Rüstungskonversion – für eine Ökonomie des Friedens

Rüstungskonversion – für eine Ökonomie des Friedens

von Gert Weiskirchen / Eckhard Fischer

Wer sich gegenwärtig mit Rüstungskonversion beschäftigt, an den werden eine Reihe von Fragen gerichtet: • aus der Wissenschaft: Warum erst jetzt? Die Kernzeit der wissenschaftlichen Konversionsforschung liegt 10 Jahre zurück. • aus der Industrie: Solle die heimische Rüstungsindustrie abgeschafft werden oder die Arbeit in Rüstungsbetrieben geächtet werden?

  • aus den Gewerkschaften: Strukturprobleme gibt es in vielen Bereichen, soll der Rüstungsbereich bevorzugt saniert werden?
  • aus den Betrieben: Was können wir im Werk X alternativ produzieren?
  • aus der Friedensbewegung: Wann nehmt ihr Abschied von der Rüstungsproduktion insgesamt? Warum fangt ihr nicht mit einem Stopp des Waffenexports an?

Die Erwartungshaltung aus diesen Bereichen übersteigt das heute Umsetzbare.

Alle Diskussionen der Vergangenheit führen zu der übereinstimmenden Feststellung, daß es für die Umstellung keine gravierenden technischen Probleme gibt; auch die Qualifikation der Beschäftigten in Rüstungsbetrieben erleichtert die Umstellung.

Die Untersuchung einer konkreten Umstellung wird erschwert durch zwei Faktoren:

  • Statistisches Material ist – anders als in den USA (ACDA) – einer übertriebenen Geheimhaltung unterworfen. So ist auch dem IFO/München der Zugang zu Informationen über die Rüstungswirtschaft nicht gestattet, obwohl es vom Bundeswirtschaftsminister beauftragt wurde, eine Untersuchung zur Produktion von Wehrgütern zu erstellen.
  • Definitionsprobleme; das verfügbare Zahlenmaterial – teilweise durch Untersuchungen engagierter Friedensforscher erarbeitet – ist unscharf, da es keine durchgängigen Abgrenzungen gibt. Exportanteile von Rüstungsgütern beispielsweise werden nach Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz ermittelt; die Rüstungsgüterproduktion hingegen erfaßt alles Material, welches im militärischen Bereich Anwendung findet. Die Angaben über Rüstungsexporte der Bundesrepublik sind daher zweifelhaft. Die von der SPD-Bundestagsfraktion im März des Jahres durchgeführte Anhörung zur Rüstungskonversion hat vor allem durch die Untersuchungen von Christian Wellmann die Datenlage der im militärischen Bereich Beschäftigten aufzuhellen vermocht.

Beschäftigungswirkung der Abrüstung

Demnach stellt sich die Beschäftigungswirkung militärischer Sicherheitspolitik wie folgt dar:

rüstungsabhängig Beschäftigte
inländisch finanziert 256.000
Rüstungsexporte 37.000
durch ausländische Stationierung bedingt 190.000
militärabhängige Beschäftigung
Soldaten der Bundeswehr 481.000
Zivilbeschäftigte bei der Bundeswehr 182.000
Zivilschutz und Zivildienst 42.000
Zivilbeschäftigte bei den Alliierten in Berlin (West) 11.000
Zivilbeschäftigte bei den ausl. Stationierungstruppen 106.000

Die Datenlage ergibt, daß in der Bundesrepublik einschließlich der Rüstungsindustrie, der Streitkräfte und deren ziviles Personal ca. 1,3 Millionen Erwerbstätige beschäftigt sind, für die im Falle von Abrüstung und Konversion alternative Arbeitsplätze gefunden werden müssen. Würde jährlich um 5% abgerüstet, müßten jährlich ca. folgende alternative Arbeitsplätze gefunden werden:

in der Rüstungsindustrie 8.000 – 12.000
Soldaten der Bundeswehr 25.000
Zivilbeschäftigte der Bundeswehr 9.000
Zivilbeschäftigte der ausländischen Streitkräfte 6.000
Gesamt 38.000 – 40.000
sofortige Streichung des Rüstungsexports außerhalb der NATO (einmalig) 30.000 – 40.000

Abrüstung setzt Mittel frei, mit denen neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Nicht so bei den Zivilbeschäftigten der ausländischen Streitkräfte und für die im Rüstungsexport Tätigen. Etwa 5.000 Berufssoldaten sowie etwa 3.000 Zivilangestellte scheiden jährlich aus der Bundeswehr aus.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Rüstungsproduktion

Rüstungsproduktion in der Bundesrepublik hat einen relativ geringen Anteil am Bruttosozialprodukt; er beträgt etwa 0,8%. Die These „Rüstungskonversion ergebe sich im Selbstlauf, wenn die Nachfrage durch politische Zielsetzung der Bundesregierung gedrosselt wird“, liegt daher nahe. Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Rüstungsproduktion jedoch als überaus einflußreicher Produktionszweig mit Auswirkungen auf nahezu alle Marktbereiche. Ein Umbau in den wichtigsten Rüstungskonzernen hat immer Auswirkungen auf die Marktlage des ganzen Unternehmens. Aus vielfältigen Überlegungen versuchen Unternehmen die zumeist als »intelligente Technologie« eingestufte Rüstungsproduktion auf jeden Fall im Unternehmen zu halten.

Jedes größere Beschaffungsvorhaben der letzten 15 Jahre wurde auch mit dem Arbeitsplatz- Argument begründet.

Ebenso ist die Tendenz erkennbar, daß die sich beschleunigende Konzentration in der europäischen Rüstungsindustrie einen einflußreichen militärisch-industriellen- Komplex entwickelt. Die angestrebte Fusion der Daimler-Benz AG mit MBB ist ein Lehrstück dafür. Die Kapitalverflechtung wird heute – anders als früher – in der Rüstungsindustrie auch über Landesgrenzen hinweg angestrebt (Siemens-Plessey). Mehr noch: Die Mechanismen der Rüstungsproduktion selbst sind abrüstungsfeindlich. Die Strukturen von Forschung, Auftragsvergabe, Produktion und Abnahme sind dringend zu reformieren. Monopolunternehmen für Großwaffenproduktionen bestimmen weitgehend die Auftragsbedingungen. Nun versucht das BM der Verteidigung beim Jäger 90 mit einem »Meilensteinplan» die Entwicklung und die Preiskonditionen verbindlich vorzuschreiben. Als Ergebnis ist bisher nur erkennbar, daß die Kostenexplosion schon in den F&E-Bereich vorgelagert wird. Die Schwierigkeiten lassen sich an der Karriere des Arbeitsplatz-Arguments ablesen:

  • es wurde nie geäußert, daß dieses Projekt neue Arbeitsplätze schaffen soll;
  • gemäß MBB-Chef Vogels (Die Zeit, 28.10.88) sollen 20.000 Arbeitsplätze in der Produktion und 5.000 in der Entwicklung gesichert werden;
  • am 13. Dezember 1988 erklärt Staatssekretär Prof. Dr. Timmermann, daß in der Produktion lediglich 15.000 Arbeitsplätze bis 2005 gesichert werden;
  • in der Februar-Ausgabe der wehrtechnik 1989 erklärt Staatssekretär Dr. Riedl, daß der Jäger 90 die bestehenden Kapazitäten im Kampfflugzeugbau nicht auslastet.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt muß resümiert werden, daß der Westen aus industriepolitischen Gründen nicht abrüstungsfähig ist.

Konversion ist eine Möglichkeit, den Druck des Arbeitsplatz-Arguments aus der Abrüstungsdebatte zu nehmen. Konversion ist die ökonomische Kehrseite von Abrüstung. Wenn Unternehmen wie beispielsweise AEG-Ulm mit 5000 Arbeitsplätzen zu 95% ihres Bestandes an der Auftragsvergabe »Jäger 90« hängen, läßt sich die Unternehmenspolitik vorhersehen. Konversion kann aber nicht Reparaturbetrieb für Fehler in der Unternehmensführung sein.

Diversifikation als erster Schritt

Der erste Schritt einer Konversionsmaßnahme muß daher die Diversifikation sein, d.h. die Förderung einer verbreiterten Produktpalette eines Rüstungsunternehmens im zivilen Bereich. Die vorgefundenen Strukturen der Rüstungsindustrie sind jedoch »barock«. Teilweise sind diese Unternehmen ohne Umstrukturierungen unter den Bedingungen des zivilen Marktes nicht überlebensfähig. Es ist davon auszugehen, daß Strukturveränderungen bis zu einem bestimmten Maße von der Industrie völlig ohne Zutun von außen aufgefangen werden.

Fortschritte in der Abrüstungspolitik werden sich – im Gegensatz zu den Ballungszentren München und Stuttgart – vor allem in den strukturschwachen angestammten Zentren der Rüstungsindustrie auswirken: Im Ruhrgebiet, bei den Werften an der norddeutschen Küste, in Nordhessen, im Raum Speyer usw.. Ebenso beim Abzug ausländischer Streitkräfte; hier ist vor allem die ländliche Region von Rheinland-Pfalz betroffen.

Allein die US-Stationierungstruppen beschäftigen in der Bundesrepublik 71.500 zivile Angestellte und geben jährlich etwa 14 Mrd. DM in der Bundesrepublik aus, um den Bedarf der etwa 242.000 amerikanischen Soldaten zu decken.

Die Rüstungsindustrie rechnet mit einer durchschnittlichen Vorlaufzeit von 10 Jahren, um eine relevante Technologie in einem Unternehmen zur Serienreife zu bringen. Aus diesem Umstand wird das Argument abgeleitet, alle Wehrtechnologien ständig weiter zu entwickeln , auch wenn sie aus sicherheitspolitischer Sicht verzichtbar sind.

Neue Industriepolitik

Sinn macht die Forderung nach Konversion in einem Gesamtkonzept einer neuen Industriepolitik. Die Anpassungsprobleme können verringert werden durch ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das eine aufeinander abgestimmte Politik der Abrüstung, Sicherheit und des Arbeitsmarktes nötig macht. Konversion ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Länder und Gemeinden.

Rüstungskonversion ist technisch und wirtschaftlich machbar – sie muß politisch gewollt werden. In einigen Betrieben sind bereits konkrete Pläne für eine alternative Produktion vorhanden – teilweise sind die Belegschaften innerhalb der Betriebe in Arbeitsgruppen und außerhalb in Vereinen alternativer Fertigung organisiert. Diese AG's und Vereine brauchen finanzielle, politische und personelle Unterstützung zur Entwicklung von Prototypen und Expertisen. Die Konversion eines Betriebes schließt einen Ausbau von Mitbestimmungsrechten der Belegschaft mit ein. Die erworbenen Kenntnisse aller Mitarbeiter eines Unternehmens aus einer Umstellung – nicht nur des Managements – sind Bestandteil des neuen Unternehmensprofils.

Soweit möglich, sind die Konversionsschritte regional transparent zu machen und zusätzlich regional zu fördern.

Erfahrungen im Ausland

Im Ausland ist Konversion vor allem in Schweden und nunmehr auch in der UdSSR als Problem erkannt worden. Entsprechende Pläne liegen vor.

Schweden:

  • Staatliche Initiativen wurden entwickelt und teilweise bereits erfolgreich umgesetzt (Fairchildprojekt von Saab);
  • Unternehmen im wehrtechnischen Bereich sollen einen Fonds schaffen, in den 2% der Rüstungsumsätze fließen; aus diesem Fonds sollen Forschung, Entwicklung und Erprobung ziviler Güter finanziert und in den Produktionsprozeß eingebunden werden;
  • 50 Mill. SEK werden bereitgestellt, um regionale und lokale Investitionen vorzunehmen;
  • die Universität Uppsala errichtet eine Informationsbank zur Konversion;
  • Ein nationaler Bericht gemäß Beschluß der UN-Vollversammlung 1982 zur Umstellung militärischer auf zivile Produktion (Thorsson-Bericht) wurde vorgelegt.

M. Gorbatschow hat in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 8. Dezember 1988 angekündigt, „im Laufe des Jahres 1989 als Experiment Pläne für die Umwandlung von 2-3 Verteidigungsunternehmen vorzubereiten,(…) sowie die Nutzung ihrer Ausrüstung, Gebäude und Industrieanlagen in der zivilen Produktion zu veröffentlichen. Es ist wünschenswert, daß alle Staaten (…) ihre diesbezüglichen nationalen Pläne vorstellen“

USA:

  • drei Gesetzentwürfe zur Rüstungskonversion wurden vorgelegt;
  • Erfahrungen auf lokaler Ebene wurden seit den 60er Jahren gemacht.

Vorschläge

Folgende Vorschläge zur Unterstützung von Konversionsmaßnahmen sind denkbar:

  • Die durch Abrüstung frei werdenden Mittel im Bundeshaushalt werden in einem Zeitraum von 10-15 Jahren zur Förderung von umweltschonenden Technologien und für die Belebung des Handels mit der Dritten Welt an solche Unternehmen gegeben, die ihren Anteil an Rüstungsproduktion reduziert haben;
  • Bildung eines Konversions-Fonds, der aus einem Prozentsatz der Rüstungsumsätze und einer gesonderten Besteuerung der Rüstungsexporte gespeist wird;
  • die öffentlich geförderte militärische F + E wird umgestellt; zeitlich befristet werden parallel nebeneinander militärische und zivile Projekte unter vergleichbaren Bedingungen gefördert; Schritt für Schritt soll an der Stelle der Ausgaben für militärische Zwecke die Entwicklung alternativer Produkte gefördert werden (Umschichtung der entsprechenden Mittel aus dem BM der Verteidigung ins BM Forschung und Technologie);
  • die Auftragsvergabe eines Rüstungsproduktes ist mit Auflagen zu versehen, einen Konversionsplan vorzulegen;
  • Bildung bzw. Unterstützung von Beschäftigungsgesellschaften bzw. die Entwicklung von Beschäftigungsplänen;
  • jährlich soll der Wirtschaftsminister einen Bericht zur Lage der Rüstungsindustrie vorlegen;
  • regionale, lokale und betriebliche Arbeitsgemeinschaften sollen öffentlich gefördert werden, in denen Vertreter von Forschung und Wissenschaft, der Kommunalpolitik und der Firmen Konversionsmodelle erarbeiten;
  • das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung übernimmt Aufgaben der Strukturanalyse und der Darstellung der Rüstungsproduktion.

Parallel zur Rüstungskonversion sollen die Rüstungsproduktion – und auch bereits Planungen – transparent gemacht und der Sicherheitspartnerschaft geöffnet werden.

Bilaterale und multilaterale Abkommen sind dafür dienlich. Anzustreben ist die Bildung einer Ost-West-Expertengruppe aus dem Bereich der Rüstungsproduktion, die den Mindestbedarf von modernen Industrienationen an Rüstung ermittelt und Vorschläge defensiver Rüstungsgüter entwickelt, die in Ost-West- Koproduktion gefertigt werden.

Prof. Gert Weisskirchen, MdB-SPD Vorsitzender der Arbeitsgruppe Rüstungskonversion
Eckhard Fischer Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Rüstungskonversion der SPD-Bundestagsfraktion

SPD und Abrüstung. „Heute bewegen wir eine Menge“

SPD und Abrüstung. „Heute bewegen wir eine Menge“

Ein Interview mit Horst Ehmke (SPD)

von Horst Ehmke und Redaktion

Zu grundsätzlichen Fragen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik nahm der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Horst Ehmke, in einem Gespräch mit dem Informationsdienst Wissenschaft und Frieden Stellung. Ehmke bejaht das langfristige Ziel einer atomwaffenfreien Welt, skizziert zugleich die Schritte, die dahin führen können. Detaillierter äußert er sich zur Europa-Konzeption der SPD und zum Problem der französischen Atomwaffen.

W&F: In einer Rede zur Europäischen Sicherheit, Horst Ehmke, haben Sie kürzlich gesagt, daß – ich zitiere – „Westeuropa heute mehr für seine eigene Sicherheit tun kann und damit weniger abhängig von Amerika werden kann“. Muß man Ihre Formel von der „Selbstbehauptung Europas“ folglich als ein „Ja“ zu verstärkten Rüstungsanstrengungen in Europa auslegen?

Ehmke: Nein, denn zunächst einmal hängt ja Sicherheit nicht primär von Rüstung ab, sondern davon, daß man eine stabile Friedensordnung Scham, von der dann militärische Vorkehrungen nur ein Teil sind. Ein Beispiel: Europa ist heute noch auf die amerikanische Satellitenaufklärung angewiesen. Ich bin der Meinung, wir sollten in Westeuropa eigene Aufklärungssatelliten haben, um uns auch ein eigenes Bild machen zu können und nicht in diesem wesentlichen Gebiet, das ja Voraussetzung für alle Planungen ist, in dieser Form abhängig zu sein von Amerika. Also, Europa kann mehr für seine eigene Verteidigung tun, ohne daß das mehr Aufrüstung heißt Die Selbstbehauptung Europas meint übrigens auch, daß wir das europäische Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen müssen für eine positive Antwort auf das „Neue Denken“ von Michail Gorbatschow.

W&F: In Peking haben Sie auch davon gesprochen, daß es nicht um eine Auflösung des Bündnisses mit den Vereinigten Staaten geht, wohl aber um eine neue Verteilung der Aufgaben, der Verantwortung, der Lasten und der Einflußchancen. Wenn man sich jetzt die Diskussionen in den USA und in der NATO anschaut, dann geht dies alles in Richtung Verstärkung der Rüstungslasten der Westeuropäer und Ausweitung d es Engagements d er europäischen NATO-Staaten, Stichwort: „out-of-area“.

Ehmke: Das ist altes Denken, damit kommen wir nicht weiter. Europa bleibt abhängig von Amerika in zweierlei Beziehung: Wir sind ja nur der westliche Wurstzipfel von diesem euroasiatischen Kontinent und wir brauchen daher Amerika als geostrategisches Gegengewicht gegen die Kontinentalmacht Sowjetunion. Westeuropa, wie immer es sich anstrengt, ist auch nicht in der Lage, die für seine Rohstoffversorgung entscheidenden Internationalen Verbindungswege allein zu sichern. Dafür bleiben wir auf Amerika angewiesen. Aber das heißt nicht, daß wir in dem Maße von Amerika abhängig bleiben sollten wie bisher. Im übrigen ist die amerikanische Diskussion etwa in bezug auf das Abziehen amerikanischer Truppen schon sehr abgeflaut. Man hat inzwischen gerechnet und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß das teuerste ist, was man machen kann: Truppen aus Europa nach Amerika zurückziehen. Billiger als sie hier stationiert sind, kann man sie dort nicht stationieren. Wenn man sie zurückziehen würde, würde man sie vermutlich demobilisieren müssen und eben nicht zu einer weltweiten „Rapid Deployment Force“ zusammenziehen können. Diese Diskussion wird in den USA daher eher abnehmen. Was wir uns in dieser Situation fragen müssen, ist, was wir selbst auf konventionellem Sektor machen können. Stichwort: Der notwendige Umbau der Bundeswehr. Es ist weiter die Frage, wie kann man konventionelle Ressourcen, vor allem in deutsch-französischer Kooperation; besser nutzen. Dann muß man zu einer Übereinstimmung mit der Sowjetunion über konventionelle Truppenstärken und Optionen in Europa kommen. Ich glaube, die Chancen sind gut, weil auch die Sowjetunion weiß, daß das teuerste an der Rüstung die konventionellen Truppen sind. Da liegt unsere reale Chance und da kann eine stärkere Einflußnahme und stärkere Verantwortung der Europäer erreicht werden. Es geht um die Reduzierung konventioneller Streitkräfte auf beiden Seiten und um die Übernahme größerer Verantwortung durch die Europäer innerhalb dieses reduzierten Rahmens.

W&F: Noch einmal zum Stichwort „Neues Denken“: Könnte nicht eigentlich ein spezifischer deutscher Beitrag zu dieser Debatte über die Zukunft der Allianz sein, die gegenwärtige Umbruchssituation in den Ost-West-Beziehungen für eine grundlegendere Umorientierung zu nutzen? Weniger Geld für die Rüstung und die Verwendung der eingesparten Mittel für die Entwicklung der südlichen Hemisphäre und die Lösung der globalen Probleme (…)

Ehmke: Das ist genau unsere Politik. Durch die Politik von Michail Gorbatschow ist jetzt eine neue Möglichkeit gegeben. Wir müssen auf diese Fragen eine konstruktive, gemeinsame Antwort geben. Schade, daß die Bundesregierung hier nicht aktiver ist. Wir sind der Meinung, man soll Gorbatschow testen und nicht neue Raketen.

W&F: Im neuen Entwurf ihrer außenpolitischen Leitlinien fordert die Union eine westeuropäische Sicherheitsunion, in die Frankreich und Großbritannien ihre Atomstreitkräfte einbringen. Auch dies unter dem Vorzeichen, Stärkung des westeuropäischen Pfeilers in der NATO. Steht uns da eine westeuropäische Atomstreitmacht ins Haus?

Ehmke: Ich halte von einer europäischen Streitmacht in dem Sinne, daß die Deutschen die Finger an die französischen oder englischen Atomdrücker kriegen, überhaupt nichts. Ich bin der Meinung, die Tatsache, daß wir keine Atomwaffen haben, daß wir schon unter Adenauer auf Atomwaffen, auf biologische und chemische Waffen verzichtet haben, stellt eine außenpolitische Stärke und keine Schwäche dar. Wir müssen an diesem Status festhalten, so wie er auch im internationalen Recht festgeschrieben ist.

W&F: Die Bundesregierung wird von Ihnen des öfteren gelobt wegen der intensiven Kooperation mit Frankreich. Die bisherigen Umrisse dieser Zusammenarbeit lassen sich unter eher unfriedlichen Stichworten subsumieren: Verteidigungsrat, deutsch-französische Brigade, Einbeziehung der Bundesrepublik in die nukleare Verteidigungsplanung Frankreichs und intensivere Rüstungskooperation. Entwickelt sich die deutsch-französische Freundschaft zu einer Waffenbrüderschaft?

Ehmke: Diese Gefahr ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber mit den Sozialisten an der Regierung in Paris werden wir auch in der Beziehung Fortschritte machen können. Wir brauchen eine deutsch-französische Übereinstimmung über den Rahmen einer militärischen Zusammenarbeit hinaus. Es geht um den Versuch der Herstellung struktureller Angriffsunfähigkeit beider Seiten in Europa. Das tritt bei den heutigen konservativen Positionen in Bonn eher in den Hintergrund. Dann muß man sehen, daß Frankreich, und zwar quer durch die Parteien, eine völlig andere Einstellung zu Atomwaffen hat als wir, und man kann sagen, daß es in zunehmendem Maße seine konventionellen Streitkräfte – schon von der finanziellen Seite her – zugunsten seiner atomaren vernachlässigt. Dabei spielen die Kurzstreckenraketen der Franzosen, die sie „prästrategische“ Waffen nennen, eine besondere Rolle. Wir halten nichts von französischen Waffen, die im Ernstfall auf deutschem Boden eingesetzt würden. Ein Angreifer wird ja nicht dadurch abgeschreckt, daß man das Land der eigenen Verbündeten zerstört. Wir sind für eine Abschaffung der „prästrategischen Waffen“. Ich halte die Idee eines nuklearen „Warnschusses“ um zu zeigen, daß man es ernst meint, auch militärisch für sinnlos. Das ist fast ein solches Sandkastenspiel wie die NATO-Theorie von der „Eskalationsdominanz“. In Wirklichkeit würde in einem Kriege in wenigen Minuten entschieden werden müssen, nach dem ersten Atomwaffeneinsatz, ob man versucht, die Atomwaffen der anderen Seite auszuschalten. Man würde vermutlich in einer Krise, in einer Panik, Entscheidungen in Minutenkürze erleben über Präemptionsschläge und Prä-Präemptionsschläge. Die Idee, nun schießen wir erst mal ein bißchen nuklear und dann werden sich die Russen das überlegen, und wenn nicht, dann legen wir noch ein bißchen zu, ist und bleibt ein Sandkastenspiel.

W&F: Sehen das die französischen Sozialisten genauso?

Ehmke: Wir reden unseren französischen Freunden sehr zu, nicht die Pluton-Raketen durch Hades zu ersetzen, sondern die Hades gar nicht mehr zu bauen. Ich glaube, dazu beginnt sich in Frankreich eine Diskussion zu entwickeln. Ich hoffe, wir kommen von den „prästrategischen“ Waffen der Franzosen weg. Das wäre ein großer Fortschritt.

Es gibt in Frankreich aber noch andere Diskussionen. Die einen sagen, wenn wir die prästrategischen Waffen wegnehmen, dann konzentrieren wir uns ganz auf die U-Boote. Von dem französischen (und britischen) Standpunkt: Solange nicht die beiden Großmächte wirklich massiv runtergehen mit ihren Arsenalen tun wir gar nichts, wir modernisieren sogar noch unsere Arsenale – von dem müssen wir notgedrungen zunächst ausgehen. Am Ende aber müssen auch diese Waffen in Rüstungskontrolle und Abrüstung einbezogen werden.

W&F: Im Moment stehen aber auch die Zeichen hier eher auf Modernisierung.

Ehmke: Richtig. Es gibt eine Strömung in Frankreich, die wie in Deutschland der Meinung ist, wenn man die prästrategischen Waffen wegtut, dann braucht man nukleare Abstandswaffen. Das würden flugzeuggetragene Marschflugkörper sein. Wir kämpfen hierzuhause gegen diese Richtung und wir sind auch dagegen, daß Frankreich das macht, weil das einen neuen Rüstungswettlauf auslösen würde. Die Sowjets würden dann entsprechende Flugzeuge so ausrüsten, und es würde gleichzeitig, das ist auch längst in der Planung der Hardthöhe, ein Wettlauf beginnen mit Anti-Raketen-Raketen: Ein europäisches EVI oder ATBM. Dies darf nicht geschehen. Es reicht, solange es Atomwaffen gibt, nicht nur aus, was im Westen danach noch an Atomwaffen da ist. Beide Seiten haben auch dann noch viel zu viel.

Statt in einem zusätzlichen Bereich einen neuen Rüstungswettlauf zu beginnen, soll man versuchen, im Abbau der noch vorhandenen Potentiale weiterzukommen.

Dann kommt die eigentliche Frage der deutsch-französischen Zusammenarbeit: die liegt im konventionellen Bereich. Alles das, was an Truppen, an Reserven in Frankreich und Deutschland steht, hat drei große Vorteile gegenüber den Amerikanern. Erstens: Wir entscheiden selbst darüber und nicht die Amerikaner. Zweitens: Sie stehen schon auf dem Kontinent und brauchen nicht erst herübergeflogen zu werden. Das ist nämlich eine verwundbare Riesenoperation. Drittens: Die Leute kennen sich auf dem Kontinent aus.

Wir müssen also in vier Punkten mit den Franzosen einig werden: Gemeinsame Entspannungs- und Abrüstungspolitik für Europa, Definition über die eurostrategische Rolle der französischen U-Boot-Raketen, solange diese noch nicht in die Abrüstungsverhandlungen einbezogen werden, Abschaffung der prästrategischen Waffen und kein Ersatz durch luftgestützte Marschflugkörper. Schließlich enge Kooperation im konventionellen Bereich, aber nicht in der Art der deutsch-französischen Brigade. Das ist eine bloße Symbolhandlung, ohne ausbaufähige praktische Bedeutung.

W&F: Noch einmal zur konventionellen Zusammenarbeit mit Frankreich. Da entstehen doch eine ganze Reihe von militärischen Vernetzungen, die zusätzlich zur Struktur der NATO hinzukommen. Ist das nicht ein Hemmschuh für die auch von der Sozialdemokratie vertretene Forderung nach der Überwindung der Blöcke?

Ehmke: Nein, das müßte es nicht sein. Es ist ja nicht so, daß Frankreich völlig neben der NATO steht, sondern ein großer Teil der französischen Verteidigung ist integriert, ein Teil der Versorgungsnetze. Und außerdem ist es so, daß es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem französischen Generalstab und den NATO

Stäben gibt. Man könnte sich, wenn der europäische Pfeiler ausgebaut wird, ein anderes Bild vorstellen: Es gibt eine integrierte europäische Streitkraft mit einem europäischen Oberbefehlshaber an der Spitze, und die Koordinierung mit den amerikanischen Streitkräften erfolgt im Bereich des Bündnisses. Wir integrieren alle Europäer und machen dann eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern. Das wäre möglich, vielleicht sogar notwendig, wenn die Amerikaner reduzieren würden, was im Augenblick nicht zur Debatte steht, aber irgendwann kommen wird.

Schon heute hätten wir gerne eine klare Scheidung zwischen NATO-Oberbefehlshaber und dem Befehlshaber der amerikanischen Truppen in Europa. Wir sehen das nicht gerne, wenn US-Bombenangriffe auf Libyen von europäischem Boden aus geflogen werden, unter dem Kommando desselben Mannes, der Oberbefehlshaber der NATO in Europa ist, der dann eben nur den nationalen amerikanischen Hut aufsetzt. Wir wollen nicht in Gefahr geraten, automatisch in amerikanische Dinge reingezogen zu werden, die wir gar nicht wollen, die wir vielleicht sogar, wie den Angriff auf Libyen, für falsch halten und über den auch im Bündnis keine gemeinsame Willensbildung stattgefunden hat. Also, man konnte das umbauen. Aber das wäre ein langwieriger Prozeß.

W&F: In der Friedensbewegung wird immer vehementer die Forderung nach der Denuklearisierung Europas erhoben. Es gibt ein erhebliches Mißtrauen gegenüber den ständigen Beteuerungen der Politik, die behauptet, daß sie keine nuklearen Ambitionen hege. Das ist inzwischen in die Forderung nach einer atomwaffenfreien Bundesrepublik und nach einem Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz gemündet. Könnten Sie sich solchen Forderungen anschließen?

Ehmke: Mit Forderungen allein läßt sich keine Politik machen. Die SPD geht an diese Problematik anders heran: Wir wollen eine Entspannungspolitik, eine konventionelle Nichtangriffsfähigkeit und atomare Abrüstung in Europa und in der Folge gemeinsame Sicherheit für unseren Kontinent. Wir sind daher für eine Null-Lösung auch bei Kurzstreckenraketen und bei Gefechtsfeldwaffen und für eine Einigung über konventionelle Stabilität. Wenn das verwirklicht ist, dann hat man zunächst einmal ein Europa, in dem die Staaten, die selbst nicht Atommächte sind, keine Atomwaffen mehr auf ihrem Boden haben, und das wäre ein wirklicher Fortschritt.

Ich sehe einen Unterschied zwischen den Forderungen der Friedensbewegung und denen der SPD: Die Forderungen, alle Atomwaffen aus Europa abzuziehen, ohne zu sagen, in welchem Rahmen und unter welchen Bedingungen, ist mir zu fundamentalistisch. Wir sagen, daß dieser Zustand nur das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zwischen Ost und West sein kann, in den eines Tages auch die französischen und britischen Nuklearwaffen einbezogen werden müssen. Bloß zu sagen, wir wollen eine nuklearwaffenfreie Welt, nützt leider gar nichts, wenn man nicht die nächsten Schritte aufzuzeigen in der Lage ist. Ich glaube, im gemeinsamen Ziel sind wir uns einig – der Nürnberger Parteitag der SPD hat das Ziel der nuklearwaffenfreien Welt bekräftigt. In dem Aufzeigen der Schritte zu diesem Ziel unterscheiden wir uns.

W&F: Wie war das mit dem „Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz“? Halten Sie das für bloße Symbolik?

Ehmke: Nein. Ich hätte nichts dagegen, wenn das so wäre. Ich will keine deutschen Atomwaffen, auch keinen deutschen Finger an anderer Leute Atomwaffen. Nur bitte ich folgendes zu bedenken: Wir haben einen Zustand, in dem Deutschland durch Verträge, wie WEU-Vertrag und Nichtverbreitungsvertrag, sowie durch einseitige Erklärungen völkerrechtlich gebunden ist, damit auch nach Innerstaatlichem Recht. Wir sind ein Staat, der sich international verpflichtet hat, ABC-waffenfrei zu sein. Meine Sorge ist, daß das, was jetzt aus verständlichen Gründen erwogen wird, den Eindruck erweckt, wir seien gar nicht gebunden. Der Bundeskanzler hat einmal gesagt, die Mitgliedschaft, die Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis sei unsere Staatsräson. Die Meinung teile ich nicht Ich stelle dagegen: Die Bundesrepublik als atom-, biologie- und chemiewaffenfreies Land – das ist unsere Staatsräson.

Was wird nun mit einem Antrag der von Ihnen erwähnten Art, wenn er ins Parlament kommt, passieren? Er wird im Bundestag und im Bundesrat nicht die notwendige Zweidrittel-Mehrheit finden, und dann wird man sagen: Na gut, wir sind ja gar nicht gebunden. Man erreicht also in einer Sache die ich teile, etwas politisch Bedenkliches. Wir sollten in dieser Auseinandersetzung stärker den Schwerpunkt darauf legen, den Nichtverbreitungsvertrag zu verlängern und zu verbessern. Wenn es dort irgendwelche Zweifel gäbe, daß neuere Entwicklungen nicht abgedeckt würden durch den WEU- und den Nichtverbreitungsvertrag etc., dann sollten wir die Lücke sofort schließen. Die Sozialdemokraten haben entsprechende Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Sie soll erklären, wie sie die Bindung sieht. Das ist für mich ein interessanter Punkt in der Diskussion, weil ich im Endergebnis der Meinung bin, wenn wir nicht schon international gebunden wären, wenn das nicht zu meinem Selbstverständnis der Bundesrepublik gehören würde, würde ich es morgen unterschreiben. Ich fürchte nur, es ist eine Aktion, die sieht gut aus, es läßt sich auch ein bißchen mit ihr mobilisieren, hinterherkommt dann, wenn der Antrag abgelehnt wurde, der psychologische countdown. Zusammengefaßt: Die Intention ist richtig, aber in der Operation könnte es ein Bumerang werden.

W&F: Ein kritisches Resümee der Diskussion über sicherheitspolitische Fragen hat Anfang Februar der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Abrüstung und Rüstungskontrolle der SPD im Bundestag, Hermann Scheer, vorgelegt, und in einem internen Diskussionspapier hat er die Position der Partei zur atomaren Abschreckung massiver Kritik unterzogen. Scheer argumentiert, es sei bisher offen geblieben – Zitat -, „ob und in welcher Weise und wie lange wir noch am Abschreckungsprinzip festhalten sollten“, folglich habe die SPD Schwierigkeiten „bei der Formulierung einer Abrüstungsstrategie und in der Frage, ob ein Junktim zur Frage der konventionellen Abrüstung bestehen soll“.

Ehmke: Meines Erachtens stellen sich die Dinge anders dar. Zunächst einmal ist die Frage, will man als Endziel eine atomare Minimalabschreckung oder eine atomwaffenfreie Welt. Die SPD hat die Frage in Nürnberg klar beantwortet Wir wollen das letztere. Ronald Reagan und Michail Gorbatschow versichern uns jetzt, das man dazu auch kommen kann. Schön. Nun kommt aber die Frage, kann man die atomwaffenfreie Welt tatsächlich erreichen, und wie? Wir reden ja nicht über eigene Waffen, sondern über die der Großmächte und die anderer Länder. Die reale Entwicklung ist, daß wir heute nicht fünf Atommächte haben, sondern neun oder zehn, denn Israel, Pakistan, Indien und Südafrika dürften die Bombe auch haben, und die umstrittene Ikle-Kommission hat festgestellt, im Übergang zum nächsten Jahrtausend dürfte die Zahl der Länder, die Atomwaffen produzieren können, auf 40 steigen. Was übrigens unter anderem daran liegt, daß durch den Ausbau der zivilen Atomenergie große Mengen spaltbaren Materials „anfallen“, siehe ALKEM, NUKEM. Über unser Endziel, eine atomwaffenfreie Welt, entscheiden wir also nicht allein. Dazu brauchen wir Mehrheiten in unserem Land, dazu brauchen wir Mehrheiten in den USA, Mehrheiten im Bündnis, dazu brauchen wir Verständigung zwischen Ost und West. Wir müssen also nach dem nächstmöglichen Zwischenschritt auf dieses Ziel hin fragen. Der muß jetzt sein, herauszukommen aus der Rolle von Atomwaffen als Kriegsführungswaffen, weg mit den Gefechtsfeldwaffen, weg mit den nuklearen Bomben, weg mit Kurzstreckenraketen aus Europa.

Nicht nach diesem komischen Wort, „je kürzer die Raketen, desto toter die Deutschen“. Das halte ich für deutsche Larmoyanz. Die geht mir auf den Geist. Die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen, die Holländer, die Belgier, die hier mit ihren Familien stehen, die sind alle gleich bedroht. Nein: Es war ein grundsätzlicher Fehler des Westens (und dann des Ostens), unter dem Motto der flexible response sich in immer kleinere Atomwaffen zu flüchten. Die müssen zunächst mal weg. Eine weitere Gefahr sehe ich im Abbau des Nichtverbreitungsregimes. Das ist gefährdet, da darf man sich nichts vormachen. Die reale Entwicklung ist: während die Großen endlich anfangen, abzurüsten, rüsten die Kleinen auf. Je eher sich die Großen darüber einigen, die Atomwaffen aus ihrer Rolle als Kriegsführungswaffen herauszunehmen, um so eher wird es politisch wie moralisch möglich sein, den Nichtverbreitungsvertrag doch noch zu retten.

Es könnte, weil so viele Zwischenstufen notwendig sind, der Eindruck erweckt werden, als ob wir es mit dem Abrücken von den Atomwaffen und der auf sie gestützten Abschreckung nicht so ernst meinen, es nicht so eilig haben. Das ist nicht der Fall, wir müssen aber die verhandlungspsychologischen und politischen Realitäten in Rechnung stellen. Es hat wenig Sinn, stattdessen Grundsatzstreite zu fahren. Wir müssen einen mehrere Etappen umfassenden Prozeß organisieren, der von Mehrheiten getragen wird.

W&F: Haben Sie in Peking nicht das Ziel der Minimalabschreckung stärker gewichtet gegenüber dem Ziel der Atomwaffenfreiheit?

Ehmke: Ich habe es dort als „ehrgeiziges Zwischenziel“ bezeichnet

W&F: Das ist aber doch der Ausgangspunkt der Abschreckungsstrategie gewesen. Unabhängig davon, daß Minimalabschreckung ein etwas schwammiger Begriff ist; kommt man da nicht wieder in die Situation, die zum Zeitpunkt des Übergangs zur flexible response bestand, wo man geglaubt hat, das Atomwaffenarsenal immer weiter verfeinern zu müssen?

Ehmke: Das war der große Irrtum. Das war genauso falsch wie das MIRVen. Die Ausrüstung von Raketen mit mehr Sprengköpfen war damals der Weisheit letzter Schluß. Heute weiß man, daß das Quatsch war, weil man nämlich mit einem Sprengkopf eine Rakete mit zehn Sprengköpfen vernichten kann. Das MIRVen zielte auf den Erstschlag. Und so wie das falsch war, so war auch die ganze Miniaturisierung falsch. Ich will noch einmal sagen, warum ich so auf dieses Zwischenziel setze: Weil ich Angst habe – auch wieder ein Teil der Diskussion mit der Friedensbewegung -, daß, wenn wir uns jetzt verzetteln in der Frage, ob eine Null-Lösung für alle Atomwaffen heute in dieser Welt zu erreichen ist, wir die Kraft wegnehmen für die nächsten Schritte, die ich gerade skizziert habe. Die Forderung nach der atomwaffenfreien Welt ist richtig. Aber es ist – so sehe ich es – eine Frage, die wir heute gar nicht beantworten können. Zu meinen Lebzeiten wird das jedenfalls nicht mehr entschieden. Jetzt müssen wir zunächst raus aus der Rolle der Atomwaffen als atomaren Kriegsführungsmitteln.

W&F: Zu einem anderen Feld der SPD-Sicherheitspolitik. In dem Positionspapier Ihrer Fraktion zur Bundeswehrplanung von April 1988 wird auf den Beschluß des Nürnberger Parteitages verwiesen, der eine Begrenzung des Verteidigungshaushaltes auf 18 4 % des Gesamthaushaltes vorsieht. Es heißt dort auch weiter, daß auch bei einer Umrüstung, Umorientierung auf strukturelle Nichtangriffsfähigkeit und Vereinbarungen im Rahmen der konventionellen Rüstungskontrolle Einsparungen ehestens langfristig zu erwarten sind. Ist es nicht ein etwas bescheidenes Programm, hier am Status quo festzuhalten?

Ehmke: Das Problem, wann sich bei einer Umstellung auf strukturelle Angriffsunfähigkeit und bei einer Reduzierung der Streitkräfte wesentliche Einsparungen ergeben würden, ist wirklich vorsichtig zu beantworten. Die Umstellung kostet einen Haufen Geld. Sie müssen folgendes überlegen: wenn wir nicht bei unserer 500.000-Mann-Armee bleiben, sondern auf etwa 400.000 gehen, werden wir in stärkerem Maße auf Reservisten zurückgreifen und die aus der Wirtschaft herausholen müssen. Das ist eine teure Geschichte. Auch bei Zeitsoldaten, deren Zahl angehoben werden soll, konkurrieren Sie mit der Wirtschaft. Das wirft also eine Menge Probleme auf Wir möchten nicht die Illusion erwecken, mit der Überführung der Entspannungspolitik in eine wirkliche Abrüstungspolitik würden wir auf der Stelle zusätzliche Mittel freikriegen und der Einzelplan 14 könnte als eine Art Steinbruch für andere Dinge benutzt werden. Realistischerweise muß man leider sagen, daß das erst nach der Umstellung zu Buche schlagen kann. Ich glaube, es ist ehrlich, dies zu sagen.

W&F: Die ganzen Entwicklungen, die Sie skizziert haben, die man auch in die Formel von der zweiten Phase der Entspannungspolitik gegossen hat, setzen doch den Bruch mit der Abschreckungslogik voraus. Und die hat die NATO gerade erst wieder in einer Reihe von Konferenzen als Essential westlicher Sicherheitspolitik bekräftigt. Der ganze Modernisierungsprozeß der taktischen Nuklearwaffen beinhaltet das Beharren auf der Abschreckung. Können Sie sich für die sozialdemokratische Konzeption überhaupt einen Konsens innerhalb des Bündnisses vorstellen. Die sozialistischen Staaten scheinen dazu ja bereit zu sein. Das zeigen die Ergebnisse der Arbeitsgruppen der SPD mit den kommunistischen Parteien. Aber die Amerikaner gehören ja auch dazu, oder?

Ehmke: Wir haben ja nicht nur Arbeitsgruppen mit Osteuropa. Wir arbeiten vor allem mit unseren Freunden im Westen zusammen und es ist z.B. erstaunlich, wie wir in den letzten Jahren dort innerhalb der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien auf gemeinsame Plattformen gekommen sind. Für die konservative Presse ist es natürlich immer schöner zu sagen, was wir mit den Kommunisten besprechen, als das, was wir im eigenen Lager besprechen. Es war ein harter Kampf, bis wir uns mit der Entspannungspolitik Willy Brandts durchgesetzt hatten. Ich kann Ihnen zuhause noch einen Schuhkarton mit „Femeurteilen“ zeigen, in denen ich wegen „Verrats“ und „Preisgabe deutschen Bodens“ zum Tode verdammt worden bin. Ich habe das nicht vergessen. Es gab damals drei Parteien, die gegen die Helsinki-Schlußakte waren, die albanischen Kommunisten, die italienischen Neofaschisten und die deutschen Christdemokraten. Mein Eindruck ist, daß wir mit unserem Konzept der Gemeinsamen Sicherheit, die so viel Vertrauen schafft, daß sich keiner vom anderen bedroht fühlt, schneller vorangekommen sind als seinerzeit mit unserem Konzept der Entspannungs- und Ostpolitik. Der Durchbruch war damals viel schwieriger. Heute bewegen wir eine Menge. Mit genügend Unterstützung, gerade auch von der Friedensbewegung, können wir es schaffen.

W&F: Wir danken für dieses Gespräch.

START oder Fehlzündung? Abrüstung oder Umrüstung?

START oder Fehlzündung? Abrüstung oder Umrüstung?

von Randolph Nikutta

Nach dem Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow in Washington im Dezember 1987 konzentrierte sich die politische Aufmerksamkeit und das öffentliche Interesse verstärkt auf den Bereich der strategischen Nuklearrüstung und eine mögliche neue Rüstungskontroll-Vereinbarung. Das INF-Abkommen weckte Hoffnungen, daß Rüstungskontrolle in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zu weiteren Abrüstungsschritten führen könnte. Präsident Reagan sprach gar von der Aussicht auf einen neuen historischen „Vertrag“. Unter dem Gesichtspunkt der Abrüstung war Rüstungskontrolle in der Vergangenheit jedoch wenig erfolgreich.

In den SALT-Verhandlungen (Strategic Arms Limitation Talks) der 70er Jahre kam eine reale Abrüstung bei den strategischen Waffensystemen nicht zustande. Vielmehr versuchten beide Weltmächte in SALT-I und SALT-II, ihre asymmetrischen strategischen Rüstungspotentiale durch in etwa gleiche Obergrenzen bei den Trägersystemen, die aber relativ hoch angesetzt wurden, auszubalancieren. Reduzierungen sollten späteren Verhandlungen vorbehalten bleiben. Somit regulierte SALT 1 primär den quantitativen Rüstungszuwachs zwischen den beiden führenden Weltmächten.

Die Reagan-Administration trat im Januar 1981 mit dem politischen Vorsatz an, daß zuerst das militärische Potential der USA erheblich aufgestockt werden müsse, um dann anschließend mit der Sowjetunion aus einer Position der Stärke heraus über Rüstungskontrolle verhandeln zu können. Dieser Maxime gemäß wurden die amerikanischen Militärausgaben stark erhöht und umfangreiche strategische Aufrüstungs- und Modernisierungsprogramme in Gang gesetzt. Erst im Juni 1982 nahmen dann die USA und die UdSSR Wiederverhandlungen über strategische Rüstungskontrolle auf. Als neues Ziel amerikanischer Rüstungskontrollpolitik kündigte die Reagan-Regierung an, nunmehr einschneidende und militärisch signifikante Reduzierungen im strategischen Nuklearwaffenarsenal anzustreben. Um diesen neuen Ansatz nach außen hin sichtbar zu machen, wurde SALT in START (Strategie Arms Reduction Talks = Gespräche über die Verminderung strategischer Waffen) umbenannt.

Der Kern der amerikanischen Ausgangsposition bei START bestand darin, Abrüstung durch tiefe Einschnitte (deep Cuts) ausschließlich „bei den am meisten destabilisierenden Nuklearsystemen“, nämlich ballistischen, speziell landgestützten Raketen und ihren nuklearen Gefechtsköpfen, zu suchen. Drastische Einschnitte bei den sowjetischen landgestützten ICBMs (Inter Continental Ballistic Missiles) hatte die damalige konservative Opposition im Zusammenhang mit der Ablehnung des SALT-II-Vertrages gefordert, durch den sie einseitig sowjetische Vorteile gefördert sah. Von sowjetischer Seite wurde der mit dieser Zielrichtung in die Verhandlungen eingebrachte amerikanische Ausgangsvorschlag als unannehmbar zurückgewiesen. Hauptsächliche Gründe für die Ablehnung waren vor allem die Ausklammerung der Bomber und Marschflugkörper sowie der Sachverhalt, daß die UdSSR im Gegensatz zu den USA die Struktur ihres strategischen Arsenals einschneidend hätte verändern müssen, wenn sie den amerikanischen Reduzierungsvorstellungen nachgekommen wäre. Außerdem wäre es den USA auf der Grundlage ihres Verhandlungsvorschlages möglich gewesen, ihre geplanten strategischen Modernisierungsprogramme (MX-ICBM und TRIDENT-SLBM = Sea Launched Ballistic Missiles) ohne große Abstriche innerhalb der vorgesehenen Obergrenzen weiter durchzuziehen.

Zwar wurden im Verlauf der Zeit Positionsannäherungen in Teilbereichen erreicht, aber substantielle Fortschritte blieben aus, weil beiden Seiten der politische Wille zum Kompromiß fehlte. Die Gründe dafür lagen in dem allgemein durch erhöhte Spannungen gekennzeichneten bilateralen Verhältnis, welches vor allem durch die drastische Aufrüstung sowie die Kalte-Krieg-Rhetorik der Reagan-Administration belastet wurde und dem Scheitern der INF-Verhandlungen. Aus Protest gegen den Beginn der Stationierung neuer amerikanischer INF-Flugkörper in Westeuropa unterbrach die Sowjetunion schließlich die Rüstungskontrollverhandlungen mit den USA für unbestimmte Zeit.

Im März 1985 nahmen beide Weltmächte wieder Verhandlungen in Genf auf. Im Gegensatz zur vorherigen Situation sind die Gespräche über Verminderungen strategischer Offensivwaffen diesmal ein Bestandteil eines übergreifenden Verhandlungsforums, welches unter der Bezeichnung „Nuclear and Space Arms Talks“ (Verhandlungen über Nuklear- und Weltraumwaffen) eingerichtet wurde. Zu diesem gehören noch die 1987 erfolgreich abgeschlossenen Gespräche über die INF-Waffen sowie die Verhandlungen über Verteidigungs- und Weltraumwaffen. Der Grund für die Ausweitung des Verhandlungsmandats über die strategischen Offensivwaffen hinweg liegt in dem amerikanischen SDI-Projekt. Für die UdSSR besteht zwischen offensiven und defensiven Systemen ein elementarer Zusammenhang. In der Sicht der sowjetischen Führung stellt SDI den Versuch der USA dar, das existierende Rüstungskontrollregime in der Form des ABM- und des allerdings nicht ratifizierten SALT-II-Vertrages zu verlassen, um dann über die Dislozierung von BMD-Systemen (Ballistic Missile Defense) und die gleichzeitige vertragliche Beschränkung der Anzahl ballistischer Raketen vermittels START sowie die zulässige Modernisierung von anderen Typen von Offensivwaffen (primär Bomber und Marschflugkörper) einen militärstrategischen Vorteil gegenüber der UdSSR zu erlangen. Aufgrund dieser Befürchtungen will die Sowjetunion SDI vertraglichen Beschränkungen unterwerfen, welche die Dislozierung eines strategischen Raketenabwehrsystems unterbinden oder doch zumindest zeitlich verlangsamen.

Bei ihrem ersten Gipfeltreffen in Genf im November 1985 haben sich Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow allgemein auf das Prinzip einer 50prozentigen Reduktion der Nuklearwaffen im Rahmen von START verständigt. Seitdem haben beide Seiten zwar eine Reihe ihrer Differenzen verringert oder beigelegt, doch bei etlichen Schlüsselpunkten, wie etwa der Frage der Zulässigkeit oder vertraglichen Einbindung von Raketenabwehrsystemen, liegen die Auffassungen noch weit auseinander. Nach dem Gipfeltreffen von Reykjavik spezifizierten die USA und die UdSSR in einem gemeinsamen Arbeitsdokument die Punkte der Übereinstimmung und Abweichung zu Schlüsselbereichen der Verhandlungen. Auf dieser Grundlage legten dann beide Weltmächte 1987 schriftliche Vertragsentwürfe vor. Bei dem Washingtoner Gipfeltreffen und danach konnten zwar einige weitere Verhandlungspunkte geklärt werden, aber nach Ansicht vieler Rüstungskontrollexperten befinden sich die Verhandlungen immer noch in einer tiefen Sackgasse, die primär durch grundlegend verschiedene Ansichten über die Rolle von strategischen Offensiv- und Defensivwaffen geprägt ist.2

Nachfolgend sollen eine Übersicht über den aktuellen Verhandlungsstand bei START (April 1988) gegeben sowie die Aussichten und die möglichen Folgen eines Abkommens erörtert werden. Insbesondere geht es dabei um die beiden Aspekte ob START tatsächlich zu einer allgemeinen 50prozentigen Reduzierung sämtlicher Nuklearwaffen und zu einer Eindämmung der qualitativen Rüstungsdynamik führen wird.3

Verhandlungsstand – Punkte der Übereinstimmung

Strategische Trägersysteme: Begrenzung der strategischen nuklearen Trägersysteme auf 1.600 Waffen, die eine Reduzierung der Anzahl von ICBMs, SLBMs und schweren Bombern einschließt. Jedoch bleibt ein Problem im Rahmen dieses Gesamtplafonds noch zu lösen: die USA wollen die Raketen zählen, während die Sowjets mehr für eine Zählung der Abschußgestelle sind. Das Problem der Nachladungen für Abschußgestelle soll als ein getrennter Gegenstand verhandelt werden und gilt nicht als ein größeres Hindernis. Fallengelassen hat die UdSSR inzwischen ihre Forderung nach einer Einbeziehung der sogenannten „Forward Based Systeme“, wodurch amerikanische INF-Systeme, Mittelstreckenbomber sowie Flugzeugträger miteinbezogen worden wären, die von der amerikanischen Administration nicht als strategische Systeme eingestuft werden.

Gefechtsköpfe: Beide Seiten vermindern die Anzahl ihrer strategischen Nukleargefechtsköpfe auf jeweils 6.000 Stück. Voraussetzung für diese Einigung war eine Absprache über die sogenannten Zählregeln (vgl. unten) für die Nukleargefechtsköpfe.

Untergrenzen: Bei ihrem Washingtoner Gipfeltreffen verständigten sich die USA und UdSSR auf eine Untergrenze von 4.900 Nukleargefechtsköpfen auf ballistischen Raketen – ICMBs und SLBMs – im Rahmen des Gesamtplafonds von 6.000. Innerhalb dieser Untergrenze haben die Sowjets einer weiteren Untergrenze von 1.540 Gefechtsköpfen auf 154 sogenannten schweren ICBMs zugestimmt. Dies würde auf sowjetischer Seite eine Halbierung der Anzahl von Gefechtsköpfen in dieser Kategorie von ICBMs (SS 18) bedeuten.

Zählregeln: Verständigt haben sich die Unterhändler inzwischen auch auf die Zählregeln,

Über welche die Anzahl des vorhandenen Gesamtbestandes an Gefechtsköpfen jeder Seite festgelegt wird, von der aus dann die vereinbarten Reduzierungen vorgenommen werden sollen. Diese Kriterien sind sehr wichtig, weil moderne ballistische Raketen eine große Anzahl von einzelnen Gefechtsköpfen tragen und strategische Bomber eine breit diversifizierte Waffenzuladung aufweisen können. Es ist äußerst schwierig, die tatsächliche Anzahl von Gefechtsköpfen oder Waffenzuladung auf diesen Trägersystemen jederzeit zu verifizieren. Aus diesem Grund basieren die Verhandlungsparteien ihre Reduzierungsberechnungen auf solchen Zählregeln.

Bezüglich ballistischer Raketen ist die Berechnungsgrundlage die Zahl der Gefechtsköpfe, mit denen ein bestimmter Typ bislang getestet worden ist. So ist z.B. für die neue amerikanische SLBM, die TRIDENT II, eine Anrechnung von 8 Gefechtsköpfen vereinbart worden. Jedoch hat die US Navy ursprünglich geplant, diese Rakete während des Washingtoner Gipfeltreffens auch in einer Version mit 12 Gefechtsköpfen zu testen. Würden nun 12 Gefechtsköpfe für diese Rakete als neue Zählregel vereinbart, dann müßten die USA die Anzahl von TRIDENT II SLBMs im Rahmen eines START-Abkommens vermindern, selbst wenn die Zahl der aktuell dislozierten Gefechtsköpfe auf diesem Raketentyp niedriger ausfällt.

Auch für strategische Bomber erzielten beide Seiten eine prinzipielle Einigung. Moderne strategische Bomber können drei verschiedeneTypen von Nuklearwaffen tragen: Bomben, Luft-Boden-Raketen (ASMs) und luftgestützte Marschflugkörper (ALCMs). Die USA und die Sowjetunion verständigten sich darauf, daß alle Bomben und ASMs an Bord eines Bombers als ein Gefechtskopf innerhalb der Gesamtobergrenzen von 6.000 zählen. So würde einem strategischen Bomber, der eine Waffenzuladung von 24 Bomben/ASMs hat, nur ein Gefechtskopf, und nicht 24 angerechnet. Dagegen zählt jeder ALCM als ein Gefechtskopf. Ein Bomber, bestückt mit 8, 12 oder 22 ALCMs, würde daher mit der entsprechenden gleichen Anzahl von Gefechtsköpfen in die Gesamtrechnung eingehen. Schwierigkeiten gibt es jedoch noch bei der genauen Festlegung, wieviele ALCM einem spezifischen Bomber angerechnet werden sollen. So haben die Sowjets amerikanische Vorschläge zurückgewiesen, der B-52 oder B-1 erheblich weniger als die 12 oder respektive 22 ALCMs anzurechnen, die sie tatsächlich als Waffenzuladung aufnahmen können.

Seegestützte Marschflugkörper: Bei dieser Waffenkategorie konnten sich beide Weltmächte bislang nur darauf verständigen, daß es prinzipiell eine Obergrenze für diese Waffen geben sollten, die aber außerhalb des anvisierten Gesamtplafonds von 1.600 Trägersystemen und 6.000 Gefechtsköpfen liegen wird.

Verifikation: Fortschritt haben die USA und UdSSR, vor allem beim Gipfeltreffen in Washington, in der Festlegung des prinzipiellen Umfangs und der Art von Verifikationsmaßnahmen erzielt. Die vorgesehenen Verifikationsmaßnahmen bauen auf dem INF-Vertrag auf, gehen aber weit über diesen hinaus. Sie haben im Rahmen von START auch ein größeres Gewicht. Während bei den zur Verschrottung vorgesehenen INF-Flugkörpern nur zu kontrollieren ist, daß keine Seite künftig mehr solche Systeme besitzt, würden bei den strategischen Waffen trotz der vereinbarten Reduzierungen weiterhin Systeme sämtlicher Kategorien stationiert sein. Im einzelnen wurde vereinbart: 1) Datenaustausch vor Unterzeichnung des Vertrages; 2) Inspektionen zur Datenüberprüfung unmittelbar nach Inkrafttreten des Vertrages; 3) Vor-Ort-Inspektionen bei der Eliminierung strategischer Waffen; 4) ständige Vor-Ort-Beobachtung an den Zugängen wichtiger Produktions- und Unterstützungseinrichtungen für strategische Waffen; 5) kurzfristige Vor-Ort-Inspektionen von im Vertrag deklarierten Einrichtungen; 6) das Recht zu kurzfristigen Vor-Ort-Inspektionen auch an anderen Stellen, wenn der Verdacht einer Vertragsverletzung besteht; 7)Verbot der Verschlüsselung von telemetrischen Signalen bei Raketentests; 8) kooperative Maßnahmen, die insbesondere den Einsatz der nationalen technischen Mittel zur Verifikation, z.B. Satellitenbeobachtung, effektivieren. Dies schließt z.B. die Zurschaustellung von Raketen, Bombern und U-Booten im Freien auf ihren Basen ein, wenn eine Vertragspartei ein entsprechendes Verlangen äußert.

Bereiche differierender Positionen

Verknüpfung START und SDI/ABM-Vertrag: Die Bereitschaft zum Abschluß eines START-Vertrages verbindet die sowjetische Seite mit der nicht verhandelbaren Bedingung, Reduzierungen von strategischen Offensivwaffen nur mit einer verbindlichen amerikanischen Zusicherung der weiteren Einhaltung des 1972 geschlossenen und weiterhin gültigen ABM-Vertrages (Anti-Ballistic Missile) vorzunehmen. Dabei geht es konkret um die Vereinbarkeit von SDI mit einem START-Abkommen. Die UdSSR argumentiert, daß ohne eine vertraglich verbindliche Verständigung über strategische Defensivsysteme im Kontext von START die Verminderung ihrer strategischen Raketen für sie keinen Sinn ergebe. Für die Sowjetunion sind ihre strategischen Raketen, insbesondere die ICBMs, das wichtigste Faustpfand für das Einfordern einer solchen „Linkage“ in den Verhandlungen.

Ungeklärt ist zwischen beiden Verhandlungsparteien, wie lange und auf welche Weise sie den ABM-Vertrag einhalten wollen. Die Sowjetunion fordert zehn Jahre, die USA bieten sieben Jahre an. Jedoch verständigten sich der amerikanische Präsident und der sowjetische Generalsekretär bei ihrem letzten Gipfeltreffen darauf, nicht später als drei Jahre vor dem Ende der noch zu bestimmenden Gültigkeitsdauer des ABM

Vertrages „intensive Diskussionen über strategische Stabilität“ aufzunehmen.

Falls während dieser drei Jahre keine Vereinbarung über das weitere Vorgehen bezüglich weltraumgestützter Defensivsysteme erzielt werden kann, soll es jeder Seite freistehen, über ihr künftiges Handeln in diesem Bereich selbst zu entscheiden. Danach könnten die USA also ein strategisches Raketenabwehrsystem stationieren.

Zwar wurde beim Washingtoner Gipfeltreffen auch verabredet, den ABM-Vertrag wie 1972 unterzeichnet zu beachten, jedoch ist strittig, was dieser Vertrag nun genau an Forschung, Entwicklung und Erprobung von BMD-Komponenten erlaubt. Die UdSSR sieht hier sehr enge Grenzen gezogen („restriktive Auslegung“), während die USA die sogenannte weite Interpretation für gerechtfertigt halten. Allerdings deuteten die sowjetischen Unterhändler eine gewisse Kompromißbereitschaft an, indem sie vorschlugen, eine Liste zu erstellen, in der festgelegt wird, welche Arten von BMD-Technologien und Tests genau erlaubt sein sollen.

Untergrenzen: Ein weiterer Streitpunkt bezieht sich auf das Problem, wie die als Höchstgrenze vereinbarten 6.000 Nukleargefechtsköpfe auf den verschiedenen Kategorien von strategischen Offensivwaffen verteilt sein sollen. Auf gewisse Untergrenzen haben sich beide Seiten inzwischen schon weiter verständigt (4.900 Sprengköpfe auf ballistischen Raketen sowie innerhalb dieser Untergrenze 1.540 Sprengköpfe auf den schweren sowjetischen ICBMs; siehe oben). Darüber hinaus haben jedoch sowohl die USA als auch die UdSSR im Laufe der Zeit verschiedene weitere spezifische Untergrenzen vorgeschlagen und sich dabei gegenseitig beschuldigt, über dieses Mittel den anderen zu einer vollständigen Umstrukturierung seines strategischen Nukleararsenals zu zwingen und dies zum eigenen Vorteil vertraglich festzuschreiben. Die strategischen Potentiale beider Seiten sind sehr asymmetrisch aufgebaut: So haben die USA den Großteil ihrer Nukleargefechtsköpfe in ihrer strategischen Triade auf U-Boote und auch ihre schweren Bomber verteilt (ICBM: 18 %; SLBM: 43 %; Bombergestützt [ALCM/SRAM/Bomben]: 39 %), während der Großteil sowjetischer Sprengköpfe sich auf landgestützten, ICBMs befindet (ICBM: 61 %; SLBM: 29 %; Bombergestützt: 10%).

Den USA geht es bei START vor allem um die weitere Begrenzung sowjetischer ICBMs. Innerhalb der Untergrenze von 4.900 Gefechtsköpfen auf ballistischen Raketen streben sie eine weitere von 3.300 Gefechtsköpfen für ICBMs an. Eine weitere geforderte Untergrenze bei schweren ICBMs hat sich durch das sowjetische Einverständnis einer Halbierung ihres Bestands in dieser Kategorie bereits erledigt. Da der amerikanische Vorschlag direkte Untergrenzen für den see- und bombergestützten Teil der strategischen Triade nicht vorsieht, wäre es den USA erlaubt, erheblich weniger als die 3.300 erlaubten Gefechtsköpfe auf ICBMs zu dislozieren und den dort eingesparten Anteil auf SLBMs, Bombern oder ALCMs zu verschieben. Im Extremfall könnten die USA sogar ganz auf ICMBs verzichten. Eine derartige Umstrukturierung des strategischen Potentials soll nach amerikanischer Auffassung jedoch nur einmal möglich sein. Mit diesem Vorschlag versuchen die USA, ihren seit Mitte der 80er Jahre ohnehin im Gang befindlichen Umrüstungsprozeß ihres strategischen Arsenals, der langfristig eine Verlagerung der militärischen Konkurrenz auf Bomber und Marschflugkörper anstrebt, wo relative rüstungstechnologische Vorteile der USA gegenüber der Sowjetunion bestehen, rüstungskontrollpolitisch abzusichern.

Die Sowjetunion hat demgegenüber weitere Untergrenzen vorgeschlagen, welche die Struktur ihres strategischen Potentials weitgehend erhalten und zugleich amerikanische Vorteile im Rüstungswettlauf begrenzen helfen. Sie will das von den USA geforderte Limit bei ICBM-Gefechtsköpfen jedoch nur akzeptieren, wenn die amerikanische Seite die Zahl ihrer Sprengköpfe auf den strategischen U-Booten in dem gleichen Rahmen halten. Allerdings möchte die UdSSR lieber Untergrenzen bei Gefechtsköpfen für alle drei Komponenten der strategischen Triade setzen:

  • 3.000–3.300 auf ICBMs,
  • 1.800–2.000 auf SLBMs und
  • 800–900 auf ALCMs.

Dadurch werden Grenzen für eine Umschichtung der Gefechtsköpfe auf andere Träger gesetzt. Die Vorgabe einer maximalen Höhe von Nukleargefechtsköpfen auch auf SLBMs und ALCMs bedeutet konkret, daß die USA je nach Vereinbarung zwischen 3.000–3.300 Sprengköpfe auf ICBMs dislozieren müssen, wenn sie den vereinbarten Gesamtplafond von 6.000 Gefechtsköpfen ausfüllen möchten. Für die USA würde die Annahme dieses Vorschlags implizieren, daß sie nur 10 strategische U-Boote mit SLBMs einsetzen könnten und gezwungen wären, ihrem ICBM-Arsenal 1.000 nicht gewünschte Gefechtsköpfe hinzuzufügen.

Mobile landgestützte ICBM: Dem amerikanischen START-Vertragsentwurf zufolge sollen mobile ICBMs verboten sein, während die sowjetische Version diese Waffenkategorie zuläßt. Im Gegensatz zu den USA baut und stationiert die UdSSR gegenwärtig mobile ICBMs (SS-24 und SS-25). Auf sowjetischer Seite wird argumentiert, daß mobile Raketen die strategische Stabilität mehr fördern würden als statische, in Silos dislozierte ICBMs, weil erstere sicherer vor einem überraschenden Erstschlag seien und die betroffene Seite nicht vor das „use them or lose them“-Syndrom stellen. Die Reagan-Administration hält schlicht dagegen, daß mobile ICBMs nicht verifizierbar seien. Jedoch könnte sich die amerikanische Haltung zu dieser Frage ändern, weil es einerseits im US-Kongreß starke Unterstützung für eine mobile ICBM mit einem Gefechtskopf (Midgetman) gibt und andererseits die Regierung momentan ernsthaft die Dislozierung einer auf Eisenbahnwaggons mobilen Version der MX erwägt. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt darin, ob sich beide Seiten auf akzeptable Verifikationsprozeduren sowie auf Obergrenzen für mobile ICBMs einigen können. Bezüglich des Verifikationsproblems hat die sowjetische Seite angeregt, mobile ICBMs auf vorher festgelegte Dislozierungsräume zu beschränken. Zum letzteren Aspekt hat die UdSSR inzwischen ihre Bereitschaft zu einem Limit von 800 mobilen Raketen erklärt.

Seegestützte Marschflugkörper: Die Entwicklung von Marschflugkörpern im allgemeinen und von SLCMs im besonderen hat für die Rüstungskontrolle eine Reihe von erheblichen Schwierigkeiten aufgeworfen. Zwar sind sich beide Verhandlungsparteien darin einig, Obergrenzen für nuklearbestückte SLCMs langer Reichweite außerhalb des 6.000 Gefechtskopf-Limits zu suchen. Doch von einer Verständigung über die SLCM-Obergrenzen und ein Verifikationsregime sind die USA und die UdSSR noch weit entfernt.. Die sowjetische Seite hat eine Begrenzung von 400 SLCMs vorgeschlagen, die auf zwei verschiedenen Typen von U-Booten sowie einer Klasse von Überwasser-Kriegsschiffen stationiert sein dürfen. Gleichzeitig strebt sie auch eine Limitierung fr die mit konventionellen Gefechtsköpfen bestückten SLCMs auf 600 Stück an. Zur Verifikation der Unterscheidung zwischen nuklearen und konventionellen SLCMs unterbreitete die UdSSR den Plan, Inspektoren an den Produktionseinrichtungen und den Stützpunkten zu stationieren, wo die Gefechtsköpfe auf die Marschflugkörper aufgesetzt werden. Angeregt wurde auch die Anbringung von Siegeln an den Gefechtsköpfen oder die Überwachung mit Hilfe von radiologischen Gerätschaften. Vor-Ort-Inspektionen der U-Boote oder Schiffe sollten nur bei Bedarf vorgenommen werden. Der sowjetische Chefunterhändler Karpow hat jüngst deutlich betont, daß es ohne verifizierbare Restriktionen für SLCMs kein START-Abkommen geben wird. Er schloß auch ein Tauschgeschäft der Art aus, SLMCs und mobile ICBMs im Austausch gegenseitig vollständig abzurüsten. Innerhalb der amerikanischen Administration herrscht gegenwärtig eine heftige Debatte, welche Obergrenzen für nukleare SLCMs und welche Art von Verifikationsmaßnahmen akzeptabel sein könnten. Limits fr konventionell bestückte SLCMs als auch ALCMs kommen für die Reagan-Regierung in keinerweise in Frage, denn diese Version der Marschflugkörper ist ein fest eingeplanter Bestandteil der Aufrüstung und Modernisierung des eigenen militärischen Potentials. Auch im amerikanischen Kongreß sind einflußreiche Stimmen für die Aufrechterhaltung der Option einer umfangreichen Dislozierung von konventionellen SLCMs und ALCMs vorhanden.

Reichweite von Marschflugkörpern: Erhebliche Differenzen bestehen zwischen beiden Verhandlungsseiten auch hinsichtlich der bedeutenden Frage, ab welcher Reichweite Marschflugkörper als strategische Waffensysteme eingestuft werden sollen. Die USA wollen Marschlugkörper erst mit einer Reichweite ab 1.500 km als strategisch zählen, während die Sowjetunion hier auf einer Schwelle von 600 km beharrt. Dieser Reichweitenstreit gewinnt seine eminent militärische Bedeutung insbesondere im Zusammenhang mit der von den USA als erforderlich angesehenen kompensierenden Nuklearrüstung, die vorrangig auf ALCMs und SLCMs unterhalb der strategischen Ebene abhebt, für Westeuropa im Gefolge des INF-Abkommens. Aber auch wegen möglicher Einsätze von Marschflugkörpern bei Interventionen in der Dritten Welt wollen die USA die Reichweite, ab der diese Systeme als strategisch gelten sollen, relativ hoch angesiedelt wissen.

Modernisierung der strategischen Arsenale: Die Modernisierung strategischer Waffensysteme innerhalb der vertraglich gesetzten numerischen Grenzen soll zwar erlaubt sein, doch sollen nach amerikanischer Ansicht neue schwere ICBMs nicht zulässig sein. Zudem bestehen die USA noch auf geeigneten Verifikationsprozeduren für ein Modernisierungsverbot schwerer ICBMs.

Zeitdauer der Reduzierungen: Die USA schlagen einen Zeitraum von sieben Jahren für die Realisierung der vereinbarten Reduzierung im Rahmen von START vor, während die sowjetische Seite hier eine Spanne von fünf Jahren anstrebt. Darüber hinaus möchte die UdSSR die Gegenseite darauf verpflichten, anschließend Verhandlungen über weitere Reduzierung zu führen.

Verifikationen: Die noch zu lösenden Schlüsselpunkte bei der Verifikationsfrage betreffen die Art und Weise der Überwachung der noch zu vereinbarenden Limits bei mobilen ICBMs und SLCMs. Hier ist gegenwärtig wenig Fortschritt zu verzeichnend

Abrüstungspolitische Folgen von START

Legt man den gegenwärtigen Verhandlungsstand und den sich abzeichnenden Rahmen eines START-Abkommens zugrunde, so ist Skepsis angebracht, ob dadurch tatsächlich ein Weg zu allgemeiner Abrüstung geöffnet wird.

Entgegen dem von der amerikanischen als auch sowjetischen Seite verbreiteten Eindruck, ein START-Abkommen würde zu einer 50prozentigen Reduzierung auf gleiche Obergrenzen bei den strategischen Offensivwaffen führen, sieht die rüstungskontrollpolitische Realität anders aus. Ein START-Vertrag würde weder die strategischen Trägersysteme, die Gesamtzahl der strategischen Nukleargefechtsköpfe noch die Gefechtsköpfe auf ballistischen Raketen halbieren. So hat das „Natural Resources Defense Council“ in einer Studie ausgerechnet, daß bei den strategischen Trägersystemen die USA lediglich um 26 % und die UdSSR um 35 % ihren jetzigen Bestand reduzieren würden. Der einzige Bereich, in dem wirklich eine Bestandshalbierung stattfinden würde, wären die Nukleargefechtsköpfe auf den sowjetischen ballistischen Raketen (von ungefähr 9.400 auf 4.900), während die USA hier um 40 % vermindern würden.4

Zieht man jedoch die Gesamtzahl der Gefechtsköpfe vor und nach einem Vertrag heran, dann wird jede Seite faktisch über mehr als die 6.000 Gefechtsköpfe verfügen, die als Gesamtobergrenze für START in Aussicht genommen sind. Der Hauptgrund dafür liegt in den Zählregeln für die Waffenzuladung strategischer Bomber (s.o.). Da die Bomber mehr an Waffen mitführen können, als ihnen voraussichtlich angerechnet wird, werden die realen Verminderungen bezogen auf diesen für das strategische Kräfteverhältnis wichtigen Indikator vor allem für die USA deutlich geringer ausfallen. Nach den Berechnungen des „Natural Resources Defense Council“ wird die amerikanische Seite ihren Gesamtbestand an strategischen Nukleargefechtsköpfen nur um 30 % reduzieren. Nach einem START-Abkommen verbleiben den USA tatsächlich rund 9.000 Gefechtsköpfe. Die Sowjetunion würde ihr Arsenal um ca. 30 % auf rund 7.000 Gefechtsköpfe vermindern. Weil die UdSSR einen großen Teil ihrer Gefechtsköpfe auf ICBMs disloziert hat profitiert sie von den Zählregeln für Bombe; nicht in dem Maße wie die USA. Insgesamt würde sich das strategische Arsenal an Gefechtsköpfen beider Weltmächte zusammengenommen lediglich um rund ein Drittel vermindern.5

Im Rahmen eines START-Vertrages müßten beide Seiten ein beträchtliches Maß an Systemen aus ihrem strategischen Potential aussondern und verschrotten. Dabei wird die UdSSR eine größere Anzahl an Waffensystemen und auch eine höhere Zahl an neueren Raketen zu eliminieren haben. Da jedoch die Verschrottung frühestens 1989 und auch nicht auf einmal, sondern verteilt auf einen Zeitraum von 5-7 Jahren stattfinden würde, fällt der Zeitpunkt der Aussonderung in vielen Fällen ohnehin mit dem Ende der Nutzungsdauer der betroffenen Waffensysteme zusammen. Ein START-Abkommen würde daher mit den Austausch- und Modernisierungszyklen der vorhandenen strategischen Waffensysteme nicht groß konfligieren. So wurden z.B. die gegenwärtig 28 strategischen U-Boote der Lafayette/Franklin Klasse der USA zwischen 1963 und 1967 eingeführt. Ihre Aussonderung und Ersetzung durch U-Boote der Ohio-Klasse ist für den Zeitraum zwischen 1993 und 1999 vorgesehen. Der amerikanische B-52G Bomber wurde von 1958 bis 1960 und das B-52H Modell zwischen 1960 und 1962 gebaut. Diese Bomber werden gegenwärtig durch die B-1B ersetzt und ab 1992 soll der ganze Bomberbestand auf den „Advanced Technology Bomber“ mit „Stealth“-Technik umgerüstet werden. Die sowjetischen Militärs müßten z.B. teilweise oder ganz ICBMs der Typen SS-17, SS-18 und SS-19 verschrotten, die erst zwischen 1975 und 1980 disloziert und darüber hinaus kürzlich modifiziert und verbessert worden sind.6

Die vorhergehenden Ausführungen deuten bereits an, daß ein START-Vertrag einer Modernisierung der strategischen Offensivpotentiale beider Seiten nicht sonderlich im Weg stehen würde. Sowohl die USA als auch die UdSSR können mit sämtlichen in der Forschung, Entwicklung, Erprobung oder Stationierung befindlichen strategischen Offensivwaffen fortfahren (USA: B-1B; SRAM II; Advanced Technology Bomber; TRIDENT II D5 SLBM; Advanced Cruise Missile; Advanced Strategic Missile etc.; UdSSR: SS-24 und SS-25 ICBMs; Typhoon und Delta IV U-Boote; SS-N-20 und SS-N-23 SLBMs; der Black-Jack-Bomber; AS-15 ALCM etc.). Gegenwärtig produzierte Systeme könnten unter START mit ihren geplanten Stückzahlen entweder vollständig oder mit kleineren Abstrichen disloziert werden (z.B. USA: 100 B-1B Bomber; 17 Trident U-Boote mit Trident II SLBMs anstelle von 20).7

Die unter einem START-Abkommen kaum eingeschränkten Modernisierungsmöglichkeiten der strategischen Arsenale werden daher in der Folge zu einer Fortsetzung der technologischen Rüstungsdynamik wie bei SALT führen. Für die abgerüsteten Systemen werden die Militärs als Kompensation noch leistungsfähigere Offensivwaffen fordern. Beim technologischen Rüstungswettlauf im Bereich der strategischen Offensivwaffen stehen vier Schlüsselbereiche im Vordergrund: „Zero/Near Zero Circular Error Probable Reentry Vehicies“, „Manuevering Reentry Vehicies“, „Earth Penetrator“-Gefechtsköpfe sowie Nuklearwaffen der „Dritten Generation“ (z.B. Strahlenwaffen, die ihre Energie aus einer Nuklearexplosion gewinnen).8 Diese von einem START-Vertrag mit Sicherheit beschleunigten rüstungstechnologischen Entwicklungslinien werden neue gravierende Probleme für das militärischen Kräfteverhältnis zwischen den beiden führenden Weltmächten aufwerfen und dürften wohl kaum zu einer höheren strategischen Stabilität, zu einer Verminderung des nuklearen Kriegsrisikos, führen.

Eines der von den Verhandlungsparteien deklarierten Ziele der START-Verhandlungen soll die Verbesserung strategischer Krisenstabilität sein. Dabei geht es um die Verminderung des Anreizes für jede Seite, in einer ernsthaften Krise zuerst zuzuschlagen. Quellen von Instabilität sind die potentielle Verwundbarkeit von strategischen Waffensystemen oder Führungs- und Kontrollsystemen einer Seite durch einen Angriff, auch wenn beide Kontrahenten über eine sogenannte gesicherte Zweitschlagsfähigkeit verfügen. Sollte eine Seite einen gewichtigen Teil ihrer strategischen Waffensysteme in einer verwundbaren Stationierungsart aufgestellt haben, dann wird die Versuchung zu präemptiven Aktionen groß sein, wenn ein Krieg für unmittelbar bevorstehend gehalten wird. Um dieses Risiko zu vermindern, könnten einerseits wirksame, von beiden Seiten akzeptierte politische Lösungsmechanismen und Prozeduren entwickelt werden, die das Umschlagen einer Krise in Krieg verhindern, und so langfristig einen Verzicht auf nukleare Abschreckung ermöglichen könnten. Andererseits sind auf der militärischen Ebene rüstungskontrollpolitische Schritte denkbar, welche die Verwundbarkeit strategischer Waffensysteme sowie der Führungs- und Kontrollsysteme durch Präemptionsschläge herabsetzen.

In seiner bisherigen Anlage wird ein START-Abkommen die strategische Krisenstabilität kaum nachhaltig verbessern, sondern vielleicht sogar verschlechtern. Die Reagan-Administration bezeichnet die landgestützten ICBMs als die destabilisierendsten Systeme, da sie einerseits aufgrund ihrer Genauigkeit und Schnelligkeit relativ sicher gehärtete Ziele wie Raketensilos zerstören können, andererseits aber selbst sehr verwundbar durch einen Angriff sind. Mit entsprechenden Regelungen könnte START durchaus das Problem der Verwundbarkeit von ICBMs lösen helfen. Durch Modernisierungs- und Erprobungsbeschränkungen, die Verbesserungen der Zielgenauigkeit von ballistischen Raketen verhindern oder verlangsamen, ließen sich die Möglichkeiten für eine Zerstörung festverbunkerter ICBMs reduzieren. Eine weitere denkbare Maßnahme könnte in der erheblichen Reduzierung von ICBMs mit Mehrfachsprengkopf (MIRV)-Technik bestehen, die für die Gegenseite

zuerst lohnenswerte Ziele darstellen. Mobilität ist ein weiterer Lösungszugang. Insbesondere durch den Übergang zu relativ unverwundbaren mobilen ICBMs könnten nicht nur die Krisenstabilität im bestehenden nuklearen Abschreckungssystem deutlich verbessert, sondern auch der Weg zu weiteren tiefen Einschnitten in das gesamte strategische Arsenal beider Seiten geöffnet werden.

Sowjetische Wissenschaftler haben im vergangenen Jahr eine leider bislang im Westen wenig beachtete Studie vorgelegt, in der sie verschiedene Optionen für radikale nukleare Rüstungsreduzierungen und die dabei erforderlichen Bedingungen für die Wahrung strategischer Stabilität näher untersucht haben.9 In dieser Studie wird auch die Möglichkeit einer 95prozentigen Reduzierung der nuklearen Potentiale der beiden führenden Weltmächte erörtert. Die sowjetischen Experten schlagen bei dieser radikalen Reduzierungsvariante faktisch ein Modell einer nuklearen Minimalabschreckung vor, bei der jede Seite über ein Potential verfügt, welches nur zu einem einzigen Vergeltungsschlag fähig ist und dem potentiellen Aggressor unakzeptablen Schaden androhen kann. Unter den verschiedenen Rüstungsoptionen bei dieser Variante sehen sie diejenige zur Gewährleistung wechselseitiger Sicherheit als optimal an, bei der jede Seite über ein Potential von ungefähr 600 leichten, mit jeweils einem Gefechtskopf bestückten ICBMs verfügt, von denen ein Teil mobil stationiert sein sollte. An die Realisierung einer solchen auf radikalen Reduzierungen basierenden nuklearen Minimalabschreckung sind jedoch verschiedene Bedingungen geknüpft: die USA und die UdSSR verzichten auf sämtliche andere Typen von strategischen Offensivwaffensystemen (Bomber, Marschflugkörper, SLBMs etc.), die taktischen Nuklearwaffen beider Seiten werden gänzlich eliminiert, die Nuklearwaffen der anderen Nuklearmächte müssen proportional reduziert oder vollständig abgeschafft werden, der ABM-Vertrag ist weiterhin gültig, es existiert ein Stationierungsverbot für weltraumgestützte Waffen und ASAT-Systeme jeglicher Art, ein vollständiger und allgemeiner Nuklearteststopp-Vertrag ist in Kraft und die Herstellung von Spaltmaterial zum Bau von Nuklearwaffen ist untersagt.

Der gegenseitige Übergang zu mit einem Gefechtskopf bestückten ICBMs, von denen ein Teil ständig mobil gehalten wird, würde jeder Seite praktisch die Möglichkeit nehmen, einen entwaffnenden Erstschlag mit Aussicht auf Erfolg zu führen, da die Anzahl der Gefechtsköpfe und der militärischen strategischen Hartziele gleich und ein Teil des Potentials durch seine Mobilität nahezu unverwundbar ist. Eine derartige Situation würde das Vertrauen beider Seite in strategische Stabilität stärken. Nach Ansicht der sowjetischen Experten sind ICBMs SLBMs in bezug auf eine Verbesserung strategischer Stabilität u.a. deshalb vorzuziehen, weil erstere über wesentlich zuverlässigere Führungs

und Kontrollverbindungen verfügen. Dadurch fällt auch die Wahrscheinlichkeit eines nicht autorisierten Abschusses, d.h. eines zufälligen Nuklearkriegs aufgrund eines technischen Fehlers oder Irrtums erheblich geringer aus. Als durchaus lösbar wird auch das Problem einer zuverlässigen Verifikation insbesondere der mobilen ICBMs angesehen.

Den Ergebnissen der sowjetischen Studie zufolge wird die weitere Modernisierung und Diversifizierung der strategischen Nukleararsenale beider Seiten, selbst wenn die numerische Parität dabei gewahrt bleibt, zu einer deutlich weniger stabilen militärstrategischen sowie militärpolitischen Situation führen. Die amerikanischen Reduktionsvorschläge bei START und ihre Implikationen verhindern eine solche Entwicklung nicht, sondern fördern sie im Gegenteil eher. Ihr Kern besteht darin, einerseits Abrüstung durch tiefe Einschnitte nur bei bestimmten Waffensystemen, nämlich ballistischen, speziell landgestützten Raketen und ihren Gefechtsköpfen zu suchen. Auf der anderen Seite soll parallel dazu die sowjetisch-amerikanische Rüstungskonkurrenz durch eine verstärkte Umrüstung der strategischen Arsenale auf vorgeblich stabilitätserhöhende, weniger verwundbare seegestützte Raketen sowie langsamfliegende Bomber und Marschflugkörper verlagert werden. Konkret geht es jedoch für die USA darum, die inzwischen veralteten, verwundbaren, weniger treffgenauen und nicht gegen gehärtete Ziele einsetzbaren ballistischen Raketen mittel- und langfristig durch neue Systeme zu ersetzen, die basieren auf neuen (Unterstützungs-) Technologien genau diese Defizite beheben. Zugleich soll die militärische Konkurrenz in einen Bereich relativer rüstungstechnologischer Vorteile der USA verschoben werden.

Stellt man in Rechnung, daß in einer stabilen militär-strategischen Situtation keine Seite einen Anreiz zu einem präemptiven Gebrauch von Nuklearwaffen (Shoot or lose them-Syndrom) sowie die Fähigkeit zu einem entwaffnenden Erstschlag haben sollte und daß der größte Teil des sowjetischen strategischen Potentials auf landgestützten ICBMs ruht, dann wirkt der amerikanische START-Ansatz kontraproduktiv. So soll z.B. die neue Trident 2 D-5 SLBM, deren erste Dislozierung für Ende 1989 geplant ist, aufgrund einer erheblich gesteigerten Treffgenauigkeit über die Eigenschaft verfügen, gehärtete, festverbunkerte Raketenstellungen zerstören zu können.10 Dadurch wird sich die bisherige militärische Funktion des seegestützten Teils der strategischen Triade erheblich ändern. Die Verwendung von strategischen Bombern und Marschflugkörpern in einer Erstschlagsrolle ist trotz ihrer Langsamflugeigenschaften keineswegs ausgeschlossen. Die extreme Treffgenauigkeit von Marschflugkörpern verschafft neue Optionen. So stellt die Modernisierung ihrer strategischen Bomberstreitmacht („Advanced Strategic Bomber“, „Advanced Cruise Missile“, „Advanced Short-Range Attack Missile“) für die USA ein Schlüsselelement dar, um künftig vor allem die zunehmenden landgestützten mobilen ICBMs der sowjetischen strategischen Streitkräfte zu bekämpfen.11 Dadurch würde ein wichtiger Teil künftiger nuklearer Abschreckungsmacht der UdSSR nachhaltig gefährdet. Im Ergebnis wird eine Realisierung der amerikanischen START-Konzeption in Verbindung mit der einhergehenden Rüstungsverlagerung und gesteigerten qualitativen Rüstungsdynamik aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Zunahme von Instabilitäten führen.

Aussichten für ein Abkommen und weitere Abrüstung

Der Textentwurf eines START-Abkommens soll zur Zeit rund 350 Seiten umfassen und ca. 1.200 „Klammern“ mit ungelösten und strittigen Fragen enthalten. Wie dem Verhandlungsstand entnommen werden kann, sind noch mindestens sechs Grundsatzprobleme zu lösen, die den Kern der sicherheitspolitischen Konzepte und der strategischen Arsenale beider Weltmächte berühren. In der gemeinsamen Erklärung des Moskauer Gipfeltreffens wurden die bisherigen Übereinstimmungen festgeschrieben und konkretisiert. Weiter heißt es dort:

„Bei der Erörterung der strategischen Offensivwaffen auf dem jetzigen Treffen in Moskau ist es gelungen, die Bereiche der Übereinstimmung wesentlich zu erweitern insbesondere in der Frage der luftgestützten Flügelraketen und in bezug auf die Versuche, eine Lösung für das Problem der Kontrolle mobiler Interkontinentalraketen zu finden und möglichst zu vereinbaren.“

Auf größere Probleme deutet folgende Passage hin: „Die Seiten erörterten ferner die Begrenzung der stationierten seegestützten Flügelraketen großer Reichweite, die mit Kernladungen bestückt sind.“12

Im April dieses Jahres hat Paul Nitze, Hauptberater des amerikanischen Außenministers in Rüstungskontrollfragen, öffentlich einen Vorschlag zur Diskussion gestellt, der wesentlich zur Lösung eines Grundsatzproblems beitragen könnte. Er regte an, daß die USA und UdSSR auf seegestützte Marschflugkörper mit Nuklearsprengkopf ebenso verzichten sollten wie auf nuklear bestückte Seeminen und Torpedos sowie auf von Flugzeugträgern mitgeführte Atombomben. Durch solch einen Verzicht könnte der Streit um die SLCMs ansatzweise gelöst werden. Allerdings bleibt weiterhin das Problem bestehen, wie mit den konventionell bestückten SLCMs verfahren werden soll. Nitzes Anregung hat in der Reagan-Administration einen heftigen Streit in Gang gesetzt. Starke Opposition kommt vor allem von den Vereinigten Generalstabschefs. Für die amerikanische Marine stellen die SLCMs, von denen sie 4.000 Stück sowohl nuklear als auch konventionell ausgerüstet beschaffen will, die Waffen der Zukunft dar. Angesichts dieser starken Interessen ist Skepsis angebracht, ob diese Empfehlung von Nitze als ein offizieller Verhandlungsvorschlag bei START eingebracht wird. So hat die amerikanische Regierung auch jüngst ein von der UdSSR vorgeschlagenes gemeinsames Verifikationsexperiment zur Unterscheidung zwischen nuklearen und konventionellen SLCMs abgelehnt.13

Ein START-Abkommen allein wird den Rüstungswettlauf nicht eindämmen und den Weg zu weiteren radikalen Abrüstungsschritten und einer nuklearwaffenfreien Welt öffnen. Dafür hat ein eventueller Vertrag noch zu viele Mängel. Darüber hinaus verbinden sich mit START recht gegensätzliche politische und militärische Verhandlungsinteressen beider Seiten. Allerdings würde ein solches Abkommen die Legitimationsbasis für künftige Aufrüstung weiter erheblich schmälern.

Ein reales Interesse an gleichgewichtigen Verminderungen aller strategischen Waffensysteme ist in der Reagan-Administration trotz aller öffentlichen Abrüstungsrethorik nie vorhanden gewesen. Ihr rüstungskontrollpolitischer Ansatz läuft darauf hinaus, Rüstungssteuerung und die Modernisierung des eigenen strategischen Potentials durch eine Mixtur aus Abrüstungs- und Umrüstungsmaßnahmen zu verbinden. Mit ihrer vorrangigen Konzentration auf die Reduzierung der ballistischen Raketen grenzt sich die Reagan-Administration in ihrer Rüstungskontrollpolitik von Konzepten einer allgemeinen 50prozentigen Abrüstung sämtlicher strategischer Nuklearwaffen ab. Ihrer Bedrohungsperzeption entsprechend strebt die US-Administration keine generelle nukleare Abrüstung an, sondern primär eine Verminderung oder gar Beseitigung von bestimmten, als bedrohlich empfundenen militärischen Fähigkeiten der UdSSR. Vom militärischen Kalkül her gesehen zielt die von den USA angestrebte erhebliche Reduzierung ballistischer, gegen gehärtete Ziele einsetzbarer Raketen der UdSSR in Verbindung mit der geplanten Rüstungsverlagerung auf überlebensfähigere und auch zielgenauere strategische Offensivsysteme (vor allem Bomber und Marschflugkörper) auf eine deutliche Erschwerung sowjetischer Zielplanungen. Aus amerikanischer Interessensicht soll durch die Umrüstung auf einen stärker diversifizierten und weniger verwundbaren strategischen Waffenmix ein höherer Grad an flexiblen und selektiven Kriegsführungsoptionen sichergestellt und so Eskalationskontrolle gewährleistet werden.14

Noch deutlicher wird das hinter START stehende militärstrategische Kalkül, wenn man die Verbindung zu SDI herstellt. So erkannte die Reagan-Administration, daß sich über ein unilaterales Modernisierungs- und Aufrüstungsprogramm im Bereich strategischer Offensivwaffen alleine keine grundlegende Änderung des Kräfteverhältnisses gegenüber der UdSSR erzielen läßt, selbst wenn sich die Zielrichtung der Aufrüstung auf die qualitative Dimension der Rüstungskonkurrenz konzentriert. Einen Ausweg aus diesem strategischen Dilemma sah Reagan durch die Besinnung auf die traditionelle amerikanische Überlegenheit an technologischer Innovationsfähigkeit. Über ihre „Initiative zur strategischen Verteidigung“ erhofft sich die amerikanische US-Regierung eine rüstungstechnologische Lösung des sicherheitspolitischen Problems, wie sowjetische Einsatzoptionen militärisch erheblich reduziert werden können.

Entgegen der offiziell deklarierten Aufgabenstellung von SDI, mittels eines umfassenden Schutzschirms Nuklearwaffen allgemein obsolet werden zu lassen, zielt dieses Programm primär auf eine weitgehende Neutralisierung sowjetischer zielgenauer und MIRV-fähiger ICBMs in Verbindung mit einer Punktzielverteidigung amerikanischer ICBM-Stellungen und C3I-Einrichtungen. Damit soll die sowjetische Zielplanung mit einem weiteren großen Unsicherheitsfaktor belastet werden. Eine signifikante Reduzierung sowjetischer ICBMs und eine vertraglich gesicherte Festschreibung dieses Potentials auf einem niedrigeren Niveau im Rahmen von START könnte den militärisch erfolgreichen Einsatz eines Raketenabwehrsystems in den Bereich des Realisierbaren rücken und würde damit einen deutlichen strategischen Vorteil der USA gegenüber der Sowjetunion bedeuten. Diesen innigen Zusammenhang zwischen START und SDI formulierte jüngst Botschafter Rowny, der Präsident Reagan und Außenminister Shultz in Rüstungskontrollangelegenheiten berät, explizit: „a good S.TA.R.T. treaty supports our goals for SDI. It's as simple as realizing that fewer offensive ballistic missile warheads – a smaller threat – make the defensive job that much easier. This is another reason we pursue a S.T.A.R.T treaty – and why we reject the Soviet offer to kill or cripple the Strategic Defense Initiative as the price of that deal.“15

Zwar hat auch Reagan öffentlich angekündigt eine nuklearwaffenfreie Welt anzustreben doch sucht er keine politische Lösung des Problems. Vielmehr setzt die Verwirklichung dieser Utopie für ihn die Stationierung von strategischen Defensivsystemen als eine Art Versicherungspolice voraus. Hinter solchen rüstungstechnologischen Lösungen von Sicherheitsproblemen verbirgt sich immer noch ein großes politisches Mißtrauen gegenüber der anderen Seite.

Für Gorbatschow ist hingegen der amerikanische Verzicht auf SDI eine notwendige Voraussetzung für allgemeine nukleare Abrüstung. Das Streben der USA nach umfassender strategischer Verteidigung wird von sowjetischer Seite als grundsätzlich destabilisierend angesehen, weil diese bei einer schrittweisen nuklearen Abrüstung den USA ein Erstschlagspotential an die Hand geben könnte. Gorbatschow hat der Abrüstung in der Formulierung sowjetischer Sicherheitsinteressen eine weitaus höhere Priorität eingeräumt, als dies jemals seit der Chruschtschow-Periode der Fall gewesen ist. Gleichzeit hat er einige bedeutende innovative Denkansätze zur Neubewertung von Sicherheitsbelangen im Atomzeitalter vorgetragen. So hat der sowjetische Generalsekretär nachdrücklich betont, daß es weder im Wettrüsten noch in einem Nuklearkrieg Sieger geben werde. Das Streben nach militärischer Überlegenheit bringe niemandem politischen Gewinn. Auch die Parität gilt ihm nicht mehr als eine Garantie für militärpolitische Zurückhaltung. Gerade die neue Einschätzung der Funktion von Nuklearwaffen und Folgen eines Nuklearkrieges ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der sicherheitspolitischen Neuorientierung der UdSSR.

Zwischen der politischen und militärischen Elite in der UdSSR hat sich offensichtlich Konsens über den abnehmenden militärischen Nutzen von Nuklearwaffen herausgebildet. Dieser Konsens läuft darauf hinaus, daß Nuklearwaffen nicht mehr länger für irgendwelche rationale militärische und damit gleichzeitig auch politische Ziele eingesetzt werden können. Ogarkow, vormals Chef des sowjetischen Generalstabs, hat z.B. die Unmöglichkeit betont, einen Nuklearkrieg begrenzt zu halten. Seiner Ansicht nach würde jeder begrenzte Einsatz von Nuklearwaffen unweigerlich zum sofortigen Einsatz des gesamten nuklearen Potentials der Kriegsgegner führen. Aufgrund der Anzahl und Mannigfaltigkeit der nuklearen Waffensysteme könne außerdem keine Seite hoffen, einen erfolgreichen nuklearen Erstschlag zur Entwaffnung des Gegners zu führen. Jeder Versuch, Nuklearwaffen anzuwenden, werde unvermeidlich in einem Weltkrieg und einer globalen Katastrophe enden, bei der die Existenz der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht. Das vorhandene nukleare Arsenal der beiden führenden Weltmächte sei daher vom militärischen Standpunkt aus absurd und jeder weitere Aufbau schlicht sinnlos. Da der primäre Hauptauftrag für die sowjetischen Streitkräfte in der Abschreckung eines nuklearen Angriffs auf ihr Land besteht, würde die UdSSR keine Nuklearwaffen brauchen, wenn die USA keine hätten. Kokoschin, stellvertretender Direktor des Instituts für USA- und Kanada-Studien, betonte jüngst ausdrücklich, daß das für die sowjetische Militärdoktrin neue maßgebliche Prinzip einer „vernünftigen Hinlänglichkeit“ der Rüstungspotentiale in letzter Konsequenz die Verpflichtung zu einer vollständigen Abrüstung der Nuklearwaffen bedeute.16

Für die jetzige politische Führung der UdSSR scheint offensichtlich die Erkenntnis handlungsleitend zu sein, daß Sicherheit nicht mehr mit militärischen Mitteln zu erlangen ist, sondern daß die Gewährleistung von Sicherheit eine prinzipiell politische Aufgabe ist. Hinter der gegenwärtigen sowjetischen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik stehen somit im deutlichen Gegensatz zu den USA genuin politische Antriebsmotive, welche die Logik des Wettrüstens brechen, die Risiken des die Existenz der gesamten Menschheit bedrohenden nuklearen Abschreckungssystems sowie schließlich Krieg als Mittel der Politik überwinden wollen.

Solange sich jedoch die USA nicht auf eine derartig politisch bestimmte Vision einer nuklearwaffenfreien Welt einlassen und die tatsächlich vorhandene sowjetische Bereitschaft zu einem radikalen Rüstungsabbau nicht ernsthaft prüfen, wird die herrschende Rüstungskontrollpolitik wie bei START unweigerlich in eine Sackgasse führen.

Anmerkungen

1 SALT wurde jedoch nie vom amerikanischen Kongreß ratifiziert.

2 Für einen genaueren Überblick über die Verhandlungsgeschichte von START vgl. Eckhard Lübkemeier, Stichwort „SALT/START“, in: Wichard Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn (Bundeszentrale für Politische Bildung), Aktualisierter Nachdruck 1987, S. 404-416; Hans Heinrich Weise, START – Die Verhandlungen zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen, in: Soldat und Technik, 31 (3) 1988, S. 122-127; Ronald Lehmann, Die Verhandlungen über die Venringerung der strategischen Waffen: Ein Vertrag gewinnt Gestalt, in: NATO-Brief, 35 (4) Juli-August 1987, S.21 25  Zurück

3 Die Darstellung des Verhandlungsstands basiert im wesentlichen auf folgenden Quellen: The Arms Control Reporter; Douglas Clarke, A Primer on the Strategic Arms Reduction Talks, in: Radio Free Europe Research, RAD Background ReporU236, 10.12.1987; ders., Movement at the Washington Summit on Strategic Arms Accord, in: Radio Free Europe Research, RAD Background Report l245, 22.12.1987, ders., Restructuring of Another Kind: Strategic Forces, Radio Free Europe Research RAD Background Report/228, 1.12.1987, Tony Banks, Obstacles Still Facing the STMT Agreement, in: Jane's Defence Weekly, 9 (9) 1987; Disagreement on ABM, START Continues in Ninth Round of Talks, in: Arms Control Today, 18 (2) March 1988, S. 22; U.S. Congress, Congressional Research Service, Foreign Affairs and National Defense Division (Author: Steven A Hildreth), Arms Control: Negotiations to Reduce Strategic Offensive Nuciear Weapons, Issue Brief (IB86051), Washington D.C., Updated 2.2.1988; U.S. Congress, Congressional Research Service, Foreign Affairs and National Defense Division (Author: Steven A. Hildreth), Arms Control: Overview of the Geneva Talks, Issue Brief (IB85157), Washington D.C., Updated 2.2.1988; U.S. Congress, Congressional Research Service, Foreign Affairs and National Defense Division (Stanley R. Sloan, Issue Coordinator), Arms Control: Issues for Congress, Washington D.C., Updated 17.2.1988, Shultz, Shevardnadze Set Summit, But Make Little Progress on START, in: Arms Control Today,18 (4) May 1988, S. 19, 27

4 Vgl. Robert S. Nonris/William M. Arkin/Thomas B. Cochran, START and Strategic Modernization, Nuciear Weapons Databook Working Papers NWD 872, Natural Resources Defense Council, New York, December 1987, S. 12/13 Zurück

5 Vgl. Norris u.a.1987, S. 13 Zurück

6 Vgl. Norris u.a.1987, S. 17-20 Zurück

7 Vgl. USA – Sowjetunion: Nuklearstrategische Rüstung, in: Österreichische MilitärischeZeitschrift,25 (5) 1987, S. 462-465 Zurück

8 Vgl. Kosta Tsipis, Third-Generation Nuclear Weapons, in: World Armaments and Disarmament, SIPRI Yearbook 1985, London u. Philadelphia 1985, S. 83-106 Zurück

9 Vgl. Committee Soviet Scientists for Peace, Against the Nuciear Threat, Strategic Stability Under the Conditions of Radical Nuclear Arms Reductions, Report on a Study (Abridged), Moscow, April 1987 Zurück

10 Vgl. John D. Morrocco, START Talks Pose Questions on Strategic Modernization, in: Aviation Week & Space Technology vom 14.3.1988, S. 36 Zurück

11 Vgl. Morrocco 1988, S. 36 Zurück

12 Dokumentation in unsere Zeit v.4.6.1988, S.9 vgl.: Amerika-Dienst Nr. 22,8.6.1988, S. 5 Zurück

13 Vgl. Die „flexible response“ bleibt wirksam, in: FAZ vom 9.4.1987 und Arms Control Today,18 (4) May 1988, S. 19 Zurück

14 Vgl. für eine ausführlichere Analyse der amerikanischen Verhandlungsmotive bei START Michael Paul, Zur START-Politik der Reagan-Administration: Rüstungsverlagenung durch „Deep Cuts“? in: Beiträge zur Konfliktforschung, 18 (1) 1988, S. 31 Zurück

15 Rowny Contrats U.S. and Soviet Strategic Defense Programs, in: U.S. Policy Information and Texts, No. 51 vom 14.3.1988, S. 15 Zurück

16 Vgl. ausführlicher Michael McGwire, Why the Soviets Want Arms Control, in: Technology Review,40 (2) 1987, S. 36-45; Mary C. FitzGerald, Marshal Ogarkov and the New Revolution in Soviet Military Affairs, in: Defence Analysis,3. Jg., Nr.1/1987, S.37; Andrei A. Kokoshin, A. Soviet view on radical wespons cuts, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 44 (2) March 1988, S.17; Randolph Nikutta, Warum will die UdSSR Rüstungskontrolle?, in: Vorgänge, Heft 5 (Nr.89), September 1987, S. 49-64 Zurück

Randolph Nikutta arbeitet bei der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung, Berlin.

Abrüstung, Entwicklung, Sicherheit: Eine überflüssige Konferenz?

Abrüstung, Entwicklung, Sicherheit: Eine überflüssige Konferenz?

von Herbert Wulf

Vom 24. August bis 11. September 1987 tagte in New York – nach 1978 und 1982 zum dritten Mal – eine Konferenz der Vereinten Nationen über den Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung. Die Konferenz fand unter dem Vorzeichen statt: im Süden nichts Neues, im Osten ein wenig Bewegung, im Westen einen Schritt zurück.

Bei der Konferenz legte die Gruppe der Entwicklungsländer bekannte und als richtig erkannte Forderungen über die Notwendigkeit der Umschichtung von Ressourcen weg von der Rüstung für Entwicklung vor. Um Unterentwicklung zu überwinden, so lautete der generelle Tenor in zahlreichen Vorbereitungspapieren, müssen im Rüstungsbereich Mittel freigemacht werden. Die Gruppe der Entwicklungsländer forderte: Abrüstung soll durch „konzentrierte Anstrengungen aller Staaten, besonders derjenigen mit den größten Arsenalen“, erreicht werden, in dem „die militärischen Budgets eingefroren und reduziert werden; bis derartige internationale Vereinbarungen abgeschlossen werden, sollen alle Staaten, besonders die am höchsten gerüsteten, Selbstbeschränkung in ihren Militärausgaben praktizieren.“1

Die UdSSR und ihre Verbündeten verzichteten – im Gegensatz zu früheren UNO-Konferenzen – darauf, die Verantwortung der ehemaligen Kolonialherren für die Unterentwicklung zu betonen. Vielmehr stellte die Gruppe der sozialistischen Länder die Notwendigkeit von Abrüstung und Entwicklung im Interesse des Überlebens der Menschheit in den Mittelpunkt. Die Verbindung von Abrüstung und Entwicklung ist für sie ein möglicher Hebel, um Abrüstung in Gang zu bringen. Gleichzeitig aber hieß es in einer Stellungnahme des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen zur sowjetischen Rüstungspolitik unmißverständlich und ohne jede Spur von Selbstkritik: „Die UdSSR investiert keinen einzigen Rubel mehr für diese Zwecke als absolut notwendig ist, um die Sicherheit der sowjetischen Bevölkerung, ihrer Alliierten und Freunde zu sichern.“2

Im Westen gingen einige Regierungen hinter frhere Positionen zurück. Vor allem wollten sie Rüstung und Unterentwicklung in der Dritten Welt behandeln und nicht mit der Kritik der Entwicklungsländervertreter an den riesigen Militärarsenalen und hohen Militärausgaben in der NATO konfrontiert werden.3 Die US-Regierung boykottierte die Konferenz, weil sie den Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung als nicht existent betrachtet. In Wirklichkeit ging es der Reagan-Regierung nicht um eine ernsthafte (und wissenschaftlich auch notwendige) Auseinandersetzung über diesen Zusammenhang. Vielmehr demonstrierte sie – mit Blick auf die innenamerikanische Diskussion – ihre generelle Abneigung gegen die UNO und den UNO-Apparat, die sich früher schon im Austritt aus der UNESCO niedergeschlagen hatte.4 Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland „vertritt die Auffassung, daß Abrüstung und Entwicklung notwendige und eigenständige Ziele verfolgen.“5 Im Klartext: Man ist bereit, über Abrüstung und über Entwicklung zu reden, nicht aber die beiden globalen Bedrohungen der Menschheit in ihrer wechselseitigen Verknüpfung zu sehen. Die französische Regierung – die ursprünglich zur Konferenz eingeladen hatte – ließ 1986 die Konferenz platzen – und war, zusammen mit anderen westlichen Regierungen, nicht mehr bereit, den ursprünglich anvisierten Entwicklungsfond im Schlußdokument zu erwähnen, geschweige denn zu gründen.

Eines der zentralen Ziele verfehlte die Konferenz: die Mobilisierung der Öffentlichkeit. Die Berichterstattung war relativ mager, zum Teil negativ.6 Für die weitere Arbeit und die Durchsetzung der Ziele Abrüstung und Entwicklung ist Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Ansatzpunkt, wenn die Konferenz nicht nur als überflüssige Papierproduktion und Ohnmachtsgeste abgetan werden soll.

Die Idee, Ressourcen umzuschichten und Rüstung bzw. Abrüstung mit Entwicklung zu verknüpfen, hat inzwischen Tradition in der UNO und wurde in verschiedenen Berichten ausführlich behandelte Doch in und außerhalb der UNO ist das Konzept aus praktischen wie inhaltlichen Gründen problematisiert worden. Ein Entwicklungsfond, gespeist durch Abrüstung oder eine Steuer, mit der die Rüstungsanstrengungen belegt würden, mache Entwicklung von Fortschritten in der Abrüstung abhängig und legitimiere damit die verbleibende Rüstung. Auf keinen Fall solle eine weitere UNO-Bürokratie für einen neuen Entwicklungsfond geschaffen werden. Abrüstung und Entwicklung seien jedenfalls für sich große Probleme, deren Lösung durch ihre Verknüpfung nicht leichter werde.

Schließlich dürfe Rüstung und Abrüstung nicht getrennt von Sicherheit gesehen werden. Denn Rüstung und Unterentwicklung bedrohten die internationale Sicherheit. Prompt wurde in der UNO das Paar Abrüstung und Entwicklung durch das Dreieck Abrüstung, Entwicklung, Sicherheit ersetzt. Sicherheit – so heißt es in UNO-Konferenzpapieren – darf nicht als militärisches Konzept verstanden werden.9 Sicherheit beinhaltet auch die Sicherheit, Grundbedürfnisse befriedigen zu können, Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen. So wichtig und richtig diese Erkenntnis ist, so wenig werden militärische Sicherheitskonzepte an diesen Kriterien orientiert.

Die Konferenz war nicht „überflüssig“ – auch wenn keine bemerkenswerten wissenschaftlich-analytischen Fortschritte erzielt wurden. Folgende frühere Ergebnisse wurden bestätigt.10

  • Zwischen Abrüstung, Entwicklung und Sicherheit besteht Interdependenz. Fortschritt in einem Bereich hat positive Wirkungen für die übrigen Probleme.
  • Substantielle Ressourcen, die durch Abrüstung freigesetzt werden können, müssen von den großen Militärmächten kommen. Wie diese Mittel für Entwicklung zugänglich gemacht werden können, darüber besteht keine Einigkeit.
  • Entwicklung darf nicht nur als die Empfängerseite möglichen Fortschritts in der Abrüstung verstanden werden. Fortschritte in der Beseitigung der Unterentwicklung haben auch positiven Einfluß auf Abrüstung.
  • Unterentwicklung, mangelnde oder langsame Entwicklung bedeuten eine nichtmilitärische Bedrohung der internationalen Sicherheit.
  • Entwicklung darf nicht zum Nebenprodukt der Abrüstung werden; Abrüstung kann nicht direkt zur Entwicklung führen. Entwicklung und Abrüstung sind zwar zwei distinkte Prozesse, aber Frieden, Sicherheit und ökonomische und soziale Entwicklungen lassen sich nicht voneinander trennen.
  • Das wichtigste Ziele der Abrüstung ist die Beseitigung der Bedrohung der Menschheit im Nuklearzeitalter. Das größte Problem ist die mangelnde Bereitschaft, ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, wie es in der UNO-Charta vorgesehen ist.
  • Konversion – die Umstellung von militärischer auf zivile Fertigung – muß gezielt geplant durchgeführt werden, damit die Verwirklichung von Abrüstung und Entwicklung nicht an ökonomischen oder industriell-technischen Hürden scheitert.

Ursachen – weitgehend ausgeklammert

Wenn der krisenhafte Zustand von Rüstung und Unterentwicklung nicht in eine menschenvernichtende Katastrophe umschlagen, sondern stattdessen konstruktiv in Abrüstung und Entwicklung umgekehrt werden soll, müssen die Ursachen für die heutige Situation klar benannt werden. Die analytische und politische Schwäche der UNO-Diskussion, in der zwar deutlich auf den unerträglichen Zustand des gleichzeitigen Anwachsens von Hunger und Elend sowie der weltweiten Rüstungsaufwendungen hingewiesen wird, liegt zum einen darin, daß innergesellschaftliche Triebkräfte für Rüstung und Militarisierung nicht benannt werden. Mit mystifizierenden Bemerkungen bezeichnete der Präsident der Konferenz, der indische Außenminister Natwar Sing, die ruinösen Militärausgaben als „ein Teufel, der in jedes Haus und Heim zu kommen droht und einen langen Schatten auf jegliches menschliche Tun wirft.“11 Natürlich ist allen Konferenzteilnehmern klar, daß der Zustand von Aufrüstung und Unterentwicklung nicht Teufelswerk ist, sondern durch handfeste Interessen, Ängste und bestehende Konflikte perpetuiert wird. Hinter der Ausklammerung innergesellschaftlicher Ursachen steht das politische Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Wenn auch auf der Ebene der Diplomatie diese Nichteinmischung weitgehend eingehalten wird, so steht diese Politik in diametralem Gegensatz zu der geübten Praxis der Waffenlieferungen, die eine klare Parteinahme und wesentliche Beteiligung an der Konfliktaustragung bedeutet.12 Abgesehen von Waffenlieferungen, Militärhilfeangeboten, verdeckten Interventionen usw. sind die Industriegesellschaften offen und direkt an 68 von 170 Kriegen beteiligt gewesen. Das gängige Bild, die Dritte Welt führe untereinander Krieg, während die Industrieländer nur im Frieden lebten, ist falsch.13

Faktisch heißt die Konzeption der Nichteinmischung auf diplomatischer Ebene das Ausklammern eines wesentlichen Teils gewaltsamer Konfliktaustragung: Empirische Untersuchungen zeigen, daß zwei Drittel aller Kriege bzw. militärischen Konflikte innerstaatlich, als Bürgerkriege, ausgetragen werden. Die klassische Form des Krieges – der Krieg zwischen den Staaten – ist dagegen sehr viel seltener geworden.14 Militär und Rüstung als Instrument zur innergesellschaftlichen Herrschaftssicherung, Unterdrückung und systematische Menschenrechtsverletzungen mit militärischen Mitteln werden in der Diskussion ebenso ausgeklammert wie die wirtschaftlichen Antriebskräfte der Rüstung oder die Propagierung von Feindbildern.

Zweitens deutet die allgemein akzeptierte Formel von Überrüstung und Unterentwicklung auf Übereinstimmung hin. Es ist allgemein akzeptiert, daß zuviel gerüstet und die Entwicklung vernachlässigt wurde. Der katastrophale Zustand von Überrüstung und Unterentwicklung ist offensichtlich und läßt keine Zweifel an der Notwendigkeit einer Kursänderung aufkommen. Die Erkenntnis vorhandener Überrüstung und Unterentwicklung setzt explizit oder implizit Vorstellungen über ein Normalmaß von Rüstung und Entwicklung voraus. Es existiert jedoch kein objektiver Maßstab für ein „normales“ Niveau der Entwicklung oder Rüstung, das ausschließlich der Verteidigung dient. Eine Gruppe sogenannter „eminent personalities“, in der vor allem ehemalige Regierungschefs, Präsidenten und Minister vertreten waren, empfahl der Konferenz: „Worauf wir abzielen sollten ist, daß jeder Staat angemessene Sicherheitsinteressen zum Kriterium für die Rüstungsausgaben macht.“15 Auch der Begriff „angemessene Sicherheitsinteressen“ löst das Problem der Überrüstung nicht. Denn die allgemeine Übereinstimmung schlägt in ihr Gegenteil um, wenn vor der eigenen Haustür gekehrt werden soll. Keine Regierung erklärt, sie habe zuviel für Rüstung und zu wenig für Entwicklung getan. Wenn von Abrüstung in offiziellen Erklärungen die Rede ist, ist die Abrüstung der anderen – des vermeintlichen Gegners – oder die in Verträgen vereinbarte Abrüstung gemeint. Konkrete, unabhängige nationale Maßnahmen als erste Schritte auf dem Weg aus der Krise bleiben die Ausnahme.

Interdependenz in Krise und Katastrophe

Um Erwartungen und Hoffnungen nicht zu enttäuschen, bedarf es der weiteren analytischen Durchdringung des Zusammenhangs von Abrüstung und Entwicklung, bevor etwa voreilig konkrete entwicklungs- oder abrüstungspolitische Empfehlungen gegeben werden. In guter Absicht, aber zu vordergründig werden die politisch attraktiven Ziele von Abrüstung und Entwicklung proklamiert. Nur wenn die Hindernisse auf dem Weg zu Abrüstung und Entwicklung klar erkannt werden, ist es möglich, die fortschreitende Aufrüstung und Unterentwicklung zu überwinden. Weder in der wissenschaftlichen Diskussion noch in politischen Auseinandersetzungen besteht Zweifel daran, daß sich Unterentwicklung und Rüstung gegenseitig verstärken. Rüstung führt zu Unterentwicklung in der Dritten Welt und zu wirtschaftlichen Verzerrungen in den Industrieländern. Der Einsatz knapper finanzieller und menschlicher Ressourcen für Rüstung, die für Entwicklungsaufgaben verlorengehen, ist hinlänglich belegt; der Ressourcenentzug ist das zentrale Argument in der Diskussion innerhalb und außerhalb der UNO. Sechs Prozent des Bruttosozialproduktes – so heißt es im Schlußdokument – gehen in die Rüstung, zwanzig mal mehr als in die staatliche Entwicklungshilfe. (Zum Verhältnis Öffentlicher Entwicklungshilfe und Militärausgaben siehe Schaubild). Negative indirekte Effekte der Rüstung verschärfen das Problem. So vor allem die technologische Bugwelle, die durch Rüstungsimporte und Rüstungsproduktion hervorgerufen wird; Rüstungstechnologie etabliert in Entwicklungsländern industrielle Strukturen, die dem Entwicklungsproblem nicht angemessen sind und zu wirtschaftlichen Verzerrungen führen. Darüber hinaus beeinflussen große Rüstungsanstrengungen (besonders Rüstungsimporte) das Entwicklungskonzept nachhaltig. Entwicklungsländer greifen zur Tilgung der durch Rüstung mit verursachten Schulden auf den Export nicht erneuerbarer Ressourcen zurück – so beispielsweise auf den Abbau tropischer Wälder mit entsprechenden langfristigen Folgen für das Klima auf dem gesamten Globus.16

So wie Rüstung die Unterentwicklung verstärkt, so verursacht umgekehrt Unterentwicklung weitere Aufrüstung. Von der „Bombe Armut“, die die Erde ebenso nachhaltig zerstören kann wie die Atombombe, ist gelegentlich die Rede.17 Statt wirtschaftliche und soziale Konflikte mit Reformen zu bekämpfen Für die häufig der politische Wille, aber auch die finanziellen Mittel fehlen), werden oft die Streitkräfte eingesetzt, um das Unruhepotential zu kontrollieren. Zahlreiche Beispiele zeigen, daß Rüstung und Militarisierung nicht immer zur Herrschaftsstabilisierung führen (so der Iran unter der Herrschaft des Schah); umgekehrt zeigen andere Beispiele (so Haiti unter der Herrschaft der Duvals), daß mit relativ geringem finanziellen Aufwand Repression über lange Zeiträume wirksam aufrechterhalten werden kann.

Abrüstung und Entwicklung: Konkrete Utopie oder utopische Erwartung

Jedes plausible Argument spricht für eine Trendumkehr. Die Verbindung Abrüstung und Entwicklung läßt die Verwirklichung konkreter Utopien erwarten. Die Hindernisse auf diesem Weg sind jedoch erheblich, manche Erwartung bleibt utopisch. Denn Abrüstung führt nicht notwendigerweise zu Entwicklung. Die Verwendung im Rüstungsbereich eingesparter finanzieller Mittel zur Dämpfung oder Lösung des Schuldenproblems wäre zweifellos ein willkommener und entwicklungspolitisch sinnvoller Schritt. Aber: Erstens ist eine quasi automatische Umschichtung der Mittel aus der Rüstung hin zur Entwicklung sicher nicht zu erwarten. Vielmehr dürfte – angenommen, Ressourcen würden durch Abrüstung freigesetzt – ein Teil der freiwerdenden Finanzen unabhängig von Entwicklungsaufgaben verwendet werden (z.B. zur jeweils nationalen Haushaltskonsolidierung). Zweitens ist ein großer Teil der durch Abrüstung frei werdenden Produktionsmittel (überzüchtete, barocke Rüstungstechnologie) für die Lösung von Entwicklungsproblemen ungeeignet, teils auch schädlich. Nicht Entwicklung, sondern eine ungeeignete und unangepaßte Enklaven-Industrialisierung mit kapitalintensiver, komplexer Technologie könnte eine Folge sein, wenn nicht entwicklungspolitische Kriterien bei diesem Transferprozeß angelegt werden. Andererseits aber kann heute militärisch genutzte Technologie auch eine Funktion für Entwicklung haben (so beispielsweise Satellitentechnologie für Katastrophen- oder Erntevorhersagen, wenn sie nicht wie bisher als Herrschaftsinstrument eingesetzt wird). Drittens: Solange Entwicklungspolitik vornehmlich oder auch ausschließlich als Rohstoffsicherungs- und Exportförderungspolitik der Industrieländer verstanden wird, solange eine privilegierte Elite in Entwicklungsländern „Entwicklung“ im partikularen Eigeninteresse definiert, werden zusätzliche Entwicklungsmittel den Nord-Süd-Gegensatz und die innergesellschaftlichen Ungleichgewichte verschärfen und Unterentwicklung perpetuieren. Viertens: Zahlreiche Entwicklungshindernisse bestehen unabhängig von der Rüstungsdynamik. (Z.B. die EG-Agrarmarktordnung oder Verwüstung und Versteppung aufgrund von Holzraubbau). Abrüstung ist kein entwicklungspolitisches Allheilmittel. Abrüstung ist eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für Entwicklung.

Ebenso problematisch ist auch die umgekehrte Kausalbeziehung und Erwartung, daß Entwicklung den Abrüstungsprozeß befördert. Die Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme könnte Regierungen veranlassen, abrüstungsbereiter zu werden und die Sicherung des instabilen Status quo nicht mehr oder nicht mehr nur durch militärische Anstrengungen erhalten zu wollen. Doch Rüstung hat auch andere Ursachen: Aggressionen von außen abzuwehren, Machtdemonstration, Machtprojektion, Einflußzonen zu sichern, Prestige usw. Diese Ziele werden durch Entschärfung oder Beseitigung der Unterentwicklung nicht hinfällig.

Perspektiven

Zur Zeit besteht nur wenig Anlaß für die Hoffnung, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung in Frieden in absehbarer Zukunft schaffen zu können. Wissenschaft und Politik sind in der Lage, aus der jetzigen Situation der allgemeinen Gefährdung sämtlicher Lebensbereiche die Apokalypse zu prognostizieren. Es gelingt auch – zumindest in Ansätzen – die positive Utopie einer friedlichen und gerechten Welt zu entwicklen. Es mangelt aber an der Planung und vor allem Durchsetzung realistischer und effektiver Maßnahmen, um auf dem Weg weg von der Katastrophe hin zur Utopie die erste große Etappe zu bewältigen. Nicht einmal das erforderliche Krisenmanagement funktioniert. Betrachtet man den vorfindlichen weltweiten Trend zur Aufrüstung und Unterentwicklung, so fällt es schwer, politische Ansätze dafür zu erkennen, daß die bislang in die Rüstung fließenden Ressourcen für Entwicklungsaufgaben umgeleitet werden. Dies hat die UNO-Konferenz bestätigt. Ein erster wichtiger, angesichts des globalen Problems dennoch aber nur bescheidener Schritt könnte die in Aussicht genommene Abrüstung der Mittelstreckenraketen sein. Für das weltweite Problem von Rüstung und Unterentwicklung ist die potentielle Vereinbarung jedoch nur dann von Bedeutung, wenn aus dieser ersten Übereinstimmung eine Abrüstungsdynamik entsteht. Auch die Friedensbemühungen in Mittelamerika sind hoffnungsvolle Zeichen. Doch hier zeigt sich, welch fatale Wirkungen die Intervention von außen hat und wie sehr der Friedensprozeß vom guten Willen der Vereinigten Staaten abhängt. Positiver sieht das wissenschaftliche Spektrum aus (auch das haben die Vorbereitungspapiere zur UNO-Konferenz bestätigt); denn die Analyse der Probleme und Hindernisse zeigt Wege zur Trendumkehrung auf.

So paradox es klingen mag, um die großen internationalen Ziele von Abrüstung und Entwicklung zu erreichen, sind – neben den jetzt laufenden internationalen Bemühungen – auch substantielle nationale Maßnahmen erforderlich und möglich, um Blockaden im internationalen Bereich zu überwinden und handlungsfähig zu werden. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt das, mit Abrüstung und Entmilitarisierung dort zu beginnen, wo schon vor Erzielung internationaler Absprachen (und teils über das Aktionsprogramm der UNO-Konferenz hinaus) Schritte möglich sind, ohne die eigene Sicherheit zu gefährden. Dazu gehört z.B. eine strikte Einhaltung bestehender Rüstungsexportgesetze, ein Verbot von Rüstungswerbung, die Unterstützung regionaler Initiativen zur Kontrolle der Rüstung durch die bevorzugte Behandlung in der Entwicklungszusammenarbeit, das Einfrieren und Kürzen der Rüstungsausgaben, die Unterstützung der Verwirklichung des in der UNO-Charta vorgesehenen Systems kollektiver Sicherheit und ähnliches. Diese Maßnahmen im Rüstungsbereich dienen zumindest dazu, das Ziel Abrüstung als die notwendige Bedingung für Entwicklung schrittweise einlösen zu können. Voraussetzung für eine umfassendere Politik der Abrüstung und Entwicklung ist jedoch auch eine Umorientierung der Entwicklungszusammenarbeit, die auf partnerschaftlicher Kooperation mit den Entwicklungsländern beruht.

Anmerkungen

1 Zitiert nach The United Nations General Assembly and Disarmament 1986, New York 1987, S. 196.Zurück

2 Institute for World Economics and International Relations, Military Spending and Economic Structure, With Reference to Centrally-Planned Economies UNO-Dokument A/CONF.130/PC/INF/12, 24. April 1986, S. 1.Zurück

3Im Vorfeld der Konferenz hatte die indische Regierung beispielsweise – ohne die eigene Aufrüstung zu erwähnen – deutlich darauf hingewiesen, „daß nicht alle Mitgliedstaaten in gleichem Maße verantwortlich für das hohe Niveau der globalen Militärausgaben“ seien. Siehe: The United Nations General Assembly on Disarmament 1986, a.a.O., S. 198.Zurück

4 Ausgerechnet die US-Regierung argumentierte, angesichts des Haushaltsdefizits der UNO sollten die vorgesehenen 1,3 Millionen Dollar Kosten der dreiwöchigen Konferenz eingespart werden.Zurück

5 Zitiert nach epd-Entwicklungspolitik 16/1987, S. 14.Zurück

6 Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit schickte auf Anfrage mit der Bitte um umfassende Dokumentation lediglich neun Berichte überregionaler deutscher Zeitungen, die sich mit der UNO-Tagung beschäftigten. Die FAZ überschrieb einen kritischen Leitartikel vom 15. September 1987 folgendermaßen: „Eine überflüssige Konferenz“.Zurück

7 Economic and Social Consequences of Disarmament (United Nations Publication, Sales No. E.62.IX.1); Economic and Social Consequences of Arms Race and of Military Expenditures (United Nations publication, Sales No. E.72.IX.16); Disarmament and Developement (United Nations publication, Sales No. E.73.IX.I); Economic and Social Consequences of the Arms Race and of Military Expenditures (United Nations Publication, Sales No. E.78.IX.I); The Relationship between Disarmament and Developement (United Nations publication, Sales No. E.82.IX.I); and Economic and Social Consequences of the Arms Race and of Military Expenditures (United Nations Publication, Sales No. E.83.IX.2).Zurück

8 Zu der langen Geschichte derartiger Vorschläge in der UNO, deren erste Ansätze bis 1950 zurückreichen, siehe United Nations – Disarmament Yearbock, New York 1986, S. 357 ff. sowie das Konferenzpapier, Consideration of Ways and Means of Releasing Additional Resources Through Disarmament Measures, for Developement Purposes, in Particular in Favour of Developing Countries, UNO Dokument A/CONF.130/PC/INF/8.Zurück

9 Siehe Review of the Relationship Between Disarmement and Developement in All it Aspects and Dimensions With a View to Reaching Appropriate Conclusions, UNO-Dokument A/CONF.130/PC/INF/6. Dazu bereits die Diskussion während der Konferenz 1982, dokumentiert in: Herbert Wulf (Hg.), Aufrüstung und Unterentwicklung. Aus den Berichten der Vereinten Nationen, Reinbeck 1983.Zurück

10 SieheSchlußdokumentA/CONF.130/PC/INF/21.Zurück

11 Zitiert in Frankfurter Rundschau vom 26. August 1987Zurück

12 Die doppelte Moral dieses Verhaltens zeigt sich beispielsweise im Sicherheitsrat der UNO, in dem Mitte 1987 auf einen Waffenstillstand im Golfkrieg gedrängt wird. Gleichzeitig aber sind die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates China, Frankreich, Großbritannien, UdSSR und USA für mehr als die Hälfte der Waffenlieferungen in diese Region verantwortlichZurück

13 J. Gantzel, J. Meyer-Stamer, Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1984 München 1986. Eine Interpretation dazu in: U. Menzel, D. Senghaas, Europas Entwicklung und die Dritte Welt, Frankfurt 1986 S. 240-252.Zurück

14 Ebenda.Zurück

15 Declaration by the Panel of Eminent Personalities, Disarmament and Developement, United Nations New York 1986, S. 4.Zurück

16 Im Brundtland-Bericht werden sehr eindrucksvoll die globalen Verpflichtungen verschiedener Krisen dargestellt. World Commission for Ecology and Developement, Our Common Future, Oxford University Press, 1987Zurück

17 William Clark, „Das Mexiko-Syndrom“, München 1986, zitiert in: J. Betz, V. Matthies, Dritte Welt und Weltfrieden, in: Deutsches Übersee Institut (Hg.), Jahrbuch Dritte Welt 1987, München 1987, S. 27Zurück

Dr. Herbert Wulf ist Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Editorial

Editorial

von Paul Schäfer

Der INF-Vertrag ist unterzeichnet. Über 2700 Atomraketen müssen verschrottet werden. Ein historischer Schritt in der Kriegsgeschichte. Die Welt der nuklearen Vernichtung ist ein wenig geschrumpft.

Noch befindet sich in den Arsenalen der Atommächte ein Vernichtungspotential von weit über 18.000 Megatonnen. Zwischen 600 und 800 Megatonnen werden in den nächsten Jahren durch das Abkommen eliminiert – das sind vier bzw. fünf Kästchen in der „Megatonnenkarte“.

Die Halbierung der strategischen Potentiale ist überfällig. Ein Kompromiß der Hauptmilitärmächte noch 1988 ist nicht auszuschließen; auch die weltweite Ächtung der chemischen Waffen könnte im nächsten Jahr beschlossen werden. Wir haben Anlaß, zum Jahreswechsel guten Mutes zu sein. Als Augenzeugen des Gipfel-Medienspektakels will ich jedoch nicht verhohlen, daß sich gemischte Gefühle einschleichen: die dort geförderte Euphorie kann die verbreitete Friedenssehnsucht verstärken; sie kann zugleich einen Nebelvorhang bilden, hinter dem die nächsten Aufrüstungen versteckt werden.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ informiert ihre Leser darüber, daß das Strategische Luft-Kommando (SAC) durch das Pentagon beauftragt ist, die atomare Einsatz- und Zielplanung den geänderten Bedingungen anzupassen. Die Ziele, die bislang von den Pershings und Cruise Missiles angepeilt wurden, sollen jetzt durch luft- und seegestützte Systeme bzw. Interkontinentalraketen abgedeckt werden.

Vergessen wir nicht, daß Ende November ein Gipfel anderer Art stattgefunden hat – ein Gipfel der militärischen Anschaffer.

Auf der Ministertagung der EUROGROUP in der NATO wurde beschlossen. „Die Glaubwürdigkeit der Bündnisstrategie der flexiblen Antwort und der Vorneverteidigung hängt in gleichem Maße von den sehr bedeutenden Streitkäften der europäischen Bündnispartner ab.(…)

Sie unterstützten dabei das Programm des Bündnisses zur Stärkung der konventionellen Verteidigung. Sie stellten fest, daß die Mitgliedsstaaten der EUROGROUP planen, im Rahmen dieser Anstrengungen ihren Streitkräften im Jahre 1988 eine breite Skala neuen Geräts zuzuführen (…)“

Im einzelnen werden erwähnt: 350 Abwehrkanonen, über 400 Panzerabwehrraketensysteme MILAN, 10.000 Panzerabwehrhandwaffen, 200 neue Kampfflugzeuge (Tornado, F 16).

Und schließlich: an der Entwicklung der neuen High-Tech-Waffen wird fieberhaft gearbeitet. Die Mittel für neue B-Waffen, für neue Kommunikations- und Kommandosysteme werden kräftig aufgestockt. Und während der Kanzler dieser Republik als Vater der Abrüstung posiert, kassieren bundesdeutsche Unternehmen SDI-Forschungsaufträge ein. Den aktuellen Stand haben wir auf den Seiten 18/19 aufgelistet.

Der Informationsdienst Wissenschaft und Frieden hat sich 1987 gut entwickelt Die nicht leichte Umstellung vom „Info-Dienst“ zur Zeitschrift wurde abgeschlossen. Zahlreiche neue Mitarbeiter und über 200 Abonnenten – vor allem aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich – kamen hinzu. Mit der Einrichtung der „Informationsstelle Wissenschaft und Frieden“ wurde begonnen – ihre Arbeit wird auch helfen, den Informationsdienst weiter zu verbessern.

Für das Jahr 1988 wünscht Ihnen die Redaktion viel Überzeugungskraft, Ausdauer und Phantasie bei der Bemühung für den Frieden.

Ihr Paul Schäfer

Report of the Secretary of Defense Caspar W. Weinberger to the Congress on the FY 1988/FY 1989 Budget and FY 1988 – 92 Defense Programs January 12, 1987

Report of the Secretary of Defense Caspar W. Weinberger to the Congress on the FY 1988/FY 1989 Budget and FY 1988 – 92 Defense Programs January 12, 1987

von Caspar Weinberger

Überlegenheitsorientierte Strategien für langfristige Sicherheit

Im letztjährigen Bericht (an den Kongreß; d.Ü.) habe ich überlegenheitsorientierte Strategien erörtert und meine Absicht, diese für den Rest dieser Regierungsperiode zu einem zentralen Thema im Verteidigungsministerium zu machen. Der Kerngedanke überlegenheitsorientierter Strategien ist einfach genug: die Absicherung dauerhafter amerikanischer Stärken in Bereichen dauerhafter sowjetischer Schwachpunkte. Sogar innerhalb ihrer starken und leistungsfähigen Bereiche sollten wir Schwachstellen suchen – Ritzen in ihrem „Panzer“, die wir ausnutzen können, um so die sowjetische Militärmacht mit der Zeit in ihrer Potenz zu schwächen.

Sich überlegenheitsorientierte Strategien zu eigen zu machen würde die Sowjets zwingen, kampfschwächer und leistungsgeringer zu agieren. Dadurch würde die Abschreckung verstärkt, indem wichtige Komponenten der sowjetischen Militärstruktur oder Operationspläne hinfällig werden. Damit würden sie gezwungen, eine schwierige Auswahl zu treffen. Diese Entscheidungen könnten die Verlagerung von mehr Ressourcen in Defensiv-Systeme und entsprechende Militäroperationen beinhalten an Stelle fortgesetzter Aufstellung von Einheiten für offensive Operationen; sie könnten sich entschließen, bestimmte Offensivstreitkräfte aufzugeben angesichts ihrer Unfähigkeit, unsere Verteidigung zu überwinden.

Unsere gegenwärtige Planung beinhaltet eine Anzahl von hervorragenden Beispielen überlegenheitsorientierter Strategien. So hat sich z.B. die amerikanische ASW-Fähigkeit (U-Boot-Bekämpfung; d.Ü.) als sehr erfolgreiche überlegenheitsorientierte Strategie erwiesen. Nukleare Raketen-U-Boote (SSBN) und Jagd-U-Boote (SSN) der USA sind eindeutig geräuschärmer als sowjetische U-Boote, wodurch es für die Sowjets schwieriger wird, sie aufzuspüren. Diesen Vorteil ausnützend dislozieren die USA ihre SSBNs über weite Fläche der Weltmeere, wodurch für die Sowjets Such- und Aufspürbemühungen sehr viel komplizierter werden. Im ASW-Bereich besitzt der Westen außerdem geographische Vorteile, da wir Horchsensoren an der Peripherie der wichtigen Weltmeere stationieren und unsere ASW-Streitkräfte von vorgeschobenen Basen um die Sowjetunion herum einsetzen können. Die Sowjets müssen auf der anderen Seite ihre ASW-Kräfte über ausgedehnte Entfernungen zum Einsatz bringen. Da wir in den Technologien führend sind, die für ASW-Kriegsführung Relevanz haben, z.B. Hochpräzisions-Herstellung, Informationsverarbeitung und passive Ortungsmittel, waren die Vereinigten Staaten in der Lage, auf sowjetischer Seite einen überproportionalen Aufwand wertvoller Rüstungsressourcen auszulösen, um mit der potentiellen Gefahr für ihre U-Boot-Flotte, auch für ihre Raketen-U-Boote, fertig zu werden. Die Kombination von auf amerikanischer Seite genutzter Technologie und adäquater U-Boot-Strategie hat viel dazu beigetragen, die Art der sowjetischen maritimen Reaktion zu bestimmen. Als Konsequenz sind große Teile der konventionellen sowjetischen Marinestreitkräfte dafür ausgelegt, Meeresbereiche, die unmittelbar an die Sowjetunion grenzen, zu verteidigen, anstatt auf große Entfernungen zu kämpfen. Es ist klar, daß unser Vorrang in diesem Bereich real eingebüßt werden könnte und daß sowohl weitere Ressourcen sowie Wachsamkeit nötig sind, um die Überlegenheit aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang ist es offensichtlich, daß die Aktivitäten der sowjetischen Seestreitkräfte gegenwärtig darauf hinauslaufen, entsprechende Mittel zu erhalten, um ihre Militärmacht über große Entfernungen zum Einsatz zu bringen. Die ersten beiden schweren Flugzeugträger sind im Bau bereits weit vorangeschritten.

Ebenso sind wir bemüht, die Fähigkeit unserer Luftstreitkräfte, in den sowjetischen Luftraum einzudringen, zu erhalten als Bestandteil unserer Abschreckungsfähigkeit. Die UdSSR hat das größte Luftverteidigungssystem der Welt errichtet, ein System, das sie zahllose Rubel gekostet hat, in etwa einem Gegenwert von 120 Milliarden Dollar vergleichbar. Eine Anzahl von Faktoren macht unsere strategischen Bomberstreitkräfte zu einem Bereich relativer Überlegenheit auf Seiten der Vereinigten Staaten. Erstens begünstigt uns die geographische Lage, da die USA und ihre Alliierten Eindringmissionen mit Bombern von einer ganzen Anzahl von Stützpunkten entlang der sowjetischen Peripherie starten oder unterstützen können. Zweitens besitzt der Westen eine allgemeine Überlegenheit über die Sowjetunion bei der Produktion von Flugzeugen. Wir können die besseren Flugzeuge effizienter herstellen. Drittens entwickeln die Besatzungen westlicher Flugzeuge aufgrund einer Anzahl soziologischer und kultureller Gründe eindeutig einen Grad von Initiative, Innovationsfähigkeit und Selbstvertrauen, der bei sowietischen Mannschaften nicht gefunden wird. Und letztlich führen wir vor den Sowjets in einer Reihe von Schlüsseltechnologien, wie etwa von Radar, Navigationshilfen und Kommunikationssysteme. Neue ortungsmindernde Technologien versprechen einen weiteren Ausbau der Überlegenheit unserer Luftflotte; dies bis zu einem Grad, der die sowjetische Luftverteidigungs-Infrastruktur obsolet werden lassen könnte. Die Einführung von überlegenheitsorientierten Strategien bei der Waffenentwicklung und in unserem strategischen Denken ist im Verteidigungsministerium lediglich in dem Sinne neu, daß wir es explizit, systematisch und überall wo nur möglich durchsetzen wollen. Ein Beispiel dafür ist das Bomber-mit-fortgeschrittener-Technologie-Programm (ATB). Unser Ziel ist es hierbei, die historische sowjetische Sorge hinsichtlich ihrer Heimverteidigung auszunutzen, indem wir die überlegenen Tarntechnologien nutzen, die wir jetzt in unseren Flugzeugen und Marschflugkörpern zur Anwendung bringen können. Um mit dem ATB-Programm konkurrieren zu können, werden die Sowjets gezwungen sein, enorme Investitionen für neue Verteidigungssysteme über eine ganze Reihe von Jahren aufzuwenden, während ihr gegenwärtiger enormer Finanzaufwand rapide nutzlos wird. ATB wird nicht nur dramatisch gegenwärtige sowjetische Luftverteidigungssysteme veraltenlassen, sondern ebenso die Luftverteidigung der Warschauer-Pakt-Alliierten Moskaus und verbündeter Dritte-Welt-Staaten.

Gleichzeitig wird Moskau nicht in der Lage sein, existierende Luftabwehrsysteme zu verschrotten angesichts des B-1-Bombers und der weiterentwickelten Cruise Missiles (ATM), die von unseren B-52 abgefeuert werden können, womit die Effektivität unsere herkömmlichen Strategischen Luftstreitkräfte weit in die 90er Jahre hinein erhalten bleibt.

Unsere Anwendung überlegenheitsorientierter Strategien bei der Anschaffung neuer Flugzeugsysteme kommt gut voran. Ortungsmindernde Fähigkeiten zu erreichen, gehört heute zu einem wesentlichen Standard neuer Entwürfe und Pläne. Ende 1986 traf die Luftwaffe eine Endauswahl von Firmen, um Prototypen eines Kampfflugzeuges zu entwickeln und zu testen, des Fortgeschrittenen Taktischen Kampfflugzeuges (ATF). Anstatt die riesigen sowjetischen Luftstreitkräfte vorrangig über westeuropäischem Gebiet zu konfrontieren, wird der ATF unseren Luftstreitkräften die Fähigkeit geben, tief in das feindliche Territorium vorzudringen, trotz vorhandener extensiver Luftverteidigung des Warschauer Paktes, und sowjetische Kampf- und Jagdflugzeuge in der Nähe ihrer Hauptoperationsbasen anzugreifen. Damit wird ATF deutlich die Abschreckungsfähigkeit der NATO verstärken. Kombiniert mit den Fähigkeiten und der Initiative unserer Piloten wird ATF große Teile der taktischen Luftverteidigung des Warschauer Paktes uneffektiv machen und auf diese Art den Druck auf die Sowjets verstärken, neue Verteidigungssysteme mit beträchtlichem Aufwand an Rubeln und Zeit zu errichten. Diese Verteidigungssysteme müten wahrscheinlich zu Ungunsten von Neuinvestitionen in Offensivsysteme geschaffen werden.

Gleichzeitig entwickelt die Marine der Vereinigten Staaten ein Fortgeschrittenes Taktisches Flugzeug (ATA). Es ist dafür vorgesehen, die enormen sowjetischen Investitionen in ihre Flotte und Küstenluftabwehr zu unterlaufen, ebenso Luftverteidigungssysteme und Militäreinrichtungen ihrer Dritte-Welt-Satelliten. Nochmals, sollten die Sowjets versuchen, diese Verteidigungssysteme aufrechtzuerhalten, werden sie beträchtliche Ressourcen aus anderen Bereichen abziehen müssen. ATA wird die Marine der Zukunft mit der Fähigkeit versehen, bei stark erhöhter Oberlebensfähigkeit feindliches Territorium anzugreifen, womit die Marine eine größere Möglichkeit gewinnt, amerikanische und alliierte Streitkräfte zu unterstützen. Damit wird unsere Fähigkeit, Angriffe abzuschrecken und so Krieg zu verhindern, sehr vergrößert.

Die Denkhaltung, die überlegenheitsorientierte Strategien hervorbringt, ist ebenso offensichtlich in den neuen Operationskonzepten der Armee. Aus der Erkenntnis der Abhängigkeit der Militäroperationen des Warschauer Paktes von Streitkräften der zweiten Staffel wurden die Air-Land-Battle-Doktrin der US-Armee (ALB) und das Follow-On-Forces-Attack-Konzept (FOFA) der NATO entwickelt, um die Nachteile an der Kampflinie, mit denen wir uns konfrontiert sehen, zu überwinden. Durch die Risikoerhöhung fr die Streitkräfte der zweiten Welle des Warschauer Paktes gefährden diese Militärdoktrinen den Erfolg der gesamten strategischen Operationen auf dem Kriegsschauplatz. Mit unseren gegenwärtigen Fortschritten bei neuartigen Waffentechnologien, modernster Sensorik und Datenverarbeitung ist unsere Fähigkeit, intelligente Waffensysteme mit hoher Präzision auf dem erweiterten Schlachtfeld einzusetzen, beeindruckend. Die Sowjets begreifen den kombinierten Effekt dieser Militärdoktrin und unserer Waffentechnologie sehr wohl, wie aus besorgten Analysen und Texten einiger ihrer führenden Offiziere erkennbar ist. Mit einer Kombination dieser neuen Waffensysteme und dazugehöriger Einsatzdoktrinen konfrontiert, werden die Sowjets zunehmend gezwungen sein, prinzipiell die potentielle Effektivität ihrer Landstreitkräfte in Zweifel zu ziehen, ebenso die Wirkungsfähigkeit ihrer Kriegsführungsdoktrin für Europa. Alle angreifenden sowjetischen Heereskräfte würden z.B. sofort mit einer ganzen Phalanx intelligenter Waffensysteme konfrontiert, die im Rahmen einer Doktrin, die für diese neuen Technologien maßgeschneidert ist, eingesetzt würden, und die genau auf sowjetische Schwachstellen zielt; in vielerlei Hinsicht wird es eher der sowjetische Angreifer denn der NATO-Verteidiger sein, der überrascht wird. Darüber hinaus würden nachfolgende sowjetische Staffeln der Zweiten Welle die Wirksamkeit der NATO-Verteidigungssysteme sofort und direkt verspüren. Diese neuen Doktrinen und Waffensysteme, bei ausreichender Finanzierung und politischer Unterstützung, werden zusammen dazu dienen, die konventionelle Abschreckungsfähigkeit der NATO über die Zeit noch stärker zu machen.

Die Strategische Verteidigungs-Initiative (SDI) des Präsidenten ist ebenfalls als überlegenheitsorientierte Strategie sehr vielversprechend. Angesichts der massiven sowjetischen nuklearen Drohung kann SDI die Fähigkeit zur Neutralisierung dieser Bedrohung gewährleisten. In der Tat könnte so das strategische Verhältnis von der offensiven Orientierung in eine defensive Orientierung umgewandelt werden. Darüber hinaus bietet SDI die Möglichkeit zur Entwicklung einer ganzen Anzahl neuer konventioneller Technologien, die andere überlegenheitsorientierte Strategien auslösen könnten. Wir und unsere Alliierten werden damit fortfahren, entsprechende Forschungsarbeiten zu leisten, um die dafür relevanten Technologien zu entwickeln, doch hierzu sind ausreichende Finanzmittel notwendig, wenn diese überlegenheitsorientierte Strategie erfolgreich sein soll. So produktiv diese überlegenheitsorientierten Strategien bereits wirken, sicher ist, daß wir zweifellos mehr tun können. Wir müssen fortfahren, die überlegenheitsorientierte Haltung weiter bei unserer Waffenentwicklung zur Grundlage zu machen, in unserer Operationsplanung sowie in unserer Militär-Doktrin. Dies ist wirklich der einzige Weg, auf dem wir die zahlenmäßige sowjetische Überlegenheit übertrumpfen und mit anderen militärischen Vorteilen, die ihr politisches System ihnen bietet, fertig werden können. Es ist verhältnismäßig einfach, das Konzept überlegenheitsfähiger Strategien bei der Entwicklung neuer Technologien anzuwenden. Um den maximalen Nutzen aus diesen Technologien zu ziehen, müssen wir jedoch auch entsprechende Operationskonzepte entwickeln. Wie viele Beispiele zeigen, müßten wir tatsächlich fähig sein, Vorteile daraus zu ziehen, daß wir ein neues Operationskonzept auch unter Verwendung bereits vorhandener Waffensysteme entwickeln. Ich plane, den Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs und die Oberkommandeure der einzelnen Truppenteile und Kommandos Wege bestimmen zu lassen, um sowjetische Schwachstellen bei Nutzung existierender Waffensysteme auszunutzen und mit der Arbeit an der Entwicklung von Operationskonzepten zu beginnen, die die Möglichkeiten unserer neuen Technologien vollständig ausschöpfen.

Eine große Herausforderung bei der Entwicklung von mehr Überlegenheitsfähigkeit für unser Verteidigungsprogramm liegt im intellektuellen Bereich, da es in einigen Fällen erforderlich ist, herkömmliche Praktiken zu überdenken. Zu bestimmen, welche Kombination von Technologien, Waffensystemen und Organisationsplanungen es uns ermöglicht, am besten aus unseren Stärken aus sowjetischen Schwachstellen Kapital zu schlagen, erfordert differenzierte Analysen. Nichtsdestotrotz bleibt es unser Ziel, und ich bin sicher, daß wir es erreichen können.

Eine noch größere Herausforderung ist eine Institutionalisierung dieser Herangehensweise. Wir haben überlegenheitsorientierte Strategien im Konzept entwickelt und arbeiten an der Bestimmung einer ersten zusammenhängenden Reihe dieser Strategien. Es muß jedoch auch sichergestellt werden, daß wir eine anhaltende Anstrengung zur langfristigen Einbeziehung dieser Strategien in unsere Verteidigungsstrategie und unser Politikkonzept auslösen.

Als ersten Schritt bei diesem Bemühen habe ich eine Anzahl erster Studien in Auftrag gegeben. Der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabes, unterstützt durch die Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte, hat unsere militärische Strategie und Waffenprogramme analysiert und diejenigen Bereiche und militärischen Aufträge identifiziert, die für eine Anwendung überlegenheitsorientierter Strategien am vielversprechendsten sind.

Die Staatssekretäre und Oberkommandeure aller Waffengattungen haben ebenfalls ihre Meinung zu Bereichen und Technologien abgegeben, die für sie vielversprechendste Möglichkeiten für überlegenheitsfhige Strategien zu haben scheinen. Sie werden laufende Waffenprogramme analysieren und Empfehlungen abgeben, wie diese Waffenprogramme, wo sinnvoll, in überlegenheitsfähige Strategien einbezogen werden sollten. Sie werden solche Strategien in ihre Vorschläge für neue Waffensysteme integrieren und diese Gesichtspunkte werden im Rahmen des neuen Koordinierten Anforderungs- und Managementausschusses (JRMB) geprüft werden.

Ich habe den stellvertretenden Verteidigungsminister beauftragt, die Institutionalisierung des Prinzips überlegenheitsorienter Strategien im gesamten Verteidigungsministerium zu überwachen und die Verantwortlichkeit für den Ablauf der täglichen Weiterführung betroffener Programme zu übernehmen. Aufgrund ihrer Bedeutung werde ich regelmäßig die Sitzungen leiten, die den Stand der Einbeziehung dieser Programme innerhalb der einzelnen Waffengattungen kontrollieren. Es gibt ebenso Politikbereiche, wie etwa das Sicherheitsbeihilfen-Programm der USA, wo wir in der Lage sein dürften, unsere Politik zu modifizieren, um so unsere Abschreckung gegenber einem Abenteurertum der Sowjets und sowjetischer Vasallen zu verstärken. Der Staatssekretär für Verteidigungspolitik ist angewiesen, Politikkonzepte zu entwickeln, die unsere überlegenheitsorientierten Strategie-Initiativen unterstützen.

Letzten Endes werden wir jedoch nicht in der Lage sein, ohne anhaltende Unterstützung durch den Kongreß irgendetwas hiervon zu verwirklichen. Während der vergangenen sechs Jahre haben wichtige Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus unsere sicherheitsempfindlichsten Programme und Pläne überprüft. Diese Mitglieder haben uns darin unterstützt, diese ganz besonderen Systeme auf jedem Schritt ihrer Entwicklung zu fördern. Die Übernahme des Konzepts der überlegenheitsorientierten Strategien ist durch den Kongreß in Wort und Tat unterstützt worden. Durch diese unsere Kooperation können wir den Vereinigten Staaten und unseren Alliierten dabei helfen, eine wirklich stabile Abschreckungsfähigkeit weiterzuentwickeln und ins Feld zu stellen, die stärker auf fortgeschrittenem Entwicklungskonzept, Produktionsverfahren und Kampfdoktrin beruht als auf dem Bemühen, den Sowjets Panzer für Panzer, Schiff für Schiff und Flugzeug für Flugzeug gewachsen zu sein.

US-Militärausgaben 1980-1988 in Mrd. $
1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988
144 180 217 245 265 295 289 290 312
Quelle: DoD

Im Haushaltsentwurf 1988/89 werden wieder große Mittel zur Verstärkung der US-Nuklearstreitkräfte gefordert. Die Zeitschrift „The Defense Monitor“ spricht von den „Nuclear Warfighting Foroes“. Für die MX-Rakete will das Pentagon 1,9 Mrd. $. Die ersten zehn Raketen sind inzwischen operabonspereit. Die Dislozierung weiterer vierzig steht an. Für die Trident-II-Rakete sind 3,5 Mrd. $ veranschlagt. Das Programm für den „Stealth-Bomber“ ist geheim; dennoch wird von jährlich 3,5 Mrd. $ Entwicklungskosten ausgegangen. Für SDI hat die Reagan-Administration 5,9 Mrd. gefordert. 400 Millionen $ sollen in die Effektivierung der Kommunikationssysteme und die Sicherung ihrer Überlebensfäbigkeit in einer nuklearen „Auseinandersetzung“ fließen. Über 14 Mrd. $ gehen damit nach der Ansicht der Herausgeber – des „Center for Defense Information“ – in neue Kriegführungssysteme. Das gesamte Militärbudget der USA für 1987 schätzen sie auf 400 Mrd. $.

Anmerkung:

Im Originaltext „competitive strategy/strategies“, wörtlich: konkurrenzfähig, wettbewerbsorientiert, gemeint ist: im Rahmen der Hochrüstung an Überlegenheit orientiert und zur Erhaltung/Gewinnung von militarischer Überlegenheit entschlossen zu sein. Im Text wurde der Begriff deshalb durchgehend mit überlegenheitsorientiert, an wenigen Stellen (im Kontext) mit überlegenheitsfähig übersetzt. (Anm. d.Ü.)

Übersetzung: Peter Brollik

Editorial

Editorial

von Paul Schäfer

Ein Abrüstungsvertrag ist greifbar. Sein Abschloß wäre ein historisches Ereignis. Offen ist, was er in Gang setzen würde: eine Dynamik der Rüstungsminderung oder der erneuten Nach-Nachrüstung. Mittlerweile weiß man, daß die klassischen Abkommen der Rüstungskontrolle in aller Regel keine Wege zur Abrüstung geöffnet haben, sondern bloß die nächste technologisch-ökonomische Aufrüstungsrunde eingeläutet haben: alte Systeme wurden ausgesondert, die Installierung neuer tödlicher Kampfmittel ermöglicht.

Heute ist der Kampf um das Aufreißen einer realen Abrüstungsperspektive zugespitzt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In solchen Situationen treten die wirklichen Optionen der Beteiligten klarer hervor als in Zeiten politischer Ruhe. Die offizielle Friedensrhetorik dünnt sich rapide aus, die Legitimationen zerbröseln, es bleibt der schreckliche Satz: Frieden schaffen geht bloß mit atomaren Waffen. Wenn sich die NATO durch die Null-Lösungsangebote Moskaus „überfordert“ fühlt, im Westen die „Angst vor der Denuklearisierung grassiert“ dann heißt das: man fürchtet eine Weit ohne Atomwaffen. Das Credo dieses Bündnisses ist die Atomrüstung, der Doppelbeschluß war nie mehr als ein taktisches Manöver, reale, langfristige Abrüstungskonzepte, hinter denen ein politischer Wille steht, existieren nicht. Hektisch werden „Pferdefüße“ (Wörner) ausfindig gemacht, Argumentationsmuster variiert, Ablenkungsmanöver inszeniert, Junktims hergestellt und neue technologische Optionen eruiert.

Den politischen Willen für den Einstieg in eine Abrüstungsspirale gibt es in der Friedensbewegung. Sie fürchtet keine Denuklearisierung. Am 13. Juni demonstriert sie in Bonn.

Diesen politischen Willen zur Abrüstung mit fachkompetenten Konzeptionen professionell zu komplettieren, ist eine hervorragende Aufgabe der Wissenschaft. Wie sollen Armeen umstrukturiert, verringert, ungefährlich gemacht werden? Wie wird die technologische Rüstungsdynamik entschärft? Oder, am wichtigsten: wie baut man die gerüsteten Gesellschaften um – und wie ist eine friedliche Ordnung beschaffen? Solche Fragen machen den Unterschied aus zur Situation vor drei Jahrzehnten, als sich die „Göttinger 18“ gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr erklärten. Ihr Einspruch trug dazu bei, Adenauers Pläne zu vereiteln. Sie setzten eine Tradition öffentlich verantwortlicher Wissenschaft fort, die bis heute wirkt. Die heutigen Einsprüche der Wissenschaft gehen weiter: sie zielen auf den gemeinsamen Eingriff in das politische Kräftefeld, um praktische Wege aus der Rüstungsdynamik zu öffnen. Solche Verantwortung nimmt die Zusammenhänge der eigenen Arbeit nicht aus: Ende Juni soll in Karlsruhe auf einer Konferenz der Naturwissenschaftler-Initiative über Rüstungs- und Friedensforschung referiert und diskutiert werden. Und: wohl doch anders als die „Göttinger 18“ versteht sich ein Großteil der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen als dauerhafter Faktor in einer großen demokratischen Bewegung für eine vernünftige Friedenspolitik. Zu diesem Zweck haben die Initiatoren der „Mainzer Erklärung“ von 1983 zur Gründung eines Vereins aufgerufen. Es bedarf keiner großen Erklärung, daß wir dazu auffordern, die „Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für den Frieden“ zu unterstützen – diesem Heft liegt eine Beitrittskarte bei.

Ihr Paul Schäfer

Erwartungen. Was eine neue Bundesregierung tun könnte

Erwartungen. Was eine neue Bundesregierung tun könnte

von Jürgen Altmann

In den letzten Jahren beobachten wir eine gefährliche Aufrüstungswelle. Seit Amtsantritt Präsident Reagans haben die USA ihre Militärausgaben verdoppelt: ein völliger Zusammenbruch der Rüstungskontrollverträge droht. Die Bundesregierung hat sich zwar in Worten zur Rüstungsbegrenzung bekannt, tatsächlich aber hat sie die USA-Politik unterstützt. Mehr noch, sie ist ein eigenständiger Motor der Aufrüstung gewesen. Die sichtbarsten Zeichen davon sind die Stationierung von Pershing II und Marschflugkörpern sowie der SDI-Kooperationsvertrag, aber in vielen anderen Bereichen gilt dasselbe. Die nächsten Aufrüstungsschübe wie Air-Land-Battle/Follow-on-Forces-Attack oder eine westeuropäische Raketenabwehrinitiative sind im Gang bzw. werden vorbereitet. Kleine Lichtblicke wie der erfolgreiche Abschluß der Konferenz für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa oder das Zustandekommen eines (Vor-)Gipfels ändern noch nichts an der grundsätzlichen Richtung der internationalen Politik.

Was könnte und sollte eine neue Bundesregierung tun, um dieser Grundrichtung eine Wende zu geben, eine Regierung, die sich ernsthaft an den Zielen: Erhaltung der Rüstungskontrollverträge, strategische Stabilität, „Frieden schaffen mit weniger Waffen“ orientieren würde? Im folgenden möchte ich einige Aspekte aus der Sicht eines um den Frieden besorgten Naturwissenschaftlers darstellten.

Vollständiger Stopp von Kernwaffentests

Geophysiker weisen seit Jahren nach, daß unterirdische Atomtests sicher von Erdbeben unterschieden werden können. Die jetzige Bundesregierung hat im Genfer Abrüstungsausschuß (Conference on Disarmament, CD) den Aufbau eines weltweiten Meßsystems vorgeschlagen, das im Verlauf von zehn Jahren die Nachweisschwelle auf 1 Kilotonne TNT (Hiroshima: ca. 15 kt) senken soll. Kerntests könnten aber von heute auf morgen gestoppt werden, wenn die USA sich dem Moratorium der UdSSR anschließen würden. Eventuelle Verstöße könnten mit Meßgeräten in der Nähe der jeweiligen Testgebiete festgestellt werden, wie die Vereinbarung zwischen dem Natural Resources Defense Council, USA, und der Akademie der Wissenschaften der USA zeigt (seit August 1986 laufen solche Messungen in der UdSSR, in den USA sollen sie folgen). Eine neue Bundesregierung könnte öffentlich erklären, daß ein vollständiger Teststop sofort möglich ist; sie könnte intern wie auch öffentlich auf die US-Regierung einwirken, damit diese ihre Position ändert. (Das würde im US-Kongreß auf starke Unterstützung treffen.) Sie könnte in den internationalen Gremien (der UN-Generalversammlung der Abrüstungskonferenz in Genf) konkrete Vertragsvorschläge statt allgemeiner Absichtserklärungen einbringen.

Verbot von Weltraumwaffen

Die bisherige Bundesregierung bekennt sich in Worten zum Ziel, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern. Gleichzeitig unterstützt sie aber das SDI-Projekt der USA, das den Aufbau von Weltraumwaffen zum Ziel hat und das den Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen, den ABM-Vertrag von 1972, nicht erst bei Stationierung, sondern schon bei Entwicklung und Erprobung verletzen würde. Eine neue Bundesregierung könnte auf verschiedene Weise versuchen, die USA von ihrer bisherigen Position abzubringen, nach der eine Einschränkung der Forschung und Entwicklung von Weltraumwaffen nicht verhandelbar ist. Sie könnte öffentlich erklären, daß Weltraumwaffen Atomwaffen nicht abschaffen werden, daß sie nicht rein defensiv sind und daß sie die strategische Lage destabilisieren werden. Die Bundesregierung könnte das SDI-Zusammenarbeitsabkommen kündigen (das ja, wie inzwischen jeder nachlesen konnte, in keiner Weise Gleichbehandlung, für Technologie usw. sichert). In den internationalen Gremien könnte sie den Vertragsvorschlag des Göttinger Naturwissenschaftlerkongresses von 1984 zum umfassenden Verbot von Weltraumwaffen einbringen. Die Bundesregierung könnte sich für den Aufbau einer blockübergreifenden Satellitenagentur zur Überwachung eines Weltraumwaffenverbots einsetzen. Die Beteiligung an der US-Weltraumstation Columbus könnte zurückgezogen werden, solange die USA nicht verbindlich erklären, daß diese nicht militärisch genutzt wird.

Abbau nuklearer Mittelstreckenwaffen

Die Bundesregierung hat sich in Westeuropa zum Vorreiter gemacht bei der Stationierung hochzielgenauer neuer Mittelstreckenwaffen (Marschflugkörper und Pershing II, letztere mit sehr kurzer Flugzeit). Die UdSSR hat sich bereit erklärt, ihre auf Westeuropa gerichteten SS 20 Raketen zu verschrotten und die als Antwort zusätzlich in der DDR und der CSSR stationierten Kurzstreckenraketen zurückzuziehen. Die Bundesregierung könnte die Zustimmung zur Stationierung von Pershing II und Marschflugkörpern zurückziehen und die USA auffordern, sie abzuziehen. Die Bundesregierung könnte auf die westeuropäischen Atommächte Großbritannien und Frankreich einwirken mit dem Ziel, daß diese ihr Nuklearpotential nicht ausbauen und konstruktiv bei einer ganz Europa umfassenden Reduzierung mitwirken.

Kein Euro-SDI, keine neuen Kurzstreckenraketen

Die nächste europäische Aufrüstungsrunde wird, wenn die jetzt begonnenen Entwicklungen nicht umgekehrt werden, durch den Aufbau von Raketenabwehrsystemen („europäische Verteidigungsinitiative, erweiterte Luftabwehr“) bestimmt sein. Gleichzeitig werden neue Kurz- und Mittelstreckenraketen aufgestellt werden, die die Abwehrsysteme der anderen Seite durchdringen können (und die speziell die gegnerischen Raketen frühzeitig, noch in deren Startgeräten zerschlagen können). Eine neue Bundesregierung könnte diese Projekte stoppen und stattdessen den Abbau von Kurzstreckenraketen auf beiden Seiten anstreben – dann braucht man sie weder im Flug abzuwehren, noch gibt es Zwänge, sie präemptiv auszuschalten. Ein erster Schritt könnte die Vereinbarung einer von atomaren Gefechtsfeldwaffen freien Zone von je 150 km Breite längs der Grenzen zur DDR und CSSR sein, wie es die Palme-Kommission vorgeschlagen hat.

Weitere Möglichkeiten

Eine neue Bundesregierung könnte mit der DDR und der CSSR eine chemiewaffenfreie Zone vereinbaren, etwa so, wie es die SPD mit der SED und der KPC schon getan hat. Sie könnte die Zustimmung zur Stationierung von Binärwaffen verweigern und somit, einer Bedingung des US-Kongresses folgend, deren Produktion in den USA verhindern. Offensive Strategiekonzepte wie Air-Land-Battle, Follow-on-Forces-Attack, Rogers-Plan könnten zurückgewiesen werden. Die Mittel für militärische Forschung und Entwicklung könnten reduziert werden. Wer ein bißchen mehr nachdenkt, kommt sicher noch auf weitere gute Ideen. Gute Ideen sind auch nötig, um eine Reihe komplizierterer Fragen zu lösen, wie die konventionelle Rüstung in Europa beiderseitig reduziert und gleichzeitig die Stabilität in einer Krise verbessert werden kann.

Bei allen solchen Aktivitäten, die eine größere Umorientierung der Politik unseres Landes bedeuten würden, könnte sich die Bundesregierung auf verschiedene Partner stützen. Im Innern gibt es einerseits die Friedensbewegung, andererseits stößt der US-Konfrontationskurs auch bei NATO-Befürwortern auf Widerspruch. In Westeuropa gibt es einige Länder, die der Stationierung der neuen Mittelstreckenwaffen nur zögernd, unter Druck auch durch die Bundesregierung gefolgt sind; viele haben sich gegen eine SDI-Kooperation ausgesprochen. Die Staaten der Warschauer Vertragsorganisation haben eine ganze Reihe guter Vorschläge gemacht, das Atomtestmoratorium der UdSSR ist eine beachtliche einseitige Vorleistung. Auch in den USA selbst wächst der Einfluß derjenigen, die für die Beibehaltung der Rüstungsbegrenzungsverträge, für einen vollständigen Teststop und gegen die Aufrüstung im Weltraum sind. Die Bundesrepublik hat einen großen politischen Spielraum, sie könnte für die Umkehrung des jetzigen Trends, weg von Aufrüstung und Konfrontation, hin zu Entspannung und Abrüstung, eine Schlüsselrolle spielen.

Können wir das erreichen? Ja, wenn im Vorfeld der Bundestagswahlen (und darüberhinaus) ein politisches Klima entsteht, in dem Frieden eine zentrale Frage ist. Der Naturwissenschaftler-Kongreß „Wege aus dem Wettrüsten“ wird mit seinen „Hamburger Abrüstungsvorschlägen“ wichtige Argumente liefern. Wir Naturwissenschaftler sind herausgefordert, in der von den berufsbezogenen Friedensinitiativen getragenen Aktion „Abrüstung wählen“ unseren Sachverstand und unser Verantwortungsbewußtsein an allen Orten einzubringen.

Dr. J. Altmann, Physiker, Mitglied im Vorstand des Forums Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung

Rüstungswirtschaft – Konversion statt weitere Aufrüstung

Rüstungswirtschaft – Konversion statt weitere Aufrüstung

von Herbert Wulf

Die rüstungswirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Mitte der achtziger Jahre ist geprägt durch das Auslaufen einiger großer Rüstungsprogramme (Fregatten, Leopard-Kampfpanzer, Alpha Jet, MRCA Tornado) mit entsprechendem Auftragsrückgang bei den großen Rüstungsbetrieben. Gleichzeitig aber wird die nächste Rüstungsrunde, die Waffengeneration der neunziger Jahre geplant und entwickelt. Hoher Finanzbedarf ist seitens des Verteidigungsministeriums angemeldet worden. Die langfristigen Bundeswehrpläne und das NATO-FOFA (Follow-on-forces-attack)-Konzept mit kräftigen Aufrüstungsschüben konventioneller Waffen verheißen den Rüstungsfirmen blühende Geschäfte ab Anfang/Mitte der neunziger Jahre.

Doch für die Rüstungsindustrie hat die jetzige Planung zwei Haken: Erstens helfen gute Geschäftsaussichten für das nächste Jahrzehnt heute nicht, Kapazitätsüberhänge auszulasten und zweitens ist die Rüstungsrunde in den neunziger Jahren längst noch nicht finanziell abgesichert Das Verteidigungsministerium rechnete 1985 mit einem Gesamtaufwand für die geplanten neuen Waffensysteme von 240 Milliarden Mark.

Doch Preisschätzungen für einige Waffensysteme mußten bereits jetzt nach oben korrigiert werden. Berücksichtigt man die in der Vergangenheit üblichen Preissteigerungen bei Waffen, so muß man ein Finanzvolumen von 500 Milliarden Mark als realistisch ansehen. Das heißt, die Bundeswehrplanung steht auf tönernen Füßen:

entweder muß die Zahl der geplanten Waffen reduziert werden oder aber es muß mehr noch als in der Vergangenheit kräftig zugunsten des Verteidigungsetats aus anderen Haushaltstiteln umgeschichtet werden. Die Politik des Sozialabbaus heute aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen ein primäres Ziel der Bundesregierung – fände eine zusätzliche Legitimation, weil „Sicherheit ihren Preis hat“. Die verheerenden Konsequenzen für Arbeits-, Sozial-, Bildungs-, Jugendpolitik usw. sind leicht vorstellbar.

Wie reagiert die Rüstungsindustrie? Erstens drängt die Industrie – nicht ohne Erfolg – auf die Lockerung der so schon durchlöcherten Exportrestriktionen. Doch den Wünschen der Industrie und dem Wohlwollen der Regierung steht sinkende Kaufkraft in Entwicklungsländern entgegen. Gute Geschäfte werden sicherlich auch in Zukunft gemacht werden, doch die Zeit der rasanten Wachstumsrate im Waffenhandel der vergangenen Dekade ist vorbei. Zweitens drängt die Rüstungsindustrie – ebenfalls erfolgreich – auf die Erhöhung der Aufträge der Bundeswehr. Außerhalb der Langfristplanung der Bundeswehr wurden 1986 aus rein industriellen Erwägungen 150 Leopard Kampfpanzer, 35 MRCA Tornados und zwei Fregatten zusätzlich bestellt. Den kriselnden Werften, den jammernden Panzer- und Flugzeugherstellern kann so kurzfristig aus der Patsche geholfen werden.

Die wirtschaftliche, sicherheits- und friedenspolitisch vernünftige Alternative, einen Konversionsplan zu erstellen und die Überkapazitäten abzubauen, wird weder in der Regierung noch in der Industrie ernsthaft erwogen. Damit sind weitere Aufrüstungsschübe programmiert und neue Hindernisse für eine Verständigung über Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung aufgebaut. Soll der Teufelskreis der gegeneinander gerichteten Waffen durchbrochen werden, bietet ein Konversionsprogramm einen guten Ansatz. Finanzielle und wirtschaftliche Argumente sprechen eindeutig gegen den derzeit verfolgten Kurs. Das Einfrieren oder die Kürzung des Militärhaushaltes könnte offensiv als friedenspolitisches Signal vertreten werden und zudem könnten die im Rüstungsbereich eingesparten Mittel sinnvoll – und mit volkswirtschaftlichem Gewinn – in Bereiche gesellschaftlich hoher Priorität umgeleitet werden.

Konfrontiert mit drohender Arbeitslosigkeit, haben Arbeitnehmer in Rüstungsunternehmen Arbeitskreise „Alternative Fertigung“ gegründet, die konkrete Vorschläge zur Umstellung der Rüstungsindustrie vorlegen. Zahlreiche ökologisch und auch ökonomisch sinnvolle Produkte sind vorgeschlagen worden. Untersuchungen der

Umstellungsmöglichkeiten auf zivile Fertigung zeigten, daß die technischen Probleme bewältigbar sind. Vor allem sind in den meisten Betrieben Beschäftigte in der Rüstungsindustrie tätig, deren berufliche Qualifikation nicht nur in der Rüstung, sondern ebenso in ziviler Fertigung sinnvoll – und in der Regel ohne langfristige Umschulung – eingesetzt werden kann.

Konversionsvorschläge scheitern meistens nicht an produktionstechnischen Schwierigkeiten. Hindernisse, die es zu überwinden gilt, tun sich auf drei Ebenen auf:

Erstens weigern sich Firmenleitungen, die von Arbeitnehmern geforderte „Mitbestimmung über die Produkte“ zu akzeptieren. Wenn Beschäftigte in der Rüstungsindustrie die Produktion „sozial nützlicher Produkte“ fordern, heißt dies letztlich, über die Produktpalette, Investitionen des Unternehmens und den Ablauf des Produktionsprozesses mitbestimmen zu wollen.

Zweitens ist die Umstellung in der Rüstungsindustrie in einer wirtschaftlich krisenhaften Situation schwierig. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen in einer entwickelten Industriegesellschaft bedarf es für eine Umstellung mehr als nur einer Produktionsidee im zivilen Bereich. Gesellschaftlich noch so sinnvolle Produkte werden in einer kapitalistischen Gesellschaft nur produziert, wenn für diese Produkte ein Markt vorhanden ist. Ohne staatliche Hilfe ist für zahlreiche Produkte aus dem Umweltschutzbereich, alternativer Energieversorgung, öffentlichen Nahverkehrswesen usw. oftmals kein Markt vorhanden. Staatliche Eingriffe aber werden aus ordnungspolitischen Überlegungen abgelehnt, obwohl die Rüstungsindustrie wie kaum eine andere Branche von staatlichen Entscheidungen abhängig ist.

Drittens schließlich wird der Erhalt und teils gar der Ausbau rüstungsindustrieller Kapazitäten aufgrund sicherheitspolitischer Einschätzungen in den großen Industrieländern fr notwendig erachtet. Nicht Konversion, also der Abbau rüstungsindustrieller Kapazitäten, sondern das Gegenteil ist Ziel staatlicher Politik. Mit einem Konversionsplan kann sicherlich nicht Abrüstung, quasi hinter dem Rücken der politisch Verantwortlichen, erreicht werden; vielmehr – das haben Konversionsstudien gezeigt – ist die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Fertigung technisch und wirtschaftlich realisierbar, wenn der politische Wille zur Abrüstung vorhanden ist und die Aufwendung für Militär und Rüstung vermindert wird und damit für alternative Verwendungen zur Verfügung steht.

Dr. Herbert Wulf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Chancen der Rüstungskontrolle

Chancen der Rüstungskontrolle

von Jürgen Scheffran

Bislang stehen der fortschreitenden Militarisierung des Weltraums einige Verträge entgegen, die diese Problematik mehr oder weniger stark berühren.

  • Das partielle Atomwaffenteststopp-Abkommen von 1962 verbietet u.a. auch den Test von Nuklearwaffen im Weltraum.
  • Der Weltraumvertrag von 1967 begründet allgemeine Grundrechte im Weltraum und verbietet in Artikel IV „Gegenstände, die Kernwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen tragen, in Erdumlaufbahn zu bringen und weder Himmelskörper mit derartigen Waffen zu bestücken noch solche Waffen im Weltraum zu stationieren.“(…)„Die Errichtung militärischer Stützpunkte, Anlagen und Befestigungen, das Erproben von Waffen jeglicher Art und die Durchführung militärischer Übungen auf Himmelskörpern sind verboten.“ Dieser Vertrag wendet sich nicht generell gegen alle Waffen im Weltraum.
  • Im ABM-Vertrag von 1972 (Zusatzabkommen zu SALT I) verpflichten sich die Großmächte USA und UdSSR, keine Raketenabwehrsysteme oder Komponenten davon zu schaffen. (Ausnahme: Je 100 Raketen dürfen um die Hauptstadt bzw. die Befehlszentrale aufgestellt werden.) Ein Raketenabwehrsysteme besteht aus Gegenraketen, Startrampen für Gegenraketen und Funkmeßstationen (Radar). Das Erproben ist nur für solche Systeme erlaubt, die landgestützt und nicht mobil sind. Zusätzlich besteht eine gemeinsame Erklärung der Vertragspartner, nach der über Beschränkungen von ABM-Systemen verhandelt werden muß, die auf neuen physikalischen Prinzipien beruhen.

Diese bestehenden Verträge können der Militarisierung nur begrenzten Einhalt gebieten. Eindeutig durch alle drei Verträge verboten ist z.B. der Test von nuklearexplosionsgepumpten Röntgenlasern gegen Atomraketen im Weltraum, ein Vorschlag, der von Edward Teller stammt. Dennoch wird am Lawrence Livermore Laboratory intensiv unterirdisch daran geforscht. Ebenso verstößt die gesamte Idee eines weltraumgestützten ABM-Schutzschirms zumindest gegen den Geist des ABM-Vertrages. Diese Verträge bieten aber zu viele Lücken für eine Fortsetzung der Aufrüstung im All. So sind z. B. Antisatellitensysteme überhaupt nicht erfaßt. Um diesem Defizit entgegenzuwirken, sind weitergehende Verträge sowie vertrauensbildende Maßnahmen notwendig. Es gibt dazu bereits Ansätze, so der schon erwähnte sowjetische Vertragsentwurf gegen ein Wettrüsten im Weltall vom August 1983 und ein Vertragsentwurf des amerikanischen Physikers Richard Garwin zur Begrenzung von Anti-Satelliten-Waffen, der inzwischen die Unterstützung namhafter Wissenschaftler und Militärs gefunden hat.

Es gibt in den USA eine breite und einflußreiche Basis für eine Rüstungskontrolle im Weltraum, die die Reagan-Administration unter Druck setzen kann.

Die Vereinten Nationen haben sich zuletzt auf der Weltraumkonferenz UNISPACE von 1982 und auf der 38. Generalversammlung vom Dezember 1983 gegen die Militarisierung des Weltraums gewandt. Gegen die Resolution stimmte nur die USA, Großbritannien enthielt sich. Selbst die Bundesrepublik stimmte dafür.

Die Zeit drängt. Anders als bei den Pershings ist die Entscheidung in der NATO noch nicht gefallen. Wörner befürchtet „Abkoppelung“ Europas, gar „Spaltung“ der NATO und konzertiert sogar, daß die USA nunmehr eine Erstschlagsfähigkeit erhalten könnten. Die Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe am 3. April 1984 hat gezeigt, daß der Druck der USA massiv zunimmt. Weinberger forderte eine finanzielle Beteiligung der europäischen NATO-Partner als Voraussetzung für die Bereitschaft der USA, den europäischen Ländern einen Platz unter dem Schutzschirm zu gewähren. Insgeheim steckt dahinter wohl die Absicht, das nahe zur Sowjetunion gelegene Territorium zur Stationierung des Pop-up ABM-Systems zu verwenden. Die Regierungskoalition ist in dieser Frage gegenwärtig noch beeinflußbar.

Die friedlichen Möglichkeiten der Weltraumforschung werden auch
von einigen bundesdeutschen Weltraumwissenschaftlern erkannt und betont, so z. B. von Ulf Merbold:

„Ich denke, daß wir es künftig nicht mehr entschuldigen dürfen, wenn
da irgendwelche Lokalmatadore – und lokal sind aus der Perspektive des Alls eben auch die
USA und die UdSSR – nur um ihres nationalen Vorteils willen das Wohl der Menschheit aufs
Spiel setzen. Man muß den Politikern abfordern, daß sie mehr tun als bisher, um uns den
großen Untergang zu ersparen. Der Shuttle und das Spacelab sind wie Messer. In der Hand
des Chirurgen können sie heilen helfen, und in der Hand des Verbrechers werden sie zum
Mordinstrument. Die Europäische Weltraumbehörde ESA hat sich ausdrücklich ausbedungen,
daß ihr Spacelab ausschließlich für friedliche Zwecke eingesetzt werden darf. Ich gehe
davon aus, daß die Amerikaner Wort halten und auch künftig mit dem Spacelab nur
friedliche Forschung treiben.“

(GEO, 1/1984)

Ein möglicher Beitrag der Wissenschaftler könnte ein eigener Vertragsentwurf sein, der den gesamten Bereich der Weltraumausrüstung umfaßt, zugleich aber realistische Teilschritte angibt. Dies wäre möglich durch einen Mehrstufen-Vertrag, der an den Weltraum-Vertrag anknüpft und schrittweise von einem Moratorium zu einem Verbot direkter Waffen (insbesondere ASAT) und danach zu einer Kontrolle indirekter Waffensysteme im Weltraum kommt. Auf dem Göttinger Kongreß wird ein solcher Vertrag vorgelegt und diskutiert werden.

Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker in Marburg