Mehr Geld, weniger Sicherheit


Mehr Geld, weniger Sicherheit

Das neue deutsche Weißbuch

von Andreas Seifert

Das als Strategiedokument gedachte »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« ist eine PR-Broschüre, die viel Bekanntes wiederholt und nur wenig Konkretes bereithält. Im Folgenden werden ein paar Schlaglichter gesetzt.

Zehn Jahre hat es gedauert, bis die Bundesregierung am 13. Juli des Jahres ein neues Weißbuch veröffentlichte.1 Zuvor gab es schon seit über einem Jahr Versuche, »Ideen« in einer Debatte zu platzieren, die sich den Anschein eines Beteiligungsprozesses gab.2 Jüngst wurde auch eine »Europäische Globalstrategie« vorgestellt (28.6.2016)3 und, unmittelbar vor Veröffentlichung des Weißbuches, die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Warschau verbreitet (9.7.2016).4 Der zeitliche Vor- und Ablauf hatte die Erwartungen an das Weißbuch steigen lassen.

Das Weißbuch, so der eigene Anspruch, soll Auskunft über die Ziele und Inhalte der deutschen Sicherheitspolitik geben. Es soll aufklären, welche Handlungsfelder die deutsche Regierung identifiziert hat und mit welchen Maßnahmen sie ihre Interessen zu erfüllen gedenkt. Das Weißbuch wird federführend vom Verteidigungsministerium erstellt und mit anderen Ressorts abgesprochen, bevor es als Dokument der Regierung im Kabinett verabschiedet und veröffentlicht wird. Es soll die Grundlage für die weiterer Feinplanung der Bundeswehr sein und als Ausgangsdokument auch für die Planung in anderen Bereichen, beispielsweise der inneren Sicherheit, herhalten.

Mittel zum Zweck: PR-Sprache

Es gibt ein herausstechendes Merkmal – geradezu ein Alleinstellungsmerkmal – des Weißbuches: Es wirkt nicht nur wie eine überlange Rede der Verteidigungsministerin selbst, sondern es ist in weiten Strecken nicht viel mehr als die Wiederholung ihrer PR-Floskeln aus dem letzten halben Jahr. Jede*r aufmerksame Beobachter*in des Weißbuchprozesses findet in dem nun vorliegenden Text die Formulierungen ihrer ureigenen Zusammenfassungen der unterschiedlichen Workshops und Panels wieder. Im Duktus einer Unternehmensberaterin, die möglichst viele der vorgegebenen Stichwörter in einen Text packen möchte – nach Möglichkeit, ohne sich selbst irgendwo zu platzieren – wird durch die Themen geeiert und bereits vorher Beschlossenes als Ergebnis“ einer Debatte präsentiert. Da werden Dinge wie „unter einem Brennglas“ gesehen, es sollen Konzepte und Argumente in inklusiven Beteiligungsprozessen“ „geschärft“ werden, es werden „Hochwertfähigkeiten beübt“, „Lieferketten gehärtet“, „Wirkungsüberlegenheit erzielt“, mit „Ressourcenneuzuordnung“ werden „innovative Wege gegangen“ etc. Dergleichen Berater*innensprech mag »offen« und »andockfähig« für all jene klingen, die ihre Agenda in dem Papier wiedererkennen wollen (oder müssen), für alle anderen ist es eher ärgerlich. Der »Arbeitskreis Darmstädter Signal – die kritischen Soldaten« geht in seiner Stellungnahme so weit, den Weißbuchprozess als PR-Coup“ zu bezeichnen, und will mit seiner eigenen Webseite weissbuch.org einen tatsächlich offenen Debattenprozess anstoßen.

Die gewählte Sprache hat bei aller Verschrobenheit eine ganz klare Funktion: Sie soll Rationalität und die einheitliche Durchdringung aller angesprochenen Themenbereiche vermitteln. Sie soll den Anschein von Konkretisierung erwecken, wo man in den Planungen vielleicht noch gar nicht so weit ist bzw. über die konkrete Ausgestaltung, auch wenn sie schon fest liegt, keine Aussage treffen will. Für das »Konkrete«, so mag man unterstellen, gibt es angesichts dessen, dass es sich hier um ein Dokument der Diplomatie handelt, gewisse Grenzen; aber selbst die Bereiche, die in vergangenen Weißbüchern als obligatorisch galten, wurden in der Neufassung ausgelassen. So fehlen z.B. alle relevanten Kennziffern – die Zahl der Soldat*innen, der Zahl (einsatzfähiger) Großgeräte, der Zielgröße eines »adäquaten« Etats etc. –, die helfen könnten, die eingeleitete Trendwende“ (WB S. 117, 119) zu verstehen. Hier für Klarheit zu sorgen, bleibt anderen, „nachgeordneten“ Dokumenten vorbehalten (WB S. 15).

Die Sprache und auch die Auswahl der Bilder im Weißbuch legen noch etwas anderes nahe: Hier wird mit allen Tricks der Werbung an einem möglichst friedlichen Image der Bundeswehr gearbeitet. Wie die Sprache es versteht, die harten Fakten des Kriegsgeschäftes hinter wohlklingenden Floskeln zu verstecken, taugen die Bilder dazu, eine Bundeswehr zu präsentieren, die weder Waffen trägt noch in schmutzigen Kriegseinsätzen eingesetzt wird. Die Bilder zeigen besonders viele junge Frauen in Uniform und »zivile« Einsätze der Soldaten; die einzigen martialisch mit Waffen am Anschlag auftretenden Personen sind ausgerechnet Polizisten. Dies hat nichts mit der Realität der Bundeswehr zu tun, zeigt aber Parallelen zu den zur Rekrutierung verwendeten Materialien.

Drei Dokumente – eine Richtung

Ein zweites Merkmal dieses Weißbuches: Es steht nicht für sich alleine, sondern im Kontext einiger von EU und NATO beschlossener Papiere und der in Deutschland unter dem Slogan »Neue Macht – Neue Verantwortung« geführten Debatte, einschließlich des vom Auswärtigen Amt geführten »Review 2014«. Dazu gehört auch die inzwischen unter dem Label »Münchener Konsens« zusammengefasste Grundidee: die »neue« (sprich: oftmals militärische) Verantwortung, die Deutschland in der Welt wahrnehmen müsse und die ein Instrumentarium benötige, das von diplomatischen und entwicklungspolitischen Maßnahmen über Sanktionen und »Ertüchtigung« bis zum »robusten Einsatz« reicht.

Während der erste Teil des Weißbuches zur Sicherheitspolitik Deutschlands das politische Umfeld und die deutschen strategischen Prioritäten analysiert und Handlungsfelder identifiziert, wird im zweiten Teil auf die Konsequenzen für die Bundeswehr eingegangen. Der im letzten Weißbuch umstrittene Verweis auf die »Abhängigkeit« Deutschlands von internationalen Handelsrouten, Energieressourcen und Rohstoffen fehlt auch dieses Mal nicht, fällt aber angesichts der breitest angelegten Bedrohungen, denen sich Deutschland heute gegenüber sehe, kaum weiter auf – auch deshalb, weil erneut die Frage, welche Rolle die Bundeswehr eigentlich spielen soll, unbeantwortet bleibt. Die Auflistung der »Bedrohungen«, die von Terrorismus, Cyberangriffen, fragilen Staaten über Migration bis zu Klimawandel und Pandemien reichen, deutet auf einen breit angelegten Sicherheitsbegriff hin, der sich kaum mit den Mitteln des Militärs bearbeiten lässt. Scheinbar fügt sich also das Militär in seine Rolle als »Dienstleister« im »Instrumentarium« deutscher Sicherheitspolitik ein – doch mit einer nachgeordneten Rolle mag man sich im Bendlerblock dann doch nicht begnügen.

Vernetzter Ansatz – Resilienz – hybride Kriegsführung?

Mit der Verknüpfung dreier zentraler Begriffe begründet das Ministerium die Notwendigkeit, der Bundeswehr bei der Gewährleistung »unserer« Sicherheit eine federführende Rolle zuzuweisen. Ausgangspunkt ist die als unmittelbare Erfahrung interpretierte »hybride Kriegsführung« Russlands in der Ukraine bzw. im Kontext des Ukrainekonfliktes. „Hybride Bedrohungen“ setzten, so das Weißbuch generalisierend (S. 39), an den Schwachpunkten demokratischer und offener Gesellschaften an und versuchten durch Propaganda, Cyberangriffe, finanzielle Operationen oder politische Destabilisierung, aber auch durch verdeckte militärische Operationen unterhalb völkerrechtlicher Relevanz, das Land zu beeinflussen: „Hybrides Vorgehen verwischt die Grenzen zwischen Krieg und Frieden.“ Dem könne man nur begegnen, wenn eine „umfassende Verteidigungsfähigkeit“ und „Resilienz“ aufgebaut würde (ebd.).

Der schon unter den Vorgängern von Verteidigungsministerin von der Leyen entwickelte »vernetzte Ansatz«, der die enge Kooperation ziviler und militärischer Stellen vorsieht, wird damit auf eine neue Ebene gehoben. So will man in „geeigneten ressortgemeinsamen Gremien“ (S. 57) sicherstellen, dass Bundeswehrangehörige mit einbezogen werden. Die inzwischen beim Außenministerium angesiedelte Entwicklungshilfe wie auch die Cyberabwehr, die (derzeit) dem Innenministerium zugeordnet ist, sind Felder, in denen das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr künftig verstärkt an Entscheidungen beteiligt sein wollen. Sie möchten dabei nicht nur partizipieren, sondern auch ihre „Kompetenzen“ (ebd.) einbringen, selbst wenn die gegebenenfalls erst aufgebaut werden müssen. Vorläufiger Dreh- und Angelpunkt soll dabei der Bundessicherheitsrat werden, der als Gremium gestärkt werden und zukünftig als Plattform der Kommunikation zwischen den relevanten Ressorts dienen soll (WB S. 57). Die keineswegs beiläufige Erwähnung des Bundessicherheitsrates sollte aufhorchen lassen, zumal deutlich wird, dass auch die »notwendigen« Ad-hoc-Entscheidungen und Bündnisse (sprich: Kriegseinsätze) hier beschlossen werden sollen.

Der vernetzte Ansatz soll aber nicht nur als Durchdringung der Bundesverwaltung und ihrer Institutionen verstanden werden, sondern sich weiter in die Gesellschaft und Wirtschaft ausbreiten: „Gemeinsame Ausbildung und Übungen von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren für das Handeln im gesamten Krisenzyklus [soll] gefördert werden.“ (WB S. 59) Das damit geschaffene „Verständnis“ füreinander lässt sich leicht auch als Militarisierung der Gesellschaft deuten, die sich als Versicherheitlichung tarnt, alle betrifft, aber nur wenige Akteure umfassen wird, also anti-demokratische Züge trägt. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der gesamten Gesellschaft zu erhöhen und auszubauen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die schon bekannte »zivil-militärische-Zusammenarbeit« im Rahmen des »vernetzten Ansatzes« ausgebaut werden soll, um defensive (und offensive?) Fähigkeiten für einen hybriden Kriegseinsatz zu erlangen – inklusive für den Einsatz im Inneren (WB S. 92/93, 110).

Besonders relevant wird dies für den Bereich der Cybersicherheit, der im Weißbuch breiten Raum einnimmt (WB S. 36-38, 50, 60, 82, 93, …): Soziale Medien als Informations- und Kommunikationsplattform seien besonders anfällig, die hochkomplexen Gesellschaften und ihre Wirtschaft durch ihre Vernetzung gefährdet, die Daten aller Menschen virulent – kurzum: Cyberraum sei das (!) Feld der Verteidigung der Zukunft. Bereits mit der Ankündigung eines Workshops in der Vorbereitungsphase des Weißbuches wurde dieser Bereich hervorgehoben. Mit einer parallel angelaufenen Bundeswehr-Kampagne zur Anwerbung von IT-Experten, mit der Aufstellung einer eigenen Cyber-Einheit und mit der Zusammenfassung aller betrauten Dienststellen unter derLeitung der Staatssekretärin Suder wurden vom Verteidigungsministerium hier auch schon Entscheidungen getroffen, die das Weißbuch nur unzureichend widerspiegelt.

Das Ministerium sieht in diesen Maßnahmen nur eine notwendige Konsequenz und einen überfälligen Schritt, andere sehen darin vielmehr den Anfang vom Ende eines wie auch immer von seinen Nutzern frei zu gestaltenden Internet. Die Gefahr, die hiervon ausgeht, wird sogar beschrieben: Die »Natur« des Internet und der digitalen Kommunikation setze klassischen Methoden der Zuschreibung kriegerischer oder aggressiver Handlungen Grenzen; die Konstruktion und »Verletzlichkeit« moderner Systeme, auf denen unser Leben zu großen Teilen fußt, begrenze überdies die Möglichkeiten zu ihrem »Schutz«. D.h., letztlich weiß man um die Grenzen solcher Initiativen, will aber auf alle Fälle dabei sein und rüstet nun massiv auf. Dass man damit Angriffe nicht verhindern kann, umgekehrt aber just die Kapazitäten schafft, die anderen als Anlass von Gegenwehr dienen könnten, wird billigend in Kauf genommen.

Das Vorgehen der Bundesregierung weist damit interessanterweise Parallelen zur Politik in der Volksrepublik China auf, wo man von einer internetbezogenen »Souveränität« spricht und damit nicht nur alle anderen »draußen« halten will, sondern auch versucht, die eigenen Bürger*innen einzusperren.

Ertüchtigung und
Ad-hoc-Rahmennation

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Bestrebungen der deutschen Regierung, sich in Europa als starker Partner und Impulsgeber zu verorten. Dabei wird unter dem Stichwort „Ertüchtigung“ (WB S. 52) das fortgeführt, was bereits mit der »Merkel-Doktrin« begonnen wurde, nämlich »Partner« zu befähigen, »ihre« Probleme selbst zu lösen, indem man ihnen bei Konzeption, Aufbau und Ausstattung effektiver Sicherheits- und Repressionsapparate hilft. »Ertüchtigung« sollte dabei trotz aller positiven Beteuerungen als das kleinlaute Eingeständnis der Beschränktheit eigener Einflussmöglichkeiten gewertet werden. Die Bundesregierung betreibt hier die »Entgrenzung«, die sie anderen gern vorwirft: Die Hilfe beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Staaten; auch nicht-staatliche Akteure können auf finanzielle, waffentechnische oder Ausbildungshilfe hoffen. Das Spektrum der »Ertüchtigung« umfasst aber auch zivile Maßnahmen: Es wirken alle möglichen Instrumente aus dem Baukasten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zusammen.

Als „Rahmennation“ innerhalb der NATO möchte die Ministerin überdies den deutschen Gestaltungsanspruch ausdehnen und anderen (kleineren) Staaten ermöglichen, sich „zum Nutzen aller“ einzubringen (WB S. 68). Deutschland übernimmt hier nur allzu gern die Führung und verbindet gleich den Wunsch damit, die anderen Staaten mögen doch (bitteschön) ihre Aufrüstungswünsche mit dem Berliner Ministerium absprechen. Dass dabei gleich auch noch der europäische Gedanke untermauert und der europäische Pfeiler innerhalb der NATO aufgewertet wird, ist ein positiver Nebeneffekt. Ein anderer ist dann wie zufällig, dass dies auch einer der Bausteine ist, mit denen man die europäische Rüstungsindustrie effizienter weiterentwickeln möchte … unter deutscher Führung.

Dazu passend analysiert die Regierung, dass es immer öfter zu Ad-hoc-Kooperationen kommen wird, an denen sich Deutschland beteiligt, um seinen Gestaltungsspielraum zu wahren (WB S. 81). Auf dem politischen Parkett ist dies ohnehin schon der Fall, und im militärischen Bereich wird es immer häufiger dazu kommen. Im Zusammenhang mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetze ist dies ein durchaus strittiger Punkt, bei dem das Ministerium letztlich argumentiert, die Vorgabe, Auslandseinsätze müssten durch den Bundestag mandatiert werden, stehe im Widerspruch zur »gestiegenen Verantwortung« Deutschlands und sei zu überprüfen.

Mehr … von allem

Mehr Personal – mehr Waffen – mehr Geld!

Der zweite Teil des Weißbuches entwickelt aus der Analyse des ersten Teiles unmittelbare und weitreichende Folgerungen für die Bundeswehr, unterlässt es aber, konkret zu werden. Das langfristige Ziel, den Verteidigungshaushalt auf die von der NATO angeregten zwei Prozent anzuheben, wird im Weißbuch bestätigt. Allerdings wird verschwiegen, dass dies die Anhebung des Etats von derzeit knapp 32,4 Mrd. Euro auf fast 50 Mrd. Euro bedeutet. Schon in den vergangenen Jahren wurde das Budget des Ministeriums massiv erhöht, und so bestand die begründete Erwartung, das Weißbuch würde die Prioritäten in der Budgetaufteilung erläutern. Diese Erwartung wurde enttäuscht: Was mit dem zusätzlichen Geld passieren soll, überlässt das Weißbuch der Interpretation der Leser*innen.

Umgekehrt gibt es aber einige interessante Bemerkungen, die konsequent aus dem »vernetzten Ansatz« heraus entwickelt wurden und einen Hinweis auf zukünftiges Vorgehen geben. So ist die an verschiedenen Stellen angesprochene »Durchlässigkeit« Richtung Wirtschaft wohl als ein Versuch zu werten, nicht nur an die bereits bekannten (und zum Teil erfolglosen) Betreiberlösungen zu denken, sondern sich verstärkt der zeitweisen oder auch projekt- und einsatzbezogenen Integration von Personal aus der Wirtschaft zuzuwenden. Dies würde sowohl die Hierarchien und Besoldungsstrukturen verändern als auch neue Prozessabläufe erfordern. Vorbild hierfür könnte das durch Beratungsunternehmen verstärkte Beschaffungswesen sein, das man als modernes Rüstungsmanagement lobt und als Vorbereitung für eine flexible, zukunftsfähige Lösung ausbauen möchte. Ob die teure Beteiligung von Wirtschaftsberatern allerdings mehr als nur die Produktion von Risikobewertungen (Transparenzkultur“, WB S. 132) bringt, ist bisher nicht bewiesen. Eine Öffnung der Bundeswehr in die Privatwirtschaft wäre aber auch in dem Feld denkbar, in dem es der Bundeswehr besonders schwer fällt, adäquates Personal zu rekrutieren: dem IT-Bereich.

Ein anderer spannender Punkt ist die Sicherstellung der von der Regierung als notwendige Basis begriffenen wehrindustriellen Kompetenzen. Hier will man nicht nur weiterhin der Industrie mit Aufträgen und Hilfestellungen beim Export beiseite stehen, sondern man sieht sich auch in der Pflicht, die technologischen Grundlagen stärker abzusichern. Die bisher schon erbrachte Forschungs- und Entwicklungsleistung sollte fortgeführt, aber – unter dem Eindruck der Veränderungen in der Forschungsorganisation und im Forschungsablauf allgemein – auch angepasst werden. Dies bedeutet einerseits, dass man an den Forschungs- und Entwicklungsleistungen anderer schneller partizipieren will, als dies in den bisherigen Strukturen möglich ist, wo die Bundeswehr erst spät als potentieller Nutzer mit der Technologie in Berührung kommt. Andererseits möchte man selbst als Motor hinter solchen Entwicklungen stehen, indem z.B. Startups gefördert werden oder man, z.B. über eine Agentur, gezielt Forschungsimpulse setzt.

Hier versucht das Ministerium also genau in die Lücke vorzudringen, die die kaum noch adäquate Forschungs- und Hochschulfinanzierung geschaffen hat – wer Schlimmes befürchtet, mag sich an die DARPA5 erinnert fühlen, die in den USA inzwischen als einer der wichtigsten Forschungsfinanziers auftritt. Flankiert wird dies von der Ankündigung, man wolle „gemeinsam mit dem Parlament eine Debatte über eine neue Risikomanagementkultur führen, die mit anspruchsvolleren Entwicklungen einhergeht“ (WB S. 132). Es bewahrheitet sich in gewisser Weise das, was von Kritiker*innen schon seit Längerem befürchtet wurde: Die Militarisierung der Forschungs- und Hochschullandschaft setzt sich fort, und notorisch unterfinanzierte Forscher*innen bekommen Gelegenheit, patriotisch zu handeln – mit Geld, das für eine tatsächliche und ernst gemeinte forschungsbasierte Risiko- und Krisenvorsorge dann aber fehlen wird.

Fazit

Das Weißbuch 2016 löst den zehn Jahre alten Vorgänger ab und passt die Inhalte der Zeit an. Es vollzieht die Salamitaktik des letzten Jahrzehnts nach und tut so, als ob das alles so sein müsste: Ausweitung der Auslandseinsätze, Bundeswehr in mehr und mehr Lebensbereichen, fortgesetzte Verschwendung für überteuerte Rüstung – alles folgerichtig und mit dem globalen Geltungsanspruch Deutschlands vereinbar. Die im Weißbuch vorgelegten Analysen zur Weltlage und zur Sicherheitslage in Deutschland ignorieren die Ursachen der Konflikte und ihre Triebkräfte. Bereits im Vorfeld des Erscheinungstermins und im Zuge der Debatte gab es Kritik an der Grundidee eines Weißbuches: Es sei ein überholtes Format bzw. schädlich für eine offene Debatte.6 Den Vorwurf, im Weißbuch könnten schon allein deshalb keine positiven, zukunftsfähigen Sicherheitskonzepte entwickelt werden, weil der Fokus der Autor*innen (des Verteidigungsministeriums) zu eng auf militärischen und gewaltbasierten Lösungsmechanismen liege, konterte das Ministerium mit dem Begriff der »menschlichen Sicherheit«.

Leider haben sich die Befürchtungen der Kritiker*innen in großen Teilen bewahrheitet. Die im Weißbuch präsentierten Lösungen zur »Sicherung« des Wohlstandes in Deutschland und Europa setzen auf eine fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft und den massiven Ausbau der Streitkräfte. Wer immer noch glaubt, mit militärischer Technik sei ein friedliches Leben zu sichern, stürzt sich und andere direkt in den nächsten Konflikt. Das Anhäufen von Arsenalen und modernste Kriegstechnologie werden die Ursachen der Konflikte, die zu den »Bedrohungen« führen, nicht beseitigen – sie sind heute nicht einmal mehr geeignet, sie auf Abstand zu halten. »Lösungen« sind nur in einer konsequent zivil gedachten Konfliktbearbeitung zu finden.

Anmerkungen

1) Bundesministerium der Verteidigung: Ursula von der Leyen stellt das neue Weißbuch vor. 13.7.2016. Eine digitale Fassung des »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« steht unter bmvg.de online; alle Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe.

2) Es wurde eine Webseite eingerichtet, auf der die »Bürger« ihre Meinung platzieren konnten (von denen bis heute nur ein Teil öffentlich ist), und es wurden Workshops durchgeführt, auf denen »Experten« ihre Expertise einbringen durften. Dokumentiert ist dies unter anderem in einer »Begleitbroschüre« zum Weißbuch: »Wege zum Weißbuch«.

3) Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln – Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Brüssel, 28.6.2016; verbreitet vom Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union.

4) North Atlantic Treaty Organization: Warsaw Summit Communiqué, Issued by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Warsaw 8-9 July 2016. Press Release (2016) 100.

5) DARPA = Defense Advanced Research Projects Agency; Forschungsagentur des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten, die mit einem jährlichen Budget von ca. drei Mrd. US$ dafür sorgt, dass die militärrelevanten Forschungsfragen auch ihren Weg in die zivilen Hochschulen finden. Im Umfang ist sie damit der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergleichbar, die für Forschungsprojekte in Deutschland jährlich insgesamt ca. 2,8 Mrd. Euro verausgabt.

6) Z.B. die am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) angesiedelte Kommission »Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr« in ihrem Positionspapier zum Weißbuch (ifsh.de).

Dr. Andreas Seifert ist langjähriges Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und vertritt die IMI im Vorstand von W&F. Er hat zuletzt an der Erstellung des »Schwarzbuch – Kritisches Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr« (2016, Rosa-Luxemburg-Stiftung und Fraktion DIE LINKE) mitgewirkt.

Drohnen und Helden

Drohnen und Helden

von Ulrich Bröckling

W&F druckte in der Vergangenheit wiederholt Texte zur Drohnenkriegführung. Der Autor dieses Artikels interessiert sich besonders für die vermeintliche Ferne, in der mit Raketen bewaffnete Drohnen zum Einsatz kommen – das Einsatzteam sitzt Tausende Kilometer entfernt in einem Büro in Nevada oder im Pfälzer Wald –, die gleichzeitig mit einer außerordentlichen Nähe des Kriegsgeschehens gekoppelt ist, das in Echtzeit und hoher Auflösung auf den Bildschirmen der Operatoren angezeigt wird. Diese Art der Kriegsführung hat Folgen für das Selbstbild der Soldaten.

Am 4. Februar 2002 feuerte eine Drohne vom Typ Predator eine Hellfire-Rakete auf drei Männer in der Nähe der afghanischen Stadt Khost und tötete sie. Man vermutete, die CIA habe einen der drei wegen seiner Körpergröße und seiner grauen Haare für Osama bin Laden gehalten. Ein offensichtlicher Irrtum, wie sich bald herausstellte. Ein Pentagon-Sprecher erklärte im Nachhinein, „[w]ir sind davon überzeugt. es war ein angemessenes Ziel“, musste jedoch einräumen, „[w]ir wissen noch nicht genau, wer es war“.1 Journalisten berichteten später, bei den Getöteten habe es sich um Zivilisten gehandelt, die auf dem Gelände eines verlassenen Mudjaheddin-Camps nach Altmetall suchten.

Bei dieser Tötungsaktion handelte sich um die erste bekannt gewordene Operation einer bewaffneten Drohne. Zu Aufklärungszwecken waren die Predators schon seit 1994 eingesetzt worden, mit einem Waffensystem hatte man sie allerdings erst kurz zuvor ausgerüstet. In der Testphase hatten Experten befürchtet, der rückwärtige Feuerstrahl der Raketen könne die Leichtfluggeräte zerstören. Das geschah nicht, und damit begann der rasante Aufstieg der »Remotely Piloted Aircrafts« oder «Unmanned Combat Air Vehicles« (UCAV), so die offizielle Bezeichnung.

Die Bush-Regierung setzte in der Folge bewaffnete Drohnen in Afghanistan und Pakistan zunächst zur Tötung so genannter »high-value targets« ein, die Angriffe richteten sich gegen bekannte Talibanführer oder Mitglieder von al Kaida. Unter Obama wurde das Programm massiv ausgebaut, allein während seiner ersten Amtszeit zählte man fünfmal so viele Angriffe wie in den acht Jahren der Bush-Präsidentschaft. Inzwischen machen Drohnen ein Drittel der US-amerikanischen Kriegsluftflotte aus.2

Die US-Regierung betreibt zwei Drohnenprogramme: ein militärisches, das feindliche Kräfte in den Kriegsgebieten in Afghanistan und dem Irak bekämpft, und ein geheimes unter Verantwortung der CIA, das sich gegen Terrorverdächtige in der gesamten Welt richtet und auch in Gebieten operiert, in denen keine US-Truppen stationiert sind.3 Dokumentiert sind verdeckte Drohnenangriffe vor allem im Jemen, in Somalia und Syrien. Die Obama-Regierung weitete indes nicht nur die Einsatzgebiete aus, sondern sie erhöhte auch die Anzahl der Ziele.

Neben der Tötung namentlich bekannter Terrorverdächtiger, die auf einer vom Präsidenten unterzeichneten Todesliste aufgeführt sind, setzt sie auf »signature strikes«. Diese richten sich gegen „Gruppen von Männern, die bestimmte Signaturen tragen oder bestimmte Merkmale, die mit terroristischen Aktivitäten verbunden sind“.4 Die Identität der Zielpersonen ist zunächst noch unbekannt, »signiert« werden sie aufgrund ihres Verhaltens. Anhand einer Lebensmusteranalyse (pattern of life analysis) werden persönliche Profile angelegt, die sich aus den von den Überwachungskameras der Drohnen gesammelten Bewegungsmustern speisen, aber auch aus anderen Daten, beispielsweise aus der Auswertung von Mobilfunkverbindungen. In der Summe ergibt das Profiling ein Gesamtbild der zeitlichen, räumlichen und sozialen Verhaltensparameter eines Menschen.

Auf diese Weise wird das Töten sukzessive automatisiert; Algorithmen entscheiden, wer sterben muss.5 Welche Merkmale die Zielpersonen im Einzelnen als Verdächtige ausweisen, das bleibt geheim. Zivile Opfer werden kurzerhand wegdefiniert: Nachdem John Brennan, Obamas Berater in Sachen Terrorbekämpfung, 2011 stolz verkündet hatte, die Technik sei inzwischen so weit fortgeschritten, dass es im Jahr zuvor so gut wie keinen kollateralen Todesfall gegeben habe, deckte die New York Times auf, dass die amtlichen Dokumente alle Männer im wehrfähigen Alter, die sich im Gebiet des Drohneneinsatzes aufhalten, pauschal als Kombattanten einstuften. Korrigiert wurde dies, sofern explizite Hinweise auf die Unschuld der Getöteten auftauchten, allenfalls posthum.6

Recherchen unabhängiger Journalisten belegen demgegenüber einen hohen Anteil getöteter Zivilisten; ihr Anteil bewegt sich zwischen 12 und 35 Prozent. Allein für Pakistan gehen sie – Stand Anfang Mai 2015 – von 423 bis 962 zivilen Drohnenopfern aus, darunter zwischen 172 und 207 getötete Kinder, bei einer Gesamtzahl der Getöteten zwischen 2.449 und 3.949.7 Rechtlich gesehen ist die Politik der gezielten Tötungen höchst umstritten: Selbst Juristen, die solche Aktionen im Rahmen bewaffneter zwischenstaatlicher Konflikte durch das Völkerrecht gedeckt sehen, stufen Drohnenangriffe auf dem Gebiet von Staaten, mit denen man sich nicht im Kriegszustand befindet, als völkerrechtswidrig ein.

Die »präemptive« Tötung Verdächtiger ohne Anklage und Gerichtsurteil, die mit dem zynischen Euphemismus eines Kollateralschadens belegten Opfer unter der Zivilbevölkerung, die Traumatisierung der gesamten Bevölkerung in den betroffenen Regionen, die täglich 24 Stunden die Drohnen über sich kreisen hören und sehen und die jederzeit fürchten müssen, ohne Vorwarnung unter Raketenbeschuss zu geraten, all das gerät zum Skandal.

Geführt wird der Drohnenkrieg von US-amerikanischer Seite derzeit vor allem mit dem MQ-9 Reaper, einer Weiterentwicklung der Predator-Drohne, die für »hunt and kill«-Operationen ausgelegt ist. Mit einer Länge von elf und einer Flügelspannweite von zwanzig Metern kann diese Drohne bis zu dreißig Stunden in der Luft bleiben; sie fliegt in einer Höhe von bis zu 15.000 Metern und deckt dabei einen Einsatzradius von mehr als 3.000 Kilometern ab. Bestückt ist sie zum einen mit Hellfire Luft-Boden-Raketen und lasergesteuerten Präzisionsbomben, zum anderen mit dem Aufklärungssystem Gorgon Stare, das zahlreiche Infrarot- und Videokameras sowie Richtlaser kombiniert, bis zu 65 Streaming-Bilder gleichzeitig an unterschiedliche Adressaten sendet und es ermöglicht, eine Fläche von vier mal vier Kilometern in hoher Bildauflösung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu überwachen. Aus einer Flughöhe von 3,2 Kilometern lassen sich damit Nummernschilder entziffern. Das noch in der Planung befindliche Nachfolgesystem heißt Argus IS.

Neben einem Bodenteam, das für Start und Landung der Drohne zuständig ist, sind drei Personen für ihren Einsatz erforderlich. Diese Crew besteht aus einem Piloten, der das System fernsteuert, einem »Sensor Operator«, der die verschiedenen Kameras, Radargeräte und Sensoren bedient, und einem »Mission Intelligence Coordinator«, der die Kommunikation mit Analysten, Datenbanken und anderen Crews übernimmt.8 Während das Bodenteam auf einem Flughafen in regionaler Nähe zum Einsatzgebiet stationiert ist, sitzen die Operatoren im Schichtdienst auf einer Tausende von Kilometern entfernten Militärbasis in Nevada oder im Pfälzerwald vor ihren Bildschirmen. Die Daten werden ihnen in Echtzeit per Satellit übermittelt.

Die räumliche Distanz geht allerdings einher mit einer virtuellen Nähe: Mit dem ferngesteuerten Super-Zoom verfolgen die Drohnen-Operatoren ihre Zielpersonen über Tage, Wochen, manchmal Monate, rund um die Uhr. Sie registrieren, wann diese das Haus verlassen, wohin sie gehen, mit wem sie sich treffen. So entsteht eine einseitige, aber geradezu intime soziale Beziehung. Und wenn sie die Hellfires abgefeuert haben, sehen sie aus ebenso großer Nähe, was diese anrichten: Tod und Zerstörung in einem Umkreis von mindestens fünfzehn Metern. Anders als Bomberpiloten, die nach einem Abwurf weiterfliegen und den Schrecken, den sie bringen, niemals zu Gesicht bekommen, bleibt das elektronische Auge nach dem Treffer weiterhin auf den Punkt gerichtet, an dem die Opfer vernichtet wurden.

Es ist diese Virtualität des Tele-Kriegs, es ist der geografische Abstand zwischen waffenbewehrtem Flugobjekt und Bedienungspersonal und damit verbunden die Diskrepanz zwischen der tödlichen Gewalt, denen die Opfer der Drohnenangriffe ausgesetzt sind, und der Sicherheit der Crews in ihren »Operation Rooms«, welche diese Form der Kriegführung anstößig erscheinen lässt. Kritik kommt nicht zuletzt von militärischer Seite: Der Drohnenkrieg sei ein „»tugendloser Krieg«,der weder Mut noch Heldentum erfordert“, zitiert ein Artikel im »New Yorker« den vormaligen British Air Chief Marshall Sir Brian Burridge.9 Ein 19-jähriger Drohnenpilot berichtet von seinem ersten Angriff, bei dem er Fahrer und Beifahrer eines mit einem Maschinengewehr bestückten Pickups tötete, die eine Patrouille amerikanischer Bodentruppen in Südafghanistan beschossen: „Du fühlst Dich schlecht. Du fühlst Dich nicht ebenbürtig. Ich sitze hier heil und unversehrt, und diese Kerls da unten sind mitten drin, und ich kann mehr Wirkung haben als sie das können. Es ist fast, also, mir komme mir nicht so vor, dass ich es verdiene, wohlbehalten zu sein.“ 10

Die Strategie des gezielten Tötens widerspricht dem soldatischen Ethos mit seiner Idee eines »gerechten Kampfs«. Das Verdikt der Feigheit impliziert auch eine sexuelle Depotenzierung. So hat die offizielle Bezeichnung für die ferngesteuerten Waffensysteme – Unmanned Combat Air Vehicles – einen die Männlichkeit anzweifelnden Doppelsinn: »Unmanned« bedeutet im Englischen nicht nur unbemannt, sondern auch entmannt.11

Militärische Disziplinierung, die Fabrikation gehorsamer Soldaten, muss beides wecken, die Bereitschaft zu töten und die zu sterben, und zu diesem Zwecke werden diejenigen, die zum einen wie zum anderen willens und in der Lage sind, zu Vorbildern erhoben und als Helden verehrt. Das Ethos des fairen Kampfes liefert dafür das normative Gerüst: Die Gefahr, selbst getötet zu werden, suspendiert das allgemeine Tötungsverbot. Nur weil der Gegner mir ans Leben will und kann, so das militärische Ethos, darf und muss ich ihm das seine nehmen. Mit der kriegerischen Wirklichkeit hatten die Beschwörungen militärischen Heldentums indes niemals viel zu tun. Das Letzte, was sich Soldaten auf dem Schlachtfeld wünschen, ist ein fairer Kampf.12 Sie wollen überleben, keine Verletzungen davon tragen, nicht in Gefangenschaft geraten, vielleicht Beute machen, sich rächen, ihre Gegner außer Gefecht setzen oder einfach nur töten, und sie werden deshalb alles tun, um auf jeden Fall zu den Stärkeren gehören. Die Geschichte militärischer Rüstung lässt sich als ein einziger Versuch lesen, die Symmetrie der Konfrontation durch technische Überlegenheit zu asymmetrisieren, was durch immer neue Resymmetrisierungsversuche konterkariert wird, die wiederum neue Asymmetrisierungsanstrengungen in Gang setzen und so weiter.13

Die Drohnenkriegführung treibt die Asymmetrie von Kampf und technischer Effizienz so weit ins Extrem, dass die eine Seite ganz verschwindet. Die Spielregeln wandeln sich radikal: „Das Paradigma ist nicht jenes von zwei Kämpfern, die einander gegenüberstehen, sondern ein anderes: ein Jäger, der seinen Vorstoß macht, und eine Beute, die flieht oder sich versteckt.“ 14 Der Krieg wird zur präventiven Menschenjagd: „Es geht weniger darum, spezifische Angriffe zu erwidern, als vielmehr die Entstehung neuer Bedrohungen durch die frühzeitige Ausschaltung ihrer potenziellen Agenten zu verhindern.“ 15 Drohnen machen keine Gefangenen, und sie erlauben keine Kapitulation.

Das Besondere der »Drohnisierung« des Krieges liegt nicht in der imperialen Machtüberlegenheit, sondern im offiziellen Übergang „von einer Ethik der Aufopferung und Tapferkeit zu einer Ethik der Selbsterhaltung und mehr oder weniger akzeptierten Feigheit“.16 Für die westliche Militärpolitik wird der Schutz des Lebens der eigenen Soldaten zum absoluten Imperativ. Schon eine begrenzte Anzahl von Gefallenen – gemeint sind selbstverständlich nur Tote auf der eigenen Seite – würde die öffentliche Zustimmung zu einem Kriegseinsatz gefährden, so die militärische Begründung für die Umwertung militärischer Werte. Smarte Technologie soll deshalb übernehmen, wofür bisher Kampfeswille und Opferbereitschaft mobilisiert werden mussten.

In der Geschichte des Krieges führten neue und besonders wirkmächtige Waffen häufig auch zur Heroisierung derjenigen, die sie trugen oder lenkten – man denke nur an die Fliegerhelden des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Für die Drohnenpiloten trifft das Gegenteil zu: Sie sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, unverbesserliche »Nerds« zu sein, die ihrer puerilen Leidenschaft für Computerspiele nachgehen und vom sicheren Sessel aus die Raketen schon deshalb ohne Skrupel abfeuern, da sie zwischen virtueller und realer Welt kaum mehr zu unterscheiden wüssten. Der »Gamifizierung« des Krieges entspreche eine Playstation-Mentalität der »chair-borne rangers«, die ihre prospektiven Opfer nur als bewegte Bilder auf den Monitoren sähen. Die US Air Force klagt über ein »drone stigma«, dem die Crews ausgesetzt seien, und hat Mühe ausreichend qualifiziertes Personal zu finden: „Die meisten Piloten haben keinen Spaß daran, von einer Kiste aus zu fliegen.“ 17

Die militärischen Instanzen betonen inzwischen die besonderen psychischen Belastungen, denen die Drohnen-Operatoren ausgesetzt sein sollen. Die permanente Sorge, versehentlich Unschuldige zu treffen, sowie das emotionale Wechselbad, in der Nachtschicht per Fernsteuerung verdächtige Terrorkämpfer zu töten und am nächsten Morgen die Kinder zur Schule zu bringen, stellen demnach außergewöhnliche Stressoren dar und erhöhen das Burnout-Risiko.

Bedeutet Postheroismus also die Delegation heldenhafter Tugenden an Maschinen, die möglicherweise bald auch auf die menschliche Fernsteuerung verzichten werden? Phantasmen einer Kriegführung ohne tötende Gewalt gleichermaßen als technisches Substitut wie als geradezu hegelianische Aufhebung militärischen Heldentums. Der „prometheischen Scham“, dem unhintergehbaren Inferioritätsgefühl der Menschen angesichts der Überlegenheit der von ihnen geschaffenen technischen Werkzeuge, das der Philosoph Günther Anders den Menschen des Atomzeitalters attestierte,18 korrespondiert die ehrfürchtige Bewunderung ebendieser Werkzeuge.

Helden erzeugen die Drohnen allerdings auf ganze andere Weise: Das ferngesteuerte »targeted killing« führt dem globalisierten Dschihadismus fortlaufend neue Kämpfer zu. Sie setzen der Risikoaversion westlicher Kriegführung die Unbedingtheit ihres Todeswillens entgegen und finden dafür begeisterte Anhänger. Der »suicide bomber« ist die feindliche Komplementärfigur des Drohnenpiloten: „Auf der einen Seite das vollkommene Engagement, auf der anderen die absolute Distanzierung.“ Während im Selbstmordattentat „der Körper des Kämpfers vollständig mit seiner Waffe verschmilzt, garantiert die Drohne die radikale Trennung der beiden“.19 Der postheroische Traum einer sauberen Kriegführung gebiert heroische Ungeheuer.

Die Diagnose des postheroischen Zeitalters bedeutet daher keinesfalls ein Ende heroischer Anrufungen. Solange politische oder religiöse Mächte auf die Bereitschaft zum Selbstopfer angewiesen sind und sie schüren, wird man Helden suchen und finden. Der Streit darüber, ob militärischer Heroismus antiquiert ist und wir in der Ära des Postheroismus angekommen sind, führt deshalb nicht weiter. Schon die Frage ist falsch gestellt. In Abwandlung des bekannten Buchtitels von Bruno Latour20 müsste man stattdessen konstatieren: Wir sind nie heroisch gewesen. Wir sollten es immer nur sein. Und viel zu oft wollten wir es auch.

Anmerkungen

1) John Sifton: A Brief History of Drones. The Nation, 27.2.2012.

2) Asawin Suebsaeng: Drones – Everything You Ever Wanted to Know But Were Always Afraid to Ask- Mother Jones, 5.3.2013.

3) Jane Mayer: The Predator War – What are the risks of the C.I.A.’s covert drone program? The New Yorker, 26.10.2009.

4) Daniel Klaidman (2012): Kill or Capture – The War on Terror and the Soul of the Obama Presidency. New York: Houghton Mifflin, S.41.

5) Vgl. Nils Markwardt: Drohnenkrieg – Überwachen und vernichten. DIE ZEIT, 27.10.2014.

6) Jo Becker and Scott Shane: Secret »Kill List« Proves a Test of Obama’s Principles and Will. New York Times, 29.5.2012.

7) Das Bureau of Investigative Journalism in London dokumentiert die Zahl der Toten und Verletzten seit 2004. thebureauinvestigates.com/category/projects/drones/drones-graphs/; Stand 2. Mai 2015.

8) Peter M. Asaro: The labor of surveillance and bureaucratized killing – new subjectivities of military drone operators. Social Semiotics. 23.2.2013, S.196-224.

9) Jane Mayer, op.cit.

10) Mark Bowden: The Killing Machines – How to Think About Drones. The Atlantic, Sept. 2013.

11) Vgl. Grégoire Chamayou (2014): Ferngesteuerte Gewalt – Eine Theorie der Drohne. Wien: Passagen Verlag, S.110. Die folgenden Ausführungen verdanken Chamayous Buch zahlreiche Anregungen.

12) Mark Bowden, op.cit..

13) Vgl. Herfried Münkler (2006): Der Wandel des Krieges – Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Weilerswist: Velbrück.

14) Grégoir Chamayou, op.cit, S.44.

15) Ebenda, S.46.

16) Ebenda, S.112.

17) Lee Ferran: Drone »Stigma« Means »Less Skilled« Pilots at Controls of Deadly Robots. ABC News, 29.4.2014.

18) Günther Anders (1983): Über prometheische Scham. In: ders., Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: C.H. Beck, S.21-95.

19) Brégoir Chamayou, op.cit., S.95-96.

20) Bruno Latour (1998): Wir sind nie modern gewesen – Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt a. M.: Fischer TB.

Ulrich Bröckling ist Professor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Soziologie der Sozial- und Selbsttechnologien, Gouvernementalitätsanalysen und die Soziologie des Krieges und des Militärs.
Dieser Artikel erschien in FifF Kommunikation 4-2015, eine erweiterte Fassungen des Beitrags in: Achim Aurnhammer und Ulrich Bröckling (Hrsg.) (2016): Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Würzburg: Ergon Verlag. Übersetzung der englischsprachigen Zitate durch R.H.. W&F dankt für die Nachdruckrechte.

Bundeswehr im Innern

Bundeswehr im Innern

von Jürgen Nieth

„Charakter und Dynamik gegenwärtiger und zukünftiger sicherheitspolitischer Bedrohungen machen […] Weiterentwicklungen erforderlich, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen“, heißt es im Entwurf für das »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« (zitiert nach süddeutsche-online, 12.4.16).

Im Klartext: Es geht um einen erweiterten Einsatz der Bundeswehr in Deutschland selbst. Ein Thema, das CDU/CSU seit Jahren am Herzen liegt und das jetzt offensichtlich ohne Konsultation des Regierungspartners SPD nachträglich in den Entwurf des »Weißbuchs« eingefügt wurde: „Im Auswärtigen Amt erzeugte dieser Satz auch deswegen abwehrendes Staunen, weil er in der Rohfassung des Weißbuch-Entwurfs, den von der Leyen eine Woche vor Ostern an Steinmeier weitergab, noch nicht enthalten war.“ (Johannes Leithäuser und Majid Sattar in FAZ, 13.4.16, S.2)

Die Verärgerung auf SPD-Seite ist offensichtlich: „Weißbuch hin oder her – eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern wird es mit der SPD nicht geben“, so der Außenminister (zitiert nach Spiegel-Online, 12.4.16). „Ähnlich äußern sich Genossen aus beiden Parteiflügeln.“ (Tobias Schulze in taz, 14.4.16, S.6) Als Fazit zieht ein AutorInnenteam der WELT: „Von der Leyen hat mit ihrer Taktik das Klima für die Schlussverhandlungen über das Weißbuch vergiftet.“ (13.4.16, S.5)

Terrorabwehr als Vorwand

Die Bundeswehr könne „im Fall eines Terroranschlags in Deutschland eine wertvolle Unterstützung auch im Inneren sein, heißt es im Verteidigungsministerium“, schreibt die Hannoversche Allgemeine (12.4.16, S.2). Und die FAZ schildert als CDU-Position: „[…] falls es in Deutschland einmal zu einer ähnlichen Serie von Terrorakten komme wie jüngst in Paris, dann würden Polizeikräfte die Hilfe der Bundeswehr benötigen.“ (FAZ, 13.4.16, S.2) Genau dafür ist sie aber nach Meinung mehrerer Kommentatoren nicht geeignet. Die BZ (14.4.16, S.8) titelt ihre Zusammenfassung: „Kein Ersatz für die Polizei.“ Im Kommentar des neuen deutschland (13.4.16, S.4) heißt es: „Nach den Anschlägen von Paris im Januar 2015 wurden dort Tausende Soldaten mobilisiert, um Menschen vor Attacken durch Islamisten zu schützen. Vollständige Sicherheit konnten aber auch sie nicht bieten, wie die erneuten tödlichen Anschläge auf Zivilisten gezeigt haben.“ Lorenz von Stackelberg schreibt im Münchner Merkur (13.4.16): „Auf einem anderen Blatt steht allerdings die Effektivität von Militäreinsätzen im Inneren, wenn es um Terror geht. Islamistische Attentäter mögen sich als eine Art von Soldaten sehen, sie agieren aber wie Schwerkriminelle. Für deren Bekämpfung ist die Polizei mit ihren Spezialkommandos und Sondereinheiten gerüstet – besser als jene Soldaten, die […] wenig mehr als Objektschutz leisten könnten.“ Und für Joachim Käppner (SZ, 13.4.16, S.4) hat sich auch bei den Auslandseinsätzen gezeigt, „dass Soldaten schnell überfordert sind, wenn sie die Ersatzpolizei geben müssen, wie bei den März-Unruhen im Kosovo 2003“.

Für Daniela Vates ist Terrorbekämpfung der Vorwand. „Tatsächlich handelt es sich um etwas anderes: um die Suggestion von Sicherheit zum Preis der Militarisierung des Alltags […] Es wäre eine Ausweitung der Kampfzone. Umso eindrucksvoller ist dies, als das Verteidigungsministerium den Schritt gerne flankieren würde durch eine Lockerung der Bedingungen für Auslandseinsätze und durch einen Verzicht auf die Obergrenze für die Truppenzahl.“ (BZ, 13.4.16, S.8)

Dauerthema der Union

Die Union versucht seit Jahrzehnten, die Fesseln zu lösen, die die Verfassung dem Militäreinsatz jenseits der Katastrophenhilfe anlegt.“ (Tagesspiegel, 13.4.16, S.4) Und für den Fall, dass sie die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht bekommt, droht sie, „ihre Forderung im Falle eines Wahlsieges bei der Bundestagswahl 2017 in Koalitionsverhandlungen ein[zu]bringen“ (BZ, 12.4.16, S.4).

Dass die „völlig überflüssige Debatte über Bundeswehreinsätze im Innern hierzulande fortgesetzt [wird]. Das liegt auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter sprachen diesbezüglich vor rund vier Jahren von Ausnahmefällen als letztes Mittel. Sie ließen somit Raum für Interpretationen. Dabei wäre es im Sinne des Grundgesetzes gewesen, der Militarisierung der Innenpolitik einen Riegel vorzuschieben. Allein aus der deutschen Geschichte lassen sich hierfür viele gute Gründe ableiten“, schreibt Aert von Riel (ND, 13.4.16, S.4).

Die Geschichte beschäftigt auch Joachim Käppner (SZ, 13.4.16, S.4): „Deutschland hat eine lange Tradition des Einsatzes von Militär im Inland. Leider ist dies eine Tradition, auf die man gerne verzichten würde: Soldaten schossen 1848/49 die freiheitliche Revolution zusammen; von den Soldaten verlangte Kaiser Wilhelm II, auf ihre eigenen Familien zu schießen; Soldaten putschten 1920 gegen die demokratische Reichsregierung, während die Führung der Reichswehr sich weigerte einzuschreiten, denn »Truppe schießt nicht auf Truppe«. Weite Teile der Zivilgesellschaft galten den Generälen als innerer Feind, dem wahren Feind warfen sie sich dann 1933 an den Hals. Das ist der Hintergrund, vor dem das Grundgesetz den Einsatz von Streitkräften im Inneren untersagt, mit eng begrenzten Ausnahmen wie Katastrophen oder anderen Notfällen.“

Blick in die Zukunft

Lassen Sie uns vom Schlimmsten ausgehen: In Deutschland wird eine Partei mit diktatorischen Tendenzen an die Regierung gewählt, beispielsweise rechtsnational. Sie könnte, wäre die Verfassung bereits geändert, die Soldaten auf die Straße schicken, weil irgendwas ja immer droht oder bedroht. Man kann argumentieren, dass sich anti-demokratische militaristische Kräfte von einer Verfassung nicht aufhalten lassen würden. Aber allzu leicht sollte man es ihnen nicht machen.“ (Daniela Vates in BZ, 13.4.16, S.8)

Zitierte Tageszeitungen: Berliner Zeitung (BZ), DIE WELT, Frankfurter Allgemeine (FAZ), Hannoversche Allgemeine, Münchner Merkur, neues deutschland (ND), Süddeutsche Zeitung (SZ), Der Tagespiegel, tageszeitung (taz).

Mehr Verantwortung? Ja, bitte!

Mehr Verantwortung? Ja, bitte!

von Paul Schäfer

Vorstand und Redaktion von W&F waren bei der Jahresplanung 2015 relativ schnell einig: „Wir müssen was zur deutschen Rolle in der heutigen Welt machen.“ Ausgangspunkt der Diskussion waren die programmatisch anmutenden Reden dreier deutscher PolitikerInnen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, in denen das veränderte Gewicht Deutschlands in Europa und der Welt beschworen und daraus ein »Mehr an Verantwortung« abgeleitet wurde.

Bei der Vorbereitung des vorliegenden Heftes sind wir aber rasch darauf gestoßen, dass eine solide Einschätzung der Rolle Deutschlands schwieriger ist als gedacht. Weil die Reden der Konferenz doch nur eine Momentaufnahme darstellen, weil eine Reihe von Ereignissen – Ukrainekrise, Islamisches Kalifat in Nahost, Flüchtlingsdrama – einschneidende Prozesse in Gang gesetzt hat, die nicht so einfach zu erfassen sind, und weil die Bundesregierung diesbezüglich durchaus widersprüchliche Signale aussendet. Wir haben uns daher vorgenommen, eher eine Annäherung an das Thema zu versuchen. Am Anfang des Schwerpunktthemas stehen daher pointierte und kontroverse Statements zu der Frage, ob »München« eher für eine Zäsur oder doch eher für ein Kontinuum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik steht. Die Folgebeiträge brechen diese Frage, direkt oder indirekt, herunter auf sicherheits- und militärpolitische Entwicklungen der jüngsten Zeit. Diese wiederum stehen in engem Zusammenhang mit dem wieder aufgebrochenen großen Konflikt zwischen den NATO- und den EU-Mitgliedsstaaten auf der einen Seite und Russland auf der anderen sowie mit den immer weiter eskalierten Gewaltszenarien vor allem in Nahost. Es ergeben sich einzelne Mosaik-Teile, ein fertiges Bild fügt sich daraus (noch) nicht zusammen. Aber vielleicht liegen die Widersprüche in der Sache selbst?

Kein Zweifel: Deutschland hat vor allem innerhalb der EU erheblich an Gewicht gewonnen. Dies ist offenkundig mit der gestärkten Position Deutschlands nach der Weltfinanzkrise 2007/8 verknüpft. Die Ultimaten setzende Politik der Bundesregierung in den »Verhandlungen« über die Schuldenkrise Griechenlands ist ein Beispiel dafür. „In Europa wird wieder deutsch gesprochen“, hieß es da. Die Regierung nutzt das stärkere ökonomische Gewicht, um bilateral wie in internationalen Gremien Einfluss zu nehmen. Aber welchem Kompass folgt sie dabei? Sie will weiter an der globalen Durchsetzung der neoliberal geprägten Weltwirtschaftsordnung arbeiten; sie möchte im deutschen Interesse die EU als Faktor in diesem globalen Wettbewerb stärken. Zugleich ist die Regierung mit den vehementen Folgen dieser »Weltordnung« konfrontiert – den „Schattenseiten der Globalisierung“, von denen inzwischen selbst die Kanzlerin spricht. Eine Konsequenz: Man müsse sich stärker in internationales Krisenmanagement einbringen. Aber wie? Und in welchem Verhältnis soll diese Krisendiplomatie mit dem auf der Münchner Konferenz unüberhörbar geforderten intensiveren militärischen »Engagement« stehen?

Im Osten hat man mit rücksichtsloser Markterweiterungspolitik einen geopolitischen Wettlauf mit Russland ausgelöst, dadurch in der Ukraine Gewaltprozesse befördert, und schickt sich dann an, Feuerwehr zu spielen. »Friedensdiplomatie« wird mit Säbelrasseln und Sanktionen garniert. Wohin soll das führen?

Noch irritierender die Eindrücke in der Flüchtlingsfrage. Deutschland hat sich mit der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge positiv profiliert, avanciert fast schon zum gelobten Land. Aber werden daraus endlich Konsequenzen gezogen? Neben der »Willkommenskultur« erleben wir gleichzeitig, dass die Bundeswehr zur Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer aktiv werden soll. Und was gedenken die Bundesregierung und die EU zu tun, um sich endlich den Fluchtursachen zuzuwenden? Bis dato hat man sich überwiegend im Windschatten der USA bewegt und ist damit mitverantwortlich für das, „was westliche Politik im Orient anrichtet“ (Michael Lüders). Wird es hier, unter dem Druck der Ereignisse, ein Umdenken geben?

Für eine „vorausschauende Politik“ möchte der Bundesaußenminister sein Haus besser wappnen. Doch dazu gehört entschieden mehr als eine neue Abteilung für Krisenprävention am Werderschen Markt. Es geht um Grundkonzepte: Vereinte Nationen oder Mächtekoalitionen? Gerechtigkeit global oder Behauptung der eigenen Privilegien? Vorrang für zivil oder Fortsetzung militärisch gestützter Interessenpolitik? Werden die immer wieder proklamierten Wertemaßstäbe endlich auch auf das eigene Handeln angewandt?

Sollte Deutschland in dieser laut Außenminister »aus den Fugen geratenden Welt« mehr internationale Verantwortung übernehmen? Ja! Wie wäre es, wenn Deutschland bei der Umsetzung der neuen UN-Nachhaltigkeitsziele voranginge? Wenn die Bundesrepublik grundsätzlich auf Rüstungsexporte verzichten würde? Wenn sich unser Land ein besonderes internationales Profil erarbeitete, das auf Friedensdiplomatie und ziviler Konfliktbearbeitung beruht?

Ihr Paul Schäfer

Das Exempel Österreich

Das Exempel Österreich

Das Missverhältnis von zivil und militärisch

von Thomas Roithner

Österreichische Sicherheitspolitik im Allgemeinen und Österreichs Neutralität im Besonderen sind in Deutschland oftmals unverstandene Mysterien – und Österreich trägt dazu ein gerüttelt Maß bei. Seit dem Beitritt zur Europäischen Union (damals noch »Gemeinschaft«) 1995 haben sämtliche österreichischen Regierungen, egal welcher Konstellation, die Neutralität und die Neutralitätspolitik des Landes relativiert. Die Österreichische Sicherheitsstrategie (ÖSS) von 2013, die österreichischen Beiträge zur Auslandseinsatzpolitik der Europäischen Union und der Umgang mit der Volksbefragung zum Wehrsystem Österreichs sind nur drei Beispiele, die sich im Spektrum zwischen politischer Selbstbeschädigung, Unglaubwürdigkeit, unnötiger Militarisierung und zarter Hoffnung bewegen. „Wird in Österreich ein Verfassungsbruch begangen, so gähnt die Bevölkerung“, meinte schon der Schriftsteller Karl Kraus.

Der Wiener Politikwissenschafter Helmut Kramer (2010, S.6) kritisiert, Österreich habe sich „völlig an den EU-Mainstream angepasst und es unterlassen, gemeinsam mit den anderen neutralen und paktungebundenen EU-Ländern Initiativen zu setzen“. Statt international ist Österreich nach Kramer lediglich „hinternational“. Höflich formuliert ist es eine Trägheit im Denken, wenn in Österreich reflexartig versucht wird, Außenpolitik mit militärischen Instrumenten und militärischer Logik zu betreiben.

Die Österreichische Sicherheitsstrategie von 2013

Auch wenn konventionelle Angriffe gegen Österreich gemäß der im Juli 2013 verabschiedeten ÖSS als unwahrscheinlich gelten, werden dem Österreichischen Bundesheer doch zahlreiche Aufgaben zugewiesen (BKA 2013). Die ÖSS zeigt, wie die österreichische Regierung klammheimlich versucht, völlig unterschiedliche globale »Herausforderungen« zu versicherheitlichen. Aufgelistet werden diesbezüglich u.a. internationaler Terrorismus, Bedrohung strategischer Infrastrukturen, Angriffe auf die Sicherheit von IT-Systemen, natürliche und von Menschen verursachte Katastrophen, grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, Drogenhandel, illegale Migration, Knappheit von Ressourcen, Klimawandel, Umweltschäden, Pandemien… Die benannten Herausforderungen werden dabei weder hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit oder Auswirkungen auf Österreich noch hinsichtlich der Folgen für Auslandseinsätze gewichtet oder präzisiert. Außerdem verfügt das Bundesheer wohl nicht über geeignete Ressourcen und Strategien für die in der ÖSS genannten »Risiken und Bedrohungen«, z.B. den Klimawandel oder Rohstoffknappheit. Auch der Schutz kritischer Infrastrukturen in Österreich wäre, sofern man nicht zwanghaft neue Aufgaben für die Armee sucht, eigentlich die Aufgabe einer entsprechend ausgestatteten Polizei. Ursachenorientierte Ansätze und die zivile Krisenprävention bleiben in der ÖSS genauso wie im aktuellen österreichischen Regierungsprogramm unkonkret oder werden einer internationalen Ebene zugewiesen.

Die jüngsten Versuche von Außenminister Kurz (ÖVP), Wien als Verhandlungs- und Konferenzort für Abrüstung zu positionieren, sind hingegen ein schützenswertes Pflänzchen. Bei der Amtssitzpolitik (BKA 2013, S.12) baut man u.a. auf die in Wien ansässige Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), auf die Organisation für den umfassenden nuklearen Teststopp (CTBTO) oder das Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation (VCDNP) als Elemente der Rüstungskontrolle. Die internationale Konferenz über die humanitäre Dimension von Kernwaffen im Dezember 2014 oder die gerade erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen um das iranische Nuklearprogramm bringen Wien bei diesen Fragen internationale Anerkennung.

Österreichischer Beitrag zur Auslandseinsatzpolitik der EU

Die Europäische Union verweist mit heutigem Stand seit 2003 auf 33 abgeschlossene und laufende Auslandseinsätze (EEAS 2015). Zehn Einsätze haben einen militärischen Charakter, 22 gelten als zivil, und ein Einsatz wies einen Mischcharakter auf (Sudan/Darfur). Bei genauem Hinsehen wurden aber lediglich knapp 25% des entsandten Personals im zivilen Bereich eingesetzt, und da sind lokal angeheuerte Kräfte bereits mit eingerechnet. Überdies haben zehn der zivilen Einsätze nur 50 oder noch weniger Personen vor Ort. Knapp über drei Viertel der Entsandten sind aber Militärs.

Ein Verweis auf zumindest zwei Taschenspielertricks sei hier gestattet: Nicht selten sind die eingesetzten »ZivilistInnen« unbewaffnete Militärs. Es kann – Ausnahmen bestätigen die Regel – einen wesentlichen Einfluss auf die Denkweise zur Lösung von Konflikten haben, ob unbewaffnete Militärs oder punktgenau ausgebildete zivile ExpertInnen eine Mission durchführen. Der zweite Trick ist, dass die EU PolizistInnen als ZivilistInnen einstuft. Die Vereinten Nationen verwenden bei ihren Missionen dafür ehrlicherweise eine eigene Kategorie.

Das Österreichische Bundesheer hatte Anfang März 2015 genau 1.131 SoldatInnen im Auslandseinsatz (BMLVS 2015), die meisten davon bei der KFOR im Kosovo mit 517 und bei EUFOR ALTHEA in Bosnien mit 379 Personen. Gemäß dem aktuellen Regierungsprogramm strebt Österreich an, dauerhaft mindestens 1.100 SoldatInnen für Auslandseinsätze bereitzustellen.

Die ÖSS sieht Einsätze in Südost- und Osteuropa sowie im Nahen Osten als prioritär an. „Vom Balkan in den Donauraum und die Schwarzmeerregion oder vom Golan in weitere Bereiche des Nahen und Mittleren Ostens oder ins nördliche Afrika“ wird das Engagement Österreichs „abhängig von internationalen Entwicklungen […] anzupassen und gegebenenfalls zu erweitern“ sein (BKA 2013, S.16). In Österreich bezeichnet man diese Art von Verbindlichkeit mit dem Wort »situationselastisch«.

Unabhängig davon, ob man Österreichs Neutralität als zukunftsfähig oder veraltet beurteilt oder ob die Auslandseinsatzpolitik der EU im Allgemeinen als sinnvoller Beitrag zum globalen Frieden betrachtet wird, ergeben die Beitragsleistungen Österreichs im Rahmen der EU ein wenig schmeichelhaftes Bild.

Die parlamentarische Anfrage »Anzahl der eingesetzten österreichischen ZivilistInnen in EU-Auslandseinsätzen« der Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill (Zl. 3206/J-NR/2014 vom 28. November 2014) legte eine unschöne Facette der Beteiligung Österreichs offen: von der Stärkung der angeblichen »Zivilmacht EU« kann kaum gesprochen werden und schon gar nicht vom zivilen Vorreiter Österreich. Die Anfragebeantwortung von Außenminister Kurz (BMEIA 2015) ergab folgendes Ergebnis: Zu den 32 Auslandseinsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU (die Ukraine ist dabei nicht mitberücksichtigt) entsandte Österreich 604 Militärs, 53 PolizistInnen, acht Personen aus dem Justizbereich (vier Richter, vier Justizwachbeamte) und sechs sonstige Personen (ExpertInnen für Menschenrechte und Gender, politischer Berater, Zollbeamtin, Kabinettschef). Von den insgesamt 671 von Österreich eingesetzten Personen entfallen auf den »zivilen« Bereich also 67, das sind 9,99%. Werden die PolizistInnen herausgerechnet, beträgt der Anteil sogar nur 2,09%.

Österreich suggeriert zwar das Gegenteil, unterbietet den EU-Wert von 25% zivilem Personal aber erheblich und stärkt so die Militärmacht EU, anstatt sich für einen zivilen Paradigmenwechsel zu engagieren, z.B. durch eine spürbare Erhöhung des Budgets für Entwicklungshilfe.

In der ÖSS wird argumentiert, moderne Sicherheitspolitik sei ein „Querschnittsthema, das in beinahe allen Lebens- und Politikbereichen mitgedacht werden“, müsse. Ähnlich begründet die EU ihren „kohärenten Ansatz“, der beim Gipfeltreffen des Europäischen Rates im Dezember 2013 im Zentrum stand. Die von der EU bereitgestellten Instrumente zur Weiterentwicklung der GSVP, wie die Ausweisung eines »Kerneuropas« oder die Verteidigungsagentur, ermuntern die Mitgliedstaaten, sich auf das Militärische zu konzentrieren. Dabei fiel selbst dem Europaparlament das Ungleichgewicht zwischen zivilen und militärischen Kapazitäten auf. So kritisierte das Gremium bereits vor etlichen Jahren, „dass – wegen der Tatsache, dass der Schwerpunkt hauptsächlich auf die militärische Dimension der ESVP gelegt wird – im Bereich der zivilen Fähigkeiten und der Konfliktverhütung Fortschritte viel zu langsam erreicht werden“ (EP 2009, Punkt 43).

Das hat Konsequenzen, für Europa wie für Österreich. Bereits vor mehr als zehn Jahren verwies die österreichische Bundesheerreformkommission in ihrem Bericht »Bundesheer 2010« auf die möglichen Folgen verstärkter Auslandseinsätze: „Mit der Übernahme von Führungsverantwortung in internationalen Krisenreaktionseinsätzen durch die EU […] könnte sich für Europa überdies ein höherer Grad an subkonventioneller Gefährdung ergeben, von der sowohl EU-Territorium als auch die zur Krisenreaktion eingesetzten Kräfte betroffen wären. […] Zudem könnte sich die Motivlage für terroristische Anschläge im Falle einer Beteiligung Österreichs an Krisenreaktionsoperationen der EU verändern.“ (BHRK 2004)

Volksbefragung 2013 zum Wehrsystem

Der Zickzackkurs der österreichischen Regierungsparteien vor der Volksbefragung über das Wehrsystem im Jahr 2013 war ein weiteres beeindruckendes Lehrstück österreichischer Sicherheitspolitik und wirkt bis heute nach.

Auslöser der Debatte war 2010 ein wahlkampftaktischer Vorstoß des Wiener SPÖ-Bürgermeisters Michael Häupl für ein Berufsheer gewesen. Seine Forderung verkündete er via »Kronen Zeitung« und nötigte somit Teile seiner Partei zu einem unglaubwürdigen Schwenk ihrer Position, die sie seit dem Zweiten Weltkrieg vertreten hatte. Um sich von der SPÖ abzusetzen, fühlte sich die ebenfalls in Regierungsverantwortung befindliche ÖVP zur Unterstützung des von ihr bislang verachteten Zivildienstes genötigt. Die Aufrechterhaltung des Zivildienstes wurde somit zum zentralen Argument für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht befördert. Als zweites, genauso wenig sicherheitspolitisch motiviertes Argument für die Wehrpflicht fand die ÖVP die Bewältigung von Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen und Schneeeinbrüche.

Auf dieser Basis fand 2013 die Volksbefragung statt, und am Ende wurde über Hochwasserhilfe, Schneeschaufeln und ein zivildienst-basiertes Gesundheitssystem abgestimmt. Die Kernfrage – wozu überhaupt ein Bundesheer? – wurde in der öffentlichen Debatte kaum gestellt. Die Sozialdemokraten verloren die Abstimmung, und nun muss ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister den von der SPÖ doch gerade erst abgelehnten Wehrdienst »attraktivieren« – situationselastisch eben. Budgetzwänge und der Mangel an sinnvollen Aufgaben lassen aber weder ein Berufsheer noch die Aufrechterhaltung des Wehrdienstes als zukunftsfähig erscheinen.

Ein Vorschlag für den Rückbau des Bundesheeres

Anstatt sich solche Kapriolen zu leisten, müsste Österreich nicht zuletzt als Sitz zahlreicher internationaler Organisationen, wie Vereinte Nationen, OSZE oder OPEC, ein nationales und strategisches Interesse am Multilateralismus und an der Stärkung des Rechts (statt am Recht des Stärkeren) haben. Seit etwa zwei Dekaden werten aber sämtliche Regierungen das Völkerrecht und die österreichische Neutralität immer weiter ab. Der Streit der damaligen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP um einen NATO-Beitritt Österreichs mündete nach der Milleniumswende in eine De-facto-Auflösung des Rechtsinstituts der Neutralität und der Neutralitätspolitik im Kontext der EU. Umso unglaubwürdiger sind die aktuellen Vorschläge zu einem Neutralitätsstatus der Ukraine von Seiten der Regierungsparteien.

Die österreichische Außenpolitik endet zwar entgegen einer verbreiteten Annahme nicht an den Außengrenzen der EU, nutzt die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen neutralen und paktungebundenen EU-Staaten aber dennoch nicht. Mit Schweden, Finnland, Irland und Malta könnten bei dem zivilen Krisenmanagement und der zivilen Krisenprävention gemeinsame Interessen gefestigt und Synergien verstärkt werden. Und dies betrifft keineswegs nur die staatliche Kooperation. Auch die vielen nichtstaatlichen Potenziale aus Forschung und Praxis könnten im außenpolitischen Gesamtbild deutlich mehr Berücksichtigung finden.

Wie könnte ein Rückbau des Bundesheeres aussehen, wenn die Politik der zivilen Konfliktprävention, dem Völkerrecht und dem zivilen Krisenmanagement Vorrang geben würde? Im Sinne der integrierten Sicherheit, der „Arbeitsteilung unter den involvierten staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren“ (BKA 2013, S.4), sei hier als Vorschlag ein weniger staatszentrierter Ansatz für Österreich angedeutet:

Österreich stellt den Vereinten Nationen 2.000 Personen permanent zur Verfügung, die exzellent ausgebildet und von den Vereinten Nationen auf Basis eines humanitären und strikt defensiven Mandats eingesetzt werden. Wichtig ist dabei, dass sich Österreich – gemeinsam mit anderen neutralen Staaten, möglicherweise in einem »zivilen Kerneuropa« – parallel aktiv für eine UN-Reform in Richtung ziviler Krisenprävention und für globale Abrüstung einsetzt. Der Rest des Bundesheeres, von der in Österreich viel debattierten Militärmusik bis zum Eurofighter (der »never ending story«) und den Panzern, verliert seine Aufgabe.

Mit einem solchen Schnitt könnte Österreich seine reichhaltige Tradition aktiver Neutralitätspolitik weiterentwickeln und für die dringliche Neuausrichtung der EU-Außen- und Sicherheitspolitik eine Vorreiterfunktion einnehmen. Gegen nationale und internationale Naturkatastrophen, heute eine zentrale Zuständigkeit des Bundesheeres, muss sich niemand bewaffnen – zivile Einrichtungen haben sich diesbezüglich ohnehin eine enorme Glaubwürdigkeit erarbeitet. Ein österreichisches Mitmitschen an Rohstoffkriegen und EU-Interventionismus würde auf diesem Weg strukturell denkunmöglich gemacht.

Literatur

Bundesheerreformkommission (2004): Bericht »Bundesheer 2010«. Wien.

Bundeskanzleramt Österreich (BKA) (Hrsg.) (2013): Österreichische Sicherheitsstrategie. Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten. Wien.

Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA), Bundesminister Sebastian Kurz (2015): Anfragebeantwortung der parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Tanja Windbüchler-Souschill vom 28.11.2014. Dokument 3055/AB zu 3206/J vom 28.1.2015.. Vgl. dazu Thomas Roithner (2015): »Zivil«-Macht EU – »Militär«-Macht Österreich? Neue Zürcher Zeitung, 28.1.2015.

Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (BMLVS) (2015): Auslandseinsätze des Bundesheeres.

Helmut Kramer (2010): Österreich ist »hinternational«. Zur Stagnation und Krise der österreichischen Außenpolitik. International. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. I/2010, S.4-8.

Europäisches Parlament (2009): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009 zu der Europäischen Sicherheitsstrategie und die ESVP (2008/2202(INI)); angenommen am 19. Februar 2009.

European Union External Action Service (EEAS) (2015): Ongoing/Completed Missions and Operations. Brüssel, Stand 12.3.2015.

Council of the European Union (2009): European security and defense policy – the civilian aspects of crisis management. Updates in August 2009, civ/03, Factsheet. Brussels.

Mag. Dr. Thomas Roithner ist Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Friedensforscher und Journalist; thomasroithner.at.

Politik der Ertüchtigung

Politik der Ertüchtigung

Hilfe zur (militärischen) Selbsthilfe?

von Thomas Mickan

In den letzten Jahren wird zur Rechtfertigung von Interventionen immer häufiger auf das Konzept der »Schutzverantwortung« verwiesen. Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit einem in der kritischen Auseinandersetzung häufig übergangenen Bestandteil dieser Schutzverantwortung: dem Aufbau militärischer Strukturen, der durch Deutschland und andere Ländern immer stärker betriebenen wird, insbesondere in Afrika und den dortigen Regionalorganisationen.1

Die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) ist im wissenschaftlichen, aber vor allem im politischen Mainstream angekommen. So griff etwa der Koalitionsvertrag der CDU/SPD vom Herbst 2013 als auch Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Forderung nach Übernahme von mehr internationaler Verantwortung das R2P-Konzept auf. Zusätzlich wird die Debatte um die R2P mittlerweile so intensiv geführt, dass sich die Argumente der Befürwortenden und der Ablehnenden verfestigt haben. Erstere stellen die neue Qualität heraus, mit der nun auf Massenverbrechen reagiert werden könne und müsse; Letztere unterstreichen die Missbrauchsgefahr – wie etwa in Libyen – und die damit einhergehenden Legitimationsversuche für militärische Interventionen.2 Den Kritiker_innen wird dabei vorgeworfen, sie würden die Interventionsmöglichkeiten und deren Missbrauch überbetonen und dafür die Prävention, deren Erfolge leider nur schwer zu belegen seien, ausblenden.3 Diesen Vorbehalten wird wiederum mit zahlreichen Argumenten begegnet: dass etwa mit R2P der Souveränitätsverfall und somit das Schutzrecht schwacher Staaten aufgelöst werde,4 dass sich kolonial-paternalistische Vorstellungen als Recht zur Bestrafung manifestierten5 oder dass die R2P auf moralinsauren Argumenten basiere, die politische Lösungsoptionen verunmöglichten und anderswo benötigte Ressourcen binde, ohne Nutzen zu bringen.6

Wenig Aufmerksamkeit schenken dabei in der Regel beide Seiten der zweiten Säule zur Umsetzung der Schutzverantwortung, »Internationaler Beistand und Kapazitätsaufbau«. Weil gerade die Ertüchtigung, legitimiert über die R2P, aber zunehmend an Bedeutung gewinnt, setzt sich dieser Artikel kritisch mit diesem Aspekt des Gesamtkonzeptes auseinander.

Zuerst soll hierfür auf die USA geblickt werden, in denen Ertüchtigung eine lange politische Tradition besitzt und die damit eine Art Vorbildfunktion einnehmen, wobei sich die Begründungszusammenhänge für eine globale Aufrüstung immer wieder ändern. Danach soll auf die Entwicklung rund um Ertüchtigung bei den Vereinten Nationen (UN), schließlich auch auf den deutschen (vermittelt auch über den europäischen) Trend zur militärischen Ertüchtigung eingegangen werden.7 Besonders drastisch zeigt sich die Politik der Ertüchtigung bei den afrikanischen Regionalorganisationen, diese werden daher in den folgenden Ausführungen als Beispiele herangezogen.

Ertüchtigung durch die USA

Weltweite militärische und polizeiliche Ertüchtigung durch die USA hat eine lange Tradition. Im Kalten Krieg wurde die Ertüchtigung in der Regel mit dem Kampf gegen kommunistische oder von kommunistischen Ländern unterstützte Gruppen begründet. Die geheime CIA-Operation Cyclone zur milliardenschweren Ertüchtigung der Mudschaheddin für ihren Kampf gegen die Sowjetarmee in Afghanistan ab 1979 ist eines der bestbelegten Beispiele für das Scheitern einer Ertüchtigungsstrategie. Ertüchtigt wurde auch Mitte der 1960iger Jahre in Ruanda, als dort die aufstrebende »Hutu Power«und im benachbarten Burundi die »Tutsi Power« polizeilich wie militärisch ausgerüstet wurden.8

Doch mit dem Ende des Kalten Krieges änderte sich die Bedrohungswahrnehmung, und neben der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurde eine weitere, positiv konnotierte Begründung gefunden, um die militärische wie polizeiliche Ertüchtigung zu rechtfertigen: Peacekeeping, besonders in Afrika und in Süd-/Osteuropa. Eines der wichtigsten diesbezüglichen Ausbildungsprogramme ist die Global Peace Operations Initiative (GPOI).9 In zwei Programmphasen von 2005 bis 2009 und 2010 bis 2014 bildeten die USA im Rahmen dieser Initiative nach eigenen Angaben weltweit 272.747 ausländische Militärangehörige aus 69 Ländern aus und förderten 52 Trainingscenter sowie die Hauptquartiere der Afrikanischen Union (AU), der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEEAC).10

GPOI wird von den USA als einer ihrer wichtigsten Beiträge bezeichnet, um der Schutzverantwortung für Zivilist_innen nachzukommen und die Vereinten Nationen sowie die genannten Regionalorganisationen bei dieser Aufgabe zu unterstützen. GPOI wird ab 2015 nahtlos fortgesetzt, wobei in der dritten Programmphase weitere 245.000 Soldat_innen ausgebildet werden sollen.11 Neben GPOI und mehreren bilateralen Ertüchtigungsvorhaben in Afrika (etwa in Mali oder dem Kongo) existieren zahlreiche weitere Militärprogramme der USA, die eine globale Ertüchtigung vorantreiben sollen, darunter die 2014 auf den Weg gebracht »A-Prep«-Initiative. Ähnlich wie die NATO soll mit A-Prep, der African Peacekeeping Rapid Response Partnership (APRRP) der USA, auch die AU eine schnelle Eingreiftruppe erhalten. Diese soll aus Teilen der Streitkräfte Äthiopiens, Ghanas, des Senegals, Tansanias, Ugandas und Ruandas gebildet werden. Die Kosten des fünfjährigen Programms belaufen sich auf rund 500 Mio. US$.12

Neben Peacekeeping, Terrorismusabwehr und Grenzkontrollen ist die Stärkung von Regionalorganisationen in Afrika ein stetiger Fixpunkt und Begründungszusammenhang dieser Programme. Dass über die Ertüchtigung auch Absatzmärkte für US-Rüstungsfirmen (etwa im teilprivatisierten Peacekeeping-Training oder als Türöffner für nationale Rüstungsdeals)13 geschaffen werden, wird dabei gern übersehen. Ertüchtigung ist in der US-Strategie aber vor allem ein Teil des angestrebten »leichten Fußabdrucks« zur Vermeidung hoher (eigener) finanzieller und personeller Kosten: „eine Kombination von geheimdienstlichen Aktivitäten, Drohneneinsätzen und Spezialoperationen mit der Ausbildung sowie Ausrüstung von Sicherheitsakteuren in Drittstaaten“.14

Ertüchtigung und die Vereinten Nationen

Jene Ertüchtigungspolitik der USA, aber auch Deutschlands und der EU, findet ihren Widerhall in UN-Konzepten und vice versa, namentlich der R2P sowie der Ende 2013 lancierten Initiative »Rights Up Front« ([Menschen-] Rechte voran).15 Wie bereits eingangs beschrieben, ist die militärische wie polizeiliche Ertüchtigung eine der Säulen bei der Umsetzung der R2P. Sie stellt wahrscheinlich die eigentliche Hauptneuerung der R2P dar, denn mit ihr wird – quasi von den Vereinten Nationen abgesegnet – eine weltweite Aufrüstungsdynamik legitimiert, die durchaus als vermeintliche „Responsibility to Arm“ 16 beschrieben werden kann. Besonders deutlich wird dies im jüngsten R2P-Umsetzungsbericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon.17 Mitgedacht werden bei der R2P immer auch militärische Kapazitäten, wenn gefordert wird, Staaten hätten ihre Strukturen so auszubauen, dass sie der R2P gerecht werden können, und sollten hierbei gegebenenfalls auch von externen Akteur_innen unterstützt werden.

Die Initiative »Rights Up Front« ist nun die neue Sau, die seit über einem Jahr durchs diskursive Dorf getrieben wird, obwohl sie auf den ersten Blick nichts substantiell Neues beinhaltet.18 Zweifellos ist die Idee, menschenrechtliche Standards verstärkt bei den Vereinten Nationen selbst und bei all ihren Aktivitäten zu berücksichtigen, wie es bei »Rights Up Front« gefordert wird, unterstützenswert. Die Gefahr der schwammig formulierten Ideen und Konzepte liegt jedoch darin, dass selbst ernannte »Norm-Entrepreneurs« sie jeweils im Sinne ihrer eigenen militärischen Interventionsstrategien interpretieren können und diese durch häufige Wiederholung schließlich wirkmächtig werden. Ban Ki-moon sieht etwa in »Rights Up Front« die Möglichkeit, Prävention und Intervention miteinander zu verbinden und die Mitgliedsstaaten insbesondere appellativ an ihre Schutzversprechungen zu binden.19 Als positives Beispiel für eine Umsetzung von »Rights Up Front« nennt er Aktivitäten der Europäische Union, die ihre Frühwarnsysteme für Konflikte verbessert habe, um früher und entschiedener „Beistand zu leisten“.

Ertüchtigung durch die EU und Deutschland

Aus dem französischen Programm »RECAMP« (Reinforcement of Africa’s Capacity to Maintain Peace) sind die zwei »Amani Africa«-Zyklen der EU zur Ertüchtigung der afrikanischen Regionalorganisationen hervorgegangen.20 Der erste Zyklus erstreckte sich von 2008 bis 2011; Höhepunkt dieser Phase war eine gemeinsame Übung in Addis Abeba im Jahr 2010. Im » Amani Africa II Cycle« von 2011-2015 sollen die African Standby Forces (ASF), also eine Interventionstruppe unter dem Kommando der Afrikanischen Union (AU) bzw. subregionaler AU-Strukturen, einsatzfähig gemacht werden.21 Im Frühjahr 2015 soll die afrikanische Interventionstruppe voll einsatzbereit sein; das Erreichen des Ziels wird im März 2015 bei einer gemeinsamen Übung in Harare überprüft.22 Über ihre mit Entwicklungshilfegeldern bestückte African Peace Facility (APF) finanziert die Europäische Union »Amani Africa« zum großen Teil und bestimmt auch die Agenda des Programms entscheidend mit. Dafür wurden seit 2004 über 1,1 Mrd. Euro aufgewendet,23 zwischen 2014-2016 sollen zusätzlich mindestens noch einmal 750 Mio. Euro aus dem 11. Europäischen Entwicklungsfond (EEF) dazukommen (gegebenenfalls mit konditionierten weiteren 150 Mio. Euro aus dem EEF).24 Für die ASF ist ein Kontingent von 25.000 schnell interventionsfähigen Soldat_innen die Zielgröße. Allein bei AMISOM, der African Union Mission in Somalia, die seit 2007 läuft, sollen bereits weit mehr als 3.000 afrikanische Soldat_innen gestorben sein.25 Eine Konsequenz der Ertüchtigung ist also auch ein hoher Blutzoll der Ertüchtigten.

Ungeachtet dessen hat die EU eine neue Ertüchtigungsinitiative auf den Weg gebracht, die »Enable and Enhance Initiative« (E2I). Genauer gesagt hat die deutsche Bundesregierung diesen Vorstoß unternommen, um weitere Ertüchtigung zu rechtfertigen und voranzutreiben.26 Die prominente deutsche Rolle ist kaum verwunderlich: Schon Ende 2011 wurde das gesamte Konzept (später als »Merkel-Doktrin« bezeichnet) in einer Rede der Bundeskanzlerin prominent beworben: „Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein – dies selbstverständlich nur nach klaren und weithin anerkannten Prinzipien.“ 27

Auch wenn es sich bei E2I bisher eher noch um „papierene Luftschlösser“ handelt, liegt das Ziel auf der Hand: „Explizit als eine kostengünstige, anforderungsarme Alternative zum gescheiterten Staatsaufbau konzipiert, stehen Ausstattungs- und Ausbildungsunterstützung im Vordergrund.“ 28 Außerdem zeigt sich bereits, dass Politiker_innen wie Angela Merkel sich zunehmend auf genau solche Konzepte wie E2I beziehen, um ihre Politik der Ertüchtigung, z.B. in Mali oder Somalia, zu rechtfertigen.29

In dasselbe Horn stoßen auch der letzte Umsetzungsbericht des deutschen Aktionsplans »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« sowie die »Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung«30, an einigen Stellen sogar der aktuelle Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung.31 E2I, aber auch das Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte (AH-P), soll über Ertüchtigungsmaßnahmen sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich insbesondere die afrikanischen Regionalorganisationen befähigen, selbst militärisch aktiv zu werden. In den »Afrikapolitischen Leitlinien« wird dabei für die zukünftige Politik kein Blatt vor dem Mund genommen: „Vorrangiges Ziel des sicherheitspolitischen Engagements Deutschlands ist die Stärkung afrikanischer Eigenverantwortung durch die Ertüchtigung afrikanischer Partner […].“ 32

Die Bundesregierung setzt damit – im Einklang mit der EU, den Vereinten Nationen und der NATO – den Trend zur Aufrüstung von Truppen in »Partnerländern« weiter fort. Ertüchtigung und Kapazitätsaufbau wurden zum Königsweg erkoren, um dem eigenen Anspruch nach Übernahme von mehr internationaler Verantwortung gerecht zu werden und vermeintliche Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Standen die militärischen Ausstattungs- und Ausbildungsmissionen Deutschlands bisher eher im Schatten der großen Bundeswehreinsätze und wurden (wie in Mali) verschleiert33 oder (wie in Ruanda zwischen 1976-1994) gar verheimlicht,34 ändert sich dies zunehmend.

Die Probleme einer Politik der Ertüchtigung sind evident: Auf längere Sicht wird sie nicht zur Verringerung von Gewalt beigetragen (und hat dies bislang auch nicht getan), vielmehr wird sie zukünftige Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Genozide fördern. Sie steht damit konträr zu den mit der R2P formulierten hehren Zielen. Die Hoffnung, dass die aktuellen Ertüchtigungsmissionen der Bundeswehr in Afghanistan und im Irak zu einem langfristigen Frieden beitragen, dürfte sich deswegen leider rasch zerschlagen, was erste Berichte über die Proliferation der in den Nordirak gelieferten Waffen bereits nahelegen.35 Ertüchtigung bedeutet in letzter Konsequenz eben Aufrüstung für die nächsten Kriege.

Anmerkungen

1) Bei der Benennung der Säulen in den nachfolgenden Ausführungen beziehe ich mich auf das Drei-Säulen-Modell zur Implementierung der Schutzverantwortung (Säule eins: Die Schutzverantwortungen des Staates; Säule zwei: Internationaler Beistand und Kapazitätsaufbau; Säule drei: Frühzeitige und entschiedene Antwort) aus dem folgenden UN-Dokument: United Nations General Assembly: Implementing the responsibility to protect. Report of the Secretary-General. 12 January 2009, Document A/63/677. Diese drei Säulen sind nicht zu verwechseln mit den drei im ICISS-Bericht identifizierten Aufgaben (prevent, react, rebuild); siehe dazu ICISS (2001): The Responsibility to Protect. Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty. Ottawa.

2) U.a. Lou Pingeot und Wolfgang Obenland (2014): In whose name? A critical view on the Responsibility to Protect Rosa Luxemburg Stiftung New York Office and Global Policy Forum New York/Bonn. Deutsch siehe dazu dies.: In wessen Namen? Ein kritischer Blick auf die »Schutzverantwortung«. W&F-Dossier 76, August 2014.

3) Winfried Nachtwei: Überfällig oder nur verdächtig?, ZFD Magazin 11/2014, S.4.

4) Noam Chomsky (2011): A New Generation Draws the Line – Humanitarian Intervention and the »Responsibility to Protect« Today. Boulder/Colorado: Paradigm Books, updated and expanded edition.

5) Mahmood Mamdani (2010): Blinde Retter. Hamburg: Edition Nautilus. Philip Cunliffe (2011): A Dangerous Duty: Power, Paternalism and the Global »Duty of Care«. In: ders. (ed.): Critical Perspectives on the Responsibility to Protect. London – Interrogating Theory and Practice. Abingdon: Routledge.

6) Didier Fassin (2010): Heart of Humaneness – The Moral Economy of Humanitarian Interventions. In: ders. and Marielle Pandolfi (eds.): Contemporary States of Emergency – The Politics of Military and Humanitarian Interventions. New York: Zone Books, S.269-294. Peter Rudolf (2013): Schutzverantwortung und humanitäre Intervention – Eine ethische Bewertung der »Responsibility to Protect« im Lichte des Libyen-Einsatzes. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studien2013/S 03.

7) Auf die AU-NATO-Ertüchtigungspolitik kann hier nicht eingegangen werden; siehe dazu: Brooke A. Smith-Windsor (ed.) (2013): AU-NATO Collaboration – Implications and Propects. Rom: NATO-Defense College, S.209ff.

8) Jeremy Kuzmarov (2012): Modernizing Repression. Amherst: University of Massachusetts Press, S.181f.

9) Vgl.: Thomas Mickan (2011): Die UN und der neue Militarismus. Von Krieg und UN-Frieden: Peacekeeping, Regionalisierung und die Rüstungsindustrie. IMI-Broschüre, Tübingen: Informationsstelle Militarisierung, S.30f.

10) U.S. Department of State: Global Peace Operations Initiative; state.gov.

11) U.S. Department of State (2014): Fiscal Year 2015 Congressional Budget Justification – Department of State, Foreign Operations, and Related Programs. S.114.

12) Eugene Kwibuka: Rwanda: Can U.S. Peacekeeping Fund End Africa’s Endemic Wars? Allafrica.com, 8.8.2014.

13) Vgl. Mickan (2011), op.cit., S.36f.

14) Marco Overhaus: 2014 Quadrennial Defense Review – Entwicklungstrends US-amerikanischer Verteidigungspolitik und Konsequenzen für die Nato. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 2014/A 12, S.3.

15) »Human Rights Up Front« Initiative; un.org/sg/rightsupfront.

16) Thomas Mickan: Responsibility to Arm. junge welt, 24.11.2012, S.2.

17) United Nations (2014): Fulfilling our collective responsibility: international assistance and the responsibility to protect. Report of the Secretary-General [to the General Assembly and the Security Council]. 11 July 2014, Document A/68/947-S/2014/449.

18) Gerrit Kurtz: Massenverbrechen verhindern: Neuer Aktionsplan verharrt im Altbekannten. Vereinte Nationen 2/2014, S.65.

19) United Nations (2014), op.cit., S.18.

20) Vgl. Mickan (2011), op.cit., S.31. »Amani Africa« heißt »Friede in Africa« auf Kisuaheli.

21) European Union External Action (EEAS) Security and Defense/CSDP: Amani Africa II Cycle; eeas.europe.eu.

22) African Union Commission (2014): Strategic Headquarters Training Session of the AMANI AFRICA II Field Training Exercise Opens in Harare. 4.11.2014.

23) European Union External Action (EEAS) Security and Defense/CSDP: EU support to African capabilities; eeas.europe.eu.

24) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage »Aktuelle Situation in der Zentralafrikanischen Republik« der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 18/1383 vom 9.5.2014, S.10.

25) Annette Leijenaar (2014): Africa Can Solve Its Own Problems With Proper Planning and Full Implementation of the African Standby Force. Pretoria, Institute for Security Studies, 21 January 214; issafrica.org.

26) Claudia Major, Christian Mölling, Judith Vorrath (2014): Bewaffnen + Befähigen = Befrieden? Für Stabilisierung ist mehr nötig als Ausbildung und Gerät. SWP-Aktuell 2014/A 74, S.2.

27) Thorsten Knuf (2012): Die Merkel-Doktrin. Frankfurter Rundschau, 1.8.2012.

28) Steffen Eckhard und Philipp Rotmann (2014): Ungenutztes Potenzial: für eine politische Strategie beim Einsatz von Polizei in den Friedenseinsätzen der EU. In: Friedensgutachten 2014. Münster: LIT Verlag, S.122.

29) Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Hollande anlässlich des EU-Afrika-Gipfels. 2.4.2014; bundeskanzlerin.de.

30) Siehe dazu »Deutsche Afrikapolitik. Von Frieden keine Spur« von Katrin Dörrie in dieser Ausgabe von W&F.

31) Auswärtiges Amt (2014): Vierter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung«. S.50. Afrikapolitische Leitlinien der Bundesregierung. 21. Mai 2014, S.15. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2013). 26. März 2014, S.38.

32) Afrikapolitische Leitlinien, op.cit., S.15.

33) Christoph Marischka (2013): US-AfriCom und KSK seit Jahren in Mali aktiv. Telepolis, 1.7.2013.

34) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage »Krisenprävention und Konfliktbearbeitung 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda« der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 18/1361 vom 7.5.2014, S.17.

35) Marc Thörner, Markus Zeidler, Philipp Jahn: Krieg gegen den IS – Wo Deutschlands Waffen wirklich landen. Monitor, 15.1.2015.

Thomas Mickan ist Politikwissenschaftler und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Gewissen und moderne Kriegführung

Gewissen und moderne Kriegführung

Primat der Politik und Grenzen des Gehorsams

von Jürgen Rose

In Zeiten des »Global War on Terror«, der Interventions-, der Präventiv- und Angriffskriege, von Cyberwar und massiv ausgeweiteten Drohnenangriffen, in Zeiten eklatanter Völkerrechts- und Kriegsverbrechen, von Folterexzessen und der Aushöhlung fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte mag der Verdacht aufkeimen, bei dem Terminus »Soldat« handle es sich um ein Akronym, das ausbuchstabiert bedeutet: „Soll ohne langes Denken alles tun.“ 1 Dem steht entgegen, dass Soldaten im Sinne des »Staatsbürgers in Uniform« mit ihrer Verpflichtungserklärung für den Dienst bei der Bundeswehr weder ihre staatsbürgerlichen Pflichten noch ihr Gewissen abgeben (dürfen). Viele Soldaten sind sich ihrer Verantwortung bewusst und reagieren mit Gehorsamsverweigerung auf Befehle, die sie als unrechtmäßig erachteten.

Der Wahrnehmung, Soldaten führten gedanken- und bedenkenlos jegliche Befehle aus, leistet der Umstand Vorschub, dass seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes gerade die in der NATO verbündeten westlichen Demokratien, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, ihre Streitkräfte vielfach in Einsätze schicken, die durch völkerrechtliche Mandate entweder nicht hinreichend oder gar nicht abgedeckt sind.2 Wie die erkleckliche Anzahl von Gehorsamsverweigerungen in den Reihen diverser Interventions- und Besatzungsarmeen illustriert, ist unter den „Handwerkern des Krieges“,3 welche die von der politischen Führung erteilten Kampfaufträge ausführen sollen, die Sensibilität für die Eigenverantwortung gewachsen: Sowohl die völkerrechtliche Ächtung des Krieges schlechthin als auch dessen in jüngster Zeit nochmals bekräftigte Kriminalisierung im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes bergen gravierende Implikationen sowohl für die rechtlichen als auch für die moralischen Dimensionen soldatischen Handelns.

Die fundamentale Frage, die jeder und jede in diesem Spannungsfeld von Gehorsamspflicht, Rechtstreue und Gewissensfreiheit agierende Militärangehörige individuell für sich beantworten muss, lautet: Wie darf oder soll oder muss ich als prinzipiell dem Primat der Politik unterworfener Soldat handeln, wenn meine politische Leitung und militärische Führung mich in einen Krieg befiehlt, in dem unvermeidlich Menschen getötet und verwundet werden, zumal wenn es sich dabei möglicherweise oder gar offensichtlich um einen Angriffskrieg und damit um ein völkerrechtliches Verbrechen handelt?

Im Rahmen der Konzeption der »Inneren Führung« mit ihrem Leitbild vom »Staatsbürger in Uniform« sollten dem zivilen Bürger im militärischen Dienst seine ihm qua Verfassung verbrieften grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte weiterhin garantiert bleiben. Ein ganz elementares dieser Grundrechte stellt die verfassungsrechtlich verbriefte Freiheit des Gewissens dar. Für Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin, den »Vater der Inneren Führung«, bestand keinerlei Zweifel daran, dass diese Norm auch für seinen »Staatsbürger in Uniform« im Dienste der Bundeswehr uneingeschränkt gelten müsse: „Soldatische Existenz heißt, in Verantwortung und Gewissenstreue leben“,4 so Baudissin. Beim Soldaten handelt es sich nach seiner Auffassung unabdingbar um einen Menschen „mit Gewissen und Verantwortung“, denn „anders kann er sich nicht sehen, ohne sich aufzugeben“.5

Aufgrund dessen kann auch der von Soldaten oft gebetsmühlenhaft reklamierte und dabei völlig missverstandene Primat der Politik nicht greifen: Auch wenn Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr von der Bundesregierung getroffen und vom Parlament abgesegnet werden, dürfen diese nicht als sakrosankt und nicht-hinterfragbar deklariert werden. Denn letztlich bleibt der individuelle Soldat zurückgeworfen auf sein autonomes Gewissen. Weder Bundestag noch Bundesregierung noch seine militärischen Vorgesetzten können und dürfen ihm diese notwendige Gewissensentscheidung abnehmen oder qua Gesetz und Befehl oktroyieren.

Gehorsamsverweigerung aufgrund „unrechtmäßiger Kampfhandlungen“

Angesichts einer politischen Praxis, mittels völkerrechtswidriger Angriffskriege kriminelle Diktatoren aus dem Amt zu jagen und Terroristen zu bekämpfen, kann es schwerlich überraschen, dass sich immer mehr Soldatinnen und Soldaten weigern, Befehle auszuführen. Eine zunächst nicht erahnte Brisanz gewann das Phänomen der Gehorsamsverweigerung, als nicht nur in der deutschen Bundeswehr,6 sondern auch in der U.S. Army, den britischen Streitkräften und den Israel Defense Forces Soldaten und Soldatinnen beschlossen, lieber ihrem Gewissen und Diensteid zu folgen, statt bedenkenlos Befehle von Vorgesetzten auszuführen, die sie für unvereinbar mit Verfassungs- und Völkerrechtsnormen hielten.7

So weigerte sich bereits 1999 während des völkerrechtswidrigen Luftkriegs der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ein gutes Dutzend Luftwaffenpiloten, mit ihren ECR-Tornados die ihnen befohlenen Luftangriffsmissionen zur „Unterdrückung der gegnerischen Luftabwehr“, wie es im einschlägigen Militärjargon heißt, zu fliegen.8 Der Vorgang blieb damals weitgehend unbeachtet, da es mit den Luftwaffenpiloten zu einer stillschweigenden Einigung kam – wohl deshalb, weil der Bundesregierung an einem medienwirksamen Prozess durch alle Instanzen nicht gelegen sein konnte.

Besondere Relevanz im Hinblick auf seine rechtliche Bewertung und Sanktionierung kommt der Gehorsamsverweigerung des Bundeswehrmajors Florian Pfaff zu, der sich Befehlen widersetzte, durch deren Ausführung er sich wissentlich an dem von den USA und Großbritannien angezettelten Angriffskrieg gegen den Irak beteiligt hätte. Im April 2003 wurde gegen den Major umgehend ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet, in dessen Verlauf er zum Hauptmann degradiert wurde. In einem Berufungsverfahren hob fast anderthalb Jahre später der Zweite Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts das Urteil auf und sprach Major Florian Pfaff mit einer durchaus spektakulär zu nennenden Urteilsbegründung von dem Vorwurf der Gehorsamsverweigerung frei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Gewissensentscheidung „jede ernste sittliche, d.h. an den Kategorien von »Gut« und »Böse« orientierte Entscheidung […], die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt innerlich verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte“.9 Die prinzipielle Schwierigkeit besteht freilich darin, auf welche Weise sich ein subjektiver, im »Inneren des Menschen« abspielender Gewissenskonflikt einer objektiven richterlichen Überprüfung zugänglich machen lässt. Hierzu lassen die Richter verlauten: „[D]er Gewissensappell als »innere Stimme« des Menschen ist in der äußeren Umwelt nicht unmittelbar wahrnehmbar […]. Deshalb wird im Fachschrifttum […] und in der Rechtsprechung […] für eine positive Feststellung […] der Sache nach eine nach außen tretende, rational mitteilbare und nach dem Kontext intersubjektiv nachvollziehbare Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit der Gewissensentscheidung gefordert. Dabei bezieht sich die rationale Nachvollziehbarkeit der Darlegung nicht auf die Frage, ob die Gewissensentscheidung selbst etwa als »irrig«, »falsch« oder »richtig« gewertet werden kann […], sondern allein auf das »Ob«, also auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins des Gewissensgebots und seiner Verhaltensursächlichkeit.“ 10

Sodann urteilte das Gericht kategorisch: „Im Konflikt zwischen Gewissen und Rechtspflicht ist die Freiheit des Gewissens ‚unverletzlich'.“ 11 Und weiter: „Das Grundgesetz normiert […] eine Bindung der Streitkräfte an die Grundrechte, nicht jedoch eine Bindung der Grundrechte an die Entscheidungen und Bedarfslagen der Streitkräfte.“ 12 Mit dieser Rechtsprechung nahm das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Legalität bewaffneter Einsätze der Bundeswehr de facto eine Beweislastumkehr vor: Nicht der Soldat muss beweisen, dass seine Gehorsamsverweigerung rechtlich geboten war, sondern zuallererst muss die Bundesregierung den von ihr in den Kampf entsandten »Staatsbürgern in Uniform« darlegen, dass der den Soldaten erteilte Auftrag den Normen des Völkerrechts und des Grundgesetzes entspricht. Für die Bundeswehr als Parlamentsarmee sind die Implikationen des Leipziger Urteilsspruches höchst bedeutsam, folgt daraus doch: Der Primat der Politik gilt lediglich innerhalb der Grenzen von Recht und Gesetz; jenseits davon herrscht der Primat des Gewissens.

Die Nagelprobe auf die Tragfähigkeit dieser wegweisenden Jurisdiktion erbrachte der Autor selbst, als er sich im März 2007 weigerte, dem dienstlich erteilten Befehl zur logistischen Unterstützung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan nachzukommen.13 In jüngerer Zeit wiederholte sich vorstehender Vorgang, als sich der Luftwaffenoberleutnant Philip Klever weigerte, im Zeitraum 3. Juli bis 7. November 2013 im regionalen NATO-Gefechtsstand für Luftkriegsoperationen im afghanischen Mazar-e-Sharif den Dienstposten eines Planungsoffiziers für die elektronische Luftkriegsführung zu übernehmen. Von entscheidender Bedeutung für Klever war der Umstand, dass diese Einsätze nicht allein auf der Grundlage und innerhalb der Grenzen des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteilten Mandats für die ISAF stattfinden, sondern auch im Rahmen des so genannten »Kriegs gegen den Terror«. Aufgrund einschlägiger Erfahrungsberichte mehrerer Kameraden, die schon in Afghanistan eingesetzt waren, zog Oberleutnant Klever „eindeutig den Schluss, dass [er sich] auf diesem Posten als Mittäter an unrechtmäßigen Kampfhandlungen beteiligen würde“.14 Im Falle Klever hatte die Bundeswehrführung offenbar dazugelernt, was den Umgang mit Gehorsamsverweigerern anbelangte, denn nach kurzfristiger Prüfung wurde entschieden, den renitenten Oberleutnant einvernehmlich vorzeitig aus seiner Dienstverpflichtung als Zeitsoldat ins Zivilleben zu entlassen.

„Unehrenhaft“ und „berechnend“?

Aus der Vielzahl bekannt gewordener Fälle von Gehorsamsverweigerung bei Streitkräften im EU- und NATO-Umfeld besitzen je einer in der U.S. Army und den britischen Streitkräften paradigmatische Qualität, nämlich der des First Lieutenant Ehren K. Watada15 und der des Flight Lieutenant Dr. Malcolm Kendall-Smith.16

Ersterer, ein Artillerie-Offizier der U.S. Army aus Fort Lewis, Washington, hatte sich im Juni 2006 in aller Öffentlichkeit geweigert, mit seiner Einheit in den Irak zu gehen und dort Dienst zu tun.17 Als Hauptgrund für seine Verweigerung hatte er angegeben, der Krieg gegen Irak sei in seinen Augen illegal und unmoralisch und er dürfe sich an ihm aufgrund seines abgelegten Diensteides sowie des »Uniform Code of Military Justice« der U.S. Army gar nicht beteiligen. Daraufhin leitete das US-Verteidigungsministerium im August 2006 ein Militärgerichtsverfahren gegen ihn ein. Dieses scheiterte letztlich an dem Umstand, dass sich das Militärgericht weigerte, über die Ungesetzlichkeit des Irakkriegs zu urteilen, und sich damit zugleich die Grundlage entzog, über die Rechtmäßigkeit – respektive Unrechtmäßigkeit – von Watadas Gehorsamsverweigerung zu entscheiden. Nach dreijährigen gerichtlichen Querelen entschied das US-Justizministerium im September 2009, das Verfahren gegen Watada endgültig einzustellen, woraufhin ihm die U.S. Army endlich seinen Abschied unter „other than honorable conditions“ (unehrenhaften Bedingungen) gewährte.

Seinem britischen Kameraden Flight Lieutenant Dr. Malcolm Kendall-Smith, eingesetzt im Sanitätsdienst der Royal Air Force, der die Invasion und Okkupation des Irak ebenfalls für rechtswidrig hielt, war weniger Glück beschieden: Er wurde am 13. April 2006 wegen „calculated and deliberate disobedience“ (berechnendem und vorsätzlichem Ungehorsam) in fünf Fällen zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und aus dem Dienst entlassen; darüber hinaus erlegte ihm das Gericht die Zahlung von 20.000 £ Prozesskosten auf.

Fazit

Die vorstehend geschilderten Fälle belegen, dass SoldatInnen nicht pauschal als bloße Handwerker des Krieges „mit flatternden Idealen und einem in Landesfarben angestrichenen Brett vor dem Kopf“,18 wie der herausragende deutsche Publizist und Pazifist Kurt Tucholsky einst schrieb, gelten können, sondern mitunter auch als Verfassungspatrioten. In der Bundeswehr entspricht der Typus des Letzteren exakt dem vom deutschen General Wolf Graf von Baudissin nach dem Zweiten Weltkrieg propagierten Leitbild vom »Staatsbürger in Uniform«, der seine ethischen Überzeugungen und politischen Vorstellungen eben auch im Militärdienst nicht preisgibt. In bestechender Weise brachte ein Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika, Ramsey Clark, diesen kategorischen Imperativ mit folgenden Worten auf den Punkt: „Die größte Feigheit besteht darin, einem Befehl zu gehorchen, der eine moralisch nicht zu rechtfertigende Handlung fordert.“ 19 Feige sind sie demnach wahrlich nicht, die Gehorsamsverweigerer gegen den Angriffskrieg.

Anmerkungen

1) Jürgen Rose (2009): Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt? Hannover: Verlag Ossietzky, S.172ff.

2) Jürgen Rose: Friedensverrat. Ossietzky 1/2008, S.8-11.

3) Cora Stephan (1998): Das Handwerk des Krieges. Männer zwischen Mäßigung und Leidenschaft. Berlin: Rowohlt.

4) Wolf Graf von Baudissin (1969): Soldat für den Frieden. Entwürfe für eine zeitgemäße Bundeswehr. München: Piper, S.217.

5) Ibid., S.252.

6) Jürgen Rose (2014): Conscience in Lieu of Obedience. Cases of Selective Conscientious Objection in the German Bundeswehr. In: Andrea Ellner, Paul Robinson, David Whetham (eds.): When Soldiers Say No: Selective Conscientious Objection in the Modern Military. Farnham/Burlington: Ahgate Publishing, Military and Defence Ethics Series, S.177-194. Eine Rezension dieses Bandes findet sich in W&F 3-2014, S.64.

7) Jürgen Rose (2009), op.cit., S.132-194.

8) Jürgen Rose (2004): Gewissensnöte – Bundeswehr-Soldaten, die sich Auslandseinsätzen verweigern. Manuskript für NDR Info – Das Forum »Streitkräfte und Strategien« von Andreas Flocken, 10. Juli 2004, S.13.

9) Bundesverwaltungsgericht (Hrsg.) (2005): Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 21. Juni 2005 – BVerwG 2 WD 12.04, Leipzig, S.51.

10) Ibid., S.57.

11) Ibid., S.106.

12) Ibid., S.112.

13) Jürgen Rose (2004): Aufklären, damit die anderen bomben können. Dokumentation. Antrag des Oberstleutnants Jürgen Rose, von allen dienstlichen Aufgaben bei einem Tornado-Einsatz in Afghanistan entbunden zu werden, Freitag – Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 12, 23. März 2007, S.7.

14) Eine ausführliche Darstellung des Falles findet sich in: Jürgen Rose: Gewissen ist keine Krankheit. Ossietzky 16/2013, S.574-578 (Teil 1) und Ossietzky 17/2013, S.599-602 (Teil 2).

15) Außer Watada hat eine große Zahl von US-Soldaten sich geweigert, im Irak Dienst zu tun. Vgl. hierzu Rudi Friedrich: US-Kriegsdienstverweigerer und -verweigerinnen. Rundbrief »KDV im Krieg« 1/2007, S.11f. Sowie Jürgen Rose (2012): Multicultural Tensions in International Peace Support Operations. Lessons from the German Bundeswehr. In: Harald Haas, Franz Kernic, Andrea Plaschke (eds.) (2012): Leadership in Challenging Situations. Frankfurt am Main: Peter Lang, S.251-258.

16) Manuel Ladiges: Irakkonflikt und Gewissenskonflikte. Wissenschaft & Sicherheit online – Texte des Bundesverbands Sicherheitspolitik an Hochschulen 2/2007 vom 22. März 2007, S.2. Sowie Jürgen Rose (2009), op.cit., S.190ff.

17) Zum Fall Ehren Watada vgl. Jeremy Brecher und Brendan Smith (2006): „Meine moralische und legale Verpflichtung gilt gegenüber der Verfassung und nicht gegenüber jenen, die gesetzeswidrige Befehle herausgeben“. Lieutenant Watadas Nein zu illegalen Kriegen. Zeit-Fragen 28 vom 10. Juli 2006, S.6. Sowie Jürgen Rose (2009), op.cit., S.187-194.

18) Ignaz Wrobel (1924): Gewehre auf Reisen. Weltbühne vom 16. Oktober 1924. In: Richard von Soldenhoff (Hrsg.) (1982): Unser Militär! Schriften gegen Krieg und Militarismus. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, S.274.

19) Ramsay Clark (1993): Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf. Göttingen: Lamuv, S.268.

Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung »Darmstädter Signal«.

Soldatenbilder

Soldatenbilder

Ausdruck des Wandels im Verhältnis von Staat, Militär und Gesellschaft

von Sabine Mannitz

Die Funktion, die den Streitkräften in einer Gesellschaft zugewiesen wird, unterliegt dem gesellschaftlichen und politischen Wandel. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten beispielsweise sollen inzwischen „neben ihrer Funktion als Kämpfer auch Helfer, Schützer und Vermittler“ (Weißbuch 2006, S.75) sowie in zunehmend hybrideren Einsätzen weltweit aktionsfähig sein. Das hat Konsequenzen u.a. für die Struktur, die (technisch immer anspruchsvollere) Ausstattung und die Ausbildung des Militärs. Solche Faktoren wirken ihrerseits zurück auf die Wahrnehmung des Militärs in der Öffentlichkeit wie auf das Selbstbild der Soldatinnen und Soldaten. Die Autorin beschreibt diese Zusammenhänge am Beispiel der demokratischen Staaten in Europa.

Die Funktion des Militärs hat sich in vielen europäischen Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges erheblich gewandelt. In den ehemals sozialistischen Ländern Ost-, Mittel- und Südosteuropas wurden die zuvor politisierten Streitkräfte im Zuge des Systemwandels demokratischer ziviler Kontrolle unterworfen. In vielen Fällen ging die Demokratisierung der zivil-militärischen Beziehungen mit einer Eingliederung der Länder ins nordatlantische Bündnis einher. Dessen Raison d'être wiederum wurde durch den Wegfall der Ost-West-Konfrontation grundlegend erschüttert: Unbestimmte »Herausforderungen« sind an die Stelle klar umrissener Bedrohungen getreten.

Während einst die Verteidigungsfunktion den Streitkräfteunterhalt der Demokratien begründete, wird der Einsatz des Militärs heute meist mit Konflikteindämmung und friedensschaffenden Maßnahmen begründet. Soldatinnen und Soldaten europäischer Staaten nehmen dabei Aufgaben wahr, die weder dem herkömmlichen Verständnis von nationaler Verteidigung entsprechen noch der gewohnten Abgrenzung des Militärischen vom Zivilen. Wenn die Streitkräfte nicht mehr der Landes- und Bündnisverteidigung im engeren Sinne dienen, sondern für ein breites Aufgabenspektrum in aller Welt herangezogen werden, wirft dies zum einen Fragen nach der demokratischen Legitimation der Einsatzentscheidungen auf, zum anderen hat es Konsequenzen für das Verhältnis von Staat, Militär und Gesellschaft. Normativ und empirisch veränderte Soldatenbilder belegen derartige Wandlungsprozesse.

Bilder vom Soldaten in der Demokratie

Die Leitbilder, die Soldaten in militärischen Institutionen als Handlungsmaßstäbe vermittelt werden, stehen mit der Bestimmung des Auftrags an die Streitkräfte in direktem Zusammenhang: Wozu sollen die Soldaten dienen, und was braucht es, um sie dazu in die Lage zu versetzen? Letzteres beinhaltet Entscheidungen über Art und Inhalt der Ausbildung im Militär, Fragen der materiellen Ausstattung und der individuellen Versorgung, aber auch ideelle Ressourcen und eine bestimmte Führungsphilosophie.

Diesen Zusammenhang erkannte bereits Immanuel Kant, der in seinem philosophischen Entwurf »Zum ewigen Frieden« Überlegungen dazu anstellte, wie die militärische Gewalt im demokratischen System so eingehegt werden könne, dass die (von ihm unterstellte) Friedensgeneigtheit der Bürgerschaft außenpolitisch wirksam würde. Er kam zu dem Schluss, dass allein der Verteidigungsfall und unter bestimmten Umständen ein Krieg gegen einen gänzlich anomischen Gegner als militärische Einsatzsituationen legitim wären. Weiterhin forderte er, auf stehende Heere zu verzichten, da diese ein aggressives außenpolitisches Verhalten begünstigen würden. Zur Verteidigung genüge eine wehrpflichtige Bürgermiliz; diese weitestgehende Integration des Militärs in die Gesellschaft gewährleiste die nötige Kontrolle über wie auch die Fürsorge des Souveräns für »seine« Truppen (Kant 1795, S.198; vgl. Müller 2000, S.103-106). In seinen Überlegungen verbindet Kant Argumente der institutionellen Struktur zur Steuerung des militärischen Machtapparats und zur demokratischen Legitimationsbeschaffung für Einsätze des Militärs mit der normativen Annahme, dass Demokratien sich durch die Bevorzugung ziviler Mittel des Konfliktaustrags und durch einen verantwortungsvollen Umgang mit den militärischen Gewaltmitteln auszeichnen.

Den Gegenentwurf zur allgemeinen Wehrpflicht als Optimum demokratischer Bewaffnung formulierte Samuel Huntington 1957. Sein Modell der »objektiven« Kontrolle setzt auf den Berufssoldaten, dessen Waffendienst sich nicht aus seinem Bürgerstatus ableitet, sondern aus einem professionellen Auftrag. Die Kontrolle der Gewaltmittel sieht Huntington auf die Befugnisregelung im Staatsgefüge beschränkt. Aspekte der Wehrgerechtigkeit und der gesellschaftlichen Integration betrachtet er als nachrangig. Huntington entwarf sein Konzept vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus zwei Weltkriegen und dem Koreakrieg, in denen überwiegend Wehrpflichtige zum Einsatz gekommen waren – ohne dass diese Rekrutierungsform die Bereitschaft zur Kriegsteilnahme beeinträchtigt hätte. Orientiert am Ziel militärischer Effizienzsteigerung unter Wahrung der demokratischen Kontrolle; entwarf er das moderne Militär als Institution spezialisierter Experten, die im Unterschied zu den Berufsmilitärs früherer Jahrhunderte in der demokratischen Gesellschaft der Gegenwart die Verantwortung für das Gemeinwesen ohnehin teilen würden.

Die beiden differenten Ansätze zur Regelung der zivil-militärischen Beziehungen in Demokratien stellen idealtypische Pole dar. Ein Blick auf die empirische Breite demokratischer Wehrformen zeigt, dass weder die Wehrpflichtigen- noch die Freiwilligenarmee per se die demokratische(re) Option ist oder war und sich real häufig hybride Strukturen finden. Dennoch sind die gegensätzlichen Typen informativ, denn sie konstruieren unterschiedliche Idealtypen des Soldaten.

Bürgersoldat vs. professioneller Kämpfer

Mit der Wehrpflicht verband sich in den europäischen Demokratien bis in die 1990er Jahre das Bild des Bürgersoldaten, der im Fall einer militärischen Konfrontation sein Land bzw. im Fall der Bündniszugehörigkeit auch das Bündnissystem verteidigt. So wurde in der Bundesrepublik Deutschland die Zweckbestimmung der Bundeswehr als Verteidigungsarmee im Grundgesetz verankert, gewissermaßen als Geschäftsgrundlage für Wiederbewaffnung und Wehrpflicht.

Manche europäische Demokratien trafen mit der Entscheidung für politische Neutralität zusätzlich zur Wehrpflicht Vorkehrungen, um ein außenpolitisch defensives Profil zu wahren, so Österreich, Schweden, Finnland und die Schweiz.

Im Unterschied zu den sehr weitgehenden Zivilisierungsanliegen, die in diesen Ländern das Verhältnis zum Militär spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs kennzeichneten, setzten Großbritannien oder Frankreich auf einen ganz anderen Soldatentypus. Die globale Machtprojektion beider Länder veranlasste den Unterhalt von Streitkräften, die auf hohem Ausbildungsniveau schnell verfügbar und für Kampfaufträge weltweit einsetzbar waren, nicht nur in den einstigen Kolonien. Da dies mit Wehrpflichtigen allein kaum zu leisten ist, gab es zunächst Parallelstrukturen von Zeitsoldaten als Elitetruppen, wie den Gurkhas oder den Fremdenlegionären. 1963 schaffte Großbritannien als erstes europäisches Land die Wehrpflicht ab; Frankreich setzte sie 1997 aus und hat seit 2001 eine reine Freiwilligenarmee. Bereits zuvor wurden jedoch auch die wehrpflichtigen Briten und Franzosen mit einem Soldatenbild sozialisiert, das gerade nicht der gesellschaftlichen Integration galt, sondern das Militär als segregierte Institution versteht und die Differenz zwischen militärischen Tugenden und dem zivilen Leben betont. So wurden für die Zeit des Militärdienstes die bürgerlichen Rechte und Freiheiten (z.B. der Meinungsäußerung, Versammlung, politischen Betätigung) deutlich eingeschränkt. Dagegen war das Soldatenbild der deutschen Bundeswehr so konzipiert, dass den »Bürgern in Uniform« weitestgehende Rechte auch im Dienst zugestanden wurden.

Konvergente Transformationen seit dem Ende des Kalten Krieges

Die Frage der Wehrstrukturen in Demokratien hat durch den technologischen Fortschritt, der hohe Anforderungen an die Ausbildung der Soldaten stellt, sowie durch das Ende des Kalten Krieges und die daraus abgeleiteten veränderten Bedrohungsszenarien wieder an Virulenz gewonnen. Das erweiterte militärische Aufgabenspektrum lässt die einstige Begründungslogik und die praktische Leistungsfähigkeit von Wehrpflichtigenarmeen an Grenzen stoßen.

Mit Ausnahme der Großmächte, die ihren Machtansprüchen stets auch global mit militärischen Mitteln Nachdruck verliehen, hat das Gros der demokratischen Staaten seine Streitkräfte traditionell vorrangig für Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung vorgehalten. Heute sind es zum einen Länder mit außenpolitisch profilierten Zurückhaltungstraditionen, wie die Schweiz, Norwegen oder Österreich, die an der Wehrpflicht festhalten, zum anderen strategisch exponierte Staaten wie Finnland oder Estland, die auch in der veränderten weltpolitischen Konstellation um ihre territoriale Integrität fürchten.

Die neue globale Konstellation, die aus dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaftssysteme des Warschauer Pakts resultierte, führte allenthalben zur Neubewertung der internationalen Bedrohungslage. Die verteidigungspolitischen Grundsätze, die die Reichweite der Verteidigungspolitik bestimmen, wurden neu gefasst. Für die Mitgliedsstaaten der NATO waren wichtige Stationen dieses Wandlungsprozesses die Verabschiedung der neuen Strategischen Konzepte 1991 und 1999 und die Übereinkünfte des Prager Gipfeltreffens 2002.

Die strategische Neuausrichtung bewertet die konventionellen Bedrohungsszenarien durch Angriffe feindlicher Staaten auf eigenes Territorium als nachrangig und sieht vergleichsweise stärkere Gefahren durch asymmetrische Konflikte mit nicht-staatlichen Akteuren, Konflikte um Rohstoffressourcen, eskalierende Bürgerkriege und von ihnen ausgelöste Massenmigrationen heraufziehen. Um diesen Bedrohungsszenarien entgegenzutreten, sei ein globales Krisenmanagement nötig, das auch das militärische Instrumentarium zu anderen Zwecken einsetze, als es in der traditionellen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorgesehen war.

Unter dieser Maßgabe erfolgte seit den 1990er Jahren mehrheitlich der Übergang zu Freiwilligenarmeen. Auch wurden neue Formen des militärischen wie auch des zivil-militärisch kooperativen Engagements (ZIMIK) entwickelt, die der erweiterten Sicherheits- und Verteidigungskonzeption entsprechen. Soldatinnen und Soldaten europäischer Staaten nehmen als Folge heute Aufgaben wahr, die weder dem herkömmlichen Verständnis von nationaler Verteidigung entsprechen noch der gewohnten Abgrenzung des Militärischen vom Zivilen.

Umstrittene Legitimität erweiterter militärischer Funktionen

Neben institutionellen Neuerungen und nicht zuletzt den Erweiterungen des nordatlantischen Bündnisses um Beitrittsstaaten aus dem ehemals feindlichen Ostblock führte die strategische Neuausrichtung der NATO zur Begründung von Militärmissionen für eine weltweite Krisenprävention und -intervention. Diese warfen Fragen nach den Grenzen des demokratisch legitimen Streitkräfteeinsatzes auf. Besonders deutlich wurde das im Fall des Kosovo-Kriegs, als die NATO zur Verhinderung weiterer »ethnischer Säuberungen« im zerfallenden Jugoslawien ohne eine Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat intervenierte. Eingriffe wie dieser lösten in der internationalen Staatenwelt anhaltende kontroverse Diskussionen darüber aus, wann militärische Interventionen legitim oder sogar geboten seien, um Menschenrechtsverletzungen oder Massenmorde zu verhindern.

Die International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) schlug in ihrem Bericht 2001 das Konzept der »Responsibility to Protect« (R2P, dt. Schutzverantwortung) vor, um auf internationaler Ebene Kriterien für legitime Militärinterventionen zu entwickeln (ICISS 2001). Auch in den einzelnen Demokratien, die nach Ende des Kalten Krieges den Sicherheitsbegriff ihrer verteidigungspolitischen Grundsätze erweiterten, stellt sich das Problem, dass der Rahmen für den legitimen Einsatz des eigenen Militärs für derartige Interventionen neu bestimmt werden muss. Es versteht sich von selbst, dass diese Neubestimmung Gegenstand politischer Auseinandersetzungen ist und sein muss: Anders als im klassischen Verteidigungsfall, der militärische Mittel als Antwort auf einen territorialen Angriff völkerrechtlich legitimiert, geht es bei Entscheidungen über R2P-Missionen um ein militärisches Eingreifen in (zumindest formal) souveränen Staaten, was nach Maßstäben des Völkerrechts als militärische Aggression und Einmischung in innere Angelegenheiten gelten kann.

Die Entscheidung über eine mögliche Entsendung von Truppen wird durch widersprüchliche Beurteilungen sowohl der jeweils innenpolitischen Lage in den Zielländern als auch der grundsätzlichen Einschätzung zu Rechtmäßigkeit und Angemessenheit des Einsatzes militärischer Mittel im jeweils fraglichen Fall beeinflusst. In Deutschland urteilte das Bundesverfassungsgericht 1994, dass „der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ durch den Verteidigungsauftrag in Artikel 87 GG „nicht ausgeschlossen“ würde. Im Vordergrund stand damals noch die Frage, ob die Bundeswehr überhaupt außerhalb des Gebiets der NATO-Staaten eingesetzt werden dürfe. Das Urteil machte den Weg für solche Einsätze frei. Vergleichbare Auseinandersetzungen um die Legitimität von Militäreinsätzen, die als »wars of choice« andere Kosten-Nutzen-Abwägungen erfordern als die territoriale Landesverteidigung, sind in allen betreffenden Ländern zu beobachten, auch wenn teils eher politisch als juristisch gestritten wird.

Pluralisierung und Hybridisierung der Soldatenbilder

Auslandseinsätze gehören mittlerweile zum Aufgabenspektrum vieler Soldaten in Europa. Dass sie das Soldatenbild grundlegend verändert haben, da sie auf einem erweiterten Verständnis militärischen Handelns aufbauen, konzedieren die Weißbücher, für Deutschland z.B. das »Weißbuch 2006«. In der neuen Bundeswehr, so heißt es dort, seien Soldatinnen und Soldaten „neben ihrer Funktion als Kämpfer auch Helfer, Schützer und Vermittler“ (S.75). Diese Begrifflichkeit deutet das zentrale Rollendilemma an: Die Legitimierung der Gewaltanwendung läuft den zivilen Normen zuwider, an denen sich im Interesse der Aussöhnung von Demokratie und Militär auch Soldaten orientieren sollen. Um militärisch einsatzfähig zu sein, müssen Soldaten als Kämpfer taugen, auch wenn ihnen die Figur des wehrhaften Bürgersoldaten als Ideal vermittelt wurde. Im Abschreckungszeitalter wurde diese Spannung kaum relevant. Infolge der veränderten Auftragslage und der zunehmenden militärischen Einsätze zur Konflikt- und Krisenintervention stellen sich aber Fragen nach der komparativen Angemessenheit und der unterschiedlichen Wirkung der Anwendung von militärischen vis-à-vis zivilen Mitteln.

Empirische Studien zu den normativen Bildern und dem realen soldatischen Selbstverständnis in europäischen Demokratien (Mannitz 2012) zeigen eine Pluralisierung und eine Ambiguität heutiger Soldatenbilder, die dem Facettenreichtum der Militäreinsätze entsprechen. Auch wenn häufig widersprüchlich ist, was Soldaten an ideellen Ressourcen zur Ausbildung eines professionellen Selbstverständnisses zur Verfügung steht, gelingt vielen der Spagat zwischen konkurrierenden Rollenbildern und Einsatzanforderungen erstaunlich gut. Die Erwartung, in einer Person Kämpfer, Diplomat und Sozialarbeiter, Landesverteidiger und international einsatzfähiger Repräsentant westlicher Werte zu sein, ist Angehörigen der Streitkräfte vor allem dort bestens vertraut, wo die militärische Ausbildung in hohem Maße ethische, staatsbürgerliche, sicherheits- und verteidigungspolitische Bildungsinhalte einschließt.

Selbst Soldaten, die den komplexen Herausforderungen vergleichsweise gut gewachsen scheinen, bereitet es aber gelegentlich Probleme, den Sinn mancher Militäreinsätze nachzuvollziehen. Quer durch Europa teilen Angehörige des Militärs den Eindruck, von der zivilen Gesellschaft und Politik unzureichend wahrgenommen und anerkannt zu werden. Dieser Eindruck ergibt sich aus der wachsenden Diskrepanz zwischen immer komplexer werdenden Anforderungen und dem Fehlen breiter Debatten der politischen Öffentlichkeit zum legitimen Einsatz der Streitkräfte sowie der Bereitschaft, in deren bessere Ausstattung – materiell wie mental – zu investieren.

Folgen der gewandelten Funktionen des Militärs in der Demokratie

Es gibt zu denken und unterstreicht die Notwendigkeit zum Streit über die Wahl der Instrumente zur Konflikt- und Krisenbearbeitung, dass sich in den vergangenen 20 Jahren in der Mehrzahl der europäischen Demokratien die Auffassung durchgesetzt hat, die neuartigen Militäreinsätze würden die Wehrpflicht nicht mehr rechtfertigen. Die mittlerweile weitgehend abgeschlossene Transformation hin zu kleineren und effizienteren Berufsarmeen soll deren globale Einsatzfähigkeit gewährleisten. Dieser Übergang verändert indes zugleich das Verhältnis des Militärs zur Bürgerschaft: Das Militär ist nicht länger Ausdruck der Wehrhaftigkeit und Verteidigungsbereitschaft, sondern funktionales Instrument.

Wenn immer weniger Bürger in Kontakt mit den Streitkräften treten, besteht das Risiko einer wachsenden Kluft, und es wird eine gezielte öffentliche Thematisierung dessen, was die Aufgaben von Soldaten sein sollen, was sie leisten können sollen und was nicht, umso notwendiger. Für die Einhegung des militärischen Gewaltpotenzials und die demokratische Kontrolle der Entsendeentscheidungen ist diese gesellschaftliche Rückkoppelung wesentlich. Bei der politischen Entscheidung für einen Militäreinsatz verlangt die demokratische Rechenschaftspflicht auch gegenüber Berufssoldaten, dass plausibel begründet werden muss, was die Wahl der äußersten Mittel des Staates rechtfertigt: Sollen Angehörige des Militärs nicht bloß willfährige Befehlsempfänger sein, müssen sie sich ihr eigenes Urteil darüber bilden können, ob nicht vielleicht doch Grund zur Befehlsverweigerung besteht.

Die Aufträge multinationaler Einsatzkräfte mögen den positiven Eindruck vermitteln, dass nun Menschenrechten und Demokratie universal zur Geltung verholfen wird. Dagegen zeigen die zwar unterschiedlichen aber anhaltend konfliktreichen Entwicklungen in Ländern wie Somalia, Afghanistan oder Irak die ambivalente Wirkung internationaler militärischer Interventionen. In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren auch aus den Reihen des Militärs gelegentlich Kritik hörbar, wonach Entsendeentscheidungen politisch unzureichend begründet gewesen seien und möglicherweise zu einseitig, zu schnell oder zu massiv auf militärische Mittel gesetzt wurde. Dahinter steht das Wissen, dass militärisches Eingreifen allein keiner Friedensmission zum Erfolg verhilft, Militärpräsenz die Situation aber grundlegend verändert. Wenn ein Mandat des UN-Sicherheitsrates fehlt, stellt die Wahl militärischer Mittel zudem die Normen des internationalen Miteinanders in Frage.

Die empirischen Befunde unserer Befragung von Soldatinnen und Soldaten (Mannitz 2012) zeigen, dass die Dehnung der Aufgaben und die immanenten Unwägbarkeiten der politischen Einsatzentscheidungen in militärischen Kreisen quer durch Europa Orientierungsbedarf hinsichtlich der Frage erzeugen, welche Rolle(n) das Militär außenpolitisch künftig spielen soll und was daraus für das Anforderungsprofil des Soldatenbildes in der Demokratie folgt. Dabei sind der rechtlich kodifizierte Konsens in Verfassung und Wehrverfassung und die jeweils aktuellen Streitigkeiten zu Fragen des Unterhalts und gegebenenfalls Einsatzes einer Armee zwar zweierlei. Die politische Auseinandersetzung über beides ist aber zur demokratischen Kontrolle der kollektiven Gewaltmittel von zentraler Bedeutung.

Literatur

Lothar Brock (2013): Human Security and the Politics of Protection: Avoiding or Enhancing Responsibility? Frankfurt am Main: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), PRIF Working Paper No. 17.

Matthias Dembinski und Thorsten Gromes (2013): Bestandsaufnahme der humanitären militärischen Interventionen zwischen1947 und 2005. Frankfurt am Main: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), HSFK-Report Nr. 2-2013.

Samuel Huntington (1957): The Soldier and the State. Cambridge/Mass.: Belknap.

ICISS (2001): The Responsibility to Protect – Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty. Ottawa: ICISS.

Immanuel Kant (1795): Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Zitiert nach Werkausgabe Bd. 11, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Sabine Mannitz (2012): Democratic Civil-Military Relations in Europe. Oxford: Routledge.

Sabine Mannitz (2013): The »Democratic Soldier«: Comparing Concepts and Practices in Europe. Genf: Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), SSR Paper 9.

Harald Müller (2000): Demokratie ohne Armee? Die Forderung nach Auflösung »Stehender Heere« und die Diskussion um die Umstrukturierung der Bundeswehr«. In: Ulrich Menzel (Hrsg.): Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen. Dieter Senghaas zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lou Pingeot und Wolfgang Obenland (2014): In wessen Namen? Ein kritischer Blick auf die »Schutzverantwortung«. Dossier 76 in W&F 3-2014.

Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2006 zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. Zitiert nach der Online-Ausgabe auf bmvg.de.

Dr. Sabine Mannitz ist Forschungsgruppenleiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Sie beschäftigt sich in international vergleichender Perspektive mit Genese und Wandel von kollektiven Sicherheitsvorstellungen und -bedürfnissen sowie deren Transfer in öffentliche Diskurse und Institutionen.

Sozialisation im Militär

Sozialisation im Militär

von Maja Apelt

Die militärische Sozialisation vollzieht sich nicht nur in der Grundausbildung, sondern während der gesamten Dienstzeit und vor allem in den Einsätzen selbst. Die Frage, welche funktionalen und dysfunktionalen Wirkungen sie im Hinblick auf die Handlungsfähigkeit in den Einsätzen und die Identitätsentwicklung hat, ist allerdings weitgehend ungeklärt. Dies ist problematisch, und zwar sowohl hinsichtlich der widersprüchlichen Anforderungen in den Einsätzen als auch des Verhältnisses von Militär und Gesellschaft.

Die militärische Grundausbildung in der Bundeswehr hat sich in den letzten 50 Jahren stark gewandelt und ist zumindest in einigen Aspekten ziviler und menschlicher geworden. Die Frage, ob sie damit den Anforderungen der neuen Einsätze gerecht wird, wird allerdings kontrovers diskutiert, denn die Bundeswehr steht vor einem Dilemma: Sie muss die Soldaten angemessen für die von ihnen zu erfüllenden Aufgaben ausbilden, darf sich dabei zugleich nicht zu weit von der Gesellschaft entfernen.

Das Grundproblem

Der Kern des Soldatenberufs besteht darin, bereit und fähig zu sein, Menschen zu verletzen, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören und dabei auch das eigene Leben und die eigene Gesundheit zu riskieren, dies alles aber nur und ausschließlich innerhalb einer militärischen Hierarchie (vgl. Kliche 2004).

Um dies zu erreichen, geht die militärische Grundausbildung wesentlich weiter als vermutlich jede andere Berufsausbildung: Rekruten lernen nicht nur den Umgang mit Waffen, sie werden darüber hinaus für eine bestimmte Zeit oder dauerhaft von ihren Familien, Verwandten, Freunden abgeschottet, das Verlassen der Kaserne wird zumindest während der ersten Zeit streng reglementiert. Detailliert wird nicht nur vorgeschrieben, was Rekruten dürfen und was sie nicht dürfen,. auch der Alltag wird bis ins Detail vorgeschrieben. Die Privatsphäre – so es denn außerhalb der Kaserne eine gab oder gibt – wird aufgehoben oder auf ein Minimum reduziert. Soldaten müssen lernen, ihre Uniform nach Vorschrift zu tragen, die Stube und den Spind penibel aufzuräumen und das Bett auf Kante zu richten; sie lernen, zu marschieren, stramm zu stehen usw.

Das Problem besteht darin, dass Soldaten nicht mehr nur kämpfen, sondern auch andere, zumeist polizeiliche Aufgaben übernehmen müssen. Soldaten früherer Armeen waren häufig in Kolonien stationiert und mussten Aufstände bekämpfen. Heute wird das in der Sprache der Strategie des US-Militärs »couterinsurgency« – Aufstandsbekämpfung – genannt. In der Gegenwart sollen Soldaten die Entwicklungszusammenarbeit stützen, Wahlen absichern, den Terrorismus bekämpfen usw. Zeitweise wurden Soldaten sogar als »bewaffnete Sozialarbeiter« bezeichnet, das hieß, dass sie sich auch diplomatische und sozialarbeiterische Fähigkeiten aneignen sollten.

Kampf- und Polizeieinsätze gehen heute ineinander über, und Soldaten müssen teilweise eigenständig entscheiden können, wann sie in welcher Rolle auftreten, was sie wann tun müssen, wie sie wann auf welche Menschen reagieren. Kurzum: Die Anforderungen sind höchst problematisch und widersprüchlich.

Welch dramatische Folgen es haben kann, wenn Soldaten nicht wissen, was sie tun sollen, oder die falsche Entscheidung treffen, wurde etwa 1995 beim Völkermord in Srebrenica trotz der Anwesenheit niederländischer Blauhelmsoldaten oder 2009 bei der Entscheidung von Oberst Klein, in Nordafghanistan einen Luftangriff auf entführte Tanklastwagen anzufordern, sichtbar. Dazu kommt eine wachsende Zahl von Soldaten mit posttraumatischem Belastungssyndrom, die zeigt, dass die psychischen Anforderungen und Belastungen des Einsatzes tiefe Spuren hinterlassen.

Welche Hintergründe dies hat und inwiefern die militärische Ausbildung geeignet ist, auf den Einsatz vorzubereiten, soll nachfolgend aus sozialisationstheoretischer Perspektive diskutiert werden.

Ungenügender Wissensstand zur militärischen Sozialisation

Welche funktionalen oder dysfunktionalen Wirkungen die militärische Ausbildung und der soldatische Dienst haben, darüber fehlen weitgehend wissenschaftlich belegte Untersuchungen und Aussagen. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen erschwert die Bundeswehr die Möglichkeit der Forschung, versucht die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse zu kontrollieren oder zumindest die von unliebsamen Ergebnissen zu verzögern oder zu verhindern. Dies machen auch private Unternehmen; der Unterschied besteht hier allerdings darin, dass es sich um einen staatlichen Akteur handelt, der unter der Kontrolle der Öffentlichkeit und Politik stehen muss.

Die Kehrseite ist, dass die aktuelle Forschung über das Militär in der Öffentlichkeit und der »scientific community« kein hohes Ansehen genießt, und dies gilt weitgehend unabhängig davon, ob es sich um kritische Forschung handelt oder nicht. Wissenschaftler müssen sich also genau überlegen, ob sie sich eine solche Forschung leisten können.

Überdies hat die empirische Sozialisationsforschung mit dem Problem zu kämpfen, dass belastbare Aussagen darüber, welche Auswirkungen bestimmte Sozialisationsbedingungen haben, äußerst schwierig sind. Dahinter steht, dass Sozialisation weit mehr umfasst als Erziehung. Erziehung besteht in dem Versuch der methodischen Einflussnahme auf ein Individuum; Sozialisation dagegen umfasst alle gewollten wie ungewollten Umweltfaktoren auch jenseits der Erziehung sowie den Eigenanteil des Individuums selbst, also wie es Einflüsse und Anforderungen verarbeitet, Belastungen überwindet oder daran womöglich zerbricht. Sozialisation, dies ist auch wichtig, ist ein lebenslanger Prozess. Im Nachhinein zu bestimmen, was welchen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung hatte, ist äußerst schwierig.

Die spezifische militärische Grundausbildung

Seit der Durchsetzung der stehenden Heere wurden Rekruten militärisch ausgebildet und trainiert. Sie lernten den Umgang mit Waffen, wurden uniformiert, gedrillt und körperlich geschult. Sie wurden dazu wie oben beschrieben abgeschottet, reglementiert und jeglicher Privatsphäre beraubt. In der sog. Formalausbildung lernten die Rekruten, militärisch zu stehen, zu gehen, zu marschieren, sich anzukleiden und zu grüßen. Der eigene Name verlor zugunsten des Dienstgrades und der Position an Bedeutung. Für kleinste Vergehen wurden drakonische Strafen verhängt. Schikanen von Vorgesetzten, aber auch von den eigenen »Kameraden«, gehörten zur Tagungsordnung; auch wenn sie zumeist formal verboten waren, wurden sie informell doch mehr als geduldet (so z.B. »Code Red« im Militär der Vereinigten Staaten, die »Dedowschtschina« in den russischen Streitkräften oder die »EK-Bewegung« in der Nationalen Volksarmee der DDR).

Weitere militärische Elemente, die die Fähigkeit und Bereitschaft zu kämpfen befördern sollten und die gesamte Organisation betrafen, kamen hinzu. So etwa Traditionen, Zeremonien und Symbole, deren Funktion es ist, den Schmerz, Verwundung und Tod symbolisch zu überformen und moralisch aufzuladen und so dem zerstörerischen Handeln einen Sinn zu geben. Bis heute zeigt sich, dass Rituale und Symbole den Soldaten von seinem Eintritt in die Organisation bis zu seinem Ausscheiden und darüber hinaus begleiten, sie werden Teil der Identitätsausrüstung des Soldaten und sollen die frühere private Identität überdecken oder ersetzen. Und auch in der Gegenwart gilt, dass Streitkräfte mit öffentlichen Zeremonien, feierlichen Gelöbnissen, Militärparaden und Ehrenbekundungen gegenüber »gefallenen« Soldaten sowie mit Ehrendenkmälern ihren Anspruch auf eine besondere Ehrerbietung seitens der übrigen Gesellschaft formulieren. Erreicht werden soll, dass das militärische Handeln nicht als kriminell oder abweichend sanktioniert, sondern als Dienst an der nationalen Gemeinschaft gewürdigt wird. Je kriegerischer die Einsätze des Militärs, desto wichtiger werden diese Ehrenbekundungen in der Öffentlichkeit (Burk 1999).

Eine besondere Bedeutung kommt aber der Kameradschaft zu: Sie soll die Defizite einer rigiden Hierarchie und Formalstruktur ausgleichen, und mit dem Hinweis auf Kameradschaft können Vorgesetzte Forderungen formulieren, die weit über das Formale hinausgehen. Außerdem kann die Kameradschaft der Forderung, das eigene Leben einzusetzen, einen Sinn jenseits nur politischer Ideologie geben: Wenn schon nicht für's Vaterland, so kämpft man wenigstens für die Kameraden; man lässt sie nicht im Stich. In unseren Befragungen war Kameradschaft das zentrale Argument, die Waffe im Einsatz einzusetzen. Das Motto war: Wenn ich es tue, muss es mein Kamerad nicht tun (Apelt 2012).

Die militärische Sozialisation ist demzufolge der Prozess, in dem sich die Soldaten diese Kultur aneignen.

Militärische Sozialisation aus der Perspektive Goffmans und Foucaults

Wie der Aneignungsprozess einer Kultur verläuft, die der zivilen Kultur außerhalb der Kaserne widerspricht, lässt sich mit Goffmans Theorie der »totalen Institution« (1973) erklären. Goffman zeigt auf, wie totale Institutionen die Identität ihrer Insassen soweit angreifen und verändern, dass es möglich wird, bereits internalisierte (zivile) Normen aufzuheben und durch neue (militärische) zu ersetzen und die dazugehörigen Handlungsmuster zu etablieren. Ergebnis einer Sozialisation in »totalen Institutionen« ist im Extremfall, dass die Insassen in der Lage sind, sich im Rahmen dieser Organisationen zu bewegen und deren Anforderungen zu erfüllen. Nur in der individualisierten bürgerlichen Gesellschaft – so Goffman – können sie dann nicht mehr bestehen.

Diese »totalen Institutionen« zeichnen sich einerseits dadurch aus, dass Schlafen, Arbeiten und Freizeit nicht mehr voneinander getrennt sind und die Insassen von der Außenwelt abgeschottet werden; dadurch erleiden sie einen Rollenverlust und den Verlust möglicher Hinterbühnen. Die Grenze, die Individuen gegenüber ihrer Umwelt normalerweise ziehen können und die es ihnen ermöglicht, eine eigene Identität auszubilden, sich von gesellschaftlichen Zumutungen zumindest teilweise abzugrenzen, wird aufgehoben.

Zum anderen sind Insassen von totalen Institutionen einer einzigen Autorität unterstellt und werden nach festen Regeln und einem umfassenden Plan verwaltet. Durch die totale Institution werden die Widerstände gegen die Organisation und ihre Zumutungen gebrochen. Zusätzlich werden Neulinge einem Gehorsamstest – einer Probe zur Brechung ihres Willens – unterzogen. Wer sich widersetzt, wird unmittelbar und sichtbar bestraft.

Mit Foucault (2008) lässt sich ergänzen, dass sich diese Institutionen des Körpers der Insassen bemächtigen: Dieser wird isoliert, überwacht und diszipliniert; zugleich wird damit der Geist geformt. Die zentralen Medien dieser Formung sind die genaue Aufgliederung und Verknüpfung von Zeit und Raum, Übungen und Prüfungen. Vorbild ist das Bentham'sche Panopticon. In ihm ist die Überwachung allumfassend, lückenlos und zugleich unmerklich. Um den Strafen zu entkommen, bleibt den Insassen nur die Chance, sich selbst zu bewachen.

In Anlehnung an Foucault untersuchte Treiber (1973) zwischen 1968 und 1970 die Sanktionspraxis in der Bundeswehr. Sein besonderes Interesse richtete sich dabei auf das Phänomen der »Normenfalle«. Die Rekruten, so sein Befund, müssten so viele neue Verhaltensanforderungen gleichzeitig erfüllen, dass sie notgedrungen scheitern müssten. Sie gerieten in einen Zustand ständiger Kritisierbarkeit. Zudem weise ein Teil der Normen eine gewollte Unschärfe auf, die den Zweck habe, dass die Regeln nicht einhaltbar sind und die Rekruten permanent sanktioniert und verunsichert werden könnten. Treiber schlussfolgert, diese Mechanismen der totalen Institution und der Normenfalle seien nicht dazu geeignet, selbständig denkende und handelnde Soldaten heranzubilden (vgl. auch Steinert/Treiber 1980).

Liliensiek (1979) ging mit seiner Kritik am Militär noch einen Schritt weiter. Während das Alltagsverständnis das Militär gern als Instanz betrachtete, in der Jugendliche zu »echten« Männern gemacht werden, betonte er den reifungshemmenden Charakter des Militärdienstes (so auch Böhnisch/Winter 1997, S.93f.). Ausgangspunkt für Liliensieks Überlegungen war, dass der Wehrdienst in die Phase der späten Adoleszenz fällt und die Grundausbildung die Befriedigung der in der Adoleszenz besonders virulenten Bedürfnisse nach unterschiedlichen sozialen Kontakten, Anerkennung u.ä.m. nicht nur verhindere, sondern einen Rückfall der jungen Männer in die frühe Kindheit, speziell in die anale Phase (also 2. bis 3. Lebensjahr), hervorrufe. Denn auch da lernen Kinder zu stehen, zu gehen und zu laufen. Mit diesem Rückfall in eine frühkindliche Phase würden die Soldaten in ihrem innersten Wesen massiv verunsichert, die Identität würde geschwächt und abweichendes Verhalten (z.B. unerlaubtes Entfernen von der Truppe) gefördert.

Einfluss von Zivildienst und technologischer Entwicklung

Die militärische Grundausbildung in der Bundeswehr – insbesondere die Sanktionspraxis – hat sich seit den 1970er Jahren gravierend geändert. Dafür gab es mehrere Gründe. Im Zuge der langen Friedensperiode und angesichts der Gefahr eines Atomkriegs wurde ein Krieg immer weniger vorstellbar, die militärischen Einsatzszenarien verloren an Glaubwürdigkeit, und die Akzeptanz des Militärs in der Gesellschaft sank – es rückte mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft. Aufgrund der gesellschaftlichen Demokratisierung und Individualisierung in den 1970er und 1980er Jahren verlor das Militär weiter an Ansehen und Attraktivität. Immer weniger junge Männer waren bereit, sich dem Pflichtdienst fraglos unterzuordnen. Die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes und der Ableistung eines Wehrersatzdienstes wurde zunehmend in Anspruch genommen.

Trotz der Klagen der Militärs über die sinkende Zahl der Wehrdienstleistenden kam ihnen diese Entwicklung entgegen, denn mit steigendem technischen bzw. technologischen Niveau der Ausrüstung reduzierte sich der Nutzen, potentiell unwillige Zwangsdienstleister an dieser Ausrüstung zu unterweisen. Wenn potentielle »Störer und Versager« nicht mehr in die Kasernen müssen, so entfällt die Notwendigkeit, sie durch Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zu Soldaten zu machen (vgl. Bröckling 1997, S.318).

Und nicht zuletzt setzte sich die »Innere Führung« durch, Im Zuge der Integration der Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) in den 1990er Jahren diente das Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« plötzlich auch denjenigen konservativen Offizieren, die dieses Konzept bis dahin eher abgelehnt hatten, als Markenzeichen, das die Bundeswehr deutlich von der NVA unterschied.

All diese Veränderungen führten aber nicht zu einer Auflösung der Grenzen zwischen Militär und Gesellschaft und der Spezifika militärischer Kultur und Sozialisation. Wahrscheinlich trifft, vor allem seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011, auch auf die Bundeswehr zu, was Heins und Warburg (2004, S.124) in Anlehnung an David Lipsky (2004) über die Kadetten der Militärakademie West Point schreiben. Diese Hochschule des US-Militärs wäre „eine erstaunlich ironiefreie Zone […] Die Kadetten entgehen dem in der Normalgesellschaft üblichen Druck der permanenten Selbstfindung und Individualisierung, indem sie sich in einer vorgefertigten Ordnung bewegen […]“.

Neue Einsätze

In den 1990er Jahren und mit dem Einsatz der Bundeswehr in zunächst noch klassischen Peacekeeping-Einsätzen sowie bei der Hochwasserkatastrophe an der Oder 1997 schien es, als ob der Soldat tatsächlich zum Katastrophenhelfer und bewaffneten Sozialarbeiter mutieren würde. Inzwischen hat die Realität der neuen Einsätze die Bundeswehr aber wieder eingeholt. Bedenkt man, dass die ersten Bundestagsabgeordneten über einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten gegen die IS-Kämpfer im Nahen Osten nachdenken, so deutet dies auf eine Remilitarisierung des Militärs hin.

Dies aber bedeutet nicht einfach eine Rückkehr zum klassischen Krieg, sondern eine Verschärfung der Dilemmata militärischen Handelns, da die neuen Einsätze für die Streitkräfte gleichermaßen eine Verpolizeilichung wie eine Remilitarisierung nahelegen. Welche Schlussfolgerungen daraus für die Struktur der Bundeswehr und der Ausbildung zu ziehen sind, ist unklar.

Schluss

Die militärische Sozialisation vollzieht sich nicht nur in der Grundausbildung, sondern während der gesamten Dienstzeit und vor allem in den Einsätzen selbst. Fraglos sind die Soldaten in den Einsätzen nicht nur der Gefahr für das eigene Leben und die eigene Gesundheit ausgesetzt, sondern sie müssen damit rechnen, die Waffe selbst einsetzen oder anderen den dafür erforderlichen Befehl (oder im Falle des Oberst Klein die entsprechende Information) geben zu müssen. Zusätzlich tragen die Camps, in denen sie in den Einsatzgebieten leben, wesentliche Merkmale totaler Institutionen. Das prägt die Identität der Soldaten und ihre sich dadurch etablierenden Handlungsmuster weitgehend unabhängig von formalen Vorgaben und wahrscheinlich auch von den Vorstellungen der »Inneren Führung«.

Die Widersprüche zwischen Militär und Gesellschaft werden damit größer, sie erschweren die Integration und Sozialisation ins Militär ebenso sowie die Rückkehr in die Zivilgesellschaft. Die Heroisierung oder Militarisierung der Gesellschaft, wie sie Münkler (2006, S.310ff.) vorzuschlagen scheint, würde daran nichts ändern.

Literatur

Maja Apelt (2012): Militär. In: dies. und Veronika Tacke (Hrsg.): Handbuch Organisationstypen. Wiesbaden: Springer VS.

Ulrich Bröckling (1997): Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion. München: Vink.

James Burk (1999): Military Culture. In: Lester Kurtz (ed.): Encyclopedia of Violence, Peace and Conflict. San Diego: Academic Press, S.447-462.

Michel Foucault (2008): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Erving Goffman (1973): Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Volker Heins und Jens Warburg (2004): Kampf der Zivilsten. Militär und Gesellschaft im Wandel. Bielefeld: transcript.

Thomas Kliche (2004): Militärische Sozialisation. In: Gert Sommer und Albert Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz, S.344-356.

Peter Liliensiek (1979): Bedingungen und Dimensionen militärischer Sozialisation. Ein Beitrag zur Bundeswehrsoziologie. Frankfurt am Main: Peter Lang.

David Lipsky (2004): Absolutely American: Four Years at West Point. New Yor:. Houghton Mifflin.

Herfried Münkler (2006): Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Weilerswist-Metternich: Velbrück Wissenschaft.

Hubert Treiber (1973): Wie man Soldaten macht. Sozialisation in »kasernierter Gesellschaft«. Düsseldorf: Bertelsmann.

Hubert Treiber und Heinz Steinert (1980): Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen. Über die »Wahlverwandtschaft« von Kloster- und Fabrikdisziplin. München: Moos.

Prof. Dr. Maja Apelt, Diplom-Soziologin, ist Professorin für Organisations- und Verwaltungssoziologie der Universität Potsdam, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät.

Demokratisches Defizit

Demokratisches Defizit

Zur Debatte über Änderungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes

von Nadja Douglas

Die parlamentarische Opposition hat im 18. Deutschen Bundestag nur wenig Gestaltungsspielraum. Nun muss sie obendrein zuschauen, wie eine kürzlich gegründete Kommission die Parlamentsrechte bei Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Disposition stellt. Die Regierungskoalition strebt eine Flexibilisierung des konstitutiven Parlamentsvorbehalts an. Dabei nimmt sie bewusst einen Verlust demokratischer Legitimation in einem kritischen Politikfeld in Kauf.

Die im Koalitionsvertrag 2013 von CDU/CSU und SPD vereinbarte Kommission zur Reform des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBG) unter Leitung des ehemaligen Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU) formierte sich im April dieses Jahres. Die großen Tageszeitungen widmeten dieser Meldung allenfalls eine Randnotiz. Zwar steht die Arbeit der Kommission erst am Anfang, für eine Bilanz ist es also zu früh. Doch allein die Tatsache, dass es diese Kommission gibt, sollte zu denken geben.

Wofür steht das ParlBG? Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellte 1994 in einem Grundsatzurteil die Vereinbarkeit so genannter Out-of-area-Einsätze mit dem Grundgesetz fest und legitimierte sie damit aus Sicht von Kritikern erstmals verfassungsrechtlich. Zugleich wurden bewaffnete Einsätze im Ausland unter einen »konstitutiven wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt« gestellt. Danach ist für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte ein rechtsverbindlicher Parlamentsbeschluss erforderlich, der die Bundesregierung bindet und die Rechtsgrundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte schafft. 2005 wurden die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Entscheidung im ParlBG einfach gesetzlich konkretisiert. Seither gilt die Bundeswehr als »Parlamentsarmee«, und die parlamentarische Beteiligung in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ist relativ intensiv.

Parlamentsrechte als Hemmschuh?

Insbesondere Vertretern der CDU/CSU-Fraktion ist dieses Gesetz schon seit langem ein Dorn im Auge. So sprachen sich die beiden Unionsabgeordneten Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter 2012 in einem Positionspapier1 für eine stärkere militärische Integration der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik innerhalb der Europäischen Union und für eine „Flexibilisierung“ des deutschen ParlBG aus. Im Kern geht es um die wiederholte Auseinandersetzung zwischen Parlament und Regierung um den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in integrierten Stäben von EU und NATO oder in multinationalen Verbänden (wie EU Battlegroups und NATO Response Force). Auch beim Einsatz deutscher AWACS-Überwachungsflugzeuge inklusive deutscher Besatzung gab und gibt es immer wieder Unstimmigkeiten, ob diese im Falle eines konkreten Einsatzes zunächst abgezogen werden müssten, bis eine Zustimmung des Bundestages vorliege.

Die Forderungen der Unionsabgeordneten sind klar formuliert: Für bestimmte Einsatztypen sollen Parlamentsbeschlüsse gebündelt erfolgen, z.B. für logistische Einsätze oder für Aufklärungs- und Ausbildungseinheiten, die multinational vorgehalten werden und keine direkten Kampfeinsätze vorsehen. Dafür könnte im Rahmen einer jährlich stattfindenden Bundestags-Sicherheitsdebatte ein »Vorratsbeschluss« gefasst werden. Auch Vorschläge, die bereits im Vorfeld der Verabschiedung des ParlBG diskutiert wurden, sind nun wieder im Gespräch. So hatte der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck angeregt, als Unterausschuss des Verteidigungsausschusses einen „Entsendeausschuss“ einzurichten. Dieser Vorstoß wurde später u.a. als Variante „Einsatzausschuss“ diskutiert.2 Der Unterausschuss soll stellvertretend für den gesamten Bundestag über »Routineeinsätze« oder kurzfristig erforderliche Einsätze entscheiden.

Vor dem Hintergrund des Diskurses über die internationale Verantwortung Deutschlands (siehe dazu z.B. die Beiträge von Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014)3 gibt es immer wieder Forderungen nach einem nationalen Souveränitätsverzicht im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, um einer möglichen internationalen »Einflussminderung« vorzubeugen. Der nationale Parlamentsvorbehalt gilt dabei zunehmend als Hemmschuh. Ziel der Anpassung soll sein, dass die Bundesregierung auf Grundlage eines Beschlusses des Europäischen Rates oder des Nordatlantikrates unmittelbar auf spezielle militärische Fähigkeiten zurückgreifen kann. Deutsche Soldatinnen und Soldaten könnten somit in Einsätze geschickt werden, die die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag aus eigener Initiative womöglich niemals beschließen würden.

Rühe-Kommission: „Abbau“ oder „Sicherung“ des Parlamentsvorbehalts?

Die so genannte Rühe-Kommission hat die Aufgabe übernommen, innerhalb eines Jahres zu prüfen, wie unter den Bedingungen fortschreitender Bündnisintegration die „Parlamentsrechte gesichert werden können“.4 Dass es im Wortlaut um „Sicherung“ und nicht gleich um Flexibilisierung der Parlamentsbeteiligung gehen soll, ist der SPD zuzuschreiben. Diese hat in ihren Reihen nach wie vor vehemente Verteidiger der Parlamentsarmee. Dieter Wiefelspütz etwa hat sich unter dem Motto „Hände weg vom Parlamentsheer“ 5 immer wieder eindringlich gegen den Abbau von Parlamentsrechten ausgesprochen. Die Fraktionen DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen haben sich entschlossen, die Arbeit der Kommission zu boykottieren. Dies ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der bereits festgelegten Ausrichtung der Kommission nachvollziehbar. Jedoch riskiert die Opposition damit einen Informationsverlust und beraubt sich zudem der Möglichkeit, ein wachsames Auge auf Entwicklungen zu haben, die die fortschreitende Entmachtung des Parlaments bedeuten könnten.

Die Argumente für die Reform scheinen vorgeschoben. Nach bisherigen Erfahrungen hat der konstitutive Parlamentsvorbehalt Einsätze im Rahmen von Bündnisverpflichtungen nicht behindert. Im Gegenteil: Mitunter kamen Entscheidungen und Mandate für Auslandseinsätze innerhalb weniger Tage zustande (beispielsweise für die Teilnahme an der KFOR-Mission im Kosovo sowie an ISAF in Afghanistan). Tatsächlich ist die vielbeschworene Flexibilität der Entscheidungsmechanismen bereits im ParlBG angelegt. Bei „Gefahr im Verzug“ (ParlBG §5) gilt das nachträgliche Zustimmungsverfahren, und bei „Einsätzen geringer Intensität“ (ParlBG §4) kann ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren greifen.

Zweiter Schritt vor dem ersten?

Es gibt viele Gründe, die für eine Stärkung statt einer Begrenzung des Parlamentsvorbehalts sprechen (siehe prozedurale sowie friedenspolitische Aspekte in den Anträgen der Oppositionsparteien6 sowie die Position der Kommission »Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr« am IFSH7). Auch demokratietheoretische Begründungen im Sinne der auf Kant aufbauenden Theorie des »Demokratischen Friedens« können angeführt werden.8 Nicht zuletzt spielt der historische Hintergrund eine wesentliche Rolle. Es ist kein Zufall, dass ehemals totalitär oder autoritär geprägte Staaten genau zwischen militärischen und zivilen Aufgaben unterscheiden und demgemäß den Einsatz von Streitkräften auf Verfassungsebene regeln.9 Auch das Bundesverfassungsgericht leitet den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus einem allgemeinen, normübergreifenden Verfassungsprinzip des Grundgesetzes sowie vor dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 „aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften des Grundgesetzes“ dogmatisch her.10

Hier soll jedoch ein anderer, häufig übersehener Aspekt in den Fokus gerückt werden: das Demokratiedefizit auf internationaler Ebene. Die Koalitionsparteien planen voreilig den (fragwürdigen) zweiten Schritt vor dem ersten. Konkret bedeutet dies, dass die nationale parlamentarische Legitimation von Militäreinsätzen aufgegeben werden soll, obgleich es bislang keine funktionierende parlamentarisch-demokratische Legitimationsmechanismen auf internationaler bzw. supranationaler Ebene gibt. Bedenken und Zweifel an der Demokratiefähigkeit internationaler Strukturen klingen zwar gelegentlich im Rahmen der Demokratiedefizit-Debatte an. Mitunter wird internationalen Institutionen die Demokratiefähigkeit gar gänzlich abgesprochen.11 In Bezug auf die Legitimation von Militäreinsätzen auf internationaler Ebene wurden die bestehenden Defizite bei der demokratischen Legitimation bislang jedoch nur marginal thematisiert.

Grenzen der demokratischen Kontrolle

Im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) nehmen seit 1999 die militärischen (aber auch polizeilichen und zivilen) Einsätze stetig zu, Fragen der demokratischen Kontrolle sind aber nicht geklärt. Auch gemäß dem Vertrag von Lissabon werden Entscheidungen auf intergouvernementalem Wege vom EU-Ministerrat, nicht vom Europäischen Parlament getroffen. Das Parlament hat nach wie vor nur eine beratende Funktion. Es muss zwar informiert werden, darf Fragen stellen und Empfehlungen abgeben sowie eine Jahresdebatte zur GSVP abhalten, es befasst sich jedoch nur ein einziger Unterausschuss regelmäßig mit diesen Themen. Auch das häufig zitierte Haushaltsrecht des Europäischen Parlaments greift hier nicht, da die meisten EU-Operationen nach dem Mechanismus zur Finanzierung gemeinsamer Militäroperationen (Athena) finanziert werden, der nicht unter das Budgetrecht des Parlaments fällt.

Wie kommen Entscheidungen über Militäreinsätze der Europäischen Union im Einzelnen zustande? Eine Schlüsselrolle spielt hier das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK). Es handelt sich dabei um ein aus nationalen VertreterInnen zusammengesetztes Organ in Brüssel. 90 Prozent der Vorlagen und Entscheidungen, die im EU-Rat verhandelt werden, gehen über den Tisch des nicht öffentlich tagenden PSK. Zu seinen Aufgaben gehört es ferner, Empfehlungen zur Konfliktbearbeitung abzugeben, die in den meisten Fällen angenommen werden. Zudem übernimmt das Komitee die Koordination mit NATO und den Vereinten Nationen. Bei der Formulierung der Beschlüsse (beispielsweise des Rats für Auswärtige Angelegenheiten) arbeitet es mit dem Ausschuss der Ständigen Vertreter zusammen. Das PSK berät sowohl den Militärausschuss als auch den Militärstab der EU und hat sich mit der Zeit zu einer Art „Entscheidungspräger“ 12 entwickelt.

In der NATO werden sämtliche Entscheidungen, auch über Militäroperationen, nach dem Konsensprinzip im Nordatlantikrat getroffen. Der NATO-Rat ist zusammengesetzt aus ständigen nationalen VertreterInnen. Er tagt hinter verschlossenen Türen und wird von den USA dominiert. Die Parlamentarische Versammlung der NATO verschafft den Entscheidungen des Rates keine demokratische Legitimation, da sie über keinerlei parlamentarische Entscheidungs- bzw. Kontrollrechte, z.B. über die Finanzen des Bündnisses, verfügt.

Entscheidungen über Militäreinsätze werden also in der EU wie der NATO von nicht gewählten Technokraten und Diplomaten geprägt bzw. getroffen.

Doppeltes demokratisches Defizit

Die parlamentarischen Beteiligungsrechte in anderen Mitgliedsstaaten von NATO und EU weisen große Unterschiede auf. Gemeinhin wird unterschieden zwischen Entscheidungen »ex ante« (Möglichkeit des Parlaments, vor dem Truppeneinsatz seine Kontrollrechte auszuüben) oder »post hoc« (Rechte des Parlaments, nachdem das Militär bereits entsandt wurde, z.B. das bereits erwähnte Rückholrecht, Finanzprüfung etc.). Vergleichende Studien13 zeigen, dass die zivile Kontrolle über den Streitkräfteeinsatz im Großteil der Mitgliedsstaaten von den nationalen Regierungen ausgeht.

Dabei geht es hier um ein zentrales Legitimitätsmerkmal demokratisch verfasster politischer Systeme: die zivile und demokratische Kontrolle von Streitkräften. Im Verhaltenskodex der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit14 heißt es hierzu: „Die Teilnehmerstaaten erachten die demokratische politische Kontrolle militärischer und paramilitärischer Kräfte […] als unerlässlichen Bestandteil der Stabilität und der Sicherheit.“ (Abschnitt VII, Art. 20) Ferner wird ausgeführt: „Jeder Teilnehmerstaat wird jederzeit dafür sorgen und sicherstellen, dass seine militärischen und paramilitärischen Kräfte sowie seine Sicherheitskräfte durch die verfassungsgemäß errichteten und demokratisch legitimierten Organe wirksam geführt und kontrolliert werden.“ (Abschnitt VII, Art. 21)

In der Summe liegt also ein „doppeltes demokratisches Defizit“ 15 vor. Auf der einen Seite sind die Entscheidungsmechanismen auf der internationalen Ebene kaum demokratisch legitimiert, es handelt sich de facto um einen „parlamentsfreien Bereich“,16 auf der anderen Seite sind diejenigen nationalen Parlamente, denen bei militärischen Einsätzen in internationalen Operationen ein formales Beteiligungs- und Zustimmungsrecht eingeräumt wird, in der Minderheit.

Warum es wichtig ist, Parlamentsrechte nicht nur zu „sichern“

1. Das ParlBG ist in einigen Passagen sehr vage formuliert. Die im Gesetz vorgesehene Unterrichtung „in geeigneter Weise“ (§5) lässt sehr viel Handlungsspielraum. Das bislang übliche Verfahren der informellen Unterrichtung der Obleute der relevanten Ausschüsse müsste konkretisiert und ausgeweitet werden. Zudem liegt die Definitionshoheit über die inhaltliche Qualifizierung von Einsätzen nach wie vor bei der Bundesregierung. Sie entscheidet, was als »Erkundungsmission«, »Vorbereitungskommando« oder »Ausbildungskontingent« anzusehen ist. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine jüngst gestellte Kleine Anfrage im Bundestag17 geht hervor, dass in den letzten Jahren zahlreiche, auch bewaffnete Ausbildungseinsätze durchgeführt wurden, die nicht unter die Zustimmungspflicht des Bundestages fielen.

2. Der Einsatz bewaffneter Drohnen ist ein weiteres Problemfeld, das künftig ins Blickfeld rücken wird. Im derzeitigen Gesetz ist für derartige Einsätze keine Regelung vorgesehen, da vorausgesetzt wird, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten Fuß auf ausländisches Territorium setzen müssen, damit von einem bewaffnetem Einsatz im Ausland die Rede sein kann. Zuträglicher wäre es sicherlich, wenn sich die Bundesregierung dazu entschlösse, gänzlich auf Beschaffung und Einsatz bewaffneter Drohnensysteme sowie die Beteiligung an derartigen Einsätzen zu verzichten. Andernfalls müsste das Gesetz angepasst werden.

3. Es gibt in Deutschland nach wie vor keine formelle parlamentarische Kontrolle über den Einsatz von Spezialkräfteeinheiten. Lediglich die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss werden sporadisch über diese Einsätze informiert. Geheimhaltung steht hier dem Anspruch des Parlaments auf umfassende Unterrichtung sowie dem Prinzip der Transparenz entgegen. Für die noch im Entstehen begriffene Division Schnelle Kräfte (DSK), ein Eliteverband, der zukünftig das Kommando Spezialkräfte (KSK), Fallschirmjäger und Heeresfliegertruppe vereinen soll, sind die Aussichten auf eine umfassende und wirksame parlamentarische Kontrolle noch geringer.

Fazit

Es ist mehr als bedenklich, wenn Entscheidungen über die Anwendung militärischer Gewalt immer häufiger in internationalen Institutionen getroffen werden, die weit entfernt sind von demokratisch legitimierten, den Wählern gegenüber rechenschaftspflichtigen Strukturen. Entscheidungen über den Einsatz von Streitkräften zählen zu den folgenreichsten Entscheidungen, die in demokratischen Staaten überhaupt getroffen werden können. Auch wenn es einigen Abgeordneten vielleicht nicht ungelegen kommt, durch einen Verzicht auf die Zustimmungspflicht (über Auslandseinsätze wird in der Regel namentlich abgestimmt) die Last der Verantwortung an die Regierenden abzugeben, sind solch intransparente Entscheidungsprozesse für die Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar.

Die parlamentarische Debatte, die offene Auseinandersetzung mit Kritik der Opposition sowie die gesellschaftliche Artikulation sind das Elixier der Demokratie. Gäbe es keine Plenardebatten mehr zu einzelnen Einsätzen, erführe die Öffentlichkeit noch weniger über die Inhalte und Ziele der Mandate als dies heute ohnehin der Fall ist.

Anmerkungen

1) Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter: Impulse für Europas Sicherheitspolitik. Die Zeit zum Handeln ist gekommen. Internationale Politik 5/2012, S.88-97.

2) Timo Noetzel und Benjamin Schreer (2007): Vernetzte Kontrolle: Zur Zukunft des Parlamentsvorbehalts. Arbeitspapier der Stiftung Wissenschaft und Politik, S.41.

3) Reden von Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen anlässlich der 50. Münchner Sicherheitskonferenz, 31.1.-2.2.2014; securityconference.de.

4) Beschluss der Regierungsparteien über die Einsetzung einer »Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr«. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/766.

5) Dieter Wiefelspütz: Hände weg vom Parlamentsheer!. Die Friedenswarte 87 (Heft 2-4/2012): Die parlamentarische Kontrolle von Militär und Sicherheitspolitik, S.16-21.

6) Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 12.03.2014, Bundestags-Drucksache 18/775. Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 20.03.2014, Bundestags-Drucksache 18/839.

7) Kommission »Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr« am IFSH (2013): Für eine Stärkung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

8) Hintergrund ist der Zusammenhang zwischen Herrschaftsform und Friedensaffinität bzw. Kriegsaversion. Wenn die Exekutive das alleinige Entscheidungsrecht besitzt, können Streitkräfte schneller und flexibler eingesetzt werden, die Entscheidung für die militärische Option fällt leichter. In Demokratien wird üblicherweise dem Parlament ein hoher Stellenwert eingeräumt, da es repräsentativ für die Volkssouveränität steht. Die Ablehnung von Auslandseinsätzen und Krieg im Allgemeinen ist in den meisten Bevölkerungen tief verankert. Dies wird im politischen Entscheidungsprozess berücksichtigt und trägt somit zu einer verantwortungsvolleren Politik der Herrschenden bei.

9) Ines-Jacqueline Werkner (2006): Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee? Wehrstrukturentscheidungen im europäischen Vergleich. Frankfurt am Main: Peter Lang.

10) BVerfG, Urteil vom 7.5.2008 – 2 BvE 1/03 –, BVerfGE 121, 135-175.

11) Robert Dahl (2001): Can international organisations be democratic? A skeptic’s view. In: Ian Shapiro und Casiano Hacker-Cordon (eds.): Democracy’s Edges. Cambridge: Cambridge University Press.

12) Nicolai von Ondarza: EU Military Deployment – An Executive Prerogative? Decision-making and parliamentary control on the use of force by the EU. Paper für GARNET »EU in International Affairs Conference«, April 2008.

13) Vgl. Wolfgang Wagner, Dirk Peters und Cosima Glahn: Parliamentary War Powers Around the World. Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Occasional Paper 22/2010.

14) OSZE (1994): Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit. Dokumentenreihe »Sofortprogramm«, Nr. 7.

15) Hans Born und Heiner Hänggi (eds.) (2004): The »Double Democratic Deficit«. Parliamentary Accountability and the Use of Force under International Auspices. Aldershot: Ashgate Publishing.

16) Dieter Deiseroth: Zuviel demokratische Kontrolle? Weniger schadet der Demokratie? Sicherheit und Frieden, Nr. 30(4), 2012, S.232-234.

17) Antwort der Bundesregierung vom 8.5.2014 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE, Bundestags-Drucksache 18/1410.

Nadja Douglas, Politikwissenschaftlerin, promoviert und lehrt u.a. zum Thema zivile Kontrolle von Streitkräften am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin.