Förderprogramme Friedensforschung

Förderprogramme Friedensforschung

Bilanz und Perspektiven der Deutschen Stiftung Friedensforschung

von Thomas Held

Mit der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung durch den Bund im Oktober 2000 begann eine neue Etappe in der Förderung der Friedensforschung in Deutschland. Ausgestattet mit einem Vermögen von 25,56 Millionen Euro und dem Status einer Stiftung bürgerlichen Rechts soll die DSF eine dauerhafte Stärkung der Friedensforschung bewirken sowie ihre politische und finanzielle Unabhängigkeit sichern. Als Einrichtung der Forschungsförderung führt die DSF keine eigenen Studien durch, sie soll der Friedensforschung jedoch Impulse durch eigene Aktivitäten, z. B. in Form von Tagungen und Förderschwerpunkten, geben. Die Stiftung erhielt ferner die Aufgabe, zur nationalen und internationalen Vernetzung der Friedensforschung beizutragen sowie den Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die politische Praxis zu unterstützen.
Im unmittelbaren Anschluss an die Einrichtung der Geschäftsstelle in Osnabrück im August 2001 nahm die Stiftung ihre Förderaktivitäten auf. Neben dem institutionellen Aufbau wurde der Forschungsprojektförderung sowie der Umsetzung des bereits im April 2001 beschlossenen Nachwuchsförderungsprogramms eine hohe Priorität beigemessen. In den ersten zwei Jahren ist es gelungen, in beiden Bereichen wichtige Akzente für die weitere Entwicklung der Friedensforschung zu setzen. Freilich stellte sich schon sehr bald heraus, dass der zur Verfügung stehende finanzielle Rahmen den Fördermaßnahmen enge Grenzen setzt und deshalb nicht alle Zielsetzungen der Stiftung in der ersten Aufbauphase verwirklicht werden konnten. Vor dem Hintergrund einer anhaltenden negativen Zinsentwicklung erweist sich die eng bemessene Kapitalausstattung der DSF derzeit sogar als die Achillesferse der weiteren Entwicklung. So werden selbst für die Aufrechterhaltung des bisherigen Umfangs der Projektförderung zusätzliche Finanzmittel erforderlich sein. Vom Erfolg einer verbesserten Kapitalausstattung wird es abhängen, welche Zielsetzungen in der Stiftungsarbeit zukünftig verwirklicht werden können.

Im Folgenden werden die bisherigen Fördermaßnahmen im Bereich der Projekt- und Nachwuchsförderung zusammenfassend erläutert und einige Rückschlüsse auf zukünftige Aufgaben und Zielsetzungen gezogen. Weitere Informationen und Links finden sich auf der Internetseite der Stiftung. In Kürze wird die Stiftung einen Newsletter unter dem Titel »DSF-Aktuell« herausgeben, der laufend über Fördermaßnahmen, Veranstaltungen und andere Aktivitäten berichten wird.

Forschungsprojektförderung

Begleitend zur Gründungsphase der DSF legte die von der Stifterin berufene Struktur- und Findungskommission unter dem Titel »Umgang mit friedensgefährdenden Konflikten« ein Grundsatzpapier zur Forschungsförderung vor.1 Aufgrund des begrenzten Fördervolumens verzichtete die Stiftung auf eine Ausschreibung von thematischen Schwerpunkten. Gerade in der Anfangsphase erschien es zudem geboten, die Friedensforschung in ihren unterschiedlichen Facetten zu fördern, zumal sich nach der jahrelangen Unterfinanzierung hohe Erwartungen an die DSF richteten. Um einer Ausschöpfung des Fördertopfes durch wenige teure Vorhaben vorzubeugen, begrenzte der Stiftungsrat die Antragssumme bei größeren Projekten auf 150.000 Euro und die Laufzeit auf maximal zwei Jahre. Grundvoraussetzung für eine Förderung ist die Erfüllung der Bewertungskriterien für Projektanträge. Maßgeblich sind hierbei die wissenschaftliche Qualität und Originalität der Vorhaben sowie der vorgesehene Ergebnistransfer.2

In den ersten vier Antragsverfahren im Bereich der Projektförderung bewilligte die Stiftung 21 Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von rund 2,3 Mio. Euro. Mit Ausnahme zweier Konferenzen handelt es sich in der großen Mehrzahl um Projekte mit einer zweijährigen Laufzeit, von denen die ersten bereits 2003 zum Abschluss kommen. Thematisch lassen sich die geförderten Projekte unter folgenden Stichworten zusammenfassen: (siehe Diagramm auf der nächsten Seite)

Unter den akuten Konfliktherden erlangt die Aufarbeitung und Beilegung der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien bei weitem die größte Aufmerksamkeit. Die Untersuchungen fragen nach der Wirkungsweise der Interventionen, den Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen und nach der Rolle der Medien in den »Informationskriegen« um den Balkan.3 Des Weiteren stehen die Erfahrungen beim Aufbau einer stabilen Friedensordnung im Zentrum des Forschungsinteresses.4Eine größere Aufmerksamkeit richtet sich außerdem auf die anhaltenden Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent. Die geförderten Projekte analysieren insbesondere die Rahmenbedingungen und Optionen für eine dauerhafte Konfliktbeilegung.5Über die jeweiligen Konfliktherde hinaus befassen sich die Projekte zur Krisenprävention mit übergreifenden Problemstellungen, wenn etwa die Möglichkeiten und Grenzen der Prävention, die Rolle von Nichtregierungsorganisationen oder auch der Zusammenhang von Globalisierungsprozessen und innenpolitischer Stabilität untersucht werden.6Nicht erst durch die jüngsten politischen Auseinandersetzungen um die Missachtung internationaler Rechtsgrundsätze in der Irak-Krise erlangten völkerrechtliche Forschungsprojekte eine zentrale Bedeutung für die Friedensforschung. Stabilität, Sicherheit und Vertrauen sind nur auf der Basis eines verlässlichen Rechtssystems möglich. Unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen das internationale Recht gestärkt und an die Herausforderungen der Zeit angepasst werden kann, ist die verbindende Leitfrage der geförderten Projekte.7Schließlich haben auch die Untersuchungen zur Rüstungskontrolle vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Debatten an zusätzlicher Bedeutung gewonnen. Die Gefahr einer möglichen Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und einer unerwünschten Proliferation von Rüstungstechnologien, insbesondere in die Hände terroristischer Organisationen, wird in den nächsten Jahren ein hochaktuelles Thema bleiben. Darüber hinaus zielen die Projekte auf die Risikofolgenabschätzung neuer Technologieentwicklungen, die zu Missbrauch und neuen Rüstungswettläufen führen können. Sie analysieren ferner die Handlungsspielräume für eine präventive Rüstungskontrollpolitik auf internationaler Ebene.8In der Gesamtschau kristallisieren sich somit trotz des Verzichts auf eine thematische Fokussierung der Projektförderung einige inhaltliche Schwerpunkte heraus. Hierin spiegeln sich zweifellos die in Methode und Theorieansatz unterschiedlichen Forschungstrends innerhalb der Friedensforschung wider.9 Bemerkenswert ist außerdem die Beobachtung, dass die DSF-geförderten Projekte Problemstellungen aufgreifen, die durch die jüngsten politischen Entwicklungen noch mehr an Aktualität und praktischer Bedeutung gewonnen haben. Darüber hinaus werden die Projekte mit einem Fokus auf konkrete Konfliktherde Ergebnisse erbringen, die sich möglicherweise mit Gewinn auf andere Gebiete übertragen lassen oder weiterführende Projekte nach sich ziehen werden. Die Projektergebnisse werden somit wichtige Beiträge in der Debatte um einen europäischen Weg der Friedens- und Sicherheitspolitik leisten, indem sie alternative Wege im Umgang mit Konflikten und Sicherheitsproblemen aufzeigen und den gegenwärtigen Versuchen entgegenwirken, den militärischen Gewalteinsatz neu zu legitimieren.

Mit dem Auslaufen der ersten Forschungsprojekte stellt sich für die DSF nun die Aufgabe, den Ergebnistransfer in die Öffentlichkeit und politische Praxis zu unterstützen. Ob es gelingt, diesen Anspruch auf zufriedenstellende Weise zu verwirklichen, wird auch Gegenstand einer Gesamtevaluierung der Bewilligungen in der Projektförderung sein. Die Begrenztheit der Fördermittel, die der Stiftung derzeit zur Verfügung stehen, wirft zudem die Frage auf, ob und wie eine stärkere Profilbildung in der Projektförderung zukünftig möglich und sinnvoll ist. Schon heute erweist sich das Budget als zu gering, um auf effiziente Weise inter- und transdisziplinäre Kooperationsprojekte zu unterstützen. Dieses Ziel ist allenfalls in Ansätzen und in Form von Kleinprojekten zu verwirklichen.

Förderung von Kleinprojekten

In Ergänzung zu den größeren wissenschaftlichen Vorhaben können bei der Stiftung Kleinprojekte in Form von Tagungen, Workshops, Druckkostenzuschüssen und kleineren Forschungsarbeiten beantragt werden, die fortlaufend eingereicht und vom geschäftsführenden Vorstand bewilligt werden können, sofern sie eine Antragssumme von 25.000 Euro nicht überschreiten. In den Jahren 2001 bis 2003 hat die DSF bereits 38 Kleinprojekte mit einer Summe von rund 250.000 Euro gefördert.

Die Kleinprojektförderung hat sich als ein besonders fruchtbares Instrument der Wissenschaftsförderung erwiesen. Hierdurch können nicht nur zeitnah Ergebnisse erzielt werden, die der Politik und Öffentlichkeit Analysen über tagespolitische Ereignisse und Entwicklungen liefern. Sie fördern insbesondere auch den wissenschaftlichen Austausch sowie die fachübergreifende und internationale Vernetzung und tragen zum Diskurs über Grundsatzfragen der Friedensforschung bei. Die folgenden Beispiele können diesen Sachverhalt veranschaulichen:

  • Die Ergebnisse zweier international besetzter Workshops zur Konfliktprävention in der russischen Exklave Kaliningrad fassten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Schleswig-Holsteinischen Instituts für Friedenswissenschaften (SCHIFF) in einem Policy Paper zusammen, das der Forschung, politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit Empfehlungen vorlegt, wie einer Krisenentwicklung in der Region vorgebeugt werden kann.10
  • Eine Arbeitskreisserie der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Berlin zum Thema »Brandherd persischer Golf« fand nicht nur eine große Teilnehmerresonanz, sondern auch ein nachhaltiges Echo in den Medien. Die wissenschaftlichen Analysen konnten bereits in der Hochphase der Krise veröffentlicht werden und lieferten wichtige Hintergrundinformationen für die öffentliche Debatte.11

Wichtige Impulse für Wissenschaft und Politik werden auch von hochrangig besetzten Tagungen ausgehen, die sich mit der brisanten Thematik »gerechter Kriege im Völkerrecht«, der Weiterentwicklung des Rüstungskontrollrechts und der Überwindung der Bürgerkriegsgewalt in Kolumbien auseinandersetzen.12Des Weiteren trägt die Stiftung über die Förderung von Workshops und wissenschaftlichen Kolloquien zum innerwissenschaftlichen Diskurs über den Stand und die Perspektiven der Friedensforschung bei, sei es zu grundsätzlichen Fragen13, zu einzelnen Themengebieten14 oder zu den Möglichkeiten inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit.15Schließlich unterstützt die DSF mit Druckkostenzuschüssen die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten, die zum einen aus geförderten Projekten hervorgehen oder auch von dritter Seite beantragt werden können.16

In den ersten beiden Jahren machte sich eine spürbar ansteigende Nachfrage im Bereich der Kleinprojektförderung bemerkbar. Nach einer Auswertung der bisherigen Praxis erscheint es deshalb geboten darüber nachzudenken, wie die Stiftung die Fördermaßnahmen in diesem Bereich weiter optimieren kann und ob nicht auch der finanzielle Rahmen erweitert werden muss.

Das Programm zur Nachwuchsförderung

Das Programm zur Nachwuchsförderung zielt in erster Linie auf eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die Förderung umfasst folgende Teilbereiche:

  • Einjähriger Masterstudiengang als Aufbaustudium
  • Zweijährige Masterstudiengänge an Hochschulen
  • Promotionsförderung mit Betreuungssystem
  • Exzellenzförderung in der Post-doc-Phase
  • Stiftungsprofessur Friedensforschung und Naturwissenschaft

Aus Gründen eines effizienteren Mitteleinsatzes fasste die Stiftung den Beschluss, die Fördergelder für die Post-doc-Phase mit der Studiengangförderung zu verknüpfen. Insgesamt stellt die Stiftung für dieses Programm Fördermittel in einer Höhe von fünf Millionen Euro bereit. Da die Erträge aus dem Stiftungsvermögen nicht ausreichen, war von vorne herein beabsichtigt, das Programm über einen begrenzten Kapitalverzehr zu finanzieren.17

Die Stiftung setzt bei ihren Fördermaßnahmen auf Projekte, die die Strukturdefizite in der Friedens- und Konfliktforschung nicht nur abbauen, sondern auch durch innovative Konzeptionen überzeugen und somit internationalen Vergleichsstandards genügen. Wichtige Entscheidungskriterien für alle Teilbereiche des Programms sind neben friedenswissenschaftlichen Kernkompetenzen die Berücksichtigung von Inter- und Transdisziplinarität sowie von Praxiselementen.

Bereits im Oktober 2002 konnte der Studienbetrieb für den einjährigen Masterstudiengang »Friedensforschung und Sicherheitspolitik« beginnen. Der vom Kooperationsverbund Deutscher Friedensforschungsinstitute getragene und von der Universität Hamburg zertifizierte Studiengang wird von der DSF mit jährlich 15 Stipendien sowie Personal- und Sachmitteln unterstützt. Der erste Durchgang konnte inzwischen erfolgreich abgeschlossen werden. Die große Zahl an Bewerbungen für das zweite Studienjahr verdeutlicht, dass das interdisziplinär ausgerichtete Studienangebot große Attraktivität besitzt und eine Ausbildungslücke im Bereich der Friedensforschung zu schließen vermag.18

Die Studienreform schuf eine günstige Gelegenheit, Studienabschlüsse in der Friedens- und Konfliktforschung an den deutschen Hochschulen anzubieten, die bisher nur im Ausland erworben werden konnten. Die Förderung zielt gleichermaßen auf die Ausbildung junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie auch auf Berufsfelder außerhalb der Hochschulen. Die Resonanz auf die Ausschreibung der Fördermittel war unerwartet groß, weshalb sich die Stiftung dazu entschloss, die drei am weitesten entwickelten Projekte, die sich zudem durch eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung auszeichneten, mit einer fünfjährigen Initiativförderung zu unterstützen:

  • Masterstudiengang an der Universität Tübingen: »Friedensforschung und Internationale Politik«, Studienbeginn WS 2004/05.
  • Masterstudiengang an der FernUniversität Hagen: »Master in Peace Studies«, Studienbeginn WS 2004/05.
  • Masterstudiengang am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg: »Master in Peace and Conflict Studies«, Studienbeginn WS 2004/05.

Die Studienangebote sind auf der Grundlage innovativer Konzeptionen entwickelt worden. Sie bieten unter Einbeziehung von affinen Fächern eine interdisziplinäre Lehr- und Lernumgebung, die einen Zugang zu unterschiedlichen theoretischen und methodischen Ansätzen der Friedensforschung eröffnet. Ein Teil der Lehrveranstaltungen wird in englischer Sprache gehalten. Es wird eine enge Verbindung von Theorie und Praxis angestrebt. Um eine angemessene Personalausstattung der Studiengänge zu gewährleisten, finanziert die Stiftung aus Mitteln der Exzellenzförderung Dozentenstellen, die wahlweise als Junior- oder C3-Professur ausgeschrieben werden können.

Auch im Bereich der Promotionsförderung beschloss die Stiftung, neue Wege zu gehen. Sie vergibt die Stipendien nicht selbst, sondern hat diese Aufgabe an drei Institutionen übertragen, die sich im Gegenzug verpflichteten, ein Betreuungssystem für die Promovierenden einzurichten. Gefördert werden folgende Institutionen:

  • Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
  • Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)
  • Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg (CCS)

Im Rahmen des Betreuungssystems wird durch begleitende wissenschaftliche Seminare und Veranstaltungen der Erwerb zusätzlicher Kernkompetenzen wie Präsentations- und Medienkompetenz, Teamfähigkeit, Organisationswissen, Lehrkompetenz und Wissenschaftsmanagement gefördert. Hierdurch soll ein effizientes wissenschaftliches Arbeiten ermöglicht und der Einstieg in den späteren Berufsweg erleichtert werden. In einer ersten Ausschreibungsrunde vergaben die geförderten Einrichtungen insgesamt zwölf zweijährige Stipendien.19 Das Programm beschränkt sich zunächst auf einen Förderzeitraum von vier Jahren.

Schließlich wird die Stiftung im Rahmen des Nachwuchsförderungsprogramms auch eine Stiftungsprofessur einrichten, die im Bereich der naturwissenschaftlichen Friedensforschung angesiedelt sein wird. Sie trägt den Namen des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, einem Wegbereiter der Friedensforschung im Nachkriegsdeutschland. Die Stiftungsprofessur soll einen wichtigen Impuls geben, die Friedensforschung in die Arbeit naturwissenschaftlicher Fachbereiche zu integrieren. Angestrebt wird ein interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsumfeld, das Optionen für eine fachübergreifende Zusammenarbeit eröffnet, die über die Naturwissenschaften hinausreicht. Die Stiftungsprofessur soll sowohl analytische Problemstellungen, wie z.B. Massenvernichtungswaffen und Rüstungsdynamik, aufgreifen als auch praxisrelevante Themen wie Rüstungskontrolle, Non-Proliferation und Nachhaltigkeit behandeln und entsprechende Beratungstätigkeiten aufnehmen. Für die fünfjährige Initiativförderung stellt die Stiftung Fördermittel in Höhe von bis zu 1,25 Mio. Euro zur Verfügung. Die eingereichten Bewerbungen werden derzeit begutachtet. Die Einrichtung der Professur wird voraussichtlich 2004 realisiert.

Fazit

In den ersten beiden Jahren der Fördertätigkeit ist es der Deutschen Stiftung Friedensforschung gelungen, die prioritären Zielsetzungen im Bereich der Nachwuchs- und Projektförderung weitgehend zu verwirklichen. So konnte der Grundstein für eine nachhaltige Verankerung der Friedensforschung an den Hochschulen gelegt werden. Die Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen werden sich in den nächsten Jahren spürbar verbessern. Es ist nun die Aufgabe der Stiftung, die Entwicklungsschritte und Ergebnisse der Förderprogramme zu beobachten und auszuwerten. Auf dieser Grundlage kann dann entschieden werden, in welchen Bereichen sich weiterhin Defizite zeigen und wie diese mit Fördermaßnahmen der Stiftung abgebaut werden können.

Auch im Bereich der Projektförderung stellen sich für die Stiftung neue Aufgaben. Im Zentrum wird die Frage des Transfers der Projektergebnisse stehen, der in enger Kooperation mit den Projektnehmern und -nehmerinnen erfolgen soll. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung an Öffentlichkeit und Politik, sondern auch darum, wie die Ergebnisse von Projekten mit ähnlichen Problemstellungen und Untersuchungsgegenständen sinnvoll zusammengeführt und weiterentwickelt werden können. Hierdurch könnte die Stiftung einem weiteren Ziel näher kommen, die fachübergreifende Zusammenarbeit in der Friedensforschung zu fördern. Schließlich steht mit Blick auf zukünftige Zielsetzungen und Leitthemen eine Evaluierung der bisherigen Projektförderung an. Ungelöst ist ferner das Problem, wie die Stiftung zukünftig flexibler auf das Interesse der Forschung reagieren kann, auch zeitnah Studien zu akuten Konfliktherden oder aktuellen Themen zu finanzieren. Bisher bietet die Projektförderung der DSF hierfür keine günstigen Rahmenbedingungen.

Insgesamt kann die DSF bereits auf eine ansehnliche Bilanz der Fördermaßnahmen zurückblicken. Die Aufrechterhaltung des bisherigen Fördervolumens wie auch die Realisierung weiterführender Zielsetzungen werden aber wesentlich davon abhängen, ob es gelingen wird, die finanzielle Basis für die Stiftungsaktivitäten zu erweitern.

Anmerkungen

1) Siehe hierzu auf der Homepage der DSF: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/estruktur.html

2) Siehe hierzu die „Rahmenbedingungen Forschungsprojektförderung“ auf der Homepage der DSF: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/rahmenbedingungen.html

3) „Die Informationskriege um den Balkan seit 1991“; „Komplexe Interventionen in die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien“; „Der Beitrag des Zivilen Friedensdienstes zur zivilen Konfliktbearbeitung in Bosnien-Herzegowina und Kosovo“.

4) „Die OSZE und der Aufbau multiethnischer Polizeien auf dem Balkan: Analyse eines bedeutenden Beitrags zum Internationalen Post-Conflict Peace Building“; „Nachrichtenmedien als Mediatoren von Demokratisierung, Peace-Building und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften“.

5) „Die Rolle externer wirtschaftlicher Akteure in Bürgerkriegsökonomien und ihre Bedeutung für Kriegsbeendigungsstrategien in Afrika südlich der Sahara“; „Between Past and Future: An Assessment for the Transition from Conflict to Peace in Post-genocide Rwanda“; „Demobilisierung und Remobilisierung in Äthiopien seit 1991“.

6) „Neue Formen der Gewalt im internationalen System: Möglichkeiten und Grenzen der Prävention“; „Globalisierung und innenpolitische Stabilität“; „Nichtregierungsorganisationen in der inter-, transnationalen Konfliktprävention und -bearbeitung: Das Problem der demokratischen Legitimation und Verantwortlichkeit“.

7) „Informationsanforderungen bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach der Charta der Vereinten Nationen“; „Biosafety and Biosecurity: Eine Evaluation möglicher Synergien zwischen der Biowaffen-Konvention und anderen Übereinkommen zur biologischen Sicherheit“; „Redefining Sovereignty: The Use of Force after the End of Cold War. New Options, Lawful and Legitimate?“.

8) „Weltraumbewaffnung und die Möglichkeiten präventiver Rüstungskontrolle“; „Präventive Rüstungskontrolle und Nanotechnologien“; „Kernwaffenrelevante Materialien und Rüstungskontrolle“; „Analyse von Potenzialen für Rüstungskontrolle und Verifikation biologischer Waffen unter besonderer Berücksichtigung neuer Entwicklungen in der Biotechnologie“; „Rüstungskontroll-Expertengemeinde und Diskursgestaltung: Raketenabwehrforschung International“.

9) Zusammenfassende Darstellungen der geförderten Projekte finden sich auf der Homepage der DSF: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de

10) Kaliningrad im Brennpunkt: Auf Problemlösung gerichtete Politikempfehlungen. SCHIFF-Texte Nr. 67, 10/2002.

11) Brandherd Irak. US-Hegemonieanspruch, die UNO und die Rolle Europas. Hrsg. von Bernd Kubbig. Frankfurt/Main 2003.

12) „Legalität, Legitimität und Moral – Kein Platz für »gerechte Kriege« im Völkerrecht“; „The Future of Arms Control Law“; „Kolumbien – Wege aus der Gewalt“.

13) „Die Zukunft des Friedens. Sichtweisen jüngerer Generationen der Friedens- und Konfliktforschung“.

14) „Macht Europa Frieden?“; „Demokratien im Krieg“; „Zur Kategorie Gender in der zivilen Konfliktbearbeitung“.

15) „Sich kreuzende Blickwinkel auf innerstaatliche Gewalt und Krisenprävention: Friedens- und Konfliktforschung, Internationale Beziehungen und Regionalwissenschaften“.

16) Kultur und Konflikt. Dialog mit Johan Galtung. Hrsg. von Hajo Schmidt und Uwe Trittmann. Münster 2002; Nadine Bilke: Friedensjournalismus. Wie Medien deeskalierend berichten können. Münster 2002; Johanna Rupprecht: Frieden durch Menschenrechtsschutz. Strategien der Vereinten Nationen zur Verwirklichung der Menschenrechte weltweit. Baden-Baden 2003; Kathryn Nixdorff u.a.: Biotechnology and the Biological Weapons Convention. Münster 2003; Menschenrechte und Fallpraxis. Hrsg. von Albrecht Weber. Im Erscheinen; Zur politischen Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und Privatisierung der Gewalt. Hrsg. von Werner Ruf. Im Erscheinen; Andreas Herberg-Rothe: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt/Main 2003.

17) Ein Überblick bei Dieter S. Lutz: Das Nachwuchsförderungsprogramm der Deutschen Stiftung Friedensforschung. In: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft 8/2001. S. 149-163.

18) Siehe hierzu die Homepage des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg: http://www.ifsh.de/studium/studium.php

19) Eine Auflistung der geförderten Promotionsprojekte findet sich auf der Homepage der DSF.

Dr. Thomas Held, MBA, ist Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Friedensforschung

Konfliktzivilisierung – Europa als Friedensmacht

Konfliktzivilisierung – Europa als Friedensmacht

Arbeitsschwerpunkte des IFSH

von IFSH

Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) richtet sein Hauptaugenmerk auf die konzeptionelle und strukturelle Stärkung des weltweit anerkannten Forschungspotenzials des »Zentrums für OSZE-Forschung« (Centre for OSCE-Research – CORE) sowie auf den Ausbau des zweiten Forschungsschwerpunktes Friedens- und Sicherheitspolitik der EU mit dem Ziel, am IFSH ein »Zentrum für EUropäische Friedens- und Sicherheitsstudien« – ZEUS (Centre for EUropean Peace and Security Studies) zu etablieren. Daneben existiert der Arbeitsbereich Rüstungskontrolle und Abrüstung, der gegenwärtig in eine interdisziplinäre Forschungsgruppe »Abrüstung und Rüstungskontrolle« (IFAR) umgewandelt wird. Hier sollen zum einen die über Jahre hinweg erworbenen Kompetenzen – insbesondere in den Bereichen kooperative Rüstungssteuerung (Graf Baudissin) und präventive Rüstungskontrolle – erhalten bleiben und Fragen der Rüstungsdynamik, der Rüstungskontrolle mit naturwissenschaftlichem Hintergrund und der Weiterverbreitung neuer Technologien bearbeitet werden. Grund ist die fortschreitende Rüstungsdynamik nach Ende des Ost-West-Konflikts, die zwar unter veränderten Vorzeichen und in neuen Konstellation von Akteuren, Strukturen und Prozessen zu Tage tritt, doch in ihrer Wirkung auf die Weltpolitik ungebrochen ist. Das Besondere der IFAR liegt in ihrer engen Verzahnung von Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dem Forschungsprogramm und konzeptionelle Überlegungen des IFSH.
Die forschungsleitende Vision des IFSH kann mit dem Begriff »Die Zivilisierung des Konflikts. Gewaltprävention und Friedenskonsolidierung« umschrieben werden.

Unter »Konflikt« wird ein Zustand sozialer Beziehungen verstanden, in dem die Interessen von als wesentlich zu bezeichnenden sozialen Akteuren oder Akteursgruppen konkurrieren oder unvereinbar sind und das Verhältnis der Akteure oder Akteursgruppen zueinander durch deren Bestreben gekennzeichnet ist, durch den Einsatz von Machtmitteln Vorteile zu erlangen oder zu behaupten und die jeweiligen Interessen und Ziele durchzusetzen. Das IFSH betrachtet Konflikte als produktive Bewegungs- und Entwicklungsformen sozialer Beziehungen, sofern deren Regelung und Verregelung ausschließlich mit friedlichen, d.h. gewaltfreien Mitteln verfolgt wird. Im Unterschied dazu stellen gewaltsam ausgetragene Konflikte eine unproduktive und destruktive Form der Konfliktregulierung dar. Gestützt auf eine solide Konfliktanalyse ist der Forschungsfokus des IFSH auf die Art und Weise der Konfliktbearbeitung mit dem Ziel der Gewaltprävention und der Zivilisierung des Konfliktaustrags gerichtet.

»Zivilisierung« meint Überführung der Gewaltoption aus der interessengeleiteten Beliebigkeit einzelstaatlicher Verfügung in die Zuständigkeit der internationalen Rechtsgemeinschaft nach verbindlichen Rechtsregeln zur gemeinsamen Rechtswahrung gegen individuellen Rechtsbruch. Oder einfacher: Überwindung des Krieges als Verkehrsform zwischen Staaten, so wie andere barbarische Verkehrsformen – Kannibalismus, Inquisition, Sklaverei – im Prozess der Zivilisierung aus der Gesellschaftswelt verschwunden sind. In einem weiteren Verständnis schließt der Zivilisierungsprozess die Gesamtheit solcher politischen und sozialen Interaktionen ein, die darauf zielen, gewaltregulierende und -reduzierende Wirkung zu entfalten und in inner- wie zwischengesellschaftlichen Strukturen humanitäre Standards zu verankern.

Die auf wechselseitige nukleare Drohung gestützte, damit scheinbar unaufhebbare und von vielen deswegen für dauerhaft gehaltene bipolare Ordnung der Ost-West-Konfrontation hat sich in historisch beispiellos kurzer Zeit aufgelöst, weil die realsozialistische Staaten- und Gesellschaftswelt an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gegangen ist. Hinter der Fassade dieser alten »Ordnung« kam eine als neu empfundene Unübersichtlichkeit internationaler Beziehungen zum Vorschein, die zwar in manchem an das bekannte Muster traditioneller Staatenkonkurrenz erinnert, aber auch unübersehbar neue Züge trägt. Gut ein Jahrzehnt nach dieser Zeitenwende ist es der Theorie Internationaler Beziehungen noch nicht gelungen, ein schlüssiges Erklärungsmuster dieses neuen Systems internationaler Beziehungen zu entwerfen.

Dennoch sind vier sich wechselseitig beeinflussende Entwicklungstendenzen auszumachen, deren heute erst in Ansätzen geleistete Verknüpfung einmal die Grundlage einer modernen Theorie Internationaler Beziehungen schaffen könnte: »Globalisierung«, Eine Weltmacht, Regionalisierung und Fragmentierung. Gleichzeitig markieren diese Tendenzen den konzeptionellen Rahmen für die Befassung mit den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen europäischer Friedens- und Sicherheitspolitik, in Europa und im globalen Maßstab.

»Globalisierung« bedeutet wechselseitige Abhängigkeit, Interdependenz von Staaten und Gesellschaften, angetrieben von einer wissenschaftlich-technologischen Revolution, für welche die Begriffe Informations-, Bio- und Mikrotechnologien kaum mehr als Hinweise darstellen, die auf das Tempo dieser Prozesse schließen lassen. Interdependenz meint zum einen wechselseitige Abhängigkeit von gemeinsamen Problemen, die kein Staat mehr allein lösen kann. Interdependenz bedeutet aber auch globalen Wettbewerb, globale Arbeitsteilung, höhere Gesamteffizienz und die Chance zu globaler Kooperation. Wie alle machtbezogenen Beziehungen ist auch Interdependenz grundsätzlich asymmetrisch angelegt: Reiche und mächtige Länder haben mehr Mittel, um mit den Gefahren fertig zu werden, und sie haben größere Möglichkeiten, die Chancen der »Globalisierung« zu nutzen. Globalisierungsprozesse führen zu einer Relativierung der Handlungsmöglichkeiten von Staaten, zu diesen treten internationale Organisationen, transnationale Konzerne und nichtstaatliche Organisationen als neue Akteure in der internationalen Politik. Da die »Globalisierung« eine grundlegende und dauerhaft wirksame Entwicklungsrichtung des Systems Internationaler Beziehungen darstellt, die letztlich jede Konfliktkonstellation direkt oder indirekt beeinflusst, müssen ihre Herausforderungen und Folgen auch in einem auf Europa konzentrierten Forschungsinstitut wie dem IFSH dahingehend untersucht und berücksichtigt werden, wie diese zum einen die Handlungszwänge und Handlungsoptionen der europäischen Staaten und Organisationen beeinflussen, und wie sie zum anderen auf die Fähigkeit Europas wirken, den Frieden und die Sicherheit auf dem Kontinent dauerhaft zu gewährleisten und die gestalterische Rolle Europas als Friedensmacht in der Welt zu stärken.

Es gibt heute nur noch »eine Weltmacht«, die in allen Aspekten Weltmacht ist. Insbesondere in der militärischen Dimension sind die USA allen anderen Staaten um eine qualitative Dimension voraus. Diesen Vorsprung wird in den kommenden Jahrzehnten kein Staat aufholen können. Die Vereinigten Staaten von Amerika treten allerdings nicht nur als »wohlwollender Hegemon« auf, sondern auch als eine Macht, die ihr militärisches Dispositiv zuweilen unilateral zur Durchsetzung wirtschaftlicher oder politischer Interessen nutzt. In nahezu allen Politikfeldern verfolgen die USA heute eine teils deutlich weniger kooperativ und auf multilaterale Problemlösungen ausgerichtete Politik als die Europäische Union. Exemplarisch hierfür stehen die Vertragswerke zur Rüstungskontrolle und Abrüstung, zum Klimaschutz oder auch zur internationalen Strafgerichtsbarkeit. Damit entstehen auf den klassischen Feldern von transatlantischer Kooperation und begrenztem Konflikt neue Kommunikations- und Koordinationserfordernisse, deren Zusammenhang mit dem nach wie vor vorhandenen Vorrat grundlegender Gemeinsamkeiten für den Forschungsschwerpunkt »Europäische Sicherheit« auf neue Fragestellungen verweist.

»Regionen« bezeichnen subglobale Verdichtungsräume von Interdependenz. Regionalisierung kann eines, mehrere oder alle gesellschaftlichen Teilsysteme erfassen. OSZE-Europa steht für eine gemeinsame normative Basis, einen politischen Handlungszusammenhang und einen, wenn auch noch schwach strukturierten, sicherheitspolitischen Raum. Zwischen Atlantik und Ural sorgt der KSE-Vertrag für ein ungleich dichteres Rüstungskontrollregime. Das transatlantische Bündnis stellt die höchste institutionelle Form der sicherheitspolitischen Integration in der europäischen Großregion dar. In der EU kommen schließlich (fast) alle gesellschaftlichen Systeme in einer teils inter-, teils supranational organisierten Institution neuen Typs zur Deckung. Vergleichbare, wenn auch meist schwächer ausgebildete Tendenzen sind auch in anderen Weltteilen auszumachen. Prozesse der Regionalisierung stellen damit ein eigenständiges Phänomen inter- und transnationaler Beziehungen dar, das sich weder allein auf die nationalstaatliche noch auf die globale Ebene reduzieren lässt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Stärkung des Arbeitsbereiches Europäische Sicherheit am IFSH und hat gleichzeitig zur Gründung des Zentrums für OSZE-Forschung / Centre for OSCE Research (CORE) Anfang 2000 beigetragen.

Asymmetrische Interdependenz führt zu Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Letztere leiden häufig unter Staatsschwäche, Staatszerfall, Staatszusammenbruch und nachfolgenden komplexen humanitären Notlagen. Staatszerfall meint, dass elementare Staatsfunktionen wie innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur, Minimalversorgung etc. nicht mehr aufrechterhalten werden können. In der Folge kommt es zu mehrdimensionalen und in aller Regel gewaltsam ausgetragenen Fragmentierungsprozessen entlang ethnopolitischer, religiöser und/oder regionaler Bruchlinien. Solche Konflikte sind zwar primär und vor allem in der Entstehung innenpolitischer Natur, ziehen allerdings in der Regel erhebliche zwischenstaatliche Konsequenzen nach sich. Prozesse von Staatszerfall beschränken sich zwar keineswegs auf die postkommunistischen Länder im OSZE-Raum, diese stellen jedoch den regionalen Schwerpunkt der OSZE-Konfliktprävention und somit auch der Forschung des Zentrums für OSZE-Forschung/Centre for OSCE Research (CORE) dar. Wegen ihrer Multidimensionalität und der vielfach fehlenden innenpolitischen Partner stellen Konflikte des beschriebenen Typs qualitativ neue Herausforderungen an Regulierungsversuche unter Inanspruchnahme externer Akteure dar. Der Untersuchung der Effizienz und Tauglichkeit der Verfahren und Instrumente der OSZE aber auch der EU, insbesondere durch deren Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), zu solchen Regulierungsversuchen konstruktiv beizutragen, wird durch das IFSH breiter Raum gegeben.

Europäische Friedensordnung

Die EU ist bereits in ihrer heutigen Gestalt mehr als nur ein regionales Sicherheitssystem – sie ist unstrittig im Binnenverhältnis ihrer Mitglieder zueinander eine Friedensordnung. Frieden durch Integration heißt kurzgefasst die Erfahrung, die EU-Europa in die gesamteuropäische Zukunft einbringen kann. Es besteht die Chance, in einer erweiterten Union das Projekt einer dauerhaften und prosperierenden Friedensordnung in größerem europäischen Rahmen Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Gemeinschaft hätte zugleich die Aufgabe, sich der Verantwortung für eine dauerhaft kohärente, glaubwürdige und in sich schlüssige, kollektive Friedens- und Sicherheitspolitik zu stellen und somit zur Stärkung des Weltfriedens beizutragen.

Das IFSH hat bereits 1995 mit dem Konzept einer »Europäischen Sicherheitsgemeinschaft« (ESG) Leitlinien für ein zukunftsfähiges Sicherheitssystem als Fundament einer dauerhaften Friedensordnung in Europa vorgezeichnet. Das Konzept gründet auf die Idee eines regionalen Systems Kollektiver Sicherheit, angelehnt an den inspirierenden Gedanken der Charta der Vereinten Nationen für die Weltgemeinschaft, des Einstehens der Gemeinschaft für die Sicherheit jedes einzelnen ihrer Mitglieder. Große wie kleine Staaten stehen unter gleichem Recht, erhalten gleiche Sicherheit, übernehmen gleiche Verpflichtungen. Die Gewaltoption als letzte Zuflucht des Rechts auf Sicherheit wird im Konzept der ESG aus der Verfügung der Einzelstaaten, bzw. ständiger oder zeitweiliger Staatenkoalitionen, in die Obhut der internationalen Rechtsgemeinschaft überführt. Die Modellierung eines funktionsfähigen Sicherheitsmodells widerspricht nicht der tiefgründigen Erforschung der Leistungsbilanz und der Leistungsmöglichkeiten bestehender Sicherheitsorganisationen in Europa, wie der OSZE und der EU oder von Rüstungskontrollregimen und -vereinbarungen. Im Gegenteil. Das normativ ausgerichtete Modell fungiert als Kompass für die Überprüfung und für Vorschläge zur Beseitigung von Defiziten in der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik, als Gradmesser für die Konzipierung realitätsbezogener Strategien zur Gewaltprävention und Friedenskonsolidierung, als ein tauglicher Wegweiser für die Stärkung der Institutionen, Regeln, Mechanismen und Verfahren zur Zivilisierung von Konflikten, in und durch Europa.

Das Forschungsprogramm des IFSH richtet sich auf Fragen der Gewaltprävention und der Zivilisierung von Konflikten in und durch Europa in einem weiten Sinne. Dies schließt – Grundsatzfragen der Gewaltprävention, – Ursachenkomplexe und Austragungsfelder gewaltsamer Konflikte, – die Prüfung der Rolle, Verfahren und Instrumente internationaler Akteure bei der Krisenprävention und Friedenskonsolidierung sowie – die Frage der zivilen Einbindung des militärischen Faktors ein.

Die Erweiterung der europäischen Integration nach Osten und Südosten ist eine einzigartige friedenspolitische Chance zur Gestaltung einer langfristig tragfähigen europäischen Friedensordnung unter Einschluss Russlands. Gleichzeitig rückt die Erweiterung reale und potenzielle Krisenherde und Stabilitätsrisiken in die unmittelbare Reichweite europäischer Politik. Beides hat Konsequenzen sowohl für die Vertiefung der Integration und die innere Stabilität der Integration Europas als auch für die Anforderungen an Gemeinsamkeit und Kooperation in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der europäischen Staaten. Während mangelnde Kohärenz die gestalterischen Einflussmöglichkeiten Europas auf die internationale Politik zu schmälern droht, erhofft man sich, insbesondere in den flankierenden Regionen, ein aktives und starkes Engagement Europas in der Krisenprävention und Friedenskonsolidierung. Auch auf der globalen Bühne sieht sich Europa mit der Herausforderung konfrontiert, größere außen- und sicherheitspolitische Aufgaben in multilateraler Verantwortung zu übernehmen. Die Analyse der Ursachen existenter Gewaltkonflikte und latenter Krisenprozesse ist dabei sowohl für die Entwicklung, Anpassung und Anwendung der vorhandenen Instrumente und Verfahren zur Prävention und Friedenskonsolidierung von Bedeutung als auch für die Perspektive einer über die Grenzen des Kontinents wirkenden Friedensmacht Europa. Forschungsprojekte, die sich mit diesen Fragen befassen, werden hauptsächlich bei ZEUS bearbeitet und so ausgewählt, dass sie zur Profilschärfung des neu entstehenden Forschungszentrums am IFSH beitragen. Zu den wichtigsten Themenfeldern zählen dabei die Erweiterungspolitik in Osteuropa, die Nahost- und die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, darüber hinaus wird Augenmerk der Zusammenarbeit der EU mit den Vereinten Nationen und ihren friedenspolitisch relevanten Regionalorganisationen gemäß Kapitel VIII der VN-Charta sowie ihrer Entwicklungspolitik beizumessen sein, sofern diese insbesondere sicherheitspolitisch wichtige Fragen (z.B. der Sicherheitssektorreform in Partnerländern) betrifft. Auch sind spezifische friedens- und sicherheitspolitische Partnerkonzepte der EU, bezogen auf besonders wichtige Staaten (z.B. China) oder Subregionen (z.B. Mittlerer Osten, Indischer Subkontinent, Nordostasien) oder auf strukturelle Themen (Terrorismus, Rüstungsproliferation) in der Forschung zu behandeln.

Die Rolle der EU bei der zivilen Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung

Die Europäische Union ist bereits seit längerer Zeit im Bereich der strukturellen Konfliktprävention tätig, hat sich aber erst seit 1999 verstärkt den Aufgabenfeldern operativer ziviler Krisenprävention und militärischer Konfliktintervention zugewandt. Der Aufbau einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist ein langwieriger Prozess, der mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags formal in Gang gesetzt wurde, ohne jedoch große Fortschritte zu machen. Mit den Beschlüssen des Europäischen Rates im Jahre 1999 zur Entwicklung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wurde eine neue Etappe der politischen Zusammenarbeit eingeleitet, deren Erfolg maßgeblich davon abhängen wird, ob die Beteiligten in der Lage sind, sich auf ein gemeinsames außen- und sicherheitspolitisches Leitbild zu verständigen. Dabei handelt es sich um eine zentrale Idee, die Handlungsspielräume absteckt und Strategien ermöglicht und rechtfertigt. Normative Konzepte wurden in der Vergangenheit verschiedentlich entwickelt, keines jedoch scheint hinreichend geeignet, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die Integration und für eine starke friedenspolitische Rolle Europas in der Welt zu genügen. Das IFSH präferiert ein Leitbild für die sich erweiternde und vertiefende Integration Europas, das auf eine Stärkung der EU als Friedensmacht für Europa und als gestaltender Akteurin des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch Europa zielt. Die Präzisierung dieses Leitbildes und die Analyse der hiervon ausgehenden konzeptionellen, instrumentellen und methodischen Ansätze der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik ist das Ziel der Bildung eines Zentrums für EUropäische Friedens- und Sicherheitsstudien am IFSH (ZEUS).

Das profilbildende Gerüst des neuen Forschungsschwerpunktes wird sich aus fünf Projektlinien zusammensetzen:

  • Die Präzisierung des Leitbildes der EU als Friedensmacht in Europa und als gestaltende Akteurin des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.
  • Die Entwicklung der GASP und der ESVP in Übereinstimmung mit dem Leitbild der Friedensmacht und unter Berücksichtigung der hiermit verbundenen institutionellen, funktionalen und operativen Herausforderungen, insbesondere bezogen auf das forschungspolitische Leitmotiv des IFSH, einen wissenschaftlichen Beitrag zur Zivilisierung des Konflikts in und durch Europa zu leisten.
  • Die Analyse der Erweiterung der Union und der hieraus erwachsenden Chancen für die Schaffung eines kooperativen Sicherheitssystems und die Konsolidierung einer europaweiten Friedensordnung, aber auch der potenziellen Belastungen, die aus der Bündelung unterschiedlicher nationalstaatlicher Interessen, ökonomischer Entwicklungsniveaus, sozialer Traditionen, ethnopolitischer Identitäten und verschiedener kultureller Wertvorstellungen für das Zusammenwachsen Europas und die Behauptung eines kollektiven friedenspolitischen Leitbildes in und durch Europa entstehen können.
  • Die Untersuchung der Perspektiven des transatlantischen Verhältnisses im Wandel der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen Europa und Amerika infolge der »Globalisierung«, hierbei vor allem der Gefahr des Auseinanderdriftens des sicherheitspolitischen Grundkonsens’ zwischen EU-Europa und den USA sowie zu erwartende Belastungen für die transatlantische Sicherheitsintegration der NATO.
  • Die Erforschung der gestalterischen Potenzen der Europäischen Union als globaler Akteurin der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik unter Beachtung der spezifischen Handlungsspielräume und Potenziale der europäischen Integration und einer geschlossen agierenden Union für die Prävention und die Beilegung von regionalen Gewaltkonflikten an der künftigen Peripherie eines sich erweiternden EU-Europas.

Kein Frieden ohne Global Governance

Kein Frieden ohne Global Governance

Zur transnationalen Dimension von Gewaltkonflikten

von Christoph Weller

Die Ursachen für den gewaltsamen Austrag von Konflikte sind vielfältig – und entsprechend vieldimensional müssen auch die Ansätze für die Beförderung des Friedens sein. Eine besondere Rolle dabei spielt die grenzüberschreitende Dimension von Gewaltkonflikten. Von ihnen geht ein Großteil der in letzter Zeit zu beobachtenden Dynamik erhöhter Aufmerksamkeit für global stattfindende Gewaltanwendung aus. Darauf reagieren Ansätze von Global Governance, die mit einem mehrdimensionalen Instrumentarium die politische Bearbeitung grenzüberschreitender oder globaler Problemstellungen ermöglichen sollen.1
Man muss nicht von »Neuen Kriegen« reden, um die aktuellen Ausprägungen und Formen kollektiver Gewaltanwendung zu erfassen und besser verstehen zu können. Dass Regierungen und Staaten nicht mehr die wichtigsten Adressen sind, wenn man nach den Verantwortlichen für die Organisation kollektiver Gewaltanwendung fahndet, gilt seit über 50 Jahren. Es mag jenen »neu« erscheinen, die »Krieg« allein für ein Phänomen der internationalen Politik halten und Staaten als die zentralen oder gar einzig relevanten Akteure in diesem Feld betrachten. Dieses Weltbild übersieht die grenzüberschreitenden Interaktionen und Einflüsse gesellschaftlicher Akteure, die im Zuge der »Globalisierung« stark angestiegen sind und immer weiter wachsen. Dies betrifft auch Ursachen, Verlauf und Folgen von Gewaltkonflikten. Zwar darf die von Staaten ausgehende Gewalt – nach innen wie außen – nicht übersehen oder sprachlich eskamotiert werden, aber sie ist eben nur ein – mehr oder weniger kleiner – Teil aktueller Gewaltanwendung. (Ein aktuelles INEF-Projekt beschäftigt sich auch mit den Schwächen von Friedenstheorien bei der Konzeptualisierung von Gewalt; siehe dazu Weller 2003a, 2003b)

Gewaltkonflikte besitzen grenzüberschreitende Dimensionen

Die grenzüberschreitenden Dimensionen von Gewaltkonflikten zeigen sich natürlich auch darin, dass die Verfügbarkeit überlegener militärischer Mittel es der US-Regierung ermöglichte, eine Allianz von Staaten in einen Krieg gegen den Irak zu zwingen: Gewaltpotenziale werden global kommuniziert, ihr Einsatz soll nicht nur vor der US-amerikanischen, sondern vor der Weltöffentlichkeit als legitim gelten (primär dafür wurde der ganze Propaganda-Aufwand für den UN-Sicherheitsrat betrieben) und in die Konsequenzen des Krieges sind am Ende alle Gesellschaften und Staaten involviert, ob sie nun mitgemacht, zugestimmt oder sich verweigert haben (zu den Konsequenzen des Irak-Konflikts für die Nord-Süd-Beziehungen siehe Fues/Messner 2003). Zugleich entstand in der Ablehnung dieser Politik ein transnationales Protestbündnis, das sich primär gegen die US-amerikanisch-britische Politik wandte, also grenzüberschreitenden Einfluss zu nehmen versuchte und die wachsende gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Globalisierungsprobleme repräsentiert.

Gewalt im Kongo, in Israel, in Tschetschenien, in Liberia, in Afghanistan usw. wird zur Problemstellung für die Außen- und internationale Politik, weil sich Kommunikation globalisiert hat und Gewaltkonflikte für die international agierenden Massenmedien hohe Nachrichtenwerte besitzen. Sind die Bilder erst einmal in den Wohnstuben, entsteht politischer Handlungsbedarf, wenn nicht für die Außenpolitik, so doch zumindest in der Begründung, warum gegen diese Gewalt im Augenblick nichts unternommen werden kann. Diese besondere massenmediale Aufmerksamkeit für die Gewalt nutzend, organisieren Konfliktparteien in lokalen, regionalen oder nationalen Konflikten spektakuläre Gewaltaktionen, um die Weltöffentlichkeit auf ihren Konflikt hinzuweisen und zu einer Parteinahme herauszufordern. Am offensichtlichsten ließ sich die grenzüberschreitende Dimension von Gewaltkonflikten an den transnationalen Terroranschlägen vom 11. September 2001 erkennen, die auch deutlich machten, dass sich moderne Gesellschaften mit militärischer Sicherheitspolitik nicht vor den transnationalen Gefahren der Gewaltanwendung schützen können (im INEF-Projekt zur Analyse politischer Gewalt standen in letzter Zeit die Terroranschläge vom 11.9.2001 im Vordergrund; siehe dazu Hamm et al. 2002, Hippler 2002, Weller 2002a).

Die gewachsene Aufmerksamkeit für global stattfindende Gewaltanwendung lässt den Eindruck entstehen, der gewaltsame Konfliktaustrag nehme weltweit zu. Doch dies ist schwer zu überprüfen, denn wer kann schon beobachten, ob von den über 6 Milliarden Menschen auf der Welt heute mehr oder weniger unter den verschiedenen Formen von Gewalt zu leiden haben als vor einem, vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren? Eine andere Perspektive kann die Aufmerksamkeit auf die Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften lenken und den Eindruck der Gewaltzunahme relativieren (zum INEF-Forschungsprojekt »Friedenskonsolidierungsprozesse im Vergleich« siehe Böge 2003, Böge/Debiel 2003). Und wenn wir – wie üblich – die massenmediale Brille auf die Konflikte in der Welt benutzen – verstehen wir ausreichend, nach welchen Kriterien sie auswählt, uns Bilder aus Israel, eine Meldung aus Afghanistan, aber nichts aus Tschetschenien und vielen weiteren Orten aktueller Gewaltkonflikte präsentiert? (zum INEF-Projekt »Die massenmediale Konstruktion der internationalen Politik« siehe Weller 2002b, 2003c).

Die transnationale Dimension von Gewaltkonflikten

Unabhängig jedoch von Zu- oder Abnahme weltweiter Gewaltanwendung nimmt die transnationale Dimension von Gewaltkonflikten spürbar zu. Gesellschaftliche, nicht-staatliche Akteure, deren Handeln und Wirken über zwischenstaatliche Grenzen hinweggeht (= transnationale Akteure), sind mehr denn je an den weltweit stattfindenden Gewaltkonflikten beteiligt: Zwischenstaatliche Kriege werden fernsehgerecht veranstaltet und geführt, denn die gesellschaftliche Legitimation und Unterstützung lässt sich nur mithilfe transnational agierender Medienkonzerne gewinnen. Bürgerkriegsparteien sichern sich Waffen- und Ressourcenzuflüsse vielfach über transnationalen Handel mit Rohstoffen, Drogen und anderen Gütern, die in Nachbarstaaten oder global gehandelt werden. Gewaltökonomien beziehen ihre Dynamik und Kraft nicht selten gerade aus ihrem grenzüberschreitenden Charakter (in Kooperation mit der Gruppe Friedensentwicklung – FriEnt beschäftigt sich das INEF mit Gewaltökonomien; siehe Spelten 2003a, 2003b).

Gewaltregime fühlen sich durch die globalen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wie Internet, Satelliten- und digitale Bildtechnik oft mehr – und auch ernsthafter – bedroht als durch eine Staatengemeinschaft, die Demokratie und Menschenrechte propagiert, aber zur kollektiven Umsetzung entsprechender politischer Maßnahmen kaum in der Lage ist. Transnationale Netzwerke von Menschenrechts-Organisationen sind dagegen in der Lage, Akteure und Gruppen vor Ort zu unterstützen, Öffentlichkeit herzustellen und damit Regierungen unter Druck zu setzen, der primär auf der gesellschaftlichen Anerkennung entsprechender Normen basiert. Und transnationale Terrornetzwerke beziehen ihre Stärke vornehmlich daraus, ihre Standorte über viele Staaten weltweit zu unterhalten, damit für Einzelstaaten kaum kontrollierbar und auffindbar zu sein, aber aufgrund der modernen Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten koordiniert global agieren zu können.

Die hier beispielhaft aufgezählten Gewaltakteure werden in erheblichem Maße – in positiver wie negativer Hinsicht – von der transnationalen Handlungsebene tangiert. Gerade hier setzen Ansätze von Global Governance in der Friedens- und Sicherheitspolitik an. Global Governance weist darauf hin, dass viele politische Aufgaben heute nur noch auf globaler, zumindest aber staatenübergreifender Ebene unter Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure wirksam zu bearbeiten sind. Globale Probleme wie Armut, Klimawandel oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sind klassische Beispiele für solche Aufgaben und damit für die Notwendigkeit von Global Governance (die Weiterentwicklung des Global-Governance-Ansatzes gehört zu den Forschungsschwerpunkten des INEF, siehe dazu u.a. Messner 2002, Messner/Nuscheler 2003 und Messner et al. 2003). Bei Gewaltverhinderung und Friedensförderung scheinen jedoch die globalen Dimensionen der Problembearbeitung bisher eher im Hintergrund zu stehen. Doch auch die Friedenspolitik muss sich im Zeitalter der »Globalisierung« vermehrt der Instrumente von Global Governance bedienen, wenn sie im Sinne der gesellschaftlich verankerten Friedensvorstellungen erfolgreich sein will.

Global Governance

Zwischenstaatliche Organisationen und Institutionen sind ein wichtiges Element von Global Governance, ein zweites das Völkerrecht, die auf internationaler Ebene vereinbarten Normen und Regeln zwischenstaatlichen, aber auch transnationalen Zusammenlebens (zur Rolle nicht-staatlicher Akteure im Völkerrecht siehe Blome/Hamm 2003), auf deren Grundlage internationale Institutionen und Organisationen entstehen und arbeiten. Um den dynamischen Charakter dieses Regelwerks zu verdeutlichen, wird häufig von »internationaler Verrechtlichung« gesprochen, es geht um den Gesamtbestand sich auf einen globalen Wertekanon beziehender Vereinbarungen unter Staaten. Das dritte Element sind diese Normen und Werte selbst, die zwar in der Regel zwischen Staaten bzw. Regierungen kodifiziert werden, aber in den Gesellschaften verankert sein und Zustimmung erfahren müssen, wenn sie unabhängig von Sanktionsdrohungen ihre Kraft entfalten sollen. Da das internationale System keine unabhängige Sanktionsinstanz besitzt, sind internationale Normen und Regeln in besonderem Maße auf diese transnationale gesellschaftliche Verankerung angewiesen, aber auch auf gesellschaftliche Akteure, die sich dafür engagieren. Damit ist das vierte Element von Global Governance angesprochen: Globale Problembearbeitung ist nicht allein die Sache von Staaten, Regierungen und internationalen Organisationen, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren, besonders von transnational agierenden Organisationen und Netzwerken (Internationalen Nicht-Regierungs-Organisationen – INROs, Transnationalen Konzernen – TNKs etc.). Als letztes Element von Global Governance müssen natürlich auch noch die Staaten genannt werden, die trotz »Globalisierung« und beschränkter einzelstaatlicher Handlungsfähigkeit wichtige Akteure von Global Governance sind, besonders bei einem koordinierten Vorgehen für gemeinsame Ziele, etwa im Rahmen internationaler Institutionen. Staaten bleiben die Scharniere zwischen nationaler und internationaler Politik und auch in ihrer Rolle als Mitglieder internationaler Institutionen und Organisationen (UNO etc.) sowie als Vertragsparteien internationaler Verrechtlichung sind sie in entscheidender Weise am Zustandekommen von Global Governance beteiligt.

Wenn diese fünf Elemente von Global Governance in möglichst übereinstimmender Weise zusammenwirken, verbessert sich die Bearbeitung globaler Probleme. Global Governance ist deshalb so wichtig, weil im Zeitalter der Globalisierung die politischen Aufgaben weder einzelstaatlich noch allein zwischenstaatlich zu erfüllen sind. Ohne verbindliche Regeln, die sich auf gesellschaftliche Normen und Werte beziehen, und die Mitwirkung einer Vielzahl gesellschaftlicher, transnationaler Akteure, stößt internationales Regierungshandeln schnell an die Grenzen einseitiger Macht- und Interessenpolitik. Es steht außerdem in der Gefahr, stärker der jeweiligen Herrschaftssicherung als der globalen Problembearbeitung zu dienen. Diese Gefahren für die Außen- und internationale Politik werden uns in besonderer Weise seit dem 11.9.2001 vor Augen geführt; sie zu begrenzen und kollektive statt partieller Ziele ins Zentrum globaler Politik zu stellen, ist eine der Aufgaben von Global Governance.

Global Governance in der Friedenspolitik

Für die Beförderung des Friedens bietet Global Governance mindestens die folgenden fünf Ansatzpunkte (siehe dazu auch Nuscheler/Weller 2002 und Hamm et al. 2002):

  • Internationale Organisationen und Institutionen der Friedens- und Sicherheitspolitik bedürfen der stärkeren Rückbindung an gesellschaftliche Normen und Interessen, etwa durch Parlamentarisierung, bessere Ressourcenausstattung zur Koalitionsbildung mit transnationalen Akteuren, der stärkeren inhaltlichen Verknüpfung mit internationaler Entwicklungs-, Handels- und Wirtschaftspolitik zur langfristigen Friedenssicherung, um auch strukturelle Ursachen gewaltsamen Konfliktaustrags bearbeiten zu können. Gewaltprävention setzt Entwicklungsmöglichkeiten für alle gesellschaftlichen Gruppen voraus und ist damit aufs Engste mit Entwicklungspolitik und internationaler Wirtschaftspolitik verknüpft, die dieses ermöglichen oder verhindern können.
  • Die internationale Verrechtlichung darf nicht ins Stocken geraten, auch wenn die augenblickliche US-Regierung sich in einigen Fragen davon ausnimmt, wie alle Staaten dem Völkerrecht unterworfen zu sein. Gerade die gewaltfreie Konfliktbearbeitung ist auf das gegenseitige Vertrauen aller Staaten in die Regeleinhaltung angewiesen. Ebenso bedürfen die immer weiter zunehmenden globalen Inter- und Transaktionen von Staaten und gesellschaftlichen Akteuren verlässlicher Regeln, um den Rückgriff auf die gewaltsame Durchsetzung von Interessen zu minimieren und die Möglichkeiten zur kollektiven Nutzensteigerung zu optimieren.
  • Gerade demokratische Gesellschaften, denen es gelingt, ihre gesellschaftlichen Konflikte weitgehend ohne die Anwendung von Gewalt auszutragen, sind besonders gefordert, ihre Normen und Werte von Frieden und den Umgang mit Konflikten weiterzuentwickeln, zu verfeinern und in der Auseinandersetzung mit anderen Vorstellungen und Erfahrungen zu überprüfen (zum INEF-Projekt »Perspektiven der Friedenstheorie« siehe Weller 2002c, 2003d und Calließ/Weller 2003). Vor allem aber müssen demokratische Gesellschaften ihre Normen vom Umgang mit Konflikten auch und gerade in ihrem Außenverhalten, in der Interaktion mit anderen Gesellschaften und Staaten umsetzen (siehe Hippler 2003a). Wer auf der einen Seite die Regeleinhaltung gegenüber anderen propagiert und einfordert, auf der anderen Seite aber sich selbst Übertretungen oder Regelverbiegungen erlaubt (z.B. Kosovo), schwächt seine Glaubwürdigkeit und zugleich die Anerkennung der entsprechenden Normen und Werte, denen Demokratien ihre gesellschaftliche Stabilität verdanken.
  • Die Weiterentwicklung und Stärkung von Global Governance ist nicht allein auf die Umsetzung durch Regierungen, das Agieren von Staaten und die Formulierung entsprechender Forderungen angewiesen. Gesellschaftliche Akteure leisten einen wesentlichen Beitrag zu Global Governance, indem sie selbst aktiv werden, als INROs grenzüberschreitende Aktivitäten entfalten, durch Kontakte und transnationale Netzwerke auf vergessene Gewaltkonflikte aufmerksam machen, FriedensaktivistInnen vor Ort stärken und schützen, Ressourcen bereitstellen, usw. Im Rahmen transnationaler Beziehungen können jene Gruppen und Organisationen in einer von Gewaltkonflikten bedrohten Gesellschaft gestärkt und unterstützt werden, die den gewaltfreien Konfliktaustrag praktizieren und sich dafür einsetzen. Zugleich geht es darum, den Normen-Diskurs immer wieder auf die politische Tagesordnung zu bringen, insbesondere die Außenpolitik daran zu messen und so dazu beizutragen, dass sich die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns erhöht. Gesellschaftliche Akteure wie Stiftungen, Kirchen, Hilfswerke und andere Organisationen sind aber auch wichtige Kooperationspartner für demokratische Regierungen, etwa bei der Stärkung ziviler Konfliktbearbeitung im In- und Ausland (siehe dazu u.a. Böge/Spelten 2002 und Hippler 2003b), bei der Einbeziehung konfliktrelevanter Zusammenhänge in die internationale Entwicklungspolitik sowie beim Einsatz für Menschenrechte, freie Wahlen, faire Gerichtsverfahren etc.
  • Staaten und ihre Regierungen können sich an verschiedenen Stellen für die Stärkung von Global Governance in der Friedenspolitik einsetzen, wie in den vorangegangenen Punkten schon erwähnt wurde. Zentral aber hierbei bleibt, dass sie in ihrem eigenen Verantwortungsbereich, z.B. in der Ausländer-Politik, bei der Verbrechensbekämpfung, im Justizwesen, bei der Transparenz des Herrschaftsapparats, bei der Begrenzung sozialer Ungleichheit, in ihrer Militärpolitik usw., in der Umsetzung und Unterstützung einer konstruktiven gesellschaftlichen Konfliktkultur die Normen und Werte umsetzen und realisieren, die dem gesellschaftlichen Zusammenleben zugrundeliegen. Und ähnlich bedeutsam ist, dass sich Staaten auch in ihrem grenzüberschreitenden Agieren an diese Normen und Werte gebunden fühlen.

Die Förderung des Friedens verlangt auch nach Einmischung von außen in jene Konflikte, bei denen die Gewalt zu eskalieren droht. Solches zu erkennen setzt die Anwendung friedenswissenschaftlicher Erkenntnisse in der Analyse von Konfliktdynamiken voraus (ein Ansatz hierfür ist der Indikatorenkatalog für Krisenpotenziale in Konfliktregionen, der augenblicklich am INEF weiterentwickelt wird; siehe dazu Spelten 1999). Friedensförderlich wird aber nur jene Einmischung sein, welche zugleich die Norm des Friedens stärkt, indem sie den Konfliktparteien die Perspektive eines gewaltfreien Konfliktaustrags und einer konstruktiven Konfliktkultur aufzeigt. Wenn Staaten sich gemeinsam, verbunden in einer internationalen Institution, verpflichtet auf Normen und Regeln, die gesellschaftlich breit verankert sind, mit gesellschaftlicher Unterstützung für den gewaltfreien Konfliktaustrag einsetzen, wird umgesetzt, was sich als Global Governance in der Friedenspolitik bezeichnen lässt.

Literatur

Blome, Kerstin / Brigitte Hamm (2003): Die Einbindung nicht-staatlicher Akteure in das Völkerrecht, in: Hauswedell et al. 2003, 249-258.

Böge, Volker (2003): Bougainville und Salomonen: Fortschritte und Fehltritte auf dem Weg zum Frieden, in: Ferdowsi, Mir A. / Volker Matthies (Hrsg.) (2003): Den Frieden gewinnen. Zur Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften, Bonn, 176-205.

Böge, Volker / Tobias Debiel (2003): Kriege und Konfliktbewältigung, in: Hauchler et al. 2003.

Böge, Volker / Angelika Spelten (2002): Zivile Konfliktbearbeitung – Konzepte, Maßnahmen, Perspektiven, in: Schoch et al. 2002, 196-204.

Calließ, Jörg / Christoph Weller (Hrsg.) (2003): Friedenstheorie: Fragen, Ansätze, Möglichkeiten, Loccumer Protokolle 31/03, Loccum.

Fues, Thomas / Jochen Hippler (Hrsg.) (2003): Globale Politik: Entwicklung und Frieden in der Weltgesellschaft, Festschrift für Franz Nuscheler, Bonn.

Fues, Thomas / Dirk Messner (2003): Die Beziehungen zwischen Nord und Süd im Schatten der Irak-Krise: Perspektiven kooperativer Weltpolitik nach der Johannesburg-Konferenz, in: Hauswedell et al. 2003, 51-60.

Hamm, Brigitte / Jochen Hippler / Dirk Messner / Christoph Weller (2002): Weltpolitik am Scheideweg. Der 11. September 2001 und seine Folgen, SEF-Policy Paper 19, Bonn.

Hauchler, Ingomar / Dirk Messner, / Franz Nuscheler (Hrsg.) (2003): Globale Trends 2004, Frankfurt a.M.

Hauswedell, Corinna / Christoph Weller / Ulrich Ratsch / Reinhard Mutz / Bruno Schoch (Hrsg.) (2003): Friedensgutachten 2003, Münster.

Hippler, Jochen (2002): Die Quellen des Terrorismus – Ursachen, Rekrutierungsbedingungen und Wirksamkeit politischer Gewalt, in: Schoch et al. 2002, 52-60.

Hippler, Jochen (2003a): Globale Werte, Völkerrecht und zwischenstaatliche Gewalt, in: Hauchler et al. 2003.

Hippler, Jochen (Hrsg.) (2003b): Nation-Building – Ein Schlüsselkonzept für friedliche Konfliktbearbeitung?, Bonn.

Messner, Dirk (2002): Nationalstaaten in der Global-Governance-Architektur. Wie kann das deutsche politische System Global-Governance-tauglich werden?, INEF-Report 66, Duisburg.

Messner, Dirk / Franz Nuscheler (2003): Das Konzept Global Governance: Stand und Perspektiven, INEF-Report 67, Duisburg.

Messner, Dirk / Jeanette Schade / Christoph Weller (2003): Weltpolitik zwischen Staatenanarchie und Global Governance, in: Hauchler et al. 2003.

Nuscheler, Franz / Christoph Weller (2002): Die Alternative zum Krieg gegen den Terrorismus: Global Governance in der Friedens- und Sicherheitspolitik, in: Schoch et al. 2002, 205-214.

Schoch , Bruno / Corinna Hauswedell / Christoph Weller / Ulrich Ratsch / Reinhard Mutz (Hrsg.) (2002): Friedensgutachten 2002, Münster.

Spelten, Angelika (1999): Instrumente zur Erfassung von Konflikt- und Krisenpotenzialen in Partnerländern der Entwicklungspolitik, Bonn.

Spelten, Angelika (2003a): Stabilisierung durch »Friedensökonomie«?, in: Kurtenbach, Sabine / Peter Lock (Hrsg.) (2003): Kriege als (Über)Lebenswelten: Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn.

Spelten, Angelika (2003b): Gewaltökonomien als Rahmenbedingung und Herausforderung für die Entwicklungspolitik. Eine FriEnt-Handreichung, Bonn.

Weller Christoph (2002a): Der 11. September im Fernsehen: Die Deutung der Terroranschläge als Krieg, in: Schoch et al. 2002, 43-51.

Weller, Christoph (2002b): Die massenmediale Konstruktion der Terroranschläge am 11. September 2001. Eine Analyse der Fernsehberichterstattung und ihre theoretische Grundlage, INEF-Report 63, Duisburg.

Weller, Christoph (2002c): Friedensforschung zwischen Massenmedien und Krieg – Von der Manipulationsforschung zur konstruktivistischen Friedenstheorie, in: Albrecht, Ulrich / Becker, Jörg (Hrsg.): Medien zwischen Krieg und Frieden, Baden-Baden, 27-44.

Weller, Christoph (2003a): Gewalt – politischer Begriff und friedenswissenschaftliche Konzepte. Eine Kritik der Gewaltfreiheit des Friedens, in: Calließ/Weller 2003.

Weller, Christoph (2003b): Perspektiven der Friedenstheorie, INEF-Report 68, Duisburg.

Weller, Christoph (2003c): Friedenstheorie: Aufgabenstellungen, Ansätze, Perspektiven, in: Eckern, Ulrich et al. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, Opladen.

Anmerkungen

1) Global Governance ist ein Schwerpunkt der Forschungs- und Beratungsarbeit des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, das sich in seiner Arbeit vor allem den Zusammenhängen zwischen Entwicklung und Frieden zuwendet und sich dabei sowohl mit den globalen Interdependenzen von Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit sowie den Entwicklungsperspektiven von Entwicklungsländern in der Weltwirtschaft als auch mit dem Zusammenspiel von Staaten, Internationalen Organisationen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Weltpolitik beschäftigt. Aktuelle Literaturhinweise zur Arbeit des INEF finden sich im folgenden Text, für weitere Informationen siehe {u}www.inef.de{/u}

Dr. Christoph Weller, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen

Missbrauch von Naturkräften eingrenzen

Missbrauch von Naturkräften eingrenzen

Forschung und Politikberatung für Abrüstung

von Götz Neuneck

Die nunmehr zwanzigjährige Abschlusserklärung des Mainzer Kongresses »Verantwortung für den Frieden – Naturwissenschaftler warnen vor neuer Atomrüstung«, der am 2. und 3. Juli 1983 mit 3.000 Teilnehmer(inne)n in Mainz stattfand, enthält den programmatischen Satz: „Naturwissenschaftler tragen eine besondere Verantwortung, weil einige ihr Expertenwissen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen missbrauchen ließen und andere dazu geschwiegen haben. Wir haben die Pflicht, über die Grenzen des Missbrauchs von Naturkräften nachzudenken und ihm mit Entschiedenheit entgegenzutreten.“1 Dieses aus der Tradition der Russell-Einstein-Erklärung von 1955 und der Göttinger Erklärung von 1957 stammende Denken muss mit konkreter Arbeit gefüllt und in die Realität umgesetzt werden. In den Zeiten des »Kalten Krieges« haben viele Wissenschaftler/innen dazu beigetragen, dass die Folgen des fortschreitenden Wettrüstens und der Gefahr eines globalen Nuklearkrieges der Öffentlichkeit und den Regierungen deutlich gemacht wurden.2 In den 80er Jahren leisteten viele Gruppen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund national wie international durch Kongresse, Workshops und Publikationen einen wichtigen Beitrag zur Dämpfung der Überrüstung und zu ihrer Einhegung durch Rüstungskontrolle und Abrüstung. Insbesondere amerikanische, sowjetische und europäische Wissenschaftler bildeten ein wichtiges Diskussionsforum und ein Kontaktnetzwerk zwischen Politik und Wissenschaft. Sie initiierten Rüstungskontrollvorschläge und halfen die umfassende vertragsbasierte Rüstungskontrollarchitektur zu errichten. Angesichts neuer Aufrüstungsschübe und der unbeeinflussten Rüstungsdynamik scheint diese Arbeit heute wieder wichtiger denn je zu sein.
In Deutschland hatte insbesondere die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« vor dem Hintergrund des NATO-Doppelbeschlusses und des SDI-Programms viele Naturwissenschaftler(innen) an diversen Hochschulen mobilisiert. In den 80er Jahren fanden in deutschen Hochschulen Ringvorlesungen, Seminare und Projekte statt, die sich intensiver mit Fragen des Wettrüstens, der Rüstungsdynamik und der Abrüstung auseinander setzten. Schwerpunkte waren strategische Raketenabwehr, die Weltraumrüstung sowie die Verifikation und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Die Gründung naturwissenschaftlich-orientierter Gruppen in Deutschland

Die Volkswagenstiftung ermöglichte ab 1988 die Anschubfinanzierung für drei naturwissenschaftlich arbeitende Forschungsgruppen in Bochum, Darmstadt und Hamburg.3 Das Bochumer Verifikationsprojekt untersuchte den Einsatz von Sensoren für die kooperative Verifikation zur Beschränkung von Land- und Luftfahrzeugen, die Darmstädter IANUS-Gruppe bearbeitete das Themenfeld der Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung atomarer/biologischer Waffen sowie deren Trägersysteme und die Hamburger CENSIS-Gruppe befasste sich mit der automatischen Auswertung von Luft- und Satellitenbildern für die Verifikation und Umweltüberwachung sowie mit konventionellen Waffentechnologien und der Raketenproliferation. Im Laufe der Jahre wurden die Aktivitäten der Gruppen ausgebaut und aktuellen Fragestellungen angepasst.4 Es ergaben sich Arbeitskontakte zu den etablierten Forschungsinstituten ebenso wie Möglichkeiten, Diplom- und Doktorarbeiten durchzuführen. 1996 schlossen sich die Gruppen zum Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und Internationale Sicherheit (FONAS) zusammen.

Im FONAS-Kreis wurden über 20 meist naturwissenschaftliche Diplom- und Doktorarbeiten erarbeitet.5 Dies ist insofern bemerkenswert, als anfänglich in einzelnen Fakultäten die Skepsis bezüglich der Behandlung von naturwissenschaftlichen Fragen mit politischem Hintergrund überwog. Inzwischen bestehen reichhaltige Erfahrungen, wie naturwissenschaftliche Methoden mit friedenspolitischen Fragen verbunden werden können. Da eine Vielzahl von Disziplinen wie die Physik, Mathematik, Informatik, Biologie aber auch die Politikwissenschaft, Sozialethik oder das Völkerrecht konstitutiv für die Bearbeitung der jeweiligen Fragestellungen war, wurde ein umfassendes Netzwerk von verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen an den jeweiligen Universitäten und darüber hinaus errichtet. Heute bildet dieser Verbund, der inzwischen auch eine internationale Anbindung hat, eine wertvolle Expertise und einen Erfahrungsschatz im Schnittfeld von Naturwissenschaft, Technologie, Friedensforschung, Politik und Öffentlichkeit. Dennoch ist die Arbeit immer noch stark von Drittmitteln abhängig und sie hat nicht den Grad gesicherter Kontinuität erreicht, der z.B. in den USA etabliert ist. In zu hohem Maße sind die Arbeiten vom Engagement und dem Ethos friedensbewegter Nachwuchswissenschaftler(innen) abhängig. FONAS hat bereits frühzeitig auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass nach wie vor die dauerhafte Einrichtung von entsprechenden Professuren und naturwissenschaftlich arbeitenden Forschungsgruppen notwendig ist.6 Nur so kann die erarbeitete Expertise gesichert und weiterentwickelt werden. Die von der DSF ausgeschriebene »Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftungsprofessur« wird hier einen ersten bedeutenden Beitrag leisten.7Der 1996 gegründete Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS) hat insbesondere auch die Aufgabe, die Arbeit der Gruppen zu koordinieren, zu bündeln und die Kontakte zu Politik und Öffentlichkeit zu verstärken.8 Die Halbjahrestreffen ermöglichen eine intensive Forschungsdiskussion; ein Rundbrief informiert die ca. 50 Mitglieder über die Ergebnisse, lokalen Aktivitäten und Tagungsbeiträge. Die Ergebnisse der Projekte bzw. die Ergebnisse internationaler Zusammenarbeit werden seit 1996 bei den – bisher 14 – »FONAS-Fachgesprächen« vorgestellt. In der Bundeshauptstadt werden regelmäßig Mitglieder des Bundestags, Fachleute der Ministerien sowie Fachjournalist(inn)en eingeladen, um sie über aktuelle rüstungskontrollpolitische Fragen und Forschungsresultate zu informieren. Als besonders erfolgreich kann das 7. Fachgespräch (22. März 2000) gelten, bei dem Richard Garwin/ Council of Foreign Relations und Ted Postol/MIT die grundlegende Kritik an den Plänen der US-Administration zur Raketenabwehr darlegten. In der Folgezeit wurden die Arbeiten zur Raketenabwehr eine wichtige Expertise, auf die auch das Auswärtige Amt zurückgriff.

Schwerpunkt des 11. Fachgesprächs war der im Jahr 2002 in Kraft getretene »Open-Skies-Treaty«-Vertrag. Hierdurch wurde der gesamte Luftraum der Mitgliedstaaten von Vancouver bis Wladiwostok für kooperative Beobachtungsflüge geöffnet. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt über kein eigenes Fluggerät verfügte, bestand Handlungsbedarf und technische Begleitforschung war notwendig. Ein Memorandum verlieh der Forderung nach einer eigenen fliegenden Open-Skies-Plattform Ausdruck. Heute besteht auf diesem Gebiet eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen.

Auf Fachgesprächen wurden zudem immer wieder die Forschungsergebnisse der Gruppen vorgestellt, so die Arbeiten zur Proliferationsresistenz aus Darmstadt oder die Arbeiten zur akustischen und seismischen Sensorverifikation aus Bochum. Die Gruppen halten zudem Einzelkontakte zu interessierten Parlamentariern und Ministerien und werden immer wieder zu Einzelgesprächen und Expertentreffen eingeladen. Im März 2001 konnten schließlich die Ergebnisse eines Verbundantrages vorgestellt werden, der durch die BMBF-Projektförderung ermöglicht wurde.9 Hier wurden an den Fallbeispielen Raketenabwehr, B-Waffen/Biotechnologie, Mikrosystemtechnik, Plutoniumbestände die Methoden, Kriterien und Möglichkeiten präventiver Rüstungskontrolle überprüft. Die folgende Tabelle zeigt wichtige Projekte der naturwissenschaftlichen Abrüstungsforschung in Deutschland seit 2000, als die Bundesregierung über das BMBF die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung wieder aufnahm, was auch der naturwissenschaftlichen Arbeit zugute kam. Wichtige Ergebnisse zur Sicherheit von Nuklearmaterialen, dem Open-Skies-Vertrag oder der modernen Kriegsführung werden immer wieder dargestellt in Zeitschriften wie »Spektrum der Wissenschaft« oder »Science and Global Security«.Bei all den positiven Beispielen soll aber auch darauf hingewiesen werden, dass zwischen »wissenschaftlich orientierter Politikberatung« und »praktischer politischer Anwendung« auch natürliche Differenzen vorhanden sind.10 Politiker wollen stets mit Informationen und im FONAS-Fall mit technischen Expertisen versorgt werden. Dies ist in klar definierten Fällen möglich, bedeutet jedoch noch nicht automatisch, dass sich daraus fertige, übernehmbare und einfach umzusetzende Handlungsanweisungen ergeben. Über diese hat letztlich die Politik selbst zu entscheiden und diese auch zu verantworten. Aufgabe der Wissenschaft muss es insbesondere sein, auf die Gefahren, Probleme und Konsequenzen negativer, wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen hinzuweisen und die jeweiligen Widersprüche aufzudecken. Ein Beispiel ist hier der Nuklearterrorismus: Während es allgemein üblich ist, die Gefahr einer Nuklearexplosion durch die »Osama bin Ladens« anzuführen, zeigen die Bestandsaufnahmen waffenfähiger Arsenale, dass das Material für einen solchen Anschlag nur aus den übervollen waffenrelevanten Beständen der Kernwaffenstaaten stammen kann, für deren Sicherheit die Staaten selbst verantwortlich sind. Nukleare Abrüstung und die Verbesserung der Materialsicherheit sind hier die richtigen Antworten. Oft zeigt sich auch, dass Politiker nur handeln, wenn der Druck groß genug ist. Ein Problem wissenschaftlicher Politikberatung ist schließlich, dass manche Friedensforscher davon ausgehen, dass die Politik direkt ihrem Rat folgt oder dass mit wissenschaftlichen Kriterien Politik gemacht werden kann. Dies ist aber nur selten der Fall.

FONAS und die Deutsche Physikalische Gesellschaft

Dass die in Bochum, Darmstadt und Hamburg getätigten Forschungsergebnisse auch in der physikalischen Fachgesellschaft etabliert sind, zeigen die Fachsitzungen »Physik und Abrüstung« bei den Frühjahrstagungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die heute über 45.000 Mitglieder hat und auf eine reichhaltige Tradition zurückblicken kann. Seit 1995 werden hier, organisiert durch den FONAS-Kreis, eigene Fachsitzungen zu Abrüstung und Verifikation durchgeführt. Schwerpunkte der letzten Jahre waren u.a. Teststopp, Kernwaffenabrüstung, Raketenabwehr, Verifikation, Minensuche, präventive Rüstungskontrolle, die Proliferationsresistenz und der Nuklearterrorismus. Auch in anderen naturwissenschaftlich-technischen Fachgesellschaften gibt es Aktivitäten, so im Bereich Minensuche und bei den B-Waffen. 1998 konnte in der DPG der Arbeitskreis »Physik und Abrüstung« gegründet werden, der die Arbeiten koordiniert und Kontakt zur DPG-Führung hält.11 Es gelang zudem, die »Max von Laue«-Vorlesung dauerhaft zu etablieren, deren Aufgabe es ist, gesellschaftliche Fragen naturwissenschaftlicher Verantwortung zu vertiefen. Schließlich wurde im Jahr 2003 die »Atomtestkommission der DPG« reaktiviert, die noch in diesem Jahr einen Bericht zur Lage des vollständigen Teststoppvertrages erarbeiten wird.

FONAS, die Ausbildung und die internationale Anbindung

Unterschätzt werden darf auch keinesfalls die Aus- und Weiterbildung von Nachwuchs im Bereich »Naturwissenschaft und Friedensforschung«. Dies bezieht sich einerseits auf die Schulung von Naturwissenschaftlern in Bezug auf die Konsequenzen ihres Tuns und die Anwendung ihrer Methoden, aber auch auf die ambivalenten Probleme ihrer instrumentellen Fähigkeiten und Ergebnisse. Diplom- und Doktorarbeiten helfen hier ebenso wie interdisziplinäre Seminare an naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fakultäten. Zum anderen sollten auch Sozial- und Geisteswissenschaftler über grundlegende Kenntnisse naturwissenschaftlicher Methodik verfügen. An der Universität Hamburg wird z.B. durch das IFSH im Verbund mit einer Reihe von Fakultäten seit einem Jahr der Masterstudiengang »Peace and Security Policy« durchgeführt.12 Hier können auch Naturwissenschaftler(innen) in einem einjährigen, postgradualen Studiengang den »Master of Peace and International Security« erwerben. Für Studierende mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund gibt es eine Vorlesung zu »Naturwissenschaftlichen Methoden in der Friedensforschung«, die gleichzeitig für Studierende aller Fakultäten offen ist.

Die kleine FONAS-Szene ist inzwischen auch international gut integriert. Gemeinsame Projekte und Wissenschaftleraustausch finden statt, so z.B. mit dem »Defense Studies Program« des MIT. Internationale Workshops werden organisiert und regelmäßig nimmt deutscher Nachwuchs an den jährlichen Summer Symposiums on Science and World Affairs teil. Insgesamt hat sich die naturwissenschaftlich orientierte Friedens- und Abrüstungsforschung in Deutschland seit 1985 zu einem wichtigen Pfeiler der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungsszene entwickelt.

Aktuelle Forschungen und Projekte

Ein Beispiel für aktuelle Forschungen ist der FONAS-Projektverbund »Präventive Rüstungskontrolle«. Präventive Rüstungskontrolle ist qualitative Rüstungskontrolle angewandt auf die Zukunft.13 Ihr vorbeugender Charakter kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass – geleitet durch Rüstungskontrollkriterien – militärrelevante Forschung und Entwicklung frühzeitig in rüstungskontrollpolitische Konzepte einbezogen werden sollen. Ziel dieses ortsübergreifenden Projektverbundes ist es, die Konzepte, Bedingungen und Verfahren der präventiven Rüstungskontrolle auf allgemeiner Ebene sowie in spezifischen Technologiefeldern zu untersuchen. Einzelprojekte zu Themen wie Nanotechnologie, Proliferationsresistenz oder Weltraumrüstung widmen sich spezifischen Technologiefeldern, ein Rahmenprojekt stellt deren Vorschläge zusammen, bewertet und verallgemeinert sie und untersucht Probleme und Randbedingungen vorbeugender Rüstungsbegrenzung. Entscheidend für die Umsetzung ist dabei die Fähigkeit, destabilisierende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, zu analysieren und adäquate Beschränkungsmaßnahmen zu entwickeln. Solche Beschränkungen können nicht nur die internationale Sicherheit stärken, sondern auch erhebliche Kosten sparen helfen. Die Weiterentwicklung neuer Militärtechnologien kann zukünftige technologische Rüstungswettläufe implizieren. In der Regel ist es zudem nach Einführung qualitativ neuer Waffensysteme schwieriger, diese bzw. ihre Wirkungen zu beschränken, als ein geplantes System noch in der Entwicklungsphase zu verbieten (z.B. Blendlaser). So soll Rüstungskontrolle mit Abrüstungsschritten verbunden werden.14

Seit 1988 untersucht das »Bochumer Verifikationsprojekt« (BVP), das an der Ruhr-Universität angesiedelt ist, unter Leitung von J. Altmann, die Möglichkeiten mittels akustischer, seismischer und magnetischer Sensorsysteme, Begrenzungen bei militärischen Land- und Luftfahrzeugen zu überwachen.15 Bemerkenswert sind hier eine Reihe von internationalen Experimenten, die gemeinsam mit der Informatik der Humboldt-Universität Berlin durchgeführt und ausgewertet wurden. Auch wurden zwei Sensorstationen entwickelt und auf einem Bundeswehr-Erprobungsgelände einen Monat betrieben, um die Schall- und Bodenvibration von Panzern, militärischen Lkw und anderen Fahrzeugen zu messen. Auf dieser Grundlage könnten Sensorsysteme für einen UN-Einsatz entwickelt werden.Die »Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit« (IANUS) der TU Darmstadt beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der Thematik nuklearer Proliferation und den Möglichkeiten des Zugriffs auf waffenfähiges Nuklearmaterial. Einen Schwerpunkt bildet z.B. die Beschäftigung mit dem Münchner Forschungsreaktor FRM-II, der mit hochangereichertem Uran (HEU) als Brennstoff geplant wurde und damit unter Proliferationsgesichtspunkten sehr problematisch ist.16 IANUS konnte in einer Expertenkommission des BMBF mitwirken, die die Möglichkeiten einer Brennstoff-Umstellung vor oder nach Inbetriebnahme des FRM-II konkretisierte und seine Expertise beim atomrechtlichen Verfahren beim BMBF einbringen. Bei IANUS wurden alternative Auslegungen des Reaktors mit praktisch nicht waffentauglichem, schwach angereichertem Uran durchgerechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass gute Chancen bestehen, durch Umrüstung den Umgang mit HEU im zivilen Bereich als wichtige Maßnahme der Bemühung um Nichtweiterverbreitung zu beenden.17In Hamburg werden die Arbeiten insbesondere am IFSH im Rahmen der »Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien« (IFAR) zusammen mit der CENSIS-Gruppe durchgeführt. Das Forschungsprojekt »Die Zukunft der Rüstungskontrolle« arbeitet die Grundlagen, die Gültigkeit und die Defizite der Rüstungskontrollidee heraus. Eine Homepage wurde aufgebaut, auf der viele Internet-Ressourcen, Verträge und technische Einzelheiten zur Rüstungskontrolle zu finden sind. Das Forschungsprojekt »Weltraumbewaffnung/Raketenabwehr und die Möglichkeiten präventiver Rüstungskontrolle« analysiert einerseits die technischen Möglichkeiten von Waffensystemen im Weltraum sowie von außerhalb der Atmosphäre wirksamen Raketenabwehrsystemen auf der Basis heutiger und künftiger technologischer Entwicklungen. Schwerpunkte sind Simulationen von Weltraummüll und die Wirkung von Laserwaffen im Weltraum. Andererseits werden präventive Beschränkungen für eine aktive Nutzung von Weltraumwaffen aufgezeigt und Impulse für die internationale Rüstungskontrolle erarbeitet. Naturwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es für einen Gegner relativ einfach möglich ist, technische Maßnahmen zu ergreifen, um die geplante Raketenabwehr zu umgehen.18 Eine technische Analyse ist hier genauso unverzichtbar wie die Frage nach den rüstungskontrollpolitischen Konsequenzen bei der Einführung von Raketenabwehr. Zu befürchten ist, dass die nuklearen Begehrlichkeiten durch die augenblickliche Debatte wieder geweckt und angeheizt werden. Ein weiteres Thema sind die Technologien, die unter dem Oberbegriff »Revolution in Military Affairs« fallen.19 Viele der Arbeitsergebnisse der Gruppen flossen auch in Gutachten und Studien für das »Büro für Technologiefolgenabschätzung des deutschen Bundestages« (TAB) oder für die »Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt« (DLR) ein.

Naturwissenschaft und Rüstungsdynamik unter veränderten Rahmenbedingungen

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben sich die Randbedingungen der Rüstungsdynamik und damit von Rüstungskontrolle und Abrüstung zweifelsohne geändert. Kriege sind für manche Regierungen wieder »salonfähig« geworden, neue Kriegsbilder sind ebenso hinzugetreten wie neue Akteure (Terroristen, substaatliche Gruppen etc.). Die Suche nach neuen Strategien zur Konfliktprävention, Kriegsverhinderung, für zivile Konfliktlösungen hat begonnen. Das Schwerpunktheft »Friedensforschung im 21. Jahrhundert« kündet von der Breite und Tiefe der Diskussion, die in der Friedensforschung geführt wird.20 Keiner der Autoren dieses Heftes bezweifelt, dass der »Kalte Krieg« enorme, einsetzbare Gefahrenpotenziale hinterlassen hat, die einer kritischen Begleitforschung bedürfen. Die Gefahr eines Nuklearkrieges ist gemindert, aber nicht gebannt. Abrüstung findet nicht mehr statt. Erinnert sei hier an ca. 31.000 operative Atomsprengköpfe über 70.000 Tonnen Giftgas und Millionen Tonnen herkömmlicher Munition und konventioneller Sprengköpfe, steigende Weltmilitärausgaben, Rüstungsexporte und ein proliferierender Waffenhandel. Die Zukunft überschüssigen Nuklearmaterials, der ideale Stoff für Nuklearterrorimus, ist ungelöst. Neben den unbewältigten Altlasten finden neue, lokale Aufrüstungsrunden statt. Zwischen Indien und Pakistan gibt es einen Nuklear- und Raketenwettlauf. Das nordkoreanische Regime spielt mit dem nuklearen Feuer und hat seinen Austritt aus dem Nichtverbreitungsvertrag (NVV) erklärt. Der Iran wird beschuldigt, ein eigenes Nuklearwaffenprogramm zu betreiben. Angesichts der in Afghanistan und im Irak demonstrierten militärischen Macht der USA und der Präventivdoktrin der Bush-Administration steigt die Gefahr, dass weitere Staaten sich Nukleararsenale zulegen und der nukleare Rüstungswettlauf sich beschleunigt. Neue konventionelle Waffentechnologien führen zu neuen Kriegsbildern und bedingen neue konventionelle Rüstungsschübe. Raketenabwehr, Weltraumrüstung und »Miniaturatomwaffen«, die von der Bush-Administration verstärkt gefördert werden, sind deutlicher Ausdruck dieser Krise. Angesichts dieser Situation müssen die an der Friedensforschung beteiligten Disziplinen ihre Fähigkeiten bündeln, um realistische Wege aus der Gefahr zu erarbeiten. Eine Deutungshoheit einer einzelnen Disziplin kann es ebenso wenig geben wie einen gesicherten Methodenanspruch auf eine garantierte Lösung durch die Friedensforschung.

FONAS ist stets für die Themenkomplexe eingetreten, die interdisziplinär bearbeitbar sind, eine wesentliche naturwissenschaftliche Komponente enthalten und auf die Suche nach Problemlösungsstrategien ausgerichtet sind, die durch eine Kombination von angewandter Forschung und Politikorientierung gelöst werden können.21

  • Hierzu gehören die Erarbeitung von Vorschlägen für Abrüstung, Rüstungsbeschränkung und Nichtverbreitung. Dies umfasst Analysen und Vorschläge zu Rüstungsbegrenzung im Bereich von Massenvernichtungswaffen. Beispiele sind hier der Transformationsprozess zur kernwaffenfreien Welt, Raketenabwehr, vollständiger Cutoff für kernwaffenfähige Materialien, Effektivierung der Biowaffenkonvention, Militarisierung des Weltraums, neuartige Kernwaffen, technologisch bedingte Weiterverbreitungsdynamik, terroristische Bedrohung und Vorbeugungsmaßnahmen, konventionelle Abrüstung.
  • Zur Vertragseinhaltung sind hier Arbeiten zu technischen Mitteln und Verfahren zur Verifikation nötig. Zu nennen sind hier: Überprüfungsmaßnahmen für die Kontrolle von Abrüstung, von vorhandenen militärischen Potenzialen und zur Vermeidung der militärischen Nutzung von Hochtechnologie. Beispiele bilden die Detektion der Herstellung von Massenvernichtungswaffen, die Nutzung von Sensoren für Landfahrzeuge und Flugzeuge oder die automatische Verarbeitung von Luftbildern.
  • Ein weiterer Schwerpunkt ist die qualitative und vorbeugende Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung, d.h. die Analyse konkreter militärtechnologischer Entwicklungstrends, Vorschläge für vorbeugende Eingrenzung, das systematische Studieren der zivil-militärisch ambivalenten, wissenschaftlich-technologischen Entwicklungsdynamik auf militärrelevante Absichten und Möglichkeiten von Vermeidungsstrategien (Beispielfelder: Mikrobiologie, Informationstechnologien, Nanotechnologie, Werkstoffentwicklung), Untersuchung der militärischen Verwendbarkeit von bereits existierenden oder in Weiterentwicklung befindlichen Technologien oder Materialien (Beispiele: nukleare Technologien und Materialien, Beschleuniger).
  • Wichtig ist nach wie vor die Beseitigung von Altlasten und Konversion militärischer Hochtechnologie, also z.B. der Altlasten des »Kalten Krieges« oder von bewaffneten Konflikten. Beispiele sind hier die Beseitigung von waffenrelevanten Nuklearmaterialien oder die Detektion von Minen.
  • Als weiteres wichtiges Forschungsfeld erscheint zunehmend die Analyse naturwissenschaftlich-technischer Einflussfaktoren in heute antizipierbaren Konflikten, die mit Umwelt, Ressourcen und Energie verbunden sind. Beispiele sind hier die Wasserproblematik, der Klimawandel, fossile Energieträger, nukleare Abfälle, energietechnologischer Wandel. Ebenso kann die mathematische Modellierung komplexer Systeme Beiträge zum theoretischen Verständnis der Aufrüstungs- und Abrüstungsdynamik oder von anderen Konfliktsituationen liefern.

Der renommierte Astrophysiker und »Astronomer Royal« Sir Martin Rees hat in seinem Aufsehen erregenden Buch »Our Final Hour« (New York 2003) in 14 Kapiteln ausgeführt, dass die Chance, dass die Menschheit das 21. Jahrhundert übersteht, lediglich 50 zu 50 steht. Terror, wissenschaftliche Fehlenwicklungen, Umweltkatastrophen können dazu beitragen, dass die Menschen die Mittel hervorbringen, die ihren eigenen Untergang bewirken. Selbstgemachte technologische Fehlentwicklungen, Kriege, Großkatastrophen können durchaus dazu führen, dass das Überleben der Menschheit als Ganzes in Frage steht. Enorme Anstrengungen von Forschung und Wissenschaft sind nötig, um die vor uns liegenden Risiken zu vermeiden. Die Friedenforschung sollte sich daran beteiligen und ihre naturwissenschaftliche Komponente nicht marginalisieren.

Anmerkungen

1) Hans-Peter Dürr, u.a. (Hrsg.): Verantwortung für den Frieden – Naturwissenschaftler gegen Atomrüstung, Hamburg/Reinbek bei Hamburg: Spiegel/Rowohlt, 1983.

2) Siehe dazu z.B. Joseph Rotblat: Scientists in the Quest for Peace: A History of the Pugwash Conferences, Cambridge MA, 1972.

3) Ulrike Kronfeld u.a. (Hrsg.): Naturwissenschaft und Abrüstung – Forschungsprojekte an deutschen Hochschulen, Münster: 1993.

4) Siehe Altmann/Liebert/Neuneck 2003 (Fußnote 1).

5) FONAS-Newsletter Nr. 1-4 (1999-2002), siehe: http://www.fonas.org

6) FONAS, Forschungsmemorandum, 23. Juni 1998 (http://www.fonas.org/aktuell/memo.html)

7) Homepage: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/stiftungsprofessur.html

8) Homepage: http://www.fonas.org

9) PRK 2001: „Erste Ergebnisse des Projektes »Präventive Rüstungskontrolle« des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und Internationale Sicherheit (FONAS)“, in: Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 38, 2001.

10) Diese Überlegen fußen auf dem Papier von Herbert Wulf: „Politikberatung – Schwerpunkt der Deutschen Stiftung Friedensforschung“, Manuskript, Februar 2001.

11) Siehe die Homepage: http://www.dpg-physik.de/fachgremien/aka

12) Siehe dazu: http://www.ifsh.de/studium/studium.php

13) Götz Neuneck,/Reinhard Mutz: Vorbeugende Rüstungskontrolle, Baden-Baden: 2000.

14) Ergebnisse siehe dazu Fußnote 11. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung.

15) Siehe Jürgen Altmann, Bernhard Gonsior: „Nahsensoren für die kooperative Verifikation der Abrüstung von konventionellen Waffen“, in: Sicherheit und Frieden, 7, Nr. 2, 1989, S. 77-82.

16) Siehe hier: Hans Ackermann, W. Buckel, W. Liebert: „Zur Nutzung von hochangereichertem Uran im Forschungsreaktor FRM-II“. Physikalische Blätter. Vol.55, 1999, S. 16-20.

17) Alexander Glaser: „The Conversion of Research Reactors to Low-Enriched Fuel and the Case of the FRM-II“, in: Science and Global Security, 2002, Vol.10(1), S. 61-79.

18) Götz Neuneck: „Von National Missile Defense zu Global Missile Defense? Technische Machbarkeit und Ansätze der Bush-Administration“, in: Die Friedens-Warte, Vol. 76(4), 2001, S. 391-434.

19) Neuneck, Götz: „Virtuelle Rüstungen. Die Waffensysteme des 21. Jahrhunderts oder die USA rüsten mit sich selbst“, Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 31, 1999, S. 10-15; Neuneck, Götz: „Die Rolle der Naturwissenschaft: Dienerin zweier Herren“, in: Prokla – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 32, Nr. 2, 2002, S. 205-226.

20) :Schwerpunktheft: Friedensforschung im 21. Jahrhundert, in: Sicherheit und Frieden Vol. 20(2), 2002.

21) Siehe dazu: Forschungsmemorandum 1998 (Fußnote 7) und Wolfgang Liebert: „Aufgaben naturwissenschaftlich orientierter Friedensforschung“, in: Friedenspolitik und Friedensforschung (Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft VIII), Osnabrück, 2001.

Dr. Götz Neuneck ist Leiter des Arbeitsbereichs »Abrüstung und Rüstungskontrolle« am IFSH

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

von Jürgen Nieth

Lieber Leserin, lieber Leser,
Oktober 1983 – die Bundesrepublik Deutschland erlebte die größten Friedensdemonstrationen in ihrer Geschichte. Weit über eine Million demonstrierten, wohlwissend, dass der Bundestag gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung wenige Tage später die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen beschließen wird. In dieser Situation erschien die erste Ausgabe des »Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden«.

Die Friedensbewegung hatte sich in den drei Jahren des Massenprotestes zwischen 1981 und 1983 viel militär-technisches Fachwissen angeeignet. Raketenreichweiten und Zielgenauigkeit, »Overkill« und die Gefahr eines Zufallskrieges waren Tagesthemen. Was würden die nächsten Schritte im atomaren Wettrüsten sein? Erste Pläne für eine Weltraummilitarisierung lagen bereits auf dem Tisch. Mit neuen Waffensystemen würden aber auch die Anforderungen an das Wissen der Bewegung wachsen.

Der BdWi ergriff die Initiative für einen Informationsdienst, der wissenschaftliche Erkenntnis aufbereiten und den Friedensengagierten zugänglich machen sollte. Rainer Rilling und Paul Schäfer wandten sich an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftler-Initiativen mit dem Aufruf, durch Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen. Mit Erfolg: Aus ihren Reihen kamen die ersten AutorInnen, später wurden die Initiativen selbst Mitherausgeber.

Obwohl der »Infodienst« von Anfang an interdisziplinär angelegt war, dominierte in den ersten Jahren die nüchterne Hardware-Expertise verbunden mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung.

1989/90 dann der Kollaps des Sozialistischen Lagers. Die NATO verlor den Feind und nicht nur die Friedensbewegung hoffte auf eine umfassende Abrüstung, eine friedlichere Welt und eine Friedensdividende. Der Fokus Frieden und Rüstungskritik schien überholt, Themen wie Konversion, die Weiterentwicklung internationaler Institutionen, die Umwidmung freiwerdender Gelder für die Entwicklungspolitik rückten nach vorne.

Doch die Hoffnungen zerstoben schnell: Der Golfkrieg 1991 demonstrierte das ungebrochene Denken der westlichen Eliten in militärischen Kategorien. Der Abbau überflüssig gewordener militärischer Potenziale führte nur vorrübergehend zu einer Senkung der weltweiten Rüstungskosten. Rüstungsanalyse und -kritik blieben notwendig. Gleichzeitig unterstrichen die Gewalteskalation in Folge des Zerfalls multiethnischer Staaten und die sich selbst reproduzierenden Kriege in Afrika die Notwendigkeit einer breiteren Themenführung: Frieden in Bezug zu Menschenrechten, Demokratisierung, zum Nord-Süd-Verhältnis und zu einer »zukunftsfähigen« Politik, um nur einige zu nennen.

1999 dann der Kosovo-Krieg. Das bis dahin Undenkbare wurde Realität: Nach über 50 Jahren beteiligte sich Deutschland wieder an einem Angriffskrieg, ausgerechnet unter Rot-Grün wurde der Krieg wieder zur »Fortführung der Politik mit anderen Mitteln«. An die Stelle der Bündnis- bzw. Landesverteidigung rückte in der Folge bei NATO und Bundeswehr der Einsatz »out of area«.

Eine komplizierte Situation für eine an der Schnittstelle von Friedensforschung und Friedensbewegung wirkende Zeitschrift. Der Aktualität geschuldet dominierten jetzt die Kriegs-, Militär- und Rüstungskritik. Für Visionen, die Diskussion einer zukunftsfähigen Entwicklung oder einer Kultur des Friedens blieb zu wenig Raum.

Das galt auch für die Information über das breite Spektrum der deutschen Friedensforschung. Deshalb haben wir dieses Thema in den Mittelpunkt der »Jubiläumsausgabe« gestellt. Es geht nicht um einen vollständigen Überblick, sondern um einen Einblick in die breit gefächerte Forschungslandschaft. Ein Einblick der darauf hinweist, dass sich auf diesem Sektor in den letzten 20 Jahren viel verändert hat, der aber auch inhaltliche Defizite aufzeigt zum Teil bedingt durch die ungenügende und ungesicherte Finanzierung vieler Bereiche. Ein Einblick, der die Spanne deutlich werden lässt, zwischen friedenswissenschaftlichen Erkenntnissen und realer Politik, der die Möglichkeiten, vor allem aber die Grenzen der friedenswissenschaftlichen Politikberatung erkennen lässt.

Die Friedensforschung muss damit leben, dass die Politik nur das übernimmt, was in ihr Konzept passt. Beispiel Zivile Konfliktbearbeitung: Vom Kosovo über Afghanistan zum Irak, die Beweise liegen auf dem Tisch: Kriege lösen keine Probleme, wir brauchen zivile Konfliktbearbeitung als Alternative und nicht – wie von den Regierenden weitgehend akzeptiert – als Ergänzung des militärischen Einsatzes.

20 Jahre W&F: Die Schwerpunkte haben sich entsprechend der politischen Entwicklung wiederholt verändert. Geblieben ist: Der Frieden braucht Bewegung und Bewegung braucht Expertise. Es ist unser Ziel, diese weiterhin wissenschaftlich fundiert zu liefern.

Jürgen Nieth

Der Markt wird’s schon richten?

Der Markt wird’s schon richten?

von Christiane Lammers

Die Gründergeneration der bundesdeutschen Friedenswissenschaft tritt ab und es scheint an der Zeit Bilanz zu ziehen. Was sind die theoretischen Grunderkenntnisse, die als Fundament die zukünftige Friedensforschung tragen werden; welche Methoden haben sich als adäquat für den zu erforschenden Gegenstand erwiesen, welche Theorien und Modelle gelten als relativ sicher verifiziert? So wichtig eine inhaltlich-fachliche Review of the State of the Art ist, die bisher – leider – vor allem auf diversen Abschiedskolloquien en detail erörtert wird, so wichtig ist doch gerade für FriedensforscherInnen die Frage, was haben wir gesellschaftlich erreicht? Wirkungsforschung war schon immer eine heikle Sache, die Wirkung einer ganzen Wissenschaftsrichtung zu untersuchen, dürfte fast unmöglich sein, nur über Teilaspekte kann man sich vielleicht der »historischen« Wahrheit annähern. Ein solcher kann z.B. die Entwicklung und der Bestand von Wissenschaftsstrukturen sein.

Zur Geburtsstunde der bundesrepublikanischen Friedensforschung boomten die Sozialwissenschaften. Kritisches Denken war an den meisten Universitäten en vogue, der Ausbau der Universitäten gerade auch im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften schuf Arbeitsplätze auch für an Friedensfragen interessierte WissenschaftlerInnen: Ebert, Zellentin, Krippendorff, Gantzel, Ruf, Nuscheler, Senghaas, Jahn, Albrecht, Rittberger, Zoll usw. Etwa zur gleichen Zeit wurden Forschungszentren meist mit Unterstützung der Bundesländer geschaffen, die mit je eigenem Schwerpunkt Fragen des Friedens erforschen sollten: FEST, HSFK, IFSH. Nicht viel später gab es sogar eine bundesdeutsche Förderung für die Friedensforschung: die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK).

In den 80er und frühen 90er Jahren festigten sich die Strukturen, einige neue kamen durch »glückliche« politische Konstellationen hinzu, wie das INEF, das SCHIFF und das BICC; nur wenige mussten das Feld räumen aus »unglücklicheren« Konstellationen wie die DGFK. Von außen betrachtet waren es sichere Zeiten. Als Makel blieb allerdings, dass der Friedensforschung die Anerkennung durch den Bundesstaat versagt blieb. Der damals formulierte Ideologieverdacht zeigt selbst heute noch Wirkung.

Von den strukturellen Rahmenbedingungen her schien die Friedensforschung bis vor kurzem noch an ihrer sich dahinschleppenden aber doch stetigen Erfolgsstory zu schreiben: Die Institute entwickelten sich weiter, wurden quantitativ bedeutsamer, die neue Bundesregierung und vor allem auch die ihr unterstellte Administration zeigte sich aufgeschlossen, neue Instrumentarien zur Forschungsförderung wie die Deutsche Stiftung Friedensforschung wurden geschaffen.

Doch die Aufbruchstimmung, die zumindest noch bis zum Beginn der neuen Legislaturperiode reichte – trotz der Widersprüche, die sich mit dem Kosovo-Krieg auftaten – muss inzwischen einer Nüchternheit weichen. Manches Versprechen (z.B. die Koalitionsaussage zum weiteren Ausbau der Friedensforschung) wurden bisher nicht eingelöst, vor allem aber verschlechtern sich die strukturellen Grundvoraussetzungen im Zuge der veränderten Rahmenbedingungen für die (Sozial-)Wissenschaften überhaupt.

Der bisher geltende gesellschaftliche Grundkonsens, dass Wissenschaft und Forschung nicht nur nach ihrer direkten Verwertbarkeit zu beurteilen und zu fördert sind, wird nach und nach aufgekündigt. Wenn Wissenschaft nur noch an der Höhe der eingeworbenen so genannten Drittmittel gemessen wird, steht nicht nur die Freiheit der Wissenschaft auf dem Spiel.

Das wichtigste Standbein der Friedensforschung war jahrzehntelang die Landesunterstützung. Außenpolitische friedenswissenschaftliche Problemstellungen sind diesen Geldgebern aber inzwischen nur noch schwer vermittelbar (hier macht es inzwischen keinen Unterschied mehr, von welcher Koalition ein Land regiert wird). Der Verweis auf die miserable Haushaltssituation von den Ländern bis zum Bund ist nach wie vor ein schlechtes Argument bei gleichzeitgen Ausgaben für Gen- und Militärforschung in Milliardenhöhe.

Ad hoc profitiert die Friedensforschung von den zum Teil radikalen Umbrüchen an den Hochschulen – wohl kaum wären sonst sechs einschlägige Studiengänge in Vorbereitung. Es wird sich aber erweisen müssen, ob die Einbindung in das neue System insgesamt der Wissenschaft dienlich ist. Denn auch für dieses gilt: oberstes Prinzip ist die Orientierung an der zeitnahen Verwertbarkeit nicht nur des Wissens, sondern auch der Studierenden selbst. Die Änderungen im Hochschulrahmengesetz weisen zudem daraufhin, dass zukünftig nur noch ein Minimalprogramm an hochschulischer Forschung grundfinanziert wird und alles übrige sich den Marktmechanismen zu unterwerfen hat.

Es muss angesichts dieser Situation nicht mehr herausgestrichen werden, dass bisher kein einziger der Lehrstühle, die von der oben genannten Gründergeneration verlassen wurden, von einem/r FriedensforscherIn besetzt wurde.

Sicherlich können die WissenschaftlerInnen allein diese Entwicklung nicht aufhalten. Zwar ist eine von innen heraus – im eigenem Interesse handelnde – Gegenbewegung, etwa der AbsolventInnen der neuen friedenswissenschaftlichen Studiengänge, denkbar, hierauf zu warten wäre jedoch verantwortungslos. Eine Einmischung in die Wissenschaftspolitik auf breiter Ebene erscheint dringend geboten.

Christiane Lammers Stellv. Vorsitzende des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung

Frieden und Friedensforschung

Frieden und Friedensforschung

Das Verfassungsgebot und seine Wissenschaft

von Dieter S. Lutz

Aus Anlass der Eröffnung des Stiftungssitzes der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) in Osnabrück, nahm der Vorsitzende des Stiftungsrates, Dieter S. Lutz, Stellung zur grundsätzlichen Bedeutung der Friedensforschung. Er bilanzierte die Arbeit des ersten Jahres der DSF und bedankte sich bei den Unterstützern der Stiftung, allen voran Bundespräsident Johannes Rau und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn. Wir dokumentieren im Folgenden die ersten beiden Teile der Rede.
Seit vielen Wochen und Monaten gehört es zunehmend zu meiner Aufgabe als Friedensforscher, nicht zum Thema Frieden, sondern aus aktuellen Anlässen zum Thema Krieg sprechen zu müssen und immer öfter zu immer neuen Gewaltakten und/oder Fehlentscheidungen Vorträge und Reden zu halten.

Verfassungsgebot Friedenspolitik

Aus dieser Aufgabe ist mittlerweile eine sich wiederholende Pflicht geworden – und ich bedaure es sagen zu müssen: Eine zunehmend unerträgliche und mich oftmals selbst zutiefst deprimierende Pflicht. Gewalt und Krieg – so das Empfinden – sind »normal« geworden.

Diesem Empfinden muss widerstanden, ja es muss bekämpft werden. Richtig ist zwar, was der vormalige Bundespräsident Herzog bereits 1996 sagte: „Der Krieg, der in der Geschichte der Menschheit immer ein Unglück war, ist in den vergangenen Jahrzehnten, wenn ich so sagen darf, ein immer größeres Unglück geworden.“1

Gerade aber weil Herzog recht hat und gerade weil die Gefahr besteht, dass „Krieg ein immer größeres Unglück“ wird, dürfen Krieg und Gewalt nicht als normal hingenommen werden. Kriege sind weder natur- noch gottgegeben. Sie müssen als gerade nicht normal bekämpft, das heißt vorbeugend verhütet werden.

Normal, meine Damen und Herren, kommt von Norm. Die höchste Norm der Bundesrepublik Deutschland – sei es mit Blick auf die Politik ihrer Staatsorgane, sei es mit Blick auf die Handlungen eines jeden einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin aber ist das Grundgesetz. Dies gilt auch für die Wissenschaften und ihre Träger (Universitäten, Stiftungen, Institute, Forscher/innen, Lehrende) – und das trifft erst recht – wie das Studium der Verfassung zeigt – auf die Friedensforschung zu.

In dieser unserer Verfassung – dem Grundgesetz – vom 23. Mai 1949 eingeschlossen findet sich eine ganze Anzahl bemerkenswerter Normen. Sie formen in ihrer Gesamtheit ein verfassungsrechtliches Friedensgebot, das weltweit wohl einmalig ist. Seine Regelungen sollten der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Willen des Parlamentarischen Rates in bewusster Abkehr von der kriegerischen Vergangenheit des Deutschen Reiches einen – wie es der Abgeordnete der FDP und spätere Bundespräsident Heuss ausdrückte – „exzeptionellen Charakter“ verleihen und einen wertgebundenen demokratischen und friedlichen Staat konstituieren.2

Ich meine: Wir sollten stolz sein auf diese Normen ebenso wie auf unsere »Normalität« als Ausfluss eben dieser Normen.

Neben den vielfältigen Grundrechten gehören zu diesen Normen die Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 9 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1, 2 und 3, Art. 25 sowie Art. 26 Abs. 1 und 2 GG. Mit diesen Regelungen wollte der Parlamentarische Rat 1948/49 den bewussten und nachdrücklichen Neuanfang: Der Friedenswille des deutschen Volkes sollte in eindeutiger Abkehr von einem System, das selbst vor Angriffskriegen, Massenmorden und Versklavungen nicht zurückgeschreckt war, zum unabänderlichen Leitgedanken und Wesensmerkmal des Grundgesetzes erhoben werden. Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Krieg!

Nach dem Willen des Parlamentarischen Rates sollten an der von der Verfassung getroffenen Wertentscheidung für Frieden zukünftig sowohl alle anderen Normen des Grundgesetzes gemessen werden – auch des später eingeführten Wehrverfassungsteils – als auch und gerade ihre Umsetzung in Politik. Deutsche Politik sollte Friedenspolitik sein. Zwar lässt das Grundgesetz auch Rüstungspolitik und militärische Sicherheitspolitik zu. Die Präferenz der Verfassung war und ist aber eindeutig: Sie wollte nach 1949 die Chance zum Neuanfang; sie wollte und will Frieden und Sicherheit aktiv und vorrangig auf nichtmilitärischer Basis durch die Stärkung des Rechts und durch gleichberechtigte internationale Kooperation.

Der Wille des Parlamentarischen Rates, Frieden zum unabänderlichen Leitgedanken und Wesensmerkmal der Verfassung zu erheben, wird ganz besonders deutlich in Artikel 26 Absatz 1 GG. Dort heißt es: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Wie weit Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG reicht, beantwortet die Norm bei exakter wörtlicher Auslegung selbst: Verboten ist nicht nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern jede beabsichtigte Handlung, die auch nur „geeignet“ ist, einen Angriffskrieg „vorzubereiten“. Die verbotene Friedensstörung selbst braucht also noch nicht eingetreten zu sein, der Angriffskrieg noch nicht begonnen zu haben. Nach Art. 26 Abs. 1 GG genügt bereits die bloße »Eignung«…

Damit aber noch nicht genug: Friedensstörende Handlungen sind ausdrücklich verfassungswidrig. Was verfassungswidrig ist, steht außerhalb der Verfassung. Wenn aber alles, was den Frieden stört, außerhalb der Verfassung steht und ihr entgegengesetzt ist, so muss die Ordnung des Grundgesetzes und der Bundesrepublik Deutschland vom Frieden her bestimmt sein. Sie muss als ein oberstes Bekenntnis das Friedensgebot in sich tragen. Der Grundwert »Frieden« des Grundgesetzes ist somit eine elementare Grundentscheidung für die gesamte Verfassung, welche die ganze Rechtsordnung überlagert bzw. der die einzelnen Verfassungsnormen untergeordnet sind. Diese Bindung an die Grundprinzipien der Verfassung gilt nicht nur für den Verfassungsinterpreten, sondern auch für den verfassungsändernden Gesetzgeber. Das Friedensgebot ist zweifelsfrei unantastbar. Frieden ist Norm auf Dauer.

Ergo: Deutschland war in diesem Sinne »normal« vor der Wiedervereinigung und ist es in diesem Sinne auch nach der Wiedervereinigung. Die gegenwärtig in Politik, Wissenschaft und Medien immer wieder benutzte Redewendung, Deutschland müsse nunmehr endlich normal werden, entbehrt insofern ihrer Grundlage…

Gerne wäre ich noch auf die anderen Regelungen des verfassungsrechtlichen Friedensgebotes, darunter insbesondere auch auf den Auftrag der Präambel des Grundgesetzes „dem Frieden zu dienen“, eingegangen. Eine Schlussfolgerung sei mir aber noch erlaubt: Wenn es richtig ist, dass Frieden und mit ihm das Friedensgebot unantastbare Wertentscheidungen und Leitzielbestimmungen des Grundgesetzes sind, so besitzt die Friedensforschung auch unabhängig von der allgemeinen Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG einen eigenen Verfassungsrang. Nach über 50 Jahren wird es Zeit, diesen positiv zu bestimmen und die hieraus resultierenden Konsequenzen und möglichen Schlussfolgerungen breit zu diskutieren. Zur Illustration: Warum nimmt die Bundesregierung alljährlich das Gutachten der so genannten »Fünf Weisen«, also ein Gutachten von Ökonomen entgegen (und finanziert es auch), nicht aber das Friedensgutachten der fünf führenden Friedensforschungseinrichtungen in Deutschland? Warum gibt es noch immer keinen friedens- und sicherheitspolitischen Expertenrat (Friedensrat) im Bundeskanzleramt? Warum hat die Friedensforschung keinen oder kaum Einfluss auf den Schulunterricht?

In der Tat: Diese und ähnliche Fragen und Überlegungen sind es, die unter dem Vorzeichen der »Normalität«“ diskutiert werden müssen. Die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) wäre ein geeigneter Ort hierfür. Anders als vergleichbare oder ähnliche Einrichtungen ist diese Stiftung bewusst auf die Norm Frieden ausgerichtet. Ich darf dies so deutlich sagen, zum einen, weil ich maßgeblich Satzung und Stiftungsnamen mitgestalten durfte, zum anderen, weil ich doch hoffe, als langjähriger Leiter eines erfolgreich arbeitenden Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik sowie als Begründer des Baudissin-Fellowship-Programms für Offiziere unverdächtig zu sein, was die Notwendigkeit angeht, auch Konfliktforschung und sicherheitspolitische, ja selbst militärpolitische Forschung zu fördern.

Mit diesem Plädoyer an die Friedenswissenschaft, die eigenen normativen und auch verfassungsrechtlichen Grundlagen aufzuarbeiten und in ihren Konsequenzen breit zu diskutieren, lassen Sie mich nunmehr zum zweiten Teil kommen, der Zwischenbilanz der Aktivitäten der DSF nach einem Jahr.

Bilanz – ein Jahr DSF

Am 27. April 2001 trat der Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) zu seiner konstituierenden Sitzung im historischen Friedenssaal des Rathauses der Stadt Osnabrück zusammen. Stiftungsratsmitglieder der mit einem Stiftungskapital von DM 50 Millionen ausgestatteten DSF sind acht Friedensforscherinnen und Friedensforscher, drei Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie vier Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung…

Mit der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung wurde nach über zweijähriger Vorbereitungszeit die in der Koalitionsvereinbarung vereinbarte Wiederaufnahme der „finanziellen Förderung der Friedensforschung und der Vernetzung bestehender Initiativen“ umgesetzt. Ziel und Zweck der Deutschen Stiftung Friedensforschung ist es, die Friedensforschung in Deutschland dauerhaft zu stärken und gleichzeitig zu ihrer politischen und finanziellen Unabhängigkeit beizutragen. Ihren Stiftungszweck verwirklicht sie u.a. durch die Förderung von friedenswissenschaftlichen Forschungsvorhaben sowie durch die Förderung des friedenswissenschaftlichen Nachwuchses.

Bereits auf seiner konstituierenden Sitzung beschloss der Stiftungsrat als erste Fördermaßnahme im Grundsatz ein umfassendes Nachwuchsförderungsprogramm. Der Stiftungsrat hofft, mit dem sehr detaillierten Programm Formen der nachhaltigen Stärkung und Förderung der Friedensforschung gefunden zu haben, die Dynamik über den Tag hinaus entwickeln. Das Konzept setzt sich aus fünf Teilen zusammen. Positiv beschieden wurden Initiativen zur Förderung eines geistes- und sozialwissenschaftlichen Hauptfachstudienganges »Friedens- und Konfliktforschung« an einer deutschen Hochschule, ferner Initiativen zur Förderung eines interdisziplinären und praxisorientierten Postgraduiertenstudienganges »Friedensforschung und Sicherheitspolitik«. Drittens wurde ein Doktorandenstipendienprogramm und viertens schließlich ein Postdoktorandenprogramm beschlossen. Strittig blieb vorläufig der fünfte Vorschlag, die Einrichtung einer Stiftungsprofessur »Friedensforschung und Naturwissenschaften«.

Bei seiner Entscheidung folgte der Stiftungsrat im Wesentlichen einer umfangreichen Vorlage des Gründungsvorstandes. Die Mitglieder des Gründungsvorstandes – Egon Bahr, Christiane Lammers und ich – gingen in dieser Vorlage in Anlehnung an eine Situations- und Defizitanalyse der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) davon aus, dass gegenwärtig in Deutschland in weiten Bereichen ein erheblicher Mangel an qualifiziertem wissenschaftlichem Nachwuchs herrscht (»Der Doktorandenmarkt ist leergefegt«). Dies galt nach unserer Meinung – angesichts der starken Beschneidung der Finanzmittel in den vergangenen Jahren nicht verwunderlich – auch und gerade für die Friedensforschung. Der Gründungsvorstand der DSF empfahl deshalb nachdrücklich, für einen überschaubaren Zeitraum die Nachwuchsförderung zur Priorität der Stiftung zu erheben.

Dieser Empfehlung folgend hat der Stiftungsrat in den vergangenen Monaten – nach vorausgegangenen öffentlichen Ausschreibungen – die Etablierung von drei Doktorandenbetreuungssystemen in Hamburg, Frankfurt und Marburg beschlossen. Genehmigt wurden u.a. für einen Zeitraum von vier Jahren vier mal zwei, insgesamt also 24 Doktorandenstipendien. Beschlossen wurde ferner ein umfangreiches Stipendienprogramm für den interdisziplinären Postgraduiertenstudiengang »Friedensforschung und Sicherheitspolitik«, der von der Universität Hamburg mit einem Master-Grad zertifiziert wird. Dieser Studiengang wird von rund einem Dutzend wissenschaftlicher Einrichtungen getragen, seine Förderung dient also gleichzeitig immer auch der synergetischen Vernetzung der Friedensforschung in Deutschland. Genehmigt wurden für einen Zeitraum von fünf Jahren bis zu 15 Stipendien jährlich.

Öffentlich ausgeschrieben wurde mittlerweile auch das Vorhaben zur Förderung eines geistes- und sozialwissenschaftlichen Hauptfachstudienganges Friedensforschung. Unsere Vermutung war, dass sich drei bis vier Universitäten bewerben werden. Tatsächlich beworben haben sich erfreulicher weise acht Universitäten. Strittig geblieben war auf der konstituierenden Sitzung des Stiftungsrates – wie bereits erwähnt – der Vorschlag zur Einrichtung einer Stiftungsprofessur »Friedensforschung und Naturwissenschaften«. Auch hier hat sich der Stiftungsrat mittlerweile zu einem positiven Votum entschlossen. Auf der letzten Stiftungsratssitzung vor 14 Tagen wurde entschieden, eine öffentliche Ausschreibung vorzubereiten. Vorausgegangen war ein Symposion mit Anbietern und Nachfragern aus Wissenschaft und Praxis, die ein eindeutiges Bild über die Notwendigkeit der Einrichtung einer solchen Stiftungsprofessur, ja sogar von mehreren solcher Stellen in Deutschland zeichneten.

Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass die DSF in den wenigen Monaten ihres Bestehens allein mit ihrem Nachwuchsförderungsprogramm ein erhebliches Arbeitspensum vorgelegt hat. Bei dieser Einschätzung habe ich die vielen Grundlagenarbeiten, wie sie die Neugründung einer Stiftung mit sich bringt, zum Beispiel die Erstellung von Geschäftsordnung, Vergaberichtlinien, Formularen usw., noch gar nicht einmal berücksichtigt. Darüber hinaus meine ich, dass die DSF bereits heute, nur ein Jahr nach ihrer Gründung, bereits beginnt, strukturbildend zu wirken. Überlegungen an verschiedenen Universitäten, zum Beispiel entsprechende Studiengänge gegebenenfalls auch ohne Förderung einzurichten, sprechen für diese Aussage.

Aber mehr noch: Die Stiftung war in den vergangenen Monaten nicht nur im Bereich der Nachwuchsförderung aktiv. Sie hat mittlerweile auch zwei Runden der Forschungsförderung im engeren Sinne hinter sich.

Anträge an die DSF können zwei mal im Jahr gestellt werden. Im Jahr 2001 waren Antragstermine der 15. August und der 15. Dezember. Künftig wird der Sommertermin der 15. Juni sein.

Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 41 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 4,932 Mill. € an die DSF gestellt. Davon wurden 15 Anträge mit einem Volumen von 1,580 Mill. € positiv beschieden. Hinzu kamen 25 Anträge über sog. Kleinprojekte mit einem Gesamtvolumen von 219.000 €. Von diesen wurden 19 Anträge mit einem Volumen von 125.000 € positiv beschieden. Insgesamt hat die DSF also bis April 2002 von 66 Anträgen mit einem Umfang von 5,142 Mill. € 34 Anträge mit einem Volumen von 1,705 Mill. € genehmigt. Die Entscheidung über die Anträge erfolgte im Übrigen auf der Grundlage von mindestens zwei externen Gutachten, manchmal sogar auf der Basis von drei oder vier Gutachten.

Die inhaltlichen Schwerpunkte der genehmigten Projekte lagen bei Fragen der Rüstungskontrolle, der Konfliktprävention und -bearbeitung, ferner des Völkerrechts und bei Gender-Aspekten. Regional bezog sich die Mehrzahl der Anträge auf Europa, insbesondere den Balkan. Unter den Vorhaben finden sich eine Großkonferenz und acht Tagungen sowie im Rahmen der Durchführung der Forschungsprojekte 19 weitere Tagungen, Workshops und Lernwerkstätten. Gefördert wurden schließlich im Rahmen der Kleinprojekte acht Publikationen…

Mit der DSF besitzen Wissenschaft und Politik in Deutschland erstmals ein »Instrument«, Friedensforschung und friedenswissenschaftlichen Nachwuchs in konzentrierter Weise zu fördern. Allerdings ist das Stiftungskapital der DSF – gegenwärtig – noch immer sehr begrenzt.

Anmerkungen

1) Herzog, Roman: Demokratie als Friedensstrategie. Reden und Beiträge des Bundespräsidenten, herausgegeben von Dieter S. Lutz, Baden-Baden 1997, S. 184.

2) Vgl. dazu: Lutz, Dieter S.: Krieg und Frieden als Rechtsfrage im Parlamentarischen Rat 1948/49, Baden-Baden 1982.

Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz ist Direktor des Hamburger Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik (IFSH).

Friedens- und Konfliktforschung politisieren

Friedens- und Konfliktforschung politisieren

von Peter Strutynski

„Bemerkenswert“ fand es sicher nicht nur der Kasseler Friedensforscher Peter Strutynski, „dass im Programm der AFK-Jahrestagung kein einziges Referat überschrieben war mit dem Titel: »Der 11. September und die Friedensforschung« oder »Die Folgen des 11. September für die Friedenswissenschaft« oder etwas Derartigem“. Für ihn zeugt das „Festhalten an dem Generalthema der Tagung »Macht Europa Frieden?« von einer akademischen Abgeklärtheit“, die notwendig zu sein scheint, „um tagespolitischen Aufgeregtheiten zu trotzen und sich nicht den Medien und der herrschenden Politik (…) zu unterwerfen.“ Gleichzeitig warf er aber die Frage auf nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik und wies darauf hin, dass sich die Friedenswissenschaft seit ihrer Etablierung zu Beginn der 70er Jahre explizit politisch verstanden habe, „als politischer Faktor, der auf staatliche Akteure mittels wissenschaftlicher Expertise und gesellschaftlicher Bewegung Druck auszuüben versuchte.“ In einem zweiten Teil seines Referates (den wir hier dokumentieren) setze er sich dann mit dem Selbstverständnis der Friedenswissenschaftler/innen heute auseinander.
Das letzte Jahrzehnt, insbesondere die Beendigung des Ost-West-Konflikts und damit das Ende einer ganz besonderen weltpolitischen Konstellation, hat die Zunft der Friedensforschung gründlich durcheinander gerüttelt. Der Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen – es hat ihn gegeben, auch wenn vielleicht die neuen Paradigmen noch nicht verfügbar, geschweige denn allgemein akzeptiert sind – fällt zusammen mit einem sichtbaren Generationswechsel der wissenschaftlichen Akteure. Jüngere Fachvertreter zeichnen sich manchmal durch ein sehr viel pragmatischeres Herangehen etwa an Fragen des Völkerrechts aus. In Jahrzehnten gereifte Überzeugungen in Sachen Gewaltverbot, souveräne Gleichheit aller Staaten, territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit von Staaten (alles Grundsätze nach Artikel 2 der UNO-Charta) verlieren an Bedeutung gegenüber der Betonung weltgesellschaftlicher Prinzipien wie die universellen Menschenrechte, deren Durchsetzung nicht mehr an die Grenzen eines Staates gebunden sein soll. Dieses Rütteln an den Grundfesten des Völkerrechts findet durchaus seine Entsprechung in der Praxis der Staaten sowie überraschenderweise auch der Vereinten Nationen selbst.

Norman Paech und Gerhard Stuby (2001, S. 553 ff) haben anhand der Karriere des Begriffs der »humanitären Intervention« in verschiedenen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats in den 90er Jahren gezeigt, dass sich die Vereinten Nationen vom zweiten Golfkrieg über Somalia und Haiti bis zur NATO-Intervention in Jugoslawien auf einer abschüssigen Linie befinden, an deren Ende dereinst das strikte Gewaltverbot zu existieren aufgehört haben wird. Nicht nur von der Bundesregierung (bei ihrem Antrag zur Beteiligung am US-Krieg »Enduring Freedom«), sondern auch von vielen Völkerrechtlern werden die UN-SR-Resolutionen 1368 und 1373 (2001) zu den Terroranschlägen des 11. September als Kriegsermächtigung gegen Afghanistan gewertet – eine gewagte Interpretation, die aber, sollte sie Schule machen, zur weiteren Aushöhlung des Völkerrechts führen wird.

So wie der Kalte Krieg den friedenswissenschaftlichen Diskurs und die Haltung der daran Beteiligten geprägt hat, wird auch die neue politische Realität der post-bipolaren Ära nicht ohne Wirkung bleiben. Friedensforscher/innen stellen sich auf unterschiedliche Weise auf die neuen Gegebenheiten ein. Ich möchte dies an drei kurzen Beispielen erläutern.

Zur FR-Diskussion über den Brief von Lutz/Mutz an den Deutschen Bundestag

Stefanie Christmann analysierte in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau (FR, 24.04.01), dass die Bundestagsdebatten vor und während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien von einer „Realitätsverweigerung“ vieler Abgeordneter gekennzeichnet gewesen seien. Am 16. Oktober 1998 habe der Bundestag im „scheinbar virtuellen Raum“ vor allem darin gewetteifert, „sich gegenseitig guten demokratischen Stil zu bescheinigen“. Der Gedanke an den militärischen Ernstfall sei von den meisten Abgeordneten – zumal nach dem Verhandlungsergebnis zwischen Holbrooke und Milosevic – „weit von sich“ geschoben worden. Und die Debatten während des Krieges waren von Bildern bestimmt: dokumentarischen Bildern von endlosen Flüchtlingsströmen an der Grenze zu Makedonien und imaginären Bildern von „Deportationen“, „Massakern“, „KZs“ und „bestialischen Tötungen von Frauen, Kindern und Föten“. Die wenigen Kriegsgegner, die überhaupt Rederecht erhielten, wurden wie die außerparlamentarische Friedensbewegung der Kollaboration mit Milosevic bezichtigt; Gregor Gysi musste sich von Außenminister Fischer sogar als „Weißwäscher der Politik eines neuen Faschismus“ beschimpfen lassen. Gerade weil in einer solch emotionalisierten Atmosphäre keine rationale Diskussion gedeihen konnte, wäre eine Aufarbeitung der Informations- und Desinformationspolitik der Bundesregierung bzw. der NATO aus der historischen Distanz und unter Berücksichtigung aller bis dahin bekannt gewordenen »dirty secrets« dringend nötig gewesen.

Dies war für die Hamburger Friedensforscher Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz auch der Grund für einen Offenen Brief, den sie am 2. Jahrestag des Kosovo-Kriegs an die Bundestagsabgeordneten schickten (FR, 24.03.2001). Darin forderten sie

  • die Durchführung eines Bundestags-Hearings zur Aufarbeitung des Krieges,
  • die Einsetzung einer Kommission des Rechtsausschusses des Bundestags, an deren Ende eine umfassende rechtliche und rechtsethische Würdigung des NATO-Kriegs stehen könnte, und
  • dass mit Unterstützung der Medien von Seiten des Bundestages, aber auch der Bundesregierung eine Serie öffentlicher Diskussionsveranstaltungen durchgeführt wird, in denen Lehren aus dem Krieg gezogen werden sollten.

Auf diese vergleichsweise moderaten Vorschläge antwortete wenig später der SPD-Abgeordnete Gernot Erler, in seiner Fraktion zuständig für Internationale Politik. Seine Zurückweisung des Briefs der Friedensforscher unterschied sich kaum von der Polemik, die seinerzeit im Bundestag gegen die Kriegsgegner betrieben worden war. Den Friedensforschern wurde ihre wissenschaftliche Seriosität abgesprochen, ihnen wurde vorgeworfen, sich nachträglich in den Dienst einer gezielten „Kampagne“ gegen den Krieg und gegen die Bundesregierung zu stellen, mit „fragwürdigen“ Mitteln und mit „Tricks“ zu arbeiten, ihnen wurde „hartnäckige Ignoranz“ bescheinigt und am Ende wurde insbesondere noch einmal der Verschlag von Lutz/Mutz für ein Bundestags-Hearing zurückgewiesen, „in denen Sie Ihren Hang zu öffentlichen Tribunalen austoben könnten“. (Erler 2001)

Der Briefwechsel – wir haben die ganze Debatte auf der Homepage des Kasseler Friedensratschlags dokumentiert (http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/NATO-Krieg/fr-debatte.html) – verdeutlicht die abgrundtiefe Kluft, die zwischen der kriegs- und interventionskritischen Friedensforschung und der herrschenden Politik besteht. Wenn es um Krieg oder Frieden und wenn es um die moralische Rechtfertigung von Kriegen geht, hört die Gemütlichkeit der dafür Verantwortlichen auf.

Zur Pazifismus-Diskussion

Dies lässt sich auch an der so genannten Pazifismus-Debatte zeigen, die der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Ludger Volmer vor kurzem losgetreten hat. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Auseinandersetzung um Volmers Thesen durchaus Gewinn bringend für den Selbstverständigungsprozess der Friedensforschung sein kann. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass es sich hier nicht um eine rein ethische Diskussion handelt, sondern dass es um unterschiedliche Politikentwürfe für die Gestaltung der internationalen Beziehungen der Zukunft geht. Volmer relativiert den Pazifismus-Begriff bis zur unbegrenzten Vieldeutigkeit, indem er jeder möglichen historischen Situation einen spezifischen Pazifismus-Inhalt unterschiebt. Da gab es den „politischen Pazifismus der frühen Sozialisten“, den Ohne-Mich-Pazifismus der Nachkriegszeit, den antiimperialistischen Pazifismus der Vietnam-Generation, den „Nuklear-Pazifismus“ der 80er Jahre und es gab den OSZE- und EU-Pazifismus der 90er Jahre. Alle waren sie unterschiedlich motiviert, alle hatten andere soziale und politische Träger und Adressaten und alle hatten für ihre Zeit ihre Berechtigung. Aber eben nur für ihre Zeit. Denn gemeinsam ist diesen vielen historischen Pazifismen nach Auffassung Volmers, dass keiner von ihnen eine Antwort auf die heutigen Bedrohungen bereit hält.

Heute müsse ein neuer Pazifismus zum Tragen kommen. Den nennt Volmer den „politischen Pazifismus“. Er definiert ihn folgendermaßen: „Einsatz für das Primat der Politik und die Unterordnung militärischer Schritte unter politische Strategien, für die zentrale Rolle der Vereinten Nationen, die Geltung des humanitären Kriegsvölkerrechts und die Verhältnismäßigkeit der Mittel, für humanitäre Hilfe und Menschenrechte, für Auswärtige Kulturpolitik und den Dialog der Kulturen, für Entwicklungshilfe und Institutionenbildung, für global governance und eine internationale Strukturpolitik, die auf globale Gerechtigkeit zielt.“

In dieser Anhäufung von Begriffen aus dem Vokabular der Friedens- und Konfliktforschung verschwinden die »militärischen Schritte« zu einem unbedeutenden Rest; sie werden zu einer fast vernachlässigbaren Größe. Vergleicht man indessen die realen Aufwendungen, die für die UNO, für humanitäre Hilfe, für auswärtige Kulturpolitik (Wie viele Goethe-Institute sind in der Ära Fischer aus Geldmangel schon geschlossen worden?), für Entwicklungshilfe oder für »global governance« ausgegeben werden, mit den Mitteln, die in Rüstung, Militär und Krieg gesteckt werden, so drehen sich die Größenverhältnisse geradezu um. Auch kann schwerlich vom Krieg als »ultima ratio« gesprochen werden, wenn man sieht, wie die Bundesregierung bemüht ist, fast jede sich bietende Gelegenheit zur Intervention beim Schopf zu ergreifen. Das fast schon peinliche Andienen von Bundeswehreinheiten für den US-Krieg in und um Afghanistan im Oktober und November letzten Jahres war nicht gerade eine Meisterleistung beim Kampf um die „Prima Ratio, die zivilen Mittel der Krisenprävention“, die Volmer für sein Konzept des politischen Pazifismus reklamiert.

Und Ludger Volmer bemüht noch andere Versatzstücke der friedenswissenschaftlichen Diskussion. Das nimmt auch nicht Wunder, kennt er sich in dem Laden doch ganz gut aus! „Politischer Pazifismus“ – ich übersetze: militärischer Interventionismus – trage zur »Globalisierung« der Sicherheitspolitik bei und würde somit nur nachvollziehen, was „in Wirtschaft und Umweltfragen längst unser Bewusstsein bestimmt.“ Beim „Kampf gegen den Terror“ – ich übersetze wieder: beim Krieg in Afghanistan – habe die internationale Staatengemeinschaft, „legitimiert durch die Vereinten Nationen“, „ansatzweise im Sinne einer Weltinnenpolitik gehandelt“. Und dann fragt er in seiner himmelschreienden Unaufdringlichkeit: „Doch war es nicht Weltinnenpolitik, was Pazifisten wollten?“ – Nun ist die Friedensforschung nicht dafür verantwortlich, dass eloquente Politiker sich ihrer Begriffe bedienen und sie dabei bis zur Unkenntlichkeit umdeuten. Wir sollten uns aber schon die Frage stellen, ob bestimmte Begriffe – ich nenne neben der »Weltinnenpolitik« die »Zivilgesellschaft« und das »global governance« – von uns auch wirklich genügend durchdacht und konkretisiert wurden, sodass sie einem Zugriff von der falschen Seite besser standhalten.

Harald Müller, der Leiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, hat in der Debatte um die Volmer-Thesen inhaltlich dessen Position eingenommen. Er sei kein Pazifist und teile hinsichtlich des militärischen Eingreifens in Afghanistan die „Bewertung von Staatsminister Volmer“ – auch Müller vermeidet den Ausdruck »Krieg« (Müller 2002). In seiner Argumentation allerdings werden überwiegend Bedenken gegen Militärinterventionen geäußert. Insbesondere stellt er fest, dass der vermeintliche „Nexus zwischen Demokratie und Frieden“ die Tendenz habe sich aufzulösen. Denn einmal werde die Kriegsschwelle der Demokratien dadurch gesenkt, dass der Universalismus der Menschenrechte ein „mächtiger Feindbildproduzent“ geworden sei. Zum Zweiten neige die moderne Kriegführung zu ihrer perfekten Inszenierung; die Medien wirkten durch die Personalisierung der Gegnerschaft am Entwurf eines „wirkungskräftigen Feindbilds“ mit. Und zum Dritten würden die Parlamente durch die Exekutiven systematisch in „Entscheidungszwangslagen“ gebracht, sodass eine unabhängige Prüfung des Regierungshandelns kaum noch möglich sei. Da dies so sei, komme der „pazifistischen Kritik“ heute eine umso größere Bedeutung zu: Sie „zwingt die Befürworter der humanitären Intervention dazu, die Messlatte sehr hoch zu legen, bevor sie die Gewaltanwendung befürworten.“ Nur wenn man böswillig ist, könnte man gegen Müllers Position einwenden: Da wird der Pazifist als Pflichtverteidiger in einem letztlich aussichtslosen Verfahren gebraucht, als advocatus pacis sozusagen, der die Kriegsbefürworter nicht vom Krieg abhalten soll und kann, sie aber zwingt, die Begründung für den Krieg »wasserdicht« zu machen. Übrig bleibt die auch vom Pazifisten verlangte Akzeptanz des gesprochenen Urteils, im Zweifelsfall also die Entscheidung für eine »demokratische Intervention«. (In dem Bericht des AFK-Vorstands wird der Begriff des »demokratischen Interventionismus« gebraucht, zwar in Anführungsstrichen, aber ohne erkenntliche Distanzierung. Ich vermag in diesem Begriff keine Verbesserung gegenüber dem »humanitären Interventionismus« zu erblicken. In beiden Fällen beißt sich das positiv besetzte Adjektiv mit dem pejorativen Klang des Substantivs.)

Zur Diskussion um Expertenräte

In den letzten Jahren sind wiederholt Vorschläge gemacht worden, die den offenkundigen Defiziten der parlamentarischen Demokratie in Sachen Partizipation beikommen wollen. Dabei gibt es zwei Richtungen: Die einen wollen mehr Partizipation bei der politischen Willensbildung durch eine Ausweitung von Elementen der unmittelbaren Demokratie, etwa durch die Einführung von Volksbegehren bis hin zum Volksentscheid auf Bundesebene. Ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen, halte aber diesen plebiszitären Ansatz für bedenkenswert und für eine Demokratie eigentlich auch für längst überfällig.

Der andere Weg ist verschlungener und meiner Meinung nach kritischer zu bewerten, obwohl auch er auf den ersten Blick sympathisch ist. Ich meine die Forderung nach der Einrichtung einer Art »Dritter Kammer«, die seit geraumer Zeit von Mohssen Massarat vorgetragen wird (vgl. z.B. Massarat 2000). Ausgangspunkt für sein Konzept ist die gesellschaftskritische Diagnose, dass die repräsentativen »Elitedemokratien« für die Lösung der Gegenwartsprobleme nicht nur überfordert seien, sondern systematisch selbst immer neue Probleme hervorbrächten. Dies liege u.a. daran, dass der im Parlamentarismus des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte Zwang zum Kompromiss zwar gut gewesen sei bei Fragen der Wohlfahrtsverteilung, bei existenziellen Entscheidungen mit langfristigen Folgewirkungen sich aber als untauglich erweise. Wenn sich z.B. die Nutzung der Atomenergie als Irrweg herausgestellt hat, sei es unsinnig einen Kompromiss dergestalt einzugehen, dass man nun weniger Atomenergie produziert. Massarat nennt dies das »Kompromissdilemma«. Ein zweites Strukturdefizit moderner Demokratien liege darin, dass der klassische Politiker – vom Parteitagsdelegierten bis zum Parlamentsabgeordneten – die Folgen seiner Entscheidungen in zahlreichen komplexen Politikfeldern gar nicht mehr nachvollziehen könne. Da er dennoch entscheiden müsse – dafür sei er schließlich gewählt – entscheide er vorwiegend nach Loyalitätsgesichtspunkten. Dies liefere ihn unweigerlich an die »Expertokratie« aus und entwerte somit sein demokratisches Mandat, nach Massarat das »Komplexitätsdilemma«. Drittens schließlich habe die Elitedemokratie keine überzeugenden Lösungskonzepte zur Überwindung der globalen Gegenwartsprobleme wie Armut, Umweltzerstörung, Krieg und Massenarbeitslosigkeit. Die nationalstaatliche Demokratie werde mit diesem »Nachhaltigkeitsdilemma« nicht fertig.

Einen Ausweg aus diesen drei Dilemmata sieht Massarat nur in einer Stärkung der zivilgesellschaftlichen Nichtregierungsorganisationen und Bewegungen. Sie seien die »Dritte Kraft« und neues »Subjekt« zukunftsfähiger Reformen. Um diesen Bewegungen einen angemessenen Artikulationsrahmen und erweiterte Partizipationschancen einzuräumen, sollten themenspezifische »Dritte Kammern« eingerichtet werden, die sich – „an der Nahtstelle zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen etablierten Institutionen (…) und der Zivilgesellschaft neben dem Parlament und dem Bundesrat“ – um „wichtige gesellschaftliche Politikfelder“ kümmern sollen. Die Kammern – für jedes Politikfeld sollte eine eigene Kammer bestehen – sollen ähnlich wie der Bundesrat über „Einspruchs- und Interventionsoptionen“ verfügen.

Dieter S. Lutz hat sich ebenfalls für eine »Dritte Kammer« ausgesprochen (Lutz 2002). Er nennt sie »Zukunftsrat« und stellt sich darunter ein Expertenparlament vor, das neben dem »Generalistenparlament« existieren solle. „Unabhängige und renommierte Experten“ müssten seiner Ansicht nach „mit den Hoheitsrechten für existenzielle Menschheitsfragen“ ausgestattet werden, auf Bundesebene und auf der Ebene der 16 Bundesländer.

So überzeugend bei Lutz und Massarat die Diagnose der Gebrechen der Patientin »parlamentarische Demokratie« ausfällt, so fraglich ist deren Therapie. Ein Expertenrat, der sich weit gehend aus hochkarätigen Wissenschaftlern und einer Anzahl NGO-Vertreter zusammensetzt, garantiert noch lange keine wirklich zukunftsfähigen Entscheidungen. Darf man denn davon ausgehen, dass sich die »Experten« in ihren Empfehlungen immer für das »Richtige«, also für ökologische Nachhaltigkeit, Frieden und weltweite Gerechtigkeit entscheiden? Warum sollte bei den Wahlen zu den Zukunftsräten etwas anderes heraus kommen als bei den Wahlen zu den Parlamenten? – Ein wenig kommt es mir vor, als würde hier der Versuch gemacht, aus lauter verständlichem Frust über Rot-Grün hinter deren Rücken doch noch zum Ziel zu kommen. Das wird nicht funktionieren, weil Parlament und Exekutive ihre Entscheidungsmacht nicht aus der Hand geben werden. Wer die Politik auf den höchsten Ebenen verändern will, braucht keine neuen Gremien, sondern eine neue Politik. Und die muss von unten wachsen und von neuen und alten sozialen und politischen Bewegungen getragen werden. Umso besser für die Bewegungen, wenn sich in ihnen die viel beschworenen Experten ebenfalls engagieren. Pierre Bourdieu verlangt von den Wissenschaftlern, dass sie „an der kollektiven Erfindung der kollektiven Strukturen eines erfinderischen Geistes“ arbeiten, „dem eine neue soziale Bewegung entspringen kann. Das heißt, sie müssen neue Inhalte aufzeigen, neue Ziele formulieren und die neuen Mittel für internationale Aktionen entwickeln.“ (Bourdieu 2002)

Empfehlungen

Ob als Wissenschaftler, die sich der Friedensforschung verschrieben haben, oder als Staatsbürger, die sich in der Friedensbewegung engagieren: Wir kommen nicht daran vorbei, an der Veränderung von Bewusstseins-, Verhaltens- und Machtstrukturen arbeiten zu müssen. Für die AFK und für das Verhältnis von AFK zur Friedensbewegung – das ich mir gern als ein Binnenverhältnis denke – könnte das neben dem bereits Gesagten Folgendes bedeuten:

  • Ich wünsche mir häufiger politische Stellungnahmen der AFK zu außen- und sicherheitspolitischen Fehlentwicklungen. Je aktueller bzw. frühzeitiger solche Positionen formuliert und in Kreisen der »Zunft« sowie der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, desto besser. Der Vorstand der AFK braucht sich dann keine allzu großen Sorgen um die Befindlichkeiten der Mitglieder zu machen, wenn er sich dabei auf den vermutlich großen Bereich konzentriert, in dem unter den Mitgliedern Konsens besteht. Kontroverse Positionen können ruhig auch benannt werden. Sie dürfen allerdings das Hauptanliegen der Stellungnahme nicht verwässern.
  • Die AFK bzw. ihre Mitglieder sollten von sich aus den Kontakt zur Friedensbewegung suchen und herstellen und sich als Gesprächspartner anbieten. Friedensforscher haben der Friedensbewegung viele Informationen, Daten und analytische Einsichten voraus; die gilt es unters Volk zu bringen – das gilt übrigens vor allem auch für jene Wissenschaftler, welche die Friedensbewegung aus politischen Gründen mit einer gewissen Reserviertheit betrachten: Gerade wenn man sich – wie Harald Müller – über „pazifistischen Starrsinn“ ärgert, müsste man doch interessiert sein, den Starrsinn mit fundierten Informationen zu erschüttern. Und der Friedensbewegung schadet es überhaupt nicht, wenn sie mit differenzierten und abweichenden Positionen konfrontiert wird.
  • Der engere Kontakt zur Friedensbewegung könnte auch den einen oder die andere Wissenschaftlerin dazu veranlassen, über die Art der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse nachzudenken. Ich beobachte einen ungebrochenen Hang zur Geheimsprache, zur Abstraktion und zur Verliebtheit in originelle, aber oftmals unwesentliche Theorievarianten. Sprache kann auch Mauern errichten, die den Wissenschaftler von der Gesellschaft trennen. Lassen wir zum Schluss noch einmal Pierre Bourdieu zu Wort kommen: „Es ist ein absolut gültiger Grundsatz, etwas, was man für eine Entdeckung hält, zuerst der Kritik der Kollegen auszusetzen, aber warum sollte das kollektiv erworbene und kollektiv überprüfte Wissen ihnen allein vorbehalten bleiben?“

Literatur

Pierre Bourdieu (2002): Für eine engagierte Wissenschaft. In: Le Monde diplomatique, Februar 2002, S. 3

Gernot Erler (2001): Antwort auf den Offenen Brief der Friedensforscher Lutz und Mutz vom 11. April 2001. ((www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/NATO-Krieg/erler.html)

Dieter S. Lutz (2002): Ist die Demokratie am Ende? In: Frankfurter Rundschau, 14. Januar 2002

Dieter S. Lutz, Reinhard Mutz (2001): „Mehr Probleme als Lösungen, mehr Fragen als Antworten“. Offener Brief an die Bundestagsabgeordneten vom 24. März 2001. (www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/NATO-Krieg/lutz-mutz.html)

Mohssen Massarat (2000): Dritte Kammern. Weniger Staat – mehr Zivilgesellschaft. Ein Schritt zur nachhaltigen Demokratie. In: Universitas, Februar 2000, S. 185-197

Harald Müller (2002): Stachel im Fleisch der Selbstgerechten. In: Frankfurter Rundschau, 24. Januar 2002

Norman Paech, Gerhard Stuby (2001): Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. Ein Studienbuch, Hamburg

Ludger Volmer (2002): Was bleibt vom Pazifismus? In: Frankfurter Rundschau, 7. Januar 2002

Ulrike C. Wasmuht (1997): Aktuelle Herausforderungen an die Friedens- und Konfliktforschung. In: Wolfgang R. Vogt (Hrsg.): Gewalt und Konfliktbearbeitung. Befunde, Konzepte, Handeln, Baden-Baden, S. 55-75

Dr. Peter Strutynski lehrt an der Uni Kassel und ist Sprecher des »Bundesausschusses Friedensratschlag«

Militarisierung der Außenpolitik?

Militarisierung der Außenpolitik?

Zur zukünftigen internationalen Rolle der Bundesrepublik

von Friedens- und KonfliktforscherInnen

Persönlichkeiten aus der Friedensforschung und der Politik haben sich mit folgenden »12 Thesen über falsche und richtige Zielpunkte für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik« an die Öffentlichkeit gewandt und eine Diskussion eingefordert.
Mit der Entscheidung des Deutschen Bundestags am 16. November 2001 über den Einsatz deutscher Streitkräfte im »Krieg gegen den Terror« – der Krieg, der von der US-Administration zur militärischen Durchsetzung und Sicherung langfristiger strategischer Ziele benutzt wird – ist der Weg zu einer neuen deutschen Militärdoktrin geöffnet worden, die eine qualitativ neue globale Rolle der deutschen Außenpolitik und damit der Bundesrepublik Deutschland einleitet:

Indem als ständiges potenzielles Einsatzgebiet der Bundeswehr, insbesondere auch der Bundesmarine, neben dem NATO-Gebiet nicht nur die unmittelbare europäische Randzone, sondern auch der gesamte Raum „arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika, sowie die angrenzenden Seegebiete“ festgelegt wird und dies offensichtlich auch zum Zweck der Absicherung einer profitablen Nutzung von Naturressourcen (Öl) in diesem Raum, reiht sich die Bundesrepublik uneingeschränkt in die westliche Global-Strategie der massiven militärischen Ressourcen-Zugangssicherung ein.

Für die zur Zeit einzige Supermacht USA und für die weiterhin an ihre Geschichte als Kolonialmächte und an ihre globalen Interessen gebundenen europäischen Nuklearmächte mag diese Strategie gegenwärtig als »normale Politik« erscheinen. Die deutsche Außenpolitik verspielt mit einer solchen Militärdoktrin wesentliche Spielräume für deutsche Vermittler- und Brückenfunktionen, die im europäischen und im deutschen Interesse liegen und die angesichts der Gefahren sich zuspitzender Konfrontationen für alle Seiten von wachsender Bedeutung sind.

Die derzeitige internationale Entwicklung ist geprägt durch fortschreitende Aushöhlung und Destruktion der Grundlagen unserer internationalen Ordnung: durch global wachsende Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik (zunehmendes Gewicht militärischer Machtprojektion), durch Aushöhlung und Zerstörung von Völkerrecht (z.B. des UN-Gewaltmonopols, des internationalen Kriegsrechts), durch gravierenden Bedeutungsverlust der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen. Neoimperiale Tendenzen werden sichtbar.

Die Alternative zu dieser Entwicklung heißt: gemeinsame Sicherheit aus gegenseitigen Dependenzen, organisiert in durch Interessenausgleich ermöglichten Partnerschaften und in regionalen Sicherheitssystemen. Die Bundesrepublik kann diese Alternative entscheidend fördern, wenn sie klar und führend als Zivilmacht erkennbar ist, in und für Europa und weit darüber hinaus.

Eine so definierte Außen- und Sicherheitspolitik erfordert grundsätzliche politische Entscheidungen über ihre Zielpunkte und ihre Prioritäten:

1. Leitbild für die zukünftige internationale Rolle der Bundesrepublik Deutschland darf nicht die »normale Mittelmacht« mit globalem Ehrgeiz sein, wie sie Großbritannien und Frankreich darstellen. Deutschland darf auch nicht wegen Fehlens eines klaren Rollenkonzepts in eine solche »Normale-Mittelmacht«-Rolle hineinschliddern. Eine solche Rolle wird aber inzwischen zunehmend von deutschen politischen Kräften angestrebt.

2. Leitbild für die zukünftige internationale Rolle der Bundeswehr kann deshalb nicht eine Bundeswehr mit globalen Fähigkeiten sein. Mögliche Einsatzgebiete der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bereichs müssen beschränkt werden auf Europa und – unter klar definierten Voraussetzungen – auf die unmittelbaren Randzonen Europas (Mittelmeer einschließlich Mittelmeerküsten). Ausnahme: Beteiligung der Bundeswehr an UN-Blauhelmeinsätzen (weltweit). Die Bundesrepublik benötigt keine global einsatzfähige Hochseeflotte und keine Marineinfanterie für Kampflandungen gegen fremde Küsten. Die gegenwärtige Planung für eine große global-fähige Lufttransportflotte muss wesentlich nach unten korrigiert werden.

3. Die Bundesrepublik Deutschland muss auch allen langfristig möglichen Wegen, die nukleare Teilhabe Deutschlands zu erweitern oder Deutschland sogar auf den Rang einer »normalen« Kernwaffen-Macht zu heben, eindeutig absagen.

4. Von der Geschichte nicht nur des 20.Jahrhunderts, von der zentraleuropäischen Lage und vor allem von den jetzt anstehenden internationalen Sicherheitsproblemen her ist die Kernaufgabe deutscher Außen- und Sicherheitspolitik heute: Aufbau und Stärkung von deutschen, europäischen und außereuropäischen Vermittlungs- und Brückenfunktionen, von zivilen Konfliktlösungspotenzialen.

5. Übergeordneter Zielpunkt der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und vorrangiges Einsatzgebiet der Ressourcen deutscher Außenpolitik (das sind Personal, Finanzmittel, Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen, Beratungstätigkeit, Vertrauensbildung) muss – neben der Wahrung unmittelbarer deutscher Interessen – die Errichtung und Unterstützung von regionalen Sicherheitssystemen sein, um die Politik militärischer Interventionen durch einen »Welthegemon« überwinden zu können, also: Aufbau der dafür erforderlichen Institutionen: Rechtsentwicklung, zugehörige internationale politische Rahmenstrukturen, regionale Mediationsinstrumente, zivile Friedensdienste, regionale Gerichtsbarkeit und Sanktionsstrukturen, einschließlich regionaler/internationaler Polizei, Personalaufbau.

6. Die Bundesrepublik sollte ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht in Europa, insbesondere in der Europäischen Union, nutzen, um in Europa diejenigen politischen Kräfte und Regierungen zu ermutigen, die bereit sind, dem Aufbau und der Förderung regionaler Sicherheitssysteme Priorität zu geben. Die Anstrengungen für die Errichtung von »Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit« im Mittelmeerraum und im Gebiet Mittlerer Osten/Mittelasien müssen wesentlich verstärkt werden.

7. Die Bundesregierung muss eine breite internationale Initiative für die Revitalisierung und Weiterentwicklung der UNO einleiten, auch damit endlich beschleunigt Wege zu einem auf Dauer gerechteren internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem zugunsten der Dritten Welt beschritten werden können.

8. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik muss mit allen Kräften der fortschreitenden Aushöhlung und dem Zerfall des Völkerrechts, insbesondere des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen, entgegenwirken. Die Grenze zwischen Krieg und Bekämpfung von internationalem Terrorismus muss erhalten bleiben. Selbstmandatierung darf nicht internationales Gewohnheitsrecht werden. Es kann nicht sein, dass sich die UNO zur Reparatureinrichtung für den durch Militärinterventionen entstandenen Schaden entwickelt.

9. Die Finanzmittel für die zivile Komponente der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik müssen wesentlich erhöht werden. Erforderlich ist eine kritische Bestandsaufnahme aller Aktivitäten und Ressourcen. Dazu gehört auch eine transparente Grob-Bilanzierung der finanziellen Kosten-Nutzen-Verhältnisse bei Entwicklung, Aufbau und Einsatz einerseits von zivilen Mitteln (klassische Außenpolitik bis zu Szenarien moderner Konfliktprävention), andererseits von unterschiedlichen militärischen Mitteln (einschließlich Kriegs- und Wiederaufbaukosten). Notwendig ist daran anschließend eine Überprüfung der Reformkonzepte für die Bundeswehr.

10. Betrachtet man den Gesamtaufwand, den die Bundesrepublik heute für Diplomatie, Finanzierung internationaler Institutionen, Kreditfinanzierung von Wiederaufbau, die Entwicklungshilfe und die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen treibt, zeigt sich, dass Deutschland sich stärker als andere vergleichbare Staaten für zivile Stabilitätsförderung engagiert. Diese Tatsache ist unserer politischen Elite nicht hinreichend bewusst. Damit erhöht sich die Gefahr, dass sich die Bundesrepublik auf einen Kurs steigender Militarisierung der Außenpolitik begibt.

11. Wir brauchen endlich die öffentliche Diskussion über die heute realistischen – zivilen und militärischen – Bedrohungsszenarien, über die als Antwort auf diese Bedrohungen tatsächlich angemessenen und unangemessenen sicherheitspolitischen Konzepte und Instrumente, über ihre möglichen Konsequenzen, über die zu mobilisierenden Ressourcen und über die Entwicklung des Völkerrechts.

12. Diese Diskussion darf nicht absehen von der festen Einbindung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in den Rahmen der Europäischen Union, vom Aufbau der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Sie wird auch nicht davon absehen, dass die europäischen Staaten und die USA gegenseitig auf eine immer neu zu definierende partnerschaftliche Kooperation angewiesen sind. Aber die Kernfrage der Debatte lautet für den Bürger der Bundesrepublik: Wofür/wann/wo/unter welchen Bedingungen/auf welcher Rechtsgrundlage sollen deutsche Streitkräfte gegebenenfalls eingesetzt werden? Welche militärischen Fähigkeiten sind in diesem Rahmen notwendig? Was kann und muss der deutsche Beitrag zur zivilen Komponente der Sicherheitspolitik sein? Wenn dieser Debatte weiter ausgewichen wird, werden sicherheitspolitische und politische Schlüsselentscheidungen des Bundestages weiter mit sachfremden Begründungen gefasst werden (letztes Beispiel: Militär-Airbus A400M) mit der Folge eines weiter schrumpfenden Vertrauens der Bürger in das Parlament.

10. Februar 2002

Dr. Patricia Bauer (Mitglied des AFK-Vorstandes, Uni-Osnabrück); Dr. Michael Berndt (Politikwissenschaftler, FH Kassel); Dr. Ulrike Borchardt (Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Uni Hamburg); Horst Grabert (Staatssekretär im Kanzleramt und Botschafter a.D., Kleinmachnow); Dr. Jutta Koch (Lehrbeauftragte, FU Berlin); Andreas Kuhnert (MdL Brandenburg, Potsdam); Dr. Wilhelm Nolte (Oberstleutnant a.D., Hamburg); Dr. Walter Romberg (Finanzminister a.D., Teltow); Dr. Rolf Schmachtenberg (Berlin/Bonn); Dr. Lutz Schrader (Politikwissenschaftler, FU Hagen); Dr. Lutz Unterseher (Politikberater, Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik, Berlin); Roland Vogt (Landesvorsitzender Bündnis 90/Grüne Brandenburg, Potsdam).

Naturwissenschaftliche Zugänge zur Friedensforschung

Naturwissenschaftliche Zugänge zur Friedensforschung

von Wolfgang Liebert

Wissenschaftlich-technische Innovation heißt auch heute noch in weiten Bereichen zuallererst militärische Neuerungsmöglichkeit. Diese führte in der Ost-West-Konfrontation zu einem schier unausweichlich empfundenen Rüstungswettlauf, der die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte und auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der damit verbundenen zunehmenden Auflösung der antagonistischen Rüstungspartnerschaft erscheint die Rüstungsdynamik keineswegs gebrochen. Das alte Worst-Case-Denken des Kalten Krieges lebt fort und wird lediglich aktualisiert: »Ich muss technologisch immer mindestens einen Schritt vorausdenken, um damit allen möglichen GegnerInnen einen Schritt voraus zu bleiben.« So stehen die USA und mit ihnen das NATO-Bündnis zunehmend im Rüstungswettlauf mit sich selbst.
Anlässlich der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt am 9. März 2000 nahm Wolfgang Liebert vor o.g. Hintergrund zu den Aufgaben der Friedens- und Konfliktforschung Stellung. Der folgende Artikel gibt diese Ausführungen stark gekürzt wieder.

Durch die Erzeugung und Zurverfügungstellung modernster Gewaltmittel werden die Möglichkeiten politischer Macht irreversibel beeinflusst. Technologien, werden sie einmal beherrscht, sind nur schwerlich wieder zu verbannen, so sehr auch die Politik das Gegenteil hoffen mag. Das gefährliche Know-how geht einher mit dem Vorhandensein entsprechend ausgebildeter und sozialisierter Menschen und ExpertInnen und den zugehörigen institutionalisierten Strukturen. Das hat Rückwirkungen auf die Lebensgrundlagen der Gesellschaft selbst. Wir beobachten das in drastischer Weise im Bereich der Rüstungsdynamik und bei militärtechnisch geprägten Sicherheitsarchitekturen.

In der Friedens- und Konfliktforschung wird versucht, ein Gegengewicht gegen die Tendenzen aufzubauen. Das fällt strukturell schwer, stehen doch die finanziellen Ressourcen für die Forschung in Deutschland immer noch im Verhältnis 1:1000 im Vergleich mit dem übermächtigen Rüstungskomplex.

Aus unserer Perspektive ist wesentlich: Wir halten es für illusionär, darauf zu hoffen, dass politische Akte allein die nachhaltige Umkehr bewirken können. Im Vorfeld und begleitend müssen die technologische Dynamik und ihre Tiefenstruktur, die unser Bewusstsein prägen und mit den gesellschaftlichen Prozessen verbunden sind, genauso scharf in den Blick genommen werden. Gesellschaften stehen heute real ja gar nicht vor der Wahl, diese oder jene entwickelte Technologie zu nutzen. Mannigfache Vorprägungen sorgen für eine automatische Einführung fast jeder Technologie, die zur Verfügung gestellt werden kann. Demgegenüber ergibt sich im Bereich militärischer oder militärisch nutzbarer Technologie ein Regelungsbedarf auf Ebenen, die den Beschaffungs- oder Nutzungsentscheidungen vorgelagert sind; es besteht eine frühzeitige Gestaltungsnotwendigkeit im Vorfeld fertiger, nutzbarer Artefakte.

Carl Friedrich von Weizsäcker und seine Mitarbeiter haben vor gut 30 Jahren mit der Studie »Kriegsfolgen und Kriegsverhütung« darauf hingewiesen, dass „solange Machtpolitik getrennter Mächte und technischer Fortschritt zusammenwirken“ kaum ein Stillstand der Rüstung organisierbar ist. Dabei spielte die „Undurchschaubarkeit der technischen Weiterentwicklung“ eine wichtige Rolle und führte zu der Mahnung, nicht auf die Kriegsverhinderung durch Abschreckung zu vertrauen. Wir versuchen heute weiterzugehen mit unserem Anspruch, eine spezifische Ergänzung der bislang eher politik- und sozialwissenschaftlich geprägten Friedens- und Konfliktforschung zu leisten. Wir möchten mehr Durchschaubarkeit in der technologischen Dynamik erzeugen, mit dem Ziel, nicht lediglich technische Stabilisierungen des Status quo zu erreichen, sondern ein Zurückdrehen der Rüstungsspirale zu bewirken. Eine grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung ist nötig, um eine Präventionsstrategie zu entfalten, die nicht nur von Fall zu Fall reagiert, sondern auch umfassendere Lösungskonzepte anstrebt.

Aufgabe der Friedens- und Konfliktforschung (FuK-Forschung) insgesamt sollte es sein, gestörte, konfliktträchtige soziale Verhältnisse, seien sie innergesellschaftlich, zwischenstaatlich, global oder auch im Wechselverhältnis zur Natur anzusiedeln, zu analysieren mit dem Ziel, gerechte und Frieden stiftende Lösungen aufzufinden. Dabei sind vielfältige Aspekte zu berücksichtigen: politische und soziale Strukturen, Macht- und Hierarchieverhältnisse, sozialpsychologische Dynamiken, Gewaltpotenziale, wissenschaftlich-technische Triebkräfte und Sachverhalte, Interessenskonstellationen und anderes mehr.

FuK-Forschung muss zunehmend eine Frühwarnfunktion in Hinblick auf innergesellschaftliche, regionale oder globale Konfliktkonstellationen übernehmen. Formen der nicht-militärischen und gewaltfreien Konfliktaustragung müssen im Vordergrund stehen, da hier immer noch das unübersehbar große Defizit für zwischenstaatliches, gesamtgesellschaftliches und individuelles Handeln besteht.

FuK-Forschung muss sich der Praxis einer prospektiven und konstruktiven Friedenspolitik verpflichtet fühlen. Was für die Forschung insgesamt gilt, wird in der FuK-Forschung besonders deutlich: Die Subjektivität wissenschaftlicher Tätigkeit muss ernst genommen werden und sollte offengelegt werden. Ein normativer Orientierungsrahmen ist in der FuK-Forschung unvermeidbar und sogar notwendig.

Die Kompetenz der Forschenden darf sich dabei nicht nur im Beschreiben und Analysieren des Ist-Zustandes erweisen, sondern ebenso in einer Zukunftsorientierung, die Visionen des Soll-Zustandes klärt und gangbare Wege in diese Richtung aufzeigt. Das Bedienen der politischen Apparate mit sachdienlichen Fachinformationen allein steht im Widerspruch zu den vornehmsten Aufgaben einer nach vorne gerichteten FuK-Forschung, die von der Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Zustände ausgehen muss, um schließlich Wege in vernünftig sondiertes Neuland zu ermöglichen.

Natürlich ist es für die Friedensforschung erforderlich, eine Nähe zur Politik anzustreben, allerdings nicht im Sinne der Unterstützung für eine »Realpolitik«, die den Pragmatismus des Gewordenen pflegt oder unter Preisgabe von Idealen nur dem Erfolg Versprechenden nachläuft.

Die Aufgabe heutiger Friedensforschung sehe ich als eine transzendental-pragmatische: Mögliche Bedingungen für das Ziel des Friedens müssen gründlich analysiert werden und gangbare Wege dorthin aufgezeigt werden. Das alte Diktum, dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Krieg, muss in Zeiten ökologischer Krisen und angesichts der offensichtlichen Ungerechtigkeiten in der Welt sehr ernst genommen werden.

Ansätze der Forschung

Aus diesen Überlegungen ergeben sich aus unserer Sicht Notwendigkeiten für die Forschung.

Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung

Wir sehen Friedens- und Konfliktforschung als Teil einer transdisziplinär angelegten Nachhaltigkeitsforschung. Es geht darum, spezifische Hindernisse auf dem Weg in eine nachhaltigere und zukunftsfähige Entwicklung aus dem Wege zu räumen. Zukunftsfähige Entwicklung ist ein offener gesellschaftlicher Suchprozess. Im Bereich der FuK-Forschung geht es in aller Regel um ein vielfältiges Geflecht disziplinenübergreifender Fragestellungen politischer, gesellschaftswissenschaftlicher, sozialpsychologischer, zeitgeschichtlicher, pädagogischer, sozio-ökonomischer, völkerrechtlicher, naturwissenschaftlicher, technischer, ethischer Provenienz, um einige wesentliche Aspekte zu benennen. FuK-Forschung ist somit keineswegs mit einer etablierten politikwissenschaftlichen Teildisziplin, den »Internationalen Beziehungen«, zu identifizieren.

Wir verfolgen einen problem- und lösungsorientierten Ansatz in unserer Arbeit. Dabei ist weit über traditionelle disziplinäre Zugänge hinauszugehen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit wird dann Sinn stiftend, wenn bereits bei der Wahrnehmung und Definition anzugehender Problemlagen disziplinenübergreifend gearbeitet wird und ein ständiger Bezug darauf im Forschungsprozess ersichtlich wird. Wir nehmen das neue Wort der Transdisziplinarität auf, um deutlich zu machen, dass es nicht nur um die Integration von Problembewusstsein, relevanten disziplinären Perspektiven, gesellschaftlichen Bezügen und Lösungsorientierung in einer neuen Ausrichtung der Forschung geht, sondern auch um einen bewussten Reflexionsprozess, der auf die Themenstellungen und Bearbeitungsmodalitäten zurückwirkt. Dazu gehört die Verantwortung der Wissenschaft, eine kritische Haltung und Offenheit für eine Veränderung traditioneller Formen von Forschung und Lehre, die Generierung von Querschnittsthemenfeldern, die beständiger zu bearbeiten sind und nicht in additiv multidisziplinärer oder begrenzter interdisziplinärer Projektarbeit abbildbar sind. Beständigere Brücken über die traditionellen Disziplinengrenzen hinweg sollen geschlagen werden, die die vielfältigen relevanten Wechselbeziehungen in den Blick nehmen. Offensichtliche Problemstellungen müssen einerseits verstanden und tiefgehend analysiert werden, aber gleichzeitig sollen praktische Handlungsmöglichkeiten befördert werden.

Naturwissenschaftliche Schwerpunkte

Friedensforschung – wie in anderem Zusammenhang auch Technikforschung – steht in der Gefahr, neben einer Analyse allgemeinerer und gesellschaftswissenschaftlich definierter Zusammenhänge den notwendigen Bezug zur naturwissenschaftlich-technischen Basis der Sachthemen unterzubelichten. In vielen Fällen hat sich auch gezeigt, dass die naturwissenschaftliche Rüstungsforschung geradezu der Motor für militärtechnische Modernisierungsschübe und entsprechende militärstrategische Konzeptionen wurde – und nicht so sehr politische oder militärstrategische Vorgaben. Es zeichnet sich sogar ab, dass die Forschungs- und Technologieentwicklung insgesamt, auch die augenscheinlich zivile, zunehmend wichtig wird für militärische Innovationen. Die aktuelle Gefahr besteht, dass Schritte zur Abrüstung weiter mit einer qualitativen Aufrüstung einhergehen. Die neuen oder qualitativ verbesserten Waffensysteme, die in den nächsten Jahrzehnten eingesetzt werden sollen, werden bereits jetzt in den Forschungslabors vorbereitet.

Neuartige internationale Konfliktsituationen sind absehbar, die an die Verletzung einer Nachhaltigkeitsorientierung mit regionaler und globaler Wirkung gekoppelt sind. Es wächst die Gefahr, dass Umwelt- und Ressourcenkonflikte militärisch ausgetragen werden oder zumindest als Begründungsmuster militärischer Interessen herangezogen werden. Dies in ihren Ursachen und Folgen zu verstehen, sie zu entschärfen oder ohne Einsatz von Gewalt überstehen zu können ist für die Zukunft von lebenswichtiger Bedeutung. Auch hier ist die Verschränkung von sozialen und technikbedingten Faktoren der Konflikt- und Lösungskonstellation zu analysieren.

Eine unabhängige Forschung, die sich entsprechender Themenstellungen annimmt, ist in einigen wenigen Ländern bereits fest verankert, insbesondere in den USA und in skandinavischen Ländern. In Deutschland konnte sich ähnliches bislang kaum dauerhaft etablieren. Vielversprechende Ansätze in unserem Land werden nun vom Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit e.V. (FONAS) vertreten und der interessierten Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Abrüstung und präventive Rüstungskontrolle

Nach wie vor gibt es internationale Konflikte um die Abrüstung und Nichtverbreitung bzw. die Beibehaltung und Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen. Eine Fülle von Detailfragen ist zu bearbeiten, verbunden mit konzeptionellen Überlegungen. Der Bann der Biowaffen muss wasserdichter gemacht werden durch die Entwicklung und Implementierung angemessener Verifikationsmethoden. Das bislang erst teilweise erreichte internationale Verbot von Massenvernichtungswaffen muss umfassend durchgesetzt werden. Daher hat IANUS die Aushandlung einer Nuklearwaffenkonvention vorgeschlagen und an der Erarbeitung eines Entwurfes mitgewirkt, der nun in der UN zirkuliert. Es ist zu klären, wie Waffenstoffe unschädlich gemacht oder beseitigt werden können. Wie beschäftigen uns mit der besonders virulenten Frage nach dem Umgang mit den vorliegenden riesigen Plutoniummengen im militärischen wie im zivilen Bereich. Die Kontrolle und Begrenzung der Weiterentwicklung von Trägersystemen und Raketen sind bislang nur unzureichend entwickelt. Hierzu werden ebenfalls Vorschläge entwickelt.

In der Anfangsphase der bundesdeutschen Friedensforschung konnte Ekkehard Krippendorf 1968 noch formulieren, „dass Abrüstungsforschung strictu sensu ein totes Gleis von Friedensforschung“ darstelle. Heute kommen entscheidende Impulse zur Wiederbelebung der Abrüstungsforschung und Neudefinition der Rüstungskontrolle aus unseren naturwissenschaftlichen und interdisziplinären Kreisen. Wir versuchen, präventive Rüstungskontrolle als Antwort auf die alte, klassische Rüstungskontrolle aus der Zeit des Kalten Krieges zu konzeptionieren, die tatsächlich eher ein Konzept der Rüstungsbegrenzung durch kontrollierte Aufrüstung war. Wir wehren uns gegen die Umfunktionalisierung von scheibchenweiser Abrüstung und Rüstungskontrolle zum Instrument um den Status quo zu erhalten. Natürlich muss die positive Seite der klassischen Rüstungskontrolle erhalten bleiben: die Schaffung von Krisenstabilität zwischen atomar noch immer hochgerüsteten Staaten und ihren Bündnissystemen. Aber die Technologiedynamik muss an der Wurzel angegangen werden. Insbesondere muss endlich die qualitative militärische Fortentwicklung in den Griff bekommen werden, denn zunehmend überholt die technologische Fortentwicklung die Durchgriffskraft politischer Regelungen. Technologisch determinierte Rüstungswettläufe können nur unterbunden werden, wenn eine vorausschauende Analyse erfolgen kann und Eingriffsmöglichkeiten frühzeitig diskutiert werden.

Die strukturelle Frage ergibt sich, ob nicht Rüstungskontrolle, Abrüstung, Nichtweiterverbreitung sowie Kriegs- und Krisenprävention miteinander verkoppelt werden müssen. Präventive Rüstungskontrolle soll als Schritt in diese Richtung entwickelt werden.

Ambivalenz und Dual-use

Im Kontext der Rüstungskontrolle ist zu berücksichtigen, dass sich Tendenzen des bewussten Dual-use in der Forschungs- und Technologieförderung verstärken. War es früher in der bundesdeutschen Forschungspolitik der Versuch, verdeckt und intransparent – bei vergleichsweise kleineren Rüstungsforschungsetats – militärisch relevante Projekte über Umwegfinanzierungen und unter Nutzung einer breiter angelegten Grundlagenforschung zu stärken, so gibt es heute in der westlichen Hemisphäre weit verbreitete Bemühungen, mit dem Argument der Kostenersparnis eine frühzeitige Parallelität von zivilen und militärischen Entwicklungslinien und Techniknutzungskonzepten zu erzeugen. Damit werden neue, zivil-militärisch ambivalente Grauzonen im Forschungs- und Technologiebereich erzeugt, die genauer analysiert werden müssen und offenbar rüstungskontrollpolitische Bemühungen weiter erschweren.

Die Problematik wird dadurch verschärft, dass sich längst auch andere Länder die Dual-use-Strategie zu nutzen machen, die, unterstützt durch den weltweiten zivilen Technologie- und Wissenstransfer und in nachholender Eigenentwicklung, ebenso militärische Interessen verfolgen. Dies ist besonders bedrohlich, wenn damit die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen ermöglicht wird. Die Erforschung und Entwicklung einer Reihe gentechnisch herzustellender Impfstoffe ist nur schwerlich von der Erforschung und Entwicklung von Kampfmitteln zu trennen. Bei der gegenwärtigen Nutzung der Kernenergie werden Forschungsanlagen und Technologien genutzt und es werden Materialien erzeugt oder verwendet, die für die Herstellung von Kernwaffen oder ihre qualitative Fortentwicklung höchste Bedeutung haben.

Eine Analyse der Ambivalenz muss konkret anhand von relevanten Forschungs- und Technologiefeldern durchgeführt werden. Das Ziel ist die Auffindung von inner- und außerwissenschaftlichen Bifurkationspunkten, damit Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden können.

Die zivil-militärische Ambivalenz naturwissenschaftlich-technischer Forschung und Entwicklung lässt sich aber nicht von dem umfassendem Problem des ambivalenten Fortschritts von Naturwissenschaft und Technik insgesamt abtrennen. Die Ambivalenz ist auch in Hinblick auf andere Widersprüche – beispielsweise zwischen ökonomischer Effizienz und Interessenlage und ökologischen Interessen und Risiken – zu problematisieren, denn sicher wird es Fälle geben, in denen man auf die Förderung ambivalenter Forschungsgebiete nicht verzichten möchte, da starke zivile Interessen berührt sind. Dann kommt es darauf an zu prüfen, inwieweit solche zivile Entwicklungen und Anwendungen tatsächlich wünschenswert sind, zielorientiert verfolgt werden können, für unsere zukünftige Gesellschaft unverzichtbar sind und wie sie gegebenenfalls speziell zu fördern sind.

Prospektive Technikfolgenabschätzung

So tritt die Forderung nach Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit im Bereich von Forschung und Technik hinzu. Diskurse der Technikfolgenabschätzung greifen auch hier bislang zumeist zu spät, da sie noch all zu oft nachsorgend angelegt sind. Wir plädieren daher für einen problemorientierten und vorausschauenden Ansatz, der technikfixierte Verkürzungen zu vermeiden sucht. Dabei spielen drei von Wolfgang Bender formulierte Leitkriterien eine wesentliche Rolle: Erhaltung, Entfaltung und Gestaltung. Erhaltung der Menschheit und der Lebenswelt, die nach vorne gerichtete Entfaltung der mit-natürlichen menschlich-gesellschaftlichen Möglichkeiten sowie die Gestaltung der Forschungs- und Technologieentwicklung. Die Langfristfolgen wissenschaftlicher Tätigkeit müssen endlich angemessen in den Blick genommen werden. Für uns erscheint es nur konsequent, sich ausgehend von dem Bereich der Massenvernichtungswaffen mit einer verantwortbaren Energieversorgung der Zukunft unter einer gezielten Analyse nuklearer Technologien zu beschäftigen oder sich grundlegenden Problemstellungen im Bereich der modernen Biotechnologien oder der Weltraumnutzung zuzuwenden.

Wir hoffen auf konsensuale Beschreibbarkeit der jeweils wesentlichen Betrachtungsebenen. Wir wissen um die dann zu erwartenden Differenzen bei der Bewertung wissenschaftlich-technischer Möglichkeiten. Schließlich streben wir eine gesellschaftliche Gestaltung des Fortschritts in Wissenschaft und Technik an, die ohne die Mitwirkung der Beteiligten auf der Innenseite der wissenschaftlichen Entwicklung nicht gelingen kann. Ebensowenig kann auf eine ausreichende Transparenz nach außen verzichtet werden, die eine ernst zu nehmende Mitwirkung der politischen EntscheidungsträgerInnen und der interessierten Öffentlichkeit überhaupt erst ermöglicht. Die Alternativenstruktur der Wissenschaft, die es uns erlaubt, diesen oder jenen Pfad der Forschung und Entwicklung einzuschlagen, kann genutzt werden, um gesellschaftlich akzeptable und akzeptierte Forschungsaufgaben anzupacken – mit entsprechenden Konsequenzen für die Forschungsförderung.

Es gilt, Zukunftsfähigkeit zu gewinnen, gerade auch im Bereich von Forschung und Technik. Voraussetzung dafür ist die Bewusstmachung und Klärung der Werte und Ziele auf diesem Weg.

Arbeit in der Hochschule

Viele der hier angesprochenen Arbeitsgebiete beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Konflikten, die durch moderne Technologien mitverursacht sind oder durch diese qualitativ verändert wurden. Bei der Suche nach kooperativen Lösungen geht es um empirische und theoretische Klärung von Konfliktursachen, Konfliktkonstellation und Konfliktdynamik. Es geht um die Bearbeitung von Kooperationshindernissen und die Auffindung von Möglichkeiten ihrer Überwindung. Dies kann nur gelingen bei Berücksichtigung bzw. Einbeziehung aller KonfliktpartnerInnen. Ein normativer Anspruch wird mit dem Bezug auf Sicherheit und Nachhaltigkeit erhoben.

Die Hochschule ist unserer Ansicht nach ein richtiger – vielleicht sogar der beste – Platz, um solche Forschung fruchtbringend durchführen zu können. Dies garantiert notwendige Freiräume und ein hohes Maß an Unabhängigkeit, die Voraussetzung sind für eine glaubwürdige Beratung von Politik und Öffentlichkeit. Der interdisziplinäre Ansatz kann und muss hier besonders befördert werden. Die Kombination von Forschung und Lehre anhand unserer praxisrelevanten Themen ist wichtig für die Befruchtung des akademischen Prozesses. Insbesondere kann dies über die Lehre zu Veränderungsprozessen führen, die Auswirkungen auf die Verhaltensweisen zukünftiger Generationen von WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen haben. Das frühzeitige Bedenken der Konsequenzen unseres wissenschaftlichen Tuns für die Zukunft braucht seinen Platz innerhalb der Universität. Aber wir lernen auch selbst, von den Studierenden, im Dialog untereinander, in unseren Suchprozessen in Forschungs- und Lehrprojekten.

Eine Erweiterung des wissenschaftlichen Arbeitens aus den Disziplinen heraus bei Überwindung ihrer beschränkten Fähigkeit zur Wahrnehmung und Behandlung komplexerer Probleme ist die eine Seite unseres Ansatzes. Unseren Suchprozess in die Friedensforschung und Technikforschung hinein habe ich beschrieben. Umgekehrt sind wir davon überzeugt, dass Elemente der Friedensforschung und -lehre zum Selbstverständnis einer heute verantwortbar betriebenen Naturwissenschaft gehören sollten. Daher ist es wichtig, dass friedenswissenschaftliches Engagement nicht nur in spezielle außeruniversitäre oder universitätsnahe Institute ausgegliedert wird, sondern seinen Platz in der Hochschule hat.

Es gilt, den Gedanken der lebensweltlich und problemorientierten Interdisziplinarität in die Disziplinen einfließen zu lassen. Die Erkenntnis der Janusköpfigkeit der Wissenschaft, der verschiedenen Möglichkeiten ihres Gebrauchs, gehört in die Disziplinen selbst, dies betrifft insbesondere die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer. Natürlich erweisen sich hier etablierte Strukturen als höchst widerständig. Im Grunde befinden wir uns mitten in der virulenten Diskussion um Sinn, Zweck, Aufgabe und Selbstverständnis der Universität. Wir sind zu einem interdisziplinären Dauerexperiment geworden und zu einem kleinen Kristallisationspunkt des Nachdenkens über Wissenschaft und Hochschule, ihre Rollen in der Gesellschaft, der tätigen Wahrnehmung von Verantwortung, der Bemühung um eine engagierte Wissenschaft sowie einer Selbstverständigung darüber innerhalb einer heterogenen Allianz Gleichgesinnter.

Wir sind uns dessen bewusst, dass wir trotz unserer breit angelegten Bemühungen nur einen Ausschnitt aus dem Ganzen, dem Problemfeld Gewinnung des Friedens, bearbeiten können. Auch wenn unser Engagement nicht auf das rein Akademische begrenzt ist und wir im Schnittfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit arbeiten, so wissen wir, dass es einer Fülle darüber hinausgehender, vornehmlich praktischer Friedensaktivitäten bedarf.

Dr. Wolfgang Liebert ist Wissenschaftlicher Koordinator von IANUS an der TU Darmstadt und Mitbegründer des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP)