Liebe Leserinnen, liebe Leser, 2005 ist das Jahr der runden Jahrestage. Es wird an offiziellen Feierlichkeiten und Reden nicht fehlen. Allerdings bezweifle ich, dass es dabei auch die notwendige kritische Reflexion geben wird. Werfen wir einen Blick zurück.
Die Redaktion von W& F bittet mich, einen Gastkommentar zu schreiben zum 30. Jahrestag „der Beendigung des Vietnamkrieges.“ Erst nach einem Moment stutze ich: wir nannten das damals „den Sieg“, und zwar „des vietnamesischen Volkes gegen die Aggression der USA“. Heutzutage mag das nostalgisch klingen, oder überholt – obwohl ich doch das Adjektiv »imperialistisch« schon gleich weggelassen habe. Trotzdem: Von welcher Perspektive es man auch immer betrachtet, und nach allen Kriterien der historischen Wissenschaften ist die Formulierung vom »Sieg« absolut korrekt!
Zwei Personalentscheidungen des US-Präsidenten haben in den
letzten Wochen selbst unter befreundeten Regierungen der USA zu Irritationen
geführt, bei anderen zeigt sich blankes Entsetzen: Mit John Bolton nominierte
die Bush-Regierung einen ausgesprochenen UN-Gegner zum neuen US-Botschafter bei
den Vereinten Nationen und mit Paul Wolfowitz, den »Irakkriegsarchitekten« zum
neuen Chef der Weltbank.
Die verschärften Spannungen auf vielen internationalen- Krisenschauplätzen bringen es mit sich, dass man in Politik und Wissenschaft gegenwärtig weniger mit Idealzuständen von Frieden und Sicherheit als mit den Prozessen von Eskalation bzw. Deeskalation von Konflikten befasst ist. Die Definition des Universallexikons stellt Deeskalation. (und ihren Gegenbegriff Eskalation) eindeutig in den begrifflichen Kontext politischer und militärischer Gewaltanwendung (bzw. deren Minderung) beschreibt allerdings eher Richtungen und Methoden im Umgang mit Gewaltkonflikten als Zielperspektiven oder dauerhafte Lösungsansätze. In diesem pragmatischen Definitionsansatz liegen sowohl Chancen als auch Gefahren: Chancen für ein Krisenmanagement, das jenseits von ideologischer Bevormundung und zum Nutzen der Konfliktbetroffenen möglicherweise Schlimmeres abwenden kann, aber auch Gefahren, dabei im Gestrüpp widerstreitender Interessen hängen zu bleiben und nicht zu den Wurzeln der Konflikte vorzudringen. Es soll hier dafür plädiert werden, Deeskalation gerade wegen dieser Ambivalenzen als Paradigma für zeitgemäße Friedens- und Konfliktforschung näher zu untersuchen. Die Komplexität der vorfindbaren Konfliktstrukturen und ihrer Bearbeitungsmodi macht einen transdisziplinären Zugriff auf das Paradigma Deeskalation notwendig; dieser könnte auch den Diskurs zwischen akademisch-analytischen und praxeologischen Ansätzen neu befruchten.1
Die Erwartungen waren gemischt, die Reaktionen sind größtenteils positiv, die Umsetzung wird möglicherweise sehr ernüchternd sein. Als Kofi Annan vor zwei Jahren 16 ausgewählte Experten beauftragte, globale Sicherheitsbedrohungen zu analysieren und notwendige kollektive Maßnahmen zu empfehlen, waren viele Beobachter skeptisch, ob dieses Gremium unterschiedlichster altgedienter Persönlichkeiten tatsächlich visionäre und gleichermaßen realistische Vorschläge für den Reformprozess der Vereinten Nationen unterbreiten würde.1 Im Rückblick auf die vergangenen Jahre und in Anbetracht der Angriffe auf die UN und das Völkerrecht im Kontext des Irak-Krieges und der neuen Sicherheitsstrategie der US-Regierung – und damit einer drohenden Rückentwicklung zum »Faustrecht« in den internationalen Beziehungen – war diese Skepsis sicherlich berechtigt. Im Dezember 2004 hat jedoch die Expertengruppe unter dem Titel »Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung« eine umfassende und mitunter beängstigende Analyse der seit den Gründungsjahren der UN tief greifend veränderten Welt und größtenteils sehr differenzierte Handlungsempfehlungen vorgelegt. Das Ziel ist eindeutig, die beschädigte Autorität der Vereinten Nationen wiederherzustellen, um den Herausforderungen auf kollektiver Grundlage effektiv begegnen zu können. Das schließt Kritik zu manchen Details nicht aus, sondern ein.
Abrüstung und Rüstungskontrolle sind kein zentrales Thema auf der heutigen politischen Agenda.1 Die Hochphase der Rüstungskontrollverhandlungen der 1980er Jahre, die zum Abschluss einiger wichtiger Verträge führte (INF, START I, CWC)2 ist vorüber, ebenso die Phase der Abrüstung unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges. Manche Verhandlungen wurden gestoppt und der Vertrag zum Verzicht auf Nukleartests (Comprehensive Nuclear Test-Ban Treaty, CTBT) ist bis heute nicht in Kraft, auch wenn sich die Atommächte bislang daran halten. Haben Abrüstung und Rüstungskontrolle angesichts der Rüstungskontrollkrise und der Umkehr des Abrüstungsprozesses von Anfang der 1990er Jahre heute keine Chance mehr?
Die Themen und Schwerpunkte der friedenswissenschaftlichen Forschung, die unter der normativen Vorgabe von Gewaltreduktion und Friedenswahrung steht, entstammen zumeist den Konflikten der Gegenwart. Bei der Suche nach Konfliktlösungen sehen sich sozialwissenschaftlich orientierte und zugleich empirisch arbeitende Friedensforscher zu Fallstudien gezwungen, die der Vergangenheit entstammen.1 Parallel dazu interessieren sich Historiker mit ihren zeitlich und räumlich begrenzteren Fragestellungen für Hypothesen- und Theoriebildungen der sozialwissenschaftlichen Nachbarwissenschaften.2 Insgesamt gesehen wird man eher von Koexistenz als von Interdisziplinarität sprechen müssen. Im Folgenden handelt es sich um die Beschreibung eines historischen Einzelfalls, der als Beispiel für einen gelungenen Konfliktabbau in den internationalen Beziehungen gilt.
Ausgangspunkte für eine Krisenpräventions- und Deeskaltionspolitik?
Im Laufe der 1990er haben sowohl das Human Security-Paradigma als auch der Smart Sanctions-Ansatz politische und politikwissenschaftliche Diskussionen provoziert. Während der Smart Sanctions-Ansatz als Reaktion auf die katastrophalen nicht-intendierten humanitären Nebenfolgen der UN-Sanktionspolitik gegenüber dem Irak entstand, entwickelte sich das Human Security-Paradigma in Form einer von ideologischen Restriktionen befreiten innovativen Reaktion auf die »neuen« Herausforderungen der inter- und transnationalen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und deren Konflikt- und Problemlagen. In vorliegendem Beitrag untersuchen die Autoren, inwieweit der Smart Sanctions-Ansatz und das Human Security-Paradigma handlungsrelevantes Potenzial für krisenpräventive und deeskalierende Politik besitzen.
Das Jahr 1991 brachte im Horn von Afrika eine Umbruchsituation, in der nach langen Kriegsjahren sich mit dem Sturz der Regime in Äthiopien und Somalia und dem Entstehen neuer politischer und nationalstaatlicher Strukturen (Eritrea und Somaliland) eine Friedensperspektive für das Horn abzuzeichnen schien. International initiierte friedensstiftende bzw. friedenskonsolidierende Maßnahmen betrafen in erster Linie den militärischen Komplex. Sie hatten zum Ziel, die als legitim erachteten Staatsbildungsprozesse (Eritrea) bzw. Staatskonsolidierungsprozesse (Äthiopien, Somalia) zu unterstützen und so eine berechenbare Sicherheitslage zu schaffen. Diese Erwartungen wurden aber nicht erfüllt. In Eritrea und Äthiopien wurde der Demobilisierungsprozess durch einen Remobilisierungsprozess flankiert, der in der Rückschau die Nachkriegszeit in eine Zwischenkriegszeit verwandelte. In Somalia beschleunigte die gescheiterte militärische Intervention der UN den Prozess des Staatszerfalls und leitete über in einen Zustand der permanenten »low-intensity«-Kriegführung. Das beginnende 21. Jahrhundert zeigt keine grundsätzliche Reduzierung des Potenzials für gewaltsamen Konfliktaustrag in der Region, sondern verdeutlicht vielmehr, dass die Zeit nach 1991 von allen Akteuren zu umfassenden militärischen Rekonfigurationen genutzt wurde.
Wer die Entwicklung im Nahost-Konflikt seit dem Tod von Arafat mit einiger Aufmerksamkeit verfolg hat, mag den vorliegenden Beitrag zunächst für eher von historischem Interesse halten. In der Tat hat der Autor ihn vor Beginn der jüngsten Phase dieses Konflikts verfasst. Er arbeitet allerdings eine zentrale Voraussetzung eines genuinen Friedensprozesses heraus: ein grundlegend reformiertes »psychologisches Repertoire«, eine an Koexistenz orientierte kollektive Mentalität. Da diese Voraussetzung noch kaum erfüllt sein dürfte, behält der Beitrag seine Aktualität für den Nahost-Konflikt. Darüber hinaus liefert Bar-Tals Analyse interessante Orientierungshypothesen für manche ähnliche Konfliktkonstellation.
Dem Forum Ziviler Friedensdienst wurde am 5. März der Göttinger Friedenspreis 2005 verliehen für seine „außerordentlichen Verdienste bei der konkreten Entwicklung, Einrichtung und Organisation gewaltfreier Ansätze der Konfliktbearbeitung“ (siehe auch Göttinger Friedenspreis 2005 auf Seite 54 dieser W&F Ausgabe). Zivile Konfliktbearbeitung: Wie bewährt sie sich in der Praxis, welchen Stellenwert hat sie in der »großen« Politik? In seiner Antwort auf Laudatio und Preisverleihung vermittelte der Vorsitzende des Forums ZFD, Tilman Evers, einen Eindruck von der Arbeit der »Friedensfachleute«, die wir hier leicht gekürzt wiedergeben.
Die Militärstrategie der NATO setzt unverändert auf den potenziellen Einsatz von Atomwaffen. Das auf der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der NATO in Washington am 23. und 24.4.1999 verabschiedete Strategische Konzept des Bündnisses betont die wesentliche Rolle der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner. Hervorgehoben wird, dass dies zur Gewährleistung einer glaubwürdigen Abschreckung erforderlich sei. Die deutsche Bundesregierung hatte 1993 die substrategischen Nuklearsysteme der Allianz ausdrücklich als notwendig bezeichnet und erklärt, man werde nicht für den Abzug dieser Waffen aus Deutschland oder Europa eintreten. Der eventuelle Ersteinsatz der Nuklearwaffen sei unverzichtbar. Sind diese Positionen mit dem Völkerrecht und dem nationalen Recht vereinbar?
Irans Nuklearprogramm und transatlantische Interessenlagen
Irans Atomprogramm beschäftigt zur Zeit die Außen- und Militärpolitiker von Teheran bis Tel Aviv, von Washington bis Berlin, Paris und London: Wie und mit welchen Mitteln kann der Bau iranischer Nuklearwaffen verhindert werden? André Bank über die längerfristigen Interessen und Strategien der wichtigsten am Atomkonflikt beteiligten Akteure: Irans pragmatische Konservative, die zweite Bush-Administration und die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die seit 2003 als »Vermittler« auftreten.
2002 von US-Präsident Bush als Teil einer »Achse des Bösen« gescholten, setzt Nordkoreas Regime mit Beginn der zweiten Amtszeit seines Erzrivalen ebenfalls auf Stärke und den Besitz von Atomwaffen. So weit sind die führenden Politiker und Diplomaten der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) bislang noch nicht gegangen. Beharrte Pjöngjang zuvor lediglich auf seinem Recht, auch über eine »militärische Abschreckungskraft« zu verfügen, so erklärte das nordkoreanische Außenministerium in einer am 10. Februar von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA verbreiteten Stellungnahme: „Wir haben Nuklearwaffen zur Selbstverteidigung hergestellt, um mit der immer unverhohleneren Politik der Bush-Regierung zur Isolierung und Erstickung (Nordkoreas) fertig zu werden. (…) Die gegenwärtige Realität beweist, dass nur mächtige Stärke Gerechtigkeit und Wahrheit schützen kann.“ Zugleich gab die Regierung der Volksrepublik bekannt, der sogenannten Sechser-Runde, den von Beijing initiierten und seit 2003 in der chinesischen Hauptstadt stattfindenden internationalen Verhandlungen, über Nordkoreas Atomprogramm einstweilen fern zu bleiben. Neben Nordkorea und der VR China nahmen an den Gesprächen in Beijing auch Südkorea, Japan, Russland und die USA teil.
Vom 2. bis 28. Mai 2005 tagt in New York die nächste Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Die Aussicht auf einen Verhandlungserfolg im Sinne nuklearer Abrüstung sind nicht gerade vielversprechend. Auf den Vorbereitungskonferenzen in den letzten drei Jahren haben sich die teilnehmenden Staaten nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen können. Keine der »Atommächte« ist offensichtlich bereit die Verpflichtung zur totalen nuklearen Abrüstung, die beim Abschluss des Vertrages zugesagt wurde, zu erfüllen. Setzen wir einmal voraus, dass es nicht zum »offenen Scheitern« des Vertragswerks kommt – da hieran vor allem die Atomwaffen besitzenden Staaten kein Interesse haben – so bleibt die Frage in welche Richtung ein zu erzielender Kompromiss tendiert.