Somaliland – Waffenkontrolleals Baustein zum Frieden

Somaliland – Waffenkontrolle
als Baustein zum Frieden

von Ekkehard Forberg und Ulf Terlinden

In bewaffneten Auseinandersetzungen kommen heute die meisten Menschen durch Kleinwaffen1 um. In vielen Konflikten macht es gerade der Einsatz dieser leicht zu handhabenden Waffen den Konfliktparteien möglich, nicht ausgebildete ZivilistInnen oder Kinder zu rekrutieren und in den Kampf zu schicken. Nach dem Ende eines Krieges bedeutet die Präsenz großer Mengen dieser Waffen in der Bevölkerung ein abrufbereites Potenzial für neue Konflikte in den traumatisierten Gesellschaften. Der vorliegende Artikel – der auf den Ergebnissen eines Forschungsaufenthaltes2 der Autoren im Jahre 1998 basiert – beschreibt am Beispiel Somalilands die Komplexität der Thematik und zeigt spezifische Möglichkeiten der Vor-Ort-Kontrolle von Kleinwaffen auf.

Somaliland – der frühere Nordwesten Somalias – erklärte sich 1991 unabhängig, die »Republik Somaliland« ist jedoch bis heute international nicht anerkannt. Der Unabhängigkeitserklärung ging ein dreijähriger Bürgerkrieg voraus, in dessen Verlauf die »Somali National Movement« (SNM) gegen die Regierungsarmee Somalias kämpfte und der Diktator Siad Barre gestürzt wurde. 1992 und 1994 bis Anfang 1996 kam es mehrfach zu bewaffneten Konflikten zwischen ehemaligen SNM-Flügeln innerhalb Somalilands. Die legislativen, judikativen und exekutiven Institutionen der neuen »Republik« wurden 1993 auf einer Friedenskonferenz begründet, an der die Ältesten aller Clans in Somaliland teilnahmen. Gleichzeitig wurde Mohammed Ibrahim Egal zum Präsidenten gewählt.

Die heutige Verbreitung von Kleinwaffen in Somaliland geht vor allem auf den Bürgerkrieg und die Mobilisierung und Bewaffnung verschiedener Milizen (vor allem der SNM) ab Mitte der 80er-Jahre zurück. Noch erheblich mehr Waffen wurden dadurch freigesetzt, dass die Milizen und auch ZivilistInnen die Waffenlager der Somalischen Nationalen Armee plünderten, die es damals in Somaliland gab. Als die Kämpfer nach dem Sieg zu ihren Familien heimkehrten, nahmen sie ihre Waffen mit. Insgesamt dürften heute mehrere hunderttausend Kleinwaffen verschiedener Typen, vor allem aber Schusswaffen, unter den eine Million EinwohnerInnen Somalilands verbreitet sein. Der Großteil dieser Waffen sind verschiedene Versionen der Kalaschnikow (AK-47, AK-74, AKM u.a.), vorwiegend aus sowjetischer Produktion, aber auch aus der DDR. Die Sowjets rüsteten Somalia bis 1978 massiv auf. Die Liste der anderen Waffenlieferanten ist lang und beinhaltet auch die Bundesrepublik. G3-Gewehre von Heckler & Koch sieht man häufig in Somaliland. Die USA belieferten Somalia, nachdem die Sowjetunion sich für die Unterstützung Äthiopiens im Ogaden-Krieg3 entschieden hatte.

»Normalität« nach dem Krieg

Heute sind Waffen in Somaliland Alltagsgegenstände. Siebzig Prozent der erwachsenen Männer des Landes verfügen unseren Schätzungen zufolge über eine oder mehrere Schusswaffen. Wer eine Waffe in den Städten jener Landesteile trägt, die sich unter Kontrolle der »Regierung« Somalilands befinden, tut dies nicht offen. Eine Polizeitruppe ist im Aufbau und bemüht sich um Anerkennung in der Gesellschaft. Sie hat immerhin erreicht, dass die bewaffnete Bevölkerung eher kleine Waffen wie Pistolen trägt und diese im Hosenbund verdeckt mit sich führt. Die meisten Menschen in diesen Städten lassen ihre Waffen sogar zu Hause, was nicht nur auf drohende Strafen der Polizei, sondern auch auf die verbesserte Sicherheitssituation zurückzuführen ist.

Anders ist die Situation dagegen in Sool und im östlichen Teil Sanaags, zwei Regionen im Osten Somalilands, an der Grenze zu Somalia. Diese Gebiete stehen nicht unter der Kontrolle der Regierung in der Hauptstadt Hargeisa. Die formal existierende Polizei ist in Wirklichkeit bedeutungslos; hier sind Waffen häufig auf der Straße präsent. Die öffentlichen Angelegenheiten werden von den Ältesten geregelt, den traditionellen Führern der Clans. Zu ihren Aufgaben zählen die politische Repräsentation und Entscheidungsfindung für die jeweilige Claneinheit sowie die Beratung von und Streitschlichtung zwischen einzelnen Clanangehörigen. Auch für die Rechtsprechung nach dem traditionellen Xeer4, einem überlieferten Strafkodex, sind sie zuständig. Jedoch reicht die Autorität der Ältesten nicht aus, um das Tragen von Waffen grundsätzlich zu unterbinden.

