Das iranische Exempel
Die Zukunft nuklearer Nichtverbreitung
von Wolfgang Liebert und Martin B. Kalinowski
Der Streit um das iranische Nuklearprogramm eskalierte über mehrere Jahre und führte dazu, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bis Ende 2007 bereits drei Resolutionen dazu verabschiedete (Nr. 1696, 1737 und 1747). Da diese Auseinandersetzung exemplarisch für die Krise der nuklearen Nichtverbreitung steht, soll in diesem Artikel zunächst auf die wichtigsten Streitpunkte eingegangen werden. Anschließend wird beschrieben, dass der Kern des Problems, nicht nur im Iran, in der Urananreicherung mittels Gasultrazentrifugen besteht.
Obwohl es sich hierbei um eine extrem proliferationsförderliche Technologie handelt, wird sie jedoch auch von den westlichen (Nuklear-)Industrieländern ungeachtet der Tatsache verwendet, dass hierfür durchaus andere Optionen zur Verfügung stehen. Abschließend sollen deshalb Wege zur Problemlösung vorgestellt und den Vorschlägen der US-Regierung, die auf eine Durchhierarchisierung der Welt hinauslaufen, eine Alternative entgegengesetzt werden.
Die Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm
Der aktuelle Konflikt begann 2003 mit der Aufdeckung umfangreicher nuklearer Aktivitäten, die meldepflichtig waren und der Überwachung durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) bedurften.1 Der Iran hatte somit seine Verpflichtungen aus Artikel 3 des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) verletzt, demzufolge die Nichtkernwaffenstaaten verpflichtet sind, alle nuklearen Materialien vollständig der Kontrolle der IAEO zu unterstellen. So hätte insbesondere eine kleine Anreicherungsanlage, die gebraucht aus Pakistan importiert wurde und Versuchszwecken diente (164 Zentrifugen der 1. Generation), gemeldet und von IAEO-Inspektoren überwacht werden müssen. Jedoch wurden mit dieser Pilotanlage bis zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung lediglich wenige Gramm Uran auf bis zu 1,2% Uran-235 angereichert.
Die entscheidende Frage war, ob auch ein Verstoß gegen Art. 2 des Nichtverbreitungsvertrages vorgelegen hat, demzufolge Nichtkernwaffenstaaten keine Kernwaffen herstellen, was im Vorfeld bedeutet, kein Plutonium oder hochangereichertes Uran zu deren Herstellung zu erzeugen oder abzuzweigen. Dem Iran konnte ein derartiges Vergehen nicht nachgewiesen werden. Zwar wurde ein Urantarget bestrahlt und anschließend Plutonium extrahiert, jedoch hatte es sich um unbedeutende Mengen gehandelt. Auch wurden in Wischproben, die IAEO-Inspektoren vor Ort nahmen, Spuren von hochangereichertem Uran gefunden. Die Erklärung des Iran, diese seien als Kontamination aus Pakistan mit eingeschleppt worden, erwies sich jedoch als glaubhaft. Andererseits gab es zahlreiche Indizien, die eine mögliche militärische Absicht nahe legten. Dazu gehört nicht nur die Geheimhaltung zahlreicher Anlagen und Aktivitäten sondern auch militärischer Schutz für einige Einrichtungen, der aktuell fehlende zivile Bedarf für Anreicherungsprodukte und der Bau eines für die Plutoniumproduktion besonders gut geeigneten Schwerwasserreaktors. Zu jedem dieser Punkte konnte der Iran aber immerhin plausible Erklärungen abgeben.
Aufgrund der Doppelverwendbarkeit sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke sind bestimmte nukleare Materialien und Technologien keine eindeutigen Indikatoren für unerlaubte Absichten. Die einzige Ausnahme ist ein umstrittenes Dokument von 15 Seiten, in dem die Bearbeitung von metallischem Uran zur Herstellung von Halbkugeln beschrieben wird, die in Kernwaffen die zentrale Komponente darstellen, jedoch im zivilen Sektor keinerlei Anwendung finden. Der Iran behauptet, dieses Dokument unaufgefordert von Pakistan mit den Unterlagen für die Anreicherungsanlage geliefert bekommen zu haben, hat es aber erst im Herbst 2007 zur genaueren Analyse an die IAEO ausgehändigt. Momentan bewegt sich der Iran anscheinend wieder mehr Richtung Kooperation und Transparenz. Dennoch bleibt die Frage ungeklärt, ob das Land nicht eine weitere ungemeldete Urananreicherungsanlage besitzt und eventuell doch schon hoch angereichertes Uran produziert hat. Es gibt Hinweise auf die Existenz der so genannten 2. Generation der Zentrifugentechnologie (P2), und in weiteren Wischproben wurden Partikel von hoch angereichertem Uran gefunden. Die P2-Technologie erlaubt eine effizientere Anreicherung als die derzeit im Iran im Aufbau befindliche Gasultrazentrifugenanlage auf P1-Basis. Die IAEO beschreibt diese Fragen in ihrem jüngsten Bericht vom November 2007 folgerichtig als klärungsbedürftig.
Ebenfalls im November 2007 veröffentlichten die Geheimdienste der USA in einem gemeinsamen Dokument ihre Einschätzung, die sich diametral von der letzten Bewertung aus dem Jahr 2005 unterscheidet.2 Demzufolge hat der Iran im Herbst 2003 ein Kernwaffenprogramm mit höchster Wahrscheinlichkeit beendet und bis Mitte 2007 nicht wieder aufgenommen. Frühestens Ende 2009 könnte Material für eine Bombe produziert werden, was aber als sehr unwahrscheinlich eingestuft wird. Als Beleg für das Vorhandensein eines Waffenprogramms wurden zunächst im Jahr 2003 abgehörte Telefongespräche angeführt. Dass damit ein Beweis für einen Bruch des NVV erbracht worden wäre, bleibt zweifelhaft.
Alle nuklearen Materialien und Anlagen, die im Iran entdeckt wurden, werden heute von Inspekteuren der IAEO überwacht. Sorge bereitet aber, dass es möglicherweise weitere geheime Nuklearaktivitäten im Iran geben und dass diese militärischen Zwecken dienen könnten. Diese Bedenken gewinnen aufgrund der Erfahrung an Gewicht, dass die IAEO die meisten ungemeldeten Aktivitäten nicht ohne Hilfe von außen aufdecken konnte. Daher werden Bemühungen intensiviert, durch neue Messtechnik die Fähigkeit der Inspektionsbehörde zu verbessern, heimliche nukleare Aktivitäten aufzuspüren.3
Der technologische Kern
Der technologische Kern der Sorgen um das iranische Nuklearprogramm ist ohne Zweifel die Bemühung im Iran, die Urananreicherung mit Hilfe von Gasultrazentrifugen zu beherrschen und entsprechende Anlagen aufzubauen. Keine der bekannten Anreicherungstechnologien ist in der Lage, Natururan in einem Schritt in hochangereichertes Uran (i.d.R. in der Größenordnung von 80-95% Anreicherung) für Waffenzwecke zu verwandeln. Daher sind viele Anreicherungsstufen notwendig, die hintereinander geschaltet werden müssen. Die riesigen, energiefressenden Gasdiffusionsanlagen aus den frühen Waffenprogrammen wurden später die »Arbeitspferde« der Urananreicherung für die Produktion von schwach angereichertem Reaktorbrennstoff.4 Seit den 1970er Jahren werden aber immer mehr kommerzielle Zentrifugenanlagen zur Urananreicherung aufgebaut. Eine Vorreiterrolle bekam hier das britisch-deutsch-niederländische Konsortium URENCO, das inzwischen die sechste und damit erheblich verbesserte Zentrifugengeneration in ihren Anlagen installiert. Frühe Versionen der URENCO-Technologie sind auch in Länder mit Atomwaffenambitionen gelangt. Herausragender Fall ist das pakistanische Atomprogramm, über das die entsprechende Technologie auch an andere Länder weiter geben wurde – darunter an den Iran.5
Der »Siegeszug« der Zentrifugentechnologie, der sich momentan vollzieht, ist vom Standpunkt der nuklearen Nichtverbreitung und irreversiblen nuklearen Abrüstung als besonders riskant einzuschätzen. Diese Technologie ist erstens besonders effektiv, da der Trennfaktor und der Durchsatz jeder einzelnen Zentrifuge sehr hoch sind; insbesondere reichen bereits etwa ein Dutzend Trennstufen, um zu schwach angereichertem Reaktorbrennstoff zu gelangen, und etwa 50 Stufen, um zu hochangereichertem Waffenstoff zu kommen (bei Diffusionsanlagen sind es etwa 1.000 bzw. 3.000 Stufen). Zweitens sind Zentrifugenanlagen, die für die Reaktorbrennstoffproduktion ausgelegt sind, relativ leicht und schnell auf die Produktion von Waffenstoff umstellbar. Drittens steht die Entdeckbarkeit von kleineren, geheimen Anlagen in Frage, da der Flächenbedarf und der Energiebedarf, der sich im Wärmebild der Anlage zeigt, sehr viel kleiner ist als bei Diffusionsanlagen. Viertens steht die Effektivität der Sicherungsmaßnahmen der IAEO in Frage, wie Experten aus der Fachszene von Zeit zu Zeit betonen.6
Um eine bestimmte Zielanreicherung zu erreichen, muss die Anordnung der Zentrifugen in einer Anlage optimiert werden. Wird eine kleinere Anlage (einige Tausend Zentrifugen) mit Zentrifugentechnologie der 1. oder 2. Generation, die zur Produktion von Reaktorbrennstoff ausgelegt ist, durch mehrfaches wieder Einfüttern des angereicherten Produkts zur Hochanreicherung umgenutzt, so können nur geringfügige Mengen an Waffenstoff pro Jahr produziert werden. Dies macht also zunächst nicht so große Sorgen. Erst wenn eine größere Anlage (mehr als 50.000 Zentrifugen), die zur Produktion des Jahresbedarfs eines großen Leistungsreaktors ausreicht (etwa 25 Tonnen Brennstoff), umgenutzt wird, könnten auch signifikante Mengen Waffenstoff produziert werden. Darin steckt eine latente Gefahr, aber weit gefährlicher ist die denkbare Neuoptimierung einer Anlage bzw. der parallele Aufbau einer geheimen und schwer entdeckbaren, kleinen Anlage unter Nutzung des bereits vorhandenen Know-hows. Schon mit wenigen Tausend Zentrifugen der 1. oder 2. Generation könnten bei entsprechend optimiertem Anlagenaufbau durchaus relevante Mengen an Waffenstoff pro Jahr produziert werden, so dass sich die Vorwarnzeit für ein vorhandenes Waffenprogramm auf zwei Jahre oder auch weniger verkürzen kann. Wobei zu berücksichtigen ist, dass kaum je der Beginn eines geheimen Hochanreicherungsprogramms verifiziert werden könnte. Demnach ist die Zentrifugentechnologie als eine besonders proliferationsförderliche Technologie einzuschätzen.7
Ambivalente Entwicklungen
Nicht nur der Iran ist an der zivil-militärisch ambivalenten Zentrifugentechnologie zur Urananreicherung interessiert. Im Jahr 2006 ging in Brasilien das erste von vier Modulen einer kleineren Zentrifugenanlage, die aber immerhin den brasilianischen Reaktorbrennstoffbedarf weitgehend decken könnte, in Betrieb. Die großen URENCO-Anlagen in Gronau (Deutschland), Capenhurst (Großbritannien) und Almelo (Niederlande) werden massiv ausgebaut.8 Der französische, globale nukleare Player AREVA (früher Framatom) hat sich bei URENCO eingekauft. Im Sommer 2006 entstand die Enrichment Technology Company Ltd. (ETC: 50% URENCO, 50% AREVA), die neben den drei vorhandenen Anlagen eine vierte in Tricastin (Frankreich) und eine weitere in den USA (National Enrichment Facility) baut. Weiterhin plant die United States Enrichment Corporation (USEC) eine große Anreicherungsanlage, die auf einer eigenständigen Technologieentwicklung basiert. Mit den zuletzt genannten drei Anlagen sollen offenbar die alten Diffusionsanlagen ersetzt werden, die prinzipiell weit weniger proliferationsträchtig sind, wenn sie unter Safeguards stehen.
Angesichts dieses Drängens in die Zentrifugentechnologie9 stellt sich die Frage, wie die westlichen (Nuklear-)Industrieländer den Iran ernsthaft zum Verzicht bewegen wollen. Man will ja offensichtlich dem Iran genau die »gefährliche« Technologie ausreden, die selbst für unverzichtbar gehalten wird. Aber unverzichtbar ist die Zentrifugentechnologie keineswegs, und es gibt gegenwärtig erhebliche Überkapazitäten bei der Anreicherung. Wenn man neue Anlagen will, gäbe es im Prinzip Alternativen zur Zentrifuge, die volkswirtschaftlich nicht schädlich sind, denn die Wahl einer effektiveren Anreicherungstechnologie, wie beispielsweise der Zentrifugen- statt der Diffusionstechnologie, wirkt sich auf den Nuklearstrompreis nur äußerst marginal aus (es geht heute maximal um wenige Prozent der Stromgestehungskosten). Allerdings ist der Anreicherungsmarkt heiß umkämpft (es geht um einen Umsatz von jährlich größenordnungsmäßig fünf Milliarden Euro). URENCO und AREVA/URENCOs ETC sind momentan im Begriff, den Weltmarkt aufzurollen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der Zugang zu sensitiven Nukleartechnologien wie Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungstechnologien (zur Plutoniumgewinnung) nicht durch den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) verboten ist. Im Gegenteil: Der Deal des NVV zwischen den Kernwaffenstaaten und den Nichtkernwaffenstaaten sieht ausdrücklich vor, dass diejenigen Länder, die auf Atomwaffen verzichten, im Gegenzug ungehinderten Zugang zu allen zivil nutzbaren Nukleartechnologien erhalten.
Nun scheint sich langsam auch auf politischer Ebene die Erkenntnis durchzusetzen, dass technische Potenziale, die den Zugriff auf spaltbare Materialien für die Bombe sichern können, mittelfristig gefährlich sind. Und in der Tat wäre es wichtig, die Lehren aus den diesbezüglichen Entwicklungen in Indien, Pakistan, Irak, Nordkorea (und wohl auch weiterer Fälle der Vergangenheit) zu ziehen. Denn dieses Dilemma besteht schließlich schon seit Jahrzehnten: Zivil-militärisch ambivalente Nukleartechnologien, die nicht unter Verbot stehen, schaffen die Voraussetzungen für Waffenprogramme. Umgekehrt verlangen die sich entwickelnden Staaten gleiches Recht für alle, also dieselben Zugangsmöglichkeiten zu als attraktiv eingestuften Technologien wie die etablierten Kernwaffenstaaten und die (im Prinzip nuklearwaffenfähigen) Industriestaaten mit fortgeschrittenen Nuklearprogrammen.
Nimmt man noch die Stagnation im Bereich nuklearer Abrüstung hinzu, die mit Abschluss des NVV gemäß Artikel VI des Vertrags vor knapp vier Jahrzehnten von den Kernwaffenstaaten versprochen wurde, dann ist die Krise des Nichtverbreitungssystems offensichtlich. Es ist diskriminatorisch, lückenhaft, ineffektiv, instabil und sein Zusammenbruch steht immer mehr zu befürchten – aber es ist immer noch der einzige wirksame völkerrechtliche Ansatz, der zur Verfügung steht.
Wege zur Problemlösung
US-Präsident George W. Bush gestand Anfang 2004 Lücken des NVV-Systems zu und empfahl folgenden Lösungsweg: „Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag … hat ein Schlupfloch. … Ich schlage vor, das Schlupfloch zu schließen. … Die 40 Mitgliedstaaten der Nuclear Supplier Group sollten sich weigern, Geräte und Technologien für die Anreicherung und Wiederaufarbeitung an einen Staat zu verkaufen, der nicht schon vorher komplette Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen besitzt.“10 Durch Verweigerung der Unterstützung eines erweiterten Kreises von Staaten, die durch Exporte den Zugang zu sensitiven Nukleartechnologien erhalten könnten, soll der »Status quo« eingefroren werden. Das erinnert an das entsprechende Eindämmungsdenken beim Abschluss des NVV in der Hochphase des Kalten Krieges; gleichzeitig wird aber der im NVV verbriefte freizügige Technologiezugang im zivilen Bereich außer Kraft gesetzt. Letztlich wird die Situation dadurch noch komplexer und instabiler. Aus dem Zweiklassensystem der »haves« und »have-nots« des NVV wird ein Dreiklassensystem: Einer kleinen Gruppe von Staaten ist alles – inklusive des dauerhaften Besitzes von Kernwaffen (sowie ihrer Weiterentwicklung) – erlaubt; einer zweiten Gruppe von Staaten werden alle, auch die sensitiven zivil-militärisch höchst ambivalenten nuklearen Technologien (unter Safeguards) zugestanden um den Preis des Verzichtes auf aktuellen Kernwaffenbesitz; einer dritten (und größten) Gruppe von Staaten wird das fundamentale Misstrauen ausgesprochen und daher auch der Zugang zu den sensitiven Technologien und Materialien, die für Atomwaffenprogramme relevant oder sogar unverzichtbar sind, unterbunden.
Ein Jahr nach Präsident Bush ging der IAEO-Generaldirektor ElBaradei mit einem völlig anderen Vorschlag an die Öffentlichkeit. Er schlug vor, „… neue Anlagen für die Urananreicherung und Plutoniumabtrennung fünf Jahre lang zurückstellen. Es gibt keinen triftigen Grund, weitere dieser proliferationsträchtigen Anlagen zu bauen. Die Kapazität der Nuklearindustrie ist mehr als ausreichend … Und während des fünfjährigen Moratoriums sollten bessere Langzeitoptionen für den Umgang mit diesen Technologien entwickelt werden (zum Beispiel in regionalen Zentren unter multinationaler Kontrolle). … die fünf Kernwaffenstaaten, die Mitglieder des NVV sind, dazu aufzurufen, dass sie die Umsetzung ihrer eindeutigen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung beschleunigen.“11 Die Idee, dass alle Staaten für einige Jahre Zurückhaltung üben sollten, was den Aufbau neuer sensitiver Anlagen angeht, und dass gleichzeitig die nukleare Abrüstung vorankommen muss, erscheint sehr vernünftig, wenn man die wachsenden Asymmetrien im internationalen System, die ein hohes Eskalationspotenzial haben, mildern will. In der Tat besteht wie bereits erwähnt nirgends ein dringlicher Bedarf für neue Anlagen. Eine Phase des Nachdenkens wäre gut, um Wege für bessere Lösungen auszuloten. Überdies wäre das ein eindeutiges Signal an den Iran, dass man nicht schlicht einen einseitigen Verzicht auf – aus iranischer Sicht – verbrieftes Recht fordert. Wäre der Iran nicht auf dieser Basis zu ernsthaften neuen Verhandlungen zu bewegen – wie vor ein paar Jahren, als das freiwillige Safeguards-Zusatzprotokoll vorläufig akzeptiert wurde und die Anreicherungsarbeiten ruhten?
Bushs Pfad scheint sich momentan durchzusetzen. Er läuft letztlich auf eine Durchhierarchisierung der Welt hinaus. Ein starkes, auch gewaltbereites Zwangssystem wird benötigt, um dieses nukleare Mehrklassensystem, das heute schon de-facto existiert, fest zu etablieren und längerfristig aufrechtzuerhalten. Darin steckt erheblicher Sprengstoff für das internationale Staatensystem – und sicher auch eine erhebliche Gefährdung für den Bestand des Nichtverbreitungsregimes. Demgegenüber ist ElBaradeis Moratoriumsvorschlag, der die Suche nach einem gerechten und weltweit akzeptablen Weg des nuklearen Technologiezugangs unterstützen – ja, überhaupt erst ermöglichen – soll, niemals ernsthaft diskutiert worden. Muss man vermuten, dass massive wirtschaftliche Interessen auf die Politik der Staaten durchgeschlagen haben?
ElBaradeis Idee läuft letztlich wohl darauf hinaus, das alte Konzept der Multilateralisierung unverzichtbarer sensitiver Nukleartechnologien wieder zu beleben. Er hatte bereits eine Expertenkommission eingesetzt, die 2005 erste Ergebnisse als IAEO-Bericht veröffentlichte.12 Darin wird das Für und Wider diskutiert. Viele Fragen bleiben jedoch offen, darunter die folgenden:
Taugt das URENCO-Modell mit nationalen Einzelanlagen in allen beteiligten Ländern?
Werden alle sensitiven Anlagen aus dem rein nationalen Hoheitsbereich entzogen oder nur eine einzige oder einige wenige, neue Anlagen?
Ist es realistisch, dass die potenziellen Kunden einer international betriebenen Anreicherungsanlage dieses Angebot auch nutzen wollen oder werden sie doch (weiterhin) auf eigenständige Entwicklungen setzen, wie von den Etablierten vorgelebt?
Experten aus welchen Ländern wären an internationalen bzw. multilateral betriebenen Anlagen beschäftigt, und wer hätte Zugang zu sensitiven Informationen?
Können realistischerweise pakistanische, brasilianische, iranische oder gar nordkoreanische Experten ausgeschlossen werden?
Ist dann ein dual-use-fähiger Know-how- und Experten-Transfer in so genannte »kritische« Länder wirklich auszuschließen?
Wie verhindert man die fortgesetzt kontraproduktiv wirkenden Asymmetrien bei gleichzeitiger Beschränkung des Technologiezugangs?
Wie soll das Vertrauen auf zuverlässige Liefergarantien hergestellt werden, das angesichts der seit vielen Jahren betriebenen Technologieboykotts und der jüngst vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen schwer belastet ist und daher eine Autarkie in der Energieversorgung geboten erscheinen lässt?
Vielleicht krankt der pragmatische Vorschlag von Bundesaußenminister Walter Steinmeier, der in eine ähnliche Richtung wie ElBaradei geht, an denselben Widersprüchen oder Ungereimtheiten im Detail. Steinmeier schlägt vor, dass auf exterritorialem Gebiet eine zusätzliche, internationale Anreicherungsanlage unter Hoheit der IAEO gebaut wird, die von einem „multinationalen Konsortium“ betrieben wird. Steinmeier hofft offenbar, dass durch ein solches Angebot, das Liefergarantien auf rein wirtschaftlicher Ebene geben kann, ohne an politische Kautelen gebunden zu sein, das Interesse an eigenständig entwickelten neuen nationalen Anreicherungsanlagen versiegt.13 Er hat sich bereits der Unterstützung durch die Außenminister der beiden weiteren »URENCO-Länder« Niederlande und Großbritannien versichert14 – und damit wohl auch des mächtigen URENCO-Konzerns.
Die pragmatischen Vorschläge – so auch die Idee einer Brennstoffbank, aus der jeder Staat garantiert schwach angereicherten Brennstoff beziehen kann, ohne selbst in die Anreicherungstechnologie einsteigen zu müssen – kranken auch daran, dass sie nicht wirklich zum Kern des technischen und des politischen Problems vordringen können. Es müsste dringlich über die grundsätzliche zivil-militärische Ambivalenz der verwendeten Technologien nachgedacht werden. Die alte Idee der Proliferationsresistenz15 von Nukleartechnologien müsste leitend werden, um die weitere Etablierung von proliferationsfördernden Technologien, egal in welchem Land, zu vermeiden. Ansonsten sind technologische Begehrlichkeiten, die Dual-use-Optionen sichern, wohl kaum aus der Welt zu schaffen. Wir können nicht auf Dauer den Verzicht von anderen einfordern und selber weiterhin proliferations-sensitive Technologien nutzen wollen. Es müsste also neu über verantwortbare Anreicherungstechnologien nachgedacht werden – notfalls im Widerspruch zu den Partikularinteressen der interessierten Firmen. Ebenso müssen die wachsenden Asymmetrien in der Staatenwelt angegangen werden, die sich im NVV und in den Verschlimmbesserungsvorschlägen der jüngsten Zeit widerspiegeln. Dazu gehört auch die Erkennbarkeit eindeutiger Schritte in Richtung auf die Abschaffung der Atomwaffen – sowie viele regional zu beschreitende friedens- und sicherheitspolitische Wege. Ein mehrjähriges Moratorium für sensitive nukleare Neuanlagen in allen Ländern (nicht nur im Iran!) wäre jedenfalls eine Chance, bessere Konzepte für die Zukunft zu prüfen und dann auch umzusetzen. Ansonsten steht zu befürchten, dass man weiterhin eher Bushs Pfad folgt – mitsamt seinen gefährlichen, friedensgefährdenden Konsequenzen.
Anmerkungen
1) M.B. Kalinowski: Das Nuklearprogramm des Iran – zivil oder militärisch? Wissenschaft und Frieden, Dossier 51, Seiten 6-11. Beilage zu W&F 24/1 (2006). Langfassung in IPPNW-Akzente: Die Krise um den Iran, Februar 2006, Seiten 20-29. Aktuelle Wiedergabe am 20. Dezember 2007 in http://hintergrund.de/index.php?option=com_content&task=view&id=158&Itemid=63.
2) National Intelligence Estimate (NIE), Iran: Nuclear Intentions and Capabilities. November 2007.
3) J. Whichello, D. Parise, and N. Khlebnikov, IAEA Project on Novel Techniques. INESAP Information Bulletin No. 27, December 2006, Seiten 27-30.
4) Nur die Sowjetunion setzte schon sehr frühzeitig auf die Zentrifugentechnologie.
5) Abdul Qader Khan hat die pakistanische Bombe auf der Basis der Produktion von hochangereichertem Uran mit Uranzentrifugen ermöglicht. Er sah eine persönliche Mission darin, diese Technologie an andere Länder zu verbreiten. Nicht nur der Iran, sondern auch der Irak, Libyen, Nord-Korea und vielleicht noch weitere Länder haben davon profitiert. Der Zusammenhang mit Kernwaffenambitionen hat hierbei besonderes Gewicht.
6) B. Boyer: Current and Future Safeguards Technologies – Enrichment Facility Safeguards and Integrated Safeguards System Overview, CISAC-Workshop »The Security Implications of Increased Global Reliance on Nuclear Power«, Stanford University, 19-21 Sept. 2007.
7) Vgl. J. Born: Proliferationspotenzial von Gasultrazentrifugen. Bachelorarbeit am Fachbereich Physik der TU Darmstadt, IANUS, Dez. 2007. Der Iran hat erklärt, bereits 3.000 Zentrifugen aufgebaut zu haben und strebt in Natanz eine kommerzielle Anlage mit 54.000 Zentrifugen an.
8) Die deutschen Pläne werden allerdings erst umgesetzt, nachdem der rot-grüne Widerstand auf Landes-(NRW) und Bundesebene 2005 zusammenbrach. Gerade im Falle Deutschlands fragt man sich, wie die Kapazitätsverdopplung – weit über den aktuellen Bedarf hinaus – mit den klar befristeten Ausstiegsplänen zusammenpasst.
9) Auch in Australien, einem wichtigen Uranlieferland, wurden ernsthafte Überlegungen angestellt, auf Basis der URENCO-Technologie in den Anreicherungsmarkt einzusteigen. Ob die kürzlich erfolgten Parlamentswahlen, die zum Regierungswechsel führten, daran etwas ändern, bleibt abzuwarten.
10) G. Bush, National Defense University Speech, 11. Feb. 2004.
11) M. ElBaradei, The Financial Times, 2. Feb. 2005.
12) International Atomic Energy Agency: Multilateral Approaches to the Nuclear Fuel Cycle, Wien, 2005.
13) W. Steinmeier, Handelsblatt, 2. Mai 2007.
14) Erklärung »Multilaterale Zusammenarbeit bei der Sicherung der Energieversorgung«, 17. Sept. 2007.
15) Vgl. W. Liebert: Proliferationsresistenz – Risiken und notwendige Schritte zur effektiven Eindämmung der nuklearen Proliferation. In: C. Mölling, G. Neuneck: Die Zukunft der Rüstungskontrolle, Hamburg, 2005, S.224-235.
Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt und Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS). Martin B. Kalinowski ist Leiter des Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg (ZNF).