erfolg der Friedensagenda der »Internationalen Gemeinschaft« in der Zukunft beschieden sein wird, die in vielen Ländern und Regionen mit mehr »Gegenwind« als in Mazedonien rechnen muss (z.B. im Irak, in Afghanistan oder in der Region der Großen Seen in Ostafrika).

„The initial active enthusiasm about transformation of socialism into capitalism turned into a passive acceptance of the fact that transition was over, and that we were trapped in the problems of the capitalist periphery (the Third World)“

(Nikolovska 2003: 1)

Literatur:

Ackermann, Alice/ Antonia Pala (1996): From Peacekeeping to Preventive Deployment: A Study of the United Nations in the Former Yugoslav Republic of Macedonia, in: European Security, Vol.5, No.1, S .83-97.

Denskus, Tobias (2002): The systems seems always to be less than the sum of its parts – International Post-War Reconstruction and the Role of Peacebuilding. MA Dissertation, University of Bradford.

Eftimoski, Dimitar (2003): Human Development, Inequality and Poverty in Republic of Macedonia in Transition Period, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).

Hensell, Stephan (2002): Modernisierung und Gewalt in Mazedonien. Zur politischen Ökonomie eines Balkankrieges. Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Arbeitspapier 5/2002. Hamburg: Universität Hamburg.

International Crisis Group (2003): Macedonia: No Room for Complacency. ICG Europe Report No.149. Brussels/Skopje: ICG.

Kluss, Heinz (2003): Krisenmanagement in Mazedonien. Ein Lichtstreif am Horizont? In: Österreichische Militärische Zeitung, Nr.2/2003, S. 173-178.

Nikolovska, Natalija (2003): Transition Towards The Third World, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).

Paris, Roland (2003): Peacekeeping and the Constraints of Global Culture, in: European Journal of International Relations, Vol.9, No.3, S. 441-473.

Pecijareski, Ljupco (2003): The Social Implications of the Economical and Political Changes in Macedonia, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).

Schlotter, Peter (2002): Zum Beispiel Mazedonien. Demokratie und ethnische Selbstbestimmung im Konflikt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr.9/2002, S. 1101-1109.

Sokalski, Henryk J. (2003): An Ounce of Prevention: Macedonia and the UN Experience in Preventive Diplomacy. Washington, DC: United States Institute of Peace Press.

Troebst, Stefan (1995): Präventive Friedenssicherung durch Internationale Beobachtermissionen? Das Beispiel der KSZE-Spilover-Monitormission in Makedonien 1992-1993, in: Seewann, Gerhard (Hrsg.): Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel und Südosteuropa. München: Oldenburg, S. 282-331.

Vankovska, Biljana (2002): Western Civil-Society Empowerment and the Lessons learned from the Balkans. Prepared for presentation at the DCAF Workshop »Promoting Civil Society in Good Governance«: Lessons for the Security Sector, Prague, 15-16 April.

Vankovska, Biljana (2003): Macedonia Between Globalisation and Fragmentation: Security Aspects, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).

Veljkovic, Dusan (2003): Liberalization of the foreign trade as a factor to the destruction of an economy, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).

Anmerkungen

1) Darüber stimmten der albanische Politiker Ali Ahmeti, Vorsitzender der Demokratischen Union für Integration, der mazedonische Botschafter für die USA, Nikola Dimitrov, sowie der ehemalige Repräsentant des OSZE Chairman-in-Office, Robert Frowick bei einer Diskussion im United States Institute of Peace überein, die am 1. Juli 2003 unter dem Titel Macedonia: Will Peace Hold? stattfand. http://www.usip.org/events/2003/0701_WKSmacedonia.html

2) Durch die vorgegebene Kürze des Artikels können die Diskurse zur Rolle der internationalen Akteure, die Mazedonien seit der Unabhängigkeit 1991 begleiten, zwar teilweise benannt, nicht aber eingehender untersucht werden. Zur Bedeutung von Diskursen und ihrer Analyse im Bereich der Friedensförderung siehe z.B. Denskus (2002) und Ebrahim (2003), der sehr treffend Edwards (1996) zitiert: „A discourse, then, is a way of knowledge, a background of assumptions and agreements about how reality is to be interpreted and expressed, supported by paradigmatic metaphors, techniques, and technologies and potentially embodied in social institutions.“ (Ebrahim, Alnoor (2003): NGOs and Organizational Change. Discourse, Reporting, and Learning. Cambridge, UK: Cambridge University Press, 13)

3) Von den vier Hauptbereichen ist der potentielle »spill-over« des Konfliktes im Kosovo verhindert worden und die Beziehungen zum benachbarten Serbien und Griechenland haben sich verbessert. Angespannte inter-ethnische Beziehungen und eine »düstere« wirtschaftliche Lage machen dem Land nach wie vor zu schaffen.

4) Roland Paris (2003) führt die »world polity« Schüler der Soziologie ins Feld, die „the norms, customs and widely held beliefs – or »culture« – of human societies“ studieren, und „rather than focusing on the culture of a particular national or religious group, these scholars treat the entire world as a single society, and argue that there is a distinct global culture that comprises the formal and informal rules of international social life.“ (442)

5) „Diese Diskussionen [über Diskurse über Krisenprävention und Peacebuilding], in denen »Instrumente«, »Mechanismen« und »Strategien« internationaler Akteure einen großen Raum einnehmen, haben ein Defizit. Sie tendieren zur Fixierung auf institutionelle Arrangements ohne dabei die sozialen Transformationsprozesse und die Konfliktakteure […] ausreichend zu berücksichtigen.“ (Hensell 2002: 2)

Tobias Denskus, MA, ist Mitarbeiter am Institut für Frieden und Demokratie der FernUniversität Hagen und arbeitet in einem Projekt zur Legitimation von Nichtregierungsorganisationen mit dem Schwerpunkt Mazedonien. Der Artikel entstand im Rahmen des Forschungsprojektes »Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der transnationalen Konfliktprävention und -bearbeitung. Das Problem der demokratischen Legitimation und Verantwortlichkeit«.

Traumaarbeit im Kosovo

Traumaarbeit im Kosovo

von Michaela Huber

Erinnern Sie sich noch an die Bilder, die uns im April 1999 über die Fernsehanstalten ins Wohnzimmer flimmerten? Krieg im Kosovo! Menschen, die im letzten Winterschnee abwechselnd vor den Kanonen und Gewehren der Serben und den Bomben der NATO fliehen. Ich weiß nicht, was Sie dachten, als Sie – wie wir alle – realisieren mussten, dass hier die Deutschen zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder an einem Angriffskrieg beteiligt waren, diesmal im NATO-Verbund und auf Beschluss der ersten rot-grünen Regierung. Der Bevölkerung in ihren jeweiligen Mitgliedsländern hatte die NATO weismachen wollen: „Nur unsere Bomben verhindern die so genannten ethnischen Säuberungen.“ Doch die Fernsehbilder bewiesen das Gegenteil: Die Serben vertrieben nach Kriegsbeginn die albanischstämmigen Kosovaren erst recht, sie quälten sie jetzt erst recht und sie hörten erst damit auf, als sie auch im letzten Dorf und im letzten Gehöft ihr Werk beendet hatten.
Natürlich weiß ich nicht, wie es Ihnen ging, ob Sie sich von den Bildern des Grauens, dem Elend in den provisorischen Lagern, den in Schlamm und Kälte, teilweise ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Windeln für die Kinder oder andere Hygieneartikel und ohne Zelte, dahinvegetierenden Menschen in besonderer Weise haben anrühren lassen oder ob Sie die Katastrophe im Kosovo mehr oder weniger kopfschüttelnd registrierten, wie wenige Monate später die Gemetzel und Vertreibungen in Osttimor oder Tschetschenien und vor wenigen Monaten den Krieg in Afghanistan.

Ich weiß nur, wie es mir ging, damals, als ich die Bilder aus den Flüchtlingslagern sah: Ich war aufgewühlt. Ich war aufgewachsen mit der Losung »Nie wieder Krieg!«, hatte diese Regierung gewählt, weil sie unter anderem genau dies einzuhalten versprach. Und nun half ich mit meinen Steuergeldern, halfen Politiker, die von mir gewählt worden waren, dabei, die Existenz von Menschen zu vernichten. Es sollte es ein »gerechter Krieg« sein, aber getroffen wurden – wie in jedem Krieg – vor allem Zivilisten. Bomben lösen eben keine Konflikte, sie verlagern sie höchstens.

Ich weiß noch, dass ich im April 99 immer wieder dachte: „Hier werden an einem Tag Zigtausende traumatisiert. Welchen Sinn hat dann unsere Arbeit, die wir versuchen, in mühsamer, jahrelanger Kleinarbeit zerstörte Lebensperspektiven von traumatisierten Menschen wieder oder zum ersten Mal aufzubauen? Welchen Sinn macht es, in meinem Beruf in Deutschland zu arbeiten, wenn ich mit meiner Wahlentscheidung, mit meinen Steuergeldern mithelfe, Menschen in anderen Ländern – nicht nur im Kosovo, auch in Serbien und demnächst wahrscheinlich an vielen Stellen der Welt – seelisch und körperlich zu zerstören und ihnen ihre Existenzgrundlage zu nehmen?“

Mir kam es im Nachhinein betrachtet so vor, als wären wir Deutsche, damals im April 99, in einen kollektiven Dissoziationsprozess geraten.

Da gab es Amnesie: Die Fernsehbilder – gleich wieder vergessen; Derealisierung: Ach, irgendwie wird es schon nicht so schlimm sein; und Depersonalisierung: Nur nicht fühlen, wie schrecklich es wirklich sein muss. Wir benahmen uns kollektiv wie eine dysfunktionale Familie: Das offensichtliche Leid, das wir mit angerichtet hatten oder das wir durch unsere Untätigkeit weiter geschehen ließen, wurde bagatellisiert. Die Bedeutung, »Die Deutschen werfen wieder Bomben in einem Krieg«, wurde gleich komplett geleugnet. Das schlechte Gewissen konnte durch ein paar Hundert Mark Spenden an eine Hilfsorganisation beschwichtigt werden – ganz so, als handelte es sich nicht um einen Angriffskrieg, an dem die Deutschen mit teilnahmen, sondern um eine Art Naturkatastrophe. Statt uns persönlich verantwortlich zu fühlen als »Zoon politicon« – als politisch denkendes, fühlendes und handelndes Wesen, das die meisten von uns sicher zu sein vorgeben –, gaben wir die Verantwortung ab und hofften, es gehe alles gut.

Viele fühlten sich gelähmt, sprachlos. Ich erlebte es immer wieder im Bekannten- und Kollegenkreis: Kaum brachte ich die Sprache auf den Kosovokrieg, erlahmte und verstummte die Unterhaltung – und dann wurde das Thema gewechselt. War es im Afghanistankrieg anders? Kaum.

Der Kosovokrieg hat mein Leben verändert

Erlauben Sie mir hier eine persönliche Bemerkung: Der Kosovokrieg hat mein Leben verändert. Er hat mich – die ich in den siebziger Jahren die Hoch-Zeit meines politischen Engagements erlebt hatte – erneut politisiert. Noch einmal verlor ich sozusagen meine politische Unschuld. Besser: die vorübergehende naive Vorstellung, wenn ich nur die richtigen Politiker wählte, würde auch eine richtige Politik dabei herauskommen und ich könne diesen Politikern vertrauen. Ohnmacht, Hilflosigkeit, Zorn und Enttäuschung, unruhiges Vorwärtsstreben: „Da kann man doch nicht untätig zusehen, da müssen wir doch etwas tun!“ – solche Empfindungen und Überlegungen trieben mich im Frühjahr 99 um, wochen- und monatelang. Und seither, bis heute!

Der erste Schritt zum eigenständigen Handeln

Wie es der Zufall so will, wurde ich unmittelbar nach dem Kosovo-Krieg von Medica Mondiale, einer Hilfsorganisation von Frauen für Frauen, die sich schon im Bosnienkrieg einen guten Namen gemacht hatte, angesprochen, ob ich ihnen nicht helfen wolle, ein Konzept für Erstintervention nach Traumatisierung für die neu gegründete Unterorganisation Medica Kosova zu entwickeln.

Wir setzten uns zusammen: Expertinnen, die vor Ort (gewesen) waren, und ich als Traumaexpertin erstellten ein Konzept, das die kulturspezifischen Bedingungen der KosovoalbanerInnen einbezog und das darauf hinauslief, kosovarische Ärztinnen, Krankenschwestern, Beraterinnen, Hebammen auszubilden, um Frauen und von da aus Familien zu helfen, mit den sozialen und psychischen Folgen des Krieges fertig zu werden.

Am Schluss kam dann für mich völlig unerwartet die Frage, ob ich ihnen auch im direkten Kosovoeinsatz behilflich sein könnte, das Konzept umzusetzen. Vor den Tagen im April hätte ich sicher gesagt: „Ach, es gibt in Deutschland genug zu tun. Nun muss ich nicht auch noch in ein Kriegs- oder Krisengebiet. Ich leide doch nicht am Florence-Nightingale-Syndrom!“

So aber bat ich mir erst einmal Bedenkzeit aus und versprach, auch noch andere Therapeutinnen bzw. Ausbilderinnen zu suchen, die das Konzept vor Ort umsetzen könnten. Doch mit wem ich auch sprach, alle Kolleginnen winkten ab: „Um Himmels Willen, das halte ich selbst psychisch nicht aus.“ – „Fahr du doch erst mal.“ oder „Vielleicht, wenn sich die Situation da unten mehr beruhigt hat“, oder auch ehrlich: „Das traue ich mir nicht zu.“ Ich konnte das alles gut verstehen, schließlich ging es mir ähnlich, das alles rang auch in mir.

Die Arbeit vor Ort

Trotzdem sagte ich schließlich zu und wusste gleichzeitig: Hiermit lege ich mich auf lange Zeit hinaus fest, mehrfach im Jahr ins Kosovo zu fahren. Denn was nützt das beste Ausbildungskonzept, wenn die Ausbilderin einmal auftaucht, einen brillianten Workshop abhält – und auf Nimmerwiedersehen verschwindet? Schließlich sieht das Konzept von Medica vor, einheimische Fachfrauen auszubilden, die dann ihrerseits mit den traumatisierten Frauen, Kindern und Familien arbeiten, und ihnen jede – auch supervisorische und therapeutische – Hilfe zur Verfügung zu stellen. Diese einheimischen Fachfrauen gab es schon. Es gibt zwei Dutzend Frauen, die einen Halbtagsjob bei Medica Kosova bekommen haben. Frauen, die selbst durch den Krieg traumatisiert wurden und die trotzdem bereit waren und sind, diese schwere Arbeit zu tun. Zwei Teams galt es zu schulen: zum einen die Frauen von den beiden gynäkologischen Ambulanzen – Ärztinnen, Hebammen, Krankenschwestern. Zum anderen die Beraterinnen, deren Erstberufe von Lehrerin über Juristin bis Soziologin reichen und die in die Zelte, die zerschossenen und halb aufgebauten Häuser, die abgelegenen Dörfer und Gehöfte gehen und die Menschen vor Ort betreuen. Dabei suchen sie vor allem den Zugang über die Frauen und den bekommen sie auch, denn ihre praktische Unterstützung und Beratung sind ebenso willkommen wie ihr offenes Ohr für die Folgen des Krieges und ihre – in Zukunft hoffentlich wachsende – Fähigkeit, traumatisierten Menschen nicht nur mit ihrer Empathie, sondern auch therapeutisch-fachkundig beizustehen.

Keine einzige der Frauen hat eine psychotherapeutische Erstausbildung. Keine spricht deutsch, nur sehr wenige gebrochen englisch und alle sind nicht nur stellvertretend traumatisiert durch das größtenteils massive Leid, das sie tagtäglich hören und sehen, sie sind auch selbst traumatisiert.

Nicht gerade eine einfache Aufgabe, die beiden Fachteams zu schulen in Erstintervention nach Traumatisierung und dabei ihre eigene Befindlichkeit mit anzusprechen und sie persönlich zu stärken. Ich unternahm den ersten Versuch hierzu Ende Oktober/Anfang November 99 und war danach noch zwei Mal in weiteren Projektstadien als Fortbilderin, Supervisorin und Mut Zusprechende vor Ort.

Da ich dies zum allerersten Mal machte und dann auch noch im Ausland und angewiesen auf die Hilfe einer Dolmetscherin, wollte ich meine Arbeit natürlich sofort evaluieren um zu sehen, ob das, was ich da mitbrachte, überhaupt etwas taugte. Außerdem interessierte mich natürlich, da die Kosovarinnen, wie ich bald merkte, über ihre eigenen Traumatisierungen – zumindest zunächst – wenig bis gar nicht sprechen wollten, ob sie tatsächlich drei Monate nach Ende des Krieges Anzeichen für PTSD-Symptome (Posttraumatische Belastungsstörung) zeigten. Ich konnte sie darauf neugierig machen, nachdem ich erste Arbeitseinheiten zu Trauma und PTSD durchgeführt hatte, hier für sich selbst einmal nachzuschauen. Dabei erwies sich die Medica-Dolmetscherin als ein wahrer Glücksfall: Die 23-jährige ehemalige Germanistikstudentin aus Pristina dolmetschte glänzend und einfühlsam, außerdem übersetzte sie die von mir eingesetzten Fragebogen ins Kosovoalbanische. Vorher-Nachher-Messungen mit Hilfe von Fragebogen zeigten: Nach der Fortbildung sank die Rate der PTSD-Symptome – die bei ausnahmslos allen Kosovarinnen ganz erheblich war – bei den Teilnehmerinnen deutlich, sogar signifikant.

Was also habe ich gesehen und erlebt im Kosovo, das von den KosovoalbanerInnen jetzt in ihrer eigenen Sprache »Kosova« genannt wird? Bei der Rückkehr ertappte ich mich dabei, dass ich auf entsprechende Fragen – sicher überraschend für die Fragenden – meist zunächst mit einem Satz antwortete wie: „Ich fühle mich reich beschenkt.“

Ja, es stimmt. Ich fühle mich reich beschenkt. Zuallererst fühle ich mich reich beschenkt durch die Liebenswürdigkeit und Offenheit, die Gastfreundschaft und begeisterte Aufnahme, die ich und die meine Arbeit in »Kosova« erfahren haben. Sowohl die anwesenden deutschen Medica-Kosova-Mitarbeiterinnen als auch die Kosovarinnen haben sich sehr über meine Hilfe gefreut. Und da ich mich ebenfalls als Lernende begreife und meinerseits mit Offenheit und Freundlichkeit auf sie zuging, entstand eine gute Atmosphäre: Es wurde hart und konzentriert gearbeitet, aber auch viel gelacht, manchmal heftig, aber nie verletzend gestritten und es war immer spürbar, dass es etwas Gemeinsames gab, das unsere Kreativität und Intelligenz ebenso herausforderte wie unsere Fachkompetenz und unser Improvisationstalent, etwas, für das jede von uns sich im Zweifelsfall auch zur Disposition stellte: den Kosovarinnen zu helfen, sich zu einem selbstständigen Unterstützungsprojekt zu entwickeln.

