Friedensbewegung und Friedensforschung

Friedensbewegung und Friedensforschung

Ein vielschichtiges Verhältnis

von Andreas Buro

In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die »Ostermärsche gegen Atomwaffen in Ost und West« sich über die ganze Bundesrepublik ausweiteten und sich später als außerparlamentarische Opposition in der »Kampagne für Demokratie und Abrüstung« etablierten, wurde immer wieder eine eigene deutsche Friedensforschung gefordert. Etabliert gab es diese damals noch nicht, es gab nur einzelne Forscher, die sich ausgesuchter Themen annahmen. Die Atomwaffengegner waren gezwungen, sich ihre Kenntnisse weitgehend aus ausländischer wissenschaftlicher Literatur zu holen. Bertrand Russell und Linus Pauling, beide zweifache Nobelpreisträger, spielten eine große Rolle, aber auch der kritisch recherchierende Journalismus. Beispielhaft hierfür Robert Jungk mit seinem Buch »Heller als Tausend Sonnen«. Die Friedensbewegung setzte große Hoffnungen in eine zukünftige deutsche Friedensforschung, sie erhoffte sich in ihr einen starken, militärkritischen und auf Abrüstung orientierten Partner.

Bundespräsident Heinemann war es, der sich Anfang der siebziger Jahre für eine Förderung der Friedensforschung stark machte und in der »Aufbruchstimmung« jener Zeit – dem Beginn einer neuen Ostpolitik – wurden meist in Anlehnung an Universitäten die ersten deutschen Friedensforschungsinstitute gegründet, gefördert aus Bundes- und/oder Landesmitteln sowie von staatlichen und privaten Stiftungen. Die bekanntesten: die »Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung« in Frankfurt am Main und das Hamburger »Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik«. Dazu kamen Forscher oder Forschergruppen an Universitäten und Institutionen, die an militär- und friedenspolitischen Themen arbeiteten, finanziert aus Mitteln der Universitäten oder aus Drittmitteln. Institute wie die Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen und auch die Bundeswehrhochschulen nahmen sich friedenspolitischer Themen an, wobei überraschenderweise Letztere nicht selten kritischere Ansätze vertraten als die zivilen Institutionen.

Die Friedensforschung war alles andere als homogen. Sie reichte von der eher konservativen Politikberatung, die militärische Optionen durchaus einschloss, bis hin zur gewaltfreien, sozialen Verteidigung, die besonders Theo Ebert in Berlin analysierte. Es gab eine große Bandbreite, und die Ansätze und Methoden waren für die auf Abrüstung drängende Friedensbewegung nur zum Teil von Interesse.

Während des Ost-West-Konflikts befasste sich ein großer Teil der Friedensforschung mit Fragen der Rüstungskontrolle. Ihr ging es darum, die wahnsinnige Steigerung von Zerstörungspotenzialen möglichst unter Kontrolle zu bringen, so dass diese nicht »aus Versehen« gezündet und Europa, vielleicht auch die USA und die UdSSR, vernichtet hätten. Hier handelte es sich nach Einschätzung vieler Friedensbewegter um eine Forschung zur Verhinderung von nicht gewollten Zerstörungsakten, um eine kontrollierte Aufrüstung, nicht aber um eine Orientierung auf Abrüstung und Friedensaufbau. Zu diesem Bereich gehörten auch die Bedrohungsszenarien, wie sie in den Eskalationsleitern von Kahn dargestellt wurden. Hinter ihnen stand eine Forschungsfrage mit höchst praktischer Bedeutung. Es ging darum für die westliche Seite die »Eskalationsdominanz« zu sichern – also Kriegsforschung unter dem Deckmantel der Friedensforschung.

In Kontrast dazu gab es jedoch auch die systematische Kritik der Abschreckungstheorien, wie sie etwa in den Untersuchungen von Dieter Senghaas zum Ausdruck kamen. Er arbeitete den Begriff von der »organisierten Friedlosigkeit« heraus. Später gab es wichtige Anstöße für eine Strategie der Deeskalation im Ost-West-Konflikt aus dem Max-Plank-Institut in Starnberg. Dort entwickelte der ehemalige Offizier der Bundeswehr Horst Afheldt Szenarien einer Defensivstrategie. Durch sie sollte es möglich sein, die Bedrohungs- also die Schwertpotenziale zu mindern, ohne im militärischen Sinne die Verteidigungsfähigkeit zu verlieren. In einem wechselseitigen Prozess sollte so Abrüstung, also nicht nur Rüstungskontrolle, vorangetrieben werden. Afheldts Anstoß hat damals eine breite Diskussion auch in der Friedensbewegung ausgelöst. Erfolgreich war er nicht, dafür fehlte der Wille zur politischen Verständigung.

»Die Friedensforschung« zu der »die Friedensbewegung« ein bestimmtes Verhältnis entwickeln konnte, gab es nicht. Vielmehr waren es stets sehr spezifische Zugänge und Verhältnisse je nachdem, um welche Art der Friedensforschung es sich handelte. Natürlich verdichteten sich Kooperation und Auseinandersetzung zwischen Forschung und Bewegung in Zeiten starker Mobilisierung der Friedensbewegung.

Die Vielgestaltigkeit des Verhältnisses verkomplizierte sich auch dadurch, dass es nicht »die Friedensbewegung« gab, sondern nur ein Konglomerat unterschiedlicher Ansätze und Grundorientierungen. Ich erinnere nur an die gewaltfrei-pazifistischen Traditionen, die sich in der Friedensbewegung finden, und an den zweiten großen Traditionsstrang den Anti-Militarismus, der aus der Arbeiterbewegung und ihren Umfeldern kommt. Während die pazifistischen Kräfte sich vornehmlich an dem Ziel der Abrüstung und an gewaltfreien Strategien der Konfliktbearbeitung ausrichteten, lehnten die anti-militaristischen Kräfte den gewaltsamen Konfliktaustrag durchaus nicht vollkommen ab. Die Unterstützung des militärischen Kampfes von Befreiungsbewegungen lag in ihrem Überlegungshorizont im Sinne »des letzten Gefechts« oder »des letzten Mittels«, also als einem »Gerechten Krieg«. Daraus ergab sich nicht selten die kuriose Situation der Nähe der sozialdemokratischen und der kommunistischen Teile der Friedensbewegung, die jeweils auf ihrer Seite der Ost-West-Front-Linie eine gewisse Berechtigung zur Verteidigung sahen und deshalb der vorhin schon erwähnten Rüstungskontrollpolitik viel näher standen als die aus pazifistischen Traditionen sich nährenden Teile der Friedensbewegung. Freilich war und ist die Heterogenität innerhalb der Friedensbewegung weit größer, als die hier nur genannten beiden Traditionslinien es vermuten lassen.

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes entstand für die Friedensbewegung eine gänzlich neue Situation. Sie musste sich aus den alten Konstellationen lösen und sich auf ganz neue Problem- und Strategiefelder einstellen. Die Stichworte lauten: Grenzen überschreitende zivile Konfliktbearbeitung; die neue unipolare Konstellation in der Weltpolitik; die Haltung zu internationalen Recht und seinen Institutionen; das Problem westlicher struktureller und militärisch gestützter Globalisierungspolitik und seiner Folgen; der Zerfall von Staaten und die verstärkte Privatisierung militärischer Gewalt; neue Formen asymmetrischer gewaltsamer Auseinandersetzungen mit ihrem auf beiden Seiten terroristischem Charakter. Ökologische und soziale Fragen gewinnen eine immer größere Bedeutung. Auch das sich verändernde Verhältnis innerhalb der Triade der hochindustrialisierten Welt, insbesondere der USA zu der EU und umgekehrt, werden immer wichtiger. Die deutsche und europäische Friedensbewegung stehen vor der großen Aufgabe, den militärischen Aufbau in der EU zur Ermöglichung eigener Angriffs- und Interventionsfähigkeit »out-of-area« zu verhindern und eine Orientierung auf eine Zivilmacht Europa, auf zivile Konfliktbearbeitung voranzutreiben und sie sollte dafür die Arbeit der Friedensforschung nutzen.

Die verschiedenen Forschungsinstitute befassen sich mit Rüstungskontrolle, Kriegsursachenforschung, ziviler Konfliktbearbeitung usw. Zum Teil bearbeiten sie eine große Bandbreite friedenspolitisch relevanter Themen, sie haben aber auch Schwerpunkte gesetzt, wie z.B. das IFSH auf Europa als Zivilmacht, die HSFK auf Demokratien und Frieden, das BICC auf Konversion, das INEF auf Global Governance und das SCHIFF auf die Zusammenarbeit in der Ostseeregion. Neue »kritische« – fast ausschließlich mit Projektgeldern arbeitende Institute und Forschungszusammenschlüsse sind entstanden, wie das Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (IFKG) oder der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und Internationale Sicherheit (FONAS).

Die Friedensforschung liefert eine umfassende Expertise, die für die Friedensbewegung zugänglich ist. Neben den Veröffentlichungen der einzelnen Institute möchte ich hier als Beispiel auch das »Friedensgutachten« nennen, das gemeinsame Jahrbuch von fünf Instituten für Friedens- und Konfliktforschung. Im Jahrbuch 2003 haben das Bonn International Center for Conversion (BICC), das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), das Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und die Hessische Stiftung für Friedens und Konfliktforschung (HSFK) z.B. die »Frage nach der Zukunft von Kooperation oder Konfrontation in der neuen Weltordnung« in den Mittelpunkt gestellt und damit eines der wichtigsten friedenspolitischen Themen aufgegriffen: Die Ausarbeitung von Strategien zur Verschiebung der Gewichtung, weg vom militärischen Konfliktaustrag, hin zu ziviler Bearbeitung von Konflikten und Aussöhnungsprozessen.

Viele FriedensforscherInnen orientieren sich in erster Linie in Richtung Politikberatung und Politikberatung im Sinne der Friedensbewegung ist mit Sicherheit von größter Bedeutung, sie sollte aber eine engere Kooperation zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung einschließen. Eine starke Friedensbewegung gibt der Friedensforschung zusätzlich Gewicht und die Friedensbewegung ihrerseits braucht die Erkenntnisse der Friedensforschung. Sie muss sich in die Lage versetzen, aus dem großen Angebot von Forschung und Wissen, das für sie wichtige auszuwählen. Hierfür benötigt sie Forscher und Forscherinnen, die sich mit Zielen der Friedensbewegung identifizieren und die auch einmal bereit sind, Forschung im Sinne der Fragestellungen der Friedensbewegung voran zu treiben, bei gleichzeitiger kritischer Sichtung.

Das Verhältnis von Forschung und Bewegung wird dabei wie bisher durch gegenseitige Anregung und unvermeidliche Distanz gekennzeichnet sein.

Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Förderprogramme Friedensforschung

Förderprogramme Friedensforschung

Bilanz und Perspektiven der Deutschen Stiftung Friedensforschung

von Thomas Held

Mit der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung durch den Bund im Oktober 2000 begann eine neue Etappe in der Förderung der Friedensforschung in Deutschland. Ausgestattet mit einem Vermögen von 25,56 Millionen Euro und dem Status einer Stiftung bürgerlichen Rechts soll die DSF eine dauerhafte Stärkung der Friedensforschung bewirken sowie ihre politische und finanzielle Unabhängigkeit sichern. Als Einrichtung der Forschungsförderung führt die DSF keine eigenen Studien durch, sie soll der Friedensforschung jedoch Impulse durch eigene Aktivitäten, z. B. in Form von Tagungen und Förderschwerpunkten, geben. Die Stiftung erhielt ferner die Aufgabe, zur nationalen und internationalen Vernetzung der Friedensforschung beizutragen sowie den Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die politische Praxis zu unterstützen.
Im unmittelbaren Anschluss an die Einrichtung der Geschäftsstelle in Osnabrück im August 2001 nahm die Stiftung ihre Förderaktivitäten auf. Neben dem institutionellen Aufbau wurde der Forschungsprojektförderung sowie der Umsetzung des bereits im April 2001 beschlossenen Nachwuchsförderungsprogramms eine hohe Priorität beigemessen. In den ersten zwei Jahren ist es gelungen, in beiden Bereichen wichtige Akzente für die weitere Entwicklung der Friedensforschung zu setzen. Freilich stellte sich schon sehr bald heraus, dass der zur Verfügung stehende finanzielle Rahmen den Fördermaßnahmen enge Grenzen setzt und deshalb nicht alle Zielsetzungen der Stiftung in der ersten Aufbauphase verwirklicht werden konnten. Vor dem Hintergrund einer anhaltenden negativen Zinsentwicklung erweist sich die eng bemessene Kapitalausstattung der DSF derzeit sogar als die Achillesferse der weiteren Entwicklung. So werden selbst für die Aufrechterhaltung des bisherigen Umfangs der Projektförderung zusätzliche Finanzmittel erforderlich sein. Vom Erfolg einer verbesserten Kapitalausstattung wird es abhängen, welche Zielsetzungen in der Stiftungsarbeit zukünftig verwirklicht werden können.

Im Folgenden werden die bisherigen Fördermaßnahmen im Bereich der Projekt- und Nachwuchsförderung zusammenfassend erläutert und einige Rückschlüsse auf zukünftige Aufgaben und Zielsetzungen gezogen. Weitere Informationen und Links finden sich auf der Internetseite der Stiftung. In Kürze wird die Stiftung einen Newsletter unter dem Titel »DSF-Aktuell« herausgeben, der laufend über Fördermaßnahmen, Veranstaltungen und andere Aktivitäten berichten wird.

Forschungsprojektförderung

Begleitend zur Gründungsphase der DSF legte die von der Stifterin berufene Struktur- und Findungskommission unter dem Titel »Umgang mit friedensgefährdenden Konflikten« ein Grundsatzpapier zur Forschungsförderung vor.1 Aufgrund des begrenzten Fördervolumens verzichtete die Stiftung auf eine Ausschreibung von thematischen Schwerpunkten. Gerade in der Anfangsphase erschien es zudem geboten, die Friedensforschung in ihren unterschiedlichen Facetten zu fördern, zumal sich nach der jahrelangen Unterfinanzierung hohe Erwartungen an die DSF richteten. Um einer Ausschöpfung des Fördertopfes durch wenige teure Vorhaben vorzubeugen, begrenzte der Stiftungsrat die Antragssumme bei größeren Projekten auf 150.000 Euro und die Laufzeit auf maximal zwei Jahre. Grundvoraussetzung für eine Förderung ist die Erfüllung der Bewertungskriterien für Projektanträge. Maßgeblich sind hierbei die wissenschaftliche Qualität und Originalität der Vorhaben sowie der vorgesehene Ergebnistransfer.2

In den ersten vier Antragsverfahren im Bereich der Projektförderung bewilligte die Stiftung 21 Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von rund 2,3 Mio. Euro. Mit Ausnahme zweier Konferenzen handelt es sich in der großen Mehrzahl um Projekte mit einer zweijährigen Laufzeit, von denen die ersten bereits 2003 zum Abschluss kommen. Thematisch lassen sich die geförderten Projekte unter folgenden Stichworten zusammenfassen: (siehe Diagramm auf der nächsten Seite)

Unter den akuten Konfliktherden erlangt die Aufarbeitung und Beilegung der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien bei weitem die größte Aufmerksamkeit. Die Untersuchungen fragen nach der Wirkungsweise der Interventionen, den Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen und nach der Rolle der Medien in den »Informationskriegen« um den Balkan.3 Des Weiteren stehen die Erfahrungen beim Aufbau einer stabilen Friedensordnung im Zentrum des Forschungsinteresses.4Eine größere Aufmerksamkeit richtet sich außerdem auf die anhaltenden Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent. Die geförderten Projekte analysieren insbesondere die Rahmenbedingungen und Optionen für eine dauerhafte Konfliktbeilegung.5Über die jeweiligen Konfliktherde hinaus befassen sich die Projekte zur Krisenprävention mit übergreifenden Problemstellungen, wenn etwa die Möglichkeiten und Grenzen der Prävention, die Rolle von Nichtregierungsorganisationen oder auch der Zusammenhang von Globalisierungsprozessen und innenpolitischer Stabilität untersucht werden.6Nicht erst durch die jüngsten politischen Auseinandersetzungen um die Missachtung internationaler Rechtsgrundsätze in der Irak-Krise erlangten völkerrechtliche Forschungsprojekte eine zentrale Bedeutung für die Friedensforschung. Stabilität, Sicherheit und Vertrauen sind nur auf der Basis eines verlässlichen Rechtssystems möglich. Unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen das internationale Recht gestärkt und an die Herausforderungen der Zeit angepasst werden kann, ist die verbindende Leitfrage der geförderten Projekte.7Schließlich haben auch die Untersuchungen zur Rüstungskontrolle vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Debatten an zusätzlicher Bedeutung gewonnen. Die Gefahr einer möglichen Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und einer unerwünschten Proliferation von Rüstungstechnologien, insbesondere in die Hände terroristischer Organisationen, wird in den nächsten Jahren ein hochaktuelles Thema bleiben. Darüber hinaus zielen die Projekte auf die Risikofolgenabschätzung neuer Technologieentwicklungen, die zu Missbrauch und neuen Rüstungswettläufen führen können. Sie analysieren ferner die Handlungsspielräume für eine präventive Rüstungskontrollpolitik auf internationaler Ebene.8In der Gesamtschau kristallisieren sich somit trotz des Verzichts auf eine thematische Fokussierung der Projektförderung einige inhaltliche Schwerpunkte heraus. Hierin spiegeln sich zweifellos die in Methode und Theorieansatz unterschiedlichen Forschungstrends innerhalb der Friedensforschung wider.9 Bemerkenswert ist außerdem die Beobachtung, dass die DSF-geförderten Projekte Problemstellungen aufgreifen, die durch die jüngsten politischen Entwicklungen noch mehr an Aktualität und praktischer Bedeutung gewonnen haben. Darüber hinaus werden die Projekte mit einem Fokus auf konkrete Konfliktherde Ergebnisse erbringen, die sich möglicherweise mit Gewinn auf andere Gebiete übertragen lassen oder weiterführende Projekte nach sich ziehen werden. Die Projektergebnisse werden somit wichtige Beiträge in der Debatte um einen europäischen Weg der Friedens- und Sicherheitspolitik leisten, indem sie alternative Wege im Umgang mit Konflikten und Sicherheitsproblemen aufzeigen und den gegenwärtigen Versuchen entgegenwirken, den militärischen Gewalteinsatz neu zu legitimieren.

Mit dem Auslaufen der ersten Forschungsprojekte stellt sich für die DSF nun die Aufgabe, den Ergebnistransfer in die Öffentlichkeit und politische Praxis zu unterstützen. Ob es gelingt, diesen Anspruch auf zufriedenstellende Weise zu verwirklichen, wird auch Gegenstand einer Gesamtevaluierung der Bewilligungen in der Projektförderung sein. Die Begrenztheit der Fördermittel, die der Stiftung derzeit zur Verfügung stehen, wirft zudem die Frage auf, ob und wie eine stärkere Profilbildung in der Projektförderung zukünftig möglich und sinnvoll ist. Schon heute erweist sich das Budget als zu gering, um auf effiziente Weise inter- und transdisziplinäre Kooperationsprojekte zu unterstützen. Dieses Ziel ist allenfalls in Ansätzen und in Form von Kleinprojekten zu verwirklichen.

Förderung von Kleinprojekten

In Ergänzung zu den größeren wissenschaftlichen Vorhaben können bei der Stiftung Kleinprojekte in Form von Tagungen, Workshops, Druckkostenzuschüssen und kleineren Forschungsarbeiten beantragt werden, die fortlaufend eingereicht und vom geschäftsführenden Vorstand bewilligt werden können, sofern sie eine Antragssumme von 25.000 Euro nicht überschreiten. In den Jahren 2001 bis 2003 hat die DSF bereits 38 Kleinprojekte mit einer Summe von rund 250.000 Euro gefördert.

Die Kleinprojektförderung hat sich als ein besonders fruchtbares Instrument der Wissenschaftsförderung erwiesen. Hierdurch können nicht nur zeitnah Ergebnisse erzielt werden, die der Politik und Öffentlichkeit Analysen über tagespolitische Ereignisse und Entwicklungen liefern. Sie fördern insbesondere auch den wissenschaftlichen Austausch sowie die fachübergreifende und internationale Vernetzung und tragen zum Diskurs über Grundsatzfragen der Friedensforschung bei. Die folgenden Beispiele können diesen Sachverhalt veranschaulichen:

  • Die Ergebnisse zweier international besetzter Workshops zur Konfliktprävention in der russischen Exklave Kaliningrad fassten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Schleswig-Holsteinischen Instituts für Friedenswissenschaften (SCHIFF) in einem Policy Paper zusammen, das der Forschung, politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit Empfehlungen vorlegt, wie einer Krisenentwicklung in der Region vorgebeugt werden kann.10
  • Eine Arbeitskreisserie der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Berlin zum Thema »Brandherd persischer Golf« fand nicht nur eine große Teilnehmerresonanz, sondern auch ein nachhaltiges Echo in den Medien. Die wissenschaftlichen Analysen konnten bereits in der Hochphase der Krise veröffentlicht werden und lieferten wichtige Hintergrundinformationen für die öffentliche Debatte.11

Wichtige Impulse für Wissenschaft und Politik werden auch von hochrangig besetzten Tagungen ausgehen, die sich mit der brisanten Thematik »gerechter Kriege im Völkerrecht«, der Weiterentwicklung des Rüstungskontrollrechts und der Überwindung der Bürgerkriegsgewalt in Kolumbien auseinandersetzen.12Des Weiteren trägt die Stiftung über die Förderung von Workshops und wissenschaftlichen Kolloquien zum innerwissenschaftlichen Diskurs über den Stand und die Perspektiven der Friedensforschung bei, sei es zu grundsätzlichen Fragen13, zu einzelnen Themengebieten14 oder zu den Möglichkeiten inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit.15Schließlich unterstützt die DSF mit Druckkostenzuschüssen die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten, die zum einen aus geförderten Projekten hervorgehen oder auch von dritter Seite beantragt werden können.16

In den ersten beiden Jahren machte sich eine spürbar ansteigende Nachfrage im Bereich der Kleinprojektförderung bemerkbar. Nach einer Auswertung der bisherigen Praxis erscheint es deshalb geboten darüber nachzudenken, wie die Stiftung die Fördermaßnahmen in diesem Bereich weiter optimieren kann und ob nicht auch der finanzielle Rahmen erweitert werden muss.

Das Programm zur Nachwuchsförderung

Das Programm zur Nachwuchsförderung zielt in erster Linie auf eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die Förderung umfasst folgende Teilbereiche:

  • Einjähriger Masterstudiengang als Aufbaustudium
  • Zweijährige Masterstudiengänge an Hochschulen
  • Promotionsförderung mit Betreuungssystem
  • Exzellenzförderung in der Post-doc-Phase
  • Stiftungsprofessur Friedensforschung und Naturwissenschaft

Aus Gründen eines effizienteren Mitteleinsatzes fasste die Stiftung den Beschluss, die Fördergelder für die Post-doc-Phase mit der Studiengangförderung zu verknüpfen. Insgesamt stellt die Stiftung für dieses Programm Fördermittel in einer Höhe von fünf Millionen Euro bereit. Da die Erträge aus dem Stiftungsvermögen nicht ausreichen, war von vorne herein beabsichtigt, das Programm über einen begrenzten Kapitalverzehr zu finanzieren.17

Die Stiftung setzt bei ihren Fördermaßnahmen auf Projekte, die die Strukturdefizite in der Friedens- und Konfliktforschung nicht nur abbauen, sondern auch durch innovative Konzeptionen überzeugen und somit internationalen Vergleichsstandards genügen. Wichtige Entscheidungskriterien für alle Teilbereiche des Programms sind neben friedenswissenschaftlichen Kernkompetenzen die Berücksichtigung von Inter- und Transdisziplinarität sowie von Praxiselementen.

Bereits im Oktober 2002 konnte der Studienbetrieb für den einjährigen Masterstudiengang »Friedensforschung und Sicherheitspolitik« beginnen. Der vom Kooperationsverbund Deutscher Friedensforschungsinstitute getragene und von der Universität Hamburg zertifizierte Studiengang wird von der DSF mit jährlich 15 Stipendien sowie Personal- und Sachmitteln unterstützt. Der erste Durchgang konnte inzwischen erfolgreich abgeschlossen werden. Die große Zahl an Bewerbungen für das zweite Studienjahr verdeutlicht, dass das interdisziplinär ausgerichtete Studienangebot große Attraktivität besitzt und eine Ausbildungslücke im Bereich der Friedensforschung zu schließen vermag.18

Die Studienreform schuf eine günstige Gelegenheit, Studienabschlüsse in der Friedens- und Konfliktforschung an den deutschen Hochschulen anzubieten, die bisher nur im Ausland erworben werden konnten. Die Förderung zielt gleichermaßen auf die Ausbildung junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie auch auf Berufsfelder außerhalb der Hochschulen. Die Resonanz auf die Ausschreibung der Fördermittel war unerwartet groß, weshalb sich die Stiftung dazu entschloss, die drei am weitesten entwickelten Projekte, die sich zudem durch eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung auszeichneten, mit einer fünfjährigen Initiativförderung zu unterstützen:

  • Masterstudiengang an der Universität Tübingen: »Friedensforschung und Internationale Politik«, Studienbeginn WS 2004/05.
  • Masterstudiengang an der FernUniversität Hagen: »Master in Peace Studies«, Studienbeginn WS 2004/05.
  • Masterstudiengang am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg: »Master in Peace and Conflict Studies«, Studienbeginn WS 2004/05.

Die Studienangebote sind auf der Grundlage innovativer Konzeptionen entwickelt worden. Sie bieten unter Einbeziehung von affinen Fächern eine interdisziplinäre Lehr- und Lernumgebung, die einen Zugang zu unterschiedlichen theoretischen und methodischen Ansätzen der Friedensforschung eröffnet. Ein Teil der Lehrveranstaltungen wird in englischer Sprache gehalten. Es wird eine enge Verbindung von Theorie und Praxis angestrebt. Um eine angemessene Personalausstattung der Studiengänge zu gewährleisten, finanziert die Stiftung aus Mitteln der Exzellenzförderung Dozentenstellen, die wahlweise als Junior- oder C3-Professur ausgeschrieben werden können.

Auch im Bereich der Promotionsförderung beschloss die Stiftung, neue Wege zu gehen. Sie vergibt die Stipendien nicht selbst, sondern hat diese Aufgabe an drei Institutionen übertragen, die sich im Gegenzug verpflichteten, ein Betreuungssystem für die Promovierenden einzurichten. Gefördert werden folgende Institutionen:

  • Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
  • Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)
  • Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg (CCS)

Im Rahmen des Betreuungssystems wird durch begleitende wissenschaftliche Seminare und Veranstaltungen der Erwerb zusätzlicher Kernkompetenzen wie Präsentations- und Medienkompetenz, Teamfähigkeit, Organisationswissen, Lehrkompetenz und Wissenschaftsmanagement gefördert. Hierdurch soll ein effizientes wissenschaftliches Arbeiten ermöglicht und der Einstieg in den späteren Berufsweg erleichtert werden. In einer ersten Ausschreibungsrunde vergaben die geförderten Einrichtungen insgesamt zwölf zweijährige Stipendien.19 Das Programm beschränkt sich zunächst auf einen Förderzeitraum von vier Jahren.

Schließlich wird die Stiftung im Rahmen des Nachwuchsförderungsprogramms auch eine Stiftungsprofessur einrichten, die im Bereich der naturwissenschaftlichen Friedensforschung angesiedelt sein wird. Sie trägt den Namen des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, einem Wegbereiter der Friedensforschung im Nachkriegsdeutschland. Die Stiftungsprofessur soll einen wichtigen Impuls geben, die Friedensforschung in die Arbeit naturwissenschaftlicher Fachbereiche zu integrieren. Angestrebt wird ein interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsumfeld, das Optionen für eine fachübergreifende Zusammenarbeit eröffnet, die über die Naturwissenschaften hinausreicht. Die Stiftungsprofessur soll sowohl analytische Problemstellungen, wie z.B. Massenvernichtungswaffen und Rüstungsdynamik, aufgreifen als auch praxisrelevante Themen wie Rüstungskontrolle, Non-Proliferation und Nachhaltigkeit behandeln und entsprechende Beratungstätigkeiten aufnehmen. Für die fünfjährige Initiativförderung stellt die Stiftung Fördermittel in Höhe von bis zu 1,25 Mio. Euro zur Verfügung. Die eingereichten Bewerbungen werden derzeit begutachtet. Die Einrichtung der Professur wird voraussichtlich 2004 realisiert.

Fazit

In den ersten beiden Jahren der Fördertätigkeit ist es der Deutschen Stiftung Friedensforschung gelungen, die prioritären Zielsetzungen im Bereich der Nachwuchs- und Projektförderung weitgehend zu verwirklichen. So konnte der Grundstein für eine nachhaltige Verankerung der Friedensforschung an den Hochschulen gelegt werden. Die Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen werden sich in den nächsten Jahren spürbar verbessern. Es ist nun die Aufgabe der Stiftung, die Entwicklungsschritte und Ergebnisse der Förderprogramme zu beobachten und auszuwerten. Auf dieser Grundlage kann dann entschieden werden, in welchen Bereichen sich weiterhin Defizite zeigen und wie diese mit Fördermaßnahmen der Stiftung abgebaut werden können.

Auch im Bereich der Projektförderung stellen sich für die Stiftung neue Aufgaben. Im Zentrum wird die Frage des Transfers der Projektergebnisse stehen, der in enger Kooperation mit den Projektnehmern und -nehmerinnen erfolgen soll. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung an Öffentlichkeit und Politik, sondern auch darum, wie die Ergebnisse von Projekten mit ähnlichen Problemstellungen und Untersuchungsgegenständen sinnvoll zusammengeführt und weiterentwickelt werden können. Hierdurch könnte die Stiftung einem weiteren Ziel näher kommen, die fachübergreifende Zusammenarbeit in der Friedensforschung zu fördern. Schließlich steht mit Blick auf zukünftige Zielsetzungen und Leitthemen eine Evaluierung der bisherigen Projektförderung an. Ungelöst ist ferner das Problem, wie die Stiftung zukünftig flexibler auf das Interesse der Forschung reagieren kann, auch zeitnah Studien zu akuten Konfliktherden oder aktuellen Themen zu finanzieren. Bisher bietet die Projektförderung der DSF hierfür keine günstigen Rahmenbedingungen.

Insgesamt kann die DSF bereits auf eine ansehnliche Bilanz der Fördermaßnahmen zurückblicken. Die Aufrechterhaltung des bisherigen Fördervolumens wie auch die Realisierung weiterführender Zielsetzungen werden aber wesentlich davon abhängen, ob es gelingen wird, die finanzielle Basis für die Stiftungsaktivitäten zu erweitern.

Anmerkungen

1) Siehe hierzu auf der Homepage der DSF: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/estruktur.html

2) Siehe hierzu die „Rahmenbedingungen Forschungsprojektförderung“ auf der Homepage der DSF: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/rahmenbedingungen.html

3) „Die Informationskriege um den Balkan seit 1991“; „Komplexe Interventionen in die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien“; „Der Beitrag des Zivilen Friedensdienstes zur zivilen Konfliktbearbeitung in Bosnien-Herzegowina und Kosovo“.

4) „Die OSZE und der Aufbau multiethnischer Polizeien auf dem Balkan: Analyse eines bedeutenden Beitrags zum Internationalen Post-Conflict Peace Building“; „Nachrichtenmedien als Mediatoren von Demokratisierung, Peace-Building und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften“.

5) „Die Rolle externer wirtschaftlicher Akteure in Bürgerkriegsökonomien und ihre Bedeutung für Kriegsbeendigungsstrategien in Afrika südlich der Sahara“; „Between Past and Future: An Assessment for the Transition from Conflict to Peace in Post-genocide Rwanda“; „Demobilisierung und Remobilisierung in Äthiopien seit 1991“.

6) „Neue Formen der Gewalt im internationalen System: Möglichkeiten und Grenzen der Prävention“; „Globalisierung und innenpolitische Stabilität“; „Nichtregierungsorganisationen in der inter-, transnationalen Konfliktprävention und -bearbeitung: Das Problem der demokratischen Legitimation und Verantwortlichkeit“.

7) „Informationsanforderungen bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach der Charta der Vereinten Nationen“; „Biosafety and Biosecurity: Eine Evaluation möglicher Synergien zwischen der Biowaffen-Konvention und anderen Übereinkommen zur biologischen Sicherheit“; „Redefining Sovereignty: The Use of Force after the End of Cold War. New Options, Lawful and Legitimate?“.

8) „Weltraumbewaffnung und die Möglichkeiten präventiver Rüstungskontrolle“; „Präventive Rüstungskontrolle und Nanotechnologien“; „Kernwaffenrelevante Materialien und Rüstungskontrolle“; „Analyse von Potenzialen für Rüstungskontrolle und Verifikation biologischer Waffen unter besonderer Berücksichtigung neuer Entwicklungen in der Biotechnologie“; „Rüstungskontroll-Expertengemeinde und Diskursgestaltung: Raketenabwehrforschung International“.

9) Zusammenfassende Darstellungen der geförderten Projekte finden sich auf der Homepage der DSF: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de

10) Kaliningrad im Brennpunkt: Auf Problemlösung gerichtete Politikempfehlungen. SCHIFF-Texte Nr. 67, 10/2002.

11) Brandherd Irak. US-Hegemonieanspruch, die UNO und die Rolle Europas. Hrsg. von Bernd Kubbig. Frankfurt/Main 2003.

12) „Legalität, Legitimität und Moral – Kein Platz für »gerechte Kriege« im Völkerrecht“; „The Future of Arms Control Law“; „Kolumbien – Wege aus der Gewalt“.

13) „Die Zukunft des Friedens. Sichtweisen jüngerer Generationen der Friedens- und Konfliktforschung“.

14) „Macht Europa Frieden?“; „Demokratien im Krieg“; „Zur Kategorie Gender in der zivilen Konfliktbearbeitung“.

15) „Sich kreuzende Blickwinkel auf innerstaatliche Gewalt und Krisenprävention: Friedens- und Konfliktforschung, Internationale Beziehungen und Regionalwissenschaften“.

16) Kultur und Konflikt. Dialog mit Johan Galtung. Hrsg. von Hajo Schmidt und Uwe Trittmann. Münster 2002; Nadine Bilke: Friedensjournalismus. Wie Medien deeskalierend berichten können. Münster 2002; Johanna Rupprecht: Frieden durch Menschenrechtsschutz. Strategien der Vereinten Nationen zur Verwirklichung der Menschenrechte weltweit. Baden-Baden 2003; Kathryn Nixdorff u.a.: Biotechnology and the Biological Weapons Convention. Münster 2003; Menschenrechte und Fallpraxis. Hrsg. von Albrecht Weber. Im Erscheinen; Zur politischen Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und Privatisierung der Gewalt. Hrsg. von Werner Ruf. Im Erscheinen; Andreas Herberg-Rothe: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt/Main 2003.

17) Ein Überblick bei Dieter S. Lutz: Das Nachwuchsförderungsprogramm der Deutschen Stiftung Friedensforschung. In: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft 8/2001. S. 149-163.

18) Siehe hierzu die Homepage des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg: http://www.ifsh.de/studium/studium.php

19) Eine Auflistung der geförderten Promotionsprojekte findet sich auf der Homepage der DSF.

Dr. Thomas Held, MBA, ist Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Friedensforschung

Konfliktzivilisierung – Europa als Friedensmacht

Konfliktzivilisierung – Europa als Friedensmacht

Arbeitsschwerpunkte des IFSH

von IFSH

Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) richtet sein Hauptaugenmerk auf die konzeptionelle und strukturelle Stärkung des weltweit anerkannten Forschungspotenzials des »Zentrums für OSZE-Forschung« (Centre for OSCE-Research – CORE) sowie auf den Ausbau des zweiten Forschungsschwerpunktes Friedens- und Sicherheitspolitik der EU mit dem Ziel, am IFSH ein »Zentrum für EUropäische Friedens- und Sicherheitsstudien« – ZEUS (Centre for EUropean Peace and Security Studies) zu etablieren. Daneben existiert der Arbeitsbereich Rüstungskontrolle und Abrüstung, der gegenwärtig in eine interdisziplinäre Forschungsgruppe »Abrüstung und Rüstungskontrolle« (IFAR) umgewandelt wird. Hier sollen zum einen die über Jahre hinweg erworbenen Kompetenzen – insbesondere in den Bereichen kooperative Rüstungssteuerung (Graf Baudissin) und präventive Rüstungskontrolle – erhalten bleiben und Fragen der Rüstungsdynamik, der Rüstungskontrolle mit naturwissenschaftlichem Hintergrund und der Weiterverbreitung neuer Technologien bearbeitet werden. Grund ist die fortschreitende Rüstungsdynamik nach Ende des Ost-West-Konflikts, die zwar unter veränderten Vorzeichen und in neuen Konstellation von Akteuren, Strukturen und Prozessen zu Tage tritt, doch in ihrer Wirkung auf die Weltpolitik ungebrochen ist. Das Besondere der IFAR liegt in ihrer engen Verzahnung von Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dem Forschungsprogramm und konzeptionelle Überlegungen des IFSH.
Die forschungsleitende Vision des IFSH kann mit dem Begriff »Die Zivilisierung des Konflikts. Gewaltprävention und Friedenskonsolidierung« umschrieben werden.

Unter »Konflikt« wird ein Zustand sozialer Beziehungen verstanden, in dem die Interessen von als wesentlich zu bezeichnenden sozialen Akteuren oder Akteursgruppen konkurrieren oder unvereinbar sind und das Verhältnis der Akteure oder Akteursgruppen zueinander durch deren Bestreben gekennzeichnet ist, durch den Einsatz von Machtmitteln Vorteile zu erlangen oder zu behaupten und die jeweiligen Interessen und Ziele durchzusetzen. Das IFSH betrachtet Konflikte als produktive Bewegungs- und Entwicklungsformen sozialer Beziehungen, sofern deren Regelung und Verregelung ausschließlich mit friedlichen, d.h. gewaltfreien Mitteln verfolgt wird. Im Unterschied dazu stellen gewaltsam ausgetragene Konflikte eine unproduktive und destruktive Form der Konfliktregulierung dar. Gestützt auf eine solide Konfliktanalyse ist der Forschungsfokus des IFSH auf die Art und Weise der Konfliktbearbeitung mit dem Ziel der Gewaltprävention und der Zivilisierung des Konfliktaustrags gerichtet.

»Zivilisierung« meint Überführung der Gewaltoption aus der interessengeleiteten Beliebigkeit einzelstaatlicher Verfügung in die Zuständigkeit der internationalen Rechtsgemeinschaft nach verbindlichen Rechtsregeln zur gemeinsamen Rechtswahrung gegen individuellen Rechtsbruch. Oder einfacher: Überwindung des Krieges als Verkehrsform zwischen Staaten, so wie andere barbarische Verkehrsformen – Kannibalismus, Inquisition, Sklaverei – im Prozess der Zivilisierung aus der Gesellschaftswelt verschwunden sind. In einem weiteren Verständnis schließt der Zivilisierungsprozess die Gesamtheit solcher politischen und sozialen Interaktionen ein, die darauf zielen, gewaltregulierende und -reduzierende Wirkung zu entfalten und in inner- wie zwischengesellschaftlichen Strukturen humanitäre Standards zu verankern.

Die auf wechselseitige nukleare Drohung gestützte, damit scheinbar unaufhebbare und von vielen deswegen für dauerhaft gehaltene bipolare Ordnung der Ost-West-Konfrontation hat sich in historisch beispiellos kurzer Zeit aufgelöst, weil die realsozialistische Staaten- und Gesellschaftswelt an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gegangen ist. Hinter der Fassade dieser alten »Ordnung« kam eine als neu empfundene Unübersichtlichkeit internationaler Beziehungen zum Vorschein, die zwar in manchem an das bekannte Muster traditioneller Staatenkonkurrenz erinnert, aber auch unübersehbar neue Züge trägt. Gut ein Jahrzehnt nach dieser Zeitenwende ist es der Theorie Internationaler Beziehungen noch nicht gelungen, ein schlüssiges Erklärungsmuster dieses neuen Systems internationaler Beziehungen zu entwerfen.

Dennoch sind vier sich wechselseitig beeinflussende Entwicklungstendenzen auszumachen, deren heute erst in Ansätzen geleistete Verknüpfung einmal die Grundlage einer modernen Theorie Internationaler Beziehungen schaffen könnte: »Globalisierung«, Eine Weltmacht, Regionalisierung und Fragmentierung. Gleichzeitig markieren diese Tendenzen den konzeptionellen Rahmen für die Befassung mit den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen europäischer Friedens- und Sicherheitspolitik, in Europa und im globalen Maßstab.

»Globalisierung« bedeutet wechselseitige Abhängigkeit, Interdependenz von Staaten und Gesellschaften, angetrieben von einer wissenschaftlich-technologischen Revolution, für welche die Begriffe Informations-, Bio- und Mikrotechnologien kaum mehr als Hinweise darstellen, die auf das Tempo dieser Prozesse schließen lassen. Interdependenz meint zum einen wechselseitige Abhängigkeit von gemeinsamen Problemen, die kein Staat mehr allein lösen kann. Interdependenz bedeutet aber auch globalen Wettbewerb, globale Arbeitsteilung, höhere Gesamteffizienz und die Chance zu globaler Kooperation. Wie alle machtbezogenen Beziehungen ist auch Interdependenz grundsätzlich asymmetrisch angelegt: Reiche und mächtige Länder haben mehr Mittel, um mit den Gefahren fertig zu werden, und sie haben größere Möglichkeiten, die Chancen der »Globalisierung« zu nutzen. Globalisierungsprozesse führen zu einer Relativierung der Handlungsmöglichkeiten von Staaten, zu diesen treten internationale Organisationen, transnationale Konzerne und nichtstaatliche Organisationen als neue Akteure in der internationalen Politik. Da die »Globalisierung« eine grundlegende und dauerhaft wirksame Entwicklungsrichtung des Systems Internationaler Beziehungen darstellt, die letztlich jede Konfliktkonstellation direkt oder indirekt beeinflusst, müssen ihre Herausforderungen und Folgen auch in einem auf Europa konzentrierten Forschungsinstitut wie dem IFSH dahingehend untersucht und berücksichtigt werden, wie diese zum einen die Handlungszwänge und Handlungsoptionen der europäischen Staaten und Organisationen beeinflussen, und wie sie zum anderen auf die Fähigkeit Europas wirken, den Frieden und die Sicherheit auf dem Kontinent dauerhaft zu gewährleisten und die gestalterische Rolle Europas als Friedensmacht in der Welt zu stärken.

Es gibt heute nur noch »eine Weltmacht«, die in allen Aspekten Weltmacht ist. Insbesondere in der militärischen Dimension sind die USA allen anderen Staaten um eine qualitative Dimension voraus. Diesen Vorsprung wird in den kommenden Jahrzehnten kein Staat aufholen können. Die Vereinigten Staaten von Amerika treten allerdings nicht nur als »wohlwollender Hegemon« auf, sondern auch als eine Macht, die ihr militärisches Dispositiv zuweilen unilateral zur Durchsetzung wirtschaftlicher oder politischer Interessen nutzt. In nahezu allen Politikfeldern verfolgen die USA heute eine teils deutlich weniger kooperativ und auf multilaterale Problemlösungen ausgerichtete Politik als die Europäische Union. Exemplarisch hierfür stehen die Vertragswerke zur Rüstungskontrolle und Abrüstung, zum Klimaschutz oder auch zur internationalen Strafgerichtsbarkeit. Damit entstehen auf den klassischen Feldern von transatlantischer Kooperation und begrenztem Konflikt neue Kommunikations- und Koordinationserfordernisse, deren Zusammenhang mit dem nach wie vor vorhandenen Vorrat grundlegender Gemeinsamkeiten für den Forschungsschwerpunkt »Europäische Sicherheit« auf neue Fragestellungen verweist.

»Regionen« bezeichnen subglobale Verdichtungsräume von Interdependenz. Regionalisierung kann eines, mehrere oder alle gesellschaftlichen Teilsysteme erfassen. OSZE-Europa steht für eine gemeinsame normative Basis, einen politischen Handlungszusammenhang und einen, wenn auch noch schwach strukturierten, sicherheitspolitischen Raum. Zwischen Atlantik und Ural sorgt der KSE-Vertrag für ein ungleich dichteres Rüstungskontrollregime. Das transatlantische Bündnis stellt die höchste institutionelle Form der sicherheitspolitischen Integration in der europäischen Großregion dar. In der EU kommen schließlich (fast) alle gesellschaftlichen Systeme in einer teils inter-, teils supranational organisierten Institution neuen Typs zur Deckung. Vergleichbare, wenn auch meist schwächer ausgebildete Tendenzen sind auch in anderen Weltteilen auszumachen. Prozesse der Regionalisierung stellen damit ein eigenständiges Phänomen inter- und transnationaler Beziehungen dar, das sich weder allein auf die nationalstaatliche noch auf die globale Ebene reduzieren lässt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Stärkung des Arbeitsbereiches Europäische Sicherheit am IFSH und hat gleichzeitig zur Gründung des Zentrums für OSZE-Forschung / Centre for OSCE Research (CORE) Anfang 2000 beigetragen.

Asymmetrische Interdependenz führt zu Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Letztere leiden häufig unter Staatsschwäche, Staatszerfall, Staatszusammenbruch und nachfolgenden komplexen humanitären Notlagen. Staatszerfall meint, dass elementare Staatsfunktionen wie innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur, Minimalversorgung etc. nicht mehr aufrechterhalten werden können. In der Folge kommt es zu mehrdimensionalen und in aller Regel gewaltsam ausgetragenen Fragmentierungsprozessen entlang ethnopolitischer, religiöser und/oder regionaler Bruchlinien. Solche Konflikte sind zwar primär und vor allem in der Entstehung innenpolitischer Natur, ziehen allerdings in der Regel erhebliche zwischenstaatliche Konsequenzen nach sich. Prozesse von Staatszerfall beschränken sich zwar keineswegs auf die postkommunistischen Länder im OSZE-Raum, diese stellen jedoch den regionalen Schwerpunkt der OSZE-Konfliktprävention und somit auch der Forschung des Zentrums für OSZE-Forschung/Centre for OSCE Research (CORE) dar. Wegen ihrer Multidimensionalität und der vielfach fehlenden innenpolitischen Partner stellen Konflikte des beschriebenen Typs qualitativ neue Herausforderungen an Regulierungsversuche unter Inanspruchnahme externer Akteure dar. Der Untersuchung der Effizienz und Tauglichkeit der Verfahren und Instrumente der OSZE aber auch der EU, insbesondere durch deren Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), zu solchen Regulierungsversuchen konstruktiv beizutragen, wird durch das IFSH breiter Raum gegeben.

Europäische Friedensordnung

Die EU ist bereits in ihrer heutigen Gestalt mehr als nur ein regionales Sicherheitssystem – sie ist unstrittig im Binnenverhältnis ihrer Mitglieder zueinander eine Friedensordnung. Frieden durch Integration heißt kurzgefasst die Erfahrung, die EU-Europa in die gesamteuropäische Zukunft einbringen kann. Es besteht die Chance, in einer erweiterten Union das Projekt einer dauerhaften und prosperierenden Friedensordnung in größerem europäischen Rahmen Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Gemeinschaft hätte zugleich die Aufgabe, sich der Verantwortung für eine dauerhaft kohärente, glaubwürdige und in sich schlüssige, kollektive Friedens- und Sicherheitspolitik zu stellen und somit zur Stärkung des Weltfriedens beizutragen.

Das IFSH hat bereits 1995 mit dem Konzept einer »Europäischen Sicherheitsgemeinschaft« (ESG) Leitlinien für ein zukunftsfähiges Sicherheitssystem als Fundament einer dauerhaften Friedensordnung in Europa vorgezeichnet. Das Konzept gründet auf die Idee eines regionalen Systems Kollektiver Sicherheit, angelehnt an den inspirierenden Gedanken der Charta der Vereinten Nationen für die Weltgemeinschaft, des Einstehens der Gemeinschaft für die Sicherheit jedes einzelnen ihrer Mitglieder. Große wie kleine Staaten stehen unter gleichem Recht, erhalten gleiche Sicherheit, übernehmen gleiche Verpflichtungen. Die Gewaltoption als letzte Zuflucht des Rechts auf Sicherheit wird im Konzept der ESG aus der Verfügung der Einzelstaaten, bzw. ständiger oder zeitweiliger Staatenkoalitionen, in die Obhut der internationalen Rechtsgemeinschaft überführt. Die Modellierung eines funktionsfähigen Sicherheitsmodells widerspricht nicht der tiefgründigen Erforschung der Leistungsbilanz und der Leistungsmöglichkeiten bestehender Sicherheitsorganisationen in Europa, wie der OSZE und der EU oder von Rüstungskontrollregimen und -vereinbarungen. Im Gegenteil. Das normativ ausgerichtete Modell fungiert als Kompass für die Überprüfung und für Vorschläge zur Beseitigung von Defiziten in der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik, als Gradmesser für die Konzipierung realitätsbezogener Strategien zur Gewaltprävention und Friedenskonsolidierung, als ein tauglicher Wegweiser für die Stärkung der Institutionen, Regeln, Mechanismen und Verfahren zur Zivilisierung von Konflikten, in und durch Europa.

Das Forschungsprogramm des IFSH richtet sich auf Fragen der Gewaltprävention und der Zivilisierung von Konflikten in und durch Europa in einem weiten Sinne. Dies schließt – Grundsatzfragen der Gewaltprävention, – Ursachenkomplexe und Austragungsfelder gewaltsamer Konflikte, – die Prüfung der Rolle, Verfahren und Instrumente internationaler Akteure bei der Krisenprävention und Friedenskonsolidierung sowie – die Frage der zivilen Einbindung des militärischen Faktors ein.

Die Erweiterung der europäischen Integration nach Osten und Südosten ist eine einzigartige friedenspolitische Chance zur Gestaltung einer langfristig tragfähigen europäischen Friedensordnung unter Einschluss Russlands. Gleichzeitig rückt die Erweiterung reale und potenzielle Krisenherde und Stabilitätsrisiken in die unmittelbare Reichweite europäischer Politik. Beides hat Konsequenzen sowohl für die Vertiefung der Integration und die innere Stabilität der Integration Europas als auch für die Anforderungen an Gemeinsamkeit und Kooperation in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der europäischen Staaten. Während mangelnde Kohärenz die gestalterischen Einflussmöglichkeiten Europas auf die internationale Politik zu schmälern droht, erhofft man sich, insbesondere in den flankierenden Regionen, ein aktives und starkes Engagement Europas in der Krisenprävention und Friedenskonsolidierung. Auch auf der globalen Bühne sieht sich Europa mit der Herausforderung konfrontiert, größere außen- und sicherheitspolitische Aufgaben in multilateraler Verantwortung zu übernehmen. Die Analyse der Ursachen existenter Gewaltkonflikte und latenter Krisenprozesse ist dabei sowohl für die Entwicklung, Anpassung und Anwendung der vorhandenen Instrumente und Verfahren zur Prävention und Friedenskonsolidierung von Bedeutung als auch für die Perspektive einer über die Grenzen des Kontinents wirkenden Friedensmacht Europa. Forschungsprojekte, die sich mit diesen Fragen befassen, werden hauptsächlich bei ZEUS bearbeitet und so ausgewählt, dass sie zur Profilschärfung des neu entstehenden Forschungszentrums am IFSH beitragen. Zu den wichtigsten Themenfeldern zählen dabei die Erweiterungspolitik in Osteuropa, die Nahost- und die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, darüber hinaus wird Augenmerk der Zusammenarbeit der EU mit den Vereinten Nationen und ihren friedenspolitisch relevanten Regionalorganisationen gemäß Kapitel VIII der VN-Charta sowie ihrer Entwicklungspolitik beizumessen sein, sofern diese insbesondere sicherheitspolitisch wichtige Fragen (z.B. der Sicherheitssektorreform in Partnerländern) betrifft. Auch sind spezifische friedens- und sicherheitspolitische Partnerkonzepte der EU, bezogen auf besonders wichtige Staaten (z.B. China) oder Subregionen (z.B. Mittlerer Osten, Indischer Subkontinent, Nordostasien) oder auf strukturelle Themen (Terrorismus, Rüstungsproliferation) in der Forschung zu behandeln.

Die Rolle der EU bei der zivilen Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung

Die Europäische Union ist bereits seit längerer Zeit im Bereich der strukturellen Konfliktprävention tätig, hat sich aber erst seit 1999 verstärkt den Aufgabenfeldern operativer ziviler Krisenprävention und militärischer Konfliktintervention zugewandt. Der Aufbau einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist ein langwieriger Prozess, der mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags formal in Gang gesetzt wurde, ohne jedoch große Fortschritte zu machen. Mit den Beschlüssen des Europäischen Rates im Jahre 1999 zur Entwicklung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wurde eine neue Etappe der politischen Zusammenarbeit eingeleitet, deren Erfolg maßgeblich davon abhängen wird, ob die Beteiligten in der Lage sind, sich auf ein gemeinsames außen- und sicherheitspolitisches Leitbild zu verständigen. Dabei handelt es sich um eine zentrale Idee, die Handlungsspielräume absteckt und Strategien ermöglicht und rechtfertigt. Normative Konzepte wurden in der Vergangenheit verschiedentlich entwickelt, keines jedoch scheint hinreichend geeignet, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die Integration und für eine starke friedenspolitische Rolle Europas in der Welt zu genügen. Das IFSH präferiert ein Leitbild für die sich erweiternde und vertiefende Integration Europas, das auf eine Stärkung der EU als Friedensmacht für Europa und als gestaltender Akteurin des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch Europa zielt. Die Präzisierung dieses Leitbildes und die Analyse der hiervon ausgehenden konzeptionellen, instrumentellen und methodischen Ansätze der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik ist das Ziel der Bildung eines Zentrums für EUropäische Friedens- und Sicherheitsstudien am IFSH (ZEUS).

Das profilbildende Gerüst des neuen Forschungsschwerpunktes wird sich aus fünf Projektlinien zusammensetzen:

  • Die Präzisierung des Leitbildes der EU als Friedensmacht in Europa und als gestaltende Akteurin des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.
  • Die Entwicklung der GASP und der ESVP in Übereinstimmung mit dem Leitbild der Friedensmacht und unter Berücksichtigung der hiermit verbundenen institutionellen, funktionalen und operativen Herausforderungen, insbesondere bezogen auf das forschungspolitische Leitmotiv des IFSH, einen wissenschaftlichen Beitrag zur Zivilisierung des Konflikts in und durch Europa zu leisten.
  • Die Analyse der Erweiterung der Union und der hieraus erwachsenden Chancen für die Schaffung eines kooperativen Sicherheitssystems und die Konsolidierung einer europaweiten Friedensordnung, aber auch der potenziellen Belastungen, die aus der Bündelung unterschiedlicher nationalstaatlicher Interessen, ökonomischer Entwicklungsniveaus, sozialer Traditionen, ethnopolitischer Identitäten und verschiedener kultureller Wertvorstellungen für das Zusammenwachsen Europas und die Behauptung eines kollektiven friedenspolitischen Leitbildes in und durch Europa entstehen können.
  • Die Untersuchung der Perspektiven des transatlantischen Verhältnisses im Wandel der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen Europa und Amerika infolge der »Globalisierung«, hierbei vor allem der Gefahr des Auseinanderdriftens des sicherheitspolitischen Grundkonsens’ zwischen EU-Europa und den USA sowie zu erwartende Belastungen für die transatlantische Sicherheitsintegration der NATO.
  • Die Erforschung der gestalterischen Potenzen der Europäischen Union als globaler Akteurin der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik unter Beachtung der spezifischen Handlungsspielräume und Potenziale der europäischen Integration und einer geschlossen agierenden Union für die Prävention und die Beilegung von regionalen Gewaltkonflikten an der künftigen Peripherie eines sich erweiternden EU-Europas.

Kein Frieden ohne Global Governance

Kein Frieden ohne Global Governance

Zur transnationalen Dimension von Gewaltkonflikten

von Christoph Weller

Die Ursachen für den gewaltsamen Austrag von Konflikte sind vielfältig – und entsprechend vieldimensional müssen auch die Ansätze für die Beförderung des Friedens sein. Eine besondere Rolle dabei spielt die grenzüberschreitende Dimension von Gewaltkonflikten. Von ihnen geht ein Großteil der in letzter Zeit zu beobachtenden Dynamik erhöhter Aufmerksamkeit für global stattfindende Gewaltanwendung aus. Darauf reagieren Ansätze von Global Governance, die mit einem mehrdimensionalen Instrumentarium die politische Bearbeitung grenzüberschreitender oder globaler Problemstellungen ermöglichen sollen.1
Man muss nicht von »Neuen Kriegen« reden, um die aktuellen Ausprägungen und Formen kollektiver Gewaltanwendung zu erfassen und besser verstehen zu können. Dass Regierungen und Staaten nicht mehr die wichtigsten Adressen sind, wenn man nach den Verantwortlichen für die Organisation kollektiver Gewaltanwendung fahndet, gilt seit über 50 Jahren. Es mag jenen »neu« erscheinen, die »Krieg« allein für ein Phänomen der internationalen Politik halten und Staaten als die zentralen oder gar einzig relevanten Akteure in diesem Feld betrachten. Dieses Weltbild übersieht die grenzüberschreitenden Interaktionen und Einflüsse gesellschaftlicher Akteure, die im Zuge der »Globalisierung« stark angestiegen sind und immer weiter wachsen. Dies betrifft auch Ursachen, Verlauf und Folgen von Gewaltkonflikten. Zwar darf die von Staaten ausgehende Gewalt – nach innen wie außen – nicht übersehen oder sprachlich eskamotiert werden, aber sie ist eben nur ein – mehr oder weniger kleiner – Teil aktueller Gewaltanwendung. (Ein aktuelles INEF-Projekt beschäftigt sich auch mit den Schwächen von Friedenstheorien bei der Konzeptualisierung von Gewalt; siehe dazu Weller 2003a, 2003b)

Gewaltkonflikte besitzen grenzüberschreitende Dimensionen

Die grenzüberschreitenden Dimensionen von Gewaltkonflikten zeigen sich natürlich auch darin, dass die Verfügbarkeit überlegener militärischer Mittel es der US-Regierung ermöglichte, eine Allianz von Staaten in einen Krieg gegen den Irak zu zwingen: Gewaltpotenziale werden global kommuniziert, ihr Einsatz soll nicht nur vor der US-amerikanischen, sondern vor der Weltöffentlichkeit als legitim gelten (primär dafür wurde der ganze Propaganda-Aufwand für den UN-Sicherheitsrat betrieben) und in die Konsequenzen des Krieges sind am Ende alle Gesellschaften und Staaten involviert, ob sie nun mitgemacht, zugestimmt oder sich verweigert haben (zu den Konsequenzen des Irak-Konflikts für die Nord-Süd-Beziehungen siehe Fues/Messner 2003). Zugleich entstand in der Ablehnung dieser Politik ein transnationales Protestbündnis, das sich primär gegen die US-amerikanisch-britische Politik wandte, also grenzüberschreitenden Einfluss zu nehmen versuchte und die wachsende gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Globalisierungsprobleme repräsentiert.

Gewalt im Kongo, in Israel, in Tschetschenien, in Liberia, in Afghanistan usw. wird zur Problemstellung für die Außen- und internationale Politik, weil sich Kommunikation globalisiert hat und Gewaltkonflikte für die international agierenden Massenmedien hohe Nachrichtenwerte besitzen. Sind die Bilder erst einmal in den Wohnstuben, entsteht politischer Handlungsbedarf, wenn nicht für die Außenpolitik, so doch zumindest in der Begründung, warum gegen diese Gewalt im Augenblick nichts unternommen werden kann. Diese besondere massenmediale Aufmerksamkeit für die Gewalt nutzend, organisieren Konfliktparteien in lokalen, regionalen oder nationalen Konflikten spektakuläre Gewaltaktionen, um die Weltöffentlichkeit auf ihren Konflikt hinzuweisen und zu einer Parteinahme herauszufordern. Am offensichtlichsten ließ sich die grenzüberschreitende Dimension von Gewaltkonflikten an den transnationalen Terroranschlägen vom 11. September 2001 erkennen, die auch deutlich machten, dass sich moderne Gesellschaften mit militärischer Sicherheitspolitik nicht vor den transnationalen Gefahren der Gewaltanwendung schützen können (im INEF-Projekt zur Analyse politischer Gewalt standen in letzter Zeit die Terroranschläge vom 11.9.2001 im Vordergrund; siehe dazu Hamm et al. 2002, Hippler 2002, Weller 2002a).

Die gewachsene Aufmerksamkeit für global stattfindende Gewaltanwendung lässt den Eindruck entstehen, der gewaltsame Konfliktaustrag nehme weltweit zu. Doch dies ist schwer zu überprüfen, denn wer kann schon beobachten, ob von den über 6 Milliarden Menschen auf der Welt heute mehr oder weniger unter den verschiedenen Formen von Gewalt zu leiden haben als vor einem, vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren? Eine andere Perspektive kann die Aufmerksamkeit auf die Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften lenken und den Eindruck der Gewaltzunahme relativieren (zum INEF-Forschungsprojekt »Friedenskonsolidierungsprozesse im Vergleich« siehe Böge 2003, Böge/Debiel 2003). Und wenn wir – wie üblich – die massenmediale Brille auf die Konflikte in der Welt benutzen – verstehen wir ausreichend, nach welchen Kriterien sie auswählt, uns Bilder aus Israel, eine Meldung aus Afghanistan, aber nichts aus Tschetschenien und vielen weiteren Orten aktueller Gewaltkonflikte präsentiert? (zum INEF-Projekt »Die massenmediale Konstruktion der internationalen Politik« siehe Weller 2002b, 2003c).

Die transnationale Dimension von Gewaltkonflikten

Unabhängig jedoch von Zu- oder Abnahme weltweiter Gewaltanwendung nimmt die transnationale Dimension von Gewaltkonflikten spürbar zu. Gesellschaftliche, nicht-staatliche Akteure, deren Handeln und Wirken über zwischenstaatliche Grenzen hinweggeht (= transnationale Akteure), sind mehr denn je an den weltweit stattfindenden Gewaltkonflikten beteiligt: Zwischenstaatliche Kriege werden fernsehgerecht veranstaltet und geführt, denn die gesellschaftliche Legitimation und Unterstützung lässt sich nur mithilfe transnational agierender Medienkonzerne gewinnen. Bürgerkriegsparteien sichern sich Waffen- und Ressourcenzuflüsse vielfach über transnationalen Handel mit Rohstoffen, Drogen und anderen Gütern, die in Nachbarstaaten oder global gehandelt werden. Gewaltökonomien beziehen ihre Dynamik und Kraft nicht selten gerade aus ihrem grenzüberschreitenden Charakter (in Kooperation mit der Gruppe Friedensentwicklung – FriEnt beschäftigt sich das INEF mit Gewaltökonomien; siehe Spelten 2003a, 2003b).

Gewaltregime fühlen sich durch die globalen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wie Internet, Satelliten- und digitale Bildtechnik oft mehr – und auch ernsthafter – bedroht als durch eine Staatengemeinschaft, die Demokratie und Menschenrechte propagiert, aber zur kollektiven Umsetzung entsprechender politischer Maßnahmen kaum in der Lage ist. Transnationale Netzwerke von Menschenrechts-Organisationen sind dagegen in der Lage, Akteure und Gruppen vor Ort zu unterstützen, Öffentlichkeit herzustellen und damit Regierungen unter Druck zu setzen, der primär auf der gesellschaftlichen Anerkennung entsprechender Normen basiert. Und transnationale Terrornetzwerke beziehen ihre Stärke vornehmlich daraus, ihre Standorte über viele Staaten weltweit zu unterhalten, damit für Einzelstaaten kaum kontrollierbar und auffindbar zu sein, aber aufgrund der modernen Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten koordiniert global agieren zu können.

Die hier beispielhaft aufgezählten Gewaltakteure werden in erheblichem Maße – in positiver wie negativer Hinsicht – von der transnationalen Handlungsebene tangiert. Gerade hier setzen Ansätze von Global Governance in der Friedens- und Sicherheitspolitik an. Global Governance weist darauf hin, dass viele politische Aufgaben heute nur noch auf globaler, zumindest aber staatenübergreifender Ebene unter Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure wirksam zu bearbeiten sind. Globale Probleme wie Armut, Klimawandel oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sind klassische Beispiele für solche Aufgaben und damit für die Notwendigkeit von Global Governance (die Weiterentwicklung des Global-Governance-Ansatzes gehört zu den Forschungsschwerpunkten des INEF, siehe dazu u.a. Messner 2002, Messner/Nuscheler 2003 und Messner et al. 2003). Bei Gewaltverhinderung und Friedensförderung scheinen jedoch die globalen Dimensionen der Problembearbeitung bisher eher im Hintergrund zu stehen. Doch auch die Friedenspolitik muss sich im Zeitalter der »Globalisierung« vermehrt der Instrumente von Global Governance bedienen, wenn sie im Sinne der gesellschaftlich verankerten Friedensvorstellungen erfolgreich sein will.

Global Governance

Zwischenstaatliche Organisationen und Institutionen sind ein wichtiges Element von Global Governance, ein zweites das Völkerrecht, die auf internationaler Ebene vereinbarten Normen und Regeln zwischenstaatlichen, aber auch transnationalen Zusammenlebens (zur Rolle nicht-staatlicher Akteure im Völkerrecht siehe Blome/Hamm 2003), auf deren Grundlage internationale Institutionen und Organisationen entstehen und arbeiten. Um den dynamischen Charakter dieses Regelwerks zu verdeutlichen, wird häufig von »internationaler Verrechtlichung« gesprochen, es geht um den Gesamtbestand sich auf einen globalen Wertekanon beziehender Vereinbarungen unter Staaten. Das dritte Element sind diese Normen und Werte selbst, die zwar in der Regel zwischen Staaten bzw. Regierungen kodifiziert werden, aber in den Gesellschaften verankert sein und Zustimmung erfahren müssen, wenn sie unabhängig von Sanktionsdrohungen ihre Kraft entfalten sollen. Da das internationale System keine unabhängige Sanktionsinstanz besitzt, sind internationale Normen und Regeln in besonderem Maße auf diese transnationale gesellschaftliche Verankerung angewiesen, aber auch auf gesellschaftliche Akteure, die sich dafür engagieren. Damit ist das vierte Element von Global Governance angesprochen: Globale Problembearbeitung ist nicht allein die Sache von Staaten, Regierungen und internationalen Organisationen, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren, besonders von transnational agierenden Organisationen und Netzwerken (Internationalen Nicht-Regierungs-Organisationen – INROs, Transnationalen Konzernen – TNKs etc.). Als letztes Element von Global Governance müssen natürlich auch noch die Staaten genannt werden, die trotz »Globalisierung« und beschränkter einzelstaatlicher Handlungsfähigkeit wichtige Akteure von Global Governance sind, besonders bei einem koordinierten Vorgehen für gemeinsame Ziele, etwa im Rahmen internationaler Institutionen. Staaten bleiben die Scharniere zwischen nationaler und internationaler Politik und auch in ihrer Rolle als Mitglieder internationaler Institutionen und Organisationen (UNO etc.) sowie als Vertragsparteien internationaler Verrechtlichung sind sie in entscheidender Weise am Zustandekommen von Global Governance beteiligt.

Wenn diese fünf Elemente von Global Governance in möglichst übereinstimmender Weise zusammenwirken, verbessert sich die Bearbeitung globaler Probleme. Global Governance ist deshalb so wichtig, weil im Zeitalter der Globalisierung die politischen Aufgaben weder einzelstaatlich noch allein zwischenstaatlich zu erfüllen sind. Ohne verbindliche Regeln, die sich auf gesellschaftliche Normen und Werte beziehen, und die Mitwirkung einer Vielzahl gesellschaftlicher, transnationaler Akteure, stößt internationales Regierungshandeln schnell an die Grenzen einseitiger Macht- und Interessenpolitik. Es steht außerdem in der Gefahr, stärker der jeweiligen Herrschaftssicherung als der globalen Problembearbeitung zu dienen. Diese Gefahren für die Außen- und internationale Politik werden uns in besonderer Weise seit dem 11.9.2001 vor Augen geführt; sie zu begrenzen und kollektive statt partieller Ziele ins Zentrum globaler Politik zu stellen, ist eine der Aufgaben von Global Governance.

Global Governance in der Friedenspolitik

Für die Beförderung des Friedens bietet Global Governance mindestens die folgenden fünf Ansatzpunkte (siehe dazu auch Nuscheler/Weller 2002 und Hamm et al. 2002):

  • Internationale Organisationen und Institutionen der Friedens- und Sicherheitspolitik bedürfen der stärkeren Rückbindung an gesellschaftliche Normen und Interessen, etwa durch Parlamentarisierung, bessere Ressourcenausstattung zur Koalitionsbildung mit transnationalen Akteuren, der stärkeren inhaltlichen Verknüpfung mit internationaler Entwicklungs-, Handels- und Wirtschaftspolitik zur langfristigen Friedenssicherung, um auch strukturelle Ursachen gewaltsamen Konfliktaustrags bearbeiten zu können. Gewaltprävention setzt Entwicklungsmöglichkeiten für alle gesellschaftlichen Gruppen voraus und ist damit aufs Engste mit Entwicklungspolitik und internationaler Wirtschaftspolitik verknüpft, die dieses ermöglichen oder verhindern können.
  • Die internationale Verrechtlichung darf nicht ins Stocken geraten, auch wenn die augenblickliche US-Regierung sich in einigen Fragen davon ausnimmt, wie alle Staaten dem Völkerrecht unterworfen zu sein. Gerade die gewaltfreie Konfliktbearbeitung ist auf das gegenseitige Vertrauen aller Staaten in die Regeleinhaltung angewiesen. Ebenso bedürfen die immer weiter zunehmenden globalen Inter- und Transaktionen von Staaten und gesellschaftlichen Akteuren verlässlicher Regeln, um den Rückgriff auf die gewaltsame Durchsetzung von Interessen zu minimieren und die Möglichkeiten zur kollektiven Nutzensteigerung zu optimieren.
  • Gerade demokratische Gesellschaften, denen es gelingt, ihre gesellschaftlichen Konflikte weitgehend ohne die Anwendung von Gewalt auszutragen, sind besonders gefordert, ihre Normen und Werte von Frieden und den Umgang mit Konflikten weiterzuentwickeln, zu verfeinern und in der Auseinandersetzung mit anderen Vorstellungen und Erfahrungen zu überprüfen (zum INEF-Projekt »Perspektiven der Friedenstheorie« siehe Weller 2002c, 2003d und Calließ/Weller 2003). Vor allem aber müssen demokratische Gesellschaften ihre Normen vom Umgang mit Konflikten auch und gerade in ihrem Außenverhalten, in der Interaktion mit anderen Gesellschaften und Staaten umsetzen (siehe Hippler 2003a). Wer auf der einen Seite die Regeleinhaltung gegenüber anderen propagiert und einfordert, auf der anderen Seite aber sich selbst Übertretungen oder Regelverbiegungen erlaubt (z.B. Kosovo), schwächt seine Glaubwürdigkeit und zugleich die Anerkennung der entsprechenden Normen und Werte, denen Demokratien ihre gesellschaftliche Stabilität verdanken.
  • Die Weiterentwicklung und Stärkung von Global Governance ist nicht allein auf die Umsetzung durch Regierungen, das Agieren von Staaten und die Formulierung entsprechender Forderungen angewiesen. Gesellschaftliche Akteure leisten einen wesentlichen Beitrag zu Global Governance, indem sie selbst aktiv werden, als INROs grenzüberschreitende Aktivitäten entfalten, durch Kontakte und transnationale Netzwerke auf vergessene Gewaltkonflikte aufmerksam machen, FriedensaktivistInnen vor Ort stärken und schützen, Ressourcen bereitstellen, usw. Im Rahmen transnationaler Beziehungen können jene Gruppen und Organisationen in einer von Gewaltkonflikten bedrohten Gesellschaft gestärkt und unterstützt werden, die den gewaltfreien Konfliktaustrag praktizieren und sich dafür einsetzen. Zugleich geht es darum, den Normen-Diskurs immer wieder auf die politische Tagesordnung zu bringen, insbesondere die Außenpolitik daran zu messen und so dazu beizutragen, dass sich die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns erhöht. Gesellschaftliche Akteure wie Stiftungen, Kirchen, Hilfswerke und andere Organisationen sind aber auch wichtige Kooperationspartner für demokratische Regierungen, etwa bei der Stärkung ziviler Konfliktbearbeitung im In- und Ausland (siehe dazu u.a. Böge/Spelten 2002 und Hippler 2003b), bei der Einbeziehung konfliktrelevanter Zusammenhänge in die internationale Entwicklungspolitik sowie beim Einsatz für Menschenrechte, freie Wahlen, faire Gerichtsverfahren etc.
  • Staaten und ihre Regierungen können sich an verschiedenen Stellen für die Stärkung von Global Governance in der Friedenspolitik einsetzen, wie in den vorangegangenen Punkten schon erwähnt wurde. Zentral aber hierbei bleibt, dass sie in ihrem eigenen Verantwortungsbereich, z.B. in der Ausländer-Politik, bei der Verbrechensbekämpfung, im Justizwesen, bei der Transparenz des Herrschaftsapparats, bei der Begrenzung sozialer Ungleichheit, in ihrer Militärpolitik usw., in der Umsetzung und Unterstützung einer konstruktiven gesellschaftlichen Konfliktkultur die Normen und Werte umsetzen und realisieren, die dem gesellschaftlichen Zusammenleben zugrundeliegen. Und ähnlich bedeutsam ist, dass sich Staaten auch in ihrem grenzüberschreitenden Agieren an diese Normen und Werte gebunden fühlen.

Die Förderung des Friedens verlangt auch nach Einmischung von außen in jene Konflikte, bei denen die Gewalt zu eskalieren droht. Solches zu erkennen setzt die Anwendung friedenswissenschaftlicher Erkenntnisse in der Analyse von Konfliktdynamiken voraus (ein Ansatz hierfür ist der Indikatorenkatalog für Krisenpotenziale in Konfliktregionen, der augenblicklich am INEF weiterentwickelt wird; siehe dazu Spelten 1999). Friedensförderlich wird aber nur jene Einmischung sein, welche zugleich die Norm des Friedens stärkt, indem sie den Konfliktparteien die Perspektive eines gewaltfreien Konfliktaustrags und einer konstruktiven Konfliktkultur aufzeigt. Wenn Staaten sich gemeinsam, verbunden in einer internationalen Institution, verpflichtet auf Normen und Regeln, die gesellschaftlich breit verankert sind, mit gesellschaftlicher Unterstützung für den gewaltfreien Konfliktaustrag einsetzen, wird umgesetzt, was sich als Global Governance in der Friedenspolitik bezeichnen lässt.

Literatur

Blome, Kerstin / Brigitte Hamm (2003): Die Einbindung nicht-staatlicher Akteure in das Völkerrecht, in: Hauswedell et al. 2003, 249-258.

Böge, Volker (2003): Bougainville und Salomonen: Fortschritte und Fehltritte auf dem Weg zum Frieden, in: Ferdowsi, Mir A. / Volker Matthies (Hrsg.) (2003): Den Frieden gewinnen. Zur Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften, Bonn, 176-205.

Böge, Volker / Tobias Debiel (2003): Kriege und Konfliktbewältigung, in: Hauchler et al. 2003.

Böge, Volker / Angelika Spelten (2002): Zivile Konfliktbearbeitung – Konzepte, Maßnahmen, Perspektiven, in: Schoch et al. 2002, 196-204.

Calließ, Jörg / Christoph Weller (Hrsg.) (2003): Friedenstheorie: Fragen, Ansätze, Möglichkeiten, Loccumer Protokolle 31/03, Loccum.

Fues, Thomas / Jochen Hippler (Hrsg.) (2003): Globale Politik: Entwicklung und Frieden in der Weltgesellschaft, Festschrift für Franz Nuscheler, Bonn.

Fues, Thomas / Dirk Messner (2003): Die Beziehungen zwischen Nord und Süd im Schatten der Irak-Krise: Perspektiven kooperativer Weltpolitik nach der Johannesburg-Konferenz, in: Hauswedell et al. 2003, 51-60.

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Hauchler, Ingomar / Dirk Messner, / Franz Nuscheler (Hrsg.) (2003): Globale Trends 2004, Frankfurt a.M.

Hauswedell, Corinna / Christoph Weller / Ulrich Ratsch / Reinhard Mutz / Bruno Schoch (Hrsg.) (2003): Friedensgutachten 2003, Münster.

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Hippler, Jochen (2003a): Globale Werte, Völkerrecht und zwischenstaatliche Gewalt, in: Hauchler et al. 2003.

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Messner, Dirk (2002): Nationalstaaten in der Global-Governance-Architektur. Wie kann das deutsche politische System Global-Governance-tauglich werden?, INEF-Report 66, Duisburg.

Messner, Dirk / Franz Nuscheler (2003): Das Konzept Global Governance: Stand und Perspektiven, INEF-Report 67, Duisburg.

Messner, Dirk / Jeanette Schade / Christoph Weller (2003): Weltpolitik zwischen Staatenanarchie und Global Governance, in: Hauchler et al. 2003.

Nuscheler, Franz / Christoph Weller (2002): Die Alternative zum Krieg gegen den Terrorismus: Global Governance in der Friedens- und Sicherheitspolitik, in: Schoch et al. 2002, 205-214.

Schoch , Bruno / Corinna Hauswedell / Christoph Weller / Ulrich Ratsch / Reinhard Mutz (Hrsg.) (2002): Friedensgutachten 2002, Münster.

Spelten, Angelika (1999): Instrumente zur Erfassung von Konflikt- und Krisenpotenzialen in Partnerländern der Entwicklungspolitik, Bonn.

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Spelten, Angelika (2003b): Gewaltökonomien als Rahmenbedingung und Herausforderung für die Entwicklungspolitik. Eine FriEnt-Handreichung, Bonn.

Weller Christoph (2002a): Der 11. September im Fernsehen: Die Deutung der Terroranschläge als Krieg, in: Schoch et al. 2002, 43-51.

Weller, Christoph (2002b): Die massenmediale Konstruktion der Terroranschläge am 11. September 2001. Eine Analyse der Fernsehberichterstattung und ihre theoretische Grundlage, INEF-Report 63, Duisburg.

Weller, Christoph (2002c): Friedensforschung zwischen Massenmedien und Krieg – Von der Manipulationsforschung zur konstruktivistischen Friedenstheorie, in: Albrecht, Ulrich / Becker, Jörg (Hrsg.): Medien zwischen Krieg und Frieden, Baden-Baden, 27-44.

Weller, Christoph (2003a): Gewalt – politischer Begriff und friedenswissenschaftliche Konzepte. Eine Kritik der Gewaltfreiheit des Friedens, in: Calließ/Weller 2003.

Weller, Christoph (2003b): Perspektiven der Friedenstheorie, INEF-Report 68, Duisburg.

Weller, Christoph (2003c): Friedenstheorie: Aufgabenstellungen, Ansätze, Perspektiven, in: Eckern, Ulrich et al. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, Opladen.

Anmerkungen

1) Global Governance ist ein Schwerpunkt der Forschungs- und Beratungsarbeit des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, das sich in seiner Arbeit vor allem den Zusammenhängen zwischen Entwicklung und Frieden zuwendet und sich dabei sowohl mit den globalen Interdependenzen von Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit sowie den Entwicklungsperspektiven von Entwicklungsländern in der Weltwirtschaft als auch mit dem Zusammenspiel von Staaten, Internationalen Organisationen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Weltpolitik beschäftigt. Aktuelle Literaturhinweise zur Arbeit des INEF finden sich im folgenden Text, für weitere Informationen siehe {u}www.inef.de{/u}

Dr. Christoph Weller, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen

Missbrauch von Naturkräften eingrenzen

Missbrauch von Naturkräften eingrenzen

Forschung und Politikberatung für Abrüstung

von Götz Neuneck

Die nunmehr zwanzigjährige Abschlusserklärung des Mainzer Kongresses »Verantwortung für den Frieden – Naturwissenschaftler warnen vor neuer Atomrüstung«, der am 2. und 3. Juli 1983 mit 3.000 Teilnehmer(inne)n in Mainz stattfand, enthält den programmatischen Satz: „Naturwissenschaftler tragen eine besondere Verantwortung, weil einige ihr Expertenwissen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen missbrauchen ließen und andere dazu geschwiegen haben. Wir haben die Pflicht, über die Grenzen des Missbrauchs von Naturkräften nachzudenken und ihm mit Entschiedenheit entgegenzutreten.“1 Dieses aus der Tradition der Russell-Einstein-Erklärung von 1955 und der Göttinger Erklärung von 1957 stammende Denken muss mit konkreter Arbeit gefüllt und in die Realität umgesetzt werden. In den Zeiten des »Kalten Krieges« haben viele Wissenschaftler/innen dazu beigetragen, dass die Folgen des fortschreitenden Wettrüstens und der Gefahr eines globalen Nuklearkrieges der Öffentlichkeit und den Regierungen deutlich gemacht wurden.2 In den 80er Jahren leisteten viele Gruppen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund national wie international durch Kongresse, Workshops und Publikationen einen wichtigen Beitrag zur Dämpfung der Überrüstung und zu ihrer Einhegung durch Rüstungskontrolle und Abrüstung. Insbesondere amerikanische, sowjetische und europäische Wissenschaftler bildeten ein wichtiges Diskussionsforum und ein Kontaktnetzwerk zwischen Politik und Wissenschaft. Sie initiierten Rüstungskontrollvorschläge und halfen die umfassende vertragsbasierte Rüstungskontrollarchitektur zu errichten. Angesichts neuer Aufrüstungsschübe und der unbeeinflussten Rüstungsdynamik scheint diese Arbeit heute wieder wichtiger denn je zu sein.
In Deutschland hatte insbesondere die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« vor dem Hintergrund des NATO-Doppelbeschlusses und des SDI-Programms viele Naturwissenschaftler(innen) an diversen Hochschulen mobilisiert. In den 80er Jahren fanden in deutschen Hochschulen Ringvorlesungen, Seminare und Projekte statt, die sich intensiver mit Fragen des Wettrüstens, der Rüstungsdynamik und der Abrüstung auseinander setzten. Schwerpunkte waren strategische Raketenabwehr, die Weltraumrüstung sowie die Verifikation und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Die Gründung naturwissenschaftlich-orientierter Gruppen in Deutschland

Die Volkswagenstiftung ermöglichte ab 1988 die Anschubfinanzierung für drei naturwissenschaftlich arbeitende Forschungsgruppen in Bochum, Darmstadt und Hamburg.3 Das Bochumer Verifikationsprojekt untersuchte den Einsatz von Sensoren für die kooperative Verifikation zur Beschränkung von Land- und Luftfahrzeugen, die Darmstädter IANUS-Gruppe bearbeitete das Themenfeld der Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung atomarer/biologischer Waffen sowie deren Trägersysteme und die Hamburger CENSIS-Gruppe befasste sich mit der automatischen Auswertung von Luft- und Satellitenbildern für die Verifikation und Umweltüberwachung sowie mit konventionellen Waffentechnologien und der Raketenproliferation. Im Laufe der Jahre wurden die Aktivitäten der Gruppen ausgebaut und aktuellen Fragestellungen angepasst.4 Es ergaben sich Arbeitskontakte zu den etablierten Forschungsinstituten ebenso wie Möglichkeiten, Diplom- und Doktorarbeiten durchzuführen. 1996 schlossen sich die Gruppen zum Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und Internationale Sicherheit (FONAS) zusammen.

Im FONAS-Kreis wurden über 20 meist naturwissenschaftliche Diplom- und Doktorarbeiten erarbeitet.5 Dies ist insofern bemerkenswert, als anfänglich in einzelnen Fakultäten die Skepsis bezüglich der Behandlung von naturwissenschaftlichen Fragen mit politischem Hintergrund überwog. Inzwischen bestehen reichhaltige Erfahrungen, wie naturwissenschaftliche Methoden mit friedenspolitischen Fragen verbunden werden können. Da eine Vielzahl von Disziplinen wie die Physik, Mathematik, Informatik, Biologie aber auch die Politikwissenschaft, Sozialethik oder das Völkerrecht konstitutiv für die Bearbeitung der jeweiligen Fragestellungen war, wurde ein umfassendes Netzwerk von verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen an den jeweiligen Universitäten und darüber hinaus errichtet. Heute bildet dieser Verbund, der inzwischen auch eine internationale Anbindung hat, eine wertvolle Expertise und einen Erfahrungsschatz im Schnittfeld von Naturwissenschaft, Technologie, Friedensforschung, Politik und Öffentlichkeit. Dennoch ist die Arbeit immer noch stark von Drittmitteln abhängig und sie hat nicht den Grad gesicherter Kontinuität erreicht, der z.B. in den USA etabliert ist. In zu hohem Maße sind die Arbeiten vom Engagement und dem Ethos friedensbewegter Nachwuchswissenschaftler(innen) abhängig. FONAS hat bereits frühzeitig auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass nach wie vor die dauerhafte Einrichtung von entsprechenden Professuren und naturwissenschaftlich arbeitenden Forschungsgruppen notwendig ist.6 Nur so kann die erarbeitete Expertise gesichert und weiterentwickelt werden. Die von der DSF ausgeschriebene »Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftungsprofessur« wird hier einen ersten bedeutenden Beitrag leisten.7Der 1996 gegründete Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS) hat insbesondere auch die Aufgabe, die Arbeit der Gruppen zu koordinieren, zu bündeln und die Kontakte zu Politik und Öffentlichkeit zu verstärken.8 Die Halbjahrestreffen ermöglichen eine intensive Forschungsdiskussion; ein Rundbrief informiert die ca. 50 Mitglieder über die Ergebnisse, lokalen Aktivitäten und Tagungsbeiträge. Die Ergebnisse der Projekte bzw. die Ergebnisse internationaler Zusammenarbeit werden seit 1996 bei den – bisher 14 – »FONAS-Fachgesprächen« vorgestellt. In der Bundeshauptstadt werden regelmäßig Mitglieder des Bundestags, Fachleute der Ministerien sowie Fachjournalist(inn)en eingeladen, um sie über aktuelle rüstungskontrollpolitische Fragen und Forschungsresultate zu informieren. Als besonders erfolgreich kann das 7. Fachgespräch (22. März 2000) gelten, bei dem Richard Garwin/ Council of Foreign Relations und Ted Postol/MIT die grundlegende Kritik an den Plänen der US-Administration zur Raketenabwehr darlegten. In der Folgezeit wurden die Arbeiten zur Raketenabwehr eine wichtige Expertise, auf die auch das Auswärtige Amt zurückgriff.

Schwerpunkt des 11. Fachgesprächs war der im Jahr 2002 in Kraft getretene »Open-Skies-Treaty«-Vertrag. Hierdurch wurde der gesamte Luftraum der Mitgliedstaaten von Vancouver bis Wladiwostok für kooperative Beobachtungsflüge geöffnet. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt über kein eigenes Fluggerät verfügte, bestand Handlungsbedarf und technische Begleitforschung war notwendig. Ein Memorandum verlieh der Forderung nach einer eigenen fliegenden Open-Skies-Plattform Ausdruck. Heute besteht auf diesem Gebiet eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen.

Auf Fachgesprächen wurden zudem immer wieder die Forschungsergebnisse der Gruppen vorgestellt, so die Arbeiten zur Proliferationsresistenz aus Darmstadt oder die Arbeiten zur akustischen und seismischen Sensorverifikation aus Bochum. Die Gruppen halten zudem Einzelkontakte zu interessierten Parlamentariern und Ministerien und werden immer wieder zu Einzelgesprächen und Expertentreffen eingeladen. Im März 2001 konnten schließlich die Ergebnisse eines Verbundantrages vorgestellt werden, der durch die BMBF-Projektförderung ermöglicht wurde.9 Hier wurden an den Fallbeispielen Raketenabwehr, B-Waffen/Biotechnologie, Mikrosystemtechnik, Plutoniumbestände die Methoden, Kriterien und Möglichkeiten präventiver Rüstungskontrolle überprüft. Die folgende Tabelle zeigt wichtige Projekte der naturwissenschaftlichen Abrüstungsforschung in Deutschland seit 2000, als die Bundesregierung über das BMBF die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung wieder aufnahm, was auch der naturwissenschaftlichen Arbeit zugute kam. Wichtige Ergebnisse zur Sicherheit von Nuklearmaterialen, dem Open-Skies-Vertrag oder der modernen Kriegsführung werden immer wieder dargestellt in Zeitschriften wie »Spektrum der Wissenschaft« oder »Science and Global Security«.Bei all den positiven Beispielen soll aber auch darauf hingewiesen werden, dass zwischen »wissenschaftlich orientierter Politikberatung« und »praktischer politischer Anwendung« auch natürliche Differenzen vorhanden sind.10 Politiker wollen stets mit Informationen und im FONAS-Fall mit technischen Expertisen versorgt werden. Dies ist in klar definierten Fällen möglich, bedeutet jedoch noch nicht automatisch, dass sich daraus fertige, übernehmbare und einfach umzusetzende Handlungsanweisungen ergeben. Über diese hat letztlich die Politik selbst zu entscheiden und diese auch zu verantworten. Aufgabe der Wissenschaft muss es insbesondere sein, auf die Gefahren, Probleme und Konsequenzen negativer, wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen hinzuweisen und die jeweiligen Widersprüche aufzudecken. Ein Beispiel ist hier der Nuklearterrorismus: Während es allgemein üblich ist, die Gefahr einer Nuklearexplosion durch die »Osama bin Ladens« anzuführen, zeigen die Bestandsaufnahmen waffenfähiger Arsenale, dass das Material für einen solchen Anschlag nur aus den übervollen waffenrelevanten Beständen der Kernwaffenstaaten stammen kann, für deren Sicherheit die Staaten selbst verantwortlich sind. Nukleare Abrüstung und die Verbesserung der Materialsicherheit sind hier die richtigen Antworten. Oft zeigt sich auch, dass Politiker nur handeln, wenn der Druck groß genug ist. Ein Problem wissenschaftlicher Politikberatung ist schließlich, dass manche Friedensforscher davon ausgehen, dass die Politik direkt ihrem Rat folgt oder dass mit wissenschaftlichen Kriterien Politik gemacht werden kann. Dies ist aber nur selten der Fall.

FONAS und die Deutsche Physikalische Gesellschaft

Dass die in Bochum, Darmstadt und Hamburg getätigten Forschungsergebnisse auch in der physikalischen Fachgesellschaft etabliert sind, zeigen die Fachsitzungen »Physik und Abrüstung« bei den Frühjahrstagungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die heute über 45.000 Mitglieder hat und auf eine reichhaltige Tradition zurückblicken kann. Seit 1995 werden hier, organisiert durch den FONAS-Kreis, eigene Fachsitzungen zu Abrüstung und Verifikation durchgeführt. Schwerpunkte der letzten Jahre waren u.a. Teststopp, Kernwaffenabrüstung, Raketenabwehr, Verifikation, Minensuche, präventive Rüstungskontrolle, die Proliferationsresistenz und der Nuklearterrorismus. Auch in anderen naturwissenschaftlich-technischen Fachgesellschaften gibt es Aktivitäten, so im Bereich Minensuche und bei den B-Waffen. 1998 konnte in der DPG der Arbeitskreis »Physik und Abrüstung« gegründet werden, der die Arbeiten koordiniert und Kontakt zur DPG-Führung hält.11 Es gelang zudem, die »Max von Laue«-Vorlesung dauerhaft zu etablieren, deren Aufgabe es ist, gesellschaftliche Fragen naturwissenschaftlicher Verantwortung zu vertiefen. Schließlich wurde im Jahr 2003 die »Atomtestkommission der DPG« reaktiviert, die noch in diesem Jahr einen Bericht zur Lage des vollständigen Teststoppvertrages erarbeiten wird.

FONAS, die Ausbildung und die internationale Anbindung

Unterschätzt werden darf auch keinesfalls die Aus- und Weiterbildung von Nachwuchs im Bereich »Naturwissenschaft und Friedensforschung«. Dies bezieht sich einerseits auf die Schulung von Naturwissenschaftlern in Bezug auf die Konsequenzen ihres Tuns und die Anwendung ihrer Methoden, aber auch auf die ambivalenten Probleme ihrer instrumentellen Fähigkeiten und Ergebnisse. Diplom- und Doktorarbeiten helfen hier ebenso wie interdisziplinäre Seminare an naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fakultäten. Zum anderen sollten auch Sozial- und Geisteswissenschaftler über grundlegende Kenntnisse naturwissenschaftlicher Methodik verfügen. An der Universität Hamburg wird z.B. durch das IFSH im Verbund mit einer Reihe von Fakultäten seit einem Jahr der Masterstudiengang »Peace and Security Policy« durchgeführt.12 Hier können auch Naturwissenschaftler(innen) in einem einjährigen, postgradualen Studiengang den »Master of Peace and International Security« erwerben. Für Studierende mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund gibt es eine Vorlesung zu »Naturwissenschaftlichen Methoden in der Friedensforschung«, die gleichzeitig für Studierende aller Fakultäten offen ist.

Die kleine FONAS-Szene ist inzwischen auch international gut integriert. Gemeinsame Projekte und Wissenschaftleraustausch finden statt, so z.B. mit dem »Defense Studies Program« des MIT. Internationale Workshops werden organisiert und regelmäßig nimmt deutscher Nachwuchs an den jährlichen Summer Symposiums on Science and World Affairs teil. Insgesamt hat sich die naturwissenschaftlich orientierte Friedens- und Abrüstungsforschung in Deutschland seit 1985 zu einem wichtigen Pfeiler der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungsszene entwickelt.

Aktuelle Forschungen und Projekte

Ein Beispiel für aktuelle Forschungen ist der FONAS-Projektverbund »Präventive Rüstungskontrolle«. Präventive Rüstungskontrolle ist qualitative Rüstungskontrolle angewandt auf die Zukunft.13 Ihr vorbeugender Charakter kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass – geleitet durch Rüstungskontrollkriterien – militärrelevante Forschung und Entwicklung frühzeitig in rüstungskontrollpolitische Konzepte einbezogen werden sollen. Ziel dieses ortsübergreifenden Projektverbundes ist es, die Konzepte, Bedingungen und Verfahren der präventiven Rüstungskontrolle auf allgemeiner Ebene sowie in spezifischen Technologiefeldern zu untersuchen. Einzelprojekte zu Themen wie Nanotechnologie, Proliferationsresistenz oder Weltraumrüstung widmen sich spezifischen Technologiefeldern, ein Rahmenprojekt stellt deren Vorschläge zusammen, bewertet und verallgemeinert sie und untersucht Probleme und Randbedingungen vorbeugender Rüstungsbegrenzung. Entscheidend für die Umsetzung ist dabei die Fähigkeit, destabilisierende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, zu analysieren und adäquate Beschränkungsmaßnahmen zu entwickeln. Solche Beschränkungen können nicht nur die internationale Sicherheit stärken, sondern auch erhebliche Kosten sparen helfen. Die Weiterentwicklung neuer Militärtechnologien kann zukünftige technologische Rüstungswettläufe implizieren. In der Regel ist es zudem nach Einführung qualitativ neuer Waffensysteme schwieriger, diese bzw. ihre Wirkungen zu beschränken, als ein geplantes System noch in der Entwicklungsphase zu verbieten (z.B. Blendlaser). So soll Rüstungskontrolle mit Abrüstungsschritten verbunden werden.14

Seit 1988 untersucht das »Bochumer Verifikationsprojekt« (BVP), das an der Ruhr-Universität angesiedelt ist, unter Leitung von J. Altmann, die Möglichkeiten mittels akustischer, seismischer und magnetischer Sensorsysteme, Begrenzungen bei militärischen Land- und Luftfahrzeugen zu überwachen.15 Bemerkenswert sind hier eine Reihe von internationalen Experimenten, die gemeinsam mit der Informatik der Humboldt-Universität Berlin durchgeführt und ausgewertet wurden. Auch wurden zwei Sensorstationen entwickelt und auf einem Bundeswehr-Erprobungsgelände einen Monat betrieben, um die Schall- und Bodenvibration von Panzern, militärischen Lkw und anderen Fahrzeugen zu messen. Auf dieser Grundlage könnten Sensorsysteme für einen UN-Einsatz entwickelt werden.Die »Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit« (IANUS) der TU Darmstadt beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der Thematik nuklearer Proliferation und den Möglichkeiten des Zugriffs auf waffenfähiges Nuklearmaterial. Einen Schwerpunkt bildet z.B. die Beschäftigung mit dem Münchner Forschungsreaktor FRM-II, der mit hochangereichertem Uran (HEU) als Brennstoff geplant wurde und damit unter Proliferationsgesichtspunkten sehr problematisch ist.16 IANUS konnte in einer Expertenkommission des BMBF mitwirken, die die Möglichkeiten einer Brennstoff-Umstellung vor oder nach Inbetriebnahme des FRM-II konkretisierte und seine Expertise beim atomrechtlichen Verfahren beim BMBF einbringen. Bei IANUS wurden alternative Auslegungen des Reaktors mit praktisch nicht waffentauglichem, schwach angereichertem Uran durchgerechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass gute Chancen bestehen, durch Umrüstung den Umgang mit HEU im zivilen Bereich als wichtige Maßnahme der Bemühung um Nichtweiterverbreitung zu beenden.17In Hamburg werden die Arbeiten insbesondere am IFSH im Rahmen der »Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien« (IFAR) zusammen mit der CENSIS-Gruppe durchgeführt. Das Forschungsprojekt »Die Zukunft der Rüstungskontrolle« arbeitet die Grundlagen, die Gültigkeit und die Defizite der Rüstungskontrollidee heraus. Eine Homepage wurde aufgebaut, auf der viele Internet-Ressourcen, Verträge und technische Einzelheiten zur Rüstungskontrolle zu finden sind. Das Forschungsprojekt »Weltraumbewaffnung/Raketenabwehr und die Möglichkeiten präventiver Rüstungskontrolle« analysiert einerseits die technischen Möglichkeiten von Waffensystemen im Weltraum sowie von außerhalb der Atmosphäre wirksamen Raketenabwehrsystemen auf der Basis heutiger und künftiger technologischer Entwicklungen. Schwerpunkte sind Simulationen von Weltraummüll und die Wirkung von Laserwaffen im Weltraum. Andererseits werden präventive Beschränkungen für eine aktive Nutzung von Weltraumwaffen aufgezeigt und Impulse für die internationale Rüstungskontrolle erarbeitet. Naturwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es für einen Gegner relativ einfach möglich ist, technische Maßnahmen zu ergreifen, um die geplante Raketenabwehr zu umgehen.18 Eine technische Analyse ist hier genauso unverzichtbar wie die Frage nach den rüstungskontrollpolitischen Konsequenzen bei der Einführung von Raketenabwehr. Zu befürchten ist, dass die nuklearen Begehrlichkeiten durch die augenblickliche Debatte wieder geweckt und angeheizt werden. Ein weiteres Thema sind die Technologien, die unter dem Oberbegriff »Revolution in Military Affairs« fallen.19 Viele der Arbeitsergebnisse der Gruppen flossen auch in Gutachten und Studien für das »Büro für Technologiefolgenabschätzung des deutschen Bundestages« (TAB) oder für die »Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt« (DLR) ein.

Naturwissenschaft und Rüstungsdynamik unter veränderten Rahmenbedingungen

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben sich die Randbedingungen der Rüstungsdynamik und damit von Rüstungskontrolle und Abrüstung zweifelsohne geändert. Kriege sind für manche Regierungen wieder »salonfähig« geworden, neue Kriegsbilder sind ebenso hinzugetreten wie neue Akteure (Terroristen, substaatliche Gruppen etc.). Die Suche nach neuen Strategien zur Konfliktprävention, Kriegsverhinderung, für zivile Konfliktlösungen hat begonnen. Das Schwerpunktheft »Friedensforschung im 21. Jahrhundert« kündet von der Breite und Tiefe der Diskussion, die in der Friedensforschung geführt wird.20 Keiner der Autoren dieses Heftes bezweifelt, dass der »Kalte Krieg« enorme, einsetzbare Gefahrenpotenziale hinterlassen hat, die einer kritischen Begleitforschung bedürfen. Die Gefahr eines Nuklearkrieges ist gemindert, aber nicht gebannt. Abrüstung findet nicht mehr statt. Erinnert sei hier an ca. 31.000 operative Atomsprengköpfe über 70.000 Tonnen Giftgas und Millionen Tonnen herkömmlicher Munition und konventioneller Sprengköpfe, steigende Weltmilitärausgaben, Rüstungsexporte und ein proliferierender Waffenhandel. Die Zukunft überschüssigen Nuklearmaterials, der ideale Stoff für Nuklearterrorimus, ist ungelöst. Neben den unbewältigten Altlasten finden neue, lokale Aufrüstungsrunden statt. Zwischen Indien und Pakistan gibt es einen Nuklear- und Raketenwettlauf. Das nordkoreanische Regime spielt mit dem nuklearen Feuer und hat seinen Austritt aus dem Nichtverbreitungsvertrag (NVV) erklärt. Der Iran wird beschuldigt, ein eigenes Nuklearwaffenprogramm zu betreiben. Angesichts der in Afghanistan und im Irak demonstrierten militärischen Macht der USA und der Präventivdoktrin der Bush-Administration steigt die Gefahr, dass weitere Staaten sich Nukleararsenale zulegen und der nukleare Rüstungswettlauf sich beschleunigt. Neue konventionelle Waffentechnologien führen zu neuen Kriegsbildern und bedingen neue konventionelle Rüstungsschübe. Raketenabwehr, Weltraumrüstung und »Miniaturatomwaffen«, die von der Bush-Administration verstärkt gefördert werden, sind deutlicher Ausdruck dieser Krise. Angesichts dieser Situation müssen die an der Friedensforschung beteiligten Disziplinen ihre Fähigkeiten bündeln, um realistische Wege aus der Gefahr zu erarbeiten. Eine Deutungshoheit einer einzelnen Disziplin kann es ebenso wenig geben wie einen gesicherten Methodenanspruch auf eine garantierte Lösung durch die Friedensforschung.

FONAS ist stets für die Themenkomplexe eingetreten, die interdisziplinär bearbeitbar sind, eine wesentliche naturwissenschaftliche Komponente enthalten und auf die Suche nach Problemlösungsstrategien ausgerichtet sind, die durch eine Kombination von angewandter Forschung und Politikorientierung gelöst werden können.21

  • Hierzu gehören die Erarbeitung von Vorschlägen für Abrüstung, Rüstungsbeschränkung und Nichtverbreitung. Dies umfasst Analysen und Vorschläge zu Rüstungsbegrenzung im Bereich von Massenvernichtungswaffen. Beispiele sind hier der Transformationsprozess zur kernwaffenfreien Welt, Raketenabwehr, vollständiger Cutoff für kernwaffenfähige Materialien, Effektivierung der Biowaffenkonvention, Militarisierung des Weltraums, neuartige Kernwaffen, technologisch bedingte Weiterverbreitungsdynamik, terroristische Bedrohung und Vorbeugungsmaßnahmen, konventionelle Abrüstung.
  • Zur Vertragseinhaltung sind hier Arbeiten zu technischen Mitteln und Verfahren zur Verifikation nötig. Zu nennen sind hier: Überprüfungsmaßnahmen für die Kontrolle von Abrüstung, von vorhandenen militärischen Potenzialen und zur Vermeidung der militärischen Nutzung von Hochtechnologie. Beispiele bilden die Detektion der Herstellung von Massenvernichtungswaffen, die Nutzung von Sensoren für Landfahrzeuge und Flugzeuge oder die automatische Verarbeitung von Luftbildern.
  • Ein weiterer Schwerpunkt ist die qualitative und vorbeugende Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung, d.h. die Analyse konkreter militärtechnologischer Entwicklungstrends, Vorschläge für vorbeugende Eingrenzung, das systematische Studieren der zivil-militärisch ambivalenten, wissenschaftlich-technologischen Entwicklungsdynamik auf militärrelevante Absichten und Möglichkeiten von Vermeidungsstrategien (Beispielfelder: Mikrobiologie, Informationstechnologien, Nanotechnologie, Werkstoffentwicklung), Untersuchung der militärischen Verwendbarkeit von bereits existierenden oder in Weiterentwicklung befindlichen Technologien oder Materialien (Beispiele: nukleare Technologien und Materialien, Beschleuniger).
  • Wichtig ist nach wie vor die Beseitigung von Altlasten und Konversion militärischer Hochtechnologie, also z.B. der Altlasten des »Kalten Krieges« oder von bewaffneten Konflikten. Beispiele sind hier die Beseitigung von waffenrelevanten Nuklearmaterialien oder die Detektion von Minen.
  • Als weiteres wichtiges Forschungsfeld erscheint zunehmend die Analyse naturwissenschaftlich-technischer Einflussfaktoren in heute antizipierbaren Konflikten, die mit Umwelt, Ressourcen und Energie verbunden sind. Beispiele sind hier die Wasserproblematik, der Klimawandel, fossile Energieträger, nukleare Abfälle, energietechnologischer Wandel. Ebenso kann die mathematische Modellierung komplexer Systeme Beiträge zum theoretischen Verständnis der Aufrüstungs- und Abrüstungsdynamik oder von anderen Konfliktsituationen liefern.

Der renommierte Astrophysiker und »Astronomer Royal« Sir Martin Rees hat in seinem Aufsehen erregenden Buch »Our Final Hour« (New York 2003) in 14 Kapiteln ausgeführt, dass die Chance, dass die Menschheit das 21. Jahrhundert übersteht, lediglich 50 zu 50 steht. Terror, wissenschaftliche Fehlenwicklungen, Umweltkatastrophen können dazu beitragen, dass die Menschen die Mittel hervorbringen, die ihren eigenen Untergang bewirken. Selbstgemachte technologische Fehlentwicklungen, Kriege, Großkatastrophen können durchaus dazu führen, dass das Überleben der Menschheit als Ganzes in Frage steht. Enorme Anstrengungen von Forschung und Wissenschaft sind nötig, um die vor uns liegenden Risiken zu vermeiden. Die Friedenforschung sollte sich daran beteiligen und ihre naturwissenschaftliche Komponente nicht marginalisieren.

Anmerkungen

1) Hans-Peter Dürr, u.a. (Hrsg.): Verantwortung für den Frieden – Naturwissenschaftler gegen Atomrüstung, Hamburg/Reinbek bei Hamburg: Spiegel/Rowohlt, 1983.

2) Siehe dazu z.B. Joseph Rotblat: Scientists in the Quest for Peace: A History of the Pugwash Conferences, Cambridge MA, 1972.

3) Ulrike Kronfeld u.a. (Hrsg.): Naturwissenschaft und Abrüstung – Forschungsprojekte an deutschen Hochschulen, Münster: 1993.

4) Siehe Altmann/Liebert/Neuneck 2003 (Fußnote 1).

5) FONAS-Newsletter Nr. 1-4 (1999-2002), siehe: http://www.fonas.org

6) FONAS, Forschungsmemorandum, 23. Juni 1998 (http://www.fonas.org/aktuell/memo.html)

7) Homepage: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/stiftungsprofessur.html

8) Homepage: http://www.fonas.org

9) PRK 2001: „Erste Ergebnisse des Projektes »Präventive Rüstungskontrolle« des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und Internationale Sicherheit (FONAS)“, in: Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 38, 2001.

10) Diese Überlegen fußen auf dem Papier von Herbert Wulf: „Politikberatung – Schwerpunkt der Deutschen Stiftung Friedensforschung“, Manuskript, Februar 2001.

11) Siehe die Homepage: http://www.dpg-physik.de/fachgremien/aka

12) Siehe dazu: http://www.ifsh.de/studium/studium.php

13) Götz Neuneck,/Reinhard Mutz: Vorbeugende Rüstungskontrolle, Baden-Baden: 2000.

14) Ergebnisse siehe dazu Fußnote 11. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung.

15) Siehe Jürgen Altmann, Bernhard Gonsior: „Nahsensoren für die kooperative Verifikation der Abrüstung von konventionellen Waffen“, in: Sicherheit und Frieden, 7, Nr. 2, 1989, S. 77-82.

16) Siehe hier: Hans Ackermann, W. Buckel, W. Liebert: „Zur Nutzung von hochangereichertem Uran im Forschungsreaktor FRM-II“. Physikalische Blätter. Vol.55, 1999, S. 16-20.

17) Alexander Glaser: „The Conversion of Research Reactors to Low-Enriched Fuel and the Case of the FRM-II“, in: Science and Global Security, 2002, Vol.10(1), S. 61-79.

18) Götz Neuneck: „Von National Missile Defense zu Global Missile Defense? Technische Machbarkeit und Ansätze der Bush-Administration“, in: Die Friedens-Warte, Vol. 76(4), 2001, S. 391-434.

19) Neuneck, Götz: „Virtuelle Rüstungen. Die Waffensysteme des 21. Jahrhunderts oder die USA rüsten mit sich selbst“, Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 31, 1999, S. 10-15; Neuneck, Götz: „Die Rolle der Naturwissenschaft: Dienerin zweier Herren“, in: Prokla – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 32, Nr. 2, 2002, S. 205-226.

20) :Schwerpunktheft: Friedensforschung im 21. Jahrhundert, in: Sicherheit und Frieden Vol. 20(2), 2002.

21) Siehe dazu: Forschungsmemorandum 1998 (Fußnote 7) und Wolfgang Liebert: „Aufgaben naturwissenschaftlich orientierter Friedensforschung“, in: Friedenspolitik und Friedensforschung (Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft VIII), Osnabrück, 2001.

Dr. Götz Neuneck ist Leiter des Arbeitsbereichs »Abrüstung und Rüstungskontrolle« am IFSH

Interdisziplinäre Erfahrungen in der Friedensforschung

Interdisziplinäre Erfahrungen in der Friedensforschung

von Wolfgang Liebert

Friedensforschung entwickelt sich zunehmend als interdisziplinäres Tätigkeitsfeld. Kompetenzen aus den verschiedensten Bereichen sind je nach konkret verfolgter Themenstellung notwendig für eine erfolgreiche Projektbearbeitung. Dabei spielen politische, gesellschaftswissenschaftliche, sozialpsychologische, zeitgeschichtliche, pädagogische, sozioökonomische, völkerrechtliche, naturwissenschaftliche, technische und ethische Aspekte eine wesentliche Rolle. Die Forschenden müssen eine entsprechend vielfältige Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität entwickeln. Wolfgang Liebert geht das Thema vor allem aus der Perspektive naturwissenschaftlich orientierter, interdisziplinärer Friedensforschung an.1
Häufig geht es bei der Friedensforschung um die dauerhaftere Bearbeitung von Querschnittsthemenfeldern, die kaum (oder gar nicht) mit der Verfolgung disziplinärer Fachtraditionen und daher Disziplinen unabhängig zu beschreiben sind. Die Motivation für die wissenschaftliche Arbeit und die Art und Weise der Anlage der Projekte erfolgt aus einem anderem als dem üblichen fachwissenschaftlichen Impuls. Daher macht es Sinn von einer Transdisziplinarität der Friedensforschung zu sprechen. Dementsprechend kann es auch keine disziplinär definierte Leitwissenschaft der Friedensforschung (mehr) geben.

Es mag Themenfelder und Aufgabenstellungen im Bereich naturwissenschaftlich orientierter Friedensforschung geben, die sinnvoll von Vertretern zweier (oder mehrerer) Disziplinen quasi in einer sich wechselseitig ergänzenden, additiven Anstrengung angehbar sind. Beispielsweise ist hier an eine (punktuelle) Zusammenarbeit von Natur- und Politikwissenschaftlern im Bereich der Analyse von Rüstungskontrollregimen oder von Naturwissenschaftlern und Völkerrechtlern bei der Fortentwicklung internationaler Vertragssysteme zu denken. Wechselseitige Lerneffekte der Beteiligten sind dabei möglich. Hier beginnt aber bereits die Grenzüberschreitung disziplinärer Traditionen aus einer inneren Notwendigkeit des behandelten Stoffs heraus. Die Herausforderung durch die Defizite der politischen Wirklichkeit und der fachdisziplinären Zugänge treiben zu tiefer gehenderen interdisziplinären Ansätzen. Die wissenschaftlichen Defizite liegen beispielsweise darin, dass in den Naturwissenschaften globale Zusammenhänge ausgeblendet werden oder normative Randbedingungen unthematisiert bleiben, während politikwissenschaftliche Bemühungen die naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhänge, Notwendigkeiten oder Alternativen unberücksichtigt lassen. Die politische Wirklichkeit leidet häufig unter einem Mangel an Zusammenschau komplexer Zusammenhänge, einer ungenügenden oder ausbleibenden Identifizierung der Kernprobleme, einer Beharrung auf bekannten (augenscheinlich breit akzeptierten) Konzepten und einer Unoffenheit gegenüber neuen, stärker an die Wurzel der Probleme gehenden Lösungsansätzen – und an einem »Realismus« unter Akzeptanz der aktuellen Machtverhältnisse. Zu glauben diese Defizite könnten allein schon dadurch ausgeräumt werden, dass man Fachvertreter verschiedener Disziplinen an einen Tisch setzt, erscheint kurzatmig und auch etwas naiv, wenn man die disziplinären Traditionen, Ab- und Ausgrenzungen und Eigendynamiken ein wenig kennt.

Problemorientierte, transdisziplinär angelegte friedenswissenschaftliche Ansätze können darüber hinaus weisen. Insbesondere wenn bereits auf einem Vorlauf an Erfahrungen in interdisziplinären Forschungsbemühungen aufgebaut werden kann, die durchaus auch rein additiven Charakter haben können, besteht die Chance auf eine „Erweiterung der wissenschaftlichen Wahrnehmungsfähigkeit“2. Dies bedeutet mehr als das ehrenwerte – und allemal begrüßenswerte – Pathos des verantwortungsbewussten Naturwissenschaftlers, der aufgrund seiner Spezialkenntnisse und vertrauter Methoden Beiträge zur Lösung von Weltproblemen leisten will. Ebenso geht dies über das Zusammenwirken von Vertretern verschiedener Fachrichtungen hinaus. Die Horizonterweiterung spiegelt sich in der Genese der friedenswissenschaftlichen Tätigkeit. Dazu gehört die Auffindung der Problemstellung selbst, die Problemidentifikation, sowie die Definition konkretisierter bearbeitungsfähiger Kernprobleme, die jeweils aus einer übergeordneten und quer zu den Disziplinen liegenden Perspektive gewonnen werden.

Der interdisziplinäre oder transdisziplinäre Ansatz greift tief in Genese, Verlauf und Ergebnis entsprechender Projekte oder Projektzusammenhänge ein. Kontexte der wissenschaftlich behandelten Fragenkomplexe kommen zum frühest denkbaren Zeitpunkt in den Blick und werden dauerhaft von den Beteiligten reflektiert. Das Auffinden von Ansätzen oder Strategien zur Problemlösung mit Bezug auf die Kontexte werden von vorne herein angestrebt. Ein »mehr« gegenüber gehaltvoller disziplinärer Forschung mit entsprechender Anerkennung in der »Zunft« der Disziplin ist gewollt und ist eine der wesentlichsten Grundmotivationen für die Forschung. Andererseits können sich innerhalb eines so angelegten Projektes auch Forschungsfragen ergeben, die durchaus rein disziplinär verfolgt und als solche Beachtung finden können. In diesem Sinne können Beiträge zu »guter Disziplinarität« im Sinne Hartmut von Hentigs geleistet werden.3

Diese etwas allgemeineren Betrachtungen sollen nun anhand eines Beispiels etwas verdeutlicht werden, wobei ebenfalls eine typischerweise auftretende Vernetzungs- und Wechselwirkung zwischen naturwissenschaftlich-technischen, normativen und politischen Aspekten demonstriert werden soll.

Das Problemfeld nukleare Nichtverbreitung

Das Problemfeld nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung ist nach wie vor von hoher Brisanz und hat große Aktualität. Bei der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) hat dieser Bereich seit Jahren einen wesentlichen Stellenwert bei der Auswahl von eigenen Projekten, und es konnten reichhaltige interdisziplinäre Erfahrungen gesammelt werden. Der wesentliche allgemeine Kontext besteht in den politischen Konzeptionen mit dem Ziel der nuklearen Nichtverbreitung und Abrüstung sowie zugehörige forschungspolitische Konzepte auf nationaler Ebene und die Versuche zu einer international vereinbarten Vorgehensweise. IANUS fokussiert dabei stärker auf die Analyse naturwissenschaftlich-technischer Faktoren für horizontale wie vertikale Proliferationsgefahren (also die Gefahr der Weiterverbreitung und Weiterentwicklung von Kernwaffen) sowie das Gelingen nuklearer Abrüstung (mit dem Ziel, diese irreversibel zu machen sowie die vollständige Abschaffung von Kernwaffen zu erreichen).

Eine weitere Differenzierung in wesentliche Problem- bzw. Arbeitsfelder kann unternommen werden, darunter:

  • Produktion und Nutzung von sowie Umgang mit waffengrädigen nuklearen Materialien: Hier können Spaltstoffe wie hochangereichertes Uran (abgekürzt HEU) oder Plutonium, aber auch andere »exotische« Transurane oder fusionsfähige Stoffe, wie Tritium betrachtet werden.
  • Nutzung und Entwicklung sensitiver nuklearer Technologien: Dabei sind Technologien zu betrachten, die in besonderer Weise die zivil-militärische Ambivalenz der Nuklearforschung und -technologie widerspiegeln, also insbesondere Wiederaufarbeitungstechnologien für abgebrannte Brennstoffe, mit denen Zugang zu Waffenstoffen erzeugt werden kann, oder bereits genutzte oder in Entwicklung befindliche Anreicherungstechnologien, mit denen beispielsweise HEU produziert werden kann.
  • Entwicklung fortgeschrittener nuklearer Technologien: Diese sind auf ihre Auswirkungen auf die Problematik der horizontalen und vertikalen Proliferation hin zu untersuchen. Dazu gehören beispielsweise neue Technologien, die möglicherweise verbesserte oder neuartige Zugänge zu Waffenstoffen eröffnen oder tiefere Kenntnisse über die Physik thermonuklearer Waffen ermöglichen oder durch ihre Verbreitung im zivilen Bereich besondere Proliferationsgefahren hervorrufen oder diese abschwächen. Beispiele für die drei genannten Problembereiche wären Spallationsneutronenquellen, Trägheitseinschlussfusion und neue Konzepte für große Leistungsreaktoren, wie derzeit unter dem Stichwort »Generation IV« diskutiert.
  • Entwicklungen im Bereich »Physik der Kernwaffen«: Dazu gehören die offenbar verfolgten Konzepte für verkleinerte, einsatzfähiger gemachte neue Kernwaffentypen (Stichwort »bunkerbrechende Nuklearwaffen« u. dergl.). Ebenso ist die Bedeutung von Programmen wie dem US-amerikanischen Stockpile Stewardship Programm für die Beibehaltung und Weiterentwicklung von Kernwaffen zu untersuchen sowie die Frage nach der Möglichkeit der Konstruktion einfacher Kernsprengkörper beispielsweise für terroristische Aktionen.
  • Konzeptionelle Konsequenzen in Hinblick auf internationale Vertragssysteme: Als Beispiel kann die Spannbreite bei der Diskussion um einen Fissile Material Cutoff dienen, der die Produktion von Spaltstoffen für militärische Zwecke unter Verbot stellen soll, bis hin zu einem Comprehensive Cutoff, der jegliche Produktion von nuklearen Waffenstoffen in signifikanten Mengen im militärischen wie im zivilen Bereich stoppen soll. Ein anderes Beispiel wäre die Diskussion über das Ziel der nuklearwaffenfreien Welt, die Rolle des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags und der Vorschlag für eine umfassende Nuklearwaffenkonvention. Dazu gehört die Untersuchung angemessener Methoden und Konzepte der Verifikation, die für die Überwachung der Verträge geeignet erscheinen.
  • Geschichte und Wurzeln der nuklearen Proliferation: Aus der Vergangenheit können möglicherweise Lehren gezogen werden für heutige Notwendigkeiten. Dazu gehört die Analyse der ersten Atomwaffenprogramme (Manhattan Project in den USA, »Uranverein« in Deutschland), die Wege der heutigen Kernwaffenstaaten zu ihren Arsenalen, die gescheiterten Versuche und bestehenden Absichten in anderen Ländern ebenfalls in den Besitz von Kernwaffen zu gelangen.

Natürlich sind auch die Modernisierungstendenzen der Kernwaffenarsenale in den etablierten Kernwaffenstaaten, strategische Umbrüche (z.B. US Nuclear Posture Review) und die Gefahren der Weiterverbreitung von Kernwaffen (aktuell Nordkorea, Iran und terroristische Möglichkeiten) ständig im Blick zu halten. Aber im Folgenden möchte ich die exemplarische Betrachtung auf den erstgenannten Bereich beschränken.

Beispiel: Umrüstung von Forschungsreaktoren

Es gibt gute physikalische Gründe dafür, hochangereichertem Uran (HEU) neben anderen potenziellen Waffenstoffen besonderes Augenmerk zu schenken.4 Dazu gehört die relativ leichte Handhabbarkeit des Materials und das vergleichsweise einfache Kernwaffendesign, mit dem ein nuklearer Sprengkörper möglich würde. Die großen Bestände im militärischen Bereich der Kernwaffenstaaten und der unzureichende Umgang damit wären zu betrachten (physikalisch überzeugende Beseitigungsstrategien stehen zur Verfügung werden jedoch nicht oder nur schleppend umgesetzt). Aber ebenso ist die HEU-Nutzung im zivilen Bereich, die sich inzwischen auf Forschungsreaktoren beschränkt, zu thematisieren. Der weltweite HEU-Bedarf für Forschungsreaktoren liegt in der Größenordnung einer Tonne. Für einen nuklearen Sprengsatz wird Material in der Größenordnung von lediglich 10 Kilogramm benötigt. In knapp 60 Ländern laufen Forschungsreaktoren. Wenn diese mit HEU als Brennstoff betrieben werden, besteht in den Standortländern prinzipiell Zugriff auf ein Material, das als Waffenstoff verwendet werden könnte. Die damit verbundene potenzielle Dramatik darf nicht unterschätzt werden.

Aus diesem Grund sind seit 1980 Alternativen entwickelt worden, die hochdichte schwach angereicherte Brennstoffe, die nicht für Atomwaffen Verwendung finden können, für den Einsatz in Forschungsreaktoren zur Verfügung stellen. Mit den heute einsetzbaren hochdichten Konversionsbrennstoffen sind die meisten Forschungsreaktoren bereits umstellbar, so dass der HEU-Einsatz überflüssig wird. Viele Reaktoren sind bereits umgestellt; neue Reaktoren werden in der Regel unter Verzicht auf HEU ausgelegt. Es bleiben einige wenige Forschungsreaktoren mit besonders hohen Neutronenflüssen, die aber möglicherweise mit aktuell erforschten neuen Generationen von Brennstoffen konvertierbar gemacht werden können. Um einen allgemeinen Verzicht auf HEU-Nutzung im zivilen Bereich realisierbar und durchsetzungsfähig zu machen, haben diese Reaktoren eine besondere Bedeutung. Verschiedene Hochflussreaktoren in den USA und Europa sind eingehender zu betrachten, darunter auch der neue Münchner Forschungsreaktor FRM-II. Spezielle reaktorphysikalische Modellrechnungen sind notwendig, um jeweils die Frage zu klären, ob eine Umstellung auf nicht-waffentauglichen hochdichten Uranbrennstoff in der nahen Zukunft möglich werden kann.5 Und wenn ja, unter welchen Randbedingungen (u.a. was Ver- und Entsorgung und wissenschaftliche Nutzbarkeit der Reaktoren angeht) eine Brennstoffkonversion möglich wird. Dies stellt sich als ein zentraler, wissenschaftlich zu bearbeitender Kern der Problematik heraus.

So wird aus dem allgemeinen proliferationspolitischen Kontext eine universell (naturwissenschaftlich) beantwortbare Fragestellung abgeleitet: Ist der Verzicht auf waffentauglichen HEU-Brennstoff im Bereich ziviler Forschungsreaktoren möglich und machbar? Die Aufweitung der Fragestellung über den engeren Bereich der Physik hinaus ist offensichtlich und sorgt für einen veränderten Zugang in der Projektbearbeitung von Beginn an. Eine Anwendungs- und Praxisorientierung ist ebenfalls gewollt: Die Klärung der prinzipiellen wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten ist nur die eine Seite der Problemstellung, hinzu kommt die Frage nach den realen Machbarkeiten unter den Randbedingungen von Forschungspolitik sowie internationaler und nationaler Politik im Bereich nuklearer Nichtverbreitung.

Von Beginn an sind normative Entscheidungen mit der Projektanlage und -durchführung berührt. Dies lässt sich bereits an der übergeordneten Zielsetzung, Beiträge zur Vermeidung der Verbreitung von Atomwaffen leisten zu wollen (was nukleare Abrüstung ausdrücklich mit einschließt), festmachen. Dass dabei auch die Wahrnehmung der Faktenlage und ihre Einschätzung eine Rolle spielen, zeigt sich bei der folgenden Entscheidung: Will man eher auf die institutionellen Maßnahmen zur Vermeidung von Proliferationsgefahren, also sog. Safeguards und andere Sicherungsmaßnahmen für HEU-Bestände und für den Umgang mit HEU setzen oder sollen weit stärker technisch-intrinsische Maßnahmen ins Spiel kommen, die eine prinzipielle Beschränkung der Möglichkeiten des Zugriffs auf den Waffenstoff HEU bewirken? Führt die Analyse der relevanten Informationen dazu, eher die zweite Position einzunehmen, wie dies in den IANUS-Projekten geschieht, so folgt daraus, die Vermeidung des Umgangs mit Waffenstoffen im zivilen Bereich als Leitlinie ernst zu nehmen (allerdings ohne die anderen Sicherungsmaßnahmen deswegen gering zu schätzen). Letztlich kristallisiert sich aus der Wertentscheidung für das Ziel einer kernwaffenfreien Welt – ohne stets virulente nukleare Proliferationsrisiken – die grundsätzliche Strategie der Vermeidung von HEU-Nutzung in zivilen Forschungsreaktoren heraus. Die normative Ausrichtung des Projekts besteht somit in der Bemühung um eine proliferationsresistente Auslegung von Forschungsreaktoren. Proliferationsresistenz soll dabei bedeuten, dass nukleare Technologien durch ihre technischen Parameter selbst robust gegen eine mögliche Nutzung für militärische Zwecke gesichert werden. Dabei muss man sich dessen bewusst bleiben, dass es eine absolute Sicherheit in diesem Bereich nicht geben kann (daher der Begriff Proliferationsresistenz in Analogie zu den bekannten Begrifflichkeiten »water resistent« und »water proof«).

Der politische Aspekt ist ebenso wenig aus der Projektbearbeitung heraus zu halten. Es geht nicht nur um die abstrakte internationale Verrechtlichung von politischen Zielsetzungen, wie sie sich beispielsweise in dem grundlegenden nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, der 1970 in Kraft getreten ist, darstellen lässt. In Reaktion auf Defizite der Vertragsvereinbarungen und der Wahrnehmung technologisch bedingter Schlupflöcher, die in der zivil-militärischen Ambivalenz nuklearer Technologien begründet sind, hat es zehn Jahre später eine internationale Konferenz der UN gegeben, die den nuklearen Brennstoffkreislauf genauer analysierte (INFCE-Konferenz). Aus deren Empfehlungen hat sich eine Tendenz herausgebildet, die als ein internationaler Norm-Bildungsprozess beschrieben werden kann, der mit Bezug auf die HEU-Problematik, den internationalen Nutzungsverzicht nahe legt und Alternativen vorschlägt. In direkter Folge entstanden in den achtziger Jahren internationale und nationale Konversionsbemühungen von Forschungsreaktoren – gerade auch in Deutschland – , die eine Umrüstung ohne Abhängigkeit von HEU-Brennstoffen zum Ziel hatten. Als dann 1993 das atomrechtliche Genehmigungsverfahren für einen neuen Forschungsreaktor in Deutschland (FRM-II), dessen Design auf Nutzung von HEU-Brennstoffen beruhte, begann, führte dies zu einem öffentlichen Engagement von Physikern und (zum Teil in Personalunion) von Friedensforschern, die eine Reflexion über Auslegungsalternativen einforderten. So hat eine zunächst distanziert wissenschaftliche Betrachtung von grundsätzlichen Proliferationsgefahren im Bereich ziviler Nukleartechnologienutzung notwendig zu einer teilnehmenden Perspektive und einer Einsicht in die Notwendigkeit zu politischem Handeln bei Wissenschaftlern geführt.

Im Falle von IANUS konnte nach dem Bonner Regierungswechsel im Jahre 1999 in einer Expertenkommission des Bundesforschungsministeriums mitgewirkt werden, die nochmals – Jahre nach Baubeginn des Münchner Reaktors – Brennstoffalternativen aufzeigte. Ebenso konnte das Bundesumweltministerium bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe der Bundesaufsicht über das Genehmigungsverfahren beraten werden. Mit Erteilen der Betriebsgenehmigung im Frühjahr 2003 besteht nun eine Umrüstungsverpflichtung für den FRM-II. Noch immer sind spannende Fragen in Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung dieser Umrüstung zu bearbeiten. Ebenso erfordern absehbare Fortschritte bei der Entwicklung neuartiger Konversionsbrennstoffe die Klärung von Umstellungsmöglichkeiten für weitere international betriebene Reaktoren.

Die oben benannte »universelle Fragestellung« drängt auf seine Beantwortung. Dabei bleiben die politischen, normativen und naturwissenschaftlich-technischen Aspekte miteinander verknüpft. Unterschiedliche Akteure versuchen verschiedenartige Gewichtungen in die Beschreibung von relevanten Tatsachen und ihren Bewertungen und daraus ableitbaren Handlungsempfehlungen einzuschreiben. Die teilnehmende Perspektive einer auf diesen Untersuchungsgegenstand bezogenen friedenswissenschaftliche Arbeit erlaubt weder die Beschränkung auf ausgesuchte Teilaspekte der Problematik, für die man eine besondere spezialisierte Expertise für sich in Anspruch nimmt, noch die rein deskriptive Haltung des distanzierten auf reine Beobachtung des Geschehens reduzierten Wissenschaftlers.

Die transdiziplinäre Perspektive hilft, als Forschungs- und Handlungsperspektive, die proliferationsresistente Gestaltung von nuklearen Technolgien herauszudestillieren. Damit tritt die friedenswissenschaftliche Bemühung auch heraus aus dem Kreis ihrer traditionelleren Themenstellungen und bewegt sich auf ein weiteres transdisziplinäres, hochaktuelles Arbeitsfeld zu: die Gestaltung unseres Umgangs mit Technik und Wissenschaft in grundlegender und praktischer Perspektive.

Mit gleichem Recht hätten andere IANUS-Projekte als Exempel für die Verdeutlichung dieser Betrachtung der friedenswissenschaftlichen Vorgehensweise herangezogen werden können oder andere Projekte innerhalb des FONAS-Projektverbundes Präventive Rüstungskontrolle6, die allesamt versuchen neue Wege der transdisziplinären, praxisbezogenen Forschung – ähnlich wie hier skizziert – zu finden.

Anmerkungen

1) W. Liebert: Naturwissenschaftliche Zugänge zur Friedensforschung, Wissenschaft und Frieden 18.Jg. 4/2000, S.19-22; J. Altmann, W. Liebert, G. Neuneck: Dem Missbrauch von Naturkräften entgegentreten – naturwissenschaftliche Forschung für Abrüstung und Frieden, erscheint in: U. Eckern et al. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme, Leske+Budrich, 2003.

2) Jürgen Mittelstraß: Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien: Frankfurt: Suhrkamp 1998.

3) Hartmut von Hentig: Magier oder Magister? Über die Einheit der Wissenschaft im Verständigungsprozeß. Frankfurt: Suhrkamp 1974.

4) H. Ackermann, W. Buckel, F. Fujara, W. Liebert: Zur Nutzung von hochangereichertem Uran im Forschungsreaktor FRM-II, Physikalische Blätter 55, Nr. 2, 1999, S.16-20.

5) A. Glaser: The Conversion of Research

6) FONAS und Wissenschaft und Frieden (Hrsg.): Präventive Rüstungskontrolle, Dossier Nr. 38, Wissenschaft und Frieden 19.Jg. 2001.

Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator und einer der Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt. Er ist zur Zeit auch Vorsitzender der Forschungsverbundes Naturwissenschaft Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS)

Friedensforschung für eine Praxis der Gerechtigkeit

Friedensforschung für eine Praxis der Gerechtigkeit

von Ulrich Ratsch

Die These, die den Titel dieses Beitrags motiviert, lautet: Die Friedenswissenschaft muss ihren Gegenstandsbereich erweitern, um auf sich verändernde politische Konstellationen und daraus erwachsende neue Fragestellungen zu reagieren. Dabei werden alte Fragestellungen nicht ersatzlos aufgegeben. Die Themen Rüstungskontrolle und Abrüstung, Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, Demokratisierung, Analyse akuter Krisenherde und viele andere stehen weiter auf der Agenda. Auch hat die Friedensforschung schon in der Vergangenheit den Problemen von Gerechtigkeit im nationalen und internationalen Rahmen Aufmerksamkeit gewidmet. Ich halte aber eine Gewichtsverlagerung für geboten.
Kriege werden heute vorwiegend innerstaatlich geführt (Bürgerkriege, Sezessions- und Autonomiekriege); zwischenstaatliche Kriege sind relativ selten geworden.1 Das bekannte Faktum soll ohne ausführliche Erläuterung hier nur konstatiert werden. Es hat seine Ursache in der radikalen Veränderung der Konfliktursachen. Gewaltsam ausgetragene Konflikte erwachsen heute kaum noch dem Hegemonialstreben oder territorialen Ansprüchen einzelner Staaten, sondern dem Streit um Macht zwischen Gruppen innerhalb eines Staates oder dem Autonomiestreben einer Volksgruppe oder der Absicht einer gesellschaftlichen Teilgruppe, Zugang zu Ressourcen zu erlangen. Das letzte war eines der klassischen Motive auch für das Handeln von Staaten, und auch heute ist z.B. die Kontrolle über Energiereserven und deren Transportwege ein zentrales Moment staatlicher Sicherheitspolitik.

Neue Konflikt-Konstellationen

Als Ursache gewaltsamer Konflikte tritt der Zugriff auf Ressourcen heute aber häufiger als Motiv subnational operierender Gruppen oder transnational agierender nichtstaatlicher Akteure auf. Ressourcen wirken nun als »Brandbeschleuniger« für so genannte ethnische Konflikte und für Sezessionskriege. An die Stelle berechenbarer Akteure, der Staaten, treten vergleichsweise amorphe Gruppen, deren Rationalität viel schwieriger zu fassen ist. Das Handeln staatlicher Akteure erschien so kalkulierbar, dass in den sechziger und siebziger Jahren versucht wurde, ihre Handlungsabläufe in mathematische Modelle abzubilden (spieltheoretische Modelle, Simulationstechniken), um die Genese und den Ablauf von Konflikten simulieren zu können. Schon damals war der Erfolg vergleichsweise gering. Aber noch geringer sind die Erfolgsaussichten, die Dynamik des Konfliktaustrags in Bürgerkriegen, ethnischen Spannungen und den Streitigkeiten um Ressourcen zu modellieren.

Konflikte eskalieren wegen eines Bündels von Ursachen: Wirtschaftliche und soziale Benachteiligung, ethnische Diskriminierung, Unterdrückung durch autoritäre Regime. Sie werden immer häufiger durch religiöse Fundamentalismen aufgeheizt. Entscheidend für die eskalierende Wirkung ist, dass Unterdrückung, Marginalisierung oder Diskriminierung als solche perzipiert werden. Ohne die Ungerechtigkeitserfahrung bleiben objektiv schlechte Lebensverhältnisse oft über lange Zeit ohne politische Wirkung. Armut wird als Ungerechtigkeit empfunden, wenn die Differenz zwischen den eigenen Lebensverhältnissen und denen sozial besser gestellter Menschen wahrgenommen und als Resultat vorenthaltener Chancen erkannt wird.

Zu Marginalisierung und Verelendung trägt in vielen Ländern des Südens die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen bei.2 Eine der Konsequenzen sind Migrationsströme und als deren Folge Spannungen und Auseinandersetzungen. Die Umweltflüchtlinge ziehen im eigenen Land umher oder überschreiten die Grenze zu einem Nachbarstaat3. Daraus entstehen Konflikte mit der ansässigen Bevölkerung, die häufig zu Unrecht als ethnische etikettiert werden.

Ungerechtigkeitserfahrung wirkt auch im Falle der Umweltursachen als Konflikt verschärfender Faktor. Zwar gibt es armutsbedingte Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen, meist liegt die Schuld aber bei externen Einflüssen: Umwidmung von Agrar-Flächen zur Exportproduktion, Ausbeutung von Wäldern für den Weltmarktbedarf an Holz oder Fleisch und anthropogene Klimaveränderungen. Nicht nur die »Alliance of small island states« (AOSIS) weist darauf hin, dass sie durch den Klimawandel bedroht sind. Mehr als 50% der registrierten »Naturkatastrophen« waren im zurückliegenden Jahr klimabedingt. Verursacher des Klimawandels sind vor allem die Staaten des Nordens und der »moderne« Sektor in den Ländern des Südens. Hauptbetroffene sind die unteren Bevölkerungsschichten im Süden. Der UNEP-Direktor Klaus Töpfer hat in diesem Zusammenhang vom Krieg des Nordens gegen den Süden gesprochen.

Die offenkundige Gleichgültigkeit des Nordens gegenüber den Opfern der »Globalisierung«, der Disparitäten des Welthandels, der genannten Umweltzerstörungen aber auch von autoritären politischen Regimen, die nicht selten vom Norden gestützt werden, verschärft die konfliktträchtige Spaltung zwischen Nord und Süd. Dabei sind Nord und Süd keine geographischen Begriffe, sondern Zuordnungen aufgrund politischer und ökonomischer Differenzen.

Die genannten Faktoren, die zu Konflikten führen können, sind nicht einfach einzelnen Staaten zuzuschreiben, es handelt sich um globale Probleme. Das trifft auch auf die Konsequenzen zu. Bürgerkriege greifen in vielen Fällen auf das Territorium benachbarter Staaten über. In den Krieg in der Republik Kongo sind unter anderem Uganda und Ruanda involviert, obwohl nicht von einem Krieg zwischen diesen Staaten gesprochen werden kann. Grenzüberschreitende legale und illegale Handelstransaktionen dienen der Finanzierung der kriegführenden Fraktionen. Von internen Auseinandersetzungen zerrüttete Staaten sind nicht in der Lage, dies wirksam zu verhindern. Die Regierungen verlieren das Machtmonopol oder gar jegliche Fähigkeit zur Durchsetzung staatlichen Handelns. Auch deshalb wird eine Theorie Internationaler Beziehungen, die als Akteure nur die Staaten mit ihren Interessen, Ansprüchen, Allianzen und Handlungsoptionen in den Blick nimmt, den heute dominierenden Konfliktszenarien nicht gerecht.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit gewaltsamer Konflikte

Die Verelendung der Menschen in Ländern des Südens ist Gegenstand der Entwicklungstheorie – aus politologischer, ökonomischer oder soziologischer Perspektive. Die Naturzerstörung wird von Teildisziplinen der naturwissenschaftlichen Ökologie, der Wirtschaftsgeographie, der Klimaforschung und anderen Spezialwissenschaften untersucht. Ich habe die Prozesse der Verelendung und Naturzerstörung als Konfliktursachen aufgeführt und aus diesem Blickwinkel der Friedensforschung zugeordnet. Die Wissenschaftler in der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FESt) haben sich Anfang der siebziger Jahre dafür entschieden, die Analyse der sich vertiefenden Kluft zwischen Nord und Süd und der ökologischen Krise im Zusammenhang und als Teil der Friedensforschung zu sehen, und zwar nicht nur wegen ihres Beitrags zur Genese gewaltsamer Konflikte. Das dahinter stehende Motiv lässt sich knapp formulieren: Die Welt kann nicht als friedlich bezeichnet werden, solange viele Menschen unnötiges Leid erfahren.

Wenige Zahlen sollen die Brisanz dieses Problemfeldes vor Augen führen. Die KOSIMO – Datenbank des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) weist aus, dass in den gewaltsam ausgetragenen Konflikten der verschiedenen dort dokumentierten Klassen im Zeitraum von 1985 bis 1999 insgesamt zwischen 2,2 Millionen und 4,8 Millionen Opfer zu beklagen waren.4 Die Spanne der Daten entspricht der naturgemäß sehr großen Unsicherheit der verfügbaren Zahlenangaben. Gleich, ob die Wahrheit näher an den oberen oder an den unteren Grenzen des Datenbereichs liegt: Die Zahlen sind erschreckend. Ihnen lassen sich aber mindestens ebenso schreckliche Zahlen gegenüberstellen, die nicht in den Kriegs- und Konfliktdatenbanken verzeichnet sind: Noch immer sterben jährlich fünf Millionen Kinder an den Folgen von Mangelernährung, das sind im oben gewählten Zeitraum von 1985 bis 1999 ca. 75 Millionen Opfer.5 Dabei handelt es sich nicht um Opfer höherer Gewalt, von Naturkatastrophen oder anderen von Menschen nicht kontrollierbaren Einflüssen. Es sind Opfer falscher Agrarpolitik, menschlicher Umweltzerstörung, ungerechter Handelsbeziehungen und verfehlter so genannter Entwicklungspolitik.Auch Naturkatastrophen sind mit Verlusten an Menschenleben verbunden. Vulkanausbrüche und Erdbeben sind höhere Gewalt, die wir hinnehmen müssen. Die wachsende Zahl und Intensität von Katastrophen, die von anthropogenen Klimaänderungen ausgelöst werden, sind hingegen auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen, oder werden zumindest von vielen Opfern oder von Vertretern/Sprechern betroffener Bevölkerungsgruppen so wahrgenommen. Auch hierfür gibt es Zahlen: In dem betrachteten Zeitraum von 1985-1999 beträgt die Zahl dieser Opfer ca. 400.000, und zwar mit steigender Tendenz.6

Diese Fakten lassen sich pointiert zusammenfassen: Ungerechtigkeit in den Nord-Süd-Beziehungen und innerhalb einzelner Gesellschaften ist die Ursache für mindestens ebenso viele menschliche Opfer wie Kriege, Bürgerkriege, Guerillakämpfe oder Terrorismus. Das rechtfertigt, ja nötigt dazu, dass sich die Friedensforschung diesen Phänomenen widmet. Sie treten in neuen Formen und mit wechselnder Intensität auf, sind aber, ebenso wie Kriege, eine alte menschliche Erfahrung. In der FESt wurde deshalb als Gegenstand der Friedensforschung schon zu Anfang der siebziger Jahre definiert: „Frieden ist Schutz gegen innere und äußere Gewalt; Frieden ist Schutz von Not; Frieden ist Schutz der Freiheit. Diese Parameter hängen derart zusammen, dass jede politische Ordnung friedlos sein muss und Gewalt erzeugt, die einen diesen Parameter unterschlägt.“7 In einer anderen Formulierung wurde derselbe Gedanke folgendermaßen ausgedrückt: „Frieden ist eine Prozess, der darauf abzielt, Not, Gewalt und Unfreiheit zu minimieren.“

Die Änderungen der Kriegs- und Konfliktszenarien lassen diese Beschreibung des Gegenstandsbereichs der Friedensforschung heute noch zutreffender erscheinen als zu der Zeit, da sie formuliert wurde. Die Friedensforschung hat sich einige Zeit über einen erweiterten Sicherheitsbegriff gestritten und exponierte Vertreter haben sich gegen eine Verwendung eines Sicherheitsbegriffs gewandt, der z.B. »Human Security«, »Ecological Security« oder andere umfasst. Die Begründung, ein derart erweiterter Sicherheitsbegriff werde so unscharf, dass er als tragender Begriff in einer wissenschaftlichen Theorie kaum noch verwendbar wäre, ist sicher richtig, wenn man anstrebt eine »Theorie der Sicherheit« nach dem methodischen Vorbild der Naturwissenschaften zu formulieren. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dieses Modell von Theorie geeignet ist, die komplexen Wechselwirkungen zu erfassen, die in der Dynamik von Konfliktabläufen eine Rolle spielen (kulturelle, sozialpsychologische, ökonomische, ökologische etc.). Hier versprechen Modellierungsverfahren, Szenariotechniken und empirisch induktive Verfahren vermutlich mehr Erfolg. Damit ist gemeint, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse in Grenzen prognostisch, auf jeden Fall aber handlungsanleitend verwendbar sein sollen. Angesichts der vielfältigen von Menschen ausgehenden Bedrohungen menschlichen Lebens und der Beeinträchtigungen menschlicher Lebenschancen darf Friedensforschung

  • sich nicht nur auf kriegerische Konflikte beschränken,
  • Konfliktabläufe nicht nur beschreiben,
  • sondern muss Ursachenanalyse zum Zweck der Prävention durchführen.

Wenn die Betonung der Konfliktprävention ernst gemeint sein soll, muss die Friedensforschung den Konfliktursachen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen und ihren Verflechtungen verstärkt Aufmerksamkeit widmen. Dies erfordert neben der beschriebenen Ausweitung des Gegenstandsfeldes verstärkte Bemühungen um interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere die Einbeziehung naturwissenschaftlicher Expertise.

Anmerkungen

1) Diese Verschiebung ist von einer Reihe von Autoren beschrieben worden. Hier nur beispielhaft: Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF), Hamburg: http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/pw/Akuf/kriege_archiv.htm; Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung: Konfliktbarometeer 2001, Heidelberg: http://www.hiik.de/konfliktbarometer/index.htms; Kaldor, Mary: New and Old Wars Organized Violence in a Global Era, Cambridge, 1999. (deutsche Übersetzung: Neue Kriege, Frankfurt, 2000).

2) Zum Zusammenhang von Umweltzerstörung und Konflikten haben weltweit mehrere Gruppen gearbeitet. Beispielhaft seien nur die Arbeiten von Nils Petter Gleditsch am Peace Research Institute Oslo (PRIO) genannt, etwa: Gleditsch, Nils Petter: Environmetal Change, Security and Conflict, in: Crocker, Chester A./Hampson, Fen Osler/ Aall, Pamela. Turbulent Peace: The Challenge of Managing International Conflict, Washington D.C. 2001.

3) Entgegen der verbreiteten Befürchtung sind Ziele der Migration viel seltener im Norden des Globus zu finden als im Süden.

4) Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung, http://www.hiik.de/kosimo_en.html

5) Gardner, Gary / Halwell, Brian: Underfed and Overfed, Worldwatch Paper 150, Washington D.C., 2000, S. 8.

6) Abramovitz, Janet N.: Unnatural Disasters, Worldwatch Paper 158, Washington D.C., 2001, S. 8ff.

7) Picht, Georg: Was heißt Friedensforschung?, in: Picht, Georg / Huber, Wolfgang (Hrsg.): Was heißt Friedensforschung? Stuttgart/München 1971, S. 33.

Dr. Ulrich Ratsch ist stellvertretender Direktor der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FESt)
Bei obigem Beitrag handelt es sich um einen leicht überarbeiteten Artikel aus Sicherheit und Frieden (S+F) 4-2002.

Friedensforschung und Geschlechterforschung1

Friedensforschung und Geschlechterforschung1

von Hanne-Margret Birckenbach

Der konstituierende Begriff der Friedensforschung ist nicht Krieg, nicht Geschichte, nicht Herrschaft, nicht Macht, sondern Frieden. Ohne Friedensbegriff, d. h. ohne theoretische Reflexion der Möglichkeit des gewaltfreien Konfliktaustrags blieb Handlungswissen der Gewaltlogik verhaftet und damit friedenspolitisch unrealistisch. FriedensforscherInnen müssen sich nicht als PazifistInnen verstehen, aber sie müssen aus professionell methodischen Gründen eine konkrete Vorstellung von Frieden entwickeln. Sie müssen natürlich mehr wissen, und daher stehen in ihren Bibliotheken auch Bücher, die sich mit »anderem« befassen. Brauchen Sie aber auch ein Verständnis der Kategorie Geschlecht?
In der Friedensforschung dominiert die Auffassung, auf Wissen aus der Geschlechterforschung am ehesten verzichten zu können. Geschlechterforscherinnen halten dagegen, ohne Beachtung der Kategorie »Geschlecht« werde man vom Frieden gar nichts verstehen. Zwischen diesen Polen bewegen sich diejenigen WissenschaftlerInnen, die argumentieren, es sei vielleicht nicht zwingend, aber doch methodisch nützlich, die Geschlechterforschung zum Kreis derjenigen Disziplinen zu rechnen, mit deren Hilfe sich etwas über die Bedingungen von Friedens entdecken lässt.

Anfänge

Die Bemühungen Friedensforschung und Geschlechterforschung in diesem Sinne zu verbinden, sind in Deutschland jetzt etwa 25 Jahre alt. Die Impulse kamen aus der transnationalen Wissenschaftskooperation. Am Rande der 8. Zweijahrestagung der International Peace Research Association (IPRA) 1979 in Königstein im Taunus, trafen sich einige – teilweise hoch angesehene – weibliche Mitglieder dieser Vereinigung außerhalb des Tagungsprogramms – fast heimlich – und berieten über die Geschlechterdimension ihrer wissenschaftlichen und politischen Erfahrungen. Von diesem Treffen nehmen die weltweiten Bemühungen, Friedensforschung und Geschlechterforschung zu verbinden, ihren Ausgang.

Es dauerte jedoch fast zehn Jahre, bis in Deutschland die Friedensforschungseinrichtungen überhaupt wahrnahmen, dass Frauen begonnen hatten, sich untereinander zu verständigen, dass sie als Forscherinnen anerkannt werden wollten und von der Friedensforschung verlangten, über die Zusammenhänge von Frieden und Geschlecht nachzudenken. Dass an den Universitäten im In- und Ausland die Geschlechterforschung in immer mehr Disziplinen Fuß gefasst hatte, beeindruckte die deutschen Kollegen zunächst ebenso wenig wie die Tatsache, dass in den 80er Jahren – vermittelt über zahlreiche Frauen- und Friedensinitiativen – in der Gesellschaft ein Interesse an den geschlechterbezogenen Fragen des Friedens artikuliert wurde, das es auch jüngeren nicht-etablierten Wissenschaftlerinnen ermöglichte, vergleichsweise unbeaufsichtigt Vorträge zu halten, Texte zu publizieren und Interviews zu geben. Als diese dann die eigene Zunft mit der These konfrontierten, dass die Geschlechterfragen auch für die Friedensforschung relevant seien, begann für diese eine spannungsgeladene Zeit.

Einige Kollegen unterstützten dieses Anliegen, einige äußerten sich vehement dagegen, andere schüttelten verständnislos den Kopf. Auch die Friedensforscherinnen waren sich keineswegs einig. Überall schienen Gefahren zu lauern: Würde das Profil der Friedensforschung nicht leiden, wenn randständige oder gar sachfremde, nur dem Zeitgeist gehorchende Fragen der Geschlechtergleichheit behandelt würden? Würden der feministische Aufbruch die Friedensforschung nicht schwächen? Wäre nicht das der Aufklärung verpflichtete Selbstverständnis der Friedensforschung durch feministische Kritik in Frage gestellt? Würde es der persönlichen akademischen Zukunft schaden, wenn frau mit dem »Frauenlager« identifiziert würde? Liefe es nicht dem akademischen Diskurs zuwider, wenn Friedensforscherinnen sich unter sich, d.h. ohne männliche Begleitung treffen wollten? Wie immer eingebildet diese Gefahren auch gewesen sein mögen, diese und ähnliche Bedenken prägten die Diskussion und spiegelten die große Unsicherheit gegenüber den Forderungen nach einer feministischen Friedensforschung. Im Nachhinein werden die meisten sagen, dass die auf allen Seiten zu beobachtenden Kränkungen doch so einfach hätten vermieden werden können, wenn Strukturen und Vermittlungskompetenzen vorhanden gewesen wären, die geholfen hätten, den Enthusiasmus gerade der jüngeren Friedensforscherinnen aufzugreifen, und wenn mehr Kollegen die Souveränität besessen hätten, die Initiativen der Frauen schlicht willkommen zu heißen, die kämpferischen Dispute zu entschärfen und den sachlichen Kern der Kontroversen in den Mittelpunkt zu rücken.

In der Sache ging es darum, ob die geringe Sichtbarkeit von Frauen in der Friedensforschung für diese überhaupt ein Problem und Geschlechterfragen für den Forschungsgegenstand Frieden relevant sein könnten. Die meisten Anstrengungen der Wissenschaftlerinnen galten daher dem Versuch, diese Relevanz innerwissenschaftlich nachzuweisen. Sie zeigten, wie die Wahl von Forschungsthemen und -ansätze durch Weltsichten und Erfahrungsbezüge geprägt werden, in der geschlechtsspezifische Leiden am Unfrieden nicht thematisiert und das Handeln von Frauen weder in friedensfördernden noch in seinen friedensgefährdenden Aspekten aufgedeckt werden kann. Sie kritisierten die Verbannung feministischer Friedensforschung in die Nische ohne Aussicht auf eine ertragsfördernde systematische Dichte, Zugang zu Forschungsmitteln und Stellen. Und sie warnten, die Ignoranz gegenüber Geschlechterfragen werde nicht nur die Defizite in der bisherigen Friedensforschung verstetigen, sondern auch zu einer Versimplifizierung feministischer Positionen, insgesamt also zu einem Verlust an Rationalität und Realität führen. Friedensforschung sei keinesfalls eine männliche Disziplin, aber eben doch auf einem Auge blind und daher veränderungsbedürftig. Als Kollegen zugestanden, eine solche Veränderungen sei zwar wünschenswert aber nicht möglich, wurde ein programmatisches Forschungskonzept formuliert, mit dem diese Skepsis entkräftet werden sollte. Darin wurde gefordert:

  • die impliziten Geschlechterannahmen in der Friedensforschung zu reflektieren,
  • in den konkreten Forschungsvorhaben Theoreme aus der Geschlechterforschung (insbesondere Mittäterschaft) aufzugreifen,
  • Frauen als Handelnde in friedenspolitischen Prozessen sichtbar zu machen und die Möglichkeit eigenständiger Forschung von Frauen zu institutionalisieren.

Niederlagen und Erfolge

Einige Wissenschaftlerinnen hatten Anfang der 90er Jahre die Idee, dieses Konzept könnte am besten durch ein eigenes Frauenfriedensforschungsinstitut erprobt werden. Angeregt durch die von der Berliner Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie veranstaltete KSZE der Frauen im November 1990, entwickelten sie ein Forschungsprogramm mit dem Titel »Frauen-Friedensforschung im Themenfeld Europäischer Friedenspolitik mit besonderer Berücksichtigung der Politischen Bildung«. Sie erhielten befürwortende Gutachten und von der VW-Stiftung auch die Zusage für die notwendigen finanziellen Mittel von 1,5 Mio. DM für eine Versuchszeit von drei Jahren. Schließlich scheiterte die Umsetzung daran, dass eine Vergabebedingung nicht gegeben war. Es wurde in Niedersachsen keine Professorin mit dem Schwerpunkt Friedensforschung gefunden, die das Projekt an einer Universität verankern und inhaltlich verantworten konnte. Auch andere Projekte scheiterten. Qualifizierte Frauen, die sich besonders engagiert hatten, fanden keine weitere Anstellung oder unterlagen bei Bewerbungen gegenüber männlichen Kollegen mit den besseren Beziehungen. Das Scheitern sprach sich schnell herum, der Klatsch nahm zu, auch unter den Friedensforscherinnen wurde die Solidarität brüchig und machte Konkurrenzverhalten Platz.

Die kleine Gruppe der verbliebenen aktiven Frauen war häufig überfordert, den Anforderungen nach Interviews, Artikeln nachzukommen und es gelang immer weniger, Erfolge zu erkennen und sichtbar zu machen. Trotz aller Niederlagen ist es dennoch gelungen, auch in Deutschland Strukturen und Institutionen der Friedensforschung für Anliegen feministischer Forschungsansätze zu öffnen.

  • Gender ist in der Friedens- und Konfliktforschung heute keine Tabukategorie mehr. Friedensforscherinnen werden beachtet, gefördert sowie in die Gremien gewählt oder berufen. Sie referieren bei den einschlägigen Tagungen, publizieren und forschen nicht nur, aber auch über geschlechterbezogene Fragen. Nicht dass alle KollegInnen wissen, was mit der Kategorie Geschlecht gemeint ist, oder überzeugt davon sind, dass sie in der Friedensforschung zu Erkenntnisgewinnen führen kann. Aber die Chancen feministische Perspektiven zu thematisieren, sind gewachsen. Kaum jemand würde heute öffentlich kundtun, dass die Kategorie Geschlecht nicht in die Friedensforschung gehört und Frauen schon deshalb, weil sie zahlenmäßig in den Regierungen und Armeen nicht ins Gewicht fallen, als handelnde Gruppe nicht weiter relevant seien. Forderungen, Wissenschaftlerinnen Zugänge zu Forschungsmitteln, Vortrags- und Publikationschancen sowie Ehrenämtern zu gewähren, werden zwar gelegentlich als lästig empfunden – aber es ist auch in der Friedensforschung schwerer geworden, sich solcher Last zu entziehen.

Trotz notorischer Zeitnot gehört ein kurzes Treffen der Frauen bei jeder Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) zum offiziellen Programm. Frauen erfahren auch Anerkennung. Der Christiane-Rajewsky-Nachwuchspreis der AFK, der seit 1991 jährlich an jüngere WissenschaftlerInnen oder Initiativen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben, vergeben wird, ging überwiegend an junge Wissenschaftlerinnen. Eine Monitoring-Instanz ist institutionalisiert: Die AFK hat seit 1994 eine Frauenbeauftragte. Laut Satzung soll sie die Arbeitsbedingungen und die wissenschaftliche Tätigkeit von weiblichen Mitgliedern der AFK auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung bekannt machen, bei Konflikten vermitteln und Möglichkeiten und Initiativen zur Frauenförderung in der Friedensforschung unterstützen. Alle zwei Jahre berichtet sie der Mitgliederversammlung der AFK darüber, wie es um die Realisierung dieser Ziele steht.

Auch eine Ermutigungsinstanz hat sich etablieren können. Es ist das im Rahmen der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB) koordinierte Netzwerk Friedensforscherinnen. Frauen bestimmen heute mit über die Vergabe von Forschungsgeldern bei der Deutschen Friedensstiftung (DFS) ebenso wie bei der privaten Berghof-Stiftung für Konfliktforschung. Es gibt kleinere Fortschritte bei der Besetzung von Leitungspositionen und Dauerstellen mit Wissenschaftlerinnen. Die Unterrepräsentation von Frauen und genderspezifische Forschungsfragen sind als Defizit anerkannt (vgl. die Empfehlungen der Struktur- und Findungskommission der DSF). Eine Juniorprofessur für Friedensforschung an der Universität Frankfurt wurde mit einer Wissenschaftlerin besetzt. Während im Ausland einige Institute (z.B. die Schweizer Friedensstiftung) Geschlechterfragen fest in ihrem Friedensforschungsprogramm etabliert haben, sind in Deutschland immerhin Absichtsbekundungen formuliert worden.

  • Auch auf der inhaltlichen Eben sind deutliche Veränderungen erkennbar. Anders als in den 80er Jahren gibt es heute über Forschungsideen und -pläne hinaus im In- und Ausland eine beachtliche Reihe theoretischer und empirischer Forschungsbefunde. Diese beziehen sich auf wissenschaftstheoretische Fragen und vor allem auf Aspekte der Normenbildung im internationalen System, auf die Geschlechterbeziehungen als Macht- und Kriegsressource in bewaffneten Konflikten, auf geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Kriegs- und Machtpolitik sowie auf Differenzierungen der tatsächlichen und möglichen Frauenrollen in ethnopolitischen Konflikten. Dabei geht es nicht nur um Frauen als Opfer, Kämpferinnen, Täterinnen, Mittäterinnen und Mitarbeiterinnen in Kriegsökonomien, sondern auch um das Handeln von Friedensaktivistinnen, sei es, dass diese ein Minimum von Sicherheit für Frauen organisieren, den Bereich der sozialen Sicherheit aufrechterhalten, Trauma- und Versöhnungsarbeit leisten, Frauenorganisationen bilden, die Überlebenshilfe organisieren oder in rechtlichen Fragen behilflich sind und teilweise auch Friedensverhandlungen führen.
  • Viele Untersuchungen beziehen sich auf den in der Friedensforschung innovativsten und am stärksten nachgefragten Themenbereich der konstruktiven Konfliktbearbeitung und so kann die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung seit 2003 im Internet nicht nur über Tagungen und Dokumente, sondern auch über neue Literatur zum Thema Gender & Konflikt informieren. Denn anders als in den Anfangszeiten erhalten die Bemühungen, Geschlechterfragen des Friedens zu thematisieren, heute Rückhalt aus der politischen Praxis, vor allem aus den sicherheits- und entwicklungspolitischen internationalen Organisationen. Hier erfahren DiplomatInnen täglich wie die Eskalation von Konflikten sich auch in einer Verrohung der Geschlechterbeziehungen niederschlägt und umgekehrt die Geschlechterbeziehungen auch die Erfolgschancen von Demokratisierungsstrategien beeinträchtigen oder fördern. Auch ist vielfach belegt, dass sich die Geschlechterbeziehungen innerhalb von internationalen Friedensmissionen günstig oder ungünstig auf deren Erfolgschancen auswirken. Schließlich erkennen die sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen zunehmend ihren Bedarf an friedenswissenschaftlich ausgebildeten und gender-bewusstem Personal.

Vor allem aber sind die internationalen Organisationen heute durch internationale Standards gebunden, im Interesse der Glaubwürdigkeit und Legitimität internationaler Konfliktbearbeitung die Mitwirkung von Frauen an ihrer Arbeit zu erweitern sowie die Bedürfnisse von Frauen in den Krisengebieten zu beachten. So hat das OSZE Sekretariat 1999 das Amt einer »Gender Adviser« eingerichtet, mit dem erreicht werden soll, dass die Organisation gender-mainstreaming betreibt, das Bewusstsein für Genderfragen weckt und die Karrierechancen für Diplomatinnen in der Organisation erhöht. Auch das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte hat eine »Gender Unit« geschaffen, die sich mit der Entwicklung entsprechender Projekte und ihre Einfädelung in die Feldarbeit der Missionen und der Ausbildung des Personals im Hinblick auf Geschlechterfragen befasst. Ähnlich verlangt die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Frauen stärker in nationale, regionale und internationale Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Belegung von Konflikten einzubeziehen und Frauen als Sonderbeauftragte, Militärbeobachterinnen, Mitglieder der Zivilpolizei, Menschenrechts- und humanitäres Personal zu entsenden. Auch wird der Generalsekretär der VN darin aufgefordert eine Studie über die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen, Mädchen, die Rolle von Frauen bei der Friedenskonsolidierung und die Geschlechterdimension von Friedensprozessen und der Konfliktbeilegung zu veranlassen und dem Sicherheitsrat Bericht über die Studie sowie die Fortschritte bei der Umsetzung der Integration der Geschlechterperspektive in alle Friedenssicherungsmissionen zu berichten.

Perspektiven

So sehr sich die Ausgangsbedingungen verbessert haben, so wenig kann der Stand der Forschung über Frieden und Geschlecht überzeugen. Diese Bewertung gilt insbesondere für die deutsche Forschungslandschaft, die mit der Entwicklung in den angelsächsischen und nordischen Länden nicht mitgehalten hat. Wie könnte wieder Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden werden?

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, wie eng Fortschritte in der Friedensforschung an Fortschritte in der friedenspolitischen Praxis gebunden sind. Das gilt für die Entstehung der Friedensforschung im Zuge der Entspannungspolitik ebenso wie für die Neuorientierung der Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Diese war mit einem umfassenden politischen Neuanfang verbunden war. Seine Merkmale waren die Einleitung einer konstruktiven Verbindung von Friedens- und Menschenrechtspolitik, die Aufwertung der internationalen Organisationen in Europa und auf globaler Ebene, Bemühungen zur Humanisierung des Sicherheitsbegriffs und die Öffnung des Arkanbereichs Sicherheitspolitik »nach unten« zu den Nicht-Regierungs-Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Parallel dazu liefen die internationale Kampagnen zur Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte sowie die Politik des gender-mainstreaming. Folgt man der Definition, die der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 1997 von den Zielen dieser Politik gegeben hat, dann geht es darum, die Anliegen von Frauen wie Männern in allen politischen und sozialen Bereichen und auf allen Entscheidungsebenen zur Geltung zu bringen, so dass Frauen und Männer gleichermaßen davon Nutzen haben und Ungleichheit nicht verlängert wird. Es geht um eine doppelte Zielsetzung: Geschlechtergleichheit und eine Transformation von Politikinhalten und Politikmethoden. Es geht also nicht nur darum, vorhandenen Politikprogrammen eine Frauenkomponente hinzuzufügen, Spezialprogramme für eine verwundbare Gruppe aufzulegen oder die Partizipation von Frauen auf allen Ebenen zu erhöhen, sondern einen Wandel in den Zielen, Mitteln, und Institutionen von Politik einzuleiten.

Mit diesem politische Aufbruch in den 90er Jahren waren auch für die Entwicklung der Friedensforschung und deren Öffnung für Geschlechterfragen glückliche Umstände geschaffen. Inzwischen ist jedoch eine Trendwende sowohl in der Sicherheitspolitik wie auch im gender-mainstreaming-Ansatz der Frauenpolitik zu beobachten. Diese Wende setzte lange vor dem 11. September 2001 ein und erfasste keineswegs nur die Politik der USA, sondern unter anderem auch die deutsche Politik. „Wir befinden uns in einer widersprüchlichen Situation“, hieß es in einem Telefax, das Feministinnen und Pazifistinnen aus Belgrad im Januar 1993 an Frauengruppen im Ausland schickten, als die Diskussionen über Kriegsvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina eine ungewöhnliche Welle der Empörung auslösten. „Auf der einen Seite ist die Vergewaltigung in Kriegszeiten zum ersten Mal in der Geschichte auf höchster internationaler Ebene zum Thema geworden; gleichzeitig ist die Motivation derjenigen, die an dieser Diskussion beteiligt sind, keineswegs der Schutz der Rechte und das Wohlbefinden der Frauen, sondern ihre Funktionalisierung für Zwecke der Kriegspropaganda und der Intensivierung ethnischen und nationalistischen Hasses. Das Leiden von Frauen wird zur Legitimation weiterer militärischer Eskalation benutzt.“ Das war eine sehr frühe wenig beachte Warnung vor der Doppelbewegung, die heute immer deutlicher bewusst wird: Remilitarisierung der Sicherheitspolitik, in der die zivile Konfliktbearbeitung zum Appendix wird, auf der einen Seite und Zurückdrängung des transformatorischen Gehalts von gender-mainstreaming durch Instrumentalisierung von geschlechtsspezifisch aufbereiteten Menschenrechtsfragen auf der anderen Seite. Wie diese Doppelbewegung wieder zurückgedrängt werden und gender-mainstreaming mit peace-mainstreaming verbunden werden kann, müsste heute zu den Kernfragen der Friedensforschung gehören. So kann es heute auch nicht mehr darum gehen, immer erneut rechtfertigend zu begründen, warum auch die Geschlechterdimension des Friedens erforscht werden und die Zahl der Friedensforscherinnen in den Instituten wachsen muss. Vielmehr muss vor allem die Verbindung von Friedens- und Geschlechterforschung in konkreten Projekten so fundiert werden, dass die Ergebnisse Aufschluss darüber geben, was im Interesse der Friedensförderung geschehen kann. Zu den wesentlichen Desiderata gehören die folgenden Aspekte.

  • Die wissenschaftliche Literatur zu »gender and peace« besteht überwiegend aus verstreuten Essays, Arbeitspapieren und Einzelarbeiten, die zwar unter Frauen diskutiert werden, aber von Kollegen wenig in dem Sinne beachtet werden, dass sie auch deren Arbeiten anregen. Auch bestärkt diese Isolation vermutlich geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen und Wahrnehmungsmuster in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft. Vor allem fehlen theoretisch und empirisch fundierte Monographien, systematische Forschungs- und Findungsberichte sowie Einführungstexte, die zusammenfassen, was man über die Geschlechteraspekte der Friedensthematik heute bereits wissen kann, professionell wissen muss und welche Schlüsse sich daraus für die Friedensforschung und Friedenspraxis ziehen lassen.
  • Die Erfahrungen internationaler Organisationen mit dem gender-mainstreaming sind kaum und vor allem nicht systematisch ausgewertet. Nur wenig ist über die Versuche bekannt, in der Praxis die Analyse aktueller Konflikten mit der Analyse von Geschlechterverhältnissen zu kombinieren. Auch die Erfahrung von Praktikern, dass gender-mainstreaming in der Konfliktbearbeitung ebenso unerwünschte Folgen für die Konfliktbearbeitung nach sich ziehen kann, wie die Ignoranz gegenüber Fraueninteressen, ist wissenschaftlich nicht aufgearbeitet. Ferner ist unbekannt, wie sich der Charakter der sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen durch das gender-mainstreaming verändert. Verlieren sie damit möglicherweise an machtpolitischem Gewicht? Wandeln sich Organisationen wie UNO und OSZE von gewichtigen Organisationen kollektiver Sicherheit zu weniger gewichtigen Dienstleistungsakteuren, zeichnet sich sogar ihre »Hausfrauisierung« ab?
  • Feministische Wissenschaftlerinnen haben bislang – nicht anders als ihre Kollegen – mit Priorität über kriegerische und nur wenig über friedliche Entwicklungen gearbeitet. Das bedeutet, dass wir am wenigsten über das wissen, was Friedensforscherinnen am ehesten interessieren müsste, nämlich das tatsächliche und potenzielle Handeln von Frauen in Situationen, in denen es gelingen könnte, eine Gewaltentwicklung noch abzuwenden.

Anmerkungen

1) Der Text basiert auf einem Vortrag beim Interdisziplinären Kolloquium »PazifistInnen / Pazifismus. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung« am 9. und 10. Mai 2003. Veranstalter waren die Heinrich Böll Stiftung, deren Feministisches Institut und das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung.

Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Jean-Monnet-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Politikwissenschaft

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

von Jürgen Nieth

Lieber Leserin, lieber Leser,
Oktober 1983 – die Bundesrepublik Deutschland erlebte die größten Friedensdemonstrationen in ihrer Geschichte. Weit über eine Million demonstrierten, wohlwissend, dass der Bundestag gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung wenige Tage später die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen beschließen wird. In dieser Situation erschien die erste Ausgabe des »Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden«.

Die Friedensbewegung hatte sich in den drei Jahren des Massenprotestes zwischen 1981 und 1983 viel militär-technisches Fachwissen angeeignet. Raketenreichweiten und Zielgenauigkeit, »Overkill« und die Gefahr eines Zufallskrieges waren Tagesthemen. Was würden die nächsten Schritte im atomaren Wettrüsten sein? Erste Pläne für eine Weltraummilitarisierung lagen bereits auf dem Tisch. Mit neuen Waffensystemen würden aber auch die Anforderungen an das Wissen der Bewegung wachsen.

Der BdWi ergriff die Initiative für einen Informationsdienst, der wissenschaftliche Erkenntnis aufbereiten und den Friedensengagierten zugänglich machen sollte. Rainer Rilling und Paul Schäfer wandten sich an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftler-Initiativen mit dem Aufruf, durch Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen. Mit Erfolg: Aus ihren Reihen kamen die ersten AutorInnen, später wurden die Initiativen selbst Mitherausgeber.

Obwohl der »Infodienst« von Anfang an interdisziplinär angelegt war, dominierte in den ersten Jahren die nüchterne Hardware-Expertise verbunden mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung.

1989/90 dann der Kollaps des Sozialistischen Lagers. Die NATO verlor den Feind und nicht nur die Friedensbewegung hoffte auf eine umfassende Abrüstung, eine friedlichere Welt und eine Friedensdividende. Der Fokus Frieden und Rüstungskritik schien überholt, Themen wie Konversion, die Weiterentwicklung internationaler Institutionen, die Umwidmung freiwerdender Gelder für die Entwicklungspolitik rückten nach vorne.

Doch die Hoffnungen zerstoben schnell: Der Golfkrieg 1991 demonstrierte das ungebrochene Denken der westlichen Eliten in militärischen Kategorien. Der Abbau überflüssig gewordener militärischer Potenziale führte nur vorrübergehend zu einer Senkung der weltweiten Rüstungskosten. Rüstungsanalyse und -kritik blieben notwendig. Gleichzeitig unterstrichen die Gewalteskalation in Folge des Zerfalls multiethnischer Staaten und die sich selbst reproduzierenden Kriege in Afrika die Notwendigkeit einer breiteren Themenführung: Frieden in Bezug zu Menschenrechten, Demokratisierung, zum Nord-Süd-Verhältnis und zu einer »zukunftsfähigen« Politik, um nur einige zu nennen.

1999 dann der Kosovo-Krieg. Das bis dahin Undenkbare wurde Realität: Nach über 50 Jahren beteiligte sich Deutschland wieder an einem Angriffskrieg, ausgerechnet unter Rot-Grün wurde der Krieg wieder zur »Fortführung der Politik mit anderen Mitteln«. An die Stelle der Bündnis- bzw. Landesverteidigung rückte in der Folge bei NATO und Bundeswehr der Einsatz »out of area«.

Eine komplizierte Situation für eine an der Schnittstelle von Friedensforschung und Friedensbewegung wirkende Zeitschrift. Der Aktualität geschuldet dominierten jetzt die Kriegs-, Militär- und Rüstungskritik. Für Visionen, die Diskussion einer zukunftsfähigen Entwicklung oder einer Kultur des Friedens blieb zu wenig Raum.

Das galt auch für die Information über das breite Spektrum der deutschen Friedensforschung. Deshalb haben wir dieses Thema in den Mittelpunkt der »Jubiläumsausgabe« gestellt. Es geht nicht um einen vollständigen Überblick, sondern um einen Einblick in die breit gefächerte Forschungslandschaft. Ein Einblick der darauf hinweist, dass sich auf diesem Sektor in den letzten 20 Jahren viel verändert hat, der aber auch inhaltliche Defizite aufzeigt zum Teil bedingt durch die ungenügende und ungesicherte Finanzierung vieler Bereiche. Ein Einblick, der die Spanne deutlich werden lässt, zwischen friedenswissenschaftlichen Erkenntnissen und realer Politik, der die Möglichkeiten, vor allem aber die Grenzen der friedenswissenschaftlichen Politikberatung erkennen lässt.

Die Friedensforschung muss damit leben, dass die Politik nur das übernimmt, was in ihr Konzept passt. Beispiel Zivile Konfliktbearbeitung: Vom Kosovo über Afghanistan zum Irak, die Beweise liegen auf dem Tisch: Kriege lösen keine Probleme, wir brauchen zivile Konfliktbearbeitung als Alternative und nicht – wie von den Regierenden weitgehend akzeptiert – als Ergänzung des militärischen Einsatzes.

20 Jahre W&F: Die Schwerpunkte haben sich entsprechend der politischen Entwicklung wiederholt verändert. Geblieben ist: Der Frieden braucht Bewegung und Bewegung braucht Expertise. Es ist unser Ziel, diese weiterhin wissenschaftlich fundiert zu liefern.

Jürgen Nieth

Der Markt wird’s schon richten?

Der Markt wird’s schon richten?

von Christiane Lammers

Die Gründergeneration der bundesdeutschen Friedenswissenschaft tritt ab und es scheint an der Zeit Bilanz zu ziehen. Was sind die theoretischen Grunderkenntnisse, die als Fundament die zukünftige Friedensforschung tragen werden; welche Methoden haben sich als adäquat für den zu erforschenden Gegenstand erwiesen, welche Theorien und Modelle gelten als relativ sicher verifiziert? So wichtig eine inhaltlich-fachliche Review of the State of the Art ist, die bisher – leider – vor allem auf diversen Abschiedskolloquien en detail erörtert wird, so wichtig ist doch gerade für FriedensforscherInnen die Frage, was haben wir gesellschaftlich erreicht? Wirkungsforschung war schon immer eine heikle Sache, die Wirkung einer ganzen Wissenschaftsrichtung zu untersuchen, dürfte fast unmöglich sein, nur über Teilaspekte kann man sich vielleicht der »historischen« Wahrheit annähern. Ein solcher kann z.B. die Entwicklung und der Bestand von Wissenschaftsstrukturen sein.

Zur Geburtsstunde der bundesrepublikanischen Friedensforschung boomten die Sozialwissenschaften. Kritisches Denken war an den meisten Universitäten en vogue, der Ausbau der Universitäten gerade auch im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften schuf Arbeitsplätze auch für an Friedensfragen interessierte WissenschaftlerInnen: Ebert, Zellentin, Krippendorff, Gantzel, Ruf, Nuscheler, Senghaas, Jahn, Albrecht, Rittberger, Zoll usw. Etwa zur gleichen Zeit wurden Forschungszentren meist mit Unterstützung der Bundesländer geschaffen, die mit je eigenem Schwerpunkt Fragen des Friedens erforschen sollten: FEST, HSFK, IFSH. Nicht viel später gab es sogar eine bundesdeutsche Förderung für die Friedensforschung: die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK).

In den 80er und frühen 90er Jahren festigten sich die Strukturen, einige neue kamen durch »glückliche« politische Konstellationen hinzu, wie das INEF, das SCHIFF und das BICC; nur wenige mussten das Feld räumen aus »unglücklicheren« Konstellationen wie die DGFK. Von außen betrachtet waren es sichere Zeiten. Als Makel blieb allerdings, dass der Friedensforschung die Anerkennung durch den Bundesstaat versagt blieb. Der damals formulierte Ideologieverdacht zeigt selbst heute noch Wirkung.

Von den strukturellen Rahmenbedingungen her schien die Friedensforschung bis vor kurzem noch an ihrer sich dahinschleppenden aber doch stetigen Erfolgsstory zu schreiben: Die Institute entwickelten sich weiter, wurden quantitativ bedeutsamer, die neue Bundesregierung und vor allem auch die ihr unterstellte Administration zeigte sich aufgeschlossen, neue Instrumentarien zur Forschungsförderung wie die Deutsche Stiftung Friedensforschung wurden geschaffen.

Doch die Aufbruchstimmung, die zumindest noch bis zum Beginn der neuen Legislaturperiode reichte – trotz der Widersprüche, die sich mit dem Kosovo-Krieg auftaten – muss inzwischen einer Nüchternheit weichen. Manches Versprechen (z.B. die Koalitionsaussage zum weiteren Ausbau der Friedensforschung) wurden bisher nicht eingelöst, vor allem aber verschlechtern sich die strukturellen Grundvoraussetzungen im Zuge der veränderten Rahmenbedingungen für die (Sozial-)Wissenschaften überhaupt.

Der bisher geltende gesellschaftliche Grundkonsens, dass Wissenschaft und Forschung nicht nur nach ihrer direkten Verwertbarkeit zu beurteilen und zu fördert sind, wird nach und nach aufgekündigt. Wenn Wissenschaft nur noch an der Höhe der eingeworbenen so genannten Drittmittel gemessen wird, steht nicht nur die Freiheit der Wissenschaft auf dem Spiel.

Das wichtigste Standbein der Friedensforschung war jahrzehntelang die Landesunterstützung. Außenpolitische friedenswissenschaftliche Problemstellungen sind diesen Geldgebern aber inzwischen nur noch schwer vermittelbar (hier macht es inzwischen keinen Unterschied mehr, von welcher Koalition ein Land regiert wird). Der Verweis auf die miserable Haushaltssituation von den Ländern bis zum Bund ist nach wie vor ein schlechtes Argument bei gleichzeitgen Ausgaben für Gen- und Militärforschung in Milliardenhöhe.

Ad hoc profitiert die Friedensforschung von den zum Teil radikalen Umbrüchen an den Hochschulen – wohl kaum wären sonst sechs einschlägige Studiengänge in Vorbereitung. Es wird sich aber erweisen müssen, ob die Einbindung in das neue System insgesamt der Wissenschaft dienlich ist. Denn auch für dieses gilt: oberstes Prinzip ist die Orientierung an der zeitnahen Verwertbarkeit nicht nur des Wissens, sondern auch der Studierenden selbst. Die Änderungen im Hochschulrahmengesetz weisen zudem daraufhin, dass zukünftig nur noch ein Minimalprogramm an hochschulischer Forschung grundfinanziert wird und alles übrige sich den Marktmechanismen zu unterwerfen hat.

Es muss angesichts dieser Situation nicht mehr herausgestrichen werden, dass bisher kein einziger der Lehrstühle, die von der oben genannten Gründergeneration verlassen wurden, von einem/r FriedensforscherIn besetzt wurde.

Sicherlich können die WissenschaftlerInnen allein diese Entwicklung nicht aufhalten. Zwar ist eine von innen heraus – im eigenem Interesse handelnde – Gegenbewegung, etwa der AbsolventInnen der neuen friedenswissenschaftlichen Studiengänge, denkbar, hierauf zu warten wäre jedoch verantwortungslos. Eine Einmischung in die Wissenschaftspolitik auf breiter Ebene erscheint dringend geboten.

Christiane Lammers Stellv. Vorsitzende des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung