Abrüstung, Entwicklung, Sicherheit: Eine überflüssige Konferenz?

Abrüstung, Entwicklung, Sicherheit: Eine überflüssige Konferenz?

von Herbert Wulf

Vom 24. August bis 11. September 1987 tagte in New York – nach 1978 und 1982 zum dritten Mal – eine Konferenz der Vereinten Nationen über den Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung. Die Konferenz fand unter dem Vorzeichen statt: im Süden nichts Neues, im Osten ein wenig Bewegung, im Westen einen Schritt zurück.

Bei der Konferenz legte die Gruppe der Entwicklungsländer bekannte und als richtig erkannte Forderungen über die Notwendigkeit der Umschichtung von Ressourcen weg von der Rüstung für Entwicklung vor. Um Unterentwicklung zu überwinden, so lautete der generelle Tenor in zahlreichen Vorbereitungspapieren, müssen im Rüstungsbereich Mittel freigemacht werden. Die Gruppe der Entwicklungsländer forderte: Abrüstung soll durch „konzentrierte Anstrengungen aller Staaten, besonders derjenigen mit den größten Arsenalen“, erreicht werden, in dem „die militärischen Budgets eingefroren und reduziert werden; bis derartige internationale Vereinbarungen abgeschlossen werden, sollen alle Staaten, besonders die am höchsten gerüsteten, Selbstbeschränkung in ihren Militärausgaben praktizieren.“1

Die UdSSR und ihre Verbündeten verzichteten – im Gegensatz zu früheren UNO-Konferenzen – darauf, die Verantwortung der ehemaligen Kolonialherren für die Unterentwicklung zu betonen. Vielmehr stellte die Gruppe der sozialistischen Länder die Notwendigkeit von Abrüstung und Entwicklung im Interesse des Überlebens der Menschheit in den Mittelpunkt. Die Verbindung von Abrüstung und Entwicklung ist für sie ein möglicher Hebel, um Abrüstung in Gang zu bringen. Gleichzeitig aber hieß es in einer Stellungnahme des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen zur sowjetischen Rüstungspolitik unmißverständlich und ohne jede Spur von Selbstkritik: „Die UdSSR investiert keinen einzigen Rubel mehr für diese Zwecke als absolut notwendig ist, um die Sicherheit der sowjetischen Bevölkerung, ihrer Alliierten und Freunde zu sichern.“2

Im Westen gingen einige Regierungen hinter frhere Positionen zurück. Vor allem wollten sie Rüstung und Unterentwicklung in der Dritten Welt behandeln und nicht mit der Kritik der Entwicklungsländervertreter an den riesigen Militärarsenalen und hohen Militärausgaben in der NATO konfrontiert werden.3 Die US-Regierung boykottierte die Konferenz, weil sie den Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung als nicht existent betrachtet. In Wirklichkeit ging es der Reagan-Regierung nicht um eine ernsthafte (und wissenschaftlich auch notwendige) Auseinandersetzung über diesen Zusammenhang. Vielmehr demonstrierte sie – mit Blick auf die innenamerikanische Diskussion – ihre generelle Abneigung gegen die UNO und den UNO-Apparat, die sich früher schon im Austritt aus der UNESCO niedergeschlagen hatte.4 Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland „vertritt die Auffassung, daß Abrüstung und Entwicklung notwendige und eigenständige Ziele verfolgen.“5 Im Klartext: Man ist bereit, über Abrüstung und über Entwicklung zu reden, nicht aber die beiden globalen Bedrohungen der Menschheit in ihrer wechselseitigen Verknüpfung zu sehen. Die französische Regierung – die ursprünglich zur Konferenz eingeladen hatte – ließ 1986 die Konferenz platzen – und war, zusammen mit anderen westlichen Regierungen, nicht mehr bereit, den ursprünglich anvisierten Entwicklungsfond im Schlußdokument zu erwähnen, geschweige denn zu gründen.

Eines der zentralen Ziele verfehlte die Konferenz: die Mobilisierung der Öffentlichkeit. Die Berichterstattung war relativ mager, zum Teil negativ.6 Für die weitere Arbeit und die Durchsetzung der Ziele Abrüstung und Entwicklung ist Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Ansatzpunkt, wenn die Konferenz nicht nur als überflüssige Papierproduktion und Ohnmachtsgeste abgetan werden soll.

Die Idee, Ressourcen umzuschichten und Rüstung bzw. Abrüstung mit Entwicklung zu verknüpfen, hat inzwischen Tradition in der UNO und wurde in verschiedenen Berichten ausführlich behandelte Doch in und außerhalb der UNO ist das Konzept aus praktischen wie inhaltlichen Gründen problematisiert worden. Ein Entwicklungsfond, gespeist durch Abrüstung oder eine Steuer, mit der die Rüstungsanstrengungen belegt würden, mache Entwicklung von Fortschritten in der Abrüstung abhängig und legitimiere damit die verbleibende Rüstung. Auf keinen Fall solle eine weitere UNO-Bürokratie für einen neuen Entwicklungsfond geschaffen werden. Abrüstung und Entwicklung seien jedenfalls für sich große Probleme, deren Lösung durch ihre Verknüpfung nicht leichter werde.

Schließlich dürfe Rüstung und Abrüstung nicht getrennt von Sicherheit gesehen werden. Denn Rüstung und Unterentwicklung bedrohten die internationale Sicherheit. Prompt wurde in der UNO das Paar Abrüstung und Entwicklung durch das Dreieck Abrüstung, Entwicklung, Sicherheit ersetzt. Sicherheit – so heißt es in UNO-Konferenzpapieren – darf nicht als militärisches Konzept verstanden werden.9 Sicherheit beinhaltet auch die Sicherheit, Grundbedürfnisse befriedigen zu können, Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen. So wichtig und richtig diese Erkenntnis ist, so wenig werden militärische Sicherheitskonzepte an diesen Kriterien orientiert.

Die Konferenz war nicht „überflüssig“ – auch wenn keine bemerkenswerten wissenschaftlich-analytischen Fortschritte erzielt wurden. Folgende frühere Ergebnisse wurden bestätigt.10

  • Zwischen Abrüstung, Entwicklung und Sicherheit besteht Interdependenz. Fortschritt in einem Bereich hat positive Wirkungen für die übrigen Probleme.
  • Substantielle Ressourcen, die durch Abrüstung freigesetzt werden können, müssen von den großen Militärmächten kommen. Wie diese Mittel für Entwicklung zugänglich gemacht werden können, darüber besteht keine Einigkeit.
  • Entwicklung darf nicht nur als die Empfängerseite möglichen Fortschritts in der Abrüstung verstanden werden. Fortschritte in der Beseitigung der Unterentwicklung haben auch positiven Einfluß auf Abrüstung.
  • Unterentwicklung, mangelnde oder langsame Entwicklung bedeuten eine nichtmilitärische Bedrohung der internationalen Sicherheit.
  • Entwicklung darf nicht zum Nebenprodukt der Abrüstung werden; Abrüstung kann nicht direkt zur Entwicklung führen. Entwicklung und Abrüstung sind zwar zwei distinkte Prozesse, aber Frieden, Sicherheit und ökonomische und soziale Entwicklungen lassen sich nicht voneinander trennen.
  • Das wichtigste Ziele der Abrüstung ist die Beseitigung der Bedrohung der Menschheit im Nuklearzeitalter. Das größte Problem ist die mangelnde Bereitschaft, ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, wie es in der UNO-Charta vorgesehen ist.
  • Konversion – die Umstellung von militärischer auf zivile Fertigung – muß gezielt geplant durchgeführt werden, damit die Verwirklichung von Abrüstung und Entwicklung nicht an ökonomischen oder industriell-technischen Hürden scheitert.

Ursachen – weitgehend ausgeklammert

Wenn der krisenhafte Zustand von Rüstung und Unterentwicklung nicht in eine menschenvernichtende Katastrophe umschlagen, sondern stattdessen konstruktiv in Abrüstung und Entwicklung umgekehrt werden soll, müssen die Ursachen für die heutige Situation klar benannt werden. Die analytische und politische Schwäche der UNO-Diskussion, in der zwar deutlich auf den unerträglichen Zustand des gleichzeitigen Anwachsens von Hunger und Elend sowie der weltweiten Rüstungsaufwendungen hingewiesen wird, liegt zum einen darin, daß innergesellschaftliche Triebkräfte für Rüstung und Militarisierung nicht benannt werden. Mit mystifizierenden Bemerkungen bezeichnete der Präsident der Konferenz, der indische Außenminister Natwar Sing, die ruinösen Militärausgaben als „ein Teufel, der in jedes Haus und Heim zu kommen droht und einen langen Schatten auf jegliches menschliche Tun wirft.“11 Natürlich ist allen Konferenzteilnehmern klar, daß der Zustand von Aufrüstung und Unterentwicklung nicht Teufelswerk ist, sondern durch handfeste Interessen, Ängste und bestehende Konflikte perpetuiert wird. Hinter der Ausklammerung innergesellschaftlicher Ursachen steht das politische Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Wenn auch auf der Ebene der Diplomatie diese Nichteinmischung weitgehend eingehalten wird, so steht diese Politik in diametralem Gegensatz zu der geübten Praxis der Waffenlieferungen, die eine klare Parteinahme und wesentliche Beteiligung an der Konfliktaustragung bedeutet.12 Abgesehen von Waffenlieferungen, Militärhilfeangeboten, verdeckten Interventionen usw. sind die Industriegesellschaften offen und direkt an 68 von 170 Kriegen beteiligt gewesen. Das gängige Bild, die Dritte Welt führe untereinander Krieg, während die Industrieländer nur im Frieden lebten, ist falsch.13

Faktisch heißt die Konzeption der Nichteinmischung auf diplomatischer Ebene das Ausklammern eines wesentlichen Teils gewaltsamer Konfliktaustragung: Empirische Untersuchungen zeigen, daß zwei Drittel aller Kriege bzw. militärischen Konflikte innerstaatlich, als Bürgerkriege, ausgetragen werden. Die klassische Form des Krieges – der Krieg zwischen den Staaten – ist dagegen sehr viel seltener geworden.14 Militär und Rüstung als Instrument zur innergesellschaftlichen Herrschaftssicherung, Unterdrückung und systematische Menschenrechtsverletzungen mit militärischen Mitteln werden in der Diskussion ebenso ausgeklammert wie die wirtschaftlichen Antriebskräfte der Rüstung oder die Propagierung von Feindbildern.

Zweitens deutet die allgemein akzeptierte Formel von Überrüstung und Unterentwicklung auf Übereinstimmung hin. Es ist allgemein akzeptiert, daß zuviel gerüstet und die Entwicklung vernachlässigt wurde. Der katastrophale Zustand von Überrüstung und Unterentwicklung ist offensichtlich und läßt keine Zweifel an der Notwendigkeit einer Kursänderung aufkommen. Die Erkenntnis vorhandener Überrüstung und Unterentwicklung setzt explizit oder implizit Vorstellungen über ein Normalmaß von Rüstung und Entwicklung voraus. Es existiert jedoch kein objektiver Maßstab für ein „normales“ Niveau der Entwicklung oder Rüstung, das ausschließlich der Verteidigung dient. Eine Gruppe sogenannter „eminent personalities“, in der vor allem ehemalige Regierungschefs, Präsidenten und Minister vertreten waren, empfahl der Konferenz: „Worauf wir abzielen sollten ist, daß jeder Staat angemessene Sicherheitsinteressen zum Kriterium für die Rüstungsausgaben macht.“15 Auch der Begriff „angemessene Sicherheitsinteressen“ löst das Problem der Überrüstung nicht. Denn die allgemeine Übereinstimmung schlägt in ihr Gegenteil um, wenn vor der eigenen Haustür gekehrt werden soll. Keine Regierung erklärt, sie habe zuviel für Rüstung und zu wenig für Entwicklung getan. Wenn von Abrüstung in offiziellen Erklärungen die Rede ist, ist die Abrüstung der anderen – des vermeintlichen Gegners – oder die in Verträgen vereinbarte Abrüstung gemeint. Konkrete, unabhängige nationale Maßnahmen als erste Schritte auf dem Weg aus der Krise bleiben die Ausnahme.

Interdependenz in Krise und Katastrophe

Um Erwartungen und Hoffnungen nicht zu enttäuschen, bedarf es der weiteren analytischen Durchdringung des Zusammenhangs von Abrüstung und Entwicklung, bevor etwa voreilig konkrete entwicklungs- oder abrüstungspolitische Empfehlungen gegeben werden. In guter Absicht, aber zu vordergründig werden die politisch attraktiven Ziele von Abrüstung und Entwicklung proklamiert. Nur wenn die Hindernisse auf dem Weg zu Abrüstung und Entwicklung klar erkannt werden, ist es möglich, die fortschreitende Aufrüstung und Unterentwicklung zu überwinden. Weder in der wissenschaftlichen Diskussion noch in politischen Auseinandersetzungen besteht Zweifel daran, daß sich Unterentwicklung und Rüstung gegenseitig verstärken. Rüstung führt zu Unterentwicklung in der Dritten Welt und zu wirtschaftlichen Verzerrungen in den Industrieländern. Der Einsatz knapper finanzieller und menschlicher Ressourcen für Rüstung, die für Entwicklungsaufgaben verlorengehen, ist hinlänglich belegt; der Ressourcenentzug ist das zentrale Argument in der Diskussion innerhalb und außerhalb der UNO. Sechs Prozent des Bruttosozialproduktes – so heißt es im Schlußdokument – gehen in die Rüstung, zwanzig mal mehr als in die staatliche Entwicklungshilfe. (Zum Verhältnis Öffentlicher Entwicklungshilfe und Militärausgaben siehe Schaubild). Negative indirekte Effekte der Rüstung verschärfen das Problem. So vor allem die technologische Bugwelle, die durch Rüstungsimporte und Rüstungsproduktion hervorgerufen wird; Rüstungstechnologie etabliert in Entwicklungsländern industrielle Strukturen, die dem Entwicklungsproblem nicht angemessen sind und zu wirtschaftlichen Verzerrungen führen. Darüber hinaus beeinflussen große Rüstungsanstrengungen (besonders Rüstungsimporte) das Entwicklungskonzept nachhaltig. Entwicklungsländer greifen zur Tilgung der durch Rüstung mit verursachten Schulden auf den Export nicht erneuerbarer Ressourcen zurück – so beispielsweise auf den Abbau tropischer Wälder mit entsprechenden langfristigen Folgen für das Klima auf dem gesamten Globus.16

So wie Rüstung die Unterentwicklung verstärkt, so verursacht umgekehrt Unterentwicklung weitere Aufrüstung. Von der „Bombe Armut“, die die Erde ebenso nachhaltig zerstören kann wie die Atombombe, ist gelegentlich die Rede.17 Statt wirtschaftliche und soziale Konflikte mit Reformen zu bekämpfen Für die häufig der politische Wille, aber auch die finanziellen Mittel fehlen), werden oft die Streitkräfte eingesetzt, um das Unruhepotential zu kontrollieren. Zahlreiche Beispiele zeigen, daß Rüstung und Militarisierung nicht immer zur Herrschaftsstabilisierung führen (so der Iran unter der Herrschaft des Schah); umgekehrt zeigen andere Beispiele (so Haiti unter der Herrschaft der Duvals), daß mit relativ geringem finanziellen Aufwand Repression über lange Zeiträume wirksam aufrechterhalten werden kann.

Abrüstung und Entwicklung: Konkrete Utopie oder utopische Erwartung

Jedes plausible Argument spricht für eine Trendumkehr. Die Verbindung Abrüstung und Entwicklung läßt die Verwirklichung konkreter Utopien erwarten. Die Hindernisse auf diesem Weg sind jedoch erheblich, manche Erwartung bleibt utopisch. Denn Abrüstung führt nicht notwendigerweise zu Entwicklung. Die Verwendung im Rüstungsbereich eingesparter finanzieller Mittel zur Dämpfung oder Lösung des Schuldenproblems wäre zweifellos ein willkommener und entwicklungspolitisch sinnvoller Schritt. Aber: Erstens ist eine quasi automatische Umschichtung der Mittel aus der Rüstung hin zur Entwicklung sicher nicht zu erwarten. Vielmehr dürfte – angenommen, Ressourcen würden durch Abrüstung freigesetzt – ein Teil der freiwerdenden Finanzen unabhängig von Entwicklungsaufgaben verwendet werden (z.B. zur jeweils nationalen Haushaltskonsolidierung). Zweitens ist ein großer Teil der durch Abrüstung frei werdenden Produktionsmittel (überzüchtete, barocke Rüstungstechnologie) für die Lösung von Entwicklungsproblemen ungeeignet, teils auch schädlich. Nicht Entwicklung, sondern eine ungeeignete und unangepaßte Enklaven-Industrialisierung mit kapitalintensiver, komplexer Technologie könnte eine Folge sein, wenn nicht entwicklungspolitische Kriterien bei diesem Transferprozeß angelegt werden. Andererseits aber kann heute militärisch genutzte Technologie auch eine Funktion für Entwicklung haben (so beispielsweise Satellitentechnologie für Katastrophen- oder Erntevorhersagen, wenn sie nicht wie bisher als Herrschaftsinstrument eingesetzt wird). Drittens: Solange Entwicklungspolitik vornehmlich oder auch ausschließlich als Rohstoffsicherungs- und Exportförderungspolitik der Industrieländer verstanden wird, solange eine privilegierte Elite in Entwicklungsländern „Entwicklung“ im partikularen Eigeninteresse definiert, werden zusätzliche Entwicklungsmittel den Nord-Süd-Gegensatz und die innergesellschaftlichen Ungleichgewichte verschärfen und Unterentwicklung perpetuieren. Viertens: Zahlreiche Entwicklungshindernisse bestehen unabhängig von der Rüstungsdynamik. (Z.B. die EG-Agrarmarktordnung oder Verwüstung und Versteppung aufgrund von Holzraubbau). Abrüstung ist kein entwicklungspolitisches Allheilmittel. Abrüstung ist eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für Entwicklung.

Ebenso problematisch ist auch die umgekehrte Kausalbeziehung und Erwartung, daß Entwicklung den Abrüstungsprozeß befördert. Die Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme könnte Regierungen veranlassen, abrüstungsbereiter zu werden und die Sicherung des instabilen Status quo nicht mehr oder nicht mehr nur durch militärische Anstrengungen erhalten zu wollen. Doch Rüstung hat auch andere Ursachen: Aggressionen von außen abzuwehren, Machtdemonstration, Machtprojektion, Einflußzonen zu sichern, Prestige usw. Diese Ziele werden durch Entschärfung oder Beseitigung der Unterentwicklung nicht hinfällig.

Perspektiven

Zur Zeit besteht nur wenig Anlaß für die Hoffnung, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung in Frieden in absehbarer Zukunft schaffen zu können. Wissenschaft und Politik sind in der Lage, aus der jetzigen Situation der allgemeinen Gefährdung sämtlicher Lebensbereiche die Apokalypse zu prognostizieren. Es gelingt auch – zumindest in Ansätzen – die positive Utopie einer friedlichen und gerechten Welt zu entwicklen. Es mangelt aber an der Planung und vor allem Durchsetzung realistischer und effektiver Maßnahmen, um auf dem Weg weg von der Katastrophe hin zur Utopie die erste große Etappe zu bewältigen. Nicht einmal das erforderliche Krisenmanagement funktioniert. Betrachtet man den vorfindlichen weltweiten Trend zur Aufrüstung und Unterentwicklung, so fällt es schwer, politische Ansätze dafür zu erkennen, daß die bislang in die Rüstung fließenden Ressourcen für Entwicklungsaufgaben umgeleitet werden. Dies hat die UNO-Konferenz bestätigt. Ein erster wichtiger, angesichts des globalen Problems dennoch aber nur bescheidener Schritt könnte die in Aussicht genommene Abrüstung der Mittelstreckenraketen sein. Für das weltweite Problem von Rüstung und Unterentwicklung ist die potentielle Vereinbarung jedoch nur dann von Bedeutung, wenn aus dieser ersten Übereinstimmung eine Abrüstungsdynamik entsteht. Auch die Friedensbemühungen in Mittelamerika sind hoffnungsvolle Zeichen. Doch hier zeigt sich, welch fatale Wirkungen die Intervention von außen hat und wie sehr der Friedensprozeß vom guten Willen der Vereinigten Staaten abhängt. Positiver sieht das wissenschaftliche Spektrum aus (auch das haben die Vorbereitungspapiere zur UNO-Konferenz bestätigt); denn die Analyse der Probleme und Hindernisse zeigt Wege zur Trendumkehrung auf.

So paradox es klingen mag, um die großen internationalen Ziele von Abrüstung und Entwicklung zu erreichen, sind – neben den jetzt laufenden internationalen Bemühungen – auch substantielle nationale Maßnahmen erforderlich und möglich, um Blockaden im internationalen Bereich zu überwinden und handlungsfähig zu werden. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt das, mit Abrüstung und Entmilitarisierung dort zu beginnen, wo schon vor Erzielung internationaler Absprachen (und teils über das Aktionsprogramm der UNO-Konferenz hinaus) Schritte möglich sind, ohne die eigene Sicherheit zu gefährden. Dazu gehört z.B. eine strikte Einhaltung bestehender Rüstungsexportgesetze, ein Verbot von Rüstungswerbung, die Unterstützung regionaler Initiativen zur Kontrolle der Rüstung durch die bevorzugte Behandlung in der Entwicklungszusammenarbeit, das Einfrieren und Kürzen der Rüstungsausgaben, die Unterstützung der Verwirklichung des in der UNO-Charta vorgesehenen Systems kollektiver Sicherheit und ähnliches. Diese Maßnahmen im Rüstungsbereich dienen zumindest dazu, das Ziel Abrüstung als die notwendige Bedingung für Entwicklung schrittweise einlösen zu können. Voraussetzung für eine umfassendere Politik der Abrüstung und Entwicklung ist jedoch auch eine Umorientierung der Entwicklungszusammenarbeit, die auf partnerschaftlicher Kooperation mit den Entwicklungsländern beruht.

Anmerkungen

1 Zitiert nach The United Nations General Assembly and Disarmament 1986, New York 1987, S. 196.Zurück

2 Institute for World Economics and International Relations, Military Spending and Economic Structure, With Reference to Centrally-Planned Economies UNO-Dokument A/CONF.130/PC/INF/12, 24. April 1986, S. 1.Zurück

3Im Vorfeld der Konferenz hatte die indische Regierung beispielsweise – ohne die eigene Aufrüstung zu erwähnen – deutlich darauf hingewiesen, „daß nicht alle Mitgliedstaaten in gleichem Maße verantwortlich für das hohe Niveau der globalen Militärausgaben“ seien. Siehe: The United Nations General Assembly on Disarmament 1986, a.a.O., S. 198.Zurück

4 Ausgerechnet die US-Regierung argumentierte, angesichts des Haushaltsdefizits der UNO sollten die vorgesehenen 1,3 Millionen Dollar Kosten der dreiwöchigen Konferenz eingespart werden.Zurück

5 Zitiert nach epd-Entwicklungspolitik 16/1987, S. 14.Zurück

6 Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit schickte auf Anfrage mit der Bitte um umfassende Dokumentation lediglich neun Berichte überregionaler deutscher Zeitungen, die sich mit der UNO-Tagung beschäftigten. Die FAZ überschrieb einen kritischen Leitartikel vom 15. September 1987 folgendermaßen: „Eine überflüssige Konferenz“.Zurück

7 Economic and Social Consequences of Disarmament (United Nations Publication, Sales No. E.62.IX.1); Economic and Social Consequences of Arms Race and of Military Expenditures (United Nations publication, Sales No. E.72.IX.16); Disarmament and Developement (United Nations publication, Sales No. E.73.IX.I); Economic and Social Consequences of the Arms Race and of Military Expenditures (United Nations Publication, Sales No. E.78.IX.I); The Relationship between Disarmament and Developement (United Nations publication, Sales No. E.82.IX.I); and Economic and Social Consequences of the Arms Race and of Military Expenditures (United Nations Publication, Sales No. E.83.IX.2).Zurück

8 Zu der langen Geschichte derartiger Vorschläge in der UNO, deren erste Ansätze bis 1950 zurückreichen, siehe United Nations – Disarmament Yearbock, New York 1986, S. 357 ff. sowie das Konferenzpapier, Consideration of Ways and Means of Releasing Additional Resources Through Disarmament Measures, for Developement Purposes, in Particular in Favour of Developing Countries, UNO Dokument A/CONF.130/PC/INF/8.Zurück

9 Siehe Review of the Relationship Between Disarmement and Developement in All it Aspects and Dimensions With a View to Reaching Appropriate Conclusions, UNO-Dokument A/CONF.130/PC/INF/6. Dazu bereits die Diskussion während der Konferenz 1982, dokumentiert in: Herbert Wulf (Hg.), Aufrüstung und Unterentwicklung. Aus den Berichten der Vereinten Nationen, Reinbeck 1983.Zurück

10 SieheSchlußdokumentA/CONF.130/PC/INF/21.Zurück

11 Zitiert in Frankfurter Rundschau vom 26. August 1987Zurück

12 Die doppelte Moral dieses Verhaltens zeigt sich beispielsweise im Sicherheitsrat der UNO, in dem Mitte 1987 auf einen Waffenstillstand im Golfkrieg gedrängt wird. Gleichzeitig aber sind die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates China, Frankreich, Großbritannien, UdSSR und USA für mehr als die Hälfte der Waffenlieferungen in diese Region verantwortlichZurück

13 J. Gantzel, J. Meyer-Stamer, Die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1984 München 1986. Eine Interpretation dazu in: U. Menzel, D. Senghaas, Europas Entwicklung und die Dritte Welt, Frankfurt 1986 S. 240-252.Zurück

14 Ebenda.Zurück

15 Declaration by the Panel of Eminent Personalities, Disarmament and Developement, United Nations New York 1986, S. 4.Zurück

16 Im Brundtland-Bericht werden sehr eindrucksvoll die globalen Verpflichtungen verschiedener Krisen dargestellt. World Commission for Ecology and Developement, Our Common Future, Oxford University Press, 1987Zurück

17 William Clark, „Das Mexiko-Syndrom“, München 1986, zitiert in: J. Betz, V. Matthies, Dritte Welt und Weltfrieden, in: Deutsches Übersee Institut (Hg.), Jahrbuch Dritte Welt 1987, München 1987, S. 27Zurück

Dr. Herbert Wulf ist Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Editorial

Editorial

von Paul Schäfer

Der INF-Vertrag ist unterzeichnet. Über 2700 Atomraketen müssen verschrottet werden. Ein historischer Schritt in der Kriegsgeschichte. Die Welt der nuklearen Vernichtung ist ein wenig geschrumpft.

Noch befindet sich in den Arsenalen der Atommächte ein Vernichtungspotential von weit über 18.000 Megatonnen. Zwischen 600 und 800 Megatonnen werden in den nächsten Jahren durch das Abkommen eliminiert – das sind vier bzw. fünf Kästchen in der „Megatonnenkarte“.

Die Halbierung der strategischen Potentiale ist überfällig. Ein Kompromiß der Hauptmilitärmächte noch 1988 ist nicht auszuschließen; auch die weltweite Ächtung der chemischen Waffen könnte im nächsten Jahr beschlossen werden. Wir haben Anlaß, zum Jahreswechsel guten Mutes zu sein. Als Augenzeugen des Gipfel-Medienspektakels will ich jedoch nicht verhohlen, daß sich gemischte Gefühle einschleichen: die dort geförderte Euphorie kann die verbreitete Friedenssehnsucht verstärken; sie kann zugleich einen Nebelvorhang bilden, hinter dem die nächsten Aufrüstungen versteckt werden.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ informiert ihre Leser darüber, daß das Strategische Luft-Kommando (SAC) durch das Pentagon beauftragt ist, die atomare Einsatz- und Zielplanung den geänderten Bedingungen anzupassen. Die Ziele, die bislang von den Pershings und Cruise Missiles angepeilt wurden, sollen jetzt durch luft- und seegestützte Systeme bzw. Interkontinentalraketen abgedeckt werden.

Vergessen wir nicht, daß Ende November ein Gipfel anderer Art stattgefunden hat – ein Gipfel der militärischen Anschaffer.

Auf der Ministertagung der EUROGROUP in der NATO wurde beschlossen. „Die Glaubwürdigkeit der Bündnisstrategie der flexiblen Antwort und der Vorneverteidigung hängt in gleichem Maße von den sehr bedeutenden Streitkäften der europäischen Bündnispartner ab.(…)

Sie unterstützten dabei das Programm des Bündnisses zur Stärkung der konventionellen Verteidigung. Sie stellten fest, daß die Mitgliedsstaaten der EUROGROUP planen, im Rahmen dieser Anstrengungen ihren Streitkräften im Jahre 1988 eine breite Skala neuen Geräts zuzuführen (…)“

Im einzelnen werden erwähnt: 350 Abwehrkanonen, über 400 Panzerabwehrraketensysteme MILAN, 10.000 Panzerabwehrhandwaffen, 200 neue Kampfflugzeuge (Tornado, F 16).

Und schließlich: an der Entwicklung der neuen High-Tech-Waffen wird fieberhaft gearbeitet. Die Mittel für neue B-Waffen, für neue Kommunikations- und Kommandosysteme werden kräftig aufgestockt. Und während der Kanzler dieser Republik als Vater der Abrüstung posiert, kassieren bundesdeutsche Unternehmen SDI-Forschungsaufträge ein. Den aktuellen Stand haben wir auf den Seiten 18/19 aufgelistet.

Der Informationsdienst Wissenschaft und Frieden hat sich 1987 gut entwickelt Die nicht leichte Umstellung vom „Info-Dienst“ zur Zeitschrift wurde abgeschlossen. Zahlreiche neue Mitarbeiter und über 200 Abonnenten – vor allem aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich – kamen hinzu. Mit der Einrichtung der „Informationsstelle Wissenschaft und Frieden“ wurde begonnen – ihre Arbeit wird auch helfen, den Informationsdienst weiter zu verbessern.

Für das Jahr 1988 wünscht Ihnen die Redaktion viel Überzeugungskraft, Ausdauer und Phantasie bei der Bemühung für den Frieden.