Reich beschenkt fühlte ich mich aber auch durch das Vertrauen und die Lernbereitschaft, ja Lernbegierde, die mir die Teilnehmerinnen des Workshops entgegenbrachten. Dies half mir sehr, den Frauen – fast alle Mütter mehrerer Kinder, die zunächst einmal glaubten, ihr Job bedeute so etwas wie »Mutterschaft als Beruf« – die eine oder andere Einstellungsänderung nahe zu legen. Zum Beispiel, dass sie einen Unterschied machen dürfen, ja machen müssen, zwischen einer Zeit, in der sie für ihre Klientinnen bzw. Patientinnen da sind, und einer Zeit, in der sie sich selbst regenerieren und ihre Ressourcen auffüllen müssen. So habe ich mich dafür entschieden – und der Erfolg zeigte, dass dies richtig war –, gut die Hälfte der Seminarzeit explizit mit dem Thema Ressourcen zu verbringen. Hierzu nur ein Beispiel, weil es mich selbst so überrascht hat: Diese Frauen, die sozial sehr angepasst zu sein scheinen und deutlich enger als wir hier in westlichen Ländern in ihre Familien eingebunden sind, hatten keinerlei Probleme damit eine Übung zu machen, wie sie eine große und starke Pflanze werden und sein können. Als ich sie bat die Pflanze, die sie in ihrer jeweiligen imaginativen Arbeit vor ihrem geistigen Auge gesehen hatten, zu malen, haben bis auf zwei Frauen alle eine starke Einzelpflanze gemalt, die groß und mittig auf ihrem Zeichenblatt prangte! Und das, obwohl ich in der Übungsanleitung auch angeboten hatte, die Pflanze könne vielleicht Ableger haben bzw. von anderen Pflanzen umgeben sein. Zwar traute ich mich – es war erst der zweite Seminartag – noch nicht, dies so offen auszusprechen, weil ich nicht wusste, inwieweit die Frauen hier ein gesellschaftliches Tabu ihrer Kultur über Bord geworfen hatten, aber auf jeden Fall wurde anhand der Bilder deutlich, dass die Frauen sich zumindest unbewusst als starke Einzelindividuen wahrnehmen konnten.

Und so haben mich die Kosovarinnen in vielfacher Hinsicht positiv überrascht: Sie sogen auch die Theorie auf wie ein Schwamm Wasser und gaben zu erkennen, dass sie sie anwenden würden und damit umgehen können. Von Tag zu Tag trauten sie sich mehr, in der nachmittäglichen Supervisionseinheit aus ihrem schwierigen Berufsalltag zu berichten. Wir konnten sogar beginnen, über ihre eigenen PTSD-Symptome zu sprechen und auch über die Schuldgefühle, die sie hatten, wenn sie mitten in der Hölle aus Flammen und Folter, Bomben und Gewaltorgien zu gelähmt gewesen waren, um der Soldateska rechtzeitig zu entfliehen und sich schämten, weil sie ihre Kinder angeblich nicht genug geschützt hatten. Dabei stellte sich heraus, dass viele von ihnen sich geradezu heldinnenhaft benommen hatten, indem sie Angehörige, Freunde und Patienten vor oder aus dem Inferno gerettet hatten. Nie hat eine das selbst erzählt – die anderen haben es mir »gesteckt«.

Schuldgefühle hatten viele auch nach dem Krieg, z.B. weil sie ihr Haus schon wieder aufgebaut hatten, während das Nachbarhaus noch eine ausgebrannte Trümmerlandschaft war und die Nachbarin noch bei Verwandten in beengten Verhältnissen hausen musste. Sie hatten Schuldgefühle, wenn ihr Mann lebend aus den Wäldern heimgekommen war, die Schwägerin aber ihren Mann noch vermisste. Überhaupt, die vermissten Männer: Wie immer, wie nach jedem Krieg mussten die Frauen die Last der Familien über viele Monate allein tragen. In der Region um Gjakova, der Stadt, in der das Medica-Kosova-Team seinen Sitz hat, sind 2.000 Männer im Krieg verschwunden. Mehrere Hundert wurden in Massengräbern gefunden und so manche Frau hat der Anblick ihres zerschundenen und erschlagenen Lebensgefährten in den Wahnsinn getrieben oder in endlos wiederkehrende Flashbacks und/oder dauerhafte Apathie. Etwa 1.500 Männer saßen noch anderthalb Jahre später in serbischen Gefängnissen, niemand wusste, wann sie heimkommen (erst zwei Jahre nach dem Krieg kamen achthundert von ihnen, bis aufs Skelett abgemagert und von Folter fürs Leben gezeichnet, nach Hause). Vielleicht können Sie erahnen, was da noch in den nächsten Monaten und Jahren auf die Frauen und Kinder, auf die Familien und das gesamte soziale Gefüge in Kosova zukommen wird – allein aus dieser Tatsache, ungeachtet all der anderen grausamen Erfahrungen, welche die Bevölkerung verkraften muss.

Ich könnte Ihnen viele grausame Schicksale schildern, viele grässliche Einzelheiten, doch zurück zur »Arbeit«: Ich habe den kosovarischen Mitarbeiterinnen von Medica bereits am vierten Tag Reorientierungstechniken beigebracht, also wie sie sich und ggf. auch ihre Patientinnen aus dem Versinken in Traumaerinnerungen herausholen können. Ich habe ihnen gezeigt, wie sie die Bilder, die viele nicht aus dem Kopf kriegen konnten, über eine »Bildschirmtechnik« auf eine Leinwand projizieren und von dort aus auf einen »Film« distanzieren und »wegpacken« können. Einige Frauen berichteten bereits jeweils am nächsten oder übernächsten Tag, sie hätten das Gelernte schon angewandt. Eine Hebamme zum Beispiel berichtete von einer Patientin, die sie sehr mochte, sie nannte sie »die Intellektuelle«. Sie sei mit ihr schon völlig verzweifelt, da die Patientin bei jedem Kontakt sofort wie manisch darauf zu sprechen kam, wie ihr Mann vor ihren Augen erschossen wurde. Die Hebamme sagte: „Ich wusste, ich konnte das einfach nicht länger ertragen. Ich wusste, ich würde sie bald im Stich lassen, weil ich es einfach nicht mehr hören konnte. Ja, und dann habe ich die Bildschirmtechnik mit ihr gemacht, gleich gestern noch. Und dann haben wir den Film weggepackt. Das hat funktioniert. Und zum ersten Mal wirkte die Frau wie aufgehellt, als sei sie dabei aus einem lebenden Alptraum zu erwachen.“ Können Sie sich vorstellen, dass ich mich trotz der harten Arbeit reich beschenkt fühlte?

Natürlich gibt es noch unendlich viel zu tun. Fortbildungen allein reichen nicht, um Traumaarbeit effektiv zu machen. Die KosovarInnen müssen auch alle kulturellen Möglichkeiten – Geschichtenerzählen, Tanzen, Singen, Trauerrituale etc. – benutzen, bis die »international« entwickelten Möglichkeiten zu ihrem eigenen Handwerkszeug sicher hinzugefügt werden können. Und es gibt Weiteres zu tun.

Hilfe zur Selbsthilfe ist weiter notwendig

Medica Kosova und andere Hilfsorganisationen brauchen nach wie vor Unterstützung um die Projekte, die Hilfe zur Selbsthilfe bedeuten, weiterzuführen. Hier konkret: Traumaaufarbeitung von Kosovarinnen für KosovarInnen vorzubereiten, supervisorisch zu begleiten und umzusetzen. Erst im zweiten Schritt wird es, im Kosovo wie in anderen Kriegs- und Krisengebieten, darum gehen, Psychotherapien im Sinne von Traumatherapien durchzuführen. Denn die Zahl der traumatisierten Frauen, Kinder und alten Menschen ist Legion.

Die Männer für Behandlungen zu gewinnen, ist aufgrund der archaisch-patriarchalen Grundeinstellung im Kosovo besonders schwierig. Des weiteren müsste dringend für Kinder – nicht nur, aber besonders natürlich für die Kriegswaisen – Betreuung und Traumabehandlung angeboten werden. Damit die Traumata nicht, wie es in Bosnien geschah (siehe Süddeutsche Zeitung, 23. 2. 2002), „von einer Generation an die andere weitergegeben“ werden. Auch hierfür braucht man in Kosova ausgebildete Kinder-TraumatherapeutInnen, die bereit wären ein entsprechendes Projekt aufzubauen, das mit den bestehenden Hilfsorganisationen kooperieren könnte.

Wie die Gründerin von Medica berichtete, gab und gibt es in Bezug auf Kosova eine paradoxe Situation: Oft gebe es bei Krisen oder Kriegen viele Hilfswillige, aber wenig Geld, sie zu entlohnen; dieses Mal seien die Gelder da gewesen, aber kaum eine/r wollte dort hin. Inzwischen winken alle ab: Neue Schauplätze des Grauens – wie Afghanistan – locken neue Spendengelder an. Der Balkan? Vergessen!

So haben sich – und damit bin ich wieder beim Anfang – die Bilder des Krieges doch in den Köpfen festgefressen. Kosova, Afghanistan, Tschetschenien, Osttimor und viele andere Orte der Welt wirken auf satte Bürger der »ersten Welt« so, als handle es sich um Abbilder eines Danteschen Infernos, nachdem jemand das Feuer ausgemacht hat.

Theoretisch und auch vom Grad der Zerstörung aus betrachtet ist das gar nicht so verkehrt. Aber wer nur das sieht, übersieht, dass die schwierigen Phasen noch kommen.

Die schwierigen Phasen kommen noch

Wenn die starken Frauen erst einmal zusammenbrechen dürfen; wenn, wie erst vor wenigen Monaten geschehen, die Männer nach Folter und Gefangenschaft heimkommen; wenn immer mehr Kinder verhaltensauffällig werden; wenn junge Männer den nächsten Krieg planen; wenn »der Serbe in der Seele« entdeckt wird – also die Täterintrojekte, die jetzt noch absolut tabuisiert sind –, dann beginnen die nächsten schwierigen Phasen.

Bislang sind wir erst in

  • Phase I nach dem Krieg: Die Menschen sind froh überlebt zu haben und bauen ihr Land auf. Die traumatisierten Menschen sind bislang immer noch weit gehend die anderen.
  • Phase II deutet sich an: sich selbst als Gewaltopfer wahr- und ernst zu nehmen. Doch erst danach kann etwas geschehen, was die internationale zivilisierte Gemeinschaft auch von den KosovarInnen erwarten muss, nämlich
  • Phase III: die Widerspiegelung der Gewalt in der eigenen Psyche unter Kontrolle bringen, um nicht die eigenen Kinder oder den unschuldigen serbischen oder Roma-Nachbarn weiterzuquälen und den Zirkel der Gewalt fortzusetzen.

Ich bin überzeugt, die KosovarInnen sind bereit, sie wollen das lernen, wollen die Bewältigung. Helfen wir ihnen dabei; vielleicht hilft das uns, unser eigenes Entsetzen über diesen Krieg, an dem Deutschland nicht ganz unschuldig ist, zu bewältigen. Mir jedenfalls hat der eigene Einsatz, die praktische und solidarische Unterstützung – wie ich glaube an der richtigen Stelle – geholfen, das eigene Gefühl der Wut und Hilflosigkeit zu überwinden.

Michaela Huber ist Psychotherapeutin in Kassel.

Die Amerikaner als Nachfolger Roms?

Die Amerikaner als Nachfolger Roms?

Strategische Konfliktmuster auf dem Balkan / Interview mit Willy Wimmer

von Willy Wimmer, Karl D. Bredthauer und Margund Zetzmann

Die Redaktion der Blätter für deutsche und internationale Politik hat in ihrer September-Ausgabe ein Interview mit dem CDU-MdB und ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Willy Wimmer zur Lage auf dem Balkan geführt. Mit freundlicher Genehmigung von Redaktion und Verlag der »Blätter« drucken wir dieses Interview leicht gekürzt nach. In diesem Interview nimmt Willy Wimmer auch Bezug auf einen offenen Brief von ihm an Bundeskanzler Schröder vom Mai dieses Jahres, den wir gleichfalls dokumentieren.

Da hat die NATO massiv interveniert, Jugoslawien bombardiert, das Kosovo-Protektorat eingerichtet, Milosevic sitzt in Den Haag ein – aber auf dem Balkan geht es immer weiter. Wieso? Jetzt knallt es in Mazedonien – vorher hatten wir die albanischen Terroristen in der demilitarisierten Zone unter den Augen der NATO, davor die – man muss wohl sagen: – Farce einer Entwaffnung der UCK im Kosovo selbst und, ebenfalls unter den Augen der NATO, die Vertreibung der Serben, Roma, Juden, verschiedener Minderheiten, die Bedrängnis der katholischen Albaner und so weiter. Wie oft kann man in aller Unschuld den gleichen Fehler wiederholen? Die offiziellen Erklärungen zum Umgang mit Mazedonien und mit der geplanten Operation »Essential Harvest« beleidigen den gesunden Menschenverstand. Es stellt sich die Frage, ob hinter der Serie vermeintlicher Irrtümer und Versäumnisse, Fehltritte und Entgleisungen, Pech und Tragik auf dem Balkan vielleicht doch ein Muster steckt. Sie, Herr Wimmer, gehen davon aus, dass es, zumindest auf amerikanischer Seite, eine langfristige Strategie gibt, die Schritt für Schritt umgesetzt wird. – Eine gewagte These, mit der Sie sicherlich ungläubige Mienen und betretene Reaktionen ernten…

Um bei Letzterem anzufangen: Nein, überhaupt nicht. Die Reaktionen sind hochinteressant. Ich stoße keineswegs auf Ungläubigkeit und erstaunte Gesichter. Vielleicht sind die Leute heute – quer durch das öffentliche Bild – so aufgeschlossen, weil sie das Gefühl haben, dass man sie im Zusammenhang mit dem Jugoslawien-Krieg gnadenlos über den Tisch gezogen hat.

Welche Leute haben Sie im Auge?

Vor allem die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, aber auch viele aus den deutschen Medien.

Was lässt diese Leute positiv auf Ihre kritischen Thesen reagieren?

Das Bewusstsein dafür, dass Dinge, wie sie in den zurückliegenden Jahren abgelaufen sind, auf Dauer nicht ablaufen können, ohne uns alle zu gefährden. Man ist der Auffassung, wenn wir nicht zu der globalen Rechtsordnung zurückkehren, bekommen wir das Faustrecht. Das beunruhigt die Leute zunehmend, natürlich auch im Zusammenhang mit unserer Mitgliedschaft in der NATO. Man ist der NATO unter dem Gesichtspunkt eines klar umrissenen Auftrages beigetreten: Verteidigung. Und mit der klaren Aussage, dass es sich um eine Wertegemeinschaft handelt. Man ist ja keiner Gang beigetreten, die nach außen das Faustrecht praktiziert und wo der Stärkste auch intern dominiert. Aber die Entwicklung weist seit geraumer Zeit Dissonanzen auf und in Zusammenhang mit der aktuellen Entwicklung in Mazedonien sieht man, dass, jedenfalls nach der internationalen Berichterstattungslage, das amerikanische Tun und die strategischen Überlegungen, die dahinter stecken, in einem Gegensatz stehen zu dem, was die europäischen Staaten wollen…

Und wie sollen die Europäer, wie sollen Bundesregierung und Bundestag mit der entstandenen Situation umgehen?

Wir kennen die Verdrängungsmechanismen der letzten Jahre, aber vor wenigen Wochen ist für diese Verdrängungsphilosophien ein Schlusspunkt gesetzt worden: in der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes über die vorliegende PDS-Klage.1 Man hätte sich in der deutschen politischen Diskussion der zurückliegenden Jahre die Sorgfalt gewünscht, die die Richter in Karlsruhe an den Tag gelegt haben. Ich finde, was das Bundesverfassungsgericht da gemacht hat, ist für das politische Bewusstsein unseres Volkes – man muss jetzt natürlich noch das Urteil abwarten – von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Egal, wo jemand in dieser Sache bisher gestanden hat: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in Karlsruhe Fragen auf den Tisch gekommen sind, die vorher weggedrängt wurden. Auch unter einem anderen Aspekt: Es gibt bis heute viele Leute, die den Generalbundesanwalt veranlassen wollen, gegen diejenigen vorzugehen, die den Krieg gegen Jugoslawien auf deutscher Seite zu verantworten haben. Erstaunlicherweise präsentiert der Generalbundesanwalt diesen Leuten immer noch Erklärungen, die selbst der Außen- und der Verteidigungsminister, die diese Erklärungen damals abgegeben haben, heute nicht mehr verwenden. Diese Menschen bekommen also über den Krieg als solchen hinaus einen weiteren, wie ich finde, verheerenden Eindruck vom System der Bundesrepublik Deutschland. Der Generalbundesanwalt nimmt ihnen den Glauben in die Funktionsfähigkeit des Systems. Die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht hat hier, aus meiner Sicht zum Glück, einen Halt gesetzt. Vor diesem Hintergrund kann man alles, was wir politisch in Deutschland und auch international zu erwarten haben, auf den Herbst vertagen, weil da die Bundesregierung und wer auch immer in Deutschland die Karten gelegt bekommen wird. Ich glaube, auch die Bundesregierung und alle, die an diesem Krieg in besonderer Weise beteiligt waren, sehen das so. Da kommt was auf uns zu.

Skizzieren Sie kurz die Substanz dessen, was an den Fragen der Karlsruher neu ist?

Es ging um all die Fragen, die in der Öffentlichkeit gestellt worden sind – vom Völkerrecht bis hin zu der tatsächlichen Situation, die den Anlass zum Kriegseinsatz gab, und ob das seinerzeitige Verhalten vor dem Hintergrund der rechtlichen Überprüfung Bestand hat. Das fängt mit der Frage an: Zu welchem Zweck gibt es die NATO eigentlich? Ist das ein Verteidigungsbündnis oder kann sie weltweit eingesetzt werden, je nach der Interessenlage eines wichtigen Mitgliedstaates. Hinzu kommt die Frage, wie Gewalt international überhaupt zu legitimieren ist, wenn ich sie anwende. Beachte ich das Regelwerk der Vereinten Nationen oder mache ich aus Opportunitätsgründen das, was ich will? Die Interessenlage der USA scheint offensichtlich eine andere zu sein als die europäischen Interessenlagen. Da fragt man sich natürlich im Nachhinein noch, welche Auswirkungen hat diese Interessendivergenz für den Krieg gegen Jugoslawien gehabt? Ist uns da was vorgemacht worden oder sind das stringente Abläufe gewesen? Und man kommt mehr und mehr zu der Fragestellung, ob nicht die Prozesse, die insgesamt seit 1990 auf dem Balkan abgelaufen sind, von vorneherein einer amerikanischen Überlegung gedient haben: eine Präsenz auf dem Balkan zu bekommen, die es seit 1945 nicht gegeben hat. Ich denke an strategische Überlegungen, die einmal mit der Situation in Europa zusammenhängen und auf der anderen Seite natürlich mit der Rolle der Vereinigten Staaten, erstens in dem Problemfeld Naher Osten und zweitens bei den bekannten Energiefragen, die um das Kaspische Meer und um die Pipelineverbindungen nach Europa usw. angesiedelt werden müssen.

