Sustainable Development aus der Sicht von Studierenden

Sustainable Development aus der Sicht von Studierenden

von Naturwissenschaftler Initiative, INES, BdWi, Ökologie-Stiftung NRW

In Zusammenarbeit mit der StudentInnengruppe der Naturwissenschaftler Initiative – Verantwortung für den Frieden, den Studierenden von INES ( International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility), dem Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlert (BdWi) und der Ökologie-Stiftung NRW.

| Zu diesem Dossier

Ziel dieses Dossiers ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung (sustainable Development; UNCED 1992) und den daraus abzuleitenden Anforderungen an die Hochschulentwicklung.

Die Reform von Lehre, Forschung und der Institution Hochschule im Sinne der nachhaltigen Entwicklung ist schon deshalb besonders schwierig, weil der englische Begriff »sustainable development« mit mehr als 70 unterschiedliche Definitionen in der Literatur konkretisiert wird. Dabei gewinnt man gelegentlich den Eindruck, daß die Beliebtheit des Begriffes aus seiner Beliebigkeit entstammt. Im folgenden wollen wir eine Definition bieten, die den Rahmen relativ weit faßt und deutlich macht, daß Nachhaltigkeit ein mehrdimensionales Konzept beinhaltet. Der Internationale Rat für lokale Umweltinitiativen (ICLEI) hat in diesem Zusammenhang den Begriff »Zukunftsbeständigkeit« geprägt. Wie der englische Begriff beinhaltet Zukunftsbeständigkeit eine soziale, ökologische und ökonomische Komponente:

Zukunftsbeständigkeit der Gemeinschaft: Konsens über Grundwerte, gesunde Lebensbedingungen und Verteilungsgerechtigkeit zwischen den derzeit lebenden Menschen und zwischen Generationen.

Voraussetzung hierfür ist die Zukunftsbeständigkeit des Wirtschaftssystems. Stützung auf menschliche Arbeit und erneuerbare Ressourcen statt auf Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen; Ökonomie mit niedriger Entropie.

Voraussetzung hierfür ist die ökologische Zukunftsbeständigkeit. Erhaltung der Artenvielfalt, der menschlichen Gesundheit sowie der Sicherung von Luft-, Wasser- und Bodenqualitäten, die ausreichen, um das Leben und das Wohlergehen der Menschen sowie das Tier- und Pflanzenleben für die Zukunft zu sichern. (Stefan Kuhl et al 1996, S. 118ff.)

Die Definition macht deutlich, welche komplexen Ansprüche und Ziele das Konzept der nachhaltigen Entwicklung (hier Zukunftsbeständigkeit) beinhaltet. Das Dossier stellt aus Sicht von Studierenden notwendige Reformen von Lehre und Forschung sowie der Institution Hochschule dar. Die Thematik Hochschulreform durch nachhaltige Entwicklung wird aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und konkrete Alternativen werden skizziert. Die Vorstellung bereits vorhandener innovativer Projekte an Hochschulen in diesem Bereich zeigt konkrete Praxisbeispiele mit Vorbildfunktion. Wir können keinen auch nur annähernd vollständigen Überblick über die Problematik »Hochschule und Nachhaltigkeit« bieten. Jedoch ist es unser Ziel, die vorhandenen Ansätze in die Hochschulreformdebatte stärker einzubringen und auch bereits im »Kleinen« umzusetzen.

Jörn Birkmann, Sandra Striewski

zum Anfang | Sich wandelnde Anforderungen an Studierende

von Sandra Striewski

Der Anspruch an die Studierenden zwischen Universität und Praxis hat sich in den letzten Jahren immer mehr scherenförmig auseinander entwickelt. So wird einerseits in der Praxis immer mehr soziale Kompetenz, Engagement und fächerübergreifendes Wissen erwartet, das Arbeiten in Gruppen und neue Formen des Teamworks sind gang und gäbe. Andererseits wird in der Universität immer mehr spezielles Fachwissen vermittelt und gefordert, der disziplinäre Leistungsanspruch wird größer, wie z.B. die neu entflammte Diskussion um die Studiengebühren beim Überschreiten der Regelstudienzeit oder das Bestreben, daß sich Universitäten ihre Studierenden selbst auswählen dürfen, zeigen.

Selbst in Projektarbeiten, die die Zusammenarbeit und den Teamgeist fördern sollen, tritt der Wettbewerb immer stärker hervor. Außerdem vermissen viele Studierende fachübergreifendes Wissen innerhalb ihres Studienganges, um einen »Weitblick« zu erhalten und interdisziplinär arbeiten zu können. Noch immer denken Studierende in ihren fachbezogenen Kategorien, die Kommunikationsbarrieren innerhalb unterschiedlicher Fachbereiche sind erheblich.

Ethische Fragestellungen werden häufig ausgeklammert. Der Umgang mit verantwortlichem Handeln bleibt den Studierenden selbst überlassen. Es liegt an ihnen, sich mit ethischen Aspekten oder den potentiellen Folgen ihres Tuns auseinanderzusetzen, so z.B. durch das Bestreben technische Vorgänge zu optimieren. Der Blick für den Gesamtkontext kann verloren gehen, d.h. es geht letztlich nur darum, einen Vorgang zu effektivieren, unabhängig davon, ob es sich um einen Wärmetauscher eines Kohlekraftwerkes oder Atomkraftwerkes handelt, ob die Materialeigenschaften eines Metalls für die Raumfahrt verbessert werden sollen oder ob ein leichterer Kunststoff für eine Nachfolgegeneration der Tamagotschis hergestellt werden soll.

Situation

Zwei Drittel aller Studierenden müssen neben dem Studium arbeiten gehen, um sich ihren Lebensunterhalt sichern zu können. Immer mehr Studierende versuchen trotzdem, ihr Studium schnell zu absolvieren, um der wachsenden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gerecht zu werden und eine drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Dies ist sicherlich ein Grund, warum sich immer weniger Studierende in politischen Gremien und außeruniversitären Initiativen engagieren.

Perspektiven

In NRW ist durch die Eckdatenverordnung eine neue Gesetzgebung geschaffen worden, um u.a. die lange Studiendauer zu verkürzen und Studiengänge zu »entrümpeln«. In einigen Fachbereichen haben sich Studierende und Professoren zusammengesetzt und gemeinsam nach der neuen Gesetzgebung neue Prüfungsordnungen entworfen.

Die Prüfungsmodalitäten sind dadurch erheblich verbessert worden, so ist ein schnelles Studium möglich. Dies entspricht den Anforderungen des Marktes und es erlaubt trotz knapper werdender Mittel der Hochschulen, eine größere Zahl Studierende durch die Hochschulen zu schleusen.

Die Chance, mehr soziale Kompetenzen besonders in technische Studiengänge zu integrieren, hängt jetzt von den Studierenden ab, da nun ein frei wählbarer Bereich – zumindest in einigen technischen Studienrichtungen – eingeräumt worden ist. Innerhalb dieses Bereiches können die Studierenden alle an der Universität angebotenen Vorlesungen und Seminare nutzen. Inwieweit diese Möglichkeit genutzt wird und die Anerkennung fachfremder Seminare erfolgt, wird sich in naher Zukunft zeigen. Die Veränderungen in Hinblick auf Praxisbezug sind aber nicht weitreichend genug. Die Eckdatenreform hat auf der einen Seite Verbesserungen ermöglicht, die einen größeren frei wählbaren Bereich beinhalten, andererseits aber wiederum die Konkurrenzsituation unter den Studierenden bei gleichbleibender sozialer Belastung und kürzer Studienzeit verschärft. Durch unterschiedliche bundesweite Studienreformen kann sich die Wettbewerbssituation unter den Hochschulen verstärken.

Die Studierenden und die Lehrenden stehen in der Verantwortung, die Hochschulpolitik neu zu gestalten, dafür ist mehr Demokratie in den politischen Gremien unbedingt notwendig. Der notwendige Paradigmenwechsel hin zu mehr Interdisziplinarität und der Orientierung an nachhaltiger Entwicklung an den Hochschulen muß jetzt, fünf Jahre nach dem Erdgipfel (UNCED) in Rio de Janeiro und der Copernicus-Charta, erfolgen.

Sandra Striewski ist Studentin der Chemietechnik und Vorstandsmitglied der Naturwissenschaftler-Initiative

zum Anfang | Noch nicht erkannt. Nachhaltigkeit: Anforderungen an Hochschulen

von Jörn Birkmann

Die Hochschulen haben in den letzten Jahren nur wenig Impulse zur Lösung der globalen Umwelt- und Entwicklungskrise gegeben. Die hochgradige Spezialisierung und die damit einhergehende Förderung des Fachspezialistentums verstellen den Blick auf ganzheitliche Zusammenhänge und eine umfassende Folgenabschätzung der eigenen Lern-, Lehr- und Forschungsinhalte. Auch die enorme Technikgläubigkeit, mit der Vorstellung Umwelt und Gesellschaft technisch managen zu können, hat einen nicht unwesentlichen Anteil an der heutigen globalen Umwelt- und Entwicklungskrise.

Demgegenüber hat der Diskurs über die „Grenzen des Wachstums“ (Meadows, 1972) und eine auf Nachhaltigkeit zielende Entwicklung bis heute nur einen geringen Stellenwert in den Lern-, Lehr- und Forschungsaktivitäten der Universitäten. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung bleibt für viele deutsche Hochschulen nur ein theoretisch zu diskutierender Begriff, an dessen praktischer Umsetzung aber nur wenig Interesse besteht. Jedoch sollten sich gerade die Hochschulen der Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung stellen und wichtige Impulse zur Lösung der globalen Umwelt- und Entwicklungskrise geben (vgl. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, 1996, S. 28-29).

Eine Reform der Hochschulen unter dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, auf der Basis der intra- und intergenerativen Verteilungsgerechtigkeit, muß das gesamte System Hochschule auf den Prüfstand stellen. Um die notwendige Weichenstellung in Richtung einer dauerhaft zukunftsfähigen Entwicklung zu erreichen muß das Konzept auf Lehre und Forschung, wie auch auf die institutionelle Verfassung und den Betrieb der Hochschule Anwendung finden. Analog zu den Anforderungen an die Erarbeitung einer Lokalen Agenda 21 für Städte und Gemeinden (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1992), sollten auch die Hochschulen in Zusammenarbeit aller Hochschulmitglieder und unter der Mitwirkung weiterer gesellschaftlicher Akteure eine eigene Agenda für das 21. Jahrhundert aufstellen, die Wege zu einer nachhaltigen Hochschule aufzeigt.

Die Lehre muß den Studierenden die Grundlagen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den globalen Herausforderungen bieten, stellen doch sie als angehende ForscherInnen, LehrerInnen, IngenieurInnen etc. ein besonderes Potential als gesellschaftliche MultiplikatorInnen dar. Die Frage, ob wir die globale Umwelt- und Entwicklungskrise lösen können, hängt nicht unwesentlich davon ab, ob wir das Problem erkennen. Deshalb muß die Thematik der nachhaltigen Entwicklung ein stärkeres Gewicht in allen Studienfächern bekommen. Da sich die komplexen ökologischen Probleme nicht an den Fachbereichsgrenzen der Hochschulen orientieren, sondern sich gerade als komplexe Mensch-Umwelt-Interaktionen darstellen, müssen die Gräben zwischen den Wissenschaftsdisziplinen überwunden werden. Anstatt monodisziplinärem EinzelkämpferInnentum müssen neue Lehr- und Lernformen, die nicht nur fachliche Grundlagen, sondern auch die Fähigkeit zum Teamwork und damit soziale Kompetenz vermitteln, erprobt werden. Wenn Wissenschaft nicht selbst zum Risiko werden soll, müssen Studierende und WissenschaftlerInnen den eigenen disziplinären Zugriff auf die Wirklichkeit kritisch betrachten und stärker als bisher die Folgen für die Gesellschaft reflektieren (vgl. Huber et al., S. 14).

Die Forschung ist der zweite wesentliche Bereich, der einer Neuorientierung im Sinne einer auf Nachhaltigkeit zielenden Entwicklung bedarf. Die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des immer noch weitgehend unreflektierten Umgangs mit Forschungsergebnissen sind erheblich. Deshalb muß sich eine verantwortungsvolle Forschungsförderung dem Ziel der Bewahrung der Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen verpflichten. Forschung muß sich vom Leitbild einer wachstums- und angebotsorientierten Technik lösen und ökologische Kreisläufe und Verfahrensweisen zum Schutz des Menschen und Umwelt in den Mittelpunkt stellen.

Damit die Entwicklung und Umsetzung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung nicht eine vorübergehende Erscheinung bleibt, ist eine institutionelle Verankerung in den Hochschulen notwendig. Für die Entwicklung von Lösungen und die Verständigung, welche Maßstäbe, beispielsweise für die intra- und intergenerative Verteilungsgerechtigkeit, angelegt werden sollen, sind gleichberechtigte Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten aller Gruppen und Mitglieder der Hochschule, sprich eine Demokratisierung der Hochschule, erforderlich. Die momentanen Hochschulverfassungen mit ihren Kategorien: ProfessorInnen, Mittelbau und Studierende, spiegeln eher eine mittelalterliche Drei-Stände-Gesellschaft wider, in der der zahlenmäßig am höchsten vertretene Anteil, die Studierenden, mit den geringsten Machtbefugnissen ausgestattet ist. Diese Strukturen mit der eingebauten „ProfessorInnen-Mehrheit“ widersprechen den geforderten Eigenschaften eines selbständigen und eigenverantwortlichen Handelns. Gerade die Studierenden sollten die zukunftsweisenden Entscheidungen mitgestalten können, schließlich sind sie diejenigen, die hinterher mit ihnen umgehen müssen (vgl. Birkmann et al., 1997).

Zu guter Letzt sollten auch die Studierendenwerke an den Hochschulen stärker dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung Rechnung tragen. Die Verpflegungsbetriebe bieten ein weites Handlungsfeld. Die Reduzierung von Verpackung und die Verwendung von Lebensmitteln aus ökologischem und regionalem Anbau sowie fair gehandelte Produkte ermöglichen eine direkt meßbare Entlastung der Umwelt und leisten einen Beitrag zu einem Mehr an globaler Gerechtigkeit.

Fazit

Nachhaltigkeit im Sinne der Agenda 21 verlangt einen zukunftsfähigen Umbau aller Bereiche der Hochschule, von der Lehre über die institutionellen Strukturen bis zum Betrieb. Die Schaffung einer nachhaltigen Hochschule bedarf also nicht nur Anstrengungen einzelner Personen, sondern aller für die Hochschule verantwortlichen Gruppen: PolitikerInnen in Bund und Ländern, WissenschaftlerInnen, Angestellte, Studierende und ihre jeweiligen Interessensvertretungen. In einem gemeinsamen Lern- und Gestaltungsprozess gilt es die Hochschule selber zu einem lern- und leistungsfähigen Organismus zu entwickeln. Gegen die strukturelle Verantwortungslosigkeit müssen Wege und Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich Hochschulen der Herausforderung einer auf Nachhaltigkeit zielenden Entwicklung stellen und dabei innovative Lösungskonzepte für die globale Umwelt- und Entwicklungskrise entwickeln können.

Literatur

Birkmann, Jörn; Bonhoff, Claudia; Daum, Wolfgang…(Hrsg.): Nachhaltigkeit und Hochschulentwicklung – Projekte auf dem Weg der Agenda 21, Projekt-Verl., 1997

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hrsg.): Umweltpolitik. Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Agenda 21, Dokumente. Bonn

Büro für Technickfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (Hrsg.): Möglichkeiten einer Neuorientierung der Forschungspolitik. Bonn, 1996.

Hüber, L. et al. (Hrsg.): Über das Fachstudium hinaus, Weinheim, 1994

Meadows, Dennis; Meadows, Donella: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Hamburg, 1973.

Jörn Birkmann ist Student der Raumplanung und Mitinitiator des Projektes »Nachhaltige UniDo«

zum Anfang | Nachgefragt – Jörn Birkmann interviewt Martin Hellwig und Jörg Gleisenstein

Frage: Ist Dir das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ein Begriff? Wird das Konzept Nachhaltigkeit in der Lehre thematisiert?

Martin: Ja, seit einem Jahr. Im Lehrstoff ist das Thema allerdings überhaupt kein Thema. Erst durch die studentische Politik und durch Seminare habe ich mich damit auseinandergesetzt.

Jörg: Mir ist das Konzept durch das Studium bekannt. Die Abwägung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte spielt dort eine wichtige Rolle. Unabhängig vom Studium bin ich aber auch durch Umweltkatastropen, mit denen man quasi aufgewachsen ist, wie der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl oder dem Waldsterben, für Umweltprobleme sensibilisiert worden.

Frage: Nachhaltige Entwicklung verlangt also eine Gesamtschau öknomischer, ökologischer und sozialer Aspekte, sprich eine interdisziplinäre Sichtweise. Wird interdisziplinären Ansätzen in den Studiengängen Rechnung getragen?

Jörg: Sehr unterschiedlich. In den klassischen Studiengängen gibt es wenig Ansätze, sich interdisziplinär mit dem Konzept der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Demgegenüber steht die Neueinrichtung von Umweltstudiengängen, die oftmals interdisziplinäre Ansätze beinhalten. Des weiteren gibt es für Studierende die Möglichkeit, auch Vorlesungen von anderen Fakultäten zu besuchen. Auch das Studium-Generale bietet eigentlich eine Möglichkeit, sich interdisziplinär einem Thema zu nähern. In der Realität geht das Studium-Generale jedoch über einzelne Vorträge von Professoren nicht hinaus. Es fehlt an einem umfassenderen Ansatz, der auch bestehende Studiengänge erfaßt und nicht nur durch die Neueinrichtung eines Studiengangs die notwendigen Veränderungen erzielt.

Frage: Besteht denn überhaupt ein Interesse bei Studierenden und WissenschaftlerInnen, sich interdisziplinär mit dem Thema nachhaltige Entwicklung zu befassen?

Martin: Mein Elektrotechnik-Studium an der FH ist ein sehr technisch geprägter Studiengang, in dem ethische Fragestellungen nur eine marginale Rolle spielen. Dennoch bieten gerade die starke Technikgläubigkeit und das lineare Fortschrittsverständnis gute Anknüpfungspunkte, um das Thema Nachhaltigkeit in der Lehre zu thematisieren. Die Praxis im Studium ist jedoch leider eine andere, dort gilt das Motto: Lerne nur was wichtig ist, wichtig ist das, was der spätere Job und Arbeitgeber verlangt. Alles andere außerhalb des regulären Studienplanes ist reiner Luxus.

Frage: Warum interessieren und engagieren sich nicht mehr Studierende für interdisziplinäre Angebote sowie die Thematisierung von Umweltbelangen an und in der Hochschule?

Jörg: Einerseits existieren nur wenig Angebote, so daß der Aufwand, sich für diese Dinge einzusetzen, sehr hoch ist. Andererseits kann auch ein Grund darin liegen, daß die Hochschule für viele Studierende nicht ihr Lebensmittelpunkt ist. Es stellt sich für viele Studierende die Frage: Lohnt es überhaupt, sich an der Hochschule zu engagieren oder hat man nicht außerhalb der Universität mehr Erfolg?

Frage:Wo liegen die Barrieren für interdisziplinäre Angebote, die das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen könnten ?

Jörg: Es liegt ganz klar an den disziplinären Strukturen. Interdisziplinäre Angebote sind, wenn überhaupt, nur schwach vorhanden. Selbst interdisziplinäre Forschung hat noch keine wirksamen Auswirkungen auf die Lehre gehabt. Die Verbesserung des Studienangebotes für Studierende geschieht nur zögerlich. Es fehlt an der Umsetzung und Implementierung interdisziplinärer Studienangebote, wie beim Thema nachhaltige Entwicklung, in bereits bestehende Studiengänge.

Frage: Martin teilst Du diese Ansicht? Wo liegen Deiner Meinung nach Hemmnisse?

Martin: Ja, ich erkenne die gleichen Probleme, zusätzlich sehe ich in der Altersstruktur der Lehrenden ein wesentliches Hemmnis, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Interdisziplinarität zu beschäftigen. Viele unserer Professoren sind über 50 Jahre. Sie haben oft wenig Interesse am Ende ihrer Laufbahn noch einmal eine völlig neue Richtung, beispielsweise Nachhaltigkeit oder regenerative Energien, zu erforschen und zu lehren.

Frage: Wie könnte man dieses Problem mildern?

Martin: Man könnte stärker als bisher junge Leute aus der Praxis an der Uni beschäftigen, die einerseits ein großes Interesse an alternativen Techniken haben, andererseits ein hohes Maß an Praxiserfahrung in die Lehre einbringen.

Frage: Von der Lehre zurück zu den Studierenden. Wie könnte man das Interesse, das Engagement und das Problembewußtsein der Studierenden für Umwelt- und Entwicklungsfragen stärken? Welche Veränderungen sind notwendig?

Jörg: Ich meine, das Problembewußtsein für Umwelt- und Entwicklungsfragen ist vorhanden. Jedoch müssen die Rahmenbedingungen verändert werden. Es müssen wieder Perspektiven für studentisches Engagement geschaffen werden. Es müssen dringend die Freiräume erweitert werden. Hierzu sind Reformen sowohl im Bereich der sozialen Situation von Studierenden wie auch der Studiensituation selbst notwendig. Statt in Vorlesungen stumpf über Dingen zu brüten, müssen beispielsweise interdisziplinäre Angebote die Möglichkeit bieten, Projekte gemeinsam zu bearbeiten.

Martin: Ich denke, man muß bei Studierenden und ihrem sinkenden Engagement ganz deutlich die sich rapide verschlechternden Studienbedingungen als Ursache erkennen. Mehr Semesterwochenstunden, weniger BAföG und mehr Prüfungen in weniger Zeit sind einfach klare Einschnitte, die die Möglichkeit erheblich reduzieren, sich neben dem regulären Studienplan zu engagieren. Zudem sind immer mehr Betriebe auf junge AbsolventInnen aus, die man im Betrieb noch formen und zurechtstutzen kann.

Frage: Welche Chancen und Probleme seht Ihr bei der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Nachhaltigen Entwicklung auf Hochschulebene?

Jörg: Wenn man davon ausgeht, daß nachhaltige Entwicklung die Schicksalsfrage für die Entwicklung der Menschheit ist, müssen sich die Hochschulen viel stärker als bisher dieser Herausforderung stellen. Das Konzept ist dabei nicht nur auf die Bereiche Lehre und Forschung anzuwenden, sondern auch auf Fragen der Partizipation von Gruppen und Personen. Die universitäre Organisation und der laufende Betrieb der Universität müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Das Konzept der Nachhaltigkeit bietet die Möglichkeit, Strukturen grundlegend zu hinterfragen.

Martin: Ja, es hinterfragt automatisch das bestehende Wachstumsparadigma und die derzeitige Fortschrittsgläubigkeit. Eine intensivere Auseinandersetzung kommt mit Sicherheit zu dem Schluß, daß technische Einsparkonzepte nicht allein des Problems Lösung sind. Nachhaltige Entwicklung verlangt daher die Beschäftigung mit einem grundsätzlichen und tiefgreifenden Wandel. Probleme sehe ich darin, daß in der FH die Studierenden das Thema nur anstoßen können, durchsetzen können sie es nicht.

Jörg: Ich meine, man muß über das reine Anstoßen hinaus auch Sachen organisieren. Studierende sollten mit Unterstützung fortschrittlicher WissenschaftlerInnen gemeinsam an der Umsetzung der Vision der Nachhaltigkeit arbeiten. Gerade die Altachtundsechziger sollte man an ihre Verantwortung erinnern.

Martin Hellwig studiert elektrische Energietechnik an der FH Aachen; seit Mai 97 ist er im Vorstand des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) tätig.
Jörg Gleisenstein studiert Raumplanung an der Uni-Dortmund, seit Juni 97 ist er AStA-Vorsitzender der Universität Dortmund.

zum Anfang | Die Verbetriebswirtschaftlichung der Hochschulen und die strukturelle Verantwortungslosigkeit der Wissenschaft

von Torsten Bultmann

Wer in Orientierung an den Prämissen »nachhaltiger Entwicklung« einen fordernden oder kritischen Blick auf die Hochschulen wirft, muß davon ausgehen, daß diese selbst ein Teil des Problems sind, zu dessen Lösung sie etwas beitragen sollen. Dies ist methodisch unabdingbar, um sich politisch nicht zu verzetteln. Ökologische Gefährdungen etwa sind auch eine Krise der traditionellen Formen, in denen Wissen erzeugt, weitergegeben und (sozial-)technisch angewandt wird. Bereits ein oberflächlicher Blick etwa auf Studienordnungen, dominante Leistungsmuster, Personal- und Entscheidungsstrukturen oder die beziehungslose Abgrenzung der Fachdisziplinen gegeneinander verdeutlicht, daß die »innere« Hochschulverfassung auch ein Abbild der traditionellen ökonomisch-technischen Fortschrittsdynamik ist, welche die Probleme miterzeugt hat, die den Ausgangspunkt der Nachhaltigkeitsdebatte bilden.

Die Frage ist nun, wie die überkommenen Hochschulstrukturen so modifiziert und schrittweise verändert werden können, daß perspektivisch eine (Eigen-)Entwicklungsdynamik in Richtung Beförderung von Nachhaltigkeit entsteht. Dieser Ansatz wirkt, zugegeben, bescheiden. Die Frage nach adäquaten Strukturen, nach Möglichkeiten einer Veränderung der Prozeßdynamik, scheint mir jedoch wesentlich politischer und radikaler zu sein, als etwa auf die ökologische Krise vor allem mit emphatischen normativ-moralischen Selbstverpflichtungen – Stichwort »wachsende Verantwortung der Wissenschaft« – zu reagieren, welche im Regelfall die tragenden Konstitutionsbedingungen des Wissenschaftssystems unangetastet lassen. Die Minimalvoraussetzung einer neuen Entwicklungslogik ist etwa die Verankerung fachlicher Alternativen zum akademischen Mainstream und die Repräsentation unterschiedlicher Interessen in der Entwicklung von Bildungsprogrammen und wissenschaftlichen Prioritäten. Nur entscheidungsoffene – und in letzter Konsequenz: nicht-hierarchische – Strukturen sind fehlertolerant, lernfähig und ermöglichen eine umfassendere Sichtweise auf Probleme (Stichwort Komplexität). Als notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Bedingung von Nachhaltigkeit würde ich folglich formulieren, daß das Hochschulsystem öffentlich finanziert, politisch reguliert und – weit über das bisher systemprägende ProfessorInnenkartell hinaus – demokratisch verfaßt ist.

Sicher nichts Neues, aber diese Prämissen wirken in dem Moment nicht mehr altbacken und zeitlos, wenn man sich vor Augen führt, daß damit auch die entscheidende Konfliktlinie mit der offiziellen Hochschulpolitik beschrieben ist. Deren konzeptionelle Quintessenz, wie sie sich als Schnittmenge von Ministerien, Wirtschafts- und führenden Wissenschaftsverbänden herausbildet, läßt sich im Kern in zwei Hauptansatzpunkten beschreiben.

Erstens: Eine Reform der Organisations- und Leitungsstrukturen in Richtung einer betriebswirtschaftlich verfaßten »Selbststeuerung«. Die so bedingte Aufwertung von Exekutiv- und Managementfunktionen ist folgerichtig verbunden mit der schrittweisen Relativierung und perspektivischen Abschaffung kooperativer Selbstverwaltungsgremien – bis hin zur öffentlich effektvoll inszenierten Absage an das historisch überlieferte Modell einer politisch konstruierten »Gruppenuniversität«. So der ehemalige WRK-Präsident George Turner im Handelsblatt (31.5.96): „Als ein wesentliches Hindernis zur Effizienzsteigerung der Hochschulen erweist sich die Entscheidungs- und Gremienstruktur. Die Hochschulen sind nicht aufgabenorientiert, sondern politisch konstruiert.“ Die Aussage unterstellt, es gäbe so etwas wie eine Aufgabe der Hochschule an sich, welche jenseits politischer und gesellschaftlicher Vereinbarungen bestimmbar sei. Darüber läßt sich vielleicht philosophisch streiten. Die praktische (und juristische) Konsequenz dieser Position wäre jedoch eine ganz unphilosophische: in dem Maße, wie politische Strukturen abgebaut werden, verschiebt sich die Definitionsmacht über wissenschaftliche Prioritäten folgerichtig stärker auf traditionelle akademische Eliten und diejenigen wissenschaftsexternen Kräfte, die dem Rest der Gesellschaft ihren Effizienzbegriff aufherrschen – womit wir wieder das alte »Gespensterdreieck« aus politischem Konservatismus, Patriarchat und Kapital stabilisiert hätten.

Zweiter Ansatzpunkt: eine stärkere administrative Regulierung des Studienverhaltens, wie sie insbesondere im aktuellen Entwurf der 4. HRG-Novelle ablesbar ist. Dazu gehören die Verdichtung von Prüfungen, Zwangsberatungen, Studienstandsnachweise ebenso wie Absichten einer stärkeren internen Stufung von Studiengängen. Im Referentenentwurf der HRG-Novelle wird Studienerfolg vor allem als ökonomische Größe definiert, die sich an der Studienzeit mißt. Organisatorisches Ziel ist die Erhöhung der studentischen Durchlaufgeschwindigkeit. Die darauf abzielenden Regulierungsansätze sind signifikanterweise vollständig von Aufgabenstellungen einer inhaltlichen Studienreform entkoppelt. Zu dieser ausschließlich wirtschaftlichen Bewertung der sozialen Funktion Bildung gehört ebenso die Festschreibung einer besonderen »Studierfähigkeitsfeststellung« in Form von Hochschulaufnahmeprüfungen zusätzlich zum Abitur. Aus wirtschaftlichem Blickwinkel sind Investitionen in Studienplätze nur dann potentiell rentabel, wenn ihre Inanspruchnahme an eine vorhergehende individuelle Leistungsprognose gekoppelt ist – womit in letzter Konsequenz das Recht auf Bildung abgeschafft wäre.

Der zentrale politisch-ideologische Modus operandi der gegenwärtigen Hochschulreform ist der Begriff der Effizienz. Unter Bedingungen rigider öffentlicher Haushaltskürzungen wirkt dies alles plausibel; etwa wenn die Hochschulen künftig stärker nach Leistung finanziert werden sollen. Die Stichworte dazu lauten: Indikatorisierung, leistungsorientierte Differenzierung der staatlichen Grundmittel, Übergang von der Input- zur Output-Finanzierung, deren Maßstab im Kern die quantitative Messungen isolierbarer wissenschaftlicher Resultate in Zeiteinheiten ist (Absolventen, Drittmittel, akademische Grade, Preise und Patente etc.). Uns wird eine Qualitätssteigerung durch mehr Wettbewerb versprochen.

Die Formel »Effizienz« ist zunächst sehr suggestiv, weil sie die Vorstellung einer rein funktionalistischen Sachneutralität erzeugt. Die Suggestion, es gäbe eine Effizienz an sich, ist jedoch Quatsch. Effizient kann ein Vorgang – etwa ein individueller Studienprozeß oder ein erfolgreiches Forschungsvorhaben – nicht in sich selbst (oder bezogen auf ein zeitliches Maß), sondern nur in Relation zur Erreichung definierter Ziele sein. Ebensowenig wie man generell den qualitativen gesellschaftlichen Nutzeffekt von Bildung und Wissenschaft quantitativ bestimmen kann, läßt sich aus der bloßen Relation von Menge und Geschwindigkeit ein Kriterium für die wissenschaftliche Beförderung nachhaltiger Entwicklung gewinnen. Meine These ist, daß wir uns in dem Maße von dieser sozialökologischen Zielsetzung entfernen, wie derartige Hochschulsteuerungsfunktionen nach dem Vorbild kapitalistischer Betriebswirtschaft Erfolg haben.

Natürlich spricht nichts gegen eine wirtschaftlich transparente Verwendung knapper Mittel. Wenn dies jedoch in Relation zu einem öffentlich legitimierbaren Nutzen von Wissenschaft erfolgen soll, müssen quantitative Kennziffern auf ein gesellschaftliches – und im Kern nur gesellschaftspolitisch definier- und legitimierbares – Konzept bezogen werden. Das jedoch ist eine genuin politische Frage, die durch ökonomische Selbststeuerungsmechanismen nicht beantwortbar ist. Die Frage lautet in einem demokratietheoretisch exakten Sinne: Wer entscheidet worüber? Eine wirkliche Hochschulreform müßte – anstelle der bloßen Quantifizierung und Beschleunigung von Arbeitsabläufen – an der Frage der Zielvereinbarungen ansetzen, welche den Wissenschaftsprozeß inhaltlich bestimmen. Im Kern ist dies die demokratische Frage.

Wenn ich als Gegenposition abschließend die Prämissen einer wirksamen politischen Hochschulreform grob umreißen sollte, dann müßte diese auf der Anerkennung zweier Tatsachen beruhen:

  • Hochschulen sind marktkomplementäre Einrichtungen: Die Aufgabe von Wissenschaft und Studium ist es gerade, Probleme und Aufgaben der langfristigen gesellschaftlichen Daseinsvorsorge zu bearbeiten, die in der Ware-Geld-Beziehung nicht erfaßbar sind.
  • Hochschulen sind hochgradig interessenpluralistische und zielambivalente Institutionen. Aus neoliberaler Sicht ist dieser Sachverhalt, d.h. die Tatsache, daß zu viele politisch organisierte Interessen mitreden, das entscheidende Hindernis für Effizienz und Zielklarheit. Ich drehe diese Aussage um: Interessenvielfalt ist kein Hindernis, sondern ein Vorteil, der entsprechende strukturelle Konsequenzen für innere Organisationsstrukturen der Hochschule und deren äußere gesellschaftliche und politische Einbindung haben müßte. Erstens: weil in einer pluralen Gesellschaft keine Gruppe aufgrund ihrer Marktmacht oder Nähe zum Staat beanspruchen kann, Wissenschaftsentwicklung ausschließlich in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zweitens: weil die Vielfalt an Kooperationsbeziehungen, in denen Hochschulen stehen, unterschiedliche und umfassendere Sichtweisen auf Probleme fördert, und somit diese Vielfalt auch der wissenschaftlichen Entwicklung dienlich ist – vor allem jedoch der Vermeidung von Verengungen und Fehlentwicklungen. Hochschulinterne Demokratisierung und Öffnung zur Gesellschaft bedingen sich gegenseitig. Beides zusammengenommen ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Entwicklungsform potentiell ökologisch verantwortbarer Wissenschaft.

Torsten Bultmann ist Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)

zum Anfang | „… solange wir nicht die unbezahlte Hausarbeit aller Frauen in Frage stellen.“
Feministische Wissenschaft und Verzerrungen in der Nachhaltigkeitsdebatte

Barbara Nohr

Am Anfang war die Lücke: Frauen und ihre Lebenswelt kamen in der durch die männliche Optik beschränkten Wissenschaft entweder gar nicht vor oder wurden aus einer einseitigen Männerperspektive heraus als Objekte beschrieben. Das war und ist nicht verwunderlich – hat sich doch die Wissenschaft in all ihren Zweigen weitgehend ohne die Beteiligung von Frauen entwickelt. So wurde beispielsweise die Rolle von Frauen in der Geschichtsforschung weitgehend ignoriert, ihre Leistungen (z.B. durch unbezahlte Arbeit) für die Erschaffung und den Erhalt der Gesellschaft, Werke von Frauen in den Literatur- und Kulturwissenschaften blieben weitgehend unberücksichtigt. Dieser offensichtlich eingeschränkte Blick ließ feministische Wissenschaftlerinnen zunehmend am Gesamtgebäude Wissenschaft zweifeln: „Was ist das für eine Wissenschaft, die es, was uns betrifft, mit der Wahrheit nie sonderlich ernst genommen hat?“ – fragten sich die Veranstalterinnen der ersten Sommeruniversität für Frauen in Berlin 19761. Die Berliner Sommeruniversität für Frauen sollte den Versuch darstellen, Wissenschaft neu zu denken und gestalten: „Wir wollen nicht nur die akademische Wissenschaft um einen sogenannten Frauenaspekt additiv ergänzen, wir wollen nicht nur Forschungslücken erst entdecken und dann ausfüllen. Wir wollen mehr als nur Objekt und Subjekt der Wissenschaft werden: wir wollen sie und die Gesellschaft verändern“ (18).

Folgende Anforderungen stellten die Frauen an Hochschule und Wissenschaft:

  • Die Hochschule soll für alle (Frauen) offen sein und allen etwas bieten.
  • In der Hochschule soll interdisziplinär geforscht werden.
  • Die Wissenschaft soll sich an einer kollektiven Praxis von gesellschaftlicher Macht für alle Frauen orientieren, „sei es in unseren Kämpfen im Umkreis der Frauenzentren, sei es in denen an unseren Arbeitsplätzen“ (20).
  • Die Situation von großen Massen, von Klassen und vor allem der vernachlässigten weiblichen Bevölkerung soll behandelt werden.
  • Die Geschlechterhierarchie soll – ebenso wie andere Formen sozialer Ungleichheit – aufgedeckt und kritisiert werden. Gleichzeitig geht es darum, Konzepte für ihren Abbau zu entwickeln.
  • Bezogen auf die Frauenuniversität geht es um Autonomie, im Sinne von Selbstbestimmung und institutioneller Unabhängigkeit.
  • Die eigenen (weiblichen) Erfahrungen sollen wissenschaftlich fruchtbar gemacht werden.

Die letztgenannte Forderung knüpft an die Parole der neuen Frauenbewegung »Das Private ist politisch« an. Dabei sollte es in erster Linie darum gehen, sogenannte private (und damit tabuisierte) Erfahrungen von Frauen wie Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigung in der Ehe zu politisieren und als Strukturkomponente der patriarchalen Gesellschaft zu entlarven. Ein zweites wesentliches Thema bildete die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die daraus resultierende Ausbeutung und Unterdrückung: „Wir wissen, daß wir uns an der Universität nicht befreien können, solange wir nicht die unbezahlte Hausarbeit aller Frauen in Frage stellen,“ so die Organisatorinnen der Berliner Sommeruniversität.

Mit der Zeit hat sich das, was sich feministische Wissenschaft oder Wissenschaftskritik nennt, wesentlich ausdifferenziert.2 Nachdem feministische Wissenschaftskritik insbesondere in die Geistes- und Sozialwissenschaften (halbwegs, aber immerhin …) Eingang finden konnte, werden zunehmend die Technik- und Naturwissenschaften kritisch durchleuchtet und in ihrer patriarchalen Prägung kritisiert.

Frauen für eine andere technische Zivilisation

Als herausragende (weil viel diskutierte) Veröffentlichung diesbezüglich kann die 1990 unter Federführung von Doris Janshen verfaßte »Denkschrift für eine andere Zivilisation – Hat die Technik ein Geschlecht?«3 angesehen werden. Die Autorinnen fürchten „Zerstörung und Verlust der Grundlagen für zukünftiges Leben“ (ebd. 7). Insbesondere durch Technik sind die alltäglichen Lebensgrundlagen bedroht: „Schönheit und bereichernde Kraft der Technik treten immer mehr zurück hinter ihre Nutzung als einem Werkzeug für Herrschaft und Zerstörung“ (ebd.). Die Autorinnen wollen, daß dies anders wird: „Das zivilisatorische Projekt der Technik ist fest in Männerhand. Zulange haben wir Frauen geschwiegen. (…) Wir wollen eine Technik, die Mensch, Tier und Umwelt dient“ (ebd.). Grundpfeiler ihrer Programmatik sind die »weiblichen« Eigenschaften: „Beziehungsfähigkeit, Empathie, Orientierung mehr aufs Leben als auf die Sache“ (ebd. 8). Vor allem Frauen „rückt die Technik auf die Haut“ (16ff.): „Sind die zwischenmenschlichen Beziehungen – womöglich auch die den Frauen zugeschriebene besondere Beziehungsfähigkeit – durch den kühlen Atem der Rationalisierung bedroht?“

Zur baldigen Umsetzung fordern sie eine Technische Universität der Frauen, in der nicht nur Wege zur Gleichstellung der Geschlechter erarbeitet werden sollen, sondern weit mehr: „technische Ansatzpunkte für eine Überlebenschance der Menschheit“ (Denkschrift 23) werden von ihr erwartet. Die männliche Technikdomäne soll menschendienlich umgebaut werden, die Autorinnen wollen „zum Aufbruch in die zivilisatorische Wende (…) motivieren“ (ebd. 28).

Hier fallen einige Parallelen zu Konzepten »nachhaltiger Entwicklung« ins Auge: der Wille zur Wende, die Furcht vor den Folgen bisherigen (Miß-)Wirtschaftens und nicht zuletzt der moralische Zeigefinger. Zuvor jedoch eine Kritik an der differenztheoretischen und letztlich konservativen Grundlage der Denkschrift.4

Sicherlich ist es in Anbetracht der umweltpolitischen Lage wünschenswert und notwendig, nach neuen Formen des Wirtschaftens zu suchen. Oder: nach gangbaren Wegen in Richtung »nachhaltige Entwicklung« – wie es die Agenda 21 formuliert. Aufgabe einer feministischen Wissenschaft kann es jedoch nicht sein, die »Wende« oder »Umkehr« o.ä. den Frauen zu überantworten, wie es in Konzepten der Technischen Universität für Frauen und der oben zitierten Denkschrift zu lesen ist. Mit moralischem Zeigefinger sollen hier Frauen unter Verweis auf den drohenden Untergang unseres Planeten in die Pflicht genommen werden, die Menschheit vor weiterer patriarchaler Zerstörungswut zu retten und »weibliche« Gegenkonzepte zu entwickeln. Diese differenztheoretische Glorifizierung des »Weiblichen« knüpft – wie Angelika Wetterer herausgearbeitet hat – an ganz und gar nicht feministische Traditionen an: „In die Falle sind schon Generationen von Frauen getappt, die »weiblich« wurden oder blieben oder zumindest zu leben versuchten, weil davon das Wohl der Kinder, der Familie, der Nation oder wessen auch immer (angeblich) abhing. Selten jedenfalls ihr eigenes“ (Wetterer 1996: 267). Frauenpolitische Konzepte müssen statt einer oberflächlichen Aufwertung des »Weiblichen« die Auflösung von hierarchischen Geschlechterverhältnissen zum Ziel haben. Das schließt nicht aus, kritische Fragen an die Technikentwicklung hinsichtlich der spezifischen Betroffenheit von Frauen zu stellen (s.u.).

Schnittstelle Nachhaltigkeit?

Auch die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« formuliert als ihr zentrales Anliegen eine Wende: „die Umstellung der Weichen“ (19).

Und auch hier wird die Verantwortung – implizit – den Frauen zugeschoben. Eine nachhaltige Entwicklung erfordert – darüber ist man sich einig – ein ressourcenschonendes Wirtschaften. Im Blickpunkt dieser Ressourcenschonung stehen jedoch – zumindest was die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« anbelangt – die privaten Haushalte5, also der Reproduktionsbereich.

Energiebewußtes Verhalten schließt dann beispielsweise den Verzicht auf immer neue elektrische Anwendungen (zum Beispiel elektrische Dosenöffner) genauso ein, wie die Rückbesinnung auf energiesparende Verhaltensweisen, die an die natürlichen Möglichkeiten angepaßt sind (zum Beispiel Wäschetrocknen an der Leine anstatt im Wäschetrockner)“ (Zukunftsfähiges Deutschland, S. 341), lautet eine in diesem Zusammenhang vielzitierte Passage. Der o. g. Verzicht formiert sich dabei mal wieder auf dem Rücken eines unbezahlten Reproduktionssektors. Dessen Bedeutung und Wertschätzung wird zwar von den Autoren mit moralischen Appellen aufgewertet, wobei jedoch geflissentlich übersehen wird, daß gerade dieser Bereich zum »natürlichen Betätigungsfeld« der Frauen gerechnet wird.6 Insgesamt kann der Studie ein individualistischer Ansatz vorgeworfen werden, dessen konkrete Einsparungsvorschläge sich eben nicht in erster Linie an die Industrie oder gegen die Unmengen von Ressourcen, die zur Aufrechterhaltung dieser Art des Wirtschaftens und Regierens nötig sind, richten. Statt dessen werden die Abschaffung von Küchengeräten, Energieeinsparungen und Ernährungsumstellungen empfohlen, die insbesondere Frauen eine erhebliche Mehrarbeit abverlangen.

Kann feministische Wissenschaftskritik einen Beitrag leisten?

Solange wir in einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft leben, muß eine feministische Wissenschaft auf diese als Ausgangsbedingung wissenschaftlicher Analysen und politischen Handelns Bezug nehmen. Dieser Anspruch muß auch an Studien wie »Zukunftsfähiges Deutschland« gestellt werden. Natürlich ist es sinnvoll, nach anderen Formen des Wirtschaftens zu suchen, allerdings nach solchen, die nicht auf dem Rücken von Frauen ausgetragen werden. Also nach solchen, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gerade nicht fortschreiben, sondern im Gegenteil aufzuheben versuchen. Hier bleibt für FeministInnen – und dabei sind nicht nur WissenschaftlerInnen angesprochen – noch eine Menge zu tun. Wenig hilfreich sind m.E. Konzepte, die auf »Weiblichkeit« als heilsbringendes Prinzip bauen. Im Gegenteil müssen sich Frauen zwar einerseits darüber bewußt sein, daß sie in einer patriarchalen Gesellschaft wie der BRD andere, untere Plätze zugewiesen bekommen und daher oftmals andere Perspektiven haben. Es gilt jedoch, gerade diese „Zumutungen“ (Wetterer) zu dekonstruieren und gleichzeitig aufzupassen, daß die vorhandenen Hierarchien nicht noch verstärkt werden.

In diesem Sinne geht m.E. das inhaltliche Konzept der Internationalen Frauenuniversität während der EXPO 2000 in die richtige Richtung (wobei sich die Frage stellt, inwieweit eine derartige Selbstinszenierung des Kapitals, wie sie die EXPO 2000 verfolgt, mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar ist).7

Bestimmend für die inhaltliche Arbeit an der Frauenuniversität sollen folgende Leitgedanken sein:

  • Eine feministische Orientierung, indem das Geschlechterverhältnis zum Bezugspunkt der Analyse gemacht wird.
  • Die Analyse der Wechselwirkungen zwischen Wissenschaftsentwicklung und gesellschaftlichen Veränderungen.
  • Eine interdisziplinäre Ausrichtung einzelner Projektbereiche.
  • Die Diskussion und Erarbeitung der Projektthemen in ihrer internationalen, globalen Dimension.
  • Die Anwendung von Methoden und Medien aus unterschiedlichen wissenschaftlichen, künstlerischen und politischen Bereichen.

Eine Wissenschaft, die feministische Ansätze, wie sie eingangs beschrieben wurden, ernsthaft umsetzt, käme sicherlich zu anderen Lösungen, als die in der Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« entworfenen.

Barbara Nohr ist Sozialwissenschaftlerin

zum Anfang | Fairer Sportsgeist an den Hochschulen!?

von Martin Hellwig

Die momentane Nachhaltigkeitsdebatte um ein »zukunftsfähiges Deutschland« macht auch vor den Hochschulen nicht halt. Besonders sie sind gefragt, wenn es darum geht, Deutschland fit für das 21. Jahrhundert zu machen.

Und das in zweifacher Hinsicht: Einmal geht es darum, daß die Hochschulen sich an diesem Prozeß einer »Nachhaltigen Entwicklung« mit ihrem Innovationspotential beteiligen. Zum anderen müssen die Hochschulen, um im globalen Nachhaltigkeitsspiel mitspielen zu können, sich selbst dieser Entwicklung öffnen. Dazu ist es logischer Weise nötig, den zur Zeit herrschenden Problemen an den Hochschulen, wie studentische Überlastung und finanzielle Unterversorgung, etwas entgegenzusetzen. Und zwar etwas Nachhaltiges.

Als ebenso grandiose wie einfache Lösung aller Probleme der deutschen Hochschulen wird von vielen BildungspolitikerInnen, bzw. solchen, die es sein wollen, seit einiger Zeit das Prinzip des Wettbewerbs propagiert.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BdA), Dieter Hundt, der in diesem Zusammenhang nicht von einer Lehrstellen-, sondern von einer Bildungskatastrophe spricht, hat da schon ganz konkrete Vorstellungen: „… es muß klar sein, daß es Bildungswettbewerb nur dann geben kann, wenn wir Vergleichbarkeit und Meßbarkeit haben. Abitur ist nur gleich Abitur, wenn wir eine einheitliche Meßlatte einziehen, über die jeder springen muß, der studieren will.“ (FR vom 17.10.97, S. 4)

Bildung muß also meßbar und vergleichbar gemacht werden. Damit Bildung auf dem freien Hochschulmarkt noch eine Chance hat, muß sie effektiver und preiswerter gestaltet werden. Sie muß sich an den Erwartungen und Forderungen von Angebot und Nachfrage orientieren, standortgerecht sein und der Profilbildung dienen. Um Meßbarkeit zu bekommen, müssen Meßgrößen eingeführt werden. Die Frage, mit welchen Größen so etwas abstraktes und komplexes wie Bildung gemessen werden kann, stellt sich zurecht. Hier bietet die Markwirtschaft technokratische Ansätze: Was in eine Hochschule hineingesteckt wird und dabei herauskommt, kann anhand von Finanzierungsdaten, Erstsemesterlnnenzahlen, Abbrecherlnnen- und Absolventlnnenzahlen sowie Durchschnittsstudienzeiten ermittelt werden. Alles innerhalb einer mathematischen Formel miteinander in Beziehung gesetzt, bekommt man die Effektivität und das Preis-Leistungs-Verhältnis der jeweiligen Hochschule. Da bei jeder Hochschule dieselben Daten und dieselbe Formel verwendet werden, können die Ergebnisse miteinander verglichen und in einer Ranking-Liste überschaubar dargestellt werden. Der Kreis schließt sich, wenn die finanzielle Ausstattung abhängig vom Listenplatz gemacht wird.

Damit eine Hochschule einen Platz in der oberen Region innehat, und damit gute Aussichten auf Forschungsaufträge, Drittmittel und internationale Anerkennung, müssen also die ErstsemesterInnenzahlen und die Abrecherlnnenquoten gesenkt werden. Wenn weniger in den Hochschulen drin sind, können weniger ihr Studium abbrechen und die, die übriggeblieben sind, ihr Studium erfolgreich abschließen.

Der Chef der Arbeitgeberverbände beschreibt das so: „Studierfähigkeit und Elitenauswahl sind die Ziele eines demokratischen Bildungsideals, nicht bloße Massenproduktion von Abschlüssen. Deutschland kann es sich nicht länger leisten, daß eine föderalistisch verbrämte Intransparenz die Schulszene (auch die Hochschulszene, M.H.) bestimmt.“ Und weiter: „Ich meine, es ist im Grunde selbstverständlich, daß wir in der Schule (auch in der Hochschule, M.H.) einen fairen Sportsgeist fördern und klar machen, daß Leistung und Belohnung zusammengehören.“ (FR vom 17.10.97, S. 4)

Nicht nur Schulen und Hochschulen sollen sich den Kräften des Marktes aussetzen, sondern auch die Schülerlnnen und Studentlnnen. Sie sollen Bildung schneller und effektiver konsumieren, auf Schnickschnack wie BAföG und Wohngeld möglichst verzichten und an einem Engagement außerhalb der (Hoch-)Schule nur interessiert sein, wenn es um Einwerbung von Drittmitteln, schul- oder studienbezogenen Kontakten ins Ausland oder das Anfertigen von Diplom- bzw Doktorarbeiten geht. StudentInnen sollen sich untereinander Konkurrenz machen, wenn sie sich bei ihrer Wunschhochschule bewerben. Die mittels Auswahlgespräch ermittelten Besten (???) bekommen einen Studienplatz; eine Zwischenprüfung nach dem vierten Semester siebt die nicht ganz so »Fleißigen und Ehrgeizigen« heraus, so daß Industrie und Wirtschaft wirklich nur noch die bekommen, die möglichst schnell, möglichst viel und möglichst kritiklos Wissen in sich aufgenommen haben; bereit zur profitorientierten Verwertung und zur Jagd nach dem Machbaren.

Tendenzen einer solchen Entwicklung sind sehr deutlich bei der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) zu sehen. Dort wird den Hochschulen die Möglichkeit gegeben, durch Auswahlgespräche und Exmatrikulation bei nichtbestandener Zwischenprüfung »Leistung« zu belohnen und ihr Profil deutlicher zu konturieren. Durch die Androhung von Studiengebühren, wie sie im neuen HRG zwar nicht steht, aber auch nicht bundeseinheitlich verboten wird, wird das Studium auf das Lernen für und das Bestehen von Prüfungen reduziert. Nicht nur die, die am besten Auswendiglernen können, kommen durch, sondern vor allem die, die sich das Auswendiglernen auch noch leisten können.

Die Vordenkerlnnen einer nachhaltigen Entwicklung haben sicherlich Recht mit der Annahme, daß es so wie bisher nicht mehr weiter gehen kann. Auch die Hochschulen müssen ihren Weg ändern. Die Frage ist nur wohin und wie?

Durch mehr Wettbewerb die angebliche Qualität der Ware Bildung und damit die des Standorts Deutschland zu sichern, ist ein Weg. Aber hierbei sind Richtung und Methode falsch. Die anstehenden ökologischen und ökonomischen Probleme lassen sich nicht mit Strategien eines Systems lösen, welches für diese Probleme verantwortlich ist. »Sustainable Development« bietet technokratische Ansätze, die sich innerhalb der Grenzen bewegen, die wir überschreiten müssen, wenn wir uns wirklich nachhaltig entwickeln wollen.

Dabei sind im Zusammenhang mit Hochschule zwei Gedanken wichtig:

  • Erstens dürfen wir nicht länger alles durch die Standortbrille betrachten. Nicht alles, was höher, weiter und schneller ist, ist gleichzeitig auch besser. Und nicht alles, was gut ist für den Standort Deutschland, ist auch gut für die Menschen, die in ihm leben. Es ist fatal, das Wohlergehen einer Gesellschaft mit dem Wohlergehen der Wirtschaft gleichzusetzen und das menschliche Miteinander auf Wirtschaftsdaten zu reduzieren. Durch die Individualisierung der Probleme verschwimmt die Verantwortlichkeit und damit auch die Möglichkeit, hieraus wirksame Lösungsansätze zu entwickeln.
  • Zweitens läßt sich Qualität von Bildung nicht am Input oder Output von Hochschulen messen. Weniger StudentInnen entlasten die Hochschulen nur kurzfristig, staatliche Finanzmittel werden immer spärlicher fließen und private Stiftungen oder Firmen lassen nur noch wenige Hochschulen offen. Die Reduzierung der Anzahl der StudentInnen auf ein von Industrie und Wirtschaft bestimmtes Niveau verhindert die Entwicklung der zur Problemlösung notwendigen Kreativität und lnterdisziplinarität. Nur durch die Gedanken, Vorstellungen und Ideen vieler lassen sich die drängenden und lebensbedrohenden Fragen nach dem Wie und Wohin beantworten, lassen sich Strategien entwickeln, die wirkliche menschenfreundliche Lösungen hervorbringen.

Nachhaltige Entwicklung darf nicht an den Grenzen des Systems aufhören. Für die Hochschulen bedeutet das Einstieg in einen gesellschaftlichen Diskurs um die Neubestimmung der Aufgaben, der Strukturen und der Inhalte. Diskussionen darüber müssen transparent und offen geführt und Entscheidungen demokratisch und unter Einbezug aller getroffen werden. Veränderungen dürfen sich nicht auf die technokratische Ebene beschränken, sie müssen die inhaltliche Ebene mit einbeziehen.

Martin Hellwig studiert elektrische Energietechnik und ist Vostandsmitglied des Freien Zusammenschlusses der StudentInnenschaften (fzs).

zum Anfang | Statt reden – studieren. Das interdisziplinäre Studienreformprojekt »Nachhaltige UniDO«

von Jörn Birkmann

Seit gut einem Jahr bietet das interdisziplinäre Studienrefromprojekt »Nachhaltige UniDO« Studierenden die Möglichkeit, sich außerhalb des gewohnten Studienrahmens mit der Konkretisierung des Konzeptes der nachhaltigen bzw. zukunftsfähigen Entwicklung am eigenen Lern- und Erfahrungsraum – Universität Dortmund – zu beschäftigen. Studierende und WissenschaftlerInnen haben sich zum Ziel gesetzt, in interdisziplinären Projekten, nicht nur über das hehre Anliegen theoretisch zu diskutieren, sondern durch einen gemeinsamen Lern- und Gestaltungsprozeß konkrete Schritte und Maßnahmen für eine »nachhaltige« bzw. »zukunftsfähige« Hochschule zu entwickeln und umzusetzen.

Der Kontext

Nachhaltige Entwicklung (sustainable Development) wurde auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 als Leitbild einer verantwortungsvollen und zukunftsorientierten Politik festgeschrieben (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1992). Mit der Agenda 21, dem zentralen Beschlußdokument der UNCED, sollen die Weichen für eine zukunftsverträgliche Wirtschafts- und Lebensweise gestellt werden. Es gilt, durch die gleichrangige Behandlung ökologischer, ökonomischer und sozialer Belange, die Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Gut fünf Jahre nach der UNCED wird das Konzept Nachhaltigkeit, wie insbesondere die UN-Sondergeneralversammlung im Juni 97 zeigte, auf nationalstaatlicher Ebene im Problemstau abgestellt. Demgegenüber haben sich jedoch zahlreiche Initiativen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene gebildet, die die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu verwirklichen suchen.

In diesem Zusammenhang bewegt sich auch das interdisziplinäre Studienreformprojekt »Nachhaltige UniDO«. Das Studienreformprojekt ist von Studierenden und engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit Unterstützung des Rektorates, des Hochschuldidaktischen Zentrums sowie des Institutes für Umweltforschung initiiert worden. Zentraler Ansatzpunkt des interdisziplinären Studienreformprojektes ist die Frage, welche Forderungen an Wissenschaft und Praxis aus dem Postulat der Nachhaltigkeit abzuleiten sind und wie sie umgesetzt werden können. Untersuchungsgegenstand ist die Universität selbst: Lehr- und Forschungsaktivitäten, Organisation, Infrastruktur sowie Studierende und Wissenschaftler etc. Das Gesamtprojekt setzt sich aus zahlreichen interdisziplinären Teilprojekten zusammen, die jeweils eine bestimmte Problemstellung aus unterschiedlichen Perspektiven (Fachdisziplinen) beleuchten und erforschen. Die Beschäftigung mit dem eigenen Lern- und Erfahrungsraum Universität bietet dabei einen starken Praxisbezug.

Der Ablauf

In einer öffentlichen Auftaktveranstaltung werden zu Beginn des Semesters die Projektvorschläge von den BetreuerInnen vorgestellt. Neben der interdisziplinären Zusammensetzung der BetreuerInnen muß auch die Fragestellung interdisziplinär bearbeitbar sein. Die jeweiligen Fragestellungen werden im Verlauf der Projekte je nach der Zusammensetzung der TeilnehmerInnen ergänzt und konkretisiert. Im zurückliegenden Studienjahr reichten die Projektvorschläge von der Fragestellung einer nachhaltigeren Energienutzung, über die Analyse des Mobilitätsverhaltens der Studierenden bis zur Entwicklung von Indikatoren für die Beurteilung der Nachhaltigkeit des Organismus UniDO.

Neben den interdisziplinären Studienarbeiten und der inhaltlichen Betreuung durch die WissenschaftlerInnen dient ein Rahmenprogramm mit Vorträgen und Exkursionen zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Konzept der Nachhaltigkeit. Im vergangenen Semester boten die unterschiedlichen ReferentInnen, vom Vertreter der Chemieindustrie über die Vorsitzende der Enquete Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt« bis hin zur Theologin aus Aachen, eine umfangreiche Darstellung des Konzeptes Nachhaltigkeit von verschiedenen Standpunkten aus. Die Rahmenveranstaltungen bieten den Studierenden, die sehr unterschiedliches Wissen über das Thema Nachhaltigkeit besitzen, eine gemeinsame Wissensbasis als Grundlage ihrer interdisziplinären Zusammenarbeit.

Aufgrund der doch erheblichen Sprachunterschiede zwischen einzelnen Fachdisziplinen wird eine Schreib- und Präsentationswerkstatt angeboten, die die interdisziplinäre Teamarbeit in den Projektgruppen fördert und erleichtert. Ein Problem innerhalb des Projektes »Nachhaltige UniDO« stellt teilweise die Anerkennung der interdisziplinären Leistung im jeweiligen Studiengang dar. Trotz der Forderung nach mehr Interdisziplinarität verlangen die meisten Fakultäten, für die Anerkennung interdisziplinärer Studienleistungen als ordentliche Facharbeit eine tiefgreifende einzelwissenschaftliche Leistung im Sinne ihrer Disziplin. Das diese Forderung nicht immer mit dem Ziel der interdisziplinären Projektarbeit vereinbar ist, ist offensichtlich, so daß Strukturen geschaffen werden müssen, die der interdisziplinären Teamarbeit mehr Raum bieten.

Die Projekte

Das erste interdisziplinäre Teilprojekt erarbeitete Indikatoren zur Beurteilung der Nachhaltigkeit für den Organismus Uni DO. Die Hochschule wurde dabei als ein Organismus, der in vielen lebendigen Wechselbeziehungen steht, betrachtet. Neben der Thematisierung des Konzeptes der Nachhaltigkeit aus Sicht unterschiedlicher Disziplinen wurden verschiedene Indikatorenkonzepte auf ihre Fähigkeit hin analysiert, sowohl ökologische, wie auch soziale und ökonomische Aspekte abbildbar bzw. meßbar zu machen. Der Syndromansatz des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung »Globale Umweltveränderungen« (WGBU) spielte in diesem Projekt eine wesentliche Rolle. Als ein zentrales Krankheitsbild des Organismus UniDO wurde die stark steigende Daten- und Informationsflut ausfindig gemacht, die einhergeht mit ständigen Neuanschaffungen von Informations- und Kommunikationstechnologien, die wiederum mehr Daten und Informationen aufnehmen und produzieren. Daß dieses Syndrom erhebliche Umweltauswirkungen nach sich zieht, wurde am Beispiel des Elektronikschrottes verdeutlicht.

Das zweite Projekt analysierte die Wohnstandorte der Studierenden und untersuchte daraus resultierende Mobilitätszwänge und Umweltfolgen. Die Untersuchung ergab unter anderem, daß nur rund ein Drittel der Studierenden in Uninähe wohnen und von den zahlreichen Fernpendlern ein Drittel mit dem Auto zur Uni fährt. Es wurden konkrete Maßnahmenvorschläge und mögliche Alternativen zur derzeitigen Pendleruni erarbeitet.

Das dritte Projekt befaßt sich mit technischen und verhaltensorientierten Maßnahmen zur Energieeinsparung an der Uni Dortmund. Neben der Erarbeitung möglicher technischer Energieeinsparmöglichkeiten wurden mit einer Befragung unter Studierenden und WissenschaftlerInnen erhebliche Einsparpotentiale durch mögliche Verhaltensänderungen ermittelt. Diese Maßnahmenvorschläge zur Verhaltensänderung und zu technischen Neuerungen sollen nun in einem weiteren Projekt in ein konkretes Kampagnenprogramm umgesetzt werden.

Mit dem Thema Energie befaßt sich auch das vierte Projekt, daß das neue Blockheizkraftwerk (BHKW) der Uni Dortmund auf seine ökologischen und ökonomischen Vor- und Nachteile hin untersuchte. Es stellte fest: „Selbst bei Berücksichtigung der hohen Kapitalkosten reduzieren sich für das Referenzjahr 1995 die Energiekosten der Universität um über 800.000 DM. Damit wurden die ursprünglich geplanten Werte übertroffen.“ (Birkmann et al, 1997)

Leitung des Projektes

Auf Vorschlag der studentischen Initiatoren wird das Projekt von einem Koordinationskreis geleitet, in dem sowohl Studierende, WissenschaftlerInnen und die beiden Institute, das Institut für Umweltforschung und das Hochschuldidaktische Zentrum, gleichermaßen vertreten sind. Diese Strukturen des Koordinationskreises bieten die Möglichkeit, daß Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und ProfessorInnen gleichberechtigt und hierarchiefrei zusammenarbeiten.

So kann der Koordinationskreis wesentlich innovativer agieren, als die gesetzlich verankerten Selbstverwaltungsgremien.

Fazit

Obwohl es erhebliche Probleme bei der Initiierung und Anerkennung (als Studienleistung) des interdisziplinären Projektes »Nachhaltige Uni DO« gab, kann ich als Mitinitiator und Teilnehmer nur dazu motivieren, an anderen Orten gleiche Projekte ins Leben zu rufen.

Erst durch das Projekt sind die Schritte zu einer nachhaltigeren Universität klarer geworden. Die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung wird nicht mehr in abgeschlossenen Expertenkreisen geführt, sondern am faßbaren Beispiel, dem eigenen Lern- und Erfahrungsraum Hochschule, konkretisiert. Diesen Schritt hat das Projekt »Nachhaltige UniDO« durch verschiedene Teilprojekte bereits erreicht. Trotz der noch nicht quantifizierbaren Umweltentlastungen ist die gemeinsame Betrachtung ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte in interdisziplinären Studienprojekten ein wichtiger Baustein für mehr Zukunftsfähigkeit in Lehre und Forschung.

Mit der Aufnahme des interdisziplinären Projektes »Nachhaltige Uni DO« in das Aktionsprogramm »Qualität der Lehre« des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen als innovatives Reformprojekt von überregionaler Bedeutung, kurz »Leuchturmprojekt«, sind auch die finanziellen Weichen für die Zukunft gestellt.

Zu hoffen bleibt, daß damit die fachübergreifende Beschäftigung mit dem Themenkomplex nachhaltige Entwicklung einen festen Platz an der Universität Dortmund erhält und einen Beitrag zur Reform der Hochschule leistet.

Literatur

Birkmann, Jörn; Bonhoff, Claudia; Daum, Wolfgang…(Hrsg.): Nachhaltigkeit und Hochschulentwicklung – Projekte auf dem Weg der Agenda 21, Projekt-Verlag, 1997.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Hrsg.): Umweltpolitik. Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Agenda 21, Dokumente. Bonn.

Jörn Birkmann ist Student der Raumplanung und Mitinitiator des Projektes »Nachhaltige UniDo«

zum Anfang | Studienbüros an der TU Berlin

von Carsten von Wissel

Gremien – die Orte, an denen Entscheidungen in Universitäten stattfinden soll(t)en – weisen ein entscheidendes Problem auf: ihr Hang zum Minimalkonsens. Entscheidungen werden vielfach vermieden, wenn sie zustandekommen, liegt ihnen häufig ein Prinzip von Interessenausgleich an Stelle eines von Sachangemessenheit zugrunde. Für sich genommen erscheint das schon problematisch, problemverschärfend wirkt sich jedoch aus, daß es eine Vielzahl von Organisationszielen gibt. Diese sind im Sinne von Zielhierarchien nicht auskommuniziert und konkrete Organisationsziele werden schon gar nicht von jeweils allen Beteiligten konsensual geteilt.

Die Aufgabenerfüllung in Forschung und Lehre liegt in den Händen der HochschullehrerInnen. Orientierungsrahmen sind die Verhaltens- und Leistungsnormen ihrer Disziplinen, der organisationale Rahmen bleibt sekundär. Daraus resultiert Segmentierung und Kommunikationsreduktion. Dies wirkt sich z.B. bei der Organisation der Lehre aus, aber nicht nur dort. Disziplinübergreifende Kommunikation beschränkt sich auf ein Minimum. Die Disziplinen – so ein weitverbreitetes Bewußtsein – sind aufeinander zunächst einmal nicht angewiesen.

Diese Gemengelage kumuliert in einer nicht unbedingt konsistenten Gremienstruktur, bestehend aus modernen und durchaus vormodernen Elementen. Das Entscheidungssystem oszilliert zwischen Demokratie, ständisch geprägter Oligarchie und präsidialer – wiederum demokratisch und ständisch gebremster – Monokratie. Es läge nahe, Universitäten zumindest idealtypisch als Konsensgebilde zu denken und die Entscheidungsinstanzen dementsprechend zu strukturieren, auch die Komplexität, die Handhabung von Wissen als Basisaufgabe läßt daran denken. Die Gremienstruktur ist jedoch nicht so. Die Notwendigkeit, auch im Konfliktfall zu einem alle Beteiligten einschließenden Konsens zu gelangen, wird durch die festgeschriebene Mehrheit der HochschullehrerInnen eliminiert. Die »Ratio« des Systems ist also, daß eine Personalkategorie Konsensfähigkeit und Qualität ihrer Programmentwicklung und -formulierung vernachlässigen kann, da sie im Konfliktfall alleine imstande ist, sich durchzusetzen.

Auswirkungen, Lösungsversuche

Der Mainstream der Hochschulsteuerungsdebatte kommt ohne Umschweife zur Wurzel des Übels. Ursache sei die innere (mitunter gar zu weit getriebene) Demokratisierung der akademischen Selbstverwaltung, die dazu führe, daß die notwendigen Entscheidungen im Gewirr partizipativer Strukturen hängenblieben. Es ginge – so läßt sich vieles lesen – letztlich nur darum, Dezision einzuziehen und schon hätte man Hochschulen zu effizienten Dienstleistungseinrichtungen transformiert. Man bräuchte dann bloß noch ein effizientes Management, das die gegenüber (demnächst ja zahlenden) KundInnen fälligen Dienstleistungen erbringt und koordiniert. Es bleibt mir allerdings schleierhaft, wie und warum man mit derlei Instrumentarium die oben umrissene Situation in den Griff zu bekommen gedenkt. Die Diagnose, daß es an Entscheidungen fehlt, ist zwar richtig, es erscheint mir aber zweifelhaft, ob das Problem mit Entscheidungen von oben gelöst werden kann. Schließlich dürfte es unmöglich sein, Qualitätsverbesserung von Forschung und Lehre zu dekretieren. Soweit die nicht anschlußfähigen Fragen an die VertreterInnen der Managementlehre. Nun komme ich zum Anschlußfähigen.

Es gibt sowohl die gerne betonte Verantwortungskrise (kaum jemand der in den Gremien Mitentscheidenden hat gegenüber anderen Rechenschaft abzulegen), als auch die Managementkrise (Universitäten sind unstrittig selbststeuerungsdefizitäre tankerhafte Großorganisationen und es gibt ebenfalls ohne jeden Zweifel die den Universitäten vorgehaltene Effizienzkrise; Entscheidungsprozesse und Leistungserbringungsprozesse verlaufen in der Tat ineffizient, vieles ist teuerer als es sein müßte, nicht alle, aber viele der Gründe sind hausgemacht.

Dies sind die drei Standardkrisen, sie alle aber haben einen Kontext. Man könnte ihn schlagworthaftig als Kommunikations- und Informationskrise bezeichnen:

  • Disziplinen grenzen sich gegeneinander ab, Kommunikation wird reduziert, interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht selten negativ sanktioniert, ansonsten nur instrumentell kollaboriert. Dies erschwert eine fachübergreifende Problemformulierung und bringt z.B. Umweltwissenschaften nicht gerade voran – demzufolge sind Universitäten im umweltwissenschaftlichen Bereich im Rückstand.
  • Interessenartikulation und Entscheidungsfindung erfolgt statusgruppenbezogen. Dies gilt sowohl für HochschullehrerInnengruppen, als auch für Personalvertretungen; auch Viertelparität vermochte hieran kaum etwas zu ändern. Auf gleicher hierarchischer Ebene ist Kollegialität die Leitlinie: Ergebnis ist dann der vielbeklagte Minimalkonsens.
  • Forschung und Lehre, Verwaltung, Leitung – alles folgt den jeweils eigenen immanenten Bewegungsgesetzen und Präferenzordnungen, wechselseitige Anforderungen werden jeweils als Zumutungen wahrgenommen, jedes Funktionssystem pflegt seine Organisationsmythen und Vorurteilssammlungen über sich und die anderen.
  • Es fehlt nicht zuletzt an substantiellem Steuerungswissen. Die Organisation Universität weiß zu wenig über sich selbst. Intelligente Modelle wie Kennzahlensteuerung oder Steuerung mit Zielvereinbarung setzen Indikatoren- bzw. Zielfindung voraus. Dies kann sinnvollerweise nicht von oben nach unten dekretiert werden.

Dies alles zeigt, daß es mit Entscheidungen noch nicht getan ist. Partizipation wird hier an zwei Stellen bedeutsam: Zum einen kann nur sie eine Komplexitätsangemessenheit von Entscheidungen gewährleisten, zum anderen sind die Möglichkeiten, diese zu unterlaufen, bei weitem zu zahlreich. Das Schicksal nicht akzeptierter, von Universitätsleitungen getroffenen Entscheidungen ist in der Regel ein immer gleiches, die Projekte verlaufen im Sande. Kommunikation, die darauf zielt, einen Konsens hinsichtlich von Oberzielen (als Beispiel-Oberziel sei hier »gutes Studium« genannt) einzuholen, könnte hier Abhilfe schaffen.

Studienbüros: Potentiale des Modellversuchs

Studienbüros sind unmittelbar auf Fachbereichsebene angesiedelt. Sie sind (jeweils abhängig von der Studierendenzahl) mit ein bis zwei auf fünf Jahre eingestellten Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und einer Verwaltungskraft (leider nicht überall) ausgestattet. Über Entscheidungskompetenzen verfügen sie nicht. Bezogen auf weiter oben angerissene Krisensyndrome schalten sich die Studienbüros primär bei der Kommunikationskrise ein und das auf Ebene des Fachbereiches, wo es zwar auch Verkrustungen, aber solche mit dünneren Krusten gibt. Studienbüros könnten dann, ideale Ausgangsbedingungen unterstellt:

  • Vernetzen zwischen den Instituten und zwischen den Fachbereichen, sowohl auf der Ebene der Serviceabsprachen, als auch auf der Ebene von Studienberatung, da sie wissen, wo welche Inhalte oder auch Probleme vorzufinden sind und zu anderen Studienbüros (damit zu anderen Fachbereichen) einen kurzen Dienstweg unterhalten.
  • Beraten, z.B. bei der Erstellung von Studien- und Prüfungsordnungen, da sie über Regelungssystematiken und Regelungswürdigkeiten orientiert und in der Regel dagegen gefeit sind, in Studien- und Prüfungsordnungen ein Instrumentarium zur Absicherung von Lehrkapazitäten zu sehen.
  • Begleiten, z.B. Studienreformprojekte oder studentische Evaluationsprojekte, da sie in einen gremien- und regelungskompatiblen Diskurs übersetzen können.
  • Koordinieren, z.B. im Bereich der Studienfachberatung des Fachbereichs, da sie über die fachbereichsunmittelbare Perspektive verfügen.
  • Anregen und initiieren, z.B. wiederum Studienreformprojekte etc., aber auch Selbstverständnisdiskussionen der Fachbereiche, da es zu ihren Aufgaben gehört, Relevanzen und mitunter fragwürdige Konsense zu hinterfragen.
  • Entscheidungen vorbereiten, Vorlagen erstellen, Informationen in den Entscheidungsprozeß geben, am Selbstvergewisserungsprozeß des Fachbereichs mitwirken.

Im Unterschied zu anderen administrativen Steuerungsmodellen liegt die Stoßrichtung des Modellversuchs Studienbüros nicht auf Dezision und einer Zurückdrängung von Partizipation, sondern auf Kommunikation, Partizipation und Entscheidungsvorbereitung. Zentral ist dabei, daß Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung nicht zusammenfallen. Gremien der akademischen Selbstverwaltung werden somit instand gesetzt, ihre Verantwortung im Bereich von Studium und Lehre wahrzunehmen und im besten Fall ihre strukturelle Verantwortungslosigkeit zu überwinden. D. h. es wird versucht, Entscheidungsrationalität durch Information zu erhöhen, Entscheidungsvermeidung durch Information zu überwinden. Prozesse können beschleunigt werden, da durch die Bereitstellung von Information Ungewißheit minimiert werden kann.

Carsten von Wissel ist Diplom Politologe und Mitarbeiter im Studienbüro (FB 7) der TU Berlin
Der Text ist eine stark gekürzte und überarbeitete Variante von „Chancen und Grenzen eines Modellversuchs. Studienbüros an der Technischen Universität Berlin“, erschienen in Forum Wissenschaft Heft 2/97.

zum Anfang | Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung

von Thomas Pelz

Ausgangspunkt des Projektes waren folgende Einschätzungen zur Situation der Ingenieurausbildung:

  • Aufgrund von Veränderungen in den Unternehmen ergeben sich neue Anforderungen an Ingenieurinnen und Ingenieure: Sie bearbeiten verstärkt Aufgaben, die sich nicht nur auf technische Themen beschränken, ihre kommunikativen Fähigkeiten werden intensiv gefordert, da sie zunehmend im Austausch mit anderen Personen arbeiten und schließlich geraten sie immer mehr in unternehmerische Verantwortung.
  • An den Hochschulen bietet jedoch derzeit die Ingenieurausbildung oft ein anderes Bild: Das gängige Ingenieurstudium bezieht sich weiterhin zu einem sehr großen Anteil auf rein technische Fachinhalte und der hohe Anteil von Vorlesungen u.ä. Lehrveranstaltungsformen unterstützt die Studierenden nicht beim Erwerb kommunikativer Fähigkeiten und sozialer Kompetenzen.
  • An einigen Hochschulen gibt es neue Ansätze in der Ingenieurausbildung. Doch trotz des Erfolges dieser Reformansätze, hat nur ein kleiner Teil der Studierenden die Möglichkeit an ihnen teilzunehmen, zudem laufen diese Ansätze oft zeitlich befristet.

Vor diesem Hintergrund startete Mitte 1995 das Projekt »Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung« an der TU Berlin, dessen Arbeit von einem Beirat aus Ingenieurinnen und Ingenieuren, Hochschulangehörigen und Gewerkschaftsvertretern begleitet wurde.8

Als erster Arbeitsschritt wurden sieben Leitbilder formuliert, welche die Reform der Ingenieurausbildung als eine umfassende Aufgabe beschreiben, bezogen auf Lehrinhalte, Lehrformen, Studienorganisation und Studienstruktur.

Leitbild 1: In der Ingenieurbildung müssen sich die gesellschaftlichen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Bezugspunkte der Technik und des technischen Handelns wiederfinden.

Leitbild 2: Das Ingenieurstudium muß inhaltlich und methodisch nach dem Prinzip einer lernenden Organisation gestaltet werden.

Leitbild 3: Die berufliche und gesellschaftliche Praxis sowie deren Reflexion müssen in die Ingenieurausbildung einbezogen werden.

Leitbild 4: Förderung von Frauen in der Ingenieurausbildung.

Leitbild 5: Der methodische Anteil der Ingenieurausbildung muß die Befähigung zum Handeln fördern und an den aktuellen und erwarteten realen Ingenieurtätigkeiten orientiert werden.

Leitbild 6: Große Teile der Ingenieurausbildung müssen in problemorientierten und selbstorganisierten Lehr- und Lernformen angeboten werden.

Leitbild 7: Das Ingenieurstudium muß studierbar werden.

Die Formulierung dieser Leitbilder, hier nur gekürzt wiedergegeben, geschah mit der Absicht, eine hochschul- und fachbereichsübergreifende Aussagekraft zu erreichen. Sie wenden sich in ihrer Aussage demzufolge an alle Hochschulen, ihre Konkretisierung und Umsetzung auf die jeweilige Situation vor Ort bleibt die Aufgabe der Beteiligten.

Anschließend wurden diese Leitbilder exemplarisch in ein konkretes Studienszenario umgesetzt. Dieses Studienszenario:

  • verknüpft die Grundlagenvermittlung – der Begriff »Grundlagen« geht dabei weit über rein technische Inhalte hinaus – während des gesamten Studiums mit der »exemplarischen Anwendung«, d.h. mit der Durchführung von Projekten. Diese vermitteln anfangs neben den Grundlagen auch die Arbeitsweise in Projekten, im Laufe des Studiums wird ihre Ausrichtung zunehmend interdisziplinär.
  • unterteilt die zehnsemestrige Ingenieurausbildung in vier Module, denen unterschiedliche Aufgaben zugewiesen sind:

Modul 1: Studieneinstieg, führt die Studierenden nicht nur in das Studium ein, sondern ermöglicht ihnen auch eine Entscheidung, ob die Ingenieurausbildung für sie das passende Studium ist.

Modul 2: Grundlagen, vermittelt die mathematischen, naturwissenschaftlichen, technischen und systemtechnischen Grundlagen und führt diese anhand von anwendungsbezogenen Lehrveranstaltungen (Projekten) zusammen.

Modul 3: Vertiefung, bietet den Studierenden die Möglichkeit der fachlichen Vertiefung, beinhaltet aber auch einen Anteil an Lehrveranstaltungen, in dem nicht-technische Kenntnisse, z.B. BWL, Arbeitsorganisation, Technikbewertung, vermittelt werden.

Modul 4: Praxisbezogene Vertiefung und Weiterbildung, bietet den Studierenden Möglichkeiten der inhaltlichen Vertiefung und der Auseinandersetzung mit zukünftigen Berufsfeldern.

  • versucht durch vielfältige Zugangs- und Abgangsmöglichkeiten (u.a. auch einen vorzeitigen Bachelor-Abschluß) nicht nur Studierenden ein Studium zu ermöglichen, deren Lebenssituation ein ununterbrochenes Vollzeitstudium nicht zuläßt, sondern auch Studierende in das Studium zu integrieren, die bereits im Arbeitsleben gestanden haben und mit ihren Erfahrungen die Ausbildung bereichern.

Nahezu alle im Studienszenario vorgesehenen, derzeit ungewöhnlichen Studienanteile stützen sich auf Erfahrungen aktueller Reformvorhaben, die mit ihrer Arbeit die Möglichkeiten und den Erfolg dieser Anteile längst nachgewiesen haben.

Perspektivisch ist jetzt schon abzusehen, daß es nicht bei dem jetzigen Abschluß des Projektes bleiben wird. Angeregt durch vielfältige Diskussionen auf der Tagung »Ingenieurinnen und Ingenieure für die Zukunft«9, welche zum Abschluß des eigentlichen Projektes im April 1997 an der Fachhochschule Frankfurt/M. veranstaltet wurde, ist im September 1997 ein Netzwerk10 gegründet worden, dessen vorläufige Arbeitsschwerpunkte folgendermaßen beschrieben werden:

  • Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedern des Netzwerkes über die Gestaltung der Ingenieurausbildung ermöglichen;
  • Informationen über aktuelle Reformansätze verbreiten und
  • den hochschulübergreifenden Diskurs zu Fragen der Ingenieurausbildung zwischen den Lehrenden unterstützen.

Dieses Netzwerk wird die Reform der Ingenieurausbildung weiter vorantreiben. Interessierte können und sollten sich an diesem Prozeß beteiligen.

Thomas Pelz ist Diplomingenieur der Verfahrenstechnik und Mitarbeiter im Projekt »Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung«.

zum Anfang | Kommentar: Die Zukunft der Hochschule

von Knut Aufermann

Von der letzten Nachtschicht gekennzeichnete StudentInnen laufen über den Campus, auf der Stirn eine durch die Standort-Deutschland- und Globalisierungs-Debatte geprägte Sorgenfalte. Die Universität ist ein Übergangsstadium zum Geldverdienen geworden. Nur wer schnell und zielstrebig ist, kommt durch.

Unkündbar lächelnde ProfessorInnen lehnen sich zurück und erfüllen ihre Lehraufträge halbherzig. Nach dem langen Weg zur C4-Stelle erscheint am Horizont die verdiente Emeritierung.

PolitikerInnen mit spitzem Rotstift sitzen in ihren Bürosesseln und stürzen sich auf jede schwache Stelle, die sich zeigt. Gutgemeinte Evaluationen degenerieren dabei zu Datenlieferungen für unqualifizierte Kürzungen.

Aber ist denn wirklich alles so schlimm?

Es gibt sie doch, die ProfessorInnen, die ihre gesamte Freizeit darauf verwenden, Drittmittel einzutreiben, um ihren MitarbeiterInnen Promotionsstellen finanziell abzusichern. Nebenbei sind sie im Studienreformausschuß aktiv und schreiben noch an einem endlich gut verständlichen Lehrbuch.

Engagierte Studierende, die die Universität als einen Ort der Kultur begreifen, werden hochschulpolitisch aktiv und organisieren Semesterabschlußparties und Demonstrationen gegen Studiengebühren.

Und dann sind da noch die hochmotivierten DoktorandInnen. Sie forschen in interdisziplinären Teams aus mehreren Fachbereichen über sozio-ökologische Themen, die einen gesellschaftsrelevanten Hintergrund haben.

In welche Richtung geht die Entwicklung?

Leider bewegen sich die Hochschulen schon lange zu den zuerst genannten Beobachtungen. DozentInnen, die sich für eine Verbesserung der Lehrqualität einsetzen, werden wenig unterstützt und gewürdigt. Wer kann es ihnen verdenken, wenn sie sich in ihre Wissenschaft zurückziehen, um sich nicht aufzureiben. Die Beteiligungen an den Wahlen der studentischen Räte liegen im allgemeinen zwischen zehn und 20%. Die Gewählten sind von ihrer geringen Einflußnahme über kurz oder lang frustriert oder basteln an ihrer Karriere. Die Forschung wird durch ökonomische Gesichtspunkte bestimmt, bei der die Güte der Forschungsthemen und der zu erwartenden Ergebnisse z. B. durch die Förderung der DFG festgelegt wird.

Konkurrenz wird als Heilmittel für die lethargisch wirkenden Universitäten angesehen, was deren Anstrengungen verstärkt, beim nächsten Spiegel-Ranking bessere Statistiken zu präsentieren. Wen interessiert schon, wie die Bildungsanstalten von innen aussehen?

Und so beginnt leise das Sterben. Erst sind es nur Planstellen, dann Studienrichtungen, Fachbereiche und ganze Fakultäten, die verschwinden. Und es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis aus Geldmangel die erste Hochschule schließen muß.

Ich wäre darüber nicht traurig, wenn sich dadurch der Druck auf die Entwicklung alternativer Bildungsangebote erhöhen würde. Die Universitäten in ihrer jetzigen Situation sind nicht zukunftsfähig.

Es braucht viel Mut und Kraft, die ausgetretenen Wege zu verlassen und dies muß von Lehrenden und Lernenden gemeinsam getan werden. Jede neue Initiative für ein alternatives Bildungsangebot bringt einen neuen Baustein für eine bunte, vielschichtige Zukunft. Darunter verstehe ich ausdrücklich nicht die Bildung neuer Eliten, sondern es geht um die Aufweichung des linearen Ausbildungssystems in einer komplexen Welt.

Anmerkungen

1) Vgl. Gisela Bock: Frauenbewegung und Frauenuniversität. Die politische Bedeutung der Sommeruniversität. In: Gruppe Berliner Dozentinnen (Hrsg.): Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen. Juli 1976. Berlin 1977. Zurück

2) Vgl. Heike Kahlert: Wissenschaft in Bewegung. Frauenstudien und Frauenforschung in der BRD. In: Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Frankfurt/New York 1996, Band 2. Zurück

3) Doris Janshen (Hg.): Hat die Technik ein Geschlecht? Denkschrift für eine andere technische Zivilisation. Berlin, Orlanda Frauenverlag, 1990. Zurück

4) Ich beziehe mich dabei auf die von Angelika Wetterer formulierte Kritik in ihrem Aufsatz: Die Frauenuniversität als paradoxe Intervention. In: Sigrid Metz-Göckel/Angelika Wetterer (Hg.): Vorausdenken-Querdenken-Nachdenken. Texte für Aylâ Neusel. Ffm/New York 1996. Zurück

5) Hier folge ich (teilweise) der feministischen Kritik an Nachhaltigkeit, wie sie u.a. von Claudia Bernhard formuliert wird in ihrem Aufsatz »Der nachhaltige Antifeminismus« in: Schwertfisch: Zeitgeist mit Gräten. Politische Perspektiven zwischen Ökologie und Autonomie. Yeti Press, Bremen 1997. Vgl. auch im selben Band: Frauen-Fisch-AG: Zwischen Sparstrümpfen und Gigabytes. Zurück

6) Frauen-Fisch-AG, S. 45. Zurück

7) Kritik am Konzept der Internationalen Frauenuniversität – insbesondere hinsichtlich der Entscheidungsstrukturen – habe ich an anderer Stelle formuliert, vgl. fzs-Rundbrief August 1997. Zurück

8) »Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung«, Abschlußbericht eines Projektes der Zentraleinrichtung Kooperation an der TU Berlin, Berlin/Düsseldorf, 2. Auflage, 1997. Zurück

9) Eine Tagungsdokumentation erscheint in Kürze: Ingenieurinnen und Ingenieure für die Zukunft, Neef, W. und Th. Pelz (Hg.), Berlin, 1997. Zurück

10) Vorläufige Adresse des Netzwerkes: Zentraleinrichtung Kooperation, TU Berlin, Steinplatz 1, 10623 Berlin; e-mail: netz.ing@zek.tu-berlin.de. Zurück

Knut Aufermann ist Student der Chemie und Mitarbeiter im INES-Student-Network. Jörn Birkmann ist Student der Raumplanung und Mitinitiator des Projektes »Nachhaltige UniDo«
Torsten Bultmann ist Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)
Jörg Gleisenstein studiert Raumplanung an der Uni-Dortmund, seit Juni 97 ist er AStA-Vorsitzender der Universität Dortmund.
Martin Hellwig studiert elektrische Energietechnik an der FH Aachen; seit Mai 97 ist er im Vorstand des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) tätig.
Barbara Nohr ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet in Göttingen / Bonn
Thomas Pelz ist Diplomingenieur der Verfahrenstechnik und Mitarbeiter im Projekt »Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung«
Sandra Striewski ist Studentin der Chemietechnik und Vorstandsmitglied der Naturwissenschaftler-Initiative
Carsten von Wissel ist Diplom Politologe und Mitarbeiter im Studienbüro (FB 7) der TU Berlin

Frieden studieren

Neue Masterstudiengänge für Friedens- und Konfliktforschung an deutschen Hochschulen

Frieden studieren

von Tanja Brühl / Thomas Held / Britta Krause / Christiane Lammers / Regine Mehl / Jörg Meyer / Thomas Nielebock / Lars Schmitt / Patricia Schneider / Lutz Schrader

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB)

| Neue Masterstudiengänge für Friedens- und Konfliktforschung

von Christiane Lammers

Friedensprozesse zu befördern ist nicht nur eine Frage des politischen Willens und der hierfür zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen. Es bedarf der Kenntnisse sowohl der Gewalt – und Kriegsursachen als auch der friedensstiftenden Maßnahmen, Strukturen und Perspektiven. Hierfür soll und will die Friedens- und Konfliktforschung als fächerübergreifende Wissenschaft Ergebnisse ihrer Arbeit zur Verfügung stellen. Wissenschaft im Allgemeinen lebt davon, dass sie Ergebnisse aufeinander aufbaut, dass eine stetige Auseinandersetzung über vermeintlich objektivierbare Erkenntnisse stattfindet und nachwachsende Generationen an der Arbeit vorangegangener partizipieren können. Dabei erhebt sie, und dies gilt für die Friedenswissenschaft besonders, den Anspruch, »ihr Wissen nicht für sich selbst behalten zu wollen«, sondern dieses der Praxis zur Verfügung zu stellen. Dieser Transfer, mit dem auch ein gesellschaftlicher Bedarf korrespondiert, eröffnet wissenschaftlich Ausgebildeten, also Akademikerinnen und Akademikern, nicht nur die Möglichkeit weiterhin als Forschende im Wissenschaftsbetrieb tätig zu sein, sondern in der Mehrheit in den Anwendungsbereichen, der sogenannten Praxis, ihren (Arbeits)Platz zu finden.

In Kürze sind damit die Begründungen des unbedingten Zusammenhangs von Forschung und Lehre umschrieben. Nun mag es erstaunen, dass sich die Friedensforschung in der Bundesrepublik bisher ohne eine adäquate, durch Curricula strukturierte Lehre fortentwickeln musste. Die Gründe (mangelnder politischer Wille, starres disziplinäres Hochschulsystem, Dominanz der »realistischen Schule«) sowie die Konsequenzen sind vielschichtig und können hier nur angedeutet werden: unzureichende Grundlagenforschung, wenig aufeinander bezogene Forschung und geringe Forschungsdiskussionszusammenhänge, geringe Ausprägung spezifischer Theorie- und Methodenansätze insbesondere in Bezug auf Interdisziplinaritäts- und Praxis-Ansprüche, ungenügende öffentliche Wahrnehmung, zu geringe Anzahl an Nachwuchswissenschaftler/innen.

Naheliegend in diesem Zusammenhang und trotzdem bemerkenswert, da der sonst üblichen Praxis von Forschungsförderungseinrichtungen nicht gerade entsprechend, war es, dass die Deutsche Stiftung Friedensforschung unmittelbar nach ihrer Gründung den Beschluss fasste, prioritär die Entwicklung und Umsetzung von friedenswissenschaftlichen Studiengängen zu fördern. Aufgrund dieser Initiative sind die im Folgenden dargestellten Studiengänge erwachsen.

Strukturell möglich geworden ist die Umsetzung im Wesentlichen durch den sogenannten »Bologna-Prozess«: Der Vereinbarung der europäischen Bildungsminister und -ministerinnen (1999), die Studiengänge und Studienabschlüsse in ganz Europa bis 2010 aneinander anzugleichen. (Näheres hierzu z.B. unter www.bildungsserver.de.) Neue Begriffe prägen seitdem den Alltag an den Hochschulen: Bachelor und Master, Module und Modularisierung, ECTS (European Credit Transfer System) und Leistungspunkte, Interdisziplinarität und soft skills. Dabei handelt es sich nicht nur um Worthülsen, sondern mit dieser Umstellung ist eine in ihren Folgen noch nicht absehbare Veränderung der Hochschullandschaft verbunden. Die Diskussion darüber findet, wenn überhaupt, nur unter den unmittelbar Betroffenen (Hochschulmitarbeiter/innen und Studierenden) statt. Ein nicht gerade wünschenswerter Zustand, da die Konsequenzen gesellschaftlich relevant sein werden. Schließlich geht es nicht um didaktische Probleme, sondern um die Frage, welches Wissen mit welcher Intention vermittelt werden soll.

Für die Friedenswissenschaft wurden Antworten hierauf gefunden. Diese dokumentiert dieses Dossier: Manchmal sind sie unterschiedlich, in vielem aber auch sehr ähnlich. Gemeinsam ist ihnen das Bemühen, qualifizierte Ausbildung für die Friedensarbeit zu ermöglichen.

Christiane Lammers, Koordinatorin der LAG Friedenswissenschaft NRW und stellv. Vorsitzende des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung

| Frieden lehren

Peace & Conflict Studies in Masterstudiengängen an Hochschulen im globalen Vergleich

von Regine Mehl

Die allmähliche Unwandlung der Abschlussprüfungen an Universitäten und Hochschulen von spezifisch deutschen Studienabschlüssen hin zu weltweit anerkannten Bachelor-, Master- und PhD-Zertifikaten (undergraduate-, graduate- und postgraduate-studies), hat es im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland ermöglicht, dass bisher an fünf Universitäten neue Masterstudiengänge entwickelt und eingerichtet wurden, die zwar unterschiedlich benannt sind, aber – trotz aller Unterschiede – Ähnliches vermitteln möchten. Ob diese formale Angleichung an das im wesentlichen anglo-amerikanisch geprägte System der Wissensvermittlung und des Wissenschaftsverständnisses auch einen Qualitätsschub für den akademischen und gesellschaftspolitisch relevanten Transfer friedenswissenschaftlicher Inhalte in Deutschland erbringen wird, kann gleichwohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden.

Dass Inhalte und Methoden, die die Friedenswissenschaft (d.h. Friedens- und Konfliktforschung sowie Friedenspädagogik) prägen, bislang nicht zum Gegenstand eines eigenständigen Lehrstoffs erhoben wurden, könnte auch auf der Annahme basieren, dass diese multidisziplinär (und erwünscht auch interdisziplinär) angelegt sei, ihre Gegenstände daher die Inhalte des gesamten universitären Fächerkanons zu bereichern hätten. Dies realisierte sich allerdings – vor allem im Bereich der Theoriebildung – nur selten, womit sich die Friedenswissenschaft mit der feministischen Wissenschaftstheorie bzw. den policy-orientierten »gender-studies« in guter Gesellschaft befindet.

Ganz anders hingegen sind die Erfahrungen in jenen Ländern, in denen »Peace and Conflict Studies« schon lange – in den USA seit 1948 – in der universitären Lehre als eigenständiges Fach verankert sind.

Friedenslehre hat Geschichte – aber nicht in Deutschland

1948 wurde im Manchester College (Indiana, USA) das erste »Peace Studies« Programm weltweit für einen Bachelorstudiengang entwickelt und als eigenständiges Lehrfach im College verankert.1 Seither – auch aufgrund der positiven Erfahrungen durch das große Interesse der Studierenden an Friedensthemen nach den Verwerfungen des II. Weltkriegs und dem entsprechenden Engagement der Vereinigten Staaten auf den europäischen und asiatischen Kriegsschauplätzen – sind die »Peace and Conflict Studies« (PACS) in etlichen Universitäten auf dem amerikanischen Kontinent, in West- und Nordeuropa sowie vereinzelt auf anderen Kontinenten in ausgefeilten Curricula entwickelt worden. Heute sind sie in mehr als 100 Universitäten weltweit als eigenständiges Lehrfach mit interdisziplinärem Anspruch vertreten.2

Der Impuls ging von den Vereinigten Staaten gewissermaßen »zurück nach Europa«, nachdem zuvor britische und irische Quäker, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in die neue Welt emigriert waren, dort die Idee gewaltfreier Konfliktbearbeitung in zwischenstaatlichen Beziehungen sowohl zivilgesellschaftlich (in Friedensbewegungen sowie in universitärer Forschung und Lehre) als auch auf der staatlichen Ebene etablierten.

Vor allem der britische Mathematiker Lewis Fry Richardson (1881-1953), Quäker und überzeugter Pazifist, hat diesen positiven »Backlash« der emigrierten Kollegen aus den Vereinigten Staaten aufgegriffen und sich – beeinflusst durch die Verwüstungen der beiden Weltkriege – vehement für die akademische Etablierung der »Peace Studie« als pazifistischer Alternative zur bereits weithin etablierten Lehre von den internationalen Beziehungen eingesetzt. Daher ist auch eines der weltweit anerkanntesten friedenswissenschaftlichen Institute nach ihm benannt: das »Richardson Institute for Peace and Conflict Research« an der Universität Lancaster in England (gegründet 1959).

Im selben Jahr initiierte der norwegische Friedensforscher Johan Galtung die Gründung des »Peace Research Institute Oslo« (PRIO). Bei dieser und weiteren Institutsgründungen innerhalb und außerhalb von Hochschulen in Großbritannien und Skandinavien ist bemerkenswert, dass man sich zwar stets um die curriculare Vermittlung von Friedensforschungsinhalten nach dem anglo-amerikanischen Vorbild bemühte, d.h. um eine Verbindung von theoretischer Forschung und praktischer Anwendung. Nichtsdestoweniger nahm die rein akademische Forschung stark Überhand. Erst Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre kamen im Zuge der Entwicklung einer modernen Friedenspädagogik und unter dem Druck, über die praktische Vermittlung und Umsetzung der Forschungsresultate aus dem »Elfenbeinturm« Rechenschaft ablegen zu sollen, neue Initiativen auf, einschlägige Curricula zu entwickeln – allerdings nicht in der Bundesrepublik Deutschland.3

Friedenslehre – aber welche?

Im Laufe der letzten 30 Jahre führten Wissenschaftspositivismus und -pragmatismus überall auf der Welt, wo »Peace and Conflict Studies« als curriculare Studiengänge entwickelt worden sind, alsbald zu einer gegenständlichen Begriffsausdehnung – weit über den von L. F. Richardson konsequent befürworteten pazifistischen Ansatz hinaus. Immer mehr Elemente (Methoden, Theorien) der klassischen Disziplin der Internationalen Beziehungen wurden in den Forschungs- und Lehrbereich der Friedenswissenschaften integriert. Ohne diese »Bodenhaftung« wäre eine rein normative Orientierung wissenschaftlich auch nicht valide und hielte seriöser Überprüfung nur in den seltensten Fällen stand.

Diese Wissenschaft, die das Interdisziplinäre programmatisch und daher in allen Peace-Studies-Programmen weltweit einfordert, hatte es in Deutschland bis zur Gründung der in diesem Dossier dargestellten Studiengänge nicht geschafft, dass für sie ein eigenständiges Curriculum im Rahmen des Fächerkanons an den Hochschulen entwickelt worden war. Diejenigen, die sich als akademische Vertreter/innen und Lehrer/innen der Friedenswissenschaft verstanden, fühlten sich vielmehr berufen, deren inhaltliche Anliegen in ihre traditionell vorgegebenen Forschungs- und Lehrgebiete zu integrieren. In anderen europäischen Ländern, im angelsächsischen Raum, aber auch in Universitäten in Asien, Afrika und Lateinamerika wurde die immanent geforderte Interdisziplinarität als Herausforderung verstanden, um daraus Studiengänge zu entwickeln, die breiten formalen und inhaltlichen Ansprüchen genügen sollten – interdisziplinär angelegt, wissenschaftlich valide, am gewalthaltigen Konfliktgeschehen und am gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Krisen orientiert.

Eine multidisziplinäre Sonderrolle im internationalen Vergleich nehmen Masterstudienkurse an japanischen Universitäten ein: Hier sind die »Peace Studies« stets nur ein kleiner Teilbereich der breiter verstandenen »Global Studies« oder »International Studies«. Studierende, die sich für die friedenswissenschaftliche Ausbildung interessieren, müssen in der Regel ihren Masterabschluss innerhalb dieser äußerst umfangreichen Rahmenstudien anstreben.4

Betrachtet man die vielen verschiedenen Studiengänge »Peace and Conflict Studies« im Einzelnen und vergleicht sie untereinander, so fallen nicht nur inhaltlich-definitorische Unschärfen ins Auge, sondern es verfestigt sich ein Eindruck, der auch der forschenden Friedenswissenschaft seit jeher zum Vorwurf gemacht wird: Es handelt sich um einen thematisch schwierig einzugrenzenden »Gemischtwarenladen«, der von allem etwas, aber nur wenig fokussiert vertieftes Wissen anbietet. Man mag daher die Konsequenz, die in Deutschland bis vor einigen Jahren noch daraus gezogen worden war, keine eigenen Studiengänge zu entwickeln, dafür aber die thematische Breite im klassischen Fächerkanon anzubieten, für gerechtfertigt halten. Ebenso sind aber aus dieser Situation auch Argumente für die Entwicklung eigener, fokussierter Curricula abgeleitet worden und haben zu den bislang fünf neuen Studiengängen geführt.

Peace and Conflict Studies: zwei Begriffe – viele Themen

Allen Peace-Studies-Masterstudiengängen, die für diesen Beitrag zum Vergleich herangezogen wurden (etwa 50) ist gemeinsam, dass sie nach einem Creditpoint-System bewertet werden. Allerdings werden Pflicht- und Wahlkurse sehr unterschiedlich gewichtet und zum Teil auch inhaltlich völlig anders aufgebaut.5

Die stets in Anspruch genommene Interdisziplinarität nimmt sich in der praktischen Zusammensetzung der Studiengänge als bunte Multidisziplinarität aus, sowohl was die wahlweise Inanspruchnahme sozial- und geisteswissenschaftlicher Methoden als auch was die thematischen Inhalte aus dem gesamten Fächerkanon der Sozial-, Geschichts- und anderen Geisteswissenschaften,(weniger der Naturwissenschaften) betrifft.

Formal sind die einzelnen Module fast aller Curricula ähnlich gestaltet: Der Studiengang beginnt stets mit der Geschichte der »Peace Studies« und entsprechender Theoriebildung als Grundlagenwissen. Es schließen sich Pflichtkurse an, die im ersten oder zweiten Jahr des in den meisten Fällen viersemestrigen Studiengangs durch Praktika von unterschiedlicher Länge ergänzt werden. Spätestens im zweiten Studienjahr, mancherorts schon im ersten, können Wahlkurse zur Vertiefung und Spezialisierung – je nach Interesse – belegt werden.

Im Gegensatz zu den Peace-Studies-Curricula, die jetzt in Deutschland eingeführt wurden und die unter friedenswissenschaftlicher Perspektive und beginnend mit einem grundlegenden Basismodul sich inhaltlich in einer Spanne zwischen sicherheitspolitisch, auf die staatliche Ebene orientierten Themen und eher zivilgesellschaftlich orientierten Themen, wie Konfliktbearbeitungsmethoden und -fähigkeiten, bewegen, bieten die Masterstudiengänge an den amerikanischen Universitäten und Colleges einen bunten Strauß sehr viel ausdifferenzierterer Themenbereiche an. In Deutschland könnte dieses Phänomen Anlass sein, einmal mehr die multidisziplinäre und wenig fokussierte Beliebigkeit der »Peace Studies« kritisch zu hinterfragen und zum anderen das eigene Curriculum auf thematische Lücken hin zu überprüfen.

Das »Flaggschiff« in den USA – und für viele der Maßstab schlechthin, was Friedenslehre überhaupt sein kann oder sein sollte – ist das »Joan B. Kroc Institute for International Peace Studies« an der University of Notre Dame (Indiana).6 Sich mit einem Zertifikat aus dem Kroc-Institut auf dem entsprechenden Arbeitsmarkt zu bewerben, bedeutet bis heute, ganz vorne auf einer Bewerbungsliste zu landen. Am Aufbau sowohl des BA- als auch des Masterstudiengangs haben sich seit Gründung des Instituts im Jahr 1986 weltweit viele Peace and Conflict Studies-Programme orientiert. Für die Studierenden des Masterprogramms sind fünf Hauptmodule Pfichtbestandteil eines Studiums, das durch die zusätzliche Wahl verschiedenster weiterer Module viele Ausdifferenzierungen gemäß den eigenen Neigungen und Interessen erfährt: (1) Globale Politik und internationale Normen; (2) Religion und ethische Aspekte von Konflikt; (3) Politische Ökonomie von Krieg, Frieden und nachhaltiger Entwicklung; (4) Kultur, Krieg und Frieden sowie (5) Konfliktanalyse und Konflikttransformation.7

Naturgemäß sind die Curricula überall im Grunde davon geprägt, welche Kernkompetenzen die jeweiligen Lehrenden in Aufbau und inhaltliche Gestaltung des Studiengangs einbringen und in der Lehre umsetzen können. Neben der grundsätzlichen Orientierung am Curriculum des Kroc-Instituts finden sich bei den Studiengängen sowohl in den USA als auch in der übrigen Welt eine signifikante Anzahl thematischer Schwerpunktsetzungen, die vom jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld und den sozioökonomischen Kontexten des eigenen Landes geprägt sind. In den US-amerikanischen Masterstudiengängen spielt die Lehre über die Konflikte, Krisen und Kriege, in denen die US-Administration involviert ist, eine herausragende Rolle. An Hochschulen, die von religiösen Gemeinschaften finanziell stark unterstützt bzw. getragen werden, stehen religiöse und ethische Fragen in Konflikten und Friedensprozessen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.8

Insgesamt weisen die »Peace and Conflict Studies« in den USA und Kanada eine relativ ausgeprägte zivilgesellschaftliche Komponente auf, da viel über Friedens- und Menschenrechtsbewegungen und deren Kontexte gearbeitet und gelehrt wird. Die Betrachtung der sog. Meso-Ebene, die die Friedensfähigkeit von Gesellschaften, zivilgesellschaftliches Engagement bei Gruppenkonflikten und Konfliktbearbeitungsfähigkeiten zu beschreiben oder gar zu messen versucht, ist häufig stärker ausgeprägt, als die Betrachtung der Themenbereiche der sog. Makroebene, die die jeweiligen staatlichen (Macht-) Strukturen und ihre handelnden Akteure beschreiben will.9

Einige Masterstudiengänge in den USA nennen sich »Peace and Justice Studies« und verweisen damit auf thematische Schwerpunkte oder haben wie in Australien (Adelaide), Kolumbien, Argentinien oder Südafrika entsprechende Schwerpunkte in den Curricula, in denen ein gerechter gesellschaftlicher Wiederaufbau nach Bürgerkriegen und Versöhnung sowie ausgleichende Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung für kriegsgeschädigte Regionen wissenschaftlich erforscht und gelehrt werden.10

Drei Masterstudiengänge der besonderen Art sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, weil man sie aufgrund massiver Demokratiedefizite (Indonesien und Nigeria) und eines besonders schwierigen Umfelds (Israel) dort nicht unbedingt vermuten würde: An der Universität Ibadan (Nigeria), an der Universität Gadjah Mada (Indonesien) und an der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan (Israel) leisten die Masterstudiengänge nicht nur eine umfassende grundlegende und weiterführende Ausbildung, sie sind darüber hinaus trotz ihrer immensen thematischen Vielfalt in allen Bereichen auf das Wesentliche fokussiert, was »Peace and Conflict Studies« ausmacht: die Analyse konfliktursächlicher Gewalt und Verwerfungen sowie die praktische und visionäre Entwicklung ausgleichender Politikkonzepte, deren Kernpunkt die Überwindung staatlicher und gesellschaftlicher Gewalt ist.11

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das »Alte Europa« mit dem 1973 gegründeten »Department of Peace Studies« und dessen BA-, Master- und PhD-Studiengang an der Universität Bradford (England) ebenfalls globale Maßstäbe setzte, an dem sich inzwischen andere Universitäten (vor allem in Großbritannien und Irland sowie in den skandinavischen Ländern) orientieren.12 Die Vielfalt der Abschlüsse ist Vorbild: Bradford bietet nicht nur einen undergraduate- und einen PhD-Studiengang an, sondern auch drei verschiedene Masterabschlüsse innerhalb des Peace-Studies-Curriculums:

  • MA in Peace Studies
  • MA in Konfliktbearbeitung und
  • MA in Internationaler Politik und Sicherheitsforschung.

Thematische Breite und Tiefe, die durch eine sehr gute personelle und infrastrukturelle Ausstattung des Fachbereichs gewährleistet werden können, suchen in Europa ihresgleichen.

In England ist außerdem das schon erwähnte »Richardson Institute for Peace and Conflict Research« mit seinem Masterangebot beispielgebend, etwa für den Aufbau der entsprechenden Studiengänge in Irland an der Universität Limerick und am Trinity College in Dublin. Diese beiden zuletzt genannten stellen im Aufbau ihrer Studiengänge außerdem den Nordirlandkonflikt ins Zentrum der Lehre und damit das beispielhafte Lernen über einen gewalthaltigen und in den Ursachen historisch weit zurückgehenden Konflikt.13

Insgesamt findet man das dichteste Netz von Peace and Conflict Studies-Masterangeboten in Europa in Großbritannien und Irland, gefolgt von den skandinavischen Ländern, etwa an den Universitäten Göteborg und Uppsala (Schweden) sowie an den Universitäten Oslo und Tromsø (Norwegen).14

Vielfalt der Peace and Conflict Studies – eine Herausforderung

Dieser Beitrag konnte nur einen kleinen und punktuellen Einblick in die thematisch und methodisch multidisziplinäre und äußerst bunte Welt der »Peace and Conflict Studies« geben. In einem permanenten Prozess der Weiterentwicklung sind die Protagonist/inn/en dieser Studiengänge dazu aufgerufen, sich – bei aller Schwierigkeit und methodischen Komplexität – fortlaufend um Interdisziplinarität, begriffliche Klarheit in der Vielfalt, um normative Orientierung versus positivistischer Linearität und um die angemessene akademische und populäre Vermittlung der Inhalte dieser »Überlebenswissenschaft« (Gustav Heinemann) zu bemühen.

Ob als Appell verstanden oder als Selbstverständlichkeit – der Beitrag der »Peace and Conflict Studies«, Bewusstsein friedensfördernd zu verändern, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Weiterführende Websites

Für umfassende Informationen empfehlen sich diese beide Meta-Websites, über die nahezu alle akademischen Peace and Conflict Studies Programme global verlinkt sind http://directory.google.com/Top/Society/Issues/Peace/Peace_Studies/ www.incore.ulst.ac.uk/services/cds/ metadata/programs.html.

Dr. Regine Mehl ist Leiterin der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB), www.priub.org.

| Die Förderung von Masterstudiengängen durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung

Zielsetzungen und Förderaktivitäten

von Thomas Held

Die Ausschreibung von Fördermitteln zur Einrichtung von geistes- und sozialwissenschaftlichen Masterstudiengängen »Friedens- und Konfliktforschung« an deutschen Hochschulen vom Dezember 2001 stieß auf ein unerwartet großes Interesse. Aus den insgesamt acht Bewerbungen konnten nach dem Begutachtungsverfahren drei Studiengangprojekte, die ihre eigenen Ausbildungsschwerpunkte setzen und unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, in die Förderung aufgenommen werden:

  • Master für Friedensforschung und Internationale Politik, Institut für Politikwissenschaft, Universität Tübingen
  • Master in Peace and Conflict Studies, Zentrum für Konfliktforschung, Universität Marburg
  • Master in Peace Studies, FernUniversität Hagen

Der Studienbetrieb konnte in allen drei Projekten zum Wintersemester 2004/2005 erstmals aufgenommen werden. Die über einen Zeitraum von fünf Jahren geförderten Studiengangprojekte wurden jeweils mit einer Personalstelle (C3-Professur, Juniorprofessur, wissenschaftliche Mitarbeiterstelle) ausgestattet, um den umfangreichen Lehrverpflichtungen nachkommen zu können.

Darüber hinaus fördert die Stiftung ein einjähriges interdisziplinäres Aufbaustudium »Friedensforschung und Sicherheitspolitik«, das vom Kooperationsverbund der deutschen Friedensforschungsinstitute getragen und an der Universität Hamburg zertifiziert wird.

Mit dem Programm zur Struktur- und Nachwuchsförderung verfolgt die Stiftung die Zielsetzung, grundlegende Defizite in Forschung und Ausbildung im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung zu beseitigen und mit der Umsetzung der Fördermaßnahmen neue Akzente in Wissenschaft und Hochschule zu setzen.

Die Curricula der Masterprogramme sollen Raum für innovative Lehrkonzepte und Ausbildungswege bieten, die sich durch ihre inter- und transdisziplinäre Offenheit auszeichnen und zudem praxisorientierte Studienelemente enthalten, die eine Rückkopplung des Theorie- und Methodenwissens ermöglichen.

Des weiteren ist eine Internationalisierung des Studienangebots, z. B. über englischsprachige Lehrangebote, Austauschprogramme und Praktika, gefordert, um zum einen die interkulturelle Kompetenz zu fördern und zum anderen internationalen Ausbildungsstandards zu genügen. Die Stiftung legt großen Wert darauf, dass die Studienangebote sowohl den Erwerb wissenschaftlicher als auch berufsrelevanter Qualifikationen und Kompetenzen einbeziehen.

Die Förderung der Masterstudiengänge zielt somit zum einen auf die Ausbildung und Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses, zum anderen soll der Studienabschluss geeignet sein, die vielfältigen Berufsfelder in Politik, Medien, Wirtschaft und Kultur zu erschließen. Die Stiftung wird die Fördermaßnahmen mit Evaluierungen begleiten, um Rückschlüsse über die Realisierung der Zielsetzungen ziehen zu können.

Dr. Thomas Held ist Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) (www.bundesstiftung-friedensforschung.de)

| Universität Tübingen

Masterstudiengang »Friedensforschung und Internationale Politik«

von Thomas Nielebock

Seit dem Wintersemester 2004/05 bietet das Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen den zweijährigen interdisziplinären Masterstudiengang »Friedensforschung und Internationale Politik« an. Bei einem erfolgreichen Abschluss dieses Studiengangs verleiht die Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Universität Tübingen den akademischen Grad »Master of Arts Friedensforschung und Internationale Politik«.

Zum Wintersemester 2004/05 haben 15 Studierende das Studium in diesem Studiengang aufgenommen, darunter sieben ausländische Studierende oder solche, die ihren ersten Studienabschluss im Ausland erworben haben.

Studienziel

Das Studienangebot richtet sich an Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit einem sozialwissenschaftlichen Erststudium, die in friedenswissenschaftlichen und friedenspolitisch relevanten Bereichen tätig werden wollen. Mit der erneuten Zunahme der Komplexität von Politik durch vermehrte grenzüberschreitende sowie globale Konfliktlagen und Herausforderungen durch Globalisierung und Fragmentierung im Zuge der Denationalisierung von Politik wächst zugleich auch der Bedarf an sozialwissenschaftlicher Kompetenz, insbesondere auf den Gebieten der Krisenprävention, Konfliktbearbeitung, Friedensförderung und des Weltregierens. Im Masterstudiengang »Friedensforschung und Internationale Politik sollen die notwendigen Kompetenzen vermittelt werden, um mit den neuen Herausforderungen für den Frieden umgehen zu können.

Als mögliche Berufsfelder der Absolventinnen und Absolventen dieses Studiengangs sind zu nennen der Diplomatische Dienst, die Arbeit in internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs; Wirtschaft), Wissenschaft und Forschung, Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktmanagement, die Medien und die politische Bildung.

Im Mittelpunkt des Masterstudiengangs stehen sowohl das forschende als auch das erprobende Lernen friedenswissenschaftlicher Zusammenhänge. Zum einen sollen die Dynamiken, Prozesse und Strukturen gewaltförmiger Konflikte analysiert und diese Analyse durch praxisrelevante Erfahrungen vertieft werden. Zum anderen geht es darum, Chancen und Möglichkeiten von Kooperation zur Bewältigung internationaler und innergesellschaftlicher gewaltträchtiger Konflikte kennen zu lernen. Gestützt auf methodisch gesicherte und theoretisch fundierte Grundlagenforschung werden Konzepte, Institutionen und Strategien der Gewaltprävention und friedlicher Konfliktbearbeitung kritisch überdacht, entworfen und weiterentwickelt. Ferner werden Einblicke in die ethischen Fragen der Internationalen Politik vermittelt, wird Frieden als normativer Leitwert beruflicher und insbesondere wissenschaftlicher Arbeit nahe gebracht.

Die Seminare und Vorlesungen geben einen fundierten Einblick in verschiedene Bereiche der internationalen Politik unter friedenswissenschaftlicher Perspektive (z.B. Sicherheit, Umwelt, Menschenrechte, Wirtschaft). Es stehen Probleme wie Krieg und Frieden in verschiedenen Weltregionen auf dem Programm sowie

  • Weltordnungsprobleme und Internationales Regieren als Herausforderung für Kooperation und den friedlichen Wandel im internationalen System,
  • die Rolle Internationaler Organisationen (z.B. EU, UNO, MERCOSUR, NATO),
  • die Bedeutung regionaler Integrationsprozesse als Wege zur Schaffung von Zonen stabilen Friedens,
  • die Möglichkeiten von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (NGOs; Multinationale Konzerne), kooperative Strategien bei der Bearbeitung transnationaler Probleme zu verfolgen.

Die Analyse der Außenpolitik ausgewählter Länder und Theorien über internationale Beziehungen und Frieden sowie Methodenprobleme der Analyse internationaler Politik aus friedenswissenschaftlicher Perspektive sind ebenfalls fester Bestandteil des Lehrangebots.

Die Lehrmethoden sind vielfältig und sollen ein forschendes und selbst erprobendes Lernen der Studierenden ermöglichen. Aus diesem Grunde wird ein Großteil der Lehrveranstaltungen in Form von Seminaren durchgeführt. Im Zentrum steht dabei der Seminartyp, bei dem die Studierenden eine Problemstellung durch Recherche und Analyse selbst bearbeiten müssen. Daneben werden aber Seminare auch in Form von Lektürekursen, als Projektkurse (u.a. im Bereich der Friedenspädagogik), als Kurse zur Konzipierung von Forschungsprojekten sowie mit mehrtägigen Simulationselementen (Model United Nations; Mediation in internationalen Konflikten) durchgeführt. Einige der Lehrveranstaltungen schließen Exkursionen (u.a. Wien, Straßburg, Brüssel zum Thema Europäische Sicherheit; New York im Rahmen des Simulationsprojekts Model United Nations) und Kompaktphasen mit ein. Außerdem werden Seminare auch von Lehrbeauftragten angeboten, die in für die Schwerpunkte relevanten Berufsfeldern als ausgewiesene Expertinnen und Experten tätig sind und so neben dem politischen Praxisbezug auch zugleich einen Einblick in ein Berufsfeld geben. Das Lehrprogramm sieht auch englischsprachige Veranstaltungen vor.

Friedensforschung in Tübingen

Mit der Einführung des Masterstudiengangs »Friedensforschung und Internationale Politik« knüpft die Universität Tübingen an eine langjährige und erfolgreiche Tradition friedenswissenschaftlicher Grundlagenforschung und Lehre an.

Nachdem sich Ende der sechziger Jahre Lehrende und Studierende, die an Fragen der Friedensforschung interessiert waren, als Arbeitgruppe Friedensforschung (AGFF) konstituiert hatten, wurde 1972 mit der Einrichtung des Lehrstuhls »Internationale Beziehungen/ Friedens- und Konfliktforschung« und dessen Besetzung mit Professor Volker Rittberger, Ph.D., eine erste dauerhafte Verankerung dieses Forschungs- und Lehrschwerpunktes an der Universität Tübingen erreicht. 1991 wurde die Abteilung »Internationale Beziehungen/ Friedens- und Konfliktforschung« gebildet und 1996 der Magisterstudiengang »Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen« eingerichtet.

Seit 1968 hat die AGFF und spätere Abteilung Internationale Beziehungen/Friedens- und Konfliktforschung eine ganze Reihe von Projekten durchgeführt, die von der Friedenserziehung, über Abrüstungsfragen bis hin zu Theorien der Internationalen Beziehungen reichten. Die inhaltlichen Forschungsschwerpunkte des Instituts lagen in den letzten Jahren insbesondere auf der Analyse internationaler Regime und internationaler Organisationen, der vergleichenden Außenpolitikanalyse unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Außenpolitik seit der Vereinigung und der Analyse der Rolle nicht-staatlicher internationaler Organisationen (NGOs).

Ein erst jüngst etablierter Forschungsbereich untersucht im Zuge der zunehmenden Entstaatlichung des Krieges und Denationalisierung im Sicherheitsbereich die wachsende Rolle nicht-staatlicher Akteure. Der Forschungsschwerpunkt gilt dabei insbesondere dem eskalationsfördernden bzw. de-eskalierenden Potenzial von Unternehmen und Religionsgemeinschaften in Konflikten.

In der Lehre werden seit Anfang der 1970er Jahre regelmäßig Veranstaltungen angeboten, die in die Hauptfragestellungen der Friedens- und Konfliktforschung einführen und die zu ausgewählten Problemstellungen Vertiefungen zulassen. Mit der Etablierung des Masterstudiengangs »Friedensforschung und Internationale Politik« und der damit einhergehenden und von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderten Einrichtung einer gleichnamigen Professur erfährt diese langjährige Lehrtradition eine deutliche Verstärkung. Die Professur wurde mit Dr. Andreas Hasenclever besetzt, dessen Forschungsschwerpunkte die Rolle von Religionsgemeinschaften in Konflikten sowie die Theorie des demokratischen Friedens darstellen.

Mit dem Institut für Friedenspädagogik Tübingen, der Stiftung Weltethos, dem Zentrum für Konfliktmanagement und dem Graduiertenkolleg »Globale Herausforderungen – transnationale und transkulturelle Lösungswege«, zu denen vielfältige Kooperationsbeziehungen bestehen, gibt es zudem ein anregendes und herausforderndes Umfeld.

Studienprogramm

Das Studienprogramm teilt sich inhaltlich in sieben verschiedene Module. Insgesamt sind 120 Leistungspunkte für ein erfolgreiches Studium nachzuweisen.

Das obligatorische Grundlagenmodul 1 und 2 führt in die Grundfragen der Friedensforschung ein, behandelt ihre Methoden, Probleme und Theorien und vermittelt darüber hinaus Kenntnisse über die Grundzüge der Weltpolitik. Die Wahlpflicht-Module (3-7) decken möglichst breit das Gesamtspektrum der Themenfelder der Friedensforschung ab und bieten eine Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten an.

Thematisch geeignete Lehrveranstaltungen aus anderen Fächern gehören ebenfalls zum Studienprogramm.

Übersicht über die Lehrveranstaltungen

Modul 1: Grundlagen der Analyse internationaler Politik aus friedenswissenschaftlicher Perspektive (Pflichtbereich)

Friedens- und Konfliktforschung: normative Grundlagen, Entwicklung, Hauptfragestellungen (Kompaktseminar vor Semesterbeginn)
Methodenprobleme der Analyse internationaler Politik aus friedenswissenschaftlicher Perspektive
Theorien über internationale Beziehungen und Frieden
Ethische Fragen der Internationalen Beziehungen aus friedenswissenschaftlicher Perspektive

Modul 2: Analyse zentraler Konflikte der internationalen Politik und ihrer Bearbeitung (Pflichtbereich

Grundzüge der Weltpolitik (VL) oder Geschichte der Internationalen Beziehungen
Internationale Institutionen (VL)
Modernisierungs-, Transformations- und Entwicklungstheorien (VL)
Internationale Ordnungsprobleme/ Internationale Politikfeldanalysen
Gewaltträchtige Konflikte und deren Austrag in und zwischen Gesellschaften

Modul 3: Akteure und ihr Handeln in globaler Perspektive (Wahlpflichtbereich)

Außenpolitik-Analyse (VL)
Vergleichende Außenpolitik-Analyse (Industrieländer)
Internationale Beziehungen einer außereuropäischen Region
EU in der internationalen Politik
NGOs in der internationalen Politik
Verhandlungen und Mediation (mit Simulation)
Friedenskompetenz und Konfliktfähigkeit/ Friedenspädagogik
Globales Lernen/ Friedenspädagogik
Thematisch passende Lehrveranstaltung aus affinen Fächern (z.B. Rechtswissenschaften,
Wirtschaftswissenschaften, Ethnologie, Psychologie, Sprachwissenschaften)

Modul 4: Weltordnungsprobleme und Internationales Regieren (Wahlpflichtbereich)

Grundzüge der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung I und II (VL)
Völkerrecht (VL)
Weltordnungspolitik/ global governance
UN System (mit Model United Nations)
Internationale Beziehungen einer außereuropäischen Region
oder Internationale Sicherheit in Europa (mit Exkursion)
Globales Lernen/ Friedenspädagogik
Integrationstheorien- und prozesse
Entwicklungen der europäischen Integration
Thematisch passende Lehrveranstaltung aus affinen Fächern (z.B. Psychologie, Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften)

Modul 5: Krieg und Frieden (Wahlpflichtbereich)

Politische Philosophie des Friedens und des Krieges
Konfliktanalyse und Internationales Konfliktmanagement
Weltordnungspolitik/ global governance
Gesellschaftliche Voraussetzungen von Frieden und Friedlosigkeit
Verhandlungen und Mediation (mit Simulation)
Integrationstheorien und -prozesse oder Struktur- und Entwicklungsprobleme in außereuropäischen Regionen
Friedenskompetenz und Konfliktfähigkeit/ Friedenspädagogik
Entwicklungs- und Strukturprobleme einer Region (VL)
oder Internationale Sicherheit in Europa (mit Exkursion)
Thematisch passende Lehrveranstaltung aus affinen Fächern (z.B. Ethnologie, Psychologie, Sprachwissenschaften)

Modul 6: Gewaltträchtige Konflikte in außereuropäischen Regionen (Wahlpflichtbereich)

Grundzüge der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung I u. II (VL)
Entwicklungs- und Strukturprobleme einer Region (VL)
Internationale Beziehungen einer außereuropäischen Region (VL)
Entwicklungstheorie und -politik
Entwicklungs- und Strukturprobleme einer Region
Konfliktanalyse und Internationales Konfliktmanagement
Weltordnungspolitik/ global governance
Gesellschaftliche Voraussetzungen von Frieden und Friedlosigkeit
Thematisch passende Lehrveranstaltung aus affinen Fächern (z.B. Ethnologie, Psychologie, Geographie, Kulturwissenschaften)

Modul 7: Europa als Friedenszone (Wahlpflichtbereich)

EU als politisches System (VL)
Europarecht (VL)
Weltordnungspolitik/ global governance
EU in der internationalen Politik
Integrationstheorien und -prozesse
Entwicklungen der europäischen Integration
Internationale Sicherheit in Europa (mit Exkursion)
Gesellschaftliche Voraussetzungen von Frieden und Friedlosigkeit
Thematisch passende Lehrveranstaltung aus affinen Fächern (z.B. Ethnologie, Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften)

Abschluss

Forschungsseminar
Examensarbeit

Studienbeginn und Studiendauer

Ein Studienbeginn des MA-Studiengangs »Friedensforschung und Internationale Politik« ist immer nur zum Wintersemester möglich. Die Studiendauer für den MA-Studiengang »Friedensforschung und Internationale Politik« beträgt in der Regel vier Semester (Regelstudienzeit). In dieser Zeit sind insgesamt 120 Leistungspunkte (LP) zu erwerben.

Für die Studienanfänger beginnt das Wintersemester jeweils eine Wochevordem regulären Beginn mit dem Seminar »Friedens- und Konfliktforschung«.

Zulassungsvoraussetzungen

Zum Masterstudiengang »Friedensforschung und Internationale Politik« kann zugelassen werden, wer über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügt und die BA-Prüfung oder eine gleichwertige Prüfung im Fach Politikwissenschaft oder in einem vergleichbaren sozialwissenschaftlichen Studiengang mindestens mit der Note »gut« (2,5 und besser) abgeschlossen hat. Die Bewerbung muss bis zum 15. Juli (Ausschlussfrist) erfolgen. Gute Englisch-Kenntnisse müssen nachgewiesen werden. Ausländische Studierende müssen darüber hinaus gute Kenntnisse der deutschen Sprache und ggfs. die Sprachprüfung HDS nachweisen.

Weitere Informationen

Detaillierte Informationen finden sich unter:
www.uni-tuebingen.de/polmasterfip/ (Informationen zum Studiengang)
www.uni-tuebingen.de/pol/lehre.htm (Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis)
http://www.uni-tuebingen.de/studentensekretariat/download.html (Bewerbungsunterlagen für deutsche. Staatsangehörige)
http://www.uni-tuebingen.de/abz/abzinfo/Auslinfo/Zulassung_deutsch.pdf (deutsch) (Bewerbungsunterlagen für ausländische Staatsangehörige)
Über das Institut insgesamt informiert am ausführlichsten die Homepage des Instituts: www.uni-tuebingen.de/pol/

Dr. Thomas Nielebock ist Wiss. Mitarbeiter des Instituts für Politikwissenschaften, Abt. Internationale Beziehungen/Friedens- und Konfliktforschung, der Eberhard Karls Universität Tübingen

| Philipps-Universität Marburg

Masterstudiengang »Friedens- und Konfliktforschung«

von Lars Schmitt

Mit dem Wintersemester 2004/05 hat die Marburger Philipps-Universität ihren Hauptfachstudiengang Friedens- und Konfliktforschung aufgenommen, der mit einem Master of Arts Degree nach vier Semestern Regelstudienzeit und einem Gesamtarbeitsaufwand von 120 Leistungspunkten abgeschlossen wird. Der Studiengang wird von der Deutschen Stiftung Friedensforschung umfangreich unterstützt. Er soll dazu qualifizieren, politische Konflikte mit globalem Bezug analysieren, Konfliktregelungsmöglichkeiten erarbeiten und darüber hinaus selbst bei der Bearbeitung von Konflikten mitwirken zu können. Die hierzu notwendigen analytischen und Handlungskompetenzen sowie weitere Schlüsselqualifikationen werden durch ein praxisorientiertes, international ausgerichtetes, interdisziplinäres Curriculum vermittelt, das mit einer problemorientierten Didaktik des dialogischen Lernens und Lehrens arbeitet, auf Kleingruppenarbeit zurückgreift und dabei Methoden wie Rollen- und Planspiele, Szenariotechniken und Videopräsentationen zur Anwendung bringt.

Mit dem Masterstudiengang erweitert die Philipps-Universität Marburg ihr Ausbildungsangebot in der Friedens- und Konfliktforschung. Seit 1996 gibt es einen sehr erfolgreichen Magister- und Diplomnebenfachstudiengang mit zuletzt 300 Studierenden pro Semester. Die große Nachfrage durch Studierende und der von einschlägigen Institutionen angemeldete Bedarf an qualifiziertem Personal – etwa im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung – haben uns dazu bewogen, mit dem Wintersemester 2004/05 einen Masterstudiengang anzubieten.

Das Studienprogramm wird vom interdisziplinären Zentrum für Konfliktforschung entwickelt und durchgeführt. Das Zentrum wurde vor drei Jahren gegründet. In ihm arbeiten zur Zeit 50 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus 14 Fachbereichen. Forschungsschwerpunkte des Zentrums sind Interdisziplinäre Theorieentwicklung, Gewaltforschung, Intergruppenkonflikte, Konfliktregelung, Trans- und internationale Konflikte, Normkonflikte und Normbildung.

Wie sollen diese Ziele erreicht werden?

Im Mittelpunkt des Masterstudiengangs stehen politische Konflikte, die einen weltgesellschaftlichen Bezug aufweisen. Dies stellt eine notwendige Reaktion auf den globalen politischen und gesellschaftlichen Wandel dar, der u.a. dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Vielzahl von Konflikten nicht mehr primär innerhalb eines Nationalstaates und zwischen souveränen Nationalstaaten ausgetragen werden. Vielmehr zeigen Phänomene wie die »neuen Kriege«, humanitäre Interventionen, wie Gewaltmärkte und interethnische Konflikte, aber auch die Etablierung transnationaler Institutionen der Konfliktregelung und die Entwicklung globaler normativer Standards eine Veränderung der traditionellen, oftmals an nationalstaatlichen Grenzen entlang verlaufenen Konfliktlinien. Dieser Wandel macht in sich bereits deutlich, dass die inhaltliche Ausrichtung der Wissensvermittlung nur einen Teil darstellen kann, jenem Wandel zu begegnen. Vielmehr ist bereits die Analyse von Konflikten zunehmend auf interdisziplinäre Kooperation angewiesen. Auch scheint die Fähigkeit an Bedeutung zu gewinnen, sich in »fremde« Perspektiven hineinversetzen, eigene (lebensweltliche, politische, kulturelle und wissenschaftstheoretische) Positionen relativieren zu können. Derartige Kompetenzen sind nur durch Übung zu erwerben. Dies macht eine didaktische Konzeption erforderlich, die ein eigenverantwortliches dialogisches Lernen in Kleingruppen fördert und mit Methoden wie Rollen- und Planspielen dieses Einüben ermöglicht. Dadurch soll nicht nur das Wissen »tiefergehend« vermittelt und der analytische Blick geschärft werden. Vielmehr ist für das zweite wichtige Qualifikationsziel, nämlich bei der Bearbeitung von Konflikten im internationalen Kontext in Konzeption und Praxis mitwirken zu können, die didaktische Ausrichtung sehr bedeutsam. Das Erreichen dieses praxisorientierten Qualifikationsziels soll darüber hinaus durch feste curriculare Bestandteile ermöglicht werden, wie zum Beispiel durch ein ca. zehnwöchiges internationales Praktikum aus dem Bereich der Konfliktregelung, eine transdisziplinär entwickelte Konfliktregelungsübung sowie durch Workshops zu Konfliktanalysen in englischer Sprache. Die Fähigkeit, im interdisziplinären Kontext forschen zu können, soll v.a. durch interdisziplinäre Forschungsseminare erworben werden.

Zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung werden das gesamte Masterprogramm sowie die einzelnen Module und Lehrveranstaltungen fortlaufend evaluiert. Diese Evaluation nehmen die Lehrenden und Studierenden des Masterprogramms vor. Darüber hinaus wird der Studiengang auch extern evaluiert.

Gegenstand und inhaltliche Ausrichtung

Wie bereits erwähnt stehen Konflikte im Mittelpunkt, die im Zuge des weltgesellschaftlichen Wandels virulent werden und sich lokal, regional und global in breitenwirksamen Auseinandersetzungen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen und Identitäten äußern. Im folgenden sind einige Beispiele von Themenbereichen des Studiengangs aufgeführt:

  • Humanitäre Hilfe und humanitäre Interventionen
  • Internationaler Terrorismus
  • Bundeswehr nach dem Ende des Ost-West-Konflikts
  • Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
  • Innerstaatliche Kriege und Friedensprozesse
  • Rolle von NGO´s in Krisengebieten
  • Peace-Buildung in Post-Konflikt-Gesellschaften
  • Die Herausforderung des islamischen Fundamentalismus
  • »Versicherheitlichung« als kulturelle Grundlage demokratischer Staaten?
  • Massenmedien und gewaltsame Konflikte
  • Ungleichheit als Ursache für unterschiedliche Arten von Konflikten
  • Politischer Protest
  • Konfliktnachsorge bei ethnischen Konflikten
  • Umweltkonflikte
  • Natur als Waffe – Bioterrorismus
  • Modernisierungs- und Entwicklungskonflikte
  • Internationale Strategien zur Armutsbekämpfung
  • Gesellschaftliche Desintegration als Ursache für Menschenfeindlichkeit
  • Friedensstrategien
  • »Gewaltmärkte« und informelle Ökonomien in Bürgerkriegen

Ein Schwerpunkt des Masterstudiengangs liegt bei den Konfliktregelungen. Damit wird einerseits der für die Friedens- und Konfliktforschung charakteristische Praxisbezug und andererseits das analytische Interesse an Friedens-, Präventions- und Deeskalationsprozessen zur Geltung gebracht. Mit einem solchen Schwerpunkt sollen zugleich die jüngsten und weiterhin zu erwartenden Entwicklungen hin zu einer politischen Weltgesellschaft – sichtbar etwa am Internationalen Strafgerichtshof, am postnationalen Konzept von Staatsbürgerschaft oder an der Differenz zwischen einem neorealistischen und einem neoinstitutionalistischen Konzept von Außen- und Sicherheitspolitik – in systematischer Weise berücksichtigt werden. Von hier aus lässt sich dann eine Brücke schlagen zu den transnationalen Politikbezügen von lokal und lebensweltlich handelnden Akteuren.

Didaktik

Das didaktische Konzept, mit dem die Einheit von analytischen und praktischen Kompetenzen im Studiengang gewährleistet werden soll, stellt den studentischen Lernprozess und die qualitative Wissensveränderung – statt einer additiven Wissensvermehrung – in den Mittelpunkt. Im Kern geht es dabei um die Ermöglichung studentischen Lernens durch eine dazu geeignete Lernumgebung, die einerseits studentisches Tiefenlernen fördert und die es andererseits ermöglicht, dass sich die Studierenden kommunikative und interkulturelle Kompetenzen aneignen können. Dies wird dadurch gewährleistet, dass die Lehrveranstaltungen dialogisch konzipiert sind und die Vermittlung von analytischen Fähigkeiten selbst als einen interaktiven Prozess verstehen. Dafür geeignete Methoden sind beispielsweise Rollen- und Planspiele, Simulationen, die Erstellung von Videopräsentationen oder die Durchführung von Workshops und Diskussionsrunden, vor allem aber das Konzept des projekt- und problembasierten Lernens, bei dem Projekte mit einem klaren Problembezug von Kleingruppen selbständig erarbeitet und entsprechende Problem- und Konfliktlösungen präsentiert werden.

Neben den analytischen Kompetenzen erwerben die Studierenden Fähigkeiten, die als Schlüsselqualifikationen der Friedens- und Konfliktforschung gelten können. So wird durch diese Lernform nicht nur soziale Kompetenz im Sinne der Fähigkeit, Perspektivenwechsel vorzunehmen, eingeübt. Trainiert wird durch die Kleingruppenarbeit ferner die Teamfähigkeit der Studierenden, die lernen müssen, ein Thema gemeinsam zu erarbeiten. Diese Gemeinsamkeit kann sich dabei nicht auf die gewohnte Form der Arbeitsteilung beschränken, weil die Präsentation eine Interaktion und die dementsprechende Koordination sowie Kooperation der Gruppe erforderlich macht. Die selbständige Erarbeitung des Konflikts und die selbst gewählte Präsentationsform führt aber nicht nur zu erhöhter Kooperationsfähigkeit, sondern auch zu Selbstverantwortlichkeit und Kritikfähigkeit seitens der Studierenden, da sie die Präsentation in höherem Maße als »ihr« Projekt auffassen können, als dies bei herkömmlichen Referaten der Fall ist. Das Betreuungssystem ist vor allem eine Hilfe zur Selbsttätigkeit und sichert die notwendigen Rahmenbedingungen für ein solches Lernen. Es fängt darüber hinaus die Risiken des Scheiterns ab, die sich aus dieser Lernform zwangsläufig ergeben.

Bevor die interdisziplinären und internationalen Komponenten sowie die konkrete curriculare Umsetzung dieses Ansatzes in aller Kürze vorgestellt werden, sei noch darauf hingewiesen, dass die mit der Gesamtkonzeption einhergehende Vermittlung von Schlüsselqualifikationen (soziale Kompetenz, Organisations- und Medienkompetenz) auch für Tätigkeitsfelder außerhalb der Friedens- und Konfliktforschung immer bedeutsamer wird.

Interdisziplinarität

Am Studienangebot des Masterstudiengangs beteiligen sich unterschiedliche Disziplinen wie etwa die Politikwissenschaft, Soziologie, Erziehungswissenschaft, Psychologie, Theologie, Rechtswissenschaft, Kulturwissenschaft, Medizin, Informatik oder die Biologie. Dies gilt insbesondere für die Seminare zu den Konfliktanalysen und die begleitenden Vorlesungen.

Daneben umfasst das Studienprogramm eine transdisziplinäre Übung zur Konfliktregelung und Mediation, die von verschiedenen Disziplinen gemeinsam entwickelt wurde.

Einen besonderen Stellenwert nehmen die interdisziplinären Forschungsseminare im Studienprogramm ein. Sie werden von wenigstens zwei Lehrenden aus unterschiedlichen Disziplinen angeboten, die gemeinsam mit den Studierenden ein interdisziplinäres Forschungskonzept entwickeln und im Anschluss daran kleinere Projekte dazu durchführen.

Internationalität

Der Masterstudiengang ist durch seine curriculare Modularisierung und die Verwendung des European Credit Transfer Systems (ECTS) Teil des europäischen Prozesses zur Entwicklung vergleichbarer Studienabschlüsse und Studienprogramme. Dadurch ist gewährleistet, dass einzelne Studieninhalte auch im europäischen Ausland erworben werden können und der Abschluss europaweit anerkannt wird.

Zur internationalen Ausrichtung des Masterprogramms gehört das internationale Praktikum, das die Studierenden mit einem Bericht in englischer Sprache abschließen. Darüber hinaus finden regelmäßig Lehrveranstaltungen in englischer Sprache statt, darunter eine der Grundlagenvorlesungen – »Conflict and Conflict Resolution« – sowie verschiedene Konfliktanalysen.

Teil des Studiengangs ist ferner ein Dozentenaustausch mit ausländischen Partneruniversitäten und die Durchführung von Workshops mit ausländischen Experten und Expertinnen aus unterschiedlichen Konfliktregionen und Institutionen, die sich mit Prozessen der Konfliktregelung befassen.

Curriculum und Studienablauf

Das Studienprogramm des Masterstudiengangs folgt einem curricularen Aufbau, erstreckt sich auf vier Semester und umfasst die folgenden sechs Module:
I. Einführungen in die Friedens- und Konfliktforschung
II. Konfliktanalysen und Konfliktregelung
III. Internationales Praktikum
IV. Interdisziplinäre Forschungsseminare
V. Inter- und multidisziplinäre Rahmenvorlesungen
VI. Masterarbeit und Abschlussprüfung

Das Modul I beinhaltet die Einführungsveranstaltungen in das Fach. Neben einer Einführungsvorlesung werden eine Übung und darüber hinaus Seminare zu sozialwissenschaftlichen Konflikttheorien und zu Formen der Konfliktregelung angeboten. Hier sollen die grundlegenden fachgeschichtlichen, begrifflichen und theoretischen Kenntnisse erworben werden.

Darauf aufbauend stehen im Modul II Konfliktanalysen im Mittelpunkt, die jeweils einen Schwerpunkt auf politische, kulturelle, ökonomische und ökologische Faktoren legen. Ebenfalls Bestandteil ist eine transdisziplinäre Übung zur Konfliktreglung und Mediation. Die grundlegenden Kenntnisse des ersten Moduls werden in Modul II an ausgewählten Konflikten vertieft, die Kompetenzen im Bereich der Konfliktregelung durch eine praktische Übung erweitert.

Im Modul III absolvieren die Studierenden ein ca. zehnwöchiges internationales Praktikum im Bereich der Konfliktregelung, das vom Zentrum begleitet und mit den Studierenden vor- und nachbereitet wird.

Das Modul IV überführt die analytischen Fähigkeiten und praktischen Erfahrungen aus den Seminaren, Übungen und dem Praktikum in interdisziplinäre Forschungszusammenhänge. Es besteht aus interdisziplinären Forschungsseminaren zu politischen, ökonomischen, kulturellen und ökologischen Faktoren politischer Konflikte.

Das Modul V rahmt die ersten vier Module durch Grundlagenvorlesungen zum Völkerrecht, zu den Internationalen Beziehungen und zu »Conflict and Conflict Resolution«. Hier werden Grundlagen aus Kernbereichen der Friedens- und Konfliktforschung vermittelt, die für die Analyse politischer Konflikte in der Weltgesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Außerdem werden in der Interdisziplinären Ringvorlesung globale Konfliktszenarien diskutiert.

Im Modul VI wird im Anschluss an eines der beiden Forschungsseminare die 40-60seitige Masterarbeit verfasst und eine einstündige Abschlussprüfung abgelegt.

Die inhaltlichen und thematischen Schwerpunkte der einzelnen Module werden studienbegleitend geprüft und gehen größtenteils in die Masternote anteilsmäßig ein.

Zulassungsvoraussetzungen und Studienabschluss

Zu Beginn des Studiengangs im Wintersemester 2004/05 konnten erstmals knapp 20 Studierende aufgenommen werden. Zulassungsvoraussetzungen sind ein Bachelor- oder diesem gleichwertiger Abschluss sowie gute Englischkenntnisse. Die Zulassung kann mit der Auflage verbunden werden, Veranstaltungen aus dem Bereich der empirischen Sozialforschung zu belegen, sofern keine ausreichenden Methodenkenntnisse in dem grundständigen Studiengang erworben wurden.

Als Abschluss wird ein Master of Arts (M.A.) in Friedens- und Konfliktforschung verliehen und ein Diploma Supplement ausgestellt, das alle Studien- und Prüfungsleistungen dokumentiert.

Dipl.-Soz. Lars Schmitt ist Wiss. Mitarbeiter im Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg Weitere Informationen unter: www.uni-marburg.zfk

| Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Masterstudiengang »Friedens- und Konfliktforschung«

von Britta Krause und Jörg Meyer

Der Studiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist ein viersemestriger Aufbaustudiengang (Master), der sowohl interdisziplinär wie praxisorientiert angelegt ist und jeweils zum Wintersemester aufgenommen werden kann. Er soll auf eine spätere Tätigkeit in der Friedensforschung, in internationalen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen und/oder in der Friedens- und Menschenrechtserziehung vorbereiten und gliedert sich in einen Pflichtbereich (Modul I), vier Schwerpunktbereiche (Module II-V) und einen Praxisbereich (Modul VI).

Das Modul I besteht aus fünf Pflichtveranstaltungen, die im ersten Studienjahr zu belegen sind und deren Lehrinhalte studienbegleitend nach dem zweiten Semester geprüft werden. Die Studierenden sollen in diesem Modul Kenntnisse erwerben, die als Essentials der FKF gelten können. In der Veranstaltung »Theorien und Methoden« werden umstrittene Begriffe wie Frieden, Krieg und Gewalt analysiert, konkurrierende methodische Lehren diskutiert sowie das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis problematisiert. In den weiteren Veranstaltungen wird ein Überblick über aktuelle »Strategien und Instrumente« der Konfliktbearbeitung, rechtliche Argumentationsmuster (Einführung in das Völkerrecht), verschiedene Ansätze der »Internationalen Politischen Ökonomie« und aktuelle Formen der »Menschenrechtspolitik und Menschenrechtserziehung« sowie deren möglichen zivilisierenden Leistungen gegeben.

Abgesehen von den Veranstaltungen des Pflichtmoduls ist der Studiengang bewusst so angelegt, dass die Studierenden eine individuelle Schwerpunktbildung auf einen bis maximal drei Bereiche vornehmen und sich ihr Studienprogramm selbst zusammenstellen. Deshalb werden in jedem Semester Veranstaltungen in allen vier Wahlpflichtmodulen angeboten, wobei die einzelnen Bereiche jeweils von mehreren der an dem Studiengang beteiligten Fächer (u.a. Politikwissenschaft, Soziologie, Kulturwissenschaften, Philosophie, Geschichte, Psychologie) bedient werden, um eine disziplinäre Engführung zu vermeiden. Die vier Schwerpunktbereiche umfassen Veranstaltungen zur Analyse konkreter Konfliktformationen (Modul II), zur Rolle und Wirkungsweise von internationalen Institutionen und Nicht-Regierungsorganisationen in verschiedenen Feldern wie Abrüstung, Ökonomie und Ökologie (Modul III), zu Fragen der inter-/transkulturellen Kommunikation und Bildung einschließlich der diskursiven Produktion von Gewalt (Modul IV) und zu den Möglichkeiten und Grenzen einer regionalen und lokalen Konfliktbearbeitung unter besonderer Berücksichtigung des Engagements »externer« Akteure (Modul V).

Ergänzt wird das Studium um Veranstaltungen mit klarer Praxisorientierung (Modul VI), d.h. Simulations-, Mediations- und Exkursionsseminare, die ebenfalls von verschiedenen Disziplinen bzw. auch in interdisziplinärer Form angeboten werden. Zudem ist ein mindestens vier- bis sechswöchiges Praktikum mit der Anfertigung eines Praktikumsberichts vorgesehen, das zwar durch einen Leistungs- und einen Studiennachweis kompensiert werden kann, was aber nicht empfohlen wird und von den Studierenden bisher auch noch nicht in Anspruch genommen wurde. Den Abschluss des Studiums bildet eine viermonatige Masterarbeit, die durch ein obligatorisches Kolloquium begleitet wird.

Inhaltliche Ausrichtung

Neben der fachlichen Wissensvermittlung hat die Ausbildung kommunikativer Fähigkeiten und kreativer Problembewältigungskompetenzen besonderes Gewicht. Ohne die Vermittlung von faktischen Kenntnissen z.B. über bestehende Institutionen unterbewerten zu wollen, erachten wir vor allem die Förderung methodischer Fähigkeiten für besonders wichtig, die den Studierenden wichtiges Handwerkszeug in Studium und Beruf sein sollen. Dazu zählen nicht nur die bekannten Formen der Datenerhebung und -auswertung bzw. der gebräuchliche Umgang mit Texten als Quelle für Ursachenerklärungen von Kriegen oder Bedingungen des Friedens. Vielmehr sollen Texte auch dahingehend geprüft werden, in welcher Art und Weise Wissen produziert wird, welcher Formen des Begründens sich die AutorInnen bedienen und welche Wirkung wissenschaftliche Theorien entfalten.

Ziel ist es, die Kompetenzen zur eigenständigen Formulierung von Fragestellungen und multiplen Analyse friedenspolitischer Herausforderungen sowie zur kritischen Beurteilung tradierter und der Entwicklung alternativer Formen der Konfliktbearbeitung zu stärken. Dies schließt die Fähigkeit zur Reflektion des eigenen Standpunktes und zu einem kreativen statt dogmatischen Umgang mit Theorien ein, um Distanz zu vorherrschenden Denkweisen einnehmen und neue Perspektiven einbringen zu können. Deshalb sollen an die Studierenden unterschiedliche (u.a. neopositivistische, postmoderne, feministische, postkoloniale) Zugriffe aus verschiedenen Disziplinen herangetragen werden. Obwohl der Studiengang bewusst keine eindeutige inhaltliche Fokussierung vornehmen will, liegen doch die Schwerpunkte weniger im Feld der (militärischen) Sicherheitspolitik als in den Bereichen Kultur, Kommunikation, Mediation, Verhandlung und Ethik.

Didaktik

Grundsätzlich sollten sich die angebotenen Lehr- und Lernformen an den Inhalten und den Vorstellungen über die Erarbeitung dieser ausrichten. Entsprechend herrscht eine Pluralität bzw. »Freiheit der Lehrenden«. Neben eher traditionellen Veranstaltungen wie Vorlesungen (mit Klausur o.ä. für den Erwerb von Studiennachweisen) und Hauptseminaren (mit Referat, Thesenpapier und Hausarbeit für Leistungsnachweise) ist der Studiengang explizit um eine Erweiterung der Lehrformen bemüht. Das Angebot umfasst demzufolge gemäß den jeweiligen Lernzielen die unterschiedlichsten Lehrformen. Dazu zählen u.a.

  • Lektüreseminare. Diese beinhalten unterschiedliche Aufgabenstellungen bezüglich der Verarbeitung der Texte (methodische Kritik, Umwandlung in Zeitungsartikel, Anfertigung politischer Positionspapiere usw.) und zeichnen sich deshalb vor allem durch ihre hohen analytischen und praktischen Anforderungen aus.
  • Simulationsseminare (regionale Konfliktlösung, Model United Nations etc.), welche ein erprobtes und teilweise sehr erfolgreiches didaktisches Mittel sind, um die Funktion und Bedeutung verschiedener Gremien und institutioneller Strukturen für politische Prozesse für Studierende zu plausibilisieren und erfahrbar zu machen.
  • Exkursionsseminare, die einerseits der praktischen Umsetzung vermittelter Lerninhalte dienen, gleichzeitig aber (inter-/trans-)kulturelle Kompetenzen vermitteln sollen. In diesen Seminaren können etwa auch das Erstellen von Fotodokumentationen oder Filmen als Leistungen anerkannt werden.
  • Praxisorientierte Veranstaltungen (z.B. Mediation), die sich konkret mit verschiedenen Konfliktbearbeitungsstrategien befassen.
  • Selbst organisierte Seminare, die von den Studierenden sowohl programmatisch-inhaltlich bis hin zur Einladung von externen Referenten selbst gestaltet werden, gleichzeitig aber auch StudienanfängerInnen den Einstieg in den Masterstudiengang erleichtern und die Integration der Studiengruppe befördern sollen.

Darüber hinaus wird versucht, die Studierenden in die Gestaltung von Aktivitäten über das eigentliche Studium hinaus einzubeziehen, wozu u.a. die Organisation von und Teilnahme an (internationalen) Konferenzen zählt.

Adressaten

Der Studiengang richtet sich vor allem an Absolventen und Absolventinnen sozial- und geisteswissenschaftlicher Studiengänge (mindestens BA). Prinzipiell ist auch eine Zulassung aufgrund eines anderen abgeschlossenen Hochschulstudiums oder Fachholschulabschlusses möglich. In diesem Fall geben ein Motivationsschreiben und praktische Erfahrungen etwa in der Friedensarbeit oder Entwicklungszusammenarbeit den Ausschlag. Das Studium kann jeweils nur zum Wintersemester aufgenommen werden. Bewerbungsschluss für ausländische Bewerber ist der 15. Juli, für deutsche der 15. September. Der Studiengang wird vom DAAD im Rahmen des Programms »Aufbaustudiengänge mit entwicklungsländerbezogener Thematik« gefördert, so dass eine gewisse Zahl von Studienplätzen durch Stipendiaten aus Entwicklungsländern belegt ist. Da es sich um einen Aufbaustudiengang handelt, wird davon ausgegangen, dass die Studierenden bereits mit wissenschaftlichen Arbeitsweisen vertraut sind. Es besteht jedoch die Möglichkeit, Einführungen u.a. in die empirische Sozialforschung, die Politikwissenschaft oder die Kulturwissenschaften zu belegen. Die Lehrveranstaltungen werden teils in deutscher und teils in englischer Sprache abgehalten, weshalb entsprechende Sprachkenntnisse eine Zulassungsvoraussetzung sind.

Studienplan

(siehe Tabelle)

Inhaltsbereiche/Modul Credits insgesamt Leistungsnachweise Studiennachweise
1. Studienjahr
Modul I 24 2 3
1. und 2. Studienjahr
Modul II 56 6 LN aus mindestens zwei und max. drei Modulen 5 SN aus mindestens drei der vier Module
Modul III
Modul IV
Modul V
Modul VI 10 1 1
Für ein fakultatives Praktikum einschl. Praktikumsbericht werden 10 Credits vergeben.
Für die Master’s Thesis werden 20 Credits veranschlagt.
Endsumme 120 9 9

Modul I Grundlagen: Theorien und Methoden der Friedens- und Konfliktforschung; Einführung in das Völkerrecht; Strategien und Instrumente der Konfliktlösung und Konflikttransformation; Internationale Politische Ökonomie, Menschenrechtspolitik und Menschenrechtserziehung.

Modul II Konfliktanalysen: Methoden der multidimensionalen Konfliktanalyse, historische Fallstudien, Aufarbeitung aktueller internationaler und nationaler Konfliktformationen.

Modul III Internationale Institutionen und NGO`s/Globales Regieren: Veranstaltungen zur Geschichte und Wirkungsweise internationaler Organisationen, zur Rolle von NGO`s, zu weltwirtschaftlichen Institutionen und sozialen Polarisierungsprozessen.

Modul IV Kommunikation und Erziehung: Fragen der Menschenrechtspolitik und -bildung, politische Ethik, Rolle von Medien, diskursive Produktion von Gewalt.

Modul V Regionale und lokale Konfliktbearbeitung: Konzepte eines »Good Governance«, Analyse von Peace Keeping-Einsätzen und Maßnahmen eines Aufbaus ziviler Institutionen.

Modul VI Praxisorientierte Seminare: Veranstaltungen zur Konfliktmediation, zur Simulation von Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen, Forschungsexkursionen.

Aktuelles Veranstaltungsverzeichnis Wintersemester 2004/05

Modul I

  • Theorien und Methoden der Friedens- und Konfliktforschung (Prof. Dr. Erhard Forndran)
  • Grundlagen der Menschenrechte und der Menschenrechtspolitik (Prof. Dr. K. Peter Fritzsche)
  • Einführung in das Völkerrecht unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Globalisierung (Prof. Dr. Jost Delbrück, Prof. Dr. Erhard Forndran)

Modul II

  • Das Verhältnis von Politik und Wirtschaft in Osteuropa zwischen Dominanz und Interdependenz (PD Dr. Sabine Riedel)
  • Analyse aktueller Konfliktformationen (Dr. Dietmar Fricke)
  • Empire and Migration (Prof. Dr. Bernd-Peter Lange)
  • Der schöne Schein der Diktatur: Kulturelle Inszenierung der Macht und terroristische Gewalt im faschistischen Italien, im NS-Staat und in der Sowjetunion (Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann)

Modul III

  • Konzepte der europäischen Sicherheitspolitik (Prof. Dr. Erhard Forndran)
  • Soziale Polarisierung (PD Dr. Klaus-B. Roy)
  • International justice? International criminal law, war crimes and human rights protection (Dr. Michael W. Pletsch)
  • Globalisierung und (k)ein Ende? (Juniorprof. Dr. Raj Kollmorgen)

Modul IV

  • Internationale Frauen(rechts)bewegung. Menschenrechte-Frauenrechte 1860 bis heute (Prof. Dr. Eva Labouvie)
  • Menschenrechte und Internet (Prof. Dr. K. Peter Fritzsche)
  • Macht und Gewalt im Entwicklungsdiskurs (Dr. Aram Ziai)
  • Metaethik (Prof. Dr. Georg Lohmann)

Modul V

  • Planungs- und Entscheidungsprozesse im Rahmen von Verhandlungsregimen (Prof. Dr. Erhard Forndran)
  • Nach der Intervention: Konfliktmanagement durch externe Akteure (Dr. Jörg Meyer)
  • Territorial Management of ethnic conflict (Dr. Klaus Detterbeck)

Modul VI

  • Model United Nations (Dr. Reinhard Wesel)
  • Sozialpsychologie: Konfliktmanagement (Dr. Heidi Ittner)

Adressen

Studienberatung: Dr. Dietmar Fricke Tel. 0391-6716673; mail: dietmar. fricke@gse-w.uni-magdeburg.de
Britta Krause M.A. Tel. 0391-6716691; mail: britta. krause@gse-w.uni-magdeburg.de
Dr. Jörg Meyer Tel. 0391-6716673; mail: joerg. meyer@gse-w.uni-magdeburg.de
Hilfskraft: Torsten Hans mail: torhans@yahoo.de
Webpage mit Bewerbungsformularen: www.uni-magdeburg.de/ipw/fkf/index.html

Britta Krause, M.A., ist Wiss. Mitarbeiterin des Instituts für Politikwissenschaften und Dr. Jörg Meyer ist Studienfachbetreuer des Studiengangs an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

| Hamburg

Postgradualer Aufbaustudiengang Friedensforschung und Sicherheitspolitik

von Patricia Schneider

Der Postgraduiertenstudiengang »Master of Peace and Security Studies« (M.P.S.) der Universität Hamburg ist ein zweisemestriges, trans- und interdisziplinäres Studienprogramm, das auf einer Kombination friedenswissenschaftlicher und sicherheitspolitischer Wissensaneignung und praxisgerichteten Übungen basiert. Ziel des Studienganges ist es, hochqualifizierte Absolventinnen und Absolventen in- und ausländischer Hochschulen sowie akademisch gebildete Praktiker in grundlegende friedenswissenschaftliche und sicherheitspolitische Themen und Ansätze zu ihrer praktischen Bearbeitung einzuführen. Der Studiengang wird von der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) getragen und gemeinsam mit führenden wissenschaftlichen und sicherheitspolitisch tätigen Einrichtungen im Rahmen des »Kooperationsverbundes Friedensforschung und Sicherheitspolitik (KoFrieS)« durchgeführt.

Folgende Institute nehmen bereits am Kooperationsverbund teil:

  • Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA)
  • Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung, Berlin
  • Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum (IFHV)
  • Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF), Berlin
  • Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP)
  • Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Frankfurt/Main
  • Führungsakademie der Bundeswehr (FüAk), Hamburg
  • Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Duisburg
  • Institut für Theologie und Frieden (IThF), Barsbüttel
  • Bonn International Center for Conversion (BICC)
  • Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg
  • Deutsches Übersee-Institut (DÜI), Hamburg
  • Internationales Institut für Politik und Wirtschaft/Haus Rissen, Hamburg
  • Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA)
  • Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)
  • Centre for OSCE-Research (CORE), Hamburg
  • Universität Hamburg: Fachbereich Sozialwissenschaften
  • Universität Hamburg: Fachbereich Geschichte
  • Universität Hamburg: Fachbereich Physik
  • Universität Hamburg: Fachbereich Informatik
  • Universität Hamburg: Fachbereich Rechtswissenschaft
  • Universität Hamburg: Fachbereich Medizin/UKE

Derzeit finden weitere Kooperationsverhandlungen statt.

Der Studiengang wird aus Mitteln der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gefördert.

Am Studiengang können Studierende aus dem In- und Ausland teilnehmen. Da Lehre und Forschung in deutscher und in englischer Sprache durchgeführt werden, sind gute Kenntnisse beider Sprachen Voraussetzung. Sie müssen durch standardisierte Tests, wie im Ausschreibungstext spezifiziert, in den Bewerbungsunterlagen nachgewiesen werden. Prüfungsleistungen, einschließlich Master-Arbeit, können durch die Studierenden wahlweise in englischer oder deutscher Sprache erbracht werden. Über die Zulassung zum Studium und die Vergabe von Stipendien entscheidet der Gemeinsame Ausschuss der Universität Hamburg und des IFSH. Die Anzahl der Zulassungen ist auf 20-30 Studierende pro Jahrgang beschränkt und unterliegt einem qualitativen Auswahlverfahren. Der Studiengang beginnt jeweils zum Wintersemester (1. Oktober – 31. August). Die Bewerbungsfrist ist vom 15. Dezember bis zum 15. März. Da es sich um einen nicht-konsekutiven, postgradualen Aufbaustudiengang handelt, der den vorherigen Erwerb von mind. 240 Leistungspunkten (ECTS) voraussetzt, reicht ein 3-jähriger BA-Studiengang i.d.R. als Vorleistung nicht aus: Die Bewerberinnen und Bewerber müssen 240 Leistungspunkte (ECTS) (i.d.R. durch ein vierjähriges Studium zu erwerben) und ein mit überdurchschnittlichem Erfolg abgeschlossenes Studium an einer deutschen oder ausländischen Hochschule nachweisen. Es können sich Absolventen aller Fachrichtungen bewerben. Bevorzugt berücksichtigt werden Bewerbungen, die Rückschlüsse auf berufliche Interessen und wissenschaftliche oder praktische Erfahrungen in Themenfeldern erlauben, welche sich auf Probleme des Friedens und der internationalen Sicherheit beziehen.

Mit Beginn des Studienjahres 2004/05 tritt eine überarbeitete, an das europäische Leistungspunktesystem angepasste Studienordnung in Kraft. In 2005 durchläuft der Studiengang als einer der ersten Studiengänge der Universität Hamburg ein Akkreditierungsverfahren durch eine externe Akkreditierungsagentur.

Der Studiengang wurde erstmals im akademischen Jahr 2002/2003 durchgeführt. Inzwischen nahmen in den ersten drei Jahren Studierende aus 18 Ländern an dem Studiengang teil (Albanien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Chile, China, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Kroatien, Mazedonien, Niederlande, Palästina, Rumänien, Russland, Serbien-Montenegro, USA).

Das Studium ist in zwei Semester gegliedert. Der Aufbau des Studiums ist modular. In der vorgeschalteten Orientierungseinheit werden die Studierenden in grundlegende Themen der Friedensforschung und Sicherheitspolitik eingeführt und die Residenzinstitute des KoFrieS stellen ihre jeweiligen Forschungs- und Lehrprofile vor. Die parallel durchgeführten fünf Schwerpunkt- und Wahlmodule finden im Wintersemester am Sitz des Studiengangs in Hamburg statt. Die drei konsekutiven Module des Sommersemesters bestehen aus den Elementen praxisgerichtetes Studieren und Praxis, Forschungsbeteiligung und Masterarbeitsphase und finden am jeweils gewählten Residenzinstitut des Kooperationsverbunds statt. Darüber hinaus können sich die Studierenden u.a. am Aufbau eines akademischen Versöhnungsnetzwerkes in Südosteuropa aktiv beteiligen (www.akademischesnetzwerk-soe.net).

1. Semester:

  • Orientierungseinheit
  • Internationale Friedens- und Sicherheitspolitik
  • Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht
  • Naturwissenschaften und Frieden
  • Friedensethik
  • Wirtschaftliche Fragen von Frieden und Krieg
  • Interdisziplinäres Querschnittsmodul

2. Semester:

  • 4-wöchiges Praxiselement am Residenzinstitut
  • gefolgt von Midterm Colloquium
  • 3-monatige Forschungsphase am Residenzinstitut
  • Final Colloquium

Die Lehrenden legen vor Beginn ihrer Kurse fest, welche Formen der Leistungskontrolle/ Modulteilprüfungen sie anbieten und geben dies der Studiengangleitung zur Kenntnis. Die Mischung der Modulteilprüfungen soll den Studierenden die Möglichkeit bieten, unterschiedliche Leistungskontrolltypen kennen zu lernen und ihre jeweiligen spezifischen Stärken ausgewogen zum Einsatz zu bringen. Sie soll ferner die durch die Lehrveranstaltungen verfolgten Ziele fördern.

Die Modulprüfungen umfassen schriftliche und mündliche Prüfungen. Zu den schriftlichen Prüfungen gehören i.d.R. Klausuren, kleine und große Hausarbeiten, ausgearbeitete Referate sowie Arbeits- und Konzeptpapiere und Berichte im Rahmen von Workshops und Exkursionen. Zu den mündlichen Prüfungen zählen i.d.R. protokollierte individuelle oder Gruppenprüfungen, Referate (mit Diskussion), Workshop- oder Konferenzbeiträge.

Die Hauptlehrveranstaltungstypen sind Vorlesungen, Vertiefungsseminare und Blocklehrveranstaltungen. Insbesondere der letzte Veranstaltungstypus lässt Raum für innovative Lehrmethoden wie Simulationen, Rollenspiele, Gruppenarbeit etc. Die ersten drei Tage der Woche sind i.d.R. für die regulären Lehrveranstaltungen reserviert, die übrigen Tage für Blocklehrveranstaltungen. Jede Lehrveranstaltung, die Forschungsphase und das Gesamtprogramm werden Selbstevaluationen der Studierenden und Dozenten unterzogen. Der Evaluationsbericht wird auf der unten angegebenen Homepage veröffentlicht. Dort findet sich zudem Prüfungsordnung, Vorlesungsverzeichnis, Ausschreibungstexte, Kursinformationen u.v.m.

Vor Beginn des Studiums wird ein kommentiertes Vorlesungsverzeichnis mit detaillierten Informationen zu Veranstaltungen, Leistungsanforderungen und Leistungspunkten zur Verfügung gestellt. Gesondert wird ein Dozentenverzeichnis mit näheren Informationen zu den Forschungsschwerpunkten bereitgestellt. Eine Vorauswahl der Kurse und des Residenzinstituts wird vor Studienbeginn von den Studierenden vorgenommen und nach intensiver Beratung in der Orientierungseinheit festgelegt. Zudem wird durch die Studienleitung Hilfestellung bei der Immatrikulation, Zimmersuche und weitere Studienberatung geleistet.

Aufgrund der Kürze der Studienzeit (11 Monate) und den damit verbundenen hohen Ansprüchen handelt es sich um ein sehr intensives Studienprogramm, das sich von den klassischen Studiengängen in Deutschland auch dadurch stark abhebt. Die Studienintensität lässt es nicht zu, nebenbei für den Lebensunterhalt zu arbeiten; auch gibt es keine Semesterferien. Daher erhält der Großteil unserer Studierenden vom Zulassungsausschuss (Mittel von der DSF und dem DAAD) ein Stipendium, bringt ein selbst eingeworbenes Stipendium mit oder wird durch den (früheren) Arbeitgeber (Ministerien, Bundeswehr, NGO usw.) weiterfinanziert.

Dr. phil. Patricia Schneider, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und Academic Coordinator MPS Weitere Infos unter: www.ifsh.de/IFSH/studium/mps.htm

| FernUni in Hagen

Weiterbildungsstudiengang »Master of Peace Studies«

von Lutz Schrader

Der Studiengang »Master of Peace Studies« der FernUniversität Hagen, der im August 2004 durch die Bonner Agentur AQAS erfolgreich akkreditiert wurde, versteht sich wie die anderen neu eingerichteten Masterstudiengänge als Antwort auf den wachsenden Bedarf an wissenschaftlicher Kompetenz auf dem Gebiet der Konfliktbearbeitung, des Gewaltabbaus und der nachhaltigen Friedenssicherung. Der modular aufgebaute Studiengang wurde gezielt aus der wissenschaftlichen Forschung zu den Themen Konflikt, Krieg und Frieden entwickelt, die an mehreren Universitäten und Forschungsinstituten in Nordrhein-Westfalen fest verankert ist. Seine Einrichtung wurde durch eine großzügige finanzielle Förderung über einen Zeitraum von fünf Jahren seitens der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) ermöglicht.

Im Vergleich zu den anderen Masterstudiengängen weist das Hagener Angebot eine Reihe von Besonderheiten auf:

  • Die Anlage als Fernstudium kommt dem Wunsch von Hochschulabsolventen entgegen, die bereits im Beruf stehen, eine zusätzliche universitäre Qualifikation zu erwerben. Besonders für im Ausland, z.B. in Entwicklungs- und Friedensprojekten oder auch in Auslandseinsätzen der Bundeswehr und Polizei tätige Interessenten eröffnet sich so die Chance, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auf friedenswissenschaftlichem Gebiet für eine bessere Orientierung in einem sich rasch wandelnden Arbeitsumfeld auszubauen.
  • Die Hagener Peace Studies sind das einzige gebührenpflichtige Weiterbildungsangebot in diesem Bereich in der Bundesrepublik. Die Entscheidung zu seiner Einrichtung geht auf das Bestreben der FernUniversität zurück, in einer Zeit lebenslangen Lernens verstärkt Weiterbildungsstudiengänge auf den verschiedenen universitären Qualifikationsstufen zu entwickeln und auf hohem Niveau zugänglich zu machen. Für die Studierenden ergibt sich daraus der Vorteil, eine anspruchsvolle fachliche und organisatorische Betreuung in Anspruch nehmen zu können. Das Curriculum ist deshalb so konzipiert, dass es als Teilzeitstudium neben beruflicher Tätigkeit absolviert werden kann.
  • Hervorzuheben ist ebenfalls die inter- und transdisziplinäre Ausrichtung des Studiengangs. Zwar bilden die Politikwissenschaften, und speziell die internationalen Beziehungen, einen wichtigen disziplinären Schwerpunkt. Dieser wird jedoch durch eigenständige, substanzielle historische, soziologische, völkerrechtliche, kultur- und religionswissenschaftliche, wirtschaftswissenschaftliche, philosophische und psychologische Inhalte ergänzt. Insbesondere soll die naturwissenschaftliche Friedensforschung einen noch größeren Platz innerhalb des Lehrangebots bekommen. In den Präsenzseminaren und in den Modul- und Abschlussprüfungen sind die Studierenden gefordert, die unterschiedlichen Fachperspektiven zu inter- und transdisziplinären Problembearbeitungen und Lösungsansätzen zusammen zu führen.
  • Der Studiengang wird in enger Kooperation mit über 40 Hochschullehrern und -lehrerinnen aus mehreren Universitäten und Forschungsinstituten Nordrhein-Westfalen und weiterer Bundesländern bestritten, die u.a. als Kursautoren und -betreuer oder als Referenten und Arbeitsgruppenleiter in das Lehrangebot eingebunden sind. Von ihnen werden auch wichtige Funktionen zur Konzeptionierung und Weiterentwicklung des Studiengangs wahrgenommen. Zur Gewährleistung dieses innovativen Modells kann sich das Institut Frieden und Demokratie auf das seit 1995 bestehende Netzwerk der Landesarbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft Nordrhein-Westfalen (LAG) stützen, in dem rd. 60 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zahlreicher Universitätslehrstühle und Forschungsinstitute des Landes zusammenarbeiten.

Die universitäre Friedenslehre am Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität kann inzwischen auf eine fast zehnjährige Tradition zurückblicken. Seit 1996 werden in Hagen qualifizierte friedenswissenschaftliche Weiterbildungsstudiengänge angeboten. Beginnend mit dem Zertifizierten Friedenswissenschaftlichen Weiterbildungsstudium (ZEF) konnte so schrittweise eine Lehrkompetenz aufgebaut werden, die sich auf eigene friedenswissenschaftliche Forschungen am Institut Frieden und Demokratie und an den im Rahmen der LAG kooperierende Einrichtungen gründet. Ein zweiter Entwicklungsschritt war im Jahr 2000 die Einrichtung des zweisemestrigen zertifizierten Interdisziplinären Friedenswissenschaftlichen Weiterbildungsstudiums »Konflikt und Frieden« (IF), das neben dem Masterstudium auch weiterhin angeboten wird.

Ziel des Masterstudiums ist es, bei den Studierenden die Fähigkeit zur kritischen, wissenschaftlich angeleiteten Selbstreflexion anzuregen und anwendungsrelevante Handlungs- und Gestaltungsfähigkeiten auszubilden. Die praxisbezogene und problemorientierte Ausrichtung in der Lehre setzt Schwerpunkte in den Bereichen interdisziplinäre Theorien des Friedens, des Krieges und Konflikts, Konzepte und Wege des Gewaltabbaus, der zivilen Konflikttransformation und der nachhaltigen Friedenssicherung sowie Kenntnisse zu Organisationen und Verwaltungshandeln im Bereich der Friedens- und Konfliktarbeit.

Jeweils im Wintersemester werden 40 Studierende aus einschlägigen Berufsfeldern aufgenommen, die sich durch eine besondere Studienmotivation auszeichnen. In der Pilotphase, die im Wintersemester 2004/2005 begonnen hat, wurde zunächst mit 25 Studierenden begonnen. Das Studium richtet sich vor allem an geistes- und sozialwissenschaftliche Hochschulabsolventen/innen, die in friedenswissenschaftlichen, friedenspolitischen oder konfliktbezogenen Bereichen tätig sind oder tätig werden wollen. Mögliche Arbeitsbereiche sind die auswärtige Politik, nationale und internationale Institutionen und Organisationen, Medien, Nicht-Regierungsorganisationen, Friedens- und Konfliktarbeit, Entwicklungszusammenarbeit, Streitkräfte und Polizei, Wissenschaft, Erziehung und Erwachsenenbildung, Sozialarbeit sowie Mediation und Beratung.

Die Organisation des Studiums

Das Studium ist modularisiert und beinhaltet neben 6 Lehrmodulen à je 12 Credits ein Einführungsseminar (1 Credit) und ein Abschlussseminar (1 Credit) sowie die anschließende Masterprüfung (16 Credits). Jedes Modul wird mit einer studienbegleitenden Prüfung (Einsendearbeiten, Hausarbeiten, mündliche Prüfungen oder Praxisberichte) abgeschlossen.

Die Belegung der Module sollte folgendermaßen innerhalb der 3 Studienjahre erfolgen: (siehe Tabelle)

1. Studienjahr 2. Studienjahr 3. Studienjahr
Einführungsseminar    
Modul 1
Modul 2
Modul 3
Modul 4
Modul 5  
  Modul 6    
  Abschlussmodul

Das Studium wird mit der Belegung des Abschlussseminars und der Masterprüfung nach sechs Semestern Teilzeit beendet. Die Master-Prüfung besteht aus der Masterarbeit (etwa 60 Seiten) und ihrer mündlichen Verteidigung (30-45 Minuten). Der Vorbereitung der Masterprüfung dient das obligatorische Abschlussseminar. Insgesamt können mit dem Studium 90 Credit Points nach dem European Credits Transfer System erworben werden.

Die Inhalte

Das Masterstudium vermittelt in modularisierter Form systematisches Wissen über Frieden, Krieg und gewaltförmige Konflikte. Theoretische Referenz ist ein prozessuales Verständnis von Frieden, das sowohl auf die Minimierung von direkter Gewalt und Gewaltstrukturen als auch auf den Aufbau nachhaltiger Friedensordnungen ausgerichtet ist. Die Förderung von Demokratie, Partizipation, Gerechtigkeit und Kooperation sind dabei zentrale Elemente und Anliegen. Ein weiterer wichtiger Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass Friedensprozesse nur gelingen können, wenn alle relevanten Ebenen (global, zwischenstaatlich, national, lokal und personal) angemessen erforscht und berücksichtigt werden.

Die inter- und transdisziplinären Kenntnisse, die im Verlaufe des Studiums erarbeitet werden, stehen unter der normativen Prämisse »Friede mit friedlichen Mitteln«. Um dieser Maxime zu entsprechen, geht das Studium von einem Wissenschaftsverständnis aus, das sich in die politischen Auseinandersetzungen einmischt und sich der gesellschaftlichen Verantwortung für seine Ergebnisse stellt. Dabei wird der Grundsatz der Gewaltfreiheit nicht nur als sittlicher Wert verstanden, sondern als empirisch belegbare conditio sine qua non jeglicher Anstrengungen für einen belastbaren Frieden.

Das Studium dient der Gewinnung sowohl analytischer und kognitiver als auch strategischer und praktischer Kompetenzen. Vermittelt wird die Fähigkeit, die erworbenen inter- oder transdisziplinären Kenntnisse und Methoden zu verknüpfen und auf konkrete Sachverhalte anzuwenden. Dabei wird ausdrücklich auf die sozial-, geistes- und naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse und Fähigkeiten der Studierenden aufgebaut. Ihre Erfahrungen, Blickwinkel und Fragestellungen sind eine wichtige Bereicherung für den gesamten Prozess des Studiums. Durch die Erweiterung und Vertiefung ihrer friedenswissenschaftlichen Kenntnisse und die Verbesserung ihrer methodischen Qualifikation sollen die Studierenden in den Stand versetzt werden, ihre berufliche und ehrenamtliche Praxis kritisch zu reflektieren und friedenswissenschaftliche Probleme selbstständig zu bearbeiten.

Folgende Lehrinhalte sind vorgesehen:

MODUL 1: Einführung in die Friedens- und Konfliktforschung / Friedenstheorien

L1(Bottom)Einführung in das Studium und in die Inhalte der Friedens- und Konfliktforschung:

  • Grundbegriffe und Methoden der Friedens- und Konfliktforschung
  • Friedenstheorien
  • Historische Friedensforschung
  • Friedenspolitik

MODUL 2: Theorien zu gewaltförmigen Konflikten bzw. Krieg

L1(Bottom)

  • Konflikttheorien
  • Zivilisationstheorie
  • Beiträge der Sozialpsychologie
  • Philosophische Dimensionen der Gewaltproblematik

MODUL 3: Aktuelle Probleme des Friedens und ihre interdisziplinäre Theoretisierung

Pflichtbereich

  • Die These des »demokratischen Friedens«
  • Frieden und Naturwissenschaften

Wahlpflichtbereich

L1(Bottom)

  • Beiträge der Pädagogik zur Gewaltforschung
  • Globalisierung und Friedenspolitik – Global Governance
  • Medien und Krieg
  • Makropolitische Konflikte der Gegenwart

MODUL 4: Konflikttransformation und Friedensprozesse

Pflichtbereich

  • Formen der Konfliktregelung
  • Pazifismus und gewaltfreie Konfliktbearbeitung
  • Einführung in das Völkerrecht

Wahlpflichtbereich

L1(Bottom)

  • Konfliktbearbeitung: analytisch-systematische Aspekte
  • Konversion und Prävention

MODUL 5: Organisationen und Verwaltung in Konflikt- und Friedensprozessen

L1(Bottom)

  • Organisationsforschung: Beiträge der Soziologie
  • Militär, Gesellschaft und Politik in der Bundesrepublik
  • Internationale Organisationen – Geschichte und Politik
  • Praxisorientierte Einführung in Verwaltungshandeln und Konflikttraining
  • Praxisorientierte Einführung in das Projektmanagement

MODUL 6: Methoden und Verfahren der Konfliktbearbeitung

L1(Bottom)

  • Einführung in die Mediation
  • Conflict Transformation by Peaceful Means
  • Transforming Civil Conflict
  • Einführung in die Transcend-Methode
  • Praxisseminare zu den Methoden zivilgesellschaftlicher Konfliktbearbeitung

Die didaktische Ausrichtung – das angeleitete Fernstudium

Differenzierte Informationen erhalten die Studierenden aus einem Handbuch, das ihnen zu Beginn des Studiums zugesandt wird. Darin werden alle wichtigen Modalitäten wie Studienaufbau, Studienformen, Betreuung und Anforderungen erläutert. Darüber hinaus bekommen sie Hinweise und Tipps zur friedenswissenschaftlichen Hochschul- und Forschungslandschaft in der Bundesrepublik wie auch zu friedenspolitischen Einrichtungen und Organisationen. Im Kern geht es darum, den Studierenden die Besonderheiten eines friedenswissenschaftlichen Fernstudiums nahe zu bringen. Schließlich soll ihnen Hilfestellung gegeben werden, damit sie sich möglichst selbstständig in einem für sie noch neuen sozialen Umfeld zurecht finden können.

Das Weiterbildungsstudium ist so zugeschnitten, dass es als Teilzeitstudium neben dem Beruf absolviert werden kann. Als Fernstudium ist es unabhängig vom Studienort Hagen durchführbar. Die weitgehend selbstständige Einteilung der Bearbeitungszeiten innerhalb des Semesters ermöglicht ein großes Maß an zeitlicher Flexibilität. Die auf selbstinduziertes Wissen ausgerichtete fernuniversitäre Lehre schafft genügend Raum, um individuelle Erfahrungs- und Wissenshintergründe produktiv einzubeziehen und kritisch zu reflektieren. Das Fernstudium arbeitet mit spezifischen Methoden. Dazu gehören z.B. das selbstständige Lernen anhand didaktisch aufbereiteter Studienbriefe, die von qualifizierten Hochschullehrerinnen und -lehrern betreut werden, sowie Präsenz- und Praxisseminare. Beständig ausgeweitet werden verschiedene Formen des e-Learning im »Lernraum Virtuelle Universität«.

Der zeitliche Aufwand des Fernstudiums liegt etwa bei 60 Stunden Bearbeitungszeit je Studienbrief bzw. Kurseinheit; dies sind bei einer Regelstudienzeit von 6 Semestern Teilzeit im Durchschnitt 20 Stunden pro Woche didaktisch angeleitetes und betreutes Selbststudium. Natürlich variiert die konkrete zeitliche Belastung je nach Vorkenntnissen, persönlichem Arbeitsstil und Studienablauf. So wird die Lektüre der Studienbriefe in aller Regel weniger Zeit in Anspruch nehmen als die Erstellung schriftlicher Prüfungsleistungen wie Einsende-, Haus- und Abschlussarbeiten.

Die Lerninhalte des Weiterbildungsstudiums werden überwiegend anhand von Studienbriefen vermittelt. Dieses Medium sind speziell für das Selbststudium aufbereitete, gedruckte Studienmaterialien, die zu Beginn jedes Semesters versandt werden. Neben den Studienbriefen gibt es drei obligatorische und mehrere fakultative Präsenzveranstaltungen in Form von Blockseminaren. In der Regel finden diese Seminare an zwei bis drei Tagen (meist an Wochenenden in einer Bildungsstätte in Nordrhein-Westfalen) statt. Die Studierenden können zusätzliche fakultative Kurse oder Seminare an den in der LAG Friedenswissenschaft kooperierenden Universitäten besuchen. Um Wissen aufzufrischen oder Wissenslücken zu schließen, besteht überdies die Möglichkeit, im Rahmen der sog. Akademiestudien gegen Gebühr weitere Kurse am Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität zu belegen.

Die Modulleistungen werden studienbegleitend abgeprüft. Modulprüfungen oder Modulteilprüfungen können in Form von angeleiteten Einsendearbeiten, Hausarbeiten, Praxisberichten oder mündlichen Prüfungen erbracht werden. Das Weiterbildungsstudium wird mit einer Abschlussarbeit und einer mündlicher Prüfung beendet.

Studierende

Zur Spezifik von Fernstudiengängen gehört nicht zuletzt die Zusammensetzung der Studierendenschaft. Die Teilnehmer sind mit ihren unterschiedlichen disziplinären Herkünften, beruflichen Hintergründen und vielfältigen Praxiserfahrungen eine wichtige Quelle für die besondere Attraktivität des Studiums. Von den im ersten Durchgang immatrikulierten 25 Studierenden (13 Frauen und 12 Männer zwischen 25 und 50 Jahren) hat ein Großteil bereits in Konfliktsituationen im Ausland gearbeitet. Andere haben z.B. als AusbilderIn, LehrerIn oder ÄrztIn in ihren konkreten Tätigkeitsbereichen mit der Bearbeitung von Konflikten und deren Folgen zu tun. Dadurch entsteht die vorteilhafte Situation, dass die Studierenden viel voneinander lernen und erfahren können. Für die Lehrenden bedeutet dies, sich den Sichtweisen und Erfahrungen einer anspruchsvollen Klientel zu stellen und diese für einen gegenseitigen Lehr- und Lernprozess produktiv zu machen.

Dr. Lutz Schrader, Wiss. Mitarbeiter des Instituts Frieden und Demokratie und Koordinator des Studiengangs Weitere Informationen unter: www.fernuni-hagen.de/frieden Mail: PeaceStudies@fernuni-hagen.de

| Universität Frankfurt / TU Darmstadt

Master-Studiengang »Internationale Studien / Friedens- und Konfliktforschung«

von Tanja Brühl

Voraussichtlich im Wintersemester 05/06 wird ein weiterer neuer friedenswissenschaftlicher Master-Studiengang beginnen »Internationale Studien / Friedens- und Konfliktforschung«. Er wird von der Universität Frankfurt, der TU Darmstadt und der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) gemeinsam angeboten werden. Prüfungs- und Studienordnung des Studiengangs werden derzeit (Dezember 2004) in den universitären Gremien beraten.

Im Laufe des viersemestrigen Studiums werden theoretische, normative und empirische Kenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung sowie der Internationalen Studien vermittelt. Im Zentrum steht dabei die Weltordnungspolitik und die Weltgesellschaft in einer friedenswissenschaftlichen Perspektive. Weltordnungspolitik kann als Prozess verstanden werden, der zur Überwindung der unfriedlichen Strukturen einen Beitrag leistet. Zugleich ist die bestehende Weltordnungspolitik eine Ursache der virulenten Konflikte. Dass eine im positiven Sinne verstandene Weltordnungspolitik nicht alleine von Staaten geleistet werden kann, ist offensichtlich. Doch welche Rolle können andere Akteure wie bspw. Nichtregierungsorganisationen und internationale Organisationen überhaupt spielen? Und welchen Handlungsfreiraum haben Staaten heute?

Aus der Sicht verschiedener Disziplinen insbesondere der Politikwissenschaft, aber auch der Soziologie, Philosophie, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften werden Akteure, Triebkräfte, Tendenzen und Folgen der aktuellen politischen Prozesse analysiert. Der Schwerpunkt des Studiengangs liegt bei der politikwissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen. Es wird daher vornehmlich die inter- oder transnationale Ebene untersucht. Konflikte werden also vor allem als Ergebnisse der Interaktionen kollektiver Akteure verstanden; Friedens- und Kriegsprozesse auf der nationalen und internationalen Ebene analysiert. Ziel des Studienganges ist es, den Studierenden die Fähigkeit zu vermitteln, eine selbstständige differenzierte Analyse von Konflikten vorzunehmen und reflektiert Strategien der Konfliktregulierung und Friedensförderung zu entwickeln.

Organisation des Studiums

Die Studierenden besuchen in den vier Semestern rund 15 – 20 Lehrveranstaltungen aus sechs Modulen:

Grundlagen

Im ersten Semester werden die Grundlagen des Studiengangs gelegt bzw. angeglichen, und zwar sowohl im allgemeinen politik- wie auch im friedenswissenschaftlichen Bereich. Im ersten Teil wird ein Überblick über die Theorie-Paradigmen der Politikwissenschaft gegeben. Die Studierenden vertiefen darüber hinaus wahlweise ihre Kenntnisse in der Kritischen Theorie oder feministischen Theorien. Im zweiten Teil gilt es die Grundlagen der Friedens- und Konfliktforschung zu vermitteln (Auseinandersetzung mit den Konzepten von Gewalt, Frieden, Krieg usw.) und Theorien der Internationalen Beziehungen oder der internationalen politischen Ökonomie als Werkzeuge zur empirischen Analyse zu studieren.

Weltordnung / Zivilisierung

Im zweiten und dritten Semester setzen sich die Studierenden mit verschiedenen politischen Akteuren in den internationalen Beziehungen und mit konkreten Problemen der Weltordnungspolitik auseinander. Hierbei erwerben sie ein fundiertes Verständnis der Akteurskonstellationen und -motivationen und der Möglichkeit der Konfliktregulierung durch Institutionalisierung. Es werden Konflikte, Strukturen und Entwicklungstendenzen der verschiedenen Politikfelder (Sicherheit, Herrschaft, Wohlfahrt, Umwelt) analysiert.

Konflikte / Kriege / Friedensprozesse

Ebenfalls im zweiten und dritten Semester werden die zentralen Themen der Friedens- und Konfliktforschung behandelt. Das Modul vermittelt sowohl empirische Kenntnisse über Konflikte, Kriege und Friedensprozesse wie auch Theorien der Kriegs- und Kriegsursachenforschung und Kenntnisse der Friedensursachenforschung. Konflikte und Kriege der Gegenwart werden ebenso wie die Friedensprozesse kennen gelernt.

»Weltgesellschaft« – Theorie und politische Philosophie globaler Vergesellschaftung

Das Modul liefert einen breiten Überblick über die gegenwärtigen Tendenzen globaler Vergesellschaftung und ihrer Folgen. Eine Beschäftigung mit dem vielschichtigen Konzept der Weltgesellschaft ist ebenso vorgesehen wie eine Auseinandersetzung mit normativen Grundlagen der Weltordnung und Fragen der Demokratie und transnationaler Vergesellschaftung. Das Modul kann im ersten und zweiten Semester besucht werden.

Wahlmodul

Im Wahlmodul können die Studierenden einen Schwerpunkt wählen, den sie aus mindestens zwei Disziplinen (der Politikwissenschaft und einem anderen Fach) heraus beleuchten. Angeboten werden voraussichtlich »Globalisierung und Entwicklung« (Fragen der Weltwirtschaftspolitik und ihren Auswirkungen auf die Entwicklungsländer), »Globalisierung und Recht« (Beitrag des Völkerrechts und internationaler Organisationen zum Frieden) und »Technik und Entwicklung« (Beitrag der Technik zur Entwicklung), »Naturwissenschaftlich-technische Dimensionen des Friedens« (Beiträge der Naturwissenschaften zur Friedensforschung). Das Wahlmodul wird im dritten und vierten Semester studiert.

Abschluss

Im vierten Semester fertigen die Studierenden eine Master-Arbeit an. Dieser Forschungsprozess wird durch ein Kolloquium begleitet. Zudem ist eine halbstündige mündliche Prüfung zu absolvieren. Die anderen Prüfungen werden studienbegleitend abgelegt, wozu auch Hausarbeiten angefertigt werden.

Das Profil des Studiengangs

Eine Besonderheit dieses friedenswissenschaftlichen Studiengangs ist die inhaltliche Schwerpunktsetzung. Diese liegt, wie erwähnt, darin, dass die Friedensforschung aus einer Weltordnungs- und Weltgesellschaftsperspektive heraus analysiert wird. Damit greift der Studiengang bestehende Forschungsschwerpunkte der drei mitwirkenden Institutionen auf und ermöglicht Studierenden eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Forschung. Die Friedensforschung ist in Frankfurt/M. mit der Gründung der HSFK (1970) fest institutionalisiert. Derzeit erforscht die HSFK vor allem die Antinomien des Demokratischen Friedens. In den letzten Jahren ist die Zusammenarbeit zwischen der Frankfurter Universität und der HSFK im Rahmen des Kooperationsvertrags verstärkt worden. Seit kurzem haben auch die TU Darmstadt und die HSFK ihre Kooperation institutionalisiert, so dass man von einem südhessischen Schwerpunkt in der Friedensforschung sprechen kann. Forscher und Forscherinnen der Universitäten Frankfurt und Darmstadt (sowie Bielefeld) arbeiten seit 1994 in der Forschungsgruppe Weltgesellschaft zusammen, um Fragen des globalen Wandels in einen größeren staats- und steuerungstheoretischen Rahmen einzubetten. Diese im Bereich der Forschung bestehende Zusammenarbeit wird nun für die Studierenden (noch) fruchtbarer gemacht. Die Studierenden haben in dem geplanten Studiengang die Möglichkeit, innerhalb des Umfelds dreier miteinander interagierender Institutionen die Entstehung aktueller Forschungsprozesse mitzuerleben bzw. selbst daran mitzuwirken.

Eine weitere Besonderheit des Studiengangs ist die gemeinsame Bearbeitung der Themen aus verschiedenen Disziplinen heraus. Statt eines klassischen Nebenfachstudiums (in dem die Nebenfächer relativ unverbunden von dem jeweiligen Hauptfach stehen) tragen die verschiedenen einbezogenen Disziplinen gemeinsam und aufeinander bezogen zur Bearbeitung von Fragestellungen bei. Es liegt also ein integriertes interdisziplinäres Modell vor. Konkret bedeutet dies, dass ein interdisziplinäres Modul immer von mindestens zwei Fächern »beliefert« wird (dies gilt außer für das Wahlmodul vor allem auch für das Grundlagen- und das Weltgesellschaftsmodul). Ein solch integrierter interdisziplinärer Ansatz ermöglicht es den Studierenden, die wissenschaftstheoretischen wie methodisch-praktischen Unterschiede der Disziplinen zu erkennen, zu vergleichen und daraus Schlüsse zu ziehen.

Lehrformen

Die in den sechs Modulen skizzierten Inhalte werden größtenteils in Seminaren vermittelt, um den Studierenden die Möglichkeit einer aktiven Auseinandersetzung zu ermöglichen. Vorlesungen werden eingesetzt um allgemeine Grundlagen zu legen. Zur Förderung der Analysefähigkeiten besuchen die Studierenden zudem eine vierstündige Veranstaltung (sogenanntes Empiriepraktikum), in dem sie selbst forschend tätig werden. Hier führen sie in kleinen Arbeitsgruppen unter Anleitung kleinere Forschungsarbeiten (Fallstudien) durch. Sie wenden hierbei die zuvor erlernten wissenschaftlichen Methoden an und entwickeln ein eigenes Forschungsdesign. Auch in den anderen Lehrveranstaltungen haben Arbeitsgruppen einen hohen Stellenwert. Zusätzlich werden auch Formen der Moderation und intellektueller Interaktion eingeübt, zum Beispiel über die Inszenierung von Podiumsdiskussionen. Schließlich können die Studierenden an Exkursionen oder Simulationen, wie einer Fahrt zu den Vereinten Nationen nach Genf oder einem internationalen Planspiel am UNO-Hauptsitz (National Model United Nations), teilnehmen. Entsprechend der internationalen Ausrichtung des Studiengang finden regelmäßig Veranstaltungen in englischer Sprache statt. Den Studierenden wird empfohlen, mindestens ein Semester an einer Universität im Ausland zu studieren. In einem mindestens vierwöchigem Praktikum in einem relevanten Berufsfeld können die Studierenden ihr erworbenes Fachwissen anwenden und potentielle spätere Arbeitsbereiche kennen lernen.

Das Studium kann jeweils nur zum Wintersemester aufgenommen werden. Studierende mit einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss (i.d.R. Bachelor) in Politik- oder Sozialwissenschaften und sehr guten Englischkenntnissen können sich um die Zulassung zum Studiengang »Internationale Studien / Friedens- und Konfliktforschung« bewerben. Weitere Informationen zum Studiengang stellen die beteiligten Institutionen nach Genehmigung der Studiengänge auf ihren homepages zur Verfügung.

Dr. Tanja Brühl, Juniorprofessur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/M Weitere Informationen: www.gesellschaftswissenschaften.uni-frankfurt.de

Anmerkungen

1) Vgl. dazu www.manchester.edu/Academics/Departments/Peace_Studies/aboutus.html.

2) Vgl. dazu www.brad.ac.uk/acad/peace/

3) Vgl. für Deutschland dazu die Stellungnahme des Wissenschaftsrates von 1970 in: Koppe, Karlheinz: Zur Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK) und der Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: DGFK-Jahrbuch 1979/80 (Zur Entspannungspolitik in Europa, hgg. von der DGFK), Baden-Baden 1980, S. 886-897; hier besonders S. 896/897.

4) Vgl. dazu die entsprechenden Studiengänge an der Hiroshima Universität: http://home.hiroshima-u.ac.jp, and der Hitotsubashi Universität: www.soc.hit-u.ac.jp, an der Meiji Gakuin Universität: www.meijigakuin.ac.jp und an Tokyo University of Foreign Studies: www.tufs.ac.jp.

5) In den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Australien und Neuseeland und zum Teil in den skandinavischen Ländern werden Peace & Conflict Studies auch als undergraduate-Studiengänge mit dem Bachelorabschluss angeboten. Im Kontext dieses Beitrags wird auf diese Curricula hier nicht näher eingegangen.

6) Vgl. www.nd.edu/~krocinst/programs/masters

7) ebd.

8) Vgl. z.B. die Masterprogramme der Eastern Mennonite University: www.emu.edu/ctp/curdes.html sowie des Goshen College´s: www.goshen.edu/peace/courses.php.

9) Vgl. z.B. die Masterprogramme an der George Mason-Universität in Arlington (Virginia): www.gmu.edu/departments/ICAR/undergrad.htm, an der Universität von Syracuse (New York): www.maxwell.syr.edu/parc/ und innerhalb des Five College Program´s in Peace and World Security Studies: http://pawss.hampshire.edu.

10) Vgl. das Programm »Peace & Justice Studies« an der Tufts Universität in Medford (Massachusetts): http://ase.tufts.edu/pjs/about.html oder das Masterprogramm an der Universität von Südaustralien: www.unisanet.unisa.edu.au, das Programm Especializacion en Resolucion de Conflictos an der Pontificia Universidad Javeriana in Kolumbien: http://venus.javeriana.edu.co/cpolitic/resolucion-de-conflictos.html oder das Masterprogramm in International Relations an der Universidad des Salvador in Argentinien: www.salvador.edu.ar/ua1-112c-engl.htm.

11) Vgl. die Curricula an diesen drei Universitäten: http://pcr.csps-ugm.or.id/curriculum.hml, www.ui.edu.ng und http://faculty.biu.ac.il/~steing/conflict/faculty.html

12) Vgl. www.brad.ac.uk/acad/peace/.

13) Vgl. die Programme dieser drei Einrichtungen: www.lancs.ac.uk/users/richinst/home/index.htm, www.ul.ie/cpds/MA.htm und www.tcd.ie/ise/degree_diploma/ipsp/prog_content.html.

14) Vgl. die Programme an diesen vier Universitäten: www.padrigu.gu.se, www.pcr.uu.se/welcome_english.htm, www.uio.no/studier/program/peace-master/presentasjon/index.html und http://uit.no/cps/.

Jenseits der »terroristischen Bedrohung«

Jenseits der »terroristischen Bedrohung«

Charakterwandel der Gewaltakteure im nordirischen Friedensprozess

von Marcel M. Baumann

Der nordirische Bürgerkrieg begann im Jahr 1968 und wurde mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens am 10. April 1998 offiziell beendet (siehe W&F Dossier Nr. 45) Doch aufgrund zahlreicher Krisen sind die Regierungsinstitutionen, die im Friedensabkommen vorgesehen waren und die eine gemeinsame Regierung von Protestanten und Katholiken garantieren sollten, seit dem 14. Oktober 2002 suspendiert. In die verfahrene Situation wurde erst am 28. Juli 2005 neue Bewegung gebracht, als die Irish Republican Army (IRA) in einer Erklärung das Ende des bewaffneten Kampfes bekannt gab und gleichzeitig ankündigte, alle ihre Waffen einer von der britischen Regierung eingesetzten Kommission zu übergeben. Am 26. September 2005 bestätigte ein Bericht dieser Kommission, dass die IRA tatsächlich alle ihre Waffen übergeben hat. Die britische Regierung übte in der Folge heftigen Druck auf die Konfliktparteien aus: Den beiden größten Parteien – Sinn Fein, dem politischen Arm der IRA, auf der katholischen und der Democratic Unionist Party (DUP) auf der protestantischen Seite – wurde eine Frist bis zum 24. November 2006 gegeben, um offizielle Vorschläge für den Ersten Minister Nordirlands und dessen Stellvertreter abzugeben. Nach der Vorgabe der britischen Regierung muss bis zum 26. März 2007 die gemeinsame Regierung ihre Arbeit aufnehmen, ansonsten werden das Parlament und die Regierungsinstitutionen aufgelöst.

In der aktuellen politischen Auseinandersetzung wurde die Haltung Sinn Feins zur Polizei mittlerweile zur Gretchenfrage der weiteren politischen Demokratisierung Nordirlands gemacht. Seitdem die IRA alle Waffen übergeben hat, wird von der DUP die Forderung wiederholt, Sinn Fein könne nur dann in eine gemeinsame Regierung eintreten, wenn sie die Polizei offiziell anerkennt und unterstützt. Gerade von Seiten des britischen Nordirlandministers wird heftiger Druck ausgeübt, Sinn Fein solle im Januar 2007 einen Sonderparteitag abhalten und die offizielle Unterstützung der Polizei beschließen.

Doch in der DUP regt sich zunehmend der Widerstand jener, die prinzipiell gegen eine gemeinsame Regierung mit Sinn Fein sind. Problematisch ist diese Situation auch deshalb, weil sich Ian Paisley in einem Dilemma befindet. Seine Partei kann sich auf kein Mandat berufen, um mit Sinn Fein eine Regierung zu bilden: „Over our dead bodies!“, so lautete stets die Losung, wonach man nie mit Sinn Fein eine Regierung bilden würde.

Selbst wenn der Sinn Fein-Parteitagsbeschluss für eine offizielle Akzeptanz der Polizei zustande käme, würde nicht automatisch Legitimität für die Polizei aus Sicht der katholischen Bevölkerung erreicht. Vertrauen und Legitimität können nicht beschlossen werden, denn aus der Sicht der katholischen Gemeinschaft – der „angeblich interessierte Dritte“ (nach Herfried Münkler) für die IRA – war die Polizei der zentrale staatliche Kriegsakteur und hatte den Charakter einer Polizei-Truppe: „Police officers on the ground need to realise that they are not anti-terrorist police officers any more but normal police officers who have to deal with the ordinary mundane problems of their community – and I think that is proving more difficult than anybody expected“, so wird ein katholischer Jugendsozialarbeiter zitiert.

Das notwendige Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei kann nur dann entstehen, wenn sich der ehemalige Kriegsakteur zu einem Polizei-Dienst transformiert, welcher seine Aufgabe in partnerschaftlicher Art und Weise im Sinne der katholischen und protestantischen Bevölkerung durchführt.

Seitdem die Polizeifrage im Mittelpunkt der politischen Debatte steht, zeigt sich ein großer Dissens innerhalb Sinn Feins und der republikanischen Gemeinschaft als Ganzes. Noch im April 2003 hatte Brian Keenan, der als Führer der IRA gilt, in einer Rede die Polizei als »unakzeptabel« bezeichnet und jedes Bestreben, die Sinn Fein-Haltung zu ändern, scharf zurückgewiesen. Auch viele ehemalige IRA-Kombattanten verweigern der Polizei jegliche Legimität und Anerkennung. Anfang Dezember 2006 verließ z.B. Laurence O’Neill, ehemaliger IRA-Häftling und ein wichtiger Spendensammler, aus diesem Grunde die Partei: „I’m a lifelong republican but I firmly believe no republican can ever sign up to policing and that has led to a fall-out with former friends“, sagte er in einem Interview.

Die Sinn Fein-Führung hat es im Friedensprozess bisher bewusst versäumt, kritische Debatten zuzulassen: „I was a member of the republican movement for 37 years and resigned last year as a result of the lack of internal debate on matters of policy and strategy and the manner in which membership were expected to blindly follow a leadership-led policy without question or dissent“ begründete Tony Catney, ehemaliges Mitglied des Parteivorstandes (ard comhairle), der Mitte der 90er Jahre des Sinn Fein-Büro in Brüssel leitete, in einem offenen Brief seinen Parteiaustritt.

Der totalitäre Charakter von Sinn Fein verhinderte bisher echte innerparteiliche und innergesellschaftliche Debatten. Es ist daher unrealistisch, eine schnelle Lösung zu erwarten.

Restorative Justice

Die konstruktive Transformation bewaffneter Gruppen, der Restorative Justice-Ansatz kann eine »Zwischenlösung« sein, die der IRA und anderen nicht-staatlichen Kriegsakteuren eine positive Rolle im Friedenskonsolidierungsprozess ermöglicht bis die Legitimität der staatlichen Sicherheitsinstitutionen (wieder-) hergestellt wurde.

Der Kontext für Restorative Justice als eine Maßnahme der zivilen Konfliktbearbeitung liegt in jenen Gewaltphänomenen, die als »Abfallprodukt« des Friedensprozesses entstanden sind: Im November 2002 kam es zu einem besonders spektakulären Gewaltvorfall, als in Dunmurry, einem südlichen Vorort von Belfast, ein berüchtigter Autodieb bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschlagen und danach an einen Zaun gekreuzigt wurde. Die Kreuzigung war eine Bestrafungsaktion der Ulster Defence Association (UDA) – eine bewaffnete Gruppe, die sich zu Bürgerkriegszeiten als Schutztruppe der protestantischen Gemeinschaft gegen die IRA sah. Sie gab vor „im Auftrag der Bevölkerung“ zu handeln, da die Polizei nicht zu aktiver Kriminalitätsbekämpfung fähig sei.

Die daraus resultierenden Folgen wurden in einem informellen Gespräch des Autors mit einem Anwohner deutlich, der in Belfast als Taxifahrer arbeitet und in dessen Hinterhof die Kreuzigung geschah. Als der Autor sein Unverständnis über die Kreuzigung zum Ausdruck brachte, entgegnete der Anwohner sehr verärgert: „He fucking deserved it! I had three cars stolen by him in a quarter of a year“.

Eine andere, weit verbreitete Bestrafungsaktion sind Schüsse ins Knie, das so genannte Punishment Shooting.

Gewaltaktionen wie Schüsse ins Knie sind als solche keine neuen Phänomene, sondern werden von der IRA und anderen Gruppen schon seit Beginn der 70er Jahre praktiziert. Neu ist dagegen ihre Funktion und ihr Ausmaß. Während sie zu Bürgerkriegszeiten als Bestrafung von Spionen oder Abtrünnigen in den eigenen Reihen eingesetzt wurden und um das eigene militärische Machtregime vor Ort zu sichern, werden sie im Friedenskonsolidierungsprozess als Strafen für kriminelle Vergehen verwendet – gegen Drogendealer, Kleinkriminelle u.a. Nach den Erhebungen der nordirischen Polizei ist die absolute Zahl der vigilantistischen Gewaltfälle seit 1994 dramatisch gestiegen und erreichte im Berichtsjahr 2003 den Höhepunkt von mehr als 300 Einzelfällen.

Möchte man diese Gewaltaktionen im Sinne eines »deutenden Verstehens« nachvollziehen, so muss man sich aus einer gewaltsoziologischen Perspektive die für fast alle Konflikttransformationsprozesse beobachtbaren Begleiterscheinungen bewusst machen: Ein typisches Phänomen ist ein exponentieller Anstieg krimineller Gewalt parallel zum Abschwächen politisch motivierter Gewalt. Die Instabilität von Konflikttransformationsphasen begünstigt einen Kriminalitätsanstieg – so beobachtet z.B. in den osteuropäischen Staaten, in El Salvador und in Namibia während der Phase vor der Unabhängigkeit des Landes. Die Erklärung liegt im identifizierbaren Zustand der Anomie (nach Emile Durkheim), wonach die so genannte einfache Kriminalität durch den Bürgerkrieg unterdrückt wurde, da die politisch motivierte Gewalt bewaffneter Gruppen dominierte. Im internationalen Vergleich der Kriminalitätsraten belegt Nordirland mittlerweile den zweiten Rang hinter Südafrika; gleichzeitig belegt der »Northern Ireland Crime Survey« eine überdurchschnittlich hohe Angst der Menschen, Opfer eines Verbrechens zu werden.

Die staatlichen Sicherheitsinstitutionen sind am Beginn des Friedenskonsolidierungsprozesses kaum in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, die durch den Kriminalitätsanstieg in Gefahr gerät. Zur Schilderung der Probleme der Polizei im Vorgehen gegen kriminelle Gewalt innerhalb eines Friedenskonsolidierungsprozess wählte ein südafrikanischer Polizist den Vergleich mit einem Rugby-Team das plötzlich Fußball spielen soll. Die bewaffneten Gruppen, die sich schon zu Bürgerkriegszeiten als Schutzmächte ihrer Gemeinschaften sahen, nutzen die Situation um erneut »das Recht selbst in die Hand« zu nehmen und betreiben – nicht selten auch auf Druck der eigenen Gemeinschaft – eine gewaltsame, aktive Kriminalitätsbekämpfung.

Eine gewaltfreie Alternative zur Form der »Kriminalitätsbekämpfung durch Verbrechen« bietet die »Restorative Justice-Intervention«: Kriminalität wird nicht als Übertretung eines Gesetzes, sondern als eine Schädigung des Opfers und eine Beeinträchtigung des friedlichen und sicheren Zusammenlebens in einer Gemeinschaft definiert. Ziel ist es, einen alternativen gemeinschaftsbezogenen Prozess zu initiieren, der die gewaltsame informelle Selbstjustiz der bewaffneten Gruppen vermeidet bzw. aushebelt. Vergleichbar mit der klassischen Methode des Täter-Opfer-Ausgleichs bieten Restorative Justice-NGOs vor Ort den Betroffenen Foren bzw. Kommunikationsräume an. Darin kommen idealer Weise sowohl der (kriminelle) Täter, die Opfer als auch Vertreter der Gemeinschaft an einen Tisch. Die NGOs bieten Opfern und Tätern die Möglichkeit, mit Hilfe eines Vermittlers ihren Konflikt außergerichtlich zu regeln und sich über eine Wiedergutmachung zu verständigen. Gemeinsam wird dann versucht, eine Vereinbarung darüber zu erzielen, welche Maßnahmen nötig sind, um die eine Wiedergutmachung zu erreichen. Denkbar ist dabei stets ein Bündel von Maßnahmen, z.B. auch pädagogische Maßnahmen bezogen auf den Täter. Die Aufgabe von lokalen NGOs als »Dritte Parteien« besteht u.a. darin, die Wiedergutmachungs-Leistungen zu überprüfen. Mittlerweile sind in vielen Gebieten solche Restorative Justice-NGOs entstanden. In der Regel gingen diese auf die Initiativen ehemaliger Mitglieder der bewaffneten Gruppen und deren Organisationen zurück: Auf der katholischen Seite ist hier der Dachverband »Community Restorative Justice Ireland« (CRJI) zu nennen, auf der protestantischen die NGO »Greater Shankill Alternatives«. Der Erfolg der Organisationen liegt zum einen im relativen Rückgang der »Punishment Beatings«, wenn auch nur in kleinen Schritten. So wird z.B. der Rückgang der »Punishment Beatings« im Gebiet der »Shankill Road« auch von der lokalen Polizei bestätigt.

Zum anderen besteht der Erfolg darin, dass die grundsätzliche Akzeptanz einer gewaltlosen Lösung des Kriminalitätsproblems und von Konflikten im Allgemeinen in den Augen der Gemeinschaften und unter den Mitgliedern der bewaffneten Gruppen steigt und sich dadurch die festsitzende Gewaltkultur, die der Bürgerkrieg hinterlassen hat, aufzulösen beginnt.

Die Verwirklichung der Restorative Justice-Philosophie in Nordirland hat damit den ehemaligen Gewaltakteuren die Chance gegeben, einen konstruktiven Beitrag zum Gelingen des Friedenskonsolidierungsprozesses zu leisten.

Fazit & Ausblick

Doch die Umsetzung des Restorative Justice-Ansatzes wird auch von erheblicher Kritik begleitet, die sich durch alle politischen Lager erstreckt. „We can’t have local warlords being turned into local law lords“, sagte z.B. Mark Durkan, Parteivorsitzender der gemäßigten katholischen Social Democratic Labour Party. Andere Kritiker behaupten, dass CRJI lediglich ein neuer Name bzw. eine neue Rolle für die IRA sei.

In der Tat operieren die Restorative Justice-NGOs in einer rechtlichen Grauzone, denn sie nehmen eine zentrale staatliche Aufgaben wahr: Rechtsdurchsetzung und Sicherheitswahrung. Die britische Regierung hat deshalb eine Konsultationsperiode gestartet, um rechtliche Klarheit zu schaffen, die jedoch noch nicht abgeschlossen wurde. Kompromisslinien werden z.B. darin gesehen, eine Form der Kooperation zwischen der Polizei und den Restorative Justice-NGOs zu implementieren, d.h. eine Verzahnung von Polizeireformen und dem Restorative Justice-Ansatz.

Hans Fritzheimer, Leiter des EU-Polizeiprojekts Proxima in Mazedonien und hochrangiger schwedischer Polizist, sagte in einem Interview mit dem Autor, dass man in Konflikttransformationsphasen keine »big bang«-Intervention von Polizeireformen erwarten könne. Polizeiorganisationen, die internationalen Standards in Bezug auf Menschrenrechte u.a. gerecht werden, können nur durch langfristige Reformen entstehen, so Fritzheimer, nicht durch eine komplette Abschaffung der alten Polizeiformen. Akzeptiert man also, dass man von der alten Polizei-Truppe keinen »big bang « erwarten kann, kann man dann von der IRA und den anderen nicht-staatlichen Gewaltakteuren einen solchen »big bang«, d.h. die sofortige Auflösung erwarten? Die Gegenthese lautet daher, dass Restorative Justice-NGOs in der Tat eine neue Rolle für die IRA sein können. Hierin besteht die Chance, den bewaffneten Gruppen einen positiven Ansatzpunkt zur langfristigen Transformation von Gewaltakteuren zu Friedensakteuren zu geben: „Just because you have a past doesn’t mean you don’t have a future“ wurde David Trimble zitiert, ehemaliger Erster Minister Nordirlands und damals Parteivorsitzender der gemäßigten, protestantischen Ulster Unionist Party.

Ein positives Zusammenwirken zwischen der Polizei und den Restorative Justice-NGOs kann derzeit aufgrund der Verweigerung Sinn Feins nicht in Gang kommen, die sich auf das mangelnde Vertrauen in der katholischen Gemeinschaft begründet. Ein denkbarer Ausweg könnte darin bestehen, dass Sinn Fein die ihnen zustehenden Sitze im Policing Board vorläufig nicht annimmt, aber stattdessen Vertreter von CRJI dafür nominiert werden. Sinn Fein könnte dadurch das politische Gesicht wahren – die Partei kooperiert nicht direkt mit der Polizei – doch gleichzeitig könnte der Dialog der Polizei mit der katholischen Gemeinschaft über die CRJI-Vertreter überhaupt beginnen.

Dadurch könnte sich eine positive Dynamik abzeichnen, wie sie in Südafrika zu beobachten war: Obwohl es gegenüber der südafrikanischen Polizei große Befürchtungen gab, sie werde in den Friedenskomitees (peace committees) eine destruktive Rolle spielen, nahm sie eine aktive Rolle ein und es kam ein Dialog mit der schwarzen Gemeinschaft in Gang.

Dieses Potential könnte in Nordirland zum Tragen kommen, wenn zunächst CRJI-Vertreter, ihre Sitze im nationalen und den regionalen Polizeiaufsichtsgremien annehmen würden. Restorative Justice könnte so die Funktion einer »vertrauensschaffenden Brücke« für den Weg der Reform der nordirischen Polizei erfüllen.

Nehmen CRJI-Vertreter die Sinn Fein-Sitze im Policing Board an, so könnte dies auch ein möglicher Kompromiss auf der makropolitischen Ebene darstellen, was die wiederholten Forderungen an Sinn Fein betrifft, die Polizei offiziell anzuerkennen.

Literatur

Baumann, Marcel M. (2006): The Restoration of Restorative Justice; in: The Blanket: A Journal of Protest and Dissent; 14. Juni 2006.

Baumann, Marcel M. (2007): Zwischenwelten: Weder Krieg, noch Frieden. Über den konstruktiven Umgang mit Gewalt im Prozess der Konflikttransformation; Müsnter: Lit. (i.E.)

Cox, Michael / Guelke, Adrian / Stephen, Fiona (2000) (Hrsg.): A farewell to arms? From ‘long war’ to long peace in Northern Ireland; Manchester: Manchester University Press.

Hauswedell, Corinna (2004): der nordirische Friedensprozess – ein Modell? Lehren für eine internationale Einhegung innergesellschaftlicher Konflikte, Bonn, W & F Dossier Nr. 45.

Gidron, Benjamin / Katz, Stanley N. / Hasenfeld, Yeheskel (2002) (Hrsg.): Mobilizing for Peace. Conflict Resultion in Northern Ireland, Israel/Palestine and South Africa, Oxford: Oxford University Press.

Knox, Colin / Monaghan, Rachel (2002): Informal Justice in Divided Societies. Northern Ireland and South Africa; Hampshire/ New York: Palgrave Macmillan.

McGarry, John / O’Leary, Brendan (1993): The Politics of Antagonism: Understanding Northern Ireland; London: Athlone Press.

McGarry, John / O’Leary, Brendan (1995): Explaining Northern Ireland: Broken Images; Oxford: Blackwell Publishing.

Moltmann, Bernhard (2002): »Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben…« Nordirland und sein kalter Frieden, HSFK-Report Nr. 8/2002, Frankfurt am Main.

Text des Karfreitagsabkommens: »Agreement reached in the multi-party negotiations« (10. April 1998): http://cain.ulst.ac.uk/events/peace/docs/agreement.htm (Zugriff: 12.10.2006).

Zurawski, Nils (2001): Gewalt und Ordnung in Nordirland: RUC, Paramilitärs und restorative justice; in: Sicherheit und Frieden; Ausgabe 2 / 2001; S.96-101.

Marcel M. Baumann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arnold-Bergstraesser Institut für Kulturwissenschaftliche Forschung in Freiburg und Lehrbeauftragter am Seminar für Wissenschaftliche Politik (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau).

Energie und Zukunft

Energie und Zukunft

Memorandum zur nachhaltigen Energieversorgung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.«

von NatWis

Die aktuelle Debatte um die weltweite Energieversorgung greift zu kurz: Sie sucht technische Lösungen und klammert weitgehend die Frage nach dem Wirtschaftssystem und der ihm entsprechenden Lebens- und Produktionsweise aus. Der Zusammenhang aber zwischen naturwissenschaftlich-technischen Fakten und dem heutigen Industrie- und Wirtschaftssystem insgesamt muss thematisiert werden, um Illusionen bzw. falsche Entscheidungen über zukünftige Möglichkeiten des Wirtschaftens und Lebens auf der Erde zu vermeiden und nachhaltige, zukunftsfähige Lösungen zu finden und zu realisieren. Die Naturwissenschaftler-Initiative möchte dazu mit diesem Memorandum einen Beitrag leisten.

Die bisherigen Bemühungen, die CO2-Emissionen zu reduzieren und somit den Klimawandel zu beeinflussen, haben ihr Ziel nicht erreicht. Global steigen die CO2-Emissionen weiter erheblich an: Allein 2005 um 4,5 %, so stark wie seit 1976 nicht mehr. Die neueste Klimaprognose des Umwelt-Bundesamtes fordert, um die Erwärmung der Atmosphäre wenigstens auf 2 Grad zu begrenzen, eine Reduzierung um 40% bis 2020, um 80% bis 2050. Dabei werden die heute schon auftretenden erheblichen Folgen des Klimawandels bereits einkalkuliert. Für Deutschland wurden die bis 2005 vorgesehenen bescheidenen Reduzierungs-Ziele um 25% zwischen 1990 und 2005 nicht erreicht. Die CO2-Emissionen der europäischen Industrienationen müssten aber um ein Mehrfaches dieses Wertes reduziert werden, denn die Europäer emittieren pro Kopf das fünffache Chinas, das zehnfache afrikanischer Länder.

Gas-Kraftwerke zur Verbesserung der energietechnischen Effizienz, verbunden mit der Kraft-Wärme-Kopplung, insbesondere als dezentrale Anlagen, sind heute technisch ausgereift und wichtige Projekte. Die CO2-Abscheidung, wenn sie sich als großtechnisch realisierbar erweisen sollte und die Lagerung geklärt wäre, könnte ebenfalls einen Beitrag leisten. Diese Entwicklungen sind jedoch, soweit sie auf fossilen Brennstoffen basieren, Übergangs-Technologien. Maßnahmen zur Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien müssen beschleunigt ergriffen und diese Technologien weiter entwickelt werden.

Zusammengenommen können all diese Techniken jedoch die fossilen Energieträger wohl nur zum Teil substituieren. Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten zusätzlichen Energiebedarf können sie auf keinen Fall decken. Atomenergie aus Kernspaltung, die zur Zeit als »Renaissance der Kernenergie« von interessierter Seite in Spiel gebracht wird, ist keine verantwortbare, aber auch keine im erforderlichen Umfang realisierbare Technik zur Energiegewinnung. Es gibt also nach unserer Einschätzung keinen rein technischen Ausweg aus der Energie-Krise: Das »perpetuum mobile« wird trotz intensiver Suche nicht gefunden werden.

Bereits das Problem begrenzter Ressourcen, aber auch die unerwünschten Nebenwirkungen ihrer Nutzung, erfordern deshalb grundlegende gesellschaftlich-ökonomische Veränderungen, die in ihrer Tiefe und Tragweite wohl einen Epochenwandel von ähnlicher Größenordnung bedeuten wie der Wandel zur Industriegesellschaft vor ca. 250 Jahren.

Derzeit sind in Deutschland erhebliche Investitionen in Großkraftwerke geplant. Damit werden technische, finanzielle und gesellschaftliche Entscheidungen getroffen, die die Energiepolitik für die nächsten Jahrzehnte festlegen. Entweder wird, geleitet durch die Interessen der dominierenden Energie-Großwirtschaft, die schon jetzt krisenhafte Entwicklung weiter betrieben – oder es werden Maßnahmen getroffen, die in Richtung einer grundlegenden Veränderung von Energiewandlung und Energienutzung führen und damit den notwendigen Epochenbruch einläuten.

Es ist höchste Zeit, zu handeln!

Die fossilen Energieträger werden knapp, die Auseinandersetzung um diese Ressource wird schärfer. Es haben bereits Kriege um Öl begonnen. Die Klimaerwärmung hat inzwischen messbare und dramatische Folgen. Nach Jahren, in denen warnende Stimmen aus Teilen der Naturwissenschaft und insbesondere der Klimaforschung überhört wurden, bleibt sehr wenig Zeit, um eine weitere Zuspitzung der globalen krisenhaften Entwicklung zu vermeiden. Folgende Notwendigkeiten aktueller Energiepolitik bestehen deshalb aus unserer Sicht:

Ausstieg aus der Atomenergie

Atomkraftwerke, wie andere Großkraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung auch, sind wenig effektiv, da sie nur Strom produzieren und 60% bis 70% ihrer Primärenergie ungenutzt verlieren. Das Risiko der Atomenergienutzung beruht im Wesentlichen auf den erheblichen Problemen in den Bereichen radioaktive Umweltbelastung von der Urangewinnung bis zum Kraftwerk, Anlagensicherheit und der bis heute offenen Frage des Umgangs mit den radioaktiven Abfällen. Bei den heutigen 443 weltweit betriebenen Reaktoren besteht das prinzipielle Risiko eines Unfallszenarios mit Kernschmelze und nachfolgender massiver Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt. Eine solche Reaktorkatastrophe ist mit extremen und langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt verbunden. Dabei können Unfallszenarien sowohl durch die zugrunde liegende Technologie oder menschliches Versagen selbst bedingt sein (interne Ursachen), oder es können externe Ereignisse auslösend sein (Erdbeben, Flugzeugabstürze, terroristische Anschläge, Kriegseinwirkungen).

Die heutige zivile Kernenergienutzung ist janusköpfig: Sie verwendet Technologien, die speziell für die Atomwaffenprogramme der Kernwaffenstaaten entwickelt wurden und damit ein beständiges zivil-militärisches Dual-Use-Potenzial mit Proliferationsrisiko darstellen. So sind für die Anreicherung von Reaktorbrennstoff benötigte Anlagen prinzipiell auch in der Lage, hochangereichertes Uran für Waffenprogramme zu produzieren (siehe die aktuelle Diskussion um das iranische Zentrifugenprogramm). Wiederaufarbeitungstechnologien für abgebrannten Brennstoff schaffen Zugang zu Plutonium, welches ebenfalls in Kernwaffen verwendet werden kann (siehe die Diskussion um die Kernwaffenfähigkeit Nord-Koreas).

Die bei der Bestrahlung von Reaktorbrennstoff anfallenden hochradioaktiven Abfälle müssen über extrem lange Zeiträume sicher gelagert werden. Hierfür gibt es bislang weltweit keine technisch und gesellschaftlich tragfähige Lösung.

Bei einer Fortsetzung oder gar einem Ausbau der zivilen Kernenergienutzung würden diese Risiken und Probleme bestehen bleiben bzw. vervielfacht. Deshalb ist eine Fortsetzung der gegenwärtigen Kernenergienutzung oder eine Laufzeit-Verlängerung nicht verantwortbar. Der ins Feld geführte Beitrag der Atomenergie zur Lösung der Klimaproblematik wäre ohnehin gering – auch wegen der meist unerwähnt bleibenden »grauen Energie«, die vom Uran-Abbau bis zu den Herstellungsprozessen von Kraftwerken und Brennstoffen CO2 freisetzt. Der nukleare Anteil an der weltweiten Primärenergiebereitstellung liegt lediglich bei 5-6%. Selbst ein schneller Ausbau z.B. auf das Doppelte, der technisch kaum realisierbar ist (von der Planung zur Inbetriebnahme brauchte man im Schnitt 22 Jahre), würde also wenig zur Energieversorgung beitragen. Auch die in diesem Kontext diskutierten neuartigen Nuklearsysteme (vom Europäischen Druckwasserreaktor EPR bis zu Generation IV-Konzepten) lassen keine signifikanten Durchbrüche in den Bereichen der Sicherheit, der Nichtverbreitung und der Entsorgungsproblematik erwarten. Wir warnen eindringlich vor der Illusion, es könne ein inhärent sicheres Reaktorsystem und ein proliferationsresistentes nukleares Gesamtsystem ohne Entsorgungsproblematik entwickelt werden. Überdies würden bereits bei einer Fortschreibung der Kernenergienutzung auf dem gegenwärtigen Niveau die wirtschaftlich ausbeutbaren Uranlagerstätten in wenigen Jahrzehnten an eine Grenze stoßen. Daher sind Ausbauszenarien auch aus dieser Perspektive höchst fraglich.

Wegen der dafür erforderlichen riesigen Investitionsmittel würde die sich aktuell bietende Chance auf einen Umbau des deutschen Energiesystems finanziell über Jahre blockiert, der allein die Abhängigkeit von Energie-Rohstoff-Importen verringern kann.

Ob irgendwann Kernfusionsreaktoren ans Stromnetz gehen könnten, ist heute noch völlig ungewiss. Weder die technische noch überhaupt erst die wissenschaftliche Machbarkeit ist demonstriert, sie würden zudem extrem hohe Investitionskosten verursachen. Die Fusionsforschung bekommt aber – zusammen mit der nuklearen Sicherheitsforschung – immer noch knapp die Hälfte der öffentlichen Fördermittel für Energieforschung in Deutschland. Dies ist nicht zu rechtfertigen, denn es geht bei der Fusionsforschung eindeutig nicht um Effizienzsteigerung und Kostensenkung bei einer existierenden Technologie, wie in weiten Bereichen der regenerativen Technologien. Mit den Forschungsmitteln von zur Zeit jährlich etwa 500 Millionen Euro für die Fusion in Europa wird ein völlig ungedeckter Scheck auf die Zukunft ausgestellt. Denn die von den Proponenten reklamierten günstigen Eigenschaften der Fusion, die Lösungen für Probleme der heutigen Kerntechnologie versprechen, sind abhängig von einer ganzen Reihe wesentlicher technischer – insbes. auch materialtechnischer – Durchbrüche, von denen heute niemand weiß, ob sie so realisierbar sein werden. So droht beispielsweise nach heutigem Kenntnisstand auch der Fusion die Notwendigkeit einer langfristigen Endlagerung radioaktiver Abfälle, die aufgrund der Aktivierung der Reaktorstrukturmaterialien durch die harte Neutronenstrahlung entstehen. Auch wäre die Brennstoffkonzeption auf Basis des radiologisch problematischen und für Kernwaffenanwendungen begehrten Materials Tritium kritisch zu überprüfen.

Die Erfahrungen mit der Kernspaltung zeigen, dass die bei der Entwicklung in Aussicht gestellten Leistungen und die dann eingetretene Realität weit auseinanderklaffen. Mitte der 70er Jahre kündigten seriöse Wissenschaftler und Ingenieure die komplette Umstellung des Energiesystems bis zum Jahr 2000 auf Atomenergie mit 4000 bis 5000 Reaktoren weltweit an, „Stromzähler werden unnötig“. Heute haben wir 443 Reaktoren mit 5-6% Anteil, Tschernobyl hinter uns und möglicherweise bald Krieg wegen der »zivilen« Nutzung durch Iran und Nordkorea, die diese Länder kernwaffenfähig machen könnte.

Generell müssen Möglichkeiten im Wissenschafts- und Techniksystem gefunden werden, bei finanziell sehr aufwendigen Großprojekten rechtzeitig umzusteuern, wenn sich abzeichnet, dass die realen Möglichkeiten technisch und zeitlich weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleiben oder sich sicherheitsrelevante Probleme stellen. Heute ist daher eine Umschichtung der Forschungsfördermittel von Kernspaltung und Fusion zu regenerativen Energietechnologien anzuempfehlen.

Ausstieg aus der fossilen Energie durch deren politisch gesteuerte und sozial abgefederte Verteuerung

Die bisherigen niedrigen Energiekosten – im wesentlichen erreicht durch Nutzung der fossilen Vorräte und immer noch staatlich z.T. mit jährlichen Milliardenbeträgen subventioniert (z.B. deutsche Kohle) – haben dazu geführt, dass ohne jegliche ökonomische Hemmnisse CO2-Emmissionen produziert wurden. Damit verbundene Folgen der Klimaänderung sind inzwischen allgemein bekannt. Weniger bedacht wird, dass durch das Missverhältnis zwischen den Kosten menschlicher Arbeit und den niedrigen Energie- und Rohstoffkosten die technische Rationalisierung der Produktion in einem Ausmaß ermöglicht wurde, das inzwischen weit über sinnvolle technische Erleichterung menschlicher Arbeit hinausgeht und lediglich zur Steigerung der Renditen führt. So wurden in praktisch allen Ländern Massenarbeitslosigkeit und damit große soziale Probleme erzeugt.

Nur durch eine politisch entschiedene Verteuerung des fossilen Treibstoffs (über die durch den »Markt« schon heute erzeugte Verteuerung hinaus) kann dieses Missverhältnis korrigiert und die notwendige drastische Reduzierung des fossil betriebenen Verkehrs auf der Straße und in der Luft erreicht werden – insbesondere des Verkehrs, der lediglich durch ökonomische Kalküle bezüglich der Arbeitskosten erzeugt wird bzw. durch die Autobahnen als »just in time-Lager«. Dazu gehört auch die sonstige, technisch nicht erforderliche, ökonomisch erzwungene Mobilität (z.B. lange Wege zum Arbeitsplatz). Schließlich betreibt auch das Militär eine nicht verantwortbare Verschleuderung von fossiler Energie

Die Öko-Steuer sollte deshalb als richtiger Ansatz weiter entwickelt werden, und zwar sozial abgefedert und gezielt auf fossil erzeugte Energie und große Energieverbraucher bezogen, insbesondere in Verkehr (besonders Flugbenzin!) und Industrie. Soziale Abfederung heißt: Der Basis-Verbrauch der Haushalte für Heizung etc. bleibt günstig, Mehrverbrauch wird progressiv besteuert. Dies muss international durchgesetzt werden, um die ungleiche Inanspruchnahme von Energie zwischen Nord und Süd auszugleichen. Wie dies im einzelnen geschieht, ist in internationalen Projekten zu erarbeiten. So könnten Rahmenbedingungen geschaffen und finanzielle Mittel freigesetzt werden, um den aufgrund der Klimarisiken erforderlichen raschen Ausstieg aus dem Verbrauch fossiler Energieträger zu bewerkstelligen. Die Mittel aus einer solchen Steuer könnten zudem, wie in der Öko-Steuer bereits begonnen, für soziale und gesundheitliche Vorsorge eingesetzt werden und so die heute allein an die abhängige Arbeit gebundenen Sozialsysteme entlasten bzw. langfristig ersetzen. Zu diesem Instrumentarium gehört auch der Emissions-Zertifikate-Handel, vorausgesetzt, die Zertifikate werden schon heute drastisch und zukünftig schneller verknappt als bisher geplant und nicht wie bisher »umsonst« ausgegeben.

Förderung der Energieeinsparung

Im globalen Vergleich ist die Inanspruchnahme von Energiedienstleistungen pro Person in Deutschland und den anderen »alten« Industrieländern immer noch viel zu hoch (2003: USA rund 11 Kilowatt, Europa 6 kW, China rund 1 kW, Afrika unter 0,5 kW). Das Energie-Nutzungs-Niveau von USA oder Europa ist keineswegs übertragbar auf die gesamte Menschheit. Denn die maximale Tragfähigkeit des Biosystems für menschlich verursachten zusätzlichen Primär-Energie-Umsatz ist begrenzt und heute schon erreicht. Verträglich ist nach plausiblen Berechnungen (s. Global Challenges Network, H.P. Dürr) ein »Dauer-Leistungsbedarf« pro Person von etwa 1,5 kW – das entspricht etwa dem Niveau eines Schweizer Bürgers um 1967. Es geht also nicht nur um Energie-Effizienz, sondern im wesentlichen um Suffizienz auf immer noch hohem Niveau.

Zwar gibt es noch ein erhebliches Potential an Einsparmöglichkeiten durch technische Maßnahmen (ein Schritt in die richtige Richtung ist das Investitionsprogramm der Bundesregierung zur energetischen Sanierung von Bauten). Das wird jedoch nicht ausreichen; zudem hatten bislang Energie-Spar-Maßnahmen häufig einen quantitativen Schub zur Folge, der den Einspareffekt wieder aufhob (Rebound-Effekt). Neben der energietechnischen Optimierung (z.B. drastische Senkung des Verbrauchs bei Automobilen und Elektrogeräten) müssen also Änderungen der Wirtschaftsweise und des Lebensstils stattfinden. Zu den Änderungen des Lebensstils gehören die Beendigung der Billigfliegerei und die Reduzierung des Freizeitverkehrs, aber auch die großflächige Vermeidung unnötigen Verbrauchs im täglichen Leben. Hier hat die energetische Beratung und Aufklärung der Bevölkerung einen zentralen Stellenwert. Generell sind nach den schlechten Erfahrungen mit »Selbstverpflichtungen« der Wirtschaft entsprechende verbindliche Grenzwerte durch politische Entscheidungen festzulegen, die die Freiheit zur Verschleuderung von Energie einschränken. Aber auch eine Entwicklung langlebiger Güter und ihre Wiederverwendung nach Wiederaufarbeitung (Re-Manufacturing) zur Verlängerung der Lebenszyklen, besonders der hochtechnologischen Güter, tragen zum Energie-Sparen bei.

Ausbau der Erneuerbaren Energien

Der notwendige beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energie (EE) ist unstrittig. Dennoch werden im Verhältnis immer noch zu viele öffentliche und private Mittel für Forschung, Entwicklung, Förderung fossiler und nuklearer Energiequellen (inzwischen auch deren unvermeidbaren Rückbau) ausgegeben, anstatt sie in regenerative Energieträger umzulenken. Zudem gibt es immer noch viel zu wenig Aufklärungs- und Bildungsanstrengungen in Richtung nachhaltiger, erneuerbarer Energiesysteme, von der Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen zum bewussten Umgang mit Energie bis zu den Hochschulen, die noch zu wenige entsprechende Studiengänge anbieten. Viele Stellen, die sich bisher den Erneuerbaren gewidmet haben, werden derzeit an den Hochschulen nicht wieder besetzt.

Erneuerbare Energiesysteme haben neben der CO2-Neutralität den großen Vorteil, dass sie vielfältig gestaltet werden können – insbesondere dezentral, in räumlicher Nähe zu den Ressourcen und nahe an der Nutzung, vernetzt zum Ausgleich unterschiedlicher Lagen. Der Gewinn wird in der Region erwirtschaftet und dort auch wieder sinnvoll eingesetzt. Sie bergen damit ein ungleich geringeres Konflikt-Potential als die global sehr ungleich verteilten fossilen Ressourcen mit ihren langen Transportwegen oder gar die atomaren Energiewandlungsverfahren, mit ihren militärischen Risiken. Sie eröffnen damit auch die Chance, die Wirtschaft zu deglobalisieren, d.h. wieder stärker auf Regionen zuzuschneiden. So werden z.B. Forst- und Landwirte zu Energiewirten. Damit können EE durch die Struktur ihrer Erzeugung und Nutzung zum Abbau wirtschaftlicher Macht beitragen, die durch großtechnische Konzentration der Energieversorgung (in Deutschland im wesentlichen bei vier Konzernen) entstanden ist.

Technologisch weitgehend ausgereift ist im Bereich EE die Windenergie. Andere Techniken haben zum Teil noch Entwicklungsbedarf. Für solche Entwicklungen können an die jeweilige klimatische, kulturelle und soziale Situation angepasste technische und ökonomische Konzepte erarbeitet werden, die sich von den bisherigen Strukturen lösen. Dieses Potential ermöglicht auch dezentrale und kleinteilige Lösungen wie Mikro-Energie-Systeme, um strukturschwache Gebiete, die heute von einer ausreichenden Energieversorgung abgeschnitten sind, gemäß den lokalen Bedürfnissen schneller, sicherer und überdies weitaus preiswerter (Mikro-Finanzierung) zu versorgen als bisher. Dies betrifft rund zwei Milliarden Menschen insbesondere in den Ländern des Südens, die damit größere Chancen auf eine nachhaltige Entwicklung bekommen.

Ein Epochenwandel ist nötig und möglich

Neben den hier angeführten Maßnahmen, die heute bereits realisierbar sind, ist mittelfristig eine grundlegende Veränderung der global vorherrschenden Wirtschafts- und Lebensweise unabdingbar. Von vielen mag dies als »unrealistisch« angesehen werden.

Wir setzen aber zum einen darauf, dass die notwendigen Veränderungen politischer Natur und damit auch politisch durchsetzbar sind – in Deutschland z.B. gegen die großen Energie-Konzerne. Hier ist besonders die regionale Ebene angesprochen. Auch auf internationaler Ebene ist dies möglich, wenn die Entscheidungen treffenden Organisationen demokratisch aufgebaut und nicht unter einem nach der Wirtschaftskraft der beteiligten Länder abgestuften Einfluss stehen wie heute z.B. WTO und Weltbank. Weltweit gibt es zum anderen vielfältige Organisationen bzw. Bewegungen aus der Zivilgesellschaft, die sich zunehmend international vernetzen und vielfältige Formen des Wirtschaftens entwickeln oder schon praktizieren. Die heute noch dominierende neoliberal-kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise ist keineswegs alternativlos und schon gar nicht eine Art »Naturgesetz«; sie ist im globalen Maßstab erst durch politische Entscheidungen in den letzten Jahrzehnten ermöglicht worden und im übrigen erst rund 250 Jahre entfaltet in Betrieb. Große Länder des Südens haben in den letzten Jahren begonnen, sich von der Vorherrschaft dieses, die »Globalisierung« beherrschenden, Wirtschaftssystems zu lösen und Alternativen zu entwickeln.

Im Bereich Energie und Klima ist es besonders deutlich, dass die Naturgesetze und die stofflichen Restriktionen in einer endlichen Welt nicht verhandelbar sind, im Gegensatz zu ökonomischen, politischen und sozialen Systemen und Regeln. Hierauf sollte sich unser »Realismus« beziehen. Technik und Naturwissenschaft sind zu vielen großartigen Leistungen in der Lage, aber dauerhaft nur in »Allianz« (Ernst Bloch) mit der Natur. Viele Naturwissenschaftler neigen dazu, die »Machbarkeit« ihrer Visionen unabhängig von den praktischen Lebens-Bedingungen zu sehen, sich damit zu überschätzen und die durch die Realisierung verursachten Probleme für Mensch und Natur zu verdrängen. Auch die Technik hat gerade im Energiebereich Heilsversprechen abgegeben, die durch die Katastrophe in Tschernobyl bezüglich der Frage der technischen Sicherheit, insgesamt durch die heute deutlich gewordenen nicht intendierten negativen Folgen für die Natur und den Frieden widerlegt wurden. Naturwissenschaft und Technik sind also mit verantwortlich für die sich abzeichnende Krise im Energiebereich.

Nach diesen Erfahrungen steht es Naturwissenschaftlern und Technikern gut an, wieder mehr Realismus an den Tag zu legen, der seit jeher professioneller Standard von Naturwissenschaftlern und besonders von Ingenieuren ist. Das bedeutet auch, die hinter den angeblichen »Sachzwängen« der Ökonomie stehenden Interessen und die Ideologien der herrschenden neoliberalen Lehre nüchtern an den stofflichen Bedingungen zu messen.

Das zentrale Paradigma hinter den herrschenden ökonomischen »Gesetzen« ist das »Wachstum«, von dem die Lösung aller sozialen Probleme erwartet wird. Hier setzen wir aus naturwissenschaftlicher Sicht an:

Beendigung des Wachstums-Paradigmas

Auf die natürlichen »Grenzen des Wachstums« hat seit 1973 u.a. der Club of Rome hingewiesen. In vielen Punkten haben wir heute die Grenzen des materiellen Wachstums bereits überschritten. Die Vorstellung, dass die materielle Produktion sich weiterhin weltweit in Form der bisherigen Exponentialfunktionen steigern lässt, widerspricht grundlegenden Naturgesetzen und der Tatsache der Endlichkeit der Ressourcen. Das bisherige ökonomische Modell der Industrienationen ist also aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht global übertragbar und trägt die Logik des Misslingens in sich.

Es gilt daher, aus der bisherigen kapitalistisch geprägten Wachstums-Ökonomie auszusteigen und Modelle sozial und ökologisch angepasster Ökonomien und Techniken zu entwickeln. Solche Modelle werden beispielhaft bereits in einzelnen Ländern realisiert und müssen in internationaler Kooperation gestaltet werden, nicht in Konkurrenz der Länder und Menschen gegeneinander. Das heißt auch, dass in den bisherigen Industrieländern eine radikale Reduzierung der Inanspruchnahme energetischer und stofflicher Ressourcen erforderlich ist, um den Ländern des Südens die Möglichkeit zu geben, ihre materiellen Lebensverhältnisse zu verbessern – was ohne eine sinnvolle Steigerung der ihnen zur Verfügung stehenden Energie-Dienstleistung nicht möglich sein wird.

Weichenstellung zwischen ungesteuertem »Weiter so« oder bewusster Gestaltung der Zukunft

Nach wie vor wird von einem Großteil der politischen und wirtschaftlichen »Eliten« in den meisten Ländern die kapitalistische Wachstums- und Konkurrenz-Ökonomie für alternativlos gehalten. Der Glaube an den »Technischen Fortschritt«, der durch Wettbewerb und Markt angetrieben und damit im Sinne dieser Ökonomie und der hinter ihr stehenden Interessen geformt wird, konnte nur so lange halten, wie scheinbar unerschöpfliche Quellen der Natur zur Verfügung standen. 1986, als durch das Unglück von Tschernobyl das Scheitern des Technik-Optimismus deutlich wurde, der mögliche Folgen schlicht verdrängt, schien eine kurze Zeit lang wenigstens in einigen Ländern die Politik durch die erklärte Absicht zum Ausstieg aus der Atomenergie zu reagieren. Auch die wachsende Kenntnis von den ökologischen Folgewirkungen förderte Überlegungen, die bewusste Gestaltung des »Technischen Fortschritts« durch die Gesellschaft zum Programm zu machen.

Seit 1989/90 aber lässt sich die Politik von einer Wirtschaft mehr und mehr dominieren, die »die Märkte« zur maßgeblichen Orientierungsgröße und die ökonomische Konkurrenz zwischen Menschen und Nationen zum einzigen Antrieb machen will. Damit wird aber lediglich der uralte Kampf um die begrenzten Naturschätze verschärft, in dem heute die fossilen und nuklearen Energieträger eine zentrale Rolle spielen. Durch die ökologischen Folgewirkungen und die heutigen Möglichkeiten der Militär-Technik im atomaren, biologischen und chemischen Bereich kann dieser Kampf allerdings bis zur Vernichtung der Menschheit eskalieren.

Gegen dieses Szenario setzen wir die verantwortungsbewusste Gestaltung der Technik und des gesellschaftlichen Lebens auf der Basis nachhaltiger Entwicklung, die das ökologische und soziale Element vorrangig berücksichtigt und die Ökonomie daran anpasst. Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie sind für die Menschen da, nicht umgekehrt. In dieser Phase der Geschichte wird von uns weltweite Nachdenklichkeit, Kreativität, Mut und Tatkraft verlangt, um international und lokal zu handeln.

Epochenwandel als Chance

Die notwendige säkulare Trend-Umkehr eröffnet die Chance, in den bisherigen Industrienationen Fehlentwicklungen der Wirtschaft zu korrigieren und gleichzeitig in den armen Nationen sozialen Wohlstand zu erzeugen, der von Anfang an unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit aufgebaut wird. Hat sich bisher der Wohlstand der reichen Nationen aus ihrer Ausbeutung der fossilen Rohstoff- und Energiequellen gespeist, wird ein künftiger Wohlstand für alle Menschen auskommen müssen mit dem, was die Erde uns an knappen Rohstoffen liefern kann und was wir durch die Einstrahlung der Sonne täglich an Energie geliefert bekommen.

Die Erkenntnis, dass die Ressourcen und damit auch die technischen Möglichkeiten begrenzt sind, kann innovative gesellschaftliche Dynamiken entfalten, die durch weltweite Verständigung über das Notwendige und Wünschenswerte gefördert werden. So kann eine Wissenschaft und Technik realisiert und finanziert werden, die sich mit den sozialen und ökologischen Zielen der »Nachhaltigkeit« organisch verbindet, indem sie außer Produktion und Konsum auch die Quellen der Ressourcen einbezieht und die möglichst weitgehende Rückführung der Güter in den natürlichen Kreislauf systematisch sowie regional und ökonomisch differenziert organisiert. Hier wird sich erweisen, ob unsere Zivilisation mit all ihrer Wissenschaft und Technik ihren Namen verdient und die Herausforderung annimmt, vor die uns die sich abzeichnende Energie- und Klima-Krise stellt

Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Verantwortung – Frieden

Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Verantwortung – Frieden

Herausforderungen und Handlungsperspektiven

von Wolfgang Liebert

Vom 14.-16. Oktober 2005 fand in Berlin zum Ende des Einstein-Jahres die Internationale Friedenskonferenz »Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Verantwortung – Frieden« statt, zu dem ein Trägerkreis bundesweit organisierter wissenschaftlicher NGOs eingeladen hatte.1 650 Gäste aus Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit diskutierten in neun Foren wissenschafts- und friedenspolitische Themenstellungen, die an Einsteins Engagement anknüpfen, aber auch die Problemstellungen für die heutige Zukunft darstellen. Im Folgenden wird das unter Federführung von Wolfgang Liebert entstandene Resümee der Foren in gekürzter Form abgedruckt.

Eine knappe Zusammenfassung der Diskussion in den neun – größtenteils parallelen – Foren ist angesichts der großen Vielfalt der dort vorgestellten Analysen und Perspektiven kaum möglich. Unter der Leitlinie, heutige Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten zu benennen, wird hier dennoch der Versuch unternommen, ein – Resümee zu ziehen.2 Die Sichtweise auf die vorgestellten Ergebnisse dieses zentralen Teils der Konferenz bleibt trotz intersubjektiver Verständigung darüber subjektiv geprägt.3

Wenn wir heute »Einstein weiterdenken« wollen, haben wir zu realisieren, dass die Welt und die Welt der Wissenschaft sich seit Einsteins Tod verändert haben. Die bipolare Welt der Blockkonfrontation ist verschwunden; der alte Kolonialismus ist überwunden. Heute gibt es Bemühungen, eine unipolare Welt mit hegemonialen Ansprüchen durchzusetzen, und die Gegenbemühung um eine multipolare Welt. Beides ist begleitet von tiefgreifenden Globalisierungsprozessen, unterfüttert durch ökonomische Kräfte und dominierende volks- und weltwirtschaftliche Konzepte, sowie einen ebenfalls tiefgreifenden wissenschaftlich-technologischen Wandel. Eine enorme Dynamik steckt dahinter. Lebenswirklichkeiten werden dadurch beeinflusst –teils auch uniformiert. Parallel dazu sind im weltweiten Maßstab Phänomene der Ungleichzeitigkeit und Ungerechtigkeit weiter gewachsen: mangelnde Entwicklungschancen und Bedrohung verstärkt durch globalisierte Ökonomie. Die Kosten für unsere natürliche Mitwelt sind weit deutlicher sichtbar und in den Auswirkungen spürbarer als zu Einsteins Zeiten. Ich nenne nur den menschlichen Dauerangriff auf die Böden, die Gewässer, die Luft, das pflanzliche und animalische Leben auf dem Planeten, den wir bewohnen.

Die Welt der Wissenschaft hat sich ebenfalls stark verändert. Dominierend ist nicht mehr das Bild reiner Grundlagenforschung – vom Typ der Arbeiten Einsteins, die sich dem Pathos der Wahrheitssuche und den wissenschaftsinternen Standards verpflichtet wissen konnten – und daneben die davon getrennt gedachte Anwendungsforschung. Wir leben heute weitgehend im Zeitalter von »Technoscience« – oder der »Technowissenschaft«–, wo Forschungshandeln und Technikentwicklung zunehmend amalgamieren. Technische und industrielle Anwendungen, technikgestützte Methoden, grundlagennahe Erkenntnis und die Nutzung bereits sedimentierten Wissens bedingen sich gegenseitig und gehen Hand in Hand. Versprechungen für Anwendungshorizonte, technische Problemlösungsangebote haben Vorrang vor theoretischer Arbeit. Notwendigerweise werden die lieb gewonnenen – aber doch eigentlich nur virtuellen – Grenzziehungen zwischen wissenschaftsinternen und wissenschaftsexternen Prozessen und Werthaltungen so durchlässig, dass weite Teile heutiger Forschung mitten in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse geraten oder geraten müssten. Auf der anderen Seite ist wissenschaftlich-technisches Know-how längst zur Kapitalressource geworden mit der Konsequenz, dass teilweise der öffentliche Zugang zum vorliegenden Wissen erschwert oder unmöglich wird, so wie wir es aus dem militärischen Bereich schon lange kennen.

(…) In den neun Foren der Tagung wurden wesentliche – sicher nicht alle – Herausforderungen diskutiert, die unter den Konferenzstichworten »Wissenschaft, Verantwortung, Frieden« subsumiert werden können.

In den letzten Jahren sind die weltweit gezählten, gewaltförmig ausgetragenen Konflikte und Kriege zahlenmäßig etwas zurückgegangen. Auch wenn die Kategorisierung zumeist nicht ganz einheitlich ausfällt: Es sind noch immer über 40. Die These wurde vertreten, dass Asymmetrien verschiedenster Art wesentliche Ursachen dieser Kriege und Konflikte sind. Spätestens seit der Zeitenwende 1989/90 ist die Hemmschwelle zu (militärischen) Interventionen von außen gesunken. Wenn immer wieder von der Notwendigkeit gesprochen wird, zu humanitären Interventionen mit oder ohne militärische Kräfte bereit zu sein, dann macht es Sinn, sich anzusehen, ob die dabei vorgegebenen humanitären Ziele erreichbar erscheinen. Auf der Konferenz vorgetragene Analysen äußern große Vorbehalte und Skepsis.

Die Interessen der starken, intervenierenden Staaten scheinen oft den vorgegebenen Sinn des Eingreifens zu verfehlen oder zu verkehren. So führt die zunehmend leitende Anti-Terrorpolitik zu unzureichenden und sehr eingeschränkten Prioritäten in den Zielländern, gerade auch was Nachkriegsaktivitäten angeht. Es geht vorrangig um die Stärkung staatlicher Autorität und Verwaltung mit dem Ziel der Grenzsicherung, der Kontrolle und Überwachung »zweifelhafter« Bevölkerungsteile etc. Auch nichtstaatliche Organisationen (NGOs) werden zunehmend in Strategien integriert, die eher der Bekämpfung von Aufständischen zu dienen scheinen – unabhängig davon, wo mögliche Konfliktursachen liegen könnten. Der Vorwurf wurde erhoben, dass hier post-koloniale Verhaltensweisen wiederkehren: kurzfristige Vorteile werden gesucht – auch im Falle nicht-militärischer Intervention – z.B. durch die Konzentration auf die Stärkung von oft nicht unproblematischer Regierungsgewalt, und häufig als verfehlt anzusehendes »nation building«. Die zumeist komplexen Ursachengeflechte für Konflikte bleiben demgegenüber verdeckt und können so die Grundlage für neue oder fortgesetzte Kriegshandlungen sein.

Das Verständnis von Sicherheit, die man schaffen will, verändert sich unter der Hand mit, insbesondere dadurch, dass in Interventionen und Interventionskriegen zunehmend private Akteure eingebunden werden. Das verstärkt eine Tendenz zu technisch orientiertem (auch sozio-technischem) Vorgehen. In der Hauptsache kommen Akteure mit entsprechender Kompetenz zum Zuge, vom Militär, über Sicherheits- und Logistikfirmen bis zu NGOs. Eine sehr selektive Ausfüllung von Sicherheitsbedürfnissen ist die Folge, die bestehende Ungleichheit verstärken und neue schaffen kann.

Man ahnt, dass die Verwischung der Grenzen zwischen staatlich-militärischem und privatwirtschaftlich organisiertem Anteil bei Interventionen auch die Funktion haben kann, die öffentliche Unterstützung in den eingreifenden Staaten zu sichern, u.a. weil die Opferstatistiken dann ggf. anders aussehen.

Folgerungen aus diesen Befunden sind mindestens:

  • Es besteht ein völkerrechtlicher Regulierungsbedarf, was den »neuen Söldnertypus« im Bereich logistischer, technischer oder sonstiger Unterstützer bei Interventionen angeht;
  • die politische Definitionsmacht über Ziele und Durchführung von Interventionen muss wiedergewonnen und so eine internationale Legitimierbarkeit nachweislich werden;
  • extreme Zurückhaltung bei Interventionen scheint geboten. Dies gilt auch hinsichtlich verfolgter Ziele bei nicht-kriegerischen Interventionen. (…)

Die Option ziviler Konfliktbearbeitung sollte verstärkt Beachtung finden, zumal für die letzten zwei Jahrtausende empirisch gesehen die gewaltfreie Konfliktlösung als Standardlösung für die überwältigende Mehrzahl an Konflikten angesehen werden kann. (…) Überdies wurde die These vertreten, dass es so gut wie keinen Krieg gegeben habe, der als Lösung der zugrunde liegenden Konflikte angesehen werden könnte.

Zivile Konfliktbearbeitung und Krisenpräventionsstrategien werden als Realisierungen ursprünglich pazifistischer Ideen interpretiert. Es wird anerkannt, dass in Deutschland brauchbare Ansätze und Konzepte im Präventionsbereich entwickelt worden sind. Ein großes Defizit bestehe aber in der mangelnden Tatkraft, entsprechende Strategien und Modelle auch umzusetzen und durchsetzungsfähig zu machen. Man fragt sich, welche Hindernisse oder Widerstände auf der Ebene staatlichen Handelns dem eigentlich entgegenstehen.

Eine pazifistische Grundhaltung steht im Zentrum aktiver Handlungsstrategien, die zum Auffinden gewaltfreier – oder zumindest gewaltärmerer –Lösungen führen sollen. Es bestand Einigkeit, dass dies nur als gesellschaftlicher, partizipativer Suchprozess gelingen könne und kaum als eine an Staatlichkeit gebundene fest gefügte Prozedur. Am historischen Beispiel Einsteins wurde deutlich gemacht, dass es blanke kontextlose Ja-Nein-Entscheidungen zu pazifistischen Positionen nicht geben könne. Verschiedene Spielarten pazifistischer Haltungen könnten – zeitgeschichtlich gebunden und je nach konkret vorliegenden Rahmenbedingungen – als angemessen erscheinen. Die Hauptschwierigkeit liege darin, eine angemessene Einschätzung über die jeweils aktuell vorliegenden und stets hochkomplexen Rahmenbedingungen bekommen zu können.

In dem eben Besprochenen geht es sicher auch um die Perzeption von Macht, Machtgefällen und Intentionen staatlichen Handelns. Sehr schlüssig wurde vorgetragen, dass die Ausbalancierung globaler und regionaler Machtungleichgewichte einen wesentlichen Beitrag zur Konfliktbewältigung und Kriegsverhütung leisten könnte. Zur Einhegung von Machtpotenzialen müssten die Bemühungen um eine internationale Verrechtlichung (insbesondere staatlichen Handelns) konsequent verstärkt werden.

(…) Bei der Debatte über den Umgang mit bzw. Veränderung von dominierenden Strukturen der Weltökonomie gab es unterschiedliche Einschätzungen: Scharfe Kritik des neoliberalen Durchmarsches, der keine Entwicklungschancen für eine große Anzahl von Ländern im Süden mehr biete, Kritik an der Reichtumskonzentration in Ländern des Nordens und ihrer militärischen Absicherung durch die NATO auf der einen Seite. Andererseits eine etwas pragmatischere Kritik am neoliberalen Paradigma, deren Folgen für Hintanstellung sozialer Belange, Verstärkung der Armut – gerade auch bei Frauen in den ärmsten Ländern – zwar eindeutig benannt wurden, aber die Rolle der internationalen Finanz- und Welthandelsorganisationen – trotz ihrer Unbeweglichkeit und ungerechten Politik – verhaltener kritisiert, denn ihre Abschaffung sei noch fataler als ihre Beibehaltung, die wenigstens die absolute Hegemonie einzelner Staaten noch etwas eindämme. Als Perspektive wurde insbesondere die Stärkung der UN als Weltordnungskraft – auch im ökonomischen Bereich – ausgemacht.

(…) Tatsächlich ist in den letzten Jahrzehnten viel geschehen: Die Kodifizierung des Völkerrechts hat große Fortschritte gemacht, aber mit der Universalisierung der Anerkennung, der Rechtsbefolgung, hapert es noch. Beispielsweise ist die internationale Schiedsgerichtsbarkeit durch die Möglichkeit der Ratifizierung eines Zusatzprotokolls zum Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vorangekommen, aber selbst ein Land wie Deutschland will sich bislang nicht der geforderten Vorabanerkennung von Schiedssprüchen unterwerfen. Gefordert wurde, dass Deutschland mutig diese wichtige Aufwertung des IGH unterstützen solle, um mehr Chancen für eine präventive Konfliktschlichtung zu schaffen.

Im Bereich des supranationalen Schutzes individueller Menschenrechte besteht noch immer eine Lücke im Völkerrecht. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte als Vorbild für eine weltweite Institutionalisierung dienen, die mit dem immerhin schon beschlossenen Menschenrechtsrat noch zu unvollständig vorankommt.

Die Schritte zur Reform der UN werden nach dem ernüchternden Milleniumsgipfel (Sept. 2005) als unzureichend angesehen, insbesondere gemessen an der ursprünglichen Zielsetzung, einen neuen Konsens im Dreierpaket »Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte« zu erreichen. Auch die Aufwertung der Rolle internationaler NGOs als Gegengewicht zu den oft beschränkten nationalstaatlichen Sichtweisen und Interessen kommt kaum voran. Dabei würden so die nationalstaatlichen Gewalten in angemessener Weise relativiert, während die Untergrabung ihrer Wirksamkeit durch die Globalisierungsprozesse bereits erfolge.

Die Bedeutung der demokratischen Kontrollierbarkeit der Staaten von innen heraus in Hinblick auf das friedfertige Verhalten demokratischer Staaten untereinander (Demokratie-Theorem) verliert im gleichen Zuge an Gewicht. Die denkbare Alternative einer sogenannten kosmopolitischen Demokratie als friedensstiftendem Konzept bleibt unkonturiert und bietet keine klare Perspektive für die mit der Globalisierung und der beschleunigten technologischen Entwicklung verstärkten weiteren Problemlagen. (…) Gleichwohl erscheint eine antizipierende Politik im globalen Maßstab bitter nötig, auch wenn man sich der großen Unsicherheiten in der Analyse und bei den denkbaren Handlungskorridoren bewusst sein müsse. Der Hoffnung wurde Ausdruck gegeben, dass jenseits der Fixierung auf international verrechtlichte Institutionen flexiblere Foren und Aktionsmöglichkeiten gefunden werden könnten, die sich nicht an unzureichenden existierenden Strukturen abarbeiten, sondern von vordringlichen Inhalten gesteuert bleiben – und das auf Dauer.

Bekanntlich sind die Gefährdungen als Folgen des Klimawandels – soweit heute verstanden – eklatant. Die Ökosysteme unserer Erde sind vielen weiteren Bedrohungen durch Eingriffe und Fehlverhalten von uns Menschen ausgesetzt. Gleichzeitig brauchen wir eine ausreichende – und ökologisch verträgliche – landwirtschaftliche Produktion zur Ernährung der noch immer wachsenden Weltbevölkerung. Nachhaltiger Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und Ressourcen erscheint notwendiger denn je, wenn die Zuspitzung und Neuentstehung von Konfliktpotenzialen vermieden werden soll.

(…) Eine entscheidende Frage ist, wie die Wissenschaften lernen können, eine verantwortliche Rolle zu spielen. Die Klimaforscher haben u.a. mit dem Intergovernmental Panel on Climate Change eine Institution entwickeln können, die vielleicht Modellcharakter haben könnte. International vernetzter Sachverstand als unabhängige Informations- und Beratungskapazität für Politik und Öffentlichkeit (unter Einbeziehung der Regierungen) kann wirkungsvoll sein. Weitere solche Aktivitäten werden auf den Weg gebracht, so eine internationale Initiative zur naturverträglichen Landwirtschaft (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development [IAASTD]) oder ein international entwickelter Weltnaturschutzplan der International Union for the Conservation of Nature (IUCN).

Spezifische wissenschaftliche Kooperationen zwischen dem Norden und dem Süden im Bereich der Ernährungssicherheit wären anzustreben. Dazu könnten gehören: Verbesserung und Verstärkung der Pflanzenzüchtung auch unter Nutzung moderner biotechnischer Analysemethoden, Suche nach züchterischer Optimierung regional bedeutsamer Nahrungspflanzen wie Hirse oder Maniok. Ähnliches gilt für Kooperationen im Gesundheitswesen, z.B. in Bezug auf die Entwicklung und Produktion benötigter Impfstoffe.

An erster Stelle ist für die Wissenschaften die Aufgabe gestellt, zu verstehen, worum es sich bei den anthropogenen Belastungen und Zerstörungen des Netzes des Lebendigen auf der Erde eigentlich handelt. Wie wären diese komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu fassen und welche Umgangsweisen können entwickelt werden? Eine Studie des National Research Council der USA benannte bereits 1999 die Aufgabe: „Developing an integrated and place-based understanding of … threats and the options for dealing with them …“ Dies bedeutet, dass sowohl stabile internationale Netze von Forschungs- und Beobachtungseinrichtungen wie zugleich örtliche und regionale Netze von Forschungs- und Handlungsinstitutionen vonnöten sind.

Im Bereich der wissenschaftlichen Unterstützung für mehr Nachhaltigkeit ist mit pompösen, millionenschweren Excellenzclustern der sogenannten Eliteforschung wohl nicht viel auszurichten. Eher sind etwas bescheidenere Projekte, die nach angepassten Lösungen suchen, von Nöten. Dazu müssen entsprechende Finanz- und Forschungsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Die Geldmittel fließen noch immer überwiegend in andere Bereiche. Die weltweiten Rüstungsausgaben sind in den letzten Jahren wieder deutlich nach oben geschnellt. Dieses Jahr wurde die 1.000 Mrd. Dollar Grenze überschritten. Fast die Hälfte geht auf das Konto der USA. Über 70% teilen sich USA und die NATO-Staaten. Das spricht eine deutliche Sprache, wenn es um die Diskussion weltweiter Droh- und Einsatzpotenziale geht.

Im Bereich der staatlich finanzierten Rüstungsforschung liegen die USA mit über 100 Mrd. Dollar, d.h. 2/3 der weltweiten Ausgaben, noch weiter vorn. (…) Ein weiterer technologischer Schub wird in vielen Bereichen vorbereitet. Das Spektrum ist groß: Zielgenauigkeit und Zerstörungskraft von Langstrecken-Waffen, effektive Aufklärung und Überwachung auf dem Schlachtfeld und im globalen Maßstab, Electronic and Information Warfare, exotische Waffensysteme wie Laser und Mikrowellenwaffen, teilautomatisiertes Schlachtfeld auf informationstechnologisch gestützter Netzwerkbasis (Network Centric Warfare) im Rahmen der »Revolution of Military Affairs« bis hin zu neuen Atomwaffen, die zum tatsächlichen Einsatz bestimmt sind.

Die Dynamik im wissenschaftlich-technischen Bereich müsste in Rüstungskontrollüberlegungen einbezogen werden. Präventive Rüstungskontrolle bietet sich als Analyseinstrument an mit dem Ziel, Handlungsperspektiven aufzuzeigen. (…) Eingehender diskutiert wurde der Bereich der Weltraumtechnologien. Das aktuelle US-Budget für »Ballistic missile and space defense« soll mehr als 20 Milliarden Dollar umfassen. Akute Gefahr besteht durch die Absicht, erstmalig Waffensysteme im Weltall zu stationieren. Dringlich wäre ein rechtzeitiges umfassendes Verbot jeglicher Weltraumwaffen. (…) Vertrauensbildende Maßnahmen im Vorfeld könnten ein Testmoratorium oder No-first-use Erklärungen verschiedener Seiten sein.

Die europäische Rüstungs- und Rüstungskontrollpolitik wurden ebenfalls diskutiert. Die Europäische Sicherheitsstrategie (2003), der EU-Verfassungsentwurf und der Aufbau einer Europäischen Verteidigungsagentur sind Indizien für eine Schwerpunktsetzung auf militärische Strukturen und Kapazitäten. Dies steht im massiven Widerspruch zum propagierten Bild von der »Friedensmacht Europa«, auch wenn bislang im Rüstungsbereich noch keine großen Finanzmittel bewegt werden. Allerdings lässt die Schaffung einer Europäischen Rüstungsagentur befürchten, dass die schrittweise Europäisierung der Streitkräfte erhebliche Kosten verursachen werden, industrielle Interessen bedient werden und im Hintergrund bereits »power projection« an Einfluss gewinnt. Hinzu treten Pläne für ein milliardenschweres europäisches Sicherheitsforschungsprogramm, das auf technische Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Europa setzt und dabei wohl letztlich ein eigenes Rüstungsforschungsprogramm etablieren soll.

Die Rüstungskontrollpolitik der EU engagiert sich eher selektiv in einigen wichtigen Bereichen, aber sorgt dafür, dass eigene Rüstungsinteressen, die zumeist noch durch nationale Interessen bestimmt sind, nicht beschnitten werden. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind offenbar keine zentralen Prioritäten europäischer Politik. (…) So sucht man beispielsweise die Schaffung einer Europäischen Rüstungskontrollagentur oder die Festschreibung von Abrüstungsmaßnahmen vergeblich im europäischen Verfassungsentwurf.

Neben der zielgerichteten traditionellen Rüstungsforschung wurden in den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland und den USA Dual-use-Programme lanciert, die u.a. dafür sorgen sollten, dass zivile Wettbewerbsfähigkeit und militärische Entwicklungslinien in kostengünstigerer Weise parallel verfolgt werden können. (…) Die USA scheinen heute solche Konzepte angesichts der dort immer weiter verschwimmenden Grenzlinie zwischen ziviler und militärischer Forschungsarbeit weniger Bedeutung zu zumessen. Dennoch gibt es einen verstärkten Druck in Europa, Dual-use-Forschung auf europäischer Ebene zu implementieren. Das angekündigte Europäische Sicherheitsforschungsprogramm könnte der Türöffner dafür werden. Die Entwicklung solcher Grauzonen in Forschung und Technikentwicklung werden als sehr problematisch angesehen.

Anhand von Beispielen wurde gezeigt, dass Dual-use oft gar nicht technologisch determiniert und unausweichlich ist, wie von interessierter Seite behauptet, sondern bewusst durch die Technikentwicklung erst erzeugt wird. Bei genauerer Analyse zeigt sich häufig, dass Möglichkeiten bestehen, sich durch Gestaltung der Forschung und Technikentwicklung aus erkannten Grauzonen auch wieder hinaus zu manövrieren. Das kann besonders wichtig werden in Feldern mit hoher Relevanz für die weltweite Proliferationsproblematik. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage gestellt, in wie weit traditionelle Formen nachsorgender Technikkontrolle langfristig stabil und zielführend sein können.

(…) Die Revolution im Bereich der Biotechnologie steht vor einem tiefgreifenden Dilemma. Einerseits kann zur Aufklärung krankheitserregender Mechanismen von infektiösen Mikroorganismen und zum besseren Verständnis komplexer mikrobiologischer Interaktionsprozesse in Lebewesen beigetragen werden. Andererseits können in solchen Forschungsprozessen auch die Wirkungen von Bio- und Toxinwaffen besser verstanden werden, sie könnten verstärkt werden, zu Killerviren verändert werden oder es könnten gänzlich neue gefährliche Agenzien geschaffen werden. (…)

Einigkeit bestand, dass die Gefahr der Proliferation hier nicht durch traditionelle Kontrolllisten in den Griff zu bekommen ist. Es besteht dringender Bedarf für ein Monitoring der Forschung im Sinne präventiver Rüstungskontrolle, für Bewusstsein bildende Maßnahmen bei den Beteiligten in der Forschung, für Aufklärung über Verbotstatbestände der Biowaffenkonvention und über Möglichkeiten in Forschung und Methodenwahl verantwortbare Wege einzuschlagen.

Es wurde vorgeschlagen, die Dual-use-Problematik im größeren Zusammenhang der Ambivalenz von Forschung und Technik zu sehen, in der weit mehr Aspekte als die zivil-militärische Doppelgesichtigkeit zu diskutieren wären. Als Analyseinstrument zur Beschaffung unabhängiger Informationen wurde ein Konzept des prospektiven Technology Assessments vorgeschlagen. Dies soll helfen, frühzeitige Gestaltungsmöglichkeiten in Forschung und Technologie aufzufinden. Es sollten also nicht so sehr Grenzziehungen gegenüber dem nicht Gewollten, sondern stärker Positivbestimmungen für verantwortliche Forschungsorientierung aufgefunden werden.

Ähnliches wird für den Bereich der heutzutage erforschten sogenannten Schlüsseltechnologien gesehen, die in den Bereich der sogenannten Technowissenschaft fallen. Beispielhaft wurde nanotechnologische Forschung im Zusammenspiel mit Bio-, Kommunikations- und Informationstechnik diskutiert. Hier geht es um einen Forschungstyp, der sehr pragmatisch unter Nutzung von Grundlagenwissen, aber ohne höheren theoretischen Anspruch, neue materielle Möglichkeiten auf kleinstem Maßstab konstruktiv erschaffen will. Es findet dabei auch eine gewisse Orientierung an Lebensprozessen statt, u.a. um diese in den Dienst hybrider Technologien an der Schnittstelle von lebendigen Wesen und Maschinen stellen zu können.

(…) Neben irritierenden Großversprechen werden realistische Anwendungen mit hohem Umsatzpotenzial etwa im Bereich neuer Materialien, von Umwelttechniken oder von Militärtechnologie gesehen. Umgekehrt können bereits einige erwartbare Risiken benannt werden: Umwelt- und Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel, Problematik denkbarer Genkontrolle und anderes.

Die Entlastung erhoffende Forderung nach einem Zurück zur reinen grundlagenorientierten Wissenschaft, bei der man sich von der Gesellschaft abgekoppelt fühlen will, ist hier prinzipiell nicht möglich. Es wurde betont, dass es im Gegenteil um die Anerkennung des sozialen Kontextes gehe, in den solche Forschung offensichtlich eingebettet ist. Aus der Ernstnahme der sozio-ökonomischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge müsse gefolgert werden, dass das »metaphysische Programm«, das solcher Forschung offenbar zugrunde liege, explizit gemacht werde. Dann sind offene Prozesse der gesellschaftlichen Aushandlung über die eingeschlagenen Forschungswege denkbar. Wissenschaft und Technik entpuppen sich als menschlich-gesellschaftliches Handlungsfeld, das reflexions- und reaktionsfähig gemacht werden kann und muss.

In scharfer Distanz dazu wurde aber auch eine pessimistische Sichtweise beschworen. Solcher Art Technologie des Lebens sei einer Technologie des Todes nahe, sie würde »Kettenreaktionen« heraufbeschwören, über die wir weder technisch noch geistig verfügen könnten. (…) Pragmatisch wurde gefordert, nicht den großen Versprechungen zu folgen, sondern den Weg gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse über Ziele und Pfade der Forschung begehbar zu machen (Motto: »from promise to process«).

(…) Die notwendige öffentliche Diskussion wird aber oft unmöglich gemacht. Privatwirtschaftliche Interessen stehen dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit entgegen. Wir haben z.B. gelernt, dass Sicherheitsforschung im Bereich gentechnischer Produktforschung in weiten Teilen von den interessierten Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmungen selber durchgeführt wird. Die Ergebnisse werden häufig gar nicht oder nur teilweise veröffentlicht und entziehen sich damit der unabhängigen Überprüfbarkeit – auch innerhalb der Scientific Community.

Innerwissenschaftliche Kritik und gesellschaftliche Teilhabe an der wissenschafts- und forschungspolititschen Willensbildung werden in solchen Bereichen unmöglich. Demokratisch akzeptable Bewertungs- und Aushandlungsprozesse, die zu einer Zielorientierung des Innovationsprozesses innerhalb der Gesellschaft führen müssten, werden in besonderer Weise ausmanövriert. Es sei daran erinnert, dass zwei eminente Wissenschaftlerpersönlichkeiten, ein Physiker und ein Biochemiker, als »Whistleblower« in der Rüstungsforschung bzw. in der Sicherheitsforschung im Bereich gentechnisch veränderter Nahrungsmittel im Rahmen der Konferenz mit einem Preis der VDW und der IALANA geehrt wurden: Theodore Postol und Arpad Pusztai.

Dabei wurde deutlich, dass Whistleblowing immer eines zum Ziel hat: Öffentlichkeit herstellen, sei es in der eigenen Forschungseinrichtung, sei es in der jeweiligen Scientific Community, sei es in den Medien und einer breiteren Öffentlichkeit. Whistleblowing umschreibt, so gesehen, nur eine Hilfskonstruktion zur Einforderung und Ermöglichung einer als notwendig erachteten öffentlichen Diskussion. (…) Die Herstellung entsprechender Strukturen und die Weckung des Bewusstseins bei den Beteiligten muss das eigentliche Ziel verantwortlicher Forschungsorganisation sein.

Der rechtliche Schutz und die gesellschaftliche Akzeptanz des Whistleblowing als notwendiges Gegenmittel gegen inakzeptable Geheimhaltungspraktiken gerade auch in der Forschung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin. Auch ein deutscher oder europäischer »Freedom of Information Act« (Vorbild USA und Schweden) ist zu fordern. Dies ist auch deshalb notwendig, da privatwirtschaftliche Interessen und Vorgehensweisen längst alte Traditionen des freien Zugangs zu Wissen und Information empfindlich zu untergraben drohen.

Gewiss haben die Foren keinen »Masterplan« für die Bearbeitung aller drängenden Weltprobleme erarbeitet, aber sehr deutlich wurden Querschnittsaufgaben, die vor uns liegen:

  • Die Antizipation von Problemlagen, die bereits am Horizont erkenntlich sind – gerade im Feld technischer Entwicklungen. Hier sind Beiträge aus der Wissenschaft notwendig.
  • Die Problematisierung der zunehmenden Auflösung der Grenzen zwischen dem Zivilen und dem Militärischen in verschiedenen Bereichen (Privatisierung des Kriegs, Forschungsförderung, Proliferationsgefahren).
  • Die Beachtung der wachsenden Dynamik grenzüberschreitender Problemlagen, die über- und zwischenstaatliches Handeln herausfordern, aber gleichzeitig die Möglichkeiten staatlichen Handelns in Frage stellen.
  • Die Organisation der menschlich-gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich weit mehr als zur Zeit dem Kriterium der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt. Dies auf dem Hintergrund, dass wir in einer Welt leben, in der die einen auf dem Rücken der anderen (und der Natur) ihre konsumorientierten Lebensmöglichkeiten erweitern.
  • Das Einlassen auf Suchprozesse, um Auswege aus den gegenwärtigen und absehbaren Problemlagen zu finden; Demokratisierung und Partizipation fallen dabei immer wieder als zentrale Stichwörter.

Anmerkungen

1) Der Trägerkreis der Konferenz bestand aus: Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF), Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS), NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit“, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

2) Eine detailliertere Dokumentation der Beiträge zur Konferenz wird in einer Buchveröffentlichung (geplant für Frühjahr 2006) erfolgen.

3) Dieses Resümee konnte nur unter wesentlicher Mitwirkung der Forenverantwortlichen und Moderatoren zustande kommen. Zu nennen sind: Annegret Falter, Stephan Albrecht, Alfred Nordmann, Frank Vogelsang, Götz Neuneck, Oliver Meier, Jörg Calließ, Sven Chojnacki, Manuel Fröhlich, Claudia von Braunmühl, Christiane Lammers, Corinna Hauswedell.

Dr. Wolfgang Liebert ist Wissenschaftlicher Koordinator und Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt.

„Aller guten Dinge …“

„Aller guten Dinge …“

von Wilhelm Nolte

Aller guten Tagungen sind drei! Im Januar die AFK-Nachwuchstagung, im Februar das AFK-Kolloquium, im Oktober die Einstein-Konferenz. Die erstere hatte der Nachwuchs weitestgehend selbst geplant und organisiert, genauer seine SprecherIn Madeleine Hagemeister und Mark Franken. In die Organisationsarbeit der letzteren ist die AFK kurzfristig eingesprungen. Auf Heller und Pfennig, Euro und Cent wird der Geschäftsführer für den Trägerkreis dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Förderungsvolumen verausgaben, belegen und schlussabrechnen müssen, das alle AFK-eigenen Kassenträume sprengt. Das Einstein-Konferenz-Büro in Berlin erwartet an die 500 Teilnehmer. Ein ganz und gar eigenes Tagungsvorhaben war das Kolloquium »Gerechtigkeit – Demokratie – Frieden: (De-)Eskalation von Gewalt?« mit und in der Evangelischen Akademie Iserlohn. So erfährt die Arbeit der AFK einerseits willkommene Förderung durch Dritte: durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung für die Nachwuchstagung und durch die Berghof-Stiftung für Konfliktforschung für das Kolloquium. Und selbst fördert die AFK die Vorhabensarbeit Dritter.

AFK-Planung 2006

Bei allem setzt die AFK darauf, dass ihre vielen Aktivitäten, wenn schon nicht ihre Kasse füllen, so ihr doch »gut tuen« – ihr Interessenten und Nachwuchs zuführen. Auf besonderes Interesse setzt sie gerade aktuell bei ihrer Planung des Kolloquiums 2006. Am Ort der – dann neuen – Regierung will die AFK eben diese herausfordern, friedenspolitisch »Farbe zu bekennen«. Hier soll es gehen um »Berliner Friedenspolitik: Anspruch – Wirklichkeit – Zukunft«. Zu den Veranstaltungen am Freitag soll die Öffentlichkeit eingeladen werden. Im Einführungsvortrag geht es um » Berliner Friedenspolitik – von außen gesehen«. Namhafte ausländische Experten werden hierzu derzeit angefragt. Hiernach wird eine Diskussionsrunde »Deutsche Friedenspolitik zwischen Theorie und Praxis« zu verorten suchen. Wo steht sie, wo will sie hin, wo wird sie »landen«? mit der neuen Regierung? Drei RegierungsvertreterInnen werden sich zwei FriedensforscherInnen aus der AFK gegenüber sehen, die friedenswissenschaftlich begründet die neue friedenspolitische Agenda »auf Herz und Nieren« prüfen wollen. Für die Gesprächsleitung bemüht sich der Vorstand um eine/n versierte/n, professionelle/n, namhafte/n ModeratorIn. Schließlich denkt der Vorstand noch an eine professionelle Fernseh- oder Hörfunkaufzeichnung. Erste Vorgespräche lassen verstärkt hoffen, dass die AFK mit ihrem nächsten Kolloquium »auf Sendung« geht.

Nach einem vollen Arbeitstag in Arbeitsgruppen – am Samstag (AG-Themen: Deutschland in der Weltgesellschaft, Entwicklung und Frieden = Krisenprävention?, Deutsche Europapolitik, Friedensbildung durch Softpower? Wie viel inneren Unfrieden verträgt friedliche Außenpolitik?) wendet das Programm das Interesse in der Schlussrunde auf Widersprüche deutscher Außenpolitik und erfragt Deutsche Friedenspolitik in non-gouvernementaler Sicht. Nichtregierungsorganisationen und Oppositionsparteien werden sich hierzu artikulieren – und mit der Friedensforschung debattieren.

In der Hauptstadt, und mit dem (rund) 100-Tage-nach-der-Wahl-Thema erwarten wir, d.h. unser bewährter Veranstalter-Organisator Uwe Trittmann für die Evangelische Akademie Iserlohn und der AFK-Vorstand, vermehrten Zulauf. Dabei wird organisatorisch alles wie gewohnt ablaufen können: Einladung und Programm erhalten die Mitglieder mit dem Jahresschlussbrief, Anmeldungen ergehen an die Evangelische Akademie Iserlohn. Nur gereist und getagt wird nach und in Berlin, am 3./4./5. März (!) 2006. Das Tagungshaus ist das Hotel Christopherus-Haus im Evangelischen Johannesstift Berlin-Spandau.

Die Teilnehmerinnen am nächsten Gender-Workshop der AFK werden dorthin schon zwei Tage früher anreisen. Hier geht es der AFK-Frauenbeauftragten, die den Workshop organisiert, um die Problematik »Is Gender The Answer ? Geschlechterperspektiven für Friedens- und Sicherheitspolitik«. Interessenten wenden sich unmittelbar an die Frauenbeauftragte Dr. Simone Wisotzki, c/o HSFK, Leimenrode 29, 60322 Frankfurt/Main ; wisotzki@hsfk.de. Weitere Informationen zum Workshop-Vorhaben sind auf der AFK-homepage www.afk-web.de zu finden.

So stehen am Anfang des nächsten Jahres gleich wieder zwei Tagungen der AFK. Ob es wieder auch zu einer dritten kommen wird? Wenn’s der nächste Vorstand will? Der nächste Vorstand? Richtig: In Berlin wird die AFK auch ihre obligatorische Mitgliederversammlung durchführen – und wählen.

Wilhelm Nolte, Geschäftsführer der AFK

Ausgezeichnet für den Frieden

Ausgezeichnet für den Frieden

von Redaktion

Friedensnobelpreise, Alternative Nobelpreise, Friedenspreise des Deutschen Buchhandels – wenigen Persönlichkeiten und Namen werden diese Auszeichnungen zuerkannt. Doch wie ist das mit dem täglichen und/oder beruflichem Engagement für Frieden und Gerechtigkeit, mit der Anerkennung der Arbeit an der Basis? Hier haben – vor allem in den letzten Jahren – Stiftungen, Organisationen und Kirchen die Initiative ergriffen, um in erster Linie junge engagierte AktivistInnen und WissenschaftlerInnen auszuzeichnen. Hier einige Beispiele – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit.

Aachener Friedenspreis

Mit dem Aachener Friedenspreis sollen Personen oder Gruppen gewürdigt und vorgestellt werden:

  • die »von unten« dazu beitragen, die Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu fördern, Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen,
  • die Gerechtigkeitssinn, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft gezeigt haben,
  • die sich durch Gewaltlosigkeit, Zivilcourage, Sachlichkeit und Herz auszeichnen.

Der Friedenspreis wird seit 1988 jährlich vergeben (oft doppelt) und ist mit je 1.000 Euro dotiert. (www.aachener-friedenspreis.de)

Bremer Friedenspreis der Stiftung die Schwelle

Es werden Personen, Initiativen oder Projekte für einen besonderen Beitrag in einem oder mehreren der folgenden Bereiche ausgezeichnet: Versöhnung, Menschenrechte, Überwindung des Rassismus, soziale Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, interkulturelle oder interreligiöse Verständigung. Es werden Preisträger in drei Kategorien ausgewählt:

  • Kleinprojekte und engagierte Einzelpersonen mit besonderem Schwerpunkt auf unkonventionelle Initiativen an der Basis der Friedensarbeit,
  • Initiativen und Organisationen, die sich in besonders beispielhafter Weise für die Ziele des Schwelle-Friedenspreises eingesetzt haben,
  • Persönlichkeiten, die sich nachhaltig und mutig in der Öffentlichkeit für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.

Der Preis wurde 2003 zum ersten Mal vergeben und ist mit je 5.000 Euro dotiert. Eine Auswahl der eingereichten Arbeiten wird darüber hinaus in englischer und deutscher Sprache publiziert. (www.dieschwelle.de/content/deutsch/preis.html)

Christiane-Rajewsky-Preis

Der Nachwuchspreis der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) wird jährlich an jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verliehen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben. In Betracht kommen für die Friedens- und Konfliktforschung einschlägige, in der Regel schriftliche Arbeiten, die eines der folgenden Kriterien erfüllen:

  • Studien und besondere Forschungsleistungen, z.B. Examensarbeiten, Dissertationen und mediale Produktionen,
  • besondere Leistungen in der Vermittlung der Friedens- und Konfliktforschung in Lehre, Gesellschaft und Politik,
  • herausragende Leistungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit für die Friedens- und Konfliktforschung.

Die BewerberInnen sollten nicht älter als 35 Jahre sein. Der Preis wird seit 1991 vergeben, und die Preissumme beträgt 500 Euro. (www.afk-web.de/html/nachwuchspreis.html)

Das Salzkorn

Mit dem »Förderpreis für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Evangelischen Kirche von Westfalen«, will die Kirchenleitung insbesondere die Vielfalt des ehrenamtlichen Engagements in wichtigen gesellschaftspolitischen Themenfeldern bekannt machen und würdigen. Ausgezeichnet werden westfälische Initiativen und Gruppen, deren Arbeit sich in kreativer, innovativer, handlungsorientierter und bewusstseinsbildender Weise den Fragen von Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung widmet. Der Preis wird jährlich in folgenden fünf Bereichen vergeben:

  • Eine-/Dritte-Welt-Arbeit, wirtschaftliche Gerechtigkeit,
  • Menschen- und Bürgerrechtsarbeit,
  • Innergesellschaftliche soziale Fragen, Chancengleichheit von Frauen und Männern,
  • Friedens- und Versöhnungsarbeit,
  • Ökologie, Schöpfungsbewahrung, Lebensstil.

Der Preis wurde 1994 erstmalig vergeben (damals noch »Förderpreis Konziliarer Prozess«), das Preisgeld beträgt insgesamt 5000 Euro. (www.ekvw.de)

Göttinger Friedenspreis

Die Stiftung Dr. Roland Röhl wurde zur Förderung der Konflikt- und Friedensforschung gebildet. Sie verleiht jährlich den Göttinger Friedenspreis an Einzelpersonen oder Personengruppen, die sich durch grundlegende wissenschaftliche Arbeit oder durch herausragenden praktischen Einsatz um den Frieden besonders verdient gemacht haben. Der Preis wurde 1999 zum ersten Mal verliehen und ist mit einer Geldprämie verbunden. (www.goettinger-friedenspreis.de)

Lothar-Kreyssig-Friedenspreis

Der Preis wird seit 1999 an Personen verliehen, die sich für die Versöhnung mit Menschen in Europa und in Israel einsetzen. Er ist mit 3.000 Euro dotiert. (www.kirchenprovinz.de)

Peter-Becker-Preis der Philipps-Universität/Marburg

Der von dem Anwalt Peter Becker gestiftete Preis wird von der Philipps-Universität-Marburg alle zwei Jahre verliehen. Er soll die Arbeit an zivilen Friedensprozessen befördern. Mit dem Preis sollen WissenschaftlerInnen geehrt werden, die ihre Theorien mit Praxisorientierungen versehen. Das Preisgeld des 2005 erstmalig verliehenen Preises beträgt 10.000 Euro. (www.uni-marburg.de)

UNIFEM-Preis

Das Deutsche Komitee für UNIFEM vergibt den Preis für laufende Projekte und Programme von Frauen und Frauengruppen in den sich entwickelnden Ländern, die nachweislich:

  • zur nachhaltigen Entwicklung beitragen,
  • Hilfe zur Selbsthilfe verwirklichen und zum Ziel haben, von Fremdhilfe unabhängig zu werden,
  • beispielhaft für andere Frauen sind und zum Nachahmen ermutigen,
  • die politische und wirtschaftliche Macht von Frauen fördern und ihre Führungskompetenz stärken,
  • das wirtschaftliche Potenzial von Produzentinnen und Unternehmerinnen stärken,
  • die Fähigkeit von Frauen verbessern, ihr Leben innerhalb du außerhalb des Hauses selbst zu bestimmen und die Richtung des sozialen Wandels zu beeinflussen.

Der Preis wird seit 1999 jährlich vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert. (www.unifem.de/de/preis.html)

Versöhnungspreis der Klaus Jensen Stiftung

Die in Trier ansässige Klaus Jensen Stiftung unterstützt fachlich und finanziell Projekte zu Gewaltprävention, Mediation und Versöhnung. Der Versöhnungspreis wird seit 2003 jährlich verliehen und ist mit 10.000 Euro dotiert. (www.klaus-jensen-stiftung.de/prei.html)

Quo vadis DSF?

Quo vadis DSF?

Zu den Schwierigkeiten der Forschungsförderung in Sachen Frieden / Interview mit Christiane Lammers

von Christiane Lammers und Jürgen Nieth

Die Wiederaufnahme der Förderung der deutschen Friedensforschung zählte zum Wahlprogramm von Rot-Grün 1998. Tatsächlich wurde sehr schnell nach der Wahl die gemeinnützige Stiftung Deutsche Friedensforschung gegründet und mit einem Startkapital von 50 Millionen DM ausgerüstet. Christiane Lammers, Mitarbeiterin der LAG Friedenswissenschaft in NRW und Mitglied der W&F-Redaktion war seit ihrer Gründung am Aufbau der Stiftung beteiligt und fast 5 Jahre stellvertretende Vorsitzende der DSF. Im April ist sie von dieser Funktion zurückgetreten. Jürgen Nieth sprach mit ihr über die Arbeit der Stiftung und die Hintergründe ihres Rücktritts.

W&F: Darf man fragen, was die Gründe für diesen plötzlichen Rücktritt waren?

C. L.: Ich mag personell festgefahrene Gremien nicht und halte es für gut, wenn durch Wechsel an den Spitzen von Gremien neue Ideen, andere Hintergründe und bereichernde Erfahrungen zum Tragen kommen können…

W&F: …dafür gibt es Wahlperioden, dann kann mensch auf eine erneute Kandidatur verzichten…

C. L.: …prinzipiell stimmt das! Meinen Rücktritt habe ich vor dem Stiftungsrat auch damit begründet, dass in der Arbeit des nach dem Tod von Dieter S. Lutz neu zusammengesetzten Vorstands Unstimmigkeiten auftraten. Nach außen sichtbar ging es zunächst vor allem um Detailfragen, die mir aber eine produktive Kooperation zunehmend schwerer gemacht haben. Im Hintergrund standen unterschiedliche Prämissen, die die Ausrichtung der Stiftung im Zuge der nun nach fünf Jahren geschaffenen Etablierung betreffen. Insofern spielten inhaltliche Gründe bei meinem Rücktritt auch eine Rolle.

W&F: Kannst Du das etwas spezifizieren? Was waren Deine Zielsetzungen?

C. L.: Im September 2000 habe ich in einem Brief an den Kollegen und an der Konzeptionierung der Stiftung intensiv beteiligten späteren Vorsitzenden des Stiftungsrats, Dieter S. Lutz, umrissen, welche Ziele bei der Stiftungsgründung für mich eine herausragende Bedeutung haben. Diese betrafen die Auswahl der Personen für den Stiftungsrat, die inhaltlichen Prioritätensetzung, die strukturellen Defizite der Friedensforschung und auch den Transfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Politik/Öffentlichkeit.

W&F: Und was sollte die Stiftung auf diesen Gebieten leisten?

C. L.: Ich habe damals betont, dass meines Erachtens tagespolitische Probleme – wichtige Mainstreamer der Friedensforschung focussierten z.B. auf das Problem der sogenannten Rückkehr des Krieges nach Europa – zu große Beachtung fanden und im Vorfeld der Stiftungsgründung die in der Friedensforschung selbst liegenden Defizite eine zu kleine Rolle spielten. Konkret ging es mir um Folgendes, ich darf zitieren: „Die Theorie- und Methodenbildung der Friedensforschung ist unterentwickelt; dies hängt stark mit der mangelnden Implementierung in der Lehre zusammen. Interdisziplinarität findet höchstens in einigen wenigen Forschungsprojekten – außeruniversitär – statt, wobei einige Fachdisziplinen leider so gut wie keine Rolle spielen. Gerade in Bezug auf die Naturwissenschaften machen sich die meisten FriedensforscherInnen, die in der Regel SozialwissenschaftlerInnen sind, keine Vorstellungen über Hindernisse und Schwierigkeiten. Die »Hardware«-Friedensforschung – Militärtechnologien, militärische Strukturen, Ökonomie – findet an Hochschulen und auch sonst kaum statt.“ Wir waren uns damals einig, dass der Nachwuchsförderung, der fächerübergreifenden, problemorientierten Zusammenarbeit sowie dem Einbringen friedenswissenschaftlicher Expertise in die gesellschaftliche Debatte eine besondere Bedeutung zukommt. Wir hatten außerdem die vielleicht etwas naive Vorstellung, dass innovative, noch nicht so abgesicherte und etablierte Wissenschaftsansätze eine Chance zur Förderung erhalten könnten und das Förderungsprozedere seitens der Stiftung wesentlich zeitnaher und unbürokratischer als üblich ablaufen könnte.

W&F: Und wie sieht die Bilanz aus?

C. L.: Für mich liegt der wesentlichste Erfolg der Stiftung in der Verwirklichung des Nachwuchsförderungsprogramms. Hier vor allem in der Implementierung der Masterstudiengänge, mit denen ich die Hoffnung verbinde, dass NachwuchswissenschaftlerInnen in einer quantitativ nennenswerten Größenordnung ausgebildet werden. Somit kann eine personelle Basis geschaffen werden, die nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in den mehrheitlich außerhalb der Forschung befindlichen Berufsfeldern zur Professionalisierung der Friedensarbeit beiträgt. Besonders erfreulich ist auch, dass die geförderten Studiengänge unterschiedlich disziplinär und inhaltlich/strukturell ausgerichtet sind und trotzdem bei allen praxisorientierte und fachübergreifende Lehrangebote integriert wurden. Den zweiten Erfolg sehe ich in der im Herbst anlaufenden naturwissenschaftlichen Stiftungsprofessur in Hamburg. Ich hoffe, dass es dort gelingt, nicht nur die dringend notwendige naturwissenschaftliche Expertise in der Friedensforschung zu stärken, sondern dass diese auch in die grundständige Lehre der Naturwissenschaften ausstrahlt. Vielleicht erweist sich die erhebliche finanzielle Mittel bindende Förderungsart »Stiftungsprofessur« ja als so erfolgreich, dass die Stiftung in einigen Jahren zu dem Entschluss kommt, in dem anderen, völlig unterbelichteten Bereich, nämlich den Wirtschaftswissenschaften, Ähnliches zu wagen.

W&F: Das hört sich ja sehr positiv an, womit bist Du unzufrieden?

C. L.: Nicht ganz so sicher ob des Erfolges bin ich mir bei der Projektförderung, d.h. dem, was gemeinhin als Kerngeschäft der Forschungsförderung definiert wird. Für mich stellt sich die Frage, ob bei der gegenwärtigen Strategie wirklich gesichert ist, dass die Projekte und ihre Ergebnisse sowohl für die durchführenden Institutionen wie auch für die mitarbeitenden WissenschaftlerInnen, für die Friedensforschung wie auch für die Friedensarbeit eine größere Relevanz entwickeln können. Völlig unbefriedigend finde ich, dass wir seitens der Stiftung die mangelnde Interdisziplinarität in der Forschung zwar als Problem erkannt, aber bisher keinen Handlungsansatz hierfür gefunden haben. Für mich ist die fächerübergreifende Zusammenarbeit deshalb so wichtig, weil sie adäquater auf die Problem- und Praxisorientierung hinführt.

W&F: Du hattest oben von Vorschlägen zur Struktur und zumTransfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Politik/Öffentlichkeit gesprochen…

C. L.: Der Transfer von Wissen bedarf heute eigener Kompetenzen, die nicht unbedingt zu den Qualifikationsmerkmalen und engeren Arbeitsfeldern von WissenschaftlerInnen gehören. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass die Stiftung hier unterstützend tätig werden sollte z.B.

  • durch Organisation von Veranstaltungen und Arbeitskreisen, deren Adressaten nicht nur die Parteien sind, sondern auch die in diesem Feld engagierten zivilgesellschaftlichen Gruppen;
  • durch Erstellung von Exposés und adäquate Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Entwicklung von speziellen Forschungsregistern und Handbüchern;
  • durch Vergabe von finanziellen Veröffentlichungshilfen und Serviceleistungen für MultiplikatorInnen, Weiterbildungseinrichtungen etc.

Für diese Tätigkeiten fehlen der DSF bisher die Ressourcen, und offen ist, ob die Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn, mit der die Stiftung begonnen hat zu kooperieren, mittelfristig institutionell gesichert ist.

Kritisch sehe ich weiter, dass sich die dem Bürokratismus immanente Tendenz sich stetig auszuweiten, leider auch die Stiftung zunehmend erfasst. Dies betrifft den sehr misslichen zeitlichen Abstand zwischen Antragstellung und Bewilligung, aber auch die zunehmende Focussierung auf konventionelle Arbeitsformen in der Wissenschaft. Dass innovative Projekte, die sich inhaltlich, methodisch oder strukturell auf neuem Boden oder nicht im Mainstream bewegen, geringere Chancen zur Förderung haben, halte ich nicht für gut. Die Stiftung könnte sich hier auf einen dezidiert anderen Arbeitsauftrag berufen als etwa die DFG:

Ich habe übrigens auch vor dem Stiftungsrat betont, dass ich die Geschäftsführung der Stiftung in Osnabrück ausdrücklich hierfür nicht verantwortlich mache, da sie sich sehr bemüht, die Verwaltungsdimensionen zugunsten des inhaltlichen Auftrags der Stiftung einzudämmen. Es handelt sich um grundsätzlichere Fragen, mit denen sich schon die Entscheidungsträger auseinandersetzen müssten.

W&F: Wenn ich Deine anfangs skizzierten Punkte richtig verstanden habe, siehst Du zusätzlich auch ein Problem in der Bodenhaftung der Stiftung, also in der Frage, wen oder auch was will die Stiftung mit der von ihr geförderten Forschung erreichen?

C. L.: Ja! Vor allem kritisiere ich, dass die Zivilgesellschaft als Bezugspunkt der Friedensforschung und Friedensarbeit völlig unterschätzt wird. Ihre Einbindung in die Entscheidungsgremien der Stiftung wurde zu keiner Zeit diskutiert, vermutlich gibt es hierüber auch seitens der beteiligten Wissenschaftler/-innen keinen Konsens. Ist es nicht paradox, wenn wir einerseits in der Forschung im Kontext postkonfliktualer Gesellschaften den Focus so stark auf die Rolle und die Handlungskompetenz der zivilgesellschaftlichen Akteure legen und andererseits im eigenen Land Politikberatung und -gestaltung fast ausschließlich in Richtung auf staatliche und parlamentarische Funktionsträger hin definieren? Friedens-, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sind oft unbequem, sie haben ebenso wie die Parteien, die Gewerkschaften und die Kirchen an Basis verloren. Trotzdem sind dort Menschen engagiert, deren Arbeit und gesellschaftliche Funktion, gerade in einer sich individualisierenden, entsolidarisierenden Demokratie, geschätzt und unterstützt werden sollte.

W&F: In der Gründungsurkunde der Stiftung heißt es: „Die DSF soll das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker fördern. Sie soll mithelfen, Voraussetzungen und Bedingungen dafür zu schaffen, dass Krieg, Armut, Hunger und Unterdrückung verhütet, Menschenrechte gewahrt und die internationalen Beziehungen auf die Grundlage des Rechts gestellt werden.“ Ist sie dem gerecht geworden?

C. L.: Letztlich knüpft dies an die sehr schwierige Frage an, inwiefern Wissenschaft überhaupt zu einer »besseren« Welt beitragen kann. Friedenspolitik ist, wie die Umweltpolitik beispielsweise auch, eine Frage der Aufklärung, der Entwicklung von Alternativen, aber letztlich auch der politischen Entscheidungen. Hier haben wir gerade in den letzten Jahren erlebt, wie schwierig es ist, in diesem Land friedenspolitische Notwendigkeiten gegenüber anderen Interessen geltend zu machen.

W&F: Du hast nun ein sehr breites Aufgabenfeld der Stiftung gezeichnet. Kann sie das überhaupt leisten?

C. L.: Man muss noch mal darauf hinweisen, dass zum Ende der Regierung Kohl die Förderung der Friedensforschung fast auf Null zurückgefahren war. Da waren die Gründung und Finanzierung der Stiftung wichtige Schritte nach vorne, und die DSF hat sicherlich Bedeutsames und vor allem Nachhaltiges geleistet. Andererseits war die Bundesförderung der Friedensforschung zehn Jahre vor Rot-Grün, also Anfang der neunziger Jahre, noch wesentlicher höher, als was die Stiftung heute jährlich verausgaben kann. Selbst der Bundesrechnungshof hat in seinem Prüfbericht festgestellt, dass eine Erhöhung des Stiftungskapitals vonnöten ist, um die Stiftung wirklich ihren Aufgaben entsprechend dauerhaft zu erhalten. Trotz dieser Faktenlage war der politische Wille in der Koalition zugunsten einer nennenswerten Erhöhung des Stiftungskapitals – etwa um 15-20 Mio. Euro – nicht herzustellen, ganz im Gegensatz zu milliardenschweren Entscheidungen im Rüstungssektor. Ich hoffe, dass auch nach den anstehenden Bundestags-Neuwahlen die bisherigen Leistungen der Stiftung seitens der in den Stiftungsgremien mit entscheidenden Regierungsvertretern/innen anerkannt bleiben und vielleicht mit einer stärker insistierenden Opposition die Notwendigkeit einer Wissenschaft für den Frieden mindestens ebenso respektiert aufblüht.

W&F: Vielen Dank!

Geförderte Großprojekte der DSF:

Laufende Forschungsprojekte:

  • Neue Formen der Gewalt im internationalen System: Möglichkeiten und Grenzen der Prävention. Projektleitung (PL): Prof. Dr. Wolf-Dieter Eberwein, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
  • Präventive Rüstungskontrolle: Analyse von Potentialen für Rüstungskontrolle und Verifikation biologischer Waffen unter besonderer Berücksichtigung neuer Entwicklungen in der Biotechnologie. PL: Prof. Dr. Kathryn Nixdorf, TU Darmstadt, Institut für Mikrobiologie und Genetik
  • Kernwaffenrelevante Materialien und Rüstungskontrolle. PL: Dr. Wolfgang Liebert, TU Darmstadt, Internationale Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS)
  • Between past and future. An assessment for the transition from conflict to peace in post-genocide Rwanda. PL: Prof. Dr. Lothar Brock, HSFK
  • Demobilisierung und Remobilisierung in Äthiopien ab 1991. PL: Prof. Dr. Helmut Bley, Universität Hannover, Historisches Seminar
  • Rüstungskontroll-Expertengemeinde und Diskursgestaltung. PL: Prof. Dr. Harald Müller / Dr. Bernd W. Kubbig, HSFK
  • Informationsanforderungen bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach der Charta der Vereinten Nationen. PL: Prof. Dr. Joachim Wolf, Institut für Friedenssicherung und Humanitäres Völkerrecht, Ruhr-Universität Bochum
  • Die OSZE und der Aufbau multiethnischer Polizeien auf dem Balkan. Analyse eines bedeutenden Beitrags zum internationalen Post-Conflict Peacebuilding. PL: Dr. Wolfgang Zellner, Centre for OSCE Research (CORE), Hamburg
  • Die Rolle externer wirtschaftlicher Akteure in Bürgerkriegsökonomien und ihre Bedeutung für Kriegsbeendigungsstrategien in Afrika südlich der Sahara. PL: Dr. Michael Brzoska, Bonn International Conversion Centre (BICC)
  • Geschichte der Kriegsberichterstattung in 20. Jahrhundert: Strukturen und Erfahrungszusammenhänge aus der akteurszentrierten Perspektive. PL: Prof. Dr. Ute Daniel, Historisches Seminar TU Braunschweig
  • Der Beitrag des Zivilen Friedensdienstes zur zivilen Konfliktbearbeitung in Bosnien-Herzegowina und Kosovo. PL: Dr. Ulrich Ratsch, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST)
  • Der Anschlag von New York und der Krieg gegen Afghanistan in den Medien – Eine Analyse der geopolitischen Diskurse. PL: Prof. Dr. Paul Reuber und Dr. Günter Wolkersdorfer, Institut für Geographie Westfälische Wilhelms-Universität Münster
  • Die De-/Konstruktion von Krieg in der internationalen meinungsführenden Presse: Der »Fall« Irak (2003). PL: Prof. Dr. Una Dirks, Universität Hildesheim, und Prof. Dr. Rüdiger Zimmermann, Universität Marburg
  • Neue nicht-tödliche Waffen – Physikalische Analysen für vorbeugende Begrenzungen. PL: Prof. Dr. Dieter Suter, Universität Dortmund
  • Post-Conflict: Rebuilding of States – Völkerrechtliche Aspekte der Wiederherstellung von Staatlichkeit. PL: Prof. Dr. Volker Epping, Universität Hannover, und Dr. Hans-Joachim Heintze, Universität Bochum
  • Die Wirkungsweise gewaltfreier Praxis: Zentrale Konfliktaustragungskonzepte im interkulturellen Vergleich. PL: Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe, Universität Siegen
  • Waffenkontrolle durch Wissenschaftskontrolle? Zur Rolle der Naturwissenschaftler(inne)n in staatlichen Biowaffen-Programmen. PL: Dr. Jan van Aken, Universität Hamburg
  • Staatszerfall als friedens- und entwicklungspolitische Herausforderung: Was können multidimensionale Governance-Ansätze leisten? Eine konzeptionelle Untersuchung mit empirisch-analytischer Anwendung auf Somalia und Afghanistan. PL: Dr. Tobias Debiel, INEF, und Dr. Conrad Schetter, ZEF, Universität Bonn
  • Die internationale Organisation des Demokratischen Friedens. PL: Prof. Dr. Andreas Hasenclever, Universität Tübingen, und Dr. Matthias Dembinski, HSFK
  • Ethnopolitische Konflikte im nördlichen Schwarzmeergebiet: Gedächtnis, Gewalt und Geschichtspolitik im postsowjetischen Raum. PL: Prof. Dr. Stefan Troebst, GWZO Universität Leipzig

Deeskalation – Paradigma für Konfliktforschung?

Deeskalation – Paradigma für Konfliktforschung?

von Corinna Hauswedell

Die verschärften Spannungen auf vielen internationalen- Krisenschauplätzen bringen es mit sich, dass man in Politik und Wissenschaft gegenwärtig weniger mit Idealzuständen von Frieden und Sicherheit als mit den Prozessen von Eskalation bzw. Deeskalation von Konflikten befasst ist. Die Definition des Universallexikons stellt Deeskalation. (und ihren Gegenbegriff Eskalation) eindeutig in den begrifflichen Kontext politischer und militärischer Gewaltanwendung (bzw. deren Minderung) beschreibt allerdings eher Richtungen und Methoden im Umgang mit Gewaltkonflikten als Zielperspektiven oder dauerhafte Lösungsansätze. In diesem pragmatischen Definitionsansatz liegen sowohl Chancen als auch Gefahren: Chancen für ein Krisenmanagement, das jenseits von ideologischer Bevormundung und zum Nutzen der Konfliktbetroffenen möglicherweise Schlimmeres abwenden kann, aber auch Gefahren, dabei im Gestrüpp widerstreitender Interessen hängen zu bleiben und nicht zu den Wurzeln der Konflikte vorzudringen. Es soll hier dafür plädiert werden, Deeskalation gerade wegen dieser Ambivalenzen als Paradigma für zeitgemäße Friedens- und Konfliktforschung näher zu untersuchen. Die Komplexität der vorfindbaren Konfliktstrukturen und ihrer Bearbeitungsmodi macht einen transdisziplinären Zugriff auf das Paradigma Deeskalation notwendig; dieser könnte auch den Diskurs zwischen akademisch-analytischen und praxeologischen Ansätzen neu befruchten.1

Deeskalation stellt demnach zunächst keine eigenständige theoretische Kategorie dar; sie bildet eher einen historischen und aktuellen politischen Erfahrungsvorrat, den es zu systematisieren gilt. Wegen der traditionellen Arbeitsteilung der akademischen Disziplinen stehen nach wie vor politikwissenschaftliche, soziologische, psychologische und andere sozialwissenschaftliche Forschungen zur Beendigung bzw. Verhinderung von Kriegen und Gewaltkonflikten relativ unverbunden nebeneinander. Die Ökonomie, das Völkerrecht, die Ethnologie und Anthropologie, aber auch die Naturwissenschaften, wenn es um Rüstung und Abrüstung geht, wären zu befragen.

Auf seiner Jahrestagung im Dezember 2004 hat der Arbeitskreis Historische Friedensforschung einen Versuch unternommen, diese Diskussion aus zeithistorischer Perspektive anzuregen.2 Die Entspannungsbemühungen während des Ost-West-Konfliktes und deren Grenzen wurden in komparativer Absicht einigen erfolgreichen und gescheiterten Deeskalations- und Transformationsansätzen vorwiegend innerstaatlicher Konflikte in den neunziger Jahren gegenüber gestellt. Die Veranstalter fragten u.a. danach, welche Bedeutung unterschiedliche Weltordnungsvorstellungen für Konzepte der Deeskalation haben können.

Im Rahmen der »Strategic Studies«, der klassischen realistischen Schule des Kalten Krieges, wurde in den 1960er und 1970er Jahren systematisch über Eskalation als Mittel der Konfliktbewältigung nachgedacht, so z.B. in dem renommierten US Think Tank der RAND Corporation; erinnert sei auch an die programmatische Schrift »On Escalation«, die Herman Kahn 1965 verfasste.3 Aber auch der Begriff der Deeskalation nahm in jener Zeit Gestalt an, als Reflex auf den Vietnamkrieg, den heißen Krieg im Kalten Krieg. Die anglo-amerikanisch geprägte Forschung über Conflict Resolution, diesich mit Namen wie Alexander George, Louis Kriesberg, Charles Osgood, Robert Randle oder William Zartman verbindet, nahm dort ihren Anfang.

Ausgangspunkte und Gründe, um über Deeskalation nachzudenken, waren also in der Vergangenheit und sind es heute konfrontative Zuspitzungen im internationalen System, Krisen und Krieg. Deeskalation nimmt vor allem die Konfliktdynamik und ihre Akteure ins Visier. Im Kontext des Konfliktgeschehens zwischen und innerhalb von Staaten und Gesellschaften kann Deeskalation einen aktiven politischen Prozess der Konflikttransformation beschreiben. Er findet in der Regel mit dem Ziel statt, die Interaktion zwischen den Konfliktparteien so zu beeinflussen, dass gewaltförmiges und militärisches Handeln bzw. entsprechende Bedrohungen abgebaut und Chancen für einen friedensgerichteten, zivilen Konfliktaustrag eröffnet werden.

Wie nachhaltige Friedensprozesse in Gang zu setzen sind, rückte seit dem Ende des Kalten Krieges, und mit neuer Dringlichkeit seit dem »Krieg gegen den Terror« und dem Irakkrieg 2003 ins Zentrum internationaler Ordnungsvorstellungen. In den aktuellen Debatten über sogenannte neue Kriege, humanitäre Intervention und Nachkriegskonsolidierung ist die transdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung in besonderer Weise gefordert, zu untersuchen, wie denn Bedingungen für eine zivile Konfliktbearbeitung, für staatliche und nichtstaatliche Strategien einer politischen Streitbeilegung, aussehen können.

Der Blick in die Zeitgeschichte seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges eröffnet ein breites Spektrum unterschiedlicher Szenarien von Deeskalation. Diese reichten von vielfältigen Formen politischer Entspannung4, einseitiger und multilateraler Vertrauensbildung, Vermittlung und Mediation, klassischer staatlicher sowie sogenannter »track- two«-Diplomatie, über Sanktionsregime, Waffenstillstandsvereinbarungen und Abrüstung bis hin zu Friedensschlüssen und zur Förderung gemeinsamer oder kollektiver Sicherheit, etwa im Rahmen des KSZE-Prozesses seit 1975. Politischer Dialog und Kommunikation erwiesen sich in all diesen Deeskalationsansätzen stets als zentrale Kategorien. Der Wandel der internationalen Beziehungen, Ordnungsvorstellungen und Konfliktwahrnehmungen seit 1945 – während des bipolaren Kalten Krieges und seit der Zäsur von 1989/90 – hat auch die Akteursperspektiven für Deeskalation verändert. Während der militärisch und ideologisch hoch gerüsteten Ost-West-Konfrontation wurden Deeskalationsstrategien vor allem mit dem Ziel der Kriegsvermeidung entwickelt, nicht immer erfolgreich, wie die zahlreichen Stellvertreterkriege zeigen. Und Krisen zwischen den Supermächten waren immer ein Tanz auf dem atomaren Vulkan. War der Ost-West-Konflikt ein sich selbst erhaltendes System von Eskalation und Deeskalation?

Heute treten die eingangs erwähnten Ambivalenzen im Umgang mit Deeskalation noch deutlicher zu Tage. Die neue unipolare Weltkonstellation mit ihren großen Machtasymmetrien hat einerseits zu einer Enttabuisierung militärischen Handels geführt und tritt dabei auch im Gewande interessengeprägter politischer Doppelmoral auf. Andererseits wurden aber auch neue Ressourcen für friedensfördernde Prozesse sichtbar: Zwischen 1989 und 2000 sind etwa vierzig Friedensvereinbarungen zur Regelung vornehmlich innerstaatlicher Gewaltkonflikte getroffen worden; der Verhandlungsfrieden hat den Siegfrieden als dominante Form des Friedensschlusses abgelöst. Das war etwas Neues, auch für die vom Ost-West-Konflikt geprägte Friedens- und Konfliktforschung, die sich gleichzeitig mit ernüchternden Analysen hinsichtlich der geringen Nachhaltigkeit vieler dieser Friedensschlüsse konfrontiert sah.5 Liegen also auch den Befriedungen der »kleinen Kriege« vorwiegend fragwürdige oder ineffiziente Deeskalationsstrategien zugrunde?

Die Handlungsspielräume für Deeskalation und die Kenntnisse über ihre Wirkungsmechanismen haben sich erweitert. Neben den Nationalstaaten treten zunehmend internationale, staatliche und nichtstaatliche Organisationen, gesellschaftliche Gruppen und Individuen als handelnde Subjekte im Konfliktgeschehen auf. Staatliche Souveränität wird durch eine Vielzahl von widersprüchlichen Faktoren begrenzt bzw. in Frage gestellt, die mit der Globalisierung, ihren Licht- und Schattenseiten, zusammen hängen. Dies gilt im Nord-Süd- wie im West-Ost-Verhältnis. Es sind dies u.a. Probleme ökonomischer Integration bzw. Desintegration, die Gefährdung sozialer und ethnischer Gefüge, die Verletzung von Menschenrechten sowie der Zerfall von Staatlichkeit.6

Kriseninterventionen von außen bzw. durch Drittparteien, einschließlich gezielter Militäreinsätze (mit und ohne Mandat der UNO), begründet mit notwendiger politischer Stabilisierung, humanitärer Hilfe oder Demokratisierung, erlebten in den 1990er Jahren eine neue, nicht unumstrittene Konjunktur, auf dem Balkan, auf dem afrikanischen Kontinent, in Afghanistan. Die Bundeswehr ist seit 1994 mit fünfzig Einsätzen beteiligt. Dienten diese Interventionen der Deeskalation im Sinne der Reduzierung militärischer Gewalt und der Eröffnung ziviler Handlungsspielräume? Das Bild ist mindestens widersprüchlich. Wenn offensichtlich die Grenzen und Übergänge zwischen zivilem und militärischem Handeln in Konflikten fließender werden, erscheint eine vertiefte Befassung mit den verfügbaren Erfahrungen der Deeskalation besonders dringend geboten.

Krieg und Frieden rücken also – auch in der wissenschaftlichen Betrachtung – näher zusammen. Übergangsphasen und -formen unbeendeter Gewaltanwendung und instabiler Friedensprozesse erfordern aber eine größere Trennschärfe bei der Analyse der Faktoren, die tatsächlich deeskalierend und in diesem Sinne friedensfördernd wirken. Unterschiedliche Friedensmissionen in Afrika, z.B. in Liberia, aber auch der Kongo deuten darauf hin, dass Deeskalation – und oft auch mit ihr einhergehende Entwicklungshilfe – nicht immer an die tiefer liegenden Konfliktursachen heranreicht, ja zuweilen für diese sogar kontraproduktiv sein kann. Unter der Oberfläche momentaner Stabilisierung können ökonomische und politische Gewaltkulturen bzw. Machtverhältnisse weiterwirken, die eine Demokratisierung der Konfliktgesellschaften verhindern (siehe Beitrag von Zappatelli und Trivelli auf Seite 27, d. Red.). Der Umgang des Westens mit vielen arabischen Staaten war über Jahrzehnte von ähnlichen Mustern oberflächlicher Stabilisierung autoritärer Herrschaft geprägt. Hier liegt eine Ursache dafür, dass, wie die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer auf dem letzten Historikertag darlegte, die Zäsuren von 1989 und auch der 11. September 2001 in der islamischen Welt anders wahrgenommen wurden als im Westen.

Deeskalation hat deshalb auch die legitimatorische Funktion von Gewalt in Konflikten ins Visier zu nehmen. In bewaffneten Konflikten und Kriegen geht es selten nur um militärische Strategien, Waffen und Soldaten und auch nicht nur um ökonomische Interessen, die viel diskutierten Kriegsökonomien,7 oder um Territorialansprüche, sondern eben auch um die Deutungshoheit im Konflikt, um Meinungs- und Definitionsführerschaft über gesellschaftlich-historisch gewachsene Traditionen, Mythen und Symbole der Konfliktparteien. Deeskalationsstrategien müssen heute in wachsendem Maße die Interdependenz solcher verschiedenartigen subjektiven und objektiven Faktoren reflektieren: Dies sind einerseits solche Faktoren, die eher der Sphäre der politisch-militärischen »Hardware« internationaler Ordnungspolitik entspringen und andererseits solche, die stärker aus der »Software« sozialpsychologischer bzw. kulturell-mentaler Gegebenheiten von langanhaltenden Konflikten und Gewaltverhältnissen erwachsen. Aus der Komplementarität beider Sphären, die man auch als die Außen- und Innenwelt der Konflikte bezeichnen könnte, ergibt sich erst das vollständige Bild einer wirkungsvollen zivilen Konfliktbearbeitung.

Für die friedenswissenschaftliche Analyse bedeutet dies, nolens, volens, auch eine erneute Hinwendung zu den Phänomenen des Krieges.8 Anhand von komparativen Analysen wäre über die Depolitisierung bzw. Repolitisierung, mithin auch über die Legitimation von politischer Gewalt neu nachzudenken, um zu verstehen, wo, wie und wann Deeskalationsstrategien einsetzen können. Interessant könnte eine Weiterentwicklung pragmatischer Konzepte der angelsächsischen »Conflict Resolution« sein, z.B. der Theoreme über den »ripe moment« bzw. das »mutually hurting stalemate«, anhand derer William Zartman (u.a. am Beispiel von Südafrika oder auch Nordirland) einen möglichen Beginn von Verhandlungen beschrieben hat.9 Aus zahlreichen innergesellschaftlichen, bürgerkriegsähnlichen Konflikten lassen sich, gerade wenn auch relativ starke staatliche Akteure beteiligt sind, neue Erkenntnisse über die Asymmetrien von Gewaltdynamik und Friedensdynamik gewinnen,10 die für Deeskalationsstrategien von Nutzen sein können.

Vergleicht man also die bipolare mit der unipolaren Welt, ist zu fragen: Lassen sich strukturbildende Merkmale für eine »Einhegung« von internationalisierten Konflikten oder Deeskalation zwischen und innerhalb von Staaten aus der Zeit des Kalten Krieges für die unipolare und von wachsenden Machtungleichheiten geprägten internationalen Konstellation von heute bereit stellen? Erleichterte der Wegfall der bipolaren Konfrontation den Blick für die Eigengesetzlichkeiten und Deeskalationschancen lokaler oder regionaler Konflikte? Oder droht u.U. eine neue Überlagerung endogener Konfliktstrukturen durch eine globale Konfrontation des Westens mit dem Islamismus unter dem Rubrum des Antiterrorkampfes? Hieran schließen sich unmittelbar Fragen nach den Inhalten und Zielen von Deeskalation an: Können so unterschiedliche Perspektiven einer Deeskalation wie Gewaltminderung und Abrüstung einerseits11 und die Sicherung von Menschenrechten und Demokratie andererseits miteinander in Einklang gebracht werden? Eröffnet nicht die aktuelle Menschenrechtsdebatte im Kontext eines »gerechten Friedens« Dilemmata für Deeskalation, die nicht vereinbar sind? Die nordirische Völkerrechtlerin Christine Bell12 verweist beispielsweise auf die Spannungsfelder zwischen Inklusion und Exklusion von Konfliktparteien, zwischen Versöhnung und Gerechtigkeit, Amnestie und Strafverfolgung etc., plädiert aber dafür, diesen in jedem Friedensprozess klassischen »clash« von Pragmatismus und Prinzipien, von verhandelbaren und nicht verhandelbaren Zielen, durch eine verabredete Reihenfolge und eine geduldige Organisation des Wandels zu lösen, die nicht auf Sieg oder Niederlage einer Seite hinauslaufen darf. Neuere Forschungen über das »Management von Friedensprozessen«,13 nehmen zwar die pragmatischen Ansätze der frühen 1990er Jahre zur Kriegsbeendigung, Kriegsfolgenbewältigung und Friedenskonsolidierung auf, die von der UN-Agenda for Peace beeinflusst waren,14 warnen aber angesichts komplexer Gewaltverhältnisse vor einen»quick fix« und beschreiben auch Deeskalation als ambivalenten, keineswegs gradlinigen Prozess.

Der internationale politische Diskurs reflektiert die neueren wissenschaftlichen Debatten über Konfliktbearbeitung nur selektiv. So enthält der Report, den die Reformkommission des UN-Generalsekretärs Ende 2004 vorgestellt hat,15 zwei bemerkenswerte Akzente mit Blick auf internationale Deeskalationschancen (obwohl der Begriff selbst dort nicht zu finden ist).

  • Das Prinzip Kollektiver Sicherheit wird erstmals explizit als Strategie der Staatengemeinschaft formuliert; was eine implizite Absage an unilaterales Handeln der Supermacht bedeutet.
  • Entwicklung wird als elementare Voraussetzung für Sicherheit propagiert, ein Vorrang wird zivilen außenpolitischen Instrumenten der Prävention im Umgang mit den Verwerfungen der Globalisierung gegeben.

Problematisch hingegen, auch unter dem Gesichtspunkt wirksamer Deeskalationsstrategien erscheint der Umgang mit dem sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff, der ja u.a. auch in der sicherheitspolitischen Strategie der EU zugrunde gelegt wurde.16 Wenn alles mit allem zusammenhängt, also eine Verbindung und Gleichrangigkeit so verschiedener Bedrohungen wie Terror und Massenvernichtungswaffen, Seuchen und Unterentwicklung, Genozid und organisiertes Verbrechen stattfindet, wird dies in der Konsequenz zu Verwischungen führen – in der Analyse ebenso wie in den Handlungsoptionen für die Konfliktbearbeitung. Die eigentlich erforderliche größere Trennschärfe, d.h. Fähigkeit zur Unterscheidung und Hierarchisierung von Konfliktpotenzialen mit Blick auf ihre Gewalthaltigkeit, kann im Einheitsbrei allgegenwärtiger Bedrohungen leicht verloren gehen. Für die wenigsten dieser Bedrohungen ist das Militär die richtige Antwort, in den meisten Fällen sein Einsatz vielmehr kontraproduktiv. Hinsichtlich der Frage, ob und wann militärische Mittel eine geeignete Art der Konfliktintervention darstellen, entstehen mit dem erweiterten Sicherheitsbegriff deshalb mehr Probleme als Lösungen. Mit der Diskussion, ob und wie militärische und zivile Strategien und Instrumente in bewaffneten Konflikten friedensfördernd zusammenwirken können, stehen wir erst am Anfang. Dem »trial and error« der Politik muss friedenswissenschaftliche Forschung mit fundierten Konflikt- und Bedrohungsanalysen und der Evaluierung erfolgreicher und gescheiterter Deeskalationen, also durch komparative und interdisziplinäre Studien, zur Seite stehen.

Als relativ gesichert können gegenwärtig zwei zentrale politische Leistungspotenziale von Deeskalation gelten. Sie lassen sich aus Konflikten ableiten, die erfolgreich in eine zivile Kooperationsperspektive überführt werden konnten. Interessanterweise sind dies Erfahrungen, die in ähnlicher Weise sowohl bei der Beendigung des Kalten Krieges als auch in einer ethno-politischen Konfliktkonstellation wie z.B. dem Nordirlandkonflikt beobachtet wurden. Sie scheinen unabhängig von der weltpolitischen Ordnungsperspektive und sowohl im zwischenstaatlichen wie im innerstaatlichen Handlungsrahmen Gültigkeit zu besitzen:

  • Nachhaltige politische Entspannung und Gewaltverzicht zwischen Konfliktparteien, staatlichen und nichtsstaatlichen Akteuren, entsteht nur mit Hilfe von Kommunikationsstrategien, die auf der Anerkennung der anderen Seite, gegebenenfalls auch der »Hardliner«, beruhen und auf gleichberechtigte Teilhabe an dem anvisierten Transformationsprozess abzielen.
  • Abrüstung, die ein strategisches Ziel jeder Deeskalation sein sollte, ist in der Regel keine Einbahnstraße und bedarf eines regionalen bzw. multilateralen Kontextes. Sie lässt sich eher im Ergebnis eines neuen Sicherheitskonsenses erreichen, denn als dessen Voraussetzung. Rüstungskontrollregime – dies gilt für Massenvernichtungswaffen in ähnlicher Weise wie für Kleinwaffen und hängt auch mit deren politischer Symbolfunktion zusammen – sind zur Vertrauensbildung essentiell, um Ausstiegsszenarien vorzubereiten.

Die potenziellen Stärken einer Deeskalation liegen also bisher vor allem in der Initiierung des politischen Dialoges zum Aufbrechen einer Konfliktstruktur und in der klaren Adressierung der sicherheitspolitischen Dimension eines Gewaltkonfliktes. Davon, wie es gelingt, mittels Deeskalation den Konfliktaustrag weitergehend zu zivilisieren, hängt es ab, ob den Zielperspektiven wie der Sicherung von Menschenrechten und Demokratie in dem jeweiligen Konfliktfall Geltung verschafft werden kann. Diese Binnenkonsolidierung von Konflikten, die nicht ohne Zivilgesellschaften funktioniert, ist die eigentliche Bewährungsprobe jeder behutsam und geduldig zu führenden Deeskalation. Deshalb, also wegen der von den Konflikten betroffenen Menschen, sollten Deeskalationsstrategien von vornherein die Konfliktursachen, die unterschiedlichen Interessenlagen und Vorteilserwartungen der Konfliktparteien in den Blick nehmen. Deeskalation, nicht Eskalation soll sich auszahlen. Die Ordnungsvorstellungen der mächtigen Staaten sind, vor allem wenn sie sich geopolitisch gerieren, nicht immer die besten Ratgeber für eine so verstandene Deeskalation.

Bereits der griechische Stratege und Historiker Thukydides wusste: „Von allen Bekundungen der Macht beeindruckt die Menschen nichts so sehr wie Zurückhaltung.“

Deeskalation (lat.), Abschwächung, schrittweise Abrüstung, stufenweise Verringerung militär. Mittel, allmähl. Abbau von Spannungen; Gegensatz: Eskalation.

Eskalation (frz.), stufenweise Verschärfung eines polit. oder militär. Konflikts durch gegenseitige Provokationen und Heraufschrauben von Forderungen. Wirksames Krisenmanagement besteht in der Eindämmung der E. und ihrer schließl. Umkehrung in eine Deeskalation.

(Einträge im Universallexikon)

Anmerkungen

1) Der Text basiert in Teilen auf einem öffentlichen Vortrag, gehalten an der Bucerius Law School, Hamburg, am 9.12.2004.

2) Die Ergebnisse dieser Tagung »Deeskalation von Gewaltkonflikten nach 1945 – Eine vergleichende Geschichte der Konfliktbearbeitung« werden in diesem Jahr als Buch publiziert in der Reihe »Frieden und Krieg – Beiträge zur Historischen Friedensforschung«, Klartext Verlag, Essen. Aus historischer Perspektive vgl. auch J. Dülffer/ M. Kröger/R.-H. Wippich (Hg.): Vermiedene Kriege. Deeskalation von Konflikten der Großmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg, München 1997.

3) Herman Kahn: On Escalation. Metaphors and Scenarios, London, Pall Mall Press 1965 (Hudson Institute Series on International Security and World Order.

4) Vgl. auch den Beitrag von Gottfried Niedhart in dieser W&F-Ausgabe, S. 19.

5) Vgl. z.B. die Studie von Collier, Paul et al: »Breaking the Conflict Trap: Civil War and Development Policy«, World Bank Report 2003 (http://econ.worldbank.org/prr/CivilWarPRR/), in der u.a. davon ausgegangen wird, dass ca. 2/3 der seit 1945 eingeleiteten Friedensprozesse innerhalb der ersten zehn Jahre einen Rückfall in die Gewalt erleben.

6) Vgl. u.a. Tobias Debiel (2004): Konfliktbearbeitung in Zeiten des Staatsverfalls: Erfahrungen und Lehren zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in: U. Blanke (Hrsg.): Krisen und Konflikte – Von der Prävention zur Friedenskonsolidierung, Berlin, 2004, S. 21-38.

7) François Jean and Jean-Christophe Rufin (Ed.): Économie des guerres civiles, Hachette, Paris, 1996.

8) Christopher Daase: Der Krieg und die Friedensforschung, Kleine Polemik zugunsten der Polemologie, in: H. Schmidt/U.Trittmann (Hg.): Kultur und Konflikt, Festschrift für Johan Galtung, Münster 2002, S. 83-95.

9) William Zartman: Ripe for Solution. Conflict und Intervention in Africa, New York/Oxford, 1985, sowie Ders.: Ripeness revisited: The Push and Pull of Conflict Management, Draft Paper (vorgelegt auf der o.g. Tagung, im Dezember 2004 in Loccum, s. Anm.2).

10) Peter Waldmann: Zur Asymmetrie von Gewaltdynamik und Friedensdynamik am Beispiel von Bürgerkriegen und bürgerkriegsähnlichen Konflikten, in: W. Heitmeyer/H.-G. Soeffner (Hg.): Gewalt, Frankfurt/M. 2004, S. 246-265.

11) Vgl. hierzu den Beitrag von Herbert Wulf in dieser W&F-Ausgabe, S. 15.

12) Vgl. auch Christine Bell: Peace Agreements and Human Rights, Oxford 2000.

13) Vgl. u.a. John Darby/Roger Mac Ginty (Ed.): The Management of Peace Processes, London 2000.

14) Vgl. z.B. für den deutschsprachigen Kontext Volker Matthies (Hg.): Vom Krieg zum Frieden, Bremen 1995.

15) United Nations High-level Panel on Threats, Challenges and Change. A More Secure World: Our Shared Responsibility. New York 2004.

16) Vgl. Corinna Hauswedell/Herbert Wulf: Die EU als Friedensmacht? Neue Sicherheitsstrategie und Rüstungskontrolle, in: Friedensgutachten 2004, Hg. von C. Weller, U. Ratsch, R. Mutz, B. Schoch, C. Hauswedell, Münster-Hamburg-London 2004, S. 122-130.

Dr. Corinna Hauswedell ist für das Bonn International Center for Conversion Mitherausgeberin des Friedensgutachtens und Sprecherin des Arbeitskreises Historische Friedensforschung

Think Tanks für Abrüstung und Frieden?

Think Tanks für Abrüstung und Frieden?

von Andrew Lichterman

Als Think Tank – Denkfabrik – werden in den USA alle Organisationen bezeichnet, die sich schwerpunktmäßig mit der Erforschung und Analyse von Politik befassen. Die meisten Think Tanks sind angetreten um mit ihrer Arbeit vor allem die Regierung zu informieren und – entweder direkt oder indirekt – zu beeinflussen. Versorgt ein Think Tank auch eine breitere Öffentlichkeit mit Informationen, so beliefert er diese entweder mit abgespeckten Versionen der Materialien, die er zur Beeinflussung von Regierungen erstellt hat, oder er nutzt moderne Techniken der »Public Relations« – ein höflicher Begriff für Propaganda –, um die »öffentliche Meinung« für sich zu gewinnen. Nur wenige sind angetreten, um als Experten sozialen Bewegungen zur Seite zu stehen. Andrew Lichterman über den Einfluss US-amerikanischer Think Tanks auf Rüstung / Rüstungskontrolle und die Friedensbewegung.

Die großen Think-Tanks in den USA konzentrieren sich auf die Lieferung von Informationen mit hohem Gebrauchswert für Regierungsforen, in denen Entscheidungen fallen, und auf Analyseformen, die dort besonders gut ankommen. Nur wenige Think Tanks kümmern sich um Informationen und Unterstützung für soziale Bewegungen.

Dieses Grundmuster ist bei den Themen Rüstungskontrolle und Abrüstung und nationale Sicherheit besonders ausgeprägt. Unter diesen Schlagworten wird in den Vereinigten Staaten der professionelle Diskurs der politischen Mitte über Krieg und Frieden geführt. Allerdings ist hier inzwischen von Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht viel übrig geblieben. Bei dem Thema Abrüstung geht es fast nur noch um die Abrüstung des einen oder anderen potentiellen Gegners und unter Rüstungskontrolle wird vor allem die Sicherung des militärischen Vorteils mit anderen Mitteln verstanden; es geht um die Nutzung von Verträgen und Diplomatie zur Beibehaltung möglichst vieler eigener militärischer Fähigkeiten bei gleichzeitiger Begrenzung derer anderer Länder. Die meisten Rüstungskontrollexperten der USA arbeiten im Inland, aber auch im Ausland, direkt für die Regierung oder für Organisationen, die sich explizit oder implizit als Berater der Regierung verstehen. Abrüstung und Frieden brauchen aber Menschen auf der ganzen Welt, die die zur Gewaltanwendung neigenden Eliten und bewaffneten Bürokratien in ihren jeweiligen Ländern unter Kontrolle bringen.

In den Vereinigten Staaten ist aber der Abstand größer geworden zwischen denjenigen, die in sozialen Bewegungen aktiv sind, und denen, die behaupten, sie in den Machtzentren bei Themen wir Krieg und Frieden, Rüstungskontrolle und Abrüstung zu vertreten. Teilweise ist das auf die immer geringere politische Mobilisierung in den Vereinigten Staaten zurückzuführen. Sichtbar wird das auf jeder Ebene, vom lokalen Engagement der ehrenamtlich Aktiven bis hin zur Wahlbeteiligung. Die neuen sozialen Bewegungen, die sich in den 1960ern herausbildeten, bewirkten in den Vereinigten Staaten erhebliche soziale Reformen, die Ausweitung von Bürgerrechten, zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen und eine gewisse Begrenzung der militärischen US-Interventionen rund um den Globus. Im Rückblick muss man wohl sagen, dass diese Bewegungen etwa Mitte der 1980er ihren Höhepunkt überschritten haben.

Zu ihrem Niedergang trugen viele Faktoren bei, nicht zuletzt eine starke und selbstbewusste Gegenbewegung der Rechten. Außerdem wurden in den letzten zwei Jahrzehnten nur wenig Geld und fast keine systematischen Überlegungen in die lokale Organisation und den Aufbau von Institutionen investiert, die Voraussetzung für sozialen Wandel sind. Am progressiven Ende des politischen Spektrums wurden, insbesondere im Zusammenhang mit Frieden und Abrüstung, die Mittel überwiegend in solche Initiativen gelenkt, die kurzfristig die Gesetzgebung und Wahlpolitik beeinflussen sollten. In den späten 1980ern und frühen 1990ern zogen sich etliche große amerikanische Friedensorganisationen von lokalen und regionalen Aktivitäten zurück und schlossen ihre lokalen Büros, setzten aber gleichzeitig die Arbeit in Washington fort und »professionalisierten« sie zunehmend. Einen deutlichen Umbruch erzwang auf jeden Fall das Ende des Kalten Krieges, mit dem auch die Angst verschwand, die für viele Amerikaner die Triebfeder zur Unterstützung von Friedens- und Abrüstungsinitiativen gewesen war.

Mehr Lobbyarbeit aber weniger vor Ort

Die meisten Organisationen setzten jetzt zwar ihre professionalisierte Forschungs- und Lobbyarbeit in den Machtzentren fort, das hatte aber zur Folge, dass sie weniger zur Organisation von Aktivitäten in der breiten und vielfältigen politischen Landschaft der USA beitragen konnten.

Bis zu einem bestimmten Grad war diese Entwicklung seit Anfang der 1980er Jahre unausweichlich. Die Freeze-Kampagne war der gezielte Versuch, dem Kongress und der Öffentlichkeit nukleare Abrüstung »zu verkaufen«, ohne in die Diskussion Fragen wie Militarismus und Empire einzubeziehen. Gemeinnützige amerikanische Stiftungen drängten die Friedens- und Abrüstungsgruppen noch weiter in diese Richtung, indem sie erhebliche Mittel an solche Gruppen vergaben, die ihre Arbeit auf den zunehmend professionalisierten Diskurs über Rüstungskontrolle und Abrüstung beschränkten. Die Gruppen wurden an den Rand gedrängt, die eine Verbindung herstellten zwischen den astronomischen Militärausgaben der USA und der wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeit innerhalb und außerhalb der USA. Das nukleare und konventionelle Wettrüsten wurde von der politischen Mitte größtenteils so dargestellt, als ginge es vor allem darum, die »sowjetische Bedrohung« mit Abschreckung zu kontern. Folglich verschwand für die Allgemeinheit mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch die »Bedrohung« – obwohl weiterhin Tausende Atomwaffen stationiert waren und die gigantische Militärmaschinerie der USA weiterrollte. So war es nicht verwunderlich, dass die »Graswurzel«-Unterstützung für die großen Friedens- und Abrüstungsorganisationen schwand. Experten, die jahrelang Rüstungskontrolle nur zur Eindämmung des gefährlichen Wettrüstens mit der Sowjetunion gefordert hatten, blieb jetzt höchstens noch die Kritik an unnötig hohen Rüstungskosten.

Alternative Think-Tanks reduzierten ihre Ziele

Während die Aktivitäten auf lokaler und regionaler Ebene verkümmerten, stellten sich die professionalisierten Rüstungskontroll- und Abrüstungsgruppen auf das sinkende Interesse an Abrüstungsthemen ein und bewegten sich immer mehr im engen Rahmen der politischen Alternativen und Methoden, die in Washington als »glaubwürdig« gelten. Sie beschränken sich inzwischen weitgehend auf die äußerst begrenzten Versuche, die eine oder andere extreme Erscheinungsform eines außer Kontrolle geratenen militärisch-industriellen Komplexes zu verhindern. Selten nur hinterfragen sie die vorherrschende Mär von der »nationalen Sicherheit« und die Definition »nationaler Interessen« der USA. Statt dessen konzentrieren sie sich auf technische Bedenken und die Kostenfrage.

Damit nicht genug: Die allermeisten Think Tanks, Lobbyorganisationen und PR-Agenturen, die sich in den Metropolen des Empire tummeln, repräsentieren konzentrierten Reichtum und Macht. Das American Enterprise Institute, die Heritage Foundation, das National Institute for Public Policy und Dutzende andere üppigst finanzierte rechte Think Tanks und Institute bieten amerikanischen Militärideologen auch dann ein exponiertes Podium und eine institutionelle Heimat, wenn diese gerade keine Machtposition halten. Sind diese wieder in Amt und Würden, verfügen sie mittels der Think-Tanks über einen fast unbegrenzten Nachschub von »Experten« zur Untermauerung ihrer Politik. In der Kapitale des mächtigsten Empires, das die Welt je gesehen hat, sind heute alle diejenigen, die auch nur für einen moderateren Einsatz der Waffen plädieren, in der entschiedenen Minderheit. Kaum jemand spricht sich noch öffentlich gegen das Projekt der globalen militärischen Dominanz im Dienste des Empires aus.

In diesem Klima haben nicht nur die Intellektuellen der Think Tanks sondern auch die Experten der meisten in Washington angesiedelten Friedens- und Abrüstungsorganisationen zunehmend weniger gefordert, weil dies angeblich die einzige »praktische« Strategie zu sein schien. Absichtlich oder unabsichtlich entsteht durch das Ausbleiben einer breiteren, fundamentaleren Politikkritik der Eindruck, die globale militärische Vorherrschaft der USA sei akzeptabel, könnte aber billiger, effektiver und vielleicht mit weniger Risiko erreicht werden. Unfähig oder unwillig, einer alternativen Vision von menschlicher Sicherheit in den USA – und auf der Welt – eine Stimme zu verleihen, bieten die »professionalisierten« Gruppen im Bereich Rüstungskontrolle und Abrüstung wenig, dass zur Inspiration und Mobilisierung der potentiellen Unterstützer von Abrüstungsbemühungen eingesetzt werden könnte. Und schon gar nicht ist dies der Fall, wenn es um Fragen der sozialen, ökonomischen und ökologischen Wurzeln globaler Konflikte geht.

Kompromissstrategien ohne Erfolg …

Daraus resultierten seit dem Ende des Kalten Krieges etliche Kompromiss-Strategien, von denen keine viel mit Abrüstung oder Frieden zu tun hatte. Für vorgeblich »gewinnträchtige« Positionen, beispielsweise zum Umfassenden Teststoppvertrag für Kernwaffen (CTBT) oder zur Raketenabwehr, wurden von Anfang an große Konzessionen gemacht, aber auch sie konnten sich letztlich nicht durchsetzen. Der CTBT und Raketenabwehr gehörten zu den wichtigsten Abrüstungsthemen, um die sich die Rüstungskontroll- und Abrüstungsgruppen in Washington in den 1990ern kümmerten, und dennoch hinterfragte kaum eine der Gruppen die grundsätzliche Legitimation oder den wirklichen Zweck dieser Waffen.

… beim Teststoppvertrag

In der Diskussion über den CTBT und die Zukunft der Kernwaffen stellten sich die meisten Organisationen dem »Stockpile Stewardship-Programm« der Regierung nicht entgegen. Dieses wurde dem Kongress und der Öffentlichkeit als Voraussetzung dafür verkauft, dass die »Sicherheit und Zuverlässigkeit« der Kernwaffenarsenale der USA auch ohne unterirdische Atomwaffentests garantiert werden könnte. In Wirklichkeit entpuppte sich das Programm als Antriebsmotor für die technische, ökonomische und ideologische Neukonsolidierung des Kernwaffen-Establishment, und ermöglicht somit die Neubestückung des Kernwaffenarsenals für die neuen Militärmissionen der Ära nach dem Kalten Krieg. Die Abrüstungsgruppen hielten still, weil sie daran glaubten, dass »Stockpile Stewardship« der politische Preis für die Ratifizierung des CTBT durch die USA sei. Folglich wurden weder die massive Modernisierung des Kernwaffenkomplexes noch die Legitimität von Kernwaffen in Frage gestellt. Und das schon direkt nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Zeit für entsprechende Kritik so günstig war wie nie zuvor. Wer eine umfassende Diskussion einforderte, wurde in der Community kritisiert und marginalisiert. Und heute gibt es keinen CTBT, das Kernwaffen-Establishment hat an wirtschaftlicher und politischer Macht gewonnen, die Budgets wurden um Milliarden Dollar erhöht, und wir steuern unaufhaltsam auf die Produktion neuer Kernwaffen mit neuen Fähigkeiten zu.

… bei der Raketenabwehr

Zur Raketenabwehr gibt es zwei Argumentationslinien. Die erste und am häufigsten vertretene kritisiert die Pläne aus technischen Grünen: Die Abwehr strategischer ballistischer Raketen in der Flugphase funktioniert nicht, kostet zu viel und kann von einem einigermaßen ernstzunehmenden Gegner mit einfachen Mitteln getäuscht oder überwältigt werden. Die zweite betont, dass Raketenabwehrsysteme die Stabilität der »nuklearen Abschreckung« bedrohen – ein Argument, das implizit die Legitimität von Abschreckung billigt. Die Behauptung, dass Raketenabwehr lediglich zum Schutz von US-Territorium und –Bevölkerung vor einem überraschenden Angriff mit Kernwaffen dient, wurde kaum jemals angezweifelt. Nur wenige Kritiker wiesen bisher darauf hin, dass die USA mit der Raketenabwehr dem eigentlichen Ziel näher kommen wollen, nämlich auf jeder Ebene in jedem Krieg über »Eskalationsdominanz« zu verfügen, auch in den Kriegen, die von den Vereinigten Staaten selbst ausgehen. Raketenabwehrsysteme mit kürzerer Reichweite zum Schutz von Militärkräften und –basen der USA im Ausland fanden kaum Beachtung. Zusätzlich ermöglichte die Zuspitzung auf die Frage, ob Raketenabwehr überhaupt funktionieren wird, im Parlament den Kompromiss, auf den sich die Demokraten und die damalige Regierung festlegten: Keine Stationierung von Raketenabwehr, aber Milliarden Dollar für die weitere Forschung. Dieser »pragmatische« Ansatz schlug komplett fehl, und heute haben wir zwar keinen Raketenabwehrvertrag mehr aber Forschungsprojekte für zahlreiche Technologien einer mehrschichtigen globalen Raketenabwehr sowie ein rasant wachsendes neues Geschäftsfeld des militärisch-industriellen Komplexes, das wiederum die technologische und politische Basis für die weitere Militarisierung und höchstwahrscheinlich sogar Bewaffnung des Weltraums ist.

Professionalisierter Rüstungs- kontrolldiskurs wenig hilfreich

Diese trostlosen Aussichten verweisen auf eine weitere Konsequenz dessen, dass der professionalisierte Rüstungskontroll-Diskurs die Überlegungen und Aktionen stark einengt. So wie diese Sicht der Welt keinen Platz hat für das transformative Potential sozialer Bewegungen, hat sie auch keinen Platz für systematische Überlegungen über die Folgen die es hat, wenn ein erheblicher Teil der Gelder einer Gesellschaft in Institutionen gepumpt wird, die Waffen entwickeln, herstellen und stationieren. Es ist kein Zufall, dass sich einerseits die Abrüstungsexperten in den Vereinigten Staaten professionalisiert haben und andererseits keine Forschung und Analyse mehr stattfindet zu den Folgen des wissenschaftlich-technisch-militärisch-industriellen Komplexes, einem gängigen Thema der Friedensbewegung von den 1960ern bis zu den 1980ern. Heute gibt es nur wenig Daten zu den strukturellen Auswirkungen eines halben Jahrhunderts High-Tech-Militarismus auf die Wirtschaft und Gesellschaft des mächtigsten Staats der Erde.

Eine Haltung, die klar die Legitimität von Kernwaffen angefochten, das Verhältnis zwischen nuklearer Angriffsfähigkeit, Raketenabwehr und der Rolle von Raketenabwehr und Kernwaffen zur Unterstützung der konventionellen Streitmacht deutlich angesprochen, und sich vernehmbar gegen das Streben nach globaler militärischer Dominanz der USA nach dem Kalten Krieg gestellt hätte, wäre vielleicht auch nicht erfolgreich gewesen. Aber zumindest hätte sie einen erheblichen Beitrag geleistet zur Aufklärung der amerikanischen Bevölkerung über die wirkliche Rolle des US-Militärs und seiner verheerendsten Waffen. So hätte es eine viel bessere Möglichkeit gegeben, Menschen, die an eine gerechtere und friedlichere Welt glauben, zur Arbeit an diesen Themen zu inspirieren, sie in die Bewegung einzubinden, die entsprechenden Organisationen zu stärken und eine große, aktive Gemeinschaft für den Frieden aufzubauen. Wir hätten nebenbei etwas Neues geschaffen. Statt dessen haben wir praktisch alles verloren und stehen mit nichts da. Wir sind konfrontiert mit einem wiederauflebenden nuklear gerüsteten nationalen Sicherheitsstaat und kaum noch unabhängigen lokalen oder regionalen Institutionen oder Organisationspotentialen, um die Friedensbewegung neu zu beleben.

Geld für alternative Think-Tanks oder für Aktionen

Dennoch plädieren immer mehr einflussreiche Organisationen vom links-liberalen Ende des politischen Spektrums in den USA dafür, Methoden nachzuahmen, mit denen die Rechte bei den meisten Wahlen den Kurs bestimmt. Es wird vorgeschlagen, noch mehr Geld in den Ausbau schlagkräftiger »progressiver« Think Tanks und in gezieltere und effektivere Werbe- und Öffentlichkeitskampagnen zu stecken. Solche Aktivitäten dürfen aber nicht mit Organisation verwechselt werden, und wer glaubt, dass auf diese Art wirklich progressive und demokratische Programme vorangetrieben würden, ignoriert die grundlegenden Unterschiede zwischen progressiven Zielen und den Zielen der Geldgeber und Institutionen der Rechten. Eine soziale Bewegung lässt sich nicht mit einer Anzeigenkampagne aufbauen. Sie erfordert vielmehr echtes Engagement – von jedem. Sie kann nur mit der Qualifikation und dem Einsatz Millionen normaler Bürger getragen werden. Grundsätzlich geht es bei einer sozialen Bewegung nicht darum, eine bestimmte Botschaft zu »verkaufen«, sondern Menschen anzuleiten, dass sie selbst denken lernen, effektiv miteinander arbeiten, ihre eigenen Institutionen aufbauen und so nach und nach politische Macht gewinnen und behalten. Beim Organisieren geht es darum, Wissen zu teilen und Koalitionen zu formen, zunächst auf lokaler und regionaler Ebene. Es geht eben nicht um Manipulation und Indoktrination oder, wie manche Befürworter des neuen verwässerten Top-Down-Progressivismus uns glauben machen wollen, darum, ein attraktives liberales Markenzeichen zu entwickeln.

Werden Ressourcen der lokalen und regionalen Organisationen umgelenkt in immer noch professionelle Propagandaaktivitäten, führt dies zudem nur noch schneller zu fundamentalen Strukturverschiebungen, die sowohl die sozialen Bewegungen als auch die Demokratie untergraben. Zu den Verschiebungen gehört der Niedergang autonomer Institutionen mit menschlichen Dimensionen, in denen auch Durchschnittsmenschen eine Stimme haben und gegenseitige Unterstützung finden können, sowie der Ersatz echter Diskussionen durch immer noch ausgefeiltere Techniken zur Manipulation des menschlichen Bewusstseins.

Und zu guter Letzt ignoriert der Anspruch, dass mit Hilfe solcher Methoden die Chancen auch nur moderater Reformen in Bereichen mit Relevanz für progressive Menschen steigen, einen weiteren Unterschied zwischen dem progressiven und dem rechten Projekt. Die modernen Techniken zur Massenbeeinflussung sind extrem kostspielig. Mit wenigen Ausnahmen lehnen aber die reichsten Organisationen und Menschen in dieser Gesellschaft jegliche Initiativen ab, die wegführen würden von einer militarisierten Ökonomie und Gesellschaft hin zur einer faireren Verteilung von Reichtum im Inland oder auf globaler Ebene, hin zu ökologisch rationaleren Technologien und Formen der sozialen Organisation und zu einer demokratischen Kontrolle des Arbeitsplatzes. Sie geben für solche Ziele auch nicht ansatzweise das Geld aus, das sie bereitwillig in Kampagnen für weniger Gewerkschaften, weniger Vorschriften, »freie Märkte« (allerdings mit angemessenen staatlichen Hilfen für die Unternehmen), mehr Waffen und mehr »innere Sicherheit« zur Verfügung stellen. Sie wollen nicht Demokratie fördern, im Gegenteil, sie fürchten Demokratie. Sie sind mit einer reinen Propagandapolitik zufrieden, weil die am ehesten der Herrschaft weniger über viele gerecht wird.

Eine neue Vision

Diejenigen, die wirklich in den Machtzentren für Frieden arbeiten, und diejenigen, die breitere soziale Bewegungen mobilisieren wollen, brauchen einander. Angesichts des konzentrierten Reichtums der Verteidigungsindustrie und der Profiteure einer aggressiven, militarisierten Außenpolitik kann es im US-Kongress oder anderen Regierungsforen keinen Fortschritt geben, solange nicht große und stabile soziale Bewegungen etwas vollständig anderes einfordern. Diese Bewegungen brauchen zuverlässige Informationen darüber, was die Regierung und das Militär vorhaben, sowie fähige und aufgeschlossene Repräsentanten, die ihre Anliegen in Regierungsforen vertreten. Neues Denken und neue Visionen werden aber nicht von denen entwickelt, die auf die enge Welt in Washington fokussiert sind und sich selbst beschränken auf Optionen und Argumente, die heutzutage bei Kongressabgeordneten ankommen. Dieses ganze Gefüge schlittert schließlich seit Jahrzehnten nach rechts.

Eine neue Vision braucht eine ganz andere Art von Beziehung zwischen den entstehenden Bewegungen, die Frieden und Abrüstung mit globaler wirtschaftlicher Gleichberechtigung und ökologischer Nachhaltigkeit verknüpfen, und den Mainstream-Think Tanks und konventionell organisierten Lobbygruppen, die in diesem Land nach wie vor die »progressive« Debatte bestimmen. Dass sich trotz der unerbittlichsten Propagandaschlacht in der US-Geschichte ein überraschend breiter Graswurzel-Widerstand gegen den Irakkrieg formierte, macht Hoffnung, dass dies möglich ist.

Andrew Lichterman ist seit langem in der Friedens- und Umweltbewegung der USA aktiv. Er lebt und arbeitet in der Nähe von San Francisco in Kalifornien. Kontakt: http://www.marginalnotes.org Übersetzt von Regina Hagen