Ihr Paul Schäfer

Report of the Secretary of Defense Caspar W. Weinberger to the Congress on the FY 1988/FY 1989 Budget and FY 1988 – 92 Defense Programs January 12, 1987

Report of the Secretary of Defense Caspar W. Weinberger to the Congress on the FY 1988/FY 1989 Budget and FY 1988 – 92 Defense Programs January 12, 1987

von Caspar Weinberger

Überlegenheitsorientierte Strategien für langfristige Sicherheit

Im letztjährigen Bericht (an den Kongreß; d.Ü.) habe ich überlegenheitsorientierte Strategien erörtert und meine Absicht, diese für den Rest dieser Regierungsperiode zu einem zentralen Thema im Verteidigungsministerium zu machen. Der Kerngedanke überlegenheitsorientierter Strategien ist einfach genug: die Absicherung dauerhafter amerikanischer Stärken in Bereichen dauerhafter sowjetischer Schwachpunkte. Sogar innerhalb ihrer starken und leistungsfähigen Bereiche sollten wir Schwachstellen suchen – Ritzen in ihrem „Panzer“, die wir ausnutzen können, um so die sowjetische Militärmacht mit der Zeit in ihrer Potenz zu schwächen.

Sich überlegenheitsorientierte Strategien zu eigen zu machen würde die Sowjets zwingen, kampfschwächer und leistungsgeringer zu agieren. Dadurch würde die Abschreckung verstärkt, indem wichtige Komponenten der sowjetischen Militärstruktur oder Operationspläne hinfällig werden. Damit würden sie gezwungen, eine schwierige Auswahl zu treffen. Diese Entscheidungen könnten die Verlagerung von mehr Ressourcen in Defensiv-Systeme und entsprechende Militäroperationen beinhalten an Stelle fortgesetzter Aufstellung von Einheiten für offensive Operationen; sie könnten sich entschließen, bestimmte Offensivstreitkräfte aufzugeben angesichts ihrer Unfähigkeit, unsere Verteidigung zu überwinden.

Unsere gegenwärtige Planung beinhaltet eine Anzahl von hervorragenden Beispielen überlegenheitsorientierter Strategien. So hat sich z.B. die amerikanische ASW-Fähigkeit (U-Boot-Bekämpfung; d.Ü.) als sehr erfolgreiche überlegenheitsorientierte Strategie erwiesen. Nukleare Raketen-U-Boote (SSBN) und Jagd-U-Boote (SSN) der USA sind eindeutig geräuschärmer als sowjetische U-Boote, wodurch es für die Sowjets schwieriger wird, sie aufzuspüren. Diesen Vorteil ausnützend dislozieren die USA ihre SSBNs über weite Fläche der Weltmeere, wodurch für die Sowjets Such- und Aufspürbemühungen sehr viel komplizierter werden. Im ASW-Bereich besitzt der Westen außerdem geographische Vorteile, da wir Horchsensoren an der Peripherie der wichtigen Weltmeere stationieren und unsere ASW-Streitkräfte von vorgeschobenen Basen um die Sowjetunion herum einsetzen können. Die Sowjets müssen auf der anderen Seite ihre ASW-Kräfte über ausgedehnte Entfernungen zum Einsatz bringen. Da wir in den Technologien führend sind, die für ASW-Kriegsführung Relevanz haben, z.B. Hochpräzisions-Herstellung, Informationsverarbeitung und passive Ortungsmittel, waren die Vereinigten Staaten in der Lage, auf sowjetischer Seite einen überproportionalen Aufwand wertvoller Rüstungsressourcen auszulösen, um mit der potentiellen Gefahr für ihre U-Boot-Flotte, auch für ihre Raketen-U-Boote, fertig zu werden. Die Kombination von auf amerikanischer Seite genutzter Technologie und adäquater U-Boot-Strategie hat viel dazu beigetragen, die Art der sowjetischen maritimen Reaktion zu bestimmen. Als Konsequenz sind große Teile der konventionellen sowjetischen Marinestreitkräfte dafür ausgelegt, Meeresbereiche, die unmittelbar an die Sowjetunion grenzen, zu verteidigen, anstatt auf große Entfernungen zu kämpfen. Es ist klar, daß unser Vorrang in diesem Bereich real eingebüßt werden könnte und daß sowohl weitere Ressourcen sowie Wachsamkeit nötig sind, um die Überlegenheit aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang ist es offensichtlich, daß die Aktivitäten der sowjetischen Seestreitkräfte gegenwärtig darauf hinauslaufen, entsprechende Mittel zu erhalten, um ihre Militärmacht über große Entfernungen zum Einsatz zu bringen. Die ersten beiden schweren Flugzeugträger sind im Bau bereits weit vorangeschritten.

Ebenso sind wir bemüht, die Fähigkeit unserer Luftstreitkräfte, in den sowjetischen Luftraum einzudringen, zu erhalten als Bestandteil unserer Abschreckungsfähigkeit. Die UdSSR hat das größte Luftverteidigungssystem der Welt errichtet, ein System, das sie zahllose Rubel gekostet hat, in etwa einem Gegenwert von 120 Milliarden Dollar vergleichbar. Eine Anzahl von Faktoren macht unsere strategischen Bomberstreitkräfte zu einem Bereich relativer Überlegenheit auf Seiten der Vereinigten Staaten. Erstens begünstigt uns die geographische Lage, da die USA und ihre Alliierten Eindringmissionen mit Bombern von einer ganzen Anzahl von Stützpunkten entlang der sowjetischen Peripherie starten oder unterstützen können. Zweitens besitzt der Westen eine allgemeine Überlegenheit über die Sowjetunion bei der Produktion von Flugzeugen. Wir können die besseren Flugzeuge effizienter herstellen. Drittens entwickeln die Besatzungen westlicher Flugzeuge aufgrund einer Anzahl soziologischer und kultureller Gründe eindeutig einen Grad von Initiative, Innovationsfähigkeit und Selbstvertrauen, der bei sowietischen Mannschaften nicht gefunden wird. Und letztlich führen wir vor den Sowjets in einer Reihe von Schlüsseltechnologien, wie etwa von Radar, Navigationshilfen und Kommunikationssysteme. Neue ortungsmindernde Technologien versprechen einen weiteren Ausbau der Überlegenheit unserer Luftflotte; dies bis zu einem Grad, der die sowjetische Luftverteidigungs-Infrastruktur obsolet werden lassen könnte. Die Einführung von überlegenheitsorientierten Strategien bei der Waffenentwicklung und in unserem strategischen Denken ist im Verteidigungsministerium lediglich in dem Sinne neu, daß wir es explizit, systematisch und überall wo nur möglich durchsetzen wollen. Ein Beispiel dafür ist das Bomber-mit-fortgeschrittener-Technologie-Programm (ATB). Unser Ziel ist es hierbei, die historische sowjetische Sorge hinsichtlich ihrer Heimverteidigung auszunutzen, indem wir die überlegenen Tarntechnologien nutzen, die wir jetzt in unseren Flugzeugen und Marschflugkörpern zur Anwendung bringen können. Um mit dem ATB-Programm konkurrieren zu können, werden die Sowjets gezwungen sein, enorme Investitionen für neue Verteidigungssysteme über eine ganze Reihe von Jahren aufzuwenden, während ihr gegenwärtiger enormer Finanzaufwand rapide nutzlos wird. ATB wird nicht nur dramatisch gegenwärtige sowjetische Luftverteidigungssysteme veraltenlassen, sondern ebenso die Luftverteidigung der Warschauer-Pakt-Alliierten Moskaus und verbündeter Dritte-Welt-Staaten.

Gleichzeitig wird Moskau nicht in der Lage sein, existierende Luftabwehrsysteme zu verschrotten angesichts des B-1-Bombers und der weiterentwickelten Cruise Missiles (ATM), die von unseren B-52 abgefeuert werden können, womit die Effektivität unsere herkömmlichen Strategischen Luftstreitkräfte weit in die 90er Jahre hinein erhalten bleibt.

Unsere Anwendung überlegenheitsorientierter Strategien bei der Anschaffung neuer Flugzeugsysteme kommt gut voran. Ortungsmindernde Fähigkeiten zu erreichen, gehört heute zu einem wesentlichen Standard neuer Entwürfe und Pläne. Ende 1986 traf die Luftwaffe eine Endauswahl von Firmen, um Prototypen eines Kampfflugzeuges zu entwickeln und zu testen, des Fortgeschrittenen Taktischen Kampfflugzeuges (ATF). Anstatt die riesigen sowjetischen Luftstreitkräfte vorrangig über westeuropäischem Gebiet zu konfrontieren, wird der ATF unseren Luftstreitkräften die Fähigkeit geben, tief in das feindliche Territorium vorzudringen, trotz vorhandener extensiver Luftverteidigung des Warschauer Paktes, und sowjetische Kampf- und Jagdflugzeuge in der Nähe ihrer Hauptoperationsbasen anzugreifen. Damit wird ATF deutlich die Abschreckungsfähigkeit der NATO verstärken. Kombiniert mit den Fähigkeiten und der Initiative unserer Piloten wird ATF große Teile der taktischen Luftverteidigung des Warschauer Paktes uneffektiv machen und auf diese Art den Druck auf die Sowjets verstärken, neue Verteidigungssysteme mit beträchtlichem Aufwand an Rubeln und Zeit zu errichten. Diese Verteidigungssysteme müten wahrscheinlich zu Ungunsten von Neuinvestitionen in Offensivsysteme geschaffen werden.

Gleichzeitig entwickelt die Marine der Vereinigten Staaten ein Fortgeschrittenes Taktisches Flugzeug (ATA). Es ist dafür vorgesehen, die enormen sowjetischen Investitionen in ihre Flotte und Küstenluftabwehr zu unterlaufen, ebenso Luftverteidigungssysteme und Militäreinrichtungen ihrer Dritte-Welt-Satelliten. Nochmals, sollten die Sowjets versuchen, diese Verteidigungssysteme aufrechtzuerhalten, werden sie beträchtliche Ressourcen aus anderen Bereichen abziehen müssen. ATA wird die Marine der Zukunft mit der Fähigkeit versehen, bei stark erhöhter Oberlebensfähigkeit feindliches Territorium anzugreifen, womit die Marine eine größere Möglichkeit gewinnt, amerikanische und alliierte Streitkräfte zu unterstützen. Damit wird unsere Fähigkeit, Angriffe abzuschrecken und so Krieg zu verhindern, sehr vergrößert.

Die Denkhaltung, die überlegenheitsorientierte Strategien hervorbringt, ist ebenso offensichtlich in den neuen Operationskonzepten der Armee. Aus der Erkenntnis der Abhängigkeit der Militäroperationen des Warschauer Paktes von Streitkräften der zweiten Staffel wurden die Air-Land-Battle-Doktrin der US-Armee (ALB) und das Follow-On-Forces-Attack-Konzept (FOFA) der NATO entwickelt, um die Nachteile an der Kampflinie, mit denen wir uns konfrontiert sehen, zu überwinden. Durch die Risikoerhöhung fr die Streitkräfte der zweiten Welle des Warschauer Paktes gefährden diese Militärdoktrinen den Erfolg der gesamten strategischen Operationen auf dem Kriegsschauplatz. Mit unseren gegenwärtigen Fortschritten bei neuartigen Waffentechnologien, modernster Sensorik und Datenverarbeitung ist unsere Fähigkeit, intelligente Waffensysteme mit hoher Präzision auf dem erweiterten Schlachtfeld einzusetzen, beeindruckend. Die Sowjets begreifen den kombinierten Effekt dieser Militärdoktrin und unserer Waffentechnologie sehr wohl, wie aus besorgten Analysen und Texten einiger ihrer führenden Offiziere erkennbar ist. Mit einer Kombination dieser neuen Waffensysteme und dazugehöriger Einsatzdoktrinen konfrontiert, werden die Sowjets zunehmend gezwungen sein, prinzipiell die potentielle Effektivität ihrer Landstreitkräfte in Zweifel zu ziehen, ebenso die Wirkungsfähigkeit ihrer Kriegsführungsdoktrin für Europa. Alle angreifenden sowjetischen Heereskräfte würden z.B. sofort mit einer ganzen Phalanx intelligenter Waffensysteme konfrontiert, die im Rahmen einer Doktrin, die für diese neuen Technologien maßgeschneidert ist, eingesetzt würden, und die genau auf sowjetische Schwachstellen zielt; in vielerlei Hinsicht wird es eher der sowjetische Angreifer denn der NATO-Verteidiger sein, der überrascht wird. Darüber hinaus würden nachfolgende sowjetische Staffeln der Zweiten Welle die Wirksamkeit der NATO-Verteidigungssysteme sofort und direkt verspüren. Diese neuen Doktrinen und Waffensysteme, bei ausreichender Finanzierung und politischer Unterstützung, werden zusammen dazu dienen, die konventionelle Abschreckungsfähigkeit der NATO über die Zeit noch stärker zu machen.

Die Strategische Verteidigungs-Initiative (SDI) des Präsidenten ist ebenfalls als überlegenheitsorientierte Strategie sehr vielversprechend. Angesichts der massiven sowjetischen nuklearen Drohung kann SDI die Fähigkeit zur Neutralisierung dieser Bedrohung gewährleisten. In der Tat könnte so das strategische Verhältnis von der offensiven Orientierung in eine defensive Orientierung umgewandelt werden. Darüber hinaus bietet SDI die Möglichkeit zur Entwicklung einer ganzen Anzahl neuer konventioneller Technologien, die andere überlegenheitsorientierte Strategien auslösen könnten. Wir und unsere Alliierten werden damit fortfahren, entsprechende Forschungsarbeiten zu leisten, um die dafür relevanten Technologien zu entwickeln, doch hierzu sind ausreichende Finanzmittel notwendig, wenn diese überlegenheitsorientierte Strategie erfolgreich sein soll. So produktiv diese überlegenheitsorientierten Strategien bereits wirken, sicher ist, daß wir zweifellos mehr tun können. Wir müssen fortfahren, die überlegenheitsorientierte Haltung weiter bei unserer Waffenentwicklung zur Grundlage zu machen, in unserer Operationsplanung sowie in unserer Militär-Doktrin. Dies ist wirklich der einzige Weg, auf dem wir die zahlenmäßige sowjetische Überlegenheit übertrumpfen und mit anderen militärischen Vorteilen, die ihr politisches System ihnen bietet, fertig werden können. Es ist verhältnismäßig einfach, das Konzept überlegenheitsfähiger Strategien bei der Entwicklung neuer Technologien anzuwenden. Um den maximalen Nutzen aus diesen Technologien zu ziehen, müssen wir jedoch auch entsprechende Operationskonzepte entwickeln. Wie viele Beispiele zeigen, müßten wir tatsächlich fähig sein, Vorteile daraus zu ziehen, daß wir ein neues Operationskonzept auch unter Verwendung bereits vorhandener Waffensysteme entwickeln. Ich plane, den Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs und die Oberkommandeure der einzelnen Truppenteile und Kommandos Wege bestimmen zu lassen, um sowjetische Schwachstellen bei Nutzung existierender Waffensysteme auszunutzen und mit der Arbeit an der Entwicklung von Operationskonzepten zu beginnen, die die Möglichkeiten unserer neuen Technologien vollständig ausschöpfen.