Das »Kleinwaffen-Problem«

Es kommt noch sporadisch zu bewaffneten Zwischenfällen in Somaliland, bei denen z.B. persönliche oder lokalpolitische Streitigkeiten mit Waffengewalt ausgetragen werden. Die Polizei argumentiert, es handele sich um »gewöhnliche Verbrechen«, deren Anzahl weit unterhalb der Raten liege, die in Westeuropa bestehen.

Das »Problem Kleinwaffen« muss vor allem auf einer anderen Ebene gesucht werden: Sie stellen ein Potenzial für größere bewaffnete Auseinandersetzungen in der Zukunft dar. Die Kämpfe, die zwischen einzelnen Fraktionen innerhalb Somalilands nach der Unabhängigkeitserklärung von 1991 stattfanden, illustrieren diese reale Gefahr. Die Praxis bewaffneter Straßenblockaden/-überfälle, die bis vor wenigen Jahren noch weit verbreitet war, zeigt ebenso die potenziellen Probleme der Kleinwaffen-Verbreitung auf.

Die »gesellschaftlichen Kosten« vergangener Kampfhandlungen lassen sich auch heute noch in Krankenhäusern sowie Projekten zur physischen und psychischen Rehabilitätion beobachten. Auffällig ist besonders die große Zahl von Amputationen die auf Schussverletzungen zurückzuführen sind.

Die »Nachfrage«
nach Kleinwaffen

Doch weshalb behalten die meisten Menschen in Somaliland ihre Waffen, obwohl der innersomalische Krieg schon seit acht Jahren vorüber ist und auch der letzte Krieg innerhalb Somalilands mehr als drei Jahre zurückliegt? Eine Kalaschnikow hat zur Zeit einen Marktwert von rund 200 US$ – Grund genug, sie zu verkaufen, sobald sie nicht mehr gebraucht wird. – Jedoch:

  • Das Vertrauen in die Institutionen öffentlicher Sicherheit ist weder in den Regierungsgebieten, noch in Sool und Sanaag so groß, dass die Menschen auf ihre Möglichkeiten der Selbstverteidigung verzichten möchten. Mit den Worten eines Clanältesten: „Jeder ist hier sein eigener Polizist.“5 Auch die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, in denen mehrfach aus Verbündeten militärische Gegner wurden, trägt zu diesem Bedürfnis nach Bewaffnung bei.
  • Mit dem Mangel an öffentlichen Sicherheitsstrukturen geht der teilweise Verlust gewaltfreier gesellschaftlicher Mechanismen der Konfliktaustragung einher. Die Politik muss sich seit der Eigenständigkeit Somalilands erst das Vertrauen der Bevölkerung erarbeiten und ihre zumindest nominell demokratischen Strukturen etablieren. Auch das System der traditionellen Herrschaft innerhalb der Clanstrukturen war – u.a. durch die politische Dominanz der Clan-Milizen – geschwächt und gewann erst in den vergangenen Jahren wieder an Gewicht.
  • Sicherheit ist in der somalischen Gesellschaft schon lange eher ein privates als ein öffentliches Gut. Dies hängt mit vielen Faktoren zusammen, zu denen auch die Wirtschaftsweise zählt: Hirten und Nomaden leben mit ihren Herden weitab vom Einzugsgebiet der Polizei, das auf die urbanen Zentren und Landstraßen beschränkt ist. Die Hirten und Nomaden haben ihre einfachen Waffen zur Selbstverteidigung wie z.B. Speere durch moderne Feuerwaffen ersetzt. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser »Aufrüstungsprozess« rückgängig gemacht werden kann.
  • Es ist eine »Waffenkultur« entstanden, in der Waffen zu den Statussymbolen von Männern gehören.

Die ökonomischen Anreize für den Besitz von Waffen haben heute nicht mehr so großes Gewicht. In den ersten Jahren der Eigenständigkeit Somalilands bedeuteten Waffen die Möglichkeit der Wegelagerei, aber auch der Beschäftigung als Wächter für internationale Organisationen oder NGOs. Zudem war der Waffenbesitz die »Eintrittskarte« für Demobilisierungsprogramme und (bescheidene) Militärpensionen.

Waffenhandel

Die Haltung der Bevölkerung Somalilands in Bezug auf Kleinwaffen lässt sich am besten mit »abwarten und beobachten« beschreiben. Dies zeigt auch der Markt für Kleinwaffen. Der o.g. Preis von ca. 200 US$ für eine gewöhnliche Kalaschnikow ist für somalische Verhältnisse relativ hoch. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Markt in Somaliland nicht mit großen Mengen Waffen überflutet ist, wie dies im Falle eines akuten Konfliktes (durch massive Zulieferung von außen) sehr schnell der Fall wäre. Zugleich ist die Nachfrage nicht so hoch, dass der Preis weit über den realen Wert der Waffen hinaus steigt. Dies ist damit zu erklären, dass der Markt »gesättigt« ist – es fließen derzeit eher Waffen in benachbarte Konfliktregionen ab, wie z.B. den Süden Somalias, als dass sie importiert würden.

Das Horn von Afrika, zu dem neben Somaliland und Somalia (je nach Definition) auch Äthiopien, Eritrea, Djibouti, Sudan, Uganda und Kenia gerechnet werden, ist durch kaum kontrollierte, durchlässige Grenzen und große Mengen an Waffen in der Zivilbevölkerung gekennzeichnet. Munition und Waffen können in diesem Umfeld nahezu ungehindert zu jedem Nachfrager transportiert werden.

Innerhalb Somalilands wird der formal verbotene Handel meist durch ein informelles Brokering auf lokaler Ebene abgewickelt. Dagegen sind Händler, die Waffen und Munition über lange Strecken zwischen den Regionen Somalilands und Somalias transportieren, mittlerweile höheren Risiken ausgesetzt, da zahlreiche Checkpoints der Polizei eingerichtet wurden, an denen Kontrollen drohen.

Neben der Bevölkerung verfügen die »Nationale Armee Somalilands«, die Polizei und den Clans zugeordnete Milizen in Sool und Sanaag über Kleinwaffen. Die Kontrolle über ihre Arsenale ist in bedauerlicher Verfassung. Es gibt kaum eingeübte oder klar definierte Regeln für die Registrierung der Waffen- und Munitionsausgabe. Daraus kann leicht eine Quelle von Waffen und Munition für den Schwarzmarkt entstehen.

Nachfragereduktion

Wir plädieren für einen Handlungsansatz, der sich zunächst um die Reduktion der Nachfrage6 nach Kleinwaffen bemüht und zugleich auf vielen Ebenen Sanktionen und Beschränkungen für den Besitz, das Tragen, das Handeln und den Gebrauch dieser Waffen in den Vordergrund stellt. Eine solche Strategie setzt auf Meinungs- und Verhaltensänderung bei Waffenbesitzern und in der Gesellschaft insgesamt. Erst in einem zweiten Schritt können die dann »überflüssig gewordenen« Waffen aus der Bevölkerung abgeschöpft werden. Bemühungen, die den Entzug von Waffen durch die Bereitstellung materieller Anreize oder mit Druckmitteln von vorn herein zum Hauptziel erklären, sind unter den Bedingungen der fast unbegrenzten Verfügbarkeit von Waffen in der Region – und in Ermangelung von Möglichkeiten, dies zu ändern – zum Scheitern verurteilt.

Nur wenn nicht-staatliche Institutionen wie die Ältestenräte, religiöse Führer, Frauen- und Veteranenorganisationen in den Prozess der Nachfrage-Reduzierung und Kontrolle eingebunden sind, kann ein gesellschaftlicher Konsens zur Ächtung von Kleinwaffen gefunden werden. Finanzielle und Projektinterventionen von außen sollten diese interne Konsenssuche unterstützen und sich an ihren Ergebnissen orientieren um nicht Gefahr zu laufen, westliche Modelle auf Somaliland zu übertragen. Denn schließlich muss die Suche nach und Stärkung von gewaltfreien, innergesellschaftlichen Konfliktaustragungsverfahren Teil der Strategie zur Nachfragereduzierung sein – und diese Verfahren sind der Kern der politischen Ordnung einer Gesellschaft.

Zwischen
staatlichem Gewaltmonopol und traditionellem Recht

Der gesuchte Konsens wird auch die künftige Organisation öffentlicher Sicherheit und ihre Institutionen umfassen müssen. Der Staat sollte dabei nicht von vornherein den exklusiven Bezugspunkt bilden, denn in der Gesellschaft Somalilands gehören bisher sowohl die Polizei als auch die Ältesten mit dem Xeer zu den Trägern öffentlicher Sicherheit. Diese Kombination könnte ein Modell der gesellschaftlichen Organisation sein bzw. werden, das staatlich garantierte Sicherheit als öffentliches Gut »von oben« mit gesellschaftlich getragener, partizipativer Sicherheit »von unten« verbindet.

Die Schaffung und Stärkung von Kontrollen über Kleinwaffen sollte zwar in ähnlichem Maße von der Gesellschaft selbst getragen werden wie die Nachfragereduzierung. Externe AkteurInnen können aber in größerem Umfang eigene Aktivitäten starten, ohne sich in Legitimationsprobleme zu verwickeln.

Die Befehlshaber der Polizei sind in ihren Handlungsmöglichkeiten bei der Durchsetzung der bestehenden Gesetze, die den unlizensierten Besitz und den Handel von Waffen verbieten, oftmals beschränkt. Ihre Truppen sind schlecht ausgerüstet und vor allem fehlt es an Kommunikations- und Transportmitteln. Zudem sind die Ordnungshüter schlecht oder gar nicht ausgebildet. Hier könnten externe AkteurInnen unterstützend eingreifen. Damit (Sicherheits-) Institutionen jedoch überhaupt eine Rolle bei der Kontrolle von Kleinwaffen spielen können, muss ihr eigener Umgang mit Waffen vorbildhaft sein: Ein klares, transparentes und striktes Management von Waffen und Munition bei der Polizei, aber auch bei der Armee oder den Clanmilizen ist Voraussetzung für Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung.

Die Ältesten könnten motiviert werden, ihre Autorität bei der Kontrolle über Kleinwaffen auszubauen. In öffentlichen Versammlungen können sie das Bewusstsein in der Gesellschaft für die Problematik verbessern. Ihre Rechtsprechung, die auch Verstöße wie die Drohung mit Waffen ahnden kann, sollte strikt angewandt werden, etc. Auch solche Aktivitäten können NGOs als »Facilitator«, also mit Transportmitteln, Postern und der Organisation von Dialogen, unterstützen. Auch die Bevölkerung selbst kann die Ächtung von Kleinwaffen demonstrieren. In Somaliland kann dies gelegentlich in der Form von Schildern und Wandbemalungen beobachtet werden.

Bewusstseinsbildung scheint jedoch auch bei den NGOs und internationalen Organisationen selbst nötig zu sein. Den deutlichsten Eindruck von diesem Defizit erhielten wir im März 1998 beim Besuch eines norwegischen NGO-Projektes in Las Anod / Sool, wo acht Projektmitarbeiter von einer 48-köpfigen Miliz »bewacht« wurden. Vorbildlich dagegen das Vorgehen der britischen Organisation Oxfam: Diese NGO machte die Abwesenheit von Waffen auf der Straße zur erklärten Vorbedingung ihrer Projektarbeit in Dörfern im Westen Somalilands.

Einsammeln von Waffen
durch kollektive
statt individuelle Anreize

Wenn in einer weiteren Stufe Kleinwaffen aus der Bevölkerung Somalilands »abgeschöpft« werden sollen, zum Beispiel, weil sie eines Tages vermehrt verkauft werden und in benachbarte Konfliktregionen abzuwandern drohen, so sollte dies mit direkten Re-Investitionen in die öffentliche Sicherheit und die soziale und ökonomische Entwicklung der jeweiligen Orte verbunden werden. Statt Waffen von Einzelnen »zurückzukaufen« oder »Selbst-Demobilisierte« demobilisieren zu wollen, können öffentliche Ausschreibungen gemacht werden: Wenn innerhalb einer festen, kurzen Frist eine bestimmte Zahl von Waffen freiwillig abgegeben wird, werden z.B. Fahrzeuge für die Polizei zur Verfügung gestellt. Wenn eine größere Zahl zusammenkommt, wird eine Schule wieder aufgebaut und die Gehälter der LehrerInnen für einen Übergangszeitraum finanziert, usw. Flankiert werden müssten solche Vorhaben mit Integrationsmaßnahmen für arbeitslose Ex-Milizen7. Die eingesammelten Waffen sollten zudem in einer öffentlichen Zeremonie zerstört werden.

Die Mehrheit der in der Region heute in Unmengen vorhandenen Waffen sind in den 70er-Jahren hergestellt worden und werden noch lange eine Gefahr darstellen, wenn nicht Mechanismen gesellschaftlicher und staatlicher Kontrolle darüber in der Region selbst gestärkt werden. Die Abwesenheit größerer bewaffneter Auseinandersetzungen bedeutet für die Menschen in Somaliland erst dann ein Stück auf dem Wege zum Frieden, wenn von den Waffen keine alltägliche Bedrohung mehr ausgeht.

Anmerkungen

1) Eine eindeutige, allgemein anerkannte Definition von Kleinwaffen gibt es nicht. Die Autoren legen hier eine pragmatische Definition des Terminus' zugrunde, die an die wesentliche militärische Eigenschaft von Kleinwaffen anknüpft: Kleinwaffen sind Waffen und Waffensysteme, die von Individuen ohne zusätzliche Transportmittel bewegt werden können. Dies umfasst neben Pistolen, Gewehren und Maschinengewehren auch Mörser, Anti-Panzerwaffen (Panzerfäuste), tragbare Luft-Abwehrraketen, Handgranaten etc.

2) Forberg, Ekkehard und Terlinden, Ulf: »Small Arms in Somaliland: Their Role and Diffusion«, Field Report, Nairobi/Berlin, March 1999 (zu beziehen über: ulf.terlinden@bits.de bzw. BITS, Rykestr.13, 10405 Berlin).

3) Im Ogaden-Krieg kämpften Äthiopien und Somalia um die Kontrolle über den Ostteil des heutigen Äthiopiens. Mit Hilfe der UdSSR, Kubas (inkl. Truppen) und der DDR gelang es Äthiopien 1978, das von der somalischen Armee besetzte Gebiet zurück zu erobern.

4) Dieser Kodex gesteht z.B. den Opfern von Gewalthandlungen entweder materielle Kompensation oder Blutrache zu.

5) Interview mit Garaad Abshir, einem Ältesten in Las Anod/Sool, am 24.03.98.

6) Gemeint sind hier die Gründe für den fortwährenden Besitz von Kleinwaffen, wie oben ausgeführt.

7) Ein ähnlicher Ansatz wird derzeit in Gramsh/Albanien von UNDP getestet (vgl. van der Graaf, Henny J.: »Weapons for Development«, Tirana, 04.09.1998 (erhältlich unter http://www.prepcom.org)).

Ekkehard Forberg und Ulf Terlinden sind Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und studieren Politikwissenschaft an der FU Berlin.

Nelson Mandela: Versöhnung statt Rache

Nelson Mandela: Versöhnung statt Rache

von Detlef Horster

Wie schwierig der Umgang einer Gesellschaft mit ihrer gewalt- und verbrechenbelasteten Vergangenheit ist, wurde vor einem Jahr hierzulande durch Martin Walsers umstrittene Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels wieder einmal schlaglichtartig deutlich. Unter den diversen »Vergangenheitspolitiken« (N. Frei) nimmt Nelson Mandelas Versöhnungspolitik mit Hilfe des Instituts der »Wahrheitskommission« eine Sonderstellung ein. Wollte sie doch nicht nur eine integrative Wahrheit der Tatsachen, sondern auch eine integrative Wahrheit der Bewertung erreichen. So gewiss dieser Ansatz bestimmte strukturelle Bedingungen der südafrikanischen Übergangsgesellschaft zur Voraussetzung hat, so gewiss verdankt er sich der Persönlichkeit Nelson Mandelas, seiner politischen Philosophie, seinem Selbstverständnis als politischer Führer und seinen politischen Zielen. Insofern kann auch Mandela als eminenter Vertreter eines »Verantwortungspazifismus« im 20. Jahrhundert gelten.

Bis zur Freilassung von Nelson Mandela im Jahr 1990 war die Geschichte Südafrikas eine Geschichte der kriegerischen Konflikte, der Verbrechen, der Lügen und des Verschweigens. Für die Zeit der Apartheid (Rassentrennung) hat Mandela die Kollaboration der Regierung mit der niederländisch-reformierten Kirche beklagt (vgl. Mandela, 1995, S. 128). Betrachtet man allerdings das Schicksal der BurInnen, kann man nicht nur die von Mandela angeprangerte Zusammenarbeit verstehen, sondern auch die Entwicklung Südafrikas in ihrer vorletzten und – von heute aus gesehen – letzten Phase. Darum zunächst ein knapper historischer Rückblick.

Ankunft
des »auserwählten Volkes«

Seit dem 17. Jahrhundert kamen – ähnlich wie nach Amerika – viele europäische EinwandererInnen in die niederländische Kapkolonie; meist waren es religiöse Minderheiten, die in ihren Heimatländern AußenseiterInnen waren. Sie wuchsen im 18. und 19. Jahrhundert zu einem neuen Volk mit eigener Sprache, dem Afrikaans, zusammen. Es gab kaum noch Beziehungen zu Europa. Bei den BurInnen verbreitete sich die Vorstellung, sie seien das auserwählte Volk Gottes, das ein gelobtes Land besiedelte. „Alttestamentarische Namen für burische Siedlungen der Pionierzeit sind keine Seltenheit.“ (Pabst, 1997, S. 35) Man findet in der Western Cape-Region auch heute noch Supermärkte mit Regalen, die voll gepackt sind mit Bibeln in Afrikaans. Das Bedürfnis nach religiöser Erbauung und Orientierung ist demnach immer noch ausgeprägt.

Nicht nur die religiösen Differenzen mit den kirchlichen Hauptströmungen in ihren Heimatländern machten die BurInnen zu Antikolonialisten. Auch andere Ereignisse trugen dazu bei: Auf dem Wiener Kongress entschieden die europäischen Großmächte über die Köpfe der Betroffenen hinweg, dass die Kapkolonie für 6 Millionen Pfund an Großbritannien verkauft wurde. Die britischen Machthaber belegten die SiedlerInnen mit dem Namen »boers«, das den gleichen Klang hat wie das englische Schimpfwort »boors« (Bauernlümmel). Den BurInnen war der Zugang zu höheren Ämtern im Land verschlossen. Die allmähliche Verarmung zwang sie zu den »Großen Trecks« aus der Kolonie ins Landesinnere und nach Norden. Dort hatten sie kriegerische Konflikte mit den UreinwohnerInnen durchzustehen. Der größte war der mit den Zulu. 1838 besiegten 500 BurInnen 15.000 Zulukrieger, was anfangs unmöglich schien und nach Ansicht der BurInnen nur mit Gottes Hilfe gelang. „Diese wundersame Errettung trug entscheidend zur Ausbildung der christlich-nationalen Ideologie des Burenvolkes bei.“ (Pabst, 1997, S. 39) Auch die Konflikte mit den EngländerInnen hielten an. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollte Cecil Rhodes ein britisches Afrika von Kapstadt bis Kairo, wobei ihm die Burenrepubliken im Weg standen. Den ersten Krieg gewannen die BurInnen 1881 gegen die Engländer; im zweiten von 1899 – 1902 unterlagen sie. Die Engländer „brannten die burischen Farmen nieder, schlachteten das Vieh, zerstörten die Brunnen und sperrten Frauen und Kinder in concentration camps.“ (Pabst, S. 41) In den Konzentrationslagern wurden 27.000 burische Frauen und Kinder umgebracht, was nie Gegenstand einer Vergangenheitsaufarbeitung wurde (vgl. Duvenhage, 1995, S. 173). „Am Ende des Burenkrieges waren die Buren im Norden Südafrikas in der Volkszahl stark dezimiert, politisch entrechtet und wirtschaftlich ruiniert. Britischsprachige Südafrikaner kamen in alle gehobenen Positionen, und Englisch war fortan alleinige Amtssprache. Kinder, die in der Schule Afrikaans redeten, mussten sich mit einem Schild »Ich bin ein Esel« in die Ecke stellen.“ (Pabst, 1997, S. 41)

Existenzsicherung
durch Apartheid

Die BurInnen fühlten sich in ihrer Existenz bedroht. Sie hatten aber ihren Mythos, auserwähltes Volk zu sein, was sie von ihren potenziellen Bedrohern unterschied. Sie wollten sich vor ihnen schützen und von ihnen abgrenzen. 1918 gründeten sie den geheimen »Broederbond«, der „ein machtvolles politisches, ökonomisches, soziales und intellektuelles Netzwerk zugunsten der burischen Sache“ über ganz Südafrika legte (Pabst, 1997, S. 43). Dies geschah mit Erfolg, denn 1948 gewann die burische National Party (NP) knapp vor der probritischen United Party (UP) von Jan Smuts die Wahl und baute ihre Mehrheit systematisch aus. Der Vorsitzende der NP, Daniel F. Malan, war übrigens Pfarrer in der niederländisch-reformierten Kirche.

Die burischen NationalistInnen sahen ihre Existenz zuerst durch die EngländerInnen bedroht, dann durch die zahlenmäßig übermächtige Mehrheit der Schwarzen, was zur Apartheid mit den schrecklichen Folgen führte (vgl. Mandela, 1995, S. 127). Martin Pabst interpretiert das so: „Wie die Juden in Israel suchten die Buren nach 1948 ein politisches System zu etablieren, das Diskriminierung und Vernichtung ein für allemal verhindern sollte – und wie in Israel wurden aus Unterdrückten unversehens selbst Unterdrücker, ohne dass es den meisten von ihnen bewusst wurde.“ (Pabst, 1997, S. 43)

1989 erkannte der noch inhaftierte Nelson Mandela nach seinem ersten Gespräch mit Staatspräsident Botha, dass eine Parallelität des Kampfes der BurInnen gegen die EngländerInnen und dem der Schwarzen gegen die Apartheid bestand (vgl. Mandela, 1995, S. 659 und 712). Hätte Mandela nicht die Idee gehabt, die Wahrheitskommission einzusetzen, die die Vergangenheit offen legen sollte, wäre erneut ein südafrikanischer Teufelskreis des Verschweigens und der Mythenbildung etabliert worden. Aber bis es zur Einsetzung der Wahrheitskommission kommen konnte, war für Mandela noch ein langer Weg zurückzulegen. Diesen beschwerlichen Weg konnte er nur deshalb geduldig gehen, weil er das Ziel vor Augen hatte, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, denn er sah deutlich, was geschah: „Our country was bleeding to death.“ (Mandela, 1995, S. 701)

Mandela, der Freiheitskämpfer

Mandela strebte Verhandlungen mit der weißen Regierung an und widersetzte sich allen Verzögerungstaktiken der anderen Seite, was für ihn nicht leicht war, denn es gab auch viele in der eigenen Partei, die den Verhandlungsweg ablehnten. Mandela wusste, dass Kritik an seiner Politik formuliert wurde und Zweifel daran bestand, ob er noch derselbe Freiheitskämpfer war wie vor seiner Inhaftierung (vgl. Mandela, 1995, S. 684).

War er vor der Haft anders? Mandela hat stets den Standpunkt vertreten, dass Gewaltanwendung im politischen Kampf angezeigt sei, wenn es keinen anderen Ausweg gebe und er war vor seiner Inhaftierung für eine Vielzahl von Sabotageakten verantwortlich. Berühmt geworden ist sein Aufruf zur kontrollierten Gewaltanwendung gegen das Apartheidsregime vom 26. Juni 1961, in dem es heißt: „Only through hardship, sacrifice and militant action can freedom be won. The struggle is my life.“ (Mandela, 1995, S. 327) Ihm gefiel die Auffassung von Clausewitz, dass der Krieg die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln sei (vgl. Mandela, 1995, S. 328). Aufgrund seiner Einstellung hatte amnesty international die Bestrebungen für seine Freilassung nicht unterstützt, weil sich diese Organisation nur für Gefangene einsetzt, die politische Ziele gewaltlos verfolgen (vgl. Mandela, 1995, S. 734). In einem Interview stellte Mandela klar, worin der Unterschied zwischen dem gewaltlosen Kampf des Martin Luther King und seinem bestünde. Er wies darauf hin, dass King in den USA lebte und er selbst in Südafrika, wo die staatlich sanktionierte Gewalt für aufgeklärte Menschen unerträglich war: „The United States was a democracy with constitutional guarantees of equal rights that protected non-violent protest (…); South Africa was a police state with a constitution that enshrined inequality and an army that responded to non-violence with force.“ (Mandela, 1995, S. 620) Das war der entscheidende Unterschied. Mandela hat nach seiner Freilassung – allen SkeptikerInnen zum Trotz – diese Ansicht nicht aufgegeben. Noch drei Wochen vor den ersten demokratischen Wahlen spitzten sich die Auseinandersetzungen zwischen dem ANC und der Inkatha Buthelezis derart zu, dass das Johannesburger Hauptquartier des ANC in Gefahr stand, von Inkatha-Anhängern gestürmt zu werden. In einer so aussichtslosen Situation gab ANC-Präsident Mandela den Feuerbefehl (vgl. Pabst, 1997, S. 134).

Mandelas Politik
der Verhandlungen

Solche gewaltsamen Aktionen hatte Mandela ansonsten seit seiner Freilassung 1990 strikt vermieden. Er brachte eine unglaubliche Geduld auf und musste sich gegen Anfeindungen aus den eigenen Reihen, für die er großes Verständnis hatte, zur Wehr setzen. Er gab aber selbst in den schwärzesten Stunden die Hoffnung nicht auf, dass es zur Verständigung, einem friedlichen Übergang zur Demokratie und einer geeinten Nation kommen würde. Dabei hatte er das Sprichwort vor Augen „The darkest hour is before the dawn.“ (Mandela, 1995, S. 726) Und solche dunklen Stunden hatte er seit seiner Freilassung häufig erlebt. Oft brachten ihn und seine politischen Freunde Massaker, die die Polizei angerichtet hatte und die von der Regierung nicht geahndet wurden, an die Grenzen. Viele forderten, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Man sah Plakate mit der Aufschrift »Mandela, give us guns« oder »Victory trough battle not talk«. Mandela konnte das verstehen, war aber der Auffassung, dass es keine Alternative zum Verständigungsprozess gäbe, den er seit seiner Freilassung konsequent vorantrieb. In Situationen, in denen die Geduld der ANC-Mitglieder am Ende und der Verständigungsprozess in Gefahr war, initiierte der kluge Mandela Massenaktionen als mittleren Weg zwischen bewaffnetem Kampf und Verhandlungen, weil die Menschen ein Ventil für ihren Ärger und ihre Frustrationen haben müssten. Massenaktionen seien der beste Weg, diese Emotionen zu kanalisieren (vgl. Mandela, 1995, S. 724 f.).

Was war es, das den Verhandlungsprozess zwischen ANC, Regierung und anderen Parteien immer erneut in Gefahr brachte? Es waren Aktionen der Polizei, die ohne ersichtlichen Grund von ihren Schusswaffen Gebrauch machte und dabei in den Townships zwischen 1990 und 1994 Massaker anrichtete, bei denen es oft 40 bis 60 Tote und ungezählte Verletzte gab. Mandela erzählt in seiner Autobiografie, dass der ANC oft Informationen über bevorstehende Aktionen hatte, die den Behörden gemeldet wurden, die Polizei aber nicht eingriff. So kamen mehrfach Gewalttaten gegen den ANC zustande. Die Kollaborationen zwischen der Regierung und den FeindInnen des ANC regten besonders auf. Von einer solchen Aktion im Jahre 1990 berichtet Mandela: „On 22 July busloads of armed Inkatha members, escorted by police vehicles, entered Sebokeng in broad daylight. A rally was held, after which the armed men went on a rampage, murdering approximately thirty people in a dreadful and grisly attack. I visited the area the next day and witnessed scenes I have never before seen and hope never to see again. At the morgue were bodies of people who had been hacked to death; a woman had both her breasts cut off with a machete. Whoever these killers were, they were animals. I requested a meeting with Mr de Klerk the following day. When I saw him, I angrily demanded an explanation. »You were warned in advance«, I told him, »and yet did nothing. Why is that? Why is it that there have been no arrests? Why have the police sat on their hands?« I then told him that any other nation where there was a tragedy of this magnitude, when more than thirty people had been slained, the head of state would make some statement of condolence, yet he had not uttered a word. He had no reply to what I said. I asked de Klerk to furnish me with an explanation, and he never did.“ (Mandela, 1995, S. 704)

Trotz der Kritik, die Mandela an de Klerk hatte, lobte er ihn auf der anderen Seite als einen aufmerksamen Verhandlungspartner. Nach der ersten Verhandlungsrunde zwischen dem ANC und der NP stimmten denn auch alle Beteiligten darin überein, dass diejenigen, die über drei Jahrzehnte die ärgsten Feinde waren, in guter Atmosphäre sachlich diskutieren konnten. Thabo Mbeki sagte den Journalisten, man habe festgestellt, dass die VertreterInnen der jeweils anderen Seite keine Hörner hätten (vgl. Mandela, 1995, S. 693). Das lag auch daran, dass die Weißen, für die Südafrika genauso Heimat ist wie für die Schwarzen, das Bemühen Mandelas um echte Verständigung und Versöhnung spürten und kannten. Schon in der ANC-Freiheits-Charta von 1955 wurde die Gleichstellung von Weißen und Schwarzen gefordert, einzig zu dem Zweck, die Freiheit für alle herzustellen (vgl. Mandela, 1995, S. 204).

Mandela wurde oft gefragt, warum er nach 27-jähriger Haft nicht verbittert gewesen sei, was alle Welt verstanden hätte (vgl. Adam, 1999, S. 43). Darauf antwortete er ebenso schlüssig wie verblüffend einfach: „Even in the grimmest times in prison, when my comrades and I were pushed to our limits, I would see a glimmer of humanity in one of the guards, perhaps just for a second, but it was enough to reassure me and keep me going.“ (Mandela, 1995, S. 749) Mandela war der Auffassung, dass Hass keine naturgegebene Empfindung, sondern erlernt sei. Darum könne man Hass auch verlernen und die ursprüngliche Menschlichkeit zum Tragen bringen. Darin sah er nach der Entlassung seine Aufgabe: „I saw my mission as one of preaching reconciliation, of binding the wounds of the country, of engendering trust and confidence.“ (Mandela, 1995, S. 744 f.)

Die Wahrheitskommission

Die auf Mandelas Initiative eingerichtete Wahrheitskommission aus 17 VertreterInnen aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und 300 MitarbeiterInnen sollte dazu beitragen (vgl. Horster, 1999, S. 9). Sie hatte die Aufgabe, die Natur, das Ausmaß und die Ursachen der Apartheid zu erforschen. Das konnte nur gelingen, wenn Opfer und TäterInnen ihre jeweilige Sicht der Dinge darlegten und somit verhindert wurde, dass die Vergangenheit – wie seinerzeit zwischen BurInnen und EngländerInnenn – im Dunkeln blieb. Durch den Aufklärungsprozess, den sich die Wahrheitskommission zu ihrer Aufgabe machte, sollte den Opfern Gerechtigkeit widerfahren. Auf der anderen Seite sollten die TäterInnen amnestiert werden. Die Wahrheitskommission bearbeitete 8.000 Amnestieanträge und 20.000 Berichte von Opfern; 2.000 davon in öffentlichen Hearings. Dabei wurden ungezählte Verbrechen aufgeklärt. Die Mitglieder der Wahrheitskommission haben in schonungsloser Offenheit die Vergangenheit beleuchtet. Sie haben traumatisierte Menschen gesehen, und Menschen, die aufgrund der ihnen zugefügten Grausamkeiten mit ihrem Leben nicht mehr fertig wurden. Der Öffentlichkeit wurden Berichte über unerhört brutale Folterungen, Misshandlungen und Morde zugemutet (vgl. Krog, 1998, vor allem Kapitel 3). Und auf der anderen Seite standen Menschen, die in dem Glauben erzogen wurden, die Apartheid sei gottgegeben.

Die Zukunftshoffnung Südafrikas basiert auf der schonungslos aufgearbeiteten Vergangenheit und dem daraus resultierenden wechselseitigen Verständnis. Außerdem kann keine der Gruppierungen, die durch die 11 im Parlament zugelassenen Sprachen repräsentiert wird, die anderen dominieren. Selbst die Zulus, mit 7 Millionen der größte schwarze Stamm, stellen lediglich 1/6 der Gesamtbevölkerung. Das haben die Menschen aufgrund der unablässigen Mahnungen Nelson Mandelas inzwischen begriffen: „At every opportunity, I said all South Africans must now unite and join hands and say we are one country, one nation, one poeple, marching together into the future.“ (Mandela, 1995, S. 745)

Literatur

Adam, H. (1999): Wer von euch ohne Sünde ist, haftet dennoch für seinen Staat. Nationen in aller Welt haben Schuld auf sich geladen, doch sie fanden unterschiedliche Wege, damit umzugehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 169 (24.07.99), S. 43.

Duvenage, P. (1995): Im Spannungsfeld: historische Interpretation nach und durch Auschwitz und Apartheid. In: Handlung – Kultur – Interpretation. Bulletin für Psychologie und Nachbardisziplinen, 4 (6), S. 160-188.

Horster, D. (1999): Demokratie und Moral. Südafrika steht erneut vor Wahlen: Ein Blick zurück auf die Politik der Versöhnung und Gerechtigkeit. In: Frankfurter Rundschau Nr. 124 (01.06.99), S. 9.

Krog, A. (1998): Country of My Skull. Johannesburg: Random House.

Mandela, N. R. (1995): Long Walk to Freedom – Autobiography. London: Abacus.

Pabst, M. (1997): Südafrika. München: Beck.

Detlef Horster ist Professor für Sozialphilosophie an der Universität Hannover. Von ihm erschien im Herbst 1999 das Buch »Postchristliche Moral. Eine sozialphilosophische Begründung«.