Die Uhr tickt…

Die Uhr tickt…

von Regina Hagen

Die Doomsday Clock der renommierten Fachzeitschrift »Bulletin of the Atomic Scientists« wurde im Juni 1947 erfunden, um eingängig zu illustrieren, wie nahe sich die Menschheit mit der Entwicklung von Kernwaffen bereits an die katastrophale Zerstörung ihrer Lebenswelt heranmanövriert hatte. Die Zeiger der Uhr standen knapp zwei Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki bei 7 vor 12. Für den Herausgeberkreis – Wissenschaftler aus dem Manhattan-Projekt, das zur Entwicklung der US-Kernwaffen führte -, war die Weltuntergangsuhr ein Symbol für die „anhaltende Gefahr, in der die Menschheit im nuklearen Zeitalter lebt und solange leben wird, bis die Gesellschaft ihre grundlegenden Einstellungen und Institutionen korrigiert“. Zu der Zeit verfügten die Vereinigten Staaten, damals einzige Nuklearmacht der Erde, kaum über dreißig der neuen Bomben; der erste Nukleartest der Sowjetunion sollte erst zwei Jahre später folgen.

Achtzehn mal wurde der Doomsday-Zeiger seither vor- und zurückgestellt und spiegelte dabei wie ein träger, aber untrüglicher Seismograph die globale, vor allem nukleare, politische Lage. Aufrüstung und Abrüstung, festgefahrene Rüstungskontrollverhandlungen und die Schaffung atomwaffenfreier Zonen, das Ende des Kalten Krieges und die Kündigung von wichtigen Verträgen, die Eindämmung von Proliferation wie die Gefahr durch nuklearen Terrorismus berücksichtigten die HüterInnen der »Bulletin«-Uhr bei ihrem Vor und Zurück.

„Wir stehen am Rande eines zweiten nuklearen Zeitalters“, warnte das Gremium vor einem Jahr unter Verweis auf 27.000 nukleare Sprengköpfe in den Arsenalen von mittlerweile acht Staaten – und stellte die Uhr vor: auf 5 vor 12. Dabei wollten es die ExpertInnen diesmal aber nicht belassen. Sie sehen zwar Kernwaffen immer noch als gefährlichstes Mittel zur Auslöschung der Menschheit, erweitern das Spektrum diesmal aber um „Klima verändernde Technologien und neue Entwicklungen in den Life Sciences und der Nanotechnologie, die unwiderruflichen Schaden verursachen könnten“. Kernwaffen und ihre Proliferation, der Stillstand bei Abrüstung und Rüstungskontrolle, der (Irr-)Glaube, den Klimawandel durch den Ausbau von Kernenergie stoppen zu können – mit all den damit verbunden Risiken weiterer Proliferation -, Raketenabwehr und die daraus resultierende neue Rüstungsspirale, Gentechnik, Biotechnologie, die praktische Nutzung von Nanostrukturen „… beschleunigen unsere Fähigkeit zur Selbstzerstörung“.

Und nun, was sollen wir mit diesem schonungslosen und Furcht einflößenden Befund anfangen? Eines nicht, appellierte das »Bulletin« vor einem Jahr: „Wir bitten die Wissenschaftler, in den Worten von Eugene Rabinowitch, sich nicht ‚resigniert und verzweifelt in ihre Labore zurückzuziehen', sondern diese Themen öffentlich aufzugreifen und ihre Stimmen zu Gehör zu bringen. Und die Regierungen flehen wir an, die wissenschaftliche Community aktiv einzubinden und um soliden, unparteiischen technischen Rat zu bitten.“

Vom Vorstellen der Doomsday Clock konnte die Redaktion von Wissenschaft & Frieden vergangenes Jahr noch nichts ahnen, als wir, wie immer gleich zu Beginn des neuen Jahres, in zweitägiger Klausur die Schwerpunkte der nächsten vier Hefte planten. Die zivile und militärische Renuklearisierung der Welt und technische Hintergründe der neuen Rüstungsdynamik, da gingen wir d'accord, dürften bei den Themen auf keinen Fall fehlen. Welch Glück, dass wir kritische WissenschaftlerInnen kennen, die sich im Sinne von Rabinowitch nicht resigniert und verzweifelt in ihre Labore zurückziehen, sondern W&F ihre Feder und Stimme leihen, um der Regierung, den Tätigen in Forschung und Industrie und, ja, uns allen die dringlichen Themen zu beschreiben und Pfade weg vom Abgrund aufzuzeigen.

Die Stimme erheben reicht aber nicht aus; das tun die AutorInnen der Schwerpunktartikel dieser Ausgabe seit Jahren. Es müssen schon auch Ohren da sein zum Hören, da aber hält es die deutsche Regierung eher mit den drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Abrüstung wird vor allem von anderen gefordert. So ist eine deutsche Initiative zum Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und anderen Ländern der Europäischen Union leider nicht in Sicht – wie will Herr Steinmeier da ein überzeugender Makler im Streit um die Nuklearambitionen des Irans sein? Oder die »präventive Rüstungskontrolle« – dieses Stichwort suchen Sie zum Beispiel im letzten Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung vergeblich.

Das können wir uns aber nicht länger leisten! Um zum Schluss noch einmal das »Bulletin of the Atomic Scientists« zu zitieren: „Weil wir am Rande eines zweiten nuklearen Zeitalters stehen und auch am Beginn eines beispiellosen Klimawandels, müssen wir unser Denken über die Nutzung und Kontrolle von Technologien ändern, um unsägliche Zerstörung und zukünftiges menschliches Leiden zu verhindern.

Die Uhr tickt.“

Regina Hagen

Der Kosovo-Krieg und die atomare Frage

Der Kosovo-Krieg und die atomare Frage

Betrachtungen aus russischer Sicht

von Alla Yarochinskaya

Im letzten Jahrzehnt wurde der Terminus der zukunftsfähigen, stabilen Entwicklung (sustainable development) bei WissenschaftlerInnen und PolitologInnen sehr modern. Seit der UN-Konferenz zu Fragen der Umwelt 1992 in Rio de Janeiro wurden zu diesem Thema Tausende Dissertationen geschrieben, Millionen Vorträge gehalten, aber ein Mehr an »Stabilität« kam dabei nicht heraus. Es ist eher umgekehrt: Den Planeten erschüttern soziale und ökologische Katastrophen, lokale und regionale Kriege hören nicht auf und Tausende von Rüstungsbetrieben und Millionen von WissenschaftlerInnen arbeiten an der Schaffung immer effektiverer Vernichtungswaffen, darunter auch an Massenvernichtungswaffen.

In das 21. Jahrhundert geht die Menschheit mit der Last der ungelösten Probleme des atomaren Wettrüstens. Ungeachtet der fast dreißigjährigen Existenz des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, im Rahmen dessen auch die atomare Abrüstung voran getrieben werden sollte, gibt es heute auf der Welt mehr Atommächte als vor der Unterzeichnung. Indien und Pakistan haben sich selbst zu atomaren Staaten erklärt. Ein öffentliches Geheimnis sind die Atomwaffen Israels. Bekannt ist, dass vierzig Länder sich an der Schaffung von Atombomben versuchen und weitere zwanzig in der Lage sind, sie zu produzieren. Schließlich ist auch die vollständige Stagnation bezüglich der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen augenscheinlich, die die bilateralen russisch-amerikanischen Verträge betrifft. Das russische Parlament (die Duma) hat den START-2-Vertrag bis heute nicht ratifiziert, der vom russischen und US-Präsidenten schon 1993 unterzeichnet, vom US-amerikanischen Parlament Anfang 1996 ratifiziert wurde. Er sah vor, die atomaren Waffenarsenale beider Länder bis zum Jahr 2007 auf je 3.500 Einheiten zu reduzieren.

Diese Verzögerung bei der Ratifizierung des START-2-Vertrages erlaubt es ihrerseits nicht, weiter bei der atomaren Abrüstung voranzuschreiten. Daraus ergeben sich auch Probleme für die offiziellen Verhandlungen zur Unterzeichnung des nächsten Vertrages – START-3, nach dem das Niveau der Atomwaffen bis auf 1.500 Einheiten reduziert werden könnte. Dies würde seinerseits die Möglichkeit bringen, dass sich auch die anderen Atommächte dem Prozess der atomaren Abrüstung anschließen könnten.

So befindet sich die gesamte Menschheit statt in einer stabilen zukunftsfähigen Entwicklung in einer »stabilen« atomaren Falle. In Russland stellt man in einer solchen Situation zwei ewige Fragen: »Wer ist schuld?« und »Was tun?«

Auf die erste Frage scheint die Antwort augenscheinlich zu sein. Schuld ist die russische Duma, deren kommunistische Mehrheit schon über mehrere Jahre START-2 nicht ratifiziert. Warum aber hat das russische Parlament bisher immer noch nicht ein für die ganze Welt so wichtiges Dokument ratifiziert? Natürlich, Russland ist wirtschaftlich zu schwach und hat kein Geld um die Maßnahmen zu finanzieren. Aber dies ist nicht der Hauptgrund für die Nichtratifizierung des Vertrages. Die Hauptursache liegt darin begründet, dass nach dem Zerfall der UdSSR eine völlig neue geopolitische Situation für die gesamte Welt und auch für Russland entstand: Das Kräftegleichgewicht zwischen der UdSSR und den USA war zerstört. Eine der Supermächte hatte sich aufgelöst und das internationale Gewicht verschob sich krass in nur eine Richtung, jene der USA, mit allen sich daraus ergebenden Folgen. Ich werde nicht auf alle Folgen (politisch, ideologisch, wirtschaftlich, militärisch und sozial) eingehen, sondern mich nur auf die atomaren beschränken.

1991 haben Präsident Bush (im September) und M. Gorbatschow (im Oktober) die Erklärung abgegeben, dass ihre Länder die Atomwaffen von den Territorien nichtatomwaffenbesitzender Staaten abziehen werden. Russland hat dies getan, hat seine Atomwaffen aus den osteuropäischen Ländern, den ehemaligen Verbündeten im Warschauer Vertrag, sowie aus Kasachstan und der Ukraine abgezogen. Die Welt hat diesen Schritt begrüßt. Aber in der allgemeinen Euphorie hat die westliche Welt »nicht bemerkt«, dass Hunderte von Atombomben auf den Territorien von sieben westeuropäischen NATO-Ländern verblieben.

Dies ist der erste Grund, warum sich die russischen Abgeordneten – und nicht nur die Kommunisten – mit der Ratifizierung von START-2-Vertrages Zeit lassen. (Hier ist noch nicht einmal die Rede davon, dass die Stationierung von US-Atomwaffen auf den Territorien nichtatomwaffenbesitzender Länder eine Vergewaltigung des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen darstellt.)

Ein zweiter Grund ist die treuwidrige Erweiterung des atomaren militärisch-politischen Blockes der NATO nach Osten. Warum treuwidrig? Deshalb, weil zu der Zeit als Gorbatschow das kommunistische Imperium zerschlug (Fall der Berliner Mauer, Wegfall des militärisch-politischen Blocks der Warschauer Vertragsstaaten, Liquidierung des RGW, Rückzug der Atomwaffen auf das russische Territorium usw.) die westlichen StaatschefInnen und US-Präsident Bush ihm versprachen, dass die NATO nicht nur nicht nach Osten ausgeweitet, sondern der Block möglicherweise auch seine militärisch-politische Natur und sein Antlitz ändern wird. Es scheint leider so, dass viele der westlichen PolitikerInnen ihr Gedächtnis verloren haben. Kaum zerfiel die UdSSR, »vergaßen« sie ihre Versprechen, dementierten sie gar. Vor kurzem ist in der Washington Post ein Artikel des ehemaligen Botschafters der USA in Moskau John Matlock veröffentlicht worden, der Zeuge dieser lange zurückliegenden Verhandlungen zwischen Gorbatschow, Bush und anderen führenden westlichen PolitikerInnen war. In diesem Artikel bestätigt Matlock die schnell »vergessenen« Versprechen der Führer des Westens und der USA (Gorbatschows Fehler bestand darin, dass er ihnen zu sehr vertraute und vergaß, die Versprechungen in schriftliche Verpflichtungen und Garantien zu formulieren).

Der dritte Grund ist die nicht grundlose Befürchtung, dass die NATO mit der Erweiterung ihres Territoriums auch Atomwaffen auf dem Territorium der neuen Mitgliedsstaaten stationieren wird. In Russland wird der militärisch-atomare NATO-Block keineswegs mit Frieden und Gerechtigkeit assoziiert. Ich denke, dies ist verständlich. Man braucht sich nur an die Reaktion der westlichen Welt und insbesondere der USA zu erinnern, als der sowjetische Führer Chruschtschow seine Atomwaffen an die Ufer des Landes schickte (die Kuba-Krise im Jahre 1962). Das war die blanke Hysterie! Warum kann dann heute jemand daran glauben, das russische Parlament wäre froh wenn die NATO mit Atomwaffen an ihre Grenzen rückt? Folgte man einer ähnlichen Logik so müsste möglicherweise auch Russland seine Atomwaffen z. B. nach Weißrussland oder Tadschikistan, ja vielleicht sogar nach Kuba schicken.

Uns sagt man: die NATO wird ihre Atomwaffen nicht auf dem Territorium der neuen Mitgliedsstaaten stationieren. Ist das wirklich so? Nun, erstens erinnern wir uns, wie man uns schon einmal versprochen hat, die NATO werde sich überhaupt nicht erweitern. Zum Zweiten gibt es Dutzende Dokumente darüber, dass die NATO gar nicht die Absicht hat, sich von den Atomwaffen in Europa zu verabschieden – das Gegenteil ist der Fall. Ich will hier nur einige von ihnen anführen: In der im September 1994 veröffentlichten Rundschau »Atomprogramm der USA« wird der Schluss gezogen, die Atomwaffen der USA würden in Europa „als Ausdruck unserer Verbundenheit zum Bündnis“ (dem Nordatlantischen – d. Autorin) erhalten bleiben. Im Februar 1995 sagte Verteidigungsminister William Perry in seinem Jahresbericht an den Präsidenten und den Kongress der USA: „Ein sehr progressiver Aspekt der amerikanischen Atomwaffen liegt darin begründet, dass dies irgendwie ein internationaler atomarer Kurs ist.“ Anfang 1995 erklärte der Vorsitzende des Vereinigten Komitees der Stabschefs, General John Shalikashwili, im Kongress dass die Bomben in Europa „zum Schutz unserer Bündnispartner“ bleiben werden.

Im Sommer 1995 schlugen Perry und Shalikashwili bei ihrer Rundreise durch die beitrittswilligen Staaten deren Regierungschefs vor, ihre Position in der Frage einer möglichen Stationierung von Atomwaffen auf ihrem Territorium zu überdenken. Ende September desselben Jahres erklärte der NATO-Generalsekretär Willi Claas, die Atomwaffen müssten „nicht unbedingt“ auf dem Territorium der Länder Osteuropas „stationiert werden“, es gehe vielmehr momentan darum, auf deren Gebiet eine neue atomare Infrastruktur zu schaffen. Nun sage mir jemand, wozu überhaupt eine atomare Infrastruktur schaffen, wenn nicht für die Stationierung von Atomwaffen?

Nach einer der letzten Erklärungen der US-Außenministerin Madeleine Allbright können „die neuen Mitglieder der NATO dieselben Rechte“ haben wie die alten. Bedeutet dies etwa, dass auf den Territorien der neuen NATO-Mitgliedsländer eine eben solche Stationierung von Atomwaffenarsenalen möglich ist wie sie bereits in den »alten« Mitgliedsländern der NATO besteht?

Verstehen die PolitikerInnen, dass Atomraketen oder -bomben, wo auch immer sie stationiert sind, für sich allein schon ein Ziel für andere Atomraketen darstellen? Und will dann wirklich jemand annehmen, solche Maßnahmen könnten die Sicherheit in Mittel- und Osteuropa stärken und zur Ratifizierung des START-2-Vertrages beitragen?

Nach dem Beginn des NATO-Jugoslawien-Krieges, der Krise der UNO und dem endgültigen Zusammenbruch der Weltarchitektur, wie sie in ihrer internationalen Rechtsordnung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden war, sind die Probleme für die atomare Abrüstung noch größer geworden. Ich will keineswegs als Verteidigerin von Milosevic auftreten. Mein prinzipieller Standpunkt zum NATO-Jugoslawien-Krieg besteht darin, dass es wohl etwas zu einfach ist, alles Geschehene nur mit den gegenseitigen Beziehungen zwischen dem »bösen« Milosevic und der »guten« NATO oder umgekehrt zu erklären. Das Problem der NATO-Bombardements geht weit über den Rahmen des Balkankrieges hinaus und hat globale Ausgangswerte, deren Wesen in dem (nicht erfolglosen) Versuch besteht, den Zusammenbruch einer Supermacht auszunutzen und die geopolitische Weltkarte zugunsten der stärkeren Supermacht und des mächtigeren Militärblocks zu verändern. Die westeuropäischen Länder treten im vorliegenden Fall in der Rolle kleiner Gehilfen der USA auf. (Obwohl – es scheint in letzter Zeit so, als ob sich die Elite dieser Länder dieser Tatsache bewusst wird und versucht, das Westeuropäische Militärbündnis zu aktivieren, welches schon begraben schien.)

Die Folgen der NATO-Bombardements tragen gleichfalls globalen Charakter: Erstmals in der ganzen Geschichte des Bestehens der UNO, die durch die Menschheit als Werkzeug des Friedens und nicht des Krieges geschaffen wurde, hat einer der vielen Militärblöcke ohne UN-Beschluss einen souveränen, unabhängigen Staat angegriffen. Damit wurde zugleich ein gefährlicher Präzedensfall der Vorherrschaft der Stärke über das internationale Recht geschaffen. Die UNO wurde erniedrigt, die internationale Rechtsordnung faktisch zerstört. Die NATO-Bombardements haben die Tür auch für andere Staaten aufgestoßen: Warum sollen andere Länder nicht dürfen was die NATO darf? Und schon werden wir ZeugInnen von Bombardements zwischen Indien und Pakistan – zwei Atommächten!