Eine große Herausforderung bei der Entwicklung von mehr Überlegenheitsfähigkeit für unser Verteidigungsprogramm liegt im intellektuellen Bereich, da es in einigen Fällen erforderlich ist, herkömmliche Praktiken zu überdenken. Zu bestimmen, welche Kombination von Technologien, Waffensystemen und Organisationsplanungen es uns ermöglicht, am besten aus unseren Stärken aus sowjetischen Schwachstellen Kapital zu schlagen, erfordert differenzierte Analysen. Nichtsdestotrotz bleibt es unser Ziel, und ich bin sicher, daß wir es erreichen können.

Eine noch größere Herausforderung ist eine Institutionalisierung dieser Herangehensweise. Wir haben überlegenheitsorientierte Strategien im Konzept entwickelt und arbeiten an der Bestimmung einer ersten zusammenhängenden Reihe dieser Strategien. Es muß jedoch auch sichergestellt werden, daß wir eine anhaltende Anstrengung zur langfristigen Einbeziehung dieser Strategien in unsere Verteidigungsstrategie und unser Politikkonzept auslösen.

Als ersten Schritt bei diesem Bemühen habe ich eine Anzahl erster Studien in Auftrag gegeben. Der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabes, unterstützt durch die Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte, hat unsere militärische Strategie und Waffenprogramme analysiert und diejenigen Bereiche und militärischen Aufträge identifiziert, die für eine Anwendung überlegenheitsorientierter Strategien am vielversprechendsten sind.

Die Staatssekretäre und Oberkommandeure aller Waffengattungen haben ebenfalls ihre Meinung zu Bereichen und Technologien abgegeben, die für sie vielversprechendste Möglichkeiten für überlegenheitsfhige Strategien zu haben scheinen. Sie werden laufende Waffenprogramme analysieren und Empfehlungen abgeben, wie diese Waffenprogramme, wo sinnvoll, in überlegenheitsfähige Strategien einbezogen werden sollten. Sie werden solche Strategien in ihre Vorschläge für neue Waffensysteme integrieren und diese Gesichtspunkte werden im Rahmen des neuen Koordinierten Anforderungs- und Managementausschusses (JRMB) geprüft werden.

Ich habe den stellvertretenden Verteidigungsminister beauftragt, die Institutionalisierung des Prinzips überlegenheitsorienter Strategien im gesamten Verteidigungsministerium zu überwachen und die Verantwortlichkeit für den Ablauf der täglichen Weiterführung betroffener Programme zu übernehmen. Aufgrund ihrer Bedeutung werde ich regelmäßig die Sitzungen leiten, die den Stand der Einbeziehung dieser Programme innerhalb der einzelnen Waffengattungen kontrollieren. Es gibt ebenso Politikbereiche, wie etwa das Sicherheitsbeihilfen-Programm der USA, wo wir in der Lage sein dürften, unsere Politik zu modifizieren, um so unsere Abschreckung gegenber einem Abenteurertum der Sowjets und sowjetischer Vasallen zu verstärken. Der Staatssekretär für Verteidigungspolitik ist angewiesen, Politikkonzepte zu entwickeln, die unsere überlegenheitsorientierten Strategie-Initiativen unterstützen.

Letzten Endes werden wir jedoch nicht in der Lage sein, ohne anhaltende Unterstützung durch den Kongreß irgendetwas hiervon zu verwirklichen. Während der vergangenen sechs Jahre haben wichtige Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus unsere sicherheitsempfindlichsten Programme und Pläne überprüft. Diese Mitglieder haben uns darin unterstützt, diese ganz besonderen Systeme auf jedem Schritt ihrer Entwicklung zu fördern. Die Übernahme des Konzepts der überlegenheitsorientierten Strategien ist durch den Kongreß in Wort und Tat unterstützt worden. Durch diese unsere Kooperation können wir den Vereinigten Staaten und unseren Alliierten dabei helfen, eine wirklich stabile Abschreckungsfähigkeit weiterzuentwickeln und ins Feld zu stellen, die stärker auf fortgeschrittenem Entwicklungskonzept, Produktionsverfahren und Kampfdoktrin beruht als auf dem Bemühen, den Sowjets Panzer für Panzer, Schiff für Schiff und Flugzeug für Flugzeug gewachsen zu sein.

US-Militärausgaben 1980-1988 in Mrd. $
1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988
144 180 217 245 265 295 289 290 312
Quelle: DoD

Im Haushaltsentwurf 1988/89 werden wieder große Mittel zur Verstärkung der US-Nuklearstreitkräfte gefordert. Die Zeitschrift „The Defense Monitor“ spricht von den „Nuclear Warfighting Foroes“. Für die MX-Rakete will das Pentagon 1,9 Mrd. $. Die ersten zehn Raketen sind inzwischen operabonspereit. Die Dislozierung weiterer vierzig steht an. Für die Trident-II-Rakete sind 3,5 Mrd. $ veranschlagt. Das Programm für den „Stealth-Bomber“ ist geheim; dennoch wird von jährlich 3,5 Mrd. $ Entwicklungskosten ausgegangen. Für SDI hat die Reagan-Administration 5,9 Mrd. gefordert. 400 Millionen $ sollen in die Effektivierung der Kommunikationssysteme und die Sicherung ihrer Überlebensfäbigkeit in einer nuklearen „Auseinandersetzung“ fließen. Über 14 Mrd. $ gehen damit nach der Ansicht der Herausgeber – des „Center for Defense Information“ – in neue Kriegführungssysteme. Das gesamte Militärbudget der USA für 1987 schätzen sie auf 400 Mrd. $.

Anmerkung:

Im Originaltext „competitive strategy/strategies“, wörtlich: konkurrenzfähig, wettbewerbsorientiert, gemeint ist: im Rahmen der Hochrüstung an Überlegenheit orientiert und zur Erhaltung/Gewinnung von militarischer Überlegenheit entschlossen zu sein. Im Text wurde der Begriff deshalb durchgehend mit überlegenheitsorientiert, an wenigen Stellen (im Kontext) mit überlegenheitsfähig übersetzt. (Anm. d.Ü.)

Übersetzung: Peter Brollik

Editorial

Editorial

von Paul Schäfer

Ein Abrüstungsvertrag ist greifbar. Sein Abschloß wäre ein historisches Ereignis. Offen ist, was er in Gang setzen würde: eine Dynamik der Rüstungsminderung oder der erneuten Nach-Nachrüstung. Mittlerweile weiß man, daß die klassischen Abkommen der Rüstungskontrolle in aller Regel keine Wege zur Abrüstung geöffnet haben, sondern bloß die nächste technologisch-ökonomische Aufrüstungsrunde eingeläutet haben: alte Systeme wurden ausgesondert, die Installierung neuer tödlicher Kampfmittel ermöglicht.

Heute ist der Kampf um das Aufreißen einer realen Abrüstungsperspektive zugespitzt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In solchen Situationen treten die wirklichen Optionen der Beteiligten klarer hervor als in Zeiten politischer Ruhe. Die offizielle Friedensrhetorik dünnt sich rapide aus, die Legitimationen zerbröseln, es bleibt der schreckliche Satz: Frieden schaffen geht bloß mit atomaren Waffen. Wenn sich die NATO durch die Null-Lösungsangebote Moskaus „überfordert“ fühlt, im Westen die „Angst vor der Denuklearisierung grassiert“ dann heißt das: man fürchtet eine Weit ohne Atomwaffen. Das Credo dieses Bündnisses ist die Atomrüstung, der Doppelbeschluß war nie mehr als ein taktisches Manöver, reale, langfristige Abrüstungskonzepte, hinter denen ein politischer Wille steht, existieren nicht. Hektisch werden „Pferdefüße“ (Wörner) ausfindig gemacht, Argumentationsmuster variiert, Ablenkungsmanöver inszeniert, Junktims hergestellt und neue technologische Optionen eruiert.

Den politischen Willen für den Einstieg in eine Abrüstungsspirale gibt es in der Friedensbewegung. Sie fürchtet keine Denuklearisierung. Am 13. Juni demonstriert sie in Bonn.

Diesen politischen Willen zur Abrüstung mit fachkompetenten Konzeptionen professionell zu komplettieren, ist eine hervorragende Aufgabe der Wissenschaft. Wie sollen Armeen umstrukturiert, verringert, ungefährlich gemacht werden? Wie wird die technologische Rüstungsdynamik entschärft? Oder, am wichtigsten: wie baut man die gerüsteten Gesellschaften um – und wie ist eine friedliche Ordnung beschaffen? Solche Fragen machen den Unterschied aus zur Situation vor drei Jahrzehnten, als sich die „Göttinger 18“ gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr erklärten. Ihr Einspruch trug dazu bei, Adenauers Pläne zu vereiteln. Sie setzten eine Tradition öffentlich verantwortlicher Wissenschaft fort, die bis heute wirkt. Die heutigen Einsprüche der Wissenschaft gehen weiter: sie zielen auf den gemeinsamen Eingriff in das politische Kräftefeld, um praktische Wege aus der Rüstungsdynamik zu öffnen. Solche Verantwortung nimmt die Zusammenhänge der eigenen Arbeit nicht aus: Ende Juni soll in Karlsruhe auf einer Konferenz der Naturwissenschaftler-Initiative über Rüstungs- und Friedensforschung referiert und diskutiert werden. Und: wohl doch anders als die „Göttinger 18“ versteht sich ein Großteil der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen als dauerhafter Faktor in einer großen demokratischen Bewegung für eine vernünftige Friedenspolitik. Zu diesem Zweck haben die Initiatoren der „Mainzer Erklärung“ von 1983 zur Gründung eines Vereins aufgerufen. Es bedarf keiner großen Erklärung, daß wir dazu auffordern, die „Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für den Frieden“ zu unterstützen – diesem Heft liegt eine Beitrittskarte bei.

Ihr Paul Schäfer

Erwartungen. Was eine neue Bundesregierung tun könnte

Erwartungen. Was eine neue Bundesregierung tun könnte

von Jürgen Altmann

In den letzten Jahren beobachten wir eine gefährliche Aufrüstungswelle. Seit Amtsantritt Präsident Reagans haben die USA ihre Militärausgaben verdoppelt: ein völliger Zusammenbruch der Rüstungskontrollverträge droht. Die Bundesregierung hat sich zwar in Worten zur Rüstungsbegrenzung bekannt, tatsächlich aber hat sie die USA-Politik unterstützt. Mehr noch, sie ist ein eigenständiger Motor der Aufrüstung gewesen. Die sichtbarsten Zeichen davon sind die Stationierung von Pershing II und Marschflugkörpern sowie der SDI-Kooperationsvertrag, aber in vielen anderen Bereichen gilt dasselbe. Die nächsten Aufrüstungsschübe wie Air-Land-Battle/Follow-on-Forces-Attack oder eine westeuropäische Raketenabwehrinitiative sind im Gang bzw. werden vorbereitet. Kleine Lichtblicke wie der erfolgreiche Abschluß der Konferenz für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa oder das Zustandekommen eines (Vor-)Gipfels ändern noch nichts an der grundsätzlichen Richtung der internationalen Politik.

Was könnte und sollte eine neue Bundesregierung tun, um dieser Grundrichtung eine Wende zu geben, eine Regierung, die sich ernsthaft an den Zielen: Erhaltung der Rüstungskontrollverträge, strategische Stabilität, „Frieden schaffen mit weniger Waffen“ orientieren würde? Im folgenden möchte ich einige Aspekte aus der Sicht eines um den Frieden besorgten Naturwissenschaftlers darstellten.

Vollständiger Stopp von Kernwaffentests

Geophysiker weisen seit Jahren nach, daß unterirdische Atomtests sicher von Erdbeben unterschieden werden können. Die jetzige Bundesregierung hat im Genfer Abrüstungsausschuß (Conference on Disarmament, CD) den Aufbau eines weltweiten Meßsystems vorgeschlagen, das im Verlauf von zehn Jahren die Nachweisschwelle auf 1 Kilotonne TNT (Hiroshima: ca. 15 kt) senken soll. Kerntests könnten aber von heute auf morgen gestoppt werden, wenn die USA sich dem Moratorium der UdSSR anschließen würden. Eventuelle Verstöße könnten mit Meßgeräten in der Nähe der jeweiligen Testgebiete festgestellt werden, wie die Vereinbarung zwischen dem Natural Resources Defense Council, USA, und der Akademie der Wissenschaften der USA zeigt (seit August 1986 laufen solche Messungen in der UdSSR, in den USA sollen sie folgen). Eine neue Bundesregierung könnte öffentlich erklären, daß ein vollständiger Teststop sofort möglich ist; sie könnte intern wie auch öffentlich auf die US-Regierung einwirken, damit diese ihre Position ändert. (Das würde im US-Kongreß auf starke Unterstützung treffen.) Sie könnte in den internationalen Gremien (der UN-Generalversammlung der Abrüstungskonferenz in Genf) konkrete Vertragsvorschläge statt allgemeiner Absichtserklärungen einbringen.

Verbot von Weltraumwaffen

Die bisherige Bundesregierung bekennt sich in Worten zum Ziel, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern. Gleichzeitig unterstützt sie aber das SDI-Projekt der USA, das den Aufbau von Weltraumwaffen zum Ziel hat und das den Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen, den ABM-Vertrag von 1972, nicht erst bei Stationierung, sondern schon bei Entwicklung und Erprobung verletzen würde. Eine neue Bundesregierung könnte auf verschiedene Weise versuchen, die USA von ihrer bisherigen Position abzubringen, nach der eine Einschränkung der Forschung und Entwicklung von Weltraumwaffen nicht verhandelbar ist. Sie könnte öffentlich erklären, daß Weltraumwaffen Atomwaffen nicht abschaffen werden, daß sie nicht rein defensiv sind und daß sie die strategische Lage destabilisieren werden. Die Bundesregierung könnte das SDI-Zusammenarbeitsabkommen kündigen (das ja, wie inzwischen jeder nachlesen konnte, in keiner Weise Gleichbehandlung, für Technologie usw. sichert). In den internationalen Gremien könnte sie den Vertragsvorschlag des Göttinger Naturwissenschaftlerkongresses von 1984 zum umfassenden Verbot von Weltraumwaffen einbringen. Die Bundesregierung könnte sich für den Aufbau einer blockübergreifenden Satellitenagentur zur Überwachung eines Weltraumwaffenverbots einsetzen. Die Beteiligung an der US-Weltraumstation Columbus könnte zurückgezogen werden, solange die USA nicht verbindlich erklären, daß diese nicht militärisch genutzt wird.

Abbau nuklearer Mittelstreckenwaffen

Die Bundesregierung hat sich in Westeuropa zum Vorreiter gemacht bei der Stationierung hochzielgenauer neuer Mittelstreckenwaffen (Marschflugkörper und Pershing II, letztere mit sehr kurzer Flugzeit). Die UdSSR hat sich bereit erklärt, ihre auf Westeuropa gerichteten SS 20 Raketen zu verschrotten und die als Antwort zusätzlich in der DDR und der CSSR stationierten Kurzstreckenraketen zurückzuziehen. Die Bundesregierung könnte die Zustimmung zur Stationierung von Pershing II und Marschflugkörpern zurückziehen und die USA auffordern, sie abzuziehen. Die Bundesregierung könnte auf die westeuropäischen Atommächte Großbritannien und Frankreich einwirken mit dem Ziel, daß diese ihr Nuklearpotential nicht ausbauen und konstruktiv bei einer ganz Europa umfassenden Reduzierung mitwirken.

Kein Euro-SDI, keine neuen Kurzstreckenraketen

Die nächste europäische Aufrüstungsrunde wird, wenn die jetzt begonnenen Entwicklungen nicht umgekehrt werden, durch den Aufbau von Raketenabwehrsystemen („europäische Verteidigungsinitiative, erweiterte Luftabwehr“) bestimmt sein. Gleichzeitig werden neue Kurz- und Mittelstreckenraketen aufgestellt werden, die die Abwehrsysteme der anderen Seite durchdringen können (und die speziell die gegnerischen Raketen frühzeitig, noch in deren Startgeräten zerschlagen können). Eine neue Bundesregierung könnte diese Projekte stoppen und stattdessen den Abbau von Kurzstreckenraketen auf beiden Seiten anstreben – dann braucht man sie weder im Flug abzuwehren, noch gibt es Zwänge, sie präemptiv auszuschalten. Ein erster Schritt könnte die Vereinbarung einer von atomaren Gefechtsfeldwaffen freien Zone von je 150 km Breite längs der Grenzen zur DDR und CSSR sein, wie es die Palme-Kommission vorgeschlagen hat.

Weitere Möglichkeiten

Eine neue Bundesregierung könnte mit der DDR und der CSSR eine chemiewaffenfreie Zone vereinbaren, etwa so, wie es die SPD mit der SED und der KPC schon getan hat. Sie könnte die Zustimmung zur Stationierung von Binärwaffen verweigern und somit, einer Bedingung des US-Kongresses folgend, deren Produktion in den USA verhindern. Offensive Strategiekonzepte wie Air-Land-Battle, Follow-on-Forces-Attack, Rogers-Plan könnten zurückgewiesen werden. Die Mittel für militärische Forschung und Entwicklung könnten reduziert werden. Wer ein bißchen mehr nachdenkt, kommt sicher noch auf weitere gute Ideen. Gute Ideen sind auch nötig, um eine Reihe komplizierterer Fragen zu lösen, wie die konventionelle Rüstung in Europa beiderseitig reduziert und gleichzeitig die Stabilität in einer Krise verbessert werden kann.

Bei allen solchen Aktivitäten, die eine größere Umorientierung der Politik unseres Landes bedeuten würden, könnte sich die Bundesregierung auf verschiedene Partner stützen. Im Innern gibt es einerseits die Friedensbewegung, andererseits stößt der US-Konfrontationskurs auch bei NATO-Befürwortern auf Widerspruch. In Westeuropa gibt es einige Länder, die der Stationierung der neuen Mittelstreckenwaffen nur zögernd, unter Druck auch durch die Bundesregierung gefolgt sind; viele haben sich gegen eine SDI-Kooperation ausgesprochen. Die Staaten der Warschauer Vertragsorganisation haben eine ganze Reihe guter Vorschläge gemacht, das Atomtestmoratorium der UdSSR ist eine beachtliche einseitige Vorleistung. Auch in den USA selbst wächst der Einfluß derjenigen, die für die Beibehaltung der Rüstungsbegrenzungsverträge, für einen vollständigen Teststop und gegen die Aufrüstung im Weltraum sind. Die Bundesrepublik hat einen großen politischen Spielraum, sie könnte für die Umkehrung des jetzigen Trends, weg von Aufrüstung und Konfrontation, hin zu Entspannung und Abrüstung, eine Schlüsselrolle spielen.

Können wir das erreichen? Ja, wenn im Vorfeld der Bundestagswahlen (und darüberhinaus) ein politisches Klima entsteht, in dem Frieden eine zentrale Frage ist. Der Naturwissenschaftler-Kongreß „Wege aus dem Wettrüsten“ wird mit seinen „Hamburger Abrüstungsvorschlägen“ wichtige Argumente liefern. Wir Naturwissenschaftler sind herausgefordert, in der von den berufsbezogenen Friedensinitiativen getragenen Aktion „Abrüstung wählen“ unseren Sachverstand und unser Verantwortungsbewußtsein an allen Orten einzubringen.

Dr. J. Altmann, Physiker, Mitglied im Vorstand des Forums Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung

Rüstungswirtschaft – Konversion statt weitere Aufrüstung

Rüstungswirtschaft – Konversion statt weitere Aufrüstung

von Herbert Wulf

Die rüstungswirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Mitte der achtziger Jahre ist geprägt durch das Auslaufen einiger großer Rüstungsprogramme (Fregatten, Leopard-Kampfpanzer, Alpha Jet, MRCA Tornado) mit entsprechendem Auftragsrückgang bei den großen Rüstungsbetrieben. Gleichzeitig aber wird die nächste Rüstungsrunde, die Waffengeneration der neunziger Jahre geplant und entwickelt. Hoher Finanzbedarf ist seitens des Verteidigungsministeriums angemeldet worden. Die langfristigen Bundeswehrpläne und das NATO-FOFA (Follow-on-forces-attack)-Konzept mit kräftigen Aufrüstungsschüben konventioneller Waffen verheißen den Rüstungsfirmen blühende Geschäfte ab Anfang/Mitte der neunziger Jahre.

Doch für die Rüstungsindustrie hat die jetzige Planung zwei Haken: Erstens helfen gute Geschäftsaussichten für das nächste Jahrzehnt heute nicht, Kapazitätsüberhänge auszulasten und zweitens ist die Rüstungsrunde in den neunziger Jahren längst noch nicht finanziell abgesichert Das Verteidigungsministerium rechnete 1985 mit einem Gesamtaufwand für die geplanten neuen Waffensysteme von 240 Milliarden Mark.

Doch Preisschätzungen für einige Waffensysteme mußten bereits jetzt nach oben korrigiert werden. Berücksichtigt man die in der Vergangenheit üblichen Preissteigerungen bei Waffen, so muß man ein Finanzvolumen von 500 Milliarden Mark als realistisch ansehen. Das heißt, die Bundeswehrplanung steht auf tönernen Füßen:

entweder muß die Zahl der geplanten Waffen reduziert werden oder aber es muß mehr noch als in der Vergangenheit kräftig zugunsten des Verteidigungsetats aus anderen Haushaltstiteln umgeschichtet werden. Die Politik des Sozialabbaus heute aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen ein primäres Ziel der Bundesregierung – fände eine zusätzliche Legitimation, weil „Sicherheit ihren Preis hat“. Die verheerenden Konsequenzen für Arbeits-, Sozial-, Bildungs-, Jugendpolitik usw. sind leicht vorstellbar.

Wie reagiert die Rüstungsindustrie? Erstens drängt die Industrie – nicht ohne Erfolg – auf die Lockerung der so schon durchlöcherten Exportrestriktionen. Doch den Wünschen der Industrie und dem Wohlwollen der Regierung steht sinkende Kaufkraft in Entwicklungsländern entgegen. Gute Geschäfte werden sicherlich auch in Zukunft gemacht werden, doch die Zeit der rasanten Wachstumsrate im Waffenhandel der vergangenen Dekade ist vorbei. Zweitens drängt die Rüstungsindustrie – ebenfalls erfolgreich – auf die Erhöhung der Aufträge der Bundeswehr. Außerhalb der Langfristplanung der Bundeswehr wurden 1986 aus rein industriellen Erwägungen 150 Leopard Kampfpanzer, 35 MRCA Tornados und zwei Fregatten zusätzlich bestellt. Den kriselnden Werften, den jammernden Panzer- und Flugzeugherstellern kann so kurzfristig aus der Patsche geholfen werden.

Die wirtschaftliche, sicherheits- und friedenspolitisch vernünftige Alternative, einen Konversionsplan zu erstellen und die Überkapazitäten abzubauen, wird weder in der Regierung noch in der Industrie ernsthaft erwogen. Damit sind weitere Aufrüstungsschübe programmiert und neue Hindernisse für eine Verständigung über Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung aufgebaut. Soll der Teufelskreis der gegeneinander gerichteten Waffen durchbrochen werden, bietet ein Konversionsprogramm einen guten Ansatz. Finanzielle und wirtschaftliche Argumente sprechen eindeutig gegen den derzeit verfolgten Kurs. Das Einfrieren oder die Kürzung des Militärhaushaltes könnte offensiv als friedenspolitisches Signal vertreten werden und zudem könnten die im Rüstungsbereich eingesparten Mittel sinnvoll – und mit volkswirtschaftlichem Gewinn – in Bereiche gesellschaftlich hoher Priorität umgeleitet werden.

Konfrontiert mit drohender Arbeitslosigkeit, haben Arbeitnehmer in Rüstungsunternehmen Arbeitskreise „Alternative Fertigung“ gegründet, die konkrete Vorschläge zur Umstellung der Rüstungsindustrie vorlegen. Zahlreiche ökologisch und auch ökonomisch sinnvolle Produkte sind vorgeschlagen worden. Untersuchungen der

Umstellungsmöglichkeiten auf zivile Fertigung zeigten, daß die technischen Probleme bewältigbar sind. Vor allem sind in den meisten Betrieben Beschäftigte in der Rüstungsindustrie tätig, deren berufliche Qualifikation nicht nur in der Rüstung, sondern ebenso in ziviler Fertigung sinnvoll – und in der Regel ohne langfristige Umschulung – eingesetzt werden kann.

Konversionsvorschläge scheitern meistens nicht an produktionstechnischen Schwierigkeiten. Hindernisse, die es zu überwinden gilt, tun sich auf drei Ebenen auf:

Erstens weigern sich Firmenleitungen, die von Arbeitnehmern geforderte „Mitbestimmung über die Produkte“ zu akzeptieren. Wenn Beschäftigte in der Rüstungsindustrie die Produktion „sozial nützlicher Produkte“ fordern, heißt dies letztlich, über die Produktpalette, Investitionen des Unternehmens und den Ablauf des Produktionsprozesses mitbestimmen zu wollen.

Zweitens ist die Umstellung in der Rüstungsindustrie in einer wirtschaftlich krisenhaften Situation schwierig. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen in einer entwickelten Industriegesellschaft bedarf es für eine Umstellung mehr als nur einer Produktionsidee im zivilen Bereich. Gesellschaftlich noch so sinnvolle Produkte werden in einer kapitalistischen Gesellschaft nur produziert, wenn für diese Produkte ein Markt vorhanden ist. Ohne staatliche Hilfe ist für zahlreiche Produkte aus dem Umweltschutzbereich, alternativer Energieversorgung, öffentlichen Nahverkehrswesen usw. oftmals kein Markt vorhanden. Staatliche Eingriffe aber werden aus ordnungspolitischen Überlegungen abgelehnt, obwohl die Rüstungsindustrie wie kaum eine andere Branche von staatlichen Entscheidungen abhängig ist.

Drittens schließlich wird der Erhalt und teils gar der Ausbau rüstungsindustrieller Kapazitäten aufgrund sicherheitspolitischer Einschätzungen in den großen Industrieländern fr notwendig erachtet. Nicht Konversion, also der Abbau rüstungsindustrieller Kapazitäten, sondern das Gegenteil ist Ziel staatlicher Politik. Mit einem Konversionsplan kann sicherlich nicht Abrüstung, quasi hinter dem Rücken der politisch Verantwortlichen, erreicht werden; vielmehr – das haben Konversionsstudien gezeigt – ist die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Fertigung technisch und wirtschaftlich realisierbar, wenn der politische Wille zur Abrüstung vorhanden ist und die Aufwendung für Militär und Rüstung vermindert wird und damit für alternative Verwendungen zur Verfügung steht.

Dr. Herbert Wulf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Chancen der Rüstungskontrolle

Chancen der Rüstungskontrolle

von Jürgen Scheffran

Bislang stehen der fortschreitenden Militarisierung des Weltraums einige Verträge entgegen, die diese Problematik mehr oder weniger stark berühren.

  • Das partielle Atomwaffenteststopp-Abkommen von 1962 verbietet u.a. auch den Test von Nuklearwaffen im Weltraum.
  • Der Weltraumvertrag von 1967 begründet allgemeine Grundrechte im Weltraum und verbietet in Artikel IV „Gegenstände, die Kernwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen tragen, in Erdumlaufbahn zu bringen und weder Himmelskörper mit derartigen Waffen zu bestücken noch solche Waffen im Weltraum zu stationieren.“(…)„Die Errichtung militärischer Stützpunkte, Anlagen und Befestigungen, das Erproben von Waffen jeglicher Art und die Durchführung militärischer Übungen auf Himmelskörpern sind verboten.“ Dieser Vertrag wendet sich nicht generell gegen alle Waffen im Weltraum.
  • Im ABM-Vertrag von 1972 (Zusatzabkommen zu SALT I) verpflichten sich die Großmächte USA und UdSSR, keine Raketenabwehrsysteme oder Komponenten davon zu schaffen. (Ausnahme: Je 100 Raketen dürfen um die Hauptstadt bzw. die Befehlszentrale aufgestellt werden.) Ein Raketenabwehrsysteme besteht aus Gegenraketen, Startrampen für Gegenraketen und Funkmeßstationen (Radar). Das Erproben ist nur für solche Systeme erlaubt, die landgestützt und nicht mobil sind. Zusätzlich besteht eine gemeinsame Erklärung der Vertragspartner, nach der über Beschränkungen von ABM-Systemen verhandelt werden muß, die auf neuen physikalischen Prinzipien beruhen.

Diese bestehenden Verträge können der Militarisierung nur begrenzten Einhalt gebieten. Eindeutig durch alle drei Verträge verboten ist z.B. der Test von nuklearexplosionsgepumpten Röntgenlasern gegen Atomraketen im Weltraum, ein Vorschlag, der von Edward Teller stammt. Dennoch wird am Lawrence Livermore Laboratory intensiv unterirdisch daran geforscht. Ebenso verstößt die gesamte Idee eines weltraumgestützten ABM-Schutzschirms zumindest gegen den Geist des ABM-Vertrages. Diese Verträge bieten aber zu viele Lücken für eine Fortsetzung der Aufrüstung im All. So sind z. B. Antisatellitensysteme überhaupt nicht erfaßt. Um diesem Defizit entgegenzuwirken, sind weitergehende Verträge sowie vertrauensbildende Maßnahmen notwendig. Es gibt dazu bereits Ansätze, so der schon erwähnte sowjetische Vertragsentwurf gegen ein Wettrüsten im Weltall vom August 1983 und ein Vertragsentwurf des amerikanischen Physikers Richard Garwin zur Begrenzung von Anti-Satelliten-Waffen, der inzwischen die Unterstützung namhafter Wissenschaftler und Militärs gefunden hat.

Es gibt in den USA eine breite und einflußreiche Basis für eine Rüstungskontrolle im Weltraum, die die Reagan-Administration unter Druck setzen kann.

Die Vereinten Nationen haben sich zuletzt auf der Weltraumkonferenz UNISPACE von 1982 und auf der 38. Generalversammlung vom Dezember 1983 gegen die Militarisierung des Weltraums gewandt. Gegen die Resolution stimmte nur die USA, Großbritannien enthielt sich. Selbst die Bundesrepublik stimmte dafür.

Die Zeit drängt. Anders als bei den Pershings ist die Entscheidung in der NATO noch nicht gefallen. Wörner befürchtet „Abkoppelung“ Europas, gar „Spaltung“ der NATO und konzertiert sogar, daß die USA nunmehr eine Erstschlagsfähigkeit erhalten könnten. Die Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe am 3. April 1984 hat gezeigt, daß der Druck der USA massiv zunimmt. Weinberger forderte eine finanzielle Beteiligung der europäischen NATO-Partner als Voraussetzung für die Bereitschaft der USA, den europäischen Ländern einen Platz unter dem Schutzschirm zu gewähren. Insgeheim steckt dahinter wohl die Absicht, das nahe zur Sowjetunion gelegene Territorium zur Stationierung des Pop-up ABM-Systems zu verwenden. Die Regierungskoalition ist in dieser Frage gegenwärtig noch beeinflußbar.

Die friedlichen Möglichkeiten der Weltraumforschung werden auch
von einigen bundesdeutschen Weltraumwissenschaftlern erkannt und betont, so z. B. von Ulf Merbold:

„Ich denke, daß wir es künftig nicht mehr entschuldigen dürfen, wenn
da irgendwelche Lokalmatadore – und lokal sind aus der Perspektive des Alls eben auch die
USA und die UdSSR – nur um ihres nationalen Vorteils willen das Wohl der Menschheit aufs
Spiel setzen. Man muß den Politikern abfordern, daß sie mehr tun als bisher, um uns den
großen Untergang zu ersparen. Der Shuttle und das Spacelab sind wie Messer. In der Hand
des Chirurgen können sie heilen helfen, und in der Hand des Verbrechers werden sie zum
Mordinstrument. Die Europäische Weltraumbehörde ESA hat sich ausdrücklich ausbedungen,
daß ihr Spacelab ausschließlich für friedliche Zwecke eingesetzt werden darf. Ich gehe
davon aus, daß die Amerikaner Wort halten und auch künftig mit dem Spacelab nur
friedliche Forschung treiben.“

(GEO, 1/1984)

Ein möglicher Beitrag der Wissenschaftler könnte ein eigener Vertragsentwurf sein, der den gesamten Bereich der Weltraumausrüstung umfaßt, zugleich aber realistische Teilschritte angibt. Dies wäre möglich durch einen Mehrstufen-Vertrag, der an den Weltraum-Vertrag anknüpft und schrittweise von einem Moratorium zu einem Verbot direkter Waffen (insbesondere ASAT) und danach zu einer Kontrolle indirekter Waffensysteme im Weltraum kommt. Auf dem Göttinger Kongreß wird ein solcher Vertrag vorgelegt und diskutiert werden.

Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker in Marburg

Europa – Atomwaffenfrei!

Europa – Atomwaffenfrei!

von Rebecca Johnson

Die internationale Kommission zu Massenvernichtungswaffen (Weapons of Mass Destruction Commission) unter Leitung von Dr. Hans Blix rief in ihrem Abschlussbericht dazu auf, „die Welt von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen zu befreien“. Biologische und chemische Waffen sind bereits völkerrechtlich verboten; das ist bei Atomwaffen nicht der Fall.

Obwohl der Kalte Krieg schon lange vorbei ist, schätzt das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), dass nach wie vor etwa 11.000 strategische und taktische Atomwaffen stationiert sind. Knapp 1.000 davon werden momentan in Europa vorgehalten.

Die Vereinigten Staaten lagern in sechs europäischen Ländern weiterhin 350 taktische Atomwaffen, von denen rund 140 der NATO zugeordnet sind.1 Letztere sind in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert – also in Ländern, die offiziell als Nicht-Atomwaffenstaaten gelten und dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind. Aus Griechenland hingegen wurden die US-Atomwaffen schon vor etlichen Jahren abgezogen, und die griechische Regierung hat vermutlich auch ihre Mitwirkung an der politischen Komponente der nuklearen Teilhabe aufgegeben.

In Großbritannien sind in Lakenheath ebenfalls 110 frei fallende Fliegerbomben der USA stationiert, allerdings beteiligt sich das Vereinigte Königreich nicht an der nuklearen Teilhabe, da es ein eigenständiger Atomwaffenstaat ist. Das Land verfügt über vier U-Boote, die mit US-amerikanischen Trident-Raketen und etwa 160-200 in Großbritannien gefertigten Nuklearsprengköpfen bestückt sind.

Frankreich ist nicht in die nukleare Planung oder Teilhabe der NATO integriert, besitzt aber selbst 348 Atomwaffen; als Trägersysteme dienen U-Boote und Bomber. In einer politischen Grundsatzrede begründete der damalige Präsident Chirac, dieses Arsenal werde für die Verteidigung von Frankreich und seiner „vitalen Interessen“, einschließlich der „Verteidigung von verbündeten Staaten“, gebraucht.2 Und natürlich dürfen in der Aufzählung die mehr als 5.000 Atomwaffen Russlands nicht fehlen, von denen auf Grund ihrer Größe und Reichweite etwa 2.330 als »taktisch« eingestuft werden. Ein erheblicher Teil der taktischen Sprengköpfe ist vermutlich entlang der russischen Flanke nach Europa stationiert.3

Die Regierungen all dieser Länder setzen mit dem Bau bzw. der Stationierung von Atomwaffen die europäische Sicherheit unter Druck. Wozu?

Nukleare Teilhabe in der NATO

In ihrem »Strategischen Konzept« von 1999 betont die NATO, dass Atomwaffen die „oberste Garantie“ für die Sicherheit des Bündnisses bieten und „breite Teilhabe an der kollektiven Verteidigungsplanung der involvierten europäischen Bündnispartner bezüglich der nuklearen Aufgaben, der Stationierung von Nuklearstreitkräften auf ihrem Hoheitsgebiet im Frieden und an Führungs-, Überwachungs- und Konsultationsvorkehrungen“ erfordern. Dafür beherbergen einige europäische Länder US-amerikanische Atomwaffenbasen und taktische Atomwaffen auf ihrem Territorium. Sie halten Flugzeuge vor, die für den Transport von Atomwaffen ausgerüstet sind, und ihre Piloten trainieren Einsätze mit Atomwaffen. Das »Strategischen Konzept« steht 2009 zur Überprüfung an, bislang gibt es aber keinerlei Anzeichen, dass die NATO die Rolle von Atomwaffen gründlich analysieren oder die grundlegenden politischen Änderungen berücksichtigen wird, die die Aufrechterhaltung eines Nuklearwaffendispositivs im 21. Jahrhundert immer problematischer machen.

Ein Beispiel dafür, wie krampfhaft die Nukleare Planungsgruppe an bekannten Positionen festhält, ist eine Verlautbarung des Verteidigungsplanungsausschusses und der Nuklearen Planungsgruppe der NATO vom Juni 2007, die sich auf die Überprüfung des nuklearen Streitkräftedispositivs der NATO und das Mandat der Hochrangigen Beratergruppe bezieht: „Wir bestätigen die Prinzipien der Nuklearpolitik der NATO gemäß dem Strategischen Konzept des Bündnisses. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die laufende Arbeit der Hochrangigen Gruppe, die ständig die Anforderungen für die Abschreckung im 21.Jahrhundert überprüft und die [Verteidigungs-]Minister entsprechend berät.“4

In den 1960er Jahren mochten es manche der nuklearen Teilhabe der NATO zugeschrieben haben, dass Länder wie Deutschland und Italien zur Aufgabe ihrer nationalen Atomwaffenprogramme und dem Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag gedrängt werden konnten. Heute lässt sich aber nicht mehr übersehen, dass die europäischen Atomwaffen und die Doktrin der nuklearen Teilhabe wirksamere Ansätze der Nichtverbreitung und Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung behindern.

Inzwischen werden die Rolle und Nützlichkeit von Atomwaffen selbst von unerwarteter Seite hinterfragt. Ein Beispiel für das allmähliche Umdenken war ein Meinungsartikel von Henry Kissinger (Außenminister unter Richard Nixon), George Schultz (Außenminister unter Ronald Reagan), William J. Perry (Verteidigungsminister unter Präsident Clinton) und Senator Sam Nunn (ehemaliger Vorsitzender des Streitkräfteausschusses des US-Senats und Mitbegründer der Nunn-Lugar-Initiative zur kooperativen Reduzierung von Bedrohungen), der im Januar 2007 im Wall Street Journal erschien.5

Unter Bezug auf US-Präsidenten wie Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy stellten die vier Autoren, die mehrere Jahrzehnte lang die Außen- und Nuklearpolitik der USA prägten, fest: „Es ist äußerst fraglich, ob wir die alte sowjetisch-amerikanische Strategie der ‚gesicherten gegenseitigen Zerstörung’ bei immer mehr potenziell atomar bewaffneten Feinden weltweit erfolgreich reproduzieren können, ohne das Risiko eines tatsächlichen Einsatzes von Atomwaffen dramatisch zu erhöhen.“ Mit anderen Worten: Abschreckung funktioniert heute nicht mehr so wie früher gedacht. Die Autoren machen sich zwar für weitere massive Einschnitte in die größten Nukleararsenale stark, bleiben aber nicht bei den Zahlenspielen der Rüstungskontrolle aus den Zeiten des Kalten Krieges stehen. Sie befürworten praktische Schritte, die auf die US-Politik ausgerichtet sind, orientieren sich dabei aber an den »13 praktischen Schritten«, denen bei der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags im Jahr 2000 alle teilnehmenden Staaten zustimmten. Vor allem aber begreifen sie, dass die Abwertung und Marginalisierung von Atomwaffen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unabdingbar ist, weil dann erst das vollständige Verbot dieses Waffentyps auf die Agenda kann.

Zweck und Rolle der NATO haben sich seit dem Kalten Krieg massiv gewandelt, das Bündnis hielt aber unverändert an seiner unzeitgemäßen Nukleardoktrin fest, d.h. an Vereinbarungen zur nuklearen Teilhabe zwischen den USA und einigen europäischen Ländern. Das Bündnis schreckt offenbar davor zurück, die Nukleardoktrin vor dem Hintergrund der Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts rigoros auf den Prüfstand zu stellen. Statt dessen entschied es sich für marginale Änderungen: So führte die NATO das Konzept »regionaler Konflikte« ein und erweiterte die Liste möglicher Ziele und Feinde, die mit den Atomwaffen abgeschreckt werden sollen.

Die nukleare Teilhabe der NATO wirft drei grundlegende Probleme auf:

  • Erstens haben sich in den letzten Jahren immer wieder Regierungen aus Lateinamerika und dem Nahen Osten darüber beschwert, dass die nukleare Teilhabe Artikel I und II des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) verletzt.
  • Zweitens werden Bedenken geäußert, dass die nukleare Teilhabe ein Einfallstor für nukleare Weiterverbreitung ist, da die Kontrolle über die Waffen im Kriegsfall an die entsprechenden Bündnispartner überginge. Die betroffenen NATO-Mitglieder argumentieren, dass sie den NVV dennoch einhielten, schließlich hätte es die nukleare Teilhabe schon vor dem NVV gegeben und ohnehin würde der NVV im Falle eines »großen Krieg« gegenstandslos. Diese Erklärung reicht allerdings den NVV-Mitgliedern nicht aus, die der Auffassung sind, Verträge dürften „keine Ausnahmen zulassen, und der NVV ist für die Unterzeichnerstaaten in Friedens- wie in Kriegszeiten gleichermaßen bindend.“6 Diese Staaten befürchten, dass die NATO-Doktrin die Funktionsfähigkeit und Glaubwürdigkeit des NVV untergräbt und Ungewissheit über den Status der Nicht-Atomwaffenstaaten besteht, die sich an der nuklearen Teilhabe beteiligen. Außerdem würden sich die NATO-Staaten als erste beschweren, wenn andere Bündnisse ähnliche Arrangements einführen würden: Was würde wohl passieren, wenn Russland seine Atomwaffen mit Belarus teilen wollte oder China mit Nordkorea?
  • Drittens behindert die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO die volle Umsetzung des NVV. NATO-Staaten geraten immer wieder unter Druck der USA (manchmal auch von Großbritannien und Frankreich), Abrüstungsvorschläge abzulehnen, die in multilateralen Foren wie den NVV-Konferenzen oder dem Ersten Komitee der UN-Generalversammlung von den Nicht-Atomwaffenstaaten mehrheitlich unterstützt werden.

Die »Prinzipien und Ziele für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung«, denen die Vertragsstaaten im Zusammenhang mit der unbegrenzten Verlängerung des NVV 1995 zustimmten, enthalten etliche Verpflichtungen mit Relevanz für Europa, beispielsweise die Einrichtung weiterer atomwaffenfreier Zonen und bessere Sicherheitsgarantien für die Nicht-Atomwaffenstaaten vor dem Einsatz oder der Drohung mit den Einsatz von Atomwaffen. Die Nuklearpolitik der NATO behindert die Ausweitung solcher negativer Sicherheitsgarantien sowie die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa. Überdies steht die NATO-Politik im Widerspruch zu einem Großteil des Aktionsprogramms, das von den Mitgliedsstaaten bei der Überprüfungskonferenz des NVV im Jahr 2000 vereinbart wurde, darunter die Verpflichtung zu mehr Transparenz, eine weitere Reduzierung nicht-strategischer Arsenale, eine Absenkung des Einsatzstatus von Atomwaffen und eine verminderte Rolle von Atomwaffen in der Sicherheitspolitik.

Atomwaffenpolitik in Europa

Frankreich ist zwar Mitglied der NATO, beteiligt sich allerdings nicht an der nuklearen Planung der Allianz. Bei der öffentlichen Darstellung der französischen Nuklearpolitik durch Präsident Chirac vergangenes Jahr klang aber durchaus das »Strategische Konzept« der NATO durch, als er die force de frappe als „ultimativen Garant für unsere Sicherheit“ bezeichnete. Er sagte, Atomwaffen gäben Frankreich die „Fähigkeit, unsere Handlungsfreiheit zu bewahren, unsere Politik selbst zu kontrollieren und die Beständigkeit unserer demokratischen Werte sicherzustellen“. Außer zur „Sicherung der strategischen Versorgung“ und der Verteidigung „verbündeter Länder“ könnten die französischen Atomwaffen laut Chirac auch „im Fall einer gegen solche Interessen gerichteten untragbaren Aggression, Bedrohung oder Erpressung eingesetzt werden.“7

Russland wiederum richtet seine Atomwaffenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges an der NATO aus; dies zeigt sich u.a. daran, dass die Sicherheitsgarantien des Landes schwach und voller Einschränkungen sind und dass es die erklärte Nicht-Ersteinsatz-Doktrin der ehemaligen Sowjetunion aufgegeben hat. Während die junge Generation in Europa ohne das permanente Damoklesschwert der nuklearen Vernichtung aufwächst, sind die politischen Entscheidungsträger weiterhin auf der Suche nach immer flexibleren Atomwaffen und »benutzerfreundlicheren« Doktrinen – im Endeffekt die Wiedereinführung des Damoklesschwertes, nun aber nicht über den eigenen Köpfen. Mag die Bedrohung eines totalen Atomkrieges auch gesunken sein, so bringen die politischen Entscheidungen der NATO und Russlands die Gefahr eines nuklearen Schlagabtausches und Einsatzes doch wieder näher.

In diesen Kontext gehört auch der Druck der Regierung Bush auf die Tschechische Republik und Polen, sich am US-amerikanischen Raketenabwehrprogramm zu beteiligen. Die Verhandlungen zu diesem Thema finden zwar im bilateralen Rahmen statt, als neue NATO-Mitglieder können diese beiden Länder das amerikanische Ansinnen aber kaum ausschlagen.

Das britische Abschreckungskonzept, auf dessen Basis die Londoner Regierung unter Premierminister Tony Blair am 14. März 2007 eine Entscheidung für die Modernisierung des nuklearen Trident-Systems8 durch das skeptische Parlament peitschte, ist ein Fall für sich. Bei Lesen des relevanten »White Paper«9 könnte man fast vergessen, dass es sich bei den Atomwaffen um die tödlichsten Waffen der Welt handelt, dass mit einer einzigen Atombombe eine ganze Stadt komplett vernichtet werden kann. Die britische Diskussion um einen Ersatz für Trident hat deutlich gemacht, dass den Politikern und Vertretern des Verteidigungsministeriums nur noch ein Argument offen steht, um die Aufrechterhaltung, Entwicklung und Modernisierung von Atomwaffen zu rechtfertigen: Sie müssen sich darauf versteifen, dass diese Waffen nur zu dem einen Zweck da sind, sie nie einzusetzen. Anders als Frankreich und die Vereinigten Staaten, die in den vergangenen Jahren die Umstände, unter denen sie zu einem Atomwaffeneinsatz bereit wären, immer genauer präzisiert haben, musste die britische Regierung auf Euphemismen wie »Versicherungspolitik« zurückgreifen, um die Abgeordneten in Sicherheit zu wiegen und zur Abgabe ihrer Stimme für die Trident-Modernisierung zu überreden. So begründet geht es nicht um die nächste Generation eines Atomwaffenarsenals mit einer Vernichtungskapazität von 1.200 Hiroshima-Bomben, das ohne Zusammenarbeit mit den USA undenkbar wäre. Nein, die Abgeordneten sollten lediglich für einige neue U-Boote stimmen, die die Lebensdauer der »unabhängigen nuklearen Abschreckung« als Versicherung gegen unbekannte Bedrohungen der Zukunft verlängern.

Gefährlicher Unsinn

In Zeiten, in denen allerorten über nuklearen Terrorismus geredet und das Interesse weiterer Staaten am Erwerb von Atomwaffen erkennbar wird, ist das ein gefährlicher Unsinn. Atomwaffen sind keine hilfreiche Versicherungspolitik oder ein Voodoo-Talisman, um hässliche unbekannte Bedrohungen fernzuhalten. Wie Kissinger, Schultz, Perry und Nunn darlegen, sind Atomwaffen ein Instrument der Politik und strategisch und taktisch einsetzbare Werkzeuge im militärischen Arsenal. Wenn wir den Kurs jetzt nicht ändern und die Abrüstung von Atomwaffen entschieden angehen, werden wir mit ansehen müssen, dass die Proliferation neu auflebt und sich schwache Staatsführer erneut für Atomwaffen interessieren, um übermächtige Länder oder Nachbarn zu neutralisieren oder zu erpressen.

Was also sollten wir tun? Zuallererst sollten die europäischen Länder unbedingt denjenigen in Großbritannien den Rücken stärken – einschließlich den aktiven Vertretern des Zivilgesellschaft sowie Regierungsmitgliedern und Abgeordneten –, die fordern, dass Großbritannien seine Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag voll umsetzt und Trident abschafft anstatt die Fehlentscheidung von Tony Blair weiter zu betreiben. Die Einführung einer neuen Atomwaffengeneration würde die Proliferation weiter anheizen. Es gibt auf den britischen Inseln erheblichen Widerstand gegen die Trident-Modernisierung, vor allem in Schottland. Kürzlich stimmte das Regionalparlament von Schottland bei 39 Enthaltungen mit 71 zu 16 Stimmen gegen Trident. Die britische Debatte ist noch längst nicht abgeschlossen. Jetzt, wo sich die Diskussion nicht länger um den Zeitpunkt und die Vorteile der Indienststellung einer neuen Atom-U-Boot-Flotte dreht, kann endlich die Rolle und Nützlichkeit von Atomwaffen für die Sicherheit im 21. Jahrhundert thematisiert werden.

Die schottische Regierung braucht für ihre Versuche, London zum Umdenken und zum Beginn echter nuklearer Abrüstung zu überreden, unbedingt Rückendeckung. Dies ist nicht nur für Schottland wichtig, sonder für die Sicherheit und Nichtverbreitungspolitik in ganz Europa. Da viele britische Außenpolitiker Angst haben, dass Frankreich im Falle der Abschaffung des britischen Atomwaffenarsenals eine Vormachtstellung zufiele, stehen sämtlichen Staaten Europas in der Verantwortung, eine solche Entwicklung zu verhindern und Frankreich seinerseits unter Druck zu setzen, seine Atomwaffen aufzugeben.

Außerdem sollten die NATO-Länder bei der anstehenden Revision des »Strategischen Konzepts« auf eine gründliche Überprüfung der Rolle und Implikationen von Atomwaffen und nuklearen Doktrinen im 21. Jahrhundert drängen. In diesem Kontext sollte die NATO auch den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa forcieren. Taktische Atomwaffen sind transportabel, verwundbar und einsatzbereit. Sie sind potentiell destabilisierend und provozieren zusätzliche Risiken und Unsicherheiten. Die NATO sollte eine Entscheidung für den Abzug der Atomwaffen als Hebel nutzen für Verhandlungen mit Russland, seine taktischen Atomarsenale aus der Reichweite zu NATO-Ländern abzuziehen und somit Gespräche über die vollständige Abschaffung aller taktischen Atomwaffen zu ermöglichen. Entsprechend sollten die Nicht-Atomwaffenstaaten in der NATO jegliches Training für den Ernstfall beenden und ihre Flugzeuge nicht länger für den Einsatz von Atomwaffen ausrüsten. Der Zeitpunkt dafür ist günstig, da Deutschland und Belgien (und vielleicht auch andere Länder mit nuklearer Teilhabe) zur Zeit ihre alternde Flugzeugflotte ersetzen und die Chance nutzen könnten, die anachronistische nukleare Rolle der Luftwaffe aufzugeben. Die Beendigung der nuklearen Teilhabe würde die Wirksamkeit des NVV erheblich stärken.

Natürlich würde Europa nicht im luftleeren Raum agieren. Der NVV gibt den grundlegenden völkerrechtlichen und politischen Rahmen vor, in dem Europa seine Abhängigkeit von Atomwaffen verringern und beenden könnte. Parallel dazu sprechen auch überwältigende regionale und globale Sicherheitsargumente dafür, jetzt eindeutige Schritte zu einem Verbot und zur Abschaffung von Atomwaffen einzuleiten.

NATO-Atomwaffenstandorte in Europa1

Land Luftwaffenstützpunkt B61-Sprengköpfe unter Verfügung von
USA NATO Gesamt
Belgien Kleine Brogel 0 20 20
Deutschland Büchel 0 20 20
Nörvenich* 0 0 0
Ramstein* 0 0 0
Großbritannien Lakenheath 110 0 110
Italien Aviano 50 0 50
Ghedi Torre 0 40 40
Niederlande Volkel 0 20 20
Türkei Akinci* 0 0 0
Balikesir* 0 0 0
Incirlik 50 40 90
Gesamt 210 140 350
* Hier sind keine Atomwaffen mehr gelagert, es bestehen aber noch Grüfte für die Lagerung. Manche dieser Standorte sind außerdem in die nukleare Kontroll- und Kommandokette der NATO eingebunden.
Die Zahlen in dieser Tabelle wurden aus Informationen von Hans Kristensen zusammengestellt. 1)

Anmerkungen

1) Hans Kristensen, Direktor des Nuclear Information Project der Federation of American Scientists, bestätigte kürzlich, dass 130 taktische Atomwaffen wohl endgültig von der US-Luftwaffenbasis Ramstein abgezogen sind. Davon waren 40 der NATO zugeordnet, die übrigen 90 gehörten zum US-Arsenal.

2) Rede von Jacques Chirac vor den Strategischen Luft- und Seestreitkräften auf dem Nuklearwaffenstützpunkt L’Ile Longue am 19. Januar 2006.

3) SIPRI (2007): SIPRI Yearbook 2007. Armaments, Disarmament and International Security, Oxford University Press, S.515.

4) NATO, Final Communiqueof Ministerial meetings of the Defence Planning Committee and the Nuclear Planning Group held in Brussels on Friday, 15 June 2007.

5) Der Artikel wurde am 12. Januar 2007 unter dem Titel „Am Abgrund einer neuen nuklearen Bedrohung“ in der Frankfurter Rundschau dokumentiert.

6) Stellungnahme des ägyptischen Delegierten beim dritten Vorbereitungstreffen zur Überprüfungskonferenz 2000 des NVV am 12. Mai 1999.

7) Rede von Jacques Chirac, op.cit.

8) Die britische Atomwaffenkapazität beruht auf dem so genannten Trident-System: britische Atom-U-Boote des Typs Trident sind mit von den USA geleasten Trident-Raketen ausgestattet; diese sind mit britischen Atomsprengköpfen bestückt. Die U-Boote sind nördlich von Glasgow an der schottischen Westküste in Faslane stationiert [Anmerkung der Übersetzerin].

9) Ministry of Defence and Foreign and Commonwealth Office (2006):The Future of the United Kingdom’s Nuclear Deterrent, Cm 6994, published December 4, 2006.

Rebecca Johnson ist Gründerin und Direktorin des britischen Acronym Institute for Disarmament Diplomacy Übersetzung: Regina Hagen

Neue Perspektiven nuklearer Abrüstung?

Neue Perspektiven nuklearer Abrüstung?

von Regina Hagen

Im Mai 2007 trafen sich in Wien die Unterzeichnerstaaten des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV). Die zwei Wochen nutzte die Diplomatengemeinschaft allerdings nicht sonderlich effektiv. »Die Mitgliedstaaten bestätigen, dass der Vertrag auf drei Pfeilern ruht: nukleare Abrüstung, nukleare Nichtverbreitung und friedliche Nutzung von Atomenergie. … Es wurde betont, dass sich Abrüstung und Nichtverbreitung gegenseitig verstärken.« Diese Sätze lassen auf kooperative und konstruktive Gespräche bei der diesjährigen NVV-Konferenz schließen, hat der NVV1 doch zum Ziel, »in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft…«.

Die Realität ist recht ernüchternd, wirksame Abrüstungsmaßnahmen blieben viel zu selten: Die Welt starrt 37 Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags vor nuklearen Waffen, daran haben Dutzende Konferenzen nichts geändert. Und auch dieses Jahr beschränkte sich das Kernelement der Treffen, die »substantiellen Diskussionen«, auf wenige Stunden. Das ist nicht untypisch für Verhandlungen rund um den NVV. Seit 37 Jahren pendeln die »PrepComs« und »RevCons« zwischen absolutem Versagen und sensationellem Erfolg – allerdings wurden oft weit reichende Versprechen nicht einmal ansatzweise eingelöst.

PrepComs und RevCons – aber keine atomwaffenfreie Welt

»PrepCom« ist die Insider-Bezeichnung für ein Prepatory Committee meeting, eines von drei Vorbereitungstreffen für die jeweils nächste Überprüfungskonferenz des NVV. Der NVV ist das einzige multilaterale Völkerrechtsabkommen zu nuklearer Nichtverbreitung und Abrüstung. Er wird im Fünfjahresrhythmus überprüft. Seit 1997 werden in den Jahren vor der Review Conference (RevCon) zehntägige »PrepComs« abgehalten um »Prinzipien, Ziele und Wege zur vollständigen Umsetzung des Vertrags und seiner Universalität zu diskutieren und Empfehlungen an die Überprüfungskonferenz auszuarbeiten2 Zum Abschluss eines Überprüfungszyklus sollen die Vertragsstaaten auf der »RevCon« – die nächste ist für 2010 terminiert – Fortschritte bei der Vertragsumsetzung in den letzten fünf Jahren überprüfen und Schritte zur Stärkung und Universalisierung des Vertrags vereinbaren. Endziel des NVV ist ein »Vertrag über allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle« – die atomwaffenfreie Welt.

Anstelle erkennbarer Schritte zu diesem Ziel erreichte die »PrepCom« 2007 lediglich, dass es in Wien überhaupt zu Sitzungsterminen kam. Die Diplomaten konnten sich nach Vermittlung Südafrikas erst vier Tage vor Ende des Treffens auf eine Tagesordnung einigen. Das Problem scheint vordergründig banal: Der Iran hatte sich gegen die Erwähnung der »vollständigen Einhaltung des Vertrages« gewehrt und gefordert, statt dessen die »vollständige Einhaltung aller Klauseln des Vertrags« auf die Agenda zu setzen. Die »Western Group«, allen voran Deutschland für die Europäische Union, lehnte stur ab, den mit ihnen im Vorfeld abgestimmten Wortlaut zu verändern.

Tendenzen einer atomwaffenstarrenden Welt

Hinter der Wortklauberei standen allerdings nicht »pubertäre Spiele«, wie das ein jugendlicher Konferenzteilnehmer vermutete, sondern grundsätzliche Überlegungen der iranischen Regierung: Wem steht die Formulierungshoheit der Tagungsagenda zu? Wie vermeidet der Iran übermächtige Kritik an seinem Nuklearprogramm (dessen laut Vertrag einzig zulässige, nämlich »friedliche« Ausrichtung von zahlreichen Experten und Staaten in Frage gestellt wird)? Wie wird erreicht, dass (zumindest auch) die mangelnde Erfüllung der Abrüstungsverpflichtungen der »nuklearen Habenden« am Pranger steht und das »unveräußerliche Recht, … Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln« (NVV Art. VI) keinesfalls eingeschränkt wird? Das nuklear-politische Umfeld der »PrepCom« war ohnehin schon problematisch genug:

  • Nach neuesten Zahlen werden weltweit noch heute 26.000 nukleare Sprengköpfe einsatzbereit oder im Vorrat gehalten. Der pakistanische Experte Zia Mian wies in Wien darauf hin, dass sich Atomwaffen und Demokratie nicht vertragen, da der Atomwaffenkomplex in jedem Staat einem Höchstmaß an Geheimhaltung unterliegt und nukleare Einsatzpläne vom demokratischen Mitwirkungsprinzip ausgenommen sind. Er verwies zudem darauf, dass das Wort »deterrence« (Abschreckung) seine Wurzel im lateinischen »terrere« hat – und das bedeutet »in Furcht und Schrecken versetzen«.
  • In jedem einzelnen Atomwaffenstaat wird das Arsenal an Atomsprengköpfen und/oder Trägersystemen (überwiegend Raketen), teilweise auch die dafür nötige Infrastruktur, umfassend modernisiert. Selbst Kofi Annan beklagte kürzlich die »nukleare Wiederaufrüstung«.
  • Atomwaffen kommt in den militärischen Doktrinen wieder eine stärkere Bedeutung zu; sogar der Ersteinsatz gegen Nicht-Atomwaffenstaaten steht wieder zur Diskussion.
  • Die NATO beharrt auf der nuklearen Teilhabe; US-Atomwaffen sind in sechs europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, stationiert.
  • Die Überprüfungskonferenz von 2005 war ein totales Fiasko; die wegweisenden – und völkerrechtlich verbindlichen – Beschlüsse von 2000 werden von der Regierung Bush als irrelevant abgetan; die diskriminierende Praxis (einige Länder dürfen Atomwaffen besitzen, alle anderen müssen darauf verzichten) wird von zahlreichen Ländern 37 Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags zunehmend kritisch bewertet; die Glaubwürdigkeit und (ohnehin schon fragile) Stabilität des Vertragsregimes ist massiv in Frage gestellt.
  • Nukleare Abrüstung ist von der weltpolitischen Agenda verschwunden. Selbst die existierenden bilateralen Verträge zwischen den USA und Russland sind entweder kaum das Papier wert (Bush-Putin-Abkommen von 2002), stehen vor dem Auslaufen (START I in 2009) oder drohen Opfer der jüngsten Raketenabwehrdebatte zu werden (Mittelstreckenvertrag von 1987). Vorsichtig hoffnungsfroh stimmt lediglich die kürzliche Einigung von Bush und Putin in Kennebunkport, über die Nachfolge von START I Gespräche zu führen.
  • Immer deutlicher ist erkennbar, dass mit der Verbreitung der zivilen Atomenergie die Zahl der (virtuellen) Atomwaffenstaaten weiter steigt. Da helfen auch Zusagen zur Entwicklung »proliferationsresistenter« Atomreaktoren nicht viel weiter. Insbesondere das Vorhaben des Iran, einen eigenständigen Brennstoffzyklus aufzubauen, erweckt großes Misstrauen. Für viele Staaten – neben Japan und Frankreich vor allem solche aus dem blockfreien Lager – stellt das die Kernenergienutzung aber keinesfalls zur Disposition. Momentan sinnt fast ein Dutzend arabische Länder über die Einführung von Atomenergie nach. Dabei betragen schon jetzt die weltweiten Vorräte an waffentauglichem Spaltmaterial mehr als 1.000 Tonnen bei hoch angereichertem Uran und etwa 500 Tonnen bei abgetrenntem Plutonium. Letzteres stammt zu einem erheblichen Teil aus der zivilen Atomenergienutzung und reicht für viele tausend Sprengköpfe aus.
  • Ärger verursacht auch die Paraphierung des USA-Indien-Abkommens, mit dem die USA Indien faktisch als Atomwaffenstaat anerkennen und ihre Absicht kundtun, den südasiatischen Staat in Zukunft mit Nukleartechnologie und -material zu beliefern. Das Abkommen widerspricht etlichen internationalen Vereinbarungen und Rüstungsexportkontrollmechanismen, allerdings versprechen sich manche dadurch Handelsvorteile.

Substantielle Gespräche oder substantielle Vorschläge?

Redlich nutzten die Delegierten die verbliebenen drei Tage. Der Debatte hat die Zeitnot – der PrepCom-Vorsitzende schrieb einen engen Zeitplan und knappe Redezeiten vor – nicht geschadet. Statt langer Exkurse gaben die Diplomaten fokussierte Statements, ausführliche Versionen (Working Papers) wurden wie üblich schriftlich eingereicht.3 Die »substantiellen Diskussionen« befassten sich mit nuklearer Abrüstung, Vertragsüberprüfung, Atomenergie, Spaltmaterialien, Atomtests, Sicherheitsgarantien, atomwaffenfreien Zonen, dem Nahen Osten, der Vertragsmaschinerie und -stärkung und – dem Lob auf die NGOs.

Während die Diplomaten sich in Pendeldiplomatie und Schuldzuweisungen übten, führten die NGOs ihr geplantes Programm unbeirrt durch. Vom täglichen »Morgenratschlag«, dem anschließenden Briefing mit einer eingeladenen Länderdelegation über hochkarätig besetzte Panels, informative Events mit Vorlesungscharakter, hitzige Debatten bei Podiumsdiskussionen, Filmaufführungen und eine Ausstellung zu Atomtests im Pazifik bot die Zivilgesellschaft über 40 verschiedene Veranstaltungen an. Den 400 registrierten Diplomaten standen in der ersten Woche 300 NGO-Delegierte gegenüber, darunter mehr als fünfzig Jugendliche. 18 NGO-Vertreter ergriffen in einer offiziellen Session der Diplomaten das Wort und spornten die Staatsvertreter mit Informationen und Vorschlägen zu nuklearer Abrüstung an.

Die NGOs boten aber nicht nur Masse sondern auch Klasse. Hierzu gehörte die Vorstellung einer überarbeiteten Version des von NGOs bereits 1996 ausgearbeiteten Entwurfs für eine Nuklearwaffenkonvention (NWK). Der Text beschreibt Schritte in eine atomwaffenfreien Welt u.a. mit folgenden Elementen:

  • Vollständige Offenlegung sämtlicher nuklearer Waffen, Anlagen und Materialien sowie der Trägersysteme,
  • Verbot der Entwicklung, Erprobung, Herstellung, Lagerung, Weitergabe, des Einsatzes und der Drohung mit einem Einsatz von Atomwaffen,
  • phasenweite Vernichtung sämtlicher Atomwaffenarsenale,
  • umfassende Verifikation der Abrüstung und Aufbau einer entsprechenden Überprüfungsbehörde,
  • Vorgaben zur nationalen Umsetzung der Konvention,
  • Vorschlag für den Aufbau einer internationalen Agentur zur Förderung erneuerbarer Energien, um so die zivile Nutzung von Atomenergie sukzessive auslaufen zu lassen.

Costa Rica zeigte sich so überzeugt vom Arbeitsergebnis der NGOs, dass es das komplette Dokument kurzerhand als offizielles Arbeitspapier einreichte.4 Begründung: »Der Modellentwurf zeigt auf, dass nukleare Abrüstung möglich ist und dass es keinen Grund gibt, mit Verhandlungen länger zu warten.«

Ein weiteres Projekt ist das »Model Nuclear Inventory« der internationalen Projektgruppe »Reaching Critical Will« (RCW).5 Anstatt lediglich Transparenz über Arsenale, Materialien, Anlagen, Doktrinen, Nichtverbreitungs- und Abrüstungsmaßnahmen einzufordern, führen die Autorinnen anhand von Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen eine Bestandsaufnahme für die 44 Staaten durch, die nukleare Leistungs- oder Forschungsreaktoren betreiben (also die tatsächlichen und »virtuellen« Atomwaffenstaaten). RCW fordert die Staaten damit heraus, ihrerseits Offenheit herzustellen. Denn daran führt kein Weg vorbei: Ein Mangel an Transparenz führt zu mangelndem Vertrauen, und das ist gekoppelt mit dem fehlenden politischen Willen der größte Stolperstein auf dem Weg zur atomwaffenfreien Welt.

Anmerkungen

1) Der Text des NVV steht unter http://www.atomwaffena-z.info/glossar.php?alpha=N&auswahl=Nichtverbreitungsvertrag.

2) Mit »Universalität« ist gemeint, dass sämtliche Staaten der Erde dem Vertrag beitreten sollen. Momentan hat der Vertrag 189 Mitgliedstaaten; nicht dazu gehören die (inoffiziellen) Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan und Israel, und sie können gemäß Vertragstext nur als Nicht-Atomwaffenstaaten beitreten. Der Vertrag erkennt China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA als Atomwaffenstaaten an. Nordkorea hat seine Mitgliedschaft 2003 gekündigt; die Erfolge der Sechs-Parteien-Gespräche über die Rückabwicklung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms werden über den künftigen Vertragsstatus des Landes mitentscheiden.

3) Sämtliche offiziellen Konferenzdokumente finden sich unter http://www.un.org/NPT2010/documents.html.

4) Der – vorläufig nur englisch verfügbare – Text steht als Kapitel 2 des Buches Securing Our Survival unter http://www.inesap.org/books/securing_our_survival.htm. Der Vertragsentwurf sowie das Buch wurden geschrieben von Experten der IPPNW, der IALANA und von INESAP (Ärzte-, Juristen- bzw. Wissenschaftlervereinigungen für die atomwaffenfreie Welt). Die NWK von 1996 gibt es auch in deutsch unter http://www.inesap.org/pdf/mNWC_German.pdf.

5) Das Model Nuclear Inventory steht unter http://www.reachingcriticalwill.org/about/pubs/Inventory07.html.

Regina Hagen ist Koordinatorin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) und Mitglied im W&F-Redaktionsteam.

Der Trend weltweiter Aufrüstung hält an

Der Trend weltweiter Aufrüstung hält an

von Peter J. Croll

Es scheint so, als seien die ersten Jahre nach Ende des kalten Krieges »die Sternstunde der Abrüstung« gewesen. Man erforschte und betrieb Konversion. Die Rüstungsausgaben sanken. Dass die Großen dieser Welt nun wieder aufrüsten, belegt der BICC-Jahresbericht 2006/2007. Knapp die Hälfte der weltweiten Militärausgaben in Höhe von über 1.000.000.000.000 (1 Billion) US-Dollar entfallen auf die USA. Russland rüstete für etwa 21 Mrd. US-Dollar (d.h. um 34 Prozent mehr als 2001); Indien gab 20,4 Mrd. US-Dollar in 2005 aus (2002: 12,3 Mrd.) und China geschätzte 41 Mrd. US-Dollar in 2005 (von 26,1 Mrd. US-Dollar 2001). Ging es am Ende des Kalten Krieges noch um eine Friedensdividende, hält der Ruf nach kriegerischen Handlungen und militärischen Aktionen zunehmend Einzug in die internationale Politik.

Dies ist auch im US-Präsidentschaftswahlkampf zu beobachten: »Bomb bomb bomb – bombbomb‘ Iran« sang John McCain, einer der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner nach der Melodie von »Bar bar bar, Barbar’ Ann«. Das war vielleicht noch ein – geschmackloser – Witz. Mitbewerber Duncan Hunter war bezüglich des Iran todernst: »I would authorize the use of tactical nuclear weapons if there was no other way to pre-empt those particular centrifuges«. Mit solchem Gedankengut einer selbst erklärten Weltmacht können weder weltweit Sicherheit noch nachhaltiger Frieden erreicht werden. Der Widerspruch zwischen den globalen Führungsansprüchen der US Regierung und ihrem Scheitern bei der Lösung von Konflikten ist unübersehbar.

Die für die Verteidigungsausgaben Verantwortlichen geben für Rüstung doppelt so viel aus, wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt aller Länder des südlichen Afrikas zusammen. Dagegen nehmen sich die in Aussicht gestellten zusätzlichen zwei Mrd. Euro für die Entwicklung Afrikas wie Almosen aus. 75 % der globalen Militärausgaben stammen aus den 30 OECD-Staaten, und 707 Mrd. US-Dollar der weltweiten Militärausgaben aus den G8-Staaten. Die Gesamtausgaben für die globale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) betrugen in 2005 nur 106,8 Mrd. US-Dollar. Damit lag das Verhältnis von Militärausgaben in den Industrieländern zu den Gesamtausgaben für die globale EZ bei erschreckenden 7:1. Dies macht die Aufrufe zum Kampf gegen die Armut zur Farce. Mehr als 1 Billion US-Dollar für Aufrüstung sind obszön, wenn wir sie mit den weltweiten Anstrengungen für die Bekämpfung von HIV/AIDS vergleichen.

Die Aufrüstung scheint sich auch in den Weltraum auszudehnen. Die Bush Regierung hat ernsthaftes Interesse an der Entwicklung von Anti-Satelliten Waffensystemen (ASAT) bekundet und angekündigt, diese im Rahmen ihres Weltraumraketenabwehrsystems 2008 auch testen zu wollen.

Die weltweiten Investitionen in Rüstung und Militär zeigen, dass auch die Rüstungskontrolle in einem beklagenswerten Zustand ist. Der Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen wird durch die Mächtigen der Unterzeichnerstaaten ausgehöhlt. Die USA und Großbritannien haben die Modernisierung ihrer Nuklearwaffen schon ins Auge gefasst; die Folge ist weltweit ein verstärktes Drängen nach Nuklearwaffen. Auch der über sechs Jahre bis 2006 anhaltende Versuch der UNO, den legalen Handel mit Waffen zu regulieren, illegale Waffen aufzuspüren und zu vernichten sowie eine breite Kontrolle des Waffenbesitzes einzuführen, ist kläglich gescheitert – am Veto mächtiger Staaten wie den USA.

Die Spirale der Aufrüstung geht weiter. Die Argumente sind immer die gleichen: »Wir benötigen Waffen und Waffensysteme um unsere Sicherheit zu erhöhen«. Die Diskussion um das iranische Atomprogramm und die beabsichtigte Raketenstationierung in Europa unterstreichen diesen Trend. Durch die amerikanischen Raketenabwehrpläne in Osteuropa fühlt sich Russland provoziert: Ein weiteres »unvermeidbares Wettrüsten« wird die Folge sein. Selbst das großzügig scheinende Angebot Putins an die USA, Russlands Satellitenstation in Aserbaidschan mitbenutzen zu dürfen, wird sowohl an den technischen Möglichkeiten als auch an der amerikanischen »go-it-alone«-Strategie scheitern. Teil der Aufrüstungsspirale ist auch die russische Überlegung, den Vertrag über die Konventionellen Streitkräfte in Europa und den Vertrag über die vollständige Abschaffung von Mittelstreckenraketen zu kündigen.

Wie kann aber die fatale Logik der Aufrüstung, der fast nicht mehr funktionierenden Rüstungskontrolle, durchbrochen werden? Es gibt Handlungsoptionen, auch auf nationaler Ebene:

  • Waffen müssen kontrolliert, eingesammelt und vernichtet werden. Denen, die sie benutzt haben, muss eine Möglichkeit zur friedlichen Integration in die Gesellschaft geboten werden.
  • Kreative und innovative Lösungen zur Konfliktvermeidung müssen erforscht und komplementär zu traditioneller Rüstungskontrolle angewendet werden, so etwa der Kimberley-Prozess.
  • Zivile Krisenprävention, Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung müssen eine Bedeutung haben wie der Klimaschutz.
  • Eine Integrative Sicherheitsstrategie bedarf einer konzeptionellen Klärung und einer engeren Diskussion und Koordination zwischen AA, BMZ, BMVg.
  • Stärkeres Engagement der EU und der Bundesregierung zur Reduzierung der weltweiten Rüstungsausgaben.
  • Höhere Investitionen in präventive Maßnahmen, z.B. des Beirats für zivile Krisenprävention.

Bei den Bemühungen der Regierenden zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Sicherheitsforschung gibt es noch immer eine nicht hinnehmbare Kluft zwischen Worten und Taten.

Peter J. Croll ist Geschäftsführer des Internationalen Konversionszentrums Bonn – Bonn International Center for Conversion (BICC)