Fünf Jahre Internationaler Strafgerichtshof

Fünf Jahre Internationaler Strafgerichtshof

Eine Zwischenbilanz

von Lars Büngener

In ihrer Entscheidung vom 29.01.2007 bestätigte die erste Vorverfahrenskammerdes Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) die Anklagegegen den ehemaligen kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga Dyilo wegen der Rekrutierung und des Kampfeinsatzes von »Kindersoldaten«. Erstmals in der Weltgeschichte wird ein permanentes internationales Strafgericht über Völkerrechtsverbrechen verhandeln – der vorläufige Höhepunkt in der Geschichte der Durchsetzung des Völkerstrafrechts. Dieser Artikel legt zunächst die Entstehungsgeschichte des IStGH dar und erläutert anschließend einige strittige Fragen bezüglich der Funktionen und Zuständigkeiten dieser jungen internationalen Organisation. Abschließend erörtert der Autor die Frage, wie das bisher Erreichte zu beurteilen ist.

Die Idee, schwere Völkerrechtsverstöße strafrechtlich zu ahnden, wurde erst im 20. Jahrhundert verwirklicht. Aus der gescheiterten Strafverfolgung der Kriegsverbrecher des Ersten Weltkriegs in den »Leipziger Prozessen«1 hatte man noch während des Zweiten Weltkriegs die Lehre gezogen, die Verfolgung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern zunächst nicht wieder in die Hände der »Täterstaaten« zu legen. Stattdessen setzten die Alliierten internationale Strafgerichte ein – die Militärtribunale von Nürnberg und Tokio. Allerdings zeigten sich bereits während der Prozesse erhebliche Unstimmigkeiten insbesondere zwischen den USA und der Sowjetunion. Zu weiteren international besetzten Tribunalen kam es daher nicht.2

Der Weg nach Den Haag – Völkerstrafrecht im 20. Jahrhundert

Noch unter dem Eindruck der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und wohl auch angesichts der Kritik3 an den Tribunalen von Nürnberg und Tokio beauftragte die UN-Generalversammlung im Jahre 1947 die Völkerrechtskommission der UN (International Law Commission, ILC), die im Statut und Urteil des Nürnberger Tribunals zum Ausdruck gekommenen Grundsätze zu formulieren sowie einen Entwurf für ein Gesetz über »Straftaten gegen Frieden und Sicherheit der Menschheit« zu erarbeiten. Ein Jahr später verabschiedete die UN-Generalversammlung die Völkermordkonvention, in deren Art. 6 ein noch zu schaffendes internationales Gericht erwähnt wird. In derselben Resolution wurde wiederum die ILC beauftragt, zu prüfen, ob die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs „wünschenswert und möglich“ sei. Ein erster Entwurf für ein Statut wurde 1951, eine überarbeitete Fassung 1954 vorgelegt. Im selben Jahr legte die ILC zudem den 1947 in Auftrag gegebenen Entwurf eines Gesetzes über »Straftaten gegen Frieden und Sicherheit der Menschheit« vor. Da sich die Spannungen zwischen den Großmächten jedoch vertieft hatten und sich die Staaten insbesondere nicht auf eine Definition des Aggressionsbegriffs einigen konnten, wurde eine weitere Beschäftigung der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit den Entwürfen vertagt. Die ILC nahm erst 1974, als eine Definition des Aggressionsbegriffs gefunden war, ihre Arbeit am materiellen Völkerstrafrecht wieder auf. Am Projekt eines permanenten internationalen Strafgerichtshofs arbeitete sie erst wieder ab 1989.

Die politischen Umwälzungen in Osteuropa ab 1989 führten zum Wegfall der politischen Blöcke des Kalten Krieges, ließen aber auch alte ethnische Konflikte aufbrechen. Die schweren Menschenrechtsverletzungen, die ab den frühen 90er Jahren in Jugoslawien begangen wurden, veranlassten den UN-Sicherheitsrat, gemäß Kap. VII der UN-Charta eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit festzustellen und als Gegenmaßnahme einen internationalen Strafgerichtshof einzusetzen: das Jugoslawien-Tribunal.4 Ein Gericht sollte helfen, den „Verbrechen ein Ende zu setzen“ und zur „Wiederherstellung und Wahrung des Friedens“ beitragen.5

Im Frühjahr 1994 wurde in Ruanda ein Völkermord an Angehörigen der Volksgruppe der Tutsi begangen, dem etwa eine Million Menschen zum Opfer fielen. Nach zunächst nur halbherzigem Handeln der Weltgemeinschaft wurde durch den Sicherheitsrat auch für diese Geschehnisse beschlossen, die Verantwortlichen vor ein internationales Gericht zu bringen.6

Das Rom-Statut – ein Kompromiss und seine Auswirkungen

Zur selben Zeit, beschleunigt durch die Schaffung der beiden angesprochenen ad-hoc-Tribunale, machten die Arbeiten am Projekt eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs Fortschritte. 1994 legte die ILC der UN-Generalversammlung den Entwurf eines Statuts vor, es folgten die Expertenkonferenz von Syrakus, die Einsetzung des Preparatory Committee und schließlich die Einberufung der Bevollmächtigtenkonferenz von Rom (15.06.-17.07.1998). An dieser Konferenz nahmen nicht nur Vertreter aus 162 Staaten teil, sondern erstmals auch die Zivilgesellschaft in Gestalt von Nichtregierungsorganisationen. Mehr als 250 von ihnen waren beratend oder beobachtend an den Verhandlungen über die Endfassung des Statuts für den IStGH7 beteiligt.

Die teilnehmenden Staaten waren in zwei Lager gespalten: die »Gleichgesinnten«8, denen ein starker und unabhängiger Gerichtshof vorschwebte, und auf der anderen Seite die »Gerichtshofrestriktiven«9, die aus Sorge um ihre staatliche Souveränität einen schwächeren Gerichtshof durchsetzen wollten. Fragen des materiellen Völkerstrafrechts waren vergleichsweise weniger problematisch. Man einigte sich darauf, dass der Gerichtshof nur für die völkerrechtlichen »Kernverbrechen« zuständig sein sollte: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Allerdings konnte bezüglich letzterem keine Einigung über eine Definition erzielt werden. Damit ist der IStGH zwar für das Verbrechen der Aggression zuständig, kann nach Art. 5 Abs. 210 seine Gerichtsbarkeit aber erst ausüben, wenn eine Definition gefunden ist – im Ergebnis eine erhebliche Strafbarkeitslücke.

Besonders kontrovers diskutiert wurden in Rom Fragen der Gerichtsbarkeit (Jurisdiktion) des Gerichts, der Befugnisse des Chefanklägers sowie des Verhältnisses des Gerichtshofs zum UN-Sicherheitsrat.

Während die »Gleichgesinnten« bezüglich der Jurisdiktion eine automatische Zuständigkeit unabhängig vom Tatort, der Staatsangehörigkeit des Täters oder der Opfer erreichen wollten, versuchten die »Gerichtshofrestriktiven« ein Modell durchzusetzen, bei dem jeweils die ausdrückliche Zustimmung des betroffenen Staates für ein Tätigwerden des Gerichts erforderlich sein sollte, was offensichtlich ein eher symbolisches Gericht zur Folge gehabt hätte. Ein anderer Entwurf sah eine Art permanentes ad-hoc-Tribunal vor, das ständig in Bereitschaft stehen, aber jeweils durch den UN-Sicherheitsrat aktiviert werden sollte.

Ähnlich gelagert war die Diskussion bezüglich der Rolle des Anklägers. Die »Gleichgesinnten« favorisierten einen Ankläger, der von sich aus (proprio motu) ohne Auftrag der UN oder auch nur eines Staates ermitteln können sollte; die Gegner dieser Lösung fürchteten einen dadurch »unberechenbaren« Ankläger, der Angehörige einzelner Staaten politisch motiviert mit Strafverfahren zu überziehen drohte.

In letzter Sekunde wurde ein Kompromissentwurf vorgelegt, der von 120 Staaten bei sieben Gegenstimmen und 21 Enthaltungen angenommen wurde.

Bezüglich der Jurisdiktion des Gerichts konnten sich die »Gleichgesinnten« zum Teil durchsetzen. Grundsätzlich akzeptiert jeder Staat durch seine Ratifizierung die automatische Gerichtsbarkeit des IStGH im vollen Umfang (Art. 12 Abs. 1).11 Anknüpfungspunkt ist hierbei, dass die Verbrechen auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates oder durch seine Staatsangehörigen begangen worden sind (Art. 12 Abs. 2). Aber auch ein Staat der nicht Vertragsstaat ist, kann durch einseitige Erklärung fallbezogen ad hoc die Jurisdiktion des IStGH anerkennen (Art. 12 Abs. 3). Diese Variante ist bereits praktisch relevant geworden im Fall der Unterwerfungserklärung der Elfenbeinküste.

Eine Ausnahme zu diesen Regeln enthält Art. 13 lit. b) in Verbindung mit Art. 12 Abs. 2: wenn das Verfahren durch den UN-Sicherheitsrat eingeleitet wurde, ist die Gerichtsbarkeit des IStGH unabhängig vom Tatort- oder Täterstaat ohne weiteres gegeben. Der Sicherheitsrat kann dem Chefankläger12 durch Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta relevante „Situationen“ „unterbreiten“. Hier ist das erwähnte Modell des »permanenten ad-hoc-Tribunals« in das Statut eingeflossen. Diese Art der Verfahrenseinleitung ist 2005 in der Situation der sudanesischen Provinz Darfur angewendet worden, was insofern überrascht, als die USA unter der Bush-Administration bis dahin wenige Gelegenheiten ausgelassen hatten, den Gerichtshof zu schwächen. Offenbar mussten auch sie sich dem internationalen Druck beugen und enthielten sich in der betreffenden Abstimmung, ebenso wie China, der Stimme. Fehlt jedoch eine Resolution des Sicherheitsrats, sind dem IStGH in Bezug auf Nichtvertragsstaaten die Hände gebunden.

Des Weiteren ist zu beachten, dass der Gerichtshof nur ergänzend zur nationalen Gerichtsbarkeit tätig wird – wenn diese nicht willens oder in der Lage ist, in der Sache selbst angemessen zu handeln (Art. 17, Grundsatz der Komplementarität). Anders als die ad-hoc-Tribunale der UN hat der IStGH damit keine vorrangige Zuständigkeit. Die Entscheidung, ob ein Staat „willens oder in der Lage“ zur eigenständigen Strafverfolgung ist, liegt jedoch beim Gericht selbst (sog. »Kompetenz-Kompetenz«).

In Bezug auf die Befugnisse des Chefanklägers ist in der Endfassung des Statuts klar die Handschrift der »gleichgesinnten« Staaten erkennbar. Gemäß Art. 13 lit. c) i.V.m. Art 15 ist er berechtigt, aus eigenem Antrieb (proprio motu) Ermittlungen einzuleiten, wenn dies durch eine aus drei Richtern bestehende Vorverfahrenskammer genehmigt wird (Art. 15 Abs. 3, 4). Diese Variante ist allerdings in der Praxis noch nicht angewendet worden. Genutzt wurde dagegen bereits in drei Situationen, nämlich Uganda, Zentralafrikanische Republik und Demokratische Republik Kongo, die »Staatenüberweisung« gemäß (Art. 13 lit. a) i.V.m. Art. 14), eine Art »Strafanzeige« durch einen Staat. Interessanterweise handelte es sich in den konkreten Fällen jeweils nicht um »Anzeigen« im üblichen Sinne, sondern um »Selbstanzeigen«. Die Situationen spielten sich auf dem Territorium des jeweiligen Staates ab und die mutmaßlichen Verbrechen wurden vornehmlich durch eigene Staatsangehörige begangen. Dies ist nur auf den ersten Blick überraschend: in allen diesen Ländern herrschte bzw. herrscht Bürgerkrieg. Hier zeigt sich eine Gefahr bezüglich der Glaubwürdigkeit des IStGH: sollen Staaten in der Lage sein, sich durch eine Selbstanzeige mit Hilfe des IStGH ihrer innenpolitischen Probleme zu entledigen? Der Chefankläger hat hierzu erklärt, sich durch die Unterbreitungen der jeweiligen Staaten nicht binden zu lassen, sondern die Situation als Ganzes ohne Rücksicht auf (Kriegs-) Parteizugehörigkeit der jeweils Verdächtigen zu ermitteln.13

Von den Vereinten Nationen ist der IStGH im Grundsatz unabhängig (Abs. 9 der Präambel des Statuts). Das Verhältnis zwischen beiden Organisationen wird gemäß Art. 2 durch ein besonderes Abkommen geregelt.

Allerdings haben sich die gerichtshofrestriktiven Staaten in einem wichtigen Aspekt durchsetzen können: gemäß Art. 16 kann der Sicherheitsrat durch eine Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta jede Ermittlung und Strafverfolgung des IStGH und seines Anklägers für 12 Monate aufschieben und diesen Aufschub gegebenenfalls verlängern. Diese Vorschrift ist bereits wiederholt praktisch relevant geworden: auf Druck insbesondere der USA wurde zuletzt im Jahre 2003 eine entsprechende Resolution verabschiedet, die ein gerichtliches Einschreiten gegen Teilnehmer an von der UN autorisierten Militäroperationen verbot. Zu einer Verlängerung kam es nach 2004 allerdings nicht, da die USA im Sicherheitsrat diesbezüglich keine Mehrheit mehr fanden.

Des Weiteren kann der UN-Sicherheitsrat die Zusammenarbeit von Staaten mit dem IStGH erzwingen (Art. 87 Abs. 5, 7), wenn er selbst die Situation dem Gerichtshof unterbreitet hat. Der IStGH verfügt über keinen polizeilichen oder gar militärischen Apparat und ist daher auf die Kooperationsbereitschaft seiner Mitgliedsstaaten angewiesen. Gegenüber Nichtmitgliedsstaaten muss er auf die Hilfe des UN-Sicherheitsrates zurückgreifen – mit allen Problemen, die dieses politische Gremium mit sich bringt.

Der IStGH heute – eine Zwischenbilanz

Das Rom-Statut ist am 01.07.2002 in Kraft getreten. Ihm sind bis Ende Februar 2007 104 Staaten beigetreten. Situationen aus vier Ländern werden ermittelt; eine Hauptverhandlung wird in Kürze beginnen; in der Situation Uganda sind fünf Haftbefehle erlassen worden.14

Andererseits haben einige gewichtige Staaten – etwa die USA, Russland, China und Indien – das Rom-Statut bisher nicht ratifiziert. Eine strafbewehrte Definition der Aggression ist nach wie vor nicht gefunden. Mit Thomas Lubanga Dyilo wurde lediglich ein Angeklagter mittleren Ranges vor Gericht gestellt – mutmaßlich »große Fische« tragen zum Teil Regierungsverantwortung und sind kaum greifbar (Ex-Vizepräsident Bemba etwa, nunmehr Senator, wird mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zentralafrikanischen Republik Verbindung gebracht).15 Ähnliches gilt für die beiden am 27.02.2007 durch den Chefankläger benannten Verdächtigen für die Situation in Darfur: es ist zu befürchten, dass China Aktionen des Sicherheitsrates, um ihre Überstellung nach Den Haag zu erzwingen, blockieren wird.

Es ist schwierig zu beurteilen, ob eine Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen effektiv zu einer globalen Friedensordnung beitragen kann. Die geschichtlichen Beispiele sind begrenzt und nur bedingt aussagekräftig. Sie beziehen sich zum einen lediglich auf bestimmte Konflikte, zum anderen saß zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg nur die Seite der Kriegsverlierer auf der Anklagebank.

Jedoch stimmt gerade die deutsche Entwicklung hoffnungsvoll. Zunächst stand Deutschland den Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Diese Haltung hat sich jedoch grundlegend geändert, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Deutschland heute zu den stärksten Verfechtern einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zählt.16 Eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Zivilgesellschaft. Traditionell diente das (repressive) Strafrecht in erster Linie dem Machterhalt der jeweils Herrschenden. Hiergegen wandte sich die aufgeklärte Zivilgesellschaft in zunehmendem Maße – das Strafrecht sollte durch Prävention möglichst überflüssig gemacht werden. Nunmehr wird eine scheinbar gegenläufige Entwicklung erkennbar: die Zivilgesellschaft fordert die Kontrolle der Mächtigen durch Strafrecht.

Wie eine funktionsfähige Staatsordnung ohne Strafrecht wahrscheinlich nicht möglich ist, ist eine friedliche Weltordnung ohne strafrechtliche Sanktionsmechanismen für schwerste Völkerrechtsverbrechen wohl nicht erreichbar. Es wird dauern, bis alle Staaten ihr teilweise antiquiertes Bild von Staatssouveränität aufgeben und ihr Handeln einer internationalen Kontrolle unterwerfen.17 Jedoch hätte noch vor 20 Jahren kaum jemand damit gerechnet, dass sich die Vision eines internationalen Strafgerichts überhaupt in absehbarer Zeit verwirklichen lassen würde. Man darf daher, wenn nicht optimistisch, so doch zuversichtlich sein. Mit den Worten des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan: „No doubt, many of us would have liked a Court vested with even more far-reaching powers […] The establishment of the Court is still […] a giant step forward in the march towards universal human rights and the rule of law.“18

Anmerkungen

1) Es wurden lediglich sechs Personen verurteilt, deren Strafen ausnahmslos nicht vollständig vollstreckt wurden. Vgl. zu den Prozessen Hankel: Die Leipziger Prozesse (2003), und Wiggenhorn: Verliererjustiz (2005).

2) Allerdings wurden bis heute auf nationaler Ebene noch tausende weiterer Prozesse geführt.

3) Gerügt wurde und wird hier unter anderem ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot. Vgl. zu diesem und anderen Problemen Jung: Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse (1992).

4) Siehe zu aktuellen Verfahren http://www.un.org/icty/.

5) S/Res/808 (1993), 22.02.1993. Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sind im Internet abrufbar unter: http://www.un.org/Docs/sc/unsc_resolutions.html.

6) Siehe zu aktuellen Verfahren http://www.ictr.org.

7) Das Statut in seiner Endfassung kann in englischer Sprache unter http://www.un.org/law/icc/statute/english/rome_statute(e).pdf eingesehen werden; die amtliche deutsche Übersetzung ist verfügbar unter http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Voelkerrecht/IStGH/Materialien/RoemischesStatut.pdf.

8) Unter ihnen insbesondere Argentinien, Deutschland und Kanada.

9) Allen voran die USA, China und Indien, aber bis zu einem gewissen Grade auch Frankreich.

10) Artikel sind solche des Rom-Statuts.

11) Zu beachten ist, dass ein Staat gemäß Art. 124 erklären kann, für die ersten sieben Jahre nach seinem Beitritt die Jurisdiktion des IStGH für Kriegsverbrechen nicht anzuerkennen (sog. opt-out-Verfahren). Von dieser Möglichkeit hat unter anderem Frankreich Gebrauch gemacht.

12) Seit 2003 ist dies der Argentinier Luis Moreno Ocampo.

13) Vgl. zur Praxis der »Selbstanzeigen« Kreß: ‚Self-Referrals’ and ‚Waivers of Complementarity’ – Some Considerations in Law and Policy, JICJ 2 (2004), 944 ff.

14) Der aktuelle Stand der einzelnen Situationen und Verfahren sowie die zugehörigen Dokumente sind abrufbar unter http://www.icc-cpi.int/cases.html; zur Situation in der Demokratischen Republik Kongo siehe Hartmann: Internationaler Strafgerichtshof und Vereinte Nationen in der Demokratischen Republik Kongo, ZStW 2006, 799 ff.

15) Vgl. z.B. Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/Z0ZQBA,2,0,Wer_steht_zur_Wahl.html#art2.

16) Vgl. zur Entwicklung in Deutschland Creß: Versailles – Nürnberg – Den Haag: Deutschland und das Völkerstrafrecht, JZ 2006, 981 ff.

17) Vgl. zu den amerikanischen Bedenken gegen den IStGH etwa Wedgwood: The International Criminal Court: An American View, EJIL 10 (1999), 93 f; dagegen z. B. Ferencz: Misguided Fears About the International Criminal Court, Pace International Law Review, Spring 2003, auch verfügbar unter http://www.benferencz.org/arts/69.html.

18) Aus der Rede von Kofi Annan vom 18.07.1998 zum Abschluss der Bevollmächtigtenkonferenz in Rom. Der gesamte Redetext kann abgerufen werden unter http://www.un.org/icc/index.htm.

Lars Büngener ist Doktorand am MPI für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/M. sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse in Marburg. Von November 2004 bis Juli 2005 war er als Law Clerk in der Trial Division des Internationalen Strafgerichtshofs tätig.

Staatszentriertes Völkerrecht und nicht-staatliche Gewaltakteure

Staatszentriertes Völkerrecht und nicht-staatliche Gewaltakteure

von Hans-Joachim Heintze

Angesichts der immer wieder geäußerten Befürchtung, dass nichtstaatliche Terroristen-Netzwerke Anschläge mit Massenvernichtungswaffen durchführen könnten, stellt sich die Frage, ob die bestehenden Regeln des Völkerrechts für den Antiterrorkampf ausreichen oder ob die neuen Bedrohungen durch nicht-staatliche Akteure auch neue Auslegungen des Rechts erfordern? Die Antworten darauf sind sehr unterschiedlich. Der Autor analysiert im folgenden ob und wieweit die reale Politik der USA mit der Beschlusslage der UN übereinstimmt.

Die USA ließ in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie (NSS)1 erstmals 2002 eine Abkehr von der bisherigen Auslegung des völkerrechtlichen Gewaltverbots erkennen, indem sie argumentierte, auch die präventive Selbstverteidigung sei durch Art. 51 der UN-Charta gedeckt. Begründet wurde diese Neuorientierung mit zwei Bedrohungsszenarien: Einerseits seien die USA durch geheim operierende, multinationale und global agierende Terrororganisationen – also nicht-staatliche Akteure – gefährdet, die vermittels Hochtechnologie und Selbstmordattentätern Menschen angreifen und die moderne Infrastruktur zerstören. Andererseits sehen sich die USA durch kriegslüsterne Potentate in »Schurkenstaaten« – also staatliche Akteure – gefährdet, die mit atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen agieren und diese zur Durchsetzung radikaler politischer Ziele anwenden würden. Der »worst case« wäre, wenn Terrororganisationen vermittels der »Schurkenstaaten« in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kämen.

Die NSS geht weiterhin davon aus, dass gegenüber Terroristen und fanatisierten Staatsführern die herkömmliche Politik der Eindämmung, Abschreckung und Rüstungskontrolle nicht erfolgversprechend sein kann, weshalb vorbeugende militärische Abwehrmaßnahmen zu ergreifen sind. Letztlich wird damit ein Selbstverteidigungsrecht gegen unkalkulierbare Sicherheitsrisiken konstatiert. Je größer das Risikopotenzial, aus dem sich eine echte Bedrohung entwickeln könnte, desto wichtiger werden die in amtlicher amerikanischer Diktion »preemptive measures« genannten vorbeugenden Abwehrmaßnahmen: Einsatz von Kommandotruppen, gezielte Luftschläge oder militärische Invasion bzw. Besetzung eines Landes.2 Der US-Völkerrechtler Glennon bringt die Position folgendermaßen auf den Punkt: „In dieser Phase des Übergangs zu einer neuen Weltordnung gehören die Werkzeuge – wie Napoleon einmal sagte – dem Mann, der sie auch benutzen kann. Gewalt ist ein Mittel, um die nationalen Interessen durchzusetzen.“3

Die NSS wurde 2006 überarbeitet, enthält aber nach wie vor das Konzept der präventiven Selbstverteidigung. Es stimmt bedenklich, dass auch die Europäische Sicherheitsdoktrin das präventive Recht auf Selbstverteidigung nicht ausschließt.4

Art. 51 UN-Charta wie bisher auslegen

Die präventive Selbstverteidigung steht im Widerspruch zum Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta. Entsprechend den Tatbestandsvoraussetzungen verlangt die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts die Gegenwärtigkeit eines bewaffneten Angriffs. Erforderlich ist zudem eine gewisse Angriffsintensität, d.h. grenzverletzende Truppenbewegungen, Blockaden von Häfen und Küsten oder militärische Luftschläge.5 Liegen solche Angriffe vor, so kann der Angegriffene selbst militärische Gewalt anwenden, um den Angreifer daran zu hindern, seinen Angriff fortzusetzen. Folglich steht einer Militäraktion, die einem gegnerischen Angriff zuvorkommen soll, der Wortlaut des Art. 51 VN-Charta entgegen.

Das bestehende Völkerrecht bietet einen hinreichenden Rahmen, um den aktuellen Herausforderungen durch einerseits von Staaten und andererseits von nichtstaatlichen Akteuren verursachtem Terrorismus gerecht zu werden.

Bereits die UN-Charta verbietet den Terrorismus durch die Verankerung des Gewaltverbots in Art. 2 Abs. 4. Das ergibt sich aus der Interpretation des Gewaltverbots in der »Friendly Relations«-Deklaration [Res. 2625 (XXV) von 1970] der UN-Generalversammlung. Dort heißt es: „Jeder Staat hat die Pflicht zur Unterlassung der Organisation, Anstiftung, Unterstützung von oder Teilnahme an Bürgerkriegshandlungen oder terroristischen Handlungen in einem anderen Staat oder zur Unterlassung der stillschweigenden Duldung organisierter Aktivitäten auf seinem Hoheitsgebiet, die auf die Begehung solcher Handlungen gerichtet sind, wenn die Handlungen, … eine Androhung oder Anwendung von Gewalt umfassen.“ Nach dem in der UN-Charta ebenfalls niedergelegten Grundsatz der Nichteinmischung darf kein Staat „subversive, terroristische oder bewaffnete Aktivitäten, die auf einen gewaltsamen Umsturz des Regimes eines anderen Staates abzielen, organisieren, unterstützen, schüren, finanzieren, anstacheln oder dulden …“6

Diese allgemein akzeptierte Auslegung der UN-Charta bedeutet, dass der von Staaten ausgehende grenzüberschreitende Terrorismus völkerrechtswidrig ist, unabhängig davon, ob er von staatlichen oder nicht-staatlichen Akteuren ausgeht.

Diese klare Rechtsposition wurde wiederholt seitens der UN-Generalversammlung bekräftigt, so insbesondere durch die grundsätzliche »Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus« (Res. 49/60 vom 9. Dezember 1994). Hiermit unterstreicht die Weltorganisation das Ziel, den internationalen Terrorismus in allen Ausprägungen zu beseitigen. Dies sei namentlich hinsichtlich solcher Handlungen, an denen Staaten mittelbar oder unmittelbar beteiligt sind, für die Wahrung des Weltfriedens unabdingbar. Festgestellt wird weiterhin, dass alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken unmissverständlich als kriminell und nicht zu rechtfertigen einzustufen sind.

Über die grundsätzliche Ächtung des internationalen Terrorismus durch das moderne Völkerrecht kann es somit keinen Zweifel geben.

Gleichwohl gibt es bezüglich des konkreten Inhalts des Terrorismusverbots eine ganze Reihe rechtlicher Grauzonen und offener Fragen, da es keine allgemeinverbindliche Definition des Terrorismus gibt. Bezeichnend ist, dass selbst UN-Experten die Ausarbeitung einer Terrorismusdefinition für ein »too ambitious aim«halten.7 Die Staatengemeinschaft hat sich folglich entschieden, auf eine allgemeine Begriffsbestimmung zu verzichten und die internationalen Anstrengungen auf die Ächtung einzelner Akte des Terrorismus und die Trockenlegung ihrer materiellen Grundlagen zu richten. Je enger allerdings das Geflecht der einzelnen Übereinkünfte wurde, desto mehr näherte man sich auch einer pragmatischen Umschreibung des Terrorismus.

Terrorismusbekämpfung durch internationale Abkommen

Die zahlreichen internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus knüpfen an dem Gedanken der generalpräventiven Wirkung des Strafrechts an und sollen sicherstellen, dass Täter in Grenzbereichen staatlicher Hoheitsausübung der Bestrafung zugeführt werden können. Letztlich wird eine weltweite Strafzuständigkeit nach dem Universalitätsprinzip begründet. Daher folgen die Übereinkommen dem gleichen Grundmuster: die Straftaten werden definiert und die Staaten verpflichtet, die Straftäter entweder angemessen zu bestrafen oder auszuliefern.

Der Terrorismus manifestiert sich stets als kriminelle Gewalt. Dies ist zu unterstreichen, da sich der Terrorismus selbst als politische Gewaltanwendung versteht, die nicht unmittelbar im persönlichen Interesse des Täters liegt, sondern auf die Veränderung der sozialen und politischen Ordnung zielt.8 Als kriminelle Taten müssen terroristische Akte durch die nationale Rechtsordnung geahndet werden. Die einschlägigen völkerrechtlichen Verträge beziehen sich auf die Luft- und Schifffahrt, die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten, auf die Geiselnahme und auf den physischen Schutz von Kernmaterial.

Das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus wurde mit der Res. 54/109 (1999) von der Generalversammlung angenommen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Sammeln und Bereitstellen von Geldern für terroristische Aktivitäten unter Strafe zu stellen sowie Möglichkeiten zu schaffen, diese Gelder beschlagnahmen und einziehen zu können. Das Vertragswerk geht insofern über andere einschlägige Dokumente hinaus, als ein terroristischer Akt im Sinne des Abkommens definiert wird, nämlich als Handlung, „die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“

Weitere Besonderheiten dieses Übereinkommens folgen aus dem Umstand, dass es sich nicht mit einzelnen terroristischen Akten beschäftigt, sondern mit den dahinterstehenden Organisationen und Netzwerken der Terroristen. Damit werden weitere Verbrechenskategorien, die oftmals mit dem Terrorismus in Verbindung stehen, erfasst: Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche sowie Schmuggel von potentiell gefährlichem Material. Das Abkommen bezieht sich somit nicht nur auf die Finanzierung des Terrorismus an sich, sondern auf jegliche materielle Unterstützung.9 Damit können sich Überschneidungen mit anderen völkerrechtlichen Verträgen auftun, insbesondere zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität.10 Es steht außer Zweifel, dass die genannten Abkommen eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Abstrafung terroristischer Akte nicht-staatlicher Akteure darstellen.

Terrorismus und der UN-Sicherheitsrat

Terrorakte können eine solche Intensität haben, dass sie eine Bedrohung des internationalen Friedens darstellen und deshalb vor den UN-Sicherheitsrat gebracht werden. Dabei kann es sich um Akte sowohl staatlicher als auch nichtstaatlicher Akteure handeln. So verurteilte der Sicherheitsrat mit der Res. 1160 (1998) unter Kap. VII nicht nur die exzessive Gewaltanwendung der serbischen Polizei gegen Zivilisten im Kosovo, sondern auch „acts of terrorism by the Kosovo Liberation Army“. Er sprach ein Waffenembargo gegen die Bundesrepublik Jugoslawien einschließlich des Kosovo aus. Es folgten die Resolution 1199 und 1203 (beide 1998). Bekanntlich erreichten die nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen im Kosovo ihr Ziel nicht, so dass sich die NATO schließlich – chartawidrig – zum militärischen Eingreifen entschloss. Insofern ist Kosovo ein Misserfolg der UN-Sanktionspolitik.

Dieselbe Einschätzung ist hinsichtlich Afghanistan vorzunehmen. Mit der Situation in diesem Staat sah sich der Rat bereits 1996 konfrontiert, weil der anhaltende Konflikt in diesem Land einen fruchtbaren Boden für den Terrorismus und den Drogenhandel darstelle und so die gesamte Region destabilisiere. Die Führer der verschiedenen afghanischen Kriegsparteien wurden mit der Res. 1076 (1996) aufgefordert, völkerrechtswidrige Aktivitäten einzustellen.

Im Zusammenhang mit den Bombenattentaten von Nairobi und Daressalam vom 7. August 1998 wurde dann in der Res. 1189 (1998) festgestellt, dass sich derartige Akte schädlich auf die internationalen Beziehungen und die Sicherheit der Staaten auswirken. Zugleich zeigte sich der Rat entschlossen, „den internationalen Terrorismus zu beseitigen.“

Sind diese Aussagen noch recht schwammig, so wurden sie infolge der zunehmenden Verwicklung afghanischer Bürgerkriegsparteien in den internationalen Terrorismus eindeutiger. Bereits in der Res. 1214 (1998) verlangte der Rat, „dass die Taliban aufhören, internationalen Terroristen und ihren Organisationen Zuflucht und Ausbildung zu gewähren, und dass alle afghanischen Bürgerkriegsparteien bei den Anstrengungen, angeklagte Terroristen vor Gericht zu stellen, kooperieren.“ Diese Resolution verzichtet allerdings noch darauf, Kapitel VII der Charta zu nennen. Das bedeutet, dass damit noch keine Zwangsmaßnahmen beschlossen wurden. Folglich hatten die US-Angriffe auf Ziele in Afghanistan und Sudan, die als Reaktion auf die Anschläge von Nairobi und Daressalam gedacht waren, keine Rechtsgrundlage, da sie weder vom UN-Sicherheitsrat angeordnet waren, noch als Selbstverteidigungsmaßnahme angesehen werden konnten.11

Das änderte sich mit der Res. 1267 (1999), womit gemäß Kapitel VII ein Luftverkehrs- und Finanzembargo gegen die afghanischen Taliban ausgesprochen wurde. Begründet wurde dies mit der Ausbildung und Beherbergung von Terroristen in Afghanistan, was als Bedrohung des Weltfriedens eingestuft wurde. Mit seiner Res. 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000 bekräftigte der Rat diese Position und ergänzte sie insofern, als nun auch die Verweigerung der Auslieferung Osama bin Ladens als eine Bedrohung des internationalen Friedens charakterisiert wurde. Zugleich erfolgte eine Verschärfung der bereits bestehenden Sanktionen durch ein Waffenembargo.

Aus den genannten Resolutionen des Sicherheitsrates ergibt sich, dass terroristische Akte ebenso wie die Ausbildung, Beherbergung und Verweigerung der Auslieferung von Terroristen bereits vor dem 11. September 2001 als Friedensbedrohung nach Art. 39 UN-Charta eingestuft werden konnten. Auf dieser Grundlage verhängte der Rat nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen.

Die Abfolge der einzelnen Sanktionen weist auf eine ständige Verschärfung des internationalen Drucks auf die den Terrorismus veranlassenden oder unterstützenden Staaten sowie auf nichtstaatliche Akteure hin. Gleichwohl reichten in den Fällen Kosovo und Afghanistan die Sanktionsmaßnahmen nicht aus, um die Konfliktparteien von ihrem rechtswidrigen und friedensgefährdenden Tun abzubringen. Zu fragen ist deshalb, ob der Rat angesichts der fortdauernden Friedensbedrohung nicht verpflichtet gewesen wäre, auch militärische Maßnahmen nach Art. 42 UN-Charta zu ergreifen. Schließlich trägt der UN-Sicherheitsrat die Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und kann nicht hinnehmen, dass dieser dauerhaft gefährdet wird. Die Antwort kann gleichwohl nur lauten, dass der UN-Sicherheitsrat ein politisches Organ ist, das in seiner Entscheidungsfindung einen großen Spielraum hat.12 Der Rat war folglich nicht rechtlich verpflichtet, mit militärischen Mitteln vorzugehen. Zudem stellt sich die Frage, ob es erfolgversprechend ist, militärisch gegen Terroristen vorzugehen.

Internationale Terrorakte sind Friedensbedrohungen

Nach dem 11. September 2001 kam es zu einer deutlichen Neubewertung des Terrorismus durch den UN-Sicherheitsrat, denn mit der Res. 1368 (2001) werden „alle internationalen terroristischen Handlungen“ als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eingestuft. Diese Formulierung stellt eine beachtliche Verschärfung dar: Danach können alle terroristischen Handlungen Zwangsmaßnahmen auch militärischer Art gegen Staaten auslösen. Dass es sich bei dieser Einschätzung nicht um einen »Schnellschuss« unter der Schockeinwirkung des New Yorker Geschehens (die Resolution wurde am 12. September angenommen) handelt, wird daran deutlich, dass auch die später unter ausdrücklicher Nennung des Kapitels VII verabschiedete Res. 1373 (2001) diese Einschätzung wiederholt.

Angesichts fehlender Definitionen schuf der Rat mit dieser Formulierung allerdings eine beachtliche rechtliche Grauzone. Sie wird noch erweitert, weil damit nicht nur staatliches Handeln, sondern auch das von nichtstaatlichen Akteuren erfasst wird.13 Auch nichtstaatliche Akteure können internationale terroristische Handlungen ausführen, die in jedem Falle eine Friedensbedrohung darstellen. In der Konsequenz macht sich nach dieser Konstruktion der Staat verantwortlich, von dessen Territorium der Anschlag ausging. Bekräftigt und vertieft wird diese Einschätzung durch die Res. 1377 (2001), die „Akte des internationalen Terrorismus (als) eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des Weltfriedens“ bezeichnet, welche eine „Herausforderung aller Staaten und der gesamten Menschheit darstellen“. Der Wortlaut macht deutlich, dass der Sicherheitsrat gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch »schwerwiegendste« Antworten auf derartige terroristische Akte – und zwar der gesamten Staatengemeinschaft – im Grundsatz für angemessen hält.

Bereits in der Vergangenheit sahen die USA, Israel und Südafrika terroristische Attacken als indirekte Aggressionen an, gegen die ein Selbstverteidigungsrecht in der Form von »armed reprisals« zulässig gewesen sei. Von der Staatengemeinschaft wurde diese Argumentation überwiegend abgelehnt.14 Nach dem 11. September 2001 stellt sich die Frage, ob diesbezüglich eine Fortentwicklung des Völkerrechts stattfand.

Terrorakte als Angriffshandlungen?

Der Sicherheitsrat geht mit seinen Resolutionen 1368 und 1373 über die ohnehin sehr unspezifische Einschätzung der generellen Friedensgefährdung durch den internationalen Terrorismus hinaus. Er bekräftigt nämlich nicht nur seine Entschlossenheit, die durch terroristische Handlungen verursachten Bedrohungen des Weltfriedens – wie es seine chartagemäße Aufgabe ist – zu bekämpfen. Vielmehr verweist er in den Präambeln auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 der UN-Charta. Diese Bezugnahme ist rechtlich nicht bedeutungslos, da in den Präambeln »Interpretationsrichtlinien«15 gegeben und Grundlagen des Tätigwerdens des Rates niedergelegt werden. Die ausdrückliche Erwähnung des Selbstverteidigungsrechts muss also „dahingehend interpretiert werden, dass der Sicherheitsrat … Verteidigungsmaßnahmen gegen die Urheber der terroristischen Akte für rechtmäßig hält“.16

Wenn der Sicherheitsrat das Selbstverteidigungsrecht ausdrücklich hervorhebt, kann dies prima facie nur bedeuten, dass er der Darstellung der USA folgt, und die Anschläge vom 11. September 2001 als Angriffshandlung betrachtet.17 Die Resolutionen 1368 und 1373 unterstreichen zudem, dass die Selbstverteidigung ein naturgegebenes Recht ist. Daraus ergibt sich, dass für Verteidigungsmaßnahmen gegen den Aggressor keine Ermächtigung erforderlich ist. Allerdings bekundet der Rat auch seine Bereitschaft, auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 »zu antworten«.

Die Bezugnahme auf das unilateral auszuübende Selbstverteidigungsrecht und die Bereitschaft des Kollektivorgans Sicherheitsrat, auf die Anschläge »zu antworten« sind keine Widersprüche. Es ist nämlich keineswegs so, dass er die Bekämpfung dieser Bedrohung des Weltfriedens mit der Nennung des Selbstverteidigungsrechts völlig aus der Hand gegeben und nur in die Verantwortung des angegriffenen Staates übertragen hätte. Vielmehr gibt es umfassende Informationspflichten des sich verteidigenden Staates gegenüber dem Rat, der zudem nach der Einleitung von Selbstverteidigungsmaßnahmen auch entscheiden muss, was weiter getan werden soll, um die Bedrohungssituation zu überwinden.

Staaten müssen gemäß Art. 51 dem Rat die ergriffenen Selbstverteidigungsmaßnahmen sofort anzeigen. Dieser Pflicht folgten die USA, indem sie dem Präsidenten des Sicherheitsrates am 7. Oktober 2001 nach dem Beginn der Bombardierung Afghanistans die Geltendmachung des Selbstverteidigungsrechts umgehend mitteilten. Begründet wurden die amerikanischen Bombenangriffe mit klaren Beweisen dafür, dass die Al-Qaida-Organisation für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich sei und diese vom Taliban-Regime unterstützt werde.18 Die von Bruha/Bortfeld geäußerte Befürchtung, dass es sich hier um eine Überdehnung des Art. 51 handle, da schließlich nichtstaatliche Akteure – die Al-Qaida – agiert hätten,19 kann nicht geteilt werden, da der Krieg nicht gegen die Al-Qaida an sich geführt wurde, sondern gegen einen Staat.

Insgesamt vermag die gesamte Argumentation über die sogenannten asymmetrischen Kriege aus der Sicht des Völkerrechts nicht zu überzeugen, da letztlich auch das Handeln von nichtstaatlichen Akteuren immer Staaten zurechenbar ist.20 Schließlich sind es nämlich die Staaten, die sicherstellen müssen, dass von ihren Territorien keine Aktionen ausgehen, die die souveräne Gleichheit anderer Staaten untergraben. Dabei spielt die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Regierung und die Verfasstheit des Staatswesens keine Rolle. Entscheidend ist die effektive Hoheit über das Staatsgebiet. Die Aktionen, so der USA-Präsident Bush, „zielen darauf ab, die Verwendung Afghanistans als Operationsbasis für die Terroristen zu unterbinden.“21 Durch die Unterstützung von Terroristen haben sich die Taliban selbst zum Ziel des Anti-Terror-Kampfes gemacht, weshalb ihre Beseitigung nicht unverhältnismäßig und durch das Selbstverteidigungsrecht gedeckt war.

Hinzu kommt, dass das Talibanregime schon 1999 mit nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen belegt worden war, weil seine Handlungen eine Bedrohung des Weltfriedens darstellten. Da sich die Taliban weigerten, die vom Rat geforderte Unterstützung des Terrorismus einzustellen, hätte der Sicherheitsrat über kurz oder lang nach der Logik der Charta und seiner Verpflichtung, alles zur Friedenssicherung Notwendige zu tun, ohnehin weitere – auch militärische – Zwangsmaßnahmen zur Beseitigung dieser Gruppierung ergreifen müssen, da sie deutlich gemacht hatte, nicht von ihrer friedensgefährdenden Politik abzulassen.

Die weitere Entwicklung im Winter des Jahres 2001 stützt diese Auffassung. Nach dem Sieg über die Taliban in Kabul übernahm der Sicherheitsrat wieder die Verantwortung für die weiteren Schritte bezüglich der Entwicklung in und um Afghanistan. Mit der Res. 1383 (2001) vom 6. Dezember 2001, in der er die Ergebnisse der Bonner Afghanistan-Konferenz unterstützt, und der Res. 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, mit der er die Entsendung einer internationalen Sicherheitstruppe beschloss, wurde er seinen Aufgaben gerecht. Letztlich billigte der Rat in der Präambel der letztgenannten Resolution auch die US-britische Militäraktion, wenn er dort ausdrücklich seine „Unterstützung der internationalen Bemühungen zur Ausrottung des Terrorismus“ und seine „Genugtuung über die Entwicklung in Afghanistan“ erklärt. Für die unabhängig davon fortgeführte Ächtung der Taliban spricht schließlich, dass der Sicherheitsrat mit der Res. 1390 (2002) Boykottmaßnahmen fortsetzte.

Bedenklich an den Resolutionen 1368 und 1373 ist allerdings, dass sie nicht dem Erfordernis der Bestimmtheit entsprechen, so dass Autoren von einem »Blankoscheck« für die USA sprachen.22 Diesen lösten die USA auch ein, denn sie unterbreiteten der Weltöffentlichkeit keinerlei Beweise für die Verwicklung der Taliban in die Anschläge vom 11. September 2001. Angeblich wurden sie dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt, aber bekannt gemacht wurde nur das Schreiben der USA an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 7. Oktober 2001, so dass die Tatsachengrundlagen unklar bleiben.23

Freilich könnte gegen eine derart kritische Bewertung des US-Vorgehens eingewendet werden, dass die Taliban schon zuvor der Unterstützung des Terrorismus bezichtigt wurden und insofern dahingehende Tatsachen bekannt waren. Bedenklicher waren allerdings die schon 2001 vernehmbaren und mittlerweile partiell Realität gewordenen Drohungen der USA, auch gegen Irak, Iran und Nordkorea einen Antiterrorkrieg zu führen.24 Sie gaben Anlass zur Befürchtung, die Unbestimmtheit der Resolutionen 1368 und 1373 könnte als Rechtfertigungsgrundlage für weitere Militärschläge der USA unter Umgehung des Sicherheitsrates herhalten.

Offensichtlich sah die Mehrheit im UN-Sicherheitsrat dies ähnlich, denn die nachfolgenden Resolutionen zum Antiterrorkampf, so z.B. die Res. 1455 (2003), enthalten keine Bezugnahmen auf das naturgegebene Selbstverteidigungsrecht und schränken damit Missbrauchsgefahren ein. Hinzu kommen zunehmend kritische Äußerungen in der Literatur, die in Frage stellen, dass die militärische Gewaltanwendung tatsächlich als die beste und einfachste Antwort auf den Terrorismus angesehen werden kann.25

Multilaterale Antworten auf den Terrorismus notwendig

Insgesamt ist einzuschätzen, dass das bestehende Völkerrecht einen tragfähigen rechtlichen Rahmen für die Bekämpfung terroristischer Akte von Staaten und nichtstaatlicher Akteure zur Verfügung stellt. Mehr noch, die Ereignisse des 11. September 2001 und ihre Folgen haben gezeigt, wie wichtig eine gemeinsame Grundlage für den Widerstand der rechtstreuen Staatengemeinschaft gegenüber der Herausforderung ist. Das unilaterale Vorgehen der USA und der Koalition der Willigen gegen den Irak 2003 hat gezeigt, wie gefährlich es ist, das bestehende Rechtssystem in Frage zu stellen. Herausgekommen sind chaotische Zustände, die zahllose Menschenleben fordern und geradezu eine Brutstätte für internationalen Terrorismus darstellen. Es zeigt sich, wie verwundbar moderne Gesellschaften sind und wie eng sie miteinander verbunden sind. Folglich kann es keine unilaterale Antwort auf den Terrorismus geben, sondern nur eine der in einem System kollektiver Sicherheit organisierten Staatengemeinschaft.

Anmerkungen

1) Präsident Bush hat an diesem Tag das Dokument beiden Kammern des amerikanischen Kongresses vorgelegt. Internetabruf unter www.whitehouse.gov/nsc/nss.html.

2) Frhr. v. Lepel, O. M.: Die präemptive Selbstverteidigung im Lichte des Völkerrechts, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 16 (2003), S.77 f.

3) Glennon, M. J.: Pro & Contra – Bricht Amerika das Völkerrecht? Nein, in: Ambros, K./J. Arnold, Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, Berlin 2004, S.259.

4) Die EU-Sicherheitsstrategie, EU-Doc. SO230/03, abrufbar unter http://ue.eu.int/solana.

5) Die Mehrheit der Völkerrechtler verlangt für die Qualifizierung militärischer Gewaltmaßnahmen als bewaffnete Angriffe eine gewisse Angriffsintensität. Einmalige schlichte Grenzverletzungen geringeren Umfangs liegen unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs und sind deshalb von dem betroffenen Staat hinzunehmen. Damit sollte der Missbrauch des Selbstverteidigungsrechts verhindert werden. Vgl. dazu Fischer in: Ipsen, K., Völkerrecht, Ein Studienbuch, 5. Aufl., München 2004, § 59.

6) Abgedruckt in: Schweitzer, M./ W. Rudolf: Friedensvölkerrecht, 3. Auflage, Baden-Baden 1985, S.696.

7) UN-Doc. E/CN.4/Sub.2/1999/27, para. 43.

8) Münkler, H.: Gewalt und Ordnung, Frankfurt/M. 1992, S.147 ff.

9) Lavalle, R.: The International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 60 (2000), S.497.

10) Dammann, B./D. Vlassis: Stärkung des internationalen Strafrechts, in: Vereinte Nationen 49 (2001), S.222

11) Nolte, G.: Die USA und das Völkerrecht, in: Friedenswarte 78 (2003) 2-3, S.127.

12) Frowein, J. A. zu Art. 39, in: B. Simma (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, München 1991, S. 567 f.

13) Schmahl, S./A. Haratsch: Internationaler Terrorismus als Herausforderung an das Völkerrecht, in: WeltTrends 32 (2001), S.112.

14) Cassese, A., Terrorism is also disrupting some crucial categories of international law, in: European Journal of international law 12 (2001), S.996.

15) Wolfrum, R. zur Präambel, in: Simma, B. (a.a.O.), S.5.

16) Frowein, J. A., „Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.9.2001, S.10.

17) So selbst der ansonsten sehr US-kritische Schrijver, N. J., „Responding to International Terrorism: Moving the Frontiers of International Law for ‘Enduring Freedom’“, in: Netherlands International Law Revue 68 (2001), S.284.

18) UN-Doc. S/2001/946.

19) Bruha T./M. Bortfeld: Terrorismus und Selbstverteidigung, in: Vereinte Nationen 46 (2001), S.166.

20) Eine andere Auffassung vertritt Bruha, T.: Neuer internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: Koch H.-J. (Hrsg.): Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, Baden-Baden 2002, S.65. Er sieht eine Rechtsfortbildung dahingehend, dass ein bewaffneter Angriff auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen könne.

21) Archiv der Gegenwart (2001), S.45244.

22) Williams, I.: Amerikas Krieg gegen den Terrorismus, in: Vereinte Nationen 49 (2001), S.210.

23) Wolf, J.: Terrorismusbekämpfung unter Beweisnot – Völkerrechtliche Informationsanforderungen im bewaffneten Konflikt, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 14 (2001), S.210.

24) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.1.2002, S.1.

25) Nachweise bei Quénivet, N.: The Legality of the Use of Force by the United States and the United Kingdom Against Afghanistan, in: Austrian Review of International and European Law 6 (2003), S.238.

PD Dr. Hans-Joachim Heintze, Völkerrechtler am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum

Kurze Geschichte des Völkerrechts

Kurze Geschichte des Völkerrechts

von Gerhard Stuby

Recht soll Verhältnisse zwischen bestimmten Subjekten regeln, innerstaatliches Recht die Beziehungen der Individuen untereinander und zum Staat, Völkerrecht das Verhalten der Staaten untereinander. Ohne Staat kommt dieser Begriff von Recht im Allgemeinen und Völkerrecht im Besonderen nicht aus. Eine derartige Definition wird als zu eng kritisiert. So sei Recht als Grundbedingung menschlicher Existenz, dem Staat vorausgehend, zu begreifen, Völkerrecht dürfe nicht auf Beziehungen zwischen Staaten reduziert werden. Nichtstaatliche Organisationen oder Individuen seien einzubeziehen. Ob völkerrechtliche Einzelerscheinungen schon in Urgesellschaften vorzufinden oder erst beim Aufeinandertreffen von Großimperien (im Vorderen Orient) anzunehmen sind, hängt von der Definition, eng oder weit, ab. Hinzukommt, dass man für die Einordnung dieser frühen Phänomene in unsere moderne Gedankenwelt auf die »stummen« Zeugnisse archäologischer Funde angewiesen ist. Günstiger steht es, wenn die Beziehungen der griechischen Stadtstaaten (Polis) untereinander und zu den außen stehenden Reichen (Persien oder Karthago) zu beurteilen sind (etwa 600 bis 338 v. Chr.). Sie liegen uns zeitlich näher. »Historiker« (Thukydides u.a.) berichten für uns lesbar über diese Ereignisse. »Philosophen« (Platon, u.a.) bezeugen sie reflektierend. Einige Institute (Schiedsgerichtsbarkeit) muten modern an. Derartige Schlüsse könnten von rückwärtiger Sicht geprägt sein; ebenfalls die übliche Kategorisierung der folgenden römisch – hellenischen Periode (bis 500 n. Ch.) als aus völkerrechtlicher Sicht wenig ergiebig. Die Anfangszeit unterscheidet sich wenig von der griechischen Periode. Erst nach der Vernichtung Karthagos (146 v. Ch.) bilden sich imperiale Züge des bislang locker strukturierten Gesamtverbandes heraus. Die Regelung der Stellung der cives Romani zur politischen Gewalt wäre als »Staatsrecht«, die der cives untereinander als »Zivilrecht« zu betrachten; ius gentium trotz des Namens nicht als Völkerrecht, sondern als »innerstaatliches« Ausländerrecht. Die Außenbeziehungen zu den Barbaren (Germanen z. B.) waren weitgehend auf Krieg reduziert. Hierfür genügten die überkommenen hellenistischen Instrumente. Völkerrechtlich in der Tat nicht viel Neues, abgesehen von den Reflexionen eines Augustinus über den gerechten Krieg.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nationen, entstanden nach Zerfall des römischen Imperiums und sich als dessen Nachfolger begreifend, lebte aus dem Steinbruch des Corpus Iuris Civilis. Mit ihm legitimierten Kaiser und Papst sowohl ihre jeweilige Berechtigung zur Herrschaft als auch den spannungsreichen Dualismus untereinander. Die neuzeitlichen territorialen Gewalten (1492 Entdeckung Amerikas) schöpften ebenfalls aus diesem Fundus, zum einen um die Emanzipation von Kaiser und Papst, zum anderen, um die nun entstehenden völkerrechtlichen Beziehungen zu der jeweiligen anderen Territorialgewalt zu begründen.

Spanische Theologen (de Vittoria u.a.), Gedankengut des Mittelalters verarbeitend, suchten und fanden neue Rechtstitel (Entdeckung, Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker etc.), um den überseeischen Besitz dem päpstlichen Zugriff zu entziehen. Blutig erkämpfte Unabhängigkeit der Niederlande von Spanien führt nicht nur zu Verhaltensnormen im Krieg (ius in bello), sondern schlechthin zu geregelten, nicht lediglich urwüchsigen Beziehungen zwischen Staaten (Institut der Anerkennung, Gesandtschaftsrecht etc.). Der »Vater des Völkerrechts« Hugo Grotius entwickelt im Hauptwerk De iuri belli ac pacis die Grundlagen für das bis heute geltende »völkerrechtliche System«. National getrieben – niederländisches mare librum gegen englisches mare clausum –, wird Kern des neuen Konzepts eine Ordnung von Gleich zu Gleich, von souveränen Staaten. Sie akzeptieren keine Gewalt über sich, weder Kaiser noch Papst, und widersprechen der internationalen Realität der Asymmetrie (Großmächte). Die Umrisse des Konzepts erscheinen in den Friedensverträgen 1648 von Osnabrück und Münster. Seither wird vom Westfälischen System gesprochen.

In der folgenden französischen Periode (1648-1815) suchen die Großmächte völkerrechtliche Instrumente, um das »Gleichgewicht« zwischen sich abzusichern. Es erscheint durch imperiale Gelüste des jeweils anderen bedroht. Eine autoritative Instanz über ihnen fehlt. Ein Mangel übrigens, der manchen zweifeln lässt, ob Völkerrecht überhaupt Recht sei (Hobbes). Welcher Krieg gerecht ist, lässt sich nicht feststellen. Der Ausweg: Ius belli für jeden, ausgebaut als Duell mit festen Regeln (Kriegsrecht), Möglichkeit der Distanz für Unbeteiligte (Neutralität) und Ausweichmöglichkeiten für Schwächere (Schiedswesen). Die französischen Revolutionäre proklamieren neue Prinzipien wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Der Wiener Kongress (1815) leitet das englische (bis 1914) bzw. ab 1918 das amerikanische Zeitalter ein. Staatenkonferenzen mit ständigem Apparat bürgern sich ein. Die beiden Haager Friedenszusammenkünfte 1899 und 1907 ragen heraus. Die Versuche, das jus belli durch Schiedswesen einzudämmen, konnten den 1. Weltkrieg nicht verhindern. Er brachte die USA ins Spiel, die seitdem die Weltbühne nicht mehr verlassen haben. Der Völkerbund sollte die Souveränität der Staaten nicht beseitigen, sondern sie in »frei« vereinbarter kooperativer Kollektivität »aufheben«. Die Kriegsächtung (Kellog-Briand-Pakt) zog die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass der technologisch geführte Krieg nicht humanitär »eingehegt« werden kann. Ohne die USA wäre dieser neue völkerrechtliche Ansatz gar nicht zustande gekommen. Ohne sie musste er verderben. Hitler als Exponent von Kräften in Deutschland, die dem ideologischen Amalgam aus Revisionismus und rassisch begründetem Imperialismus erlagen, zögerte nicht, alle Restbestände eines neuen Völkerrechts zu beseitigen. Der Griff zur Weltmacht konnte ihm nur mühsam und mit großen Opfern verwehrt werden. Die USA beteiligten sich nicht nur prominent an der Abwehr, sondern wie 1918 nach Ende des 2. Weltkrieges an der völkerrechtlichen Antwort, der UN-Charta. Allerdings mussten sie einen lästigen Gleichgewichtspartner, die UdSSR, mehr als ein halbes Jahrhundert lang in Kauf nehmen. Die nicht nur negative Bilanz »friedlicher« Koexistenz ist noch nicht erstellt. Tendenzen der Hegemonie nur einer Großmacht sind seither auszumachen, auch Gegenkräfte. Ob sich ein neues Gleichgewicht in den internationalen Beziehungen einpendelt und welche Chancen völkerrechtliche Weiterentwicklungen (Internationaler Strafgerichtshof z.B.) haben, kann noch nicht prognostiziert werden.

Dr. Gerhard Stuby, Prof. i.R. für Öffentliches Recht und wissenschaftliche Politik der Universität Bremen

Fünf Jahre Internationaler Strafgerichtshof

Fünf Jahre Internationaler Strafgerichtshof

von Olaf Miemiec

Die Geschichte des Ringens um die Verankerung von Menschenrechten ist lang. Eine »kurze Geschichte« ist da vor allem eine gekürzte Geschichte. Ausblenden muss ich vor allem den höchst interessanten Transformationsprozess der christlichen Doktrin von der Gleichheit aller Christen vor Gott zur menschenrechtlichen Gleichheit. Für das westeuropäische Verständnis der Menschenrechte sind zwei historische Ereignisse zentral: die Reformation und die Aufklärung.

Die Reformation hat das Faktum religiöser Pluralität innerhalb eines Gemeinwesens nach sich gezogen, was letztendlich in der Verabschiedung von Staatsreligionen münden musste. Hegel hat diesen Gedanken klar formuliert: „Damit ferner der Staat als die sich wissende, sittliche Wirklichkeit des Geistes zum Dasein komme, ist seine Unterscheidung von der Form der Autorität und des Glaubens notwendig; diese Unterscheidung tritt aber nur hervor, insofern die kirchliche Seite in sich selbst zur Trennung kommt; nur so, über den besonderen Kirchen, hat der Staat die Allgemeinheit des Gedankens, das Prinzip seiner Form gewonnen und bringt sie zur Existenz“ (G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270, in: Werke Bd.7, Frankfurt/M. 1986, S.428). Wenn die Religionsfreiheit der (historische) Kern der Glaubens- und Meinungsfreiheit ist, scheint also letztere mit dem Schlüsselereignis der Reformation verknüpft zu sein. Auch Marx sieht – in deutlicher Bezugnahme auf Hegel – den Zusammenhang von Reformation und der Herausbildung des „politischen“ (lies: modernen) Staats.

In der Aufklärung hingegen – ich beziehe mich hier vor allem auf Hobbes, Locke und Kant – spielt die Frage eine zentrale Rolle, was denn eigentlich Rechte seien. Die ziemlich einhellige Antwort lautet, dass (subjektive) Rechte Ansprüche innerhalb einer gerechten, d.h. als legitim anerkannten Verteilungsordnung darstellen, deren Durchsetzbarkeit durch politische Herrschaft stabilisiert wird. So schreibt etwa Kant: „Wenn es rechtlich möglich sein muss, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben: so muss es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit um Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten“ (Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VIII, Frankfurt/M. 1977, S.366).

Der empfindliche Punkt ist nun aber, dass einerseits der Staat erst als Bedingung für das Recht im Sinne einer gerechten Ordnung erscheint, andererseits aber staatliche Machtausübung keineswegs an der Stelle halt macht, die für die Erhaltung des Rechts funktional notwendig ist. Sie kann diese Schwelle sogar so weit überschreiten, dass die Grundlagen einer gerechten Ordnung untergraben werden können. Die liberale Reaktion auf diesen blinden Fleck hobbesianischer Staatsrechtfertigung ist ein politisches Programm zur Bändigung des Leviathan. In der Differenz zwischen einer nur faktischen und einer gerechten Ordnung erscheint die Idee der Menschenrechte. Sie artikulieren die normativen Anforderungen an die rechtlich-politische Struktur eines Gemeinwesens, die erfüllt sein müssen, um die Struktur als »gerecht« bezeichnen zu können.

Hierher gehören zunächst die bürgerlichen Rechte. Drei fundamentale Gleichheiten sind hier relevant. Zunächst lässt sich in der Aufklärungsperspektive die Gesellschaft als Zusammenhang auffassen, in der sich die Individuen wechselseitig als Rechtspersonen anerkennen. Dem entspricht die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Dann lässt sich die Gesellschaft als ein Zusammenhang auffassen, dessen Individuen sich wechselseitig als Wesen anerkennen, die zu vernünftigen Begründungen ihres Handelns fähig sind. Das ist die wechselseitige Anerkennung als moralische Person. Dem entsprechen die bürgerlichen Freiheitsrechte. Schließlich anerkennen sich die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft auch an als gleiche Bürger der res publica. Dem entsprechen die politischen Partizipationsrechte.

Für die Theoretiker der Volkssouveränität sind vor allem die Partizipationsrechte von zentraler Bedeutung, insbesondere auch für das Projekt der Zähmung des Leviathans. Denn sie gehen von der Annahme aus, dass, da ein einzelner sich kein Unrecht antut, ein Unrecht auch dann nicht zustande kommt, wenn alle Bürger des Gemeinwesens im Ergebnis eines vernünftigen Willensbildungsprozess Recht setzen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem volonté générale und dem volonté de tous. Deswegen heißt Volkssouveränität auch nicht, nach Umfragen zu regieren; vielmehr heißt Volkssouveränität, dass es gerechte Verfahren geben muss, innerhalb derer ein politischer Wille generiert werden kann. Im Begriff des gerechten Verfahrens lässt sich der Kern der gerechten Ordnung identifizieren.

Der liberale Theoretiker John Rawls spricht davon, dass gleiche Rechte für alle nur dann einen Wert haben, wenn sie einen gleichen Wert für alle haben. Sicher, Rechtsgleichheit ist als solche schon ein Wert, aber sie hat einen Zweck, der unerfüllt bleibt, wenn sie nur darin besteht, dass alle das gleiche Recht haben, unter Brücken zu schlafen, wie Anatole France es mit bitterer Ironie formulierte. Die Verwirklichung einer sozial gerechten Gesellschaft ist das Ziel einer jeden Gesellschaft, in der gleiche Rechte nicht zynisch verstanden werden. Damit geht die Idee des demokratischen Verfassungsstaats über in die Idee des demokratischen Sozialstaats.

Abschließend noch eine Bemerkung zur Universalität der Menschenrechte: Menschenrechte können vom Staat nicht gewährt werden, denn sie sind Normen, anhand derer wir die Gerechtigkeit der Grundordnung einer Gesellschaft bemessen. Damit aber stehen sie nicht nur jenseits der faktischen Rechtsordnung, sondern jenseits aller Rechtsordnungen. Das gilt zeitlich und räumlich.

Dr. phil. Olaf Miemiec ist Referent für Menschenrechtspolitik in der Linksfraktion im Bundestag

Menschenrechte kontra Völkerrecht?

Menschenrechte kontra Völkerrecht?

von Alexander Neu

„Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt und das Gesetz, das befreit.“ (Jean Jacques Rousseau; Du Contrat Social)

Diese Aussage Rousseaus’ beschreibt in Kürze Sinn und Zweck von Gesetzen im humanistischen Sinne: Die Aufhebung des freiheitlichen Naturzustandes zu Gunsten einer Rechtsordnung vermittelt und garantiert durch den Staat, um den Schwachen vor dem Starken in seiner Würde und Freiheit zu schützen. Im Zentrum eines humanistischen Rechtsverständnisses steht der Wert der menschlichen Würde. Diese Würde gilt es, durch unbedingt gültige Rechte, die Menschenrechte, zu schützen.

Der Titel dieser Ausgabe »Völkerrecht und Menschenrechte«, suggeriert eine Addition zweier völlig unterschiedlicher Rechtssysteme. Dabei handelt es sich in der Tat nicht um eine Addition, da die Menschenrechte ein Bestandteil – vielleicht sogar eine Quelle – des innerstaatlichen sowie des Völkerrechts darstellen, sofern man die Prämisse teilt, dass der Mensch und seine Würde im Zentrum des innerstaatlichen, aber auch des Völkerrechts stehen: Denn Krieg, den das moderne Völkerrecht verhindern soll, ist die größte Menschenrechtsverletzung überhaupt. Mit anderen Worten: Wer Menschenrechte schützen will, muss den Krieg ächten.

Leider ist seit geraumer Zeit ein politischer Prozess zu beobachten, der darauf abzielt, die Menschenrechte instrumentell gegen das Völkerrecht auszuspielen, um das seit 1945 geltende universelle Völkerrecht der Vereinten Nationen zu durchlöchern. Aus „nie wieder Ausschwitz, nie wieder Krieg“ wurde bekannterweise im Kontext des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien, „um Auschwitz zu verhindern müssen wir Krieg führen“.

Forderungen nach einer »Weiterentwicklung des Völkerrechts«, das Konzept der »Responsibility to protect« etc., zielen darauf ab, die bereits im 19. Jahrhunderts durch Missbrauch diskreditierte »Humanitäre Intervention« wieder salonfähig zu machen und das auf Friedenspflicht angelegte universelle Völkerrecht sturmreif zu schießen.

Ist es glaubwürdig,

– wenn sich ausgerechnet Nationen, die als Kolonialmächte agierten, deren Folgen noch heute spürbar sind,

– oder Nationen, die dem Faschismus und Nationalsozialismus huldigten, dessen Folgen ebenfalls noch spürbar sind,

– wenn Nationen, die heute große Teile der Welt ökonomisch ausbeuten und zur Sicherheit ihres Wohlstandes auch bereit sind Militär einzusetzen,

sich so ganz »uneigennützig« als humanitäre Interventionisten – gleichsam als militärischer Arm von Amnesty International – empfehlen.

Ist die »Responsibility to Protect-Doktrin«, die laut Bundeswehr-Weißbuch „als Reaktion auf die Intervention im Kosovo“ entstanden ist, nicht bereits deshalb desavouiert, weil sie »als Reaktion« auf die unwahren Begründungen (angeblich drohender oder stattfindender Völkermord) für den NATO-Krieg 1999 entwickelt wurde. Kommt hinzu, dass die für diese Doktrin verantwortliche Kommission – die »International Commission on Intervention and State Sovereignty« – auf Veranlassung der kanadischen Regierung mit Unterstützung US-amerikanischer Stiftungen und Think Tanks (u.a. Carnegie Corporation und Rockefeller Foundation ) gegründet wurde.

Die Kommission ist zwar paritätisch aus westlichen und nicht-westlichen Vertretern zusammengesetzt, da sagt aber nichts über mögliche Abhängigkeitsverhältnisse oder ideologische Nähe. Auch ist es eine alte Weissheit, dass der Auftraggeber einer Studie in der Regel auch das Ergebnis vorgibt und die auszuarbeitende Kommission lediglich Methode und Argumente bereitzustellen hat. Mit Blick auf die Kommissionsmitglieder ist interessant, unter ihnen den zu Zeiten des NATO-Krieges gegen Jugoslawien amtierenden Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses Klaus Naumann zu finden – sicher ist sicher, wenn es um die Generierung einer neuen Interventionsideologie geht.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es kann sehr wohl Situationen geben, in denen Nothilfe erforderlich ist, um einen Genozid zu verhindern bzw. zu stoppen (siehe Ruanda 1994). Die Verantwortung zum Schutz von Menschen muss im Zweifelsfall eine übernationale Verantwortung sein. Zugleich muss aber die Gefahr des Missbrauchs eines solchen Ansatzes minimiert werden. Die einzige und legitime Institution, die das gewährleisten kann, sind die Vereinten Nationen, auch wenn der jetzige Zustand der Weltorganisation sie dafür nur unzureichend legitimiert. Eine Demokratisierung der Vereinten Nationen und der Ausbau ihrer Befugnisse sind notwendig, damit nicht eine Hand voll mächtiger Staaten bestimmt, wann unter dem Vorwand »humanitär« militärisch interveniert wird.

Ein Ausbau der internationaler Institutionen und des internationalen Rechtssystems ist notwendig, um zu verhindern, dass Menschenrechte und Völkerrecht gegeneinander ausgespielt werden. Sie sind unter humanistischen Gesichtspunkten eine Einheit und müssen dies auch bleiben.

Ihr Alexander Neu

Das Völkerrecht und die Instrumentalisierung der Menschenrechte

Das Völkerrecht und die Instrumentalisierung der Menschenrechte

von Norman Paech

Schon ein flüchtiger Blick auf die gut sechzigjährige Geschichte der UNO zeigt, dass – trotz aller Niederlagen und Defizite dieser Organisation und ihrer Charta – in dieser Zeit das Völkerrecht einen nie zuvor in der Geschichte erlebten schnellen Wandel und eine unvergleichlich progressive Kodifizierung erfahren hat. Seit dem Ende des West-Ost-Konfliktes stehen aber traditionelle Pfeiler des Völkerrechts, wie die staatliche Souveränität, in der Diskussion. Der Autor geht der Frage nach, ob es sich hier um eine beabsichtigte konstruktive Weiterentwicklung des Völkerrechts handelt oder um eine Instrumentalisierung der Menschenrechte aus geostrategischen und machtpolitischen Interessen.

Zur progressiven Kodifizierung des Völkerrechts gehört die Entwicklung des Kriegsverbotes (Briand-Kellog-Pakt von 1928) zum Gewalt- und Interventionsverbot (Art. 2 Z. 4 der Charta der Vereinten Nationen). Dazu gehört die Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung in der Epoche der Dekolonisation. Dieses Recht, welches erstmals in den Deklarationen der französischen Revolution auftauchte, brauchte knapp zweihundert Jahre, bis es über die Stationen des Völkerbundes und der Vereinten Nationen erst in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts als zwingendes Recht allgemein anerkannt wurde.

Zu diesem Fortschritt gehört auch die umfassende Kodifizierung der individuellen Menschenrechte, selbst wenn der rechtliche Status der ökonomischen und sozialen Rechte immer noch bestritten und auf bloße politische Programmatik abgewertet wird. Wenn auch darüber hinaus das Projekt der kollektiven Menschenrechte – es handelt sich um das Recht auf Frieden und auf Entwicklung – den Großmächten des Nordens noch abgerungen werden muss, der Fortschritt liegt bereits in der Formulierung derartiger Rechte durch die Menschenrechtskommission der UNO und der Übernahme dieser Konzepte durch die Generalversammlung. Die Einrichtung eines Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist überhaupt der erste Ansatz, das Individuum aus seiner völkerrechtlichen Nichtexistenz herauszuholen und ihm Schutz gegenüber dem eigenen Staat zu geben. Die verschiedenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Türkei sprechen z.B. eine deutlichere Sprache und sie verschaffen den Folteropfern mehr Rechte und Wiedergutmachung als die europäischen Regierungen bisher von der türkischen Regierung erreichen konnten.

Zu verweisen ist darüber hinaus auf eine eher konservative Funktion der Charta, die Bestrebungen der Großmächte, Prinzipien des Völkerrechts zu beseitigen, Widerstand entgegensetzt. Dies gilt z. B. für das Prinzip der nationalen Souveränität (Art. 2 Z. 1 UNO-Charta), dem vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Integration der europäischen Staaten – in einer politischen Gemeinschaft mit weitgehender Souveränitätsverlagerung auf die Institution der Europäischen Union – die Zukunftsfähigkeit abgesprochen wurde. Selbst die Einschränkungen der Souveränität, die die UNO-Charta von den Staaten in der Weiterentwicklung der internationalen Gemeinschaft verlangt, werden gegen ihr eigenes Prinzip der Garantie staatlicher Souveränität verwandt und dieser schlicht Überholtheit bescheinigt.1

Bliebe es bei literarischen Angriffen auf die Souveränität, würden sich daraus für die betroffenen Staaten keine größeren Probleme ergeben. Die Kriege der letzten zehn Jahre – von der Bombardierung Jugoslawiens 1999 bis zu den Invasionen in Afghanistan und dem Irak – sowie die gegenwärtige Kriegsdrohung gegen den Iran, aber auch die vielfältigen politischen und ökonomischen Interventionen in die Staaten der Peripherie, zeichnen jedoch ein zunehmend gefährlicheres Szenario. Aus der Sicht dieser Staaten des Südens wird die Bedeutung der Souveränität für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten nach wie vor sehr viel deutlicher erkannt und betont. Walden Bello, Direktor des Bangkoker Forschungsinstituts »Focus on the Global South« und Professor an der Universität der Philippinen in Diliman, formuliert stellvertretend für viele Stimmen aus dem Süden die zentrale Bedeutung der Souveränität für die Staaten, die sich nach wie vor in den unteren Rängen der Weltpyramide befinden: „Nun mag für einige Leute im Norden, die zu Staaten gehören, die den Rest der Welt beherrschen, nationale Souveränität ein Kuriosum sein. Für uns im Süden dagegen ist die Verteidigung dieses Prinzips eine Angelegenheit von Leben und Tod, eine zwingende Bedingung für die Realisierung unserer kollektiven Bestimmung als Nationalstaat in einer Welt, in der die Mitgliedschaft in einem Nationalstaat eine grundlegende Bedingung für den ungehinderten Zugang zu den Menschenrechten, politischen Rechten und wirtschaftlichen Rechten ist. Ohne einen souveränen Staat als Rahmen sind unser Zugang und unsere Nutznießung dieser Rechte gefährdet.“2

Da die Nationalstaaten immer noch die entscheidenden gesellschaftlichen Organisationsformen der Menschen sind, plädieren diese Stimmen für eine offensive, ja »aggressive« Verteidigung ihrer staatlichen Souveränität, „denn der Imperialismus ist nun einmal so, dass er es als Präzedenzfall für andere, in der Zukunft liegende Fälle benützt, wenn man ihm einmal den kleinen Finger gibt.“3

Aber auch die von der Kanadischen Regierung eingerichtete International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) bestätigt in ihrem Bericht von 2001 diese Position. „In a dangerous world marked by overwhelming inequalities of power and resources, sovereignty is for many states their best – and sometimes seemingly their only – line of defence. But sovereignty is more than just a functional principle of international relations. For many states and peoples, it is also a recognition of their equal worth and dignity, a protection of their unique identities and their national freedom, and an affirmation of their right to shape and determine their own destiny. In recognition of this, the principle that all states are equally sovereign under international law was established as a cornerstone of the UN Charter (Art. 2.1).“4

Wichtig ist, dass ICISS auch bei schweren innerstaatlichen Konflikten wie Aufständen oder Bürgerkriegen, die staatliche Souveränität nicht der Intervention anderer Staaten preisgibt. Denn auch das in der UNO Charta (Art. 2.4) verankerte Verbot der Intervention zählt der Bericht zu den sog. basic principles: „State sovereignty implies responsibility, and the primary responsibility for the protection of its people lies with the state itself. Where a population is suffering serious harm, as a result of internal war, insurgency, repression or state failure, and the state in question is unwilling or unable to halt or avert it, the principle of non-intervention yields to the international responsibility to protect.“5

Doch zeigen die letzten Kriege, dass dieses Prinzip auf äußerste gefährdet ist, denn es bietet keinen wirksamen Schutz mehr gegenüber den Interventionen der großen Mächte. Sie bedienen sich zur Rechtfertigung ihrer interventionistischen Interessen vornehmlich drei moderner Gründe:

  • Kampf gegen den internationalen Terror,
  • Verhinderung des Erwerbs bzw. Beseitigung bereits bestehender Massenvernichtungsmittel und
  • Schutz der Menschenrechte.

Dabei fällt auf, dass in dem Maße, in dem der Terror oder die Massenvernichtungsmittel als Begründung zweifelhaft werden, die Menschenrechte als »Ausfallbegründung« in den Vordergrund treten. Die »humanitäre Intervention« ist seit ihrer Neuerfindung zur Rechtfertigung der Bombardierung Jugoslawiens im Frühjahr 1999 zur ständigen Reservelegitimation völkerrechtswidriger Interventionen geworden.

Der Sündenfall des ganz offensichtlich völkerrechtswidrigen Überfalls auf Jugoslawien (keine Selbstverteidigung gem. Art. 51, kein UNO-Mandat gem. Art. 39/42 UNO-Charta6) wird auch heute noch als klassischer Fall der »humanitären Intervention« gehandelt. Die humanitäre Sorge und Argumentation entsprach zweifellos der Motivation etlicher ihrer Befürworter. Der Schaden, den er jedoch für die Kultur der internationalen Beziehungen und die Geltung des internationalen Rechts anrichtete, geht weit über seine vermeintlichen Erfolge hinaus. Aus dem geschärften Blick eines unbeteiligten Beobachters wie Walden Bello lassen sich einige Konsequenzen sehr deutlich benennen.

  • Zunächst hat der Krieg dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen zu unterminieren, die bewusst übergangen wurden, da die USA ihre Zustimmung nicht erlangen konnte. Dafür wurde die NATO vorgeschoben, die verdeckte, dass der Krieg zu 95% von der US-Army durchgeführt wurde.
  • Zusätzlich diente die NATO der Bundesregierung zum erstmaligen Auftritt auf einem internationalen Kriegsschauplatz nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit wurde ein neues Kapitel deutscher Militärpolitik aufschlagen.
  • Sodann vergrößerte der Krieg der NATO – mit der Zerschlagung des noch verbliebenen Staatenzusammenhangs auf dem Balkan – das Sicherheitsvakuum Osteuropas. Damit war zugleich der institutionelle Rahmen für die US-Hegemonie auch im post-sowjetischen Europa gelegt.
  • Dass der Luftkrieg die Situation der Menschenrechte erheblich verschlechterte und mit der Bombardierung von zivilen Einrichtungen – wie Elektrizitätswerke, Brücken und Wasserversorgung – die Genfer Konventionen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 verletzte, wird zwar bisher der gerichtlichen Überprüfung entzogen, international aber nicht mehr ernsthaft angezweifelt.7
  • Schließlich, und das ist wohl das bedrohlichste Ergebnis dieses Krieges, diente er als »humanitäre Intervention« gleichsam als Türöffner für die künftigen Verstöße gegen das Prinzip der nationalen Souveränität und die damit verbundenen Kriege.

Bereits im zweiten Golf-Krieg war der UNO-Sicherheitsrat nach seiner Ermächtigung zur militärischen Intervention nach Art. 42 UN-Charta im November 1990 (UNSR-Res. 678) von dem weiteren Geschehen ausgeschlossen worden, was den damaligen Generalsekretär Perez de Cuellar bei Beginn der Raketenangriffe auf Bagdad zu dem bekannten Satz veranlasste: „Dies ist eine dunkle Stunde für die UNO.“ Die Einrichtung einer Schutzzone für die Kurden im Norden des Irak zur Sicherung ihrer Menschenrechte durch den UNO-Sicherheitsrat (UNSR-Res. 688 v. 5. 4. 1991) nutzten die USA und Großbritannien sofort, um ohne jegliche völkerrechtliche Legitimation die Souveränität des Irak durch die Einrichtung sog. Flugverbotszonen weiter einzuschränken und die selbstdefinierten Gebiete bis 2003 regelmäßig zu bombardieren. Ob es um die Bombardierung von Tripolis als Vergeltungsakt für das Attentat auf die Berliner Diskothek »La Belle« oder die Bombardierung ausgewählter Ziele im Sudan und Afghanistan zur Bestrafung des mutmaßlich verantwortlichen Bin Laden für die Attentate auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania ging, gemeinsam ist diesen Akten des Faustrechts die Missachtung der zuständigen Organe der UNO, des völkerrechtlichen Gewaltverbots, des Prinzips der territorialen Souveränität und des Gebots der friedlichen Streitbeilegung. Die Umgehung der UNO im Falle des Angriffs auf Jugoslawien konnte daraufhin zum Modellfall für den Umgang mit dieser Organisation werden. Die Unterstellung, dass zwei Veto-Inhaber den Maßnahmen der drei anderen nicht zustimmen würden – für diesen Fall hat die UNO nicht ohne Grund die Undurchführbarkeit der Maßnahmen bestimmt –, musste als Grund dafür herhalten, die UNO vollkommen zu übergehen. Erst für die Beseitigung der Schäden des illegalen Einsatzes der NATO wurde die UNO wieder herangezogen – eine groteske Umkehrung der UNO-Friedensfunktion.

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit in den öffentlichen Reden der kriegführenden Politiker die Bedeutung des Völkerrechts und der »rule of law« für die Internationalen Beziehungen angemahnt wird. Noch im Dezember 1998 beschwor Madeleine Albright in ihrer großen außenpolitischen Rede allein vier mal die Notwendigkeit der Beachtung der »rule of law« für die Beziehungen der Staaten untereinander,8 um ein Jahr später auf dem Balkan mit der NATO dem Völkerrecht den Rücken zuzukehren.9 Unter dem zunehmenden Legitimationsdruck der Öffentlichkeit entrollten die NATO-Minister ein Szenario der Menschenrechtsverletzungen als »humanitäre Katastrophe« im Kosovo, das die »humanitäre Intervention« sowohl als völkerrechtlichen Ausweg wie auch als moralisches Gebot der europäischen Wertegemeinschaft als zwingend erscheinen ließ. An dieser »Begründungsschlacht« beteiligten sich Philosophen, Soziologen, Theologen, Publizisten, Juristen und Moralisten, die auch die immer brüchiger werdende Faktenlage über die »serbischen Massenverbrechen« im Kosovo nicht zur Revision bzw. Einschränkung ihrer interventionistischen Moral- und Menschenrechtsrethorik bewegen konnte. Es kann kein Anstoß an der nachdrücklichen Betonung der Menschenrechte als Grundlage jeder Politik genommen werden. Wenn diese jedoch zum Hebel gegen Gewaltverbot und Selbstbestimmungsrecht eingesetzt werden, die mittlerweile als absolut zwingendes Völkerrecht (ius cogens) gelten, ist der Schaden für Frieden und Menschenrechte größer als der evtl. Nutzen für die Menschenrechte. Das Ausmaß der Zerstörungen in Jugoslawien wird durch keinen abstrakten Gewinn an Menschenrechten kompensiert, wo der konkrete Gewinn sowieso nicht mehr sichtbar ist.10

Die Invasion in Afghanistan 2001 wurde unter dem Schock der Ereignisse des 11. Septembers weitgehend akzeptiert und von der NATO mit der erstmaligen Ausrufung des Bündnisfalles gem. Art. 5 NATO-Vertrag gestützt. Die völkerrechtliche Grundlage war außerordentlich dünn, denn den USA gelang es nicht, ein Mandat durch den UNO-Sicherheitsrat für ihren Krieg zu bekommen. Es setzte sich allgemein die Rechtfertigung der Selbstverteidigung nach Art. 51 UNO-Charta durch, die auch von den nachfolgenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nie in Zweifel gezogen wurde. Obwohl schon bald nichts eindeutig Identifizierbares mehr von dem eigentlichen Ziel der Angriffe, der Terrororganisation Al Qaida, in Afghanistan vorhanden war, dauert der »Selbstverteidigungskrieg« auch im sechsten Jahr noch an – eine völkerrechtliche Kuriosität, die mit Sinn und Wortlaut des Artikel 51 nichts mehr zu tun hat. Schon längst ist Al Quaida durch die Taliban ersetzt worden und damit der immer weiter ausufernde Krieg zur »humanitären Intervention« mutiert, um die Afghanen von den menschenrechtsverachtenden Taliban zu befreien.

Dies dient nicht nur den NATO-Staaten, sondern auch den unzähligen Nichtregierungsorganisationen als Legitimation ihres immer problematischeren Einsatzes. Allerdings sind auch bei diesem »humanitären Einsatz« – ähnlich wie 1999 in Jugoslawien – einige Konsequenzen deutlich geworden, die sich leider noch nicht in einem Umdenken der beteiligten Staaten niedergeschlagen haben.

Am Offensichtlichsten ist die Etablierung eines weiteren US-amerikanischen Protektorats in strategisch wichtiger Lage. Es soll die Dominanz der USA nach der Unterwerfung des Irak festigen und hat bereits zu einer neuen Front gegen den Iran geführt. Es spricht vieles für die Vermutung, dass der Sieg über den Iran und die Rekolonisierung des Mittleren Ostens das letztendliche Ziel des neuen US-Imperialismus ist. Dieser ganze Komplex Nah- und Mittelost – von den Ölquellen am Golf über die durch Israel besetzten Gebiete Palästinas bis zum türkischen Kurdistan – ist exemplarisch für die absolute Dominanz fremder nationaler Interessen über eine Friedensstruktur auf der Basis allgemein akzeptierter völkerrechtlicher Regeln. Dieses von kolonialen Interessen willkürlich in separate Staaten aufgeteilte Gebiet unterliegt heute ebenso gnadenlos den Öl- und Gasinteressen der industriellen Großmächte wie zur Zeit des Völkerbundes. Und keine der großen internationalen Rechtsordnungen hatte eine Chance, die nationalen Interessen der Großmächte in dieser Region zu zügeln. Wo von den westlichen Protagonisten Völker- und Menschenrecht derart vernachlässigt, ja bewusst mit Füßen getreten werden, muss man sich über Gestalten wie Saddam Hussein nicht wundern.

Zweitens wird in Afghanistan – wie in Jugoslawien – entgegen den Genfer Regeln kaum noch zwischen zivilen und militärischen Zielen unterschieden. Die Anzahl ziviler Opfer steigt ständig und kann schon lange nicht mehr als unvermeidbarer Kollateralschaden ausgegeben werden. Das hat drittens nicht nur zu einer politischen und humanitären Situation geführt, die in vielen Aspekten schlechter ist als zur Zeit der Talibanherrschaft (Sicherheit und Ordnung, Korruption, Drogenanbau und –handel), das hat auch zur Stärkung des neuen Gegners, der Taliban, selbst geführt. Unter dem humanitären Mantel des Menschenrechtsengagements kommt allzu deutlich der nackte Kampf um geopolitische Vorteile zum Vorschein.

Lieferte die »europäische Zivilisation« im 19. Jh. das ideologische Unterfutter für die Kolonisierung der Welt, so erfüllen heute die europäischen Menschenrechte den gleichen Zweck für die »humanitäre Globalisierung« der neuen Weltordnung. Sie sind der Kern der »Europäischen Wertegemeinschaft«. Würden sie zu einer Europäischen Grundrechtscharta verarbeitet und für Europas Bürgerinnen und Bürger auch mit einem Klagerecht versehen, so könnte das kaum Widerspruch provozieren. Wenn sie jedoch offensiv gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker gestellt und dessen Vertreter gleichzeitig als „Feinde der individuellen Menschenrechte“ denunziert werden11, so ist die Botschaft klar. Bot das Selbstbestimmungsrecht die Legitimation für die Dekolonisation, müssen die Menschenrechte nunmehr für die Rekolonisierung herhalten. In den Worten des EU-Kommissar für auswärtige Beziehungen Christopher Patten: „Wo Recht und Gesetz zusammenbrechen und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, ist die Krise unausweichlich, und am Ende steht dann der militärische Eingriff.“12 Menschenrechtspolitik ist allemal Geopolitik. Es sollte uns nicht verblüffen, dass diese »humanitären Eingriffe« entgegen dem universalen Anspruch der Menschenrechte durchaus selektiv geschehen:

  • zwar auf dem Balkan, weil gleichsam im eigenen Haus, nicht aber in der Türkei, da von NATO-strategischer Bedeutung,
  • und auch nicht in Tschetschenien und Tibet, da Russland und China immer noch Nuklearmächte mit enormer ökonomischer Bedeutung für die NATO-Länder sind.

Um nicht missverstanden zu werden, ich plädiere nicht für eine militärische Intervention in der Türkei, Russland oder China, sondern für eine nichtmilitärische und nicht nach strategischen Interessen gestaffelte Menschenrechtspolitik.

Das tiefe Misstrauen und die tiefe Skepsis werden nicht durch Begriff und Inhalt der Menschenrechte hervorgerufen, sondern durch ihre Instrumentalisierung in der Rhetorik der neuen Werte-Ideologen und ihren militanten Einsatz zur Erweiterung der europäischen zu einer weltweiten Wertegemeinschaft.13 Denn wo die Ideologen schweigen oder naiv desinformieren,14 haben die Definitoren der Wertegemeinschaft bereits ausreichende Klarheit geschaffen. Die Menschenrechte spielen in der Werteideologie zwar eine propagandistische aber ansonsten nur eine Nebenrolle. Während ein Gremium von 62 eher unbekannten Parlamentariern noch über der Formulierung der Grundrechtscharta saß, haben bereits während des Jugoslawienkrieges die Staats- und Regierungschefs der 19 NATO-Staaten mit ihren Außen- und Verteidigungsministern in Washington am 24. April 1999 die harten materiellen Interessen der Wertegemeinschaft definiert. Wo im »euro-atlantischen Raum«, dessen Grenzen prinzipiell grenzenlos sind, ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von nationalen Staaten zu lokaler oder regionaler Instabilität führen, wo Terrorakte, Sabotage und organisiertes Verbrechen sowie die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen die Wertegemeinschaft bedrohen, ist in Zukunft mit dem militärischen Eingriff der NATO zu rechnen.15 Hier haben die Menschenrechte erst ihre politische Heimat, die Wertegemeinschaft ihre volle Dimension und die humanitäre Globalisierung ihren definitiven Sinn gefunden.

Gelingt es uns nicht, die Menschenrechte aus diesem gefährlichen Verbund geostrategischer Interessen und humanitärer Intervention zu lösen, werden sie weiter für die nächsten Kriege benutzt. Die nächsten Kandidaten sind schon genannt: Iran und Venezuela. Aber gleichgültig, wer auf die Liste der »Achse des Bösen« gesetzt und mit Krieg bedroht wird, der Schaden ist bereits an dem Konzept der Menschenrechte entstanden. Seine Instrumentalisierung durch die Regierungen mächtiger Staaten zur Bedrohung der Souveränität von anderen, schwächeren Staaten diskreditiert es in seinem ursprünglichen Anspruch, die individuellen Rechte der Menschen gegen den Macht- und Willküranspruch des eigenen Staaten zu schützen. Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist, dieser Politik, die in den Krieg treibt, entschieden entgegen zu treten und der »humanitären Intervention« die Berufung auf die Menschenrechte zu versagen.

Anmerkungen

1) So z.B. J. H. Jackson: Sovereignty-Modern: A new Approach to an Outdated Concept, in American Journal of International Law 97 (2003), S.782 ff.

2) Walden Bello: Humanitäre Interventionen – Die Entwicklung einer gefährlichen Doktrin, in Znet Deutschland v. 14.01. 2006, http://www.zmag.de/artikel.php?print=true&id=1756.

3) Walden Bello: a.a.O.

4) ICISS: The responsibility to protect, Ottawa, Dezember 2001, Rdnr. 1.32

5) ICISS: a.a.O., Synopsis S. XI.

6) Vgl. Dieter Deiseroth: »Humanitäre Intervention« und Völkerrecht. In: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 42 2000, S.3084; Norman Paech: »Humanitäre Intervention« und Völkerrecht. In Ulrich Albrecht, Paul Schäfer (Hrsg.): Der Kosovo-Krieg. Bonn 1999, 82 f.; N.Paech, Gerhard Stuby: Recht oder Gewalt?, in Ulrich Cremer, Dieter S. Lutz u.a.: Der NATO-Krieg, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Heft 5, Hamburg 1999, 36 ff.

7) Vgl. etwa Michael Mandelbaum: A Perfect Failure, in Foreign Affairs, Sept.-Okt. 1999, S.6.

8) Madeleine Albright: The Testing of American Foreign Policy, Foreign Affairs, Nov/Dec. 1998, 50ff.

9) Das Vorbereitungskomitee für ein Europäisches Tribunal über den NATO–Krieg gegen Jugoslawien hat in drei Bänden Materialien zum Nachweis der Völkerrechtswidrigkeit veröffentlicht. Herausgeber sind Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo, Schkeuditzer Buchverlag 2000.

10) Harald Wohlrapp: Krieg für Menschenrechte? In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft1, Berlin 2000, S.107 ff.

11) Richard Herzinger: Unheilsamer Wahnsinn/Hockt über grimmigen Waffen. Vom Versagen des Westens zum Krieg der Werte. In Thomas Schmid (Hg.): Krieg im Kosovo. Rheinbek 1999, S.253.

12) Christopher Patten: Europa muss seine Konflikte selbst lösen. In DIE ZEIT, Nr. 5, Hamburg 2000, 12).

13) Dieter Senghaas: Recht auf Nothilfe. Wenn die Intervention nicht nur erlaubt, sondern regelrecht geboten ist. In Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 158 v. 12. Juli 1999, S.12 .

14) Jürgen Habermas: Bestialität und Humanität. In DIE ZEIT, Nr. 18. Hamburg.

15) NATO: Neues Strategisches Konzept 1999, Nr. 20, 24.

Dr. Norman Paech, Professor i. R. für Öffentliches Recht an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP), wurde 2005 auf der Liste der »Linkspartei« als Parteiloser in den Bundestag gewählt.

Deckname »Northwoods«

Deckname »Northwoods«

Wie US-Generäle eine Intervention gegen Kuba planten

von Jürgen Rose

Spätestens seit der Schweinebucht-Invasion im April 1961 konnten kaum noch Zweifel bestehen, dass die USA entschlossen waren, ihre revolutionäre Nachbarschaft auf Kuba los zu werden. Doch wie weit dabei die politischen Absichten in konkrete militärische Planungen übergingen – dies blieb bisher eher der Spekulation überlassen. Nun aber belegt ein seit kurzem zugängliches Dokument des US-Generalstabs, wie präzise und detailliert die Szenarien einer Kuba-Intervention ausgearbeitet waren. Selten wird man Zeuge eines solchen Offenbarungseids.

Selbstredend gibt es auf der Welt nichts Dümmeres als Verschwörungstheorien, und natürlich kann es sich bei Verschwörungstheoretikern nur um Narren handeln, die sich für keine Absurdität und keinen Verdacht zu schade sind. Weil dieses Axiom heutzutage im politischen wie medialen Diskurs kaum mehr hinterfragt wird, braucht man Verschwörungstheoretiker auch nicht ernst zu nehmen. Sie disqualifizieren sich gewissermaßen selbst – so das Totschlagargument all derer, die gern regierungsamtlicher Verlautbarung folgen, ohne sich an selbst verschuldeter Unmündigkeit zu stören. Dabei weiß jeder, der sich nur ein einziges Mal mit dem Thema Krieg und Medienmanipulation befasst hat, dass die Wahrheit vor und in jedem Krieg das erste Opfer bildet.

So zum Beispiel, als 1898 eine angebliche Terrorattacke auf den amerikanischen Kreuzer USS Maine, die sich nachträglich als simple Kesselexplosion entpuppte, von der US-Regierung als Vorwand für einen längst geplanten Eroberungskrieg gegen die Kolonialmacht Spanien genutzt wurde. An dessen Ende waren Kuba, Hawaii, Puerto Rico und die Philippinen von den Vereinigten Staaten unterworfen. Amtlich erwiesen ist auch, dass im Sommer 1964 der US-Zerstörer Maddox im Golf von Tonking nie von der nordvietnamesischen Marine angriffen wurde – dennoch erteilte der US-Kongress dem damaligen Präsident Lyndon B. Johnson eine Blankovollmacht für das flächendeckende Bombardement Nordvietnams. Auch Henry Kissinger hat in seinen Memoiren offenbart, wie perfide er als Außenminister zusammen mit Präsident Nixon Ende der sechziger Jahre die Öffentlichkeit in den USA und der Welt über die völkerrechtswidrige Bombardierung von Laos und Kambodscha zu täuschen verstand.

Und schließlich steht seit September 2000 in einer Studie, die das »Project for the New American Century« unter dem Titel »Rebuilding America´s Defenses« publiziert hat, der Satz: „Further, the process of transformation, even if it brings revolutionary change, is likely to be a long one, absent some catastrophic and catalyzing event – like a new Pearl Harbor.“ (Ferner wird der Transformationsprozess, selbst wenn er revolutionären Wandel mit sich bringt, wahrscheinlich lange dauern, mangels eines katastrophalen und katalytischen Ereignisses – wie eines neuen Pearl Harbors). Die Autoren, zu denen unter anderem Paul Wolfowitz, Eliot Cohen, Bill Kristol, Robert Kagan und Dov Zakheim zählen, müssen wahrlich prophetische Gaben besessen haben, denn exakt ein Jahr später, am 11. September 2001, ereignete sich „das Kolossalverbrechen“ (Helmut Schmidt) von New York und Washington. Neuesten Umfragen zufolge soll mittlerweile ein Drittel der Amerikaner nicht mehr an die regierungsamtliche Version von 9/11 glauben – das wären immerhin mehr als 80 Millionen Menschen, soviel wie ganz Deutschland Einwohner hat! Was beweist, dass man zwar ziemlich viele Menschen lange Zeit gedanklich vereinnahmen kann, aber wohl nicht alle auf ewig. Nichtsdestoweniger laufen völlig unbeirrbar die Hohepriester der Regierungspropaganda mit ihren willigen journalistischen Handlangern im Gefolge durch die Arena des Medienzirkus und diffamieren jeden Zweifel einer kritischen Öffentlichkeit als graue Verschwörungstheorie.

Da trifft es sich, dass jüngst die Sperrfrist für ein einstmals mit dem Geheimhaltungsvermerk »TOP SECRET« versehenes Memorandum des Pentagon für eine unter dem Decknamen »Northwoods« geplante Operation abgelaufen ist. Verfasst wurde die Studie vom US-Generalstab und am 13. März 1962 von General L. L. Lemnitzer unterzeichnet, damals Generalstabschef der US-Streitkräfte und später Oberbefehlshaber der NATO in Europa. Als Motiv des Dossiers wird angegeben: „Rechtfertigung für eine militärische Intervention der USA in Kuba“.

Hinter der hölzern-bürokratisch klingenden Formulierung verbirgt sich ein sensationeller Inhalt. Quasi auf dem Silbertablett serviert wird nicht irgendeine »Verschwörungstheorie«, sondern wie aus dem Lehrbuch das ganz reale Szenario einer Verschwörung. Was dem US-Verteidigungsminister in diesem Memorandum von seinen Generälen dargelegt wird, ist nichts anderes als eine glasklare Strategie, wie eine US-Regierung vorgehen sollte, um dank des Zusammenspiels von Propagandaaktionen und verdeckten Geheimdienst- und Militäroperationen den Vorwand für eine Intervention der USA gegen Kuba zu schaffen. Aufschlussreich ist dabei, mit welchem Nachdruck der US-Generalstab die unumschränkte Federführung beansprucht, um seine Planungen auch umsetzen zu können. Die Lektüre der detaillierten Liste krimineller Handlungen, welche die Militärs der US-Regierung da unterbreiten (siehe unten), macht schlechterdings fassungslos. Was mit Northwoods konzipiert wurde, war nichts anderes als blanker Staatsterrorismus, verübt von einer Supermacht, die angeblich nichts sehnsüchtiger wünscht, als weltweit Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu verbreiten.

Dass dieses Staatsverbrechen letztlich nicht wie vorgesehen stattfinden konnte, dürfte Resultat der »Raketenkrise« vom Herbst 1962 gewesen sein, als die Sowjetunion mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen auf Kuba bis an den Rand eines Atomkrieges ging, um die USA von einem Überfall auf die Karibikinsel abzuschrecken. Die damals zwischen den beiden Supermächten getroffenen Vereinbarungen haben für Jahrzehnte die Existenz eines unabhängigen Kubas gesichert. So gesehen könnte es an der Zeit sein, die Geschichte des Kalten Krieges im Lichte dieser und anderer nun ruchbar gewordener Planungen, von denen die Operation Northwoods lediglich die Spitze des Eisberges bilden dürfte, neu zu schreiben. Wichtiger noch wird es allerdings sein, die politischen Ereignisse in Ländern auf der Zielliste der USA – wie Iran, Venezuela, Syrien, Bolivien oder Nordkorea – genau zu beobachten. Wenn überhaupt, dann vermag allein die Aufmerksamkeit einer kritischen Öffentlichkeit den Ambitionen von Politikern wie Cheney oder Rumsfeld Einhalt zu gebieten.

Als am 13. März 1962 General Lemnitzer, der Vorsitzende der vereinigten Stabschefs der US-Armee, sein Memorandum an Verteidigungsminister Robert McNamara schickt, geht es vor allem darum, wie die Umstände für eine Intervention gegen Kuba durch – wie es wörtlich heißt – „Provokation“ der Kubaner und „Täuschung“ der Weltöffentlichkeit herbei geführt werden können. Wir dokumentieren in Auszügen die Liste der Maßnahmen des Cuba Project (Deckname »Northwoods«), die seinerzeit als geeignet galten, dieses Ziel zu erreichen.

1. Da es wünschenswert wäre, legitime Provokation als Basis für eine US-Militärintervention in Kuba zu benutzen, könnte ein Täuschungsplan … ausgeführt werden, um zunächst kubanische Reaktionen zu provozieren. Belästigungen und Täuschungsaktivitäten sollen die Kubaner überzeugen, dass eine Invasion bevorsteht. Unsere militärische Bereitschaft während der Ausführung des Planes würde es uns erlauben, schnell von Übungen zur tatsächlichen Intervention überzugehen, sobald die kubanischen Reaktionen dies rechtfertigen.

2. Eine Serie gut koordinierter Vorfälle wird geplant, die in und um Guantanamo herum stattfinden und den Eindruck erwecken sollen, als seien sie von feindlichen kubanischen Streitkräften ausgeführt worden.

a) Vorfälle, um einen glaubhaften Angriff zu fabrizieren (nicht in chronologischer Ordnung)

(1) Gerüchte streuen (viele). Heimlich Radio verwenden.

(2) Uns freundlich gesonnene Kubaner in Uniform über den Zaun klettern und einen Angriff auf den Stützpunkt starten lassen.

(3) Unsere Kubaner als Saboteure innerhalb des Stützpunkts festnehmen.

(8) Angriffsgruppen gefangen nehmen, die sich von See oder aus der Nähe von Guantanamo-City nähern.

(9) Gruppe von Milizionären gefangen nehmen, die den Stützpunkt stürmen.

(10) Sabotage eines Schiffes im Hafen durch Brandstiftung.

(11) Schiff in der Nähe des Hafeneingangs versenken, Bestattungen abhalten für angebliche Opfer.

b) Die Vereinigten Staaten würden mit offensiven Operationen reagieren, um die Wasser- und Stromversorgung zu sichern, und sie würden Artillerie- und Granatwerferstellungen zerstören, die den Stützpunkt bedrohen.

c) Die Vereinigte Staaten beginnen mit groß angelegten Militäroperationen.

3. Ein Vorfall, der an die »Maine«* erinnert, könnte in verschiedenen Varianten arrangiert werden:

a) Wir könnten ein US-Schiff in der Guantanamo-Bucht in die Luft jagen und Kuba verantwortlich machen.

b) Wir könnten ein unbemanntes Schiff irgendwo in den kubanischen Gewässern in die Luft jagen. Wir könnten arrangieren, dass ein solcher Vorfall in der Nähe von Havanna oder Santiago wie das spektakuläre Resultat eines kubanischen Luft- oder Seeangriffs aussieht. Die Präsenz kubanischer Flugzeuge oder Schiffe, die aufklären wollen, was es mit dem Schiff auf sich hat, könnte als überzeugender Nachweis genommen werden, dass das Schiff angegriffen wurde. Die Nähe zu Havanna oder Santiago würde die Glaubwürdigkeit besonders für jene Menschen erhöhen, die die Explosion gehört oder das Feuer gesehen haben. Die Vereinigten Staaten könnten eine von Kampftruppen unterstützte See-/Luftrettung folgen lassen, um die »überlebenden« Mitglieder einer nicht-existierenden Mannschaft zu evakuieren. Verlustlisten in US-Zeitungen würde eine hilfreiche Welle nationaler Empörung hervorrufen.

4. Wir könnten eine kommunistisch-kubanische Terrorkampagne in der Gegend von Miami, in anderen Städten Floridas oder sogar in Washington entwickeln. Die Terrorkampagne sollte auf kubanische Flüchtlinge zielen, die in den Vereinigten Staaten Schutz suchen. Wir könnten ein Boot mit kubanischen Flüchtlingen versenken, das sich auf dem Weg nach Florida befindet (real oder simuliert).

Die Explosion einiger Plastikbomben an sorgfältig ausgesuchten Stellen, die Festnahme kubanischer Agenten und die Veröffentlichung vorbereiteter Dokumente, die das Eingreifen Kubas belegen, wären hilfreich, um von einer verantwortungslosen Regierung sprechen zu können.

5. … Wir könnten die Empfindlichkeit der Luftwaffe der Dominikanischen Republik gegenüber Verletzungen ihres Luftraums ausnutzen. »Kubanische« B-26 oder C-46 könnten nachts Zuckerrohrfelder in Brand schießen. Brandbeschleuniger aus dem Sowjetblock könnten gefunden werden. Das könnte verbunden werden mit »kubanischen« Botschaften an den kommunistischen Untergrund in der Dominikanischen Republik und »kubanischen« Waffenlieferungen, die gefunden oder beschlagnahmt werden.

6. Von US-Piloten geflogene MIG-ähnliche Flugzeuge könnten für zusätzliche Provokation sorgen. Belästigung der zivilen Luftfahrt, Angriffe auf Schiffe und die Zerstörung eines unbemannten US-Militärflugzeuges durch einen Jet, der wie eine MIG aussieht, wären nützliche Begleitmaßnahmen. Eine passend gestrichene F-86 würde Flugpassagiere überzeugen, dass sie eine kubanische MIG gesehen haben, besonders wenn der Flugkapitän diese Tatsache verkündet …

8. Es ist möglich, einen Vorfall zu inszenieren, der überzeugend demonstriert, dass ein kubanischer Jet ein Charterflugzeug angegriffen und abgeschossen hat, das auf dem Weg von den Vereinigten Staaten nach Jamaika, Guatemala, Panama oder Venezuela war. Das Ziel und den Flugplan würde man so wählen, dass Kuba überflogen werden muss. Die Passagiere könnten College-Studenten sein, die in die Ferien fliegen, oder irgendeine andere Gruppe mit einem gemeinsamen Interesse an einem Charterflug.

a) Auf dem Luftwaffenstützpunkt Eglin wird ein Flugzeug in Farbe und Nummerierung als exaktes Duplikat eines Zivilflugzeuges hergerichtet, das im Namen eines von der CIA kontrollierten Unternehmens registriert ist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt würde das Duplikat das Original ersetzen und mit den ausgewählten Passagieren beladen, die alle mit sorgfältig präparierten und aufgenommenen Namen an Bord gehen. Das tatsächlich registrierte Flugzeug würde in eine unbemannte Drone** verwandelt werden.

b) Die Abflugzeiten der Drone und des anderen Flugzeuges werden so festgesetzt, dass sie südlich von Florida einander sehr nahe kommen. Von diesem Zeitpunkt an begibt sich das mit Passagieren beladene Flugzeug auf eine sehr niedrige Flughöhe und landet dann auf einem Neben-Rollfeld des Luftwaffenstützpunkts Eglin, wo Vorkehrungen getroffen worden sind, die Passagiere zu evakuieren und das Flugzeug wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu verwandeln. Währenddessen folgt die Drone dem offiziell angegebenen Flugplan. Über Kuba wird die Drone auf der internationalen Notruf-Frequenz ein May Day aussenden und zur Kenntnis geben, dass sie von kubanischen MIG-Kampfflugzeugen angegriffen wird. Der Notruf wird unterbrochen von der Zerstörung des Flugzeuges, die wir durch ein Radiosignal auslösen. Auf diese Weise werden die Notruf-Empfangsstationen in der westlichen Hemisphäre den Vereinigten Staaten mitteilen können, was passiert ist, anstatt dass die USA versuchen, den Vorfall zu »verkaufen«.

9. Es ist möglich, einen Vorfall zu inszenieren, der den Anschein erweckt, dass MIGs des kommunistischen Kuba einen Jet der US-Luftwaffe über internationalen Gewässern in einem unprovozierten Angriff abgeschossen haben.

a) Ungefähr vier oder fünf F-101 Kampfflugzeuge werden hintereinander in einer Formation vom Luftwaffenstützpunkt Homestead in Florida in die Nähe Kubas fliegen. Ihr Auftrag wird darin bestehen, Luftverteidigungsübungen zu simulieren …

b) Ein vorher genau instruierter Pilot würde am Ende der Formation mit beträchtlichem Abstand zu den anderen Flugzeugen fliegen. In der Nähe Kubas würde dieser Pilot funken, dass er von kubanischen MIGs getroffen worden sei und abstürze. Danach würde er keinen Funkspruch mehr senden. Der Pilot würde dann in extrem niedriger Höhe westwärts fliegen und auf einem sicheren Stützpunkt, etwa dem Neben-Rollfeld von Eglin, landen. Der Jet würde von vorbereitetem Personal in Empfang genommen, verstaut und mit einer neuen Nummer versehen. Der Pilot, der den Auftrag mit falscher Identität ausgeführt hätte, würde seine wahre Identität wieder annehmen und an seinen Arbeitsplatz zurück kehren. Pilot und Flugzeug wären also verschwunden.

c) Zur Zeit des angeblichen Abschusses würde ein U-Boot oder ein kleines Schiff Teile einer F-101, von einem Fallschirm etc., ungefähr 15 bis 20 Meilen von der kubanischen Küste entfernt auflesen und sich entfernen. Die Piloten, die nach Homestead zurückkehren, würden glauben, einen echten Vorfall erlebt zu haben. Weitere Bergungsschiffe und Bergungsflugzeuge würden losgeschickt werden. Sie würden weitere Flugzeugteile finden.

(*) US-Kreuzer, der 1898 im Hafen von Havanna angeblich wegen eines Attentats, tatsächlich durch eine Kesselhavarie, explodierte

(**) unbemanntes Flugzeug

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen. Sein Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Ost-West-Wochenzeitung »Freitag«, 22. September 2006, S.7.

»Neue Kriege«: Neues Völkerrecht?

»Neue Kriege«: Neues Völkerrecht?

von Thomas Bruha

Recht, das gilt innerhalb der Staaten gleichermaßen wie für das Recht der Weltgemeinschaft, unterliegt dem Wandel. Neue wirtschaftliche und ökologische Gegebenheiten, neue Kommunikationstechnologien und andere wissenschaftlich-technische Entwicklungen, kollektive Lernprozesse nach dem Zusammenbruch von Unrechtsregimen und den Gräueln verheerender Kriege sind einige der Ursachen, die genannt werden können. So haben die schrecklichen Erfahrungen mit der Naziherrschaft und dem menschlichen Leid infolge zweier Weltkriege in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die entscheidenden Anstöße für die weltweite Ächtung des Krieges, für ein umfassendes Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen, für die Absicherung der Menschenrechte auf internationaler Ebene, für den Multilateralismus in Gestalt der mittlerweile universellen Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen gegeben und damit einen Paradigmenwechsel bewirkt, den man mit dem Konzept »Frieden durch Recht« umreißen kann. Recht und Unrecht in den internationalen Beziehungen wurden nun sehr viel deutlicher unterscheidbar als dies noch im 19. Jahrhundert und mit Abschwächungen auch noch zu Zeiten des Völkerbundes zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg möglich war. Zugleich wurde mit der Schaffung des »Bretton Woods Systems« der Grundstein für das gegenwärtige WTO-Regime offener und liberaler Weltwirtschaft gelegt, das inzwischen ebenfalls als quasi-universell bezeichnet werden kann.

Mit der sich rasant vollziehenden Globalisierung und der Beendigung des bisherigen Ost-West-Konflikts – symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 – bahnt sich ein weiterer Paradigmenwechsel an. Zunächst nur auf der Ebene der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung und mit Blick auf globale Umweltprobleme zur Kenntnis genommen, erfasst die Globalisierung nahezu alle Bereiche staatlicher und transnationaler Interaktion. Auch die Gewalt ist mittlerweile globalisiert. Dies haben die Terrorakte vom 11. September 2001 in New York und Washington in aller Schärfe deutlich gemacht. Neue, in globalen Netzwerken operierende Gewaltakteure der Terrororganisation Al Qaida haben den bislang schon vorliegenden Erscheinungsformen »privater Gewalt« eine neue Dimension hinzugefügt. Die Zeiten, in denen die Staaten faktische »Monopolisten des Krieges« waren, sind vorbei. Warlords, käufliche Privatarmeen und jetzt eben auch globale Terrornetzwerke führen zusammen mit der gewachsenen Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und dem Zerfall staatlicher Strukturen in vielen Teilen der Welt dazu, dass die Sicherheitsstrukturen sich fundamental verändert haben.

Als zweiter Faktor des sich abzeichnenden Paradigmenwechsels ist der amerikanische Hegemonialismus der verbleibenden Supermacht USA zu nennen. Er hat unter der gegenwärtigen Bush-Administration einen Höhepunkt erfahren, reicht in seinen Ursprüngen jedoch weiter zurück. Er setzt die nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebildete Weltrechtsordnung unter einen erheblichen Anpassungsdruck. Offen und mit den als traumatisch empfundenen oder als solche bezeichneten Ereignissen des 11. September begründet, wird ein Recht auf weit ins Vorfeld der akuten Bedrohung verlagerte Bekämpfung der von Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und verbrecherischen Regimen ausgehenden Gefahren reklamiert. Ihren bekanntesten Niederschlag haben diese Rechtsbehauptungen in der als »Bush-Doktrin« bekannten Legitimationsfigur »prä-emptiver« Kriegsführung gefunden. Diese Doktrin ist in verschiedenen »Nationalen Sicherheitsstrategien« vor- und ausformuliert, welche dem Kongress seitens der amerikanischen Regierung nach dem 11. September vorgelegt worden sind. Der gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats geführte Krieg gegen den Irak, beginnend am 20. März dieses Jahres, kann als Prototyp dieser neuen Art »vorbeugender Kriege« bezeichnet werden.

Beide, der nicht-staatliche transnationale Terrorismus und seine Bekämpfung sowie der »klassisch« zwischenstaatliche Krieg gegen den Irak, stellen neue Erscheinungsformen kriegerischer oder kriegsähnlicher Gewalthandlungen dar, welche die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete Weltrechtsordnung auf eine harte Belastungsprobe stellen. Geht es beim transnationalen Terrorismus und seiner Bekämpfung darum, das im Kern auf zwischenstaatliche Konflikte zugeschnittene Völkerrecht auf Gewaltakte im Verhältnis zwischen Staaten und (terroristischen) Privaten anzuwenden bzw. zu prüfen, inwieweit dieses überhaupt geeignet ist, die neuen »transnationalen bewaffneten Konflikte« angemessen zu erfassen, so steht im Fall des Krieges gegen den Irak der Geltungsanspruch des universellen Völkerrechts gegenüber den Machtansprüchen und Sicherheitsinteressen der sich hegemonial gerierenden Supermacht USA auf dem Spiel. In diesem Fall geht es zugleich um die für jede Rechtsordnung essentielle Frage, welches Maß der Verschränkung des Rechts mit der Macht einzugehen ist, damit Recht auch Effektivität entfalten und auf allseitige Akzeptanz stoßen kann. Im Völkerrecht, das keine dem staatlichen Recht oder auch nur dem Recht der EU vergleichbaren Mechanismen kollektiver Erzwingbarkeit verbindlicher Regeln kennt, ist diese Verbindung von Macht und Recht existentiell. Ein Ausstieg der USA aus dem Friedenssicherungsrecht der UN-Charta würde praktisch dessen Bedeutungslosigkeit sowie das Ende der Weltorganisation bedeuten.

Globaler transnationaler Terrorismus

Was die vom Völkerrecht mit Blick auf die »Neuen Kriege« zu erbringenden Anpassungsleistungen betrifft, so steht der globale transnationale Terrorismus, weitgehend verkannt, für eine zu Tage getretene positive Anpassungsfähigkeit der Völkerrechtsordnung. Nur einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der UN-Sicherheitsrat diese als eine Friedensgefährdung im Sinne des Artikel 39 der UN-Charta bezeichnet und damit in rechtsfortbildender Weise auch eine von privaten nicht-staatlichen Akteuren ausgehende kriegsähnlich Handlung unmittelbar dem Chartaregime kollektiver Sicherheit unterworfen. Indem in derselben Resolution sowie späteren Entschließungen des Rates ausdrücklich das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta genannt wird, hat der Sicherheitsrat ferner zu erkennen gegeben, dass die Terroranschläge auch als eine das Selbstverteidigungsrecht auslösende Angriffshandlung angesehen werden können. Ausdrücklich bestätigt hat er das Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation allerdings nicht. Ob dies nur für den Fall gelten sollte, dass hinter den Anschlägen ein »Hintergrundstaat« oder – wie im Fall der Al Qaida – ein staatsähnliches de facto Regime (Taliban) ausgemacht werden kann, ist unter Völkerrechtlern daher umstritten.

Weitgehend anerkannt wird hingegen, dass das Selbstverteidigungsrecht im Hinblick auf den »unsichtbaren« terroristischen Gegner, die gesteigerte und im Fall des 11. September als strategisch einzustufende Gefährdung durch praktisch durch nichts abzuschreckende Selbstmordattentäter, die weltweite Vernetzung mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in einem den Besonderheiten der neuen Gefahren angepassten Sinne zu deuten ist. So war der terroristische Angriff mit der Selbsttötung der Täter und der Ermordung tausender unschuldiger Opfer nicht am 11. September 2001 beendet. Die USA konnten sich daher zurecht auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta berufen, um in der Folge weitere Angriffe abzuwehren. Auch die Zurechnungskriterien für einen mitverantwortlichen »Hintergrundstaat« der terroristischen Gewalt wird man angesichts der kriegsähnlichen Gefahren des globalen Terrorismus für niedriger ansehen müssen als bei herkömmlichen Terrorakten. So wurde die Aktion »Enduring Freedom« in Afghanistan gegen die Mitglieder der Terrororganisation Al Qaida sowie die ihnen Schutz gebenden Milizen des Taliban-Regimes von der Weltgemeinschaft hingenommen, weil eine hinreichende Verstrickung (»safe haven«) angenommen wurde. Weniger Übereinstimmung besteht unter Völkerrechtlern allerdings hinsichtlich der Frage, wie weit das Selbstverteidigungsrecht zeitlich und in seinen Zielsetzungen gereicht hat. Richtiger Weise wird man die »nachhaltige Beseitigung« der Gefahr durch den gewaltsamen Sturz des Taliban-Regimes nicht mehr als vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt ansehen dürfen. Dieses steht nur als »Notrecht« zur Verfügung, solange der Sicherheitsrat nicht die für die Abwehr des Angriffs erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Die indirekte Billigung der Aktion »Enduring Freedom« durch die Mitglieder des Sicherheitsrates ist also, was das über die Abwehr des terroristische Angriffs hinausgehende Ziel des Regimewechsels betrifft, in eine Ermächtigung des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII der Charta zu deuten. Nur dieses, nicht das Selbstverteidigungsrecht, kann der Fortsetzung der Aktion »Enduring Freedom« (nomen est omen) völkerrechtliche Legitimität verleihen. Das ist unter Völkerrechtlern aber durchaus strittig.

Auf rechtlich wenig gesichertem Boden bewegt man sich auch bei der Frage, wie eine zulässige Militäraktion gegen den Terrorismus unter den Gesichtspunkten des humanitären Völkerrechts einzustufen ist. Dieses kennt nur internationale und nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Die Bekämpfung des transnationale Terrorismus passt weder so recht in die eine noch in die andere Kategorie. Für die völkerrechtliche Betrachtung unproblematisch scheint nur die Bekämpfung terroristischer Akteure auf eigenem Staatsgebiet sowie auf dem Staatsgebiet anderer Staaten mit Zustimmung der dortigen Regierung zu sein. In solchen Fällen liegt in der Regel eine Polizeiaktionen vor. Sie ist an den Maßstäben des jeweils geltenden nationalen Rechts sowie an den internationalen Grundrechtsgarantien auszurichten bzw. an diesen zu messen. In allen anderen Fällen ergeben sich aber schwierige Fragen der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Konventionen, welche noch der Klärung bedürfen. Sicher ist nur, dass den Terroristen nicht der Status eines Kombattanten im Sinne des Kriegsvölkerrechts zuerkannt werden darf. Die Kombattanteneigenschaft ist ein privilegierter Status, der das Recht zu Tötungshandlungen in bewaffneten Konflikten einschließt. Diesen Status Terroristen zu gewähren, hieße ihre verbrecherischen Aktivitäten zu legalisieren. Andererseits sind aber auch Terroristen Menschen, die nicht für »vogelfrei« erklärt werden können. Die Internierung und Behandlung der terroristischer Aktivitäten beschuldigter Gefangener im kubanischen Gefangenenlager Guantanamo durch die USA verstößt gegen eine Reihe menschen- und kriegsrechtlicher Prinzipien.

Irak-Krieg

Der Krieg gegen den Irak hat mit der Bekämpfung des Terrorismus zunächst einmal wenig zu tun. Verbindungen des mittlerweile gestürzten Regimes des Saddam Hussein zur Al Qaida oder seine Verstrickung in andere Terrorakte haben sich nicht nachweisen lassen. Die am zweiten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 gehaltene Rede Präsident Bushs an die Nation, in der zum Thema »America’s actions in the war on terror« ausführte: „The war on terror is a lengthy and a different kind of war, fought on many fronts in many places. Iraq is now the central front“, ist daher dem Bereich politischer Rhetorik zuzuordnen. Der eigentliche Hintergrund des Krieges ist vielmehr die Beseitigung eines als unakzeptabel angesehenen Sicherheitsrisikos sowie die Absicht, durch entschlossenes Handeln künftige staatliche oder nicht-staatliche Aggressoren sozusagen »generalpräventiv« abzuschrecken. Daneben mögen andere Motive (Befriedung der Region, Schaffung günstigerer Voraussetzung für die Lösung des Palästina-Problems, Sicherung der Versorgung mit Öl, u.a.) eine Rolle gespielt haben.

Der Krieg gegen den Irak war evident illegal. Weder lag eine Mandatierung oder auch nur Billigung durch den Sicherheitsrat vor noch eine Angriffssituation, welche das Selbstverteidigungsrecht auslöst. Schließlich kann der Krieg auch nicht als eine »humanitäre Aktion zur Befreiung der irakischen Bevölkerung« gerechtfertigt werden. Träfe diese erweiterte Deutung des ohnehin umstrittenen Rechtsinstituts der humanitären Intervention zu, wären »humanitären Befreiungskriegen« zur Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie weltweit Tür und Tor geöffnet. Vom völkerrechtlichen Gewaltverbot bliebe nicht viel übrig. Schließlich stellt der Irak-Krieg auch nicht den »Normalfall« einer einmaligen Durchbrechung des Völkerrechts dar, nach der man gewissermaßen wieder »zur Normalität zurückkehrt«. Der Einsatz militärischer Gewalt zur Beseitigung des der »Achse des Bösen« zugerechneten Regimes des Saddam Hussein steht vielmehr für den generellen hegemonialen Machtanspruch der USA, notfalls auch gegen den Willen der Staatengemeinschaft ihre nationalen Sicherheitsinteressen weit im Vorfeld von Gefährdungen zu sichern. Die Bush-Doktrin so genannter prä-emptiver Kriege löst das Selbstverteidigungsrecht letztlich von seiner defensiven Zielsetzung und interpretiert es in eine offensiv einsetzbare Präventionsstrategie um. Die Verwendung des Begriffs der »Prä-emption« hat den Zweck, eben dies zumindest sprachlich zu verschleiern. In der amerikanischen Völkerrechtslehre steht das Konzept der »Prä-emption« für die Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs („the necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means and no moment of deliberation“, sog. Caroline Formel aus dem Jahr 1841). Maßnahmen »präventiver Kriegsführung«, auf welche die Bush-Doktrin praktisch hinausläuft, sind hiervon jedoch zu unterscheiden. Sie können auch nach bisheriger amerikanischer Völkerrechtslehre nicht auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden. Das erklärt, warum der Begriff der »Prävention« an den entsprechenden Stellen der »Nationalen Sicherheitsstrategie« so peinlich vermieden wurde.

Völkerrecht und Völkerrechtsbruch

Angesichts der evidenten Rechtswidrigkeit des Irak-Krieges ist auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, welche Auswirkungen sich auf das Völkerrecht als konsentierter Rechtsordnung der Weltgemeinschaft ergeben. Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass der Völkerrechtsbruch, auch wenn er von der gegenwärtigen Hegemonialmacht begangen worden ist, unter Mitwirkung einer Reihe von »willing nations«, darunter auch der eine oder andere gegenwärtige oder künftige EU-Staat, das Völkerrecht nicht gewissermaßen »über Nacht« verändert. Völkerrecht, so treffend der Berliner Völkerrechtler Philip Kunig, „entsteht nicht in Momentaufnahmen. Es ist flüssiger als anderes Recht, aber auch zähflüssig“. Sicher kann Zustimmung zu von anderen geäußerten Rechtsbehauptungen auch aus Verhaltensweisen und aus Verschweigungen erwachsen. Seine Illegalität hat der Krieg gegen den Irak aber bisher nicht verloren. Neue Doktrinen sind durch ihn bisher nicht zu Recht erstarkt.

Insoweit spielt auch eine große Rolle, wie sich die Weltgemeinschaft in Gestalt der Vereinten Nationen gegenüber dem Krieg gegen den Irak verhalten hat. In einem von dem Medien ausführlichst begleiteten diplomatischen Prozess ist im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen intensiv über die von den USA sowie Großbritannien und Spanien geforderte »zweite« Irak-Resolution gestritten worden, mit der ein mehr oder weniger deutlich formuliertes Mandat zum Einsatz bewaffneter Gewalt gegenüber dem Irak erteilt worden wäre. Zurecht hat die Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates diesem Ansinnen widersprochen. Auch für die Vereinten Nationen gilt, dass Gewaltmaßnahmen kriegerischen Ausmaßes immer die »ultima ratio« aller verfügbaren Mittel sein darf. Indem der Sicherheitsrat der Versuchung widerstanden hat, dem bereits beschlossenen Krieg das Deckmäntelchen der Multilateralität und zweifelhafter Legalität zu geben, haben sie dem Völkerrecht und den Vereinten Nationen einen Dienst erwiesen.

Von dieser Haltung ist der Sicherheitsrat auch nicht mit der einstimmig angenommen Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 dieses Jahres abgewichen. Zwar verzichteten seine Mitglieder mit Ausnahme Syriens auf einen förmlichen Protest gegen den Krieg, weil andernfalls die USA und Großbritannien der Entschließung nicht zugestimmt hätten. Jedoch ist mit ihr keinerlei Anerkennung der Rechtmäßigkeit des Krieges erfolgt. In der auf Kapitel VII der UN-Charta gestützten Resolution werden die USA und Großbritannien lediglich als „Besatzungsmächte unter einheitlicher Führung“ („die Behörde“) zur Kenntnis genommen und ihre damit verbundenen Rechte und Pflichten unter anwendbarem Kriegsvölkerrecht anerkannt. Zur Frage der Legalität oder Illegalität des vorangegangenen Krieges verhält sich die Resolution neutral. Zugleich hat die Resolution den erforderlichen Kontakt zwischen den Besatzungsmächten und den Vereinten Nationen gewahrt. Deren Rolle bleibt zwar weit hinter der früherer »Post-conflict peace building«-Prozesse zurück (Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Ost-Timor). Sie hält jedoch die Tür zur schrittweisen Verstärkung der UN-Befugnisse offen, was mittlerweile auch durch Resolution 1511 des Sicherheitsrates vom 16. Oktober 2003 erfolgt ist. Zufriedenstellen können die immer noch marginalen Befugnisse der Vereinten Nationen im Irak aber bislang bei weitem noch nicht.

Beendigung der rechtlichen Debatte über den Irak-Krieg?

Bleibt die Frage, ob man aus politischen Gründen nicht die Akte über die Frage der Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges schließen und sich auf die gegenwärtige Situation im Irak und dessen Wiederaufbau sowie die Aufgabe einer eventuellen Fortentwicklung des Völkerrechts konzentrieren sollte. Zunächst zu den aktuellen Verhältnissen im Irak: Die anhaltenden Anschläge gegen die Besatzungstruppen und sonstige »ausländische Einheiten«, unter ihnen auch die neutralen Missionen der Weltgemeinschaft, offenbaren die ganze Problematik des völkerrechtswidrigen Krieges. Von einer raschen Akzeptierung der geschaffenen Fakten auf irakischem Boden, ja begeisterten Begrüßung der Invasionstruppen, kann keine Rede sein. Die nahezu täglichen Gewaltanschläge gegen die auswärtigen Besatzungstruppen nehmen Formen eines Partisanenkrieges an. Es ist eingetreten, was Kenner des Nahen Osten befürchtet haben: Der Krieg gegen den Irak hat sich in einen Krieg im Irak verwandelt. Die überwiegend als Selbstmordaktionen begangenen Maßnahmen des Widerstandes gegen die Besatzungsmächte als bloße »Akte des Terrors« abzutun, bedeutet, gegenüber dieser Realität die Augen verschließen zu wollen – und sei es auch nur die der Öffentlichkeit im eigenen Lande.

Aber auch mit Blick auf die Fortentwicklung des Völkerrechts würde man es sich zu einfach machen, den Mantel des Vergessens oder auch nur Schweigens über die Frage der Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges zu breiten. Über die Fortentwicklung des Völkerrechts kann sinnvoller Weise erst gesprochen werden, wenn man sich Klarheit über die Beurteilung der neuen Gegebenheiten und Vorgänge nach geltendem Recht verschafft hat. Dabei ist auch zu bedenken, dass Völkerrecht letztlich im Diskurs entsteht. Was zunächst lediglich als Recht behauptet oder wie im Fall des Iraks einfach praktiziert wurde, kann durch Zustimmung oder stillschweigende Hinnahme der Staatengemeinschaft unversehens zu Recht erstarken. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Feststellung Wert zu legen, dass sich die USA und Großbritannien im Sicherheitsrat zur Rechtfertigung des Krieges nicht auf das Selbstverteidigungsrecht (und damit die »Bush-Doktrin«), sondern auf eine angeblich vorliegende Ermächtigung durch frühere Resolutionen des Sicherheitsrates berufen haben. So falsch diese Rechtsbehauptungen sind, so begrüßenswert sind sie jedoch unter dem Gesichtspunkt der Geltung des Rechts. Wer dermaßen rechtlich argumentiert, erkennt implizit die Geltung des Rechts an. Auch kann auf die Rechtsbehauptungen der USA und Großbritanniens Bezug genommen werden, um einer Deutung der Haltung der Staatengemeinschaft zum Irak-Krieg als stillschweigende Billigung »prä-emptiver« Kriege im Sinne der »Bush-Doktrin« zu widersprechen.

Fazit

Entgegen einem verbreiten Eindruck in der Öffentlichkeit hat das Völkerrecht im Hinblick auf die »Neuen Kriege« eine erstaunliche Anpassungsbereitschaft, aber auch Resistenz gegenüber Tendenzen erwiesen, die auf eine Aufkündigung des Grundkonsenses der auf dem Gewaltverbot aufbauenden Völkerrechtsordnung hinauslaufen würden. Wo es ohne Beeinträchtigung der nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Prinzipien möglich war, ist das Völkerrecht flexibel den neuen Formen bewaffneter Gewalt und dem damit einhergehenden Wandel der Sicherheitsstrukturen angepasst worden (globaler transnationaler Terrorismus). Das schließt vorübergehende rechtliche Ungewissheiten und Regelungslücken nicht aus. Diese zu beheben bzw. zu füllen ist eine rechtliche und rechtspolitische Aufgabe, welche am neuen Paradigma multipolarer Gewaltstrukturen (Privatisierung der Gewalt, transnationale bewaffnete Konflikte) zu orientieren hat.

Ein Paradigmenwechsel ist auch mit den neuen hegemonialen Machtstrukturen verbunden. Hier stehen Völkerrecht und Vereinte Nationen vor der Aufgabe, sich politischen Unterwerfungsansprüchen zu widersetzen, wie im Fall des Irak-Krieges. Ein Recht zum Krieg gibt es nicht mehr. Nur noch Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates und eng begrenzte Ausnahmen zulässiger Gewalt. Dabei sind auch Kompromisse einzugehen, mögen sie vorübergehend auch irritierend sein, wie die Hinnahme der geschaffenen Fakten im Irak durch die Resolutionen 1483 und 1511 des Sicherheitsrates aus diesem Jahr. Auch auf dem Weg der Wiederfindung eines Einklangs zwischen Recht und Macht vermitteln Momentaufnahmen kein verlässliches Bild. Sie können sogar täuschen. Entscheidend ist, dass unvermeidliche Kompromisse mit dem richtigen Ziel eingegangen werden. Dieses muss die Sicherung des Rechts und des Multilateralismus in den internationalen Beziehungen sein. Dazu müssen die Institutionen der Weltgemeinschaft allerdings auch auf die berechtigten Sicherheitsinteressen der Staaten (und ihrer Bürger) im Hinblick auf neue Gefahren eingehen. Tun sie dies nicht, wird die Prävention an den Vereinten Nationen vorbei betrieben. Zugleich kehrt der Krieg als Mittel der Politik zurück, in der Sprache wie im Handeln.

Literaturhinweis:

Siehe zu den angesprochen Fragen die Schwerpunkthefte des Archiv des Völkerrechts »11. September 2001 – ein Jahr danach« mit Beiträgen von Thomas Bruha, Stefan Oeter, Markus Kotzur, Thilo Marauhn (Heft 4/2002) sowie »Irak-Krieg und Völkerrecht« mit Beiträgen von Michael Bothe, Wolff Heintschel von Heinegg, Thomas Bruha, Daniel Thürer, Philip Kunig (Heft 3/2003).

Prof. Dr. jur. Thomas Bruha, Direktor am Institut für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg und am Institut für Integrationsforschung des Europa-Kolleg Hamburg

Sicherheitspolitische Praxis und Völkerrecht

Sicherheitspolitische Praxis und Völkerrecht

von Norman Paech

Die über 40 Auslandseinsätze der Bundeswehr seit der Epochenwende von 1989/90 deuten darauf hin, dass sich auch Deutschland inzwischen von der einstmals viel gepriesenen »Kultur der Zurückhaltung« gegenüber dem Militär als Instrument der Außenpolitik weit gehend verabschiedet hat. Nicht zuletzt die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder hat die „Enttabuisierung des Militärischen“ (Schröder über Schröder in der ZEIT vom 18.10.01) so effektiv betrieben, dass militärische »Machtprojektion« allenthalben (wieder) als »normal« qualifiziert wird. Damit wird aber tendenziell einerseits die normative Bindung der Außenpolitik verneint – als handele es sich um einen Naturprozess; andererseits werden die völkerrechtlichen Normen in Frage gestellt – als sei einfach das Verhalten bestimmter (mächtiger) Staaten maßgeblich. Im Gegensatz zu solchen Tendenzen problematisiert der folgende Beitrag die herrschende Sicherheitspolitik im Lichte des geltenden Völkerrechts. Der Aufsatz beinhaltet einen geringfügig überarbeiteten Vortrag über die »Vereinbarkeit von sicherheitspolitischer Praxis mit dem Völkerrecht«, den der Autor am 4. Juli auf Einladung der Führungsakademie der Bundeswehr in der Clausewitz-Kaserne in Hamburg aus Anlass des 50. Jahrestag der Bundeswehr gehalten hat.

Jüngst fasste Verteidigungsminister Struck in einem Interview in der Frankfurter Rundschau die zukünftige sicherheitspolitische Praxis in wenigen prägnanten Sätzen zusammen: „Unsere Spur wird die Transformation der Truppe sein. Dafür stehen zwei Sätze. Erstens: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. Er ist akzeptiert, auch wenn mir zu wenig darüber diskutiert wird. Der zweite Satz lautet: Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt. Wer einer Nato-Response-Force zustimmt, wer dem Konzept der Battle-Groups zustimmt, muss wissen: Grundsätzlich müssen deutsche Soldaten bereit sein, an Orten Verantwortung zu übernehmen, an die wir heute noch nicht denken. Dabei gilt für uns aber immer: Wir treten nie allein auf, sondern machen alles mit unseren Partnern in der NATO oder der EU zusammen.“ (FR. 2. Juni 2005)

Nehmen wir also die Aufforderung ernst und diskutieren wir die beiden Sätze, die doch nicht so allgemein akzeptiert sind, wie Minister Struck es vermutet.

Verteidigung ohne Angriff

Bereits ein Blick in das Grundgesetz offenbart erhebliche Widersprüche zum geplanten weltweiten Einsatz der Bundeswehr, denn Art. 115 a definiert den »Verteidigungsfall« ganz eindeutig als Angriff auf das Bundesgebiet. Darüber hinaus nimmt Art. 26 GG das absolute Verbot des Angriffskrieges in der UNO-Charta auf und fordert sogar seine Bestrafung. Auch nach dem Nordatlantikvertrag von 1949 ist die NATO als klassisches Verteidigungsbündnis konzipiert; die Bündnisverpflichtung des Art. 5 wird ausdrücklich in den Verteidigungsrahmen des Art. 51 UN-Charta gestellt und eindeutig territorial begrenzt: Der Angriff muss auf das Gebiet eines Mitgliedstaates in Europa oder Nordamerika erfolgen, Inseln, Schiffe und Flugzeuge im nordatlantischen Raum „nördlich des Wendekreises des Krebses“ eingeschlossen (Art. 6).

Nun kann sich Minister Struck zweifellos auf die Neue Strategie der NATO berufen, die im April 1999 in Washington von allen Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer beschlossen wurde. Sie erweiterte den Verteidigungsauftrag um einen Auftrag zur »Krisenbewältigung«, ohne dass allerdings ein solcher Auftrag im NATO-Vertrag selbst irgendwie zum Ausdruck kommt. Der Krisen-Begriff ist außerordentlich weit und variabel gefasst: „Ungewissheit und Instabilität im und um den euroatlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses (…) Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen. Die daraus resultierenden Spannungen könnten zu Krisen führen, die die euro-atlantische Stabilität berühren, sowie zu menschlichem Leid und bewaffneten Konflikten.“ (Z. 20) Zudem können die Sicherheitsinteressen auch von anderen nichtmilitärischen „Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen.“ (Z. 24)1

Das ist eine durchaus zutreffende Beschreibung drohender Risiken, aber in keinem Fall eine rechtswirksame Interventionsermächtigung. Der Beschluss der Minister ist völkerrechtlich vollkommen irrelevant und hebt das absolute Gewaltverbot der UN-Charta nicht auf. Erinnern wir uns des Zeitpunktes des Strategie-Beschlusses. Während die Minister in Washington tagten, war die Bombardierung Jugoslawiens noch in vollem Gange. Die mangelnde völkerrechtliche Grundlage dieses ersten der drei großen Kriege seit der Epochenwende ist hinlänglich bekannt und wird unter Juristen allgemein eingeräumt. Wo weder ein Fall der Selbstverteidigung gem. Art. 51 UNO-Charta noch eine Ermächtigung durch den UN-SR gem. Art. 42 UNO-Charta vorliegt, verbietet das absolute Gewaltverbot des Art. 2. Z. 4 UN-Charta jeden militärischen Angriff auf einen anderen Staat. Deswegen waren die Bombardierung Jugoslawiens und des Iraks eindeutig rechtswidrig, die Berufung auf ein Selbstverteidigungsrecht im Fall Afghanistans zumindest umstritten. Wenn Minister Struck beteuert: „Wir treten nie allein auf, sondern machen alles mit unseren Partnern in der NATO oder der EU zusammen“, so ist das politisch zweifellos klug, juristisch aber belanglos, wenn er nicht gleichzeitig die UN-Charta und das Völkerrecht als die alleinige Grundlage legaler militärischer Gewaltanwendung anerkennt. NATO und EU vermögen eine mangelnde völkerrechtliche Legitimation nicht zu ersetzen.

»Humanitäre Intervention«

Das Legitimationsdefizit im Fall des Kosovo-Kriegs war den NATO-Regierungen durchaus bewusst. Um jedoch nicht dem offenen Vorwurf des Völkerrechtsbruchs ausgeliefert zu sein, bemühten sie sich, neben moralischen Rechtfertigungen, neue juristische Begründungen zu entwickeln bzw. alte wieder zu beleben. So griffen sie auf eine alte Figur des Völkerrechts der Vor-Charta-Ära zurück: die sog. humanitäre Intervention. Zwar haben die USA bei ihren Interventionen in Lateinamerika (Grenada 1983, Nicaragua 1984, Panama 1989) immer wieder auf diese Rechtfertigung zurückzugreifen versucht, haben jedoch dabei nirgendwo Zustimmung oder Gefolgschaft finden können.

Hauptziel und zentrale Aufgabe der UNO sind die Friedenssicherung, worunter sich alle anderen Ziele einzureihen haben. Dies macht z. B. Art. 103 UN-Charta deutlich: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“ Tritt also das Gewaltverbot der Friedenssicherung in Konkurrenz zu einer Verpflichtung aus einer der Menschenrechtspakte und -konventionen, so hat das Gewaltverbot Vorrang. Eine Verknüpfung beider Prinzipien derart, dass die Sicherung der Menschenrechte eine Ausnahme vom Gewaltverbot zulasse oder gar erfordere, ist im System der UN-Charta also nicht angelegt.

Dies hat der Internationale Gerichtshof (IGH) 1986 in seinem Urteil im Rechtsstreit Nicaraguas gegen die USA noch einmal unterstrichen: „Die Vereinigten Staaten mögen ihre eigene Einschätzung hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte in Nicaragua haben, jedoch kann die Anwendung von Gewalt keine geeignete Methode sein, die Achtung der Menschenrechte zu überwachen oder zu sichern. Hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen (ist festzustellen), dass der Schutz der Menschenrechte, ein strikt humanitäres Ziel, unvereinbar ist mit der Verminung von Häfen, der Zerstörung von Ölraffinerien, oder … mit der Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung von Contras. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass das Argument, das von der Wahrung der Menschenrechte in Nicaragua hergeleitet wird, keine juristische Rechtfertigung für das Verhalten der USA liefern kann.“2

Noch im selben Jahr hat das Foreign Office Großbritanniens auf die zwingenden politischen Gründe für die Ablehnung der »humanitären Intervention« als dritte Ausnahme vom Gewaltverbot hingewiesen: „Die überwältigende Mehrheit der zeitgenössischen Rechtsmeinung spricht sich gegen die Existenz eines Rechts zur (einseitigen) humanitären Intervention aus, u. zw. aus drei Gründen: erstens enthalten die UN-Charta und das Völkerrecht insgesamt offensichtlich kein spezifisches derartiges Recht; zweitens liefert die Staatenpraxis in den letzten zweihundert Jahren und besonders nach 1945 allenfalls eine Hand voll wirklicher Fälle einer humanitären Intervention, wenn überhaupt – wie die meisten meinen; und schließlich, aus Gründen der Vorsicht, spricht die Möglichkeit des Missbrauchs stark dagegen, ein solches Recht zu schaffen… Der wesentliche Gesichtspunkt, der deshalb dagegen spricht, die humanitäre Intervention zu einer Ausnahme vom Prinzip des Interventionsverbots zu machen, sind ihre zweifelhaften Vorteile, die bei weitem durch ihre Kosten in Form des vollen Respekts vor dem Völkerrecht aufgewogen werden.“3

Wenn sich die Regierung Blair auch nicht an diese Mahnung gehalten hat, so haben diese Argumente in den vergangenen Jahren doch nicht ihre Gültigkeit verloren.4 Sie sind auf einem Treffen der Außenminister der 133 Mitgliedstaaten der Gruppe 77 am 24. September 1999 noch einmal bestätigt worden: „Wir weisen das sog. Recht auf humanitäre Intervention zurück, welches keine Basis in der UNO-Charta noch im internationalen Recht hat.5 Und ein Report des Foreign Affairs Committee des Britischen Unterhauses vom 23. Mai 2000 hat das Vorgehen der eigenen Regierung eindeutig als rechtswidrig qualifiziert: „Wir kommen zu dem Schluss, dass die Operation Allied Force den spezifischen Vorschriften dessen widersprach, was als grundlegendes Recht der internationalen Gemeinschaft bezeichnet werden kann – die UNO-Charta… Wir fassen zusammen, dass letztlich die Doktrin der Humanitären Intervention eine sehr schwache Basis im derzeitigen Völkergewohnheitsrecht hat und dass dies die NATO-Aktion rechtlich fragwürdig macht.“6

War die völkerrechtliche Legalität der »humanitären Intervention« nicht mehr zu retten, so versuchte das Komitee die NATO-Bombardierung zumindest moralisch zu legitimieren. Ähnliche Rettungsversuche finden wir bei einigen Vertretern der sog. politikorientierten Rechtswissenschaft der New Haven School an der Yale-Universität wie z.B. Anne-Marie Slaughter, die den Jugoslawien-Krieg zwar ebenfalls als juristisch illegal einstuft, dennoch aber moralisch legitimiert.7 Wir haben erlebt, wie dankbar insbesondere der deutsche Außenminister diesen Ausweg aus seinem Legitimationsdilemma aufgenommen hat. Wo jedoch die Grenzen zwischen Recht, Theologie und Moralphilosophie verschwimmen, ist letztlich jeder Angriffskrieg zu begründen.

Ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz: Alle Versuche, die militärischen Aktionsmöglichkeiten über die völkerrechtlichen Grenzen der reinen Verteidigung (Art. 51 UN-Charta) auf Krisenbewältigung, Menschenrechtssicherung und Risikovorsorge auszudehnen, müssen derzeit noch an der klaren und eindeutigen Dogmatik der UNO-Charta scheitern. Ihre Relativierung aus Gründen menschenrechtlicher Nothilfe oder moralischer Verpflichtung wird zwar immer wieder versucht, hat aber keine namhafte und mehrheitliche Zustimmung bei den Staaten gefunden.

Präventivkrieg

Nach dem Terroranschlag auf Pentagon und World Trade Center im September 2001 bekam die sicherheitspolitische Debatte eine neue Wendung. Der Terrorismus und sein befürchteter Zugang zu Massenvernichtungsmitteln wurden zum Angelpunkt einer weiteren »Aufstockung« der Verteidigungsstrategie. War in der Neuen NATO-Strategie bereits der weltweite Kriseneinsatz, also die faktische Entterritorialisierung und Entgrenzung des Einsatzraums, enthalten, so sollte die Verteidigung gegen den Terrorismus nun auch die zeitliche Begrenzung des Art. 51 UN-Charta aufheben können. Der Einsatz militärischer Gewalt müsse räumlich wie zeitlich unbegrenzt möglich werden. Schon die bloße Vermutung, dass einer dieser sog. Schurkenstaaten über atomare, chemische oder biologische Massenvernichtungswaffen verfügen könne, soll einen präventiven Erstschlag mit Waffengewalt rechtfertigen.

Die US-Administration hat die Vorverlagerung militärischer Verteidigung auf drohende Gefahren bzw. Angriffe, die sog. Präventivverteidigung, zur zentralen strategischen Option ihrer neuen »National Security Strategy« gemacht, die sie genau ein Jahr nach dem Terroranschlag, am 17. September 2002, veröffentlichte. Erstmals hatte sie Präsident Bush in einer Rede vor der Militärakademie West Point im Juni 2002 verkündet; angewandt wurde sie erstmals gegen den Irak. Seitdem wird sie als Bush-Doktrin gehandelt. Die entscheidenden Passagen lauten: „Wir müssen das Konzept der unmittelbaren Bedrohung an die Fähigkeiten und Ziele der heutigen Gegner anpassen… Die Vereinigten Staaten haben sich seit langem die Option auf präemptive Handlungen offen gehalten, um einer hinreichenden Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit begegnen zu können. Je größer die Bedrohung, desto größer das durch Untätigkeit entstehende Risiko – und desto zwingender das Argument für antizipatorische Selbstverteidigung (…). Die Vereinigten Staaten werden gegebenenfalls präemptiv handeln, um solche feindlichen Akte unserer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen.

Die Vereinigten Staaten werden nicht in allen Fällen Gewalt anwenden, um aufkeimenden Bedrohungen zuvorzukommen, und Staaten sollten Präemption auch nicht als Vorwand für Aggressionen benutzen. In einer Zeit aber, in der die Feinde der Zivilisation offen und aktiv nach den zerstörerischen Technologien streben, können die Vereinigten Staaten jedoch nicht untätig bleiben, während das Gefahrenpotential wächst.“8

Ein Jahr später übernahm auch die EU für ihre im Aufbau befindlichen Krisenreaktionstruppen, die sog. battle-groups, die Option zeitlich und räumlich unbegrenzter militärischer Interventionen. In dem sog. Solana-Papier, welches vom Europäischen Rat im Dezember 2003 als »Europäische Sicherheitsstrategie« verabschiedet wurde, heißt es: „Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art… Daher müssen wir bereit sein, vor Ausbruch einer Krise zu handeln. Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden.“

An anderer Stelle heißt es: „Wir müssen eine Strategie-Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert… Als eine Union von 25 Mitgliedstaaten, die mehr als 160 Mrd. Euro für Verteidigung aufwenden, sollten wir mehrere Operationen gleichzeitig durchführen können.“9

Obwohl der Wortlaut von Art. 51 UNO-Charta die Selbstverteidigung eindeutig auf den Fall „eines bewaffneten Angriffs“ beschränkt, haben vor allem Israel und die USA immer wieder versucht, den Anwendungsbereich der Selbstverteidigung zu erweitern. So Israel 1956 in der Suezkrise, 1967 im Sechs-Tage-Krieg und 1981 beim Angriff auf den Osirik-Nuklearreaktor im Irak. Zwar hat die Staatengemeinschaft das nie als rechtmäßige Verteidigung akzeptiert und die Bombardierung des Nuklearreaktors mit einer einstimmigen Resolution des UN-Sicherheitsrats verurteilt. Dennoch griffen auch die USA bei ihren Invasionen auf Grenada 1983 und Panamas 1989 zur Ergreifung Noriegas, sowie der Bombardierung von Tripolis 1986 nach dem Anschlag auf die Disco La Belle und Bagdads 1993 als Antwort auf ein zwei Monate zuvor versuchtes Attentat auf Präsident Bush sen. immer wieder auf das Argument der Selbstverteidigung zurück. Letztlich musste sie auch für den Krieg gegen den Irak herhalten. Der Sicherheitsrat war zumeist durch das Veto der USA blockiert, so dass es nur im Fall Panamas zu einer eindeutigen Verurteilung der Invasion durch die UN-Generalversammlung kam. Insofern stellt die »National Security Strategy« zu Recht fest, dass die USA immer auf das Konzept vorbeugender Selbstverteidigung zurückgegriffen hat – doch gegen das eindeutige Verteidigungskonzept der UNO-Charta und die einhellige internationale Ablehnung.10

Selbst diejenigen, die eine Erweiterung der Selbstverteidigung auf unmittelbar bevorstehende Angriffe erstrecken wollen, verlangen den Nachweis eines unmittelbar bevorstehenden, überwältigenden Angriffs, der weder andere Mittel noch einen Moment der Beratung mehr zulässt.11 Diese Kriterien der vorbeugenden Selbstverteidigung wurden bereits im Jahre 1842 durch den US-Außenminister Webster entwickelt. Sie wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verabschiedung der UNO-Charter immer wieder zitiert, aber immer außerordentlich eng gefasst. So wollen einige sie nur für Fälle gelten lassen, „wo es einen überzeugenden Beweis nicht nur bloßer Drohungen und möglicher Gefahren gibt, sondern eines bereits vorbereiteten Angriffs, wenn davon gesprochen werden kann, dass ein Angriff schon begonnen hat, obwohl er noch nicht die Grenze überschritten hat.“12 Ein solcher Fall lag jedoch in allen zitierten Angriffen nicht vor und eine allgemeine abstrakte Terrorismusdrohung kann diesen Kriterien schon gar nicht entsprechen.

Bilanz und Ausblick

Die Bush-Doktrin der Präventivverteidigung stellt eine eindeutige Verletzung der UNO-Charta dar – ihr Ziel ist es, neues Völkerrecht zu schaffen. Dies ist nur durch staatliche Praxis auf dem Wege der gewohnheitsrechtlichen Ausweitung und der Veränderung des Art. 51 UNO-Charta möglich. Entscheidend sind also nicht irgendwelche Meinungen in der politischen oder juristischen Öffentlichkeit,13 sondern eine Staatenpraxis, die dieses neue Recht einführen und zu einem neuen Standard machen will. Bisher kann von einer solchen gewohnheitsrechtlichen Änderung des völkerrechtlichen Verteidigungsbegriffs keine Rede sein, selbst wenn USA und NATO sie durch ihre Interventionspraxis durchsetzen wollen. Denn die überwältigende Mehrheit der Staaten ist dagegen, wenn sie diese Praxis auch nicht verhindern kann.

Wirksamer scheint überraschenderweise derzeit eine Kritik zu sein, die aus offensichtlich unerwarteter Richtung kommt: aus der Truppe und von den Gerichten. Die Dienstverweigerung eines Offiziers der Bundeswehr aus Gewissensgründen konnte unlängst nur deswegen die Anerkennung des Bundesverwaltungsgerichts finden, weil die Gründe – die Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges – ernsthaft und für den erkennenden Senat nachvollziehbar waren. Das Urteil vom 21. Juni stellt zentral auf „gravierende rechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht“ ab (Leitsatz 6).14 Insoweit kann man erwarten, dass in Zukunft insbesondere jeder Fall präventiver Verteidigung gegenüber einer Dienstverweigerung aus Gewissensgründen unterlegen sein wird. Eine Perspektive, die nicht nur den Juristen mit Genugtuung erfüllen muss, da Recht auch in diesem sensiblen Bereich der Politik wieder die Bedeutung erhält, die ihm in einer Demokratie zukommt.

Anmerkungen

1) Das strategische Konzept des Bündnisses. Bulletin Nr. 24, 3. Mai 1999, S. 221-231.

2) Military and Paramilitary Activities case, International Law Reports 468/469, para. 268. So auch die heute fast einhellige Meinung in der Völkerrechtswissenschaft, Alfred Verdross, Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, Berlin 1984, § 284; Albrecht Randelzhofer, Art. 2 Ziff. 4 Rdnr. 30. In: B. Simma (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen, München 1991, S. 49 ff.; Bruno Simma: NATO, the UN and the use of force: Legal aspects. European Journal of International Law, Vol. 10/1999, S. 1 ff.; Antonio Cassese: Ex iniuria ius oritur: Are we moving towards international legitimation of forcible humanitarian countermeasures in the world community? European Journal of International Law, Vol. 10/1999, S. 24 ff.; Hermann Weber: Rechtsverstoß, Fortentwicklung oder Neuinterpretation? Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juli 1999, S. 8.

3) UK Foreign Office Policy Document No. 148, British Yearbook of International Law 57/1986, S. 614.

4) Vgl. neben den bereits weiter oben angegebenen Autoren O. Schachter: International law in theory and practice, Dordrecht 1991, S. 128; Antonio Cassese: Self-determination of peoples, Cambridge 1995, S. 199 f.; Michael Bothe: VII Rdnr. 19. In: Graf Vitzthum (Hrsg.): Völkerrecht, Berlin 1997; Reinhard Merkel: Das Elend der Beschützten, DIE ZEIT, 12. Mai 1999, S. 10; August Pradetto: Die NATO, humanitäre Intervention und Völkerrecht. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/99, 12. März 1999, S.26 ff.

5) Vgl. Brad R. Roth: Bending the law, breaking it, or developing it? The United States and the humanitarian use of force in the post-Cold War era. In: Michael Byers, Georg Nolte (Eds.): United States hegemony and the foundations of international law, Cambridge 2003, S. 242.

6) Vgl. Marcello G. Kohen: US use of force after the Cold War. In: Michael Byers, Georg Nolte (Eds.): United States hegemony and the foundations of international law, Cambridge 2003, S. 219.

7) Vgl. Brad R. Roth: a.a.O. (s. Anm. 5), S.250 ff. So auch die Independent International Commission on Kosovo (Goldstone Commission), Kosovo Report 2000.

8) The White House: The National Security Strategy of the United States of America, Sept. 2002, http://www.whitehouse.gov/nsc/nss.pdf, Kap. V, S. 15. Vgl. Dietrich Murswiek: Die amerikanische Präventivstrategie und das Völkerrecht. Neue Juristische Wochenschrift, Heft 14/2003, S. 1014 ff.

9) European Security Strategy, A secure Europe in a better world, Dez. 2003, http://europa.eu.int/geninfo/whatsnew.htm

10) Vgl. Albrecht Randelzhofer, Art. 51 Rdnr. 39. In: Bruno Simma (Ed.): The Charter of the United Nations, Oxford 2002; Antonio Cassese: International law, Oxford 2001, S. 310; Dietrich Murswiek: a.a.O. (s. Anm. 8), Anm. 15; Christine Gray: International law and the use of force, New York 2000; Mary Ellen O’Connell, Re-leashing the dogs of war. The American Journal of International Law, Vol. 97/2003.

11) Yoram Dinstein: War, agression and self-defence, Cambridge 1994, S. 190 ff.; Peter Malanczuk: Akehurst’s Modern introduction to international law, London 1997, S. 312 ff.

12) C. Humphrey M. Waldock: The regulation of the use of force by individual states in international law. Recueil des Cours, Vol. 81 (1952-II), S. 451 ff., 498.

13) Vgl. W. Michael Reisman: International legal responses to terrorism. Houston Journal of International Law, Vol. 22/1999; Armin A. Steinkamm: Der Irak-Krieg – auch völkerrechtlich eine neue Dimension. Unumgängliche Diskussion über das Recht der präventiven Verteidigung. Neue Züricher Zeitung, 16. Mai 2003; Karl Heinz Kamp: Die neue Sicherheitsstrategie der USA und das grundsätzlich andere Verständnis von Völkerrecht. In: Friedrich Ebert Stiftung, Zurück zum Faustrecht? Dokumentation einer Konferenz vom 22. September 2003, S. 49 ff; Karl Heinz Kamp: Die Bedrohung bekämpfen, bevor sie akut wird. Frankfurter Rundschau, 4. Febr. 2004. Vgl. auch die neue außenpolitische Doktrin der CDU, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. April 2003, S. 2.

14) Bundesverwaltungsgericht, Urteil 2WD 12.04 vom 21. Juni 2005, http://www.bundesverwaltungsgericht.de.

Dr. Norman Paech, Professor em. für Öffentliches Recht an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP), seit September 2005 MdB »Die Linke«

Die Nuklear-Strategie der NATO

Die Nuklear-Strategie der NATO

Das Völkerrecht und strafrechtliche Konsequenzen

von Bernd Hahnfeld

Die Militärstrategie der NATO setzt unverändert auf den potenziellen Einsatz von Atomwaffen. Das auf der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der NATO in Washington am 23. und 24.4.1999 verabschiedete Strategische Konzept des Bündnisses betont die wesentliche Rolle der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner. Hervorgehoben wird, dass dies zur Gewährleistung einer glaubwürdigen Abschreckung erforderlich sei. Die deutsche Bundesregierung hatte 1993 die substrategischen Nuklearsysteme der Allianz ausdrücklich als notwendig bezeichnet und erklärt, man werde nicht für den Abzug dieser Waffen aus Deutschland oder Europa eintreten. Der eventuelle Ersteinsatz der Nuklearwaffen sei unverzichtbar. Sind diese Positionen mit dem Völkerrecht und dem nationalen Recht vereinbar?

Dokumente zur aktuellen Ersteinsatzdoktrin der NATO sind nicht veröffentlicht worden. Geheime Quellen berichten von dem am 16.5.2000 vom Nordatlantikrat einstimmig verabschiedeten NATO-Dokument MC 400/2, demnach der Nordatlantikrat befugt sei, seinen Mitgliedsstaaten den Einsatz von Atomwaffen auch gegen solche Staaten zu empfehlen, die nicht-nukleare Massenvernichtungswaffen einsetzen, mit dem Einsatz drohen oder solche Waffen besitzen. Verschiedene Versuche, eine Überprüfung der Nuklearstrategie der NATO zu erreichen, sind erfolglos geblieben.1

Das Schlusskommuniqué des Ministertreffens der Verteidigungsplanungsgruppe und der Nuklearen Planungsgruppe in Brüssel hat am 12.6.2003 den Status der nuklearen Kräfte der NATO und das Strategie-Konzept der Allianz bekräftigt. Hervorgehoben worden ist die große Bedeutung der in Europa stationierten nuklearen Kräfte.2 Der Nordatlantikrat hat im Dezember 2003 „die in Europa stationierten und der NATO zur Verfügung stehenden Nuklearstreitkräfte“ als essentiell bezeichnet.

NATO-Atomwaffen in Europa

Die NATO verfügt in Europa über Atomwaffen zur Durchsetzung dieser Strategie: Ca. 180 US-Atombomben sind auf Flughäfen in Belgien, Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert. Die USA und diese NATO-Staaten halten Flugzeuge bereit, die für den Einsatz freifallender Atombomben ausgerüstet sind. Soldaten der betreffenden Staaten würden im Einsatzfall die Bomben abwerfen. So ist z.B. den von der Bundesregierung gebilligten »Konzeptionellen Leitlinien zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vom 12.7.1994 zu entnehmen, dass die Bundeswehr Flugzeugstaffeln für die „nukleare Teilhabe“ vorhält. Dabei handelt es sich derzeit um eine Staffel Tornado-Kampfjets in Büchel.3

Neben diesen Fliegerbomben gehören zum Atomwaffenarsenal der NATO in Europa auch die Atom-U-Boote Großbritanniens und vier US-amerikanische Trident-U-Boote.

NATO-Nuklearstrategie völkerrechtswidrig

Die geltende NATO-Nuklearstrategie, auf unabsehbare Zeit Atomwaffen eine wesentliche Rolle in der Gesamtstrategie zuzuweisen, den möglichen Atomwaffeneinsatz nicht auf extreme Notwehrsituationen zu beschränken, in denen das reine Überleben eines Staates auf dem Spiel steht, und sich den Ersteinsatz von Atomwaffen vorzubehalten, ist völkerrechtswidrig.

Der Einsatz von Atomwaffen und die Drohung mit diesem Einsatz verletzen zwingende Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts. Bei jedem Einsatz der vorhandenen NATO-Atomwaffen können folgende gewohnheitsrechtliche Regeln nicht eingehalten werden:

  • Zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und der Zivilbevölkerung muss unterschieden werden.
  • Unnötige Grausamkeiten und Leiden müssen vermieden werden.
  • Unbeteiligte und neutrale Staaten dürfen bei einem Waffeneinsatz nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.4

Die Wirkung eingesetzter Atomwaffen lässt sich nicht beschränken auf Kombattanten und auf beteiligte Staaten. Weder in Europa noch in möglichen anderen Einsatzgebieten sind Situationen vorstellbar, in denen nicht auch die Zivilbevölkerung und unbeteiligte und/oder neutrale Staaten in Mitleidenschaft gezogen und Strahlungsschäden erleiden würden. Grausamkeiten an und Leiden der Sterbenden und Überlebenden wären bei einem Einsatz der existierenden Atombomben nicht zu vermeiden.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat in seinem Gutachten vom 8.7.1996 dementsprechend den Schluss gezogen: „…dass die Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen grundsätzlich/generell („generelly“) im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlichen Regeln des internationalen Rechts und insbesondere den Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts stehen würde.“5

Offengelassen hat der IGH lediglich die Frage der Völkerrechtswidrigkeit im Falle einer existenzgefährdenden extremen Notwehrsituation. Wörtlich: „Der Gerichtshof kann jedoch in Anbetracht des gegenwärtigen Völkerrechtsstatus und der ihm zur Verfügung stehenden grundlegenden Fakten nicht definitiv entscheiden, ob die Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen in einer extremen Notwehrsituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiel stehen würde, rechtmäßig oder unrechtmäßig sein würde.“6

Aus dem IGH-Gutachten ergibt sich, dass selbst im Falle einer extremen Notwehrsituation, in der das Überleben eines Staates auf dem Spiel steht, ein etwaiger Atomwaffeneinsatz allenfalls dann völkerrechtsgemäß sein könnte, wenn die weiteren zwingenden Voraussetzungen erfüllt sind, d.h.

  • zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung unterschieden wird,
  • keine unnötigen Leiden verursacht werden und
  • das Gebiet unbeteiligter und neutraler Staaten nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.

Weil das mit den in Europa stationierten Bomben nicht möglich ist, wäre jeder Einsatz der existierenden Atomwaffen völkerrechtswidrig. Dementsprechend hat der IGH in der Begründung seines Gutachtens ausgeführt, dass kein Staat, der für die Rechtmäßigkeit des Atomwaffeneinsatzes eintritt, dargelegt hat, unter welchen Bedingungen ein so begrenzter Einsatz möglich wäre, der eine Anwendung rechtfertigen könnte.

Die NATO beschränkt ihre Nuklearstrategie nicht auf Fälle extremer Notwehrsituationen. Zudem gewährleistet die NATO nicht die Einhaltung der vom IGH bestätigten völkerrechtlichen Einschränkungen eines etwaigen Atomwaffeneinsatzes. Aus beiden Gründen verstößt die Nuklearstrategie der NATO gegen zwingendes Völkerrecht.

Völkerrechtswidrig ist die geltende Nuklearstrategie der NATO auch deshalb, weil sie gegen die Verpflichtung aller NATO-Staaten verstößt, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluss zu bringen, die zu nuklearer Abrüstung (Entwaffnung) in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle“ führen. Diese aus Art VI des NV-Vertrages folgende völkerrechtliche Verpflichtung hat der IGH in seinem Richterspruch vom 8.7.1996 einstimmig festgestellt.7

Sobald im Einsatzfall die US-amerikanischen Soldaten die von ihnen verwahrten Atombomben den Soldaten der Nicht-Atomwaffenstaaten übergeben, damit diese mit Flugzeugen ihrer Armeen den Einsatz mit diesen Waffen fliegen, üben die Soldaten der Nicht-Atomwaffenstaaten die faktische Verfügungsgewalt über die Atomwaffen aus. Damit verstießen diese Nicht-Atomwaffenstaaten gegen Art. II des NV-Vertrages, demnach sie verpflichtet sind, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemanden unmittelbar oder mittelbar anzunehmen.“ Die USA verstieße durch die Überlassung gegen Art. I des NV-Vertrages, der die Atomwaffenstaaten verpflichtet, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden mittelbar oder unmittelbar weiterzugeben.“

Nicht gefolgt werden kann der Rechtsmeinung, dass der NV-Vertrag im Kriegsfall völkerrechtlich unwirksam wird. Ein sog. Kriegsvorbehalt könnte sich aus »Interpretationserklärungen« ergeben, die der damalige US-Außenminister Dean Rusk am 20.4.1967 gegenüber dem NATO-Rat abgegeben hat. Eine Denkschrift der Bundesregierung zum NV-Vertrag zitiert dazu Äußerungen des US-Außenministers vor dem US-Senat vom 10.7.1968 wie folgt: Der NV-Vertrag „behandelt nicht Regelungen über die Dislozierung von Kernwaffen auf alliiertem Hoheitsgebiet, da diese keine Weitergabe von Kernwaffen oder Verfügungsgewalt darüber einschließen, sofern und solange nicht eine Entscheidung, Krieg zu führen getroffen wird, in welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre.“ 8 Ob dieser Vorbehalt die förmlichen Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 1 Wiener Vertragsrechtsabkommen erfüllt, kann hier nicht geklärt werden.9 Naheliegend ist, dass der Vorbehalt schon deswegen völkerrechtlich unwirksam ist, weil er mit dem Ziel und Zweck des NV-Vertrages unvereinbar wäre. Der NV-Vertrag wäre nahezu bedeutungslos, wenn er in den Konfliktsituationen nicht gelten würde, für die er ursprünglich geschaffen worden ist.

Deutschland verstößt durch die sogenannte nukleare Teilhabe gegen Art. 3 Abs.1 des 2+4-Vertrag vom 12.9.1990, durch den Deutschland „auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen“ verzichtet hat. Denn indem deutsche Soldaten den Einsatz von Atomwaffen üben, die sie mit deutschen Flugzeugen zu den Einsatzorten transportieren und abwerfen sollen, bereiten sie die tatsächliche Verfügungsgewalt über Atomwaffen vor.

Beteiligte zur Verantwortung ziehen

Die NATO-Staaten können zur Verantwortung gezogen und verpflichtet werden, die Rechtsverstöße unverzüglich zu beenden. Durch die NATO-Nuklearstrategie bedrohte oder gefährdete Staaten können vor dem IGH Klage gegen die NATO-Mitgliedstaaten erheben, soweit diese die Zuständigkeit des IGH anerkannt haben. Zudem wäre der UN-Sicherheitsrat berechtigt, nach Art. 39 UN-Charta eine Bedrohung des Friedens festzustellen und Maßnahmen einzuleiten.

Über die geltende NATO-Nuklearstrategie ist bislang von UN-Gremien nicht entschieden worden. Es hat lediglich zahlreiche – nicht rechtsverbindliche – Resolutionen der UN-Generalversammlung zu Fragen der atomaren Rüstung gegeben. Das IGH-Gutachten vom 8.7.96 hat sich nur allgemein mit der Frage der Völkerrechtmäßigkeit des Einsatzes von und der Androhung mit Atomwaffen befasst. Die NATO-Strategie stand insoweit noch nicht auf dem Prüfstand.

Die Bürger in den NATO-Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, im Rahmen ihrer nationalen Rechtssysteme gegen ihre Regierungen gerichtlich vorzugehen, d.h., ihre Regierungen zu völkerrechtsgemäßem Verhalten zu verpflichten, wo dies gesetzlich vorgesehen ist. In Deutschland könnten Bundestagsfraktionen Organklageverfahren einleiten. Ordentliche Gerichte könnten die Frage in Verfahren, in denen sie entscheidungserheblich ist, dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Selbst wenn die nationalen Rechtsordnungen keine Vollstreckungsmöglichkeiten vorsehen sollten, wäre ein Richterspruch politisch wirksam.

Strafrechtliche Verantwortlichkeit

Strafrechtlich verantwortlich wären die Regierungsmitglieder der NATO-Mitgliedsstaaten und ihre Hilfspersonen für die in der NATO-Nuklearstrategie liegenden Völkerrechtsverstöße, wenn sie damit internationale oder innerstaatliche Strafgesetze verletzen würden. Sie wären vor dem IStGH anzuklagen, wenn ihre Staaten das Römische Statut ratifiziert haben. Soweit sie gegen Strafbestimmungen ihrer Heimat-Staaten verstießen, müssten sie sich vor der Justiz ihrer Länder verantworten. Vorliegend werden nur die internationalen und die deutschen Strafbestimmungen geprüft.

Strafbarkeit nach dem Internationalen Strafrecht

Der völkerrechtswidrige Nuklearwaffeneinsatz der NATO wäre ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 und ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs.10

Denn er wäre nach Art. 7 Abs. 1a als Verbrechen gegen die Menschlichkeit die vorsätzliche Tötung zahlreicher Menschen „als Teil eines großangelegten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung in Kenntnis des Angriffs.“

Ein großangelegter Angriff kann eine einzige Handlung sein, wenn dieser eine Vielzahl von Zivilpersonen zu Opfer fallen. Systematisch ist der Angriff, wenn er einem vorgegebenen Plan oder einer Politik folgt.11

Nach Art.7 Abs.2a bedeutet Angriff gegen die Zivilbevölkerung eine Verhaltensweise „in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat.“ Dabei ist das Merkmal Politik im Sinne einer geplanten, geleiteten oder organisierten Tatbegehung zu verstehen.12 Alle Merkmale wären bei einem Atomwaffeneinsatz gegeben.

Täter sind nicht nur Angehörige des staatlichen oder organisatorischen Machtapparates sondern alle Personen, die in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik des Staates oder der Organisation handeln.13

Der Einwand, dass das Ergebnis der Tötung von Zivilpersonen nicht beabsichtigt sei, ist unerheblich. Beim Vorsatz entscheidend ist, dass der Einsatz der Atomwaffe auch als Angriff auf die Zivilbevölkerung gewollt ist. Dabei umfasst die innere Tatseite nicht nur den Vorsatz sondern auch das Unrechtsbewusstsein, das im internationalen Strafrecht nicht gesondert zu prüfen ist.14 Für die Strafbarkeit reicht es nach Art. 30 Abs.2 b aus, dass der oder die Täter bei der Begehung der Tat davon ausgehen, dass die Folge bei gewöhnlichen Verlauf der Dinge eintreten wird („is aware that it will occur in the ordiniary course of events“).15 Dem Angreifenden eines Atomwaffeneinsatzes ist bewusst, dass der atomare Angriff auf etwaige Kombattanten nicht zu trennen ist von der Schädigung der in demselben Gebiet befindlichen Zivilpersonen und dass diese unter keinen vorstellbaren Umständen zu vermeiden ist.

Ein Atomwaffeneinsatz wäre zudem nach Art. 7 Abs. 2k als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung eine „unmenschliche Handlung ähnlicher Art, mit der vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und der …Gesundheit verursacht“ wird. Unter diesen Auffangtatbestand werden insbesondere schwere Körperverletzungen eingeordnet. Zum Vorsatz gelten die o.a. Argumente.

Ein Atomwaffeneinsatz wäre ein schwerer Verstoß „gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche“ und zwar

  • nach Art. 8 Abs. 2b i ein „vorsätzlicher Angriff auf die Zivilbevölkerung als solche und auf einzelne Zivilpersonen, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen“,
  • nach Art. 8 Abs.2b ii ein „vorsätzlicher Angriff auf zivile Objekte“
  • nach Art. 8 Abs.2b iv das „vorsätzliche Einleiten eines Angriffs in Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder weitreichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen werde, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren Vorteil stehen“,
  • nach Art. 8 Abs.2b v ein „Angriff auf unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten und Gebäude, die keine militärischen Ziele sind“ und
  • nach Art. 8 Abs. 2b ix ein „vorsätzlicher Angriff auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler und Krankenhäuser“, die keine militärischen Ziele sind.

Ein Atomwaffeneinsatz wäre ein Angriff gegen Zivilisten. Zivilisten sind diejenigen Personen, die nicht Kombattanten sind. Der schwere Verstoß gegen die geltenden Gesetze und Gebräuche liegt in der oben genannten und vom IGH festgestellten Verletzung der gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.

In subjektiver Hinsicht ist abweichend von Art. 30 zielgerichtetes Handeln („intentionally“ und „intended“) erforderlich.16 Das bedeutet, dass der Täter sein tatbestandmäßiges Verhalten setzen will und auch die Folgen herbeiführen will. Da die Handlungsfolgen zwangsläufig mit dem Einsatz der Atomwaffe verbunden sind, wird dem Täter jedoch auch insoweit der Einwand verwehrt werden, er habe die katastrophalen Folgen gar nicht gewollt.

Ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs.2a (vorsätzliche Tötung, Zufügen schwerer Leiden und Gesundheitsschäden sowie Zerstörungen) läge nur vor, wenn die Getöteten, Verletzten oder Geschädigten zu den durch die vier Genfer Abkommen vom 12.8.49 geschützten Personen gehören.17

Durch die Genfer Abkommen geschützt sind Personen, die nicht an den Kampfhandlungen teilnehmen. Die Abkommen I bis III dienen dem Schutz von kranken, verwundeten… Soldaten und Kriegsgefangenen. Das Genfer Abkommen IV schützt Personen, die sich in der Gewalt einer gegnerischen Konfliktpartei befinden.18 Sonstige Zivilpersonen sind nicht geschützt.

Nach Art. 25 Abs.3 ist strafbar,

  • „wer das Verbrechen selbst, gemeinschaftlich oder durch einen anderen begeht, gleichviel ob der andere strafrechtlich verantwortlich ist“ (Ziff. a),
  • „wer das Verbrechen“, auch wenn es nur versucht wird, „anordnet, dazu auffordert oder dazu anstiftet“ (b)
  • „wer Hilfe bei seiner …versuchten Begehung leistet, einschließlich der Bereitstellung der Mittel für die Begehung“ (c)
  • „wer versucht, ein solches Verbrechen zu begehen, indem er mit einem wesentlichen Schritt zu seiner Ausführung ansetzt, es jedoch aufgrund von Umständen, die unabhängig von seiner Tatabsicht sind, nicht vollendet“ (d f).

Hinsichtlich des Vorsatzes der Täter oder Gehilfen bestehen keine Zweifel, weil diese nach Art. 30 mit Wollen und Wissen handeln. Sofern nicht abweichend geregelt, reicht für den Vorsatz hinsichtlich des Unrechtserfolgs nach Art. 30 Abs. 2a, dass den Tätern dessen Eintritt im Rahmen eines gewöhnlichen Kausalverlaufs bewusst ist.19 Strafausschließungsgründe20 nach Art. 31 liegen nicht vor. Ein Verbotsirrtum wäre vor allem angesichts des IGH-Gutachtens unbeachtlich.

Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht

Der Einsatz der stationierten NATO-Atomwaffen wäre auch ein Verstoß gegen das deutsche Strafrecht.

Er wäre ein Kriegsverbrechen gemäß § 11 des Gesetzes zur Ausführung des Völkerstrafgesetzbuchs vom 26.6.200221. Denn er wäre im Konfliktfall ein militärischer Angriff

  • gegen die Zivilbevölkerung“ und einzelne nicht an den Feindseligkeiten unmittelbar teilnehmenden Zivilpersonen (Abs. 1, Ziff. 1),
  • „gegen zivile Objekte“, die durch das humanitäre Völkerrecht geschützt sind, wie z.B. Kirchen, Krankenhäuser, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten, Gebäude und möglicherweise Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte (z.B. Atomkraftwerke) enthalten (Abs. 1, Ziff. 2),
  • in sicherer Erwartung der „Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder der Beschädigung ziviler Objekte“, die außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen (Abs. 1, Ziff. 3) und
  • in der sicheren Erwartung, „dass der Angriff weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren Vorteil stehen“ (Abs. 3).

Der völkerrechtswidrige und deshalb nicht zu rechtfertigende Einsatz der NATO-Atomwaffen würde auch gegen einige Vorschriften des deutschen Strafgesetzbuchs verstoßen. Bestraft wird,

  • „wer heimtückisch, grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen tötet“ (§211),
  • „wer mit gesundheitsschädlichen Stoffen, mittels einer Waffe, mittels eines hinterlistigen Überfalls, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich, mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt“ (§224), wobei die Tat zum Verbrechen wird, wenn der Tod oder schwere Verletzungsfolgen eintreten (§§226,227),
  • „wer eine nukleare Explosion verursacht oder einen anderen“…dazu „verleitet oder eine solche Handlung fördert.“ (§328 Abs.2),
  • „wer ohne die erforderliche Genehmigung grob pflichtwidrig …radioaktive Stoffe, die…geeignet sind, durch ionisierende Strahlen den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen herbeizuführen, aufbewahrt, befördert…oder sonst verwendet.“ (§ 328 Abs.1),
  • „wer es unternimmt, durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeizuführen und dadurch Leib oder Leben …zu gefährden“ (§307 Abs. 1), wobei Unternehmen einer Tat deren Versuch oder Vollendung ist (§ 11 Abs.1, Ziff. 6),
  • „ wer durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeiführt und dadurch Leib oder Leben …fahrlässig gefährdet (§ 307 Abs. 2),
  • „wer in der Absicht, die Gesundheit eines anderen Menschen zu schädigen, es unternimmt, ihn einer ionisierenden Strahlung auszusetzen, die dessen Gesundheit zu schädigen geeignet ist (§309 Abs. 1). Zum Verbrechen wird diese Straftat, wenn es der Täter unternimmt, „eine unübersehbare Zahl von Menschen einer solchen Strahlung aufzusetzen. (§ 309 Abs.2),
  • „wer zur Vorbereitung eines bestimmten Unternehmens des § 307 Abs. 1 oder des § 309 Abs. 2 …Kernbrennstoffe …oder die zur Ausführung der Tat erforderlichen Verrichtungen …sich verschafft“ (§ 310 Abs. 1).

Die schuldhafte Tatbegehung steht auch im deutschen Strafrecht nicht in Frage, weil mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung sowie mit Unrechtsbewusstsein gehandelt worden wäre. Ein etwaiger Verbotsirrtum wäre angesichts des IGH-Gutachtens vermeidbar gewesen.

Bereits Nuklearstrategie strafbar?

Es stellt sich die Frage, ob die von den Regierungen aller NATO-Mitgliedstaaten wiederholt bekräftigte (einsatzbereite) Stationierung der Atomwaffen der NATO bereits als Versuch dieser internationalen oder nationalen Verbrechen zu bewerten ist. Der Versuch der genannten Delikte ist (in beiden Rechtssystemen) strafbar nach Art. 25 Abs.3 df des Römischen Statuts und im deutschen Strafrecht nach § 23 StGB, der jeden Versuch eines Verbrechens bestraft. Strafbar ist auch die Teilnahme am bzw. Beihilfe zum Versuch.

Straflos wäre die Stationierung von Atomwaffen, wenn es sich nur um eine Vorbereitungshandlung der genannten Verbrechen handelt.

Art. 25 Abs. 3f des Römischen Statuts verbindet bei der Formulierung der Versuchsschwelle die französische Formel vom »Beginn der Tatausführung« mit dem amerikanischen Kriterium des »wesentlichen Schritts hin zur Tatausführung«.22 Strafbar ist eine Handlung, die einen wesentlichen Schritt der Ausführung des Verbrechens darstellt („commences its execution by means of a substantial step“). Ein wesentlicher Schritt liegt vor, wenn der vom Täter verfolgte Zweck verfestigt oder bestätigt wird. Die Grenze zwischen der straflosen Vorbereitungshandlung und dem Versuch wird jedenfalls dann überschritten, wenn der Täter mit der Tatausführung bereits begonnen hat und ein objektives Merkmal der Verbrechensdefinition schon verwirklicht ist.23

Nach § 22 des deutschen StGB versucht eine Straftat, „wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.“ Ein Versuch ist gegeben, wenn Gefährdungshandlungen vorliegen, die nach der Vorstellung des oder der Täter in ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führen. Es sind Handlungen, mit denen der oder die Täter subjektiv die Schwelle zum »jetzt geht es los« überschreiten und objektiv oder subjektiv das geschützte Rechtsgut in eine konkrete und nahe Gefahr bringen.24

Unzweifelhaft wäre in beiden Rechtssystemen die geäußerte Entscheidung zum Einsatzbefehl des oder der Verantwortlichen eine Versuchshandlung, auch wenn er noch gar nicht weitergegeben worden ist. Zu beantworten ist die Frage, ob die Stationierung einer Atomwaffe oder die Zustimmung dazu bereits Versuchshandlungen sind. Die Stationierung einer nicht-nuklearen Bombe oder Rakete würde vermutlich noch nicht als Versuch einer Tötung gewertet werden.

Angesichts des besonderen Bedrohungspotenzials von Atomwaffen stellt sich jedoch die Frage, ob nicht das Stationieren (sowie das Herstellen und Transportieren) dieser Waffen bereits eine versuchte Tötung, Körperverletzung oder Zerstörung von Wohnungen, Infrastruktur und Lebensgrundlagen der möglicherweise betroffenen Menschen darstellt. Denn bei einsatzbereiten, in die Zielplanung aufgenommenen Atomwaffen bedarf es zum völkerrechtswidrigen Einsatz (und damit zur vollständigen Erfüllung des Straftatbestandes) lediglich des Einsatzbefehls. Er würde militärisch befehlsgemäß ausgeführt, so dass der Schaden unmittelbar eintreten würde. Die von der Stationierung ausgehende Gefahren für eine Vielzahl von Menschen und Umwelt sprechen dafür, sie völkerrechtlich als wesentlichen Schritt hin zur Tatausführung und im deutschen Strafrecht als unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung anzusehen.25 Insbesondere die nicht auszuschließenden Möglichkeiten eines versehentlichen oder »unberechtigten« Einsatzbefehls sowie des technisches Versagen der Sicherungssysteme legen es nahe, den Beginn des Versuchs vorzuverlegen.26

Bei der Bewertung dürfen andererseits die umfangreichen Sicherungsmaßnahmen nicht vernachlässigt werden, die dem unmittelbaren Abschuss oder Abwurf vorgeschaltet sind, und bei denen der Befehl wiederholt auf seine Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu prüfen ist. Kein Soldat darf den Abschuss- oder Abwurfbefehl ausführen, wenn damit eine Straftat begangen würde. Bei der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen ist auch, dass die Regierungen der Allianz wiederholt betonen, dass es sich bei den Atomwaffen um »politische Waffen« handelt27, was zu Zweifeln am Willen sie einzusetzen führen könnte.

Die gestellte Frage kann hier materiell-rechtlich nicht beantwortet werden. Die Strafverfolgungsorgane des IStGH und der nationalen Justiz sind jedoch gehalten sie sorgfältig zu prüfen und zu beantworten. Es ist nicht erkennbar, dass das bereits geschehen ist.

Zusammenfassend ist zur individuellen Verantwortlichkeit der Regierenden und ihrer Hilfspersonen festzuhalten, dass zwar der Einsatz der von der NATO in Europa stationierten Atomwaffen ein vom IStGH und von den nationalen Strafverfolgungsbehörden zu verfolgendes Verbrechen wäre, für das alle Verantwortlichen und alle am Einsatz Beteiligten zur Rechenschaft zu ziehen wären. Ob die Stationierung der NATO-Atombomben und -raketen im Zusammenhang mit der von der NATO bekundeten Nuklearwaffenstrategie ein versuchtes Verbrechen ist, lässt sich nicht abschließend beantworten. Einiges spricht dafür.

Jeder Vertragsstaat (Art.14) und der UN-Sicherheitsrat (Art. 13b) haben das Recht, dem Ankläger des IStGH eine Situation anzuzeigen, wenn sie annehmen, dass in dieser Situation Verbrechen nach dem Statut begangen worden sind. Außerdem kann der Ankläger des IStGH aus eigener Initiative Ermittlungen einleiten (Art. 15).28

In Deutschland sind Staatsanwälte verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (§ 152 Abs.2 StPO). Ein Anfangsverdacht dürfte aufgrund der konkreten Tatsachen der Zustimmung zur NATO-Nuklearstrategie, der Zustimmung zur Stationierung von Atomwaffen und der sog. nuklearen Teilhabe nicht zweifelhaft sein.

Die politische Umsetzung des IGH-Gutachtens vom 8.7.1996 ist bislang von den Regierungen der NATO-Staaten rechtsmissachtend unterlassen worden. Die Bundesregierung ist verfassungsrechtlich zu völkerrechtsgemäßen Verhalten verpflichtet. Von ihr muss erwartet werden, dass sie nicht weiterhin die Augen verschließt vor dem in der Zustimmung zur NATO-Nuklearstrategie liegenden Völkerrechtsbruch. Sie ist verpflichtet, die Zustimmung zur NATO-Nuklearstrategie zurückzunehmen, die »nukleare Teilhabe« einzustellen und die USA aufzufordern, die restlichen in Deutschland stationierten Atomwaffen abzutransportieren.

Anmerkungen

1) Karel Koster: Ein gefährlicher Widerspruch, in W&F 2-2002, S. 47.

2) www.nato.int/docu/pr/2003/p03-064e.htm

3) www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,290458,00.html

4) Rechtsgrundlage ist Völkergewohnheitsrecht, so dass die Frage unerheblich ist, ob die Vorbehalte einiger NATO-Mitgliedsstaaten zum 1. Zusatzprotokoll rechtswirksam sind.

5) IALANA: Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, Münster 1997, S. 67.

6) wie 5)

7) IALANA a.a.O. S. 68.

8) Bundestagsdrucksache 7/994, S.17.

9) dazu ausführlich Dieter Deiseroth: Nukleare Teilhabe Deutschlands?, veröffentlicht von IALANA

10) Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 2003, Randnummer (RdNr.) 1099.

11) Werle a.a.O. RdNr. 637, 638.

12) Werle, a.a.O. RdNr. 642.

13) Werle, a.a.O. RdNr. 650.

14) Werle, a.a.O. RdNr. 249.

15) Werle, a.a.O. RdNr.275, a. A. Ambosi in: Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrecht, 2002, 770, der verlangt, dass der Täter auch hinsichtlich der Folge absichtlich und wissentlich handeln muss.

16) Werle a.a.O. RdNr. 1003,1006,1014.

17) Werle, a.a.O. RdNr. 858.

18) Werle a.a.O. RdNr. 851 und 856.

19) Kreß a.a.O. RdNr. 52.

20) Der Begriff umfasst Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Strafausschließungsgründe – vgl Kreß, a.a.O. RdNr. 53.

21) BGBl. I, S. 2254 ff.

22) Klaus Kreß in Grützner/Pötz: Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2003, RdNr. 65.

23) Werle a.a.O. RdNr. 431.

24) BGBSt 28, 162/164; Tröndle/Fischer StGB 49. A. § 22 RdNr. 9.

25) Kreß a.a.O. RdNr. 65, folgert aus Art. 25 Abs. 3f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, dass der tatbestandsnahe Versuchsbereich unter Gefährdungsgesichtspunkten zu bestimmen ist.

26) Deutsche Gerichte haben bereits das Anlegen eines Gewehres (mit ungespannten Hahn) und das Herausziehen eines Revolvers als Versuch gewertet – Tröndle/Fischer a.a.O. RdNr. 13 m.w.N.

27) z.B. die deutsche Bundesregierung 1993 – Bundestagsdrucksache 12/4766

28) Zu den Voraussetzungen Kreß a.a.O. RdNr. 20

Bernd Hahnfeld, Richter i.R., vertritt die Deutsche Sektion der Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA) im Vorstand von W&F