Bomben Unsicherheit

Bomben Unsicherheit

von Jürgen Nieth

„19 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs üben deutsche »Tornado«-Piloten noch immer, wie sie Waffen mit der zehnfachen Explosivkraft der Hiroshima Bombe von 1945 über Feindesland abzuwerfen hätten.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) Diese US-Atomwaffen – geschätzte Anzahl 10 bis 20 – lagern in Büchel in der Eifel. Deutschland ist keine Atommacht. „Aber es gibt in der NATO das Prinzip der atomaren Teilhabe: Bündnispartner dürfen im Ernstfall unter US-amerikanischem Befehl und amerikanischer Aufsicht amerikanische Atomwaffen einsetzen.“ (FR 24.06.08., S.2)

Büchels »unsichere« Bomben

Dieses „Relikt des Kalten Krieges“ (TAZ, 24.06.08) ist stärker in den öffentlichen Fokus gerückt, nachdem US-Wissenschaftler »Sicherheitsmängel« bei der Bewachung moniert haben. Sie haben Mitte Juni einen zuvor geheimen Bericht des Hauptquartiers der US Air Force ins Internet gestellt. „Darin wurde festgestellt, dass die »meisten« Atomwaffenstützpunkte in Europa nicht die Sicherheitsanforderungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums erfüllten. … Gebäude seien nicht ausreichend stabil. Das Sicherheitspersonal sei unzureichend geschult und werde oft auch in viel zu geringer Zahl eingesetzt. Teilweise würden deutsche Wehrpflichtige … als Wachen eingesetzt.“ (Welt 24.06.08, S.4) Die Studie war in Auftrag gegeben worden, „nachdem im August 2007 sechs Atomsprengköpfe ohne Wissen der Luftwaffenführung quer durch die USA geflogen worden waren. Der B52 Bomber transportierte die Massenvernichtungsmittel… ohne dass irgendwer in Militär- und Regierungshierarchie von der potenziell tödlichen Fracht wusste.“ (Neues Deutschland, 23.06.08., S.1)

Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, hält die Kritik an Büchel für übertrieben, „die Sicherheit von Nuklearwaffen habe in der Nato und den USA ‚höchste Priorität'.“ (Tagesspiegel, 24.06.08, S.2). Gleichzeitig scheinen aber die Differenzen innerhalb der Bundesregierung über die Frage eines Abzugs der A-Waffen zu zunehmen.

SPD: Für A-Waffen-Abzug

„Die SPD-Landesregierung von Rheinland-Pfalz äußerte… die Erwartung, dass die Bundesregierung angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage mit den Natopartnern sprechen werde, um die verbliebenen Nuklearwaffen in Europa möglichst abzuschaffen. Der SPD- Außenpolitiker Niels Annen sagte, der Abzug der US- Atomwaffen wäre ein riesiger Schritt, um bei der nuklearen Abrüstung voranzukommen. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich betonte, man brauche ‚so schnell wie möglich eine Null-Lösung bei den taktischen Nuklearwaffen'.“ (Süddeutsche Zeitung, 24.06.08., S.6)

Oppositionsparteien fordern Abzug

Auch die drei Oppositionsparteien sind sich einig in der Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen. „Das FDP-Präsidium forderte die Bundesregierung auf, den Abzug der letzten in Deutschland stationierten amerikanischen Nuklearwaffen in den zuständigen Nato-Gremien auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben… Der Abgeordnete und frühere Bundesminister Trittin (Grüne) forderte ebenso wie der verteidigungspolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Schäfer, Deutschland solle die nukleare Teilhabe kündigen.“ (FAZ, 24.06.08., S.5) Das sehen CDU/CSU ganz anders.

CDU/CSU wollen atomare Teilhabe

Die nukleare Teilhabe Deutschlands jetzt aufzugeben, ist für die CDU/CSU „,sicherheitspolitisch fahrlässig und bündnispolitisch unverantwortlich' …Der CSU-Außenpolitiker zu Guttenberg erinnerte daran, dass nicht nur Außenminister Steinmeier, sondern auch seine Vorgänger Fischer, Kinkel und Genscher die nukleare Teilhabe Deutschlands voll mitgetragen hätten, ‚ebenso wie seinerzeit das Regierungsmitglied Trittin'.“ ( FAZ 24.06.08., S.5) Auch der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Eckart von Klaeden, möchte nicht auf die atomare Teilhabe verzichten „solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt.“ (Berliner Ztg, 23.06.08, S.7)

Militär und Wirtschaft

Immer, wenn es darum geht militärische Kapazitäten abzubauen, werden wirtschaftliche Probleme für die Region betont, Sicherheitsrisiken und der Faktor Militärkosten herunter gespielt. So auch von Richard Benz, parteiloser Bürgermeister von Büchel: „Die Bundeswehr in Büchel ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Wir fürchten, dass bei einem Abzug der Atomwaffen dieser Standort infrage gestellt wird.“ (TAZ, 24.06.08., S.5)

Die Mainzer Rhein-Zeitung (25.06.08, S.4) verfolgt dieselbe Linie und spricht vom „Fliegerhorst des Jagdgeschwaders 33, das der Bevölkerung seit den 50er Jahren Lohn und Brot gibt. Die Menschen leben mit und von der nuklearen Abschreckung.“ Die Allgemeine Zeitung (26.06.08) sieht das etwas differenzierter: „Ein Abzug auch der restlichen Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz würde die Region und das Land wirtschaftlich betrachtet nicht allzu hart treffen… Betroffen von einem Abzug (der A-Waffen) wären… knapp 140 Dienstposten bei der US-Armee.“

Auf die Kosten des Fliegerhorsts geht keine der regionalen Zeitungen ein. Nur die TAZ (24.06.08, S.5) zitiert Elke Koller von der Friedensbewegung: „Hier wird vergessen, dass nach meinen Informationen allein der Unterhalt des Luftwaffenstützpunktes über 500 Millionen Euro kostet.“

Wie weiter

Einige hoffen auf einen »stillen Tod« des A-Waffen-Stützpunkts durch die Verschrottung der Bomber. Darauf „setzt auch die SPD. Ab 2013 soll der für Atomwaffen untaugliche »Eurofighter« die Bücheler Tornado-Jets ablösen. ‚Dann ist die Teilhabe erledigt', sagt Wehrexperte Hans Peter Bartels.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) CDU-Verteidigungsminister Jung plant allerdings anders: „Die Bundeswehr will die atomwaffentauglichen »Tornado«-Flugzeuge ‚zumindest bis 2020' im Dienst behalten,“ heißt es in der Antwort auf eine große Anfrage im Bundestag (TAZ, 03.07.08, S.6).

Für den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold handelt es sich hier um „,einen Koalitionskonflikt.' Die SPD sei für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die Union dagegen. Deshalb bewege sich in dieser Legislaturperiode eben: gar nichts. (TAZ 24.06.08, S.5)

Unsere Zukunft – atomwaffenfrei

»Frieden braucht Bewegung« titelte die Friedensbewegung in den 1980er Jahren. Dem entsprechend hat die Kampagne »Unsere Zukunft – atomwaffenfrei« für den 30. August nach Büchel eingeladen. Erwartet wird die größte Friedenskundgebung 2008 in Deutschland.

Die iranische Position im Atomkonflikt

Die iranische Position im Atomkonflikt

Historische und ideologische Hintergründe

von Annette Heppel

Hauptziel der internationalen Gemeinschaft ist es zu verhindern, dass die Islamische Republik Iran in den Besitz von Atomwaffen sowie der dafür erforderlichen Technologie kommt. Die iranische Führung hingegen besteht auf dem Recht des Landes zur zivilen Nutzung der Kernenergie gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag. Der seit Jahren schwelende Konflikt hat sich seit dem Amtsantritt des iranischen Präsidenten Ahmadinedjad 2005 erneut zugespitzt und schien zeitweise unausweichlich auf eine Eskalation hin zu steuern. Um die Konfliktlage und das Verhalten der beteiligten Staaten zu verstehen, muss die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen berücksichtigt werden.

Ein Haupthindernis für eine Verhandlungslösung ist das komplizierte Verhältnis zwischen der iranischen und der US-amerikanischen Führung, die seit 29 Jahren keine diplomatischen Kontakte mehr unterhalten. Diese Schwierigkeiten begannen jedoch nicht erst mit der islamischen Revolution im Iran 1979 und den Auswirkungen der dahinter stehenden Ideologie auf die iranische Außenpolitik, sondern sind in ihrer heutigen Form auch das Ergebnis einer langen Geschichte der Einmischungen des Westens insgesamt und der USA im Besonderen in die inneren Angelegenheiten des Iran.

Die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Persien war in dieser Zeit eines der wenigen islamischen Länder, die nicht kolonialer Macht unterstanden, auch wenn die Gefahr der Aufteilung in eine russische und eine britische Einflusszone bestand, da beide Staaten eine vorherrschende Machtposition in der Region anstrebten. 1872 erhielten die Briten erstmals eine Konzession zum Abbau der persischen Bodenschätze, die »Imperial Bank of Persia« und die »Anglo Persian Oil Company« wurden zu den wichtigsten Instrumenten britischer Einflussnahme im Land. Russland sicherte sich 1900 persische Zollrechte und 1902 das Monopol für wichtige Bedarfsgüter. Es betrachtete Persien als Weg nach Indien und zum Persischen Golf und hatte daher kein Interesse an einer starken Regierung. Großbritannien interessierte sich für den Handelsweg über den persischen Golf und wollte die russische Einflusssphäre in der Region möglichst klein halten. Beide Länder wollten ein enges Bündnis mit der persischen Oberschicht eingehen, da die Bevölkerung bereits gegen die Einmischung von außen und die anhaltende Unterdrückung durch den Schah aufbegehrte. Wachsender Unmut über die politische Abhängigkeit und den fortschreitenden wirtschaftlichen Ausverkauf Persiens schuf eine Protestbewegung, die Konservative und Modernisten im Widerstand gegen die Regierung einte und in die konstitutionelle Revolution von 1905-1911 mündete.

Briten und Russen, die den Schah im Kampf gegen die Verfassungsrevolutionäre unterstützten, schlossen im August 1907 einen Vertrag, der das Land einteilte in eine britische Zone im Süden, eine russische im Norden und eine neutrale Zone dazwischen. Das persische Parlament wollte sich mit Hilfe eines US-Experten aus der finanziellen Abhängigkeit von Großbritannien und Russland befreien, wurde jedoch von der russischen Regierung Ende 1911 unter Druck gesetzt, diesen zu entlassen und Ausländer nur noch mit ihrer Billigung zu ernennen. Die militärische Durchsetzung dieser Forderung und die folgende Auflösung des Parlaments führten zum Scheitern der Verfassungsrevolution. Als sich die russischen Truppen nach der Oktoberrevolution zurückzogen, drängte die britische Regierung auf den Abschluss eines Vertrages, nach dem sie ihre Experten in allen Ministerien und Ämtern einsetzen und ihre Truppen überall in Persien stationieren könnte. Im August 1919 unterzeichnete der Premierminister diesen Vertrag, der der nationalrevolutionären Bewegung neuen Auftrieb verschaffte, im Parlament jedoch keine Mehrheit fand. Die Lage beruhigte sich 1921 durch den Abzug der sowjetischen Truppen und die Kündigung des Vertrages, der Großbritannien ein Wirtschaftsmonopol in Persien gesichert hätte, zunächst wieder. Die Revolutionäre steuerten auf eine republikanische Verfassung zu, die Armee war zum Garanten des Nationalstaates und der Einheit des Reiches geworden. Doch schon bald offenbarte sich ein gravierender Mangel der daraufhin eingerichteten Militärdiktatur: der persischen Armee fehlte ein politischer Arm, ohne den die Einrichtung einer Republik nicht möglich war. Diese Lücke füllten die konstitutionalistischen und konservativen Kleriker bald aus und schufen somit bereits die Basis für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Funktion als legitimationsstiftende Instanz. Auch wenn Persien seine kaiserliche Ordnung zunächst bewahren konnte, blieb das Kaisertum ohne jegliche zivile Integration eine Militärdiktatur.

Die Pahlavi-Dynastie

Auf Druck der Geistlichen änderte der im Oktober 1923 zum Premierminister ernannte Reza Khan seine ursprünglichen Pläne, eine Republik nach türkischem Vorbild einzurichten, und versprach, die Verfassung von 1906 mit der Kontrolle der Gesetzgebung durch Geistliche anzuwenden. Ende 1925 setzte das Parlament den Schah ab und erhob Reza Khan zum Schah. Bei der Bewertung dieses Staatsstreiches sind zwei Aspekte hervorzuheben: Einerseits wurde der Putsch als ein von den Briten geplantes und gelenktes Komplott betrachtet, durch das Persien zum Bollwerk gegen den neuen sowjetischen Staat und zum Garanten der britischen und somit westlichen Interessen in der Region werden sollte. Zum Zweiten stellte der Putsch die innere Sicherheit und Stabilität Persiens wieder her, die zuvor durch die schwache Zentralregierung und separatistische Bewegungen stark gefährdet waren. Durch die Übertragung des Notenemissionsrechts von der Imperial Bank of Persia auf die persische Nationalbank konnte sich der Staat 1931 wieder das Außenhandelsmonopol für wichtige Exportgüter sichern. Auch die industrielle Entwicklung des Landes sollte vorangetrieben werden. Reza Schahs Modernisierungspolitik war mit einer Säkularisierung verbunden und reduzierte die Privilegien der Geistlichen.1 Der Erdölsektor wurde jedoch weiterhin von den Briten dominiert.

Unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erklärte der 1935 umbenannte Iran seine Neutralität. Nach dem Einmarsch britischer und sowjetischer Truppen 1941 musste Reza Schah zugunsten seines Sohnes abdanken, der bereits Anfang 1942 einen Bündnisvertrag mit der UdSSR und Großbritannien abschloss. Der innenpolitische Widerstand gegen die fortdauernde Einmischung westlicher Staaten formierte sich bald. 1944 verkündete der Abgeordnete Muhammad Mossadeq eine »Politik des negativen Gleichgewichts« mit dem Ziel, keine weiteren Konzessionen an das Ausland zu vergeben und die bestehenden zu annullieren. Die Abhängigkeit von Großbritannien und den USA wurde nach Kriegsende immer offensichtlicher und Mossadeqs Bewegung »Nationale Front« wollte dies nicht mehr länger hinnehmen. Im Mittelpunkt stand der Vertrag mit der britischen Anglo Iranian Oil Company (AIOC), die das wirtschaftliche und politische Leben des Landes stark beeinflusste, sowie die Vergabe von Erdölkonzessionen an die UdSSR durch die Regierung gegen den Widerstand des Parlaments. Die Annullierung dieses Vertrags wurde zunehmend zur nationalen Frage und die Bewahrung der nationalen Souveränität mit der Entscheidungsgewalt über die Ölvorkommen gleichgesetzt. Die »Nationale Front« startete 1949 eine Kampagne zur Nationalisierung der Erdölindustrie und kämpfte um eine Mehrheit im Parlament dafür. Mossadeq wurde Ende April 1951 zum Premierminister gewählt und das Parlament bestätigte seine Pläne. Die AIOC wurde in National Iranian Oil Company (NIOC) umbenannt und die britischen Experten mussten das Land verlassen. Nach erfolglosen Verhandlungen brach die britische Regierung den Kontakt mit Teheran ab und propagierte einen internationalen Boykott der iranischen Erdölexporte, dem sich entgegen den iranischen Erwartungen auch die USA anschlossen, was die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Iran verschärfte. Die Verstaatlichung der Erdölindustrie hatte international große Bedeutung und traf Großbritannien am stärksten. Die USA sahen ihre Chance, dessen Position als vorherrschende Macht am Golf einzunehmen, stießen jedoch durch die »negative Gleichgewichtspolitik« Mossadeqs auf massive Widerstände im Land und sahen als einzigen Ausweg nur den Sturz des Premierministers. Zwar gelang es Mossadeq im Frühjahr 1953, seine Position zu stabilisieren, er hatte jedoch mittlerweile die Unterstützung der Militärs endgültig verloren, die mit amerikanischer Hilfe einen Staatsstreich vorbereiteten. Am 19. August 1953 wurde seine Regierung durch einen Putsch gestürzt. Als Hauptakteur hierbei wird im Iran der amerikanische Geheimdienst CIA angesehen, US-Präsident Roosevelt gilt als der geistige Vater des Putsches. Innenpolitisch begünstigt wurde der Putsch durch die Spaltung der »Nationalen Front«, da sich die Geistlichen innerhalb der Bewegung verstärkt gegen Mossadeqs Politik der Fortsetzung der säkularen Tradition der konstitutionellen Revolution stellten.2

Nach dem Putsch propagierte der Schah einen propagandistischen »positiven Nationalismus«, der neben der Sicherung nationaler Interessen und der Unabhängigkeit auf die ‚Erhöhung des Lebensstandards und Stärkung des gesellschaftlichen Nationalbewusstseins' abzielte. Er schloss jedoch 1959 ein Militärabkommen mit den USA, das die engen Beziehungen weiter festigte und sowohl seinen persönlichen Machtambitionen wie auch den wirtschaftlich-strategischen Interessen der USA in der Region diente. Seine so genannte »Weiße Revolution« von 1963 mit einer umfassenden Bodenreform scheiterte und führte zur Verarmung der Landbevölkerung. Als Reaktion auf die sinkende einheimische Produktion ließ der Schah in wachsendem Umfang Lebensmittel importieren, was die Abhängigkeit von US-Nahrungsmittelkonzernen und die West-Bindung verstärkte. Die Einführung eines westlichen Erziehungssystems trug zur Entfremdung von der iranischen Kultur bei und rief den Widerstand der islamischen Gelehrten hervor. Bereits im Juni 1963 kam es unter der Führung von Ayatollah Khomeini zu Massenaufständen gegen die »Weiße Revolution«, die nur durch massiven Einsatz von Armee, Polizei und Geheimdienst niedergeschlagen werden konnten. Khomeini kritisierte den Schah öffentlich für seine politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit Israel, das er in erster Linie als »Stellvertreter der USA und des Westens« in der Region ansah.3 Auch die ungenügende Abwehr von Eingriffen fremder Interessen in die iranische Wirtschaft und Innenpolitik durch den Schah führte dazu, dass sich die Menschen schließlich mehrheitlich gegen ihn stellten und sich statt dessen 1978/79 der von Khomeini angeführten Islamischen Revolution anschlossen.

Nach der Islamischen Revolution

Mit der Gründung der Islamischen Republik Iran im März 1979 erfolgte die Einführung des Prinzips der Herrschaft der Rechtsgelehrten als neue politisch-revolutionäre Ideologie. Somit wurde die traditionell unpolitische und quietistische Schia zur alles bestimmenden Kraft im Land. Die Idee einer politisch aktiven Schia entstand nicht aus dem Gedankengut des Klerus, sondern wurde von iranischen Intellektuellen unter dem Eindruck kultureller Überfremdung und wirtschaftlicher Ausbeutung entwickelt. Revolutionsführer Ayatollah Rûhollâh Khomeini lebte zwar seit 1964 im Exil, hatte durch die Verbreitung von Tonbandkassetten seiner Reden jedoch großen Einfluss auf die öffentliche Meinung im Land. Ihm gelang es so, eine Massenbewegung gegen die Diktatur des Schahs hervorzurufen, die das Regime schließlich stürzte. Dadurch änderte sich auch die Position des Iran innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Das Schah-Regime war bis 1979 der wichtigste Bündnispartner des Westens und Israels in der islamischen Welt, die Islamische Republik schlug jedoch einen explizit antiwestlichen Kurs ein und strebte die Hegemonie in der islamischen Welt an. Deutlichstes Zeichen hierfür war die Propagierung des Exports der Islamischen Revolution unter der Führung Irans.4 Eines der ersten republikanischen Dekrete ordnete die vollständige staatliche Kontrolle über das Erdöl an und im März 1979 verkündete die NIOC den Ausschluss internationaler Konzerne von allen Erdölgeschäften. Auch der Außenhandel wurde unter das Monopol des Staates gestellt. Da sich die soziale Situation der Bevölkerung jedoch kaum verbesserte, entlud sich deren Unmut bald in Protesten und Aufständen. Am 4. November 1979 besetzten Theologiestudenten die US-Botschaft in Teheran und nahmen die Mitarbeiter als Geiseln. Dies bot dem neuen Regime ein willkommenes Ventil für den ‚Zorn des Volkes gegen seine imperialistischen Unterdrücker'.5 In den folgenden Monaten wurden täglich Demonstrationen vor dem Botschaftsgebäude organisiert, um das Volk im gemeinsamen Kampf gegen den Einfluss des Auslands zu einen.

Die US-Regierung betrachtete die Islamische Revolution als Affront gegen ihre globale Vormachtstellung und ihre Interessen in der Golfregion. Daher bemühte sie sich um eine Umkehrung dieses Prozesses und unterstützte die konterrevolutionäre Bewegung. Unter Führung der CIA baute diese Terrorbanden auf, die Anschläge auf führende Vertreter des Regimes verübten und die US-Administration unterstützte die monarchistischen und konterrevolutionären bewaffneten Verbände im In- und Ausland. Weitere Methoden waren die Anheizung der Inflation durch massenhafte Falschgeldeinfuhr, Schüren von Aufständen nationaler Minderheiten, Bestechung von Beamten der provisorischen Regierung sowie massenhafte Ausschleusung von Vertretern des alten Regimes.

Die außenpolitische Konzeption der islamischen Revolution

Die iranische Revolutionsideologie beinhaltet eine starke außenpolitische Komponente, da der Islam nach Khomeinis Definition als ewig gültiges Normen-, Werte- und Rechtssystem Abhängigkeit und Unterdrückung unmöglich macht. Die Islamische Revolution sei ein »Geschenk an die Menschheit«, vor allem an die Benachteiligten und Unterdrückten und habe daher keinen nationalen Bezug. Die Revolutionäre sahen darin den Auftrag, dem Islam universelle Geltung zu verschaffen. Die Muslime müssten islamische Regierungen bilden und eine gemeinsame Front gegen die Feinde des Islam bilden. Auch die Ziele und Methoden der Außenpolitik eines islamischen Staates sollten von der Vollkommenheit des Islam bestimmt werden. Khomeini rief Muslime anderer Staaten immer wieder dazu auf, sich gegen ihre »degenerierten« Herrscher zu erheben und dann über die schrittweise Errichtung islamischer Staaten die Vorraussetzungen für die Existenz einer islamischen Gemeinschaft ohne nationale Grenzen zu schaffen. Die iranische Revolution war für ihn demnach nur der Ausgangspunkt für eine weltweite Ausbreitung seiner islamischen Staatsidee. Deren Export wurde zum bestimmenden Faktor der frühen, von Khomeini direkt bestimmten iranischen Außenpolitik und sollte mit den verschiedensten Mitteln verwirklicht werden. So unterstützte Iran muslimische Oppositionsbewegungen in anderen Ländern durch Waffen, Geld und Ausbildung, veranstaltete internationale Kongresse und nutzte die Medien intensiv für umfangreiche Propaganda. Khomeini versicherte zwar mehrfach, dass der Iran keine militärischen Interventionen zur Durchsetzung der Revolutionsideale in anderen Staaten plane, ließ jedoch nie Zweifel daran aufkommen, dass das Konzept der Auflehnung gegen »unislamische« Regierungen sehr wohl exportiert werden sollte.6 Dass Khomeini nicht nur Kritiker des Westens war, sondern ein eigenes Herrschafts- und Regierungssystem propagierte, das er weltweit verbreiten wollte, wurde in vielen westlichen Staaten als Herausforderung betrachtet.

Politische Nachwirkungen heute

Kurz vor seinem Tod im Juni 1989 charakterisierte Khomeini die gesamte gegenwärtige Epoche als die der Auseinandersetzung zwischen den Muslimen und den USA, die in seinen Augen für alle Übel dieser Welt verantwortlich sind. Nur ihr Wirken verhindere die Annahme des Islam durch alle Menschen, sie seien der Hauptfeind des Iran und aller Muslime. Daher könne mit der amerikanischen Führung niemals und in keiner Frage eine Übereinstimmung erzielt werden. Auch viele Jahre später gilt diese »Linie des Imam« als geistige und politische Richtschnur der iranischen Staatsführung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war zwar die latente Bedrohung durch die östliche Supermacht verschwunden, gleichzeitig jedoch auch der strategische Nutzen der gegenseitigen Reduzierung des Bedrohungspotentials beider Supermächte.