Konzentrieren wir uns auf die USA und die unterstellte Strategie: Braucht man dafür tatsächlich Krieg? Man sollte im Übrigen nicht aus den Augen verlieren, dass auf dem Balkan zunächst einmal die deutsche Politik Vorreiter der Entwicklung zu ethnisch bestimmten Nationalstaaten war, mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991/92. Bleibt zu fragen, aus welchen Gründen die Amerikaner, zu einem späteren Zeitpunkt, auf diese ethnische Strategie eingeschwenkt sind.

Es fragt sich, ob wir nicht vor dem Hintergrund der Dinge, die wir heute sehen, noch weiter zurückgehen müssen. Wir haben im Vorfeld des Krieges gegen Jugoslawien gesehen, dass es bei uns einen fast schon aggressiven Unwillen gab, sich mit der Situation zu beschäftigen, die in diesem Raum zwischen1945 und 1990 bestand – möglicherweise deshalb, weil dabei bequeme Feindbilder in Frage gestellt worden wären. Außer Zweifel steht, dass die Vereinigten Staaten sehr frühzeitig auf die albanische Karte gesetzt haben, in Zusammenhang mit ihrem (offiziell 1997) gegen den Willen der jugoslawischen Regierung in Priština eingerichteten Verbindungsbüro und den langjährigen Aktivitäten des ehemaligen republikanischen Fraktionsvorsitzenden im US-Senat Bob Dole.

Versäumnisse im Zweiten Weltkrieg

Ich habe selber Anfang Mai vergangenen Jahres an einer Konferenz in Bratislava teilgenommen, auf der höchstrangige amerikanische Repräsentanten sich über ihre Strategie zum Balkan ausgelassen haben. Die Veranstaltung war organisiert vom amerikanischen Außenministerium und der Denkfabrik der Republikanischen Partei, dem American Enterprise Institute. Zu den Teilnehmern gehörten Ministerpräsidenten, Außenminister, Verteidigungsminister, der persönliche Beauftragte des NATO-Oberbefehlshabers und, und, und – darunter auch jemand, der, wenn die Namensgleichheit stimmt, heute Staatssekretär im amerikanischen Außenministerium ist. Auf dieser Konferenz spielte im Prinzip all das, was uns zwischen 1992 und1999 berührt hat, keine Rolle mehr. Da wurde in aller Klarheit gesagt: Der Grund, warum wir auf den Balkan gegangen sind, liegt in den Versäumnissen des Zweiten Weltkrieges, als Eisenhower es unterließ, dort Bodentruppen zu stationieren. Das mussten wir unter allen Umständen nachholen. Warum? Aus den Gründen, die immer mit der Stationierung von Bodentruppen verbunden sind, nämlich Kontrolle über eine Region zu bekommen. Das lässt sich weder von Flugzeugen noch von Schiffen aus machen. Zweiter Punkt: Es wundert mich schon, wenn – wie in Bratislava – die Frage der europäischen sicherheitspolitischen Identität oder europäischer Verteidigungsstrukturen von amerikanischer Seite wie der leibhaftige Gottseibeiuns behandelt wird. Alles, was auf einen eigenständigen europäischen Willen ausgerichtet ist, wird in dieser Sicht als höchst kritisch bewertet. Ich beklage das nicht, ich sage nur, das wird deutlich ausgesprochen und ich muss mich als Europäer fragen, wie ich darauf antworte und ob ich solche Verlautbarungen als die »Gesetze Moses« ansehe oder mir Gedanken darüber mache, wie meine eigenen Interessen aussehen. Ein dritter Punkt in diesem Kontext: Die Amerikaner empfinden sich auf seltsame Weise als Nachfolger Roms. Nach dem Motto: Die Römer haben das Mittelmeer als Mare Nostrum und die nordafrikanische Gegenküste als ihr Betätigungsfeld betrachtet und wir, die Amerikaner, sehen den Atlantik als unser Mittelmeer, als unser Mare Nostrum, und Europa als unsere Gegenküste. Deswegen gelte es eine Linie zu ziehen von den Ostseezugängen nach St. Petersburg über die baltischen Staaten bis nach Odessa am Schwarzen Meer, von Odessa nach Istanbul und dann nach Anatolien. Alles, was östlich davon ist – das sage ich jetzt mit meinen Worten – interessiert uns nicht, alles, was westlich davon liegt, ist unser. Ziel müsse es sein, einen ungehinderten Zugang westlich dieser Linie Baltikum-Odessa-Anatolien zu haben, um eine durchgehende Landverbindung auf eigenem Territorium zwischen Anatolien und Polen sicherzustellen. Angesichts unserer heutigen Mazedonienerfahrung erweisen sich die Aussagen dieser Konferenz als höchst politisch. Das sind keine Spekulationen, das läuft auf praktische Politik hinaus. Wir hören gerade in diesen Tagen – das wird zwar dementiert, aber wir wissen auch, wie Dementis zu bewerten sind – , dass es Verhandlungen zwischen der NATO, der amerikanischen Seite und der jugoslawischen Zentralregierung über Stützpunktrechte auf dem Balkan gibt. Das betrifft die langfristige Legitimation von Camp Bondsteel im Kosovo und darüber hinaus die Bereitstellung eines Luftwaffenstützpunktes und einer Radarstation in Serbien. Wenn ich das sehe, kann ich nur sagen: Man hat mir und anderen in Bratislava offensichtlich nichts vorgemacht.

Wie haben denn die anderen Teilnehmer dort reagiert? Es waren ja wohl eine Reihe Ost- und Südosteuropäer darunter…

Na ja, die Osteuropäer erinnern sich noch an ihre Situation im Warschauer Pakt …

Das heißt?

Man nimmt hin, was der große Bruder sagt. – Ich habe jedenfalls den Ablauf dieser Veranstaltung und die Inhalte, die da präsentiert wurden, so ernst genommen, dass ich dem Bundeskanzler in einem Brief (siehe Kasten – d. Red.) darüber berichtet habe.

Ähnliche Szenarien, wie die von Ihnen hier skizzierten, hat man zu Beginn des Kosovokriegs aus ganz anderen politischen Richtungen gehört. Ich erinnere mich z. B. an eine Veranstaltung mit Jutta Ditfurth, die einem ungläubigen Publikum genau solche Vorstellungen klar zu machen versuchte: Die Amerikaner wollen den Zugang zum Kaspischen Meer, Öl- und Gaslieferungen usw.

Ich verstehe die Skepsis. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie es mir ging. Ich kam nach Bratislava im Bewusstsein der offiziellen Erklärungen der NATO und der Bundesregierung zum Kosovokrieg. Da war ja Humanität das oberste. Und dann sagt jemand in einem mit zahlreichen Landkarten illustrierten Vortrag – übrigens eingeleitet mit der Bemerkung: Dieser Vortrag richtet sich eigentlich an ein amerikanisches Publikum – , was die eigentliche Triebfeder der Entwicklung war.

Bleibt natürlich die Sinnfrage: Wieso Krieg führen oder schüren, um in Südosteuropa Truppen stationieren zu können? In der Region, die Sie umrissen haben, drängen ja Regierungen jeglicher Couleur in die NATO …

Was die Situation auf dem Balkan angeht, ist letzter Stand der Dinge, dass höchstrangige Gesprächspartner aus der gesamten Region auf folgendes aufmerksam machen: 1. Das, womit sich Belgrad im Augenblick beschäftigt, ist die Frage, werden die Pipelines für das Öl aus dem Kaspischen Meer nördlich von Belgrad verlaufen oder über Kosovo-Gebiet. Als ich vor zweieinhalb Jahren darauf aufmerksam gemacht habe, dass das eine Fragestellung sein könnte, bin ich von dem einen oder anderen sehr kritisch angegangen worden. Inzwischen ist das fast gesetztes Wissen. 2. Es spricht auch eine Menge dafür – so sehen das jedenfalls Gesprächspartner aus der Region – , dass die Situation auf dem Balkan eine Art Kompensation für den Konflikt im Nahen Osten darstellt, nach dem Motto: Letztlich wird ein Einvernehmen zwischen der israelischen und der palästinensischen Seite nicht zustande zu bringen sein und um das generelle Einvernehmen mit der islamischen Welt, das man braucht, nicht zu gefährden, versuchen die Amerikaner den Balkan zu einer Reservefläche zu machen. Kurz: Das Verständnis und die Einigung, die wir im Nahen Osten mit der islamischen Welt nicht bekommen, werden wir in jedem Fall auf dem Balkan sicherstellen. Es ist ja vielleicht mehr als ein Symbol – so wird das jedenfalls in der Region gesehen – , dass unmittelbar nach den letzten schweren Bombenangriffen gegen Bagdad, am Tag danach, die Albaner in der katholischen Kirche von Priština die Vereinigten Staaten zum Schutzherrn der islamischen Welt ausgerufen haben. 3. Wir wissen, seitdem es westliche Beteiligungen an Erdölkonsortien im Schwarzen Meer gibt, um die Interessenlage in dieser Region. Dazu zählt – aus der Sicht der Erdölkonsortien – , dass die Pipelines in Richtung Italien und Spanien laufen sollen. Im Wesentlichen natürlich zunächst mal über das Gebiet des NATO-Partners Türkei. Auf die Frage, warum nach Italien und Spanien, hat man geantwortet: Um das Verbundensein dieser Region mit dem libyschen und nigerianischen Erdöl zu konterkarieren. Das sind Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, selbst der aserbaidschanische Präsident nicht, der mir immer wieder gesagt hat: Ich möchte eigentlich das Öl aus Aserbaidschan über Odessa und Warschau direkt nach Deutschland pumpen.

Wer braucht den Mazedonien-Konflikt?

Wechseln wir zum Thema Mazedonien: Wozu braucht man denn dort einen Konflikt – oder warum geht man so ungeschickt damit um – , obwohl doch die Dinge im Wesentlichen auf die Gleise gesetzt sind? Man hat neue Verhältnisse in Belgrad, man hat die Möglichkeit, im Kosovo Stützpunkte auszubauen, sei es künftig mit dem Segen von Belgrad, sei es mit dem Segen der UCK oder kosovo-albanischer Autoritäten. Warum jetzt dieser Konflikt? Das Einsickern lassen– oder das Nichtverhindern können – der mazedonischen UCK, dieses Aufmischen eines Landes, das bisher als Modell gepriesen wurde …

Ich habe schon bei der Formulierung »mazedonische UCK« Bedenken, denn alles, was wir wissen, bedeutet ja, dass die Anfänge dieser Entwicklung aus dem Kosovo heraus gesteuert worden sind. Es ist schon ein tolles Stück, dass im Kosovo 40.000 hochgerüstete Soldaten stehen und irgendwelche örtlichen Häuptlinge können sich, unter den Augen dieser Soldaten, wo im Prinzip keine Maus ungesehen von einem Loch ins andere kommen kann, bewaffnen und aus dem Kosovo heraus nach Mazedonien einsickern. Ein alter Völkerrechtsgrundsatz besagt, dass man für das Gebiet, in dem man die Macht hat, Verantwortung trägt. Kosovo ist heute ein KFOR/NATO-Protektorat mit der besonderen Verantwortung der Amerikaner für das Gebiet, in dem sie sich befinden …

Die an Mazedonien angrenzende Zone, in der auch Camp Bondsteel liegt …

Genau. Ich weiß nicht, wie man seiner völkerrechtlichen Verantwortung gerecht werden will, wenn man zulässt, dass ein benachbartes Territorium destabilisiert wird. Wenn ich sage, Völkerrecht interessiert mich nicht mehr und ich sabotiere das, wo ich kann, dann komme ich natürlich zu der Vorstellung, dass ich allmächtig bin oder werden will. Ein solches Verständnis zerstört mehr als nur die Situation auf dem Balkan. Es gibt eine durchgehende Linie einsamer Entscheidungen aus Washington, vom Kyoto-Protokoll bis zum ABM-Vertrag, wo man sich fragt: Wollen die denn alles beseitigen, was bisher Zusammenarbeit und völkerrechtliche Verbindlichkeit ermöglicht hat? Wir wissen eines – das habe ich in meinem Brief an Schröder im Zusammenhang mit Positionen, die in Bratislava vertreten worden sind, unterstrichen: Das, was wir Völkerrecht nennen, ist die Konsequenz aus schrecklichen Ereignissen, die nie mehr eintreten sollen. Wenn ich aber glaube, das Völkerrecht ignorieren zu können, wann immer es meinen Interessen im Wege steht, dann öffne ich Europa dem Krieg.

Die letzten beiden Jahre der Regierung Helmut Kohls waren von dieser Mahnung geprägt. Ich kann mich an kaum eine Fraktionssitzung erinnern, in der diese Warnung – Öffnung Europas für den Krieg – nicht eine Rolle spielte. Und ich will nicht bestreiten, dass damals viele in der Fraktion nicht verstanden, was damit gemeint war. Inzwischen haben wir alle die traurige Konsequenz vor Augen. Ich bin – vielleicht als Randbemerkung – Zeuge im Untersuchungsausschuss Leuna/»Fuchs« gewesen, weil ich damals – in der Zeit, als der »Fuchs« ein Thema wurde – parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium war. Als meine Aussage zuende ging, hat der Kollege Ströbele noch irgendetwas eingeworfen. Da habe ich ihm zur Antwort gegeben: Der nächste Untersuchungsausschuss, den es im Deutschen Bundestag geben wird, heißt Kosovo. Ich bin relativ sicher, dass der kommt.

Der demonstrative Unilateralismus aus Washington, auf den Sie eben hingewiesen haben, kennzeichnet ja ganz speziell die neue Administration, die ersten Monate …

Da muss ich heftigst widersprechen. George W. Bush kriegt jetzt ins Haus gekippt, was sich über Jahre hinweg unter Clinton, Holbrooke und Albright angesammelt hat. Das mündete letztlich in diese – schon starke – Formulierung von der »unverzichtbaren« Nation. Darunter können Sie alles andere subsumieren.

Wie beurteilen Sie denn, was Solana, als Vertreter der EU, und Robertson in Skopje bzw. Ochrid machen? Kann man so die Destabilisierung Mazedoniens stoppen?

Das sehe ich nicht. Nicht nur die mazedonische Öffentlichkeit reibt sich im Augenblick die Augen. Die sind jetzt acht Jahre lang Musterknaben gewesen, stets und ständig gelobt worden wegen ihrer inneren Situation, bei allen Schwierigkeiten, die es da gegeben hat. Und jetzt? Das Signal, was Europa und die Vereinigten Staaten gemeinsam Mazedonien und dem Rest Europas in diesen Stunden und Tagen geben, ist, dass sich Gewalt wieder lohnt. Wenn wir die Welt dem Faustrecht öffnen … Da kenne ich genügend Gebiete, wo wir uns betätigen können und aus meiner Sicht nicht dürfen.

Die Rhetorik klingt allerdings ganz anders – und scheint ein Stück weit auch anzukommen. Man sagt: Vertragt euch doch, ihr Albaner und ihr Mazedonier (als wären die Albaner in Tetovo keine Mazedonier). Man ruft: Dialog, keine Gewalt – und fällt dann einer gewählten Regierung in den Arm, die ihr Gewaltmonopol verteidigt.

Wir wissen doch ebenso gut wie die Mazedonier, dass das, was deren Land heute trifft, sich aus Kosovo und Albanien heraus entwickelt hat. Und da handelt es sich – jedenfalls im Kosovo – nun einmal um ein Protektorat unter unserer Ägide. Wenn wir unserer internationalen, völkerrechtlichen Verantwortung nicht gerecht werden und zulassen, dass aus dem Kosovo heraus Mazedonien destabilisiert wird, dann hat doch jeder den Eindruck: Die sind Partei und wollen unter der Überschrift Mazedonien eigentlich andere Ziele verwirklichen. Aber genau das hat inzwischen einen Umschwung in der deutschen politischen Diskussion bewirkt und dazu beigetragen, dass die Dinge, die man vor zwei Monaten oder sechs Wochen in Berlin noch glaubte hinbekommen zu können, inzwischen nicht mehr möglich sind.

Worauf spielen Sie an?

Auf die inneren Diskussionen, die in allen politischen Parteien in Berlin laufen. Das ist ja ganz ungewöhnlich, dass über eine Frage so kontrovers diskutiert wird wie über diese.

Sie denken an die rund 20 SPD-Abgeordneten um Harald Friese, die eine »Erklärung nach §31 GO« gegen die Beteiligung der Bundeswehr an einer Operation »Esential Harvest« in Mazedonien vorbereitet haben?

Fehlender Lernwille

Unter anderem. Man kann zu der Finanzdiskussion über die Bundeswehr, die die Unionsfraktion in diesem Zusammenhang angestoßen hat, stehen, wie man will. Vieles ist in diesem Zusammenhang Strategie und manches ist auch Taktik. Aber in Berlin kann keiner mehr so machen, was er will, wie das seit Herbst 1998 in Zusammenhang mit dem Krieg gegen Jugoslawien möglich war. Das geht nicht mehr.

Sehen Sie wirklich den politischen Willen, aus den Fehlern der letzten Jahre zu lernen?

Das können Sie sich, glaube ich, abschminken, so lange diejenigen am Ruder sind, die für den Krieg gegen Jugoslawien das grüne Licht gegeben haben. Das waren allerdings nicht nur diejenigen, die seit Herbst 1998 regieren, sondern auch jene, die zugelassen haben, dass die Regierung diese Verantwortung übernehmen konnte, also auch führende Kräfte aus der damaligen und heutigen Opposition. Aber die öffentliche Diskussion, die aus meiner Sicht der »inneren Hygiene« wegen unausweichlich ist, die kriegen wir. Ich rede ja mit diesem und jenem. Da höre ich auch Folgendes: Wir zählen zu der Generation, die mit ihren Eltern wenig zimperlich umgegangen ist wegen 1933. Nun müssen wir unser Urteil möglicherweise korrigieren. Und zwar wegen der Dinge, die sich jetzt in einem freien Land unter Missachtung des Rechts zugetragen haben. Das sind gewaltige Aussagen. Die Leute fühlen sich mitverantwortlich. Es bedrückt sie, dass sie zu einem Zeitpunkt, wo es ihnen mit geringeren Gefahren als ihren Eltern möglich gewesen wäre, auf Entwicklungen zuzugehen und einzugreifen, das nicht getan haben.

Deshalb noch einmal die Frage, wie man sich jetzt verhalten soll, wie die Europäer – angesichts des Verhaltens von Solana und Robertson – mit einer Situation umgehen sollen, in der Mazedonien als Spitze eines Eisbergs erscheint.

Man sollte sich überlegen, welche Leute man in europäische oder NATO-Spitzenjobs steckt. Die Herren Solana und Robertson vertreten Länder, die – mit dem Baskenland und Nordirland – ihre eigenen Probleme haben. Ich halte es nicht für glücklich, dass Leute, die aus Ländern mit derartigen Problemen kommen, in verwandten Problemfeldern für uns diese Verantwortung wahrnehmen sollen. Wir sehen ja auch, dass die Engländer im Zusammenhang mit Konflikten wie in Mazedonien oder Kosovo – da können Sie auch Tschetschenien einbeziehen – hinsichtlich ihrer NATO-Möglichkeiten ein allgemeines Verständnis dafür erwarten, dass das, was sie an Gewalt in Nordirland praktizieren, als die Norm angesehen wird, und alles, was darüber hinausgeht, als exzessive Gewaltanwendung. Ich habe mich oft gefragt, warum man, auch im NATO-Jargon, von »exzessiver« Gewalt spricht. Gewalt ist für mich immer exzessiv, vor allem, wenn sie mit Tod einher geht. Wir wissen aus den Verhandlungen, die zwischen der NATO und der jugoslawischen Seite vor dem Krieg geführt worden sind, und aus Verhandlungen zwischen der russischen Seite und der NATO hinsichtlich des Tschetschenien-Konflikts, dass man sogar Ausstattungs- und Ausbildungshilfe angeboten hat, um das nordirische Modell anderen an die Hand zu geben. Nach dem Motto, wenn ihr das Niveau haltet, werden wir euch keine Vorwürfe machen und nicht mehr mit dem Begriff exzessiver Gewalt kommen.

Aber welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Den der massiven Einflussnahme. Ich komme an schwierigen Fragestellungen nicht dadurch vorbei, dass ich mich kleiner mache – in der Hoffnung, dass der Ärger an mir vorbei geht. All die Fragen, die wir im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Jugoslawien nicht haben wollten, tauchen jetzt wieder auf. Deswegen müsste es verantwortliche deutsche Politik sein zu sagen und zwar in der EU, in der NATO und in den Vereinten Nationen: Wir lassen an unserem ursprünglichen Auftrag nicht rütteln. Da können Sie von mir aus noch die OSZE hinzunehmen. Mir fiel auf, dass der bayrische Ministerpräsident bei seinem kürzlichen Besuch in Moskau die OSZE unter diesem Gesichtspunkt besonders angesprochen hat; unter dem Motto: Hört auf, immer nur über Menschenrechte zu reden, redet mal wieder über Sicherheit in dieser Organisation. Ich habe doch als Mitglied des OSZE-Parlamentes vor dem Krieg gegen Jugoslawien – im Sommer 1998 in Stockholm – gesehen, dass 90% der OSZE-Parlamentarier sich dagegen aussprachen, irgendwo militärische Gewalt ohne Anbindung an die Regeln der Vereinten Nationen anzuwenden. Jetzt muss ich zwischen zwei Möglichkeiten wählen: das Gebäude, das mir bisher den Frieden gesichert und Handlungsmöglichkeiten gegeben hat, genauso einzureißen, wie es die Amerikaner, manchmal auch unter Beteiligung der britischen Hilfskräfte, seit Jahr und Tag betreiben – oder ich sage: Liebe Leute, wir müssen uns bemühen, zu den Regeln der Vereinten Nationen und der Vertragsgebundenheit der NATO zurückzukehren. Das wäre für mich eine Verantwortung, die hochpolitisch ist und von jeder Bundesregierung wahrgenommen werden müsste.

Dafür würden Sie auch Streit oder Konflikte mit anderen Bündnispartnern riskieren?

Ja, selbstverständlich. Ohne deutliche Ansprache von Problemen, geht es nicht. Nicht, wenn es sich um Substanzfragen handelt. Das machen wir zu Hause auch nicht.

Es fällt immer noch schwer zu glauben, dass man so viel Durcheinander jetzt, im Jahre 2001, braucht. Wir suchen ja nach möglichem Sinn im Unsinn: Könnte …

Das ist typisch deutsch.

… könnte dahinterstecken, dass manche Amerikaner so ähnlich denken wie Bismarck, der einmal befunden haben soll, es sei gut für die deutschen Interessen, wenn auf dem Balkan Unruhe herrscht, weil das Deutschlands Rivalen in Atem hält? Könnte es sein, dass die Europäer mit ihren unangenehmen Selbstständigkeitsambitionen durch anhaltende Unruhe auf dem Balkan gebunden werden sollen?

Gesprächspartner, die man hat – ich sage das so vorsichtig – weisen auf eine ähnlich gelagerte amerikanische Haltung hin. Und zwar vor folgendem Hintergrund: Die Dinge zwischen Westeuropa und der Russischen Föderation entwickeln sich eigentlich so, dass Fragen nach der dauerhaften Existenz der NATO unausweichlich sein werden. Wenn wir keine Verhältnisse auf dem europäischen Kontinent haben, die die Europäer von der Frage nach dem Sinn der NATO abbringen, steht die Fortexistenz der Allianz auf dem Spiel. Deswegen gibt es den Konflikt auf dem Balkan. Es gibt Leute in wichtigen Positionen, die in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, dass es eine Linie der amerikanischen und möglicherweise auch der britischen Politik sei sicherzustellen, dass sich zwischen der Europäischen Union und der Türkei nichts entwickelt, was sich der unmittelbaren Einflussnahme der Vereinigten Staaten entzieht. Es ist vielleicht auch ein neuer Zug in der deutschen Politik, dass man, in Anbetracht der Schwierigkeiten, mit denen wir seit vielleicht zweieinhalb Jahren leben müssen, viele Dinge nur noch unter vier Augen abwickelt. Ich hätte nicht gedacht, dass es in diesem Land soweit kommen würde. Das hat es jedenfalls in der Zeit, als ich politisch groß geworden bin, nicht gegeben.

Wenn unser Gespräch veröffentlicht wird, haben wir möglicherweise gerade ein frisches Abkommen in Mazedonien und nach den bisherigen Deklarationen könnte dann eine 3.000 Mann starke Truppe der NATO einreisen und Waffen einsammeln. Kommt die zustande?

In Zusammenhang mit dem, was sich dann unter Umständen in Mazedonien bewegt, gibt es eine sehr ernste Fragestellung: 3.000 oder 30.000? Soweit wir wissen, soll eine solche Operation in der Verantwortung des NATO-Oberbefehlshabers Neapel laufen, ein amerikanischer Admiral. Und dem ist offensichtlich durch die bisherige Beschlusslage der NATO Handlungsfreiheit eingeräumt worden, so dass er ohne weitere Beschlussfassung Truppen nachfordern kann, wie er das für richtig hält. Das bedeutet natürlich: Wenn ich einmal reingehe, weiß ich nicht, ob ich mit 500 Mann reingehe oder ob ich dem nachher nicht 20.000 Soldaten zur Verfügung stellen muss.

Anmerkungen

1) Organstreitverfahren der PDS-Bundestagsfraktion gegen die Bundesregierung, in dem erstere beantragt, das Bundesverfassungsgericht möge feststellen: „Die Bundesregierung hat mit ihrer Zustimmung zu den Beschlüssen über das Neue Strategische Konzept der NATO auf der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs in Washington am 23. und 24. April 1999, ohne das verfassungsmäßig vorgeschriebene Zustimmungsverfahren beim Deutschen Bundestag einzuleiten, gegen Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetzverstoßen und damit Rechte des Deutschen Bundestages verletzt.“

(Das Gespräch führten Karl D. Bredthauer und Margund Zetzmann am 3. August 2001.)

Mazedonien und der internationale Anteil am Konflikt

Mazedonien und der internationale Anteil am Konflikt

von Jan Oberg

Tausende sind in Mazedonien auf der Flucht. Jetzt wird scharf geschossen in dem Land, das uns noch vor nicht allzu langer Zeit in den westlichen Medien als „Oase des Friedens“ und Erfolgbeispiel für „präventive Diplomatie“ präsentiert wurde. Fragen wir nach den Gründen, so hören wir zum x-ten Male die Mär von der alleinigen Schuld der lokalen Konfliktparteien. Glaubt man dem politisch-militärisch-medialen Komplex, so spielt die internationale »Gemeinschaft« nur den noblen Part, die Konfliktpartner an den Verhandlungstisch zu bringen. Doch die Wirklichkeit sind anders aus, die internationale »Gemeinschaft« hat einen entscheidenden Anteil an diesem Konflikt:

  • Das Potenzial der OSZE wurde nie gänzlich ausgeschöpft. Die OSZE-Mission in diesem Land hat beeindruckende Arbeit geleistet durch Förderung einer demokratischen und toleranten politischen Kultur. Ihr wurden jedoch nie die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt, um wirklich prägend zu wirken. Schließlich wurde die OSZE in der neuen Welt-»ordnung« an den Rand gedrängt.
  • Mazedonien wurde gezwungen, sich gegen Jugoslawien auf die Seite des Westens zu stellen. Das Milosevic-Holbrooke-Abkommen vom Herbst 1998 über eine OSZE-Beobachter-Mission im Kosovo führte zum Einsatz einer »Extraction Force« in Mazedonien. Belgrad betrachtete diese Einheit als klaren Bruch des Abkommens und als Bedrohung. Dies wiederum zwang Mazedonien, eine antijugoslawische Rolle zu spielen, die allen anderen diente, nur nicht dem Land selbst. Belgrad sah von nun an Mazedonien als mögliches Ziel für Vergeltungsaktionen an.
  • Mazedoniens territoriale Integrität und Souveränität wurden verletzt. Mazedonien musste Luftraumverletzungen durch die NATO hinnehmen als Wesley Clarke Angriffssimulationen in großer Höhe durchführen ließ, um die jugoslawische Luftabwehr zu testen und mit Krieg zu drohen. Der damalige Präsident Mazedoniens, Kiro Gligorov, erzählte mir, er habe erst aus den Abendnachrichten von diesen Manövern erfahren. Die Souveränität des gerade unabhängig gewordenen und zerbrechlichen Mazedonien wurde also vom Westen nicht respektiert.
  • Mazedonien wurde Militärbasis und Flüchtlingscamp für den Westen. Die NATO-Bombenangriffe machten 1999 aus Mazedonien ein kombiniertes Militär- und Flüchtlingslager. Dass das Land dies physisch und politisch überlebte, ist schon ein Wunder. Aus psychologischer Sicht heraus wurde jedoch seine Identität als unabhängiges, souveränes Land in den Grundmauern erschüttert. Seither besteht Ungewissheit über seine Fähigkeit zum Zusammenhalt sowie über seinen künftigen Kurs gegenüber EU und NATO.
  • Die Sanktionen zerstörten die Wirtschaft. Ein Jahrzehnt westlicher Sanktionen gegen Jugoslawien hatte nur negative Auswirkungen auf Mazedonien. Mazedonien verlor seine wichtigsten Absatzmärkte. Es konnte entweder die Sanktionen befolgen durch Schließung der Grenzen; das hätte zum Bankrott geführt, oder es konnte sich durchmogeln durch Kriminalisierung seines Außenhandels, d.h. eine große Menge Waren durchzulassen nach Serbien/Kosovo. Die offizielle Lesart im Westen war die, dass Mazedonien sich loyal zum Sanktionsregime verhalte, internationale Beobachter wussten es besser. Das gab der Mafia Auftrieb. Die Kriminalisierung der Außenwirtschaftsbeziehungen fiel zusammen mit der Aneignung von Gemeineigentum, das die Arbeiter in den zurückliegenden Jahrzehnten erwirtschaftet hatten, durch Aktiengesellschaften, die von den Anführern neuer Parteien kontrolliert wurden. Im westlichen Sprachgebrauch nennt man so etwas Privatisierung und Demokratie. Die Korruptionsskandale von heute sind jedoch strukturelle Folge dieser von außen aufgezwungenen Privatisierung.
  • Mazedonien erhielt keinen Schadensersatz. Der Preis, den Jugoslawiens Nachbarländer für die Sanktionen zu bezahlen hatten, wird auf 25 Milliarden US-Dollar geschätzt, Der Anteil Jugoslawiens am mazedonischen Außenhandel war groß, im Gegensatz zu dem der westlichen Industrienationen, für die der Nicht-Handel mit Jugoslawien praktisch auch nichts bedeutete. Ein TFF-Mitarbeiter hat den mazedonischen Präsidenten Trajkowski gefragt, ob er irgendeine Entschädigung vom Westen für die Benutzung als Militärbasis, den Zustrom von Flüchtlingen und die Sanktionen erwarte. Seine gewundene, diplomatische Antwort kann man durchaus als Nein verstehen.
  • Die Internationale Gemeinschaft log bezüglich der Demobilisierung der KLA/UCK. Mazedoniens aktuelle Krise ist eine Folge des militärischen und politischen Scheiterns der KFOR/NATO und der UNMIK-Mission im besetzten Kosovo. Im Gegensatz zu dem Gedächtnisverlust, an dem der politisch-militärisch-mediale Komplex leidet, können einige von uns sich gut an die Geschehnisse vor zwei Jahren erinnern. Rambo-ähnliche NATO-Soldaten rollten ein und zerhackten den Kosovo in Sektoren, schickten die jugoslawischen Kräfte, Soldaten, Verwaltungsleute und ihre Familien nach Serbien und erklärten selbstsicher, die Kosovo-Befreiungsarmee UCK sei entwaffnet und aufgelöst worden, Stabilität sei eingekehrt. Die UCK und ihr nahe stehende Politiker zeigten sich wunderbar kooperativ und wurden für die Demobilisierung und Auflösung mit der Aufstellung des Kosovo Protection Corps, KPC, belohnt. Dieses wird buchstäblich von den gleichen Generälen befehligt, aber man behauptet, es sei rein zivil und diene unter anderem als Feuerwehr. Während die UCK 20.000 Mann zählte, umfasst das KPC nur 5.000 Mann. Wir haben nie gehört, was der Rest macht.
  • UN und NATO/KFOR sind blind für UCK-Aggressionen. Weniger als ein Jahr nach der »vollständigen Auflösung« der UCK sind UCK-Einheiten, wie es scheint, ungehindert durch den US-amerikanischen Sektor in die demilitarisierte Zone gelangt. Von Basislagern, die sie dort eingerichtet haben, greifen sie Ziele in Serbien an. Wenn Kosovo internationales Protektorat ist, dann kommt die UCK-Aktivität in Serbien einer internationalen Aggression gleich. Buchstäblich kein westliches Medium wirft die Frage auf, wie eine aufgelöste UCK, der alle Waffen abgenommen wurden, einen Angriff über eine international gesicherte und geschützte Grenze vortragen konnte? Wieso waren sie dazu in Lage unter den Augen von 40.000 NATO-KFOR-Soldaten? Auch bleibt die Frage unbeantwortet, woher die UCK die Waffen hat. Hat sie sie in Wirklichkeit behalten – das würde bedeuten, die NATO hätte den Rest der Welt belogen – oder wurde die UCK entwaffnet und erhielt später von irgend jemand die Waffen wieder zurück?

Als wäre dies noch nicht genug, tauchten im März albanische militärische Einheiten in Mazedonien auf. Nach Angaben aller Beobachter sind sie vorwiegend aus dem Kosovo ausgerüstet worden und treten meist offen als UCK auf. Sie erzählen den Medien, dass sie 40.000 Mann unter Waffen stellen können und dass die Mazedonier nur eine Sprache verstünden, die Sprache der Gewalt.

  • UN-Warnungen wurden ignoriert

Die UNPREDEP-Mission in Mazedonien war einer der besten Einsätze in der Geschichte der Vereinten Nationen. Es war das meistgelobte Beispiel für präventive Diplomatie. Das militärische und das zivile UN-Personal brachte mehr Stabilität als jeder andere Akteur. Die Leitung von UNPREDEP warnte aber auch wiederholt, dass, wenn die NATO Jugoslawien bombardieren sollte, sie das Leben des UN-Personals, das auf der anderen Seite der Grenze tätig war, nicht schützen könne. Die USA, NATO und EU-Länder wollten aber das benachbarte Jugoslawien bombardieren und das konnte Vergeltungsschläge Jugoslawiens gegen Mazedonien mit sich bringen. Deshalb wurde die Mission durch diplomatische Intrigen zum Verlassen des Landes gezwungen.

  • UNPREDEP wurde durch eine Intrige beendete Vasil Turpokowski war ein mazedonisches Mitglied im Jugoslawischen Staatsrat und lebte anschließend in den Vereinigten Staaten. Er kehrte zurück, um als Präsident Mazedoniens zu kandidieren und versprach, er könne 1.000 Millionen US-Dollar als Geschenk für Mazedonien erhalten, wenn Mazedonien Taiwan anerkenne. Eine große Summe für ein kleines Land und die damalige mazedonische Regierung erkannte Taiwan an. China, das als eines der ersten Länder das unabhängige Mazedonien anerkannt hatte, reagierte daraufhin mit einem Veto gegen die Verlängerung des UNPREDEP-Mandats. Eine Entscheidung, die den USA entgegen kam: Zum ersten Mal nahmen US-Amerikaner an einer Peacekeeping-Mission in Mazedonien teil und wenn die NATO Jugoslawien bombardieren würde, könnten junge US-Amerikaner (und anderes UN-Personal) bei jugoslawischen Vergeltungsaktionen gegen die Extraction Force und UN ums Leben kommen. Jetzt konnte man die eigenen Staatsbürger abziehen. Noch dazu konnte das chinesische Veto als Argument benutzt werden, um »humanitäre Intervention« von einem Mandat des UN-Sicherheitsrats abzukoppeln. »Gute Taten« dürfen schließlich nicht durch ein einzelnes Veto verhindert werden.

Wer die Schuld für diese Entwicklung einseitig China zuschiebt, muss sich allerdings fragen lassen, warum weder eine Regierung, die sich Sorgen über Mazedoniens Zukunft machte, noch die UN versucht haben, die Regierung Mazedoniens von dem verhängnisvollen Schritt abzuhalten, die Bedeutung der Taiwan-Frage für China ist doch nur zu gut bekannt.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Mazedonien nur einen Bruchteil des versprochenen Geldes sah. Aber die NATO-Länder kriegten was sie wollten: Die UN war raus, die NATO war drin und China war sauer.

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass es in Mazedonien nicht darum geht, dass Mazedonier und Albaner »plötzlich« begonnen haben auf einander loszuschlagen. Die Wahrheit ist etwas komplexer. Natürlich trägt auch Mazedonien Verantwortung für die gegenwärtige Situation. Aber es ist ein vergleichsweise geringer Faktor. Ein Jahrzehnt westlicher Politik: Die Verhinderung einer gemeinsamen Mission für Kosovo und Mazedonien, das Einzige, was Ende der 90er Jahre noch Sinn gemacht hätte, die NATO-Bombardierung, das Scheitern der NATO/KFOR und UN-Mission im Kosovo, das sind die Faktoren, die diese Region unreparabel destabilisiert haben.

Jan Oberg, Direktor der »Transnational Foundation for Peace und Future Resaerch« (TFF), Lund, Schweden

Die Beurteilung des Kosovo-Kriegs im Kontext relevanten politischen Wissens

Die Beurteilung des Kosovo-Kriegs im Kontext relevanten politischen Wissens

von Jan Christopher Cohrs

Im Frühjahr 1999 führte die NATO Krieg gegen Jugoslawien. Zum ersten Mal griff sie ohne Mandat der UNO einen souveränen Staat an und zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg war deutsches Militär aktiv an einem Krieg beteiligt. Wohl nicht zuletzt deshalb war und ist die politisch-moralische Beurteilung des Kosovo-Kriegs umstritten. Während BefürworterInnen das militärische Eingreifen angesichts einer brutalen Unterdrückungspolitik des jugoslawischen Präsidenten Milosevic für gerechtfertigt oder sogar für notwendig hielten, meinten KritikerInnen, die militärische Intervention sei ungerechtfertigt oder zur Lösung des Kosovo-Konflikts ungeeignet. Beide Seiten begründeten die jeweilige Position mit verschiedenen Argumenten. Diese werden im Folgenden zunächst anhand von Ergebnissen der psychologischen Grundlagenforschung zur moralischen Urteilsbildung systematisiert. Dann wird über einige empirische Befunde zur politisch-moralischen Beurteilung des Kosovo-Kriegs sowie zur Beziehung zwischen relevantem Wissen und der Beurteilung des Kriegs berichtet.1

Man stelle sich vor, Person X (die Akteurin/der Akteur) füge Person Y (dem Opfer) Schaden zu. Von welchen Bedingungen hängt es ab, ob eine solche Handlung gebilligt oder aber als ungerechtfertigte Aggression abgelehnt wird?

Aspekte der moralischen Beurteilung

Die psychologische Forschung (vgl. Bandura, 1991; Lerner, 1980; Rule & Ferguson, 1984) nennt vor allem vier relevante Gesichtspunkte. Eine verletzende Handlung wird als legitim betrachtet,

  • wenn der entstandene Schaden für das Opfer als gering eingeschätzt wird;
  • wenn der Akteurin/dem Akteur keine Verantwortung für die Handlung zugeschrieben wird;
  • wenn der Akteurin/dem Akteur positive Motive für die Handlung unterstellt werden;
  • wenn das Opfer angeklagt oder charakterlich abgewertet wird.

Um diese Aspekte auf die Bewertung des Kosovo-Kriegs zu übertragen, ist die NATO als Akteurin und Jugoslawien als Opfer zu sehen. Die Relevanz der vier Punkte lässt sich an den Argumenten demonstrieren, die zur Rechtfertigung oder Ablehnung des Kriegs benutzt wurden. Bundeskanzler Schröder z.B. »erklärte« den Krieg so: „In der Nacht zum Donnerstag hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Das Bündnis war zu diesem Schritt gezwungen, um weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte im Kosovo zu unterbinden und um eine humanitäre Katastrophe dort zu verhindern. Der Bundesaußenminister, die Bundesregierung und die Kontaktgruppe haben in den letzten Wochen und Monaten nichts, aber auch gar nichts unversucht gelassen, eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes zu erzielen. Präsident Milosevic hat sein eigenes Volk, die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo und die Staatengemeinschaft ein ums andere Mal hintergangen. (Deutscher Bundestag, 1999, S. 2571)

In diesem Zitat kommen – wie in Äußerungen anderer KriegsbefürworterInnen – alle vier erwähnten Punkte vor:

  1. Durch den Hinweis, die Luftangriffe seien auf militärische Ziele beschränkt, wurde nahe gelegt, es entstehe nur ein geringer Schaden. Auch die oft benutzte Metapher der »chirurgischen Schläge« impliziert eine »saubere« Kriegführung.
  2. Die westlichen Staaten hätten alles versucht, um ein militärisches Eingreifen zu vermeiden, trügen also keine Verantwortung für die Eskalation zum Krieg. Entsprechend wurde vielfach betont, es habe keine Wahl gegeben, sondern man habe militärisch eingreifen müssen.
  3. Mit dem Verweis auf die Verteidigung der Menschenrechte wurde eine eindeutig positive Motivation der NATO herausgestellt. Ähnliche Beweggründe nannte z.B. Peter Struck: Der Krieg solle den „Terror und Völkermord mitten in Europa beenden und die Grundlage für ein friedliches Miteinander garantieren“ (Deutscher Bundestag, 1999, S. 2580).
  4. Milosevic wurde angeklagt. Deutlicher drückte sich z.B. Außenminister Fischer aus: Milosevic trage für den Krieg „die alleinige Schuld und eine schwere Verantwortung“ (Deutscher Bundestag, 1999, S. 2584). Heftigere Anschuldigungen, gelegentlich verbunden mit Anspielungen auf die Verbrechen der Nazis, fanden sich in der Boulevardpresse: „Irrer Serbe stürzt uns in den Krieg“ (Berliner Kurier, 25.3.1999) und „Sie treiben sie ins KZ“ (Bild, 1.4.1999). Im letzten Zitat bezog sich die Anklage nicht nur auf Milosevic, sondern wurde auf »sie« – »die SerbInnen« – ausgeweitet.

Die Argumente der KriegsgegnerInnen (vgl. z.B. Albrecht & Schäfer, 1999) betrafen weitgehend die gleichen Beurteilungsaspekte. Einige Beispiele:

  1. Durch den Kosovo-Krieg entstünden sehr negative Folgen. Vor allem die Zivilbevölkerung leide unter den Luftangriffen. Die jugoslawische Infrastruktur werde zerstört und die Umwelt werde nachhaltig und weiträumig verseucht. Die gesamte Balkanregion werde destabilisiert und ihr würden große wirtschaftliche Schäden zugefügt.
  2. Die westlichen Staaten trügen eine große Verantwortung für den Krieg. Sie seien viel zu wenig um eine friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts bemüht gewesen und hätten den Konflikt jahrelang ignoriert und ihn dadurch eskalieren lassen.
  3. Es wurden verschiedene »unlautere« Motive angeführt: Deutschland wolle seine Außenpolitik »normalisieren«, es sollten Flüchtlingsströme nach Westeuropa verhindert werden, die USA wollten ihre weltweite Vormachtstellung ausbauen oder die NATO wolle die Effektivität ihrer Hightech-Waffen vorführen und die Notwendigkeit ihres Bestehens beweisen.
  4. Es habe keinen einseitigen Krieg Jugoslawiens gegen die Kosovo-AlbanerInnen gegeben, sondern einen beidseitigen Bürgerkrieg, in dem auch die Kosovo-albanische Seite nicht vor brutalen Übergriffen zurückgeschreckt habe.

Bedeutung der Aspekte
für die Gesamtbewertung

Ob Unterschiede in der Einschätzung der vier Bewertungsaspekte – der Folgen des Kosovo-Kriegs, der Verantwortung der NATO, der Motive der NATO und dem »Charakter« Jugoslawiens – tatsächlich zu Unterschieden in der Gesamtbewertung des Kriegs führten, wurde empirisch untersucht.

Um die individuelle politisch-moralische Beurteilung des Kosovo-Kriegs zu erfassen, wurden 32 Items anhand von bewertenden Aussagen aus der öffentlichen Diskussion formuliert und zu Skalen für die beschriebenen vier Aspekte und für die Gesamtbewertung des Kriegs zusammengefasst.

Durch eine multiple Regressionsanalyse2 konnten 77 % der Unterschiede in der Gesamtbewertung des Kriegs auf drei der vier Beurteilungsaspekte zurückgeführt werden. Bedeutsame Prädiktoren des Gesamtbewertung waren die Einschätzungen (a) der Verantwortung der NATO, (b) der Motive der NATO und (c) der Folgen des Kriegs. Im Einklang mit den theoretischen Überlegungen zeigte sich, dass Personen, die die Folgen des Kosovo-Kriegs besonders negativ einschätzten, die der NATO Mitverantwortung für den Krieg zuschrieben und die der NATO eher machtbezogene als humanitäre Motive für den Krieg unterstellten, den Krieg ablehnten. Dagegen leistete die Beurteilung Jugoslawiens keinen eigenständigen Beitrag zur »Erklärung« der Gesamtbewertung.

Die Beurteilungen der Einzelaspekte hingen allerdings auch untereinander zusammen. Wer z.B. keine Verantwortung der NATO sah, glaubte auch an die humanitäre Motivation der NATO und beurteilte die Folgen des Kriegs weniger negativ. Die verschiedenen Bereiche der moralischen Beurteilung wurden von den Versuchspersonen also kaum differenziert.

Moralische Beurteilung
und relevantes Wissen

BefürworterInnen und GegnerInnen des Kosovo-Kriegs stützten sich auf bestimmte Fakten, um die jeweilige Position zu untermauern. KriegsbefürworterInnen verwiesen z.B. auf die jugoslawische Politik gegenüber dem Kosovo, auf die langjährige ethnische Diskriminierung der Kosovo-AlbanerInnen und auf den Charakter des Milosevic-Regimes. KritikerInnen argumentierten u. a., dass Deutschland vielen Flüchtlingen aus dem Kosovo kein Asyl gewährt hat, dass das Abkommen von Rambouillet unerfüllbare Forderungen an Jugoslawien stellte und dass die NATO uranhaltige Waffen und gefährliche Streubomben einsetzte. Wie hängt nun solches Faktenwissen mit der moralischen Beurteilung des Kriegs zusammen?

Um das relevante politische Wissen zu erheben, wurden 25 Items zu Informationen formuliert, mit denen die Ablehnung oder Befürwortung des Kriegs in der öffentlichen Diskussion begründet wurde. Sie bezogen sich u. a. auf die Entwicklung und Hintergründe des Kosovo-Konflikts, auf die UCK (»Befreiungsarmee des Kosovo«), auf das »Massaker von Racak«, auf die Konferenz von Rambouillet, auf von der NATO eingesetzte Waffen und auf das Neue Strategische Konzept der NATO. Die Informationen wurden danach unterschieden, ob sie eher gegen (Contra-Informationen) oder eher für die militärische Intervention (Pro-Informationen) sprechen.

Aus den Beantwortungen der Contra- und der Pro-Items wurden Skalenwerte errechnet, die von -1 (alle Items mit subjektiver Sicherheit objektiv falsch beantwortet) bis +1 (alle Items mit subjektiver Sicherheit objektiv richtig beantwortet) reichen konnten. Die Mittelwerte waren 0.03 (s = 0.20) für das Contra- und 0.43 (s = 0.25) für das Pro-Wissen.

Die Contra-Informationen waren also insgesamt sehr wenig bekannt. Mehrere Items wurden von deutlich mehr Personen falsch als richtig beantwortet – etwa dass das Auswärtige Amt noch kurz vor dem Krieg berichtete, es gebe kein staatliches Verfolgungsprogramm Jugoslawiens gegen die ethnische Gruppe der AlbanerInnen; dass die finnische Untersuchungskommission sich nicht festlegte, ob es das »Massaker von Racak« tatsächlich gegeben hatte; dass die serbische Seite der Autonomieregelung im politischen Teil des Rambouillet-Abkommens grundsätzlich zustimmte; dass sich die NATO-Truppe laut Rambouillet-Vertrag in ganz Jugoslawien frei hätte bewegen dürfen und dass die UCK Zwangsrekrutierungen von wehrfähigen Männern durchführte.

Die Pro-Informationen waren dagegen deutlich bekannter. Kein einziges Item wurde häufiger falsch als richtig beantwortet. Der überwiegende Teil der Personen wusste z.B., dass die jugoslawische Armee Massaker unter der Kosovo-albanischen Zivilbevölkerung anrichtete und systematisch ganze Dörfer zerstörte, dass die Kosovo-AlbanerInnen bereits vor den Gewaltakten der UCK ethnischen Diskriminierungen ausgesetzt waren und dass die großen Medien Serbiens seit Jahren unter der Kontrolle des Milosevic-Regimes standen.

Pro- und Contra-Wissen gingen in erwarteter Weise mit der Gesamtbewertung des Kosovo-Kriegs einher: Je mehr Contra-Informationen gewusst wurden, desto negativer wurde der Krieg bewertet (r = -.31, p .001), und je mehr Pro-Informationen gewusst wurden, desto positiver wurde er beurteilt (r = .18, p .05).

Diese Beziehungen wurden auch getrennt für KriegsgegnerInnen (n = 72) und KriegsbefürworterInnen (n = 88) analysiert.3 Das Contra-Wissen hing bei den KriegsgegnerInnen negativ mit der Gesamtbewertung des Kriegs zusammen (r = -.42, p .001), bei den KriegsbefürworterInnen jedoch gar nicht (r = -.07, ns.) und das Pro-Wissen korrelierte bei den KriegsbefürworterInnen positiv mit der Gesamtbewertung (r = .38, p .001), bei den KriegsgegnerInnen jedoch negativ (r = -.24, p .05).

Zwar ging also das Wissen über den Krieg mit der Bewertung des Kriegs einher, die selben Informationen hatten aber – ähnlich wie bei einem Kippbild – je nach Einstellung zum Krieg eine unterschiedliche Bedeutung. Während einstellungskonsistentes Wissen die jeweilige Bewertung des Kriegs verstärkte, wurde einstellungsinkonsistentes Wissen offenbar uminterpretiert oder in seiner Bedeutung abgewertet. Informationen wurden nicht objektiv verarbeitet, sondern subjektiv »gewürdigt«.

Fazit

Die empirischen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Befürwortung oder Ablehnung des Kosovo-Kriegs hing weitgehend davon ab, wie die Verantwortung der NATO beurteilt wurde, welche Motive der NATO für den Krieg unterstellt wurden und wie negativ die Folgen des Kriegs gesehen wurden.
  • Die genannten Facetten der moralischen Beurteilung des Kriegs wurden kaum differenziert, sondern »verschmolzen« zu einer generellen Bewertung des Kriegs.
  • Contra-Informationen über den Krieg waren wesentlich weniger bekannt als Pro-Informationen.
  • Pro- und Contra-Wissen über den Krieg wurde selektiv genutzt, so dass die Einstellung zum Krieg gestützt wurde. Einstellungsinkonsistente Informationen wurden uminterpretiert oder in ihrer Bedeutung abgewertet.

Aus dem Berichteten lassen sich einige Folgerungen ziehen:

Erstens können die Beeinflussungsversuche der politisch Verantwortlichen entlarvt werden, indem vermittelt wird, dass sich viele ihrer Argumente auf Aspekte beziehen, die systematisch zu positiven Beurteilungen führen: die Minimierung des Schadensausmaßes, die Ablehnung der Verantwortung und die Rechtfertigung durch positive Motive. Zweitens lässt sich vermuten, dass die Medien vor allem kriegsunterstützende Informationen vermittelten und ihrer Rolle der umfassenden Berichterstattung über den Krieg nicht gerecht wurden.4 Drittens ist jedoch die Vermittlung kritischer Informationen gerade deswegen wichtig, weil Informationen einstellungskonsistent verarbeitet werden.

Literatur

Albrecht, U. & Schäfer, P. (Hrsg.) (1999). Der Kosovo-Krieg. Fakten, Hintergründe, Alternativen. Köln: PapyRossa.

Bandura, A. (1991). Social cognitive theory of moral thought and action. In W. M. Kurtines & J. L. Gewirtz (Hrsg.), Handbook of moral behavior and development, volume 1: Theory (S. 45-103). Hillsdale, NJ: Erlbaum.

Deutscher Bundestag (1999). Plenarprotokoll 14/31 vom 26.03.1999. http://dip.bundes-tag.de/btp/14/14031.pdf (eingesehen im August 2000).

Lerner, M. J. (1980). The belief in a just world. A fundamental delusion. New York: Plenum.

Rule, B. G. & Ferguson, T. J. (1984). The relations among attribution, moral evaluation, anger, and aggression in children and adults. In A. Mummendey (Hrsg.), Social psychology of aggression (S. 143-155). Berlin: Springer.

Anmerkungen

1) Die Ergebnisse stammen aus der Diplomarbeit des Verfassers, der sich für die sehr hilfreiche Betreuung der Arbeit herzlich bei Dr. Barbara Moschner bedankt. Im Rahmen der Arbeit wurde eine Fragebogenuntersuchung durchgeführt, an der 165 deutsche Studierende (74 Männer und 91 Frauen) der Universität Bielefeld teilnahmen. Die Personen waren im Mittel 25 Jahre alt, studierten verschiedene Fächer und verteilten sich über das gesamte Links-Rechts-Spektrum. Die Datenerhebung fand im November 1999 statt, also etwa ein halbes Jahr nach dem Krieg. Genauere Informationen zur Untersuchung sind vom Verfasser erhältlich.

2) Bei einer multiplen Regressionsanalyse wird versucht, Werte in einer Variablen (der so genannten Kriteriumsvariablen, hier der Gesamtbewertung des Kriegs) möglichst gut durch eine Linearkombination der Werte in anderen Variablen (den Prädiktoren, hier den Einzelaspekten der politisch-moralischen Beurteilung) vorherzusagen bzw. zu »erklären«.

3) Die Untergruppen wurden anhand der Gesamtbewertung des Kriegs gebildet, indem die Stichprobe am »Nullpunkt« der Antwortskala geteilt wurde. Bei fünf Personen fehlte der Wert.

4) Diese Vermutung wurde durch Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen der Mediennutzung und dem Wissen über den Krieg gestützt, die hier nicht berichtet werden konnten.

Christopher Cohrs studiert Psychologie an der Universität Bielefeld.

Tribunale gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien

Tribunale gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien

von Monika Nehr

Lange bevor der befürchtete Luftkrieg gegen Jugoslawien am 24. März 1999 begann, bombardierten die Nachrichtensender die Öffentlichkeit mit den Argumenten der Guten (NATO-Welt) gegen das Böse (Rest-Jugoslawien). Geistige Mobilmachung, die verstärkt wurde, nachdem die starke NATO den schwachen AlbanerInnen in Jugoslawien militärisch beistehen musste. Da gab es längst kein öffentliches Für und Wider mehr. Das gesprochene und geschriebene Wort der endlosen Rechtfertigungen schlich sich nicht als Marschflugkörper durchs Gelände, Schnellfeuergewehre schossen es aus allen Richtungen!
Seit dem Ende dieses Krieges kommen vereinzelt öffentlich Stimmen zu Wort, die diesen Krieg einen ungerechten Krieg nennen und ihre Argumente darstellen. Zu selten allerdings, um der Öffentlichkeit ein zusammenhängendes Gegenbild vorzustellen. So stellt sich die Frage, ob es denn keine Neugier nach Aufklärung oder Gegendarstellungen mehr gibt? Sind KriegsgegnerInnen und vielleicht auch die BefürworterInnen einfach nur froh, dass der Krieg vorbei ist?

Die Wahrheit über den Krieg der NATO gegen Jugoslawien, über seine Hintergründe, seine Ziele uns seine Folgen darf nicht im Dunkeln bleiben. Sie herauszufinden bedarf es einer internationalen Zusammenarbeit. Die Hearings und Tribunale genannten Veranstaltungen, die in verschiedenen Teilen der Welt – in Deutschland, Griechenland, Holland, Italien, Japan, Jugoslawien, Österreich, Russland, Ungarn und den USA – stattfanden,1 sollten hierbei eine herausragende Rolle spielen.

Die Zusammentreffen während der Hearings und Tribunale boten den internationalen Kräften gegen diesen Krieg ein gemeinsames Forum, vor allem um diejenigen ZeugInnen und Sachverständige anzuhören, die die offiziellen Medien kaum zu Wort kommen lassen. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Zwecklügen hinter den offiziellen Kriegsrechtfertigungen zu analysieren, und versucht die bisherigen Erkenntnisse in historische, militärische, ökonomische und politische Zusammenhänge einzuordnen.

Die bedeutendste Leistung liegt unbestreitbar darin, dass sie international vernetzt gearbeitet, teilweise eng kooperiert und gemeinsam versucht haben, nationale und internationale Kampagnen ins Leben zu rufen.

Doch anders als die Russell-Tribunale, die den Krieg der USA gegen Vietnam anprangerten und seinerzeit eine relativ breite Öffentlichkeit hatten, fielen die Hearings und Tribunale, ausgenommen die in Jugoslawien und Griechenland, unter eine nahezu totale Pressezensur.

Auch so manche verdiente Friedensorganisation und andere GegnerInnen dieses Krieges hielten sich mit aktiver Unterstützung zurück, wie zum Beispiel das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Deutschland oder die Womens International League for Peace and Freedom (WILPF) in den USA. Die Tribunalbewegung hatte wegen der – begründbaren – Beschränkung auf die Anklage der NATO schnell das falsche Etikett erhalten, einseitig parteilich für Jugoslawien zu sein.

Um so wichtiger ist es, die vielfältigen Aktivitäten und Ergebnisse der Tribunalbewegung zumindest innerhalb der KriegsgegnerInnen bekannt zu machen. Im engen Zusammenhang sind dabei die Veranstaltungen in Deutschland und den USA mit den abschließenden Tribunalen in Berlin und New York City im Juni dieses Jahres zu sehen.

Im Oktober 1999 und im April 2000 fanden in Berlin und Hamburg Hearings statt, die ebenso wie alle anderen vorbereitenden Hearings in das Europäische Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien am 2. und 3. Juni in Berlin und das World Tribunal on U.S.-NATO War Crimes against Yugoslavia am 10. Juni in New York mündeten.2

Das Berliner Tribunal war zeitlich länger sowie inhaltlich präziser und ausführlicher angelegt als das New Yorker Tribunal, doch in einer gemeinsamen Erklärung des Europäischen und US-amerikanischen Vorbereitungskomitees vom März d.J. werden die gemeinsamen Ziele der Tribunale genannt, die gleichzeitig auch ein Programm für die nächsten Jahre bedeuten: „Der Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen der NATO dürfen nicht ungesühnt bleiben – um der Verhinderung neuerlicher Kriegsabenteuer, um des Friedens willen. (…) Wir wollen dazu beitragen, dass die Wahrheit über den Krieg verbreitet wird und die für ihn verantwortlichen zivilen und militärischen Führer der USA, Deutschlands, Großbritanniens und der anderen NATO-Staaten zur Rechenschaft gezogen werden.“

In den Klageschriften beider Tribunale werden alle aus ihrer Sicht für diesen Krieg gegen Jugoslawien verantwortlichen führenden PolitikerInnen und Militärs der NATO-Staaten namentlich angeklagt. In der deutschen Klageschrift werden ebenfalls diejenigen Abgeordneten des deutschen Bundestages namentlich angeklagt, die dem Kriegseinsatz der Bundeswehr zugestimmt haben. Darunter befinden sich auch die späteren KritikerInnen des deutschen Militäreinsatzes wie Oskar Lafontaine oder Hermann Scheer.

Der Leiter des Berliner Tribunals, der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech, erklärte zu Beginn, dass sich das Tribunal auf jene Verbrechen konzentriere, die zur Zeit keine Chance hätten, anderswo untersucht zu werden. Er nannte das von der NATO mitfinanzierte Internationale Straftribunal für das ehemalige Yugoslawien (ICTFY) in Den Haag einäugig, weil es nur die serbischen Kriegsverbrechen untersucht. Dort seien zur Zeit 300 ErmittlerInnen an der Arbeit. Informelle Tribunale können nur einen Teil der Wahrheit aufdecken, sie könnten auch keine Sanktionen aussprechen. Er hoffe deshalb darauf, dass das beschlossene unabhängige »Weltstrafgericht«der UNO endlich eingesetzt und bald tätig werden könne. Dies steht als Forderung bereits in der US-amerikanischen Klageschrift.

Paech nannte die internationalen Rechtsnormen, die sich die Staaten gegeben haben, als Kriterien dieses informellen Tribunals, denn sie seien nachprüfbar. Es gehe daher in der Anklageschrift nicht um Fragen der Politik, der Kultur, der Ökonomie, denn Kriterien der Politik oder Moral seien schwierig festzulegen, es gehe in diesem Tribunal vielmehr um das Völkerrecht, das mit dem Krieg gebrochen wurde.

Rechtsanwalt Ulrich Dost hatte die ausführliche Klageschrift verfasst und begründete die Anklage mit Rechtsverstößen aller Art. Sie betreffen die Planung des Angriffskrieges gegen Jugoslawien und seine Durchführung als Luftkrieg. Die Zahl der Luftangriffe wird mit 37.465 ebenso genau angegeben wie Name, Zeit und Ort der durch Bombardierung zerstörten zivilen Einrichtungen. Auch einige der Opfer und AugenzeugInnen werden namentlich genannt.3

Die gründliche Darstellung beschränkte sich auf die beiden juristischen Sachverhalte Vorbereitung des Krieges und Kriegshandlungen. Sie wurden jeweils ausführlich dargestellt und mit einer nachlesenswerten Chronologie der zum Krieg führenden politischen Entwicklung seit 1990, mit Zitaten u.a. aus Bundestagsprotokollen und Buchpublikationen, begründet.

Die vergleichsweise kurze Anklageschrift des US-amerikanischen Tribunals wurde bereits auf dem Berliner Hearing im Oktober 1999 von Ramsey Clark, dem ehemaligen Justizminister der USA, vorgestellt.4 Das von Clark und einer Kommission erarbeitete Dokument enthält 19 Anklagepunkte, von denen 16 auf Verstöße gegen internationales, in einigen Fällen auch auf nationales Recht zurückgeführt werden.

Sie benennen die konkreten Kriegshandlungen nicht einzeln wie in der deutschen Klageschrift. Die Anklagepunkte sind fast alle allgemein formuliert, wie zum Beispiel Punkt 1: Planung und Durchführung der Zerstückelung, der ethnischen Spaltung und der Verarmung Jugoslawiens, jeweils gefolgt von kurzen Analysen der Hintergründe und Absichten der kriegsführenden NATO. An vorderster Stelle der pointiert formulierten radikalen politischen Anklagen stehen die Regierung der USA und das Pentagon, denen u.a. die Planung zur Ermordung des jugoslawischen Regierungschefs (Punkt 7) und Missbrauch der international kontrollierten Medien zur Dämonisierung Jugoslawiens und der SerbInnen (Punkt 15) vorgeworfen werden. Als Ziele der USA nennt die Anklageschrift Beherrschung, Kontrolle und Ausbeutung Jugoslawiens, seiner Bevölkerung und seiner Ressourcen (Punkt 18) und als Mittel militärische Gewalt und ökonomischen Zwang (19). Es handelt sich um die Anklagepunkte 15, 18 und 19, die keine Rechtsgrundlage haben, aber dennoch in der Anklageschrift stehen.

Die Rolle und der Missbrauch der Medien, die auf den deutschen Hearings ausführlich, u.a. von Eckhart Spoo und Hermann Gremliza, behandelt wurden, (vgl. Fußnote 2) wurden jedoch – im Gegensatz zur US-amerikanischen Klageschrift – nicht in die deutsche Klageschrift aufgenommen und daher auch nicht auf dem Tribunal verhandelt.

Beide Tribunale bestanden aus VertreterInnen der Anklage, einem international zusammengesetzten Gremium aus LaienrichterInnen, sie ließen ZeugInnen und Sachverständige zu Wort kommen. Auf dem Berliner Tribunal übernahm eine russische Juristin zusätzlich die Rolle der Pflichtverteidigung, worauf das New Yorker Tribunal von vornherein verzichtete.

Die Laienrichterschaft der Tribunale bestand jeweils aus 16 Mitgliedern. Im New Yorker Tribunal waren 6 Mitglieder aus den USA, die anderen kamen aus Deutschland, der Türkei, Korea, Italien, Haiti und Puerto Rico. Die mehr als 30 ZeugInnen und Sachverständige kamen aus verschiedenen Staaten der USA, Kanada und aus Europa. Zum ersten Mal traten auf einem solchen Tribunal in der Richterschaft wie auch im Zeugenstand VertreterInnen der Roma auf. Die ZeugInnen aus der Ukraine konnten nicht anreisen, weil die US-Botschaft die Einreisevisa verweigert hatte.

Unter den 16 Mitgliedern des Richtergremium am Berliner Tribunal waren auch mehrere JuristInnen, darunter der französische Rechtsanwalt und Sprecher der Internationalen Vereinigung demokratischer Juristen, Pierre Kaldor.

Die ZeugInnen und Sachverständigen beider Tribunale nahmen Stellung zur langfristigen Kriegsvorbereitung, den offiziellen Kriegsgründen und unmittelbaren Kriegsanlässen, wie zum Beispiel dem sogenannten Hufeisenplan oder dem umstrittenen Massaker von Racak. In Berlin wurde als Dokument noch einmal die Panorama-Sendung vom Januar 2000 gezeigt, in der u.a. Bundeswehrgeneral Heinz Loquai mit seinem Insiderwissen aus der Bundeswehrführung und Zweifeln an dem Hufeisenplan zu Wort kommt.

Breiten Raum bekam in New York der Balkanspezialist und Publizist Michel Collon aus Belgien für die Darstellung seiner Forschungen über die langfristigen geopolitischen und ökonomischen Kriegsziele der NATO. Er ging u.a. auf die Bedeutung der Ölvorräte im Kaspischen Meer und den Zugang zu den Pipelines ein. 5

In New York legte die Zeugin Leonora Foerstel dar, dass es auch für die Massenvergewaltigungen bosnisch-muslimischer Frauen durch bosnisch-serbische Soldaten Anfang der 90er Jahre keine Beweise gäbe. Bisher konnten nur 4 betroffene Frauen ausfindig gemacht werden. Sie berichtete von entsprechenden unabhängigen Untersuchungen.6

Eine besonders eindrucksvolle Präsentation gab Jared Israel aus den USA auf dem New Yorker Tribunal mit seiner Videodokumentation über die Geschichte des weltberühmten Fotos, das einen abgemagerten jungen Mann hinter einem Stacheldrahtzaun zeigt. Die britische Nachrichtenagentur ITN hatte 1992 das Bild durch Einblenden des Stacheldrahtes verändert und auf diese Weise aus dem Flüchtlingslager das Konzentrationslager von Trnoplje gemacht. Damit begann, so Israel, die bis heute andauernde weltweite Dämonisierung der SerbInnen. Herausgekommen ist die Manipulation nur, weil ein damals gleichzeitig anwesendes serbisches Kamerateam das weltweit veröffentlichte ITN-Foto mit seiner eigenen Videoaufnahme über das Flüchtlingslager verglich und den Skandal bekannt machte. Doch im Vergleich zu dem Bekanntheitsgrad des ersten Fotos blieb die später folgende Kritik an ITN in der öffentlichen Meinung praktisch wirkungslos.7

Ein Schwerpunkt der Aussagen von ZeugInnen und Sachverständigen auf beiden Tribunalen war den Kriegsfolgen durch Zerstörungen in der gesamten Infrastruktur Jugoslawiens, aber auch durch die Embargopolitik des Westens gewidmet.

Die Zeugin Liliane Werner, Ärztin an der medizinischen Hochschule in Hannover, vertrat die Internationale Ärzteorganisation gegen den Atomkrieg (IPPNW). Ihr Thema ist die Katastrophe im Gesundheitswesen als Kriegsfolge. Sie wurde selbst in einem der zerstörten Krankenhäuser in Jugoslawien ausgebildet und hatte es im Juni 1999 besichtigt. Die Definition »Katastrophe im Gesundheitswesen« bedeute ein Ungleichgewicht zwischen den vorhandenen Kapazitäten und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Diese Lage ist in Jugoslawien entstanden, nachdem durch gezielte Luftangriffe 147 Krankenhäuser zerstört oder beschädigt wurden. Auch ÄrztInnen, Mütter und Kinder in Entbindungsstationen waren betroffen. Damit hat die NATO-Kriegsführung offenkundig die Genfer Konvention und das Recht des Kindes missachtet. Außerdem hat die Bombardierung der chemischen Industrieanlagen in Pancevo ähnliche Folgen für die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung wie der Einsatz verbotener chemischer Waffen. Auch die Geschosse mit abgereichertem Uran verursachen noch nicht abzuschätzende gesundheitliche Schäden.

Zur Situation im Kosovo nach dem Ende des Krieges nahmen auf dem New Yorker Tribunal mehrere ZeugInnen und Sachverständige Stellung. Michel Chossudovsky, ehemaliger UNO-Berater aus Kanada, zeigte die zweifelhafte Rolle der sogenannten »Kosovo-Befreiungs-Armee« auf und belegte an Hand von Fotos und Schriftstücken deren Kontakte zur NATO-Führung, zum US- und deutschen Geheimdienst.

Barry Lituchy aus New York, der vor kurzem in Jugoslawien war, berichtete von der Mitwirkung der KFOR bei der Ausweisung von BewohnerInnen aus dem Kosovo.

Shani Rifati, Roma aus dem Kosovo, der jetzt als Roma-Vertreter in den USA arbeitet, berichtete von dem Leiden seiner Volksgruppe durch die »Kosovo Befreiungsarmee«, aber auch durch die KFOR.

Der Anklagepunkt 14 der US-amerikanischen Klageschrift lautet: Einsetzung eines illegalen Ad-hoc-Straftribunals zur Zerstörung und Dämonisierung der serbischen Führung und wurde für das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTFY) in Den Haag ausgearbeitet. In der Begründung heißt es, dass der UN-Sicherheitsrat von den USA, vertreten durch Madeleine Albright, gezwungen wurde, in Verletzung der UN-Charta das Ad-hoc-Straftribunal für Jugoslawien einzusetzen.

Der Zeuge Christopher Black, Rechtsanwalt aus Kanada, hatte mit anderen AnwältInnen bei dem Haager Tribunal (ICTFY) die später zurückgewiesene Klage gegen Verbrechen der NATO im Krieg gegen Jugoslawien vertreten. Er berichtete von der dominanten Rolle des US-Außenministeriums, vertreten durch Madeleine Albright, von seinen Recherchen über die Finanzierung des Haager Tribunals, u.a. durch die Rockefeller Foundation und von der Korruptheit einiger RichterInnen.

Die Reihe der ausgewählten Zeugenaussagen soll an dieser Stelle mit dem Verweis auf die kritischen Analysen der neuen NATO-Strategie durch den ehemaligen Admiral der Bundeswehr Elmar Schmähling und den ehemaligen Botschafter der DDR in Jugoslawien Ralph Hartmann beendet werden. 8

Beide Tribunale endeten mit dem Schuldspruch für alle Angeklagten. Für das New Yorker Tribunal sollte es der Auftakt für eine nationale und internationale Kampagne zur Abschaffung der NATO sein. Die Abschaffung der NATO war als Forderung bereits in die Anklageschrift aufgenommen.

Die Erwartungen des deutschen Vorbereitungskomitees an das Tribunal in Berlin hatte Laura von Wimmersperg, seit vielen Jahren Moderatorin der Berliner Friedenskoordination, bereits im Vorfeld formuliert: „Die Arbeit zum Tribunal zwingt uns, international zu arbeiten. Das ist gut so, weil diese Vernetzung notwendiger denn je ist. Für die Friedensbewegung ist es aber immer schon sehr schwer gewesen, den Spagat zwischen lokaler und internationaler Kleinarbeit hinzukriegen. Aber mit dem Tribunal, mit seinem klaren, sachlichen Ziel kann uns die Vernetzung gelingen.“ 9

Und die Tribunale zeitigen bereits erste Folgen: Da die Einrichtung eines Weltstrafgerichts der UNO noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, hat der Ankläger auf dem Berliner Tribunal, Ulrich Dost, die Stiftungsinitiative »NATO-Staaten erfolgreich verklagen« zur juristischen Durchsetzung von Ansprüchen aus NATO-Kriegsfolgen in Jugoslawien ins Leben gerufen.10 Diese Initiative ergänzt die von amnesty international bereits Anfang Juni gestartete Initiative, in der die NATO beschuldigt wird, gegen das Kriegsrecht der Genfer Konvention verstoßen zu haben und in der ai die NATO-Länder auffordert, NATO-Kriegsverbrecher vor nationalen Gerichten wie auch vor dem Den Haager ICTFY anzuklagen.

Anmerkungen

1) vgl. den Aufruf zum 2. Internationalen Hearing des Europäischen Tribunals in Hamburg

2) über die Hearings wurden bereits 2 umfangreiche Dokumentationen als Sammelbände publiziert: Band 1: Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien; Band 2: Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Beide hrsg. von Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo. Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2000. Die Dokumentation des Berliner Tribunals wird beim selben Verlag noch in diesem Jahr erscheinen. Bezugsanschrift: Badeweg 1, 04435 Schkeuditz

3) Aus dem Kriegsgeschehen werden konkrete Handlungen exemplarisch für die Verstöße im Sinne der Anklage zum Gegenstand der Anklage erklärt und ausführlich kommentiert: 1. der Angriff auf einen Personenzug am 12.4.99; 2. der Angriff auf das Studio von RTS in Belgrad am 23.4.99; 3. der Angriff auf das »Dragisa Misovic« Klinikum am 20.5.99 und 4. der Einsatz der Geschosse mit abgereichertem Uran 238; (vgl. Dokumentation der Anklageschrift in der Sonderbeilage der Tageszeitung »junge Welt« vom 24.5.2000 oder s. u.: www.nato-tribunal.de

4) vgl. Ramsey Clark, Es ist notwendig, anzuklagen, in: Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, a.a.O., S. 18-33

5) vgl. Michel Collon, Poker Menteur (1998): Les grandes puissances, la Yougoslavie et les prochaines guerres. Edition EPO et Michel Collon, Bruxelles.

6) vgl. Leonora Foerstel (Ed.) (1999): War, Lies and Videotape. International Action Center. Bezugsquelle: www.leftbooks.com
vgl. Sara Flounders (1998): Bosnia tragedy: The unknown role of the Pentagon, in: Ramsey Clark u.a. (Ed.) NATO in the Balkans, International Action Center, New York. Bezugsquelle: International Action Center, 39 West 14th Street, Suite 206, New York, NY 10011, email: iacenter@iacenter.org

7) Eine Kopie der Videodokumentation (30') von J. Israel kann in Deutschland ausgeliehen werden bei:
Monika Nehr, Zimmerstr.10a, 13595 Berlin

8) Die Standpunkte beider Experten kommen auch in ihren Beiträgen in den Sammelbänden: Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien und Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien (a.a.O) zum Ausdruck.

9) vgl. Interview mit der Tageszeitung junge Welt vom 2. Nov. 1999, S. 2

10) vgl. auch Bericht in: junge Welt vom 15/16. Juli 2000, S. 4; und für die Stiftungsinitiative: U.Dost@addcom.de

Dr. Monika Nehr arbeitet als Linguistin und Publizistin in Berlin

Die Fiktion vom militärischen Humanismus

Die Fiktion vom militärischen Humanismus

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien zwischen Interessen und Moral

von Jürgen Rose

„Es entsteht eine neuartige, postnationale Politik des militärischen Humanismus – des Einsatzes transnationaler Militärmacht mit dem Ziel, der Beachtung der Menschenrechte über nationale Grenzen hinweg Geltung zu verschaffen. … Und Krieg wird zur Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln.“1 Die These des bekannten Soziologen Ulrich Beck illustriert exemplarisch das grundlegende Legitimationsmuster, mit dem der 79-tägige Luftkrieg der NATO gegen Jugoslawien begründet worden war: Als ein Krieg – manche sprechen gar von einem Kreuzzug2 – im Namen der Menschenrechte gegen eine Macht des Bösen, einen »Schurkenstaat« laut der von der atlantischen Hegemonialmacht präferierten Terminologie. Aber hat hier tatsächlich nichts weiter stattgefunden als ein ausschließlich aus moralischen Erwägungen gespeister Interventionskrieg zur Verhinderung einer sogenannten »humanitären Katastrophe«3, bei dem (nationale) Interessen angeblich keine Rolle gespielt haben sollen.4
Nachfolgend soll der Versuch unternommen werden, die dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu Grunde liegenden Interessenlagen zu identifizieren. Als notwendig hierzu erweist sich ein Perspektivenwechsel, der bedingt, dass nicht mehr »der Westen« auf der einen Seite als Akteur betrachtet wird und »die SerbInnen« auf der anderen, sondern dass der Focus auf die Konstellation der westlichen Akteure untereinander, insbesondere aber das Verhältnis zwischen den USA und der Europäischen Union, gerichtet wird.
Der Einfluss der USA war entscheidend dafür, dass die NATO im März 1999 angesichts der massiven serbischen Repressions- und Vertreibungspolitik gegenüber der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo einen völkerrechtlich sehr zweifelhaften Angriffskrieg aus »humanitären Gründen« gegen die Bundesrepublik Jugoslawien – ein souveränes Mitglied der Vereinten Nationen – eröffnete,5 nachdem die Vereinigten Staaten die Glaubwürdigkeit desjenigen Instruments in Gefahr gesehen hatten, das sie im Hinblick auf Europa traditionell als das wichtigste und entscheidende ihrer Diplomatie, ihrer Führung und ihres Einflusses sowie der Verteidigung gegen ideologische und militärische Bedrohungen betrachten.6 Zugleich gelang es den USA, im »Neuen Strategischen Konzept« der NATO vom Frühjahr 1999 die unter den europäischen Partnern mitnichten unumstrittene Kriseninterventionsrolle der Allianz auf Dauer festzuschreiben.7

Analysiert man den mehrmonatigen Interventionskrieg, den die Nordatlantische Allianz unter Regie der USA8 im Kosovo geführt hat, so lässt sich unterhalb der weichen Schale humanitärer und moralischer Legitimationsmuster, mit denen eine zumeist nur oberflächlich informierte Öffentlichkeit abgespeist wurde, ein harter Kern realpolitischer Kalküle identifizieren, die das Handeln der US-amerikanischen Administration determinierten. Erstmalig ist es auf Druck der USA gelungen, eine kriegerische Intervention durch die Nordatlantische Allianz ohne ein Mandat der UNO oder der OSZE ins Werk zu setzen. Damit war die auf Multilateralismus angelegte UNO, insbesondere der laut Charta der Vereinten Nationen für die internationale Friedenssicherung allein zuständige Sicherheitsrat, in dem „nach der Verschiebung der Machtbalance nach dem Kalten Krieg Russland und China ein der neuen Kräftekonstellation unziemliches Veto-Recht … behielten“,9 entmachtet. Die »Verachtung der Führungsmacht gegenüber dem Regelwerk internationaler Ordnung«10 hat mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen: „Der Internationale Gerichtshof, die UNO und andere Institutionen seien unerheblich geworden, erklärten die obersten US-Behörden unumwunden, weil sie nicht langer den US-Vorgaben folgen wurden, wie dies noch in den ersten Nachkriegsjahren der Fall war.“11 Die Vereinigten Staaten implementieren somit rigoros ihre Politik des Unilateralismus, die auf eine Befreiung von den Fesseln der Einbindung in die Regelwerke internationaler Organisationen Hand in Hand mit der Maximierung des autonomen Entscheidungsspielraums für die US-Außenpolitik abzielt. Zugleich wurde durch den Beschluss der NATO zum Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien ein Präzedenzfall für die Selbstmandatierung des zentralen Instruments amerikanischer Machtprojektion für internationale Krisen- und Kriegsinterventionseinsätze in zukünftigen Konflikten geschaffen.

Im Verlaufe des Luftkrieges über Jugoslawien wurden sowohl die Kohäsion und Solidarität der Atlantischen Allianz, inklusive ihrer gerade erst beigetretenen Neumitglieder, als auch die militärische Effektivität und technologische Suprematie des mächtigsten Militärbündnisses der Welt eindrucksvoll demonstriert. Die von der NATO mittlerweile der Öffentlichkeit präsentierte Auswertung der Luftkriegsoperationen, in der Effizienz und Effektivität derselben wesentlich kritischer bewertet werden, steht nicht im Widerspruch zu vorstehender Einschätzung, denn würden die NATO und insbesondere die US-Militärs eine perfektionistische Darstellung des Kosovo-Krieges abliefern, entfielen wesentliche Legitimationsgründe für die exorbitanten Budgetförderungen zur Weiterentwicklung der ohnehin schon weit überlegenen Rüstungstechnologien und zum Ausbau der gigantischen Waffenarsenale.

Zugleich untermauert die siegreiche Beendigung des Krieges zu den von der NATO diktierten Konditionen die Führungsrolle und den absoluten Dominanzanspruch der USA im Bündnis selbst,12 da diese nahezu alle Schlüsselressourcen, angefangen von Mitteln strategischer Aufklärung über Luftbetankung, elektronische Kriegführung bis hin zu präzisionsgelenkter Munition, bereitgestellt hatten. Darüber hinaus wurde der Prozess der Zielaufklärung, Zielauswahl und Zielplanung für den Luftkrieg völlig von US-Akteuren kontrolliert.13

Den USA ist es mit Hilfe ihrer beispiellos überlegenen Rüstungstechnologie gelungen ein neues Paradigma der Kriegführung in der NATO zu etablieren: Mit Hilfe dieser in ihrer strategischen Relevanz kaum zu überschätzenden Hightech-Waffensysteme, auf welche die USA und ihre Rüstungsindustrie eine Quasi-Monopol besitzen, werden die Kriege der Zukunft aus der Distanz, mit überlegenen, weltraum- und luftgestützten Aufklärungsmitteln, modernster Informations- und Führungstechnologie sowie konkurrenzlos überlegenen Luftkriegsmitteln und unter Vermeidung eigener sowie Minimierung gegnerischer Verluste geführt werden.

Da die Verfügungsgewalt über derartige Waffensysteme nahezu ausschließlich bei den US-Streitkräften liegt, wird die Federführung hinsichtlich der Fortentwicklung der Strategie und operativen Konzeptionen der NATO auf absehbare Zeit bei den USA verbleiben.14 Bodengebundene Streitkräfte, in der Masse zukünftig gestellt von den europäischen Alliierten, werden unter Kommando des stets von einem US-General gestellten SACEUR erst nach der Kapitulation des Gegners zum Zwecke der Stabilisierung und Absicherung einer Waffenstillstandsvereinbarung oder Friedensregelung zum Einsatz kommen. Unter Berücksichtigung dieses Kontextes stellt die vorzeitige Ablösung des Heeresgenerals Wesley Clark vom Dienstposten des SACEUR und dessen Ersatz durch den Luftwaffengeneral Joseph W. Ralston keineswegs eine zufällige Entscheidung dar.

Aus Sicht der USA besteht ein nicht zu unterschätzender Effekt dieses Krieges selbstredend darin, dass von ihm vor allem die US-Rüstungsindustrie in ganz erheblichen Umfange profitiert. Während des Luftkriegs kamen überwiegend enorm teure Präzisionswaffen zum Einsatz, die nahezu ausschließlich aus US-amerikanischer Produktion stammten. So verschoss beispielsweise allein die deutsche Luftwaffe mit ihren ECR-Tornados 236 »AGM-88 HARM« Anti-Radar-Lenkflugkörper zum Stückpreis von circa 200.000 Dollar;15 die Wiederauffüllung des Arsenals wird der Firma Texas Instruments, dem Produzenten dieser Waffe in den USA, demnach von deutscher Seite knapp 95 Mio. DM einbringen.

Einen entscheidenden Faktor schließlich bzgl. der strategischen Konzeption ihrer Südosteuropa-Politik stellte für die US-Administration das Verhältnis der Vereinigten Staaten von Amerika zur aufstrebenden Europäischen Union dar. In den Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges hat der europäische Integrationsprozess mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes sowie der Wirtschafts- und Währungsunion ungeheuer an Dynamik gewonnen. Der Prozess der Osterweiterung der EU ist in vollem Gange, nach dem Jahr 2000 werden Schritt für Schritt etwa ein Dutzend neuer Staaten beitreten, die Märkte primär für Europa und nicht für die USA darstellen werden. Während die Europäische Union schon jetzt den größten Binnenmarkt der Welt darstellt, besitzt der Euro das Potenzial, dem Dollar als Weltleitwährung Konkurrenz zu machen. Unter geoökonomischen Aspekten ist den USA in der Europäischen Union mittlerweile ein ernsthafter und, wie die Vergangenheit gezeigt hat, auch äußerst widerspenstiger Konkurrent erwachsen: „Undoubtedly the single most important move toward an antihegemonic coalition, however, antedates the end of the Cold War: the formation of the European Union and the creation of a common European currency. … Clearly the euro could pose an important challenge to the hegemony of the dollar in global finance.“16 Indessen denken die USAnicht im Traum daran, ihre Souveränität in der Währungspolitik irgendwelchen Einschränkungen zu unterwerfen. „Nach dem Ende des Kalten Krieges ist der Dollar ihre vielleicht wirkungsvollste Waffe. Ohne größere Not geben sie ein solches Schwert nicht aus der Hand.“17 Dabei befinden sich die USA allerdings in einem strukturellen Nachteil gegenüber der Europäischen Union: Wollen sie nämlich einen starken Außenwert des Dollars auf den Weltmärkten sicherstellen um dessen Vorherrschaft zu bewahren, müssen sie den Zinssatz höher halten als Europa, was indessen negative Effekte für die inneramerikanische Konjunktur sowie die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft auf den Weltmärkten zeitigt. Andererseits können die Europäischen Staaten einem schwachen Außenwert des Euro mit relativer Gelassenheit begegnen, da sie einerseits den Großteil ihres Handels auf dem gegenüber den USA erheblich größeren europäischen Binnenmarkt abwickeln und anderseits ein niedriger Eurokurs europäische Waren gegenüber Produkten aus dem Dollarraum attraktiver macht. Unter einer längerfristigen Perspektive dürfte demnach die Wirtschaftsmacht Europa zu einer ernsthaften Herausforderung für die Hegemonialansprüche der Supermacht USA werden.

Zudem treibt die Europäische Union seit geraumer Zeit unter dem Rubrum der »Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität« den Aufbau eigenständiger militärischer Kapazitäten und Optionen immer stärker voran.

Zuletzt haben die europäischen Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Köln Javier Solana zum Generalsekretär für ihre »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« bestimmt und beschlossen auf dem eingeschlagenen Weg zur Militärmacht Europa schneller voran zu schreiten, wobei die Forderung nach der Gründung einer europäischen Rüstungsagentur immer nachdrücklicher erhoben wird und gelegentlich auch schon Rufe nach einer gemeinsamen europäischen Armee verlauten.18

In einer solchen Situation geoökonomischer Konkurrenz, gepaart mit der potenziellen Ablösung des Exklusivitätsstatus' der NATO, bot und bietet sich für die US-Administration zwingend die Instrumentalisierung der diversen Konfliktlagen im südosteuropäischen Raum als hochgradig effektive Option an um den unliebsamen Konkurrenten, der unweigerlich ein vitales Interesse an der Sicherung der Stabilität und Prosperität seines »Hinterhofes« haben muss, langfristig in dieser Region zu binden und dergestalt sicherzustellen, dass nicht unerhebliche diplomatische, finanzielle, militärische etc. Ressourcen der Europäischen Union dort absorbiert werden, wo dies für die USA erstens kontrollierbar geschieht und zweitens ihren Interessen nicht direkt zuwiderläuft. Die europäische Interessenlage im Hinblick auf Südosteuropa ist unter anderem dadurch bestimmt, dass kurzfristig der Gefahr massiver Flüchtlingsströme vorgebeugt werden soll, wobei der strategische Vorteil, den sich die USA zunutze machen können, darin besteht, dass die Überquerung der Straße von Otranto für ein Flüchtlingsboot sehr viel einfacher ist als die des Atlantischen Ozeans. Auf längere Sicht gilt es, der europäischen Wirtschaft neue Märkte zu erschließen, die Region für die Integration in die Europäische Union vorzubereiten und nicht zuletzt den Migrationsdruck in die hochentwickelten Regionen Europas abzumildern.

Mit dem Interventionskrieg im Kosovo gelang es den USA in hervorragender Weise, die Europäische Union intensiv und auf lange Sicht in die Konfliktlagen auf dem Balkan zu verstricken, denn indem die USA die Kompetenz für die operationelle Durchführung dieses Krieges reklamierten, schoben sie zugleich Europa die Verantwortung für den Wiederaufbau und die zukünftige Entwicklung der Region zu: »The US has carried out most of the destruction, the EU will be footing the bill for reconstruction – a tremendous burden on the EU.«19 Im Vergleich zu den damit verbunden Kosten – EU-Kommissar Yves Thibault de Silguy bezifferte diese auf etwa 35 Mrd. DM, der UN-Beauftragte für den Kosovo, Bernard Kouchner, geht von mindestens 60 Mrd. Dollar aus, während sowohl die jugoslawische Regierung als auch eine Studie der Universität der Bundeswehr München von 100 Mrd. Dollar sprechen, die zur Beseitigung der Kriegsschäden notwendig sind,20 – stellen die seitens der USA in diesen Krieg investierten Aufwendungen – Schätzungen lauten auf 4 Mrd. Dollar21 – in der Tat »Peanuts« dar. Besonders deutlich wird der komparative Vorteil für die USA, vergleicht man die Kosten (in Dollar), die auf US-amerikanischer Seite für die Zerstörung von Zielen, beispielsweise der Donaubrücken von Novi Sad oder der Autofabrik von Kragujevac, mit lasergesteuerten Bomben oder Cruise Missiles aufgebracht wurden, mit denjenigen, die danach (in Euro) auf Seiten der Europäischen Union für den Wiederaufbau dieser in Schutt und Asche gelegten Einrichtungen anfallen. Bezeichnenderweise ist daher die kurzzeitig unter den NATO-Partnern aufgeflackerte Diskussion um die Kostenaufteilung für den Kriegseinsatz sehr schnell wieder verstummt. Für die Europäische Union resultiert aus dieser asymmetrischen Interessenkonstellation das Dilemma, dass ihr all jene Ressourcen, die sie zur Befriedung und Entwicklung der südosteuropäischen Konfliktregion investieren muss, natürlich auf anderen Gebieten insbesondere für die anstehende Osterweiterung und den Aufbau eigener militärischer Optionen fehlen. Damit ist aus Sicht der USA sichergestellt, dass Europa auf absehbare Zeit, was die Entwicklung der »Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität« betrifft, in der Abhängigkeit der USA gehalten und darüber hinaus die Entfaltung der Europäischen Union zur potenziellen Supermacht zumindest verzögert, wenn nicht sogar verhindert wird.

Eine aufschlussreiche Perspektive für diese Betrachtung liefert darüber hinaus die Einbeziehung der Russischen Föderation als einer weiteren Akteurin: Erstens nämlich verhindert die Bindung europäischer politischer und ökonomischer Ressourcen in Südosteuropa, dass diese anderenfalls eventuell Russland hätten zu Gute kommen können. Zweitens besitzt auch Russland traditionell nicht unerhebliche Interessen auf dem Balkan wie gerade im Verlaufe des Krieges gegen Jugoslawien deutlich wurde. Die Europäische Union und Russland werden demzufolge in einer aus US-amerikanischer Sicht durchaus vorteilhaften Konkurrenzsituation gehalten, wodurch die Option Russland zum strategischen Partner für Europa zu entwickeln mit hoher Wahrscheinlichkeit durchkreuzt wird. Zugleich bleibt damit eine potenzielle Ausbalancierung der Supermacht USA durch eine sich eventuell konstituierende europäisch-russische Partnerschaft, die den US-amerikanischen Hegemonialanspruch konterkarieren könnte, ausgeschlossen. Als Fazit vorstehender Analyse resultiert, dass der Interventionskrieg der NATO gegen Jugoslawien mitnichten jener aus rein humänitären Motiven geführte »Kreuzzug für die Menschenrechte« war, als der er der Weltöffentlichkeit verkauft wurde, sondern durchaus von harten realpolitischen Interessenkalkülen determiniert war. Letztere wurden allerdings von den beteiligten Akteuren systematisch hinter den Argumentationswolken universeller Moral verschleiert. Zum anderen zeigte sich zum wiederholten Male, dass es unter den Bedingungen medialer Omnipräsenz stets die »Schlacht der Lügen«22 ist, die einen Krieg entscheidend prägt.

Anmerkungen

1) Beck, Ulrich: Über den postnationalen Krieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/1999, S. 987.

2) Schirrmacher, Frank (Hrsg.): Der westliche Kreuzzug. 41 Positionen zum Kosovo-Krieg, Stuttgart 1999. Ulrich Beck spricht in diesem Kontext von »demokratischen Kreuzzügen«; vgl. ders.: Über den postnationalen Krieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/1999, S. 987.

3) Der Begriff stellt eine Contradictio in adiecto – man könnte auch sagen: groben Unfug – dar und illustriert vor allem eines: Die intellektuelle Impotenz desjenigen, der ihn benutzt. Eine Katastrophe mag schrecklich, riesig, grauenhaft oder was auch immer sein, eines ist sie auf gar keinen Fall: humanitär.

4) Vgl. hierfür pars pro toto Enzensberger, Hans Magnus: Ein seltsamer Krieg. Zehn Auffälligkeiten, in: Schirrmacher, Frank (Hrsg.): Der westliche Kreuzzug. 41 Positionen zum Kosovo-Krieg, Stuttgart 1999, S. 28.

5) Vgl. Schmidt-Eenbom, Erich: Kosovo-Krieg und Interesse. Einseitige Anmerkungen zur Geopolitik, in: Bittermann, Klaus/Deichmann, Thomas (Hrsg.): Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben, Berlin 1999, S. 98f.

6) Vgl. Meier-Walser, Reinhard C./Lange, Klaus: Die Osterweiterung der NATO. Die Positionen der USA und Russlands, Aktuelle Analysen 3, München 1996, S. 12; Livingston, Robert Gerald: Die Ostküste bestimmt die Außenpolitik, in: Die Zeit, Nr. 6/1996, S. 10 sowie die Ausführungen Egon Bahrs in einem ZEIT-Interview unter dem Titel »Es wäre ein riesiger Fehler«, in: Die Zeit, Nr. 19/1997, S. 4.

7) Vgl. hierzu NATO Office of Information and Press (ed.): Das strategische Konzept des Bündnisses, in: NATO Brief, Nr. 2, Sommer 1999, S. D 7-D 13 sowie ders.: Initiative zur Verteidigungsfähigkeit, in: NATO Brief, Nr. 2, Sommer 1999, S. D 16.

8) Vgl. hierzu unter anderem die äußerst detaillierte Beschreibung des Prozesses der Zielauswahl und Einsatzplanung im Verlaufe des Luftkrieges im Beitrag von Ignatieff, Michael: Der gefesselte Kriegsherr, in: Die Zeit, Nr. 33, 12. August 1999, S. 11-13.Sehr aufschlussreich im Hinblick auf die Perzeption und Interpretation des Interventionskrieges der NATO außerhalb der westlichen Hemisphäre ist der Beitrag des Japaners Tan Minoguchi: Die Handschrift des großen Bruders. Warum Asien den Kosovo-Krieg ganz anders interpretiert, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 112, 18. Mai 1999, S. 17. Minoguchi merkt an dieser Stelle an, dass in Asien der Krieg als ein amerikanischer wahrgenommen wird nicht weil die US-Soldaten die erste Geige spielen, sondern wegen des moralisierenden Weltbildes, das ihm zugrunde liegt.

9) Vgl. Schmidt-Eenbom, Erich: Kosovo-Krieg und Interesse. Einseitige Anmerkungen zur Geopolitik, in: Bittermann / Deichmann (1999: 99).

10) Chomsky, Noam: Krieg auf dem Balkan. Die USA und das Völkerrecht, in: Bittermann / Deichmann (1999: 119)

11) a.o.O.

12) Relativiert wird dieser Anspruch der USA bis zu einem gewissen Grade dadurch, dass für das letztendliche Einlenken des jugoslawischen Präsidenten vor allem die Erkenntnis ausschlaggebend war, dass Russland nicht bereit war, sich zugunsten der serbischen Position in eine offene Konfrontation mit dem Westen zu begeben.

13) Vgl. hierzu Ignatieff, Michael: Der gefesselte Kriegsherr, in: Die Zeit, Nr. 33, 12. August 1999, S. 11-13.

14) Exemplarisch lässt sich dies am Einsatz der Stealth-Bomber B-2 Spirit verdeutlichen, die direkt von ihrer Einsatzbasis Whiteman AFB in Missouri, USA aus ihre Ziele in Jugoslawien angriffen, ohne dass die NATO auch nur im geringsten Einfluss auf diese Einsätze besaß. Die Einsätze der Bomber wurden ausschließlich von US-Stäben geplant und geleitet. Für die Operationen der Bomber wurden bestimmte Bereiche des Luftraums komplett gesperrt, kein nicht-amerikanisches Flugzeug durfte sich ihnen nähern; vgl. hierzu Marquard, Rudolf: Geheimnisse um den US-Bomber B-2, in: Loyal, Nr. 6/1999, S. 10. Zu den Charakteristika des Bombers selbst vgl. das einschlägige US Air Force Fact Sheet (im Internet unter http://www.af.mil/news/factsheets/B_2_Spirit.html).

15) Vgl. Panavia Aircraft GmbH (ed..): Tornado Report, no. 16, October 1999, p. 5.

16) Huntington, Samuel P.: The Lonely Superpower, in: Foreign Affairs, vol. 78, no. 2, 1999, p. 45.

17) Schumacher, Oliver: Währungen als Waffe, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 221, 24. September 1999, S. 4.

18) Vgl. beispielsweise Weimer, Wolfram.: Schafft die Bundeswehr ab!, in: Die Welt, 21. Juli 1999, S. 3.

19) Oberg, Jan: The Horrendous Price of G8 Peace, PressInfo 69, 9 June 1999 (im Internet unter http://www.oneworld. org/news/reports99/pressinfo69.htm).

20) Vgl. Denkler, Thorsten: Der Wiederaufbau ist teurer als der Krieg (im Internet unter http://www.dfg-vk.de/ international/kosov192.htm) sowie Kosova-Info-Line vom 03. Juni 1999, 23:05 Uhr (im Internet unter http://www. kosova-info-line.de/kil/neueste_nachrichten-4772.html).

21) Vgl. eine Meldung der Kosova-Info-Line vom 27. Juni 1999, 22:24 Uhr (im Internet unter http://www.kosova-info-line.de/kil/neueste_nachrichten-5447.html).

22) Vgl. den gleichlautenden Titel des Buches von MacArthur, John R.: Die Schlacht der Lügen, München 1993 (Titel der englischen Originalausgabe: Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, New York 1992).

Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er war vorher langjährig als Wissenschaftlicher Mitarbeiter mehrerer Institute in Forschung und Lehre tätig und wurde nach mehreren kritischen Veröffentlichungen mittlerweile einer neuen Verwendung am Luftwaffenamt zugeführt. Er vertritt selbstverständlich in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen.

Für ein ziviles Europa

Für ein ziviles Europa

von Johannes M. Becker

Während des akuten Bombens im laufenden Jugoslawienkrieg erhielt der französische Kommandant eines Flughafens an der albanischen Grenze von einem US-amerikanischen Kollegen ein Fax mit etwa folgendem militärischen Wortlaut: „Ankomme mit Apache-Helikoptern Montag 20.15 Uhr. Flughafen ist zu räumen.“
Der französische Kommandant gab seinem Stab zum einen zu bedenken, dass der Räumungsbefehl zu kurzfristig sei. Zum anderen fand er, und auch hier stimmten ihm seine Offiziere zu, den Ton seines US-Kollegen wenig kollegial. (Schließlich bleibe nicht unerwähnt, dass die Übergabe während der Zeit des Dinners stattfinden sollte…).
Nun. Die US-amerikanischen Truppen kamen am Montag um 20.15 Uhr. Sie bauten ihre Helikopter zusammen und ließen sie kurze Zeit später über den Gefechtszelten (ein moderner Krieg wird wesentlich von Zelten aus geführt) der französischen Flughafenkommandantur fliegen. Die Folgen waren desaströs. Demütigungen unter Bündnispartnern zeugen nicht von guter Politik.

Vielfältig waren und sind die Kränkungen der westeuropäischen NATO-Partner der USA im Jugoslawienkrieg durch die dominierende nordamerikanische Militärmacht. Das begann mit der erpresserischen Politik der Clinton/Albright-Administration um die Verhandlungen von Rambouillet, das fand seine Fortsetzung in der von der US-Technologie abhängigen NATO-Informationspolitik während der akuten Kampfhandlungen selbst, das betraf letztlich die gesamte Anlage des Krieges: Das französische Verteidigungsministerium analysierte Mitte November 1999, dass die USA über weite Bereiche hin einen neben dem der NATO eigenen, US-amerikanischen, parallelen Krieg geführt hätten. US-Präsident Clinton indes drückte sich klar aus, als er anlässlich des 10. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer sagte: „Wir müssen den Willen beibehalten, die Führung zu übernehmen.“ (FR v. 10.11.99)

Konkret werden vornehmlich zwei Dinge seit dem Ende des Bombardements gegen Jugoslawien in den westeuropäischen Hauptstädten diskutiert:

  1. Zum einen die militärische Abhängigkeit der europäischen NATO-Partner von den USA – hier in erster Linie in den essenziellen Fragen der Verlagerung von Truppen und Material sowie die Informationspolitik betreffend.
  2. Zum anderen die politische Lage mit unübersehbar divergierenden sicherheitspolitischen Interessen der westeuropäischen Regierungen, denen eine US-Regierung gegenüberstand, die in ihrem Vorgehen offensichtlich von wenig Zweifeln geplagt war.

Nun haben sich – gleichsam als Konsequenz aus der aufgezeigten Kalamität – die EU-Aussen- und -Verteidigungsminister daran gemacht, die Militarisierung Europas voranzutreiben. »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) heißt das Zauberwort. Das Treffen der Aussen- und Verteidigungsminister der WEU (Westeuropäischen Union) Ende November 1999 in Luxemburg legte fest, dass die Organisation deren Statut „kollektive Selbstverteidigung mit gegenseitiger Beistandspflicht“ vorsieht, die derzeit aber weder über integrierte Truppen, noch über eine militärische Organisation verfügt, gerade in diesen beiden Punkten tätig werden müsse. Zwischen 50.000 und 100.000 Soldaten will man nun operationabel, d.h. schnell einsetzbar machen, 300 bis 500 Flugzeuge (davon etwa die Hälfte Kampf-Jets) und 15 große Kampfschiffe sollen von den beteiligten Nationen zur Verfügung gestellt und zu einer homogenen Truppe zusammengefasst werden.

Insbesondere die Minister Frankreichs und Deutschlands, Richard und Scharping, favorisierten in Luxemburg eine zentrale Rolle des bereits bestehenden Eurokorps (bestehend aus ca. 55.000 Soldaten Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Belgiens und Luxemburgs). Eine alternative bereits bestehende Truppe würde die EUROFOR-Truppe mit Kräften aus Spanien, Frankreich, Italien und Portugal darstellen; auch die ca. 55.000 Soldaten des deutsch-niederländischen Korps sind als Nukleus einer »schnellen europäischen Eingreiftruppe« denkbar. Es geht hier nicht um die Aufstellung neuer Truppen: Die Herstellung der raschen Einsetzbarkeit und der operativen Koordination bereits bestehender Truppen ist das Ziel der herrschenden Politik.

Einige Hindernisse stellen sich den GASP-Planern bei einer reibungslosen Ausrüstung der EU mit militärischen Mitteln noch in den Weg. Hier seien nur die wichtigsten genannt:

  • Nach wie vor besteht keine Einigkeit innerhalb der EU-Staaten über die grundsätzliche militärpolitische Logik, der die GASP folgen soll: Unabhängig von den Luxemburger Absichtserklärungen stehen sich unverändert die Interessen vor allem der BRD und Großbritanniens nach einer »Europäisierung« der NATO, d.h. einem Fortbestehen eines starken US-Einflusses auf Westeuropas sicherheitspolitische Identität, und vor allem Frankreichs Wunsch nach weitgehend eigenständigen Euro-Strukturen gegenüber – hier böte sich die von den USA unabhängige WEU mit den unterstellten Truppen des Eurokorps in der Tat am ehesten an. Frankreichs Position wird derzeit gestärkt von Italien und Griechenland – beides Anrainerstaaten des Jugoslawienkrieges mit direkten Erfahrungen bei den eingangs geschilderten Kalamitäten für die EU-Staaten.
  • Gänzlich unklar ist bei der Projektion GASP die zukünftige Rolle der britischen und französischen Atomwaffen, hinzu kommt die Rolle von Frankreichs beträchtlichen Überseebesitzungen und Kolonien (Neukaledonien, Französisch-Polynesien, Gouadeloupe, Martinique, Französisch Guayana, um nur einige zu nennen). Derzeit dürfte sich in beiden Ländern keine politische Mehrheit finden, die Nuklearwaffen bzw. erdumspannende militärische Präsenz ohne wesentliche Gegenleistungen (nur denkbar betreffend politischen Einfluss) der übrigen EU-Staaten in die GASP einzubringen.
  • Zum Dritten sind da unter den 15 EU-Staaten mit Irland, Finnland, Schweden und Österreich vier neutrale Länder, die sich (nehmen wir nur einmal die 1.200 Kilometer lange gemeinsame Grenze Finnlands mit Russland oder die Animositäten Irlands gegen Großbritannien) eine Aufgabe dieses Sonderstatus lange überlegen werden. In Österreich sind die Stimmen, die eine Aufnahme in die NATO verlangten, nach dem März 1999 gänzlich in die Defensive gedrängt. Der NATO-Krieg »vor der eigenen Haustür« mit den bekannten »Kollateralschäden«, den neuen Flüchtlingsströmen, der Destabilisierung des Verhältnisses zu vielen Nachbarstaaten ganz allgemein hat das politische Klima rapide verändert.

Da aber die EU in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik bereits das ehedem geltende Prinzip der Einstimmigkeit (unanimité) durchbrochen hat, um zögernden Mitgliedsstaaten in Einzelfragen eine gewisse »Gesichtswahrung« zu ermöglichen, ist nicht unwahrscheinlich, dass die neugeschaffene Organisations-Struktur unter »Mister GASP« Javier Solana, ehemals NATO-Generalsekretär (was im übrigen nicht gerade für eine große perspektivische Unabhängigkeit der Euro-Strukturen der Sicherheitspolitik spricht), diese Widerstände überbrückt.

So weit die Überlegungen der herrschenden politischen Klasse der EU-Länder und einige Hindernisse auf dem Weg zu einer reibungslosen Militarisierung der Europäischen Union. Wie könnte – auf der anderen, dem Frieden zugewandten Seite – eine entspannungsorientierte Politik aussehen, die den Anforderungen der Zukunft nahe kommt? Zunächst möchte ich zwei Ideen kritisch aufgreifen, die im aktuellen politischen Diskurs immer wieder eine Rolle spielen.

  • Da ist zunächst der Hinweis auf die Tatsache, dass von den 15 EU-Staaten derzeit 13 von der politischen Linken entweder regiert, zumindest aber mitregiert werden. Und meine DiskussionspartnerInnen fragen sich immer wieder irritiert, warum denn aus diesem Umstand nicht eine andere Politik als die in Jugoslawien zu konstatierende resultierte. Lassen wir die rosa-grüne Sonderproblematik der Bundesrepublik einmal außen vor, so muss zur Kenntnis genommen werden, dass in derzeit sozialdemokratisch bzw. sozialistisch regierten Staaten wie Frankreich oder Großbritannien die militärische Kultur traditionell interventionistisch geprägt ist. Selbst die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) bspw. fand in den vergangenen Auseinandersetzungen nicht den Mut, die Koalition der »pluralistischen Linken« infrage zu stellen; erst beim Eintritt Frankreichs in einen Bodenkrieg gegen die Republik Jugoslawien (ehedem ein enger Bündnispartner Frankreichs) wollte man die Koalitionsfrage stellen! Schließlich: Wenn die sozialdemokratisch regierten westeuropäischen Staaten ein Interesse an einer alternativen Regelung gehabt hätten, hätten sie Zeit und Gelegenheiten genug gehabt, die Eskalierungslogik der USA innerhalb der NATO zu durchkreuzen. Offenbar war dies nicht der Fall. Auch die »links« regierten EU-Staaten folgten der NATO-Politik der »Verteidigung der Menschenrechte«, der Bestrafung des »neuen Hitlers Milosevic«, der Verfolgung des »Genozids« am kosovarischen Volk. Insbesondere die rosa-grüne Regierung nutzte im Übrigen den Krieg dazu, eine sicherheitspolitische »Normalität«, d.h. das vielbeschworene »Ende der Nachkriegszeit«, einzuklagen und herzustellen, versuchte dabei gar in perfider Weise unter Hinweis auf die deutsche historische Schuld (»Auschwitz«) eine Notwendigkeit militärischer Intervention herbei zu argumentieren.
  • Zum Zweiten setzt ein Großteil der sozialdemokratischen politischen Klasse der EU-Länder auf die Hoffnung, durch den Aufbau einer Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU könne man die derzeit die Welt unilateral beherrschenden USA eindämmen, gleichsam den politischen Zustand der Zeit des Kalten Krieges mit der Blockkonfrontation zwischen NATO und WVO (Warschauer Vertrags-Organisation) rekonstruieren – einen Zustand, der in Westeuropa bekanntlich immerhin über ein halbes Jahrhundert die Waffen hat schweigen lassen. Hierzu ist anzumerken, dass es sich bei USA und EU/GASP lediglich um – ideologisch im gleichen Boot befindliche – konkurrierende Militärmächte handelt, die beide der selben politischen und ökonomischen, der kapitalistischen Logik folgen. Es bestünde also die Gefahr, dass es zwischen den USA und der EU lediglich um eine Zementierung der derzeitigen bzw. um eine Neuaufteilung der weltpolitischen Einflüsse gehen würde (Denkt man an das regelmäßige Bombardieren der USA im Nordirak oder an deren Versuche, Frankreich in Afrika Terrain abzuwerben, werden heute bereits mögliche Konfliktherde zwischen den beiden dominanten Militärmächten der Zukunft deutlich.)

Kann denn Europa, kann die EU gänzlich ohne ein sicherheitspolitisches Instrumentarium Politik betreiben? Wie könnte und sollte ein ziviles Europa aussehen? Die EU sollte auf den Aufbau eigenständiger militärischer Instrumentarien verzichten und sollte die bestehenden wie das Eurokorps (oder auch die Deutsch-Französische Brigade) abbauen. Einzig die OSZE in der bekanntlich über die 15 EU-Staaten, d.h. über Wirtschafts- und politische Blöcke hinaus alle derzeit 55 Staaten Europas vertreten sind und deren Politik-Grundanlage nicht-militärisch angelegt ist scheint geeignet, ohne imperialistische, d.h. politische wie ökonomische Interessen im Hintergrund auch sicherheitspolitische Funktionen zu übernehmen. Grundsätzlich freilich gilt für die (im Weltmaßstab) reiche EU, eine neue, andere Logik in die Konfliktbewältigung einzuführen: eine Logik der Konfliktprävention und der nichtmilitärischen Lösung einmal entstandener Konflikte. Hierzu sind Forschungsinstitutionen zu gründen bzw. bereits bestehende besser auszurüsten (wobei man darauf achten sollte, dass anders als derzeit in Berlin praktiziert, Gelder für einschlägige Projekte nicht in die Hände ehemaliger Offiziere gegeben werden). NGOs, die bereits seit Jahrzehnten mit Modellen der Konfliktprävention u.v.m. befasst sind, sind zu stärken und zu fördern.

Im Wissen darum, dass das Gros der militärischen Konflikte erdweit auf Verteilungsungerechtigkeit beruht, d.h. auf der ungleichen und ungerechten Verteilung von Reichtum und Armut auf der Erde (ökologische Problemlagen kommen als Konfliktursachen in zunehmendem Maße hinzu), sollte die EU an die schrittweise Beseitigung dieser Ungleichheiten herangehen, anstatt wie alltäglich praktiziert die »Terms of trade« für die ärmeren Länder der Erde immer noch ungünstiger zu gestalten. Mit einer derartigen Politikanlage würde die EU auch rasch weltpolitisch an Einfluss gewinnen.

Die Grenze zur »Dritten Welt«, d.h. die Grenze zwischen Arm und Reich, ist nicht mehr so weit von »Euro-Land« entfernt wie noch vor einem Jahrzehnt: Sie liegt heute nicht mehr jenseits des Mittelmeers oder des Atlantik, sondern sozialpolitisch gesehen an der Oder. Bedenkenswert indes, wie der Einfluss der OSZE, früher KSZE, eben nach dem Fall der Mauer zurückgegangen ist. Offenbar hat die Organisation mit dem erfolgreichen Einklagen der sogenannten »bürgerlichen Menschenrechte« (Meinungs-, Presse-, Reisefreiheit etc.) ihre Schuldigkeit getan. Nun aber muss im Sinne eines sozialen und gerechten Europas auch die Realisierung der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte wie des Rechts auf Arbeit, auf Wohnung, auf Bildung und Gesundheitsversorgung auf der europäischen Tagesordnung stehen.

Bei der Verfolgung einer neuen Politiklogik könnte die OSZE bei einem der derzeit flagrantesten Konflikte beginnen: Die Bundesrepublik Jugoslawien ist seit dem Juli 1992 von ihrer Mitgliedschaft suspendiert. Sie gehört rasch reintegriert und an den Verhandlungstisch der OSZE, nicht an den »Verhandlungs«-Tisch einer erpresserischen interventionsbereiten NATO à la Rambouillet. Das wäre der Weg zu einem zivilen Europa!

PD Dr. Johannes M. Becker ist Mitbegründer der Marburger Interdisziplinären Arbeitsgruppe Friedens- und Abrüstungsforschung (IAFA) und lehrt Politikwissenschaften an der dortigen Philipps-Universität