Uns sagt man, die NATO habe die AlbanerInnen vor den ethnischen Säuberungen geschützt. Aber ein solcher Schutz erinnert an eine klassische Anekdote: Man hackt den Kopf ab, damit der Zahn nicht mehr weh tut. Man darf nicht die Rechte einer Nation schützen und dabei Menschen, darunter auch Kinder, einer anderen Nation töten. Und: Wenn sich Milosevic für die ethnischen Säuberungen verantworten soll, so sollte sich die NATO im gleichen Maße für die zerbombten (mit wohlgemeinten Absichten sind die Straßen in die Hölle gepflastert) Zivilobjekte, Hospitäler, die Botschaft eines weiteren souveränen Staates, für den Tod absolut unschuldiger BürgerInnen, für die kolossalen ökologischen Schäden und den Schaden an der Gesundheit der Bevölkerung aufgrund der Anwendung verbotener Bomben mit Uranfüllungen in diesem Krieg verantworten. (Die grauenvollen Folgen der Anwendung ähnlicher US-Bomben im Krieg gegen den Irak wurden durch eine Gruppe von WissenschaftlerInnen unter Leitung von Rosalie Bertell aus Kanada erforscht.)

Das Kosovo wurde genutzt zur Erprobung der Effektivität der eigenen Waffen für den Militärblock (…) Die Krönung des Zynismus ist es, wenn mitten im Krieg der Nordatlantikpakt eine neue Konzeption beschließt (während der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der NATO-Gründung), deren Quintessenz darin besteht, dass sich die NATO selbst das universelle Recht einräumt, die Entscheidung über ein beliebiges Land zu fällen, das ihr aus irgendeinem Grunde nicht gefällt. Ist dies nicht dieselbe Politik, der die russische Gesellschaft früher so sehr entgegenstrebte? Und muss man sich dann wundern, dass diese Politik heute in Russland nicht angenommen wird?

Eigentlich wurden die Bombardements der NATO in Jugoslawien zu jenem letzten Tropfen, der den Topf nicht nur im russischen Parlament, sondern auch in der russischen Gesellschaft zum Überlaufen brachte: Die Duma braucht sich mit der Ratifizierung des START-2-Vertrages nicht zu beeilen solange die NATO und die USA bestehende internationale Vereinbarungen zur Lösung von Konflikten brechen. (Ich will hier die Frage des Preises der Atomwaffen für das »arme« Russland nicht beleuchten. Nur eine augenfällige Tatsache möchte ich anführen: Der gesamte Haushalt des Landes beträgt 20 Milliarden Dollar, in den USA beträgt allein der Verteidungshaushalt 400 Milliarden.)

Dass die USA nach dem »Recht des Stärkeren« handeln, davon zeugen auch die Ereignisse der letzten Monate um den ABM-Vertrag von 1972. Das Parlament der USA hat beschlossen, Geld zur Verfügung zu stellen um innerhalb von drei Jahren die Möglichkeit zur Stationierung einer neuen Raketenabwehrtechnologie zu schaffen. Dies bedeutet, dass die USA praktisch einseitig einen grundlegenden bilateralen Vertrag kündigen, der für den Stopp des atomaren Wettrüstens von elementarer Bedeutung war. Auch dies ist einer der Gründe der Nichtratifizierung des START-2-Vertrages durch Russland.

Hinzu kommt, dass der NATO-Jugoslawien-Krieg nicht nur die Prozesse der realen Abrüstung und der realen Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen bremst, sondern auch jene Staaten provoziert schneller voranzuschreiten, die heimlich ihre atomaren Pläne ausarbeiten. (…)

Was soll und kann der vernünftige und friedliebende Teil der Menschheit in der nunmehr entstandenen Situation tun? Kann er überhaupt irgendwie auf die sich vollziehenden Metamorphosen Einfluss nehmen? Er kann – und dies vor allem über die Nichtregierungsorganisationen einer jeden zivilen Gesellschaft.

Man sollte mit dem Rückzug des UN-Generalsekretärs Koffi Annan beginnen, der von sich aus nichts getan hat um dem Protest gegen die NATO-Bombardements ohne UN-Beschluss Ausdruck zu verleihen. Dann müsste in allen Parlamenten der Welt und in der UNO selbst eine tiefschürfende Diskussion darüber geführt werden, wo wir uns am Ende des 20. Jahrhunderts befinden. Es muss ein wissenschaftlicher Plan zur tiefgreifenden Reorganisation der UNO geschaffen werden, der die neuen geopolitischen Realitäten nach dem Zerfall der UdSSR und des Kommunismus, nach der totalen Globalisierung und der damit einhergehenden Verarmung eines Großteils der Weltbevölkerung sowie die drohende globale ökologische Katastrofe berücksichtigt. Die UNO darf sich nicht nur der einen »goldenen Milliarde« der Weltbevölkerung zuwenden, sie muss sich der gesamten Weltbevölkerung zuwenden.

Dafür ist es notwendig, dass die UNO wieder das einzige internationale Organ wird, das Beschlüsse zur Lösung von Konflikten fällen darf und dass die Lösung von Konflikten durch militärische Bestrafung jeglicher Völker und Nationen zukünftig ausgeschlossen wird.

Wenn wir ehrlich zu uns selbst und den zukünftigen Generationen sein wollen, so müssen wir aufhören, mit Worten über einen stabilen Frieden und eine stabile Entwicklung herum zu jonglieren. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es diese eigentlich nicht gibt und dass die reichen Individuen und Nationen auch keinerlei Veränderungen wollen. Im Gegenteil, sie wollen eigentlich alles so belassen wie es ist, denn wer über den Reichtum regiert, regiert über die Welt. Diese Wahrheit ist so alt wie die Menschheit. Doch jeder vernünftige Mensch, der sein Gewissen noch nicht verloren hat, sollte danach streben, diese Welt zu verbessern.

Dr. phil. Alla Yarochinskaya, Vorstandsmitglied von INES und Mitglied des Beirates des Russischen Präsidenten.
Übersetzung: André Lindemann

Atomwaffen: Zu allem gut – zu nichts zu gebrauchen?

Atomwaffen: Zu allem gut – zu nichts zu gebrauchen?

von Oliver Meier

Anfang der neunziger Jahre schien es so, als ob die nukleare Abschreckung untrennbar mit dem Konflikt zwischen Ost und West verbunden gewesen wäre und die Atomwaffen jetzt die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllt hätten. Es wuchs die Erwartung, dass Atomwaffen weltweit geächtet und abgeschafft würden. Diese Hoffnungen waren verfrüht. Die nukleare Abschreckung erlebt ein »leises« Comeback und die Aussichten auf eine atomwaffenfreie Welt sind schlecht.
Die Gründe für diese Entwicklung sind so vielfältig wie die Atomwaffenstaaten selbst: In den drei westlichen Kernwaffenstaaten Frankreich, Großbritannien und USA setzte sich die Atomwaffenlobby mit dem Argument durch, Kernwaffen könnten helfen, mit dem Problem der Proliferation von Massenvernichtungswaffen fertig zu werden. Russland will den Zerfall seiner konventionellen Streitkräfte und seinen Großmachtstatus durch den Ausbau des Atomwaffenarsenals ausgleichen. Während Indien seine Atomtests im Mai 1998 u.a. mit dem stockenden Abrüstungsprozess begründet, haben sich die Legitimationsmuster für die Atomwaffenprogramme Chinas, Israels und Pakistans kaum geändert.

Gesundschrumpfen – konsolidieren – aufrüsten

In den ersten fünf Jahren nach dem Ende der Blockkonfrontation beschleunigte sich die nukleare Abrüstung erheblich. Die USA und Russland vereinbarten, ihre strategischen Arsenale auf ein Drittel zu verkleinern und erklärten sich unilateral bereit, ihre Bestände an taktischen Waffen drastisch zu reduzieren. Diese Schritte setzten zunächst einen lange nicht für möglich gehaltenen Abrüstungsprozess in Gang. Zehntausende Atomwaffen wurden in den USA und Russland ganz oder teilweise außer Dienst gestellt. Frankreich und Großbritannien bauten ihre Kernwaffenarsenale auf einen von ihnen selbst definierten »Minimalbestand« von 200-400 Waffen ab.

Dieser nukleare Abrüstungsprozess kam im Mai 1995 – nach der Zustimmung der Nichtkernwaffenstaaten zu einer unbegrenzten Verlängerung des nuklearen Nichtverbreitungs-Vertrages (NPT) – zum Stillstand. Zwar wurde im August 1996 mit dem nuklearen Teststopp-Vertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) noch einmal ein wichtiges Rüstungskontrollprojekt zum Abschluss gebracht, seitdem ist aber keine einzige Maßnahme vereinbart worden, die die Verringerung von Kernwaffen zum Ziel hat.

Schlimmer noch, viele der bereits vereinbarten Maßnahmen sind bis heute nicht in Kraft getreten. Dies betrifft auch zwei der wichtigsten Rüstungskontrollabkommen, den START II-Vertrag und den CTBT. Der nukleare Abrüstungsprozess ist aber nicht nur ins Stocken geraten, er droht mittlerweile endgültig zusammenzubrechen. So erwägen die USA, den Anti-Ballistic Missile Vertrag aus dem Jahr 1972 aufzukündigen. Ein solches »roll back« würde auf absehbare Zeit das endgültige Aus für den Versuch bedeuten, Nuklearwaffen von der Erde weg zu verhandeln.1

Die westlichen Atomwaffenstaaten:
Neue Feinde, alte Mechanismen

Schon während der nuklearen Konsolidierungsphase 1990-95 wurde die Basis für ein Comeback der Atomwaffen in der Außen- und Sicherheitspolitik der westlichen Staaten gelegt. Die Atomwaffenkomplexe des Westens waren zunächst politisch in die Defensive gedrängt und konnten sich dem Abrüstungsdruck nicht widersetzen. Aber sie ließen sich ihre Zustimmung zu bestimmten Rüstungskontrollmaßnahmen teuer abkaufen: Entweder wurden die »freiwerdenden« Gelder sofort in neue konventionelle Waffen investiert oder es wurden unter dem Motto der außenpolitischen »Risikovorsorge« langfristige Programme zum Erhalt von militärischen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten gesichert.2

Neue Legitimationsmuster für Atomwaffen wurden in dieser Phase bereits ausprobiert. Zunächst versuchten die Atomwaffenbefürworter in den USA, die Gefahr eines Wiederauflebens der Konfrontation mit Russland heraufzubeschwören, allerdings nur mit bescheidenem Erfolg. Der militärisch erfolgreiche Golfkrieg wollte ebenfalls so recht zur Begründung von Atomwaffen nicht taugen, wurde er doch ausschließlich mit konventionellen Waffen gewonnen.3

Erst mit der »Counterproliferation-Initiative« (CPI) 1994 eröffnete sich ein neues, diesmal erfolgversprechenderes Legitimationsmuster, nämlich die Abschreckung von biologischen und chemischen Waffen mit Nuklearwaffen.

Dabei existieren Unterschiede zwischen den drei westlichen Kernwaffenstaaten: Die USA preschen seit der Verkündung ihrer CPI bei der Abschreckung (und möglichen nuklearen Vergeltung) nicht-nuklearer Angriffe mit Nuklearwaffen voran. US-Verteidigungsminister Cohen betonte: „Es ist mein fester Glaube, dass die beste Hoffnung auf Schutz vor denjenigen, die Massenvernichtungswaffen gegen uns einsetzen wollen, – seien dies nukleare, biologische oder chemische Waffen – die Beibehaltung des Rechts ist, auf einen solchen Einsatz mit jedem uns zur Verfügung stehenden Mittel zu antworten. Jede Hinterfragung dieser Politik unterminiert unsere Abschreckungsfähigkeit.“4

Frankreich und Großbritannien schließen eine nukleare Vergeltung auf einen Angriff mit biologischen oder chemischen Waffen nicht aus. Allerdings sind beide Staaten vorsichtiger bei der Beschreibung möglicher nuklearer Reaktionen. So heißt es beispielsweise in der im Juli 1998 veröffentlichten britischen »Strategic Defence Review«: „Es gibt keine »silberne Kugel« die eine vollständige Antwort auf die Risiken gibt, die chemische und biologische Waffen darstellen. Notwendig ist eine ausgewogene Mischung aus Fähigkeiten, solche Waffen abzuschrecken, auf ihren Einsatz zu antworten und sich gegen einen solchen Einsatz zu verteidigen.“5 Französische Politiker werden da gelegentlich deutlicher: „Nur die (nukleare) Abschreckungsmacht garantiert, dass keine Massenvernichtungswaffen – egal, welchen Typs – gegen Frankreich eingesetzt werden.“6

Auch in der NATO wird die Proliferation von Massenvernichtungswaffen als mögliche »direkte Bedrohung« für das Bündnis bezeichnet.7 In dem neuen Strategischen Konzept der NATO werden konventionelle Waffen erstmals offen als Mittel der Abschreckung gegenüber Massenvernichtungswaffen bezeichnet. Das könnte ein erster Schritt in Richtung auf eine Ausweitung der nuklearen Abschreckung sein, selbst wenn in dem Grundlagendokument die der NATO unterstellten Atomwaffen offiziell nicht in direkten Zusammenhang mit der Abschreckung von »Schurkenstaaten« gebracht werden.8

Russland:
Vom Westen lernen, heißt siegen lernen

In Russland ist die Diskussion um die Beibehaltung von Atomwaffen – soweit sie überhaupt geführt wird – weit weniger innovativ. Russlands Kernwaffenarsenal soll zum einen der Sicherung des schwindenden Großmachtstatus dienen. In Zeiten leerer Kassen gewinnt das alte, aus den fünfziger Jahren stammende US-amerikanische Argument, dass Atomwaffen »more bang for the buck« bieten als konventionelle Waffen, neue Anhänger.

Zum anderen hoffen russische Planer die rapide verfallenden konventionellen Fähigkeiten der Roten Armee ausgleichen zu können. Der Argumentation, nach der Atomwaffen eine fehlende konventionelle Schlagkraft kompensieren sollen, wird zudem durch die NATO-Osterweiterung Vorschub geleistet. Die NATO selbst war es, die sich während der Blockkonfrontation (und bis heute) weigert, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Nur so meinte man im Westen gegen den konventionell scheinbar überlegenen Osten eine militärische Chance zu haben. Heute ist die NATO konventionell qualitativ und quantitativ Russland weit überlegen. Russische Politiker und Militärs fordern nun in einer legitimatorischen Rolle rückwärts eine Aufwertung der Rolle von Atomwaffen in der Militärdoktrin als »Ausgleich« für dieses strategische Ungleichgewicht. Genauso wie die NATO damals weigert sich Russland heute, auf die Möglichkeit des Ersteinsatzes von Atomwaffen zu verzichten.9

Aber auch neue Aufgabengebiete werden in der russischen Nukleardoktrin nicht ausgeschlossen. Dabei wird vor allem auf die unsichere Lage an der Südgrenze Russlands verwiesen. Anlässlich der Indienststellung der neuentwickelten strategischen Atomrakete Topol-M sagte der Oberkommandierende der strategischen Raketentruppen Russlands, Generaloberst Wladimir Jakowlew: „Russlands nationale Interessen erfordern das Vorhandensein hinreichender militärischer Macht, die nukleare Abschreckung verlässlich garantiert. Diese Abschreckung ist der wichtigste Mechanismus zur Verhinderung eines großen nuklearen oder konventionellen Krieges, zur Klärung von Konfliktsituationen im Kontext lokaler Kriege und bewaffneter Konflikte.“10

Indien und Pakistan:
Aufrüsten um abzurüsten

Eine neue Dimension haben Indien und Pakistan in die Debatte um die Rechtfertigung von Atomwaffen gebracht. Die indische Regierung begründete die Durchführung von Atomtests und die Erklärung des Nuklearwaffenstatus unter anderem mit der mangelnden Bereitschaft „der Atomwaffenstaaten, entscheidende und unumkehrbare Schritte in Richtung einer atomwaffenfreien Welt zu nehmen.“11 Nach der unbegrenzten Verlängerung des NPT 1995, so die indische Logik, hätten die fünf etablierten Kernwaffenstaaten ihre Vertragsverpflichtungen im Bereich der nuklearen Abrüstung einlösen müssen. Da sie dies nicht getan hätten und auch ein Atomwaffenverzicht nicht absehbar sei, erklärte sich Indien nun selbst zum Atomwaffenstaat und untermauerte diesen Anspruch mit den Tests vom 11. und 13. Mai 1998.

Es darf bezweifelt werden, ob die mangelnden Abrüstungsschritte der alten Atomwaffenstaaten ursächlich für die indischen Tests waren. Indien möchte wohl vor allem Mitglied im nuklearen Club werden. Dies zeigte sich auch an den Begründungen für die Überschreitung der nuklearen Schwelle. So weisen indische Entscheidungsträger auf die geopolitische und regionale Lage hin: Indien sei umzingelt von (potenziellen) Feinden wie China, Pakistan und Myanmar. Der Atomwaffenbesitz könne da eine stabilisierende Wirkung haben.

Pakistan verweist spiegelbildlich auf die indische Bedrohung, nach den indischen Atomtests sei Pakistan „gezwungen gewesen, die nukleare Option wahrzunehmen (…). Durch den Zusammenbruch der »existenziellen Abschreckung« ist die strategische Balance zwischen beiden Staaten radikal verändert.“12 Nicht wenige befürchten, dass der Versuch, diese Balance zwischen China, Pakistan und Indien wiederherzustellen, in einem regionalen Rüstungswettlauf enden wird.

China und Israel: Business as usual

Relativ unberührt von den Umbrüchen in der internationalen Atomordnung zeigen sich bisher China und Israel. China verweist darauf, dass sein vergleichsweise kleines Atomwaffenarsenal der »nationalen Selbstverteidigung« diene. China habe außerdem schon immer „ein komplettes Verbot und die umfassende Vernichtung“ aller Atomwaffen befürwortet.13 Darüber hinaus betont Peking, dass es bereit wäre, den Weg zu einer atomwaffenfreien Welt zu beschreiten.

Auch hier spricht die Realität eine andere Sprache. Obwohl China sich nach wie vor weigert, Details seines Nuklearwaffenarsenals offenzulegen, deutet vieles darauf hin, dass ein ungebrochener Aufrüstungsprozess in Gang ist.14 Dieser könnte durch die indischen Atomtests weiter beschleunigt werden. Es gibt erste Presseberichte, dass China erwägt, einen Teil seiner Mittel- und Langstreckenraketen gegen Indien umzustationieren.15

Das israelische Atomwaffenprogramm ist immer noch von einer Mauer des Schweigens umgeben. Die Regierung in Tel Aviv weigert sich auch nur die Existenz israelischer Atomwaffen zu bestätigen. Diese Politik dürfte in Zukunft schwieriger werden: Zum einen wächst international der Druck, die drei Nichtmitglieder im NPT Indien, Israel und Pakistan in das nukleare Nichtverbreitungsregime mit einzubeziehen, zum anderen beginnen im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz möglicherweise bald Verhandlungen über einen Produktionsstopp kernwaffenfähiger Materialien. In solchen Gesprächen würde auch der nukleare Status Israels behandelt werden müssen.

Neue Doktrinen und Abrüstung

Wenn sich das Argument weiter durchsetzt, dass Atomwaffen taugliche Instrumente zur Bewältigung der Proliferationsgefahren sind, dann dürfte bald eine neue Aufrüstungsrunde beginnen. Umgekehrt wird die weitere Reduzierung der Atomwaffenbestände Änderungen in den nationalen Nuklearwaffendoktrinen notwendig machen. So werden auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt Konzepte wie die Minimalabschreckung neue Aktualität gewinnen. Eine solche Umstellung der Atomwaffenkonzeptionen ist allerdings auch mit der Gefahr von Instabilitäten und Fehlperzeptionen verbunden.

Wichtig wäre es daher, einen Dialog über Nukleardoktrinen zu beginnen – und zwar zunächst zwischen den Atomwaffenstaaten und später auch multilateral unter Einbeziehung von Nichtkernwaffenstaaten. Ein solcher Dialog wäre nicht nur eine vertrauensbildende Maßnahme, sondern er würde auch die Transparenz erhöhen und so das Misstrauen zwischen den Atomwaffenstaaten einerseits sowie zwischen Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten andererseits verringern.

Erste Ansätze in diese Richtung existieren bereits: So hat der im Mai 1997 ins Leben gerufene Ständige Gemeinsame NATO-Russland-Rat, in dem immerhin vier Atomwaffenstaaten und 16 Nichtkernwaffenstaaten Mitglieder sind, das Mandat, über Atomwaffen zu reden.16 Und am 2. Februar 1999 schlug Deutschland zusammen mit Belgien, Italien, den Niederlanden und Norwegen in der Genfer Abrüstungskonferenz die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zum Informationsaustausch zwischen Nuklearwaffen- und Nichtkernwaffenstaaten vor.17 Beide Mechanismen könnten erste Ansätze eines ernsthaften Dialogs über die Rolle von Kernwaffen sein, der den Weg zu weiteren Abrüstungsschritten ebnen würde.

Anmerkungen

1) Mindestens Russland und China würden auf eine sich abzeichnende US-Dominanz auch bei der strategischen Raketenabwehr mit noch weiter verstärkten eigenen Rüstungsbemühungen reagieren. Vgl. »USA und Raketenlücke: Ab 2010 wird zurückgeschossen«, in: antimilitarismus information, März 1999, S. 5-10.

2) Siehe zum Wandel der US-Atomwaffenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges Oliver Meier: Wettlauf ohne Gegner? Die amerikanische Atomwaffenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Münster, Agenda-Verlag, 1998.

3) Immerhin wurde versucht zu argumentieren, dass US-amerikanische (und israelische) Atombombendrohungen den Irak vom Einsatz chemischer und biologischer Waffen abgehalten haben. Vgl. u.a. McGeorge Bundy: Nuclear Weapons and the Gulf, in: Foreign Affairs, Bd. 70, Fall 1991, S. 83-94; Bobby R. Inman/ Joseph S. Nye/ William J. Perry/ Roger K. Smith: Lessons from the Gulf War, in: The Washington Quarterly, Bd. 15, Nr. 1, S. 57-74; William J. Perry: »Desert Storm and Deterrence«, in: Foreign Affairs, Bd. 70, Nr. 4, Fall 1991, S. 64-82.

4) So Cohen im Februar 1999 auf der Wehrkundetagung in München. Zitiert nach www.defenselink.mil/news/ Feb1999/n02081999_9902085.html. Dieses wie auch die anderen englischen Zitate wurden vom Autoren übersetzt.

5) Das Dokument findet sich unter http://www.mod.uk/policy/sdr/index.htm

6) So der französische Präsident Chirac im August 1995, zitiert in Bruno Tertrais: Nuclear Policies in Europe, London: International Institute for Strategic Studies (Adelphi Paper 327), March 1999, p. 8.

7) Washington Summit Communiqué, Issued by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Washington, D.C. on 24th April 1999.

8) Im neuen Strategischen Konzept wird die Rolle der Atomwaffen in der NATO in eher klassischen Kategorien beschrieben: Sie sollen jegliche militärische Aggression gegen das Bündnis verhindern und die transatlantische Bindung verstärken. Vgl. The Alliance's Strategic Concept, Approved by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Washington D.C. on 23rd and 24th April 1999.

9) Vgl. Oliver Meier: Russische Atomwaffen: Unsichere Relikte, in: antimilitarismus information, Oktober 1998.

10) Zitiert in Mein Dienst ist nicht ohne Risiko, in: Freitag, 8. Januar, 1999, Hervorhebung der Verf.

11) Government of India: Paper Laid on the Table of the House on Evolution of India's Nuclear Policy, May 27, 1998.

12) Text of Prime Minister Muhammad Nawaz Sharif Statement at a Press Conference on Pakistan Nuclear Tests, Islamabad, May 29 (APP).

13) Siehe White Paper – China's National Defense by the Information Office of the State Council, the P. R. China July 27, 1998. Das Dokument kann gefunden werden unter http://www.fmprc.gov.cn/

14) China modernisiert seit Jahren kontinuierlich sein Atomwaffenarsenal. Der letzte Schritt war die Indienststellung der verbesserten Mittelstreckenrakete (DF-21X) im Februar 1999. Siehe China's Nuclear Modernization, Carnegie Endowment for International Peace, Non-Proliferation Brief, Vol. 2, No. 8, April 7, 1999, http://www.ceip.org/programs/npp/

15) Vgl. Reuters: China Urged To Point Missiles At India, New Delhi, April 11, 1999.

16) Dazu gehören explizit der „Informationsaustausch und Konsultationen über Strategie, Verteidigungspolitik, die Militärdoktrinen der NATO und Russlands.“ Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation, 27. Mai 1997.

17) Intervention prononcé par l'Ambassadeur André Mernier, Représentant permanent de la Belgique auprès de la Conférence de Désarmement, devant la séance plénière de la Conférence du Désarmement au nom de l'Allemagne, de la Belgique, de l'Italie, de la Norvège et des Pays-Bas sur le thème du Désarmement nucléaire. Genève, le 2 février 1999.

Oliver Meier ist Wiss. Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) in Genf.

Internationales Workshop des BITS: »Das Nukleare Erbe der Sowjetunion: Folgen für Umwelt und Sicherheit«

Internationales Workshop des BITS: »Das Nukleare Erbe der Sowjetunion: Folgen für Umwelt und Sicherheit«

von Oliver Meier

Am 17. und 18. Oktober haben mehr als 50 ExpertInnen aus den USA, Rußland und anderen europäischen Staaten in Berlin über »Das Nukleare Erbe der Sowjetunion: Folgen für Umwelt und Sicherheit« beraten. Das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) hatte den internationalen Workshop in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert, um den Umgang mit den nuklearen Altlasten auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR aus umwelt-und sicherheitspolitischer Sicht zu diskutieren.

Die TeilnehmerInnen nahmen zunächst eine Bestandsaufnahme der ökologischen Probleme und der Lage der Atomwaffen vor. Die ReferentInnen aus Deutschland, Norwegen und den USA sowie Vitaly Shelest (Berater der russischen Duma) stellten einmütig fest, daß die sichere Verwahrung von Atommüll und Sprengköpfen nicht gewährleistet ist und immer noch dringender Handlungsbedarf besteht. Alexander Nikitin (Direktor des Center for Political and International Studies in Moskau) und Igor Sutyagin (USA and Canada Institut, Moskau) verdeutlichten anschließend, daß außerdem die Gefahr einer Wiederaufwertung von Atomwaffen droht.

Danach evaluierten die TeilnehmerInnen die vorhandenen internationalen Hilfsprogramme. Auch sechs Jahre nach dem Ende der Sowjetunion bestehen erhebliche Defizite bei der Umsetzung solcher Hilfsprogramme. Dies liegt zum einen an den politischen Strukturen in Rußland selbst, wie Ulrich Albrecht von der Freien Universität darlegte. Phil Rogers von der Central European University in Budapest untermauerte diese These indem er schilderte, daß Bürgerbewegungen nur sehr begrenzten Einfluß auf die Politik der Regierung hätten.

Zum anderen werden internationale Hilfsprogramme häufig am eigentlichen Bedarf in Rußland vorbei geplant. In den USA drohen die Mittel zudem der innenpolitischen Auseinandersetzung über den richtigen Kurs gegenüber Rußland zum Opfer zu fallen, wie Jo Husbands von der amerikanischen Akademie der Wissenschaften beklagte. Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung bewertete anschließend die von ihrem Umfang her wesentlich bescheideneren Hilfsprogramme der Europäischen Union.

Defizite wurden auch in der nuklearen Abrüstungspolitik konstatiert. Botschafter a.D. Thomas Graham mahnte die Nuklearwaffenstaaten, ihre Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung ernster zu nehmen und forderte, endgültig auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Diskutiert wurde dann unter anderem, wie die Gefahr eines versehentlichen Abschusses von Atomwaffen oder eines Unfalls verringert werden kann. In der Abschlußdiskussion wurden Alternativen zu den bestehenden Politikansätzen erörtert. Dabei wurde klar, daß es dringend einer engeren Verknüpfung von sicherheits- und umweltpolitischen Fragestellungen bei der Konzipierung von Hilfsprogrammen bedarf.

Einen stimmungsgerechten Ausklang der Tagung erlebten die Teilnehmer bei einem gemeinsamen Ausflug zu einem ehemaligen sowjetischen Atomwaffenlager in der Nähe von Berlin.

Ein Konferenzreader mit den Beiträgen der ReferentInnen kann gegen einen Unkostenbeitrag bestellt werden über das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), Rykestr. 13, 10405 Berlin, Tel.: (030) 441 0220, FAX (020) 441 0221, e-mail: meier@zedat.fu-berlin.de

Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und Lehrbeauftragter am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin.

Außen- und Militärpolitik transparenter machen

Außen- und Militärpolitik transparenter machen

Wissenschaft und Öffentlichkeit müssen mitbestimmen

von Paul F. Walker

Außen- und Militärpolitik, insbesondere zu Fragen von Krieg und Frieden, werden von herrschenden Eliten entworfen und umgesetzt, Wissenschaft und Öffentlichkeit werden bisher kaum oder gar nicht einbezogen. Über teure Waffenbeschaffungsprogramme, wie das 45 Milliarden Dollar kostende B-52-Bomberprogramm oder das 50 Mrd. Dollar verschlingende Forschungsprogramm für den »Krieg der Sterne«, wird jährlich im US-amerikanischen Kongreß ohne nennenswerte Beteiligung von außen, abgesehen von Lobbyisten der interessierten Forschungsstätten und Industrie, abgestimmt. Öffentliche Bedenken und Kontrollen spielten und spielen bei den großen Stationierungsvorhaben der Streitkräfte im Ausland, z.B. in Haiti, Ruanda, Bosnien, Somalia, keine Rolle. Auch die Aufsicht des Kongresses wurde in manchen Fällen ausgesetzt. Ein Großteil des derzeitigen jährlichen Militärhaushaltes der USA von 268 Mrd. Dollar wird ohne öffentliche Debatte und Kontrolle beschlossen.

Die selbst in einer so starken Demokratie wie den USA weitverbreitete Ansicht, Außen- und Militärpolitik seien zu komplex, wichtig und esoterisch, um sie der Öffentlichkeit zu überlassen, könnte eine wichtige Ursache für diesen Zustand sein. Die mühsame Entscheidungsfindung wird erfahrenen und seit Jahren in die Politikgestaltung einbezogenen Experten überlassen. Ein weiterer Aspekt könnte der Glaube an Elitesysteme sein, der annimmt, daß exklusive Prozesse der Entscheidungsfindung einfacher und effektiver seien. Zumindest in den Augen traditioneller Bürokraten kompliziert die Einbeziehung von Experten von außen und der Öffentlichkeit die anstehenden Fragen nur unnötig.

Doch im Laufe der Geschichte gab es zahlreiche Fälle, in denen wissenschaftliche und öffentliche Ratschläge und Hinweise weitreichende Fehlentscheidungen der Regierung verhinderten, bereits vollzogene Entscheidungen neu zur Debatte stellten und schwierige politische und wirtschaftliche Programme erst durchsetzungsfähig machten.

Hierfür einige Beispiele:

  • Sowohl die Behauptung einer »Bomber-Lücke« 1955 als auch die einer »Raketen-Lücke« 1960, mit denen sich die USA als in Bomber- und Raketenbestand der Sowjetunion weit unterlegen darstellte, konnten nach und nach als Fehlinterpretationen der Geheimdienste entlarvt werden. Besonders interessant ist der Fall der »Bomber-Lücke«, die auf der Zahl der strategischen Bomber beruhte, die ein US-amerikanischer Spion in Moskau am 1. Mai über dem Roten Platz gezählt hatte und die die US-amerikanische Luftwaffe veranlaßte, die Produktion der Langstreckenbomber zu forcieren, um mit dem Gegner im Kalten Krieg gleichzuziehen. Einige Jahre und Hunderte von Bombern später wurde in neuen, z.T. von Außenseitern durchgeführten Untersuchungen festgestellt, daß sich hinter den Bombern vom Roten Platz nur eine Schwadron verbarg, die über Moskau kreisend wieder und wieder über die Parade zum 1. Mai geflogen war.
  • Anfang der sechziger Jahre waren es Wissenschafter, Mediziner und Zahnärzte, die in Kinderzähnen einen erhöhten Strontium 90-Gehalt feststellten und daraufhin die Öffentlichkeit über diese Tatsache informierten, weitere wissenschaftliche Untersuchungen anregten. Sie verstärkten den politischen Druck für eine Unterzeichnung des »Begrenzten Teststoppvertrages« von 1963.
  • Ein knappes Jahrzehnt später scheiterte das bedeutende US-amerikanische Vorhaben, ein Schutzschild gegen ballistische Raketen (ABM, anti-ballistic missiles) für das Land aufzubauen – die einzige aufgebaute Abfangeinrichtung arbeitete nicht einmal eine Woche – nachdem Außenseiter mit sorgfältig erarbeiteten und weitreichenden Kritiken nachweisen konnten, daß das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Programms sehr ungünstig war. Leider waren auch hier, wie in zahlreichen anderen Fällen, bereits Milliarden von Dollar ausgegeben worden, bevor das Programm aufgegeben wurde.
  • In den späten siebziger Jahren, unter der Regierung Jimmy Carter, versuchte die US-amerikanische Luftwaffe, 200 interkontinentale ballistische MX-Raketen auf riesigen Lastwagen zu stationieren. Sie sollten zu einem System mobiler Basen in den Bundesstaaten Utah und Nevada aufgebaut werden. Dieses Großprojekt, das wahrscheinlich zehnstellige Milliardenbeträge von Dollar und ungeheure Mengen an Zement, Wasser und Land verschlungen hätte, wurde vorgeschlagen, um der von den Nuklearstrategen befürchteten wachsenden atomaren Erstschlagskapazität der Sowjetunion begegnen zu können. Es wurde angenommen, daß viele der MX-Raketen, die ständig zwischen tausenden von Raketengaragen in der Wüste hin- und herbewegt werden sollten, jeden Erstschlag überstehen und für einen Vergeltungsschlag zur Verfügung stehen würden. Zahlreiche Wissenschafter, Umweltschützer und andere Angehörige der akademischen Gemeinschaft engagierten sich in weitreichenden öffentlichen Untersuchungen, Debatten und Kritiken des Programms. Es wurde z.B. nachgewiesen, daß die Hitze, die die atomar bestückten Raketen in ihren Verstecken oder auf Lastwagen abgeben würden, den jeweiligen Standort für Infrarotsatelliten sichtbar machen würde. Die Luftwaffe behauptete daraufhin, alle Garagen und LKWs würden mit Klimaanlagen ausgestattet. Doch in weiteren Untersuchungen durch die Öffentlichkeit konnte nachgewiesen werden, daß die Klimaanlagen selbst aufspürbare Hitzesignale abstrahlen würden. Weitere strittige Punkte befaßten sich mit dem Wasserverbrauch in der Wüste, den Umweltschäden an tausenden von Quadratkilometern Land und der Spionageanfälligkeit des Programms. Nach mehreren Jahren heftiger öffentlicher Debatten wurde das Projekt mobiler Basen für MX-Raketen aufgegeben, womit dem Steuerzahler die Ausgabe von Milliarden von Dollar und der Regierung Carter ein wahrhaft unnötiges und möglicherweise destabilisierendes Militärprogramm erspart blieben.

Es gab in der Geschichte viele weitere Beispiele, in denen Außen- und Militärpolitik durch wissenschaftliche und öffentliche Beteiligung positiv beeinflußt wurden, doch zwei aktuelle Innovationsprogramme verdienen hier noch besondere Erwähnung:

Die seismische Verifikation unterirdischer Atomtests

Zum einen geht es um die seismische Verifikation unterirdischer Atomtests. Den Lesern wird wohl bewußt sein, daß der »Begrenzte Teststoppvertrag« von 1963, der Atomtests in der Atmosphäre, unter Wasser und im Weltraum untersagt, die meisten Atomtests in den Untergrund trieb. Seismische Verifikationstechniken stehen daher im Mittelpunkt wenn bestimmt werden muß, wer wann eine nukleare Vorrichtung welcher Größe testet. Seismische Meßtechniken werden zudem ein wichtiger Teil des neuen »Umfassenden Teststoppvertrages« (CTBT) sein, der von den USA und Rußland noch ratifiziert werden muß.

Mitte August dieses Jahres, als die Debatte um die Ratifizierung des CTBT in Washington und Moskau langsam in Gang kam (der US-amerikanische Senat hatte kurz zuvor, im April, die Chemiewaffenkonvention ratifiziert), beschuldigten mit militärischen seismologischen Überwachungsanlagen arbeitende Aufklärungsexperten der US-Regierung die Russen, in der arktischen Region einen geheimen Nukleartest durchzuführen. Hätte dies zugetroffen, wäre dieser Test ein Bruch des seit langem eingehaltenen russischen Moratoriums zu Atomtests gewesen; allein die Anschuldigung hatte einen ernstzunehmenden schädlichen Einfluß auf die Aussichten des CTBT, vom US-amerikanischen Senat ratifiziert zu werden und spielte in die Hände der rechten Teststoppgegner.

Doch in den letzten Jahren wurde weltweit ein unabhängiges Netz bescheidener seismischer Lauschanlagen aufgebaut. Dieses »Incorporated Research Institutions for Seismology« oder IRIS genannte Netz wurde z.T. vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert, um sich eine zweite Verifikationsschiene für den bevorstehenden »Umfassenden Teststoppvertrag« vorzubehalten. Die erste seismische Verifikationsschiene wird eine wesentlich geringere Zahl teurer seimischer Abhörstationen umfassen, die rund um die Uhr arbeiten und Daten in Echtzeit an zentrale Verarbeitungseinrichtungen schicken. Das IRIS-Netz ist viel bescheidener, weltweit werden die seismischen Daten Tage oder Wochen nach den tatsächlichen Messungen von Studenten abgefragt und weitergeleitet. Andererseits macht allein die Größe des IRIS-Netzes mit einigen hundert Stationen, die wiederum Zugang zu einigen zehntausend weiteren zivilen Einrichtungen rund um den Globus haben, es möglich, begründete Schlußfolgerungen zu Fragen atomarer unterirdischer Tests zu ziehen.

Im Oktober stellten Wissenschaftler, die mit den von IRIS gelieferten Daten arbeiteten, fest, daß es sich bei dem verdächtigen Vorfall vom 16. August zweifelsfrei um ein Erdbeben handelte. Dr. Paul Richards und Dr. Won-Young Kim, zwei auf die Verifikation von Atomtests spezialisierte Seismologen des Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Universität, schrieben in der Zeitschrift Nature, daß das seismische Beben sich viele Kilometer südöstlich der Atomtestanlagen Novaya Zemlya im Karasee, einem Arm des nördlichen Polarmeeres, ereignet hatte. Die zuerst von einer Station in Finnland aufgezeichneten seismischen Daten ähnelten jenen bekannter Erdbeben in der Region.

Dr. Greg van der Vink, Direktor des seismologischen Verbundes IRIS, nannte die Untersuchung „einen Triumph“ unabhängiger und ziviler Forschung zu derart militärisch relevanten Daten. Ohne diese Entlarvung staatlicher Behauptungen eines russischen Atomtests hätten die US-amerikanischen Regierungsstellen die Chancen für die Ratifizierung des CTBT und für ein dauerhaftes Verbot von Atomtests vielleicht in Frage gestellt.

Auch diese unabhängigen, von Außenseitern durchgeführten Untersuchungen zu seismischen, mit Atomtests in Verbindung stehenden Fragen haben Vorläufer. 1993 etwa entdeckte eine interessierte Gruppe der Öffentlichkeit, daß China eine Testeinrichtung für einen neuen Atomtest vorbereitete. Die Öffentlichkeit, die daraufhin zu dem chinesischen Test hergestellt wurde, förderte den Aufbau seismischer Meßeinrichtungen und den öffentlichen Druck für einen Teststopp.

Chemiewaffenvernichtung

Im Zusammenhang mit der Vernichtung von Chemiewaffen zeigt sich ein zweites und aktuelles Beispiel, welch entscheidende Rolle Bürger und Wissenschaftler bei der Entscheidungsfindung in der Außen- und Militärpolitik spielen können. Die seit Dutzenden von Jahren verhandelte, jetzt von mehr als 150 Staaten aus allen Teilen der Welt unterzeichnete Chemiewaffenkonvention verbietet die Forschung zu, die Produktion, Lagerung und den Einsatz von Chemiewaffen und verlangt die vollständige Vernichtung chemischer Wirkstoffe und Munition binnen zehn Jahren. Die Vereinigten Staaten begannen vor einem Jahrzehnt mit der Forschung zu Vernichtungstechnologien und haben bis heute zwei große Verbrennungsanlagen aufgebaut, einen Prototyp auf dem pazifischen Johnson-Atoll und eine zweite in Tooele in Utah. In der pazifischen Verbrennungsanlage wurden bereits chemische Waffen verbrannt, die kürzlich aus Deutschland und Okinawa abgezogen wurden, während in der Verbrennungsanlage von Tooele mit Wirkstoffen aus dem Lager in Utah, einer von acht Einrichtungen in den USA, begonnen wurde.

Öffentliche Ablehnung und wissenschaftliche Bedenken wegen der Risiken der Verbrennung für die allgemeine Gesundheit und die Umwelt sind zwei der Problemkreise, die mit diesem Programm verbunden sind. Während die US-amerikanische Armee auf andere Staaten wie Deutschland verweist, die alte Chemiewaffenbestände verbrennen, und behauptet, daß beide Verbrennungsanlagen sämtlichen in Frage kommenden gesundheitsbezogenen und Sicherheitsstandards entsprechen, weisen mehrere Gouverneure und Kongreßabgeordnete auf zeitweilig auftretende Freisetzungen von Wirkstoffen, Dioxinen und Furanen, aus der Verbrennungsanlage im Pazifik sowie auf die Unfähigkeit der Epidemologie hin, gesicherte Erkenntnisse über die langfristigen, kumulativen gesundheitlichen Wirkungen minimaler Dosen von Wirkstoffen und Giften in der Luft bereitzustellen. Infolge dieser Bedenken wurden in Utah zivilrechtliche Klagen und Prozesse angestrengt. Zudem haben bis heute vier ausgesprochen glaubwürdige »whistleblowers« (Insider, die geheime, kritische Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben) die Sicherheit der Anlage in Tooele öffentlich in Frage gestellt.

U.a. wegen dieser Bedenken hinsichtlich der Vernichtung chemischer Waffen hat der US-amerikanische Kongreß 1996 ein »Alternative Technology«-Programm (AltTech II) geschaffen, das der Erforschung, Entwicklung und Demonstration von Technologien dienen soll, die nicht auf Verbrennung basieren. Im Rahmen dieses Prozesses lud der Leiter des AltTech II-Programms zu einem »nationalen Dialog« interessierter Gruppen ein. Wissenschaftler, Umweltschützer, staatliche Vermittler, vor Ort betroffene Aktivisten, Vertreter des Bundesstaates und nationale Umweltschutzorganisationen, die sich mit der Vernichtung von Chemiewaffen befassen, sollen gemeinsam die Kriterien erörtern und festlegen, anhand derer neue, alternative Technologien bewertet werden. Die »Dialogue on Assembled Chemical Weapons Assessment« oder DACWA genannte Gesprächsgruppe traf sich in einem Zeitraum von sechs Monaten viermal für jeweils ein bis drei Tage und vereinbarte erst kürzlich ein Treffen mit einem neuen Beratungskomitee zu alternativen Vernichtungstechnologien an der Nationalen Akademie der Wissenschaften.

Der Dialog hat 35 Mitglieder und hat bereits sehr deutlich gemacht, daß eine tatsächliche und nicht nur symbolische Einbeziehung von Betroffenen und Beteiligten schwierige Entscheidungsfindungsprozesse zu kontroversen Projekten erleichtern kann. Beide Seiten, Gegner und Befürworter der Verbrennung, sind einbezogen und alle Mitglieder des Dialogs erkennen an, daß Chemiewaffen vernichtet werden müssen, daß die Verbrennung bis heute strittig ist und daß es daher schwierig ist, den Zeitplan und Haushaltsvorgaben einzuhalten sowie, daß die Entwicklung von Alternativen letztendlich der Konsensbildung zugute kommt.

Fazit

In der Vergangenheit wurden schwierige und kontroverse Entscheidungen entweder durch Klassifizierung oder das Prozeßdesign offiziell unter Verschluß gehalten. Jetzt wird deutlich, daß die aktive öffentliche Teilhabe u.a. der wissenschaftlichen Gemeinschaft, der regionalen und lokalen Wählerschaften und der allgemeinen Interessengruppen nicht nur hilfreich, sondern notwendig ist. Auf den ersten Blick mag Transparenz in der Entscheidungsfindung und Konsensbildung, der alle Beteiligten vertrauen und in deren Verlauf sie ein originäres Interesse an dem Prozeß und dem Ergebnis erlangen, zwar schwierig und teuer sein, aber langfristig verhindert solch ein Prozeß zeitraubende gerichtliche Verfahren, politische Mißstimmungen und manchmal schwerwiegende Fehlentscheidungen.

Regierungen müssen für ihre Taten verantwortlich gemacht werden, und Teilhabe der Öffentlichkeit und wissenschaftliche Zweifel und Analysen sind ein Schlüssel hierzu. So werden bedeutende politische Entscheidungsfindungsprozesse zu Erfahrungen, in denen alle gewinnen und nicht alle verlieren oder einige gewinnen und andere verlieren.

Übersetzung aus dem Englischen: Marianne Kolter.

Paul F. Walker ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer von Global Green USA, einer Mitgliedsorganisation des Internationalen Grünen Kreuzes. Er war Mitglied des Armed Services Committee des Repräsentantenhauses der USA.

Atomwaffen für Regionalkonflikte?

Atomwaffen für Regionalkonflikte?

Modernisierung untergräbt bestehende Verträge

von Oliver Meier • Lutz Hager

In den ersten Jahren nach dem Ende der nuklearen Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Rußland schienen die Atomwaffen der Vereinigten Staaten langsam aber stetig an Bedeutung zu verlieren. Eine öffentliche Debatte um die Rolle von Atomwaffen in der Außen- und Sicherheitspolitik fand nicht statt. Die beiden strategischen Rüstungskontrollabkommen (START) aus den Jahren 1991/93 wurden vom amerikanischen Senat ratifiziert, und es wurde mit ihrer Umsetzung begonnen. Die Verlängerung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NPT) und der Abschluß der Verhandlungen über einen vollständigen Atomteststopp (CTBT) schrieben die nukleare Rüstungskontrolle fort.

Diese positiven Ansätze in der nuklearen Rüstungskontrolle drohen aber zunehmend durch den amerikanischen Atomwaffenkomplex konterkariert zu werden. Unbemerkt von der Öffentlichkeit sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von nuklearen Modernisierungsprogrammen begonnen und zum Teil bereits erfolgreich abgeschlossen worden. Die wichtigsten land-, see- und luftgestützten Nuklearwaffen wurden und werden modernisiert. Wie üblich werden diese Programme mit dem Erhalt der Sicherheit und Einsatzfähigkeit der Kernwaffen begründet. Tatsächlich wird aber die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Waffen gesteigert, und es werden »neuartige« Waffen entwickelt. Offensichtlich geht es unter anderem darum, amerikanische Atomwaffen in regionalen Krisen einsetzbar zu machen. Vor dem Hintergrund der immer wieder neu beschworenen Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sollen Kernwaffen der Abschreckung von Regionalmächten dienen.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts beendeten die USA offiziell alle Forschungsprogramme, die die Entwicklung neuer Atomwaffen zum Ziel hatten. Damit verloren die amerikanischen Kernwaffenlaboratorien ihre Hauptaufgabe. Sie kamen aber bald wieder ins Geschäft, indem sie sich die Zustimmung zu einem »zero-yield test-ban«1 mit einem umfangreichen Forschungsprogramm abkaufen ließen. Präsident Clinton erklärte die Sicherung der Zuverlässigkeit der US-Kernwaffen zu einem „supreme national interest“ und versprach, daß die USA die technologischen und personellen Kapazitäten aufrecht erhalten würden, um die Entwicklung von Atomwaffen und auch Atomtests wieder aufzunehmen, falls die internationale Situation dies erforderlich mache (The White House 1995).

Stockpile Stewardship: Deckmantel für Atomwaffenmodernisierung

Auf dieser Grundlage konnten die Labors das Stockpile Stewardship and Management Program“ (SSMP) entwerfen.2 Für einen Preis von über vier Milliarden Dollar jährlich3 wird das für den Kernwaffenkomplex zuständige amerikanische Energieministerium (Department of Energy, DOE) weiterhin dem Präsidenten formell bestätigen, daß land-, luft- und seegestützte Atomwaffen auch in Zukunft mit derselben tödlichen Sicherheit funktionieren werden wie in der Atomtest-Ära.

Die hohen Kosten des Programms ergeben sich daraus, daß man sich nicht darauf beschränken will, bereits entwickelte Atomsprengköpfe nachzuproduzieren und so das Arsenal ständig zu erneuern, sondern, um die technische Basis zu erhalten, einen Forschungskomplex aufbaut, der in der Lage sein soll, die Funktionsweise von Atombomben anhand von Computermodellen zu simulieren (Science Based Stockpile Stewardship).4 Atomtests sollen durch dieses »virtual testing« ersetzt werden. Dadurch lassen sich, so das DOE, Designfehler und mögliche Alterungserscheinungen frühzeitig erkennen und ausschalten (Meier 1995). Abgesehen von dem enormen finanziellen Aufwand ergeben sich zwei politisch brisante Folgen:

  • Die US-Forschungsanstrengungen untergraben den Teststoppvertrag. Dies wird besonders deutlich im Fall der sogenannten »subcritical tests«, in denen das Verhalten von spaltbarem Material unter hohem Druck durch die Explosion von konventionellen Sprengstoffen untersucht werden kann. Da es dabei nicht zu einer nuklearen Kettenreaktion kommt, handelt es sich im Sinne des CTBT nicht um einen Atomtest. Andere Nationen sehen in diesen Beinahe-Atomtests allerdings den Versuch der USA, den Teststoppvertrag zu umgehen.5 Wenn aber der Testverzicht der USA in den Ländern des Südens als unglaubwürdig angesehen wird, kann kaum erwartet werden, daß der CTBT seiner Aufgabe als Instrument zur Verhütung von Kernwaffenproliferation gerecht wird.
  • Daran knüpft der zweite »Nebeneffekt« des Stockpile Stewardship-Programms an. Ein Ziel der Forschungsanstrengungen ist es, bestehende Atomsprengköpfe so zu verändern, daß sie sicherer und haltbarer werden. Kürzlich veröffentlichte Dokumente des amerikanischen Energieministeriums6 belegen, daß Stockpile Stewardship aber als Vorwand genutzt wird, die nuklearen Fähigkeiten der USA qualitativ zu verbessern. Die durch dieses Programm gewonnenen Forschungsergebnisse fließen in die in den gleichen Laboratorien betriebenen Modernisierungsprogramme ein. Darüber hinaus schaffen sie die wissenschaftliche Grundlage, um im Bedarfsfall komplett neue Atomwaffen zu entwickeln.7 Die Vereinigten Staaten werden besser als andere Staaten in der Lage sein, auch ohne Atomtests neuartige Atomwaffen zu entwickeln, zu produzieren und zu stationieren. Damit wird die neben der Verhinderung von Kernwaffenproliferation zweite wichtige Intention des CTBT – den qualitativen Rüstungswettlauf zu beenden – konterkariert, noch bevor der Vertrag in Kraft getreten ist.

Atomwaffenmodernisierung: Neue alte Waffen

Die USA erneuern ihr Atomwaffenarsenal grundlegend, alle drei Stützen der nuklearen Triade werden gegenwärtig aufwendig modernisiert. Gemeinsamer Nenner dieser vielfältigen Bemühungen ist eine Anpassung der atomaren Fähigkeiten an eine Welt, die vor allem von regionalen Konflikten geprägt ist.

Die auf U-Booten stationierten Trident-Raketen bilden auch in Zukunft die Hauptstütze der amerikanischen nuklearen Abschreckung. Die Trident II ist die modernste amerikanische Atomwaffe, trotzdem wird sie gegenwärtig modernisiert. Offiziell hat das »Navy SLBM Warhead Protection Program« (SWPP) das Ziel, sicherzustellen, daß auch nach der Einstellung von Atomtests Ersatz für alternde Sprengköpfe produziert werden kann. Kernsprengköpfe müssen aufgrund der in ihnen stattfindenden chemischen Reaktionen nach einem bestimmten Zeitraum ersetzt werden. (Das DOE spricht verharmlosend von der »Überarbeitung“/“remanufacturing« von Atomsprengköpfen). Da sich Produktionstechnologien und Materialien jedoch ständig verändern, behaupten die Kernwaffenlaboratorien, daß schon der »Nachbau« bereits vorhandener Nuklearsprengköpfe ein anspruchsvolles Forschungsprogramm notwendig mache.8

Das DOE sieht hier insbesondere beim W76-Sprengkopf der ersten (C4) Generation der Trident SLBM einen Bedarf. Dieser wurde bereits vor rund 20 Jahren erstmalig stationiert; mehr als tausend Stück werden auch künftig im US-Arsenal verbleiben.9 Für die Modernisierung wesentlicher Komponenten werden unter anderem Sicherheitsgründe angeführt. Aber nicht nur vergleichsweise alte Sprengköpfe werden erneuert. Der Gefechtskopf Mk5 des neuen W88-Sprengkopfes der neueren Trident D5 wird ebenfalls modifiziert. Ziel ist unter anderem zu beweisen, daß das Design von Atomsprengköpfen geändert werden kann, ohne daß ihre Funktionsfähigkeit in einem »echten« Atomtest demonstriert werden muß.10 Zugleich wird das Kommandosystem für die Trident so erneuert, daß die Rakete schneller ihre Zielkoordinaten ändern kann.11

Auch die an Land stationierten Interkontinentalraketen (ICBMs) werden weiter modernisiert. Nach der Umsetzung des START II-Vertrages wird die Minuteman III (MMIII) die einzige verbleibende amerikanische landgestützte Rakete sein. Die MMIII ist ein vergleichsweise altes System, sie ist (in der jetzigen Version mit dem W78 Sprengkopf) seit Ende der siebziger Jahre im Dienst. Im Rahmen von Stockpile Stewardship wird die MMIII, von der 500 Raketen stationiert bleiben sollen, grunderneuert. Am Ende des Programmes werden fast alle Komponenten der Rakete durch verbesserte ausgetauscht sein. Zunächst wird der Atomsprengkopf ersetzt. Da die MMIII als Folge von START II nur noch einen Sprengkopf besitzen darf, wird sie mit dem hochmodernen W87 Sprengkopf ausgestattet, der von der zur Verschrottung vorgesehenen MX-Rakete übernommen wird.

Bereits abgeschlossen ist eine Modernisierung des Steuerungssystems der MMI<0> <>II. Offiziell wurde das Programm mit dem Titel REACT (Rapid Execution and Combat Targeting) mit einer Verbesserung der Sicherheit der Atomrakete begründet. Da der neue Computer in Sekundenschnelle neu programmiert werden kann, ist es nun möglich, die MMIII »ungerichtet« zu stationieren und ihr erst im Ernstfall kurzfristig die Zielkoordinaten einzugeben. Das Programm hat aber noch einen ganz anderen Sinn. Es stammt aus der Zeit des Kalten Krieges und sollte es den Vereinigten Staaten ermöglichen, mobile sowjetische Interkontinentalraketen durch eine schnelle Umprogrammierung zu vernichten. Heute ermöglicht die schnelle Umprogrammierung, die ICBMs auch als Drohpotential in verschiedenen regionalen Krisen einzusetzen. Ob eine mobile SS-25 oder eine mobile Scud das Ziel ist, stellt schließlich keinen praktischen Unterschied dar (Arkin 1996 und Kristensen 1997).

Wahrscheinlich am deutlichsten wird die neue Rolle für amerikanische Atomwaffen an der B61 »mod 11«. Ohne öffentliche und parlamentarische Debatte ist es den Kernwaffenlaboratorien gelungen, eine neuartige Atomwaffe zu entwickeln, die mittlerweile schon produziert und stationiert ist.12 Die B61-11 ersetzt die alte B53, ein neun Megatonnen-Monster, das zudem erhebliche Sicherheitsprobleme aufweist. Die B61-11 soll eine militärische Lücke schließen, die nach Ansicht vieler amerikanischer Militärs besonders im Krieg gegen den Irak deutlich geworden ist: Trotz erheblicher Anstrengungen war die amerikanische Luftwaffe mit konventionellen Mitteln nicht in der Lage, das unterirdische irakische Kommandosystem zu zerstören. »Earth penetrating weapons«, d.h. Waffen, die auch tief in der Erde verbunkerte Ziele »unter Risiko« halten können, stehen daher seit langem auf der Wunschliste der amerikanischen Streitkräfte (Mello 1997).

Dies haben die Kernwaffenlaboratorien geschickt ausgenutzt. Offiziell ist die B61-11 keine neue Waffe, sondern lediglich eine Modifikation der in verschiedenen Versionen vorhandenen und auch in Europa stationierten Atombombe B61. Da der Sprengkopf unverändert geblieben sei und lediglich die Hülle der Bombe so verändert wurde, daß die Waffe vor der Explosion etwa drei bis sechs Meter in die Erde dringe, sei dies keine Neuentwicklung, argumentieren die Laboratorien (Fulghum 1997). Kritiker hingegen betonen, daß die B61-11 neuartige Eigenschaften besitze. Es sei unerheblich, ob dafür der eigentliche Sprengkopf verändert worden sei, entscheidend sei lediglich, daß die Vereinigten Staaten qualitative Verbesserungen an den vorhandenen Waffen vornähmen.

Von offizieller Seite wird immer wieder betont, daß die B61-11 als Waffe zum Einsatz gegen Kommandozentren anderer Nuklearwaffenstaaten entwickelt worden sei. Inzwischen mehren sich aber die Anzeichen, daß Atomwaffen auch in regionalen Krisen eine Rolle spielen sollen. So hat die Defense Special Weapons Agency des amerikanischen Verteidigungsministeriums die amerikanische Industrie aufgefordert, Vorschläge zur Entwicklung eines Planungsinstruments zur Erfassung und Zerstörung unterirdischer Tunnel einzureichen. Dieses Projekt soll zur Zielplanung für konventionelle und nukleare Waffen dienen (Janets Defense Weekly 1997). Die B61-11 ist zudem weltweit einsetzbar. Während ihr Vorgänger, die B53 zu schwer war, um von einem B-2 Bomber transportiert zu werden, kann die vergleichsweise kleine B61 problemlos von diesen Tarnkappenbombern global ins Ziel gebracht werden.

Strategie: »Schurkenstaaten« im Visier

Egal ob man der Meinung ist, daß hier eine neue Atomwaffe entwickelt worden ist oder »nur« eine alte leistungsgesteigert wurde, fest steht, daß sich Atomwaffenforschung in den USA nicht nur darauf beschränkt, die vorhandenen Waffen sicher und einsatzfähig zu halten. Leistungssteigerung, nicht der Erhalt und die Sicherung vorhandener Fähigkeiten ist das Ziel vieler dieser Forschungsprogramme. Die amerikanischen Atomwaffen sollen flexibler und zielgenauer einsetzbar sein und »Kollateralschäden« möglichst gering gehalten werden. Dies alles sind Anforderungen, die vor allem in regionalen Krisen, bei denen es um die Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen geht, gestellt werden.

In den USA droht gegenwärtig eine Entwicklung, die zu einem Bedeutungszuwachs für Atomwaffen führen könnte. Nach wie vor sind riesige Bürokratien in den Vereinigten Staaten und innerhalb der NATO damit beschäftigt, Ziel- und Einsatzplanungen für den Einsatz von Atomwaffen zu erstellen. Der Fokus dieser Planungen geht immer mehr in Richtung Entwicklungsländer. Sogenannte Schurkenstaaten (»rogue states«) rücken als Feindbild an die Stelle der Sowjetunion. In einer Vorschrift der Vereinigten Stabschefs der USA von 1995 für alle drei amerikanischen Teilstreitkräfte über den Einsatz taktischer Atomwaffen heißt es beispielsweise: „Die Abschreckung von Massenvernichtungswaffen sollte unsere erste Priorität sein. (…) Eine selektive Fähigkeit, (Atom-) Waffen kleinerer Sprengkraft zur Vergeltung einzusetzen, ohne den Konflikt zu destabilisieren, ist eine nützliche Entscheidungsalternative für den amerikanischen Präsidenten“ 13, dessen Zustimmung bei einem Atomwaffeneinsatz immer notwendig ist.

Ende des Winterschlafs?

Gegenwärtig scheint der amerikanische Atomwaffenkomplex langsam aus dem Winterschlaf zu erwachen, in den er nach dem Ende des Ost-West-Konflikts gefallen war. Die Kernwaffenlaboratorien versuchten sich zunächst auf eine Welt ohne neue Waffenprojekte einzustellen, das amerikanische Militär gab die knapperen Haushaltsmittel lieber für moderne konventionelle als für Atomwaffen aus (Meier 1996). Langsam aber sicher bahnt sich nun eine Rückorientierung an. Die Atomlabors, frustriert von erfolglosen Konversionsbemühungen, besinnen sich auf das, was sie schließlich am besten können, nämlich Atomwaffen konstruieren. Und einige Teile des US-Militärs, insbesondere die Luftwaffe, aber auch die U-Bootflotte, unterstützen die Forscher bei ihren Bemühungen. Der amerikanische Kongreß nimmt seine Kontrollfunktion hier nur unvollständig wahr (Weismann 1997).

Ein Atomwaffen-Comeback in den Vereinigten Staaten dürfte aber nicht nur den noch nicht einmal in Kraft getretenen Teststopp-Vertrag schwächen, eine solche Entwicklung würde das Nichtverbreitungs-Regime insgesamt ins Wanken bringen. Die Entwicklung und Stationierung neuer oder neuartiger Atomwaffen ist ein Schlag ins Gesicht der wachsenden Schar jener internationalen und nationalen Akteure, die eine vollständige Eliminierung von Atomwaffen fordern.

Literatur

Arkin, William M. (1996): The Six-Hundred Million Dollar Mouse, in: Bulletin of Atomic Scientists, November/ December, p. 68

CBO Papers 1997: Preserving the Nuclear Weapons Stockpile Under a Comprehensive Test Ban, Washington, D.C.: Congressional Budget Office, May 1997.

Fulghum, David A. (1997): Standoff, Penetrating Nuclear Bomb Seen for B-2, Aviation Week & Space Technology, April 7, p. 38.

Green Book (1996): Stockpile Stewardship and Management Plan, US Department of Energy, Office of Energy Programs, declassified version, Washington, DC, 29, Februar 1996.

Jane's Defense Weekly (1997): Use of nuclear arms still viable in some cases, says US agency, , 27 August, p. 3.

Kristensen, Hans M. (1997): Targets of Opportunity, in: Bulletin of Atomic Scientists, September/ October, pp. 22-28.

Mello, Greg (1997): New bomb, no mission, in: Bulletin of Atomic Scientists, May/ June, pp. 28-32.

Meier, Oliver (1995): Atomwaffenforschung ohne Tests? Die USA lehnen einen vollständigen Teststopp ab, in: Wissenschaft und Frieden, 1/1995, S. 14-18.

Meier, Oliver (1996): Die amerikanische Atomwaffenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts: Rüstungsdynamik ohne Systemkonfrontation?, Unveröffentlichte Dissertation am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin, Juli 1996.

Nassauer,Otfried / Oliver Meier/ Nicola Butler/ Stephen Young (1997): Amerikanische Atomwaffen in Europa 1996-97, Berlin, London, Washington: Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit/ British American Security Information Council (BASIC-BITS-Research Note 97.1), April 1997.

Nuclear Notebook (1997), in: Bulletin of Atomic Scientists, September/ October, p. 64.

Otto,Erdmute und Martin Kalinowski (1993): Los Alamos im Umbruch? Grenzen und Umgehungsversuche von Kernwaffenteststopp und Forschungskonversion in den USA, in: Wissenschaft & Frieden, 3/93, S. 65-70.

Paine, Christopher E. und Matthew G. McKinzie: End Run. The US Government's Plan for Designing Nuclear Weapons and Simulating Nuclear Explosions under the Comprehensive Test Ban Treaty, Washington, D.C.: NRDC (An Interim Report on the Department of Energy Stockpile Stewardship & Management Program) August 1997.

Weisman, Jonathan (1997): Who's minding the sto<0> <>re?, in: Bulletin of Atomic Scientists, July/ August, pp. 32-37.

<>The White House (1995): Office of the Press Secretary: Statement by the President: »Comprehensive Test Ban Treaty«, Washington, D.C., August 11.<>

Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und Lehrbeauftragter am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin. Lutz Hager ist studentischer Mitarbeiter am BITS und studiert Politische Wissenschaften an der FU Berlin.

Anmerkungen

1) Dies bedeutet, daß sämtliche Atomwaffenexplosionen, auch solche mit geringer Sprengkraft, unter den Vertrag fallen. Zurück

2) „In response to this directive [Inhalt von Clintons Erklärung vom 11. August 1995, d. Verfasser], the DOE initiated a process to develop a Stockpile Stewardship and Management Plan with the intent of ensuring high confidence in the safety, reliability, and performance of the stockpile without nuclear testing. Meeting this responsibility will not be quick or easy and will require a competent technical staff supported by scientific tools and facilities not presently available.“ (Green Book 1996: p III.) Zurück

3) Zwischen vier und fünf Milliarden US-Dollar sind bis 2010 jährlich für SSMP veranschlagt. Zahlen aus CBO Papers 1997 Zurück

4) „Computational modeling, once a tool to facilitate design and evaluation, must now serve as the integrating factor to link aboveground experiments, historical nuclear test data, and design experience into a nuclear predictive simulation capability.“ (Green Book 1996, p. IV 2). Zurück

5) So reagierte z.B. Indien mit einer Protestnote an die US-Regierung. Zurück

6) Es handelt sich um das bereits oben zitierte Green Book. Die Freigabe dieses Dokuments wurde vom Natural Resources Defense Council, einer in Washington ansässigen Nichtregierungsorganisation, erzwungen. Eine Zusammenfassung und Bewertung des Dokuments ist veröffentlicht in: Paine / McKinzie 1997 Zurück

7) „The nuclear design activities of this program [maintenance and refurbishment program, Teil des stockpile stewardship programs, d. Verfasser] will be broadly based and will provide present and future weapons scientists and engineers with the opportunity to exercise the complete set of skills required to design and develop a stockpile warhead“. (Green Book 1996, p. V 10). Zurück

8) Eine Produktionskapazität für ca. 50 Sprengköpfe pro Jahr wird gegenwärtig im Los Alamos National Laboratory aufgebaut. Siehe unter anderem Otto / Kalinowski 1993 Zurück

9) „Planned life extension modifications include a replacement gas transfer system and replacement neutron generators. The high explosives, pit, and secondary components need to be requalified or replaced as part of the life extension program.“ (Green Book 1996, pp. IV-13 – IV-14). Zurück

10) „One objective of the calculational program will be the development of a methodology to ensure demonstrably large design margins in critical performance measures.“ (Green Book 1996, p. IV-15). Zurück

11) „The Navy is installing a system to enable Trident submarines to 'quickly, accurately, and reliably retarget missiles' and 'allow timely and reliable processing of an increased number of targets.“ Kristensen 1997, p. 26 Zurück

12) 50 B61-11 sollen auf der B-2 Basis Whiteman AFB mittlerweile stationiert sein.(Nuclear Notebook 1997) Von einer Stationierung der B61-11 in Europa ist nichts bekannt, obwohl in Europa vermutlich noch rund 200 B61 älteren Typs stationiert sind und die B61-11 leicht genug sein soll um auch von F-16 Kampfbombern ins Ziel gebracht zu werden. (Nassauer u.a. 1997) Zurück

13) „WMD deterrence should be the first priority. (… A selective capability of being able to use lower-yield weapons in retaliation, without destabilizing the conflict, is a useful alternative for US National Command Authorities.“ Joint Chiefs of Staff: Doctrine for Joint Nuclear Operations, Joint Pub 3-12, 18 December 1995, p. I-3. Zurück

(Die Autoren danken der W. Alton Jones Foundation für ihre Unterstützung).

Deutschland und die Atomwaffen

Deutschland und die Atomwaffen

Konferenz 40 Jahre nach dem Göttinger Appell

von Jürgen Scheffran

Einige hundert Teilnehmer hatten am 11. April 1997 den Weg ins Audimax der Ludwig-Maximilian-Universität in München gefunden, um drei Physikern die Reverenz zu erweisen. Anlaß war der 40. Jahrestag der Göttinger Erklärung von 18 Atomwissenschaftlern gegen die Atombewaffnung der Bundesrepublik, die im April 1957 für Furore gesorgt hatte. Carl-Friedrich von Weizsäcker, der die Erklärung seinerzeit initiiert hatte, konnte eindrücklich von den z.T. heftigen Reaktionen der Adenauer-Regierung berichten, wobei der damalige Atomminister Franz-Josef Strauß vor Kraftausdrücken gegenüber den Größen der Physik wie Otto Hahn und Werner Heisenberg nicht zurückschreckte. Es half aber alles nichts: Der Besitz der Atombombe blieb deutschen Politikern vorenthalten.

Zweifellos konnte der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1970 Deutschland und Japan die Verfügung über Atomwaffen verweigern, doch ist der Vertrag auf lange Sicht nicht geeignet, die Verbreitung der Atomwaffen zu verhindern, geschweige denn, diese abzuschaffen, solange den fünf Atommächten ein Sonderstatus eingeräumt bleibt. Dies machte, Joseph Rotblat, Pugwash-Präsident und Friedensnobelpreisträger des Jahres 1995, deutlich. Er verwies auf zahlreiche Bestrebungen für eine atomwaffenfreie Welt aus der jüngsten Zeit und zeigte, daß erste Schritte unverzüglich eingeleitet werden können. Rotblat unterstützte die Bemühungen um den Modellentwurf einer Nuklearwaffenkonvention, der nur vier Tage zuvor bei der Vorbereitungskonferenz zum NVV in New York von einem Komitee von Nichtregierungsorganisationen (NROs) vorgestellt worden war, wobei er den Beitrag deutscher Wissenschaftler hervorhob. Er betonte, wie auch schon am Tag zuvor bei einem von IANUS organisierten Vortrag an der Technischen Hochschule Darmstadt, daß die Abschaffung der Atomwaffen ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Abschaffung des Krieges sei.

Hans-Peter Dürr, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), forderte schließlich dazu auf, mit dem atomaren Wahnsinn Schluß zu machen, der Ausdruck eines rücksichtslosen Umgangs mit Mensch und Natur sei. Vehement setzte er sich für ein Ende des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfs ein und forderte eine Umkehr in Richtung auf eine friedliche und nachhaltige Entwicklung.

Die öffentliche Veranstaltung, die neben der VDW und der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« von international agierenden NROs (IALANA, INESAP, IPPNW) und dem Münchner Friedensbündnis organisiert worden war, diente zugleich als Auftakt für eine zweitägige Konferenz »Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!«, an der mehr als 150 Menschen teilnahmen. Während Vorträge und Diskussionen Samstag- und Sonntagvormittag im Plenum durchgeführt wurden, wurde am Samstagnachmittag in fünf Arbeitsgruppen diskutiert.

Es zeigte sich, daß die Konferenz gerade zur rechten Zeit stattfand. Bezüge zur Situation vor vier Jahrzehnten waren nicht zu übersehen. Während es damals um die Atombewaffnung der Bundeswehr ging, nachdem die Remilitarisierung bereits politisch durchgesetzt war, geht es heute um die Frage, ob Deutschland eine größere Verfügungsgewalt über Atomwaffen erlangen soll, nachdem Auslandseinsätze der Bundeswehr inzwischen von großen Teilen der Gesellschaft akzeptiert werden. So ging es in München dann auch um die Frage, wie deutsche Zugriffe auf die Atombombe verhindert werden können, etwa in der NATO und einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, wie sie etwa in der deutsch-französischen Erklärung vom 9. Dezember 1996 vorgedacht wurde.

Verschiedene Vorschläge wurden diskutiert, von Protestaktionen an Atomwaffenstandorten (Büchel), über atomwaffenfreie Zonen und Kommunen in Europa bis hin zum globalen Konzept einer Nuklearwaffenkonvention. Besondere Beachtung fanden die von Renate Reupke (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms, IALANA) vorgestellten »Zeichen der Ermutigung«, die vom Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Illegalität der Atomwaffen über neue atomwaffenfreie Zonen und den Atomwaffenteststopp bis zum globalen Netzwerk Abolition-2000 und den UNO-Resolution für eine Nuklearwaffenkonvention reichten. Der niederländische Brigadegeneral Henny van der Graaf war eingeladen worden, um von der Erklärung der Generäle für die Abschaffung der Atomwaffen zu berichten, die in NATO-Kreisen für Unruhe sorgt.

Um den politischen Impuls für die Abschaffung der Atomwaffen zu verstärken, wurden in der abschließenden Podiumsdiskussion Handlungsperspektiven aus deutscher Sicht diskutiert, wobei neben FriedensaktivistInnen auch zwei Politikerinnen zu Wort kamen. Während Uta Zapf (SPD) vorschlug, sich Schritt-für-Schritt der atomwaffenfreien Welt zu nähern, machte sich Angelika Beer (Bündnis 90/Die Grünen) für den umfassenden Ansatz einer Nuklearwaffenkonvention stark. In der Diskussion wurde betont, hier keine künstlichen Gegensätze enstehen zu lassen; Verhandlungen über einer Nuklearwaffenkonvention könnten dazu dienen, bereits mögliche Einzelmaßnahmen zu realisieren und so »schrittweise« und »umfassende Ansätze« zu verbinden. Die Abschlußerklärung des Kongresses (siehe blaue Seiten) forderte, in Anknüpfung an den Göttinger Appell, u.a. den Ausstieg Deutschlands aus der Atomwaffenstrategie der NATO, den Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden und den Abschluß einer Atomwaffenkonvention.

Der Bezug zur Region München wurde an zwei Punkten deutlich. Zum einen hatten die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) die Konferenz dazu genutzt, ihre Studie über die Möglichkeiten und Folgen von Atomwaffeneinsätzen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Feststellung, der Abwurf einer relativ »kleinen« Uranbombe vom Hiroshima-Typ auf die Münchner Innenstadt würde bereits am ersten Tag 28.000 Menschenleben kosten, rief in Erinnerung, was zu Hochzeiten der Friedensbewegung Gemeingut war. Daß das für Bombenzwecke nutzbare waffentaugliche Uran direkt vor den Toren Münchens im Garchinger Forschungsreaktor eingesetzt wird, war Anlaß für eine Demonstration in der Münchner Innenstadt. Bei der Kundgebung, die die zivil-militärische Verflechtung der Atomtechnologie zum Gegenstand hatte, wurde eine Torte verspeist, die als Geschenk zum 150. Geburtstag von Siemens gedacht war, dem Betreiber des Garchinger Reaktors. Bei der Gelegenheit wurde die Aufforderung zum Siemensboykott erneuert.

Daß die Tagung ein wichtiger Beitrag war, um die Atomwaffenproblematik bundesweit aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, zeigte sich insbesondere am unerwartet großen Medienecho. Der Pressespiegel enthält mehr als 100 Artikel in der regionalen und überregionalen Presse, hinzu kommen Berichte in Fernsehen (Tagesschau) und Radio. Mit diesem Wind im Rücken könnte es gelingen, das der Atomwaffenfrage zustehende öffentliche Interesse erneut zu wecken, wenn weitere Aktivitäten auf kommunaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene folgen. Künftige Kristallisationspunkte sind etwa die Jahrestage von Hiroshima und Nagasaki, der erste Jahrestag des IGH-Gutachtens am 8.Juli, an dem zugleich der NATO-Gipfel in Madrid stattfindet, sowie die am 13.-15. Juni im Friedenszentrum Burgschlaining in Österreich stattfindende NGO-Konferenz für ein atomwaffenfreies Europa. In einer weltweiten Bewegung für die Abschaffung der Atomwaffen liegt die einmalige Chance, die weiter bestehende atomare Bedrohung zur Jahrtausendwende endgültig zu beseitigen.

Dr. Jürgen Scheffran ist Wissenschaftlicher Assistent in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der Technischen Hochschule Darmstadt und Herausgeber des INESAP Information Bulletin.

Tahiti Mon Amour

Tahiti Mon Amour

Tagung von »Abolition 2000« im Südpazifik

von Lars Pohlmeier • Jürgen Scheffran

Die französischen Atombomben im Südpazifik sind abgezogen, doch die Unsicherheit über die Folgen der Atomtests ist bei den Menschen geblieben. Ein Jahr nach dem vorerst letzten französischen Test organisierte »Abolition 2000«, das globale Netzwerk für die Abschaffung der Atomwaffen, vom 20. – 27. Januar eine Welt-Konferenz auf Moorea, der Nachbarinsel von Tahiti, um die Aufmerksamkeit erneut auf diese Region zu lenken. „Die französische Regierung soll ihre Daten über den Gesundheitszustand der zivilen Inselbevölkerung der Te Ao Maohi und der ehemaligen lokalen Arbeiter auf Mururoa und Fangataufa im Südpazifik offenlegen und öffentlich zugängliche Studien durchführen,“ forderte Gabriel Tetiarahi von der tahitianischen Bürgerbewegung Hiti Tau vor 140 TeilnehmerInnen aus 65 Ländern.

»Abolition 2000«: Die anti-nukleare Kettenreaktion

Ins Leben gerufen wurde das Friedens-Netzwerk »Abolition 2000« im April 1995 während der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz zum Atomwaffen-Sperrvertrag (NPT: Non-Proliferation Treaty) in New York. Hier traf eine »kritische Masse« von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) zusammen; verschiedene Flüsse vereinten sich zu einem breiten Strom, mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Gelegenheit zum Zusammentreffen gab es während des täglich stattfindenden NGO Abolition Caucus (Ratschlag für die Abschaffung der Atomwaffen). Hier wurde am 25. April eine Erklärung verabschiedet, die in New York bereits von mehr als 200 NGOs unterstützt wurde. Kernpunkt der 11-Punkte-Erklärung ist der sofortige Beginn und Abschluß von „Verhandlungen über eine Konvention zur Abschaffung der Atomwaffen, die die stufenweise Eliminierung aller Atomwaffen innerhalb eines Zeitplans festlegt, mit Vorschriften zur effektiven Vertragsüberprüfung und -durchsetzung.“ Am gleichen Tag stellte im Rahmen eines zweitägigen Forums das International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) den Bericht einer Expertengruppe zur atomwaffenfreien Welt vor, dessen Kernpunkt ebenfalls die Forderung nach einer Nuklearwaffenkonvention (NWK) ist. Am folgenden Tag diskutierten etwa hundert NGO-Vertreter Strategien für die Abschaffung der Atomwaffen und vereinbarten eine längerfristige Zusammenarbeit.1

Im November 1995 wurde das Netzwerk »Abolition 2000« in Den Haag offiziell gegründet. Grundlage der Zusammenarbeit ist die New Yorker Erklärung, die heute von fast 700 NGOs weltweit unterstützt wird. In Den Haag wurden auch verschiedene Arbeitsgruppen eingerichtet (Nuklearwaffenkonvention, Eurobombe, Projekt Weltgerichtshof, Kernwaffentests, Tschernobyl und Kernenergie). Im März 1996 wurde in Edinburgh die Einrichtung eines Kontaktbüros beschlossen sowie einer Interim Management Group, die eine lockere Koordination des Netzwerks durchführt. Die Kommunikation verläuft vorwiegend über eine email discussion group im Internet (abolition-caucus@igc.apc.org), die sehr stark genutzt wird. Die Zusammenarbeit erfolgt auch in nationalen oder regionalen Koalitionen, in Deutschland durch den Trägerkreis »Atomwaffen Abschaffen«, der schon 1994 ins Leben gerufen worden war und inzwischen 20 Organisationen umfaßt. Zu den Aktionsschwerpunkten in Deutschland gehörten bislang Unterschriftenaktionen und Beilagen in überregionalen Zeitungen, Plakataktionen, offene Briefe, Presseerklärungen und Diskussionrunden.

In den fast zwei Jahren nach Initiierung des Netzwerks wurde »Abolition 2000« von positiven Entwicklungen geradezu verwöhnt. Dies betrifft neben dem starken Wachstum des Unterstützerkreises vielfältige politische Entwicklungen, die zu einer politischen Kettenreaktion für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt geführt haben. Zu nennen sind hier nur der Proteststurm gegen die französischen Atomtests, der Friedensnobelpreis für Joseph Rotblat, das Interesse an Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl, die atomwaffenfreien Zonen in Afrika und in Südostasien, das Urteil des Weltgerichtshofs zur Illegalität der Atomwaffen, der Bericht der Canberra-Kommission zur Abschaffung der Atomwaffen, der Atomwaffenteststopp, die Erklärung von 60 Generälen und Admirälen für die Abschaffung der Atomwaffen und schließlich die breite Mehrheit in der UNO für eine Nuklearwaffenkonvention Ende 1996. Was hiervon auf das Konto von »Abolition 2000« geht, ist im einzelnen schwer auszumachen. In einigen Fällen ist ein Einfluß jedoch nachzuweisen, etwa beim Urteil des Weltgerichtshofs und bei der Nuklearwaffenkonvention, die beide von NGOs vorweggenommen wurden. Die Gegenkräfte dürfen jedoch nicht übersehen werden, allen voran das Beharren des mächtigen NATO-Blocks, an Atomwaffen festzuhalten.

Die Tagung in Tahiti/Moorea fand nach dem als Erfolg angesehenen Jahr 1996 statt und zu Beginn des für die Bewegung kritischen Jahrs 1997. Ob das derzeitige »Fenster der Gelegenheit« für die nukleare Abrüstung genutzt werden kann, hängt sicherlich auch von der weiteren Entwicklung von »Abolition 2000« ab. Eine wichtige Rolle spielte daher in Tahiti auch die weitere organisatorische und strategische Orientierung des Netzwerks, wobei die Fokussierung auf die Südpazifikregion eine verstärkte Ausrichtung auf regionale Aspekte repräsentierte. Die eher globalen Fragen kamen u.a. in den genannten Arbeitsgruppen zur Sprache. In der größten Arbeitsgruppe wurden Fragen zur Nuklearwaffenkonvention, zum NPT und zum Urteil des Weltgerichtshofs im Zusammenhang diskutiert. Im Vordergrund stand hier die Lobbyarbeit im Vorfeld und während der Überprüfungskonferenz zum NPT, die vom 7.-18. April 1997 in New York stattfinden wird. Hier soll ein im Rahmen von »Abolition 2000« erarbeiteter Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention der Öffentlichkeit präsentiert werden. Daneben gab es weitere Arbeitsgruppen zu einzelnen Regionen, die z.T. sehr konkrete Aktionsvorschläge ausarbeiteten. Zahlreiche Resolutionen wurden verabschiedet. Eine Demonstration anläßlich des 1. Jahrestages des letzten französischen Atomtests schloß die Tagung ab.

In den Sitzungen der Interim Management Group und im Plenum wurden u.a. Verbesserungen der organisatorischen Struktur sowie zukünftige Schwerpunkte der Zusammenarbeit beraten. Einigkeit herrschte darüber, daß die Medienarbeit verbessert werden müsse und mehr regionale Vertreter in den Entscheidungsprozeß einbezogen werden müssen, um der Dominanz aus USA und Europa etwas entgegenzusetzen. Die Verbreiterung der Basis und eine stärkere Identifikation mit dem Netzwerk wurde auch als ein Weg aus der permanenten Finanzknappheit gesehen. Die Tagung machte deutlich, wie ungewöhnlich und schwierig der unternommene Versuch ist, ein globales Netzwerk von dieser Größe zusammenzuhalten und politische Wirkung entfalten zu lassen.

Aufregung erzeugte schon im Vorfeld der Tagung die Debatte um den nuklearen Kolonialismus, der durch die Wahl des Tagungsorts vorgegeben war. Während einige befürchteten, das im Gründungsstatement nicht vorgesehene Thema könnte die Unterstützerbasis verkleinern, traten die Veranstalter, allen voran Hiti Tau, vehement für die Behandlung dieser Thematik ein. Eine Tagung etwa in Europa würde notwendig die dort brisanten Themen der NATO-Osterweiterung und der atomwaffenfreien Zone Ost- und Mitteleuropa in den Vordergrund rücken. Eine Ausblendung der durch Atomwaffen verursachten Leiden im Pazifik würde daher den Vorwurf des Eurozentrismus auf sich ziehen. Dementsprechend nahm diese Thematik dann auch breiten Raum auf der Tagung ein, was bei den Teilnehmern letztlich auf breite Zustimmung stieß – auch die Vertreter der nördlichen Hemisphäre konnten um einige Erfahrungen reicher nach Hause fahren.

<>Nuklearer Kolonialismus und Gesundheitsfolgen im Südpazifik<>

Eine solche Konferenz der Mitgliedsorganisationen im Südpazifik durchzuführen, war zugleich Tribut an die Leiden der indigenen Völker in den Atomtestgebieten2, „denn alle Tests wurden auf dem Land von indigenen Völkern durchgeführt“, wie Pauline Tangiore, eine Repräsentantin des Maori-Volkes in Neuseeland, hervorhob. Sie forderte Rechte auf Selbstbestimmung der indigenen Völker. In der Moorea- Deklaration, der Abschlußerklärung der Konferenz, unterstützten die Delegierten Souveränität und Unabhängigkeit der indigenen Völker als wichtiges Element auf dem Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen.

Ausnahmslos sind Atomtests der großen Atommächte USA, Großbritannien, UdSSR/Rußland, China und Frankreich in Gebieten mit ethnischen Minderheiten durchgeführt worden. Zur Mißachtung der Menschenrechte dieser Völker gehörte auch, daß die gesundheitlichen Folgen verschleiert wurden. Frankreich beispielsweise beteuert bis zum heutigen Tag die angebliche medizinische Unbedenklichkeit seiner Atomversuche. Wissenschaftlich bewiesen wurde die Behauptung nie. Stattdessen wird die Arbeit unabhängiger Wissenschaftler behindert. So geschehen bei einer Studie, die die holländischen Wissenschaftler Peter de Vries und Han Seur gemeinsam mit Hiti Tau und dem Weltkirchenrat derzeit durchführen. Polizeikräfte drangen in das Büro von Hiti Tau ein und versuchten sich Zugriff auf die Untersuchungsdaten zu verschaffen. Der Abschluß der Untersuchungen an 1.000 ehemaligen polynesischen Arbeitern auf den Testgebieten wird sich daher verzögern. Es sind diese Arbeiter, die radioaktiven Müll gestapelt oder verbrannt haben, die in der Lagune geschwommen oder entgegen den offiziellen Verboten lokalen Fisch gegessen haben, die wichtige Hinweise darüber geben können, was wirklich passiert ist.

Zwischen 8.000 und 12.000 Polynesier arbeiteten nach 1964 auf den Testanlagen von Mururoa und Fangataufa. „Wir mußten uns schriftlich verpflichten, über Gesundheitsfragen Stillschweigen zu bewahren und keine finanziellen Ansprüche geltend zu machen gegenüber der französischen Regierung,“ berichtet Mathieu, ehemaliger Arbeiter auf dem Mururoa-Testgelände. Ähnlich geht es den französischen Soldaten, über deren Gesundheitszustand in der Öffentlichkeit nichts bekannt ist. Das »Centre d`Expérimentations du Pacifique« (CEP), wie der euphemistische Name für die französische Atomtestbehörde im Pazifik heißt, beteuert zwar unentwegt: „alles harmlos und ungefährlich“. Tatsächlich aber wurden – wenn überhaupt – nur schlampig Daten erhoben. Experten befürchten, daß deshalb auch die Veröffentlichung der geheimen Daten kaum Sinn macht. Zwar existiert offiziell seit 1979 ein Krebsregister, doch Insider der Verwaltung räumen ein, daß das Register erst seit 1988 vernünftig geführt wird. Die vorhandenen Ergebnisse weisen auf eine stark erhöhte Krebsrate in Französisch-Polynesien hin. Inwiefern dies wirklich mit den Tests und nicht mit geänderten Lebensgewohnheiten in Verbindung steht, müßten umfangreiche epidemiologische Studien genauer untersuchen.

Anstrengungen der französischen Regierung, die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEO) mit einer Studie zu beauftragen, haben bereits scharfe Kritik auf sich gezogen. Zeitraum der Studie soll 1996 bis 2006 sein, wobei auf eine rückwirkende Betrachtung verzichtet wird. Untersucht wird auch nicht die Bevölkerung, sondern Auswirkungen der Atomtests auf die Umwelt allgemein. Folglich gehört dem Forscher-Gremium kein Mediziner an. Ob Frankreich die Ergebnisse in jedem Fall veröffentlichen oder unter Verschluß halten wird, ist ebenfalls offen. Vielleicht ist letzteres aus der Sicht der Kritiker auch gar nicht nötig, wenn die leitenden Wissenschaftler der Untersuchung so ausgesucht werden, daß ein Freibrief für Frankreich von vornherein feststeht. Besonders an der Person der US-amerikanischen Atomphysikerin Gail de Planque entzündet sich Streit. De Planque hat bereits für das Department of Energy der USA in anderen Testgebieten gearbeitet und gilt als entschiedene Befürworterin der Atomtechnologie.

Die Kontrolle im Gesundheitssystem durch das französische Militär ist bestens organisiert gewesen. Die Gesundheitsbehörde Tahitis unterstand bis 1985 dem Militär, Kranke wurden vorzugsweise nach Frankreich ausgeflogen und dort behandelt. Viele wissenschaftliche Fragen müssen vorerst unbeantwortet bleiben. Eingeräumt wurden von der französischen Regierung während der fast 200 Atomtests lediglich drei Unfälle, bei denen Radioaktivität freigesetzt wurde. Im Jahr 1979 blieb eine Atombombe im Schacht stecken, so daß die 150 Kilotonnenbombe höher als vorgesehen gezündet wurde. Eine Million Kubikmeter Basalt und Korallenboden brachen vom Atoll ab, eine riesige Flutwelle entstand. Schon 1966 hatte ein Taifun 10 bis 20 Kilogramm Plutonium ins Meer gefegt.

Was bleibt sind persönliche Zeugnisse, wie das einer Überlebenden des ersten Atomtests der USA auf dem Bikini-Atoll 1954. Ihre Geschichte von Fehlgeburten, geschädigten Kindern bis hin zu Kindern, „die ich geboren habe und nicht als Menschen erkennen konnte“ hatte eine Kraft, der sich selbst die US-Regierung nicht verschließen konnte. Für diese Bewohner der Marschall-Islands wurden Millionen Dollar an Kompensationen bezahlt. Das hält die US-Regierung allerdings nicht davon ab, weiter gegen Atomwaffen gerichtete Unabhängkeitsbestrebungen zu unterdrücken. Mit allen verfügbaren Mitteln wurde etwa versucht, die anti-nukleare Verfassung von Palau auszuhebeln. Zwei Frauen aus Palau, denen tagelang die Einreise nach Tahiti über die USA verweigert wurde, konnten eindrücklich von den Drangsalierungen berichten. Schlimmer noch: derzeit werden Überlegungen über ein atomares Dauerlager im Pazifik angestellt, u.a. mit der Begründung, daß das Gebiet ohnehin radioaktiv verseucht sei. Russisches Waffenplutonium soll dort gleich mitgelagert werden.3 Jüngst geisterten Überlegungen der Bundesregierung durch die bundesdeutsche Presse, auch deutschen Atommüll im Pazifik zu lagern. Dort ist der Müll zwar auch nicht sicher – aber er wäre dann wenigstens erstmal weit weg.

Katastrophe für den Tourismus?

Die Veranstalter der Tagung sahen es als großen Erfolg an, viele Menschen von innerhalb und außerhalb der Pazifik-Region zum Kongreß auf Moorea zu versammeln und damit das Augenmerk auf Probleme des nuklearen Kolonialismus zu lenken. Manche TeilnehmerInnen nannten die hohe Teilnehmerzahl gar „ein Wunder“ angesichts der hohen Reisekosten, zumal die Flugpreise innerhalb der Pazifikregion die Reisekosten europäischer Teilnehmer sogar noch deutlich überstiegen.

Die Konferenz wurde ausführlich in den Printmedien behandelt, wobei die Rezeption in den pro-französischen Zeitungen auf Tahiti unterschiedlich, zum Teil sogar schroff ablehnend war. Der in Kommunalwahlen gewählte konservative Territorial-Gouverneur Gaston Flosse behauptete öffentlich wider besseres Wissen, er sei nicht eingeladen worden. Als Versicherungsmakler und Hotelbesitzer profitiert der ehemalige Volksschullehrer und Chirac-Freund Flosse (Chirac ist Patenonkel seines Sohnes Jaques) besonders von der französischen Präsenz. Teile der Lokalpresse nahmen seinen Vorwurf der Einseitigkeit und „politischen Maskerade“ des Abolition-2000-Kongresses dankbar auf und berichteten journalistisch inkompetent über den Kongreß. Dies gipfelte in dem Vorwurf des Lokalblatts »La Depeche de Tahiti«, daß der Kongreß eine Katastrophe für den Tourismus auf Tahiti sei, da Berichte über Radioaktivität Touristen abschrecke, so als ob die Menschen weltweit noch nicht erkannt hätten, wer 30 Jahre lang in der Region Atombomben gezündet hat. Daß sie von den Lokalmedien hinters Licht geführt werden, ist auch einigen Tahitianern nicht entgangen. Was wirklich Sache ist, konnten sie einem alternativen Radiosender entnehmen, der die Aufklärung über die Testfolgen zu seiner Sache gemacht hat.

Anmerkungen

1) Das Forum wurde von der »International Coalition for Nuclear Non-Proliferation and Disarmament« veranstaltet, das einen Ursprung von »Abolition 2000« darstellte und nach der NPT-Konferenz im Netzwerk aufging. Diese Koalition wurde 1993 von den folgenden Organisationen ins Leben gerufen: International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES), INESAP, International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW), International Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA), International Peace Bureau (IPB). Zur Entwicklung siehe J. Scheffran, »Abolition 2000« and the Anti-Nuclear Chain Reaction, INESAP Information Bulletin, No.11, December 1996, S. 52. Im selben Heft finden sich weitere Beiträge zu »Abolition 2000«. Zurück

2) Zu den Folgen der Atomrüstung im Pazifik siehe etwa: B. Hussein, Mururoa – The untold story, Pacific Islands Monthly, January 1997, S. 14-18; Exodus – An Introduction to Environmental Issues in the Pacific, Greenpeace New Zealand, Pacific Conference of Churches, 1995; E. Weingartner, The Pacific Nuclear Testing and Minorities, London: The Minority Rights Group, 1991; A. Makhijani, A. Robbins, K. Yih, Radioaktive Verseuchung von Himmel und Erde, IPPNW-Wissenschaftliche Reihe Band 2, 1991; A. Behar, Les Essais Nucléaires Français En Polynesie, IPPNW Frankreich, April 1990. Zurück

3) Siehe: Ab auf die Insel, Der Spiegel, 29/1996, S. 86-87 Zurück

Lars Pohlmeier ist Medizinstudent in Hamburg, freier Journalist und Vorstandsmitglied der IPPNW. Dr. Jürgen Scheffran ist wissenschaftlicher Assistent bei IANUS an der TH Darmstadt, Herausgeber des INESAP Information Bulletin und Koordinator der NWK-Arbeitsgruppe in »Abolition 2000«

Westliche Atommächte unter Druck

Westliche Atommächte unter Druck

A-Waffen: Europäisierung oder Abschaffung?

von Oliver Meier

Die nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen ist für Oliver Meier mit einer Vergemeinschafteten europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf Dauer nicht vereinbar. Auch wenn es heute noch nicht aktuell erscheint, steht damit die Frage: Werden die französischen und englischen Atomwaffen abgeschafft oder werden sie europäisiert? Welche Rolle spielen dann die Deutschen und welche Auswirkungen hätte eine solche Europäisierung auf den Nichtverbreitungsvertag?

Durch das Ende der Ost-West-Konfrontation ist das System der nuklearen Abschreckung ins Wanken geraten. Die Atomwaffenstaaten sehen sich einem zunehmenden internationalen Druck ausgesetzt, die nukleare Abrüstung mit dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt voranzutreiben. Im Juli dieses Jahres befand der Internationale Gerichtshof trotz des erbitterten Widerstands der fünf offiziellen Nuklearmächte, daß die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Kernwaffen generell gegen das Völkerrecht verstoßen und im besonderen gegen die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts. Er stellte einstimmig fest, daß es eine völkerrechtliche Verpflichtung gibt, Verhandlungen mit dem Ziel einer totalen atomaren Entwaffnung zu führe.1 Nur einen Monat später kam eine international hochrangig besetzte Expertenkommission, die von der australischen Regierung ins Leben gerufen worden war, zu dem Schluß, daß die vollständige Eliminierung von Nuklearwaffen die internationale Sicherheit erhöhen würde und forderte die Kernwaffenstaaten auf, konkrete Schritte in diese Richtung zu unternehmen.2

Bisher weigern sich alle Kernwaffenstaaten, in Verhandlungen einzutreten, die eine Entnuklearisierung der Welt zum Ziel haben. Die westlichen Nuklearmächte Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten reagieren auf den steigenden internationalen Druck zum einen mit quantitativer Abrüstung. Zum anderen rücken diese drei Staaten enger zusammen und kooperieren untereinander. Die in Europa stationierten Atomwaffenbestände sollen so langfristig gesichert werden. Parallel wird versucht, Atomwaffen in den Kontext einer europäischen Verteidigung zu stellen, um der atomaren Abschreckung eine neue Grundlage zu schaffen. Da dies nicht ohne die Deutschen geht, rückt die Bundesrepublik zunehmend in den Fokus der Atomwaffenpolitiken der NATO-Staaten.

Konsolidierung und Modernisierung: Die A-Waffen der europ. NATO-Staaten

In Westeuropa bleiben auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hunderte amerikanischer, französischer und britischer Atomwaffen stationiert. Zwar haben alle drei Staaten ihre nuklearen Arsenale verkleinert, sie konsolidieren und modernisieren aber ihre Bestände auf niedrigerem Niveau. Die USA stationieren zur Zeit mindestens 200 und maximal noch 400 luftgestützte Atombombendes Typs B-61 in Europa.3 Auf See stationierte Marschflugkörper vom Typ Tomahawk könnten in Krisenzeiten der NATO zusätzlich zugeordnet und in Europa eingesetzt werden. Insgesamt sank die Anzahl amerikanischer taktischer Kernwaffen weltweit seit 1988 um 90%, der NATO-Bestand verringerte sich um 91%.4

Großbritannien hat seine landgestützten Kernwaffen bereits außer Dienst gestellt und will bis 1998 auch seine Atombomben ausmustern. Gleichzeitig wird die atomare U-Boot-Flotte modernisiert. Vier hochmoderne Unterseeboote der Vanguard-Klasse sollen ab dem Jahr 2000 einsatzbereit sein; das erste ist bereits in Dienst gestellt worden. Sie werden mit amerikanischen Trident II-Raketen ausgestattet sein, wahrscheinlich maximal 192 Sprengköpfe tragen und künftig sowohl die strategische Aufgabe der Abschreckung als auch substrategische, taktische Aufgaben erfüllen.5 Damit wird die Sprengkraft des britischen Nukleararsenals insgesamt um 21% reduziert und die Anzahl der Sprengköpfe um 59% geringer sein als in den siebziger Jahren.6

Frankreich hat seine landgestützten Atomwaffen ebenfalls vollständig aufgegeben, modernisiert aber zugleich seine luftgestützten und auf U-Booten stationierten Kernwaffen. Vier neue strategische

U-Boote der Triomphant-Klasse sollen die fünf alten Schiffe der Redoutable-Klasse bis zum Jahr 2005 ersetzen. Diese U-Boote werden mit verbesserten Raketen des Typs M45 ausgerüstet. Pläne zur Entwicklung einer vollständig neuen strategischen Rakete mit der Typenbezeichnung M51 wurden zwar bis zum Jahr 2005 gestreckt, aber nicht aufgegeben. Zudem sollen 80 relativ neue, luftgestützte ASMP-Abstandswaffen modernisiert und mit einer größeren Reichweite ausgestattet werden. Frankreich hat die Anzahl seiner Atomwaffen seit 1991 um 15% verringert und die Ausgaben für Atomwaffen von 1993 bis 1995 um 25% gekürzt.7

Kooperationen der westlichen Atomwaffenstaaten

Während der nuklearen Konfrontation achteten die Atomwaffenstaaten darauf, daß ihre Atomwaffenprogramme so autark wie möglich waren. Die Verfügungsgewalt über diese Waffen war das ultimative Symbol nationalstaatlicher Selbständigkeit. Die Zusammenarbeit zwischen den Nuklearmächten beschränkte sich daher in der Regel auf das absolut notwendige Maß. Am engsten kooperierten die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Die anglo-amerikanische Zusammenarbeit reicht zurück bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. 1962 wurde die Allianz im Abkommen von Nassau formalisiert, indem unter anderem der Ankauf von amerikanischen Polaris-SLBMs festgelegt wurde. Seit damals fanden auch alle britischen Atomwaffentests auf dem amerikanischen Testgelände in Nevada statt. Hierdurch intensivierte sich die ohnehin enge Zusammenarbeit in der Atomwaffenforschung noch einmal.8

Nach dem Ende der Blockkonfrontation sind die USA und Großbritannien noch enger zusammengerückt. Die einzige im britischen Arsenal verbleibende Atomrakete, Typ Trident, wird in den USA hergestellt. Der Sprengkopf ist eine britische Entwicklung, die wahrscheinlich auf einer Version des amerikanischen W76, der für eine ältere Version der Trident in amerikanischen Labors entwickelt worden war, basiert. Der Zwang zur Kooperation ist für Großbritannien durch die Beendigung des amerikanischen Atomtestprogramms 1992 noch größer geworden. Die britische Regierung sträubte sich zunächst gegen diese amerikanische Entscheidung, mußte sich aber schließlich Washington fügen. Die englischen Atomwaffenforscher sind auf eine Fortsetzung der Atomwaffenforschung unter den Bedingungen eines Teststopp-Abkommens wesentlich schlechter vorbereitet als ihre amerikanischen Kollegen und sind daher darauf angewiesen, Computerdaten und Testergebnisse aus den USA zu übernehmen.

Die französisch-amerikanische Zusammenarbeit hat zwar auch eine lange Vorgeschichte, sie war aber niemals so eng wie die britisch-amerikanische. Die »force de frappe« bildete das nationale Gegenstück zum anglo-amerikanischen Arsenal. Nachdem dieser Gedanke der nationalen Eigenständigkeit in der Verteidigungspolitik zunächst 1966 zum Austritt Frankreichs aus den militärischen Strukturen der NATO geführt hatte, begannen die USA und Frankreich spätestens Mitte der siebziger Jahre in der Atomwaffenforschung zusammenzuarbeiten. Diese Kontakte blieben lange Zeit geheim, ebenso wie Gespräche der Franzosen mit der NATO über eine Koordinierung der Nuklearwaffendoktrinen.9

Mit der offiziellen Wiederannäherung von Paris an die NATO, Anfang der neunziger Jahre, sind diese Restriktionen entfallen. Am 4. Juni 1996 unterzeichneten französische und amerikanische Regierungsvertreter ein Abkommen über die Zusammenarbeit in der Atomwaffenforschung.10 Auch dieses Dokument sollte zunächst geheimgehalten werden, es wurde jedoch schnell bekannt, daß französische Kernwaffenexperten nun erstmals begrenzten Zugang zu amerikanischen Kernwaffenlaboratorien erhalten sollen. Die beiden Staaten kamen überein „to cooperate to ensure the safety, security and reliability of their nuclear weapon stockpiles“ und außerdem in der Counterproliferation zusammenzuarbeiten.11

In der franko-amerikanischen Kooperation wird ein weiteres Motiv hinter der Zusammenarbeit der Kernwaffenstaaten deutlich. Beiden Regierungen geht es auch darum, Kosten zu reduzieren, indem Redundanzen in der Atomwaffenforschung und -entwicklung abgebaut werden. Frankreich und die USA haben Atomwaffenforschungsprogramme initiiert, die es ihnen ermöglichen sollen, die vorhandenen Waffen einsatzbereit zu halten und neue Modernisierungsprogramme durchzuführen.12 Die hierfür als notwendig erachteten Forschungseinrichtungen kosten mehrere Milliarden Mark, und diese Investitionen sind angesichts stagnierender oder sinkender Verteidigungsausgaben nur schwer innenpolitisch durchzusetzen.13

„The British must understand that unless we cooperate, neither of us will be able to withstand pressures for cuts in our arsenals or afford to maintain a deterrent.“ 14

Eine völlig neue Entwicklung stellt hingegen die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Großbritannien in der Nuklearwaffenpolitik dar. Beide Staaten bildeten während der Ost-West-Konfrontation beständige Gegenpole innerhalb der NATO: London unterhielt eine »special relationship« nach Washington, während Paris der amerikanischen Sicherheitsgarantie für Europa mißtraute. 1993 gab der britische Verteidigungsminister Rifkind bekannt, daß Großbritannien seit November 1992 seine Atomwaffenpolitik mit Frankreich in der »Franco-British Joint Commission on Nuclear Policy« abstimmt. Zwischen Frankreich und Großbritannien gebe es keine fundamentalen Unterschiede in der Atomwaffenpolitik, so Rifkind damals. Über den genauen Inhalt dieser Gespräche schweigen die Verantwortlichen, offiziell wird in der jährlich mehrmals tagenden Kommission über Fragen der Abschreckung, der nuklearen Doktrin, Rüstungskontrolle, Nonproliferation und Raketenabwehr gesprochen.15 Daneben reden auch französische und britische Vertreter der nationalen Kernwaffenforschungseinrichtungen seit Anfang der neunziger Jahre miteinander, an diesen Kontakten sollen auch Amerikaner beteiligt sein.16

Und Deutschland?

Mit dem Maastrichter Vertrag über eine Europäische Union haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, auch die Grundlagen für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik zu schaffen. Zwangsläufig wird sich in diesem Kontext die Frage nach der künftigen Rolle der französischen und britischen Atomwaffen stellen. Die nationale Verfügungsgewalt über diese Waffen ist mit einer wirklich vergemeinschafteten europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik letztlich nicht vereinbar – entweder werden die Waffen also abgeschafft oder ihre Kontrolle wird »europäisiert«.

Nach britischen Presseberichten sollen auch deutsche Beamte an den britisch-französischen Konsultationen teilnehmen.17 Dies wäre insofern eine logische Entwicklung, als die Kooperation der europäischen Atomwaffenstaaten auch die außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Rahmen der EU forcieren soll und dort haben die Deutschen eine Schlüsselposition inne. Die Bundesregierung hat eine Beteiligung an den britisch-französischen Gesprächen strikt verneint.18

Dabei lehnen nicht alle deutschen Regierungsmitglieder eine Mitsprache bei den Nuklearwaffenpolitiken der verbündeten Staaten ab. Dies wurde zuletzt im Herbst 1995 deutlich, als der französische Premierminister Juppé das Angebot Frankreichs, die »force de frappe« in einen europäischen Rahmen zu stellen, erneuerte. „Wir sollten uns alle mit dem Gedanken anfreunden, daß die europäischen Länder ihre Verteidigungspolitik überdenken müssen und daß in diesem Prozeß die Rolle der Atomwaffen, über die zwei europäische Länder verfügen, auch überprüft werden muß.“ Juppé sprach von „konzertierter Abschreckung“, also der Möglichkeit, die französischen Kernwaffen nicht mehr ausschließlich im Kontext der französischen Sicherheitspolitik einzusetzen.19

Die deutschen Reaktionen auf den französischen Vorstoß, insbesondere aus den Reihen des Auswärtigen Amtes und dem frankophonen Flügel der Unionspa8rteien waren nicht nur ablehnend. Karl Lamers brachte die Haltung dieser Gruppe auf den Punkt: „Wir können sagen: Wir wollen das Nukleare nicht. Oder wir sagen: Wir wollen bei der Gestaltung des Nuklearen mitwirken. Das erste (…) hätte mit Sicherheit keine Aussicht auf Erfolg. (…) Wenn es keine Aussicht auf Erfolg hat, (…) dann ist es ganz logisch und zwingend zu sagen: Also müssen wir über die Rolle des Nuklearen miteinander reden.“ Alfred Dregger wünschte sich sogar eine „europäische nukleare Planungsgruppe“ und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, bezeichnete es als einen „Witz“, wenn die Deutschen das Angebot, mit Frankreich in einen nuklearpolitischen Dialog einzutreten, ablehnen würden.20 Die Bundesregierung hält sich alle Optionen offen: Auf die Frage, ob nach ihrer Auffassung der Nichtverbreitungs-Vertrag (NVV) die Möglichkeit ausschließt, daß die französischen und britischen Atomwaffen in eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik einbezogen werden, antwortete die Regierung, daß „zu gegebener Zeit zu entscheiden sein“ wird, ob und welche Schlußfolgerungen aus den Vertragsbestimmungen zu ziehen sind.21

Europäische Atomwaffen und die Weiterverbreitung

Die Frage einer europäischen Atommacht ist politisch nicht aktuell und sie wird es kaum in den nächsten Jahren werden. Noch sind die politischen und militärischen Probleme zu groß, die mit einer solchen Vergemeinschaftung von Atomwaffen einhergehen, als daß sie schon auf die politische Tagesordnung gesetzt werden könnte. Diese Frage kann allerdings nur verschoben, nicht aber vermieden werden, wenn tatsächlich eine Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik das Ziel des europäischen Einigungsprozesses ist.22

Aber schon die Erwägung einer Vergemeinschaftung kann eine verheerende Wirkung auf die vorhandenen Nichtverbreitungs-Regime haben. Eine Vergemeinschaftung von Atomwaffen würde klar dem Geist, wenn nicht dem Buchstaben des NVV widersprechen, der erst letztes Jahr mit viel Mühe auf unbegrenzte Zeit verlängert worden ist. Viele Nicht-Atomwaffenstaaten könnten sich durch die Diskussion um eine »Europäisierung« von Atomwaffen in ihrer Auffassung bestätigt sehen, daß die Nuklearmächte sich durch den NVV nur ihre nuklearen Privilegien sichern wollen. Eine Ausweitung dieser Privilegien – etwa durch eine nukleare Teilhabe im Rahmen der EU – würde diese Kritik noch verstärken. Vor diesem Hintergrund sind auch die Kooperationen der Atomwaffenstaaten untereinander als Versuch zu sehen, dem internationalen Druck zu widerstehen, endlich mit der nuklearen Abrüstung ernst zu machen.

Anmerkungen

1) Vgl. z.B. Dieter Deiseroth: Atomwaffeneinsatz ist völkerrechtswidrig, in: Wissenschaft und Frieden, 3/96, S. 78-81. Zurück

2) Canberra Commission: Report of the Canberra Commission on the Elimination of Nuclear Weapons, August 1996. Zurück

3) Vgl. Hans M. Kristensen: The 520 Forgotten Bombs. The U.S. and British Forward Deployed Nuclear Weapons in Europe, Washington, D.C.: Greenpeace International April 1995. Wahrscheinlich sind noch ungefähr 200 amerikanische Atomwaffen in Europa stationiert. Für diese Annahme spricht unter anderem, daß die USA 208 Atomwaffengrüfte (“nuclear weapons storage vaults“) auf europäischen Luftwaffenstützpunkten bauen oder bereits gebaut haben. United States Air Force (Electronic Systems Center, Office of Public Affairs), News Release: „HANSCOM Office Marks Foreign Sale“, Hanscom, 18 July, 1995. Diese Zahl wurde auch von einem amerikanischen NATO-Vertreter auf einer Konferenz im Januar 1996 in Brüssel bestätigt. Zurück

4) Zahlen nach The Congress of the United States. Senate, SASC, 103-2, Briefing on the Results of the Nuclear Posture Review, September 22, 1994, S. 22. Zurück

5) Andrew J. Goodpaster/ C. Richard Nelson/ Steven Philip Kramer: Nuclear Weapons and Euopean Security, Washington, D.C.: The Atlantic Council of the United States (Policy Paper Series), April 1996, S. 19. Zurück

6) House of Commons: Progress of the Trident Programme, Defence Committee, Eigth Report, Session 1994-95, S. 6. Die britische Regierung macht prinzipiell keine Angaben über die Anzahl oder die Sprengkraft ihrer Atomwaffen. Die Zahl von 192 Trident-Sprengköpfen läßt sich aber aus verschiedenen Angaben, die die britische Regierung gemacht hat, errechnen. Vgl. hierzu: Richard Guthrie/ Stephen Pullinger: Calculations of British Nuclear Warhead Numbers, in: Trust & Verify (VERTIC), No. 56 and No. 57, 1995. Zurück

7) Zahlen nach Bruno Tertais (frz. Verteidigungsministerium) zitiert nach Science Application International Cooperation (SAIC): Final Report: Implications of the Nuclear Policies and Doctrines of France and Great Britain, MacLean, Va.: SAIC Program on Stability and the Offense/ Defense Relationship 27 September 1995, S. 11. Zurück

8) Vgl. z.B. The British American Security Information Council: The U.K. Trident Programme. Secrecy and Dependence in the 1990s, London/ Washington: BASIC Report 93.5, September 1993. Zurück

9) Vgl. Richard H. Ullman: The Covert French Connection, in: Foreign Affairs, Vol. 75, Summer 1989, pp. 3-33. Zurück

10) R. Jeffrey Smith: France, U.K. Secretly Enter Pact to Share Nuclear Weapons Data, Washington Post, June 17, 1996. Zurück

11) Memorandum of Agreement on Cooperation Concerning Nuclear Safety and Security, June 4, 1996. Zurück

12) In den USA ist dies das stockpile stewardship-Programm, in Frankreich läuft es unter dem Titel PALEN (Préparation à la Limitation des Essais Nucléaires). Zurück

13) Vgl. Oliver Meier: Atomwaffenforschung ohne Tests? Die USA lehnen einen vollständigen Teststopp ab, in: Wissenschaft und Frieden, 1/1995, S. 14-18. Zurück

14) Ein französischer Diplomat über die britisch-französischen Atomwaffengespräche, zitiert nach Carey Schofield: „Europe wrestles with concept of a common bomb“, Sunday Telegraph, August 6, 1995. Zurück

15) Malcolm Rifkind: UK Defence Strategy: A Continiung Role for Nuclear Weapons?, Speech delivered at the Centre for Defence Studies, Kings College London, 16 November 1993. Zurück

16) Martin Butcher: Nuclear Weapons in the European Union, Center for European Security and Disarmament: Issues in European Security No. 5, May 1996, p. 13. Zurück

17) Carey Schofield: Europe wrestles with concept of a common bomb, Sunday Telegraph, August 6, 1995. Zurück

18) Bundestagsdrucksache 13/5918. Zurück

19) Rede von Premierminister Alain Juppé am Institut des Hautes Études de Defense Nationale, dokumentiert in: Frankreich-Info, Nr. 27, 11. September 1995, S. 4. Zurück

20) Alle Zitate aus Deutscher Bundestag, 59. Sitzung, 29. September 1995, Plenarprotokoll 13/59, S. 4984, S. 4995, S. 4993. Zurück

21) Antwort des Staatsministers im Auswärtigen Amts, Werner Hoyer, auf entsprechende Frage der Abgeordneten Beer, Bündnis 90/ Grüne vom 6. November 1996. Artikel I und II des NVV verbieten die Weitergabe von Atomwaffen oder von zu deren Herstellung notwendigen Materialien und Kentnissen sowie der Verfügungsgewalt über diese Waffen. Zurück

22) Vgl. Oliver Meier: Kernwaffen in Europa: Auslaufmodell oder Force d'Europe?, in: antimilitarismus information, Heft 10, Oktober 1996, S. 5-10. Zurück

Dipl.-Pol. Oliver Meier hat an der FU Berlin zur amerikanischen Atomwaffenpolitik nach 1989 promoviert und arbeitet zur Zeit am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) im Rahmen des »Projektes zur Europäischen Nuklearen Nichtweiterverbreitung« (PENN), das von der W. Alton Jones Foundation unterstützt wird.

Teststoppvertrag abschließen

Teststoppvertrag abschließen

Verhandlungen zur Abschaffung der Atomwaffen beginnen – Stellungnahme des INESAP Coordinating Committee

von INESAP Coordinating Committee

Mehrere Ereignisse der letzten Monate haben die politische Unterstützung und die Legitimität der Atomwaffen in einem Maße untergraben, das für das Atomzeitalter einmalig ist. Zahlreiche Stellungnahmen, sowohl von Regierungen als auch regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), haben deutlich gemacht, daß eine Welt ohne Atomwaffen ein weitverbreites Anliegen der Menschheit ist. Das gegenwärtige Fenster der Gelegenheit für die nukleare Abrüstung muß genutzt werden, um substantielle Fortschritte in Richtung auf eine Nuklearwaffenkonvention (NWK) zu erreichen, die in Ergänzung zur Biowaffenkonvention und zur Chemiewaffenkonvention mit den Atomwaffen nun auch die letzte Kategorie von Massenvernichtungswaffen verbietet und beseitigt.

Die folgenden positiven Ereignisse verdienen besonders hervorgehoben zu werden:

  • Alle 170 Staaten bei der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) haben im Mai 1995 der unbegrenzten Vertragsverlängerung zusammen mit einer Erklärung zugestimmt, in der sich die Staaten verpflichten zu „systematischen und progressiven Anstrengungen zur globalen Reduzierung der Atomwaffen, mit dem letzlichen Ziel diese Waffen abzuschaffen.“ Diese Verpflichtung wurde verstärkt durch eine Mehrheitsresolution in der UNO-Generalversammlung im selben Jahr, in der die Genfer Abrüstungskonferenz aufgefordert wird, „mit hoher Priorität ein Ad-hoc-Komitee einzurichten, um Anfang 1996 Verhandlungen über ein Phasenprogramm zur nuklearen Abrüstung und schließlich zur Eliminierung der Atomwaffen innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens aufzunehmen.
  • Wie eine atomwaffenfreie Welt im Rahmen einer Nuklearwaffenkonvention erreicht werden könnte, haben mehr als 50 Experten aus 20 Ländern in einem Report der INESAP Studiengruppe »Beyond the NPT« dargelegt, der im April 1995 in New York veröffentlicht wurde. Schritte zu diesem Ziel könnten demnach folgende Maßnahmen umfassen: tiefe Einschnitte in die Atomwaffenarsenale, einen umfassenden Teststopp-Vertrag, Abkommen zum Stopp der Produktion und (Wieder-)Verwendung nuklearer Materialien (Cut-Off), Maßnahmen zur Verhinderung der horizontalen und vertikalen Verbreitung von Trägersystemen für Atomwaffen sowie regionale Ansätze zur nuklearen Abrüstung.
  • Mehr als 200 NGOs fordern im April 1995 in einem Aufruf sofortige „Verhandlungen über eine Konvention zur Abschaffung aller Atomwaffen, die die stufenweise Beseitigung aller Atomwaffen innerhalb eines Zeitrahmens erforderlich macht, mit Bestimmungen zur effektiven Verifikation und Durchsetzung“. Diese gemeinsame Stellungnahme war die Grundlage für die Gründung des globalen Netzwerks Abolition 2000 im November 1995, in dem mehrere hundert Organisationen aus allen Teilen der Erde zusammenarbeiten, um sich für ein Abkommen zur Abschaffung der Atomwaffen bis zum Jahr 2000 einzusetzen.
  • Die 50. Jahrestage der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki haben die Welt an die verheerende Wirkung von Atomwaffeneinsätzen erinnert und deren moralische Verurteilung verstärkt.
  • Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1995 an die internationale Pugwash-Konferenz und ihren Präsidenten Joseph Rotblat war zugleich eine Anerkennung für die Wissenschaftler und Ingenieure, die es abgelehnt haben, an Atomwaffen zu arbeiten.
  • Die Fortführung der chinesischen und französischen Atomwaffentests nach der Verlängerung des NVV löste weltweite Proteste gegen die Versuche aus und stärkte die Unterstützung für einen umfassenden Teststopp-Vertrag. Inzwischen wurden alle Atomexplosionen eingestellt.
  • Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Pelindaba im April 1996 haben 43 afrikanische Staaten einen ganzen Kontinent zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Südafrika war das erste Land, das seine Atomwaffen vollständig aufgegeben hat. Zusammen mit ähnlichen Verträgen für Südostasien (1995), für den Südpazifik (Rarotonga 1985), der im März 1996 auch von den Atomwaffenstaaten unterzeichnet wurde, für Lateinamerika und die Karibik (Tlatelolco 1967) sowie die Antarktis (1959) ist nunmehr fast die gesamte südliche Hemisphäre frei von Atomwaffen.
  • <>Der Internationale Gerichtshof hat in seinem historischen Urteil im Juli 1996 in Den Haag erklärt, daß „die Drohung und der Einsatz von Atomwaffen generell in Widerspruch steht zu den Regeln des Kriegsvölkerrechts und insbesondere zu den Prinzipien und Regeln der Menschenrechte .“<>
  • Im November 1995 hat die Regierung Australiens die Canberra Kommission zur Abschaffung von Atomwaffen ins Leben gerufen, die am 14. August 1996 ihren Bericht vorgelegt hat. Die Kommission hat eine Reihe von Schritten zur atomwaffenfreien Welt identifiziert. Hierzu gehören weitere amerikanisch-russische Abrüstungsabkommen, ein Teststopp-Vertrag, eine Konvention zum Produktionsstopp für spaltbare Materialien, ein Vertrag zum Nicht-Ersteinsatz von Atomwaffen und weitere atomwaffenfreie Zonen, mit spezifischen Mechanismen zur Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse jeder Region.
  • Die Genfer Abrüstungskonferenz hat einen umfassenden Teststoppvertrag ausgearbeitet, der alle Atomexplosionen wirksam verbietet, wenn auch nicht jede Forschung und Entwicklung an Atomwaffen. Während die anderen Staaten mit der Unterzeichnung des Vertrages begonnen haben, besteht Indien weiter darauf, den Teststopp-Vertrag mit einem Abrüstungsplan zu verbinden.
  • Die große Mehrheit der blockfreien Staaten (Gruppe der 21) in der Abrüstungskonferenz, einschließlich Indien, aber ohne Südafrika und Chile, hat am 8. August 1996 ein Dreiphasen-Aktionsprogramm für die Abschaffung der Atomwaffen vorgeschlagen. Der Teststopp-Vertrag und weitere Schritte zur nuklearen Abrüstung sind Gegenstand der UNO-Generalversammlung im Herbst 1996; in einem Resolutionsentwurf Malaysias werden Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention ab 1997 gefordert.
  • Innerhalb des Netzwerks Abolition 2000 gibt es einen andauernden Prozeß zur Ausarbeitung eines Modellentwurfs für eine Nuklearwaffenkonvention, mit dem die zukünftige Abrüstungsagenda beeinflußt werden soll. Zugleich wird für die Unterstützung einer Resolution in den Vereinten Nationen geworben, die die Aufnahme von Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention fordert.

Herausforderungen und Hindernisse

Niemals waren die Bedingungen so günstig, einen Prozeß einzuleiten, der zur Abschaffung der Atomwaffen führt. Auf der anderen Seite, dürfen die potentiellen Gefahren für diesen Prozeß nicht übersehen werden.

  • Um den Prozeß in Richtung auf null Atomwaffen einzuleiten, ist von größter Bedeutung die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, ihre nuklearen Arsenale innerhalb eines absehbaren Zeitrahmens vollständig zu beseitigen. Doch die offiziellen fünf Atomwaffenstaaten zeigen derzeit keine Bereitschaft, ihre Atomwaffen aufzugeben. Stattdessen führen sie die Modernisierung ihrer Arsenale fort, verwenden Computersimulationen und Laborexperimente zur Atomwaffenentwicklung. Während China und Rußland immerhin prinzipiell erklärt haben, daß sie ihre Atomwaffen dann beseitigen werden, wenn alle dies tun, lehnen die westlichen Atomwaffenstaaten es ab, dieses Thema überhaupt zu diskutieren.
  • Die Verbündeten der Atomwaffenstaaten hoffen, von deren »Atomschirmen« profitieren zu können, im Widerspruch zu den Verpflichtungen, die sie mit dem NVV als Nicht-Atomwaffenstaaten unterzeichnet haben und im Gegensatz auch zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs. Die NATO-Expansion nach Osteuropa könnte dazu führen, daß Atomwaffen auf dem Territorium weiterer Staaten stationiert werden.
  • <>Solange Atomwaffenstaaten mit der Erhaltung und Modernisierung ihrer Atomwaffen ein negatives Beispiel abgeben, ist die Verbreitung von Atomwaffen und damit verbundener Kapazitäten schwierig zu stoppen. Während nur wenige Staaten die nukleare Schwelle bereits überschritten haben, hat eine Reihe von Ländern die technischen Fähigkeiten, um den Sprung über die Schwelle zu schaffen, falls dies aufgrund des nationalen Interesses für erforderlich gehalten wird. Die Fortexistenz der Atomwaffenarsenale und Produktionsanlagen erleichtert Atomschmuggel und Atomterrorismus.<>
  • Die Wahrnehmung, daß »Verbrecherstaaten« und Terroristen nach Atomwaffen streben, ist ein treibendes Motiv für militärische Counterproliferation und Raketenabwehrprogramme in westlichen Staaten. Solche Entwicklungen können den ABM-Vertrag zur Kontrolle von Raketenabwehrsystemen untergraben, ein Nord-Süd-Wettrüsten anheizen und die politischen Bedingungen für Abrüstung ernsthaft schwächen.
  • Die Furcht vor westlicher Dominanz, verstärkt durch NATO-Expansion und Revision des ABM-Vertrages zur Kontrolle der Raketenabwehr, fördert den Widerstand gegen die Ratifizierung des START-II-Vertrages und der Chemiewaffenkonvention im russischen Parlament.

Eine Agenda für eine atomwaffenfreie Welt

Diese negativen Entwicklungen könnten die genannten positiven Entwicklungen untergraben, wenn nicht bald weitere ernsthafte Abrüstungsschritte von der internationalen Gemeinschaft unternommen werden. Die folgenden Maßnahmen sind besonders dringlich, um den Prozeß in eine atomwaffenfreie Welt einzuleiten:

  • Rasches Inkrafttreten des umfassenden Teststopp-Vertrages.
  • Gemeinsame Erklärung der Atomwaffenstaaten zum Nicht-Ersteinsatz und Garantien zum Nicht-Einsatz von Atomwaffen.
  • Erklärungen der Atomwaffenstaaten zur raschen und vollständigen nuklearen Abrüstung, zum Verzicht auf neue Atomwaffen sowie zur Schließung, zum Abbau und zur Konversion damit verbundener Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.
  • Bekräftigung der Einhaltung des ABM-Vertrages, Ratifizierung von START-II und Beginn von START-III-Verhandlungen.
  • Sofortige Schritte zur Reduzierung der atomaren Gefahr: Beendigung der Alarmbereitschaft für die Atomstreitkräfte, Trennung der Gefechtsköpfe von den Trägersystemen, Abzug nichtstrategischer Atomwaffen, Flugtestverbot für ballistische Raketen.
  • Beginn der Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz über eine umfassende Cut-off-Konvention für atomwaffenfähige Materialien.
  • Ratifizierung und volle Implementierung der Chemiewaffenkonvention, verbesserte Überprüfung der Biologiewaffenkonvention.
  • Die südliche Hemisphäre sowie weitere Regionen (koreanische Halbinsel, Südasien, Naher Osten, Mittel- und Osteuropa) werden zu atomwaffenfreien Zonen erklärt.
  • Weitere Verhandlungen zwischen allen Atomwaffenmächten über die Abschaffung ihrer Atomwaffen.
  • Verhandlung, Abschluß und Implementierung einer Nuklearwaffenkonvention, die alle nuklearen Rüstungskontroll- Nichtverbreitungs- und Abrüstungsmaßnahmen umfaßt.

Um die verschiedenen Schritte zur atomwaffenfreien Welt zu koordinieren und um Defizite der einzelnen Schritte zu vermeiden, ist es von großer Bedeutung, Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention als Rahmen für die Abschaffung der Atomwaffen so bald wie möglich aufzunehmen.

Daher rufen wir die Generalversammlung der Vereinten Nationen und die Regierungen aller Staaten dazu auf, den umfassenden Teststopp-Vertrag unverzüglich in Kraft treten zu lassen und, in Erfüllung des Urteils des Internationalen Gerichtshofs, so bald wie möglich Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention einzuleiten, die als Rahmen für die atomare Abrüstung in all ihren Aspekten dienen.