Auch wenn die neunziger Jahre durch einen Prozess der Normalisierung der internationalen Beziehungen und eine realistischere Außenpolitik Irans geprägt waren, änderte sich doch nichts an der grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten. So wirft Khomeinis Nachfolger Alî Châmene'î den USA nicht nur vor, sich aus der »Erbmasse« des sozialistischen Lagers zu bedienen und der gesamten Welt ihren Willen aufzuzwingen, sondern nun auch die »Konfrontation mit dem Islam« zu suchen. Er propagiert somit eine neue Bipolarität des internationalen Systems, einen Antagonismus, dessen Hauptprotagonisten ein von den USA dominierter Westen und die islamische Welt sein würden. Im Islam sei eine wirkliche Alternative gegeben, die der Westen aus Angst vor Machtverlust jedoch nicht annehmen wolle. Somit sei die politische Welt der Gegenwart in einem Raster mit zwei antagonistischen Polen gefangen: die Welt der Arroganz des materialistischen Westens und die Welt des Islam. Diese unveränderte ideologische Positionierung wird noch verschärft durch die in den letzten Jahren massiv veränderten sicherheitspolitischen Gegebenheiten. Auch wenn Teheran weder mit dem Nachkriegsirak Saddam Husseins noch mit dem von den Taliban beherrschten Afghanistan gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhielt, so stellt die wachsende amerikanische Truppenpräsenz in fast allen Nachbarländern in den Augen der iranischen Führung eine ungleich größere Bedrohung dar – insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Regimewechsel im Iran zu den erklärten Zielen der USA zählt, die eine militärische Option zur Durchsetzung ihrer strategischen Interessen am Golf explizit nicht ausschließen.

Literatur

Akbari, S. (2007): Irans revolutionäre Außenpolitik: Realität oder Rhetorik? Verschiebung der inneren Machtbalance, in: Friedensgutachten 2007. Münster, S.160-171.

Beestermöller, G./Justenhoven, H.-G. (Hrsg.) (2006): Der Streit um die iranische Atompolitik. Völkerrechtliche, politische und friedensrechtliche Reflexionen. Stuttgart.

Fürtig, H. (1998): Islamische Weltauffassung und außenpolitische Konzeptionen der iranischen Staatsführung seit dem Tod Ajatollah Khomeinis. Berlin.

Ghafouri, S. (1999): Iran. Religion, Kultur, Staat. Eine Studie zum Werdegang einer Nation. Aachen.

Gronke, M. (2003): Geschichte Irans. Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. München.

International Crisis Group/ICG, Middle East Report/MER No. 18: Dealing with Iran's Nuclear Program; Amman/Brüssel, 27.10.2003.

ICG/MER No. 51: Iran: Is there a Way out of the Nuclear Impasse?, Brüssel/Washington/Teheran, 23.02.2006.

Internationale Politik: Die neue Welt der Atommächte; August 2006, S.6-66.

Kalinowski, M. (2006): Das Nuklearprogramm des Iran – zivil oder militärisch?; in: Atomenergie: Zugriff zur Bombe; W&F 1/2006, Dossier 51, S.6-11.

Nirumand, B. (2006): Iran – Die drohende Katastrophe. Köln.

Schaper, A./Schmidt, H.-J. (2005): Gefährdungen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages? Nordkorea, Iran und die USA, in: Friedensgutachten 2005. Münster, S.135-144.

Schaper, A./Schmidt, H.-J. (2006): Eine unendliche Geschichte? Irans und Nordkoreas Nuklearprogramme, in: Friedensgutachten 2006. Münster, S.187-197.

von Randow, G./Ladurner, U. (2006): Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr. Hamburg.

Anmerkungen

1) So wurde das traditionelle Jurismonopol der Geistlichen eingeschränkt durch die Zurückdrängung der religiösen Gerichte zugunsten der weltlichen und der Aufhebung der Notarfunktion für Geistliche bei Rechtsgeschäften und Verträgen. Dadurch verloren die Kleriker einen Großteil ihres gesellschaftlichen Einflusses und eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen.

2) In diesem Machtvakuum bildete sich eine »patriotische« Gruppe zur »Rettung von Vaterland und Königtum gegen extremistische Tendenzen«, die mit Geldern der CIA unterstützt wurde.

3) Es gab Pläne zur Unterzeichnung eines Vertrages, der Israel großen wirtschaftlichen Einfluss und Zusammenarbeit mit Armee und Geheimdienst im Iran sichern sollte.

4) Dieses Konzept wurde bereits in der Präambel der Verfassung der Islamischen Republik verankert: „Die Verfassung schafft durch die Berücksichtigung des islamischen Gehalts der Revolution (…) die Grundlage für die Fortdauer dieser Revolution im In- und Ausland.“

5) Während der Besetzung wurden in der Botschaft brisante Geheimdokumente gefunden, die die Unterstützung der USA für Repräsentanten des Schah-Regimes belegten. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob die Studenten auf direkte Weisung Khomeinis handelten oder nicht. Die Auswirkungen dieser Aktion waren jedoch von großem Nutzen für das klerikale Regime und sie wurde nachträglich mehrfach von Khomeini öffentlich gerechtfertigt.

6) Khomeini verwendete in diesem Zusammenhang sehr oft den Begriff des jihad und legitimierte Muslime in islamischen Ländern, Herrscher, die sich nicht an islamische Gesetze hielten, exemplarisch zu bestrafen.

Annette Heppel ist Politologin mit den Schwerpunkten Naher Osten und islamistischer Terrorismus. Bis Dezember 2007 war sie Geschäftsführerin der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative. Zurzeit arbeitet sie an einer Studie über Hamas und Hizb'allah.

Mutlanger Manifest

Mutlanger Manifest

8. Dezember 2007

von Redaktion

Im Bewusstsein des Leidens und Sterbens, dass durch die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki sowie durch Tausende von Atomtests verursacht wurde; erfreut über die Abrüstungsschritte und das Ende des Kalten Krieges, die vor 20 Jahren durch den INF-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR möglich wurden; unter Kenntnisnahme

der Existenz von weltweit noch über25.000 Atomwaffen,

der Lagerung von noch immer 20 US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland,

der nuklearen Teilhabe Deutschlands, in deren Rahmen die Bundeswehr Trägermittel für Atomwaffen zur Verfügung stellt und Piloten deren Einsatz üben lässt.

In Sorge

wegen der Pläne zur Erneuerung der Atomwaffen in den Atomwaffenstaaten und zur Stationierung von Abwehrraketen,

wegen der Kündigung und der Infragestellung von bestehenden Abrüstungsverträgen,

wegen der Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene.

In der Hoffnung

auf ein atomwaffenfreies Deutschland und

auf neue Abrüstungsschritte mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt,

verabschieden wir heute als Mitglieder von Mayors for Peace in Mutlangen, einem ehemaligen Stationierungsort der Pershing II-Atomraketen, am 20. Jahrestag der Unterzeichnung des INF-Vertrages folgendes Manifest.

Landrat Klaus Pavel – Oberbürgermeister Wolfgang Leidig – Bürgermeister Peter Seyfried

A) Der INF-Vertrag

Vor 20 Jahren, am 8. Dezember 1987, unterzeichneten der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und der US-Präsident Ronald Reagan in Washington den INF-Vertrag (Intermediate-range Nuclear Forces). Darunter fallen Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 km. In dem Vertrag einigten sich die beiden Mächte darauf, auf diese Waffengattung vollständig zu verzichten und die bestehenden Arsenale an Trägersystemen zu zerstören. Der INF-Vertrag ist einzigartig.

Der INF-Vertrag ist der erste wirkliche Abrüstungsvertrag. Durch ihn wurde in den beiden Vertragsstaaten eine ganze nukleare Waffengattung nicht nur außer Dienst gestellt, sondern tatsächlich vollständig abgerüstet.

Der INF-Vertrag schuf Vertrauen und Offenheit. Im INF-Vertrag wurden erstmals weit reichende Verifikationsvereinbarungen bis hin zur »On-Site Inspection« getroffen. Er gestatte russischen Inspektoren zur Überprüfung des Vertrages den Zutritt zu Militäreinrichtungen in den USA und umgekehrt.

Der INF-Vertrag schuf Sicherheit für beide Seiten, trotz ungleicher Abrüstungsverpflichtungen. Insgesamt 2.692 Atomraketen und Marschflugkörper wurden vernichtet: 846 auf US-amerikanischer sowie 1.846 auf sowjetischer Seite.

Der INF-Vertrag gab eine Antwort auf die Forderungen der weltweiten Öffentlichkeit und Friedensbewegung und den Anstoß für weitere grundlegende politische Veränderungen bis hin zum Ende des Kalten Krieges.

Der INF-Vertrag ist gefährdet.

Trotz seiner epochalen Bedeutung gerät der INF-Vertrag zunehmend unter Druck. Auf beiden Vertragsseiten fordern Stimmen, die bilaterale Beschränkung aufzuheben, weil andere Länder weiterhin Mittelstreckenwaffen entwickeln und stationieren können. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Pläne zur Stationierung von Raketenabwehr-Komponenten in Polen und der Tschechischen Republik droht Russland mit der Kündigung von Abrüstungsvereinbarungen, wie auch dem INF-Vertrag.

Der INF-Vertrag ist richtungweisend.

Dennoch riefen die Russische Föderation und die Vereinigten Staaten von Amerika in einer gemeinsamen Erklärung vom 25. Oktober interessierte Staaten dazu auf, die Multilateralisierung des INF-Vertrages zu diskutieren. Es diene dem Frieden in der Welt, wenn alle Atomraketen dieser Kategorie zerstört und entsprechende Programme eingestellt würden.

Zu Beginn dieses Jahres erinnerten die beiden ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry und der frühere Vorsitzende des Streitkräfteausschusses des US-Senats in einem gemeinsame Essay im Wall Street Journal an die Vision „von der Abschaffung aller Nuklearwaffen“, die Ronald Reagan mit Michail Gorbatschow geteilt habe. Sie forderten, diese Vision wieder beleben.

B) Vom INF-Vertrag zur vollständigen Abrüstung aller Atomwaffen

Wir sind froh, dass in Mutlangen, dort wo einst die Atomraketen Pershing II in den Himmel ragten, heute Baukräne aufgerichtet sind und ein Wohngebiet entstanden ist. Wir sind froh über die Konversion der anderen Stationierungsorte.

Wir bedauern, dass der Abrüstungsprozess, der mit dem INF-Vertrag eingeleitet wurde, zum Erliegen gekommen ist.

Wir wollen, dass der INF-Vertrag, durch den Mutlangen atomwaffenfrei wurde, zur Keimzelle für weitere Abrüstungsschritte wird und zu einem Prozess führt, an dessen Ende das vollständige Verbot aller Atomwaffen steht.

Wir appellieren an die politischen Führer insbesondere der Atommächte,

den INF-Vertrag nicht zu kündigen, sondern multilateral auszuweiten. Das Diskussionsangebot der beiden Vertragsstaaten ist zu begrüßen, hat aber nur dann Aussicht auf Verwirklichung, wenn es mit Abrüstungsangeboten der Atommächte verbunden wird.

ihre Raketenabwehrpläne zu überprüfen und auf jegliche Handlung zu verzichten, die die Gefahr eines neuen Wettrüstens auf der Erde sowie im Weltraum erhöhen.

jegliche Modernisierungspläne für ihre Atomwaffen aufzugeben und statt dessen lang überfällige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt zu gehen: den vollständigen Atomteststoppvertrag endlich zu ratifizieren und Verträge über atomwaffenfreie Zonen anzuerkennen.

Wir appellieren an unsere Bundesregierung,

die Anstrengungen auf ein Ende der nuklearen Teilhabe weiter voranzutreiben, damit keine Soldaten mehr an einem Atomwaffeneinsatz mitwirken müssen.

auf diplomatischem Weg darauf hinzuwirken, dass Deutschland bis zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags 2010 atomwaffenfrei ist.

auf die Atommächte einzuwirken, der Abrüstungsverpflichtung aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag unverzüglich nachzukommen.

Unsere Vision

Bei uns anfangen

Der Modernisierungsdebatte in den Atomwaffenstaaten müssen starke Abrüstungssignale entgegengesetzt werden. Der Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland und dem übrigen Europa wäre ein solches Zeichen. Da die Militärs für die in Büchel gelagerten Atombomben keine Einsatzmöglichkeit sehen, gibt es im Moment ein Zeitfenster, um deren Abzug durchzusetzen. Der Abzug der US-Atomwaffen aus Europa ebnet den Weg für Verhandlungen über die taktischen Arsenale der USA und Russlands. Dies ist wichtig, denn vor allem bei diesen Waffen besteht die Gefahr, dass sie in die Hände von Terroristen fallen können. Wenn diese Chance verspielt wird, müssen wir damit rechnen, dass dann auch neue Sprengkopftypen in Europa stationiert werden.

Wir begrüßen die ebenfalls am heutigen Tag veröffentlichte Erklärung der Bürgermeister der aktuellen Stationierungsorte, die den Abzug der bei ihnen gelagerten Atomwaffen fordern.

Ein atomwaffenfreies Deutschland, der Abzug aller US-Atomwaffen aus Europa, sind Schritte auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.

Eine atomwaffenfreie Welt

Der Internationalen Gerichtshof hat 1996 festgestellt, dass eine rechtliche Pflicht besteht, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und abzuschließen, die zu nuklearer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen.“ Im Rahmen des Überprüfungsprozesses des NVV stellte der Bürgermeister von Hiroshima Tadatoshi Akiba 2003 den Aktionsplan der Mayors for Peace vor: die »2020 Vision«. Dieser Plan zielt auf ein Verbot aller Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention. Einer ersten Verhandlungsphase soll eine 10-jährige Umsetzungsphase folgen. Im Jahr 2020 ist dann das Ziel einer atomwaffenfreien Welt erreicht.

Ein Erfolg war in diesem Jahr, dass der von Nichtregierungsorganisationen aktualisierte Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention durch Costa Rica zum offiziellen Arbeitspapier des Überprüfungsprozesses der nuklearen Nichtverbreitungsvertrags wurde. Dieses Vertragmodell verbietet alle Atomwaffen. Es enthält einen Zeitplan für die Abrüstung der Atomwaffen und Überprüfungsbestimmungen. Damit würde die Ungleichheit des Nichtverbreitungsvertrages, der genaue Vorschriften zur Nichtverbreitung beinhaltet, aber die Abrüstungsverpflichtung nur allgemein ohne Zeitrahmen festlegt, aufgehoben.

C) Unsere Aktivitäten

Der INF-Vertrag kam nur zustande, weil es einen immensen öffentlichen Druck gab. Wir als gewählte Vertreter unserer Bürgerinnen und Bürger verpflichten uns, uns wo immer möglich für nukleare Abrüstung einzusetzen. Insbesondere durch

Bildungsveranstaltungen und Aktionen auf lokaler und regionaler Ebene,

Teilnahme an Delegationen der Mayors for Peace und anderen Nichtregierungsorganisationen,

durch Unterstützung der Kampagne »unsere Zukunft – atomwaffenfrei«.

A-Waffen und der Terrorismus

A-Waffen und der Terrorismus

von Ulrike Kronfeld-Goharani

Bruce Hoffman, Leiter der Abteilung für Terrorismusforschung der amerikanischen RAND-Corporation, sagte Ende der 1990er Jahre voraus, dass der politische, ideologische oder religiöse Konflikt zunehmend durch Terroraktionen ausgetragen werde. Er befürchtete schon damals, dass Terrornetzwerke fortschreiten würden, sich neue und unkonventionelle Waffen zu beschaffen.1 Inzwischen gibt es einige Attentate, bei denen Terrororganisationen – in Einzelfällen auch erfolgreich – chemische und biologische Waffen eingesetzt haben.

Im Vergleich zu biologischen und chemischen Waffen besitzen Nuklearwaffen die größte Zerstörungskraft durch Hitze, Druck und Strahlung. Der radioaktive Fall-out kann noch über große Distanzen und lange Zeiträume hinweg Krankheiten, genetische Defekte und Tod verursachen. Entsprechend groß ist die Besorgnis, dass Terroristen früher oder später auch Nuklearwaffen einsetzen könnten. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Terroristen sich eine Nuklearwaffe beschaffen?

Die nuklearen Arsenale der derzeit neun bekannten Atomwaffenstaaten werden streng bewacht. Deshalb wird die Möglichkeit, dass aus diesen Arsenalen Waffen entwendet werden, als relativ gering eingeschätzt, wenngleich sie auch nicht ganz ausgeschlossen wird. Eine Studie der US-Amerikanischen National Academy of Science schätzt insbesondere die Lage in Russland und Pakistan als besorgniserregend ein. Zwar sind moderne Sprengköpfe durch elektronische Sperren gesichert, aber unklar ist, ob dies auch für Bomben pakistanischer Bauart oder russische Bomben älteren Typs gilt.

Diebstahl einer Nuklearwaffe

Aufsehen erregte 1997 die Behauptung des russischen Generals Lebed, in Russland seien 100 nukleare Rucksackbomben mit einer Sprengkraft von jeweils 1 Kilotonne abhanden gekommen. Obwohl die Meldung seitens der russischen Regierung dementiert wurde, ist nicht auszuschließen, dass diese Rucksackbomben gestohlen wurden. Die Sprengkraft dieser Bomben wird inzwischen auf weniger als 1 Kilotonne geschätzt, da der Sprengstoff üblicherweise alle 5-10 Jahre ausgetauscht werden muss.2

Ein terroristischer Anschlag mit einer Waffe, die aus einem staatlichen Arsenal entwendet worden wäre, hätte katastrophale Auswirkungen. Die Annahme, dass unter Umständen die benötigte Menge des Spaltmaterials (10-40 Kilogramm hoch angereichertes Uran oder 5-8 Kilogramm Plutonium)3 oder mögliche Gesundheitsgefährdungen durch die Radioaktivität ein Hinderungsgrund für Diebe sei, ist falsch. 40 Kilogramm Uran in Größe einer Grapefruit sind ohne weiteres zu transportieren und zu verstecken. Die Radioaktivität spielt nur eine untergeordnete Rolle. Plutonium gibt nur Alphastrahlung ab, die sich leicht abschirmen lässt und hoch angereichertes Uran (HEU) ist so gut wie gar nicht radioaktiv, deswegen ist es ja gerade waffenfähig. Die Entdeckung des Schmuggels von Spaltmaterial durch Zoll oder Polizei bei Kontrollen auf Straßen, in Flughäfen oder Hafenanlagen ist schwierig. Wird nur die Radioaktivität gemessen, gibt es eine hohe Rate von Fehlalarmen, z. B. durch strahlenmedizinisch behandelte Personen. Ob es sich um geschmuggelte Materialien handelt, lässt sich nur durch eine Isotopenmessung klären.

Eigene Herstellung

Das Wissen um den Bau einer einfachen Atombombe ist kein Geheimnis mehr und kann inzwischen sogar im Internet abgerufen werden. Die größte Hürde stellt nach Einschätzung von Experten die Notwendigkeit dar, waffenfähiges Bombenmaterial zu beschaffen. Für eine einfache Nuklearwaffe von der Größenordnung der Hiroshima-Bombe müssten je nach Anreicherungsgrad des Uran-235 zwischen sechs und dreißig Kilogramm erworben werden, um die kritische Masse für eine nukleare Zündung zu erzielen. Für eine Implosionsbombe vom Typ der Nagasaki-Bombe wären bereits 5 Kilogramm Plutonium (Pu-239) ausreichend.

Da die eigene Produktion von Bombenmaterial, Urananreicherung oder Plutoniumgewinnung aufgrund des enormen technischen Aufwands und des Zeitfaktors (Urananreicherung) für Terrororganisationen unpraktikabel ist, bleibt nur der Diebstahl. Die sichere Verwahrung von spaltbaren Materialien ist daher entscheidend. Das ist keine einfache Aufgabe, denn inzwischen verfügen 46 Staaten über Inventare mit waffenfähigem Uran. Die Nuklearwaffenstaaten besitzen ca. 500 Tonnen abgetrenntes Plutonium und ca. 1.500 bis 2.000 Tonnen HEU.4

Problematisch ist auch der stetige Anstieg reaktorgrädigen Plutoniums im zivilen Bereich. Weltweit existieren zurzeit 441 Reaktoren in 32 Ländern mit 385 Gigawatt Leistung. In Ländern wie Argentinien, Finnland, Russland, Iran, Japan, China, Rumänien und Taiwan sind Neubauten geplant. Große Anreicherungsanlagen existieren in China, Russland, USA, Großbritannien, Japan, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland, große Kapazitäten zur Wiederaufarbeitung – und somit zur Plutoniumabtrennung – in Japan, Frankreich, Russland und Großbritannien. Präsident Putin kündigte vor wenigen Wochen den Bau von 30 neuen Kernkraftwerken an. Sollte es zu einer Renaissance der Kernenergie kommen, werden weltweit die vorhandenen Mengen an kernwaffenfähigem spaltbarem Material weiter ansteigen.

Immer noch erheblich sind die Mengen von spaltbarem Material in Russland, hier lagern mehrere Hundert Tonnen hochangereichertes Uran und Plutonium. Groß sind nach wie vor die Probleme

bei der Abrüstung überschüssiger russischer Nukleargefechtsköpfe,

in den immer noch vorhandenen riesigen Atommülllagern der großen Nuklearkomplexe Majak, Tomsk und Krasnoyarsk und

mit dem Atommüll der Nordmeerflotte.5

Hier ist oftmals nicht nur der Zustand der Sicherheitssysteme besorgniserregend, sondern auch die Moral der Wachangestellten, für die wegen schlechter Bezahlung die Versuchung groß sein könnte, durch Abzweigung von HEU nebenbei Geld zu verdienen.6 Im Rahmen des 1992 von den USA und Russland gestarteten Programms zur kooperativen Bedrohungsreduktion (CTR) konnte erst ein Bruchteil der besonders proliferationsgefährdeten Anlagen gesichert werden.

Gefahr geht auch von zivilen nuklearen Forschungseinrichtungen in Russland aus. Von den mehr als 50 Einrichtungen mussten 70 Prozent infolge von Mittelkürzungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schließen. Unklar ist, inwieweit der bisher in Kühlteichen gelagerte Nuklearbrennstoff geborgen und in sichere Lagerstätten abtransportiert wurde.7 Auch bei zivilen Forschungseinrichtungen mangelt es an Diebstahlsicherung. Bei einem Besuch des Kurchatow-Institutes in Moskau 1999 zeigten russische Experten einer Gruppe von US-amerikanischen Wissenschaftlern 100 Kilogramm hoch angereichertes Uran, das unbewacht in einem Nebengebäude des Institutes lagerte.8

Besonders beunruhigend ist zurzeit die Lage in Pakistan. Zwar sind die Nukleararsenale im Verhältnis zu Russland und den USA sehr klein und es wird angenommen, dass sie schwer bewacht werden. Dennoch besteht die Gefahr für einen möglichen Missbrauch durch Sympathisanten der Taliban und von Al-Qaida. Wie groß die Gefahr ist, zeigte das bekannt werden der nuklearen Schwarzmarktaktivitäten durch Pakistans Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan oder der Gespräche des ehemaligen Vorsitzenden der pakistanischen Atomenergiebehörde, Sultan Bashiruddin Mahmood, mit Osama Bin Laden und dessen Stellvertreter Al Zawahiri.9

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) registrierte seit 1993 550 Fälle, in denen radioaktive Substanzen geschmuggelt wurden. Allerdings handelte es sich im Zeitraum von 1993-2005 nur um sechzehn Fälle, in denen hoch angereichertes Uran (HEU) oder Plutonium geschmuggelt wurden. Die bisher größten Mengen spaltbaren Materials wurden 1994 in St. Petersburg (2,972 Kilogramm Plutonium) und 1996 in Prag (2,73 Kilogramm HEU) beschlagnahmt.10 Da dies nur die entdeckten Fälle sind, muss von einer weitaus höheren Dunkelziffer ausgegangen werden. Experten vermuten, dass nur 5-10% aller verbotenen Nukleartransfers aufgedeckt werden. Neben einer ausreichenden Menge von Spaltmaterial müssten Terroristen über eine spezielle Sprengtechnik verfügen, um die für eine Kettenreaktion kritische Masse herzustellen. Wegen der komplizierten Zündtechnik einer Plutoniumbombe käme deshalb für Terroristen eher eine einfache Uranwaffe nach dem Kanonenrohrprinzip (Typ der Hiroshima-Bombe) in Betracht.

Wäre das Problem der Beschaffung von Spaltmaterial gelöst, müssten Terrorgruppen immer noch Spezialisten aus den Bereichen Nuklearphysik, Materialwissenschaft, konventioneller Sprengstoffkunde und Elektronik zur Seite stehen, damit die Zusammensetzung einer Bombe gelingen könnte. Dass dies keine einfache Aufgabe ist, zeigen die Designschwierigkeiten des Iraks und Südafrikas. Es wäre schwer gewesen, die ehedem von Südafrika entwickelten mehrere Meter langen und 1.000 Kilogramm schweren Bomben zu verbergen und unbemerkt zum Einsatzort zu transportieren. Staaten benötigen für den Einsatz von Nuklearwaffen Trägersysteme wie Atom-U-Boote, ballistische Raketen, mobile Abschussrampen oder Bomber. Für Terroristen bietet sich eine große Zahl einfacher Trägermittel an wie ein Lastwagen, ein Schiff im Hafen oder ein Flugzeug.

Der Bau einer radiologischen Bombe

Unter einer sogenannten schmutzigen Bombe versteht man eine relativ einfache Bombenkonstruktion mit konventionellem Sprengstoff, z. B. TNT (Trinitrotoluol) oder HMX (Ootogen), versetzt mit hochradioaktiven Substanzen. Bei einer Explosion verdampft das radioaktive Material und verteilt sich mit Staub- und Trümmerteilchen in der Umgebung. Je nach Größe und Inhaltsstoffen könnten ganze Stadtteile oder Landstriche radioaktiv verseucht werden und die Bevölkerung wäre, wenn sie nicht evakuiert würde, langfristig einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt.

Die Möglichkeit, dass Terroristen solche Bomben zum Einsatz bringen, wird als weit höher eingeschätzt als der Einsatz von Nuklearwaffen. Das benötigte radioaktive Material, z. B. Caesium-137, Strontium-90, Iridium-192, Americum-241, Kobalt-60 u.a., findet sich in Krankenhäusern, Arztpraxen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, in der Industrie, in Atommülllagern oder sogar auf Schrottplätzen. Zwar genügt es nicht, radioaktives Material um eine Dynamitstange zu wickeln, erforderlich sind auch hier spezielle Kenntnisse, um die Effektivität des Sprengsatzes zu steigern. Allerdings ist der Aufwand in keiner Weise mit dem beim Bau einer Nuklearwaffe vergleichbar.

Bei einem Anschlag könnte eine Bombe einen Strahlengau mit großen wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Schaden verursachen. Abhängig von der Stärke der Explosion, von Menge und Typ des benutzten radioaktiven Materials und den Wetterbedingungen zur Zeit der Explosion, hätte der Einsatz zwar keinen massenvernichtenden, aber auf jeden Fall einen starken psychologischen Effekt. Als tschetschenische Freischärler 1995 eine mit Cäsium gefüllte Bombe in einem Moskauer Park abstellten, brach Panik aus, bis sich herausstellte, dass die Schmutzbombe keinen Sprengstoff enthielt.

Im Juni 2002 berichtete die IAEO, dass fast in jedem Staat der Erde radioaktives Material zum Bau einer radiologischen Bombe vorhanden sei und in der Regel nicht ausreichend gut gegen Diebstahl bewacht werde. Dieser Bewertung lagen mehrere Ereignisse zugrunde, bei denen radioaktives Material entwendet worden war. Der spektakulärste Fall ereignete sich 1987 in Brasilien, als Diebe aus einer verlassenen Krebsklinik ein Strahlentherapiegerät mit Caesium-137 entwendeten und an einen Schrotthändler verkauften. Mehr als 250 Menschen kamen mit der Strahlenquelle in Kontakt, acht erkrankten an der Strahlenkrankheit und vier starben daran. Auch in den letzten Jahren sind einzelne Diebstähle von radioaktiven Materialien bekannt geworden. So wurde im Mai 2002 auf dem Flughafen von Chicago ein Al-Qaida Sympathisant festgenommen, der verdächtigt wurde, den Bau einer radiologischen Bombe geplant zu haben.11

Sabotageakte

Eine weitere Gefahr stellen Sabotageakte auf Ziele mit nuklearem Material dar. Davon betroffen sein könnten Kernkraftwerke, Abklingbecken, Zwischenlager, Wiederaufarbeitungsanlagen, Atommüll- und Brennstofflager oder Atomtransporte. Nach den spektakulären Angriffen vom 11. September 2001 wurden auch in Deutschland Überlegungen angestellt, ob deutsche Kernkraftwerke gegen einen vergleichbaren Angriff geschützt seien. Die bisherige Diskussion zeigt, dass die Schutzhülle (containment) modernerer deutscher Atomkraftwerke zwar gegen Flugzeugabstürze geschützt ist, nicht aber gegen gezielte Angriffe mit vollgetankten Großraumflugzeugen. Weder teure Nachrüstungen noch Schutzmaßnahmen wie das Vernebelungskonzept gegen Flugzeugangriffe12 oder der Bau von Schutztürmen rund um das Reaktorgebäude können Sicherheit garantieren.13 Ähnliches gilt für Zwischen- oder Atommülllager, die in der Regel gegen den Austritt von Strahlung, nicht aber gegen schwere Flugzeugabstürze geschützt sind. Hinzu kommt, dass in jedem Zwischenlager etwa das Zwanzigfache an Radioaktivität des Tschernobylreaktors enthalten ist. Castor-Behälter, die so ausgelegt sind, dass sie bis zu 30 Minuten einem Feuer von 800 Grad Celsius widerstehen können, würden beim Absturz eines vollgetankten Jumbo-Jets im Feuer von 240.000 Litern Kerosin schnell schmelzen. Die Auswirkung eines Angriffs würde von der Größe und Professionalität abhängen. Eine Vorstellung der Folgen, die ein Anschlag auf ein Kernkraftwerk oder ein Zwischenlager mit hochradioaktivem Atommüll haben könnte, hat die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl mit ihrer europaweiten Auswirkung gezeigt.

Fazit

Betrachten wir die möglichen Gefahren, die von Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen ausgehen, so müssen an erster Stelle die Chemiewaffen genannt werden. Die Herstellung oder der Erwerb von chemischen Waffen dürften am einfachsten durchzuführen sein. Ein Vergleich der Vor- und Nachteile lässt vermuten, dass biologische Waffen wegen ihrer schwer kalkulierbaren Wirkung nicht zur ersten Wahl von Terrorgruppen zählen. Die eigene Herstellung einer Nuklearwaffe, mit der bei weitem die größte Schadenswirkung zu erzielen wäre, ist am schwierigsten zu realisieren. Einen Schutz vor Anschlägen mit Massenvernichtungswaffen sowie die hundertprozentige Sicherheit der Zivilbevölkerung kann heute keine Regierung mehr garantieren. Hinzu kommt, dass die moderne Industriekultur zunehmend verwundbarer geworden ist. Was bleibt zu tun?

Zum einen müssen alle Möglichkeiten ergriffen werden, um den Zugriff auf Massenvernichtungswaffen und auf die dazu benötigten Komponenten zu verhindern. Das heißt, die bestehenden Abrüstungsverträge müssen gestärkt, umgesetzt, reformiert und gegebenenfalls angepasst werden. Export- und Importkontrollen müssen durchgesetzt und weitere Überlegungen angestellt werden, wie nukleare Einrichtungen gegen Zugriffe oder Anschläge von außen besser gesichert werden können. Der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz muss über Grenzen hinweg intensiviert und Notfällpläne müssen entwickelt werden, wie im Ernstfall den neuen Bedrohungen zu begegnen ist.

Zum anderen ist die Politik massiv gefordert, sich endlich stärker mit den Ursachen für die Entstehung des internationalen Terrorismus zu befassen. Der Einsatz von militärischer Gewalt zur Bekämpfung des Terrorismus verheißt keine tragfähige Lösung. Die Eskalation in Afghanistan ist das beste Beispiel. Denn, so der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan: „Wir dürfen Fragen wie Terrorismus, Bürgerkriege oder extreme Armut nicht isoliert betrachten. Die Verknüpftheit dieser Probleme hat tiefgreifende Implikationen. Umfassende Strategien sind gefragt.“

Anmerkungen

1) Vgl. Hoffman, Bruce: Terrorismus. Der unerklärte Krieg, Frankfurt/M., Fischer-Verlag, 1998.

2) Kelle, Alexander und Schaper, Annette: Bio- und Nuklearterrorismus – Eine kritische Analyse der Risiken nach dem 11. September 2001, HSFK-Report 10/2001, S.33.

3) Wie viel Plutonium man für die kritische Masse benötigt, hängt vom benutzten Plutonium-Isotop ab.

4) Neuneck, Götz: Nukleare Sicherheit und die Gefahr terroristischer Anschläge, in: W&F, Dossier Nr. 51, 1-2006, S.18.

5) Vgl. Kronfeld-Goharani, Ulrike: Ein Erbe des maritimen Wettrüstens: Der Atommüll der Nordmeerflotte, schiff-texte, nr. 53, Kiel, 1999.

6) Neuneck Götz, ebd. S, 17.

7) Vgl. Kronfeld-Goharani, Ulrike: Die Umweltschäden und Entsorgungsprobleme des russischen Nuklearkomplexes, schiff-texte, nr. 68, Kiel, 2002.

8) Neuneck, Götz: Terrorismus und Massenvernichtungswaffen: eine neue Symbiose?, in: Hans Frank / Kai Hirschmann (Hrsg.): Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin-Verlag, Berlin 2002, S.157.

9) Bunn, Matthew and Wier, Anthony: Securing the Bomb. An Agenda for Action, Harvard University, Commissioned by the Nuclear Threat Initiative, May 2004, S.31.

10) Nach Angaben der IAEO unter: http://www.iaea.org/NewsCenter/Features/RadSources/PDF/table1-2005.pdf.

11) Kelly, Henry C.; Levi, Michael, A.: Schmutzige Bomben als Terrorwaffen, in: Spektrum der Wissenschaft, März 2003, S.26.

12) Das Konzept sieht vor, durch Zündung von speziellen Nebelgranaten einem sich nähernden verdächtigen Flugzeug die Sicht auf das Kernkraftwerk zu nehmen.

13) Vgl. Hirsch, Helmut, Becker Oda, Neumann, Wolfgang: Terrorangriffe auf deutsche Atomkraftwerke. Bewertung der Gegenmaßnahmen, Bericht für Greenpeace e.V., Hannover, 2004.

Dr. Ulrike Kronfeld-Goharani ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Arbeitsbereichs Friedensforschung am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Kiel.

Der Stoff für die Bomben

Der Stoff für die Bomben

Zugriffs- und Beseitigungswege

von Matthias Englert und Christoph Pistner

Der Zugang zu Kernwaffen ist aufgrund einer hohen technologischen Hürde nur mit entsprechendem Aufwand möglich. Die Haupthürde ist heute – mehr als sechs Jahrzehnte nach der Konstruktion erster Atomwaffen – vor allem der Zugriff auf ausreichende Mengen an kernwaffenrelevanten Nuklearmaterialien und weit weniger die Konstruktion eines Kernsprengkörpers. Die Beschaffung des Spaltstoffes ist das entscheidende Nadelöhr, das staatliche und substaatliche Akteure überwinden müssen, bevor sie einen Kernsprengkörper bauen können.

Der aktuelle Streit um das nordkoreanische und das iranische Nuklearprogramm verweist mit großer Deutlichkeit auf diese zentrale Problematik. Im Kern dieser Konflikte geht es neben offenen oder verdeckten politischen Zielsetzungen um die intrinsische zivil-militärische Ambivalenz von nuklearen Materialien und Technologien (dual-use). Besonders offensichtlich wird dies am Beispiel des Iran. Während dieser auf seinem im Rahmen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) zugesicherten Recht besteht, eine nationale Kapazität zur Anreicherung von Uran für zivile Zwecke zu entwickeln, werden diese Bemühungen von anderen Staaten dahingehend interpretiert, dass sich der Iran auf diesem Weg die notwendigen Technologien und Materialien aneignen will, um Zugriff zur Bombe zu erhalten.

Bei den Materialien handelt es sich vorrangig um Spaltstoffe, die im Rahmen ziviler Nuklearprogramme, aber ebenso in Kernwaffenprogrammen verwendet werden können. Die spaltbaren Materialien für Kernwaffen sind Plutonium und hoch angereichertes Uran (Highly Enriched Uranium, HEU), andere denkbare Spaltstoffe spielen bis heute praktisch keine Rolle.

Bei den ambivalenten sensitiven Nukleartechnologien sind vor allem die Nutzung von Zentrifugen zur Urananreicherung und die Wiederaufarbeitungstechnologie zur Abtrennung von Plutonium aus bestrahlten Brennelementen zu nennen. Diese Technologien werden in zivilen Kernenergieprogrammen genutzt, können prinzipiell jedoch auch zur Gewinnung von Waffenstoffen eingesetzt werden. Zum Bau einer Kernwaffe wird nur eine vergleichsweise geringe Menge an Plutonium oder HEU benötigt. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) definierte 1977 eine „significant quantity“ als Masse an spaltbarem Material, die ausreichend wäre zum Bau einer einfachen Waffe der ersten Generation (Implosionstyp).1 Als signifikante Mengen werden von der IAEO 8 kg Plutonium und 25 kg HEU angenommen. Dies ist eine verschwindend kleine Menge im Vergleich zu den bereits existierenden Beständen (siehe unten). Weiter fortgeschrittene Waffendesigns benötigen noch weitaus weniger spaltbares Material. Schon eine Menge von 4-5 kg Plutonium oder etwa 12 kg HEU können ausreichen, um einen modernen Nuklearsprengkopf zu bauen.

Kontrollregime

Heute sind mit Ausnahme der Kernwaffenstaaten Israel, Pakistan und Indien sämtliche Länder der Erde Mitglieder des NVV, des Nichtverbreitungsvertrages. Nord-Korea hat allerdings seine Mitgliedschaft 2003 gekündigt. Die Nicht-Kernwaffenstaaten innerhalb des NVV unterwerfen ihre zivilen Nuklearprogramme Kontrollen, so genannten Sicherungsmaßnahmen (»Safeguards«), durch die IAEO. Diese beinhalten z.B. Meldepflichten für Materialien und Güter, eine Überwachung bestimmter Materialien und signifikanter Anlagen bis hin zu Vor-Ort-Inspektionen.

Klar ist, dass »Safeguards« ein unverzichtbares Element der Rüstungskontrolle darstellen und für die Vertrauensbildung unter den Staaten bedeutsam sind. Aber es muss bedacht werden, dass sie die nukleare Ambivalenzproblematik weder grundlegend angehen, noch die auf der technologischen Seite tatsächlich existierenden Probleme lösen können. Im Rahmen von »Safeguards«-Maßnahmen muss lediglich sichergestellt werden, dass ein Vertragsbruch mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums entdeckt würde, die Aufdeckung der Abzweigung von signifikanten Materialmengen ist jedoch nicht garantiert. So können »Safeguards« bestenfalls zu einer nachträglichen Entdeckung von Verstößen gegen vertraglich abgesicherte Normen der nuklearen Nichtverbreitung führen und abschreckend wirken. »Safeguards« greifen daher tendenziell zu spät, auch wenn mit den Maßnahmen des Zusatzprotokolls nach 1997 weitergehende Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle eröffnet wurden. Weiterhin können sie zur Wahl von Umgehungsstrategien oder nicht-deklarierten, geheimen Aktivitäten führen und bieten keinen wirksamen Schutz gegenüber nicht-staatlichen Akteuren.

Plutonium

Zur Beurteilung der Lage beim Plutonium müssen die Produktionstechnologien und die Bestände und Beseitigungskonzepte unterschieden werden; letztere sind zudem nach ziviler und militärischer Nutzung zu diskriminieren.

Produktionstechnologien

Plutonium wird aus Uran-238 durch Neutroneneinfang in einem Uranbrennstoff produziert. In einem typischen Leichtwasserreaktor (LWR) zur Stromerzeugung mit einer elektrischen Leistung von einem Gigawatt (z.B. Biblis) entstehen auf diese Weise pro Jahr etwa 250 kg Plutonium. Weltweit ist der größte Teil der bis heute produzierten Plutoniumbestände noch zusammen mit den hochradioaktiven Abfällen im abgebrannten Brennstoff eingebunden und damit durch die Strahlung der Abfälle gegen einen direkten Zugriff relativ gut geschützt. Bei einer Wiederaufarbeitung nach dem heute üblichen REX-Verfahren kann allerdings mittels eines chemischen Trennverfahrens das Plutonium (und das Uran) aus dem abgebrannten Brennstoff abgetrennt werden und liegt anschließend in reiner Form vor. Von diesen separierten Plutoniumbeständen geht eine erhöhte Proliferationsgefahr aus, da sie nicht mehr durch eine Strahlenbarriere aus radioaktiven Abfällen vor direktem Zugriff geschützt sind.

Eine Abtrennung von Plutonium fand sowohl im militärischen Bereich für die Waffenproduktion, als auch im zivilen Bereich, etwa in den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) statt. Die ursprünglichen Pläne, ziviles Plutonium als Brennstoff in kommerziell arbeitenden Schnellen Brütern einzusetzen, wurden allerdings bis heute nirgendwo auf der Welt realisiert.

Es wird je nach Herkunft des Plutoniums noch differenziert, ob es sich um Waffenplutonium oder Reaktorplutonium handelt. Beide unterscheiden sich nur durch die Bestrahlungsdauer des Uranbrennstoffs im Reaktor und die daraus folgende höhere Reinheit des Waffenplutoniums (hoher Plutonium-239-Anteil). Grundsätzlich kann jedoch Plutonium praktisch bei jeder Isotopenzusammensetzung für Kernwaffen verwendet werden.

Bestände und Beseitigungskonzepte

Es gibt kein einfaches Verfahren, Plutonium zu beseitigen oder waffenuntauglich zu machen, wie dies bei HEU der Fall ist (s.u.). Dieser Umstand ist von großer Bedeutung, denn offensichtlich müssen neben essentiellen politisch-institutionellen Überlegungen auch technische Lösungen für einen geeigneten Umgang mit separiertem Plutonium gefunden werden, um eine Verwendung oder Wiederverwendung in Kernwaffen so weit eben möglich auszuschließen.

Grundsätzlich kann man zur Beseitigung von separiertem Plutonium heute zwei Strategien wählen. Zum einen kann das Plutonium genutzt werden, z.B. indem es in Uran-Plutonium-Mischoxyd-(MOX-)Brennstoffen eingebettet und dann in gängigen LWR eingesetzt wird. Die MOX-Nutzung und -Herstellung wird heute schon im industriellen Maßstab durchgeführt. Effizienter wäre hingegen eine Verbrennung des Plutoniums mit neuen, so genannten uranfreien Brennstoffen, bei denen eine wesentlich höhere Reduktion (bis ca. 70%) des eingesetzten Plutoniums im Vergleich zu MOX (nur 30%) erreicht werden könnte. Zur Erforschung dieser uranfreien Brennstoffe werden allerdings weltweit kaum Mittel eingesetzt und derzeit ist noch keine industrielle Fertigung vorhanden.

Die andere Strategie zur Beseitigung von Plutonium verzichtet auf eine Nutzung im Reaktor. Das Plutonium wird in eine direkt endlagerfähige Form überführt (immobilisiert). Zum Schutz vor einer erneuten Abtrennung wird das Plutonium dabei mit hochradioaktiven Abfällen vermischt und z.B. verglast. Bei Verfügbarkeit eines Endlagers soll es dann einem unmittelbaren Zugriff endgültig entzogen werden. Die Entwicklungsarbeiten zur Immobilisierung sind jedoch eingestellt und es gibt derzeit kein industriell nutzbares Verfahren. Bis heute ist daher lediglich eine Umsetzung von Plutonium als MOX in Leichtwasserreaktoren großtechnisch prinzipiell einsatzfähig.

Die offiziellen Kernwaffenstaaten haben mittlerweile ihre Produktion von separiertem militärischen Plutonium eingestellt. Die bis heute vorliegenden militärischen Bestände an separiertem Plutonium liegen im Bereich von etwa 260 Tonnen (siehe Abb. 1). 107 t davon haben die USA, Russland und Großbritannien als Überschuss über die gegenwärtig benötigten Mengen deklariert. Für 68 t aus diesen überschüssigen Beständen wurde zwischen den USA und Russland im Jahr 2000 ein Abkommen unterzeichnet, welches die Beseitigung dieser Bestände bis 2030 vorsieht. Beide Länder planen, das Waffenplutonium überwiegend zu MOX-Brennstoffen zu verarbeiten und in ihren kommerziellen LWR einzusetzen.

Abb. 1: Weltweite Plutoniumbestände nach Angaben der IAEO: Separiertes Plutonium im zivilen Bereich (grau) in Belgien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland, Schweiz und USA; jährlicher Netto-Zuwachs etwa 10-15 t. Plutoniumeinsatz in der Form von MOX in Leichtwasserreaktoren (schwarz). Zum Vergleich die Plutoniumbestände im militärischen Bereich (schraffiert).

Mittlerweile sind jedoch erhebliche zeitliche Verzögerungen gepaart mit einer Kostenexplosion zu verzeichnen. Nunmehr wird mit Kosten von über 4 Mrd. $ in Russland und mehr als 10 Mrd. $ in den USA gerechnet (vormals 2 Mrd. bzw. 4 Mrd.). Der Zeitplan verschiebt sich in Russland auf einen Start der MOX-Fertigung im Jahr 2018 und ein Ende des Programms im Jahr 2040. In den USA wird ein Start der MOX-Fertigung nunmehr für 2016 angesetzt. Mit dem Bau der MOX-Anlage wurde erst Ende 2007 begonnen.

Sowohl die Zeit- als auch die Kostenplanung ist damit in beiden Ländern drastisch gescheitert. Bald zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges ist bis heute außer für Testzwecke noch kein Gramm russischen oder US-amerikanischen Waffenplutoniums beseitigt worden.

Im zivilen Bereich wird heute etwa dieselbe Menge Plutonium gelagert wie im militärischen Bereich, wobei diese Menge in den letzten Jahren kontinuierlich anstieg. Nur etwa 10 t Plutonium werden zurzeit pro Jahr wieder als MOX in LWR eingesetzt. Ein wesentlicher Grund für die relativ geringen Umsatzmengen ist, dass die Nutzung von MOX in LWR für die Betreiber unwirtschaftlich ist. Dennoch geht die Wiederaufarbeitung von Brennstoffen und damit die Abtrennung von Plutonium in den großen Wiederaufarbeitungsanlagen weiter (siehe Abb. 1).

Einen besonderen Engpass zum Abbau von Plutonium stellen darüber hinaus die wenigen vorhandenen Anlagen zur MOX-Herstellung (in Frankreich und Großbritannien) mit einer derzeitigen Verarbeitungskapazität von ca. 10-14 t Plutonium/Jahr dar. Eine weitere Steigerung des Produktionspotenzials ist erst mit Inbetriebnahme einer geplanten japanischen Anlage zur MOX-Herstellung zu erwarten. Gleichzeitig wird aber durch die Inbetriebnahme der neuen japanischen Wiederaufarbeitungsanlage auch die Menge an neu separiertem Plutonium weiter zunehmen. Ein Abbau der vorliegenden Bestände rückt damit nochmals in weitere Ferne.

Deutschland hat durch seinen Beschluss zur Beendigung der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstoffe den Neuanfall an separiertem Plutonium in deutscher Verantwortung begrenzt. Nach Angaben der Betreiber deutscher Anlagen können die bisher vorliegenden und noch anfallenden Mengen an abgetrenntem Plutonium bis 2013 in der Form von MOX in deutschen Reaktoren eingesetzt werden. Auch in den Kernenergie befürwortenden Staaten besteht heute weder aus ökonomischer Sicht noch aus Mangel an Spaltmaterial eine Notwendigkeit zur Plutoniumrückgewinnung durch Wiederaufarbeitung. Daher sollten andere Staaten dem deutschen Beispiel folgen und zumindest ein Moratorium zum Verzicht auf weitere Abtrennung von Plutonium beschließen.

Hoch angereichertes Uran

Auch im Falle des Highly Enriched Uranium (HEU) bietet sich die getrennte Betrachtung der Produktionstechnologien und der Bestände und Beseitigungskonzepte an; letztere werden ebenfalls hinsichtlich der zivilen und der militärischen Nutzung unterschieden.

Produktionstechnologien

Natürlich vorkommendes Uran enthält fast ausschließlich das Uranisotop Uran-238 und nur zu einem sehr geringen Teil (0,7%) das spaltbare Isotop Uran-235. Für Reaktorbrennstoff in kommerziellen LWR muss der Anteil des spaltbaren Uran-235 erhöht werden. In der Regel ist eine Anreicherung des Uran-235 auf 3,5 bis 4% für diesen Reaktorbrennstoff ausreichend und es gehört damit zur Kategorie des niedrig angereicherten Urans (Low Enriched Uranium, LEU). Als hoch angereichert (HEU) wird Uran dann bezeichnet, wenn in der Isotopenmischung mehr als 20% U-235 enthalten sind. Für die Verwendung in Kernwaffen wird typischerweise eine Anreicherung auf etwa 90% Uran-235 verwendet. HEU kann, im Unterschied zu Plutonium, auch in Kernwaffen mit besonders einfacher Technik, sogenannten »Gun-Type«-Waffen2, eingesetzt werden und stellt daher nochmals ein besonderes Risiko der Abzweigung dar. HEU mit dieser Anreicherung wird jedoch nach wie vor auch in zivilen Anwendungen genutzt, so in Brennstoffen für zivile Forschungsreaktoren, für Schiffsreaktoren und zur Produktion von medizinischen Isotopen.

Zur Anreicherung des Urans kommen verschiedene industriell verfügbare Technologien zum Einsatz. Wurden in der Vergangenheit hauptsächlich die großen und energiezehrenden Gasdiffusionsanlagen sowohl zur Herstellung ziviler Brennstoffe als auch für militärische Zwecke genutzt, werden diese nun zunehmend durch die kleineren und energieeffizienteren Gasultrazentrifugenanlagen abgelöst. Die in Hinsicht auf Proliferation problematischen Zentrifugenanlagen sind allerdings schwerer zu überwachen, nur schwer aus der Entfernung detektierbar und lassen sich im Vergleich zu Diffusionsanlagen relativ einfach von einer zivilen Nutzung zur Herstellung von Reaktorbrennstoff auf eine militärische Nutzung zur Herstellung von HEU umkonfigurieren. Gerade der internationale Streit um das iranische Kernenergieprogramm mit der Zentrifugenanreicherungsanlage in Natanz zeigt, wie sensitiv der Besitz und die Beherrschung der Zentrifugentechnologie bezüglich der Befürchtung sind, diese könnte für einen militärischen Zweck genutzt werden.

Bestände und Beseitigungskonzepte

Im Gegensatz zu den technisch anspruchsvollen Konzepten der Plutoniumbeseitigung kann HEU recht einfach durch Verdünnung mit Natururan oder abgereichertem Uran wieder in LEU überführt werden. Dieses LEU ist damit praktisch nicht mehr als Spaltstoff für Kernwaffen verwendbar, steht jedoch zugleich als Brennstoff für zivile Reaktoren zur Verfügung. Der Anreicherungsprozess ist also umkehrbar und das Verfahren kann sogar ökonomisch gewinnbringend eingesetzt werden.

Die weltweiten HEU-Bestände betragen in etwa 1.700 t mit einer Unsicherheit von ±300 t, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass für die militärischen russischen Bestände lediglich Schätzungen vorliegen. Nur etwa 100 t davon befinden sich im zivilen Brennstoffkreislauf in Forschungsreaktoren und in Schiffsreaktoren. Rund 99% der weltweiten HEU-Bestände besitzen die Kernwaffenstaaten, nur etwa 10 t befinden sich in Nicht-Kernwaffenstaaten. In Deutschland befinden sich derzeitig 140 kg frisches und 730 kg abgebranntes HEU (2006).

Die USA haben einen militärischen Bestand von etwa 478 t HEU deklariert, wovon 250 t weiterhin für Kernwaffen vorgesehen sind. Unter der Annahme, dass sich der Großteil des Materials in den Gefechtsköpfen der aktiven Arsenale und der Reserve des amerikanischen Kernwaffenprogramms befindet, entspricht dies in etwa einer Menge von 10.000 verbleibenden Kernwaffen. Von den restlichen 228 t HEU wurden 100 t bereits als Brennstoff für Schiffsreaktoren genutzt und die verbleibenden 128 t sollen die Reaktoren der amerikanischen Flugzeugträger- und Unterseebootflotte für die nächsten 40-60 Jahre antreiben. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden 374 t HEU als überschüssig für den Gebrauch im Kernwaffenprogramm gekennzeichnet, darin sind die reservierten 128 t für Schiffsantriebe schon enthalten. Etwa 202 t dieses Überschusses und weitere 7 t aus Forschungsreaktoren sollen wieder zu LEU verdünnt und somit tatsächlich beseitigt werden. Bis dato sind auf diesem Weg etwa 87 t militärisches HEU dem zivilen Kernenergieprogramm der USA als LEU-Reaktorbrennstoff zugeführt worden. In den zivilen Kreislauf wurden des Weiteren 20 t überführt und dienen als Brennstoff für Forschungsreaktoren und für das Weltraumprogramm der USA. Weitere 23 t HEU befinden sich in abgebranntem Brennstoff und sollen in ein Endlager verbracht werden.

Neben den USA befindet sich der überwiegende Anteil an militärischem HEU in Russland. Grobe Schätzungen gehen von einem Bestand von etwa 400-1.000 t HEU im militärischen Bereich aus und von einer Reserve für marine Zwecke von 100 t. Russland hatte schon 1993 500 t HEU aus militärischen Beständen als überschüssig deklariert. Von den anfänglich 500 t wurden 275 t bis 2006 zu LEU verdünnt, von den USA aufgekauft und dem zivilen Nuklearprogramm als Brennstoff zugeführt.

Großbritannien deklariert seinen militärischen HEU Bestand mit 21,9 t. Weitere Abschätzungen durch Nichtregierungsorganisationen über nennenswerte militärische Bestände an HEU liegen noch für Frankreich (30 t), China (20 t), Indien (0,2 t) und Pakistan (1,3 t) vor. Während die offiziellen Kernwaffenstaaten ihre Produktion von HEU zurzeit eingestellt haben, wird in Indien und Pakistan noch weiter HEU für die militärischen Arsenale produziert. Insgesamt wird der Bestand an militärischem HEU seit dem Ende des Kalten Krieges tatsächlich reduziert. Das Äquivalent von etwa 14.500 Gefechtsköpfen mit je 25 kg HEU wurde somit bisher beseitigt. Dennoch enthalten die russischen wie die amerikanischen militärischen Bestände auch in Zukunft noch Material für Zehntausende Kernwaffen auf HEU-Basis.

Derzeit liegen weltweit noch etwa 100 t HEU im zivilen Bereich vor. Der größte Teil davon wird als Brennstoff in Forschungsreaktoren und zum Betrieb der Reaktoren der neun zivilen russischen Eisbrecher der Nordmeerflotte eingesetzt. Obwohl die 100 t HEU im zivilen Bereich nur einen Bruchteil der gesamten Bestände an HEU darstellen, geht gerade von diesen Beständen eine Gefahr aus. Das Material würde für den Bau von mehr als 4.000 Kernwaffen ausreichen. Zudem liegt es weltweit verteilt in etwa 40 Ländern an ca. 100 Standorten vor und diese weisen oft nicht dieselben Sicherungsmaßnahmen auf wie Bestände im militärischen Bereich.

Seit den 70er Jahren gibt es daher weltweite Bemühungen, die Nutzung von HEU im zivilen Bereich zu minimieren. Vor allem das RERTR-Programm (Reduced Enrichment for Research and Test Reactors) hat wesentlich dazu beigetragen, dass bisher 43 ehemals HEU-betriebene Forschungsreaktoren auf niedrigangereichertes Uran (LEU) umgestellt wurden. Bis zum Jahr 2007 wurde somit in 16 Ländern die HEU-Nutzung eingestellt. Letztes Ziel ist jedoch der »global cleanout«, d.h. der weltweite Verzicht auf die Nutzung von HEU in zivilen Anlagen, mit den einhergehenden Transporten und der Lagerung von direkt waffentauglichem Material in zivilen Einrichtungen.

Aufgrund einer verschärften Bedrohungswahrnehmung in der Nachfolge des 11. September wurden etliche zusätzliche Programme aufgelegt. Nach dem Treffen der Präsidenten Putin und Bush in Bratislava 2005 wurde die »Global Threat Reduction Initiative« (GTRI) gegründet, in die das RERTR-Programm neben einer Reihe von weiteren Maßnahmen integriert ist. Das RERTR-Programm zur Umrüstung von Forschungsreaktoren wurde mit mehr Mitteln ausgestattet und ein aggressiver Zeitplan ausgearbeitet, der vorsieht, zunächst 64 weitere HEU-Reaktoren bis 2014 auf LEU umzustellen. Bis zu einem tatsächlichen globalen Verzicht der HEU-Nutzung ist es allerdings noch ein langer Weg.

Eine Umrüstungsverpflichtung (bis 2010) gibt es auch für den neu gebauten Forschungsreaktor Maier-Leibnitz in München (FRM-II), der entgegen den internationalen Bemühungen der letzten Jahrzehnte und trotz jahrelanger heftiger Kontroversen im Jahr 2004 mit HEU-Brennstoff in Betrieb genommen wurde. Der Reaktor verbraucht seither im Schnitt 40 kg HEU pro Jahr und gehört damit zu den Top Ten der zivilen HEU nutzenden Einrichtungen weltweit. Die Umrüstung ist technisch schwierig und im Wesentlichen von neuen hochdichten Brennstoffen abhängig, die derzeitig weltweit mit Millionenaufwand zur Umstellung von Forschungsreaktoren entwickelt werden. Ziel der Umrüstungsbemühungen des FRM-II sollte eine Minimierung der Anreicherung möglichst auf 20% (LEU) sein, ohne die wissenschaftliche Nutzung des Reaktors allzu sehr einzuschränken. Mit einer Umstellung auf nur 50% Anreicherung wäre das Ziel verfehlt, weltweit auf die Verwendung von HEU im zivilen Bereich verzichten zu können.

Zusammenfassung und zukünftige Aufgaben

Die derzeitige weltweite Verbreitung sensitiver Nukleartechnologien (Anreicherung mit Ultrazentrifugen, Wiederaufarbeitung) in der zivilen Atomenergienutzung, die den Direktor der IAEO, Mohamed ElBaradei, dazu veranlasste von 40 virtuellen Kernwaffenstaaten zu sprechen, sowie der Bestand von großen Mengen an separiertem Plutonium und HEU stellen ein akutes Problem für die internationale Sicherheit dar. Sie sind das Ergebnis der allgemeinen technologischen Entwicklungsdynamik in Verbindung mit einer unzureichenden Nichtverbreitungs- und Abrüstungspolitik.

Die Halden an separiertem zivilem Plutonium steigen kontinuierlich an und ein Ende des Anwachsens ist trotz der Nutzung als MOX in LWR bisher nicht in Sicht. Ein ziviles Moratorium bei der Abtrennung von Plutonium wäre daher notwendig, um wenigstens das weitere Anwachsen zu stoppen. Zur Vermeidung der Nutzung von HEU im zivilen Bereich wurden zwar in den letzten Jahren existierende Programme deutlich beschleunigt. Sie können jedoch angesichts vieler Ausnahmen nach wie vor kaum als umfassend bezeichnet werden. Die tatsächliche Umsetzung eines globalen Verzichts auf die Nutzung von HEU muss daher weiter forciert werden.

Nicht zu vergessen sind auch die weiterhin vorhandenen militärischen HEU- und Plutoniumbestände der offiziellen Kernwaffenstaaten. Zwar findet derzeit keine Neuproduktion in den offiziellen Kernwaffenstaaten statt. Die Beseitigung des als Überschuss deklarierten militärischen Plutoniums in den USA und in Russland hat jedoch noch nicht einmal begonnen, der Abbau der Bestände wird noch Jahrzehnte benötigen. Zur Beschleunigung dieses Abbaus sollten daher auch weitere technische Alternativen vorangetrieben werden. Die Vernichtung der überschüssigen militärischen HEU Bestände verläuft in den USA ebenfalls schleppend. Auch für den Betrieb von Schiffsreaktoren wurden von Russland und den USA große Mengen HEU zurückgehalten. Ohne einen radikalen Abbau der vorliegenden Bestände an Spaltmaterial ist eine dauerhafte nukleare Abrüstung nicht zu realisieren.

Entgegen ihrer im Nichtverbreitungsvertrag eingegangenen Verpflichtung zur vollkommenen Abrüstung der Nuklearwaffenarsenale haben diese Staaten darüber hinaus alle Modernisierungsprogramme für ihre Kernwaffenarsenale aufgelegt. Die Konservierung von immensen Beständen an Spaltmaterial, ausreichend für Kernwaffenbestände weit über die Vereinbarungen z.B. des SORT-Vertrages hinaus, in Verbindung mit Modernisierungsprogrammen für die Kernwaffenarsenale lässt nur den Schluss zu, dass die Kernwaffenstaaten wohl langfristig zur Wahrung ihrer Interessen auf Nuklearwaffenarsenale nicht verzichten möchten.

Anmerkungen

1) Beim Implosionstyp ist das Spaltmaterial in einer Hohlkugel enthalten. Die für die Kettenreaktion erforderliche kritische Masse wird durch ein Zusammendrücken der Kugel (Implosion) erreicht. Die Plutoniumbombe von Nagasaki funktionierte nach diesem Prinzip.

2) Bei einer »Gun-Type«-Waffe werden zwei für sich jeweils subkritische Mengen Spaltmaterial aufeinander gefeuert, um eine kritische Menge zu erreichen, die eine unkontrollierte Kettenreaktion auslöst. Auf Hiroshima wurde eine Uranbombe dieses Typs abgeworfen.

Matthias Englert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt. Christoph Pistner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut Darmstadt. Beide sind Vorstandsmitglieder des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS).

Hoffnung auf verbesserte Verifikation

Hoffnung auf verbesserte Verifikation

Spaltmaterialproduktion und Teststopp

von Ole Roß, Heiner Daerr, Martin B. Kalinowski, Markus Kohler und Enno Peters

Die Wirksamkeit internationaler Verträge zur Kontrolle von Nuklearwaffen, deren Technologie oder nuklearwaffenfähigem Material steht und fällt mit der Wirksamkeit der Verifikation. Angeblich unzureichende Verifikationsmethoden waren immer wieder ein Argument der Gegner des Umfassenden Teststoppvertrages und anderer Verträge. Aktuell halten Vertreter der USA die Verifikation eines Abkommens für ein Verbot der Produktion von waffenfähigem spaltbarem Material für unmöglich und lehnen es daher ab. Die Verbesserung bestehender und die Entwicklung neuer naturwissenschaftlicher Methoden zur Überprüfung von nuklearen Rüstungskontrollverträgen ist eine zentrale Aufgabe, denn verlässliche technische Überwachungsmittel fördern das Vertrauen unter den Vertragspartnern und damit die Bereitschaft zur nuklearen Abrüstung.

Im Folgenden werden die Überwachung des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) und des Umfassenden Teststoppvertrages vorgestellt. Anschließend wird auf Erfordernisse und mögliche Neuentwicklungen eingegangen, insbesondere im Hinblick auf die Verifikation eines künftigen Produktionsverbots für Spaltmaterial zum Waffenbau.

Verifikation des Nichtverbreitungsvertrages

Zur Verifikation des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages verfügt die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) über eine Reihe von etablierten Methoden zur Kontrolle von Produktion und Beständen von kernwaffenrelevanten Spaltmaterialien. Die ursprünglich eingeführten klassischen Sicherungsmaßnahmen, fixiert in länderspezifischen Safeguards Agreements, haben sich allerdings in der Vergangenheit als nicht ausreichend erwiesen. Wenn beispielsweise die Anreicherung von Uran nicht aufgedeckt werden kann, weil die nötigen technischen Verfahren oder auch nur die rechtlichen Grundlagen zur Nutzung vorhandener Verfahren fehlen, besteht die Möglichkeit zu verborgener Aktivität, wie im Falle des Iran, dessen nicht-deklariertes Nuklearprogramm erst im Jahre 2002 von einer Oppositionsgruppe enthüllt wurde.

Nachdem infolge des Irakkriegs von 1991 das geheime irakische Nuklearprogramm bekannt geworden war, arbeitete die IAEO 1997 einen Modellentwurf für ein Zusatzprotokoll zum Sicherungsabkommen aus, zu dem sich die Unterzeichnerstaaten des NVV freiwillig verpflichten können. Das Protokoll sieht erweiterte Sicherungsmaßnahmen – z.B. Zugangsmöglichkeiten zu Nuklearanlagen für IAEO-Inspektoren innerhalb von 24 Stunden – und umfassendere Deklarationspflichten vor. Der Modellentwurf bietet die Basis für jeweils spezifische Vereinbarungen zwischen den einzelnen Ländern und der IAEO. Bis November 2007 traten in 84 der 160 Staaten, die bereits ein umfassendes Sicherungsabkommen mit der IAEO hatten, Zusatzprotokolle in Kraft. Alle offiziellen Nuklearwaffen-Staaten (USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland) haben ein – allerdings stark abgeschwächtes und daher eher symbolisches – Zusatzprotokoll unterzeichnet, in Kraft getreten ist es bisher aber nur in Frankreich, China und Großbritannien.

Durch die strengere Informationspflicht über bestehende und geplante Anlagen und nukleares Material sowie zusätzliche Kontrollmaßnahmen soll die IAEO nicht nur in die Lage versetzt werden, die Angaben über nukleare Aktivitäten und Materialien eines Staates zu überprüfen, sondern auch undeklarierte Aktivitäten und Anlagen zu entdecken. Letzteres war in den bisherigen Sicherungsabkommen nicht vorgesehen. Sie beruhten vielmehr auf der Annahme, dass die Staaten wahre und vollständige Angaben über ihren Nuklearsektor machen.

Eine Neuerung ist die Möglichkeit, zum Aufspüren geheimer Nuklearprogramme innerhalb und außerhalb deklarierter Anlagen Umweltproben zu entnehmen. Derzeit sind in zu inspizierenden Anlagen so genannte »swipe samples« (Wischproben) erlaubt, um relevante Isotope (z.B. nicht natürlich vorkommende Transurane) aufzuspüren, die bei der Produktion von waffenfähigen Materialien anfallen. Die Wischproben ermöglichen Probennahme an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Anlass. Grundsätzlich gibt es auch die Möglichkeit weiträumiger Probennahmen an mehreren Orten über einen längeren, aber begrenzten Zeitraum. Letzteres wurde allerdings vom Board of Governors, dem obersten Entscheidungsgremium der IAEO, bislang nicht bewilligt.

Der Umfassende Teststoppvertrag

Ein Beispiel für den erfolgreichen Aufbau eines technischen Verifikationssystems liefert der umfassende Teststoppvertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, CTBT), der die Durchführung jeglicher Nuklearexplosion, also auch der unterirdischen, untersagt. Als dieser Vertrag 1996 bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Unterzeichnung ausgelegt werden konnte, ging ein zäher mehrjähriger Verhandlungsmarathon zu Ende. Einer der wesentlichen Streitpunkte war die Frage nach einem wirkungsvollen Verifikationssystem. NaturwissenschaftlerInnen trugen mit ihren Forschungsergebnissen erheblich dazu bei, dass ein solches durchgesetzt werden konnte.

Bis November 2007 haben den Vertrag 177 Staaten gezeichnet und 140 Staaten ratifiziert. Verbindlich wirksam ist er dennoch nicht. Dafür bedarf es der Ratifizierung durch alle 44 im Annex 2 genannten Staaten, deren Teilnahme notwendige Bedingung für das Inkrafttreten ist. Von diesen fehlen noch Ägypten, China, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Kolumbien, Nordkorea, Pakistan und die USA. Den Grundpfeiler des Verifikationssystems bildet das technische Überwachungsnetz (International Monitoring System, IMS) aus insgesamt 321 Messstationen, das bereits zu zwei Dritteln fertig gestellt ist und Daten u.a. an die Vorbereitungskommission der Vertragsorganisation (CTBTO) in Wien liefert. Hierbei werden vier komplementäre Methoden verwendet: Mittels Seismologie (Erdbeben- und Erschütterungswellen), Hydroakustik (Wasserschallwellen), Infraschallmessungen (Wellen sehr tiefer Frequenz) und Radionuklidmessungen (Produkte der Kernspaltung) sollen unerlaubte Kernexplosionen entdeckt und nachgewiesen werden.

Die Daten der wellenbasierten Techniken laufen in nahezu Echtzeit im internationalen Datenzentrum des vorläufigen technischen Sekretariats der CTBTO zusammen und können in einer Netzwerkanalyse zur Bestimmung von Zeit und Ort des Ereignisses, von dem die Signale ausgingen, genutzt werden. Bei den Radionukliden (radioaktive Partikel und gasförmige Spaltprodukte) besteht die Herausforderung darin, mit Hilfe von meteorologischen Modellen deren Ausbreitung in der Atmosphäre zu simulieren und Radioisotopen, die an den Messstellen entdeckt werden, mögliche Quellregionen zuzuordnen. Je länger aber die angenommene Transportzeit von der Quellregion zur Messstation, desto ungenauer wird die Zuordnung. Auch hier gelingt durch die Kombination mehrerer Messungen, möglichst an verschiedenen Standorten, eine Eingrenzung der wahrscheinlichen Quellregion und Emissionszeit. Am Ende der Auswertungskette steht dann die Zusammenführung der Daten zur möglichst umfangreichen Charakterisierung eines Ereignisses. Das Urteil darüber, ob es sich um einen Kernwaffentest gehandelt haben könnte, obliegt aber den Mitgliedsstaaten, die von der CTBTO mit einer neutralen technischen Analyse versorgt werden.

Indizien oder eindeutiger Beweis?

Ein wichtiger Indikator eines Kernwaffentests sind radioaktive Xenon-Isotope. Diese werden allerdings nicht nur bei Nuklearexplosionen, sondern auch im Normalbetrieb von Kernkraftwerken sowie bei der Produktion von (beispielsweise medizinischen) Isotopen freigesetzt. Bei der Überwachung des Teststoppvertrags besteht die Herausforderung also darin, die Xenon-Emission richtig zuordnen zu können. Mit großräumigen Radioxenonmessungen gibt es bisher kaum Erfahrungen. Dementsprechend lückenhaft ist die Kenntnis des globalen Radioxenongehalts der Atmosphäre. Auch die Zeitpunkte und Größen der Xenon-Emissionspulse von Kernkraftwerken und Isotopenproduktionsfabriken sind nur unzureichend bekannt, denn diese müssen nicht deklariert werden. Daher wird im Rahmen des International Noble Gas Experiment seit 1999 zum einen die Xenon-Messtechnik für die Stationen des Überwachungsnetzes evaluiert und optimiert, zum anderen aber auch ein besseres Verständnis der auftretenden Konzentrationsspitzen aus zivilen Quellen angestrengt, die beim Überwachungssystem der CTBTO keinen Fehlalarm auslösen dürfen. Mit Hilfe atmosphärischer Transportmodelle werden die wahrscheinlichsten Quellregionen für die Messergebnisse bestimmt. Diese werden desto unsicherer, je länger der betrachtete Zeitraum ist. Bei der Überwachung des Teststoppvertrages handelt es sich um Tage bis zu wenigen Wochen.

Ein anderes interdisziplinäres Forschungsfeld zur Unterstützung der Teststoppverifikation untersucht, wie Spaltedelgase, die bei einer Nuklearexplosion entstehen, durch Gestein und Erdreich diffundieren. Das Verständnis der Mechanismen, durch welche die Edelgase an die Oberfläche gelangen, hilft bei der Planung von Bodenprobenahmen bei Vor-Ort-Inspektionen, der letzten Stufe der Teststoppverifikation. Auch hier gibt es natürliche Quellen aus dem spontanen Zerfall von Uran-238 in der Erdkruste, die zur Bewertung der gemessenen Signale verstanden werden müssen.

Die Charakterisierung, ob gemessene Xenon-Isotope von einer Nuklearexplosion oder einer anderen Quelle herrühren, ist sehr kompliziert. Dabei ist es hilfreich, dass die vier für den Nachweis von Kernspaltung relevanten Isotope Xe-131m, Xe-133, Xe-133m und Xe-135 unterschiedliche Halbwertszeiten von 9 Stunden bis zu 12 Tagen aufweisen und das Mengenverhältnis, in dem diese Isotope bei einer Kernspaltung entstehen, bekannt ist. Entsprechend kann man unter der Annahme, dass man es nur mit einer Quelle zu tun hat, über die Messung der verschiedenen Isotope auf den Zeitpunkt einer vermuteten Explosion schließen.

In der Realität funktioniert allerdings der ursprünglich von der Teststoppkommission verfolgte Ansatz, lediglich die Konzentration von zwei der vier Isotope zu messen, nicht: Der Charakter der Quelle ließ sich so nicht eindeutig feststellen. Ein viel versprechender Weg hingegen ist es, alle vier Isotope zu messen und dann die Konzentrationsverhältnisse von jeweils zwei der vier Isotope zu kombinieren. Dadurch lassen sich Kraftwerksemissionen eindeutig von denen aus Nuklearexplosionen unterscheiden, es bleibt jedoch eine Ambiguität zu den Emissionen von Isotopenfabriken.

Zudem ist ein viel grundsätzlicheres Problem bislang ungelöst: Die Messung aller vier Isotope ist an sich schon schwierig, da diese unterschiedlich gut nachzuweisen sind und insbesondere das kurzlebige Xe-135 rasch bis unter die Nachweisgrenze zerfällt. Hinzu kommt, dass sich die Abluftfahne eines etwaigen Kernwaffentests mit möglichen Hintergrundkonzentrationen zivilen Ursprungs vermischen kann und die Messergebnisse dadurch an Eindeutigkeit verlieren. Deshalb sollte für jede Messstation eine dynamische Hintergrundanalyse erstellt werden, in die folgende Faktoren einfließen: zivile Emissionen, Ergebnisse meteorologischer Ausbreitungsrechnungen und Charakteristik der Konzentrationserhöhungen, die beim Regelbetrieb kerntechnischer Anlagen auftreten. Durch die Kombination verschiedener Methoden und mehrerer Stationen lässt sich letztlich doch für die meisten Situationen eine belastbare Quellzuordnung erreichen.

Kernwaffenfähiges Material – neue technische Möglichkeiten und Erfordernisse

Das Entdecken von undeklarierten nuklearen Anlagen und Materialien gestaltet sich seit jeher schwierig und wird erst durch das Zusatzprotokoll der IAEO erleichtert. Es bleiben dennoch einige Herausforderungen bei der Detektierung geheimer Aktivitäten, die zu einer Kernwaffe führen könnten. Es gibt mehrere Wege zur Bombe, die vollständig erfasst werden müssen, um eine Verbreitung stoppen zu können. Schon allein die mögliche Verwendung von Uran oder Plutonium als Bombengrundstoff zwingt die Kontrolleure, auf zwei völlig unterschiedliche Weisen tätig zu werden.

Uran als einzig natürlicher Kernbrennstoff ist in seinem ursprünglichen Zustand zunächst unkritisch. Erst eine Anreicherung von Uran-235 auf über 20% (Standard für die Bombe: >80%) lässt den Bombenbau praktikabel werden. Dies kann man nur mit sehr aufwändigen Anreicherungsmethoden erreichen, die unter Umständen keine spezifischen Signaturen, wie Wärme, in der Umwelt hinterlassen. Die derzeit einzige Methode zur Entdeckung solcher Aktivitäten besteht im Einsatz von Satelliten. Da die IAEO über kein eigenes Satellitensystem verfügt, ist sie vom Erwerb der Bilder von Satellitenbetreibern und von Informationen der Mitgliedstaaten abhängig. Wie einige Fälle in jüngster Zeit jedoch gezeigt haben, werden diese Informationen aufgrund eigener Interessen der einzelnen Staaten nicht immer an die IAEO weiter gegeben. In manchen Fällen war die IAEO sogar auf Informationen von unabhängigen Gruppierungen angewiesen. Beispiele hierfür sind die Urananreicherungsanlage Natanz im Iran und die durch Israel am 6. September 2007 zerstörte angebliche Nuklearanlage in Syrien.

Einfacher als die Suche nach den Verarbeitungsstätten dürfte die Verfolgung des natürlichen Urans sein. Für die Gewinnung von Uran bedarf es nämlich des Abbaues riesiger Gesteinsmengen; je nach Urangehalt kann man aus einer Tonne Erz wenige Kilogramm Uran gewinnen. Ein Kontrollmechanismus inklusive Inventur (Mengenbilanz) an dieser Stelle würde das Abzweigen von Uran erschweren. Auch der Einsatz von Satelliten ist denkbar, um ungemeldete Minen zu entdecken.

Der zweite Weg zur Bombe führt über Plutonium. Dieses kommt in der Natur nicht vor und muss daher erst hergestellt werden. Dies geschieht in einem zivilen oder militärischen Kernreaktor, in welchem Uran-238 ein Neutron einfängt und durch Zerfall zu Plutonium wird. Zur Abtrennung des Plutoniums aus dem bestrahlten Kernbrennstoff bedarf es etlicher chemischer Prozesse. Dabei werden vor allem gasförmige, bei der Kernspaltung entstandene Spaltprodukte freigesetzt. Diese enthalten unter anderem auch radioaktive Edelgase. Von besonderem Interesse ist Krypton-85, das eine Halbwertszeit von 10,7 Jahren besitzt und für welches keine nennenswerten natürlichen Quellen existieren.

Dieses Krypton-85 kann man sich zum Nachweis einer geheimen Plutoniumproduktion zunutze machen. Das gesamte Inventar von Krypton-85 in der Atmosphäre stammt aus der Wiederaufarbeitung von bestrahltem Kernbrennstoff. Da Krypton-85 als Edelgas sehr reaktionsträge ist, lässt es sich kaum filtern oder anderweitig zurückhalten. Eine signifikante Konzentrationserhöhung in einer Abgasfahne von einer allein stehenden Anlage kann man unter Umständen noch in einer Entfernung von deutlich mehr als 100 km nachweisen. Ein weltweites Messnetz ähnlich dem für den Umfassenden Teststoppvertrag würde in einem entsprechend engmaschigen Raster den Kostenrahmen allerdings sprengen. Regionale Anwendungen erscheinen jedoch sinnvoll.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur allgemeinen Kontrolle der spaltbaren Stoffe wäre die Gleichbehandlung der nuklearen Materialien in Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten. Dies sollte durch ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material gewährleistet werden, welches die Waffenstaaten dazu verpflichtet, ihre Produktionsanlagen nicht mehr für die Herstellung von Bombenmaterial zu nutzen und dies auch überprüfen zu lassen. Auf Verhandlungen über einen solchen Produktionsstopp konnte sich die Völkergemeinschaft bei der Genfer Abrüstungskonferenz allerdings seit vielen Jahren nicht einigen (siehe Tab. 1).

Tabelle 1 Detektierbarkeit der verschiedenen
Prozessschritte zur Erzeugung
von spaltbarem Material
Satelliten-
aufnahmen
Umweltproben
Sichtbares
Licht
Infrarot An der
Anlage
Regionales
Messnetz
Plutonium-
erzeugung
Reaktor Ja Ja Ja Ja
Aufbereitung Nein Nein Ja Größere
Anlagen
Uran-
anreicherung
Konversion Nein Nein Ja Größere
Anlagen
Calutron /
EMIS
Nein Ja Ja Nein
Gasdiffusion Ja Ja Wahr-
scheinlich
Nein
Zentrifugen Nein Nein Unwahr-
scheinlich
Nein
Quelle: International Panel on Fissile Material: Global
Fissile Material Report 2007, Chapter 9.

Konkrete technische Möglichkeiten

Die erwähnte Möglichkeit, eine geheime Plutoniumproduktion über Krypton-85-Messungen in der Atmosphäre aufzuspüren, stellt eine vielversprechende Überwachungsmethode dar. Eine Expertenrunde der IAEO kam daher 1996 zu der Beurteilung, dass Krypton-85 der bestgeeignete Indikator für die Plutoniumabtrennung sei, ein regionales Messnetz allerdings (noch) zu teuer.

Ein möglicher Einsatz des Krypton-85-Verfahrens ist das Aufstellen eines Rasters von permanenten Messstationen in einem begrenzten Gebiet, die kontinuierlich den Krypton-85-Gehalt der Luft überwachen. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Freiburg betreibt bereits seit mehr als 30 Jahren ein globales Messnetz mit derzeit 14 Sammelstationen, die hauptsächlich in Deutschland, aber auch vereinzelt im Ausland, etwa in Spanien, Japan und der Antarktis, aufgestellt sind. Aus den so gewonnenen Daten lassen sich wichtige Schlüsse für die praktische Eignung von Krypton-85 als Verifikationsinstrument ziehen. Eine Fallstudie über die Korrelation von Krypton-85-Messungen am Nationallabor für Hochenergiephysik in Tsukuba und Krypton-85-Emissionspulsen der Wiederaufarbeitungsanlage in Tokai, beide Japan, belegt, dass die Produktion von 8 kg Plutonium (die von der IAEO definierte signifikante Menge für eine Kernwaffe), aufbereitet in einem Zeitraum von etwa einem halben Jahr, erfolgreich nachgewiesen werden kann, wenn die Station 60 Kilometer von der Quelle entfernt steht.

Nur mit systematischen atmosphärischen Ausbreitungsrechnungen kann studiert werden, in welchem Umfang ein lokales Messnetz in einem verdächtigen Gebiet kostengünstig und effektiv realisiert werden kann. Ein Grund für die bisherige Kostenintensivität der Krypton-85-Methode ist, dass der Nachweis auf Betamesstechnik beruht, also auf der Messung der Radioaktivität. Aufgrund der geringen Konzentration von Krypton-85 in der Atmosphäre sind derart große Luftproben erforderlich, dass die Edelgase mit einer speziellen Apparatur bereits im Feld abgetrennt werden müssen, um die Probe ins Labor schicken zu können. Die Probengröße des heutigen BfS-Messnetzes beträgt im Standardbetrieb beispielsweise 10 m³ Luft, der Sammelzeitraum eine Woche. Prinzipiell sind auch kleinere Proben von einigen Hundert Litern möglich, allerdings vergrößert sich dann die Messzeit im Labor.

Am Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) der Universität Hamburg wird derzeit an einer neuen Nachweistechnik gearbeitet, die auf dem Zählen einzelner Kryptonatome in einer Atomfalle mittels Lasermesstechnik beruht (ATTA = Atom Trap Trace Analysis). Mit Hilfe dieser Technik könnte die Probengröße so weit reduziert werden, dass keine Abtrennung im Feld erforderlich ist. Somit würde auch die Probensammlungs- und Messzeit verringert. Dann wäre diese Methode ebenfalls für kurzfristige Feldmessungen an wenigen Standorten geeignet, bei denen Inspektoren im Verdachtsfall kleine Luftproben nehmen. Die ATTA-Messtechnik ermöglicht die Probenahme in einer kleinen 1-Liter-Vakuumflasche, die in ein Labor geschickt und dort ausgewertet wird. Außerdem werden Zufallskontrollen möglich, so wie sie die Inspekteure mit den schon etablierten Wischproben während routinemäßiger Kontrollen durchführen können. Die ATTA-Messtechnik ist daher sehr vielversprechend; inwieweit sie aber funktionieren und sich effizient einsetzen lässt, muss für relevante Szenarien noch mit Hilfe von Transportrechnungen der Ausbreitung von Krypton-85 durch die Atmosphäre gezeigt werden. Insbesondere sollen mit derartigen Simulationen optimale Probennahmestrategien entwickelt werden. Das Hauptproblem ist der hohe Hintergrund aus legalen Wiederaufbereitungsaktivitäten, da das langlebige Kr-85 über Jahrzehnte in der Atmosphäre verbleibt.

Synergien für die Zukunft

Besonders wünschenswert wären Synergieeffekte zwischen dem International Monitoring System des Umfassenden Teststoppvertrags und großräumiger Umweltprobennahme gemäß des Zusatzprotokolls der IAEO. Technisch wäre es möglich, auch die Krypton-85-Gehalte der Luftproben der IMS-Stationen zu bestimmen. Allerdings ist dies bislang politisch nicht gewollt. Eine gemeinsame Herausforderung für beide Verträge besteht in der Quellortung durch atmosphärische Transportrechnungen bei einem beträchtlichen Hintergrund durch legale Emissionen.

Überdies kann das Monitoring-System der Teststopporganisation mit seinen standardisierten kontinuierlichen Messungen in hoher zeitlicher Auflösung rund um den Globus auch für die zivile Wissenschaft eine wichtige Datenquelle sein. So gibt es bereits Zusammenarbeit im Bereich der Tsunami-Warnung. Aber auch die Luftprobenauswertungen der Radionuklidstationen können Umwelt- und Atmosphärenwissenschaftlern helfen. Nachdem innerhalb der Teststopporganisation zunächst immer sehr auf Geheimhaltung gepocht wurde, besteht inzwischen eine entsprechende Kooperationsvereinbarung mit der World Meteorological Organization der Vereinten Nationen, die die prinzipielle Verfügbarkeit der Daten regelt. Es bedarf nur noch einer besseren Bekanntheit der Möglichkeiten unter den Wissenschaftlern – und es fehlt eine Initiative, diese auch zu nutzen.

Weiterführende Informationen

International Panel on Fissile Materials – www.fissilematerials.org

Independent Group of Scientific Experts on the detection of clandestine nuclear-weapons-usable materials production – www.igse.net

International Atomic Energy Agency – www.iaea.org

Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organisation (Preparatory Commission) – www.ctbto.org

Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung, Universität Hamburg – www.uni-hamburg.de/znf

Ole Roß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZNF und promoviert in Meteorologie zur Modellierung der Ausbreitung radioaktiver Edelgase. Heiner Daerr und Markus Kohler sind wissenschaftliche Mitarbeiter am ZNF und entwickeln im Rahmen ihrer Promotion eine Atomfalle zur Ultraspurenanalyse von Kr-85 (ATTA). Enno Peters ist Diplomand beim ATTA-Projekt und nimmt eine Probensammelanlage in Hamburg in Betrieb. Martin B. Kalinowski ist Leiter des Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg (ZNF).

Das iranische Exempel

Das iranische Exempel

Die Zukunft nuklearer Nichtverbreitung

von Wolfgang Liebert und Martin B. Kalinowski

Der Streit um das iranische Nuklearprogramm eskalierte über mehrere Jahre und führte dazu, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bis Ende 2007 bereits drei Resolutionen dazu verabschiedete (Nr. 1696, 1737 und 1747). Da diese Auseinandersetzung exemplarisch für die Krise der nuklearen Nichtverbreitung steht, soll in diesem Artikel zunächst auf die wichtigsten Streitpunkte eingegangen werden. Anschließend wird beschrieben, dass der Kern des Problems, nicht nur im Iran, in der Urananreicherung mittels Gasultrazentrifugen besteht.

Obwohl es sich hierbei um eine extrem proliferationsförderliche Technologie handelt, wird sie jedoch auch von den westlichen (Nuklear-)Industrieländern ungeachtet der Tatsache verwendet, dass hierfür durchaus andere Optionen zur Verfügung stehen. Abschließend sollen deshalb Wege zur Problemlösung vorgestellt und den Vorschlägen der US-Regierung, die auf eine Durchhierarchisierung der Welt hinauslaufen, eine Alternative entgegengesetzt werden.

Die Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm

Der aktuelle Konflikt begann 2003 mit der Aufdeckung umfangreicher nuklearer Aktivitäten, die meldepflichtig waren und der Überwachung durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) bedurften.1 Der Iran hatte somit seine Verpflichtungen aus Artikel 3 des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) verletzt, demzufolge die Nichtkernwaffenstaaten verpflichtet sind, alle nuklearen Materialien vollständig der Kontrolle der IAEO zu unterstellen. So hätte insbesondere eine kleine Anreicherungsanlage, die gebraucht aus Pakistan importiert wurde und Versuchszwecken diente (164 Zentrifugen der 1. Generation), gemeldet und von IAEO-Inspektoren überwacht werden müssen. Jedoch wurden mit dieser Pilotanlage bis zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung lediglich wenige Gramm Uran auf bis zu 1,2% Uran-235 angereichert.

Die entscheidende Frage war, ob auch ein Verstoß gegen Art. 2 des Nichtverbreitungsvertrages vorgelegen hat, demzufolge Nichtkernwaffenstaaten keine Kernwaffen herstellen, was im Vorfeld bedeutet, kein Plutonium oder hochangereichertes Uran zu deren Herstellung zu erzeugen oder abzuzweigen. Dem Iran konnte ein derartiges Vergehen nicht nachgewiesen werden. Zwar wurde ein Urantarget bestrahlt und anschließend Plutonium extrahiert, jedoch hatte es sich um unbedeutende Mengen gehandelt. Auch wurden in Wischproben, die IAEO-Inspektoren vor Ort nahmen, Spuren von hochangereichertem Uran gefunden. Die Erklärung des Iran, diese seien als Kontamination aus Pakistan mit eingeschleppt worden, erwies sich jedoch als glaubhaft. Andererseits gab es zahlreiche Indizien, die eine mögliche militärische Absicht nahe legten. Dazu gehört nicht nur die Geheimhaltung zahlreicher Anlagen und Aktivitäten sondern auch militärischer Schutz für einige Einrichtungen, der aktuell fehlende zivile Bedarf für Anreicherungsprodukte und der Bau eines für die Plutoniumproduktion besonders gut geeigneten Schwerwasserreaktors. Zu jedem dieser Punkte konnte der Iran aber immerhin plausible Erklärungen abgeben.

Aufgrund der Doppelverwendbarkeit sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke sind bestimmte nukleare Materialien und Technologien keine eindeutigen Indikatoren für unerlaubte Absichten. Die einzige Ausnahme ist ein umstrittenes Dokument von 15 Seiten, in dem die Bearbeitung von metallischem Uran zur Herstellung von Halbkugeln beschrieben wird, die in Kernwaffen die zentrale Komponente darstellen, jedoch im zivilen Sektor keinerlei Anwendung finden. Der Iran behauptet, dieses Dokument unaufgefordert von Pakistan mit den Unterlagen für die Anreicherungsanlage geliefert bekommen zu haben, hat es aber erst im Herbst 2007 zur genaueren Analyse an die IAEO ausgehändigt. Momentan bewegt sich der Iran anscheinend wieder mehr Richtung Kooperation und Transparenz. Dennoch bleibt die Frage ungeklärt, ob das Land nicht eine weitere ungemeldete Urananreicherungsanlage besitzt und eventuell doch schon hoch angereichertes Uran produziert hat. Es gibt Hinweise auf die Existenz der so genannten 2. Generation der Zentrifugentechnologie (P2), und in weiteren Wischproben wurden Partikel von hoch angereichertem Uran gefunden. Die P2-Technologie erlaubt eine effizientere Anreicherung als die derzeit im Iran im Aufbau befindliche Gasultrazentrifugenanlage auf P1-Basis. Die IAEO beschreibt diese Fragen in ihrem jüngsten Bericht vom November 2007 folgerichtig als klärungsbedürftig.

Ebenfalls im November 2007 veröffentlichten die Geheimdienste der USA in einem gemeinsamen Dokument ihre Einschätzung, die sich diametral von der letzten Bewertung aus dem Jahr 2005 unterscheidet.2 Demzufolge hat der Iran im Herbst 2003 ein Kernwaffenprogramm mit höchster Wahrscheinlichkeit beendet und bis Mitte 2007 nicht wieder aufgenommen. Frühestens Ende 2009 könnte Material für eine Bombe produziert werden, was aber als sehr unwahrscheinlich eingestuft wird. Als Beleg für das Vorhandensein eines Waffenprogramms wurden zunächst im Jahr 2003 abgehörte Telefongespräche angeführt. Dass damit ein Beweis für einen Bruch des NVV erbracht worden wäre, bleibt zweifelhaft.

Alle nuklearen Materialien und Anlagen, die im Iran entdeckt wurden, werden heute von Inspekteuren der IAEO überwacht. Sorge bereitet aber, dass es möglicherweise weitere geheime Nuklearaktivitäten im Iran geben und dass diese militärischen Zwecken dienen könnten. Diese Bedenken gewinnen aufgrund der Erfahrung an Gewicht, dass die IAEO die meisten ungemeldeten Aktivitäten nicht ohne Hilfe von außen aufdecken konnte. Daher werden Bemühungen intensiviert, durch neue Messtechnik die Fähigkeit der Inspektionsbehörde zu verbessern, heimliche nukleare Aktivitäten aufzuspüren.3

Der technologische Kern

Der technologische Kern der Sorgen um das iranische Nuklearprogramm ist ohne Zweifel die Bemühung im Iran, die Urananreicherung mit Hilfe von Gasultrazentrifugen zu beherrschen und entsprechende Anlagen aufzubauen. Keine der bekannten Anreicherungstechnologien ist in der Lage, Natururan in einem Schritt in hochangereichertes Uran (i.d.R. in der Größenordnung von 80-95% Anreicherung) für Waffenzwecke zu verwandeln. Daher sind viele Anreicherungsstufen notwendig, die hintereinander geschaltet werden müssen. Die riesigen, energiefressenden Gasdiffusionsanlagen aus den frühen Waffenprogrammen wurden später die »Arbeitspferde« der Urananreicherung für die Produktion von schwach angereichertem Reaktorbrennstoff.4 Seit den 1970er Jahren werden aber immer mehr kommerzielle Zentrifugenanlagen zur Urananreicherung aufgebaut. Eine Vorreiterrolle bekam hier das britisch-deutsch-niederländische Konsortium URENCO, das inzwischen die sechste und damit erheblich verbesserte Zentrifugengeneration in ihren Anlagen installiert. Frühe Versionen der URENCO-Technologie sind auch in Länder mit Atomwaffenambitionen gelangt. Herausragender Fall ist das pakistanische Atomprogramm, über das die entsprechende Technologie auch an andere Länder weiter geben wurde – darunter an den Iran.5

Der »Siegeszug« der Zentrifugentechnologie, der sich momentan vollzieht, ist vom Standpunkt der nuklearen Nichtverbreitung und irreversiblen nuklearen Abrüstung als besonders riskant einzuschätzen. Diese Technologie ist erstens besonders effektiv, da der Trennfaktor und der Durchsatz jeder einzelnen Zentrifuge sehr hoch sind; insbesondere reichen bereits etwa ein Dutzend Trennstufen, um zu schwach angereichertem Reaktorbrennstoff zu gelangen, und etwa 50 Stufen, um zu hochangereichertem Waffenstoff zu kommen (bei Diffusionsanlagen sind es etwa 1.000 bzw. 3.000 Stufen). Zweitens sind Zentrifugenanlagen, die für die Reaktorbrennstoffproduktion ausgelegt sind, relativ leicht und schnell auf die Produktion von Waffenstoff umstellbar. Drittens steht die Entdeckbarkeit von kleineren, geheimen Anlagen in Frage, da der Flächenbedarf und der Energiebedarf, der sich im Wärmebild der Anlage zeigt, sehr viel kleiner ist als bei Diffusionsanlagen. Viertens steht die Effektivität der Sicherungsmaßnahmen der IAEO in Frage, wie Experten aus der Fachszene von Zeit zu Zeit betonen.6

Um eine bestimmte Zielanreicherung zu erreichen, muss die Anordnung der Zentrifugen in einer Anlage optimiert werden. Wird eine kleinere Anlage (einige Tausend Zentrifugen) mit Zentrifugentechnologie der 1. oder 2. Generation, die zur Produktion von Reaktorbrennstoff ausgelegt ist, durch mehrfaches wieder Einfüttern des angereicherten Produkts zur Hochanreicherung umgenutzt, so können nur geringfügige Mengen an Waffenstoff pro Jahr produziert werden. Dies macht also zunächst nicht so große Sorgen. Erst wenn eine größere Anlage (mehr als 50.000 Zentrifugen), die zur Produktion des Jahresbedarfs eines großen Leistungsreaktors ausreicht (etwa 25 Tonnen Brennstoff), umgenutzt wird, könnten auch signifikante Mengen Waffenstoff produziert werden. Darin steckt eine latente Gefahr, aber weit gefährlicher ist die denkbare Neuoptimierung einer Anlage bzw. der parallele Aufbau einer geheimen und schwer entdeckbaren, kleinen Anlage unter Nutzung des bereits vorhandenen Know-hows. Schon mit wenigen Tausend Zentrifugen der 1. oder 2. Generation könnten bei entsprechend optimiertem Anlagenaufbau durchaus relevante Mengen an Waffenstoff pro Jahr produziert werden, so dass sich die Vorwarnzeit für ein vorhandenes Waffenprogramm auf zwei Jahre oder auch weniger verkürzen kann. Wobei zu berücksichtigen ist, dass kaum je der Beginn eines geheimen Hochanreicherungsprogramms verifiziert werden könnte. Demnach ist die Zentrifugentechnologie als eine besonders proliferationsförderliche Technologie einzuschätzen.7

Ambivalente Entwicklungen

Nicht nur der Iran ist an der zivil-militärisch ambivalenten Zentrifugentechnologie zur Urananreicherung interessiert. Im Jahr 2006 ging in Brasilien das erste von vier Modulen einer kleineren Zentrifugenanlage, die aber immerhin den brasilianischen Reaktorbrennstoffbedarf weitgehend decken könnte, in Betrieb. Die großen URENCO-Anlagen in Gronau (Deutschland), Capenhurst (Großbritannien) und Almelo (Niederlande) werden massiv ausgebaut.8 Der französische, globale nukleare Player AREVA (früher Framatom) hat sich bei URENCO eingekauft. Im Sommer 2006 entstand die Enrichment Technology Company Ltd. (ETC: 50% URENCO, 50% AREVA), die neben den drei vorhandenen Anlagen eine vierte in Tricastin (Frankreich) und eine weitere in den USA (National Enrichment Facility) baut. Weiterhin plant die United States Enrichment Corporation (USEC) eine große Anreicherungsanlage, die auf einer eigenständigen Technologieentwicklung basiert. Mit den zuletzt genannten drei Anlagen sollen offenbar die alten Diffusionsanlagen ersetzt werden, die prinzipiell weit weniger proliferationsträchtig sind, wenn sie unter Safeguards stehen.

Angesichts dieses Drängens in die Zentrifugentechnologie9 stellt sich die Frage, wie die westlichen (Nuklear-)Industrieländer den Iran ernsthaft zum Verzicht bewegen wollen. Man will ja offensichtlich dem Iran genau die »gefährliche« Technologie ausreden, die selbst für unverzichtbar gehalten wird. Aber unverzichtbar ist die Zentrifugentechnologie keineswegs, und es gibt gegenwärtig erhebliche Überkapazitäten bei der Anreicherung. Wenn man neue Anlagen will, gäbe es im Prinzip Alternativen zur Zentrifuge, die volkswirtschaftlich nicht schädlich sind, denn die Wahl einer effektiveren Anreicherungstechnologie, wie beispielsweise der Zentrifugen- statt der Diffusionstechnologie, wirkt sich auf den Nuklearstrompreis nur äußerst marginal aus (es geht heute maximal um wenige Prozent der Stromgestehungskosten). Allerdings ist der Anreicherungsmarkt heiß umkämpft (es geht um einen Umsatz von jährlich größenordnungsmäßig fünf Milliarden Euro). URENCO und AREVA/URENCOs ETC sind momentan im Begriff, den Weltmarkt aufzurollen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der Zugang zu sensitiven Nukleartechnologien wie Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungstechnologien (zur Plutoniumgewinnung) nicht durch den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) verboten ist. Im Gegenteil: Der Deal des NVV zwischen den Kernwaffenstaaten und den Nichtkernwaffenstaaten sieht ausdrücklich vor, dass diejenigen Länder, die auf Atomwaffen verzichten, im Gegenzug ungehinderten Zugang zu allen zivil nutzbaren Nukleartechnologien erhalten.

Nun scheint sich langsam auch auf politischer Ebene die Erkenntnis durchzusetzen, dass technische Potenziale, die den Zugriff auf spaltbare Materialien für die Bombe sichern können, mittelfristig gefährlich sind. Und in der Tat wäre es wichtig, die Lehren aus den diesbezüglichen Entwicklungen in Indien, Pakistan, Irak, Nordkorea (und wohl auch weiterer Fälle der Vergangenheit) zu ziehen. Denn dieses Dilemma besteht schließlich schon seit Jahrzehnten: Zivil-militärisch ambivalente Nukleartechnologien, die nicht unter Verbot stehen, schaffen die Voraussetzungen für Waffenprogramme. Umgekehrt verlangen die sich entwickelnden Staaten gleiches Recht für alle, also dieselben Zugangsmöglichkeiten zu als attraktiv eingestuften Technologien wie die etablierten Kernwaffenstaaten und die (im Prinzip nuklearwaffenfähigen) Industriestaaten mit fortgeschrittenen Nuklearprogrammen.

Nimmt man noch die Stagnation im Bereich nuklearer Abrüstung hinzu, die mit Abschluss des NVV gemäß Artikel VI des Vertrags vor knapp vier Jahrzehnten von den Kernwaffenstaaten versprochen wurde, dann ist die Krise des Nichtverbreitungssystems offensichtlich. Es ist diskriminatorisch, lückenhaft, ineffektiv, instabil und sein Zusammenbruch steht immer mehr zu befürchten – aber es ist immer noch der einzige wirksame völkerrechtliche Ansatz, der zur Verfügung steht.

Wege zur Problemlösung

US-Präsident George W. Bush gestand Anfang 2004 Lücken des NVV-Systems zu und empfahl folgenden Lösungsweg: „Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag … hat ein Schlupfloch. … Ich schlage vor, das Schlupfloch zu schließen. … Die 40 Mitgliedstaaten der Nuclear Supplier Group sollten sich weigern, Geräte und Technologien für die Anreicherung und Wiederaufarbeitung an einen Staat zu verkaufen, der nicht schon vorher komplette Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen besitzt.“10 Durch Verweigerung der Unterstützung eines erweiterten Kreises von Staaten, die durch Exporte den Zugang zu sensitiven Nukleartechnologien erhalten könnten, soll der »Status quo« eingefroren werden. Das erinnert an das entsprechende Eindämmungsdenken beim Abschluss des NVV in der Hochphase des Kalten Krieges; gleichzeitig wird aber der im NVV verbriefte freizügige Technologiezugang im zivilen Bereich außer Kraft gesetzt. Letztlich wird die Situation dadurch noch komplexer und instabiler. Aus dem Zweiklassensystem der »haves« und »have-nots« des NVV wird ein Dreiklassensystem: Einer kleinen Gruppe von Staaten ist alles – inklusive des dauerhaften Besitzes von Kernwaffen (sowie ihrer Weiterentwicklung) – erlaubt; einer zweiten Gruppe von Staaten werden alle, auch die sensitiven zivil-militärisch höchst ambivalenten nuklearen Technologien (unter Safeguards) zugestanden um den Preis des Verzichtes auf aktuellen Kernwaffenbesitz; einer dritten (und größten) Gruppe von Staaten wird das fundamentale Misstrauen ausgesprochen und daher auch der Zugang zu den sensitiven Technologien und Materialien, die für Atomwaffenprogramme relevant oder sogar unverzichtbar sind, unterbunden.

Ein Jahr nach Präsident Bush ging der IAEO-Generaldirektor ElBaradei mit einem völlig anderen Vorschlag an die Öffentlichkeit. Er schlug vor, „… neue Anlagen für die Urananreicherung und Plutoniumabtrennung fünf Jahre lang zurückstellen. Es gibt keinen triftigen Grund, weitere dieser proliferationsträchtigen Anlagen zu bauen. Die Kapazität der Nuklearindustrie ist mehr als ausreichend … Und während des fünfjährigen Moratoriums sollten bessere Langzeitoptionen für den Umgang mit diesen Technologien entwickelt werden (zum Beispiel in regionalen Zentren unter multinationaler Kontrolle). … die fünf Kernwaffenstaaten, die Mitglieder des NVV sind, dazu aufzurufen, dass sie die Umsetzung ihrer eindeutigen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung beschleunigen.“11 Die Idee, dass alle Staaten für einige Jahre Zurückhaltung üben sollten, was den Aufbau neuer sensitiver Anlagen angeht, und dass gleichzeitig die nukleare Abrüstung vorankommen muss, erscheint sehr vernünftig, wenn man die wachsenden Asymmetrien im internationalen System, die ein hohes Eskalationspotenzial haben, mildern will. In der Tat besteht wie bereits erwähnt nirgends ein dringlicher Bedarf für neue Anlagen. Eine Phase des Nachdenkens wäre gut, um Wege für bessere Lösungen auszuloten. Überdies wäre das ein eindeutiges Signal an den Iran, dass man nicht schlicht einen einseitigen Verzicht auf – aus iranischer Sicht – verbrieftes Recht fordert. Wäre der Iran nicht auf dieser Basis zu ernsthaften neuen Verhandlungen zu bewegen – wie vor ein paar Jahren, als das freiwillige Safeguards-Zusatzprotokoll vorläufig akzeptiert wurde und die Anreicherungsarbeiten ruhten?

Bushs Pfad scheint sich momentan durchzusetzen. Er läuft letztlich auf eine Durchhierarchisierung der Welt hinaus. Ein starkes, auch gewaltbereites Zwangssystem wird benötigt, um dieses nukleare Mehrklassensystem, das heute schon de-facto existiert, fest zu etablieren und längerfristig aufrechtzuerhalten. Darin steckt erheblicher Sprengstoff für das internationale Staatensystem – und sicher auch eine erhebliche Gefährdung für den Bestand des Nichtverbreitungsregimes. Demgegenüber ist ElBaradeis Moratoriumsvorschlag, der die Suche nach einem gerechten und weltweit akzeptablen Weg des nuklearen Technologiezugangs unterstützen – ja, überhaupt erst ermöglichen – soll, niemals ernsthaft diskutiert worden. Muss man vermuten, dass massive wirtschaftliche Interessen auf die Politik der Staaten durchgeschlagen haben?

ElBaradeis Idee läuft letztlich wohl darauf hinaus, das alte Konzept der Multilateralisierung unverzichtbarer sensitiver Nukleartechnologien wieder zu beleben. Er hatte bereits eine Expertenkommission eingesetzt, die 2005 erste Ergebnisse als IAEO-Bericht veröffentlichte.12 Darin wird das Für und Wider diskutiert. Viele Fragen bleiben jedoch offen, darunter die folgenden:

Taugt das URENCO-Modell mit nationalen Einzelanlagen in allen beteiligten Ländern?

Werden alle sensitiven Anlagen aus dem rein nationalen Hoheitsbereich entzogen oder nur eine einzige oder einige wenige, neue Anlagen?

Ist es realistisch, dass die potenziellen Kunden einer international betriebenen Anreicherungsanlage dieses Angebot auch nutzen wollen oder werden sie doch (weiterhin) auf eigenständige Entwicklungen setzen, wie von den Etablierten vorgelebt?

Experten aus welchen Ländern wären an internationalen bzw. multilateral betriebenen Anlagen beschäftigt, und wer hätte Zugang zu sensitiven Informationen?

Können realistischerweise pakistanische, brasilianische, iranische oder gar nordkoreanische Experten ausgeschlossen werden?

Ist dann ein dual-use-fähiger Know-how- und Experten-Transfer in so genannte »kritische« Länder wirklich auszuschließen?

Wie verhindert man die fortgesetzt kontraproduktiv wirkenden Asymmetrien bei gleichzeitiger Beschränkung des Technologiezugangs?

Wie soll das Vertrauen auf zuverlässige Liefergarantien hergestellt werden, das angesichts der seit vielen Jahren betriebenen Technologieboykotts und der jüngst vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen schwer belastet ist und daher eine Autarkie in der Energieversorgung geboten erscheinen lässt?

Vielleicht krankt der pragmatische Vorschlag von Bundesaußenminister Walter Steinmeier, der in eine ähnliche Richtung wie ElBaradei geht, an denselben Widersprüchen oder Ungereimtheiten im Detail. Steinmeier schlägt vor, dass auf exterritorialem Gebiet eine zusätzliche, internationale Anreicherungsanlage unter Hoheit der IAEO gebaut wird, die von einem „multinationalen Konsortium“ betrieben wird. Steinmeier hofft offenbar, dass durch ein solches Angebot, das Liefergarantien auf rein wirtschaftlicher Ebene geben kann, ohne an politische Kautelen gebunden zu sein, das Interesse an eigenständig entwickelten neuen nationalen Anreicherungsanlagen versiegt.13 Er hat sich bereits der Unterstützung durch die Außenminister der beiden weiteren »URENCO-Länder« Niederlande und Großbritannien versichert14 – und damit wohl auch des mächtigen URENCO-Konzerns.

Die pragmatischen Vorschläge – so auch die Idee einer Brennstoffbank, aus der jeder Staat garantiert schwach angereicherten Brennstoff beziehen kann, ohne selbst in die Anreicherungstechnologie einsteigen zu müssen – kranken auch daran, dass sie nicht wirklich zum Kern des technischen und des politischen Problems vordringen können. Es müsste dringlich über die grundsätzliche zivil-militärische Ambivalenz der verwendeten Technologien nachgedacht werden. Die alte Idee der Proliferationsresistenz15 von Nukleartechnologien müsste leitend werden, um die weitere Etablierung von proliferationsfördernden Technologien, egal in welchem Land, zu vermeiden. Ansonsten sind technologische Begehrlichkeiten, die Dual-use-Optionen sichern, wohl kaum aus der Welt zu schaffen. Wir können nicht auf Dauer den Verzicht von anderen einfordern und selber weiterhin proliferations-sensitive Technologien nutzen wollen. Es müsste also neu über verantwortbare Anreicherungstechnologien nachgedacht werden – notfalls im Widerspruch zu den Partikularinteressen der interessierten Firmen. Ebenso müssen die wachsenden Asymmetrien in der Staatenwelt angegangen werden, die sich im NVV und in den Verschlimmbesserungsvorschlägen der jüngsten Zeit widerspiegeln. Dazu gehört auch die Erkennbarkeit eindeutiger Schritte in Richtung auf die Abschaffung der Atomwaffen – sowie viele regional zu beschreitende friedens- und sicherheitspolitische Wege. Ein mehrjähriges Moratorium für sensitive nukleare Neuanlagen in allen Ländern (nicht nur im Iran!) wäre jedenfalls eine Chance, bessere Konzepte für die Zukunft zu prüfen und dann auch umzusetzen. Ansonsten steht zu befürchten, dass man weiterhin eher Bushs Pfad folgt – mitsamt seinen gefährlichen, friedensgefährdenden Konsequenzen.

Anmerkungen

1) M.B. Kalinowski: Das Nuklearprogramm des Iran – zivil oder militärisch? Wissenschaft und Frieden, Dossier 51, Seiten 6-11. Beilage zu W&F 24/1 (2006). Langfassung in IPPNW-Akzente: Die Krise um den Iran, Februar 2006, Seiten 20-29. Aktuelle Wiedergabe am 20. Dezember 2007 in http://hintergrund.de/index.php?option=com_content&task=view&id=158&Itemid=63.

2) National Intelligence Estimate (NIE), Iran: Nuclear Intentions and Capabilities. November 2007.

3) J. Whichello, D. Parise, and N. Khlebnikov, IAEA Project on Novel Techniques. INESAP Information Bulletin No. 27, December 2006, Seiten 27-30.

4) Nur die Sowjetunion setzte schon sehr frühzeitig auf die Zentrifugentechnologie.

5) Abdul Qader Khan hat die pakistanische Bombe auf der Basis der Produktion von hochangereichertem Uran mit Uranzentrifugen ermöglicht. Er sah eine persönliche Mission darin, diese Technologie an andere Länder zu verbreiten. Nicht nur der Iran, sondern auch der Irak, Libyen, Nord-Korea und vielleicht noch weitere Länder haben davon profitiert. Der Zusammenhang mit Kernwaffenambitionen hat hierbei besonderes Gewicht.

6) B. Boyer: Current and Future Safeguards Technologies – Enrichment Facility Safeguards and Integrated Safeguards System Overview, CISAC-Workshop »The Security Implications of Increased Global Reliance on Nuclear Power«, Stanford University, 19-21 Sept. 2007.

7) Vgl. J. Born: Proliferationspotenzial von Gasultrazentrifugen. Bachelorarbeit am Fachbereich Physik der TU Darmstadt, IANUS, Dez. 2007. Der Iran hat erklärt, bereits 3.000 Zentrifugen aufgebaut zu haben und strebt in Natanz eine kommerzielle Anlage mit 54.000 Zentrifugen an.

8) Die deutschen Pläne werden allerdings erst umgesetzt, nachdem der rot-grüne Widerstand auf Landes-(NRW) und Bundesebene 2005 zusammenbrach. Gerade im Falle Deutschlands fragt man sich, wie die Kapazitätsverdopplung – weit über den aktuellen Bedarf hinaus – mit den klar befristeten Ausstiegsplänen zusammenpasst.

9) Auch in Australien, einem wichtigen Uranlieferland, wurden ernsthafte Überlegungen angestellt, auf Basis der URENCO-Technologie in den Anreicherungsmarkt einzusteigen. Ob die kürzlich erfolgten Parlamentswahlen, die zum Regierungswechsel führten, daran etwas ändern, bleibt abzuwarten.

10) G. Bush, National Defense University Speech, 11. Feb. 2004.

11) M. ElBaradei, The Financial Times, 2. Feb. 2005.

12) International Atomic Energy Agency: Multilateral Approaches to the Nuclear Fuel Cycle, Wien, 2005.

13) W. Steinmeier, Handelsblatt, 2. Mai 2007.

14) Erklärung »Multilaterale Zusammenarbeit bei der Sicherung der Energieversorgung«, 17. Sept. 2007.

15) Vgl. W. Liebert: Proliferationsresistenz – Risiken und notwendige Schritte zur effektiven Eindämmung der nuklearen Proliferation. In: C. Mölling, G. Neuneck: Die Zukunft der Rüstungskontrolle, Hamburg, 2005, S.224-235.

Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt und Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS). Martin B. Kalinowski ist Leiter des Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg (ZNF).

Die Renaissance der Nuklearenergie

Die Renaissance der Nuklearenergie

Rettung in der Not oder Tod der Nichtverbreitung?

von Wolfgang Liebert

Mit den Atomwaffenprogrammen der 1940er Jahre nahm die Entwicklung nuklearer Technologien ihren ersten Aufschwung. Verfahren, die zunächst für die Produktion von Spaltstoff für die Waffe entwickelt wurden, insbesondere auch Urananreicherung und Plutoniumabtrennung, fanden später Anwendungen in kommerziellen Nuklearprogrammen.

Durch die weltweite Öffnung der Techniknutzung und -entwicklung (Genfer Konferenzen) und die Gründung der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) im Jahr 1957 entstand ein Geflecht von zivilen internationalen Kooperationsaktivitäten und nationalen Nuklearprogrammen, die in einer ganzen Reihe von Staaten auch zu eigenständigen Entwicklungen führten. Letztere blieben keineswegs immer rein zivil und allein auf kommerzielle Ziele ausgerichtet. In den 1970er Jahren waren militärisch avancierte Programme in den damals bereits fünf Kernwaffenstaaten zu verzeichnen – und auch noch heute werden die Waffenarsenale der inzwischen acht Kernwaffenstaaten (ohne Nordkorea) stetig modernisiert und verbessert. Gleichzeitig wurde damals die Kommerzialisierung nuklearer Energietechnologien betrieben und es entstanden entsprechende internationale Märkte. Damit erhöhte sich auch – aufgrund der zivil-militärischen Ambivalenz wesentlicher Technologien und Materialien – die Proliferationsgefahr.

In vielen Ländern entstanden Protestbewegungen, die Gefahren der Nukleartechnologienutzung thematisierten und große öffentliche Aufmerksamkeit erreichten. Spätestens in den 1990er Jahren wurde klar, dass keine ausreichende öffentliche Akzeptanz für die Kernenergie gegeben war. Dies korrespondierte mit einem schnellen Ende des Reaktorbooms, der allerdings im Wesentlichen der ökonomischen Unattraktivität des Neubaus von Reaktoren zuzurechnen ist. Die Kapitalkosten für ein Kernkraftwerk sind enorm, während die Brennstoffkosten heute weniger ins Gewicht fallen.1 Dementsprechend kalkulieren die Stromunternehmen lieber mit betriebswirtschaftlich attraktiveren Technologien – leider zumeist immer noch auf der Basis fossiler Energieträger.

Heute wird von einer Wiederbelebung der Kernenergienutzung gesprochen, ja sogar eine »Renaissance« der Kernenergie prognostiziert. Gleichzeitig werden die Gefahren der nuklearen Proliferation weit deutlicher thematisiert als in Phasen der Vergangenheit. Es ist zu fragen, ob Kernenergie angesichts des Klimawandels wirklich als Retter in der Not wirksam werden kann, wie manche behaupten, oder ob die Gefahren überwiegen – insbesondere die horizontale Proliferationsgefahr, also die Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen in weitere Staaten.

Stand der Kernenergie

Der internationale Stand der Nuklearprogramme kann knapp mit einigen Zahlen umrissen werden. Etwa 60 Länder betreiben Forschungsreaktoren. In 31 Ländern werden Leistungsreaktoren (insgesamt fast 450) für die Stromproduktion mit einer Kapazität etwas unterhalb von 400 Gigawatt betrieben. Der Nuklearstromanteil liegt damit weltweit bei knapp 17%; dies entspricht aber nur einem nuklearen Primärenergieanteil von 6%. Die sechs größten Nuklearstromproduzenten sind USA, Frankreich, Japan, Deutschland, Russland und Südkorea. Fünf Länder haben einen Nuklearstromanteil von mehr als 45% (Belgien, Frankreich, Litauen, Schweden, Ukraine). Trotz der Stagnation des weltweiten Ausbaus der Kernenergie seit Ende der 1980er Jahre ist die Stromerzeugungsmenge aus Kernreaktoren aufgrund der besseren Verfügbarkeit der Anlagen (heute fast 90%) noch bis Anfang des Jahrhunderts angestiegen (auf nunmehr etwa 2,7 Petawattstunden = 2.700 Milliarden kWh). Voraussichtlich wird die Bedeutung des Nuklearstroms in absehbarer Zukunft aber in absoluten und relativen Zahlen fallen, da kaum neue Reaktoren gebaut werden und die alten, die im Mittel bereits über 20 Jahre am Netz sind, nach und nach abgeschaltet werden. Daran werden auch die – bislang insbesondere in den USA – massiv betriebenen Laufzeitverlängerungen auf 40 und mehr Jahre, die die alten, abgeschriebenen Reaktoren zu »Gelddruckmaschinen« machen würden, nichts Wesentliches ändern können. Es sei denn, ein neuer Bauboom bräche aus. Dieser ist aber nicht in Sicht. Daher steht eher zu erwarten, dass die Reaktorkapazität bis 2025 auf weniger als die Hälfte schrumpfen und dann also unter 200 Gigawatt liegen wird.

Der Ausbau der Kernenergie wird von interessierter Seite mit dem Argument propagiert, so könnten wesentliche Beiträge zur Bekämpfung des drohenden Klimawandels geliefert werden. Heute ist der nukleare Weltprimärenergieanteil dazu zu klein – ebenso wie der Beitrag solarer Technologien. In der Tat ist die Kernenergienutzung im Betrieb weitgehend CO2-frei. Allerdings müssen der Reaktorbau und -rückbau berücksichtigt werden, weiterhin die Energieaufwendungen bei der Rohstoffgewinnung für den Brennstoff, die Urananreicherung und die Brennelementfabrikation und andere Dienste während des Betriebs und während der Nachsorge. Aber auch dann steht die Kernenergie in der CO2-Bilanz unter heutigen Gegebenheiten besser da als die fossilen Technologien, auch wenn man intelligente Formen der Kraft-Wärme-Kopplung betrachtet. Nachteilig wirkt sich aber aus, dass nukleare Leistungsreaktoren bislang nur Strom produzieren können und auf dem Wärmemarkt und im Bereich des Verkehrs, die beide ganz erhebliche Anteile am Energieaufkommen haben, keine Rolle spielen können. Dies begrenzt deutlich die Rolle der Kernenergie als »Retter in der Not«.

Zu den Schattenseiten der weltweiten Kernenergienutzung gehört die damit verbundene Verbreitung von sensitiven Nukleartechnologien. Urananreicherung ist für fast alle betriebenen Reaktoren notwendig, um schwach angereicherten Brennstoff zu produzieren. Prinzipiell könnte damit aber auch – je nach verwendeter Technologie – sehr leicht Hochanreicherung bis zu waffenverwendbarem, hochangereichertem Uran durchgeführt werden.2 In den Reaktoren, die Uranbrennstoff nutzen, fallen etwa 250 Kilogramm Plutonium pro Jahr (bei einem Gigawatt Leistung) an. Die Wiederaufarbeitungstechnologie erlaubt es, an diesen Spaltstoff zu gelangen, der prinzipiell für den Einsatz in Brennelementen, aber auch in Waffen geeignet ist. Eine Halde von mindestens 250 Tonnen abgetrennten Plutoniums wurde inzwischen im zivilen Bereich aufgetürmt – neben den ebenfalls etwa 250 Tonnen Plutonium in den Waffenprogrammen (ausreichend jeweils für rund 50.000 Sprengköpfe). Knapp 20 Länder beherrschen inzwischen prinzipiell mindestens eine oder beide dieser sensitivsten Nukleartechnologien. So muss nicht verwundern, dass die Zahl »virtueller Kernwaffenstaaten«3, die Voraussetzungen für Waffenprogramme durch zivile Aktivitäten erreichen, weiter anwächst.

Zu der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit treten weitere ambivalente Aspekte der Kernenergienutzung hinzu. Aus probabilistischen Sicherheitsuntersuchungen kann – bei aller Vorsicht, die bei der Generierung solcher Zahlen geboten ist – abgeleitet werden, dass eine 65 %-ige Wahrscheinlichkeit für einen Supergau innerhalb von 50 Jahren für die gegenwärtig weltweit betriebenen Reaktoren errechnet werden könnte. Pro betriebenen Reaktor (1 GW) fallen einige 10.000 Kubikmeter radioaktiver Abfall an. Zurzeit vermehren weltweit jährlich 10.000 Tonnen abgebrannter Brennstoff die schon vorhandene Menge an Atommüll, die sicher endzulagern wäre.

Ausbauszenarien

Wenn die Kernenergienutzung einen wirklich spürbaren Beitrag zur Minderung der Klimaproblematik durch fossile Brennstoffe haben soll, müsste die Kernenergie massiv ausgebaut werden. Zurzeit wäre die realistischste Option ein Ausbau zur langsam aber stetig wachsenden Deckung des Weltstrombedarfs. Im Folgenden betrachte ich als Szenario I den linearen Ausbau der Kernenergie bis 2040 auf etwa 33% des Weltstrombedarfs und damit auf etwa 1.500 Gigawatt, bei Annahme eines jährlichen Wachstums des Stromverbrauchs um 2%. Das entspräche immerhin einer Vervierfachung der Nuklearkapazität und damit einer Verdopplung des Anteils der Nuklearenergie in drei Jahrzehnten bei einem nuklearen Primärenergieanteil von auch dann kaum mehr als 10%. In Szenario II wird ein weit massiverer Ausbau der Kernenergie bis 2060 auf 50% des Weltstrombedarfs bei Annahme eines Wachstums des Stromverbrauchs von 2,5% betrachtet. Hier wüchse die nukleare Kapazität auf heute kaum vorstellbare fast 4.400 Gigawatt an (das wäre mehr als das Zehnfache der heutigen Kapazität, was immerhin nahe an 20% des Primärenergiebedarfs reichen würde).

Auch bei diesen beiden erheblichen Ausbauszenarien würde das Klimaproblem mithilfe nuklearer Technologien keineswegs gelöst, aber die Beiträge hätten immerhin mehr Relevanz als heute. Natürlich würde auch der Anfall an nuklearem Abfall massiv ansteigen. Ebenso sind Überlegungen zur Reaktorsicherheit wichtig. Setzt man voraus, dass es sich bei den »neuen« Reaktoren im Wesentlichen um heute realisierbare Druckwasserreaktoren handelt, deren Wahrscheinlichkeit für einen Supergau (Kernschmelze mit in der Regel folgender massiver Radioaktivitätsfreisetzung) so angenommen wird, wie in der Deutschen Reaktorsicherheitsstudie kalkuliert, so läge bei Szenario I die Wahrscheinlichkeit für einen Supergau weltweit innerhalb von 50 Jahren bei 30% und bei Szenario II bei etwa 80%. Ein Ausbau auf Basis dieser Technologie wäre also politisch kaum durchsetzbar. Daher müsste die Auslegung der Reaktoren zunächst sicherlich soweit verbessert werden, dass Unfallabläufe mit massiver Radioaktivitätsfreisetzung ausgeschlossen werden können (»Katastrophenfreiheit«) oder zumindest die Wahrscheinlichkeit für erhebliche Unfälle drastisch sinken kann.

Uranressourcen

Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Brennstofffrage. Wenn die Reaktoren auch in Zukunft im Wesentlichen Uranbrennstoff nutzen sollten, müsste sicher gestellt sein, dass genügend Uranressourcen für den vorgestellten Ausbau der Kernenergie zur Verfügung stehen. Ein großes Gigawatt-Kraftwerk benötigt etwas mehr als 25 Tonnen schwach angereicherten Uranbrennstoff pro Jahr. Dazu müssen etwa 200 Tonnen Natururan pro Jahr zur Verfügung stehen. Dies wiederum erfordert das Schürfen von rund 200.000 Tonnen uranhaltigem Erz (bei angenommenem mittleren Urangehalt von 0,1%) mitsamt den damit verbundenen gesundheitlichen und ökologischen Folgeproblemen. Heute werden also bereits rund 10.000 Tonnen Uranbrennstoff pro Jahr benötigt, was etwa 70-80.000 Tonnen Bedarf an Natururan entspricht. Die ökonomisch abbaubaren Uranressourcen sind nicht gleich verteilt auf der Welt, das heißt es bestehen für die Nuklearenergienutzer Abhängigkeiten von einigen wenigen Lieferländern, ähnlich wie beim Öl. Die wichtigsten Lieferländer sind zur Zeit Kanada, Australien, Kasachstan, Russland, Niger, Usbekistan und Namibia.

Wenn man in die regelmäßig von der IAEO und der Nuclear Energy Agency (NEA) vorgelegten Statistiken über die weltweiten Uranressourcen und -reserven schaut, findet man eine Angabe von etwas weniger als 15 Millionen Tonnen Uran. Davon sind Zweidrittel eher spekulativ, d.h. beruhen nicht auf gesicherten Kenntnissen über vorhandene Lagerstätten. Etwas weniger als ein drittel gelten als gesicherte Ressourcen und sind vermutlich für einen Preis bis zu 130 Dollar pro Kilogramm abbaubar. Bei Fortschreibung des gegenwärtigen (geringen) Standes der Kernenergie würden die »gesicherten« Ressourcen noch ein halbes Jahrhundert reichen, die »spekulativen« sogar zwei weitere Jahrhunderte.

Nun wären aber die oben diskutierten linearen Ausbauszenarien zu betrachten. Bei Szenario I wären die »gesicherten« Ressourcen bereits in drei Jahrzehnten erschöpft und bei Annahme eines konstanten Bedarf von etwa 300.000 Tonnen Uran pro Jahr ab 2040 wären auch die »spekulativen« Ressourcen bis etwa 2060 verbraucht. Bei Annahme des Szenarios II geht der Uranverbrauch naturgemäß schneller von statten. Die »gesicherten« Ressourcen wären in etwa 25 Jahren abgebaut und die »spekulativen« wären schon vor Erreichen des Ausbauziels im Jahr 2060 erschöpft.

Es zeigt sich also, dass ein massiver Ausbau der Kernenergie an den dann recht rasch schwindenden Uranressourcen scheitern könnte. Auch die IAEO geht davon aus, dass bei den von ihr betrachteten Ausbauszenarien ab Ende der 2030er Jahre eine zunehmende Abhängigkeit von »spekulativen« Ressourcen eintreten würde, was zumindest zu Unsicherheiten führen könnte.4

Plutoniumnutzung?

Wenn die Kernenergie längerfristig eine größere Rolle auf dem Energiemarkt der Zukunft spielen soll, wird man demnach zu neuen Brennstoff- und Reaktorkonzepten kommen müssen. Eine schon seit Jahrzehnten ins Auge gefasste Option ist die Nutzung von Plutonium als Spaltstoff. Die schon technisch reife Nutzung als Uran-Plutonium-Mischoxid-Brennstoff (MOX) in heute bereits laufenden Leichtwasserreaktoren kann allerdings nur zur Streckung der Uranressourcen um 10-30% führen und ist überdies ökonomisch völlig unattraktiv im Vergleich mit reinem Uranbrennstoff, da die Produktionskosten für MOX-Brennstoffe erheblich zu Buche schlagen.

Seit Jahrzehnten wird auch an der Brütertechnologie geforscht, mit der letztlich eine Netto-Spaltstoff-Produktion in diesem speziellen Reaktortyp durch »Erbrüten« von Plutonium angestrebt wird. Wenn genügend hohe Brutfaktoren erreichbar werden, könnte die Ressourcenfrage für viele Jahrhunderte gelöst werden. Allerdings steht die Wirtschaftlichkeit dieses Technikpfades in Frage.5 Die Plutoniumnutzung wird erst wirtschaftlich attraktiv, wenn die Uranpreise so extrem angestiegen sind, dass sie relevante Anteile der Stromgestehungskosten ausmachen würden.

Die Technikentwicklungslinie des Brüters war aber bislang nicht erfolgreich und hatte erhebliche Rückschläge durch Unfälle in Versuchsreaktoren zu verzeichnen. Auch müsste das Katastrophenpotenzial von Brütern weit höher eingeschätzt werden als bei den heute gängigen Leichtwasserreaktoren. Weiterhin setzt jede Plutoniumnutzung zwingend die Wiederaufarbeitung von abgebranntem Brennstoff sowie in der Regel den Transport und die Wiederverarbeitung zu plutoniumhaltigen Brennstoffen, die wiederum transportiert werden müssten, voraus. Hier würde regelmäßig der direkte Zugang zu Waffenstoff besonders hoher Qualität erzeugt und dies – in einer Welt voller Brüter – in weit größerem Umfang, als dies bereits heute der Fall ist. Safeguards (sog. Sicherungsmaßnahmen) der IAEO für entsprechende Anlagen sind höchst unscharf und könnten keineswegs sicher stellen, dass Abzweigungen für etwaige Waffenzwecke auch entdeckt werden könnten – und sei es auch nur im Nachhinein. Nach heutigem Technik- und Kenntnisstand würden die Proliferationsgefahren also in gewaltigem Umfang ansteigen, wenn der Brüter- und Plutoniumpfad beschritten würde.

Neuentwicklungen

Wenn die Kernenergie in der absehbaren Zukunft einen wesentlichen Beitrag zu Minderung der Klimaproblematik leisten soll, so sind mindestens hinsichtlich dreier Aspekte erhebliche Fortschritte in den technologischen Konzepten zu erreichen. Erstens müsste die zurzeit fehlende Wettbewerbsfähigkeit für neue Reaktoren überwunden werden. Zweitens müsste die Anlagensicherheit um mindestens eine Größenordnung verbessert werden. Drittens müsste die Abhängigkeit von Uranressourcen durch neue Brennstoffkonzepte fallen. Dies würde viertens die Proliferationsfrage in erheblichem Umfang verschärfen, insbesondere wenn der Plutoniumpfad verfolgt werden sollte. So wächst der Erfolgsdruck, was Weiterentwicklungen hinsichtlich verbesserter oder neuartiger Nukleartechnologie angeht.

Wohl auf russische Initiative und unter Ägide der IAEO besteht seit 2000/2001 eine Zusammenarbeit von 22 Ländern im »International Project on Innovative Nuclear Reactors and Fuel Cycles« (INPRO), die in mehreren Phasen organisiert wird. Erste Berichte sind erschienen, die grundlegende Prinzipien, Kriterien und Methodologien für Neu- oder Weiterentwicklungen und erste Fallstudien so genannter »Innovativer Nuklearer Energiesysteme« diskutieren. Dabei ist viel von „nachhaltiger Entwicklung“ und „ganzheitlicher Beurteilung“ die Rede.6

Auf US-amerikanische Initiative wurde 2001 eine Kollaboration in dem »Generation IV International Forum« (GIF) gestartet, an der inzwischen neben den USA auch Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Schweiz, Südafrika, Südkorea und ebenfalls die EU teilnehmen. Anfang 2003 wurde eine »Technological Roadmap« vorgestellt, die sechs „besonders viel versprechende Konzepte“ für eine vierte Spaltreaktoren-Generation der Zukunft skizziert.7 2005 wurden erste bi- und multilaterale Rahmenabkommen abgeschlossen, um die Kooperation bei der Entwicklung neuer Reaktoren zur Strom- und Wasserstoffproduktion voranzutreiben. Das US-Budget war 2006 noch nicht sonderlich groß (55 Mio. $), aber gleichzeitig wurde eine weitere umfassendere Initiative gestartet, das Programm »Global Nuclear Energy Partnership« (GNEP). Hier soll es um fortgeschrittene Brüter- und Wiederaufarbeitungskonzepte gehen, die eigentlich im Widerspruch zur US-Politik der Nicht-Wiederaufarbeitung und des Verzichts auf Plutoniumnutzung stehen, sowie um internationale Brennstofflieferungen, wobei Nutzer- und Lieferländer voneinander getrennt behandelt werden sollen, und um eine fortgeschrittene Brennstoff-Initiative, die Alternativen zum bislang üblichen Uran-Brennstoff untersuchen soll und bereits seit 2005 besteht.

Im Bereich der fortgeschrittenen Spaltreaktorkonzepte hat die GIF-Kooperation weitere Prioritisierungen über die erste Vorauswahl von sechs Systemen hinaus vorgenommen. An erster Stelle scheint nun ein gasgekühltes Hochtemperaturreaktorprojekt (VHTR) mit besonders hoher Austrittstemperatur des Kühlmittels Helium von etwa 1.000 Grad zu stehen. Die Wasserstoffproduktion und eine Stromproduktion mit hohen Wirkungsgraden oberhalb von 50% sind angestrebt. Allerdings gibt es offene technische Fragen hinsichtlich der Heliumturbinen, hochtemperaturbeständigen Werkstoffen und der Radioaktivitätsrückhaltung der Brennelemente. Ein Teil der notwendigen Technologieentwicklung kann als Zwischenschritt zu gasgekühlten, »schnellen« Brutreaktoren (GFR) angesehen werden. Ein so genannter »geschlossener« Brennstoffkreislauf und das vorgesehene Management der anfallenden Aktiniden (Uran und Transurane wie Plutonium) gelten als Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen. Eine Barriere gegen Proliferation wird durch neue Wiederaufarbeitungstechnologien versprochen. Zwei weitere Brüterkonzepte sollen längerfristig verfolgt werden, ein Blei-gekühlter (LFR) und das alte Problemkind der Reaktorentwicklung, ein Natrium-gekühlter schneller Reaktor (SFR). Eine Realisierung der vorgeschlagenen Systeme ist allerdings erst bis 2025/2030 angepeilt, bei den Brütern wohl erst zehn Jahre später.

Nationale und kommerzielle Forschungs- und Entwicklungsprogramme hatten bislang zwar einige Erfolge bei der stetigen Weiterentwicklung und Verbesserung der Sicherheitseigenschaften existierender Technologie, aber kaum Erfolge bei fortgeschritteneren Systemen, wie z.B. Hochtemperatur- oder Brutreaktoren. So bestehen viele offene Fragen: Was sind die Voraussetzungen und die Unsicherheitsmargen für die Versprechungen, die die Entwickler heute machen? Welche Verbesserungen der Sicherheitseigenschaften neuer Systeme erscheinen tatsächlich erreichbar? In wie weit sind angestrebte Verbesserungen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit realistisch? Kann die Art der vorgesehenen Atommüll-Behandlung tatsächlich mit Nachhaltigkeitszielen in Verbindung gebracht werden? Wie überzeugend und glaubwürdig sind die technologischen Nichtverbreitungs-Strategien?

Dass hier ein großer Bedarf für ein unabhängiges und prospektives Technology Assessment besteht8, zeigt beispielhaft die behauptete Proliferationsresistenz neuer Wiederaufarbeitungstechnologien. Dem steht entgegen, dass bei dem UREX-Prozess, der das heute übliche PUREX ersetzen soll, anscheinend lediglich ein weiteres Transuranelement (Neptunium-237) dem Produktstrom zugefügt werden soll, was kaum die Waffenverwendbarkeit des zurückgewonnenen Spaltmaterials ausschließen könnte. Bei einem anderen heute propagierten Verfahren des Pyroprocessing würden zwar alle Aktiniden gemeinsam abgetrennt werden, aber deren kritische Masse insgesamt bliebe für Waffenanwendungen attraktiv und die vor Zugriff schützende Strahlenbarriere, die in dem waffentauglichen Elementgemisch entsteht, läge unterhalb der IAEO-Standards.

Aussichten

Ob sich die Kernenergie tatsächlich in einigen Jahrzehnten zum Klimaretter aufschwingen könnte, ist heute nicht mit Sicherheit zu beantworten. Zu viele relevante Aspekte der Entwicklung liegen im Bereich reiner Spekulation. Dennoch konnten hier Grundlinien der theoretischen Möglichkeiten und praktisch vorhandene Fallstricke deutlich gemacht werden. Sicher ist, dass die Kernenergie noch Jahrzehnte Entwicklungsarbeiten bräuchte, um dann möglicherweise akzeptabler für die Energieanbieter und die Öffentlichkeit zu werden. Dann könnten – allerdings erst recht spät – etwas relevantere Beiträge als heute zur Dämpfung des Klimaproblems geleistet werden, ohne allerdings das Klimaproblem zu lösen. Ob die dazu notwendigen Entwicklungsschritte erreichbar sind, darf heute als sehr fraglich bezeichnet werden.

Eines wäre sicher nötig: Die Länder mit großen Bevölkerungszahlen und wachsendem Energiehunger müssten massiv in die nukleare Option investieren. Zusätzlich zu den jetzigen bevölkerungsreichen Nuklearstaaten China, Pakistan und Indien müssten hinzukommen: Indonesien, Nigeria, Brasilien, Bangladesh, Äthiopien, Mexiko, Philippinen, Vietnam, Iran, Ägypten, etc. Auch sechs arabische Länder haben kürzlich – offenbar als Reaktion auf das iranische Programm – ein nukleares Engagement angekündigt. Weder ist klar, ob die genannten Länder wirklich auf die nukleare Karte werden setzen wollen und ob genügend Investitionskapital zusammengebracht werden könnte, noch ist heute absehbar, ob überhaupt der notwendige technische Stand in wenigen Jahren aufgeholt werden könnte. Würde dann tatsächlich in die Plutoniumtechnologie investiert? Würden Anreicherungsanlagen gebaut? Angesichts der Liste von Ländern mag man sich die Gefahren der nuklearen Proliferation nicht ausmalen. Das Safeguardssystem der IAEO wäre jedenfalls völlig überfordert und ungeeignet, um eine Sicherheit gegen Proliferation zu erreichen. So stellt sich die doppelte Frage, ob es eine »nukleare globale Klimapolitik« überhaupt geben und ob man sie wollen kann?

Anmerkungen

1) Der Bau des ersten, evolutiv aus bekannten Reaktorkonzepten ein wenig fortentwickelten EPR-Druckwasserreaktors im finnischen Olkiluoto (1,6 GW) ist nur erklärlich durch das Festpreisangebot von AREVA in Höhe von 3 Mrd. Euro, was voraussichtlich kaum die tatsächlichen Baukosten decken werden wird.

2) Vgl. dazu Ausführungen in den Beiträgen von W. Liebert und M. Kalinowski sowie von M. Englert und C. Pistner in diesem Heft.

3) Vgl. die entsprechenden Aussagen des IAEO Generaldirektors M. ElBaradei gemäß der Nachrichtenagentur Reuters, 16.10.2006.

4) IAEO – International Atomic Energy Agency: Analysis of Uranium Supply, Wien, 2001.

5) Vgl. z.B. Bunn, M.; Fetter, S., Holdren, J.; van der Zwaan, B.: The Economics of Reprocessing vs. Direct Disposal of Spent Nuclear Fuel. Project on Managing the Atom, Harvard University DE-FG26-99FT4028, 2003.

6) IAEO – International Atomic Energy Agency: Guidance for the evaluation of innovative nuclear reactors and fuel cycles. Report of Phase 1A of the International Project on Innovative Nuclear Reactors and Fuel Cycles (INPRO), IAEA-Tecdoc-1362, Wien 2003; IAEO – International Atomic Energy Agency: Methodology for the Assessment of Innovative Nuclear Reactors and Fuel Cycles. Report of Phase 1B (first part) of INPRO, IAEA-Tecdoc, Wien 2005.

7) U.S. Department of Energy: A Technology Roadmap for Generation IV Nuclear Energy Systems, Dec. 2002.

8) W. Liebert: Vergleich fortgeschrittener Nuklearsysteme zur Energieerzeugung – Aspekte prospektiver Technikgestaltung. In: E.Rebhan (Hrsg.): Energiehandbuch – Gewinnung, Wandlung und Nutzung von Energie, Springer-Verlag, Berlin, 2002, S.559-592.

Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt und ist Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS).

Einführung

Einführung

Die Wiederkehr der Rüstungsdynamik und die Renuklearisierung der Welt

von Wolfgang Liebert

Der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS) besteht seit mehr als zehn Jahren und versteht sich als Fachgesellschaft der naturwissenschaftlich orientierten Friedensforschung, die sich aufgrund eines neuen Schubs des wissenschaftlichen und politischen Engagements bereits seit zwei Jahrzehnten im Aufbau befindet. In der Regel verfolgen wir einen problemorientierten Ansatz. Naturwissenschaftliche und technische Bedingungsfaktoren von politisch brisanten Problemlagen stehen dabei im Fokus. Naturwissenschaftliche Detailarbeit, die sich immer wieder daraus ableitet, bleibt so rückgekoppelt an den außerwissenschaftlichen Ausgangspunkt und das Ziel, zu Problemlösungen in unserer wissenschaftlich-technisch durchwirkten Lebenswelt beizutragen. Damit ist auch eine eindeutige Anwendungsorientierung unserer Arbeit benannt: Politik und die interessierte Öffentlichkeit sollen von unabhängiger Seite (die meisten unserer aktiven Mitglieder arbeiten in Hochschulen oder auch in Instituten der Friedensforschung) nicht nur informiert sowie mit Analysen über Problemzusammenhänge versorgt werden, sondern es sollen auch Handlungsmöglichkeiten empfohlen werden.

Mit den folgenden zehn Beiträgen werden die Expertise und einige wesentliche Themenstellungen von FONAS in allgemein verständlich geschriebenen Aufsätzen vorgestellt. Einerseits hat dies exemplarischen Charakter. Andererseits haben die Artikel auch eine systematische Perspektive. Die Gemeinsamkeit besteht also nicht nur in ihrem Ursprung aus dem FONAS-Kreis, sondern findet seinen Ausdruck auch in einer gemeinsamen hochaktuellen Themenstellung.

Wir beobachten die Wiederkehr der Rüstungsdynamik. Die bestehenden Atomwaffenarsenale werden nicht nur – entgegen allen Abrüstungsversprechungen – instand gehalten, sie werden beständig modernisiert (so werden z.B. die Trägersysteme immer zielgenauer) und ihre militär-strategische Einsatzfähigkeit wird jenseits des Abschreckungspostulats technisch und politisch vorbereitet. Gleichzeitig mehren sich die brisanten Fälle nuklearer Proliferation und die Anzahl »virtueller Atomwaffenstaaten«. Die entscheidenden Wurzeln – neben regionalen Sicherheits- und Prestigeaspekten – werden immer noch nicht zureichend fokussiert: die mangelnde nukleare Abrüstung und die zivil-militärische Ambivalenz nuklearer Technologien und Materialien. Vielmehr wird heute ebenfalls von einer bevorstehenden Renaissance im zivilen Nuklearbereich geredet, ohne die Konsequenzen für die Waffenfrage angemessen zu thematisieren.

So könnte von einer bedrohlichen Renuklearisierung der Welt gesprochen werden. Eine alte Antwort aus den Zeiten der Rüstungsdynamik des Kalten Krieges ist der Aufbau von Raketenabwehrsystemen, der aktuell von den USA mit ersten Stationierungen vorangetrieben wird. Dies hat die Rüstungskontrolle bereits weiter in die Krise getrieben – und erste russische Reaktionen provoziert. Was sind die alten, bereits aufgekündigten, auslaufenden oder geschwächten Abkommen noch wert: ABM-Vertrag zur Raketenabwehr, START-Verträge zur nuklearen Abrüstung, KSE-Vertrag zur konventionellen Abrüstung in Europa, nuklearer Nichtverbreitungsvertrag, Biowaffen-Übereinkommen? Die Diagnose einer Renuklearisierung muss ergänzt werden durch eine Analyse der Dynamik im Bereich der Biotechnologie mit Folgen für mögliche – nunmehr vielleicht realistische – Biowaffenprogramme.

Neben dem Abklopfen übergreifender abrüstungs-, rüstungskontroll- und forschungspolitischer Leitlinien drängen sich zumindest die folgenden konkreten Fragen auf: Wie können nukleare Spaltmaterialien besser geschützt oder aus dem Verkehr gezogen werden? Wie wäre mit proliferationsförderlichen nuklearen Technologien umzugehen? Welche Chancen bestehen für verbesserte nukleare Verifikation und Safeguards? Ist Raketenabwehr die notwendige und funktionstüchtige Antwort auf Proliferationsgefahren? Kann der Bann von Biowaffen »wasserdichter« gemacht werden?

Wir haben als einen übergreifenden Ansatz unserer Arbeit »präventive Rüstungskontrolle« definiert und einige Pilotprojekte durchführen können. Damit ist die Vision verbunden, dass der Automatismus der Einführung von Technologien, deren Möglichkeiten erkannt und erforscht werden, in gewissem Sinne gebrochen werden muss; ebenso die fortgesetzte, unkorrigierte Nutzung von vorhandenen Technologien, deren Gefahrenpotenziale deutlich werden – Chancen für verbesserte Formen der Verifikation treten ggf. hinzu. Ein politischer Regelungsbedarf, der Beschaffungs- und Nutzungsentscheidungen vorgelagert sein muss – oder fortdauernde Nutzung betrifft – soll benennbar werden. Der Glaube an die Unausweichlichkeit der wissenschaftlich-technologischen Dynamik (oder gar Eigendynamik), ihre Alternativlosigkeit ist demgegenüber noch zu weit verbreitet.

Die Wiederkehr der Rüstungsdynamik zeigt sich auch in dem ungebrochenen Drang nach neuen waffentechnischen Möglichkeiten, die mit großem Aufwand wissenschaftlich erforscht werden. Aktuell gehören dazu: Laserwaffen, Weltraumwaffen und militärische Visionen in der Nanotechnologie. Letzteres Beispiel aus dem FONAS-Arbeitszusammenhang wird daher ebenfalls vorgestellt.

Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt und ist Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS).

Kernwaffen runderneuert:

Kernwaffen runderneuert:

Effektiver, treffgenauer, einsatzfähiger

von Giorgio Franceschini

Bis vor etwa einem Jahrzehnt herrschte noch Aufbruchstimmung in der nuklearen Rüstungskontrolle. Viele hatten gehofft, dass mit dem Ende des Kalten Krieges auch jene Waffen verschwinden würden, mit denen sich die Supermächte ein halbes Jahrhundert lang der Fähigkeit zur »Mutual Assured Destruction« (MAD, gegenseitig gesicherte Zerstörung) versichert hatten, sollte es je zu einem nuklearen Schlagabtausch kommen.

Dass es zu keinem atomaren Armageddon kam, ist weniger den ausgeklügelten Abschreckungsdoktrinen zu verdanken, an die inzwischen immer weniger Experten glauben, sondern dem puren Zufall oder »Glück«, wie die jüngere Geschichtsschreibung zeigt. Es schien sich deshalb bereits vor dem Ende des Kalten Krieges die Erkenntnis durchzusetzen, dass Nuklearwaffen unabhängig von ihren Besitzern und den spezifischen Nuklearwaffen-Doktrinen eine Bedrohung für die Menschheit darstellen und dass dementsprechend nach Wegen gesucht werden müsste, sie vollständig abzuschaffen.

Die großen geopolitischen Umwälzungen nach dem Fall der Berliner Mauer schienen dabei erstmals ein »window of opportunity« zu öffnen, innerhalb dessen die weltweite Eliminierung der Kernwaffen in Angriff genommen werden konnte. Die Herausforderung war immens, da die Hinterlassenschaft des Kalten Krieges aus über 60.000 atomaren Sprengköpfen bestand, die die acht »offiziellen« und »inoffiziellen« Kernwaffenstaaten im Laufe von vier Jahrzehnten aufgehäuft hatten. Ein Großteil dieser Waffen befand sich allerdings in den Händen der beiden Supermächte USA und Sowjetunion bzw. Russlands, auf die sich folgerichtig die Abrüstungsbemühungen zu Beginn der 1990er Jahre konzentrierten.

Die Anfänge dieses Unterfangens waren dabei durchaus viel versprechend:

Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung des START I-Vertrags (1991) gelang es, die vollkommen überdimensionierten Arsenale der Vereinigten Staaten und Russlands binnen eines Jahrzehnts um etwa zwei Drittel zu reduzieren.

Auf amerikanische Initiative hin begannen erstmals Verhandlungen zu einem umfassenden Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT), der 1996 schließlich zur Unterzeichnung freigegeben wurde.

Auf der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (NVV) wurde 1995 dessen unbefristete Verlängerung beschlossen. Dabei verpflichteten sich die Kernwaffenstaaten, die Mitglieder des Vertrags sind, nochmals explizit zur vollständigen nuklearen Abrüstung.

Im Laufe der 1990er Jahre wandelte sich somit die Vision einer kernwaffenfreien Welt von einer rhetorischen Leerformel des Kalten Krieges zu einer realistischen Perspektive für das 21. Jahrhundert. Bis George W. Bush jun. kam.

Nuklearpolitisches Rollback

Es hatte zwar schon vor seinem Amtsantritt das eine oder andere Störfeuer gegeben1, doch hatten sich bis dahin zumindest formell alle amerikanischen Präsidenten seit 1945 zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt. Insbesondere Bill Clinton, Bushs Vorgänger, hatte mit der Unterzeichnung des CTBT und der Annahme der Abrüstungsagenda der 13 »practical steps« Meilensteine auf dem Weg der nuklearen Abrüstung gesetzt. In den 13 Schritten, vereinbart auf der NVV-Überprüfungskonferenz des Jahres 2000, verpflichteten sich neben den USA auch die vier weiteren »offiziellen« Kernwaffenländer zur vollständigen Eliminierung ihrer Arsenale.

Dieser Initiative hat die Bush-Regierung seit 2001, mit Amtsantritt, den Wind aus den Segeln genommen und damit auch den anderen Nuklearwaffenstaaten einen Vorwand geboten, ihre Abrüstungsverpflichtungen schnell wieder zu vergessen. Seitdem läuft das nukleare Rollback. Die Kernwaffenländer verkündeten in den letzten Jahren wieder öffentlich und ungeniert ihre Modernisierungspläne und machten sich schnell die amerikanische Rhetorik zu Eigen, seit dem 11. September 2001 sei eine neue geopolitische Realität entstanden, die alle vorhergehenden Verpflichtungen (insbesondere die der nuklearen Abrüstung) obsolet mache.

Die Zukunft sei zu ungewiss, als dass das Vereinigte Königreich jetzt auf Kernwaffen verzichten könnte. Mit dieser Argumentation verteidigte der scheidende britische Premier Tony Blair vor einem Jahr in einer seiner letzten Amtshandlungen die Entscheidung seiner Regierung, sich neue Trident-U-Boote für die heimische Nuklearflotte anzuschaffen. Worin diese spezifische Bedrohung bestehen soll, wurde zwar im entsprechenden »White Paper«2 nicht ausgeführt; dafür fand sich die Feststellung, die anderen Nuklearwaffenländer würden schließlich auch nicht abrüsten.

In diesem Klima der generalisierten Verantwortungslosigkeit verweisen die »kleinen« Atommächte auf die großen und letztere auf den internationalen Terrorismus, die so genannten Schurkenstaaten und die immer unübersichtlichere internationale Landschaft, um sich ihrer Abrüstungsverpflichtungen zu entledigen. In diesem Versteckspiel bleibt die meiste Kritik an den USA hängen, die aufgrund ihrer Machtfülle und ihrer militärischen Überlegenheit unweigerlich den Ton in der Rüstungskontrolle angeben. Washingtons Abwendung von bereits beschlossenen Abrüstungsplänen ist mithin besonders fatal.

Die Antwort ließ auch nicht lange auf sich warten. Aus Moskau meldete sich vor kurzem Präsident Vladimir Putin und verkündete seinem russischen Fernsehvolk „grandiose Atomrüstungspläne“, welche die gesamte Trägersystem-Triade des russischen strategischen Arsenals umfassen sollen, also Bomber sowie land- und U-Boot-gestützte Langstreckenraketen. Dieses Modernisierungsprogramm sei vor allem eine Antwort auf Washingtons fortwährende „Provokationen“ und habe nebenbei noch den Zweck, Russlands Großmachtambitionen für das 21. Jahrhundert zu unterstreichen.

Auch Frankreichs scheidender Präsident Chirac zeigte in seinen letzten Amtsjahren immer weniger Zurückhaltung, auf die Schlagkraft seiner »force de frappe« hinzuweisen, die Paris' Ansprüche einer Ordnungsmacht auch im 21. Jahrhundert absichern soll, und ließ es sich dabei nicht nehmen, dem Iran mit einem verheerenden Atomschlag zu drohen, sollte sich Teheran anmaßen, sich in den Club der Kernwaffenbesitzer einzureihen.

Umstrukturierung und Modernisierung der Arsenale

Der Trend ist heute in allen Nuklearwaffenländern derselbe. Die Zeit der Zurückhaltung – der faktischen wie der verbalen – ist vorbei; die Nuklearwaffenkomplexe (Forschung, Entwicklung, Produktion und Wartung) werden umstrukturiert und modernisiert und verschlingen wieder beachtliche Teile der Verteidigungsbudgets. Die Friedensdividende, die man mit dem Ende des Kalten Krieges verband, scheint somit auch schon wieder verbraucht.

Die Modernisierungsbestrebungen umfassen das gesamte Spektrum atomarer Waffen: Unterseeboote und deren Trägersysteme (Submarine Launched Ballistic Missiles, SLBM), landgestützte Interkontinentalraketen (Intercontinental Ballistic Missiles, ICBM), Marschflugkörper (cruise missiles) und strategische Bomber. Zusätzlich arbeiten wahrscheinlich alle Kernwaffenstaaten an neuen Sprengköpfen: Die USA, Frankreich und Russland tun dies offen, die restlichen Kernwaffenbesitzer heimlich. Die Motive hinter diesen Sprengkopfentwicklungen sind nicht immer einfach nachzuvollziehen, auch weil sie unter der Auflage erfolgen, dass die neuen Designs nicht getestet werden sollen und sich somit nicht zu stark von bereits existierender Hardware unterscheiden können.3

Warum also werden neue Sprengköpfe entwickelt? Ein Blick in die USA ist hier lohnenswert, wo seit zwei Jahren die Debatte um die so genannten »Reliable Replacement Warheads« (RRW) die Gemüter erregt. Die Befürworter dieser neuen Sprengköpfe verweisen auf (angebliche) technisch-ökonomische Vorteile eines Neustarts in der Nuklearwaffenentwicklung und halten den Ansatz der »Life Extension Programs« (LEP, Wartungsprogramme) für nicht nachhaltig. Letzterer sieht vor, die Erbmasse des Kalten Krieges (Sprengköpfe, aber auch Produktionsstätten und Wartungszentren) durch »lebensverlängernde Maßnahmen« solange wie möglich zu erhalten. Dieser konservative Ansatz scheint sich bewährt zu haben, wie inzwischen zahlreiche unabhängige Gutachten zeigen.

Dennoch sind die neuen Sprengköpfe damit noch nicht aus der Welt, da es in den Kernwaffenstaaten nach wie vor einflussreiche Lobbygruppen gibt, die versuchen, »replacement warheads« über immer neue Argumente im Gespräch zu halten. Die stärksten Befürworter dieser neuen Sprengköpfe kommen aus dem Umkreis der Waffenschmieden, der berüchtigten »weapon labs«. Diese riskieren schließlich im Kontext des Testmoratoriums und der konservativen Wartungsprogramme langfristig ihre Existenzberechtigung, denn der Teststopp erlaubt es ihnen nicht mehr, fundamentale Neuentwicklungen in Angriff zu nehmen4, und die »Life-Extension«-Programme sind intellektuell so anspruchslos, dass sie großteils vom Wartungspersonal in den Produktionsstätten übernommen werden können.

Da nützt den Waffenforschern auch ihr vollkommen überdimensioniertes Forschungsprogramm wenig, das ihnen als »Entschädigung« für den Teststopp zugesprochen wurde. Das kostspielige »Stockpile Stewardship Program« (US-Forschungsprogramm, Jahresbudget 2007: über 6 Milliarden $), aber auch seine britischen und französischen Pendants, werden es wohl kaum schaffen, »die besten Köpfe« aus Physik und Ingenieurswissenschaften langfristig an die »weapon labs« zu binden, wenn deren Aufgaben nicht klar umrissen sind. Junge und ehrgeizige Wissenschaftler werden nämlich wenig Freude daran haben, in überteuerten Versuchsanlagen und auf Supercomputern immer nur bereits existierende Nuklearwaffen zu simulieren, ohne jemals selbst ihre eigene Kreativität (z.B. im Zuge einer Neuentwicklung) entfalten zu können. In diesem Lichte erscheint das Trommelfeuer der Nuklearwaffenforscher für neue Sprengköpfe in einem vollkommen anderen Licht: Es geht darum, die Abwanderung von Spitzenkräften aus den »weapon labs« zu bremsen und dem »brain drain« Einhalt zu gebieten. Das russische Beispiel der 1990er Jahre hat nämlich gezeigt, wie schnell diese Erosion vonstatten gehen kann und wie schwierig es ist, sich danach wieder zu stabilisieren.

Momentan werden in den USA (aber auch in Großbritannien, Frankreich, Russland und möglicherweise in China) die traditionellen und die neuen Programme parallel gefahren, d.h. die alten und bereits getesteten Sprengköpfe der 1980er Jahre werden generalüberholt, während gleichzeitig an neuen Sprengköpfen geforscht wird, welche langfristig dann das Erbe des Kalten Krieges antreten sollen. Dieser Übergang von »alten« zu »neuen« Sprengköpfen variiert dabei von Land zu Land. Frankreich hat schon längst beschlossen, in den nächsten Jahren neue Sprengköpfe (Têtes Nucléaires Océaniques, TNO) auf seine Trägersysteme zu montieren, in deren Entwicklung u.a. die Daten der umstrittenen Tests auf den Mururoa-Inseln 1996 einflossen. Demgegenüber hält sich London noch bedeckt, ob die neue Trident-Flotte mit »High Surety Warheads« (der unbestätigte Name der britischen Ersatzsprengköpfe) oder mit dem bereits vorhandenen Sprengkopfdesign ausgestattet werden sollen.

In den USA schließlich scheinen erstmals drei Szenarien möglich. Erstens könnte die RRWs dasselbe Schicksal ereilen wie ihre Vorgänger, die »Mini Nukes« (Mini-Atomwaffen) und den »Bunker Buster« (bunkerbrechende Bombe mit nuklearem Sprengkopf), d.h. sie könnten nicht über das Stadium einiger Vorfeldstudien hinauskommen, wenn weiterhin so viele Unzulänglichkeiten zutage treten, wie sie von unabhängigen Gutachtern bereits moniert wurden.5 Ein zweites Szenario wäre eine partielle »Stockpile«-Transformation, d.h. von den neun Sprengkopfdesigns, die sich momentan in Washingtons Nukleararsenal befinden, würden einige mit RRWs ersetzt und andere über LEP konserviert. Dieser Ansatz würde es auch ermöglichen, einen Leistungsvergleich zwischen LEP- und RRW-Programmen für die Weiterentwicklung des USArsenals durchzuführen. In einem dritten Szenario hingegen kommt es zu einer vollständigen Transformation des Nuklearwaffenkomplexes (Complex 2030), an deren Ende ein Arsenal aus ausschließlich neuen Sprengkopfdesigns steht.6 Diese Aussicht lässt viele Beobachter um die Zukunft des Teststoppabkommens bangen, da es schwer vorstellbar ist, dass das »Strategic Command« der USA, dem die strategischen Kernwaffen anvertraut sind, seine Abschreckung auf Waffensysteme basieren wird, die niemals getestet wurden. Der Druck der Militärs, insbesondere bei einer geopolitischen Bedrohung, das Testmoratorium zu kippen und die Ersatzsprengköpfe zu testen, wäre für politische Entscheidungsträger in dieser Situation schwer auszuhalten.

Doch ein einziger Test würde wahrscheinlich genügen, um den letzten Bremsklotz in der vertikalen Proliferation7 aus dem Weg zu räumen und das letzte bisschen Zurückhaltung in der Kernwaffenmodernisierung zu beenden. Es ist nämlich ein offenes Geheimnis, dass Russland und China, und sicherlich auch Indien und Pakistan, höchstwahrscheinlich ihre Aktivitäten auf den jeweiligen Testgeländen wieder aufnehmen würden, sollte ihnen Washington die entsprechende Steilvorlage bieten. Ganz aufgegeben haben sie ihre Testaktivitäten nie, wie zahlreiche subkritische Tests nach Unterzeichnung des CTBT beweisen.8

Funktionswandel der Kernwaffen

Bei all der Kritik an den gegenwärtigen Modernisierungsprogrammen sollte man vorsichtig sein, sie mit den Rüstungswettläufen des Kalten Krieges gleichzusetzen. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten nuklearen Ära lässt sich nämlich sowohl quantitativ als auch qualitativ bestimmen. Während im Kalten Krieg, der ersten nuklearen Ära, Nuklearwaffen in erster Linie die Funktion der Abschreckung besaßen und als solche in hinreichend großen Mengen produziert wurden, um zu jeder Zeit »Zweitschlagsfähigkeit« zu garantieren, scheinen sie im 21. Jahrhundert, in der zweiten nuklearen Ära, eine vollkommen neue Funktion zu erhalten, die noch schwer greifbar ist.

Die neuen amerikanischen, französischen und russischen Doktrinen mögen insofern einen Vorgeschmack auf diesen Trend geben, als sie heute – anstelle der Abschreckung vor nuklearer Aggression – andere Einssatzszenarien in den Vordergrund stellen, den ungünstigen Kriegsverlauf auf dem Schlachtfeld etwa oder die »Sicherung der strategischen Versorgung« – also von Öl und Rohstoffen – oder eben die Abschreckung auch beschränkter konventioneller Bedrohungen. Allen Doktrinen gemeinsam ist die Herabsetzung der Schwelle eines Kernwaffeneinsatzes, obwohl dies von den jeweiligen Regierungen wenig überzeugend abgestritten wird. Somit ist die zweite nukleare Ära weniger von einem quantitativen Wettrüsten als von einer qualitativen Transformation der Nuklearwaffenarsenale bestimmt, wo im Ansatz bereits die neue Rolle der Kernwaffen im 21. Jahrhundert zum Ausdruck kommt. Diese sollen – auch im Hinblick auf die relativ spannungsfreie Koexistenz der Atomwaffenbesitzer – neuen Aufgaben zugeführt werden, die in den entsprechenden Doktrinen bereits angedeutet sind.

Um aber Nuklearwaffen für den konkreten Einsatz zu optimieren, sollten diese über Eigenschaften verfügen, die reine Abschreckungspotenziale nicht unbedingt aufweisen müssen: Sie sollten treffgenauer, zuverlässiger und flexibler sein. Diese Eigenschaften mussten reine Abschreckungswaffen nur zu einem gewissen Grad erfüllen, da sie eher eine politische als eine militärische Funktion zu erfüllen hatten: Sie mussten lediglich in hinreichender Zahl so über das Territorium (und die Ozeane) verteilt sein, dass sie nicht alle in einem atomaren Erstschlag vernichtet werden konnten.

Wie treffgenau, zuverlässig und flexibel sie waren, spielte bei dieser defensiven Aufstellung kaum eine Rolle. Es war für einen potentiellen Angreifer irrelevant, ob 70 oder 90 Prozent der Sprengköpfe des Gegners beim erwarteten Gegenschlag detonieren würden. Die schiere Zweitschlagsfähigkeit des Gegners mit eventuell Hunderten von Sprengköpfen sollte jegliche Angriffslust im Keim ersticken, unabhängig von der jeweiligen Zuverlässigkeit der atomaren Bestände.

Anders gestaltet sich eine offensivere Ausrichtung der Bestände. Hier werden Sprengköpfe einzelnen militärischen Zielen zugeordnet, die sie im Falle einer Konfrontation ausschalten und dementsprechend möglichst genau mit dem erwünschten Detonationswert treffen müssen. Daraus lassen sich die Optimierungsparameter der neuen »einsatzfähigeren« Kernwaffen ableiten: höhere Zuverlässigkeit, höhere Treffgenauigkeit und höhere Flexibilität. Diese Anforderungen bringen unweigerlich die Atomraketen ins Spiel, welche insbesondere bei der Zuverlässigkeit und Treffgenauigkeit noch reichlich Optimierungspotential haben.9 Dementsprechend konzentrieren sich in allen Kernwaffenländern die Modernisierungsprogramme neben den Sprengköpfen besonders auch auf die zugehörigen Trägersysteme, die nebenbei auch noch die zurzeit entstehenden Raketenabwehrsysteme überwinden sollen.

Ein Blick nach Moskau und Paris verdeutlicht diesen Trend. Das französische Raketenprogramm verschlingt seit einigen Jahren über die Hälfte des jährlichen Budgets der »force de frappe« (Jahresbudget 2006: 3 Milliarden Euro). Ab 2015 werden die vier strategischen U-Boote der Grande Nation mit jeweils 16 neuen Interkontinentalraketen des Typs M51 ausgestattet, an deren Spitze bis zu sechs neue Mehrfachsprengköpfe des Typs TNO montiert werden können. Die M51 soll wesentlich treffgenauer und zuverlässiger sein als das Vorgängermodell, die M45, und erlaubt in Kombination mit den neuen Sprengköpfen eine höhere Variabilität bei den Detonationswerten. So sollen für jeden Sprengkopf Werte bis zu 150 kt einstellbar sein, womit indirekt das potentielle Aufgabenspektrum dramatisch vergrößert wird.10

Das russische Pendant der M51 ist die »Bulava«, eine Neuentwicklung im Bereich der SLBM, die auf eine neue Generation strategischer U-Boote der sog. »Borej«-Klasse zum Einsatz kommen soll. Sie wird zu Wasser die ebenfalls neuen Interkontinentalraketen des Typs »Topol-M« ergänzen, welche zu Land die alten sowjetischen ICBM, die SS-18, SS-19 und SS-25, ersetzen sollen. Mit der Bereitstellung neuer strategischer Bomber (sog. »Blackjacks«) wird damit in einigen Jahren die gesamte russische Triade aus land-, see- und luftgestützten Systemen erneuert sein.

Dieser Modernisierungsschub sollte allerdings nicht davon ablenken, dass sich Moskaus Nukleararsenal in den kommenden Jahren wesentlich verkleinern wird, da die neuen Raketen vorerst nur in geringer Stückzahl stationiert werden und gleichzeitig große Bestände aus Zeiten des Kalten Krieges aus Altersgründen sukzessive abgebaut werden müssen. So werden in den nächsten Jahren über 250 SS-25, die als das Rückgrat des sowjetischen landgestützten Arsenals galten, ihren Einsatz beenden, gefolgt von weiteren Altlasten, den SS-18 und SS-19. Die Indienststellung neuer »Topol-M« kann diesen vorläufigen Rückgang stationierter ICBM dabei kaum aufhalten. Dasselbe gilt für Moskaus seegestützte Nuklearkapazität. Die U-Boot-Flotte wird vorerst verkleinert, indem man auf weniger, dafür aber schwerer aufzuspürende und besser bewaffnete U-Boote setzt. Auch hier wird die Zahl der SLBM erstmals drastisch sinken, auch weil die ersten Flugtests der neuen »Bulava« nicht die gewünschten Erfolge gebracht haben.

Dennoch kommen Moskau diese Unzulänglichkeiten nicht ganz ungelegen, da Russland noch bis 2012 einiger Restriktionen in der Anzahl der Raketen und der darauf stationierten Sprengköpfe unterliegt. Mit dem Auslaufen des START I-Vertrags im Jahre 2009 und des SORT-Vertrages11 drei Jahre danach entfallen aber für die russischen Nuklearstrategen sämtliche Auflagen, auf die man sich in den Abrüstungsverhandlungen seit Anfang der 1990er Jahre mit den USA geeinigt hatte. Dann wird sich das russische Arsenal wohl auf eine Größe einpendeln, die den Strategen im Kreml »strategische Parität« mit den Amerikanern garantiert. Man kann davon ausgehen, dass dieses rundum erneuerte Arsenal einige tausend Sprengköpfe umfassen, sich aber nicht mehr den exorbitanten Zahlen aus dem Kalten Krieg nähern wird (ca. 70.000 Sprengköpfe im Jahr 1986, zuletzt etwa 25.000).

Ähnliches könnte für Frankreich und Großbritannien gelten, die eine Gesamtzahl von einigen hundert Sprengköpfen anstreben, welche leicht unterhalb ihrer Arsenalgröße der letzten Jahrzehnte liegen sollte. Auch China (geschätzte Arsenalgröße: etwa 200 Sprengköpfe) scheint sich momentan eher um eine qualitative Optimierung seiner Nuklearflotte zu bemühen als diese quantitativ auszubauen. Dabei folgt Peking den Beispielen Londons und Paris' und ist im Begriff, einen Teil seiner strategischen Sprengköpfe auf neueste U-Boote der so genannten »Jin«-Klasse auszulagern. Einzig Indien und Pakistan setzen vorerst noch auf quantitatives Wachstum, bis ihre Sprengkopfanzahl ihren Vorstellungen einer »Minimalabschreckung« entspricht. Dieses Ziel könnte New Delhi mit indirekter Hilfe Washingtons in den nächsten Jahren erreichen, wenn der umstrittene Nukleardeal, den Bush und Singh im Jahre 2006 ausgehandelt hatten, zum Tragen kommt.

Fazit

Abschließend bleibt festzuhalten, dass seit etwa einem Jahrzehnt die Nuklearwaffenländer der Mut verlassen hat, den Weg in Richtung Kernwaffeneliminierung weiterzugehen, den sie nach dem Kalten Krieg zaghaft angetreten hatten. Wesentliche Verantwortung für diesen Stimmungswechsel tragen jene neokonservativen Berater der amerikanischen Regierung, denen es gelungen ist, Washington von den Prinzipien kooperativer Rüstungskontrolle abzubringen und in dessen Folge zentrale Pfeiler der globalen Sicherheitsarchitektur geschleift wurden (der Raketenabwehrvertrag, die START II- und START III-Verträge) und wesentliche Meilensteine auf der Abrüstungsagenda verschleppt wurden (beispielsweise das Umfassende Teststoppabkommen oder ein Vertrag über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterialien). Vor diesem Hintergrund »partieller Anarchie« haben sich die weiteren Kernwaffenbesitzer berechtigt gesehen, ihrerseits eine zweite nukleare Ära einzuläuten, die für die Zukunft der nuklearen Nichtverbreitung nichts Gutes bedeutet.

Anmerkungen

1) Der bedeutendste Rückschlag war sicherlich die Weigerung des US-Senats im Jahre 1999, den CTBT zu ratifizieren, den der damalige US-Präsident Bill Clinton drei Jahre zuvor feierlich unterzeichnet hatte.

2) »The Future of the United Kingdom's Nuclear Deterrent«, White Paper Presented to Parliament by the Secretary of State for Defense and the Secretary of State of Foreign and Commonwealth Affairs By Command of Her Majesty, Dezember 2006.

3) Der CTBT ist zwar nicht in Kraft, dennoch halten sich momentan alle Kernwaffenbesitzer an ein Testmoratorium. Aber ohne Tests können keine fundamentalen Neuentwicklungen in Angriff genommen werden.

4) Die RRWs sind demnach auch keine vollkommen neuen Sprengköpfe, sondern basieren auf bereits getesteten Designs, die mithilfe neuer technischer Merkmale besonders sicher, zuverlässig und »umweltverträglich« sein sollen – ohne dass sie jemals im Ensemble mit den neuen Features getestet wurden.

5) Siehe vor allem die neuesten JASON-Studien zum Thema der Sprengkopfalterung und der Zertifizierung von RRWs.

6) Vgl. Jacqueline Cabasso (2007): Complex 2030: US-Atomwaffen für das 21. Jahrhundert. Wissenschaft und Frieden, 25 (1), S.43-47.

7) Als »vertikale Proliferation« wird die qualitative Verbesserung des Arsenals bezeichnet, als »horizontale« die Verbreitung in neue Länder.

8) Subkritische Tests werden ohne kritische Menge an Spaltmaterialien durchgeführt, so dass auch keine sich selbst erhaltende Kettenreaktion entsteht. Sie sind nicht explizit verboten, führen aber immer wieder zu Irritationen und Missverständnissen.

9) Unabhängige Gutachter schätzen die Zuverlässigkeit der amerikanischen Sprengköpfe auf 98%, aber die ihrer Trägersysteme auf nur circa 85%. Siehe z.B. Robert Nelson (2006): If It Ain't Broke: The Already Reliable U.S. Nuclear Arsenal. Arms Control Today, 36 (3), S.18-24.

10) Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte einen Detonationswert von 13 kt.

11) Der »Strategic Offensive Reduction Treaty« (SORT) von 2002 definiert Obergrenzen für stationierte russische und amerikanische Sprengköpfe, enthält jedoch keinerlei Überprüfungsmaßnahmen. Der Vertrag läuft 2012 aus und wird nicht verlängert.

Giorgio Franceschini beschäftigt sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) mit nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung.