Die Zwei Musketiere der Europäischen Union

Die Zwei Musketiere der Europäischen Union

Das anglo-französische Militärabkommen und die Modernisierung von Atomwaffen

von Ian Davis

Anfang November 2010 unterzeichneten die Regierungschefs von Großbritannien und Frankreich ein bahnbrechendes Abkommen über Kooperation im Verteidigungssektor. Die Zusammenarbeit erstreckt sich auf etliche militärische Schlüsselbereiche. Die beiden Länder sind schon bislang die größten Militärmächte in Europa: Ihr Verteidigungshaushalt beträgt nahezu 50% der gesamten Militärausgaben in der EU, sie stellen die Hälfte aller europäischer Streitkräfte und bestreiten 70% der Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung. Die engere militärische Zusammenarbeit ergibt sich aus einem übergreifenden Vertrag über Kooperation bei der Verteidigung (Defence Co-operation Treaty)1, einem nachrangigen Vertrag über nukleare Zusammenarbeit,2 einer Absichtserklärung der beiden Verteidigungsminister und einem Bündel gemeinsamer Verteidigungsinitiativen. Die Ratifizierung der beiden Verträge durch die jeweiligen Parlamente steht noch aus.

Nach mehrjährigen Vorbereitungen wurde das bilaterale Verteidigungsabkommen zwischen Großbritannien und Frankreich am 2. November 2010 auf einem Gipfeltreffen im noblen Lancaster House in London von Premierminister Cameron und Präsident Sarkozy unterzeichnet.3 Der Pakt soll die operativen Verbindungen zwischen der französischen und der britischen Streitmacht stärken und legt die Grundlage für die gemeinsame Nutzung von Material und Ausrüstung, den Bau gemeinsamer Einrichtungen, wechselseitigen Zugang zur Rüstungsindustrie und intensivere industrielle und technologische Zusammenarbeit. Der britische Verteidigungsminister Liam Fox begründete das Abkommen wie folgt:

„Es gibt viele Gründe, warum diese Zusammenarbeit Sinn macht. Wir sind die einzigen Nuklearwaffenmächte Europas. Wir haben die höchsten Verteidigungsetats und sind die zwei einzigen Länder mit großen und fähigen Eingreiftruppen. Wir sind beide ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und führende Mitglieder der G8 und G20.

Und es gibt keinen besseren Moment, unsere Beziehung mit Frankreich zu vertiefen. Seit Präsident Sarkozys Amtsantritt konnten wir den energischen Versuch beobachten, Europa und Amerika näher zusammenzubringen und Frankreich stärker in die NATO einzubinden.“ 4

Zwar hat sich der Pakt den beiden Ländern nahezu aufgedrängt, da sie beide mit Kürzungen im Verteidigungsetat kämpfen – die britische Koalitionsregierung hatte erst zwei Wochen zuvor nach einer hastigen Überprüfung der strategischen Verteidigungs- und Sicherheitsfähigkeiten (Strategic Defence and Security Review)5 beträchtliche Einschnitte in den Verteidigungshaushalt angekündigt –, aber er unterstreicht auch, dass das Vertrauen zwischen Paris und London gewachsen ist. Ob das Vertrauensverhältnis anhält, muss sich erst noch weisen, davon wird aber wesentlich abhängen, in welchem Umfang und bis zu welcher Tiefe das Abkommen in den nächsten Monaten und Jahren umgesetzt wird. Auch ob die auf beiden Seiten des Ärmelkanals erwartete Verbesserung der militärischen Fähigkeiten bei gleichzeitigen Einsparungen Realität wird, bleibt abzuwarten. Immerhin stößt die geplante Zusammenarbeit bei den Bündnispartnern der NATO auf Zustimmung, zumindest auf dem Papier. In der Abschlusserklärung des Lissabonner Gipfels vom 20. November 2010 heißt es volltönend:

„In diesem Zusammenhang begrüßen wir das Ergebnis des französisch-britischen Gipfeltreffens vom 2. November 2010, das die Zusammenarbeit der beiden Länder im Sicherheits- und Verteidigungsbereich durch die Einführung innovativer Verfahren der Bündelung und gemeinsamen Nutzung verstärken wird. Wir sind der Auffassung, dass eine solche bilaterale Verstärkung der europäischen Fähigkeiten zu den Gesamtfähigkeiten der NATO beitragen wird.“ 6

Das Abkommen baut auf mehreren früheren Vereinbarungen auf. Ungeachtet erheblicher historischer Rivalitäten und trotz beträchtlicher politischer Differenzen (z.B. über die Invasion im Irak 2003) hat sich nämlich in den letzten zwei Jahrzehnten eine stabile anglo-französische Verteidigungskooperation entwickelt. Französische Soldaten befehligten britische Truppen und umgekehrt. Der neue britische Generalstabchef Sir David Richards hatte französische Soldaten unter seinem Kommando, als er die NATO-Mission in Afghanistan leitete. Und bei der Bosnien-Mission der NATO war ein französischer General stellvertretender Kommandeur und befehligte somit britische Soldaten. Das ist allerdings qualitativ und quantitativ nicht zu vergleichen mit dem, was jetzt geplant ist – von der gemeinsamen Nutzung von Flugzeugträgern bis zur gemeinsamen Entwicklung unbemannter Flugkörper und von der Aufstellung gemeinsamer Eingreiftruppen bis zur Forschung für und dem Testen von Nuklearsprengköpfen und -komponenten.

Schon 2011 beginnen die britischen und französischen Streitkräfte mit gemeinsamen Manövern. Diese dienen zur Vorbereitung der Schnellen Eingreifgruppe, die bei Bedarf aus dem Militär beider Länder aufgestellt wird und auf gemeinsamen politischen Beschluss unter einem britischen oder französischen Kommandeur zum Einsatz kommt. Das Abkommen über die gemeinsame Nutzung von Flugzeugträgern – die etwa 30% der Zeit zur Wartung und Nachrüstung im Dock liegen – soll etwa 2020 greifen. Dann wird ein einsatzbereiter französischer Flugzeugträger den britischen Einheiten immer dann für Übungen oder sogar für eine Militäroperation zur Verfügung stehen, wenn der britische Flugzeugträger gerade außer Dienst ist – sofern Frankreich dem zustimmt. Und umgekehrt gilt das gleiche, wenn der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle – was nur allzu oft passiert – gerade nicht einsatzbereit ist. Die zwei Länder poolen auch Ressourcen für Ausbildung, Wartung und Logistik des neuen Transportflugzeugs A400M, das beide beschaffen, obgleich Frankreich seine Transportflotte unter dem neuen, im September 2010 aufgestellten Europäischen Lufttransportkommando (European Air Transport Command) auch bereits mit Belgien, Deutschland und den Niederlanden poolt.

Längerfristige Kooperationspläne beziehen sich außerdem auf eine Reihe ganz unterschiedlicher Programme, einschließlich Satellitenkommunikation, Cyber-Sicherheit und der Entwicklung neuer ballistischer Raketen und unbemannter Flugkörper. Allerdings ist Frankreich auch in diesen Bereichen schon eng in etliche multilaterale europäische Projekte eingebunden, bei der Satellitenkommunikation beispielsweise mit Italien und Spanien, und es ist unwahrscheinlich, dass Frankreich diese bestehenden Kooperationsprojekte platzen lässt.

Zusammenarbeit bei Nuklearwaffen: Stärkung des Strategischen Dreiecks in der NATO

Am meisten Aufsehen hat der separate Vertrag über nukleare Kooperation erregt, vor allem, weil Frankreich und Großbritannien bei ihren Nuklearwaffenarsenalen traditionell unterschiedliche Ansätze verfolgen. Großbritannien hängt in allen drei wesentlichen Punkten – Sprengköpfe, Trägersysteme und Plattformen – hochgradig von den Vereinigten Staaten ab, was dem Anspruch Londons auf eine »unabhängige nukleare Abschreckungskapazität« wenig Überzeugungskraft verleiht. Die transatlantische Verbindung in puncto Nuklearwaffen reicht bis mindestens 1958 zurück, als US-Präsident Dwight Eisenhower und der britische Premierminister Harold Macmillan ein Abkommen über die gegenseitige (nukleare) Verteidigung (Mutual Defence Agreement, MDA) unterzeichneten. Unter dem MDA können die USA mit Ausnahme kompletter Nuklearwaffen alles mit London teilen. Das US-britische Abkommen wurde 2004 um zehn Jahre verlängert, und Großbritannien bezieht von den USA weiterhin Nuklearwaffenkomponenten, ballistische Raketen des Typs Trident D5 sowie Designspezifikationen und Reaktortechnologie für seine U-Boot-Flotte. Sogar an der Leitung der britischen Atomwaffenfabrik in Aldermaston (Atomic Weapons Establishment), wo (nach US-Blaupausen) die Nuklearwaffen zusammengebaut und gewartet werden, ist inzwischen das US-Unternehmen Lockheed Martin beteiligt.

Im Gegensatz zur »outgesourcten Abschreckung«7 der Briten bleibt die französische »Force de Frappe« – eine Nuklearstreitkraft, die über see- und luftgestützte ballistische Raketen verfügt – das ultimative Symbol nationaler Souveränität. Trotz der begrenzten technischen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten bei nuklearer Sicherheit und einer gewissen Koordination der politischen Planung mit London, legte Frankreich immer Wert darauf, alle erforderlichen Komponenten seines Nuklearwaffenarsenals (zu erheblich höheren Kosten) selbst zu bauen und zu unterhalten. Diese Position wurde 2008 im französischen Weißbuch bestätigt, das betonte, dass „sich die Nuklearstreitkräfte aus zwei klar von einander abgegrenzten und komplementären Komponenten zusammensetzen, einschließlich der unterstützenden Infrastruktur, die den unabhängigen und sicheren Betrieb ermöglicht.“ 8

Das anglo-französische Nuklearabkommen begründet ein neues gemeinsames Programm namens »Teutates«, benannt nach dem keltischen Kriegsgott, den im Altertum die Briten wie die Gallier verehrten. Offensichtlich mit dem Segen der Vereinigten Staaten soll »Teutates« in beiden Ländern den gemeinsamen Aufbau spitzentechnologischer Nuklearforschungseinrichtungen ermöglichen, die ab 2015 arbeitsfähig sein sollen. Die britische Forschungseinrichtung in Aldermaston soll ein gemeinsames technologisches Entwicklungszentrum (Technology Development Centre) beherbergen, und in Frankreich soll in Valduc eine neue hydrodynamische Forschungseinrichtung für die Simulation von Nuklearwaffentests entstehen. Liam Fox erläuterte vor dem britischen Parlament am 2. November 2010, dass diese Anlage „das Verhalten von Materialien bei extremen Temperaturen und Drücken mit Hilfe von Röntgentechnik messen“ soll. „Damit können wir die Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Nuklearwaffen in unserem Arsenal modellieren, ohne echte Nuklearwaffentests durchzuführen.“ 9

Von höchster Bedeutung ist dabei eine Art Rotationsverfahren im Dienstplan der Anlage, um sicherzustellen, dass jede Seite „sämtliche Versuche, die zur Unterstützung ihres nationalen Programms erforderlich sind, […] ohne neugierige Blicke“10 der Mitarbeiter des jeweils anderen Landes durchführen kann. So ist für die Amerikaner die Vertraulichkeit ihrer Sprengkopfkonstruktion gewährleistet und es wird die Weitergabe von Nuklearwaffentechnologie vermieden, die gemäß Artikel I des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages untersagt ist.

Das Abkommen ist auf einen 50-jährigen Lebenszyklus der Anlagen ausgelegt und deckt damit die Erforschung und Entwicklung von zwei Technologiegenerationen ab, umfasst aber weder die gemeinsame Stationierung von Nuklearwaffen oder gemeinsame U-Boot-Patrouillen noch den Austausch von Nuklearmaterialien. Mit anderen Worten: Die Kooperation soll da aufhören, wo die umfassendere und tiefgreifendere Zusammenarbeit von Großbritannien und den Vereinigten Staaten oder die französische Interpretation von unabhängiger Beschaffung betroffen wären. Wenn die französischen und britischen Wissenschaftler allerdings erst einmal zusammenarbeiten und Forschungsergebnisse miteinander teilen, wird es vielleicht schwerer, die Abschottung nuklearer Daten aufrecht zu erhalten.

Und selbst wenn die gemeinsamen Labors den Zweck haben, die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Sprengkopfkonstruktionen zu erhöhen, so steigt damit doch die Aussicht, auch bei der Entwicklung neuer Sprengköpfe oder bei der Verbesserung der Fähigkeiten existierender Sprengkopftypen zusammenzuarbeiten. Auch die im Vertrag über Verteidigungskooperation getroffene Vereinbarung, im Jahr 2011 eine Studie zur potentiellen Zusammenarbeit bei Atom-U-Boot-Komponenten und -Technologien durchzuführen, eröffnen die Aussicht einer künftigen gemeinsamen Beschaffung eines ganz neuen Atom-U-Boots. Allerdings: Diese beide Optionen mögen zwar angesichts knapper Kassen Hoffnungen auf Kostensenkungen und auf die Aufrechterhaltung der erforderlichen Industriepotentiale wecken; da sich die nuklearen Modernisierungsprogramme der beiden Länder aber erheblich unterscheiden, ist kurz- bis mittelfristig keine der Optionen wahrscheinlich.

So werden die Franzosen 2015 ihre U-Boote mit dem neuen Sprengkopf Tête Nucléaire Océanique (TNO) ausstatten, Großbritannien wird aber frühestens 2019 über einen neuen Sprengkopftypen entscheiden. Ähnlich ist es bei den U-Booten: Großbritannien führt jetzt seine neuen nicht-nuklearen Angriffs-U-Boote der Astute-Klasse ein, Frankreich hingegen steht mit Überlegungen zu seiner Barracuda-Klasse noch ganz am Anfang. Bei den nuklear bewaffneten U-Booten ergibt sich ein ähnliches Bild: Großbritannien will seine Vanguard-Klasse (mit Hilfe der USA) durch eine neue Klasse ersetzen, während Frankreich gerade erst seine Nuklear-U-Boote der Klasse Le Triomphant eingeführt hat, auf der die fortgeschritteneren und weiter reichenden ballistischen Raketen des Typs M51 stationiert werden. Daher ergeben sich nur wenige Ansatzpunkte für die anglo-französische Zusammenarbeit bei U-Booten, Raketen oder Sprengköpfen, umso mehr, als in die neuen U-Boote der USA und Großbritanniens die gleichen Raketenrohre eingebaut werden.

Auf der anderen Seite stärkt das Kooperationsabkommen das strategische nukleare Dreieck USA-Großbritannien-Frankreich innerhalb der NATO, wie Verteidigungsminister Fox vor dem Parlament zugab:

„Es gibt bezüglich der nuklearen Abschreckung seit langem ein bilaterales Verhältnis zwischen Frankreich und den USA sowie ein bilaterales Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA […] es wird seit einiger Zeit diskutiert, ob das Verhältnis angesichts der Kosten der Programme trilateral sein sollte, für den Moment fiel die Entscheidung aber für den doppelten Bilateralismus. Wir stärken jetzt den dritten, den anglo-französischen Teil, weil wir glauben, dass dies aufgrund der Kosteneffektivität und unserer Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag in unserem Interesse ist.“ 11

Es ist allerdings nur schwer auszumachen, inwiefern das Abkommen zur Nichtverbreitung beiträgt. Sowohl Großbritannien als auch Frankreich haben das Umfassende Teststoppabkommen (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, CTBT) ratifiziert, das jegliche Nuklearwaffen-Testexplosionen untersagt. Da sich das anglo-französische Abkommen auf Tests von Komponenten, Computersimulationen und Experimente beschränkt, die ohne Nuklearexplosionen auskommen – und damit dem Teststoppabkommen Genüge leisten –, widerspricht die angestrebte Kooperation nicht dem Buchstaben des Vertrags (der zudem noch nicht in Kraft getreten ist). Allerdings steht er im Widerspruch zum Geiste des Vertrags, und das gleiche trifft im Hinblick auf Artikel I des Nichtverbreitungsvertrags auf die beabsichtigte wissenschaftliche Zusammenarbeit zu. Und nicht zuletzt: Dass die beiden Nuklearwaffenstaaten vorhaben, die nächsten 50 Jahre gemeinsam in die Forschung und Entwicklung von Nuklearwaffen zu investieren, untergräbt das angeschlagene Nichtverbreitungssystem zusätzlich.

Fazit: Nukleare Verbündete in knappen Zeiten

Ist dieser neuesten »Entente Frugale« ein besseres Schicksal beschieden als ihren Vorläufern? Zweifellos müssen fundamentale strategische Differenzen erst noch beigelegt werden: Die britische Verteidigungspolitik ist sehr eng auf die der Vereinigten Staaten und der NATO abgestimmt, während Frankreich weiterhin der Verteidigungsintegration innerhalb der EU verpflichtet bleibt. Und während beide Länder eindeutig auf dem Weg zur Modernisierung ihrer Nuklearwaffenarsenale sind – wenn auch in unterschiedlichem Tempo –, steht Großbritannien mit an der Spitze der Staaten, die für die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt eintreten, während Frankreich die Bemühungen um »Global Zero« mit großer Skepsis beobachtet. Letzteres ergibt sich aus den jüngsten Bemühungen, in der NATO die Diskussion um nukleare Abrüstung zu verhindern12 und die (von Wikileaks aufgedeckten) Bedenken in Paris, als (fälschlicherweise) angenommen wurde, dass Großbritannien sein nukleares Trident-System ganz aufgeben könnte.13

Die beabsichtigten gemeinsamen Aktivitäten zum Testen von Sicherheit und Zuverlässigkeit der französischen und britischen Nuklearwaffen ändert an diesem Gesamtbild kaum etwas. Und genau das ist die Krux. Es wurde die Gelegenheit verpasst, der »Global Zero«-Agenda den dringend nötigen Motivationsschub zu verpassen. Das Nuklearabkommen hätte genutzt werden können, um eine breiter angelegte bilaterale, trilaterale (mit den USA) und sogar internationale Zusammenarbeit bei der Verifikation von nuklearer Abrüstung und der vollständigen Abschaffung von Nuklearwaffen ins Leben zu rufen und dabei auf die wissenschaftliche Vorarbeit zu bauen, die in den nationalen Laboratorien wie in mehreren politischen Initiativen bereits geleistet wurde.14 Stattdessen stärkt das Abkommen im strategischen Denken der beiden Länder die nukleare Permanenz.

Gleichermaßen wurde in einer Zeit, in der keines der beiden Länder sich die Rolle, die es in der Welt spielt, noch leisten kann, eine Gelegenheit verpasst, genau diese Rolle und die Fähigkeiten, die für die Sicherheitsherausforderungen im 21. Jahrhundert benötigt werden, zu überdenken. Anstatt in Begriffen wie »menschliche Sicherheit« zu denken, bleibt das Kooperationsabkommen der herkömmlichen Sicherheitslogik verhaftet – der Sicherheit von Grenzen und der Rolle von Flugzeugträgern. Ein Konzept im Sinne der menschlichen Sicherheit hätte dazu geführt, dass Paris und London ihre Kräfte darauf konzentrieren, ihre eigenen Bürger und auch die außerhalb ihrer Landesgrenzen vor bestimmten Risiken zu schützen (darunter Gewalt, Naturkatastrophen, Hunger oder Krankheit), und zwar mit einem Mix aus militärischen und zivilen Kräften mit internationalem Mandat. Der Mangel an strategischem Denken ist das wirkliche Armutszeugnis im Kern dieser Angelegenheit.

Anmerkungen

1) Treaty Between the United Kingdom of Great Britian and Northern Ireland and the French Republic for Defence and Security Cooperation. Presented to Parliament by the Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs. Cm7976, 2 November 2010; www.official-documents.gov.uk/document/cm79/7976/7976.pdf.

2) Treaty Between the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and The French Republic Relating to Joint Radiographic/Hydrodynamics Facilities. Presented to Parliament by the Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs. Cm 7975, 2 November 2010; www.official-documents.gov.uk/document/cm79/7975/7975.pdf.

3) UK-France Summit 2010 Declaration on Defence and Security Co-operation. 2 November 2010, www.number10.gov.uk/news/statements-and-articles/2010/11/uk%E2%80%93france-summit-2010-declaration-on-defence-and-security- co-operation-56519.

4) Liam Fox: A closer alliance with France will be good for Britain. Daily Telegraph, 30 October 2010; www.telegraph.co.uk/news/newstopics/politics/defence/8098950/ A-closer-alliance-with-France-will-be-good-for-Britain.html.

5) A strong Britain in an age of uncertainty. The National Security Strategy. Presented to Parliament by the Prime Minister, Cm7953, October 2010; www.direct.gov.uk.

6) Lisbon Summit Declaration – Issued by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Lisbon. 20 November 2010; www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_68828.htm; deutsche Fassung auf www.nato.diplo.de/contentblob/2970690/Daten/966698/NATO_Gipfel_Erkl_DLD.pdf.

7) Dan Plesch: Trident: we’ve been conned again. New Statesman, 27 March 2006; www.newstatesman.com/200603270008

8) Gemeint sind einerseits die seegestützten Nuklearwaffen (auf U-Booten stationierte ballistische Raketen) und andererseits das luftgestützte Arsenal (Luft-Boden-Raketen, die von Flugzeugen abgeschossen werden). White Paper on Defence and National Security. June 2008; www.ambafrance-uk.org/New-French-White-Paper-on-defence.html.

9) Hansard, Column 780, 2 November 2010.

10) Cm 7975, op.cit.

11) Hansard, Column 785, 2 November 2010.

12) Ian Traynor. Germany and France in nuclear weapons dispute ahead of Nato summit: The Guardian, 18 November; www.guardian.co.uk/world/2010/nov/18/nato-summit-nuclear-weapons-row.

13) US embassy cables: French tell US Britain is ready to abandon Trident: The Guardian, 8 December 2010, Cable sent 06/08/2009 C O N F I D E N T I A L SECTION 01 OF 05 STATE 082013, www.guardian.co.uk/world/us-embassy-cables-documents/219798: US embassy cables: France fears Labour »demagogues« will drop Trident. The Guardian, 8 December 2010, Cable sent 31/07/2009, S E C R E T SECTION 01 OF 04 PARIS 001039; www.guardian.co.uk/world/us-embassy-cables-documents/218931.

14) Großbritannien und Frankreich hielten beispielsweise Treffen zu »vertrauensbildenden Maßnahmen für Abrüstung und Nichtverbreitung« mit hochrangigen Politikern, Militärs und technischen Experten der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Das erste Treffen fand im September 2009 in London statt, das zweite wird Anfang 2011 von Frankreich ausgerichtet.

Dr. Ian Davis ist unabhängiger Berater für Sicherheit und Abrüstung (www.iandavisconsultancy.com) und Gründungsdirektor von NATO Watch (www.natowatch.org). Übersetzt von Regina Hagen

Gute Gründe für Nuklearwaffen?

Gute Gründe für Nuklearwaffen?

Gespräche mit politischen Akteuren und Akteurinnen

von Sarah Maria Koch

Die Frage nach den »guten Gründen« von Nuklearwaffen scheint eine rhetorische zu sein und wird von der Leserschaft vermutlich – wie einst von der Autorin – reflexartig zurückgewiesen: „Es gibt keine guten Gründe für Nuklearwaffen!“ Wie aber kann es dann sein, dass die Anzahl der Nuklearwaffenstaaten seit dem Ende des Kalten Krieges nicht ab-, sondern zugenommen hat, nukleare Abschreckung in den nationalen Sicherheitsstrategien immer noch salonfähig ist und nach wie vor über 23.000 nukleare Sprengköpfe existieren? Im Rahmen ihrer Diplomarbeit suchte die Autorin das Gespräch mit politischen AkteurInnen und RegierungsvertreterInnen und ging der Frage nach, aus welchen Gründen manche von ihnen zögern, sich aktiv für nukleare Abrüstung einzusetzen, oder nukleare Rüstung gar befürworten.

Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) mahnen: „Das nukleare Erbe des Kalten Krieges ist nicht überwunden.“ Sie verweisen auf die Tatsache, dass weltweit noch immer über 23.000 Nuklearwaffen in den Arsenalen lagern.1 20 dieser Waffen sind nach wie vor in Deutschland stationiert.

Nuklearwaffen werden von den Besitzstaaten als (noch) unverzichtbare Garanten für nationale Sicherheit und Frieden bezeichnet. Gleichzeitig steht fest, dass der Einsatz dieser Waffen ein unvorstellbares Maß an Zerstörung, Tod und Leid verursachen würde und im Extremfall das Überleben der gesamten Menschheit gefährden könnte.2 Zwar haben Nuklearwaffen in der öffentlichen Wahrnehmung heute im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges eine relativ geringere Bedeutung, doch in den nationalen Sicherheitsstrategien der Nuklearwaffenstaaten und ihrer Verbündeten spielen sie noch immer eine wesentliche Rolle.

Im Unterschied zu den biologischen und chemischen Waffen gibt es bis heute keinen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der Nuklearwaffen ächtet.3 Der Nichtverbreitungsvertrag4 von 1970, welcher aufgrund seiner strukturellen Schwäche und mangelnden Wirksamkeit in der Kritik steht (vgl. Hall und Steffen, 2010, S.64, sowie Müller, 2009, S.12), gibt den rechtlichen Rahmen für die internationalen Verhandlungen über nukleare Abrüstung vor. Bei der diesjährigen Überprüfungskonferenz des Vertrages in New York waren nach jahrelangem Stillstand zwar hoffnungsvolle Bewegungen zu beobachten, zugleich machte sich in Anbetracht altbekannter Argumente und Konfliktstellungen aber auch Ernüchterung breit: Noch längst wird der nuklearen Abrüstung und dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt nicht die Priorität eingeräumt, die ihnen in Anbetracht des ungeheuerlichen Zerstörungspotentials von Nuklearwaffen zustehen müsste. Woher kommt das? Warum zögern politische AkteurInnen, sich für die Abschaffung von Nuklearwaffen einzusetzen? Mit welcher Begründung können Waffen mit einem unvorstellbaren Zerstörungspotential in der heutigen Sicherheitspolitik eine Option sein? Diesen Fragen wollte ich mich im Rahmen meiner psychologischen Diplomarbeit widmen und nach den »guten Gründen« für Nuklearwaffen suchen.

Ziele und Methoden der Arbeit

Inspiriert wurde ich dabei durch die IPPNW, welche im Rahmen ihres Programms »Dialogue with Decision-makers« regelmäßig mit PolitikerInnen und DiplomatInnen über die medizinischen Folgen eines Atomkrieges und über nukleare Abrüstung diskutieren.5 Die ÄrztInnen beziehen sich dabei auf ihr medizinisches Berufsethos, stellen nukleare Sicherheitsstrategien in Frage und versuchen, bei ihren GesprächspartnerInnen eine Einstellungsänderung zu Nuklearwaffen zu erreichen.6

Ziel der Diplomarbeit war es, Argumente und Assoziationen zu diesem sicherheits- und abrüstungspolitischen Thema zu kategorisieren und ein »System persönlicher Argumentationslinien« zu erstellen, das zur Vorbereitung von friedenspolitischen Dialogen genutzt werden kann. Denn, so die Vermutung, um ein glaubwürdiges und nachhaltiges Lobbying für nukleare Abrüstung zu betreiben, sollten NuklearwaffengegnerInnen die vielfältigen Gründe der EntscheidungsträgerInnen verstehen. Ein weiteres Ziel der Arbeit bestand darin, Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung und Praxis auf die Abrüstungs- und Nichtverbreitungsdebatte zu übertragen.

Für die Datenerhebung führte ich qualitative Interviews mit 13 Abgeordneten des Deutschen Bundestages (aus den Ausschüssen für Auswärtiges, Verteidigung sowie Abrüstung und Nichtverbreitung) sowie mit zwei RegierungsvertreterInnen.7

Das System persönlicher Argumentationslinien

Auf einer inhaltlich-thematischen Ebene können verschiedene Argumentationslinien für und gegen Nuklearwaffen unterschieden werden. So kann z.B. unter einem kognitiv-funktionalen Gesichtspunkt argumentiert werden, dass Nuklearwaffen in einer multipolaren Welt weder sinnvoll eingesetzt werden können noch wirksam abschrecken. Eine ethisch-moralische Begründung verneint jegliche Legitimität der unterschiedslos tötenden Waffe und verweist auf übergeordnete Werte wie Menschlichkeit und Gerechtigkeit.8

Die kontextuelle Ebene bezieht sich auf Strukturen und Entscheidungsprozesse des politischen Systems und somit auf Aspekte, die das Thema Nuklearwaffen indirekt betreffen. Hier zeigt sich, dass abhängig von der politischen Agenda das Thema als mehr oder weniger wichtig sowie als unterschiedlich geeignet für die öffentliche Diskussion eingeschätzt wird. Die Zugehörigkeit zur Regierungspartei führt u.U. dazu, dass aufgrund von Koalitionsvereinbarungen Anträge der Oppositionsparteien trotz inhaltlicher Zustimmung abgelehnt werden.9

Auf einer weiteren Ebene werden psychologische Phänomene der sozialen Kognition und der Informationsverarbeitung angesiedelt, so z.B. die Wahrnehmung anderer, die Bereitschaft zur Selbstreflexion und Perspektivenübernahme. Es zeigen sich auch unterschiedliche Strategien im Umgang mit der thematischen Komplexität: Komplexe Vorgänge werden auf lineare Ursache-Wirkung-Zusammenhänge reduziert oder abgesichertes Wissen wird durch Spekulationen ersetzt. Manche GesprächspartnerInnen thematisierten dagegen offen ihr Nicht-Wissen und mahnten zur Demut hinsichtlich der Komplexität des Themas.

Schließlich verdeutlicht eine persönliche Ebene, dass jede/r EntscheidungsträgerIn einen individuellen Bezug zum Thema »Nuklearwaffen« hat, abhängig von biographischen Ereignissen, persönlichen Idealen, politischen Ambitionen oder Befürchtungen und Gefühlen, die mit dem Thema in Verbindung gebracht werden.

Nuklearwaffen – ein „lyrisches Thema“?

In den Gesprächen dominierte oft eine rationale, verhandlungstaktische Denkweise. So wurden Nuklearwaffen z.B. als ein „lyrisches Thema“ beschrieben, taktische Nuklearwaffen werden als „Verhandlungsmasse“ gesehen, oder es wird gegen einen Abzug der Nuklearwaffen aus Deutschland argumentiert, weil dies Vorteile im internationalen Beziehungsgeflecht gefährden könnte. Durch das nüchterne Abwägen von Vor- und Nachteilen geraten im sicherheitspolitischen Diskurs die humanitären Folgen eines Nuklearwaffeneinsatzes in den Hintergrund. Bei der Lobbyarbeit für nukleare Abrüstung erscheint daher eine Rückbesinnung auf das konkret Menschliche und auf übergeordnete Werte wichtig. Es stellt sich allerdings die Frage, unter welchen Umständen diese »Appelle an die Menschlichkeit« von EntscheidungsträgerInnen angenommen und nicht als »zu emotional« verworfen werden.

Ein Fazit der Diplomarbeit ist, dass ein Dialog, der menschliches Leid und ethische Werte in den Vordergrund stellen will, auf einer persönlichen Ebene und in einer vertrauensvollen Atmosphäre stattfinden sollte. Durch offene Fragen und aufmerksames Zuhören können altbekannte Argumente, diplomatische Floskeln und polarisierende Schuldzuweisungen überwunden werden. Der positive Effekt des empathischen Zuhörens ist aus der psychologischen Beratung und Therapie bekannt (vgl. z.B. Rogers 2006), und er kann auch im Dialog mit EntscheidungsträgerInnen genutzt werden, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen – die im besten Falle auch im Gegenüber den Wunsch nach Verständnis fördert und eine Einstellungsänderung erzeugt. In den Gesprächen mit meinen InterviewpartnerInnen habe ich wiederholt die Erfahrung gemacht, dass sich die Atmosphäre positiv veränderte, wenn ich eine offene und persönliche Frage stellte, z.B. nach biographischen Erinnerungen, persönlichen Idealen oder konkreten Ängsten.

Die perspektivische Attributionstendenz

Ein aus der sozialpsychologischen Forschung bekanntes Phänomen beschreibt die Tendenz, fremdes Verhalten mit Verweis auf Charakter und Persönlichkeit zu verstehen (er ist aggressiv), das eigene Verhalten dagegen vor dem Hintergrund kontextueller Zwänge zu erklären (ich musste mich verteidigen). Im Bereich der internationalen Beziehungen wird dieses Phänomen als »perspektivische Attributionstendenz« bezeichnet (Fiedler 2004, S.108) und verweist auf den Doppelstandard, eigenes und gegnerisches Verhalten unterschiedlich zu interpretieren. Ganz in diesem Sinne erklärte ein Interviewpartner, dass es vernünftig sei, eigene Nuklearwaffen zu besitzen oder durch einen nuklearen Schutzschirm der Verbündeten geschützt zu sein, solange es Nuklearwaffen gäbe – und nannte etwas später die Bestrebungen mancher Nationen nach Nuklearwaffen ein Zeichen von Machtgelüsten und Geltungsdrang.

Direkte vs. strukturelle Gewalt

Einer der Begründer der Friedensforschung, Johan Galtung, unterscheidet »direkte Gewalt« von »struktureller Gewalt« (Fuchs und Sommer 2004, S.8) und beklagt, dass das Konfliktgeschehen (direkt beobachtbare Gewalt, Vertragsverletzungen einzelner) meist mit der Konfliktformation verwechselt wird, die alle Beteiligten umfasst, welche an einer Lösung des Konfliktes interessiert sind (Galtung et al. 2003, S.38). Vergleichbar zeigte sich in den Interviews, dass Fragen nach spontanen Assoziationen zum Thema Nuklearwaffen meist im Hinblick auf ihren Einsatz und ihre Zerstörungskraft beantwortet wurden. Wenn also im Gespräch über Nuklearwaffen und nukleare Abrüstung vor allem die Gefahren und mögliche Vertragsverletzungen im Zentrum stehen (z.B. nuklearer Terrorismus oder Vermutungen über ein iranisches Atomwaffenprogramm), strukturelle Faktoren (z.B. die Tatsache, dass die fünf offiziellen Nuklearwaffenstaaten zugleich die ständigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates sind) hingegen vernachlässigt werden, kann dies einem Erfolg von Abrüstungsbemühungen im Wege stehen.

Auch die »positive Sicherheitsgarantie«, die im NATO-Vertrag verankert ist und den Bündnispartnern ohne Nuklearwaffen einen »nuklearen Schutzschirm« verspricht, birgt bei genauem Hinsehen Aspekte struktureller Gewalt. Die Begründung der USA lautet, man dürfe die Bündnispartner nicht im Stich lassen, da sie sonst versucht seinen, selbst Nuklearwaffen zu entwickeln (vgl. Hall und Steffen 2010, S.13). Dies klingt nach einem Schutzversprechen, das weniger auf Kooperation und Vertrauen zwischen den Bündnispartnern, sondern vielmehr auf Angst und Misstrauen gegenüber dem eigenen Schützling beruht.

Die Frage nach dem Warum

Mit Rothman (1997) lässt sich argumentieren, dass die Frage nach dem Warum und nach den »guten Gründen« helfen kann, diese weniger offensichtlichen, strukturellen Aspekte in den Vordergrund zu rücken und somit altbekannte Argumentationsmuster aufzubrechen und Verhandlungen voranzubringen. Rothman betont – wie viele andere Experten der Konfliktforschung – die Wichtigkeit, Motive und Bedürfnisse zu erkennen, welche den kontroversen Positionen zugrunde liegen. Dies gilt besonders, wenn es sich um einen so genannten Identitätskonflikt handelt, der nicht nur Ressourcen und Interessen sondern auch tiefer liegende Aspekte wie Würde, Stolz und Sicherheit betrifft (Rothman 1997, S.10). Die meisten meiner InterviewpartnerInnen verbanden mit dem Thema Nuklearwaffen sowohl Macht- und Statussymbolik wie auch Sicherheits- und Schutzbedürfnisse, und es kann deshalb angenommen werden, dass die Kontroverse um Abrüstung und Nichtverbreitung identitätsrelevante Aspekte beinhaltet. Der iranische Präsident Ahmadinejad verwies in seiner Rede auf der diesjährigen Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages genau auf diese Aspekte: „Das Streben nach nachhaltiger Sicherheit ist ein inhärenter und instinktiver Wesenzug der Menschen und ein historisches Trachten. Kein Land kann es sich leisten, seine Sicherheit zu ignorieren.“ 10

Zur konstruktiven Bearbeitung eines Identitätskonfliktes schlägt Rothman vor, nach einer Phase der Polarisierung und gegenseitigen Beschuldigungen eine Phase der analytischen Empathie und Selbstreflexion einzuleiten. In dieser zweiten Phase wenden sich die Beteiligten den Gründen und Bedürfnissen ihres Gegenübers zu und hinterfragen die eigenen Positionen. Zwei Zitate, wiederum aus Reden der Überprüfungskonferenz 2010, veranschaulichen die polarisierende Haltung: „Diejenigen, die den ersten Atombombeneinsatz verübten, werden zu den am meisten Gehassten in der Geschichte gezählt“, zeigte Ahmadinejad in seiner Rede auf die USA. Sich selbst präsentierte er als Vertreter „einer großartigen, zivilisierten und kulturreichen Nation Iran, welche schon immer der Herold war für die Verehrung Gottes, für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.“ 11 US-Außenministerin Clinton merkte im Gegenzug an, dass sie einen Präsidenten und ein Land repräsentiere, die für die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt stehen, zeigte ihrerseits auf die Außenseiter, die die Regeln des Systems verletzten, und tadelte den Iran als das einzige Land im Konferenzsaal, das sich nicht an die Regeln des Systems halte – und wiederholte: „das einzige!“ 12

Dieser bilderbuchartige Schlagabtausch mag amüsieren, doch er ist auch Grund zur Besorgnis, wenn davon ausgegangen werden kann, dass gegenseitige Schuldzuweisungen nicht den benötigten fruchtbaren Boden bilden, auf dem die vielen konstruktiven Lösungsvorschläge gedeihen könnten, die bereits in die Debatte eingebracht wurden.

Es ist fraglich, ob der Zeitpunkt kommen wird, an dem eine der Konfliktparteien innehält und sagt: „Wir haben Angst vor Euch. Wir fühlen uns in unserer Würde verletzt“ und offen fragt: „Warum verstoßt ihr gegen die Regeln? Was sind Eure Ängste und Wünsche?“ und sich dann die Antwort wirklich anhört.

Der Teufelskreis der Nicht-Abrüstung und Weiterverbreitung

Teufelskreis der Nicht-Abrüstung und Weiterverbreitung

Abb. 1. Der Teufelskreis der Nicht-Abrüstung und Weiterverbreitung stellt in vereinfachter Weise dar,
wie Akteure des Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregimes sich gegenseitig wahrnehmen und aufeinander
reagieren; nach dem Teufelskreisschema von Schulz von Thun (2001)

Das Teufelskreisschema aus der Kommunikationspsychologie (Schulz von Thun, 2001, S.28), das zur Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungsdynamik dient, könnte helfen, diese Polarisierung und die Suche nach dem Hauptschuldigen zu überwinden (siehe Abb. 1).

In der systemischen Psychotherapie werden Ursachen von Kommunikationsschwierigkeiten oder psychischen Störungen nicht in erster Linie dem Individuum, sondern einem (Fehl-)Funktionieren des ganzen Regelsystems zugeschrieben (z.B. der Familie oder der Firma). In ähnlicher Weise kann ein meta-perspektivischer Blick auf die Kontroverse in der Abrüstungsdebatte helfen, gegenseitige Schuldzuweisungen zu überwinden und die Verantwortung aller beteiligter Parteien für Erfolge in der Abrüstung und Nichtverbreitung herauszustreichen.

Visionäre Abrüster und kontrollierende Realisten

Abb. 2. Visionäre Abrüster und kontrollierende Realisten – wie sie sich selber sehen und was sie ihren Gegnern vorwerfen; nach dem Werte- und Entwicklungsquadrat von Schulz von Thun (2001)

Daran schließt die Frage an, welche Vorgehensweisen und welche konkreten Maßnahmen Erfolg versprechen. In manchen Interviews wurde darauf hingewiesen, dass Abrüstungsziele „realistisch“ formuliert und Vorgehensweisen „rational“ durchdacht sein sollten. Andere Gesprächspartner betonten wiederum die Wichtigkeit von Vertrauen, Mut und Visionen. Das Werte- und Entwicklungsquadrat (Schulz von Thun, 2001, S.42) kann hier zur schematischen Veranschaulichung dienen, wie »Realisten« und »Visionäre« ihre eigenen Werte hochhalten und bejubeln, während sie die Werte und Prioritäten der anderen belächeln oder gar verabscheuen (siehe Abb. 2).

Die Forderung der Visionäre wird von den Rationalisten als unrealistisch oder naiv bezeichnet, umgekehrt prangern die Visionäre die Mutlosigkeit und das imperialistische Gehabe ihrer Kontrahenten an. Keine der Parteien fragt nach, warum die Gegenpartei eine bestimmte Vorgehensweise bevorzugt. Dabei wird übersehen, dass beide Seiten wichtige Aspekte einer konstruktiven Herangehensweise verkörpern, die in ihrer Kombination der Komplexität des Themas gerecht werden könnten: in der Balance zwischen einer wohlüberlegten Einschätzung der existierenden Gefahren und einer mutig-visionären Haltung, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, neue Lösungswege zu finden – hin zu einer Welt ohne Nuklearwaffen.

Literaturverzeichnis

Blum, Inga (2008): Evaluation von Dialogen und Gesprächen über Nuklearwaffen zwischen Hamburger Studierenden, Ärzten der IPPNW, Politikern und Diplomaten. Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung der Universität Hamburg, Occasional Paper No. 6.

Fiedler, Klaus (2004): Soziale Kognition und internationale Beziehungen. In: Sommer, Gert und Fuchs, Albert (Hrsg.), Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie (S.103-115). Weinheim: Beltz.

Fuchs, Albert (1998): Wo bleibt die Moral bei der Geschicht’? Parteizugehörigkeit und politisch-moralische Situationsbeurteilung als Determinanten der Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien. Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung, Arbeitspapier Nr. 8.

Fuchs, Albert & Sommer, Gert (2004): Ansatz – Ziele und Aufgaben – Kontroversen. In: Sommer, Gert & Fuchs, Albert (Hrsg.), Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie (S.3 – 30). Weinheim: Beltz.

Galtung, Johan, Jacobsen, Carl G. & Brand-Jacobsen, Kai Frithjof (2003): Neue Wege zum Frieden. Konflikte aus 45 Jahren: Diagnose, Prognose, Therapie. Minden: Bund für Soziale Verteidigung.

Hall, Xanthe & Steffen, Jens-Peter (2010): Wenn Worten nicht die richtigen Taten folgen. Vorraussetzungen für den Erfolg der Überprüfungskonferenz in New York. In: W&F-Dossier 64, Next Stop New York 2010 – Hintergründe zu den NVV-Verhandlungen, April 2010.

Müller, Harald (2009): Die Zukunft der nuklearen Ordnung. In: Staack, Michael (Hrsg.): Die Zukunft der nuklearen Ordnung. Bremen: Edition Temmen.

Rogers, Carl (2006): Die Entwicklung der Persönlichkeit. Stuttgart: Klett-Cotta.

Rothman, Jay (1997): Resolving Identity-Based Conflict in Nations, Organization, and Communities. San Francisco, California: Jossey Bass.

Schulz von Thun, Friedemann (2001): Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Anmerkungen

1) http://www.ippnw.de.

2) Vgl. Pressemittelung der IPPNW vom 9. April 2008; http://www.ippnw.de/atomwaffen/gesundheitliche-folgen.html.

3) Einige Nichtregierungsorganisationen arbeiteten einen Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention aus, Verhandlungen über ein völkerrechtliches Verbot von Nuklearwaffen fanden bislang aber nicht statt; siehe http://www.atomwaffena-z.info/fileadmin/user_upload/pdf/nwc.pdf.

4) Der Wortlaut des Vertrags sowie Informationen zu seiner Geschichte und zur Überprüfungskonferenz finden sich in W&F-Dossier 64, Next Stop New York 2010 – Hintergründe zu den NVV-Verhandlungen, April 2010.

5) Blum (2008) evaluierte mehrere dieser IPPNW-Dialoge und zeigte auf, dass eine systematische Vorbereitung und eine klare Zielsetzung Bedingung für einen erfolgreichen Dialog darstellen.

6) Einen Einblick in das Programm »Dialogues with Decision-makers« der IPPNW sowie eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse meiner Diplomarbeit finden sich in der Publikation »Dialogues on nuclear disarmament with decision-makers«, die anlässlich des IPPNW-Weltkongresses 2010 in Basel veröffentlicht wurde.

7) Die Interviews wurden im Mai und Juni 2009 durchgeführt, während der 16. Legislaturperiode und kurz vor den Neuwahlen des Deutschen Bundestages am 27. September 2009.

8) Die Einstellungsdimensionen »kognitiv-funktional« und »ethisch-moralisch« beziehen sich auf die Militarimus-Pazifismus-Skala von Cohrs, Christopher J. (2004). In: Sommer, Gert und Fuchs, Albert: Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim u.a.: Beltz.

9) So zeigte auch Fuchs (1998, S.1), dass bei der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr im Ehemaligen Jugoslawien die Regierungsnähe der Parteien „um ein Vielfaches bedeutsamer war für das Entscheidungsverhalten als die moralische Perspektive.“

10) Die Rede des iranischen Präsidenten ist einsehbar unter http://www.reachingcriticalwill.org/legal/npt/revcon2010/statements/3May_Iran.pdf. Das Zitat wurde von der Autorin aus dem Englischen übersetzt und lautet im Originaltext: „The pursuit of sustainable security is an inherent and instinctive part of human being and a historical quest. No country can afford to ignore its security“.

11) Im Original: „Those who committed the first atomic bombardment are considered to be among the most hated in history […] Presenting a great, civilized and rich-in-culture nation of Iran, who has always been the herald of worshiping God, justice and peace in the world […]“.

12) Die Rede von US-Außenministerin Hillary Clinton vor der Überprüfungskonferenz ist einsehbar unter http://www.reachingcriticalwill.org/legal/npt/revcon2010/statements/3May_US.pdf.

Sarah Maria Koch ist diplomierte Gebärdensprachdolmetscherin, studierte in Bern und Hamburg Psychologie und lebt zurzeit in Wien. Ihre Diplomarbeit entstand unter der Betreuung von Prof. Alexander Redlich und Prof. Martin Kalinowski am Psychologischen Institut der Universität Hamburg in Kooperation mit dem Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) und wurde mit dem Gert-Sommer-Preis 2010 des Forums Friedenspsychologie auszeichnet. Die Arbeit ist einsehbar unter http://www.znf.uni-hamburg.de/diplomKoch.pdf. Die Autorin würde sich über Rückmeldungen und fachlichen Austausch sehr freuen: sarah.maria.koch@gmail.com.

Nukleare Teilhabe

Nukleare Teilhabe

Rechtliche und politische Knackpunkte

von Peter Becker

Die Stationierung von US-Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ist ein Politikum. Zwar hat die Koalition aus CDU/CSU und FDP angekündigt, über deren Abzug verhandeln zu wollen, aber ein Ergebnis wird von der Entwicklung eines strategischen Konzepts der NATO abhängig gemacht. Dabei verstößt die „nukleare Teilhabe“ eindeutig gegen internationales Recht.

Deutschland propagiert eine nationale »nukleare Teilhabe«, mit der ein Mitentscheidungsrecht über den Einsatz von Atomwaffen reklamiert wird, wenn dies deutsche Interessen gebieten.1 Für einen konkreten Anwendungsfall stehen die am deutschen Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz wohl noch stationierten amerikanischen 20 Atombomben bereit. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wurde nunmehr vereinbart, Deutschland wolle sich im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.2 Wie ist die Rechtslage, was sind die Konsequenzen?

Worum geht es?

Die Bundesregierung hat mit den »Konzeptionellen Leitlinien zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vom 12.07. 1994 festgelegt, dass die Bundeswehr Flugzeugstaffeln für die »nukleare Teilhabe« vorhält. Diese wurde auch noch im Weißbuch 2006 bekräftigt. Die Bundeswehr nimmt auch an der nuklearen Planungsgruppe der NATO teil. Konkret würde die nukleare Teilhabe ausgeübt werden durch die Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel, wo Tornado-Kampfjets stationiert sind.

Zwar stand die nukleare Teilhabe von Anfang an und bis heute unter dem Vorbehalt, dass die Codes zum Scharfmachen der Waffen bis zum Einsatz in den Händen der US-Militärs verbleiben, das auch in Büchel präsent ist.3 Aber Beladung der Jets, Transport und Abwurf lägen in deutscher Hand.

In einer Neufassung der »Druckschrift Einsatz Nr. 03 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten« des Bundesverteidigungsministeriums heißt es nun wie folgt (S.5): „Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen Soldaten bzw. Soldatinnen in bewaffneten Konflikten verboten: Antipersonenminen, atomare Waffen, biologische Waffen und chemische Waffen“. Daraus ergibt sich, dass diese Dienstvorschrift, Bestandteil der Zentralen Dienstvorschrift 15/2, die direkte nukleare Teilhabe verbietet. Allerdings spricht die Dienstvorschrift nur vom „Einsatz … in bewaffneten Konflikten“. Was gilt vorher? Der Koalitionsvertrag macht die Geltendmachung der Forderung nach dem Abzug der Atomwaffen in Büchel ferner von der Beschlusslage nach Überarbeitung der NATO-Strategie abhängig. Die Konsequenzen sind also bei weitem nicht so klar, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Ferner: Was ist mit der nuklearen Teilhabe im Übrigen?

Die Rechtslage

a) Grundsätze

Der Einsatz von Atomwaffen fällt zunächst grundsätzlich unter die Bedingungen der UN-Charta für die Ausübung von Gewalt. Maßgeblich ist das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 der Charta, das als »allgemeine Regel des Völkerrechts« nach Art. 25 GG als Bestandteil des Bundesrechts gilt. Gewalt darf daher nur ausgeübt werden, wenn der Sicherheitsrat zugestimmt hat (Art. 39, 42 der Charta) oder wenn eine Selbstverteidigungslage nach Art. 51 vorliegt. Dort heißt es auch, dass das Selbstverteidigungsrecht nur besteht „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“

Speziell für den Einsatz von Atomwaffen gelten die Grundsätze des IGH-Gutachtens vom 08.07.19964, das festgestellt hat, „dass die Bedrohung durch oder Anwendung durch Atomwaffen grundsätzlich (‚generally') im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlichen Regeln des internationalen Rechts und insbesondere den Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts stehen würde.“

Nach den Prinzipien des humanitären Kriegsvölkerrechts wäre der Atomwaffeneinsatz allenfalls völkerrechtsgemäß, wenn er

zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung unterscheiden könnte,

keine unnötigen Leiden verursachte und

das Gebiet unbeteiligter und neutraler Staaten nicht in Mitleidenschaft zöge.

Es ist evident, dass der Einsatz von Atombomben, auch der in Büchel stationierten, diese Prinzipien nicht einhalten kann. Deren Einsatz wäre daher völkerrechtswidrig.

Eine Ausnahme hat der IGH ferner nur für den Fall einer extremen Notwehrsituation gesehen (Leitsatz E5), in dem die Existenz des Staates auf dem Spiel steht. Diesen Fall hat der IGH nicht vertieft, weil er voraussetzen würde, dass „saubere Atomwaffen“ zum Einsatz kommen, die das humanitäre Völkerrecht zu beachten erlauben.6 Zudem müssten sich die Nuklearstrategien von Atomwaffenstaaten und ihren Verbündeten zukünftig allein an einer solchen Selbstverteidigungslage ausrichten7, was nicht erkennbar ist. Vielmehr geht die strategische Beschlusslage der USA und der NATO dahin, dass der Einsatz von Atomwaffen auch außerhalb extremer Notwehrlagen zulässig sein soll, wie zu zeigen sein wird. Er wäre damit völkerrechtswidrig.

b) Die US-Sicherheitsstrategie

Die US-Sicherheitsstrategie umfasst das Recht zum Erstschlag.8 Aber: Das Gewaltverbot der UN-Charta gilt auch für die USA. Ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates darf militärische Gewalt also nur im Falle eines bewaffneten Angriffs auf die USA ausgeübt werden. Selbstverteidigung ist nach Art. 51 UN-Charta gegen einen bewaffneten Angriff nur erlaubt, solange nicht der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung des Friedens getroffen hat. Voraussetzung ist eine Selbstverteidigungslage: Es muss ein Angriff seitens eines anderen Staates gegeben sein; gleichzusetzen ist ein Angriff, für den ein anderer Staat völkerrechtlich verantwortlich ist. Dieser Angriff muss im Zeitpunkt der Selbstverteidigung noch andauern.

Die Selbstverteidigung setzt also eine Angriffslage voraus, die evident sein muss. Eine Bedrohungslage reicht nicht aus. Deshalb besteht Einigkeit unter den Völkerrechtlern, dass die präventive Selbstverteidigung auf Fälle offensichtlich unmittelbar bevorstehender und anders nicht abwehrbarer Angriffe begrenzt ist.9

In der nationalen Sicherheitsstrategie der USA vom September 2002 (NSS 2002), die der Präsident der USA am 01. Juni 2002 verkündet hat, ist vorgesehen, dass die USA zur antizipatorischen Selbstverteidigung (»Preemptive Action«) ermächtigt sind. Dabei handelt es sich nicht um antizipatorische Selbstverteidigung in der Situation eines unmittelbaren Angriffs. Es reicht vielmehr die Möglichkeit, dass es irgendwann einmal zu einem Angriff kommen könnte, beispielsweise dann, wenn der potentielle Angreifer nach Auffassung der USA ein »Schurkenstaat« ist und den Besitz von Massenvernichtungsmitteln anstrebt.10 In der neueren Nationalen Sicherheitsstrategie vom März 2006 ist dieser Grundsatz nicht aufgegeben; vielmehr wird betont, dass die USA notfalls Präventivkriege führen werden.11 Daraus ergibt sich, dass die USA sich selbst als zum Erstschlag ermächtigt sehen, ohne dass eine Selbstverteidigungslage im Sinne der UN-Charta gegeben ist.

c) US- und NATO-Erstschlagsdoktrin unter Einschluss von Atomwaffen

Die USA haben in der »Nuclear Posture Review« 2001 und 2005 bekräftigt, dass die Erstschlagsdoktrin auch Atomwaffen einschließt. Dieser Grundsatz gilt auch für die NATO: Er wurde festgehalten in ihrem strategischen Konzept von 1999 anlässlich des NATO-Gipfels zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der NATO, durch einen Beschluss der Regierungschefs. Dieser nukleare Erstschlag verstößt aber nicht nur gegen das Gewaltverbot der UN-Charta, sondern auch gegen die Grundsätze des IGH-Gutachtens. Außerdem ist hinzuweisen auf das Abkommen zur Verhütung von Atomkriegen vom 22.06.1973, noch geschlossen zwischen der Sowjetunion und den USA. Dort haben die Vertragspartner vereinbart, die Gefahr eines Atomkriegs und der Anwendung von Atomwaffen zu beseitigen und sich insbesondere der Androhung und der Anwendung von Gewalt gegenüber der anderen Vertragspartei, gegenüber deren Verbündeten und gegenüber sonstigen Ländern zu enthalten. Ihre Verhaltenspflichten haben sie auf ihre Beziehungen zu Ländern ausgedehnt, die nicht Vertragsparteien des Abkommens sind, soweit sich daraus das Risiko eines Atomkriegs ergibt. Hier könnte man an den Iran denken. Das Abkommen ist weiter wirksam.

d) Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag

Die USA verstößt durch die Überlassung der Atombomben in Büchel auch gegen Art. I des Nichtverbreitungs-Vertrages, der die Atomwaffenstaaten verpflichtet, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden mittelbar oder unmittelbar weiterzugeben.“ 12

Art. II sieht für Deutschland als Nicht-Kernwaffenstaat die korrespondierende Verpflichtung vor, keine Atomwaffen anzunehmen. Also trifft dieses Verbot des NV-Vertrages auf das Verhältnis der USA und Deutschland zu. Die Atombomben dürfen nicht deutscher Hoheit unterstellt werden.

e) US-Präsident als Ausüber deutscher Hoheitsgewalt

Der US-Präsident hat sich den Einsatz amerikanischer Atomwaffen persönlich vorbehalten. Er nähme damit rechtlich deutsche Hoheitsgewalt wahr, weil die Atomwaffen von deutschem Hoheitsgebiet aus eingesetzt würden. Die Frage ist, ob der US-Präsident nach Art. 24 Abs. 1 GG als »zwischenstaatliche Einrichtung« mit einer solchen Rechtsausübung betraut werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage für das Entscheidungsrecht des US-Präsidenten über den Einsatz der (seinerzeit) auf dem Boden der BRD stationierten Pershing II und Cruise Missiles bejaht.13 Im Fachschrifttum ist diese Entscheidung ganz überwiegend auf Kritik gestoßen14, denn der US-Präsident handelt dabei als Staatsorgan der USA. Die Entscheidung wäre aber, würde der Einsatz von Deutschland aus erfolgen, der NATO zuzurechnen. Ein Entscheidungsrecht des US-Präsidenten wäre nur dann zulässig, wenn der NATO insoweit ein umfassendes Aufsichts- und Kontrollrecht zustände. Daran fehlt es. Also liefert auch die für Deutschland in Anspruch genommene Rechtskonstruktion zum Einsatz der US-Atombomben keine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage.

Die Rechtsfolgen für Deutschland, Rechtsschutz

Wenn der Einsatz von Atombomben durch die USA oder die NATO rechtswidrig ist, dann gilt dies auch für Deutschland, weil eine rechtswidrige Kriegsführung von deutschem Boden aus gegen die deutsche Verfassung und gegen den NATO-Vertrag, der in Art. 1 das Gewaltverbot der UN-Charta bekräftigt, gegen den 2+4-Vertrag sowie gegen den NV-Vertrag verstößt. Rechtswidrig ist auch die »nukleare Teilhabe« im Übrigen, also die konzeptionelle und logistische Tätigkeit im Bundesverteidigungsministerium, in der Bundeswehr und innerhalb der nuklearen Planungsgruppe der NATO, soweit es um den Einsatz von Atomwaffen geht.

Da die Bundesrepublik permanent gegen diese rechtlichen Vorgaben verstößt, stellt sich die Frage nach dem Rechtsschutz. Dazu ist aufmerksam zu machen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle15 und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum Flugplatz Ramstein16. In beiden Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass für die Zulassung von Flugbewegungen ausländischen Militärs von deutschem Boden aus über Art. 25 GG das Gewaltverbot der UN-Charta gilt. Wörtlich heißt es: „Luftfahrzeugen, die an einem gegen das völkergewohnheitsrechtliche Gewaltverbot verstoßenden militärischen Einsatz bestimmend mitwirken, darf die Benutzung des deutschen Luftraums nicht gestattet werden.“

Bis vor kurzem waren in Ramstein noch US-Atombomben stationiert. Ob sie tatsächlich abgezogen sind, ist offen. Die Bundeswehr darf jedenfalls die Bücheler Atombomben nicht »einsetzen« und US-Militär die Androhung des Einsatzes und den Einsatz nicht gestatten.

Diese rechtliche Vorgabe gilt nicht nur für den Staat. Vielmehr hat auch der Bürger ein individuelles Klagerecht, um ein entsprechendes Verhalten zu erzwingen. Schon nach dem Wortlaut des Art. 25 GG erzeugen „die allgemeinen Regeln des Völkerrechts … Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“. Der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz geschrieben hat, hat das mit den Worten von Carlo Schmid wie folgt klargestellt:

„Die einzige wirksame Waffe des ganz Machtlosen ist das Recht, das Völkerrecht. Die Verrechtlichung eines Teiles des Bereichs des Politischen kann die einzige Chance in der Hand des Machtlosen sein, die Macht des Übermächtigen in ihre Grenzen zu zwingen.“ 17

Daraus ergibt sich ein individuelles Klagerecht, das sowohl auf Basis des Art. 25 als auch des Art. 26 GG gilt, der das Verbot des Angriffskrieges regelt. Der Bürger könnte also einem geplanten Einsatz von Atomwaffen entgegentreten und er kann auch auf die Beendigung der nuklearen Teilhabe klagen. An einem Verfahren wird gearbeitet.

Anmerkungen

1) Bundesministerium der Verteidigung (2006): Weißbuch für die deutsche Sicherheitspolitik, S.32.

2) Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, S.112.

3) Diese Konstruktion wirft besondere verfassungsrechtliche Probleme auf; siehe dazu unten »e) US-Präsident als Ausüber deutscher Hoheitsgewalt«.

4) Abgedruckt in: IALANA (Hrsg.), Atomwaffen und Völkerrecht, Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 08.07.1996, 1997, S.29 ff.

5) Ebd., S.66.

6) Bedjaoui, in: Bedjaoui/Bennoune/Deiseroth/Shafer, Völkerrechtliche Pflicht zur nuklearen Abrüstung?, IALANA 2009, 29, 42 ff.

7) Deiseroth, in: Bedjaoui u.a., a.a.O. (Fußn. 60), 13.

8) Murswiek, Dietrich (2003): Die amerikanische Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 1014, s. Fußnote 50.

9) Murswiek, ebd., 1017 mit zahlreichen Nachweisen; Kurth, Michael E. (2003): Der 3. Golfkrieg aus völkerrechtlicher Sicht, Zeitschrift für Rechtspolitik 2003, 195 ff.

10) NSS (2002), S.15.

11) NSS (2006), S.18.

12) Dazu Deiseroth, Dieter in: Umbach, Dieter C. & Clemens, Thomas (Hrsg.) (2002): Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Art. 24, Zwischenstaatliche Einrichtungen, Rz 36 m. w. N., insbesondere in Fußnote 91.

13) BVerfGE 68, 1, 89 ff.

14) Deiseroth, a.a.O. (Fußnote 11), Rz 35, insb. Fußnoten 84 f. m. w. N.

15) Urteil vom 24.07.2008, BVerwG 4 A 3001.07.

16) Beschluss vom 20.01.2009, BVerwG 4 B 45/08.

17) Zitat Carlo Schmid, 12. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, 15.10.1948, in: Pikart, Eberhard & Werner, Wolfram (1993): Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Bd. 5/I, S.313 ff., 321; vgl. dazu das Gutachten von Andreas Fischer-Lescano (2008): Militärbasen und militärisch genutzte Flughäfen in Deutschland, Rechtsgutachten im Auftrag der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, S.16 ff.; ders. 2007): Subjektivierung öffentlich-rechtlicher Sekundärregeln, die Individualrechte auf Entschädigung und effektiven Rechtsschutz bei Verletzungen des Völkerrechts, Archiv des Völkerrechts (AöR), Bd. 45 (2007), S.299-381; vgl. schließlich die Veröffentlichung des Verfassers, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Kriegsführung, vorgesehen für das Buch der IALANA zur IALANA-Konferenz vom 25./26. Juni 2009 in Berlin. Dort wird insbesondere die im verfassungsrechtlichen Schrifttum herrschende Auffassung näher dargestellt, aus der sich ergibt, dass der Bürger aus Art. 25 Satz 2 GG ein individuelles Klagerecht auch bei Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots hat.

Dr. Peter Becker ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der Deutschen IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms)

Die ersten Atombomben

Die ersten Atombomben

Die Motive der beteiligten Wissenschaftler

von Karl Lanius

Der Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 markiert den Beginn einer neuen Epoche in der Geschichte der Menschheit (Einstein). Um Motive und Reaktionen der Menschen zu verstehen, die an der Entwicklung, der Fertigung und dem Einsatz der Bombe mitwirkten, muss man die Zeit näher betrachten, in der sie entstand. Zweifellos sind der Bau der Bombe und die Machtergreifung Hitlers untrennbar miteinander verknüpft – nicht nur durch den Zweiten Weltkrieg, den die Aggression des Dritten Reiches auslöste, sondern auch durch den Exodus der Wissenschaftler in Folge der Rassenpolitik.

Das erste antijüdische Gesetz des »Dritten Reiches« wurde bereits am 7. April 1933 erlassen, rund zwei Monate nach der »Machtübernahme«. Das Gesetz ordnete an, Beamte nicht-arischer Abstammung in den Ruhestand zu versetzen. Die erste Durchführungsverordnung definierte jeden als nicht arisch, der von jüdischen Eltern oder Großeltern abstammte. Es genügte, wenn ein Eltern- oder Großelternteil jüdisch war. Universitäten waren Einrichtungen des Staates – Professoren waren Beamte. Universitäten wie Berlin und Frankfurt verloren jeweils ein Drittel des Lehrkörpers. Rund ein Viertel der Physiker Deutschlands verloren ihre Stellung und damit ihren Lebensunterhalt. Um zu überleben, mussten sie emigrieren.

Einstein, der prominenteste Wissenschaftler Deutschlands, ein engagierter Pazifist, verließ Deutschland bereits 1932. Auch einige der dort arbeitenden ungarischen Physiker gingen vor 1933. Sie wussten aus eigenem Erleben in ihrer Heimat, was vom herannahenden Faschismus zu erwarten war. Sie deuteten die Zeichen der Zeit richtig. Wichtigstes Zielland der Emigranten waren die Vereinigten Staaten. Rund hundert der aus Deutschland flüchtenden Physiker fanden hier Arbeitsplätze und eine neue Heimat.

Briefwechsel mit Folgen

Noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wanderten junge Physiker durch Europa, um hervorragende Gelehrte ihres Faches als Lehrer aufzusuchen. Damit knüpften sie an die Tradition von Handwerkern und Scholaren an. So formte sich eine überschaubare internationale Gemeinschaft von Wissenschaftlern, die – mittels Briefen, wissenschaftlichen und persönlichen Kontakten und Freundschaften gut vernetzt und in ständigem Kontakt – in unbekannte Naturbereiche vordrangen. Basis dafür waren Meinungsfreiheit und völlige Offenheit in der Kommunikation. Revolutionierende Entdeckungen und Ideen verbreiten sich auf diese Art sehr schnell.

Von Berlin, wo Otto Hahn und Fritz Straßmann kurz vor Weihnachten 1937 die Spaltung des Urankerns unter Neutronenbeschuss beobachteten, gelangte die Nachricht über den Nachweis der Kernspaltung über Schweden und Dänemark schließlich in die USA. Ein zentraler Diskussionspunkt unter den Physikern war die Geheimhaltung ihrer Untersuchungen. (Es sei daran erinnert, dass im März 1939 Böhmen und Mähren mit dem »Segen« Frankreichs und Englands zum deutschen Protektorat wurden.)

Die engagierten ungarischen Physiker in den USA, Leó Szilárd, Eugene Wigner und Edward Teller, forderten eine strikte Geheimhaltung. Dagegen stand die Ansicht Niels Bohrs. „Er setzte sich seit Jahrzehnten für den Aufbau einer internationalen Gemeinschaft der Forscher ein, die innerhalb ihrer beschränkten Wirkungssphäre ein Modell für eine zukünftige friedliche, politisch geeinte Welt abgeben könnte. Das oberste, stets gefährdete Verfassungsprinzip dieser Gemeinschaft war Offenheit; Offenheit war eine funktionale conditio sine qua non, genauso wie etwa die Meinungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft. Völlige Offenheit erforderte völlige Aufrichtigkeit: Der Forscher berichtete über alle seine Resultate, die erfreulichen wie die unerfreulichen, und zwar dort, wo alle anderen sie nachlesen könnten; nur so konnte der Prozess der beständigen wechselseitigen Fehlerkorrektur funktionieren.“ 1

Im Sommer 1939 wandten sich die ungarischen Physiker an Einstein. Sie veranlassten ihn zu einem Brief an Franklin D. Roosevelt, in dem er den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf die Möglichkeit zur Schaffung einer Atombombe hinwies und vorschlug, das bis dahin sehr bescheidene nukleare Forschungsprogramm der USA auszuweiten. Die Gedanken, die die ungarischen Physiker bewegten, als sie Einstein zu seinem Schreiben veranlassten – und auch die Feder führten -, charakterisierte Wigner nach dem Abwurf der Bomben auf Japan mit den Worten: „Obwohl keiner von uns [in der Anfangsphase] den Behörden gegenüber viel darüber sagte – sie hielten uns auch so schon für Träumer -, hofften wir, die Entwicklung von Atomwaffen könne über die Abwehr einer unmittelbar drohenden Katastrophe hinaus noch eine andere Wirkung zeitigen. Wir erkannten, dass, wenn einmal atomare Waffen entwickelt wären, keine zwei Nationen mehr in Frieden zusammenleben könnten, ohne dass nicht eine gemeinsam bevollmächtigte höhere Instanz die Oberaufsicht über ihre Militärapparate ausüben würde. Wir rechneten damit, dass diese Kontrollinstanzen, wenn sie über genügend Macht verfügten, um Atomkriege zu verhindern, auch in der Lage sein würden, mit allen anderen Kriegen Schluss zu machen. Diese Hoffnung war für unser Vorgehen ein fast ebenso wirksamer Ansporn wie die Angst, wir könnten feindlichen Atombomben zum Opfer fallen.“ 2

Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen. Erst am 11. Oktober wurde Roosevelt über den Inhalt des Einsteinschen Briefes informiert. Der Präsident veranlasste die Bildung eines beratenden Ausschusses für Uran-Fragen. Der Ausschuss empfahl dem Präsidenten, ausreichende Mittel für eine gründliche Erforschung bereitzustellen. Im Vordergrund der Untersuchungen sollte die Prüfung der Möglichkeit einer kontrollierten Kettenreaktion stehen, z.B. als Energiequelle für Unterseeboote. Der Bau einer Bombe aus Uran schien den meisten Physikern, Politikern und Militärs zu dieser Zeit lediglich eine ferne Utopie zu sein.

Bis zum Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni 1941 schleppte sich das amerikanische Programm mühsam dahin, ständig durch Auseinandersetzungen mit bürokratischen Zweiflern behindert. Anfang Oktober 1941 überreichten die Briten der amerikanischen Regierung einen Bericht über ihre Untersuchungen. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass der Bau einer Bombe aus Uran-235 machbar sei.

Atomwaffenprogramm in den USA

Roosevelt veranlasste daraufhin die Bildung einer »Top Policy Group«, zu der neben dem Vizepräsidenten auch der Kriegsminister und der Generalstabschef zählten. Damit wurde den Wissenschaftlern jedes Mitspracherecht über den Einsatz der zu entwickelnden Waffen genommen, deren Bau sie vorgeschlagen hatten. „Ein Wissenschaftler konnte sich nun also entscheiden, ob er mithelfen wollte, Kernwaffen zu bauen, oder nicht. Der Preis, der als Eintrittsgeld für die Aufnahme in den zunehmend separat existierenden und mit dem öffentlichen Staat nur durch die Person und die alleinige Autorität des Präsidenten verbundenen Geheimstaat zu zahlen war, lautete: Aufgabe jedes weiterführenden, außerwissenschaftlichen Autoritätsanspruchs. Bei vielen war die Entscheidung durch Patriotismus motiviert, jedoch lassen die Äußerungen der Physiker dieser Zeit ein anderes Motiv als das wichtigere erscheinen. Dieses Motiv war die Angst: Angst vor einem deutschen Sieg, Angst vor einem durch Atombomben unverwundbar gemachten Tausendjährigen Reich. Und vielleicht noch tiefer als solche Angst war ein gewisser Fatalismus verwurzelt. Die Bombe hockte in ihrem Versteck in der Natur, wie sich in den Zellen des menschlichen Körpers die Chromosomen verstecken. Und wie man sie aus diesem Versteck herausholen konnte, das würde jede Nation irgendwann herausfinden können. Deshalb ging es nicht nur um einen Wettlauf mit dem Deutschen Reich. (…) Noch hatten die Vereinigten Staaten sich nicht entschieden, die Atombombe zu bauen. Jedoch hatte man sich nun unwiderruflich dazu entschlossen, die Möglichkeiten des Baus ausführlich zu erforschen. Diese Entscheidung traf ein Mann – Franklin D. Roosevelt – im Geheimen und ohne den Kongress oder die Gerichte zu befragen. Seiner Ansicht nach handelte es sich um eine militärische Entscheidung, und er führte schließlich den Oberbefehl.“ 3

Am 7. Dezember 1941 erfolgte der japanische Luftangriff auf Pearl Harbor: Die USA befanden sich ab jetzt im Krieg. Die Arbeiten an der Atombombe wurden deutlich forciert. Im September 1942 übertrug der Kriegsminister die Leitung der Arbeiten – das so genannte Manhattan-Projekt – an Brigadegeneral Leslie R. Groves.

Über folgende Etappen führte unter seiner Leitung der Weg nach Hiroshima und Nagasaki:

Inbetriebnahme des ersten Uran-Graphit-Reaktors;

Schaffung eines geheimen, streng bewachten zentralen Laboratoriums in der Wüste Neu Mexikos, dessen Leitung dem theoretischen Physiker Robert Oppenheimer übertragen wurde;

Bau der industriellen Anlage zur Trennung des zum Bombenbau erforderlichen Uran-235 aus natürlichem Uran;

Errichtung von drei Kernreaktoren zur Erzeugung von Plutonium, dem zweiten zum Bombenbau geeigneten Element;

Errichtung von vier riesigen chemischen Trennanlagen zur Separierung des Plutoniums aus den hochradioaktiven Brennstäben der Kernreaktoren.

Die Forschungs-, Entwicklungs- und industriellen Fertigungsanlagen, die rund zwei Milliarden US-Dollar gekostet hatten, mündeten in eine erste Testexplosion am 16. Juli 1945 in der Wüste von Nevada. Auf Befehl des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Harry S. Truman, Nachfolger des wenige Monate zuvor verstorbenen Roosevelt, folgte der Bombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August.

Stolz und moralische Konflikte

Einer der jüngeren Emigranten, der Physiker Victor Weisskopf, der von Beginn an in Los Alamos arbeitete, schreibt in seiner Autobiographie: „Heute bin ich mir nicht ganz sicher, ob mein Entschluß, mich an diesem ungeheuren – und ungeheuerlichen – Vorhaben zu beteiligen, allein auf der Befürchtung beruhte, die Nazis würden uns zuvorkommen. Es war vielleicht ganz einfach der Drang, an der bedeutsamen Arbeit teilzuhaben, die meine Freunde und Kollegen taten. Sicherlich spielte auch ein Gefühl des Stolzes mit, an einem einzigartigen, sensationellen Unternehmen mitzuwirken. Zudem bot es Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie kraftvoll, einflußreich und pragmatisch die esoterische Wissenschaft der Kernphysik sein konnte.“ 4

Mit dem Abwurf der Atombomben war für Weisskopf das Ziel der Arbeiten erreicht. Neben vielen anderen verließ er Los Alamos, um sich wieder der Grundlagenforschung zuzuwenden: „Wir waren stolz auf unsere Leistung, dennoch belastete uns die Erkenntnis, daß wir die Verantwortung trugen für die Herstellung der vernichtendsten Waffe, die je ersonnen wurde. Wir lebten mit dem Bewußtsein, daß unsere Arbeit den Tod von mehreren hunderttausend Menschen unter grauenhaften Umständen herbeigeführt hatte – in der gewaltigen Hitze verbrannt und durch Radioaktivität getötet oder verstümmelt. Wir hatten den erhofften Frieden errungen. Doch mit dem Sieg der Alliierten und dem Ende des Krieges kam eine Reihe von Widersprüchen und moralischen Konflikten, für deren Überwindung manche von uns viele Jahre brauchten.“ 5

Nur in wenigen Ausnahmefällen beteiligten sich emigrierte Physiker lediglich eingeschränkt am Bau der ersten Atombomben. Der deutsche Physiker Klaus Fuchs floh 1933 nach England, um als Kommunist einer drohenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. 1941 wurde er aufgefordert, sich an den britischen Untersuchungen zum Bau einer Atombombe zu beteiligen. Er zählte zu den britischen Wissenschaftlern, die von 1943 bis 1946 in Los Alamos am Bau der ersten Atombomben teilnahmen. Zeitgleich mit seiner Zustimmung zur Teilnahme entschloss er sich zur Weitergabe von Informationen an die Sowjetunion, da auf ihr die Hauptlast des Überlebenskampfes gegen die mörderische Aggression Deutschlands ruhte.

Der polnische (und jüdische) Physiker Józef Rotblat befand sich vor dem Überfall Deutschlands auf Polen zu Forschungszwecken an der Universität Liverpool, wo er sich mit kernphysikalischen Arbeiten befasste. Sie führten ihn 1943 nach Los Alamos. Im November 1944 erfuhren die Wissenschaftler, die am Manhattan-Projekt arbeiteten, dass Deutschland weit von der Fertigstellung einer Atombombe entfernt war. Er verließ daraufhin als einziger Los Alamos und kehrte nach England zurück. Nach dem Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde er zu einem der prominentesten Gegner der atomaren Aufrüstung.6

Anmerkungen

1) Rhodes, R. (1990): Die Atombombe. Berlin, S.291.

2) Wigner, E.P. zitiert in: Rhodes, R., a.a.O., S.306.

3) Rhodes, R., a.a.O., S.380f.

4) Weisskopf, R. (1991): Mein Leben. München, S.151.

5) ebenda, S.183.

6) Eine ausführlichere Diskussion von Verantwortung im Kontext der Atombombe und des Klimawandels findet sich in: Karl Lanius, Verantwortung, überarbeitete Fassung vom 20.4.2007; www2.hu-berlin.de/leibniz-sozietaet/debatte/verantwortung3.pdf.

Karl Lanius, emeritierter Professor für Physik, leitete viele Jahre das Institut für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften. 1969 wurde er Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Er zählte zu den Gründungsmitgliedern der Leibniz-Sozietät. Seit 1991 beschäftigt er sich mit nichtlinearen Prozessen in Natur und Gesellschaft.

Weg zur nuklearen Abrüstung

Weg zur nuklearen Abrüstung

Von der Vision zur Realität

von Alyn Ware

Am 5. April 2009 hat US-Präsident Obama eine Vision für eine nuklearwaffenfreie Welt formuliert. Da das Oberhaupt des mächtigsten Landes der Erde eine solche Verpflichtung zugunsten der nuklearen Abrüstung abgab, ließe sich erwarten, dass die Umsetzung dieser Vision nun – zumindest in einem bescheidenen Zeitfenster – erreichbar sein sollte. Doch muss Obama mächtige Hindernisse überwinden, so dass er selbst Zweifel geäußert hat, ob das Ziel noch zu seinen Lebzeiten erreicht werden kann.

Das Ausmaß der Opposition in den USA wird ersichtlich anhand der Positionen von republikanischen Senatoren, von denen einige jedweden Abrüstungsvertrag für nukleare Waffen unterstützen müssten. Der Ausschuss der Republikaner im Senat hat bereits angedeutet, dass diese einem START-Nachfolgeabkommen nur zustimmen werden, wenn der Präsident eine Modernisierung der Atomwaffen unterstützt.

Hindernisse gibt es nicht nur in den USA. Die »International Commission on Nuclear Nonproliferation and Disarmament« hat eine Reihe von Gründen dafür genannt, warum politische Entscheidungsträger an der gegenwärtigen Atompolitik festhalten. Zu den gängigen Glaubensgrundsätzen gehören:

Atomwaffen haben einen Krieg zwischen den Großmächten abgeschreckt und werden das auch weiterhin tun.

Atomwaffen schrecken jeden größeren Angriff mit konventionellen Waffen ab.

Atomwaffen schrecken jeden Angriff mit chemischen und biologischen Waffen ab.

Atomwaffen schrecken terroristische Angriffe ab.

Atomwaffen kosten weniger als konventionelle Streitkräfte.

Eine umfangreiche atomare Abschreckung ist zur Beruhigung der Verbündeten notwendig.

Jeder größere Schritt zur Abrüstung wirkt destabilisierend.

Die Erfindung von Atomwaffen kann nicht ungeschehen gemacht werden; es gibt keine Möglichkeit, sie aus der Welt zu schaffen.

Die Kommission wies zudem darauf hin, dass die Atomwaffenstaaten ihre Atomwaffenpolitik fortsetzen, während sie anderen Staaten mit Nachdruck den Besitz von Atomwaffen untersagen.

Die aktuelle Dominanz solcher Annahmen verhindere die Abschaffung der Atomwaffen für mindestens zwei Jahrzehnte.

Dies könnte pessimistisch stimmen, wenn man sich nicht früherer bedeutender Änderungen in der Geschichte erinnerte, wie etwa des Falls des Kommunismus, des Endes der Apartheid, der Gewährung des Wahlrechts für Frauen, des Endes der Sklaverei oder des Bannes auf Landminen. Die zentralen Lektionen dieser Ereignisse sind:

Politischer Wandel hängt nicht alleine von denen ab, die über politische Macht verfügen und davon freiwillig etwas abgeben; er ist auch davon beeinflusst, dass diejenigen ohne solche Privilegien neue Formen der Ermächtigung anwenden, um Wandel zu bewirken.

Ist politischer Wandel einmal in Gang gesetzt, so kann er viel schneller als erwartet zu grundsätzlich neuen Situationen führen.

In diesem Sinne sollten wir im Jahr 2010 im Vorfeld der Überprüfungskonferenz für den Nichtverbreitungsvertrag (NPT) unsere Erwartungen höher setzen als das, was die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten zu akzeptieren scheinen.

114 Staaten sind gegenwärtig Teil regionaler nuklearwaffenfreier Zonen, in denen der Besitz, die Stationierung und die Androhung der Anwendung von Atomwaffen verboten sind. Die Einrichtung weiterer solcher Zonen in Nordostasien, der Arktis und in Zentraleuropa sollte genauso ermutigt werden wie Schritte zu einer nuklearwaffenfreie Zone im Mittleren Osten.

Einige Länder sind bereits weiter gegangen und haben Gesetze verabschiedet, mit denen Atomwaffen flächendeckend verboten und kriminalisiert werden. Hier bedarf es weiterer Ermutigung.

Am wichtigsten ist, dass eine Gruppe gleichgesinnter Staaten eine Vorbereitungskonferenz für eine Nuklearwaffenkonvention durchführen sollte. Dabei ginge es um die Erkundung von Mechanismen zur Etablierung einer atomwaffenfreien Welt, den Beginn konkreter Schritte in diese Richtung, die nicht notwendigerweise universelle Unterstützung bedürfen, und um die Zusammenarbeit zur Bildung politischer Initiativen für aktuelle Verhandlungen zu einer Nuklearwaffenkonvention (NKW). Diese Gruppe könnte aus Ländern gebildet werden, die sich bereits um den 5-Punkte-Plan für Abrüstung des UN-Generalsekretärs versammelt haben, der im Fokus auch eine Nuklearwaffenkonvention hat. Auch die Staaten der nuklearwaffenfreien Zonen, die sich im April im Vorfeld der Überprüfungskonferenz für den NPT treffen, kommen in Frage.

Die Ankündigung einer Vorbereitungskonferenz für eine Nuklearwaffenkonvention im Rahmen der NPT-Überprüfungskonferenz würde in der Weltpresse Aufsehen erregen und einen Bezugspunkt bilden, an dem die Zivilgesellschaft alle Regierungen herausfordern könnte, sich dem Prozess anzuschließen und tatsächliche Arbeit zur Beendigung nuklearer Abschreckung, für das Verbot der Atomwaffen und zur Erreichung einer nuklearwaffenfreien Welt einzuleiten.

Alyn Ware ist Träger des Alternativen Nobelpreises 2009

Eine Welt ohne A-Waffen

Eine Welt ohne A-Waffen

von Jürgen Nieth

Als Barack Obama am 5. April 2009 in seiner Prager Rede für eine Welt ohne Atomwaffen plädierte, sprach »Die Zeit« (08.04.09) von „Eine(r) hinreißende(n) Vision“. Die Mehrheit der anderen deutschsprachigen Zeitungen war da skeptischer: „Prager Frühling – Obama will Atomwaffen abschaffen, konkrete Schritte bleiben aus“ (Frankfurter Rundschau/FR, 06.04.09), „Keiner will der erste sein“ (Berliner Zeitung/BZ, 07.04.09), „Die Grenzen der Abrüstung“ (Süddeutsche Zeitung/SZ, 07.04.09), „Obamas Denkfehler“ (Die Tageszeitung/taz, 18.05.09). Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ, 18.04.09) sah nach dieser Rede „Eine neue Welt mit Atomwaffen“ und schrieb: „Man kann in der Politik vieles wünschen, und manchmal bewegt der Wunsch auch etwas. Ohne Visionen bleibt der Blick an der zähen Gegenwart kleben, ohne Bilder der Phantasie ist man dem Status Quo und den Zeitläufen ausgeliefert… Mit der Bemerkung, er werde die kernwaffenfreie Welt wohl selbst nicht erleben, das Ziel liege weit weg, relativiert er das große Vorhaben wieder.“

Obama vor der UNO

Am 23.09.2009 hat der Sicherheitsrat der UN auf Vorschlag von US-Präsident Obama einstimmig eine Resolution angenommen, in der die Ratsmitglieder sich verpflichten, „eine sichere Welt für alle zu suchen und die Vorbedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen“. Diesmal reagierte die Presse deutlich positiver: „Absage an alle Atomwaffen – Sicherheitsrat mit »historischer« Resolution“ (FR 25.09.09), „Sicherheitsrat rüstet nuklear ab“ (Financial Times Deutschland/FTD 25.09.09), „UN-Sicherheitsrat für eine Welt ohne Atomwaffen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.09.09), „UNO-Signal für die Atomabrüstung“ (NZZ, 25.09.09), P. A. Krüger überschrieb seinen Kommentar in der SZ (22.09.09): „Sanfte Appelle und konkrete Schritte.“ Um welche Schritte geht es?

Atomwaffensperrvertrag stärken…

Nimmt man die Kommentare der SZ und der FR, dann geht es bei der Initiative Obamas in erster Linie darum, „eine Eigendynamik in Gang zu setzen, die beitragen soll, den Atomwaffensperrvertrag (NPT) zu stärken. Die USA sehen in ihm das zentrale Instrument, um der weiteren Verbreitung von Atomwaffen Einhalt zu gebieten. Sein Fundament bröselt, nicht nur wegen der Atomtests in Nordkorea und Irans verdächtiger Aktivitäten. Die Überprüfungskonferenz 2005 scheiterte auch daran, dass sich die USA weigerten, auch nur über ihre Pflicht zu reden, atomar abzurüsten.“ (P. A. Krüger, SZ, 22.09.09) „Der Text verlangt von allen Staaten, die dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 noch nicht beigetreten sind, diesen Schritt rasch nachzuholen, ‚damit zu einem baldigen Zeitpunkt die Universalität des Abkommens erreicht wird‘. In der Zwischenzeit sollen die drei noch ausstehenden Staaten – Indien, Pakistan und Israel – informell die Vertragsbestimmungen respektieren.“ (P. Simonitsch, FR, 25.09.09)

… und was wird aus dem Teststoppvertrag?

Neben dem NPT ist der Teststoppvertrag (CTBT) der zweite wichtige internationale Vertrag zu den A-Waffen. „Beide waren zuletzt durch das Desinteresse der Nuklearmächte geschwächt worden. … Obama versprach (jetzt) eine Lücke zu schließen und den Teststoppvertrag CTBT, der die Zündung von Kernwaffen verbietet, zu ratifizieren. Neun Nationen verhindern bisher, dass der CTBT in Kraft tritt, China, Indien, Pakistan, Ägypten, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea – und die USA. Die USA haben das Abkommen (…) bis heute nicht zur Ratifikation durch den Senat gebracht.“ (M. Koch, SZ 25.09.09) Auch diesmal ist das nicht sicher, da Obama hier auf Stimmen der Opposition angewiesen ist. J. Borger sieht die Entwicklung im »Freitag« (01.10.09) noch kritischer: „Im Pentagon kursiert der Entwurf zu einer Studie (Draft Nuclear Posture Review), die sich einer Neubewertung der nationalen Atomwaffenpolitik widmet und damit nicht nur hinter Obamas Visionen zurückfällt, sondern sogar eine Art Gegenverkehr in Bewegung setzt.“ Borger verweist weiter darauf, dass Verteidigungsminister Robert Gates der Idee anhänge „eine neue Generation von Sprengköpfen erproben zu lassen, da nur so die Einsatzbereitschaft der US-Atomwaffen garantiert bleibe. Erst wenn man dies getan habe, seien ein Abbau der Arsenale und das dauerhafte Verbot von Atomtests denkbar.“

Nuklearterrorismus verhindern

Die Absicht, bestehende Vertragswerke zu stärken und die Bereitschaft zur Reduzierung der A-Waffenbestände, sollte nach Auffassung mehrerer KommentatorInnen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, einen Nuklearterrorismus zu verhindern. So betonte der abtretende Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur, Baradei, die „drohende Gefahr der nuklearen Aufrüstung von nichtstaatlichen Akteuren und von Terrorgruppen. Über 90 Staaten seien gar nicht oder nur ungenügend den Kontrollinspektionen der Agentur gemäß dem NPT unterworfen“. (NZZ, 25.09.09) In der BZ (25.09.09) schreibt E. Schweitzer: „Es soll die Verbreitung von Nuklearmaterial unterbunden werden, um nuklearen Terrorismus zu verhindern. Vier Jahre setzt das Gremium dafür an, eine Frist für die Verschrottung der Kernwaffen hingegen wird nicht genannt.“ Und S. Muscat hebt in der »Financial Times« (25.09.09) hervor, dass Obama „dazu eine separate nukleare Sicherheitskonferenz angeregt“ hat. Dort sollen „auch Mechanismen für die friedliche Nutzung von Kernenergie entwickelt werden, die ein Anreiz für Staaten wie den Iran sein könnten, ihre eigenen Atomprogramme aufzugeben.“ Andreas Zumach formuliert es direkter: Die Initiative Obamas zielt darauf ab, „den internationalen Druck auf Atomwaffenaspiranten wie Nordkorea oder den Iran zu erhöhen.“ (taz, 25.09.09)

Entspannung mit Fußangeln…

… sieht Karl Grobe (FR 24.09.09): „Mit einer Resolution, einem Bündel von Abkommen… wird die Utopie nicht zur Realität. Das wissen alle Beteiligten. Falls sie noch rechtzeitig den am Jahresende auslaufenden Start-Vertrag verlängern, das Grundsatzabkommen, das jeder Rüstungsbegrenzung zugrunde liegt, ist ein Beispiel gegeben. Abrüstung ist das immer noch nicht. Doch eine Verkleinerung der Atomwaffen-Arsenale ist möglich; im Grundsatz sind ja alle dafür. Die beiden Großen besitzen rund 95 Prozent. Falls sie sich einigen können, jeweils ein Viertel abzubauen ist einiges besser geworden, aber noch nichts richtig gut.“

Warum jetzt?

Warum jetzt?

von Steve Leeper

Fünf Monate nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima lag der Philosophieprofessor Ichiro Moritaki mit seinen Verletzungen im Krankenbett. Er ging in seinen Gedanken der Frage nach, welche Sinn diese neue Waffe hat, die seine Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte. Er kam zum Schluss, der Sinn der Atombombe liege letztlich darin, dass die Menschheit auf Gewalt als Mittel der Konfliktlösung verzichten müsse.

Moritaki war schon 1945, also noch vor der Wasserstoffbombe, klar, dass die Menschen jetzt lernen müssten, unser Gewaltpotential unter Kontrolle zu halten, oder wir machen unseren Planeten unbewohnbar. Daher erklärte er, die Atombombe markiere das Ende der »Zivilisation von Macht« und den Beginn einer neuen »Zivilisation der Liebe«.

Moritaki stand fast 40 Jahre lang an der Spitze von Hidankyo, dem größten Zusammenschluss von Atombombenopfern. Als er im Alter von 93 Jahren starb, war es vor allem sein Verdienst, dass die Wut von Hiroshima sich zunehmend weg von den USA und auf die Atomwaffen selbst richtete. Er hinterließ der Welt auch das Konzept einer »Friedenskultur«. Die Hiroshima Peace Culture Foundation hat zwei Ziele: das eine ist sicherzustellen, das die Welt nie vergisst, was am 6. August 1945 geschah; das andere ist mitzuhelfen bei der Transformation unserer Gattung von der momentanen Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens.

Der Menschheit fällt es äußerst schwer, sich die Gewalttätigkeit abzugewöhnen. In den nächsten zwei oder drei Jahren werden wir entscheiden, ob Atomwaffen abgeschafft werden oder sich weiter verbreiten. Wenn wir die Weiterverbreitung zulassen, werden sie schließlich auch eingesetzt. Wenn Atomwaffen erneut eingesetzt werden, dann verlieren wir rasch den dünnen Zivilisationsfirnis, der unser zerbrechliches, interdependentes, globales sozio-politisch-ökonomisches System zusammenhält. Dann stürzen wir in einen Strudel der Gewalt, neben dem der Zweite Weltkrieg wie ein Honiglecken wirken wird.

Die Entscheidungen über unseren weiteren Umgang mit Atomwaffen, die bei der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages im Mai 2010 gefällt werden, haben Konsequenzen weit über die Zukunft dieser Waffensysteme hinaus. Wir entscheiden gleichzeitig, ob wir die zahlreichen, unser Leben bedrohenden globalen Probleme durch Dialog, Verhandlungen, Abkommen und Völkerrecht lösen oder durch eine radikale und gewalttätige Reduktion der menschlichen Bevölkerung.

Das US-Imperium bricht momentan zusammen. Historisch wurde der Zusammenbruch eines Imperiums immer von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten lang währender Gewalt begleitet. Die Destabilisierungswirkung der Veränderungen, die wir jetzt erleben, gehen aber weit über den bloßen Zusammenbruch eines Imperiums hinaus. Die Jahrhunderte lange Dominanz der weißen Menschen kommt zum Ende. In den nächsten 20 Jahren werden sich die globalen ökonomischen und kulturellen Machtzentren von den USA und Europa nach China und Asien verschieben. Die Ära des billigen Öls geht zu Ende. Der Konkurrenzkampf um Öl, andere Rohstoffe, Land und sogar Wasser wird sich rasch verschärfen. Unser heutiger Lebensstil hängt, insbesondere in den USA, vollständig von billigem Öl ab. Dieser Zustand ist ganz offensichtlich nicht nachhaltig. Wie gelingt uns der Übergang? Durch friedlichen Dialog und Teilhabe? Oder in einem wahnsinnigen, gewalttätigen Kampf um die Macht?

Wenn wir uns für letzteren entscheiden, machen wir unseren Planeten unbewohnbar. Selbst wenn wir zunächst den Einsatz von Atomwaffen noch vermeiden, verfügen wir doch über chemische und biologische Waffen, Agent Orange, abgereichertes Uran und ein riesiges Arsenal von Waffen mit entsetzlichen und langanhaltenden Folgen. Und wenn Atomwaffen weiterhin einsatzbereit gehalten werden, ist es nicht schwer, sich eine rasante Eskalation vorzustellen, die die Erde zu kalt oder zu radioaktiv macht, um menschliches Leben zu ermöglichen.

Und sogar wenn wir diese tödliche globale Gewalt vermeiden, wird unsere industrialisierte und wachstumsbasierte Zivilisation dafür sorgen, dass unser Planet unbewohnbar wird, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Unsere Meere sterben. Unsere Regenwälder verschwinden in Rekordtempo. Der Sauerstoffgehalt in unserer Atmosphäre sinkt stetig, und die Erderwärmung schreitet fort. Keines dieser Probleme lässt sich durch Kontrolle von oben durch reiche Banker, mächtige Generäle oder sonst jemanden lösen. Das Überleben unserer Gattung erfordert weltweite Kooperation in einem bislang unerreichten Maß.

Deshalb müssen wir die Atomwaffen jetzt abschaffen. Atomwaffen sind das einfachste Problem, vor dem wir stehen, und das Thema ist höchst dringlich. Wenn wir uns nicht einmal auf die Abschaffung dieser überflüssigen, völkerrechtswidrigen und obszönen Bedrohung unserer Existenz einigen können, woher nehmen wir dann die Hoffnung, dass wir Antworten auf die viel subtileren und schwierigeren Probleme finden, vor denen die Besatzung des Raumschiffs Erde steht? Wenn wir uns hingegen auf die Abschaffung der Atomwaffen einigen, dann sagt die Weltgemeinschaft damit: „Lass uns das Gesetz des Dschungels abschaffen und für unser gemeinsames Überleben zusammenarbeiten.“ Damit eröffnen wir den Weg zu anderen Formen der Kooperation, die möglicherweise unseren Kindern und Kindeskindern die Zeit gewährt, die sie brauchen, um unsere Hinterlassenschaften aufzuräumen.

Das ist die Wahl, die wir jetzt treffen müssen. Wählen wir Gewaltlosigkeit oder die Bombe. Alle, die sich mit Abrüstung beschäftigen, müssen im kommenden Jahr ihre Anstrengungen verdoppeln und darauf hin wirken, dass im Mai 2010 die richtige Entscheidung fällt.

Steve Leeper ist Vorsitzender der Hiroshima Peace Culture Foundation.
Übersetzung: Regina Hagen

Bomben Unsicherheit

Bomben Unsicherheit

von Jürgen Nieth

„19 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs üben deutsche »Tornado«-Piloten noch immer, wie sie Waffen mit der zehnfachen Explosivkraft der Hiroshima Bombe von 1945 über Feindesland abzuwerfen hätten.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) Diese US-Atomwaffen – geschätzte Anzahl 10 bis 20 – lagern in Büchel in der Eifel. Deutschland ist keine Atommacht. „Aber es gibt in der NATO das Prinzip der atomaren Teilhabe: Bündnispartner dürfen im Ernstfall unter US-amerikanischem Befehl und amerikanischer Aufsicht amerikanische Atomwaffen einsetzen.“ (FR 24.06.08., S.2)

Büchels »unsichere« Bomben

Dieses „Relikt des Kalten Krieges“ (TAZ, 24.06.08) ist stärker in den öffentlichen Fokus gerückt, nachdem US-Wissenschaftler »Sicherheitsmängel« bei der Bewachung moniert haben. Sie haben Mitte Juni einen zuvor geheimen Bericht des Hauptquartiers der US Air Force ins Internet gestellt. „Darin wurde festgestellt, dass die »meisten« Atomwaffenstützpunkte in Europa nicht die Sicherheitsanforderungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums erfüllten. … Gebäude seien nicht ausreichend stabil. Das Sicherheitspersonal sei unzureichend geschult und werde oft auch in viel zu geringer Zahl eingesetzt. Teilweise würden deutsche Wehrpflichtige … als Wachen eingesetzt.“ (Welt 24.06.08, S.4) Die Studie war in Auftrag gegeben worden, „nachdem im August 2007 sechs Atomsprengköpfe ohne Wissen der Luftwaffenführung quer durch die USA geflogen worden waren. Der B52 Bomber transportierte die Massenvernichtungsmittel… ohne dass irgendwer in Militär- und Regierungshierarchie von der potenziell tödlichen Fracht wusste.“ (Neues Deutschland, 23.06.08., S.1)

Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, hält die Kritik an Büchel für übertrieben, „die Sicherheit von Nuklearwaffen habe in der Nato und den USA ‚höchste Priorität'.“ (Tagesspiegel, 24.06.08, S.2). Gleichzeitig scheinen aber die Differenzen innerhalb der Bundesregierung über die Frage eines Abzugs der A-Waffen zu zunehmen.

SPD: Für A-Waffen-Abzug

„Die SPD-Landesregierung von Rheinland-Pfalz äußerte… die Erwartung, dass die Bundesregierung angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage mit den Natopartnern sprechen werde, um die verbliebenen Nuklearwaffen in Europa möglichst abzuschaffen. Der SPD- Außenpolitiker Niels Annen sagte, der Abzug der US- Atomwaffen wäre ein riesiger Schritt, um bei der nuklearen Abrüstung voranzukommen. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich betonte, man brauche ‚so schnell wie möglich eine Null-Lösung bei den taktischen Nuklearwaffen'.“ (Süddeutsche Zeitung, 24.06.08., S.6)

Oppositionsparteien fordern Abzug

Auch die drei Oppositionsparteien sind sich einig in der Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen. „Das FDP-Präsidium forderte die Bundesregierung auf, den Abzug der letzten in Deutschland stationierten amerikanischen Nuklearwaffen in den zuständigen Nato-Gremien auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben… Der Abgeordnete und frühere Bundesminister Trittin (Grüne) forderte ebenso wie der verteidigungspolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Schäfer, Deutschland solle die nukleare Teilhabe kündigen.“ (FAZ, 24.06.08., S.5) Das sehen CDU/CSU ganz anders.

CDU/CSU wollen atomare Teilhabe

Die nukleare Teilhabe Deutschlands jetzt aufzugeben, ist für die CDU/CSU „,sicherheitspolitisch fahrlässig und bündnispolitisch unverantwortlich' …Der CSU-Außenpolitiker zu Guttenberg erinnerte daran, dass nicht nur Außenminister Steinmeier, sondern auch seine Vorgänger Fischer, Kinkel und Genscher die nukleare Teilhabe Deutschlands voll mitgetragen hätten, ‚ebenso wie seinerzeit das Regierungsmitglied Trittin'.“ ( FAZ 24.06.08., S.5) Auch der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Eckart von Klaeden, möchte nicht auf die atomare Teilhabe verzichten „solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt.“ (Berliner Ztg, 23.06.08, S.7)

Militär und Wirtschaft

Immer, wenn es darum geht militärische Kapazitäten abzubauen, werden wirtschaftliche Probleme für die Region betont, Sicherheitsrisiken und der Faktor Militärkosten herunter gespielt. So auch von Richard Benz, parteiloser Bürgermeister von Büchel: „Die Bundeswehr in Büchel ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Wir fürchten, dass bei einem Abzug der Atomwaffen dieser Standort infrage gestellt wird.“ (TAZ, 24.06.08., S.5)

Die Mainzer Rhein-Zeitung (25.06.08, S.4) verfolgt dieselbe Linie und spricht vom „Fliegerhorst des Jagdgeschwaders 33, das der Bevölkerung seit den 50er Jahren Lohn und Brot gibt. Die Menschen leben mit und von der nuklearen Abschreckung.“ Die Allgemeine Zeitung (26.06.08) sieht das etwas differenzierter: „Ein Abzug auch der restlichen Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz würde die Region und das Land wirtschaftlich betrachtet nicht allzu hart treffen… Betroffen von einem Abzug (der A-Waffen) wären… knapp 140 Dienstposten bei der US-Armee.“

Auf die Kosten des Fliegerhorsts geht keine der regionalen Zeitungen ein. Nur die TAZ (24.06.08, S.5) zitiert Elke Koller von der Friedensbewegung: „Hier wird vergessen, dass nach meinen Informationen allein der Unterhalt des Luftwaffenstützpunktes über 500 Millionen Euro kostet.“

Wie weiter

Einige hoffen auf einen »stillen Tod« des A-Waffen-Stützpunkts durch die Verschrottung der Bomber. Darauf „setzt auch die SPD. Ab 2013 soll der für Atomwaffen untaugliche »Eurofighter« die Bücheler Tornado-Jets ablösen. ‚Dann ist die Teilhabe erledigt', sagt Wehrexperte Hans Peter Bartels.“ (Spiegel, 27/2008, S.42) CDU-Verteidigungsminister Jung plant allerdings anders: „Die Bundeswehr will die atomwaffentauglichen »Tornado«-Flugzeuge ‚zumindest bis 2020' im Dienst behalten,“ heißt es in der Antwort auf eine große Anfrage im Bundestag (TAZ, 03.07.08, S.6).

Für den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold handelt es sich hier um „,einen Koalitionskonflikt.' Die SPD sei für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die Union dagegen. Deshalb bewege sich in dieser Legislaturperiode eben: gar nichts. (TAZ 24.06.08, S.5)

Unsere Zukunft – atomwaffenfrei

»Frieden braucht Bewegung« titelte die Friedensbewegung in den 1980er Jahren. Dem entsprechend hat die Kampagne »Unsere Zukunft – atomwaffenfrei« für den 30. August nach Büchel eingeladen. Erwartet wird die größte Friedenskundgebung 2008 in Deutschland.

Die iranische Position im Atomkonflikt

Die iranische Position im Atomkonflikt

Historische und ideologische Hintergründe

von Annette Heppel

Hauptziel der internationalen Gemeinschaft ist es zu verhindern, dass die Islamische Republik Iran in den Besitz von Atomwaffen sowie der dafür erforderlichen Technologie kommt. Die iranische Führung hingegen besteht auf dem Recht des Landes zur zivilen Nutzung der Kernenergie gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag. Der seit Jahren schwelende Konflikt hat sich seit dem Amtsantritt des iranischen Präsidenten Ahmadinedjad 2005 erneut zugespitzt und schien zeitweise unausweichlich auf eine Eskalation hin zu steuern. Um die Konfliktlage und das Verhalten der beteiligten Staaten zu verstehen, muss die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen berücksichtigt werden.

Ein Haupthindernis für eine Verhandlungslösung ist das komplizierte Verhältnis zwischen der iranischen und der US-amerikanischen Führung, die seit 29 Jahren keine diplomatischen Kontakte mehr unterhalten. Diese Schwierigkeiten begannen jedoch nicht erst mit der islamischen Revolution im Iran 1979 und den Auswirkungen der dahinter stehenden Ideologie auf die iranische Außenpolitik, sondern sind in ihrer heutigen Form auch das Ergebnis einer langen Geschichte der Einmischungen des Westens insgesamt und der USA im Besonderen in die inneren Angelegenheiten des Iran.

Die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Persien war in dieser Zeit eines der wenigen islamischen Länder, die nicht kolonialer Macht unterstanden, auch wenn die Gefahr der Aufteilung in eine russische und eine britische Einflusszone bestand, da beide Staaten eine vorherrschende Machtposition in der Region anstrebten. 1872 erhielten die Briten erstmals eine Konzession zum Abbau der persischen Bodenschätze, die »Imperial Bank of Persia« und die »Anglo Persian Oil Company« wurden zu den wichtigsten Instrumenten britischer Einflussnahme im Land. Russland sicherte sich 1900 persische Zollrechte und 1902 das Monopol für wichtige Bedarfsgüter. Es betrachtete Persien als Weg nach Indien und zum Persischen Golf und hatte daher kein Interesse an einer starken Regierung. Großbritannien interessierte sich für den Handelsweg über den persischen Golf und wollte die russische Einflusssphäre in der Region möglichst klein halten. Beide Länder wollten ein enges Bündnis mit der persischen Oberschicht eingehen, da die Bevölkerung bereits gegen die Einmischung von außen und die anhaltende Unterdrückung durch den Schah aufbegehrte. Wachsender Unmut über die politische Abhängigkeit und den fortschreitenden wirtschaftlichen Ausverkauf Persiens schuf eine Protestbewegung, die Konservative und Modernisten im Widerstand gegen die Regierung einte und in die konstitutionelle Revolution von 1905-1911 mündete.

Briten und Russen, die den Schah im Kampf gegen die Verfassungsrevolutionäre unterstützten, schlossen im August 1907 einen Vertrag, der das Land einteilte in eine britische Zone im Süden, eine russische im Norden und eine neutrale Zone dazwischen. Das persische Parlament wollte sich mit Hilfe eines US-Experten aus der finanziellen Abhängigkeit von Großbritannien und Russland befreien, wurde jedoch von der russischen Regierung Ende 1911 unter Druck gesetzt, diesen zu entlassen und Ausländer nur noch mit ihrer Billigung zu ernennen. Die militärische Durchsetzung dieser Forderung und die folgende Auflösung des Parlaments führten zum Scheitern der Verfassungsrevolution. Als sich die russischen Truppen nach der Oktoberrevolution zurückzogen, drängte die britische Regierung auf den Abschluss eines Vertrages, nach dem sie ihre Experten in allen Ministerien und Ämtern einsetzen und ihre Truppen überall in Persien stationieren könnte. Im August 1919 unterzeichnete der Premierminister diesen Vertrag, der der nationalrevolutionären Bewegung neuen Auftrieb verschaffte, im Parlament jedoch keine Mehrheit fand. Die Lage beruhigte sich 1921 durch den Abzug der sowjetischen Truppen und die Kündigung des Vertrages, der Großbritannien ein Wirtschaftsmonopol in Persien gesichert hätte, zunächst wieder. Die Revolutionäre steuerten auf eine republikanische Verfassung zu, die Armee war zum Garanten des Nationalstaates und der Einheit des Reiches geworden. Doch schon bald offenbarte sich ein gravierender Mangel der daraufhin eingerichteten Militärdiktatur: der persischen Armee fehlte ein politischer Arm, ohne den die Einrichtung einer Republik nicht möglich war. Diese Lücke füllten die konstitutionalistischen und konservativen Kleriker bald aus und schufen somit bereits die Basis für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Funktion als legitimationsstiftende Instanz. Auch wenn Persien seine kaiserliche Ordnung zunächst bewahren konnte, blieb das Kaisertum ohne jegliche zivile Integration eine Militärdiktatur.

Die Pahlavi-Dynastie

Auf Druck der Geistlichen änderte der im Oktober 1923 zum Premierminister ernannte Reza Khan seine ursprünglichen Pläne, eine Republik nach türkischem Vorbild einzurichten, und versprach, die Verfassung von 1906 mit der Kontrolle der Gesetzgebung durch Geistliche anzuwenden. Ende 1925 setzte das Parlament den Schah ab und erhob Reza Khan zum Schah. Bei der Bewertung dieses Staatsstreiches sind zwei Aspekte hervorzuheben: Einerseits wurde der Putsch als ein von den Briten geplantes und gelenktes Komplott betrachtet, durch das Persien zum Bollwerk gegen den neuen sowjetischen Staat und zum Garanten der britischen und somit westlichen Interessen in der Region werden sollte. Zum Zweiten stellte der Putsch die innere Sicherheit und Stabilität Persiens wieder her, die zuvor durch die schwache Zentralregierung und separatistische Bewegungen stark gefährdet waren. Durch die Übertragung des Notenemissionsrechts von der Imperial Bank of Persia auf die persische Nationalbank konnte sich der Staat 1931 wieder das Außenhandelsmonopol für wichtige Exportgüter sichern. Auch die industrielle Entwicklung des Landes sollte vorangetrieben werden. Reza Schahs Modernisierungspolitik war mit einer Säkularisierung verbunden und reduzierte die Privilegien der Geistlichen.1 Der Erdölsektor wurde jedoch weiterhin von den Briten dominiert.

Unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erklärte der 1935 umbenannte Iran seine Neutralität. Nach dem Einmarsch britischer und sowjetischer Truppen 1941 musste Reza Schah zugunsten seines Sohnes abdanken, der bereits Anfang 1942 einen Bündnisvertrag mit der UdSSR und Großbritannien abschloss. Der innenpolitische Widerstand gegen die fortdauernde Einmischung westlicher Staaten formierte sich bald. 1944 verkündete der Abgeordnete Muhammad Mossadeq eine »Politik des negativen Gleichgewichts« mit dem Ziel, keine weiteren Konzessionen an das Ausland zu vergeben und die bestehenden zu annullieren. Die Abhängigkeit von Großbritannien und den USA wurde nach Kriegsende immer offensichtlicher und Mossadeqs Bewegung »Nationale Front« wollte dies nicht mehr länger hinnehmen. Im Mittelpunkt stand der Vertrag mit der britischen Anglo Iranian Oil Company (AIOC), die das wirtschaftliche und politische Leben des Landes stark beeinflusste, sowie die Vergabe von Erdölkonzessionen an die UdSSR durch die Regierung gegen den Widerstand des Parlaments. Die Annullierung dieses Vertrags wurde zunehmend zur nationalen Frage und die Bewahrung der nationalen Souveränität mit der Entscheidungsgewalt über die Ölvorkommen gleichgesetzt. Die »Nationale Front« startete 1949 eine Kampagne zur Nationalisierung der Erdölindustrie und kämpfte um eine Mehrheit im Parlament dafür. Mossadeq wurde Ende April 1951 zum Premierminister gewählt und das Parlament bestätigte seine Pläne. Die AIOC wurde in National Iranian Oil Company (NIOC) umbenannt und die britischen Experten mussten das Land verlassen. Nach erfolglosen Verhandlungen brach die britische Regierung den Kontakt mit Teheran ab und propagierte einen internationalen Boykott der iranischen Erdölexporte, dem sich entgegen den iranischen Erwartungen auch die USA anschlossen, was die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Iran verschärfte. Die Verstaatlichung der Erdölindustrie hatte international große Bedeutung und traf Großbritannien am stärksten. Die USA sahen ihre Chance, dessen Position als vorherrschende Macht am Golf einzunehmen, stießen jedoch durch die »negative Gleichgewichtspolitik« Mossadeqs auf massive Widerstände im Land und sahen als einzigen Ausweg nur den Sturz des Premierministers. Zwar gelang es Mossadeq im Frühjahr 1953, seine Position zu stabilisieren, er hatte jedoch mittlerweile die Unterstützung der Militärs endgültig verloren, die mit amerikanischer Hilfe einen Staatsstreich vorbereiteten. Am 19. August 1953 wurde seine Regierung durch einen Putsch gestürzt. Als Hauptakteur hierbei wird im Iran der amerikanische Geheimdienst CIA angesehen, US-Präsident Roosevelt gilt als der geistige Vater des Putsches. Innenpolitisch begünstigt wurde der Putsch durch die Spaltung der »Nationalen Front«, da sich die Geistlichen innerhalb der Bewegung verstärkt gegen Mossadeqs Politik der Fortsetzung der säkularen Tradition der konstitutionellen Revolution stellten.2

Nach dem Putsch propagierte der Schah einen propagandistischen »positiven Nationalismus«, der neben der Sicherung nationaler Interessen und der Unabhängigkeit auf die ‚Erhöhung des Lebensstandards und Stärkung des gesellschaftlichen Nationalbewusstseins' abzielte. Er schloss jedoch 1959 ein Militärabkommen mit den USA, das die engen Beziehungen weiter festigte und sowohl seinen persönlichen Machtambitionen wie auch den wirtschaftlich-strategischen Interessen der USA in der Region diente. Seine so genannte »Weiße Revolution« von 1963 mit einer umfassenden Bodenreform scheiterte und führte zur Verarmung der Landbevölkerung. Als Reaktion auf die sinkende einheimische Produktion ließ der Schah in wachsendem Umfang Lebensmittel importieren, was die Abhängigkeit von US-Nahrungsmittelkonzernen und die West-Bindung verstärkte. Die Einführung eines westlichen Erziehungssystems trug zur Entfremdung von der iranischen Kultur bei und rief den Widerstand der islamischen Gelehrten hervor. Bereits im Juni 1963 kam es unter der Führung von Ayatollah Khomeini zu Massenaufständen gegen die »Weiße Revolution«, die nur durch massiven Einsatz von Armee, Polizei und Geheimdienst niedergeschlagen werden konnten. Khomeini kritisierte den Schah öffentlich für seine politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit Israel, das er in erster Linie als »Stellvertreter der USA und des Westens« in der Region ansah.3 Auch die ungenügende Abwehr von Eingriffen fremder Interessen in die iranische Wirtschaft und Innenpolitik durch den Schah führte dazu, dass sich die Menschen schließlich mehrheitlich gegen ihn stellten und sich statt dessen 1978/79 der von Khomeini angeführten Islamischen Revolution anschlossen.

Nach der Islamischen Revolution

Mit der Gründung der Islamischen Republik Iran im März 1979 erfolgte die Einführung des Prinzips der Herrschaft der Rechtsgelehrten als neue politisch-revolutionäre Ideologie. Somit wurde die traditionell unpolitische und quietistische Schia zur alles bestimmenden Kraft im Land. Die Idee einer politisch aktiven Schia entstand nicht aus dem Gedankengut des Klerus, sondern wurde von iranischen Intellektuellen unter dem Eindruck kultureller Überfremdung und wirtschaftlicher Ausbeutung entwickelt. Revolutionsführer Ayatollah Rûhollâh Khomeini lebte zwar seit 1964 im Exil, hatte durch die Verbreitung von Tonbandkassetten seiner Reden jedoch großen Einfluss auf die öffentliche Meinung im Land. Ihm gelang es so, eine Massenbewegung gegen die Diktatur des Schahs hervorzurufen, die das Regime schließlich stürzte. Dadurch änderte sich auch die Position des Iran innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Das Schah-Regime war bis 1979 der wichtigste Bündnispartner des Westens und Israels in der islamischen Welt, die Islamische Republik schlug jedoch einen explizit antiwestlichen Kurs ein und strebte die Hegemonie in der islamischen Welt an. Deutlichstes Zeichen hierfür war die Propagierung des Exports der Islamischen Revolution unter der Führung Irans.4 Eines der ersten republikanischen Dekrete ordnete die vollständige staatliche Kontrolle über das Erdöl an und im März 1979 verkündete die NIOC den Ausschluss internationaler Konzerne von allen Erdölgeschäften. Auch der Außenhandel wurde unter das Monopol des Staates gestellt. Da sich die soziale Situation der Bevölkerung jedoch kaum verbesserte, entlud sich deren Unmut bald in Protesten und Aufständen. Am 4. November 1979 besetzten Theologiestudenten die US-Botschaft in Teheran und nahmen die Mitarbeiter als Geiseln. Dies bot dem neuen Regime ein willkommenes Ventil für den ‚Zorn des Volkes gegen seine imperialistischen Unterdrücker'.5 In den folgenden Monaten wurden täglich Demonstrationen vor dem Botschaftsgebäude organisiert, um das Volk im gemeinsamen Kampf gegen den Einfluss des Auslands zu einen.

Die US-Regierung betrachtete die Islamische Revolution als Affront gegen ihre globale Vormachtstellung und ihre Interessen in der Golfregion. Daher bemühte sie sich um eine Umkehrung dieses Prozesses und unterstützte die konterrevolutionäre Bewegung. Unter Führung der CIA baute diese Terrorbanden auf, die Anschläge auf führende Vertreter des Regimes verübten und die US-Administration unterstützte die monarchistischen und konterrevolutionären bewaffneten Verbände im In- und Ausland. Weitere Methoden waren die Anheizung der Inflation durch massenhafte Falschgeldeinfuhr, Schüren von Aufständen nationaler Minderheiten, Bestechung von Beamten der provisorischen Regierung sowie massenhafte Ausschleusung von Vertretern des alten Regimes.

Die außenpolitische Konzeption der islamischen Revolution

Die iranische Revolutionsideologie beinhaltet eine starke außenpolitische Komponente, da der Islam nach Khomeinis Definition als ewig gültiges Normen-, Werte- und Rechtssystem Abhängigkeit und Unterdrückung unmöglich macht. Die Islamische Revolution sei ein »Geschenk an die Menschheit«, vor allem an die Benachteiligten und Unterdrückten und habe daher keinen nationalen Bezug. Die Revolutionäre sahen darin den Auftrag, dem Islam universelle Geltung zu verschaffen. Die Muslime müssten islamische Regierungen bilden und eine gemeinsame Front gegen die Feinde des Islam bilden. Auch die Ziele und Methoden der Außenpolitik eines islamischen Staates sollten von der Vollkommenheit des Islam bestimmt werden. Khomeini rief Muslime anderer Staaten immer wieder dazu auf, sich gegen ihre »degenerierten« Herrscher zu erheben und dann über die schrittweise Errichtung islamischer Staaten die Vorraussetzungen für die Existenz einer islamischen Gemeinschaft ohne nationale Grenzen zu schaffen. Die iranische Revolution war für ihn demnach nur der Ausgangspunkt für eine weltweite Ausbreitung seiner islamischen Staatsidee. Deren Export wurde zum bestimmenden Faktor der frühen, von Khomeini direkt bestimmten iranischen Außenpolitik und sollte mit den verschiedensten Mitteln verwirklicht werden. So unterstützte Iran muslimische Oppositionsbewegungen in anderen Ländern durch Waffen, Geld und Ausbildung, veranstaltete internationale Kongresse und nutzte die Medien intensiv für umfangreiche Propaganda. Khomeini versicherte zwar mehrfach, dass der Iran keine militärischen Interventionen zur Durchsetzung der Revolutionsideale in anderen Staaten plane, ließ jedoch nie Zweifel daran aufkommen, dass das Konzept der Auflehnung gegen »unislamische« Regierungen sehr wohl exportiert werden sollte.6 Dass Khomeini nicht nur Kritiker des Westens war, sondern ein eigenes Herrschafts- und Regierungssystem propagierte, das er weltweit verbreiten wollte, wurde in vielen westlichen Staaten als Herausforderung betrachtet.

Politische Nachwirkungen heute

Kurz vor seinem Tod im Juni 1989 charakterisierte Khomeini die gesamte gegenwärtige Epoche als die der Auseinandersetzung zwischen den Muslimen und den USA, die in seinen Augen für alle Übel dieser Welt verantwortlich sind. Nur ihr Wirken verhindere die Annahme des Islam durch alle Menschen, sie seien der Hauptfeind des Iran und aller Muslime. Daher könne mit der amerikanischen Führung niemals und in keiner Frage eine Übereinstimmung erzielt werden. Auch viele Jahre später gilt diese »Linie des Imam« als geistige und politische Richtschnur der iranischen Staatsführung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war zwar die latente Bedrohung durch die östliche Supermacht verschwunden, gleichzeitig jedoch auch der strategische Nutzen der gegenseitigen Reduzierung des Bedrohungspotentials beider Supermächte.

Auch wenn die neunziger Jahre durch einen Prozess der Normalisierung der internationalen Beziehungen und eine realistischere Außenpolitik Irans geprägt waren, änderte sich doch nichts an der grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten. So wirft Khomeinis Nachfolger Alî Châmene'î den USA nicht nur vor, sich aus der »Erbmasse« des sozialistischen Lagers zu bedienen und der gesamten Welt ihren Willen aufzuzwingen, sondern nun auch die »Konfrontation mit dem Islam« zu suchen. Er propagiert somit eine neue Bipolarität des internationalen Systems, einen Antagonismus, dessen Hauptprotagonisten ein von den USA dominierter Westen und die islamische Welt sein würden. Im Islam sei eine wirkliche Alternative gegeben, die der Westen aus Angst vor Machtverlust jedoch nicht annehmen wolle. Somit sei die politische Welt der Gegenwart in einem Raster mit zwei antagonistischen Polen gefangen: die Welt der Arroganz des materialistischen Westens und die Welt des Islam. Diese unveränderte ideologische Positionierung wird noch verschärft durch die in den letzten Jahren massiv veränderten sicherheitspolitischen Gegebenheiten. Auch wenn Teheran weder mit dem Nachkriegsirak Saddam Husseins noch mit dem von den Taliban beherrschten Afghanistan gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhielt, so stellt die wachsende amerikanische Truppenpräsenz in fast allen Nachbarländern in den Augen der iranischen Führung eine ungleich größere Bedrohung dar – insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Regimewechsel im Iran zu den erklärten Zielen der USA zählt, die eine militärische Option zur Durchsetzung ihrer strategischen Interessen am Golf explizit nicht ausschließen.

Literatur

Akbari, S. (2007): Irans revolutionäre Außenpolitik: Realität oder Rhetorik? Verschiebung der inneren Machtbalance, in: Friedensgutachten 2007. Münster, S.160-171.

Beestermöller, G./Justenhoven, H.-G. (Hrsg.) (2006): Der Streit um die iranische Atompolitik. Völkerrechtliche, politische und friedensrechtliche Reflexionen. Stuttgart.

Fürtig, H. (1998): Islamische Weltauffassung und außenpolitische Konzeptionen der iranischen Staatsführung seit dem Tod Ajatollah Khomeinis. Berlin.

Ghafouri, S. (1999): Iran. Religion, Kultur, Staat. Eine Studie zum Werdegang einer Nation. Aachen.

Gronke, M. (2003): Geschichte Irans. Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. München.

International Crisis Group/ICG, Middle East Report/MER No. 18: Dealing with Iran's Nuclear Program; Amman/Brüssel, 27.10.2003.

ICG/MER No. 51: Iran: Is there a Way out of the Nuclear Impasse?, Brüssel/Washington/Teheran, 23.02.2006.

Internationale Politik: Die neue Welt der Atommächte; August 2006, S.6-66.

Kalinowski, M. (2006): Das Nuklearprogramm des Iran – zivil oder militärisch?; in: Atomenergie: Zugriff zur Bombe; W&F 1/2006, Dossier 51, S.6-11.

Nirumand, B. (2006): Iran – Die drohende Katastrophe. Köln.

Schaper, A./Schmidt, H.-J. (2005): Gefährdungen des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages? Nordkorea, Iran und die USA, in: Friedensgutachten 2005. Münster, S.135-144.

Schaper, A./Schmidt, H.-J. (2006): Eine unendliche Geschichte? Irans und Nordkoreas Nuklearprogramme, in: Friedensgutachten 2006. Münster, S.187-197.

von Randow, G./Ladurner, U. (2006): Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr. Hamburg.

Anmerkungen

1) So wurde das traditionelle Jurismonopol der Geistlichen eingeschränkt durch die Zurückdrängung der religiösen Gerichte zugunsten der weltlichen und der Aufhebung der Notarfunktion für Geistliche bei Rechtsgeschäften und Verträgen. Dadurch verloren die Kleriker einen Großteil ihres gesellschaftlichen Einflusses und eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen.

2) In diesem Machtvakuum bildete sich eine »patriotische« Gruppe zur »Rettung von Vaterland und Königtum gegen extremistische Tendenzen«, die mit Geldern der CIA unterstützt wurde.

3) Es gab Pläne zur Unterzeichnung eines Vertrages, der Israel großen wirtschaftlichen Einfluss und Zusammenarbeit mit Armee und Geheimdienst im Iran sichern sollte.

4) Dieses Konzept wurde bereits in der Präambel der Verfassung der Islamischen Republik verankert: „Die Verfassung schafft durch die Berücksichtigung des islamischen Gehalts der Revolution (…) die Grundlage für die Fortdauer dieser Revolution im In- und Ausland.“

5) Während der Besetzung wurden in der Botschaft brisante Geheimdokumente gefunden, die die Unterstützung der USA für Repräsentanten des Schah-Regimes belegten. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob die Studenten auf direkte Weisung Khomeinis handelten oder nicht. Die Auswirkungen dieser Aktion waren jedoch von großem Nutzen für das klerikale Regime und sie wurde nachträglich mehrfach von Khomeini öffentlich gerechtfertigt.

6) Khomeini verwendete in diesem Zusammenhang sehr oft den Begriff des jihad und legitimierte Muslime in islamischen Ländern, Herrscher, die sich nicht an islamische Gesetze hielten, exemplarisch zu bestrafen.

Annette Heppel ist Politologin mit den Schwerpunkten Naher Osten und islamistischer Terrorismus. Bis Dezember 2007 war sie Geschäftsführerin der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative. Zurzeit arbeitet sie an einer Studie über Hamas und Hizb'allah.

Mutlanger Manifest

Mutlanger Manifest

8. Dezember 2007

von Redaktion

Im Bewusstsein des Leidens und Sterbens, dass durch die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki sowie durch Tausende von Atomtests verursacht wurde; erfreut über die Abrüstungsschritte und das Ende des Kalten Krieges, die vor 20 Jahren durch den INF-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR möglich wurden; unter Kenntnisnahme

der Existenz von weltweit noch über25.000 Atomwaffen,

der Lagerung von noch immer 20 US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland,

der nuklearen Teilhabe Deutschlands, in deren Rahmen die Bundeswehr Trägermittel für Atomwaffen zur Verfügung stellt und Piloten deren Einsatz üben lässt.

In Sorge

wegen der Pläne zur Erneuerung der Atomwaffen in den Atomwaffenstaaten und zur Stationierung von Abwehrraketen,

wegen der Kündigung und der Infragestellung von bestehenden Abrüstungsverträgen,

wegen der Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene.

In der Hoffnung

auf ein atomwaffenfreies Deutschland und

auf neue Abrüstungsschritte mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt,

verabschieden wir heute als Mitglieder von Mayors for Peace in Mutlangen, einem ehemaligen Stationierungsort der Pershing II-Atomraketen, am 20. Jahrestag der Unterzeichnung des INF-Vertrages folgendes Manifest.

Landrat Klaus Pavel – Oberbürgermeister Wolfgang Leidig – Bürgermeister Peter Seyfried

A) Der INF-Vertrag

Vor 20 Jahren, am 8. Dezember 1987, unterzeichneten der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und der US-Präsident Ronald Reagan in Washington den INF-Vertrag (Intermediate-range Nuclear Forces). Darunter fallen Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 km. In dem Vertrag einigten sich die beiden Mächte darauf, auf diese Waffengattung vollständig zu verzichten und die bestehenden Arsenale an Trägersystemen zu zerstören. Der INF-Vertrag ist einzigartig.

Der INF-Vertrag ist der erste wirkliche Abrüstungsvertrag. Durch ihn wurde in den beiden Vertragsstaaten eine ganze nukleare Waffengattung nicht nur außer Dienst gestellt, sondern tatsächlich vollständig abgerüstet.

Der INF-Vertrag schuf Vertrauen und Offenheit. Im INF-Vertrag wurden erstmals weit reichende Verifikationsvereinbarungen bis hin zur »On-Site Inspection« getroffen. Er gestatte russischen Inspektoren zur Überprüfung des Vertrages den Zutritt zu Militäreinrichtungen in den USA und umgekehrt.

Der INF-Vertrag schuf Sicherheit für beide Seiten, trotz ungleicher Abrüstungsverpflichtungen. Insgesamt 2.692 Atomraketen und Marschflugkörper wurden vernichtet: 846 auf US-amerikanischer sowie 1.846 auf sowjetischer Seite.

Der INF-Vertrag gab eine Antwort auf die Forderungen der weltweiten Öffentlichkeit und Friedensbewegung und den Anstoß für weitere grundlegende politische Veränderungen bis hin zum Ende des Kalten Krieges.

Der INF-Vertrag ist gefährdet.

Trotz seiner epochalen Bedeutung gerät der INF-Vertrag zunehmend unter Druck. Auf beiden Vertragsseiten fordern Stimmen, die bilaterale Beschränkung aufzuheben, weil andere Länder weiterhin Mittelstreckenwaffen entwickeln und stationieren können. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Pläne zur Stationierung von Raketenabwehr-Komponenten in Polen und der Tschechischen Republik droht Russland mit der Kündigung von Abrüstungsvereinbarungen, wie auch dem INF-Vertrag.

Der INF-Vertrag ist richtungweisend.

Dennoch riefen die Russische Föderation und die Vereinigten Staaten von Amerika in einer gemeinsamen Erklärung vom 25. Oktober interessierte Staaten dazu auf, die Multilateralisierung des INF-Vertrages zu diskutieren. Es diene dem Frieden in der Welt, wenn alle Atomraketen dieser Kategorie zerstört und entsprechende Programme eingestellt würden.

Zu Beginn dieses Jahres erinnerten die beiden ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry und der frühere Vorsitzende des Streitkräfteausschusses des US-Senats in einem gemeinsame Essay im Wall Street Journal an die Vision „von der Abschaffung aller Nuklearwaffen“, die Ronald Reagan mit Michail Gorbatschow geteilt habe. Sie forderten, diese Vision wieder beleben.

B) Vom INF-Vertrag zur vollständigen Abrüstung aller Atomwaffen

Wir sind froh, dass in Mutlangen, dort wo einst die Atomraketen Pershing II in den Himmel ragten, heute Baukräne aufgerichtet sind und ein Wohngebiet entstanden ist. Wir sind froh über die Konversion der anderen Stationierungsorte.

Wir bedauern, dass der Abrüstungsprozess, der mit dem INF-Vertrag eingeleitet wurde, zum Erliegen gekommen ist.

Wir wollen, dass der INF-Vertrag, durch den Mutlangen atomwaffenfrei wurde, zur Keimzelle für weitere Abrüstungsschritte wird und zu einem Prozess führt, an dessen Ende das vollständige Verbot aller Atomwaffen steht.

Wir appellieren an die politischen Führer insbesondere der Atommächte,

den INF-Vertrag nicht zu kündigen, sondern multilateral auszuweiten. Das Diskussionsangebot der beiden Vertragsstaaten ist zu begrüßen, hat aber nur dann Aussicht auf Verwirklichung, wenn es mit Abrüstungsangeboten der Atommächte verbunden wird.

ihre Raketenabwehrpläne zu überprüfen und auf jegliche Handlung zu verzichten, die die Gefahr eines neuen Wettrüstens auf der Erde sowie im Weltraum erhöhen.

jegliche Modernisierungspläne für ihre Atomwaffen aufzugeben und statt dessen lang überfällige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt zu gehen: den vollständigen Atomteststoppvertrag endlich zu ratifizieren und Verträge über atomwaffenfreie Zonen anzuerkennen.

Wir appellieren an unsere Bundesregierung,

die Anstrengungen auf ein Ende der nuklearen Teilhabe weiter voranzutreiben, damit keine Soldaten mehr an einem Atomwaffeneinsatz mitwirken müssen.

auf diplomatischem Weg darauf hinzuwirken, dass Deutschland bis zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags 2010 atomwaffenfrei ist.

auf die Atommächte einzuwirken, der Abrüstungsverpflichtung aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag unverzüglich nachzukommen.

Unsere Vision

Bei uns anfangen

Der Modernisierungsdebatte in den Atomwaffenstaaten müssen starke Abrüstungssignale entgegengesetzt werden. Der Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland und dem übrigen Europa wäre ein solches Zeichen. Da die Militärs für die in Büchel gelagerten Atombomben keine Einsatzmöglichkeit sehen, gibt es im Moment ein Zeitfenster, um deren Abzug durchzusetzen. Der Abzug der US-Atomwaffen aus Europa ebnet den Weg für Verhandlungen über die taktischen Arsenale der USA und Russlands. Dies ist wichtig, denn vor allem bei diesen Waffen besteht die Gefahr, dass sie in die Hände von Terroristen fallen können. Wenn diese Chance verspielt wird, müssen wir damit rechnen, dass dann auch neue Sprengkopftypen in Europa stationiert werden.

Wir begrüßen die ebenfalls am heutigen Tag veröffentlichte Erklärung der Bürgermeister der aktuellen Stationierungsorte, die den Abzug der bei ihnen gelagerten Atomwaffen fordern.

Ein atomwaffenfreies Deutschland, der Abzug aller US-Atomwaffen aus Europa, sind Schritte auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.

Eine atomwaffenfreie Welt

Der Internationalen Gerichtshof hat 1996 festgestellt, dass eine rechtliche Pflicht besteht, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und abzuschließen, die zu nuklearer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen.“ Im Rahmen des Überprüfungsprozesses des NVV stellte der Bürgermeister von Hiroshima Tadatoshi Akiba 2003 den Aktionsplan der Mayors for Peace vor: die »2020 Vision«. Dieser Plan zielt auf ein Verbot aller Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention. Einer ersten Verhandlungsphase soll eine 10-jährige Umsetzungsphase folgen. Im Jahr 2020 ist dann das Ziel einer atomwaffenfreien Welt erreicht.

Ein Erfolg war in diesem Jahr, dass der von Nichtregierungsorganisationen aktualisierte Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention durch Costa Rica zum offiziellen Arbeitspapier des Überprüfungsprozesses der nuklearen Nichtverbreitungsvertrags wurde. Dieses Vertragmodell verbietet alle Atomwaffen. Es enthält einen Zeitplan für die Abrüstung der Atomwaffen und Überprüfungsbestimmungen. Damit würde die Ungleichheit des Nichtverbreitungsvertrages, der genaue Vorschriften zur Nichtverbreitung beinhaltet, aber die Abrüstungsverpflichtung nur allgemein ohne Zeitrahmen festlegt, aufgehoben.

C) Unsere Aktivitäten

Der INF-Vertrag kam nur zustande, weil es einen immensen öffentlichen Druck gab. Wir als gewählte Vertreter unserer Bürgerinnen und Bürger verpflichten uns, uns wo immer möglich für nukleare Abrüstung einzusetzen. Insbesondere durch

Bildungsveranstaltungen und Aktionen auf lokaler und regionaler Ebene,

Teilnahme an Delegationen der Mayors for Peace und anderen Nichtregierungsorganisationen,

durch Unterstützung der Kampagne »unsere Zukunft – atomwaffenfrei«.