Einstein weiterdenken

Sein Einsatz für Frieden und Abrüstung und die Verantwortung der Wissenschaft im 21. Jahrhundert

Einstein weiterdenken

von Joseph Rotblat, Jürgen Scheffran, Armin Tenner und Samir Amin

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern des Berliner Kongresses »Einstein weiterdenken · Wissenschaft – Verantwortung – Frieden«

Sir Joseph Rotblat wollte am 14. Oktober auf der Internationalen Konferenz »Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Frieden – Verantwortung« den Eröfffnungsvortrag halten. Sicher wäre niemand dafür geeigneter gewesen als er, der den Mut hatte aus dem »Manhattan-Projekt« zum Bau der ersten US-Atombombe auszusteigen, als deutlich wurde, dass das faschistische Deutschland das »Bombenprojekt« aufgegeben hatte, der seit 1946 unermüdlich über die Gefahren der atomaren Rüstung aufklärte, der als Jüngster 1955 das Russel-Einstein Manifest gegen die Atomwaffen unterzeichnete und zwei Jahre später die Pugwash-Bewegung mitgründete, der 1995 für sein Lebenswerk den Friedensnobelpreis erhielt. Joseph Rotblat kann den angekündigten Vortrag nicht mehr halten, er ist in der Nacht zum 1. September 96jährig in London verstorben. Für den Chemienobelpreisträger Harry Kroto war Joseph Rotblat »das »Gewissen« der wissenschaftlichen Gemeinschaft«. Er würdigt Rotblat: »Ich bin mir nicht sicher, ob die Kritik an den Atomwaffen ohne Menschen wie Joseph Rotblat derart effektiv gewesen wäre. Joes größtes Anliegen war es, die Vernichtung der Menschheit durch Atomwaffen zu verhindern. Dieses Ziel hat er auch noch mit 96 Jahren in einem unbeschreiblichen jugendlichen Elan verfolgt… Seine Moral war beeindruckend, er stand fest hinter ihr und lebte sie; das zu erkennen, war wertvoll für mich. Er hat mich veranlasst, mehr über friedenspolitische Aspekte nachzudenken, ihnen nachzuspüren und sie letztendlich zu den wichtigsten Punkten in meinem Leben werden zu lassen.« Joseph Rotblat hat sich sein Leben lang für eine Welt ohne Krieg eingesetzt. Diesem Thema widmete er auch den folgenden – seinen letzten – Artikel.

Eine Welt ohne Krieg

Zu Ehren von Einsteins Streben nach Frieden

von Joseph Rotblat

Einsteins Ruhm und einzigartiges Prestige in der Welt resultieren hauptsächlich aus seinen wissenschaftlichen Entdeckungen. Viel weniger bekannt sind seine politischen Aktivitäten: seine Antikriegskampagnen und sein Eintreten für eine Weltregierung. Und doch waren diese Themen ihm neben der Wissenschaft am nächsten; er widmete ihnen bis zu seinem Lebensende viel Zeit. In diesem Beitrag über eine Welt ohne Krieg habe ich zwei Fragen in den Mittelpunkt gestellt, die mit Einsteins Friedensaktivitäten zusammenhängen: ist eine Welt ohne Krieg erstrebenswert? Und: ist sie möglich?

Die erste Frage ist sicherlich rhetorisch. Nach dem Tod vieler Millionen von Menschen in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts, und in den vielen Kriegen seit dem, ist eine Welt ohne Krieg ganz gewiss äußerst wünschenswert. Und durch die Ereignisse seitdem Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie umso wünschenswerter geworden; denn eine Welt ohne Krieg ist nicht nur wünschenswert, sie ist jetzt auch notwendig. Sie ist für ein Überleben der Menschheit unabdingbar. Ich beziehe mich auf die Entwicklung von Waffen, die das Potential völliger Vernichtung besitzen, wie sie zum ersten Mal in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurden. Die Zerstörung dieser Städte läutete ein neues Zeitalter ein, das Nuklearzeitalter, dessen Hauptcharakteristikum es ist, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Zivilisation der Mensch die technischen Mittel hat, seine eigene Spezies zu zerstören, und dies, wohl überlegt oder unachtsam, in einer einzigen Handlung.

Im Nuklearzeitalter ist die menschliche Spezies zu einer vom Aussterben bedrohten Art geworden. Tatsächlich schien diese Bedrohung keine große Rolle zu spielen, als bald nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Arbeit an der Realisierbarkeit der Atombombe in England begann. Wir wussten ziemlich gut Bescheid über die schreckliche Zerstörungskraft der Bombe. Wir wussten von der Wirkung der Detonation, die über weite Entfernungen Gebäude zerstören würde. Wir wussten von der Hitzewelle, die über noch weitere Strecken hinweg alles verbrennen würde; wir sahen die radioaktive Strahlung voraus, die noch lange nach dem Ende der Militäroperationen Menschen töten würde. Wir dachten sogar an die Entwicklung der Wasserstoffbombe, deren Zerstörungskraft tausend Mal höher ist.

Aber während unserer Diskussionen über die Auswirkungen dieser Waffen zogen wir nicht einen Augenblick lang die endgültige Katastrophe in Betracht, die ihre Anwendung mit sich bringen könnte, namentlich das Aussterben der menschlichen Spezies. Wir fassten dies nicht ins Auge, weil wir wussten, dass dazu die Detonation einer sehr großen Anzahl – vielleicht Hunderttausend – an Megatonnen von Bomben erforderlich wäre. Selbst in unseren pessimistischsten Szenarien konnten wir uns nicht vorstellen, dass die menschliche Gesellschaft so dumm, oder so verrückt, wäre, in derart dreisten Dimensionen solche Waffenarsenale an zuhäufen, für die wir überhaupt keinen Nutzen sehen konnten.

Aber die menschliche Gesellschaft war so wahnsinnig. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden Arsenale dieser Größe von den damaligen Supermächten, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, hergestellt und einsatzbereit gemacht. Mehrere Male im Laufe des Kalten Kriegs kamen wir ihrem tatsächlichen Einsatz gefährlich nahe. Ich erinnere mich besonders an ein Ereignis, die Kubakrise von 1962, als wir nur um Haaresbreite der totalen Katastrophe entgingen und die gesamte Zukunft unserer Menschheit von der Entscheidung eines Mannes abhing. Glücklicherweise war Nikita Chruschtschow ein vernünftiger Mann und zog seine Raketen im letzten Moment ab. Aber beim nächsten Mal werden wir vielleicht nicht mehr so viel Glück haben. Und ein nächstes Mal kommt bestimmt, wenn wir mit der Atomwaffenpolitik George W. Bushs fortfahren.

Moral ist die Basis der Atomfrage. Werden wir unsere Welt auf einer Kultur des Friedens oder einer Kultur der Gewalt gründen? Kernwaffen sind von Grund auf unmoralisch: ihr Vorgehen ist wahllos und zieht sowohl Militär als auch Zivilisten, Aggressoren wie Unschuldige, in Mitleidenschaft; sie töten noch lebende Menschen wie auch spätere Generationen. Und ihre Anwendung kann das Ende der menschlichen Rasse bedeuten. All dies macht Kernwaffen zu einem unakzeptablen Mittel der Friedenserhaltung in der Welt.

Aber genau das haben wir während und nach dem Kalten Krieg getan. Wir besitzen Kernwaffen als Mittel der Abschreckung, um Krieg durch die Drohung mit Vergeltung zu verhindern. Damit die Abschreckung wirkt, muss die Drohung mit Vergeltung echt sein; wir müssen die Möchtegern-Aggressoren davon überzeugen, dass Nuklearwaffen gegen sie eingesetzt werden würden, sonst würde der Bluff bald auffliegen. George W. Bush, Vladimir Putin oder Tony Blair müssen überzeugend darlegen, dass sie die Art von Persönlichkeit haben, die es ihnen ermöglichen würde, den Knopf zu drücken und ein Mittel totaler Zerstörung frei zusetzen.

Ich halte den Gedanken für erschreckend, dass eine der notwendigen Führungsqualitäten die Bereitschaft ist, einen Akt des Völkermordes zu begehen, denn darauf läuft es letzten Endes hinaus. Mehr noch, indem wir dieser Strategie zustimmen, halten nicht nur die Führer, sondern jeder von uns bildlich gesprochen den Finger am Knopf; jeder von uns nimmt teil an einer Lotterie, in dem das Überleben der Menschheit auf dem Spiel steht. Wir stützen die Weltsicherheit auf ein Gleichgewicht des Schreckens. Auf lange Sicht muss dies die ethische Grundlage der Zivilisation untergraben. Ich wäre nicht erstaunt, wenn Belege gefunden würden, dass es eine Verbindung zwischen dem Anwachsen von Gewalt gäbe, das auf der Welt zu beobachten ist – vom individuellen Überfall zum organisierten Verbrechen bis hin zu terroristischen Gruppen wie Al-Qaeda – und der Kultur der Gewalt, in der wir während des Kalten Krieges gelebt haben und noch leben.

Besonders beunruhigt mich die Wirkung auf die junge Generation. Wir alle sehnen uns nach einer friedlichen Welt, einer Welt der Gerechtigkeit. Wir alle wollen bei der jungen Generation die viel verkündete »Kultur des Friedens« fördern. Aber wie können wir von einer Kultur des Friedens sprechen, wenn dieser Frieden sich auf die Existenz von Massenvernichtungswaffen gründet? Wie können wir die junge Generation davon überzeugen, die Kultur der Gewalt beiseite zu legen, wenn sie weiß, dass unsere Sicherheit auf der Drohung mit extremer Gewalt beruht?

Ich glaube nicht, dass die Weltbevölkerung eine Politik akzeptieren würde, die in sich unmoralisch ist und wahrscheinlich in einer Katastrophe enden wird. Dies war offenkundig in der Reaktion auf die Zerstörung von zwei japanischen Städten, einer Reaktion des Ekels, die von der großen Mehrheit der Weltbevölkerung geteilt wurde, einschließlich der Vereinigten Staaten. Von Anfang an wurden Kernwaffen mit Abscheu betrachtet; ihre Anwendung rief eine beinahe universale Opposition gegen jeglichen zukünftigen Einsatz von Kernwaffen hervor. Ich glaube, dass gilt auch heute noch. Auf der internationalen Bühne wurde dieses Gefühl in der allerersten Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Ausdruck gebracht.

Die Charta der Vereinten Nationen wurde im Juni 1945 angenommen, zwei Monate vor Hiroshima, und daher wurde in der Charta keine Vorkehrung für das Nuklearzeitalter getroffen. Als aber die Generalversammlung im Januar 1946 zum ersten Mal zusammen kam, war die erste einmütig angenommene Resolution diejenige, die das Ziel der Vernichtung der Atomwaffen und aller anderen Massenvernichtungswaffen hatte.

Vom Anfang an gab es jedoch Falken in der US-Führung, die wollten, dass die Vereinigten Staaten ein Monopol auf Kernwaffen behielten. General Leslie Groves war der führende Kopf des Manhattan-Projekts, indem während des Zweiten Weltkriegs die Atombombe entwickelt wurde. Im Oktober 1945, zwei Monate nach Hiroshima, skizzierte er in einer unverblümten Äußerung kurz seine Ansichten über die US-Nuklearpolitik: „Wenn wir wirklich realistisch und nicht, wie es scheint (sic),idealistisch wären, würden wir keiner fremden Macht, die nicht unserer fester Verbündeter ist, und in die wir kein absolutes Vertrauen haben, erlauben, atomare Waffen herzustellen oder zu besitzen. Wenn solch ein Land begänne, Atomwaffen herzustellen, würden wir seine Kapazitäten zu ihrer Herstellung zerstören, bevor es weit genug fortgeschritten wäre, uns zu bedrohen.“ Während der sechzig Jahre seit dieser Aussage durchlief die US-Politik eine Reihe von Veränderungen, aber die von General Groves skizzierte monopolistische Doktrin bildete immer ihre Grundlage, und unter George W. Bush ist sie tatsächliche US-Politik geworden. Während des Kalten Krieges wurde die Anhäufung solch dreister Mengen nuklearer Waffenarsenale mit der Doktrin, die unter dem Kurzwort MAD (mutual assured destruction) bekannt wurde, begründet, d.h. gegenseitig zugesicherter Vernichtung; beide Seiten sollten über genügend Waffen verfügen, um die andere Seite noch nach einem Angriff zerstören zu können. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion war dieses Argument nicht länger stichhaltig. Dann kam die Abschaffung nuklearer Arsenale auf die internationale Tagesordnung. Im Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen wurden die Atomwaffenstaaten hierzu verpflichtet, unterzeichnet und ratifiziert durch die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten, die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China. Dies geschah jedoch nicht. Die Vereinigten Staaten entschieden, dass nukleare Arsenale, obgleich kleinere, gebraucht werden, um einen Angriff mit anderen Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Und die Strategie Bushs, die teilweise durch die Terrorangriffe des 11.September heraufbeschworen wurde, ging sogar noch weiter; sie machte Kernwaffen zu Mitteln, mit deren Hilfe man in der Welt Frieden zu schaffen glaubte. Entgegen vorhergehender Doktrinen, in denen nukleare Waffen als letzte Zuflucht angesehen wurden, drückt die Bush-Doktrin ein Vorgehen aus, das den Einsatz nuklearer Waffen in die konventionelle Kriegsplanung mit einbezieht. Nukleare Waffen sind nun zu einem normalen Teil der Militärstrategie geworden, die genau wie irgendein anderes hochexplosives Material in einem Konflikt zur Anwendung bereitstehen sollen. Dies ist eine bedeutende und gefährliche Veränderung in der gesamten Argumentation für Kernwaffen. Die Umsetzung dieser Politik hat schon begonnen. Die Vereinigten Staaten entwickeln einen neuen, nuklearen Sprengkopf von geringer Reichweite, aber in einer Form, die ihm eine hohe Kraft zur Durchdringung von Beton verleihen würde, eine »bunker-busting mini-nuke«(Bunker sprengende Mini-Nuklearwaffe),wie sie genannt wurde. Um den militärischen Autoritäten Vertrauen in die Leistung der neuen Waffe zu geben, muss sie getestet werden. Gegenwärtig existiert ein Vertrag, der das Testen von Nuklearwaffen verbietet, der Atomwaffen-Sperrvertrag, den die Vereinigten Staaten unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben. Wenn die USA die Tests wieder aufnehmen würden, wäre dies ein Signal für andere Atomwaffenmächte, das gleiche zu tun. China wird dann mit großer Sicherheit die Testversuche wieder aufnehmen. Nach der US-Entscheidung, ballistische Flugkörperabwehr zu entwickeln, würde China sich verwundbar fühlen, und wahrscheinlich versuchen, seine Verwundbarkeit durch Modernisierung und Aufstockung seines Nukleararsenals zu verringern. Andere Staaten mit Atomwaffen, wie Indien oder Pakistan, könnten die Gelegenheit nutzen und ihre Arsenale auf den neuesten Stand bringen. Die Gefahr eines neuen nuklearen Wettrüstens ist real. Die Situation ist unter der Nationalen Sicherheitsstrategie, die Präsident Bush eingeführt hat, noch gefährlicher geworden: „Um …feindliche Aktionen unserer Gegner zu vereiteln oder zu verhindern, werden die Vereinigten Staaten, wenn nötig, präventiv vorgehen.“ Die Gefahren dieser Politik können kaum genug betont werden. Wenn das militärisch mächtigste Land seine Bereitschaft zur präventiven Anwendung von Nuklearwaffen erklärt, könnten andere bald folgen. Der Konflikt um Taiwan stellt ein mögliches Szenario für einen atomaren Präventivschlag der Vereinigten Staaten dar. Sollte sich nämlich die taiwanesische Regierung dazu entschließen, ihre Unabhängigkeit zu erklären, würde dies unweigerlich zum Versuch einer militärischen Invasion seitens Chinas führen. Die USA, die sich zur Verteidigung der Integrität von Taiwan verpflichtet hat, wird sich dann möglicherweise für einen Präventivschlag entscheiden. Alles in allem hat die aggressive Politik der Vereinigten Staaten unter der Bush-Regierung auf internationaler Ebene zu einer bedrohlichen Lage geführt, insbesondere zu einer eminent gestiegenen Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen in kriegerischen Auseinandersetzungen.

Zehn Jahre nach Hiroshima, als wir das Ausmaß der Bedrohung, die durch die Erfindung der Atomwaffen entstanden war, erst richtig einzuschätzen begannen, versuchte eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Führung von Bertrand Russell und Albert Einstein, die Regierungen und die Öffentlichkeit zu warnen. Als die Situation in der Welt gegen Ende von Einsteins Leben zunehmend bedrohlicher wurde, konzentrierten sich seine Überlegungen immer mehr auf das Erreichen eines Weltregierungssystems. Er stellte es sich nicht als Ersatz für die bestehenden nationalen Regierungen vor, sondern eher als eine Institution mit einer ganz präzisen Zielsetzung: nämlich Kriege zu verhindern, indem alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, Auseinandersetzungen durch Verhandlungen zu lösen. Dieses Ziel erforderte jedoch von den einzelnen Regierungen auch die Bereitschaft zur Aufgabe eines Teils ihrer Souveränität – ein Schritt, für den sich Einstein vehement einsetzte.

In den frühen50er Jahren führte nach der Entwicklung der Wasserstoffbombe die große Sorge über die wachsende nukleare Bedrohung zu der Erklärung, die als Russell-Einstein-Manifest in die Geschichte einging. Die Unterstützung dieses Manifest war einer der letzten Taten in Einsteins Leben: „Wir sprechen hier nicht als Vertreter unserer Nationen, Kontinente oder Glaubensbekenntnisse, sondern als Mitglieder der menschlichen Rasse, deren Fortleben gefährdet ist.“ Und weiter: „Damit legen wir Ihnen die Frage vor, eine Frage von harter, unausweichlicher Grauenhaftigkeit: wollen wir die Menschenrasse oder den Krieg abschaffen?«1

Nun bin ich der einzige noch Lebende der insgesamt elf Unterzeichner des Russell-Einstein-Manifestes, und deshalb halte ich es für meine Pflicht – ja sogar für meine Mission – diese Frage auch weiterhin in der Öffentlichkeit zu stellen.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und all den daraus resultierenden Konsequenzen, und der Beendigung der ideologischen Konfrontation, der die Weltgemeinschaft polarisiert hat, ist die nukleare Bedrohung zwar etwas geringer geworden, nicht aber verschwunden. Die nuklearen Waffenarsenale wurden zwar verkleinert, doch werden immer noch genügend Sprengköpfe in äußerster Alarmbereitschaft gehalten, was zu vielen Millionen Todesopfern führen könnte, wenn diese absichtlich, aufgrund eines Fehlalarms oder durch ein sonstiges Missgeschick zum Abschuss gebracht würden.

Diese Gefahr wird weiter bestehen, solange es Kernwaffen gibt. Der während der Kubakrise amtierende amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara brachte diese Tatsache auf die einfache Formel: „Die unsichere Verbindung von Atomwaffen und menschlicher Fehlbarkeit wird zu einem gegenseitigen atomaren Angriff führen.“

Aber selbst wenn alle Massenvernichtungswaffen zerstört würden, wäre die Sicherheit der Menschheit nicht garantiert. Die Erfindung der Kernwaffen kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wir können das Wissen darüber, wie sie hergestellt werden, nicht mehr aus unserem Gedächtnis streichen. Sollte in der Zukunft irgendwann ein ernsthafter Konflikt zwischen den Großmächten entstehen, würde es bestimmt nicht lange dauern, bis die Atomwaffenarsenale wiederaufgebaut wären, und wir uns in einer ähnlichen Situation wie im Kalten Krieg wiederfänden. Darüber hinaus könnten zukünftige wissenschaftliche Fortschritte zur Erfindung neuer Massenvernichtungsmittel führen, die unter Umständen sogar noch zerstörerischer oder leichter verfügbar wären. Wir wissen bereits von den Fortschritten in der biologischen Kriegsführung, bei denen durch Genmanipulation einige »normale« Krankheitserreger in erschreckend bösartige Erreger umgewandelt werden können. Und es könnten noch ganz andere Mechanismen entwickelt werden.

Genauso wenig wie wir die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung vorhersehen können, können wir das Vernichtungspotenzial im Falle ihres militärischen Einsatzes vorhersagen. Alles, was wir mit Sicherheit sagen können ist, dass die Gefahr real ist. Die drohende Auslöschung der Menschheit hängt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Wir können nicht zulassen, dass den wunderbaren Ergebnissen von Milliarden Jahren der Evolution ein Ende gemacht wird. Wir sind unseren Vorfahren gegenüber verpflichtet, all den früheren Generationen, die uns unzählbare kulturelle Reichtümer, an denen wir uns erfreuen, hinterlassen haben. Es ist unsere heilige Pflicht, sie an die folgenden Generationen weiterzugeben. Der Fortbestand der menschlichen Spezies muss gewährleistet werden. Wir sind der Menschheit verpflichtet.

Es ist wichtig, dass wir ein Übereinkommen zur Vernichtung der derzeit bekannten Massenvernichtungswaffen erlangen, weil damit eine unmittelbare Gefahrenquelle beseitigt würde; doch auf lange Sicht reicht dies nicht aus. Um die Zukunft der Menschheit zu sichern, müssen wir nicht nur die Mittel zur Kriegsführung aus der Welt schaffen, sondern den Krieg als solches. Solange der Krieg eine anerkannte Institution ist, solange Konflikte durch das Zurückgreifen auf militärische Konfrontation gelöst werden, solange besteht auch die Gefahr, dass sich ein Krieg, der als lokaler Konflikt, beispielsweise um Kaschmir, beginnt, zu einem weltweiten Krieg, bei dem auch Massenvernichtungswaffen zum Einsatz gelangen, ausweitet.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dies jederzeit ereignen könnte, mag nur sehr gering sein, aber weil die Folgen – sollte es wirklich passieren – so erheblich sind, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um dieses Risiko auszuschließen. Im Atomzeitalter können wir Krieg, und zwar jeden Krieg, nicht länger zulassen. Da die Zukunft der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht, wird dies zu einer Angelegenheit, die jeden von uns betrifft. Eine Welt ohne Krieg ist zu einer dringenden Notwendigkeit geworden; dies zu erreichen muss unser unerschütterliches Ziel werden.

Dies führt mich zu der eingangs gestellten zweiten Frage dieses Aufsatzes: Ist eine Welt ohne Krieg überhaupt denkbar?

Für viele Menschen ist die Idee einer Welt ohne Krieg eine abstruse Vorstellung, gleich einem abwegigen und unerfüllbaren Traum. Selbst diejenigen, die bereit sind, der Idee einer Welt ohne Kernwaffen zuzustimmen, halten eine Welt ohne jegliche nationale Bewaffnung für nicht umsetzbar.

Derlei Einstellungen sind nicht überraschend, wenn man berücksichtigt, dass die zivilisierte Gesellschaft seit alters her von der folgenden römischen Maxime beherrscht wird: Si vis pacem para bellum – Willst du Frieden, rüste dich zum Krieg. Diesem Grundsatz haben wir Rechnung getragen, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass in der gesamten Geschichte Kriegsvorbereitungen nie zum Frieden, sondern immer zum Krieg geführt haben.

Im Zeitalter der alles vernichtenden Waffen scheint sich die Devise geändert zu haben in: Si vis pacem para armas – Wenn du Frieden willst, sei bis an die Zähne bewaffnet. Dementsprechend häuften beide Supermächte zur Friedenserhaltung große Kernwaffenarsenale an, und diese Strategie setzt sich nun mit dem Verbleib nur einer Supermacht fort.

Seit den Anfängen unserer Zivilisation wurde diese teuflische Grundidee, nach der wir, um Frieden zu haben, uns auf den Krieg vorbereitet müssten, tief in uns verwurzelt; und zwar so tief, dass wir schon begonnen haben zu glauben, Krieg führen sei ein Teil unserer natürlichen Veranlagung.

Uns wird gesagt, dass wir biologisch auf Aggression programmiert sind – dass Krieg in unseren Genen steckt. Als Wissenschaftler weise ich diese These zurück. Ich kenne keinen Beweis dafür, dass Aggressivität genetisch in unserem Verhalten verankert ist. Eine Expertengruppe, die sich unter der Federführung der UNESCO in Sevilla getroffen hatte, kam zu dem Schluss: „Aus wissenschaftlicher Sicht ist es falsch zu sagen, dass der Krieg oder irgendein anderes gewalttätiges Verhalten in der menschlichen Natur genetisch vorprogrammiert ist.“

Unter den rauen Bedingungen, in denen der primitive Mensch in der fernen Vergangenheit lebte, musste er oft töten um zu überleben, im Wettbewerb um Nahrung oder um eine Partnerin. Aus denselben Gründen töteten in späteren Zeiten, nachdem sich erste menschliche Gemeinschaften gebildet hatten, Gruppen von Menschen andere Gruppen von Menschen; und so wurde der Krieg zu einem Teil unserer Kultur.

Nun aber ist dies nicht länger notwendig. Größtenteils dank der Fortschritte in Wissenschaft und Technologie, sollte eigentlich nicht mehr die Notwendigkeit bestehen, dass sich die Menschen des Überlebens wegen gegenseitig töten. Bei richtiger Bewirtschaftung und gleichmäßiger Verteilung würden – trotz der hohen Zuwachsraten der Weltbevölkerung – ausreichend Nahrungsmittel und andere zum Leben notwendige Dinge für jeden vorhanden sein. Problematisch ist natürlich, dass andere Faktoren, wie Habgier, ins Spiel kommen und dazu führen, dass die Ressourcen nicht gerecht verteilt werden; und deswegen hungern immer noch viele Menschen, und viele Kinder sterben immer noch aufgrund von Unterernährung.

Wir haben also noch viel zu tun, bevor die Möglichkeiten zur Beseitigung der Kriegsursachen in die Realität umgesetzt werden können. Selbst wenn wir dies nicht bewusst tun, bewegen wir uns dennoch hin zu einer Welt ohne Krieg. Wir lernen aus der Geschichte.

Während der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren Frankreich und Deutschland Todfeinde. Die Bürger dieser Länder – und viele andere – wurden millionenfach abgeschlachtet. Heutzutage aber scheint ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland unvorstellbar. Dasselbe gilt auch für die anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union.

Über eine Vielzahl von Streitfragen gibt es immer noch Auseinandersetzungen, doch werden diese durch Verhandlungen, durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen, beigelegt. Die Mitglieder der Europäischen Union haben gelernt, ihre Probleme anders als durch militärische Konfrontationen zu lösen. Dasselbe beginnt sich auch schon auf anderen Kontinenten abzuzeichnen.

Ein Rückgang der Zahl an Militärregimen ist beobachtbar; immer mehr Länder werden zu Demokratien. Trotz des schrecklichen Blutvergießens der vergangenen Jahre – dem auf Stammesfehden beruhenden Völkermord in Ruanda, den ethnischen Säuberungen in Bosnien und im Kosovo, den Nachwirkungen des Krieges im Irak – vermindert sich die Zahl der internationalen Kriege. Auch wenn dies nicht auf Terroristen, die eine vollkommene Missachtung der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens demonstrieren, zu zutreffen scheint: allmählich begreifen wir die Sinnlosigkeit von Krieg und die völlige Nutzlosigkeit des gegenseitigen Tötens.

Wie dem auch sei, damit das Konzept einer Welt ohne Krieg allgemeine Anerkennung findet und auch bewusst umgesetzt wird, in dem man das Führen von Kriegen grundsätzlich für ungesetzlich erklärt, ist auf allen Ebenen ein Erziehungsprozess erforderlich: Erziehung zum Frieden und Erziehung zur Weltbürgerschaft. Wir müssen die Kultur, in der wir erzogen wurden, die Lehre vom Krieg als integralem Bestandteil der menschlichen Gesellschaft, an der Wurzel bekämpfen. Wir müssen unsere Denkweise, welche die Sicherheit der eigenen Nation in Begriffen sucht, die für andere mit Unsicherheit gleichzusetzen sind, verändern. Wir müssen den alten römischen Grundsatz durch einen für das Überleben im dritten Jahrtausend unverzichtbaren ersetzen: Si vis pacem para pacem -Wenn du Frieden willst, dann bereite den Frieden vor.

Dazu müssen Anstrengungen in zwei Richtungen unternommen werden: zum einen – eine neue Betrachtungsweise von Sicherheit im Sinne weltweiter Sicherheit; zum anderen – die Entwicklung und Erhaltung einer neuen Loyalität, einer Loyalität gegenüber der Menschheit.

Im Hinblick auf die Weltsicherheit liegt das Hauptproblem sowohl in der Verhinderung konventioneller Kriege zwischen einzelnen Staaten, als auch in der Unterbindung des Einsatzes von Waffengewalt durch Regierungen zur Beseitigung innerstaatlicher Konflikte. Dazu bedarf es einiger Einschränkungen der Souveränität der Staaten und möglicherweise auch einer Änderung der UN-Charta, die ja auf der Idee souveräner Nationalstaaten aufbaut.

Für die meisten Menschen ist der Verzicht auf Unabhängigkeit nicht sehr erstrebenswert, doch werden Hoheitsrechte, hervorgerufen durch die stetig wachsende Verflechtung der Staaten der heutigen Zeit, ständig abgetreten. Jeder internationale Vertrag, den wir unterzeichnen, jedes Zollabkommen oder jede andere Vereinbarung wirtschaftlicher Maßnahmen, die wir abschließen, stellt einen Souveränitätsverzicht zugunsten des allgemeinen Interesses der Weltgemeinschaft dar.

Dieser Gleichung müssen wir nun noch den Schutz der Menschheit hinzufügen. Es ist ein schwieriges Problem, doch es muss angesprochen werden: Eine der Hauptaufgaben des Nationalstaates liegt darin, die Sicherheit seiner Bürger gegenüber Bedrohungen durch andere Staaten zu gewährleisten, und dies meint im allgemeinen Verständnis vor allem die Fähigkeit, Kriege zu führen. Im Bezug darauf muss sich die Einstellung ändern: Der Begriff der »Souveränität« muss getrennt werden von und ersetzt werden durch den Begriff der »Autonomie«.

Insbesondere muss das Recht der Staaten auf Kriegsführung beschnitten werden. Das bedeutet konkret: keine nationalen Militärstreitkräfte, sondern eine einzige legale weltweite Gewalt, die mit einer Art Polizeivollmacht versehen und einer globalen Befehlsgewalt unterstellt ist. Eine Art Weltregierung – so wie sie von Albert Einstein gefordert wurde – scheint somit die notwendige Konsequenz aus einer Weiterentwicklung der Vereinten Nationen zu sein. Auf dem Weg dorthin müssen wir vor allem für Loyalität der Menschheit gegenüber sorgen. Als Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft hat jeder von uns gegenüber den Gruppen, in denen wir leben, Loyalität entwickelt.

Im Verlauf der Geschichte haben wir unsere Loyalität allmählich auf immer größere Gruppen ausgedehnt: von unserer Familie auf unsere Nachbarn, unser Dorf, unsere Stadt, unser Land. Ich sollte betonen, dass die Loyalität gegenüber einer größeren Gruppe einen Zu- und keinen Ersatz für die Loyalität gegenüber einer kleineren Gruppe darstellt. Derzeit stellt die größte Gruppe unser Land dar. Im Moment endet damit unsere Loyalität. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Zeit reif ist für die Loyalität zu einer anderen, noch größeren Gruppe: Wir müssen Loyalität gegenüber der gesamten Menschheit entfalten und aufrecht erhalten.

Zunehmend verbessern sich die Aussichten auf Loyalität gegenüber der gesamten Menschheit aufgrund der steigenden gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Staaten, und zwar nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch in sozialen und kulturellen Angelegenheiten; eine durch die Fortschritte von Wissenschaft und Technik und insbesondere durch den Fortschritt auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologie hervorgerufene Vernetzung; die fantastischen Fortschritte in den Bereichen Transportwesen, Kommunikation und Information, die im 20.Jahrhundert aufgekommen sind und deren Zeuge ich mein ganzes Leben lang gewesen bin.

Von besonderer Bedeutung ist der Fortschritt in der Informationstechnologie mit all ihren Ausformungen. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, mit Menschen aus aller Welt zu kommunizieren. Es verschafft uns Zugang zu einer unendlichen Menge an Information, und die Mittel, unsere eigenen Kenntnisse und Ideen bei zusteuern. Die Informationstechnologie hat wahrlich damit begonnen, unsere Welt in ein globales Dorf zu verwandeln: wir kennen einander; wir machen untereinander Geschäfte; wir sind voneinander abhängig; wir versuchen uns gegenseitig zu helfen. Wir werden zwangsläufig zu Weltbürgern.

Ich begrüße die grandiosen Fortschritte auf den Gebieten der Kommunikation und der Information als mächtige Einflussfaktoren gegen Streit und Krieg, weil sie den Menschen neue Mittel an die Hand geben, sich gegenseitig kennen zu lernen und dadurch einen Sinn für die Zugehörigkeit zur gesamten Weltgemeinschaft zu entwickeln.

Sowohl die positiven als auch die negativen Einsatzmöglichkeiten von Wissenschaft und Technik haben die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit dazu geschaffen, die Idee einer Weltregierung, wie sie von Einstein gefordert wurde, weiter zu entwickeln. Es besteht der Bedarf nach einem Wandel in der Erziehung, die unsere Loyalität gegenüber der gesamten Menschheit klar zum Ausdruck bringt; die menschliche Spezies muss erhalten und die Fortdauer unserer Zivilisation gewährleistet werden. Im Laufe vieler Jahrtausende hat der Mensch eine großartige Zivilisation geschaffen; er hat eine reiche und vielfältige Kultur geschaffen; er hat riesige Schätze der Kunst und Literatur angesammelt; und er hat das prächtige Gebäude der Wissenschaft errichtet. Es ist in der Tat die größte Ironie, dass gerade mit den intellektuellen Errungenschaften der Menschheit gleichzeitig die Werkzeuge zur Selbstzerstörung geschaffen wurden, und das in einem Gesellschaftssystem, das eine solche Zerstörung bereits in Erwägung zieht.

Natürlich dürfen wir nicht zulassen, dass dies passiert. Als menschliche Wesen ist es unserer oberste Pflicht, menschliches Leben zu erhalten und den Fortbestand der Spezies Mensch zu gewährleisten. Ein nuklearer Holocaust scheint uns im Moment nicht bevor zustehen. Während wir dem im Kalten Krieg verschiedentlich sehr nahe waren, sind wir nun etwas vorsichtiger geworden. Doch Krieg ist immer noch eine anerkannte Institution, und jeder Krieg trägt das Potential einer Eskalation mit fatalen Konsequenzen für unsere Spezies in sich.

In einer Welt, die sich mit Massenvernichtungswaffen rüstet, deren Gebrauch das Ende der gesamten Zivilisation bedeuten könnte, können wir uns eine polarisierte Gesellschaft, mit der damit verbundenen Bedrohung durch militärische Konfrontationen, nicht leisten. In der jetzigen wissenschaftlichen Ära ist eine weltweit gleichberechtigte Gesellschaft, der wir alle als Weltbürger angehören, zu einer Lebensnotwendigkeit geworden. Im diesjährigen »Einstein-Jahr«, in welchem wir die großen Entdeckungen würdigen, die Einstein zu Beginn seines Wissenschaftlerlebens machte, sollten wir gleichzeitig seiner Bestrebungen am Ende seines Lebens gedenken, nämlich eine Welt ohne Krieg erschaffen.

Anmerkungen

1) Einstein: Über den Frieden, Melzer Verlag 2004, S. 628f.

Wissenschaft für den Frieden

von Jürgen Scheffran

Das Ende des Zweiten Weltkrieges markiert einen Einschnitt in der deutschen Wissenschaftsgeschichte und war für viele WissenschaftlerInnen auch eine persönliche Zäsur. Eine große Zahl von Forschern und Ingenieuren war unter dem Nazi-Regime massiv am Krieg beteiligt und an den begangenen Verbrechen mitschuldig geworden. Während die am V2-Raketenprogramm beteiligten deutschen Ingenieure den Supermächten USA und UdSSR beim Aufbau ihrer Raketenentwicklung halfen und dafür zu neuen fragwürdigen Ehren kamen, hatten die am deutschen Atomwaffenprogramm beteiligten Physiker ein anderes Schicksal. Im Vergleich zu ihren Konkurrenten im Manhattan-Projekt der USA hatten sie »versagt«, entweder absichtlich, wie Werner Heisenberg später suggerierte, um Hitler die Bombe zu verweigern, oder aufgrund von physikalischen Fehlkalkulationen und mangelnder Ausrüstung. Ihre Kasernierung in Farmhall zum Kriegsende brachte nicht die ganze Wahrheit ans Tageslicht, machte aber den Zwiespalt und die Gewissensnöte einiger Atomforscher deutlich. Nach dem Krieg konnten sie unter Einschränkungen ihre Arbeit fortsetzen, in der Hoffnung, die Spaltung des Atoms könne nunmehr für »friedliche« Zwecke eingesetzt werden, wie es damals unschuldig hieß.

In den fünfziger Jahren tobte der Kalte Krieg, die nukleare Hochrüstung bedrohte den Frieden und das Leben auf der Erde. Eine Reihe prominenter WissenschaftlerInnen engagierte sich gegen die wachsende Kriegsgefahr, unter ihnen auch Bertrand Russell und Albert Einstein. Das nach ihnen benannte und am 9. Juli 1955 veröffentlichte Manifest warnte in entschiedenen Worten vor einer nuklearen Katastrophe und forderte nachhaltige Lösungen zu ihrer Vermeidung. „Wir können nur unablässig immer und immer wieder warnen; wir können in unserem Bemühen nicht erlahmen, den Völkern der Welt, zumal ihren Regierungen, das unerhörte Unglück bewusst zu machen, das sie mit aller Bestimmtheit heraufbeschwören, wenn sie ihre Haltung gegeneinander und ihre Auffassung von der Zukunft nicht grundlegend ändern.“ Die Mitunterzeichner, unter ihnen Joseph Rotblat, der sich 1944 aus dem Manhattan-Projekt zurück gezogen hatte, gründeten 1957 die internationale Pugwash-Bewegung. Pugwash nutzte die wissenschaftlichen Kontakte zur Vermittlung im Ost-West-Konflikt und erhielt für seine Beiträge 1995 den Friedensnobelpreis, zusammen mit Rotblat.

Auch in Deutschland erkannten Wissenschaftler zunehmend ihre gesellschaftliche Verantwortung und traten an die Öffentlichkeit. Nur wenige Tage nach dem Russell-Einstein-Manifest verabschiedeten eine Reihe von Nobelpreisträgern, darunter Otto Hahn als einer der Mitinitiatoren, die »Mainauer Erklärung«, in der sie vor dem Missbrauch der Kernenergie warnten und sich gegen die atomare Aufrüstung wandten. Darin heißt es: „Wir sehen mit Entsetzen, dass eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu vernichten … Wir (halten) es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen Waffen den Krieg vermeiden … Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören zu existieren.“

Als die Adenauer-Regierung und der forsche Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß die Atombewaffnung der Bundeswehr ins Auge fassten, ernteten sie Widerspruch von der Atomelite. Am 12. April 1957 wurde die von Carl Friedrich von Weizsäcker initiierte Göttinger Erklärung veröffentlicht, in der sich 18 Atomforscher gegen eine deutsche atomare Aufrüstung aussprachen. Darin erklären sie: „unsere Tätigkeit, die der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zuführen, belädt uns aber mit einer Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit. Deshalb können wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen. … Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, dass es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“ Die Regierung diskreditierte die Wissenschaftler als »weltfremd«, aber das Presseecho war enorm und der Friedensbewegung kam die Erklärung recht. Aus der Initiative der Göttinger 18 ging die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler hervor, die international mit Pugwash verbunden ist. Mit dem Whistleblower-Preis ehrt die VDW seit Jahren WissenschaftlerInnen, die gefährlichen Entwicklungen entgegen treten und dafür persönliche Risiken in Kauf nehmen.

Ein Kristallisationspunkt der internationalen Wissenschaftler- und Friedensbewegung waren in den fünfziger und sechziger Jahren die Atomwaffentests, die die Umwelt mit Spaltprodukten radioaktiv verseuchten. In der Kampagne zum Stopp der Atomversuche spielte ein Wissenschaftler eine herausragende Rolle, der Chemiker und Mitunterzeichner des Russell-Einstein Manifests Linus Pauling, der mit einer Petition die gesundheitlichen Folgen des radioaktiven Fallouts in die Öffentlichkeit brachte. Der Erfolg der Kampagne zeigte sich mit dem Abkommen zum Verbot der Atomwaffenversuche in der Atmosphäre, unter Wasser und im Weltraum von 1963, während unterirdische Versuche weiter erlaubt blieben. Für seinen Beitrag wurde Pauling 1962 mit dem Friedensnobelpreis geehrt, nachdem er schon 1954 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte.

Die sechziger Jahre brachten auch eine Institutionalisierung der Friedensforschung mit sich, etwa durch die Gründung des Peace Research Institute Oslo (PRIO) oder des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). In Deutschland, auch im Kontext der Studentenbewegung, erfolgte die Etablierung im Gefolge der sozialliberalen Koalition durch die 1968 initiierte Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), die sich als Koordinierungsstelle der FriedensforscherInnen verstand, und die 1970 gegründete Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK), die eine staatliche Förderung der Friedensforschung möglich machte. Im weiteren entstanden unter anderem die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Auch naturwissenschaftliche Fragestellungen fanden Eingang in die friedenswissenschaftliche Diskussion, besonders in dem durch von Weizsäcker geleiteten Starnberger Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Mit der 1971 erschienenen Studie »Kriegsfolgen – Kriegsverhütung« wurden wissenschaftliche Maßstäbe für die Untersuchung der Atomkriegsfolgen gesetzt.

Naturwissenschaftlich-technische Aspekte erlangten wachsende Aufmerksamkeit Anfang der achtziger Jahre, als der Hochrüstungskurs der Reagan-Regierung weltweit und die Nachrüstungsdebatte in Europa die Menschen bewegte. Angestoßen durch die Friedensbewegung, die im Krefelder Appell und in immer größer werdenden Demonstrationen ihren Ausdruck fand, befassten sich Studierende und WissenschaftlerInnen mit den Wechselwirkungen der Wissenschaft mit Krieg und Frieden. An vielen Universitäten fanden Seminare und Ringvorlesungen statt (so das Seminar Physik und Rüstung am Fachbereich Physik der Uni Marburg, das mich persönlich prägte). Neben dem regen Austausch studentischer Friedensgruppen, die sich mehrfach bundesweit trafen, bot das in Münster gegründete Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung einen Rahmen für Engagement.

Ein Kristallisationspunkt aller naturwissenschaftlich orientierten Aktivitäten war der Mainzer Kongress »Verantwortung für den Frieden« am 2./3. Juli 1983 und die dort vorgelegte Erklärung der Mainzer 23, die ein großes Medienecho fand. In der Erklärung heißt es: „In dieser uns existenzbedrohenden Situation fordern wir wie viele uns freundschaftlich verbundene Kollegen aus den USA von den Regierungen aller Nuklearmächte das sofortige Einfrieren der atomaren Rüstung in Ost und West.“ Die in Mainz versammelten 3.000 Teilnehmer diskutierten die gesamte Themenpalette: Pershing-2, SS-20 und Cruise Missile, Raketenzielgenauigkeit, Erstschlag, Atomwaffentests, Atomkriegsfolgen, chemische und biologische Waffen, Weltraumrüstung, Rüstungsforschung, Ambivalenz und Dual-use, Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Der Mainzer Kongress war Ausdruck des Engagements von WissenschaftlerInnen und zugleich der Startschuss für eine Vielzahl weiterer Aktivitäten. Ein wichtiger Aspekt war die Darstellung und Verbreitung komplizierter rüstungstechnischer Zusammenhänge, etwa durch eine zehntausendfach verteilte SDI-Broschüre, die Serie der Wandzeitungen zur Rüstungsforschung oder den im Umfeld des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi) 1983 gegründeten »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden«, der naturwissenschaftlichen Friedensthemen einen großen Spielraum einräumte. Aus den Mainzer 23 und dem Münsteraner Forum ging die Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für den Frieden (heute »…für Frieden und Zukunftsfähigkeit«) hervor, die durch zahlreiche Konferenzen das Friedensengagement in Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik trug. Beim Göttinger Kongress gegen die Weltraumrüstung in Juli 1984 wurde ein Vertragsentwurf zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums vorgestellt, der Gegenstand einer Bundestagsdebatte war. Im Zuge der Debatte über das SDI-Programm fand eine wachsende Internationalisierung statt, insbesondere durch den Hamburger Kongress »Ways Out of the Arms Race« 1986, bei dem mehr als 4.000 Teilnehmer eine transatlantische Satellitenkonferenz verfolgen konnten.

Zugleich erfolgte eine zunehmende Professionalisierung der jüngeren NaturwissenschaftlerInnen, die nach dem Studium Beiträge zur Friedenswissenschaft leisten wollten. Förderlich dabei war das Stipendienprogramm der Volkswagenstiftung zur Rüstungskontrolle, das Nachwuchs in die Friedensforschung brachte. Einigen wurde es so möglich, an naturwissenschaftlich-mathematischen Fachbereichen zu damit verbundenen Themen zu promovieren. Ab 1988 wurde daraus ein Programm zur Förderung von Forschungsgruppen. Daraus entstanden die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt, das Center for Science and International Security (CENSIS) an der Uni Hamburg, das Schleswig-Holsteinische Institut für Friedenswissenschaften (SCHIFF) in Kiel und das Bochumer Verifikationsprojekt. Sie gründeten Mitte der neunziger Jahre den Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS). Die FONAS-Fachgespräche boten eine geeignete Platform, wissenschaftliche Expertise an politische Entscheidungsträger zu vermitteln, und durch den Arbeitskreis Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft wurde die Etablierung innerhalb einer großen Fachgesellschaft möglich. Ein Schwerpunkt der letzten Jahre war das Rahmenprojekt zur präventiven Rüstungskontrolle.

Die neunziger Jahre brachten auch die Gründung des International Network of Engineers and Scientists For Global Responsibility (INES) mit sich, das beim Berliner Kongress 1991 die neu gewonnene Einheit auch der wissenschaftlichen Gemeinschaft repräsentierte. Neben der Euphorie über die mögliche Friedensdividende waren auch neue Besorgnisse über Krieg und Waffenverbreitung zu hören (Golfkrieg). Es war wichtig, dass im Gefolge des Erdgipfels von Rio das Thema nachhaltige Entwicklung an Bedeutung gewann (was etwa beim INES-Kongress in Amsterdam 1996 im Vordergrund stand), aber zunehmend drängten wieder klassische Friedensthemen nach vorne. Das 1993 gegründete International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) propagierte mit seinem in New York 1995 vorgestellten Bericht (unter Mitwirkung von Joseph Rotblat) die kernwaffenfreie Welt, ein Ziel, das auch heute aktuell bleibt, trotz der in den Weltraum reichenden Hochrüstungspläne der Bush-Regierung. Dass andere globale Risiken im Energie- und Umweltbereich zunehmend zur Ursache von Unsicherheit und Konflikten werden können, zeigt nicht zuletzt die von Menschen mit verursachte Katastrophe durch den Hurrikan Katrina im Süden der USA.

Für die Zukunft wird es darauf ankommen, jüngere KollegInnen für friedenswissenschaftliche Themen zu gewinnen und zu fördern. Eine wichtige Voraussetzung wurde durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) geschaffen, auch wenn der Förderumfang begrenzt ist. Um das Interesse zu wecken, spielt die Lehre eine wichtige Rolle. Neben den zahlreichen Lehrveranstaltungen der letzten Jahre seien hier beispielhaft die Masterstudiengänge des Marburger Zentrums für Konfliktforschung und an der Universität Hamburg zu nennen. Die Einrichtung der von der DSF geförderten Weizsäcker-Stiftungsprofessur für Naturwissenschaft und Friedensforschung an der Universität Hamburg ist dazu gedacht, die Integration von naturwissenschaftlich-orientierter Friedenswissenschaft und -lehre zu verstärken. Ein Hauptanliegen bleibt die Einbettung der fachlichen Kompetenz in die Verantwortung der Wissenschaft für die gesellschaftlichen Folgen und die Sicherung des Friedens, in der Tradition von Einstein, Rotblat und Pauling. Wissen ohne Verantwortung bleibt ebenso problematisch wie Verantwortung ohne Wissen.

Dr. Jürgen Scheffran ist Mitglied des Redaktionsteams von W&F. Er arbeitet als Senior Research Scientist im Program in Arms Control, Disarmament and International Security (ACDIS) an der University of Illinois/USA.

Whistleblower

Missstände aufdecken und enthüllen

von Armin Tenner

Am 21.11.2003 wurde in Berlin dem Amerikaner David Ellsberg der zweijährliche »Whistleblower-Preis« verliehen, ein Preis der von der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA), der Ethikschutz-Initiative und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) vergeben wurde.

Ellsberg hatte sich verdient gemacht, indem er geheime Dokumente des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten, die sogenannten Pentagon-Papers an die Presse freigab und damit dem amerikanischen Volk eine Einsicht in die wahren Verhältnisse des Vietnam-Kriegs bot. Die von Nixon und seiner Regierung veranlassten Verfolgungsmaßnahmen richteten sich nicht nur gegen Ellsberg selbst, sondern auch gegen die amerikanische Presse, die die Pentagon-Papers vollständig veröffentlichte. Ellsbergs Enthüllungen führten damals zu öffentlichem Widerstand gegen die Regierungspolitik und hatten wesentlichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges.

Die feierliche Würdigung eines Whistleblowers ist nicht allein dazu bestimmt, dem Betreffenden zu huldigen, sondern soll sich auch, der – besonders auch in Deutschland – verbreiteten Ansicht entgenstellen, Whistleblower seien Leute fraglicher Gesinnung, da sie gegen die von ihrer Obrigkeit bedingten Regeln rebellieren.

Das erste Kriterium, das laut Verleihungsbeschluss bei der Preisverleihung Ellsbergs inachtgenommen wurde, lautet:

„Brisante Enthüllung (reveiling wrongdoing …) Ein/e Whistleblower/in deckt in seinem Arbeitsumfeld oder Wirkungskreis gravierendes Fehlverhalten, schwerwiegende Missstände oder Fehlentwicklungen auf, die mit erheblichen Gefahren oder Risiken für Leben, Gesundheit, die nachhaltige Sicherung und Entwicklung der Ökosysteme, die Demokratie oder das friedliche Zusammenleben der Menschen verbunden sind oder jedenfalls verbunden sein können. Sein/ihr Verhalten kann auch darin bestehen, dass er/sie eine (weitere) Mitwirkung oder Mitarbeit an dem in Rede stehenden Projekt oder Vorhaben, zu der er/sie vertraglich oder gesetzlich an sich verpflichtet ist, ablehnt und dadurch den Sachverhalt öffentlich macht.“

Wir können diesen Text als eine Definition des Whistleblowers auffassen.

Es gibt Whistleblower ganz verschiedener Art. Es gibt solche, die Erkennen, dass ihre eigene Arbeit zur Katastrophe führen kann und dann in der Öffentlichkeit dagegen warnen. Ein solcher Fall war Mordechai Vanunu, der nach seinem Austritt aus israelischem Dienst das israelische Kernwaffenprojekt bekanntmachte. Nach seiner staatskriminellen Entführung aus Italien hat er seine achtzehn Jahre im Gefängnis verbracht und wird noch nach seiner Freilassung von den Behörden schikaniert.

Es gibt andere, die einen Missstand in die Öffentlichkeit bringen wobei sie weder eine Beziehung zur Tat noch ein Arbeitsverhältnis mit dem Täter haben. Ein solcher Fall war Grigory Pasko, der als Journalist Videoaufnahmen der russischen Flotte machte, als sie im Japanischen Meer Atommüll über Bord setzte. Er wurde wegen Hochverrat verurteilt, obwohl das Vergehen der Marine schon früher aus anderer Quelle bekannt war. Er hatte mit seiner Bildreportage eben nur das russische Militär in eine peinliche Lage versetzt.

Auf dem Whistleblower-Kongress in Starnberg, September 2003, trat der Jurist Erich Schöndorf auf, dessen aufschlussreiche Erlebnisse ein trübes Licht auf die innere Struktur der deutschen Rechtspflege werfen. Er wollte eine Firma verfolgen, die ein gesundheitsschädliches Holzschutzmittel herstellte, aber offenbar gute Beziehungen zu der oberen Staatsanwaltschaft hatte. Schöndorf bekam den Auftrag, das Verfahren einzustellen (eine Vorschrift für den Angestellten, das zu unterlassen wozu er angestellt war). Als er sich weigerte, kam es zum Zusammenstoß mit seinen Vorgesetzten und den gebräuchlichen Drohungen. Zum Whistleblower wurde Schöndorf, als er Ermittlungsergebnisse an die Presse weitergab. Er wechselte später den Beruf und ist jetzt Professor in Frankfurt.

Wissenschaftler

Eine eigene Gruppe der Whistleblower bilden Wissenschaftler, die auf Grund der Veröffentlichung ihrer Untersuchungsergebnisse von ihrem Auftraggeber, dem Staat oder den Medien verfolgt werden. Klassische Beispiele sind Arpad Pusztai und Asaf Duracovic.

Der Fall von Arpad Pusztai fing mit der Erkenntnis der schottischen Science Advisory Unit an, dass von allen käuflichen genmanipulierten Nahrungsmitteln niemals die Unschädlichkeit für den Menschen untersucht oder bewiesen wurde. Arpad Pusztai vom Rowett Forschungsinstitut, einem staatlich subventionierten Laboratorium, wurde auserwählt eine Untersuchung an genmanipulierten Kartoffeln anzustellen. Mit seinem Miarbeiter Stanley Ewen stellte er erst fest, dass Marienkäfer von dem Produkt Schaden erlitten, dann fand er erheblichen Schaden bei Ratten. Als er sich mit diesen Ergebnissen an die Öffentlichkeit wandte, wurde er entlassen und es brach eine Hetze gegen ihn aus, an der sich nicht nur die Biotech-Industrie, die Presse, Minister, Regierungsberater und wissenschaftliche Gremien, sondern auch die Royal Society beteiligte. Es wurden seine Ergebnisse und seine Kompetenz bestritten und er wurde persönlich diffamiert. Später setzten sich vierundzwanzig unabhängige Wissenschaftler für ihn ein und seine Aussagen wurden anerkannt.

Asaf Duracovic, Militärarzt und Oberst der amerikanischen Armee, diente 1991 im Golfkrieg. Er stellte bei vier Mitgliedern der Militärpolizei, die im Irakkrieg gedient hatten, im Urin abgereichertes Uran fest. Es war die erste Beobachtung dieser Art und Duracovic brachte auch als Erster das Uran mit dem unter den Veteranen weitverbreiteten »Golfkriegs-Syndrom« in Verbindung. Seine Aussagen in der Öffentlichkeit führten zu seiner Entlassung aus dem Militärdienst und zu etlichen Morddrohungen. Er ist jetzt Leiter des »Uranium Medical Research Centre« (UMRC), mit Niederlassungen in Toronto und New York.

Ganz anders verläuft es bei Guillermo Eguiazu, Professor an der Universität von Rosario, Argentinien. Er wird nicht vom Staat verfolgt. Im Gegenteil, ein Regierungsgremium rechnet ihn zu den neunzehn besten Professoren des Landes. Er hat Arbeiten über toxikologische Untersuchungen an Insektiziden veröffentlicht und festgestellt, dass in Argentinien Agrargifte eingeführt werden, die in andern Ländern schon lange verboten sind. Seitdem wird er von seiner Universität gequält, da sie offenbar von der Importfirma der Agrargifte Unterstützung empfängt und auch sonst einen Kurs fahren will, der sich nicht um läppische Umweltfragen kümmert. Erst musste Eguiazu sein Laboratorium verlassen und in eine ehemalige Hühnerschlächterei umziehen, danach hat man ihm auch diese und sein ganzes Inventar abgenommen. Man hat sein Gehalt gekürzt und seinen Mitarbeiter entlassen. Briefe an den Präsidenten der Universität und an den argentinischen Staatspräsidenten haben noch nichts genützt.

Wissenschaftliche Whistleblower bilden eine separate Gruppe. Eine wissenschaftliche Untersuchung kann aus eigener Initiative des Wissenschaftlers oder im Auftrag eines Arbeitgebers, einer Universität, einer Privatgesellschaft oder eines Staatsorgans geschehen. Wesentlich für die Wissenschaft ist dabei immer, dass nach dem Ende der Untersuchung die Ergebnisse aufgezeichnet und veröffentlicht werden. Nur durch die Veröffentlichung können andere Untersucher mögliche Fehler und Ungenauigkeiten korrigieren, auf Unvollständigkeit hinweisen, Vergleichsversuche anstellen oder auf den Ergebnissen aufbauen. Die Wissenschaft kann ohne diese Regel nicht leben. Viele der wissenschaftlichen Errungenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts sind erst anerkannt worden, nachdem mindestens zwei unabhängige und möglichst verschiedene Exeperimente dasselbe Ergebnis geliefert hatten. Veröffentlichung der Ergebnisse ist für den Wissenschaftler eine Pflicht, es ist Teil seines Berufs. Whistleblower wird er dann, wenn seine Aussagen andern nicht gefällig sind, sie sich seiner Veröffentlichung widersetzen und dagegen Maßnahmen ergreifen. Es ist dieser Aspekt des wissenschaftlichen Whistleblowers, der in obiger Definition nicht enthalten ist.

Auch braucht der Wissenschaftler keinen Skandal entdeckt zu haben, das Untersuchungsergebnis braucht keine »brisante Enthüllung« zu sein; der Inhalt der Veröffentlichung kann recht unschuldig sein. Es gab einen Fall, wo ein Professor von einem Elektronikkonzern den Auftrag bekam, die gesundheitliche Gefährdung duch drahtlose Telefonapparate zu untersuchen. Die Ergebnisse waren recht unschuldig, führten aber auch nicht zur glatten Behauptung, das Telefon sei völlig ohne Gefahr. Der Auftraggeber hatte diese Behauptung erwartet, hatte doch deshalb den Wissenschaftler engagiert. Wo die Behauptung fehlte, nicht einmal hineingemogelt war, widersetzte er sich der Veröffentlichung. Der Konzern fürchtete, das Ergebnis könne eine öffentliche Diskussion auslösen, die den geschäftlichen Interessen nicht zugute kommen würde.

Schutzgesetze

Schutzgesetze für Whistleblower gibt es in den Vereinigten Staaten, in Südkorea, Südafrika, Neuseeland, und seit 1999 in England. Daneben gibt es eine UNO-Konvention gegen Korruption und die Zivilrechtskonvention des Europa-Rates, in denen einige Schutzbedingungen aufgenommen sind.

In den Vereinigten Staaten besteht u.A. das Occupational Safety and Health-Gesetz, das genau umschriebene Vergeltungsmaßnahmen gegen Whistleblower verbietet. Nach der Enthüllung der rezenten Finanzskandale ist diese Gesetzgebung noch geschärft worden. Die Schwierigkeit bei solchen Gesetzen ist natürlich, dass sie alte Gesetze und Vorschriften, die den Verrat von Staats- und Militärgeheimnissen strafbar machen oder Verschwiegenheit in Berufsangelegenheiten verlangen, nicht ohne weiteres beseitigen. Wie aus Fällen in den USA ersichtlich ist, werden auch heute noch Whistleblower auf Grund solcher Gesetze verfolgt oder gemaßregelt oder wird auf Umwegen ihre Tat als Diebstahl oder staatsfeindliches Vergehen gedeutet.

Ein wichtiges Institut in den Vereinigten Staaten ist das von dem Rechtsgelehrten Louis Clark geleitete Government Accountability Project (GAP), eine Whistleblower-Organisation. Sie beschäftigt sich einerseits mit der Instandhaltung und Erweiterung der bestehenden Gesetze, anderseits gibt sie individuellen Whistleblowern Rat und juristische Unterstützung und versucht in praktischen Fällen durch Vermittlung bestehende Probleme zu lösen. An erster Stelle steht jedoch immer das Bestreben, den Whistleblower in der Öffentlichkeit als einen Verteidiger des allgemeinen Rechts darzustellen, ihn persönlich zu ermutigen und in seinem Ansehen zu stärken. Sowohl die Gesetzgebung als das Government Accountability Project haben eine mehr als 30-jährige Tradition.

Im Vereinigten Königreich ist 1999 das Public Interest Disclosure-Gesetz verabschiedet worden, nachdem es schon seit 1993 eine von Guy Dehn geleitete Whistleblower-Organisation Public Concern at Work gegeben hat. Auch diese Organisation stellt die Verantwortung des Arbeitnehmers zentral und fordert eine Kulturwende zur Anerkennung des Whistleblowertums.

Auf dem europäischen Kontinent stehen wir bei diesen Entwicklungen noch zurück. In den europäischen Ländern wird noch zu oft der Whistleblower als ein Feind der bestehenden Ordnung gesehen der Gesetze, Verordnungen und kontraktuelle Verpflichtungen, die ihn zur Geheimhaltung zwingen, missachtet. An der Spitze steht die Schweiz, wo sich der klassische Fall Stanley Adams gegen Hofmann La Roche abgespielt hat und wo sowohl der Wirtschaftsverband Economiesuisse als der Bundesrat haben verlauten lassen, ein Whistleblower-Schutzgesetz würde der Schweizer Ökonomie schaden. Einen Anstoß zum Whistleblower-Schutz gibt die Zivilrechtskonvention des Europa-Rates, die weitgehend ausgebaut werden müsste. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn ein anderes Land der Europäischen Union, zum Beispiel Deutschland, eine Gesetzgebung im Sinne der englischen einführen würde. Zusammen mit England könnte man dann die Erweiterung auf die gesamte Europäische Union in Angriff nehmen.

Wiederum für Wissenschaftler wird die Wichtigkeit des Whistleblowens betont. Der vor einigen Wochen verstorbene Nobelpreisträger Joseph Rotblat sagt in seiner Nobelrede 1995: „Whistleblowing should become part of the scientific ethos.“

Zwei in Genf ansässige Gruppen, Science and Conscience und Association for the Promotion of Scientific Accountable Behaviour, die von internationalen Fachverbänden unerstützt werden, eifern für die Aufnahme einer Gewissensklausel in alle Arbeitsverträgen von Wissenschaftlern und Ingenieuren.

Hilfe für Whistleblower

Es gibt in vielen Ländern Vereine und Stiftungen, die bemüht sind Whistleblowern zu helfen. Auf internationaler Ebene gibt die Projektgruppe INESPE vom International Network for Engineers and Scientists for Global Responsibility Whistleblowern moralische und finanzielle Unterstützung. Wir haben dadurch mit mehreren Whistleblowern engere Beziehungen angeknüpft.

Wo es sich um wissentschaftliche Whistleblower handelt, gibt es wieder ein besonderes Problem.

Es muss jedem Wissenschaftler erlaubt sein, sich zu irren oder bei seinen Untersuchungen einen Fehler zu machen. Es ist dann ebenso ungerecht wenn er von andern bedrängt und von seiner Behörde belangt wird, so dass er unserer Hilfe bedarf wie jeder andere. Das ist aber nur Theorie. In der Praxis muss jeder, der sich mit der persönlichen Unterstützung von Whistleblowern befasst, sich mit dem Wahrheitsgehalt seiner Behauptungen beschäftigen. Die eigene Reputation wird aufs Spiel gesetzt, wenn man ein falsches Ergebnis verteidigt oder womöglich einen unterstützt, der es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hat. Die Beurteilung einer wissenschaftlichen Arbeit wird dadurch stark erschwert, dass es ohnehin wenige Sachverständige gibt, die sie beurteilen können. Dazu kommt noch, dass die betreffenden Ergebnisse im Allgemeinen auch für die Experten ganz neu sind und noch nicht durch andere Untersuchungen bestätigt wurden.

Für viele Whistleblower sind ihre Tat und die darauf folgenden Anfeindungen und Verfolgungen ein Grund für bleibende Besorgnis und bleibenden Kummer, auch wenn sie wissen, dass sie völlig im Recht sind und ihre Tat nicht bereuen. Das ist der Fall bei Mark Felt, der als hoher Polizeibeamter den Watergate-Skandal aufdeckte und seine Rolle jahrelang verheimlicht hat. Es quählte ihn der Gedanke, dass er seinen Diensteid gebrochen hatte und er war um sein Ansehen und das seiner Familie besorgt. Traurig war der Fall von David Kelly, der den Irak-Schwindel von Tony Blair ans Licht brachte, und dessen Schicksal durch Selbstmord endete.

Dr. Armin Tenner, Professor em. für Physik an der Universität Amsterdam, Vorstandsmitglied des International Networks of Engineers and Scientists for Global Responsibility

Die Weltordnung neu denken

von Samir Amin

Die Vereinten Nationen wurden in der langen Phase der Harmonie zwischen Markt und Staat gegründet. Die Weltsicht, auf der sie aufbauen und die sie gleichzeitig zum Ausdruck bringen, beruht auf zwei grundsätzlich universalistischen Prinzipien: 1. der gleichberechtigten Souveränität der Staaten und 2. dem Polyzentrismus, das heißt, dem Prinzip der Verhandlung zwischen den Staaten, das teilweise darauf abzielt, dass diese ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Autonomie bewahren.

Der zweite Weltkrieg endete mit zwei Siegen, die den Kontext für die Gründung der UNO bildeten: dem Sieg der Demokratie über den Faschismus und dem Sieg der Völker Asiens und Afrikas über den Kolonialismus. Beide Siege waren grundlegend für die wirtschaftliche, soziale und politische Form von Verwaltungssystemen auf nationaler und internationaler Ebene. Es gab einen immensen sozialen Fortschritt.

Das doppelte Prinzip der nationalen Souveränität und des Polyzentrismus stellte sich als ein angemessenes Instrument für progressiven Wandel heraus. Auf politischer Ebene verhinderte es die gewaltsame Intervention, und auf der Ebene der wirtschaftlichen Verwaltung führte es das Verhandlungsprinzip ein. Obwohl diese erzielten Erfolge Anerkennung verdienen, waren die Zugeständnisse des Systems an die Demokratie doch rein rhetorisch. Trotzdem hat die Welt die UNO mit einer historisch einzigartigen und höchst wichtigen Mission betraut: der Sicherung des Friedens und der Verurteilung einer Dienstbarmachung des Krieges.

Die Vereinigten Staaten unterwanderten die UNO 1990/91 mit ihrer Entscheidung, ihrer Verantwortung bezüglich der Verwaltung des Polyzentrismus und der Garantie des Friedens nicht mehr durch multilaterale Institutionen nachzukommen. Ziel der USA war es, die Monroedoktrin auszuweiten, die ihnen letztlich das exklusive »Recht« gab, die Neue Weltordnung zu verwalten, einschließlich einer globalen militärischen Strategie, basierend auf dem, was sie als ihre nationalen Interessen definierten.

Konflikt und Harmonie zwischen Staat und Markt

Heutzutage hat der Kapitalismus seine progressive historische Rolle ausgeschöpft und uns nichts mehr zu bieten außer einer Tendenz zur Barbarei. Die große Aufgabe besteht darin, »über den Kapitalismus hinaus« zu denken und unsere Untersuchungen auf den Konflikt zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu fokussieren. Die dominanten Weltmächte (die dem dominanten globalen Kapital dienen) haben einen drakonischen Plan für die Zukunft und setzen ihn durch systematische, auch militärische, Gewalt durch.

Angesichts des zeitgenössischen Kapitalismus' besteht die Alternative darin, entweder zuzulassen, dass ausschließlich die »Marktwerte« die Sozialisierung auf jeder Ebene steuern oder Formen der Sozialisierung zu schaffen, die auf Demokratie beruhen. Dies betont den Konflikt zwischen der Logik der kapitalistischen Expansion und den sozialen Interessen. Um diese Krise zu managen, braucht der Kapitalismus eine politische Kraft, die in der Lage ist, seine barbarischen Bedürfnisse im Zaum zu halten. Ohne die Existenz eines Weltstaats, der nicht realistisch ist, werden die USA diese Rolle einnehmen. Damit eine Alternative umgesetzt werden kann, muss zuerst einmal der derzeitige Plan der USA und der Nato zunichte gemacht werden, die Welt militärisch zu kontrollieren. Dann ist ein Handeln an mehreren Fronten erforderlich.

Vorschläge für die politische Rolle der UNO

Volle Wiederherstellung der Verantwortlichkeiten der UNO, nämlich die Garantie für die Sicherheit der Völker (und Staaten), des Friedens und die Verhinderung von Aggressionen, unabhängig von deren Motiv. In diesem Zusammenhang ist es auch unabdingbar, die Deklarationen der USA, der NATO und der G7 zu verurteilen, durch die sie sich »Zuständigkeiten« aneignen, die ihnen nicht zustehen.

Die Wiederherstellung dieser großen Aufgabe der UNO muss mit der Reform ihrer institutionellen Struktur einhergehen. Die Rolle der Hauptversammlung muss gestärkt werden, die Transparenz der Resolutionen in Bezug auf die Handlungen des Sicherheitsrates könnte ein guter Ausgangspunkt für diese Überlegungen sein. Außerdem muss die absolute und exklusive Souveränität der Staaten durch die Souveränität der Völker ersetzt werden. Die Wiederherstellung der Rolle der UNO muss zu einem wirklichen Fortschritt bei der Lösung der großen Krisen unserer Zeit führen, einschließlich Israel und dem früheren Jugoslawien. Außerdem muss die UNO eine aktive Rolle in der Entwicklung eines umfassenden Abrüstungsplans übernehmen, der mit den Großmächten beginnen und den Rahmen und die Prozesse für zukünftige humanitäre Interventionen definieren muss. Auf ähnliche Weise muss die UNO eine führende kollektive Verantwortung bei der Definition des »Terrorismus« und des »Krieges gegen den Terrorismus« übernehmen.

Vorschläge für die Menschenrechte und die Entwicklung des Völkerrechts

Die öffentliche Meinung geht derzeit davon aus, dass jeder Mensch nicht nur dafür verantwortlich ist, was auf lokaler Ebene, sondern auch dafür, was auf globaler Ebene geschieht, wodurch das ältere Konzept der absoluten und exklusiven Souveränität des Staates auf den Prüfstand gestellt wird. Der Widerspruch zwischen dieser Form der Souveränität und den Menschenrechten kann nicht dadurch gelöst werden, dass eine der beiden dem Widerspruch zugrunde liegenden Bedingungen eliminiert wird, sondern nur, indem wirklicher Fortschritt in der Demokratisierung aller Gesellschaften erzielt wird.

Obwohl bestimmte Deklarationen, Abkommen und Konventionen bereits für einen Fortschritt bei der Erweiterung der Definition von Menschenrechten sorgen, muss der universale Rahmen der UNO genutzt werden, um Rechte durchzusetzen, die noch nicht vollständig anerkannt sind. Dazu gehören Rechte, die das Prinzip der Gleichheit zwischen den Geschlechtern festlegen sowie »kollektive« Rechte, die kulturelle, sprachliche, religiöse und andere »Identitäten« schützen. Es ist ein Fehler, die Bedeutung des Rechts zu unterschätzen. Die UNO muss zudem große Vorsicht bei der Definition internationalen Unternehmens- und Handelsrechts walten lassen, weil dieses Recht weder nationale Strategien noch die Grundrechte von Einzelpersonen oder Völkern außer Kraft setzen darf. Internationales Handelsrecht sollte durch transparente Diskussionen formuliert werden, die alle beteiligten Parteien zusammen bringt.

Vorschläge für das wirtschaftliche Management der Globalisierung

Die deregulierte Form der Globalisierung muss durch eine institutionalisierte globale Regulierung ersetzt werden, die nationale und regionale Regulierungen unterstützt und ergänzt. Die Auslandsschulden sind möglicherweise ein guter Ausgangspunkt für eine Debatte über die Rolle der UNO beim Management der Weltwirtschaft. Ein nächster Schritt wäre das globale Management von natürlichen Ressourcen, insbesondere von Wasser und Öl, bei denen die Alternative zur Rationalität des Marktes ein vernünftiges (nachhaltiges) und demokratisches Management ist. Auch ein System globaler Steuern auf natürliche Ressourcen müsste eingeführt werden.

Wenn die UNO wieder die volle Verantwortung für die Organisierung des Weltwirtschaftssystems erhält, bedeutet dies auch eine Neudefinition ihrer (a) internen Institutionen, der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und (b) ihrer externen Institutionen, der Welthandelsorganisation (WTO), des Internationalen Währungsfonds (IMF) und der Weltbank (WB).

Vorschläge zur Institutionalisierung der internationalen Justiz

Internationale Gerichtshöfe existieren bereits, aber ihre Wirksamkeit ist aufgrund von Zuständigkeitsbegrenzungen und Einflussnahme von außen extrem beschränkt. Daher muss es unsere erste Aufgabe sein, sie umfassend zu überprüfen. Wir müssen ein dreiteiliges System internationaler Gerichtshöfe erarbeiten. Die erste Gruppe könnte die politischen Aspekte der Globalisierung behandeln. Die zweite Gruppe die Rechte der Einzelpersonen und die von der UNO anerkannten Nationen stärken, und die dritte Gruppe könnte Streitigkeiten hinsichtlich des Handelsrechts behandeln.

Die vorliegenden Vorschläge sind sicher sehr ehrgeizig und es wird viel Zeit – und noch mehr Anstrengungen kosten – auch nur einige davon zu verwirklichen.

Samir Amin ist Direktor des Dritte Welt Forums, Dakar

Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Verantwortung – Frieden

Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Verantwortung – Frieden

Herausforderungen und Handlungsperspektiven

von Wolfgang Liebert

Vom 14.-16. Oktober 2005 fand in Berlin zum Ende des Einstein-Jahres die Internationale Friedenskonferenz »Einstein weiterdenken: Wissenschaft – Verantwortung – Frieden« statt, zu dem ein Trägerkreis bundesweit organisierter wissenschaftlicher NGOs eingeladen hatte.1 650 Gäste aus Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit diskutierten in neun Foren wissenschafts- und friedenspolitische Themenstellungen, die an Einsteins Engagement anknüpfen, aber auch die Problemstellungen für die heutige Zukunft darstellen. Im Folgenden wird das unter Federführung von Wolfgang Liebert entstandene Resümee der Foren in gekürzter Form abgedruckt.

Eine knappe Zusammenfassung der Diskussion in den neun – größtenteils parallelen – Foren ist angesichts der großen Vielfalt der dort vorgestellten Analysen und Perspektiven kaum möglich. Unter der Leitlinie, heutige Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten zu benennen, wird hier dennoch der Versuch unternommen, ein – Resümee zu ziehen.2 Die Sichtweise auf die vorgestellten Ergebnisse dieses zentralen Teils der Konferenz bleibt trotz intersubjektiver Verständigung darüber subjektiv geprägt.3

Wenn wir heute »Einstein weiterdenken« wollen, haben wir zu realisieren, dass die Welt und die Welt der Wissenschaft sich seit Einsteins Tod verändert haben. Die bipolare Welt der Blockkonfrontation ist verschwunden; der alte Kolonialismus ist überwunden. Heute gibt es Bemühungen, eine unipolare Welt mit hegemonialen Ansprüchen durchzusetzen, und die Gegenbemühung um eine multipolare Welt. Beides ist begleitet von tiefgreifenden Globalisierungsprozessen, unterfüttert durch ökonomische Kräfte und dominierende volks- und weltwirtschaftliche Konzepte, sowie einen ebenfalls tiefgreifenden wissenschaftlich-technologischen Wandel. Eine enorme Dynamik steckt dahinter. Lebenswirklichkeiten werden dadurch beeinflusst –teils auch uniformiert. Parallel dazu sind im weltweiten Maßstab Phänomene der Ungleichzeitigkeit und Ungerechtigkeit weiter gewachsen: mangelnde Entwicklungschancen und Bedrohung verstärkt durch globalisierte Ökonomie. Die Kosten für unsere natürliche Mitwelt sind weit deutlicher sichtbar und in den Auswirkungen spürbarer als zu Einsteins Zeiten. Ich nenne nur den menschlichen Dauerangriff auf die Böden, die Gewässer, die Luft, das pflanzliche und animalische Leben auf dem Planeten, den wir bewohnen.

Die Welt der Wissenschaft hat sich ebenfalls stark verändert. Dominierend ist nicht mehr das Bild reiner Grundlagenforschung – vom Typ der Arbeiten Einsteins, die sich dem Pathos der Wahrheitssuche und den wissenschaftsinternen Standards verpflichtet wissen konnten – und daneben die davon getrennt gedachte Anwendungsforschung. Wir leben heute weitgehend im Zeitalter von »Technoscience« – oder der »Technowissenschaft«–, wo Forschungshandeln und Technikentwicklung zunehmend amalgamieren. Technische und industrielle Anwendungen, technikgestützte Methoden, grundlagennahe Erkenntnis und die Nutzung bereits sedimentierten Wissens bedingen sich gegenseitig und gehen Hand in Hand. Versprechungen für Anwendungshorizonte, technische Problemlösungsangebote haben Vorrang vor theoretischer Arbeit. Notwendigerweise werden die lieb gewonnenen – aber doch eigentlich nur virtuellen – Grenzziehungen zwischen wissenschaftsinternen und wissenschaftsexternen Prozessen und Werthaltungen so durchlässig, dass weite Teile heutiger Forschung mitten in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse geraten oder geraten müssten. Auf der anderen Seite ist wissenschaftlich-technisches Know-how längst zur Kapitalressource geworden mit der Konsequenz, dass teilweise der öffentliche Zugang zum vorliegenden Wissen erschwert oder unmöglich wird, so wie wir es aus dem militärischen Bereich schon lange kennen.

(…) In den neun Foren der Tagung wurden wesentliche – sicher nicht alle – Herausforderungen diskutiert, die unter den Konferenzstichworten »Wissenschaft, Verantwortung, Frieden« subsumiert werden können.

In den letzten Jahren sind die weltweit gezählten, gewaltförmig ausgetragenen Konflikte und Kriege zahlenmäßig etwas zurückgegangen. Auch wenn die Kategorisierung zumeist nicht ganz einheitlich ausfällt: Es sind noch immer über 40. Die These wurde vertreten, dass Asymmetrien verschiedenster Art wesentliche Ursachen dieser Kriege und Konflikte sind. Spätestens seit der Zeitenwende 1989/90 ist die Hemmschwelle zu (militärischen) Interventionen von außen gesunken. Wenn immer wieder von der Notwendigkeit gesprochen wird, zu humanitären Interventionen mit oder ohne militärische Kräfte bereit zu sein, dann macht es Sinn, sich anzusehen, ob die dabei vorgegebenen humanitären Ziele erreichbar erscheinen. Auf der Konferenz vorgetragene Analysen äußern große Vorbehalte und Skepsis.

Die Interessen der starken, intervenierenden Staaten scheinen oft den vorgegebenen Sinn des Eingreifens zu verfehlen oder zu verkehren. So führt die zunehmend leitende Anti-Terrorpolitik zu unzureichenden und sehr eingeschränkten Prioritäten in den Zielländern, gerade auch was Nachkriegsaktivitäten angeht. Es geht vorrangig um die Stärkung staatlicher Autorität und Verwaltung mit dem Ziel der Grenzsicherung, der Kontrolle und Überwachung »zweifelhafter« Bevölkerungsteile etc. Auch nichtstaatliche Organisationen (NGOs) werden zunehmend in Strategien integriert, die eher der Bekämpfung von Aufständischen zu dienen scheinen – unabhängig davon, wo mögliche Konfliktursachen liegen könnten. Der Vorwurf wurde erhoben, dass hier post-koloniale Verhaltensweisen wiederkehren: kurzfristige Vorteile werden gesucht – auch im Falle nicht-militärischer Intervention – z.B. durch die Konzentration auf die Stärkung von oft nicht unproblematischer Regierungsgewalt, und häufig als verfehlt anzusehendes »nation building«. Die zumeist komplexen Ursachengeflechte für Konflikte bleiben demgegenüber verdeckt und können so die Grundlage für neue oder fortgesetzte Kriegshandlungen sein.

Das Verständnis von Sicherheit, die man schaffen will, verändert sich unter der Hand mit, insbesondere dadurch, dass in Interventionen und Interventionskriegen zunehmend private Akteure eingebunden werden. Das verstärkt eine Tendenz zu technisch orientiertem (auch sozio-technischem) Vorgehen. In der Hauptsache kommen Akteure mit entsprechender Kompetenz zum Zuge, vom Militär, über Sicherheits- und Logistikfirmen bis zu NGOs. Eine sehr selektive Ausfüllung von Sicherheitsbedürfnissen ist die Folge, die bestehende Ungleichheit verstärken und neue schaffen kann.

Man ahnt, dass die Verwischung der Grenzen zwischen staatlich-militärischem und privatwirtschaftlich organisiertem Anteil bei Interventionen auch die Funktion haben kann, die öffentliche Unterstützung in den eingreifenden Staaten zu sichern, u.a. weil die Opferstatistiken dann ggf. anders aussehen.

Folgerungen aus diesen Befunden sind mindestens:

  • Es besteht ein völkerrechtlicher Regulierungsbedarf, was den »neuen Söldnertypus« im Bereich logistischer, technischer oder sonstiger Unterstützer bei Interventionen angeht;
  • die politische Definitionsmacht über Ziele und Durchführung von Interventionen muss wiedergewonnen und so eine internationale Legitimierbarkeit nachweislich werden;
  • extreme Zurückhaltung bei Interventionen scheint geboten. Dies gilt auch hinsichtlich verfolgter Ziele bei nicht-kriegerischen Interventionen. (…)

Die Option ziviler Konfliktbearbeitung sollte verstärkt Beachtung finden, zumal für die letzten zwei Jahrtausende empirisch gesehen die gewaltfreie Konfliktlösung als Standardlösung für die überwältigende Mehrzahl an Konflikten angesehen werden kann. (…) Überdies wurde die These vertreten, dass es so gut wie keinen Krieg gegeben habe, der als Lösung der zugrunde liegenden Konflikte angesehen werden könnte.

Zivile Konfliktbearbeitung und Krisenpräventionsstrategien werden als Realisierungen ursprünglich pazifistischer Ideen interpretiert. Es wird anerkannt, dass in Deutschland brauchbare Ansätze und Konzepte im Präventionsbereich entwickelt worden sind. Ein großes Defizit bestehe aber in der mangelnden Tatkraft, entsprechende Strategien und Modelle auch umzusetzen und durchsetzungsfähig zu machen. Man fragt sich, welche Hindernisse oder Widerstände auf der Ebene staatlichen Handelns dem eigentlich entgegenstehen.

Eine pazifistische Grundhaltung steht im Zentrum aktiver Handlungsstrategien, die zum Auffinden gewaltfreier – oder zumindest gewaltärmerer –Lösungen führen sollen. Es bestand Einigkeit, dass dies nur als gesellschaftlicher, partizipativer Suchprozess gelingen könne und kaum als eine an Staatlichkeit gebundene fest gefügte Prozedur. Am historischen Beispiel Einsteins wurde deutlich gemacht, dass es blanke kontextlose Ja-Nein-Entscheidungen zu pazifistischen Positionen nicht geben könne. Verschiedene Spielarten pazifistischer Haltungen könnten – zeitgeschichtlich gebunden und je nach konkret vorliegenden Rahmenbedingungen – als angemessen erscheinen. Die Hauptschwierigkeit liege darin, eine angemessene Einschätzung über die jeweils aktuell vorliegenden und stets hochkomplexen Rahmenbedingungen bekommen zu können.

In dem eben Besprochenen geht es sicher auch um die Perzeption von Macht, Machtgefällen und Intentionen staatlichen Handelns. Sehr schlüssig wurde vorgetragen, dass die Ausbalancierung globaler und regionaler Machtungleichgewichte einen wesentlichen Beitrag zur Konfliktbewältigung und Kriegsverhütung leisten könnte. Zur Einhegung von Machtpotenzialen müssten die Bemühungen um eine internationale Verrechtlichung (insbesondere staatlichen Handelns) konsequent verstärkt werden.

(…) Bei der Debatte über den Umgang mit bzw. Veränderung von dominierenden Strukturen der Weltökonomie gab es unterschiedliche Einschätzungen: Scharfe Kritik des neoliberalen Durchmarsches, der keine Entwicklungschancen für eine große Anzahl von Ländern im Süden mehr biete, Kritik an der Reichtumskonzentration in Ländern des Nordens und ihrer militärischen Absicherung durch die NATO auf der einen Seite. Andererseits eine etwas pragmatischere Kritik am neoliberalen Paradigma, deren Folgen für Hintanstellung sozialer Belange, Verstärkung der Armut – gerade auch bei Frauen in den ärmsten Ländern – zwar eindeutig benannt wurden, aber die Rolle der internationalen Finanz- und Welthandelsorganisationen – trotz ihrer Unbeweglichkeit und ungerechten Politik – verhaltener kritisiert, denn ihre Abschaffung sei noch fataler als ihre Beibehaltung, die wenigstens die absolute Hegemonie einzelner Staaten noch etwas eindämme. Als Perspektive wurde insbesondere die Stärkung der UN als Weltordnungskraft – auch im ökonomischen Bereich – ausgemacht.

(…) Tatsächlich ist in den letzten Jahrzehnten viel geschehen: Die Kodifizierung des Völkerrechts hat große Fortschritte gemacht, aber mit der Universalisierung der Anerkennung, der Rechtsbefolgung, hapert es noch. Beispielsweise ist die internationale Schiedsgerichtsbarkeit durch die Möglichkeit der Ratifizierung eines Zusatzprotokolls zum Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vorangekommen, aber selbst ein Land wie Deutschland will sich bislang nicht der geforderten Vorabanerkennung von Schiedssprüchen unterwerfen. Gefordert wurde, dass Deutschland mutig diese wichtige Aufwertung des IGH unterstützen solle, um mehr Chancen für eine präventive Konfliktschlichtung zu schaffen.

Im Bereich des supranationalen Schutzes individueller Menschenrechte besteht noch immer eine Lücke im Völkerrecht. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte als Vorbild für eine weltweite Institutionalisierung dienen, die mit dem immerhin schon beschlossenen Menschenrechtsrat noch zu unvollständig vorankommt.

Die Schritte zur Reform der UN werden nach dem ernüchternden Milleniumsgipfel (Sept. 2005) als unzureichend angesehen, insbesondere gemessen an der ursprünglichen Zielsetzung, einen neuen Konsens im Dreierpaket »Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte« zu erreichen. Auch die Aufwertung der Rolle internationaler NGOs als Gegengewicht zu den oft beschränkten nationalstaatlichen Sichtweisen und Interessen kommt kaum voran. Dabei würden so die nationalstaatlichen Gewalten in angemessener Weise relativiert, während die Untergrabung ihrer Wirksamkeit durch die Globalisierungsprozesse bereits erfolge.

Die Bedeutung der demokratischen Kontrollierbarkeit der Staaten von innen heraus in Hinblick auf das friedfertige Verhalten demokratischer Staaten untereinander (Demokratie-Theorem) verliert im gleichen Zuge an Gewicht. Die denkbare Alternative einer sogenannten kosmopolitischen Demokratie als friedensstiftendem Konzept bleibt unkonturiert und bietet keine klare Perspektive für die mit der Globalisierung und der beschleunigten technologischen Entwicklung verstärkten weiteren Problemlagen. (…) Gleichwohl erscheint eine antizipierende Politik im globalen Maßstab bitter nötig, auch wenn man sich der großen Unsicherheiten in der Analyse und bei den denkbaren Handlungskorridoren bewusst sein müsse. Der Hoffnung wurde Ausdruck gegeben, dass jenseits der Fixierung auf international verrechtlichte Institutionen flexiblere Foren und Aktionsmöglichkeiten gefunden werden könnten, die sich nicht an unzureichenden existierenden Strukturen abarbeiten, sondern von vordringlichen Inhalten gesteuert bleiben – und das auf Dauer.

Bekanntlich sind die Gefährdungen als Folgen des Klimawandels – soweit heute verstanden – eklatant. Die Ökosysteme unserer Erde sind vielen weiteren Bedrohungen durch Eingriffe und Fehlverhalten von uns Menschen ausgesetzt. Gleichzeitig brauchen wir eine ausreichende – und ökologisch verträgliche – landwirtschaftliche Produktion zur Ernährung der noch immer wachsenden Weltbevölkerung. Nachhaltiger Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und Ressourcen erscheint notwendiger denn je, wenn die Zuspitzung und Neuentstehung von Konfliktpotenzialen vermieden werden soll.

(…) Eine entscheidende Frage ist, wie die Wissenschaften lernen können, eine verantwortliche Rolle zu spielen. Die Klimaforscher haben u.a. mit dem Intergovernmental Panel on Climate Change eine Institution entwickeln können, die vielleicht Modellcharakter haben könnte. International vernetzter Sachverstand als unabhängige Informations- und Beratungskapazität für Politik und Öffentlichkeit (unter Einbeziehung der Regierungen) kann wirkungsvoll sein. Weitere solche Aktivitäten werden auf den Weg gebracht, so eine internationale Initiative zur naturverträglichen Landwirtschaft (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development [IAASTD]) oder ein international entwickelter Weltnaturschutzplan der International Union for the Conservation of Nature (IUCN).

Spezifische wissenschaftliche Kooperationen zwischen dem Norden und dem Süden im Bereich der Ernährungssicherheit wären anzustreben. Dazu könnten gehören: Verbesserung und Verstärkung der Pflanzenzüchtung auch unter Nutzung moderner biotechnischer Analysemethoden, Suche nach züchterischer Optimierung regional bedeutsamer Nahrungspflanzen wie Hirse oder Maniok. Ähnliches gilt für Kooperationen im Gesundheitswesen, z.B. in Bezug auf die Entwicklung und Produktion benötigter Impfstoffe.

An erster Stelle ist für die Wissenschaften die Aufgabe gestellt, zu verstehen, worum es sich bei den anthropogenen Belastungen und Zerstörungen des Netzes des Lebendigen auf der Erde eigentlich handelt. Wie wären diese komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu fassen und welche Umgangsweisen können entwickelt werden? Eine Studie des National Research Council der USA benannte bereits 1999 die Aufgabe: „Developing an integrated and place-based understanding of … threats and the options for dealing with them …“ Dies bedeutet, dass sowohl stabile internationale Netze von Forschungs- und Beobachtungseinrichtungen wie zugleich örtliche und regionale Netze von Forschungs- und Handlungsinstitutionen vonnöten sind.

Im Bereich der wissenschaftlichen Unterstützung für mehr Nachhaltigkeit ist mit pompösen, millionenschweren Excellenzclustern der sogenannten Eliteforschung wohl nicht viel auszurichten. Eher sind etwas bescheidenere Projekte, die nach angepassten Lösungen suchen, von Nöten. Dazu müssen entsprechende Finanz- und Forschungsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Die Geldmittel fließen noch immer überwiegend in andere Bereiche. Die weltweiten Rüstungsausgaben sind in den letzten Jahren wieder deutlich nach oben geschnellt. Dieses Jahr wurde die 1.000 Mrd. Dollar Grenze überschritten. Fast die Hälfte geht auf das Konto der USA. Über 70% teilen sich USA und die NATO-Staaten. Das spricht eine deutliche Sprache, wenn es um die Diskussion weltweiter Droh- und Einsatzpotenziale geht.

Im Bereich der staatlich finanzierten Rüstungsforschung liegen die USA mit über 100 Mrd. Dollar, d.h. 2/3 der weltweiten Ausgaben, noch weiter vorn. (…) Ein weiterer technologischer Schub wird in vielen Bereichen vorbereitet. Das Spektrum ist groß: Zielgenauigkeit und Zerstörungskraft von Langstrecken-Waffen, effektive Aufklärung und Überwachung auf dem Schlachtfeld und im globalen Maßstab, Electronic and Information Warfare, exotische Waffensysteme wie Laser und Mikrowellenwaffen, teilautomatisiertes Schlachtfeld auf informationstechnologisch gestützter Netzwerkbasis (Network Centric Warfare) im Rahmen der »Revolution of Military Affairs« bis hin zu neuen Atomwaffen, die zum tatsächlichen Einsatz bestimmt sind.

Die Dynamik im wissenschaftlich-technischen Bereich müsste in Rüstungskontrollüberlegungen einbezogen werden. Präventive Rüstungskontrolle bietet sich als Analyseinstrument an mit dem Ziel, Handlungsperspektiven aufzuzeigen. (…) Eingehender diskutiert wurde der Bereich der Weltraumtechnologien. Das aktuelle US-Budget für »Ballistic missile and space defense« soll mehr als 20 Milliarden Dollar umfassen. Akute Gefahr besteht durch die Absicht, erstmalig Waffensysteme im Weltall zu stationieren. Dringlich wäre ein rechtzeitiges umfassendes Verbot jeglicher Weltraumwaffen. (…) Vertrauensbildende Maßnahmen im Vorfeld könnten ein Testmoratorium oder No-first-use Erklärungen verschiedener Seiten sein.

Die europäische Rüstungs- und Rüstungskontrollpolitik wurden ebenfalls diskutiert. Die Europäische Sicherheitsstrategie (2003), der EU-Verfassungsentwurf und der Aufbau einer Europäischen Verteidigungsagentur sind Indizien für eine Schwerpunktsetzung auf militärische Strukturen und Kapazitäten. Dies steht im massiven Widerspruch zum propagierten Bild von der »Friedensmacht Europa«, auch wenn bislang im Rüstungsbereich noch keine großen Finanzmittel bewegt werden. Allerdings lässt die Schaffung einer Europäischen Rüstungsagentur befürchten, dass die schrittweise Europäisierung der Streitkräfte erhebliche Kosten verursachen werden, industrielle Interessen bedient werden und im Hintergrund bereits »power projection« an Einfluss gewinnt. Hinzu treten Pläne für ein milliardenschweres europäisches Sicherheitsforschungsprogramm, das auf technische Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Europa setzt und dabei wohl letztlich ein eigenes Rüstungsforschungsprogramm etablieren soll.

Die Rüstungskontrollpolitik der EU engagiert sich eher selektiv in einigen wichtigen Bereichen, aber sorgt dafür, dass eigene Rüstungsinteressen, die zumeist noch durch nationale Interessen bestimmt sind, nicht beschnitten werden. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind offenbar keine zentralen Prioritäten europäischer Politik. (…) So sucht man beispielsweise die Schaffung einer Europäischen Rüstungskontrollagentur oder die Festschreibung von Abrüstungsmaßnahmen vergeblich im europäischen Verfassungsentwurf.

Neben der zielgerichteten traditionellen Rüstungsforschung wurden in den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland und den USA Dual-use-Programme lanciert, die u.a. dafür sorgen sollten, dass zivile Wettbewerbsfähigkeit und militärische Entwicklungslinien in kostengünstigerer Weise parallel verfolgt werden können. (…) Die USA scheinen heute solche Konzepte angesichts der dort immer weiter verschwimmenden Grenzlinie zwischen ziviler und militärischer Forschungsarbeit weniger Bedeutung zu zumessen. Dennoch gibt es einen verstärkten Druck in Europa, Dual-use-Forschung auf europäischer Ebene zu implementieren. Das angekündigte Europäische Sicherheitsforschungsprogramm könnte der Türöffner dafür werden. Die Entwicklung solcher Grauzonen in Forschung und Technikentwicklung werden als sehr problematisch angesehen.

Anhand von Beispielen wurde gezeigt, dass Dual-use oft gar nicht technologisch determiniert und unausweichlich ist, wie von interessierter Seite behauptet, sondern bewusst durch die Technikentwicklung erst erzeugt wird. Bei genauerer Analyse zeigt sich häufig, dass Möglichkeiten bestehen, sich durch Gestaltung der Forschung und Technikentwicklung aus erkannten Grauzonen auch wieder hinaus zu manövrieren. Das kann besonders wichtig werden in Feldern mit hoher Relevanz für die weltweite Proliferationsproblematik. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage gestellt, in wie weit traditionelle Formen nachsorgender Technikkontrolle langfristig stabil und zielführend sein können.

(…) Die Revolution im Bereich der Biotechnologie steht vor einem tiefgreifenden Dilemma. Einerseits kann zur Aufklärung krankheitserregender Mechanismen von infektiösen Mikroorganismen und zum besseren Verständnis komplexer mikrobiologischer Interaktionsprozesse in Lebewesen beigetragen werden. Andererseits können in solchen Forschungsprozessen auch die Wirkungen von Bio- und Toxinwaffen besser verstanden werden, sie könnten verstärkt werden, zu Killerviren verändert werden oder es könnten gänzlich neue gefährliche Agenzien geschaffen werden. (…)

Einigkeit bestand, dass die Gefahr der Proliferation hier nicht durch traditionelle Kontrolllisten in den Griff zu bekommen ist. Es besteht dringender Bedarf für ein Monitoring der Forschung im Sinne präventiver Rüstungskontrolle, für Bewusstsein bildende Maßnahmen bei den Beteiligten in der Forschung, für Aufklärung über Verbotstatbestände der Biowaffenkonvention und über Möglichkeiten in Forschung und Methodenwahl verantwortbare Wege einzuschlagen.

Es wurde vorgeschlagen, die Dual-use-Problematik im größeren Zusammenhang der Ambivalenz von Forschung und Technik zu sehen, in der weit mehr Aspekte als die zivil-militärische Doppelgesichtigkeit zu diskutieren wären. Als Analyseinstrument zur Beschaffung unabhängiger Informationen wurde ein Konzept des prospektiven Technology Assessments vorgeschlagen. Dies soll helfen, frühzeitige Gestaltungsmöglichkeiten in Forschung und Technologie aufzufinden. Es sollten also nicht so sehr Grenzziehungen gegenüber dem nicht Gewollten, sondern stärker Positivbestimmungen für verantwortliche Forschungsorientierung aufgefunden werden.

Ähnliches wird für den Bereich der heutzutage erforschten sogenannten Schlüsseltechnologien gesehen, die in den Bereich der sogenannten Technowissenschaft fallen. Beispielhaft wurde nanotechnologische Forschung im Zusammenspiel mit Bio-, Kommunikations- und Informationstechnik diskutiert. Hier geht es um einen Forschungstyp, der sehr pragmatisch unter Nutzung von Grundlagenwissen, aber ohne höheren theoretischen Anspruch, neue materielle Möglichkeiten auf kleinstem Maßstab konstruktiv erschaffen will. Es findet dabei auch eine gewisse Orientierung an Lebensprozessen statt, u.a. um diese in den Dienst hybrider Technologien an der Schnittstelle von lebendigen Wesen und Maschinen stellen zu können.

(…) Neben irritierenden Großversprechen werden realistische Anwendungen mit hohem Umsatzpotenzial etwa im Bereich neuer Materialien, von Umwelttechniken oder von Militärtechnologie gesehen. Umgekehrt können bereits einige erwartbare Risiken benannt werden: Umwelt- und Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel, Problematik denkbarer Genkontrolle und anderes.

Die Entlastung erhoffende Forderung nach einem Zurück zur reinen grundlagenorientierten Wissenschaft, bei der man sich von der Gesellschaft abgekoppelt fühlen will, ist hier prinzipiell nicht möglich. Es wurde betont, dass es im Gegenteil um die Anerkennung des sozialen Kontextes gehe, in den solche Forschung offensichtlich eingebettet ist. Aus der Ernstnahme der sozio-ökonomischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge müsse gefolgert werden, dass das »metaphysische Programm«, das solcher Forschung offenbar zugrunde liege, explizit gemacht werde. Dann sind offene Prozesse der gesellschaftlichen Aushandlung über die eingeschlagenen Forschungswege denkbar. Wissenschaft und Technik entpuppen sich als menschlich-gesellschaftliches Handlungsfeld, das reflexions- und reaktionsfähig gemacht werden kann und muss.

In scharfer Distanz dazu wurde aber auch eine pessimistische Sichtweise beschworen. Solcher Art Technologie des Lebens sei einer Technologie des Todes nahe, sie würde »Kettenreaktionen« heraufbeschwören, über die wir weder technisch noch geistig verfügen könnten. (…) Pragmatisch wurde gefordert, nicht den großen Versprechungen zu folgen, sondern den Weg gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse über Ziele und Pfade der Forschung begehbar zu machen (Motto: »from promise to process«).

(…) Die notwendige öffentliche Diskussion wird aber oft unmöglich gemacht. Privatwirtschaftliche Interessen stehen dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit entgegen. Wir haben z.B. gelernt, dass Sicherheitsforschung im Bereich gentechnischer Produktforschung in weiten Teilen von den interessierten Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmungen selber durchgeführt wird. Die Ergebnisse werden häufig gar nicht oder nur teilweise veröffentlicht und entziehen sich damit der unabhängigen Überprüfbarkeit – auch innerhalb der Scientific Community.

Innerwissenschaftliche Kritik und gesellschaftliche Teilhabe an der wissenschafts- und forschungspolititschen Willensbildung werden in solchen Bereichen unmöglich. Demokratisch akzeptable Bewertungs- und Aushandlungsprozesse, die zu einer Zielorientierung des Innovationsprozesses innerhalb der Gesellschaft führen müssten, werden in besonderer Weise ausmanövriert. Es sei daran erinnert, dass zwei eminente Wissenschaftlerpersönlichkeiten, ein Physiker und ein Biochemiker, als »Whistleblower« in der Rüstungsforschung bzw. in der Sicherheitsforschung im Bereich gentechnisch veränderter Nahrungsmittel im Rahmen der Konferenz mit einem Preis der VDW und der IALANA geehrt wurden: Theodore Postol und Arpad Pusztai.

Dabei wurde deutlich, dass Whistleblowing immer eines zum Ziel hat: Öffentlichkeit herstellen, sei es in der eigenen Forschungseinrichtung, sei es in der jeweiligen Scientific Community, sei es in den Medien und einer breiteren Öffentlichkeit. Whistleblowing umschreibt, so gesehen, nur eine Hilfskonstruktion zur Einforderung und Ermöglichung einer als notwendig erachteten öffentlichen Diskussion. (…) Die Herstellung entsprechender Strukturen und die Weckung des Bewusstseins bei den Beteiligten muss das eigentliche Ziel verantwortlicher Forschungsorganisation sein.

Der rechtliche Schutz und die gesellschaftliche Akzeptanz des Whistleblowing als notwendiges Gegenmittel gegen inakzeptable Geheimhaltungspraktiken gerade auch in der Forschung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin. Auch ein deutscher oder europäischer »Freedom of Information Act« (Vorbild USA und Schweden) ist zu fordern. Dies ist auch deshalb notwendig, da privatwirtschaftliche Interessen und Vorgehensweisen längst alte Traditionen des freien Zugangs zu Wissen und Information empfindlich zu untergraben drohen.

Gewiss haben die Foren keinen »Masterplan« für die Bearbeitung aller drängenden Weltprobleme erarbeitet, aber sehr deutlich wurden Querschnittsaufgaben, die vor uns liegen:

  • Die Antizipation von Problemlagen, die bereits am Horizont erkenntlich sind – gerade im Feld technischer Entwicklungen. Hier sind Beiträge aus der Wissenschaft notwendig.
  • Die Problematisierung der zunehmenden Auflösung der Grenzen zwischen dem Zivilen und dem Militärischen in verschiedenen Bereichen (Privatisierung des Kriegs, Forschungsförderung, Proliferationsgefahren).
  • Die Beachtung der wachsenden Dynamik grenzüberschreitender Problemlagen, die über- und zwischenstaatliches Handeln herausfordern, aber gleichzeitig die Möglichkeiten staatlichen Handelns in Frage stellen.
  • Die Organisation der menschlich-gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich weit mehr als zur Zeit dem Kriterium der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt. Dies auf dem Hintergrund, dass wir in einer Welt leben, in der die einen auf dem Rücken der anderen (und der Natur) ihre konsumorientierten Lebensmöglichkeiten erweitern.
  • Das Einlassen auf Suchprozesse, um Auswege aus den gegenwärtigen und absehbaren Problemlagen zu finden; Demokratisierung und Partizipation fallen dabei immer wieder als zentrale Stichwörter.

Anmerkungen

1) Der Trägerkreis der Konferenz bestand aus: Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF), Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS), NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit“, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

2) Eine detailliertere Dokumentation der Beiträge zur Konferenz wird in einer Buchveröffentlichung (geplant für Frühjahr 2006) erfolgen.

3) Dieses Resümee konnte nur unter wesentlicher Mitwirkung der Forenverantwortlichen und Moderatoren zustande kommen. Zu nennen sind: Annegret Falter, Stephan Albrecht, Alfred Nordmann, Frank Vogelsang, Götz Neuneck, Oliver Meier, Jörg Calließ, Sven Chojnacki, Manuel Fröhlich, Claudia von Braunmühl, Christiane Lammers, Corinna Hauswedell.

Dr. Wolfgang Liebert ist Wissenschaftlicher Koordinator und Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt.

Das Gewissen der Wissenschaft für die Abschaffung der Nuklearwaffen

Das Gewissen der Wissenschaft für die Abschaffung der Nuklearwaffen

Nachruf auf Sir Joseph Rotblat (1908-2005)

von Götz Neuneck

In der Nacht zum 1. September 2005 ist in London der Friedensnobelpreisträger Sir Joseph Rotblat, Mitbegründer der »Pugwash Conferences on Science and World Affairs« und vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler im Alter von 96 Jahren friedlich eingeschlafen.

Joseph Rotblat wurde 1908 als fünftes von sieben Kindern in einer Warschauer Handelsfamilie geboren. Seine ersten Forschungen zur Atomphysik machte er im Warschauer »Strahlenlabor«. 1939 ging er zunächst ohne seine Frau Tola Gryn nach Liverpool, um mit J. Chadwick an einem Zyklotron zu arbeiten. Als die politische Lage sich zuspitzte, fuhr er im Sommer 1939 nach Warschau zurück, um seine Frau nach England zu holen. Aufgrund einer Krankheit sollte sie ihm Tage später folgen. Der Beginn des Krieges verhinderte dies, Jo sah seine Frau nie wieder. Er heiratete nicht mehr.

In England beschäftigten sich die Physiker damals zunehmend mit Kriegsforschung. Die Atomphysiker waren durch die Arbeiten der Otto Hahn–Gruppe zur Kernspaltung alarmiert. Ebenso wie seine britischen Kollegen sollte sich auch Rotblat am Manhattan-Projekt beteiligen, doch bürokratische Hemmnisse führten dazu, dass er erst im März 1944 nach Los Alamos kam. Antriebskraft für die Arbeit im Manhattan-Projekt war die Befürchtung, dass Hitler über eine Bombe verfügen könnte. Doch Rotblat wurde Zeuge der Aussage General Groves, die Arbeiten an der Bombe seien nicht auf Deutschland, sondern auf Russland bezogen. Als ihm Ende 1944 klar wurde, dass die Deutschen das Bombenprojekt fallen gelassen hatten, war seine Anwesenheit in New Mexiko für ihn überflüssig geworden. Er stellte einen Rückreiseantrag und wurde zu Stillschweigen verpflichtet.

Obwohl auch viele seiner Kollegen den Hitler-Faktor als Hauptmotiv ansahen, arbeiteten sie weiter. Warum? Wohl aus wissenschaftlicher Neugierde, Karrieredenken, der Hoffnung auf schnelle Kriegsbeendigung und dem Glauben, über den Einsatz der Bombe könne man nach dem ersten Test debattieren. Rotblat schrieb 1985 in einem Artikel des Bulletin of the Atomic Scientists: „…Die Mehrheit ließ sich nicht durch moralische Skrupel stören; sie waren sehr zufrieden, es anderen zu überlassen, zu entscheiden wie ihre Arbeit genutzt werden würde.“

1946 begann er damit die britische Öffentlichkeit über die nuklearen Gefahren aufzuklären und für die Kontrolle nuklearer Energie einzutreten. Er organisierte eine mobile Ausstellung, den »Atomic Train«, und er wechselte sein Fachgebiet. Fortan widmete er sich der Erforschung und Nutzung radioaktiver Strahlung in Medizin und Biologie. 1954, unter dem Eindruck der Wasserstoffbombentests, kam Rotblat in Kontakt mit B. Russell, der im Juli 1955 der Weltpresse das »Russell-Einstein-Manifest« vorstellte. Als jüngster Unterzeichner des berühmten Dokuments widmete Rotblat sich der Umsetzung der Schlüsselpassagen, der Abschaffung der Nuklearwaffen und des Krieges als solchem. 1957 fand in dem kleinen Fischerdorf Pugwash/Nova Scotia die erste Konferenz statt, zu der sich mitten im Kalten Krieg 22 führende Wissenschaftler aus Ost und West trafen. Seitdem hat es ca. 300 weitere Pugwash-Treffen gegeben, auf denen wichtige Grundlagen für Rüstungskontrollverträge gelegt und Kontakte zwischen Regierungen und Wissenschaftlern angebahnt wurden. Joseph war viele Jahre Generalsekretär und später Präsident der Pugwash-Konferenzen. Unter seiner Führung wuchs die Organisation und zog immer mehr Wissenschaftler an. Heute gibt es über 50 nationale Pugwash-Gruppen (siehe z.B. www.pugwash.de).

Erst der Friedensnobelpreis von 1995 lenkte den Blick der Weltöffentlichkeit auf das Wirken von J. Rotblat. In seiner Nobelpreisträgerrede wandte er sich gegen die »Elfenbeinturm-Mentalität« der Wissenschaft: „Von den frühesten Tagen an hatte ich eine Leidenschaft für Wissenschaft. Aber Wissenschaft, die Ausübung höchster Kraft menschlichen Denkens, war meiner Auffassung nach immer verbunden mit dem Nutzen für die Menschen. (…) Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich die zweite Hälfte meines Lebens mit Anstrengungen zubringen muss, um eine tödliche Gefahr zu verhüten, die durch Wissenschaft selbst hervorgebracht wurde.“

Joseph Rotblatt war eloquent, unermüdlich, fordernd und leidenschaftlich der Schaffung einer Welt verpflichtet, die sicherer, gerechter und humaner ist. Für Pugwash und für viele andere, die sich diesen Zielen verpflichtet fühlen, war er ein großartiger Mentor und ein steter Inspirator für aktive Schritte zur nuklearen Abrüstung. In den letzten Jahren hat er sich besonders für die Initiierung einer Kampagne zur Aufklärung nuklearer Gefahren eingesetzt (Nuclear Awareness, siehe: www.comeclean.org.uk).

Joseph, war nicht nur einer der ersten nuklearen Kritiker, sondern »das Gewissen« einer Wissenschaft, das für die Abschaffung der Nuklearwaffen eintritt. Seine Botschaft ist klar: „Entweder die Welt wird die Nuklearwaffen eliminieren, oder wir werden mit der Aussicht konfrontiert, dass solche Waffen uns eliminieren.“

Sein Ziel, die Eliminierung der Nuklearwaffen, ist nicht erreicht. Wir müssen beharrlich und entschieden die Anstrengungen vervielfachen, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind es nicht nur ihm schuldig.

Seine deutschen Freunde trauern um einen überaus liebenswerten Menschen, einen hervorragenden Wissenschaftler, einen großen Humanisten und einen unermüdlichen Friedensaktivisten.

Dr. Götz Neuneck

Verantwortung als Quelle einer friedfertigen Weltgesellschaft

Verantwortung als Quelle einer friedfertigen Weltgesellschaft

von Alfred Hirsch

Der Verantwortungsbegriff hat Konjunktur. Von Eigenverantwortung über Unternehmensverantwortung bis hin zur globalen Verantwortung lassen sich zahlreiche und äußerst ungleiche Bereiche und Felder aufzählen für die Verantwortung reklamiert wird. Die Inflation der Begriffsverwendung steht hier – wie so oft in anderen Zusammenhängen – in umgekehrter Proportion zur Schärfe und Klarheit des Begriffs. Was heißt und ist Verantwortung? Woher stammt der Begriff? Und in welcher Beziehung steht er zum Problem und Zweck des Friedens?

Der erste und erstaunlichste Befund, der sich in einem Bemühen um die Beantwortung dieser Fragen ergibt, ist, dass es in der traditionalen Ethik und praktischen Philosophie von Aristoteles bis Kant keinen wirklichen Verantwortungsbegriff gibt. Es ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, dass dieser für die gegenwärtige Ethik des Sozialen, Politischen, Ökonomischen und Ökologischen so zentrale Begriff allem Anscheine nach erst in einer mittleren Phase der Entwicklung der Moderne und erster Rechtsstaaten sowie in einer schon späten Phase der Industrialisierung auftaucht. Die Vermutung liegt nahe, dass der Verantwortungsdiskurs zu einem Zeitpunkt einsetzt, an dem einerseits eine starke Abstraktion und dingliche Vermittlung sozialer Beziehungen sich entfaltet und andererseits zugleich ein Prozess der Verrechtlichung soziale und politische Interaktionen umfassender zu regeln beginnt. Für diese Annahme spricht auch, dass die noch immer vorherrschende und paradigmenbildende Fassung des Verantwortungsbegriffs von einer nahezu rein juristischen Konstruktion ausgeht. Er erfasst die Beziehung zwischen einem handelnden Subjekt und einem Objekt der Bewertung. Einem Subjekt werden die Folgen seines Handelns zugerechnet oder zugeschrieben. Dabei ist die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt selbst keineswegs wesensmäßig oder natürlich festgelegt, sondern wird diskursiv gestiftet und dabei zweifelsfrei der Veränderung von menschlichen Praktiken angepasst. Eine scharfe Trennung von Mensch und Natur ist im Verantwortungsbegriff damit implizit vorausgesetzt. Inwieweit Subjekt und Objekt selbst von solch diskursiver Stiftung erfasst sind, bleibt noch zu erörtern. Denn dem topos der Zurechnung wird im moralischen wie rechtlichen Sinne unmittelbar die Idee eines autonomen und frei entscheidenden sowie handelnden Subjekts zugeordnet.

Was ist Verantwortung?

Bemerkenswert ist, dass der Begriff der Verantwortung, der sich auch etymologisch und semantisch auf einen dialogischen Vorgang, d.h. der Wechselbeziehung von Frage und Antwort, der »response« einer Adressierung, bezieht, in einer historischen Phase aufkommt, in der die interpersonalen und interlokutionären Beziehungen mehr und mehr zugunsten industrieller und politischer Großinstitutionen und komplexer sozialer Prozesse in den Hintergrund treten. Zunehmende Arbeitsteilung und fortschreitende Technisierung schaffen ein weit verzweigtes Netz von Verweisungen, in dem an einer bestimmten Wirkung zahlreiche Handlungsschritte und -kausalitäten beteiligt sind. Es „schieben sich zwischen das handelnde Individuum und die durch dieses Handeln bewirkten Effekte vermittelnde Instanzen, die eine Zurechnung der Handlungsfolge auf bestimmte Individuen erschweren oder gar unmöglich machen.“1 Der ursprünglich also eher aus sozialen Mikroprozessen und interpersonalen Beziehungen stammende Begriff wird zu einem Zeitpunkt für die Ethik relevant, an dem gerade die Zuständigkeit dieser Kontexte wegbricht. Oder anders formuliert: in dem Augenblick, in dem die Kausalität und Linearität der Folgen einer Handlung sich kompliziert oder sich gar ganz verwischt, tritt ein Begriff auf die Szene, der scheinbar diese Kausalität und Linearität beschwört. Wenn wir es also mit gesellschaftlichen, kollektiven oder Systemverantwortlichkeiten zu tun haben, scheint der Begriff der Verantwortung, gedacht und verwendet im Sinne der Zuschreibung einer Wirkung an ein handelndes Subjekt, nur noch eingeschränkt zu greifen. Und doch haben sich gerade auf juristischer und politischer Ebene eine Reihe von Komplementierungen dieser ursprünglichen Verantwortungskonzeption durchgesetzt, die im Kern gleichwohl an dieser selbst festhalten. Gerade die technische Industrialisierung hat eine Reihe unterschiedlichster Unglücke mit zum Teil erheblichen Schäden und Zerstörungen hervorgebracht. Juristisch bleibt die Frage nach der Verantwortung als Zuschreibung entscheidend, da hier personale Haftung ein systemkonstituierendes Gewicht hat. Wenn niemand für einen Schaden, der beispielsweise an einem Gebäude auftritt und einen Einsturz zur Folge hat, der viele Menschen verletzt, haftbar gemacht werden kann, kann auch niemand sein Recht auf Entschädigung für die erlittenen Verletzungen und Verluste geltend machen. Elementare Rechte werden folglich in dem Augenblick negiert, in dem für eine aufgetretene Folge keine Handlungsverpflichtungen mehr freigelegt werden können. Rechte gibt es nur solange, wie Pflichten bestehen. Entsteht also die Verantwortung nicht aus einer linear rekonstruierbaren Handlungsursache, muss – um die Korrelation von Rechten und Pflichten aufrecht zu erhalten – irgendein Subjekt per Haftungszuschreibung die Verantwortung übernehmen.

Neben dieser Bedeutung enthält schon seit dem Aufkommen des Begriffs dieser eine semantische Orientierung, die Beziehung eines Subjekts zur Erhaltung und Herstellung eines als bejahenswert und positiv eingeschätzten Zustandes zu bezeichnen. Nicht nur die Zuschreibung negativer Folgen einer Handlung, sondern auch der mit vermutlich positiven Folgen versehene Umgang mit einer Sache ist Verantwortung zu nennen. Haben wir es dort mit einer ex post factum Zuschreibung zu tun, haben wir es hier mit einer ex ante factum Sorge um … zu tun. Das Englische unterscheidet hier zwischen accountability und responsibility. Die Verantwortung, die sich um die Herstellung und Bewahrung eines positiven Zustandes sorgt, ist daher auch eher prospektiv, während die Zurechnungsverantwortung eher respektiv einsetzt. Auch ein solcher Typ von Verantwortungsdiskurs korrespondiert mit modernen Zuständen, wie etwa der Verantwortlichkeit für die Herstellung einer friedfertigen und gerechten Gesellschaft oder die Sorge um die Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts usw. Es ist unter anderen Hans Jonas zu verdanken, ein besonderes Gewicht auf diesen Aspekt des Verantwortungsdiskurses gelegt zu haben. Jonas geht es um einen Begriff von Verantwortung, „der nicht ex-postfacto Rechnung für das Getane, sondern die Determination des Zu-Tuenden betrifft; gemäß dem ich mich also verantwortlich fühle nicht primär für mein Verhalten und seine Folgen, sondern für die Sache, die auf mein Handeln Anspruch erhebt. Verantwortung zum Beispiel für die Wohlfahrt Anderer ‘sichtet’ nicht nur gegebene Tatvorhaben auf ihre moralische Zulässigkeit hin, sondern verpflichtet zu Taten, die zu keinem anderen Zweck vorgehabt sind. Das ‘für’ des Verantwortlichseins hat hier offenbar einen völlig anderen Sinn als in der vorigen, selbstbezogenen Klasse.“2 In der Idee einer prospektiven Verantwortung, die Jonas in seinem Buch »Das Prinzip Verantwortung« entwickelt, deutet sich eine Dimension des Verantwortungsdiskurses an, in dem eine Verbindlichkeit an der Sache und an dem Zustand, der andere betrifft, ausgerichtet ist. Für jemanden und etwas verantwortlich zu sein, heißt sich ganz und gar an den Ansprüchen dieses jemanden und dieses etwas zu orientieren. Nun findet sich bei Jonas gleichwohl keinerlei Auskunft über die Herkunft und die Genese einer solchen Verantwortungsdimension. Warum ist ein Mensch überhaupt verantwortlich für andere Menschen und soziale sowie ökologische Zustände, die ihn nicht unmittelbar selbst betreffen und in großer räumlicher und manchmal auch zeitlicher Entfernung stattfinden? Warum gibt es ein Gefühl oder einen Impuls der Verantwortung, der ganz ohne institutionelle Verpflichtungen auskommt und diesen sogar vorausgeht? Lässt sich eine Verantwortung, die für etwas oder jemanden verantwortlich ist, überhaupt begrenzen, so als könne man nach getaner Hilfeleistung feststellen, nun müssten die Bedürftigen für ihr Schicksal alleine aufkommen, da man seine Verantwortung abgeleistet habe?

Offensichtlich verhält es sich anders und es wird deutlich, dass es für eine Verantwortung, die für andere übernommen wird, prinzipiell keine Begrenzung gibt. Kaum ein Autor hat dies so insistierend und nachdrücklich beschrieben, wie Emmanuel Levinas: „Der Mensch ist“, schreibt er, „verantwortlich für die Welt (responsable de l’univers), Geisel des Geschöpfs (otage de la créature). […] Außerordentliche Würde (Dignité extraordinaire). Unbegrenzte Verantwortung (Responsabilité illimitée) … Der Mensch gehört nicht zu einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern eine begrenzte Verantwortung (responsabilité limitée) überträgt. Er ist Mitglied einer Gesellschaft mit unbeschränkter Verantwortung (responsabilité illimitée).“3 Und dabei handelt es sich um eine Verantwortung für etwas, das ich nicht getan habe, für Zustände, die ich nicht herbeigeführt habe und für die Zukunft einer Welt, deren Entwicklung ich in keiner Weise voraussehen kann. Auch gibt es keine Beschränkung bei den Menschen für die ich verantwortlich bin. Es ist nicht möglich, mich für diese oder jene zuständig zu befinden und für andere nicht. Die Verantwortung kommt ohne mein Wollen und ohne meine Intention auf mich zu und nötigt mich, das Leid der anderen auf mich zu nehmen und dies gilt ganz ohne Zweifel auch für das Leid, das ihnen nicht durch mich angetan wurde. Die Zuschreibung von Schäden, die durch mein Handeln verursacht wurden, ist im Vergleich zu dieser unbeschränkten moralischen Verantwortung, von der Levinas spricht, nahezu en passent zu tragen und zu erfüllen. Auch bedarf es keiner Intention oder eines freien autonomen Entschlusses zu einer bestimmten Handlung, um verantwortlich zu sein. Vielmehr bestätigt sich diese Art der Verantwortlichkeit, wenn Menschen sich für das Leid anderer irgendwo auf der Welt weit entfernt verantwortlich fühlen und wissen, obschon sie in keiner Weise als handelnde und planende Subjekte in dieses Leid verstrickt sind. Die Verantwortung für Frieden in unserer Weltregion und in solchen, die weit entfernt sind, ergibt sich aus diesem Zusammenhang. Wie aber sieht der Frieden aus, für den wir verantwortlich sind, ohne diese Verantwortung ausdrücklich und bewusst übernommen zu haben?

Frieden zwischen vielen Singularitäten

Setzt man einen himmlischen Frieden, als schlechthin gewaltlosen und erlösten Zustand der Menschheit als Maß eines vollkommen Friedenszustandes voraus, dann ist jeder in der irdischen Wirklichkeit sich einstellende Frieden gemessen an diesem Anspruch der friedsamen Vollkommenheit ein nur bescheidener Anfang. Jeder irdische Frieden müsste – gemessen an dem himmlischen Frieden – als ein Unfrieden dargestellt werden. Gemessen an der rein negativen Bestimmung des Friedens als Abwesenheit von Krieg, wird umgekehrt jeder Zustand, der von keiner offenen Gewaltauseinandersetzung gekennzeichnet ist, zum Frieden erklärt. Weder in der absoluten Versöhnung noch in dem bloßen Absenz von kriegerischer Gewalt kann mithin eine inhaltlich positive Bestimmung des Friedens gewonnen werden. In der Abweisung dieser Extreme gesellt sich zudem die ebenfalls zeitgebundene Erkenntnis, dass Frieden nicht ein für allemal endgültig gewonnen werden kann, sondern immer wieder und von neuem angestrebt und realisiert werden muss. Frieden, der sich als politischer und – wie noch hervorgehoben werden wird – als interpersonaler sowie sozialer Prozess vollzieht, hat von Beginn in pluralen und singulären Konstellationen und deren Bezügen zu nisten. Erst im Ausgang einer Beziehung der vielen Ungleichen, die trotz Andersheit, Differenz und Heterogenität zu einem wirklichen Verhältnis miteinander finden, lässt sich von einem spätmodernen Friedenskonzept sprechen.

Frieden ist also mehr als bloße gewaltfreie Verhältnislosigkeit, vielmehr eröffnet sich gerade über die Qualität des Verhältnisses eine inhaltliche materielle Bestimmung von Frieden: „Frieden ist“ wie Max Müller schon vor dreieinhalb Dekaden schrieb „keine bloße Koexistenz, nicht nur die Toleranz des Sein-Lassens und Raum-Gebens, sondern vielmehr ein ‘Zusammen’, das ein Zusammenwirken um eines Gemeinsamen willen voraussetzt, weil sonst die Zufälligkeit des Nebeneinanders doch in einem jeden Moment einen Zusammenstoß entfachen kann. In diesem ,Gemeinsamen‘ als einem gemeinsamen, verbindenden ‘Umwillen’, welches dem Frieden Grund, Boden und Richtung gibt, liegt das ‘normative Element’.“4 Dieses Zusammen und dieses Gemeinsame, sollen sie nicht als bloße communio oder religiös als Gemeinde verstanden werden, bedürfen einer genaueren Bestimmung und Beschreibung. Denn an welche Art Integration als Zusammen von Eigen- und Fremdkollektiv und Selbst und Anderem ist hier zunächst zu denken?

Eine erste Anknüpfung bietet das noch vorneuzeitliche, mittelalterliche Denken in den Überlegung zu einer Friedensontologie des Augustinus. Nach Augustinus ist der Frieden die Voraussetzung und nicht Gegenstand der Lebensführung, d.h. jedes menschliche Leben setzt bereits ein gewisses Maß an geordnetem Zusammen und an Integration voraus, um überhaupt existieren zu können. Frieden im Sinne Augustinus ist folglich primär und er radikalisiert diesen Gedanken, wenn er schreibt: „Was ist, ist befriedet, sonst wäre es nicht.“ Mag sein, dass diese Einsicht in solcher Allgemeinheit formuliert – und es wäre sicherlich noch einiges zur Differenzierung im Augustinischen Sinne hinzuzufügen – eine Schräglage bekommt. Aber als entscheidend soll an ihr markiert werden, dass entgegen den in der Nach-Hobbessianischen-Zeit eingeübten sozialen und politischen Konstitutionsbedingungen des ursprünglichen Krieges, menschliche Formen der Kooperation immer schon Achtungsverhältnisse voraussetzen, die ein hohes Maß an Befriedung aufweisen.

Auch hat es den Anschein, als schwinge in der Friedensontologie Augustinus’ nicht mehr oder noch nicht jener Zwang zur Einheit und Ganzheit mit, der in der Neuzeit als wesentliches Charakteristikum des Friedens gedacht wird. Die Einheit aller Teile einer sie umfassenden Ordnung ist zu gewähren durch die Entdeckung bereits latent vorhandener Gemeinsamkeiten, wie das allen menschlichen Individuen gemeinsame Überlebensinteresse oder die allen Subjekten gemeinsame universelle Vernunft. Ein solcher, aus der Zusammenfügung und Identifizierung aller Einzelner erzeugbarer Einheitsfriede hat seinen epistemologischen Höhepunkt in der neuzeitlichen Dialektik einer Verschmelzung von anderem und selben. Nichts kann einer solchen Synthese der Gegensätze noch entkommen und gerade hieran wird die entscheidende methodische Vorkehrung für eine praktische Befriedung humaner und politischer Beziehungen festgemacht. Hingegen werden Anderes und Fremdes, die nicht – zumindest in wesentlichen Teilen – der Einheit der Ordnung eingefügt werden können, als Störung und Hindernis des ordinalen Friedens betrachtet. Frieden wird als Angleichung und Absorption des Anderen nicht wirklich als Beziehung zwischen zwei absolut voneinander getrennten Singularität entworfen. Vielmehr wird, ob interpersonal, sozial, kulturell und politisch, immer schon so getan, als gebe es auf tieferer oder höherer Ebene eine unhinterfragbare Identität und Einheit, deren Friedsamkeit dann in Frage gestellt ist, wenn eine unintegrierbare Andersheit auftaucht. Besonders deutlich wird diese stets im neuzeitlichen Denken des Friedens vorausgesetzte Einheitlichkeit der Seienden in der Beschreibung und Darstellung kultureller und ethnischer Begegnungen und Beziehungen. Der »Clash of Cultures« Huntingtons spricht laut von der gewissermaßen notwendigen Friedlosigkeit miteinander in Kontakt tretender Kulturen.

Eine wirkliche Wende in dieser Tradition des Friedensdenkens ließe sich erst erreichen, wenn Frieden als Beziehung mit einem Anderen beschrieben wird, der sich unvorhersehbar und unendlich meinem Vermögen entzieht. Oder mit den Worten Levinas: „Frieden als Beziehung mit dem Anderen in seiner logisch ununterscheidbaren Andersheit, in seiner Andersheit, die nicht auf die logische Identität einer letzten Differenz reduzierbar ist, die einer Gattung hinzugefügt wäre. Frieden als stetiges Wachwerden für diese Andersheit und für diese Einzigkeit.“5 Nicht also die vorschnelle Vereinheitlichung und Rahmengebung des Selben und des Anderen weist ein friedensnahes Procedere auf, sondern umgekehrt die Sensibilität für die Andersheit des Anderen stiftet die Voraussetzung einer friedsamen Beziehung zu ihm. Vor dem Hintergrund der erwähnten Tradition wird deutlich, welch großer Mut auch in den praktischen Vollzügen politischer und sozialer Beziehungen dazu gehört, Gemeinsamkeiten auf der Basis nichtreduzierbarer Unterschiede und nie aufhebbarer Singularitäten erreichen zu wollen. Frieden als Zusammen und Gemeinsames – sei es in interpersonalen oder politischen Beziehungen – gilt es solchermaßen als Integration und Solidarität von Ungleichartigen zu entwerfen. Und aus der Perspektive des Selbst kann eine solche Bewegung der Befriedung nur vom Anderen aus anheben, sein Frieden hat Priorität vor dem meinen. Denn auch den politischen und sozialen Konventionen gemäß bleibt eine Ahnung von einem gestörten Frieden, wenn es in unserem Teil der Welt weitgehend befriedete sozialen und politische Verhältnisse gibt, in anderen Regionen der Welt aber nicht. Wir können nicht von einem echten Frieden sprechen, wenn an anderer Stelle und anderem Ort der Welt Menschen zur selben Zeit ihr Leben, ihre Familie, ihre Freunde oder ihr Hab und Gut verlieren.

Auch drängt sich mit Blick auf die Konstitution eines Gemeinsamen in der Beziehung zum ganz Anderen eine weitere Revision des modernen Friedensbegriffes auf. Denn wenn Frieden vorrangig als Beziehung zum Anderen und Fremden gedacht wird, dann gilt es einen rein zwischenstaatlichen, und das heißt politisch und rechtlich entworfenen Friedensbegriff wieder ein Stück weit in den sozialen und den interpersonalen Raum zurückzuholen. Ein Zusammen und Gemeinsames, das sich auf ein Verhältnis zwischen den Menschen in Staaten, Kollektiven, Kulturen und Ethnien gründet, geht bereits zurück auf das Geschehen interpersonaler Beziehungen und sozialer Begegnungen. Diese vollziehen sich nicht als den jeweils anderen anerkennende Integration »freier Willen«, sondern als den einzelnen und seinen Weltzugang erst konstituierendes Ereignis.

Um erneut mit Levinas zu sprechen, handelt es sich um das Ereignis der Nähe, das nicht mehr abgestreift werden kann, nachdem es einmal geschehen ist. Und in genau dieser Nähe zwischen selbst und anderem vollzieht sich auch die jeder Willensentscheidung vorausgehende Übernahme einer Verantwortung, die ich weder zurückgeben, noch ihr vollständig gerecht werden kann. Aber diese überbordende Verantwortung, der ich nie und an keinem Ort gerecht werden kann, fordert zu einer Überführung und Transformation mikrosozialer Kooperationsformen qua sozialer Beziehungen in komplexere Formen und Ordnungen der Kooperation heraus. Vor dem Hintergrund der Überlegung, dass Frieden als konstitutive Bedingung einer gemeinsamen menschlichen Ordnung zu beschreiben ist, die als ursprüngliche Verantwortungsbeziehung anhebt, ergibt sich auch ein inhaltlich differenzierter Friedensbegriff. Denn aus der ursprünglichen Verantwortung und der Nähe ergibt sich die Notwendigkeit und das Verlangen nach sozialer und politischer Integration und Kooperation, die zentrale Elemente und Charakteristika wie Gerechtigkeit, Freiheit, die Chance auf soziale und wirtschaftliche Entwicklung ebenso beinhaltet wie den gewaltfreien Austrag von Konflikten.

Verantwortung entsteht in Gesellschaftswelten

Es drängt sich angesichts der aktuellen Situation der Globalisierung die Beschreibung einer Gewaltsamkeit auf, die Johann Galtung mit dem Begriff der strukturellen Gewalt eingeführt hat – wenngleich ich den Begriff hier in einem etwas anderen Sinne als Galtung verwenden möchte. Die spezifischen Formen der Gewaltsamkeit der globalen strukturellen Gewalt betreffen zunehmend nicht mehr nur die Menschen in den »armen Staaten«, sondern sind längst auch in den »reichen Staaten« des Westen und Nordens mit ihren Immigranten, Arbeits- und Obdachlosen angekommen. Je eindringlicher diese Entwicklung desto luzider ist aber auch, dass neben den weltweit neu entstandenen Formen von inter- und transnationaler Öffentlichkeit zugleich inter- und transnationale Zivilgesellschaften im Entstehen begriffen sind, die sich teilweise aus Reflexion der Gemeinsamkeit eines Opferstatus und teilweise aus den Wohlstandsressourcen zunehmender interpersonaler und sozialer Kontakte einer sich formierenden globalen Gesellschaftswelt jenseits des Staates und der Staaten entwickelt. Als Gesellschaftswelten möchte ich bezeichnen, was sich als Ereignis des Sozialen, als unkontrollierbares Geschehen der Begegnung von Selbst und Anderen, Eigenem und Fremden und doch als friedenskonstituierender Prozess vollzieht. Die interpersonalen Beziehungen haben einen wesentlichen Einfluss auf Werden und Vergehen der Gesellschaftswelten, aber sie sind nicht alleiniger Antrieb oder alleiniges Hindernis. Bestimmte Formen von Dialog und Diskurs, mediale Öffentlichkeit, Geschwindigkeit der Ortswechsel und Kommunikation sowie ein zunehmender »appeal« anderer und fremder Kulturen eröffnen und konstituieren die Prozesse der globalen Gesellschaftswelten. Dass sich aus diesen Gesellschaftswelten, die ich als nicht steuerbare Prozesse und unvorhersehbare Ereignisse beschreibe, mit zunehmender Intensivierung eine – von diesen zu unterscheidende – Weltgesellschaft entwickelt, lässt sich anhand einer Reihe empirischer Daten erfassen. Der Begriff der Weltgesellschaft wird schon seit Jahrzehnten gebraucht und doch hat sich sein Gehalt in entscheidender Weise verschoben und modifiziert. War die Weltgesellschaft in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine die Beziehungen souveräner Staaten, also die Weltpolitik, bloß ergänzende Sphäre, gewinnt sie mit den achtziger und neunziger Jahren, d.h. den Jahren einer forcierten Globalisierung an Gewicht und Eigenständigkeit. Die schon beschriebene vielschichtige Erosion der Nationalstaaten, aber auch die aus politischen Entscheidungen hervorgehenden transnationalen Organisation bis hin zur UNO haben zur anfänglichen Etablierung einer Weltgesellschaft geführt. Den diese realisierenden sozialen Prozess, der sich genuin als Geschehen von Ansprüchen und Verantwortungsverhältnissen jenseits und vor den politischen Ordnungen entfaltet, vollzieht sich in den Gesellschaftswelten. Diese sind keine Orte berechenbarer Symmetrien und institutionalisierter Rechtszusammenhänge. Vielmehr gehen sie diesen voraus als Werden von Normen, die sich in einem interpersonalen, sozialen und diskursiven Verantwortungsprozess auch in einem globalen Kontext ergeben. Verantwortung auf dieser Ebene ist nicht delegierbar oder übertragbar, sie entfaltet sich prospektiv und sprengt die räumliche wie zeitliche Einengung und Beschränkung. Diese Verantwortung lastet dem Einzelnen mehr auf, als er tragen kann und verlangt von ihm mehr, als er geben kann.

Zugleich ist sie aber auch der Vollzug eines sozialen und interpersonalen Friedens, der nach Gerechtigkeit und ihrer Instituierung im Politischen verlangt. Dort angelangt schmilzt die Verantwortung des einzelnen auf ein kalkulierbares und begrenzbares Maß zusammen. Die Verantwortung wird zurechenbar auf den einzelnen bezogen und von diesem eingefordert. Aber mit dem Augenblick ihrer Instituierung im Recht und im Politischen erlöschen die Ereignisse der Gesellschaftswelten und hinterlassen Spuren in einer Weltgesellschaft, die heute mehr und mehr zum Widerpart des Politischen und des Ökonomischen wird. Mit dem Einzug der gesellschaftsweltlichen Geschehen in die Weltgesellschaft wird auch der Frieden zu einem ihrer konstitutiven Bestandteile. Denn Frieden ist nach der anfänglichen Etablierung einer Weltgesellschaft nicht mehr vorrangig der Name für eine Beziehung zwischen den Staaten, sondern er benennt die gesamten Verhältnisse im Innern einer globalen Gesellschaft. Oder mit den Worten Georg Pichts: „Die These von der Unteilbarkeit des Friedens besagt also sehr viel mehr als nur die Feststellung, dass es unter den heutigen technischen und ökonomischen Bedingungen immer schwieriger wird, bewaffnete Konflikte zu begrenzen. Sie besagt darüber hinaus, dass sich ein Zustand, den man Frieden nennen könnte, nur noch als innere Ordnung einer Weltgesellschaft verstehen und angemessen beschreiben lässt.“6 Anders als zwischen den souveränen Staaten entfaltet sich diskontinuierlich aber zugleich dauerhaft in der Weltgesellschaft im Ausgang gesellschaftsweltlicher Prozesse eine Friedensverantwortung, die sowohl Menschen wie Gruppen, Organisation und Institutionen betrifft. Auf der Ebene des Völkerrechts sprechen wir eher von einer Friedenspflicht, die auf der Grundlage einer rechtlich bindenden Vereinbarung das Verhältnis der unterzeichnenden Staaten regelt. Auch hier ist es erst im Verlaufe eines langen Prozesses zum zwingenden zwischenstaatlichen Gewaltverbot gekommen: „Vom Recht der souveränen Staaten zum Krieg ist nichts mehr übriggeblieben. Die Staaten haben nicht mehr die Möglichkeit, Krieg oder Frieden zu wählen, sondern sind kraft allgemeinen Völkerrechts verpflichtet, den Frieden zu erhalten“… heute ist „auf der Grundlage der allgemeinen Friedenspflicht der Friede das oberste Ziel, dem selbstverständlich die Mittel angepasst werden müssen.“7 Diese Beschreibung der Normentwicklung im Völkerrecht Otto Kimminichs scheint plausibel und steht doch zugleich in einem auffälligen Missverhältnis zu den Entwicklungen seit den frühen neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts, seit dem sogenannten 2. Golfkrieg. Das Recht auf Krieg, das sich einige Staaten nehmen und die USA sogar als Recht auf Präventivkrieg fordern, lässt die aus dem Völkerrecht hervorstrahlende Friedenspflicht der Staaten verblassen. Und doch bleiben – auch diese Entwicklung ist beobachtbar – aufmerksam agierende globale Gesellschaftswelten in den Ordnungen des Politischen virulent und fordern diese heraus. Entfacht und gestärkt wird dieser Stachel der Irritation durch ein längst nicht mehr in die Grenzen der einzelnen Staaten zurückzudrängendes soziales Ereignis, das neben einer weltweiten Forderung nach Frieden zugleich die nicht delegierbare Verantwortung für ihn unablässig neu hervorbringt.

Anmerkungen

1) Kurtz Bayertz: Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung, in: ders. (Hg.): Verantwortung. Prinzip oder Problem?, Darmstadt 1995, S. 25.

2) Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt/M.1979, S. 174.

3) Emmanuel Levinas: Du sacré au saint. Cinq nouvelles lectures talmudiques, Paris 1977, S. 139. – Dt.: Vom Sakralen zum Heiligen. Fünf neue Talmud-Lesungen, übers. von F. Miething, Frankfurt/M. 1996, S. 137.

4) Max Müller: Der Friede als philosophisches Problem, in: Dieter Senghaas (Hg.), Den Frieden denken, Frankfurt/M. 1995, S. 31.

5) Emmanuel Levinas: Frieden und Nähe, übers. von Pascal Delhom, S. 6 (Ms der Übersetzung)

6) Georg Picht: Was heißt Frieden?, in: Dieter Senghaas: Den Frieden denken, a.a.O., S. 184.

7) Otto Kimminich: Das Völkerrecht und die friedliche Streitschlichtung, in: Dieter Senghaas: Den Frieden denken, a.a.O., S. 152.

Dr. Alfred Hirsch, Privatdozent (Philosophie) an der Universität Hildesheim und Leiter der Forschungsgruppe »Kulturen der Verantwortung – Zu den kulturellen Voraussetzungen komplexer Verantwortungsgesellschaften» des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen

Der Fall Mordechai Vanunu

Der Fall Mordechai Vanunu

von Daniel Ellsberg

Am 11. Mai 2005 würdigte Daniel Ellsberg in einer Rede vor der Überprüfungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (Atomwaffensperrvertrag) in den Vereinten Nationen in New York das Engagement Mordechai Vanunus für den Frieden:

Vor 19 Jahren tat Mordechai Vanunu, der als Techniker in der geheimen Atomwaffenanlage von Dimona in Israel arbeitete, etwas, wozu er alles Recht hatte. Er tat etwas, was andere, die über dasselbe Wissen über Israels nukleare Aktivitäten und deren Folgen für die Sicherheit und Demokratie in Israel sowie für die Weltordnung verfügten wie er, früher oder später auch hätten tun müssen. Er enthüllte gegenüber seinen Mitbürgern und der Welt die Wahrheit über diese Aktivitäten, die von seiner Regierung seit langem zu Unrecht verheimlicht und abgeleugnet wurden.

Er enthüllte nicht nur, dass Israel ein Atomwaffenstaat ist. Das war aufgrund von undichten Stellen im US-amerikanischen Geheimdienst schon seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt und breit publiziert. Die Photos von Vanunu und seine Interviews mit der Londoner Sunday Times enthüllten aber, dass die Amerikaner und alle übrigen Geheimdienste das Tempo und den Umfang der geheimen, keinerlei Kontrollen unterliegenden Produktion von Nuklearmaterialien und -sprengköpfen durch Israel, insbesondere seit den frühen 1970er Jahren, erheblich unterschätzt hatten. Auf Grund seiner Enthüllungen wurde das israelische Atomwaffenarsenal 1986 auf etwa 200 Sprengköpfe geschätzt (bis dahin war man lediglich von 20 ausgegangen). Damit wurde Israel plötzlich zum fünft- oder möglicherweise sogar zum viertgrößten Atomwaffenstaat, noch vor Großbritannien und möglicherweise vor Frankreich. Nach 19 weiteren Jahren der Produktion ist diese Rangfolge vermutlich heute noch gültig.

Hatten es die Israelis, Bürger einer Demokratie, und andere Nationen der Welt etwa nicht verdient, das zu wissen? War seine Tat nicht ein Beispiel für den Umgang mit der Wahrheit, unter großem persönlichem Risiko, für das er Dank und Nachahmung verdiente? Seit einer Generation vertritt der Kernpyhsiker Joseph Rotblat, ein Mitbegründer der Pugwash-Bewegung, für die er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, die Auffassung, dass sich bei der nuklearen Abrüstung das Vertrauen in Inspektionen und Umsetzungsvereinbarungen teilweise auf »soziale Verifikation« stützen muss: Auf den Mut und das Gewissen von Wissenschaftlern, Technikern und Behördenmitarbeitern, die gegenüber Abrüstungsinspektoren vertragswidrige Aktivitäten enthüllen können. Unseligerweise gab es in den 35 Jahren, seitdem der nukleare Nichtverbreitungsvertrag in Kraft getreten ist, außer Mordechai Vanunu kein weiteres Beispiel für eine solche Initiative. Und dennoch ist deutlicher denn je, welches Potential darin liegt, wenn jemand wie Vanunu bereit ist, auch die schwersten persönlichen Konsequenzen für solche Enthüllungen zu tragen.

Stellen Sie sich zum Beispiel vor, ein Inder hätte von den heimlichen Vorbereitungen für nukleare Tests in seinem Land gewusst und wäre sich im Klaren gewesen über die verheerenden Folgen für die regionale und internationale Sicherheit. Stellen sie sich vor, er wäre mit seinem Wissen unmissverständlich und rechtzeitig an die Öffentlichkeit gegangen, so dass dieser tragische Fehler und somit die pakistanischen Tests, die ja als Folge absehbar waren, hätten vermieden werden können. Dieser Mensch wäre wohl zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt worden, wie das bei Vanunu der Fall war. Aber er hätte doch sicherlich den Friedensnobelpreis verdient, für den Joseph Rotblat – sein Vorrecht als Nobelpreisträger nutzend – Mordechai Vanunu schon wiederholt vorgeschlagen hat.

Vor einem Jahr konnte Vanunu – nachdem er seine 18-jährige Gefängnisstrafe bis zum letzten Tag abgesessen hatte, mit fast 12 Jahren in vollständiger Einzelhaft in einer 2×3 Meter großen Zelle – das Gefängnis verlassen, steht jetzt aber erneut unter Anklage und muss möglicherweise ins Gefängnis zurück, weil er die Einschränkung seiner Redefreiheit nicht hinnahm, die eindeutig seine grundlegenden Menschenrechte verletzt. Er hat sich in der Vergangenheit für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten und die weltweite Abschaffung von Atomwaffen ausgesprochen und wird dies auch weiterhin tun. Er wird weiterhin alles Wissen preisgeben, das zur Förderung dieser Ziele beitragen kann. Es ist aber absurd zu behaupten, wie dies der Leiter des israelischen Sicherheitsapparates tut, dass die Enthüllung weiterer Einzelheiten aus seiner Zeit in Dimona vor 19 Jahren durch Vanunu heute noch die nationale Sicherheit Israels untergraben könnte. Ist doch noch nicht einmal nach Vanunus Enthüllungen von 1986 ein Schaden für Israels Sicherheit nachzuweisen. Vielmehr soll mit dem Verbot, mit Ausländern und ausländischen Journalisten überhaupt bzw. mit israelischen Mitbürgern über nukleare Themen zu reden, lediglich seine Gefängnisstrafe auf unbegrenzte Zeit verlängert werden, die Strafe, die er dafür erhielt, dass er unerlaubt die Wahrheit aussprach.

Das abschreckende Signal an andere potentielle Vanunus – in Israel oder sonst wo – könnte nicht klarer ausfallen. In einer Welt, die dringlichst mehr Vanunus braucht – insbesondere mein eigenes Land, die Vereinigten Staaten, und auch die anderen Atomwaffenstaaten, die ihre Verpflichtungen aus Artikel VI des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (zur vollständigen Abrüstung ihrer Atomwaffen; d.Ü.) verletzen –, sollte der Rest der Welt ein solches Signal einfach unangefochten hinnehmen? Im Interesse vitaler Transparenz und künftiger sozialer Verifikation muss die neue Anklage gegen Vanunu und die Einschränkung seiner Rede- und Reisefreiheit unbedingt auf internationalen Protest stoßen.

Es ist höchste Zeit, dass der Rest der Welt zusammen mit Mordechai Vanunu fordert, dass Israel seinen Status als Atomwaffenstaat mit einem großen und wachsenden Arsenal zugibt und dass alle Atomwaffenstaaten – einschließlich Israel, Indien und Pakistan, vor allem aber die USA und Russland – konkrete und zeitgebundene Schritte hin zur globalen, verifizierbaren Abrüstung von Atomwaffen verhandeln.

Daniel Ellsberg arbeitete als Wirtschaftswissenschaftler einige Jahre in der Forschung, dann an der US-Botschaft in Saigon und ab 1967 bei RAND an der streng geheimen McNamara-Studie zu Vietnam. Ellsberg kopierte heimlich die Studie, die später unter dem Namen Pentagon Papers bekannt wurde, und spielte sie zunächst dem Auswärtigen Ausschuss des US-Kongresses und schließlich, im Jahr 1971, der New York Times, der Washington Post und anderen Zeitungen zu. Die Anklage gegen Ellsberg mit einer Strafandrohung von bis zu 15 Jahren Haft wurde 1973 fallen gelassen, weil die US-Regierung versucht hatte, ihn zum Schweigen zu bringen. In der Folge wurden etliche Offizielle des Weißen Hauses verurteilt. US-Präsident Nixon musste letztlich zurücktreten.
Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen

Whistleblowing – Verantwortung übernehmen!

Whistleblowing – Verantwortung übernehmen!

Der Fall des MIT-Professors Theodore A. Postol

von Annegret Falter und Götz Neuneck

Mitte der achtziger Jahre informierte Mordechai Vanunu die internationale Öffentlichkeit über den Umfang des israelischen Atomwaffenprogramms. Achtzehn Jahre verbrachte er dafür in israelischen Gefängnissen. Anfang der 1970er Jahre machte Daniel Ellsberg die sogenannten Pentagon-Papers zur jahrzehntelangen Verstrickung der US-Regierung in den Vietnam-Krieg der Öffentlichkeit zugänglich. Die Anklage gegen Ellsberg mit einer Strafandrohung von bis zu 15 Jahren Haft musste 1973 fallen gelassen werden. Der ehemalige Kapitän der sowjetischen Marine Alexander Nikitin wurde auf Grund seiner Veröffentlichungen, in denen er unter anderem auf verwahrloste Atommüll-Plätze und den desolaten Zustand der russischen Nordmeerflotte aufmerksam machte, verhaftet und jahrelang mit Prozessen überzogen. Theodore A. Postol untersuchte die Regierungsangaben zur Effizienz des Patriot-Systems und Funktionsfähigkeit des NMD-Raketenabwehrprogramms. In seinen Veröffentlichungen wies er nach, wie systematisch Kritik an »Falschangaben« behindert und KritikerInnen abgeblockt werden. Vier Beispiele für Whistleblowing. Zwei davon dokumentieren wir hier etwas ausführlicher.

Theodore A. Postol, Professor of Science, Technology and National Security im Security Studies Program am MIT, Cambridge/USA, ist ein brillianter Wissenschaftler und herausragender Kritiker der US-Pläne zur Errichtung einer umfassenden Raketenabwehr. Er arbeitete im militärischen Bereich (1982-84), im US-Kongress (1980-1982), im akademischen Bereich (1978-1980) sowie ab 1984 an diversen Problemen nationaler und internationaler Sicherheit und hatte Einblick in klassifiziertes Material.

Abgesehen von erstklassigen technisch-wissenschaftlichen Analysen ist er durch zwei »Vorgänge« aufgefallen, die große Tragweite für die internationale Sicherheit haben.

Falsche Regierungsangaben zur Effizienz des Patriot-Systems

Ted Postol untersuchte 1991/92 zusammen mit seinem Kollegen Georg Lewis die »Performance« des Patriot-Raketenabwehrsystems, das in der 2. Phase des Golf-Krieges gegen irakische SCUD-Raketen eingesetzt wurde. Die Analyse, die sich auf die Auswertung von Videoaufnahmen stützte, zeigte, dass die Patriot-Abfangraketen wahrscheinlich keine SCUD abgefangen hatten, was den offiziellen (anfänglich) 90 Prozent Abfangraten vollständig widersprach. Die Ergebnisse sind in einem umfangreichen Beitrag der renommierten Zeitschrift »International Security« niedergelegt und führten zu einer internationalen Debatte. Die US-Armee gab später zu, dass die Trefferquote wesentlich niedriger gelegen habe, als ursprünglich angegeben.

Gleichwohl verkauften sich nach dem Golf-Krieg die Patriots gut. Ihr Einsatz im Golf-Krieg lenkte das Interesse anderer Staaten auf das US-System.

Auch der deutsche Bundestag hat entgegen Warnungen von wissenschaftlicher Seite unlängst beschlossen, sich mit einer Milliarde Euro an der Entwicklung des Nachfolge-Systems MEADS zu beteiligen.

Funktionsfähigkeit des NMD-Raketenabwehrprogramms

Seit Mitte der 90er Jahre übte Postol öffentlich Kritik an den Raketenabwehrplänen der Clinton- und der Bush-Administrationen. Um anfliegende Nuklearsprengköpfe im Weltraum abzufangen, soll ein Aufprallflugkörper (Kill Vehicle, KV), der mit Sensoren und Schubdüsen ausgestattet ist, mit einer mehrstufigen Abfangrakete ausgesetzt und auf den Sprengkopf gelenkt werden, um ihn zu zerstören. Um das komplexe, bodengestützte System zu erproben, wurden bisher zehn Flugtests mit dem »Kill Vehicle« durchgeführt, von denen lediglich die Hälfte erfolgreich war. Mitte der neunziger Jahre konkurrierten die US-Firmen TRW (heute: Northrop Grummon Systems & Mission Corp.) und Raytheon um den Auftrag für das KV. Eine Angestellte von TRW, Nira Schwartz, die mit der Software der Zielerkennung beschäftigt war, erkannte, dass das TRW-Programm nicht in der Lage war, echte Ziele von Attrappen zu unterscheiden. Ohne diese Fähigkeit aber „hätte NMD niemals eine realistische Chance, im Ernstfall zu funktionieren“ (Postol). Schwartz schlug vor, dies dem Auftraggeber mitzuteilen, wurde aber stattdessen 1996 gefeuert. 1997 wurde der »Fly-by« Test IFT-1A und ein weiterer Test IFT-2 durchgeführt. Technology Review zitiert den TRW-Ingenieur Danchick, die verantwortlichen Wissenschaftler „erschwindelten, manipulierten und zensierten die Daten, um die gewünschten Resultate zu erzielen.“ Von den Ergebnissen dieser beiden Tests hing das weitere »Schicksal« von NMD ab. Die Ergebnisse bestätigten laut Postol vorausgegangene theoretische Berechnungen, nach denen das Programm nicht zwischen imitierten Sprengköpfen, Ballons und einfachen kegelförmigen »Lockvögeln« unterscheiden konnte. Daraufhin änderte man für die folgenden Flugtests die Versuchsbedingungen u.a. dahingehend, dass nur noch wenige, unterscheidbare Attrappen eingesetzt wurden.

Auf die Intervention von Nira Schwartz hin musste das Verteidigungsministerium die TRW-Datenanalysen von zwei unabhängigen Kontroll-Beamten überprüfen lassen. Diese wiederum beauftragten ein Wissenschaftler-Team unter der Leitung des Lincoln Laboratory vom MIT mit der Evaluierung der Fakten. Dieses »Phase One Engineering Team« (POET) erklärte in seinem Abschlussbericht, die Diskriminierungs-Software sei „gut konzipiert und funktioniere ordnungsgemäß“, obwohl die Resultate und selbst öffentlich zugängliche Daten für Experten das Gegenteil nahe legten.

Lincoln Lab erhält jährlich rund eine halbe Milliarde vom Pentagon.

Postol bezichtigte das Management des Lincoln Lab des Wissenschaftsbetruges. Er wandte sich im Mai 2000 an Clintons Stabschef, John Podesta, und schlug vor, ein unabhängiges Wissenschaftlerteam einzusetzen, um die Anschuldigungen klären und künftige Tests besser überwachen zu lassen. Das Pentagon klassifizierte darauf hin den Brief ans Weiße Haus inklusive der umfangreichen Dokumentation – und die POET-Studie selber. Mitglieder eines Pentagon Geheimdienstes versuchten, Postol klassifizierte Informationen zu zeigen, um ihn daraufhin auch zum Schweigen verpflichten zu können. Kongress-Anhörungen und FBI-Untersuchungen wurden in Gang gesetzt. Ein Bericht des GAO vom Februar 2002 kam zu dem Schluss, dass die Fähigkeiten des KV-Sensors von TRW übertrieben dargestellt worden seien.

Geheimforschung am MIT

Das Lincoln Laboratory gehört zum altehrwürdigen Massachusetts Institute of Technology (MIT). Folglich wandte sich Postol im April 2001 an den Präsidenten und die Universitätsverwaltung. Er forderte eine interne Untersuchung seiner Vorwürfe gegenüber der Leitung des Lincoln Lab: Wissenschaftsbetrug und Behinderung der Ermittlungen einer Bundesbehörde.

Was nun folgt, scheint ein kafkaeskes Lehrstück zu den Problemen der Geheimforschung an Universitäten zu werden.

Nachdem es MIT nicht gelingt, Postols ebenso berechtigtes wie sicherheitspolitisch wichtiges Anliegen totzuschweigen, wählt man neun Monate später den Weg, die Aufklärung der in Frage stehenden Sachverhalte durch Geheimhaltungsauflagen unmöglich zu machen. Diese Strategie wird in der Folge in harmonischem Zusammenspiel zwischen MIT-Spitze und Pentagon durchgehalten und ausgeweitet. Postol wiederum erhält von der Universität die Auflage, „die Art und Weise, wie seine Beschwerde gehandhabt wird, vertraulich zu behandeln“. Woran Postol sich nicht hält, sondern zu einem späteren Zeitpunkt eben diese Strategie en detail in einem »offenen Brief an MIT’s Faculty« darlegt

Als sich die Universität aufgrund von Postols Beharrlichkeit und unter dem Druck von Berichten in Fachjournalen und in der überregionalen Presse, die von Postol kontinuierlich mit Informationen versorgt wird, dann doch ein Stückweit bewegen muss, greift der zweite Abblockmechanismus: Es werden solche Universitätsangehörige, gern auch so genannte »Ehemalige«, mit »Nachforschungen« betraut, die fest ins Interessennetzwerk des Privatunternehmens MIT eingebunden sind.

Mit der Untersuchung der Anschuldigung des Wissenschaftsbetruges wird schließlich Prof. Ed Crawley, Chair of the Aeronautic’s and Astronautic’s Department, als alleiniger Ermittler beauftragt. Im Juli 2002 weist Crawley den Vorwurf des Wissenschaftsbetrugs in einem Zwischenbericht zurück und lobt die Arbeit des Lincoln Lab. Postol macht ihn sofort auf die Widersprüche in seinem Bericht und auf die Strafbarkeit und möglichen Konsequenzen einer Beihilfe zur Vertuschung von Tatsachen in einer regierungsamtlichen Untersuchung aufmerksam, woraufhin Crawley vier Monate später, im November 2002, seine Ergebnisse komplett revidiert. Er stellt fest, dass genug Beweismaterial für die Einleitung einer formellen Untersuchung vorliegt. Postol darf den Bericht wiederum nicht einsehen.

Die Universitätsleitung kündigt eine sofortige Einleitung der Ermittlungen an.

Im Dezember 2004 teilt der scheidende President Vest mit, das MIT könne die Ermittlungen nicht durchführen, weil das Pentagon alle wichtigen Unterlagen, die im Zusammenhang mit dieser Untersuchung stünden, einschließlich des Abschlussberichts von Crawley, klassifiziert habe – „zum Schutz der nationalen Sicherheit.“

Nun schreibt Postol seinen offenen Brief an die MIT Faculty, in dem er die Vorgänge ungeachtet anderslautender Weisungen der MIT-Spitze offen legt. Er wirft MIT dreieinhalb Jahre Verschleppungsstrategie und Fehlleistungen vor. Er verbindet das mit konkreten Forderungen an die neue Präsidentin Susan Hockfield und wirft dabei die interessante Frage auf, wem gegenüber die Universität in derartigen Fällen eigentlich rechenschaftspflichtig ist.

Dieser Brief bleibt wiederum unbeantwortet.

Postol sagt, es gebe keine Widerlegung seiner Behauptungen in Sachen IFT-1 und IFT-2 und der Evaluierung durch das Lincoln Lab. Eine öffentliche Klärung kann nicht stattfinden wegen der kontinuierlichen Klassifizierungen von allen relevanten Äußerungen in dieser Angelegenheit.

Delegitimierung des Raketenabwehrsystems MD

We are obligated to tell people the truth at best we understand it.“ Postols beharrliche öffentliche Appelle in Presse und wissenschaftlichen Publikationen zeigen, dass er kein Freund von Absprachen, Geheimverhandlungen und vertraulichen Gesprächen ist, sondern die fundamentalen Fragen zur Funktionsfähigkeit der MD als zentrale Angelegenheit der Öffentlichkeit ansieht. Schließlich soll diese durch das MD-System »geschützt« werden. Wenn das jedoch prinzipiell nicht möglich ist, ist dies nicht nur eine Angelegenheit der US-Steuerzahler, sondern angesichts der Implikationen für die internationale Sicherheit und Abrüstung auch eine Frage der Weltöffentlichkeit. Darüber hinaus hat Postol sensitive Informationen immer wieder an Kollegen weitergegeben oder Reportern zur Verfügung gestellt. Dass diese dann im Nachhinein klassifiziert wurden, zeigt die Angst des Pentagon vor den Konsequenzen seiner Enthüllungen.

Postol hat bereits jetzt zweierlei bewirkt:

  • Es wird öffentlich diskutiert, in welchem Umfang ein defizitäres Abwehrsystem die Bürger der zu schützenden Staaten in einem Zustand »illusionärer Sicherheit« hält. Es verspricht hohe Effektivität, die im Ernstfall nicht eingehalten werden kann, behindert Abrüstung und Rüstungskontrolle und forciert das nukleare Wettrüsten: Ein Antagonist geht von einem funktionierenden Abwehrsystem aus und erhöht als einfache Gegenmaßnahme die Zahl der offensiven Nuklearraketen. Oder es werden andere Wege nuklearer Proliferation gewählt (z.B. Cruise Missile, Kurzstreckenraketen, Nuklearwaffen an Bord von Schiffen oder Flugzeugen).
  • Postol hat die Art und Weise, in der Lincoln Lab sein Kontrollmandat wahrgenommen hat, als das öffentlich gemacht, was es ist: Ein Lehrstück abhängiger und interessenverwobener wissenschaftlicher Politikberatung in einem politisch-militärisch-industriellen System, dem eine nicht näher definierte »nationale Sicherheit« zur Rechtfertigung der Bedienung industrieller Partikularinteressen dient.

Damit dürfte Postol das Bewusstsein vieler Bürger für falsche und inkompetente verteidigungs- und technologiepolitische Entscheidungen der Regierung geschärft und einen wesentlichen Beitrag zur Delegitimierung nicht nur dieses speziellen Raketenabwehrsystems, sondern auch eines unhinterfragten militärisch-technischen Sicherheitsverständnisses geleistet haben.

Delegitimierung von Geheimforschung an Universitäten

Theodore A. Postol hat als Wissenschaftler Fehler aufdeckt und von seiner wissenschaftlichen Einrichtung, der Fakultät und der Universitätsleitung, eindeutige und klare Konsequenzen gefordert. Er steht für eine Wissenschaft, die ihren eigenen Wahrheitsanspruch im besten Sinne des Worts nicht aus politischen oder aus finanziellen Gründen preisgibt. Diesem Anspruch ordnet er selbst seine persönliche Reputation und die Karriere seiner Arbeitsgruppe unter.

Er und seine Arbeitsgruppe sind teils direkt, teils in Bezug auf die Abwicklung von Drittmitteln vom MIT abhängig – was jetzt möglicherweise Gegenstand eines Verfahrens unter dem »Whistleblower Protection Act« wird, da der Verdacht auf finanzielle Repressionen gegen ihn und seine Arbeitsgruppe besteht.

Postol hat die Verzögerungs- und Vertuschungsstrategie der MIT-Führung öffentlich gemacht, als klar wurde, dass von Seiten des MIT keine weitere Aufklärung der Vorgänge am Lincoln Lab mehr zu erwarten ist. Damit hat er die Aufmerksamkeit auch auf die zugrunde liegende Problematik der Forschungsfinanzierung und der Geheimforschung an Universitäten gelenkt.

  • Wie der Fall MIT/Pentagon/Postol belegt, kann es entscheidend sein, ob Wissenschaftler und wissenschaftliche Institutionen über genügend Eigenmittel verfügen, dass sie interessierte Zumutungen aller Art von außen nötigenfalls ohne großes individuelles oder institutionelles Risiko ablehnen können. Mit anderen Worten, aus dem Fall MIT/Pentagon/Postol folgt das Gebot, mögliche Abhängigkeiten aufgrund immer stärker ins Gewicht fallender sog. Drittmittel-Einwerbung sorgfältig zu bedenken, sowie das Erfordernis, nach neuen Wegen der Forschungsförderung zu suchen. Dies liegt auch für Deutschland in einer Zeit auf der Hand, da regierungsamtlich mit den Universitäten ein »Bündnis für Innovation« abgeschlossen wird. Sicher werden Regierungen und Unternehmen mit den Forschungseinrichtungen verflochten bleiben. Notwendig aber ist es, auch das lehrt der Fall Postol, dass die Verbindungen durch ein Höchstmass an Transparenz und institutioneller Kontrolle ausgezeichnet sind.
  • Angesichts der enormen Komplexität und arbeitsteiliger Spezialisierung wissenschaftlicher Forschung sind häufig zunächst nur diejenigen, die selbst tief in den Forschungen stecken, in der Lage, Fehler, Betrügereien oder gefährliche Implikationen namhaft zu machen. Wenn zusätzlich das zentrale Kontrollelement wissenschaftlicher Forschung, die Peer Review, durch Geheimhaltung ausgehebelt wird, stellt sich ganz allgemein die Frage nach der Zuverlässigkeit der Forschungsergebnisse wie auch der Rationalität der darauf beruhenden politischen Entscheidungen. Das gilt mutatis mutandis gleichermaßen für die Forschung in Deutschland. Darum sind Mittel und Wege zu finden, die es den beteiligten Wissenschaftlern auch hier erlauben, sich mit ihrem Expertenwissen, ihren Ahnungen und Mahnungen Gehör zu verschaffen. Nicht von außen, nur von innen heraus ist in vielen Fällen eine frühzeitige Warnung noch möglich.

Whistleblower

Als Whistleblower werden Persönlichkeiten bezeichnet, deren Verhalten (Whistleblowing) folgende Kriterien erfüllt:

Brisante Enthüllung (»reveiling wrongdoing …«)

Ein/e Whistleblower/in deckt in seinem/ihrem Arbeitsumfeld oder Wirkungskreis gravierende Fehlverhalten, schwerwiegende Missstände oder Fehlentwicklungen auf, die mit erheblichen Gefahren oder Risiken für Leben, Gesundheit, die nachhaltige Sicherung und Entwicklung der Ökosysteme, die Demokratie oder das friedliche Zusammenleben der Menschen verbunden sind oder jedenfalls verbunden sein können.

Sein/ihr Verhalten kann auch darin bestehen, dass er/sie eine (weitere) Mitwirkung oder Mitarbeit an dem in Rede stehenden Projekt oder Vorhaben, zu der er/sie vertraglich oder gesetzlich an sich verpflichtet ist, ablehnt und dadurch den Sachverhalt öffentlich macht.

Alarmschlagen (»going outside«)

Ein solches „Alarmschlagen“ erfolgt im Regelfall zunächst intern, also im persönlichen oder beruflichen Wirkungskreis des Whistleblowers („internes Whistleblowing“). Wird sein internes Alarmschlagen unterdrückt und/oder bleibt es wirkungslos, wendet er sich an Außenstehende oder an die Öffentlichkeit, namentlich an Aufsichtsbehörden, Ombudsleute, Abgeordnete, Berufsverbände/Gewerkschaften, Journalisten und Massenmedien etc („externes Whistleblowing“).

Primär uneigennützige Motive (»serving the public interest …«)

Das Alarmschlagen erfolgt nicht aus Eigennutz, sondern primär aus Motiven, die am Schutz gewichtiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, friedliches Zusammenleben der Menschen, Demokratie, nachhaltige Sicherung und Entwicklung der Ökosysteme etc.) orientiert sind. Der/die Betreffende erstrebt und erreicht mit seinem Whistleblowing keine wirtschaftlichen Vorteile für sich oder ihm/ihr Nahestehende.

Inkaufnahme schwerwiegender Nachteile (»risking retaliation …«)

Dabei nimmt der/die Whistleblower/in in Kauf, dass sein/ihr Alarmschlagen mit erheblichen Risiken und/oder Nachteilen für die eigene berufliche Karriere oder die persönliche Existenz (oder die von Angehörigen etc.) verbunden ist.

Literatur

Gary Taubes: Postol vs. the Pentagon, Technology Review April 2002.

Harry Collins, Trevor Pinch: Der Golem der Forschung, Kap. 1 »Clean kill«? Die Rolle der Patriot-Raketen im Golf-Krieg, Berlin 2000, S. 15-43.

Ted Postol: Why Missile Defense Won´t Work, Technology Review April 2002.

The New York Times, Monday July 10, 2000.

San Francisco Chronicle, Monday March 3, 2003.

The Tech, Vol. 124 (58), 3.12.2004, Cambridge/Mass.

Brief von Edward Markey an Donald Rumsfeld, 5. Januar 2005.

Offener Brief von Ted Postol an die MIT-Fakultät vom 20. Dezember 2004.

Annegret Falter ist Politologin und Geschäftsführerin der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW)
Dr. Götz Neuneck ist Physiker und Leiter des Arbeitsbereichs »Abrüstung und Rüstungskontrolle« am ISFH

Das hehre Ideal des Erkennens und die harte politische Leidenschaft

Das hehre Ideal des Erkennens und die harte politische Leidenschaft

Zum 50. Todestag von Albert Einstein

von Fritz Stern

Als Historiker über einen Wissenschaftler wie Albert Einstein zu sprechen, ist immer auch eine etwas unheimliche Herausforderung. Gehört er nicht in diesem Gedenkjahr zuvörderst den Dienern im Tempel der Wissenschaft, um ein Wort Einsteins bei Max Plancks 60. Geburtstag aufzugreifen? Und doch darf man Einsteins Wirken im öffentlichen Leben, seine Empfindungen und Äußerungen als entfremdeter Deutscher und ungewisser Weltbürger als ein Lehrstück der Geschichte betrachten. Nur weiß ich leider und aus sicherster Quelle, wie Einstein selber über Wissenschaft und Geschichts-Studium dachte. Als achtzehnjähriger Student hatte ich das Glück, ihn zu treffen. Auf seine Frage, was ich denn studierte, gestand ich Unentschlossenheit, ob ich mit dem medizinischen Studium – das eine Art familiäre Erbschaft war – fortfahren oder meiner Leidenschaft folgen und zu Geschichte und Literatur umsiedeln sollte. Einsteins spontane Antwort: Das ist doch einfach, Medizin ist Wissenschaft, Geschichte ist es nicht – also Medizin.

Mitgestalter und Opfer

Ich bin seinem Rat nicht gefolgt, und so spreche ich heute als Historiker über Albert Einstein. Einstein hat Glanz und Elend deutscher Geschichte erlebt und erlitten. Zur Zeit Einsteins war Deutschland die Verheißung, später die Heimsuchung der Welt – das Land, das entscheidenden Einfluss auf die Weltpolitik hatte, und in dem für einen Augenblick, der ein Leben lang zu währen schien, das moralische Drama unserer Zeit stattfand. Albert Einstein war Mitgestalter und später Opfer dieses Dramas. Er war ein Mann voller Widersprüche in einem Land von Widersprüchen.

Als Fünfzehnjähriger entkam er der Wehrpflicht durch den Weggang aus Deutschland. Es ist ja auch schwer, sich Einstein im Feldgrau vorzustellen. In der Schweiz genoss er die liberale Atmosphäre und konnte die Sprache, die er sein ganzes Leben lang pflegte und wie wenige beherrschte, beibehalten. Er empfand eine Abneigung gegen das kaiserliche Deutschland mit seinem Prunk und seiner verunsicherten Arroganz. Die viel gepriesene Schneidigkeit lag ihm nicht. Zeit seines Lebens hatte er das größte Misstrauen gegen die Macht. Er passte nicht in die Welt von Kaiser Wilhelm, dieser Unglücksfigur deutscher Geschichte mit seinem Anspruch auf Gottesgnadentum. Als junger Mann war Einstein bereits überzeugt, dass „Autoritätsdusel der größte Feind der Wahrheit“ sei.

1913 lockten Max Planck und Walter Nernst Einstein mit einem einmaligen Angebot in das wilhelminische Berlin. In jenen Vorkriegsjahren war Berlin das Mekka der Wissenschaft in dem aufsteigenden Land Europas. Diese Zeit erscheint mir als die zweite deutsche Geniezeit – nach dem Aufblühen deutscher Kultur am Ende des 18. Jahrhunderts. Einstein sollte bezahltes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ohne Berufsverpflichtungen werden.

Und doch kam er im April 1914 mit einigem »Unbehagen« nach Berlin. Vielleicht kann man das damit erklären, dass manches bei Einstein an einen seiner Lieblingsdichter erinnert: Heinrich Heine. Ein deutscher Jude wie er, der sein Leben im Exil verbringen musste, wie Einstein später auch. Vor kurzem stieß ich auf eine Stelle bei Heine, die er 1854 kurz vor seinem Tode verfasste. Ich weiß nicht, ob Einstein sie kannte, glaube aber, er hätte sie als erquickende Bosheit empfunden: „Charakteristisch ist es, dass unsern deutschen Schelmen immer eine gewisse Sentimentalität anklebt. Sie sind keine kalten Verstandesspitzbuben, sondern Schufte von Gefühl. Sie haben Gemüth, sie nehmen den wärmsten Antheil am Schicksal derer, die sie bestohlen … Sogar unsere vornehmen Industrieritter sind nicht bloße Egoisten, die nur für sich stehlen, sondern sie wollen den schnöden Mammon erwerben, um Gutes zu thun. In den Freistunden, wo sie nicht von ihren Berufsgeschäften … in Anspruch genommen werden, beschützen sie Pianisten und Journalisten, und unter der buntgestickten, in allen Farben der Iris schillernden Weste trägt mancher auch ein Herz, und in dem Herzen den nagenden Bandwurm des Weltschmerzes.“

So brillant hart konnte auch Einstein sich ausdrücken. Kein Wunder, dass viele Deutsche beide Männer als großes Ärgernis empfanden. Einstein konnte ähnlich bitter über die Deutschen lästern: „Wenn diese Leute mit Franzosen und Engländern zusammen sind, welcher Unterschied! Wie roh und primitiv sind sie. Eitelkeit ohne echtes Selbstgefühl, Civilisation: schön geputzte Zähne, elegante Kravatte, geschniegelter Schnauz, tadelloser Anzug, aber keine persönliche Kultur.“ Einstein kam nach Berlin als Europäer. Er hatte kurz in Italien gelebt, sich in der Schweiz am wohlsten gefühlt, hatte in Prag gelehrt und Paris besucht, und seinen ersten wissenschaftlichen Auftritt erlebte er in Brüssel 1911. Er stolperte ins Weltbürgertum, ehe er es als politische Notwendigkeit erkannte. Vor dem ersten Weltkrieg spürte er wohl nur eine Bindung – zu den Juden, zu seinen »Stammesgenossen«, wie er sie bezeichnete. In Russland etwa wurden damals Juden verfolgt, und in Deutschland hatten es junge Juden aus Osteuropa niederträchtig schwer; Einstein hatte stets eine besondere Neigung zu sofortiger Sympathie für die ungerecht Zurückgesetzten.

Plötzlich ein globaler Held

Bei aller Kritik blieb Einstein sein Leben lang mit Deutschland tief verbunden – im Guten wie im Bösen. Allein die Sprache, die er mit konziser, eleganter Klarheit beherrschte, markierte tägliche Erinnerung. Das Böse, das er in Deutschland beobachtete und erfuhr, ließ ihn das Gute nie vergessen; noch im Exil, trotz allem Hass auf Hitlers Deutschland, erinnerte er sich an den einzigartigen Gewinn, den ihm die Berliner Zeit brachte, sprach in Amerika von „dem kleinen Kreis von Menschen, der früher harmonisch verbunden war … und in dieser menschlichen Sauberkeit kaum mehr von mir angetroffen worden ist.“

Kaum angekommen in Berlin, tief versunken in Arbeit und Familienjammer, der Politik eher fremd, erlebte Einstein den Ausbruch des Weltkriegs: für ihn eine unbegreifliche Tragödie. Er musste die deutsche Begeisterung vom August 1914 miterleben, zusehen, wie Freunde und Spitzen deutscher Wissenschaft sich zu dem Aufruf »An die Kulturwelt« bekannten, diesem Loblied auf deutsche Unschuld und auf die deutsche Synthese von Kultur und Macht. Dieses Aufbrausen nationaler Gefühle war für Einstein unfassbar: Krieg als Ende eines faulen Friedens, als gesegnete Opferbereitschaft für Gott und Volk, Sterben als Erlösung und Erhöhung.

Bereits 1914 stieß er zu einer kleinen Gruppe von Kriegsgegnern, die den »Bund Neues Vaterland« gründeten, in Hoffnung auf baldigen Frieden. Der Bund wurde zwei Jahre später verboten, 1922 wurde er neu gegründet als deutsche Liga für Menschenrechte. Einige der Begeisterten von 1914 erschraken über die Kriegsführung und wurden zu einer wichtigen Gruppe von Moderaten, die den Mut zur Selbstüberwindung hatten und für einen Vernunftfrieden plädierten. Max Planck gehörte zu diesen Menschen, wie auch Ernst Troeltsch, der noch während des Krieges Kontakt mit Einstein aufgenommen hat.

Einstein war voller Hoffnung, als das Kaiserreich zusammenbrach, und Deutschland, so glaubte er, von Machtreligion und Kadavergehorsam befreit war. Es war eine allzu kurze Zeit der Freude, bis er im eigenen Leben spürte, wie sehr das alte Deutschland sich an der neuen Republik rächen wollte. 1919 bestätigte eine englische Expedition bei Messungen während einer Sonnenfinsternis Einsteins Relativitätstheorie. Er empfand dies als eine »Gnade des Schicksals«. Aber die Folgen waren unvorhersehbar und nicht nur gnadenvoll. Er wurde unmittelbar und weltweit mit Ruhm umgeben, wurde zum globalen Held der Wissenschaft erkoren. Es war wohl kein Zufall, dass Einstein, ein Unbekannter von unbestimmter Nationalität, Zivilist und Kriegsgegner, gerade in diesem Moment zu einer Leitfigur der Menschheit erhoben wurde. Nach dem Weltkrieg waren die alten Helden, die Würdenträger in Staat und Kirche verbraucht und verunsichert. Er kam zur richtigen Zeit.

Mit dem Ruhm kamen Versuchung und Verantwortung. Er wurde Zielscheibe von entrüsteten Kollegen, von Physikern, von Angriffen mit klarem antisemitischen Unterton. Und er ließ sich vom Pöbel zur Polemik verführen. Aber Einstein empfand Ruhm als Verpflichtung, als Möglichkeit, Menschen für seine philosophisch-politische Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit, Frieden und Anstand zu gewinnen. Das erschien vielen als Ärgernis – auch viele seiner Freunde wünschten sich mehr Zurückhaltung. Der Krieg machte ihn zum Beschwörer des Friedens, schließlich zum militanten Pazifisten, wie er selbst sagte. Die Wissenschaft blieb Zentrum des Lebens, aber er wollte sich in den Dienst politisch-sittlicher Anliegen stellen. Sein Bekenntnis zum Weltbürgertum war eigene Erfahrung, zum Prinzip erhoben.

Einsteins viele Auslandsreisen dienten der Völkerversöhnung und wurden vom Auswärtigen Amt begrüßt. Er wurde der angesehenste Repräsentant deutscher Wissenschaft. Bemerkenswert ist, wie er in dieser Rolle auf allen Feldern vom Verlangen nach Wahrheit geleitet war; er war immer bereit zum Umdenken und zur Kritik gerade an Richtungen, die ihm am nächsten standen. Sein Einsatz für das Gedeihen einer jüdischen Heimat in Palästina etwa war eindeutig; er bemühte sich ganz besonders um die Errichtung der Hebräischen Universität in Jerusalem 1923, dessen oft unbequemer Schutzengel er blieb. Zugleich war aber seine Kritik in Briefen und gelegentlich in der Öffentlichkeit verblüffend hart.

1919 schrieb er an Paul Ehrenfest: „Am meisten freut mich die Realisierung des jüdischen Staates in Palästina. Es kommt mir vor, dass unsere Stammesgenossen doch sympathischer sind (zum mindestens weniger brutal) als diese scheußlichen Europäer.“ Sein Besuch in Jerusalem hat ihn tief bewegt. Aber schon in den späteren zwanziger Jahren warnte er Chaim Weizmann, seinen Freund, den Chemiker und Hauptvertreter des Zionismus, vor den Gefahren eines jüdischen Nationalismus; ohne Rücksichtnahme auf die Lebensinteressen der Araber, war er überzeugt, würde die zionistische Sache zerbrechen. Er fürchtete den „blödsinnigen Nationalismus und Rassenfimmel“, den man den anderen nachmacht „nach einer beispiellosen Schule des Leidens“. Der deutsche Mord an den Juden war für ihn der unfassbare Schluss dieser Schule des Leidens. Aber trotz aller Bedenken und kontinuierlicher Kritik hat er sich stets für den Staat Israel eingesetzt. Und nach Weizmanns Tod 1952 wurde er gebeten, das Amt des Präsidenten anzunehmen. Er blieb in Princeton, einsam und besorgt.

Die Nationalsozialisten hassten Einstein. Er war der Feind schlechthin: Jude, Pazifist, linker Streiter für Vernunft und Versöhnung. 1933 wurde er ausgebürgert, enteignet, seine Bücher wurden verbrannt. Schon Anfang der Zwanziger erkannte Einstein im Nationalsozialismus Hass und Gewalt, den Willen zu Krieg und Zerstörung. Er blieb sich treu und versuchte bereits im Frühling 1933, die Welt von den Gefahren Hitlers zu überzeugen. Dem opferte er sogar seinen Pazifismus und verlangte die Aufrüstung gegen Hitler. Gleichzeitig sah er mit Schrecken, wie die deutsche Geisteselite sich um Hitler scharte, ihn als Retter verherrlichte und das Ausstoßen jüdischer Kollegen befürwortete oder hinnahm. Wenige versuchten, die Ehre der Universitäten zu retten, zu einer Zeit, wo Protest gegen das Regime vielleicht noch hätte Wirkung haben können. Der Protest kam nicht, und das Schweigen ermutigte die Nazis zu immer größerer Radikalität.

Nicht versöhnt

Verletzend schrieb Einstein seinem Freund Fritz Haber, der als ehemaliger Frontsoldat im Amt hätte bleiben können und freiwillig und verzweifelt aus ihm ausschied, um nicht seine jüdischen Kollegen entlassen zu müssen: „Ich freue mich sehr, … dass Ihre frühere Liebe zur blonden Bestie ein bisschen abgekühlt ist … Hoffentlich gehen Sie nicht nach Deutschland zurück. Es ist doch kein Geschäft, für eine Intelligenzschicht zu arbeiten, die aus Männern besteht, die vor gemeinen Verbrechern auf dem Bauche liegen und sogar bis zu einem gewissen Grade mit diesen Verbrechern sympathisieren. Mich haben sie nicht enttäuschen können, denn ich hatte für sie niemals Achtung und Sympathie …“

Einstein konnte Deutschland nicht vergeben, diesem Land von »Massenmördern«. Er hat nur den Anfang der Bundesrepublik erlebt; er hat sämtliche ihm angebotenen Ehrungen abgelehnt, bis auf die Benennung eines Gymnasiums in Berlin nach seinem Namen. Es wäre vermessen zu spekulieren, ob er später zum Umdenken bereit gewesen wäre. Man darf aber vermuten, glaube ich, dass er den Mut zur Selbst-Befreiung in der DDR im Herbst 1989 begrüßt hätte: Leipzig am 9. Oktober, das hätte ihn beeindruckt.

Er starb am 18. April vor 50 Jahren in Princeton – mehr in Sorge als Hoffnung. Auch die Vereinigten Staaten sah er am Ende mit großem Misstrauen. Nach Hiroshima war er ein eindringlicher Mahner, dass Wissenschaftler ihre eigene große Verantwortung tragen müssten. Machtbesessenheit war ihm verhasst, sein Verlangen nach einer Weltregierung stieß auf taube Ohren, sein Wirken für eine vernünftige Nuklear-Politik hatte kaum Erfolg. McCarthys Amerika sah er mit deutschen Augen und unterschätzte die Gegenwehr im Lande.

Aber trotz aller Enttäuschungen hat Einstein sich menschlicher Größe nie verschlossen. In seinem Beitrag zur Gedenkfeier für Max Planck im Jahr 1947 heißt es: „Wem es vergönnt war, der Menschheit einen großen schöpferischen Gedanken zu schenken, der hat es nicht nötig, von der Nachwelt gepriesen zu werden. Denn ihm ward Höheres zuteil durch eine eigene That. Und doch ist es gut, ja sogar nötig, dass sich hier an diesem Tage Abgesandte der nach Wahrheit und Erkenntnis strebenden Forscher aus allen Teilen der Erde vereinigen. Sie legen Zeugnis dafür ab, dass auch in diesen Zeiten, in denen politische Leidenschaft und rohe Gewalt so große Sorgen und Leiden über die Menschen verhängen, das Ideal des Erkennens unvermindert hoch gehalten wird. Dies Ideal, das von jeher die Forschenden aller Nationen und Zeiten eng verbunden hat, war in Max Planck in seltener Vollkommenheit verkörpert.“ Es ist der Geist dieses Nachrufs, den wir im Gedenken an Albert Einstein zu bewahren haben.

Prof. em. Dr. h.c. mult. Fritz Stern, Historiker, Columbia University New York. Der Text ist eine gekürzte Fassung des Vortrags, den er am 6. März 2005 vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin gehalten hat.

Keine Kenntnis von den Erkenntnissen

Keine Kenntnis von den Erkenntnissen

Zur Göttinger Erklärung gegen deutschen A-Waffenbesitz

von Corinna Hauswedell

Unter dem Titel »Keine Kenntnis von den Erkenntnissen« veröffentlichte Corinna Hauswedell zum 30. Jahrestag der Göttinger Erklärung in W&F eine Würdigung der »Göttinger 18«; jener Amtomwissenschaftler, die sich in einem Apell 1957 gegen die beabsichtigte atomare Bewaffnung der Bundeswehr wandten und versicherten, dass sie nicht bereit seien, sich „an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.“ Der Autorin ging es damals nicht nur darum, die historischen Umstände in Erinnerung zu rufen, es ging ihr auch darum den Blick zu öffnen für Konstanten und Veränderungen im Engagement der WissenschaftlerInnen gegen die Atomkriegsgefahr – einschließlich deren Wirkungen auf die Politik. Wir erlauben uns einen Nachdruck dieses Artikels aus W&F 2-1987, auch deshalb, weil er einen Blick auf die Bewegung in den 80er Jahren wirft und wohl wissend, dass das Engagement der WissenschaftlerInnen sich seitdem weiter verändert hat – aber darauf beziehen sich andere Artikel in dieser W&F Ausgabe.

Wenn „… die Wissenschaftler sagten, ein kleines Land wie die Bundesrepublik schütze sich am besten durch einen ausdrücklichen Verzicht auf den Besitz atomarer Waffen, dann habe das mit wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts zu tun … man müsse aber Kenntnis von den Erkenntnissen haben, die diese Wissenschaftler nicht hätten, weil sie nicht zu ihm gekommen seien…“1 Diese erste heftige Reaktion Adenauers auf die »Göttinger Erklärung« enthüllte nicht nur die feudalistisch geprägte Denkungsart des Kanzlers, sondern auch in erschreckender Weise das Politikverständnis der Regierenden: Alle anderen sind inkompetent und unter Berufung auf Wissenschaftlichkeit wird die Wissenschaft von der Politik ausgeschlossen.

Dabei waren es gerade der bemerkenswert demonstrative Mangel an Sachkenntnis und die damit intendierte Verharmlosung in einer Presseerklärung Adenauers vom 5. April 1957 („Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie. ..“2) die die »Göttinger 18« schließlich zu ihrem öffentlichen Auftreten provoziert hatten. Vorausgegangen waren zwischen 1954 und 1956 Meldungen über die geplante atomare Ausrüstung der Bundeswehr mit US-Raketen und im November 1956 ein Brief der Atomwissenschaftler an Verteidigungsminister Strauß, „öffentlich zu erklären, dass die Bundesregierung Atomwaffen weder herzustellen noch zu lagern gedenke.“3 Die Antwort war unbefriedigend geblieben und Adenauers Presseerklärung musste nun aufs Äußerste beunruhigen. „…sie musste fast zwangsläufig der deutschen Bevölkerung ein völlig falsches Bild von der Wirkung der Atomwaffen vermitteln. Wir fühlten uns also verpflichtet zu handeln… Erstens musste die deutsche Bevölkerung über die Wirkung der Atomwaffen voll aufgeklärt, jeder Beschwichtigungs- oder Beschönigungsversuch musste verhindert werden. Zweitens musste eine veränderte Stellung der Bundesregierung zur Frage der atomaren Bewaffnung angestrebt werden. Daher durfte sich die Erklärung nur auf die Bundesrepublik beziehen.“4 So schilderte W. Heisenberg die Motive der »Göttinger«. „Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit…“, das war der Antrieb für die achtzehn Wissenschaftler, als »Nichtpolitiker« in die Politik einzugreifen. Sie nahmen dafür den Vorwurf der Inkompetenz in kauf, mussten sich, wie schon andere vor ihnen, des Vaterlandsverrats bezichtigen lassen. So argwöhnte Adenauer, sie hätten „es geradezu auf eine Schwächung der Bundesrepublik abgesehen.“5

C.F. von Weizsäcker erläuterte zwei Wochen, nachdem die Veröffentlichung zunächst Empörung und dann Beschwichtigungsversuche regierender Politiker ausgelöst hatte, die hinter der Erklärung stehenden Überlegungen:

  • „Erstens: Der Westen schützt seine eigene Freiheit und den Weltfrieden durch die atomare Rüstung auf die Dauer nicht; diese Rüstung zu vermeiden, ist in seinem eigenen Interesse ebenso wie in dem des Ostens.
  • Zweitens: Die Mittel der Diplomatie und des politischen Kalküls reichen offenbar nicht aus, dieser Wahrheit Geltung zu verschaffen; deshalb müssen auch wir Wissenschaftler reden und sollen die Völker selbst ihren Willen bekunden.
  • Drittens: Wer glaubwürdig zur atomaren Abrüstung raten soll, muss überzeugend dartun, dass er selbst die Atombombe nicht will.

Nur dieser dritte Satz bedarf noch eines weiteren Kommentars. In der Schrecksekunde nach der Veröffentlichung unserer Erklärung wurde uns von prominenter Seite vorgeworfen, wir hätten uns an die falsche Adresse gewandt; wir hätten einen Appell an unsere Kollegen in der ganzen Welt richten sollen. Diesen Vorwurf halte ich für ein Missverständnis. Dass die große Welt nicht auf Appelle abrüstet, haben wir erlebt. Wir hatten uns dorthin zu wenden, wo wir eine direkte bürgerliche Verantwortung haben, nämlich an unser eigenes Land…“6

Dass die »Göttinger« sich gegen das lähmende und diskriminierende geistige Klima des Kalten Krieges überhaupt zu ihrer Manifestation zusammenfanden, macht bereits ein Gutteil ihrer moralischen und politischen Bedeutung aus.

Die drei Punkte Weizsäckers verweisen auf die Substanz und das Anliegen der »Göttinger 18« und damit zugleich über den historisch-konkreten Anlass der »Göttinger Erklärung« hinaus. Sie enthalten bereits wesentliche Elemente dessen, was heute mit dem Begriff des »neuen Denkens« impliziert ist.

Auch Heisenberg entwickelte in der direkten Konfrontation mit Adenauers Vorwürfen (siehe oben) die Notwendigkeit, sich der neuen Herausforderung des Atomzeitalters zu stellen: „Wir seien überzeugt, dass jede atomare Bewaffnung der Bundeswehr zu einer gefährlichen Schwächung der politischen Stellung der Bundesrepublik führen müsste, dass also gerade die Sicherheit, an der ihm mit Recht soviel gelegen sei, durch eine atomare Bewaffnung aufs Äußerste gefährdet wird. Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der sich die Fragen der Sicherheit ebenso radikal veränderten wie etwa beim Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit und man müsse sich in diese Veränderung erst gründlich hineindenken, bevor man leichtfertig den alten Denkmustern folgen dürfe.“7

Die Infragestellung der atomaren Abschreckung (und der damit verbundenen Rüstungsspirale), die Notwendigkeit des eigenständigen Handelns der Menschen (nicht nur der Politiker), die Bereitschaft »im eigenen Land« mit Abrüstung zu beginnen (einseitig und konkret), diese Schlussfolgerungen, die Weizsäcker bereits 1957 andeutete, sind politischer Natur. Möglich geworden sind sie allerdings aus der (natur-) wissenschaftlichen Kenntnis von dem Ausmaß der atomaren Gefahr.

Nach 30 Jahren fortgesetzter atomarerAufrüstung mehren sich die Anzeichen, dass dieser Zusammenhang – dass das Atomzeitalter eine wirkliche neue Politikkonzeption für die Friedenssicherung verlangt – auch zunehmend in die Politik Eingang findet.

Bei weitem nicht überall allerdings ist dies schon so. Das Antwortschreiben von VerteidigungsministerWörner an die lnitiatoren des Internationalen Naturwissenschaftlerkongresses in Hamburg im November 1986 »Wege aus dem Wettrüsten« ist noch vom alten Denken geprägt: „…Entscheidend ist dabei allerdings, dass den sicherheitspolitischen Zusammenhängen Rechnung getragen wird. Gestatten Sie mir festzustellen, dass in diesem Punkt die Stellungnahmen zu allen Bereichen möglicher und erforderlicher Abrüstung aus wissenschaftlicher Sicht eine Reihe schwerwiegender Mängel aufweisen…“8 Sicherheitspolitik und wissenschaftliche Sicht bleiben anscheinend unvereinbar für die Regierenden unserer Landes.

Die Veränderungen in den Reihen der »Nichtpolitiker«, 30 Jahre nach der»Göttinger Erklärung« gerade auch bei den Naturwissenschaftlern, geben allerdings Anlass zu mehr Zuversicht. Nach den »Göttingern« sind sehr viele hinzugekommen, die ihre Stimme erheben, die Mitarbeit an Rüstungsprojekten verweigern. Man organisiert sich in unterschiedlicher Weise; Kongresse zu einzelnen Waffensystemen sowie zu allgemeinen Rüstungsfragen sind eine übliche Form des fachlichen Meinungsaustausches wie der politischen Stellungnahme geworden. International ist die Zusammenarbeit – gemeinsam die zu lösenden Aufgaben.

Ein Anlass für diese neue Qualität und Qualifizierung im Friedensengagement der Wissenschaftler (wie vieler anderer Berufsgruppen) war die erneute Zuspitzung der atomaren Rüstungsdiskussion anlässlich der Stationierung der Mittelstreckenraketen 1983 in Europa.

Vergleicht man heute die Stellungnahme der Naturwissenschaftler, etwa die »Göttinger Erklärung gegen die Militarisierung des Weltraums« (1984) mit der alten »Göttinger Erklärung« fällt das neue Selbstbewusstsein ins Auge. An die Stelle von Berufung auf »Nichtpolitiker« – Status und »Wissenschaft« tritt die explizite Zielstellung, „Öffentlichkeit und Politiker über die geplante Militarisierung des Weltraums und ihrer Konsequenzen sachlich zu informieren sowie konstruktive Beiträge zur Friedenssicherung zu leisten.“9

Die Verantwortung der Wissenschaft wird konkret wahrgenommen: Als »Dienstleistung« von Experten für die Friedensbewegung und die Öffentlichkeit und zunehmend als Initiatoren gegenüber der Politik. Während die »Göttinger« noch schrieben, „wir fühlen keine Kompetenz, konkrete Vorschläge für die Politik der Großmächte zu machen“, liegen jetzt der Vertragsentwurf zur Weltraumrüstung sowie die »Hamburger Abrüstungsvorschläge« vor.

In dieser Entwicklung kommen tiefgreifende Prozesse zum Ausdruck: Die wachsende Bedeutung der Wissenschaft für alle gesellschaftlichen Bereiche, das sich in Richtung Selbsttätigkeit ändernde Politikbewusstsein vieler Menschen.

Die entsprechenden Rückwirkungen auf die Politik selbst stehen noch aus. Die Chancen allerdings sind größer geworden. An der »Kenntnis von den Erkenntnissen« mangelt es nicht!

Anmerkungen

1) Archiv der Gegenwart vom 12.4.1957.

2) Zit. nach Der Spiegel vom 17.4.57.

3) Otto Hahn: Mein Leben, München 1986, S. 231.

4) Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze, München 1979, S. 265.

5) Zit. nach ebd.

6) Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter, Göttingen 1957. Zitiert aus dem Vortrag am 29.4.1957 in Bonn für die Mitgliederversammlung des Verbandes Deutscher Studentenschaften, ebd.

7) W. Heisenberg, a.a.0.

8) Brief des Bundesministers der Verteidigung vom 19.12.86 an Prof. Dr. Peter Starlinger.

9) Aus »Göttinger Erklärung gegen die Militarisierung des Weltraums«, verabschiedet auf dem Kongress »Verantwortung für den Frieden – Naturwissenschaftler warnen vor der Militarisierung des Weltraums« am 7./8. Juli 1984 in Göttingen.

Dr. Corinna Hauswedell ist (heute) für das Bonn International Center for Conversion (BICC) Mitherausgeberin des Friedensgutachtens. Sie ist Vorsitzende des Arbeitskreises Historische Friedensforschung und W&F Vorstandsmitglied

Gestaltung von Forschung und Technologie

Gestaltung von Forschung und Technologie

Die Notwendigkeit von ExpertInnen an den Grenzen der Wissenschaft

von Richard Finckh

Dass der wissenschaftlich-technologische Fortschritt nicht von alleine zu gesellschaftlichem Fortschritt führt, ist trivial. Dass ein gesellschaftlicher Einfluss auf seinen Verlauf möglich ist, wird weitgehend vorausgesetzt. Zu der Frage jedoch, wo dieser Einfluss ansetzen kann und wer ihn auszuüben hat, sind verschiedene Sichtweisen denkbar. Die politische Perspektive fokussiert auf die Steuerung der Wissenschaft von Außen, die innerwissenschaftliche Perspektive bleibt dagegen blind gegenüber gesellschaftlichen Fragen. Eine zukunftsorientierte Gestaltung von Forschung und Technologie ist nur durch eine Kombination beider Perspektiven auf Wissenschaft möglich, von Außen und von Innen. In diesem Grenzbereich ergibt sich eine besondere Rolle von WissenschaftlerInnen als ExpertInnen.

Gestaltung von Forschung und Technologie? Das ist doch nur ein zweiter Aufguss der Steuerungsutopien der 70er! So oder ähnlich ließe sich das Konzept der Gestaltung1 leicht missverstehen. Aber was ist der Unterschied, mit welchen Begründungen lässt sich hoffen, dass der Ansatz der Gestaltung mehr Erfolg haben könnte als die fehlgeschlagenen Steuerungsversuche, dass er nicht nur eine sprachästhetische Korrektur ist? Um dies zu erläutern, möchte ich im Folgenden ein wesentliches Charakteristikum der Gestaltung diskutieren.

Das Konzept der Gestaltung bedarf der Kombination von Innen- und Außen-Perspektive des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Der bewusste Austausch an den Grenzflächen zwischen der Forschung und der Gesellschaft mit ihren politischen, ökonomischen und institutionellen Strukturen soll zu einer Orientierung von Wissenschaft beitragen. Dabei kommt WissenschaftlerInnen in gesellschaftlichen Kontexten, eine eigentümlich unbestimmte Rolle als »ExpertInnen« zu.

Gestaltung ist dabei nicht nur ein analytisches Instrument, um bestehende Phänomene der technisch-wissenschaftlichen Fortschrittsdynamik zu untersuchen (wie z.B. das Konzept Governance) und der Kritik zugänglich zu machen, sondern die Perspektive der Gestaltung ist ebenso zielgerichtet: Neben der Beschreibung von Forschung und Technologie in ihren gesellschaftlichen Kontexten als Gestaltungsprozesse, geht es um eine Veränderung dieser Gestaltungsprozesse: Es müssen einerseits von »Außen« neue politische Formen gefunden werden, die in der Lage sind, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu fassen. Andererseits geht es darum, »innerhalb« der Wissenschaft zu einem Bewusstsein ihrer Politizität zu gelangen, um die Relevanz der wissenschaftlichen Praxis im gesellschaftlichen Kontext erkennen zu können und um angemessene Entscheidungen mit und über Forschung und Technologie treffen zu können.

Die Außenperspektive: Vom »kyberné« zum Teilnehmer

Zunächst um Missverständnisse zu vermeiden einige Bemerkungen zur »Steuerung«: In den 70er Jahren erlebte die Vorstellung ihren Höhepunkt, dass man den Fortschritt steuern könne. Die Kybernetik (Abgeleitet von griech. kyberné: Steuermann) sollte ansteuern was die Futurologie an Wenn-Dann-Schritten in die zu erreichende Zukunft zusammengetragen hatte. Das ist zwar überspitzt formuliert und vermutlich selten gar so naiv gedacht worden, aber das Grundmotiv eines von außen zu steuernden Systems war lange und weitreichend wirksam. Ein »kyberné« stand in einer solchen Vorstellung an der Spitze, traf souveräne Entscheidungen im vollen Wissen und in Kontrolle über die Folgen seines Eingreifens in das zu regelnde System.

Diese Vorstellung passt nicht nur zu den technikeuphorischen Fortschrittsphantasien dieser Zeit,3 sondern auch zu der technikzentrierten Wahrnehmung der technologisch verursachten ökologischen Probleme dieser Zeit. Nur gegen lokale, zeitlich begrenzte Probleme mit eindeutigen Ursachen-Folgen-Verkettungen wurden entsprechend einfache Abhilfen gesucht: Schornsteine bekamen Filter, Chemikalien wurden durch Grenzwerte beschränkt, einzelne Stoffe und Geräte wurden in Gefahrenklassen eingeteilt. Die Steuerung beschränkte sich auf – aus heutiger Perspektive – randständige Korrekturen, auf Behandlung der Symptome.

Diese systematisch-übersichtliche Vorstellung wurde aber zunehmend fraglich: Die »end-of-pipe-Lösungen« waren technisch zu aufwändig, es zeigten sich nicht vorhergesehene Nebenfolgen. Auch die Modelle und Instrumente der Systemtheorie konnten dem nicht beikommen: Es konnten zwar immer kompliziertere Systeme in den Blick genommen werden, um immer unübersichtlichere reale Problemlagen zu bearbeiten. Durch die unüberschaubaren Verfeinerungen wurde aber die Komplexität der Modelle selbst zum Problem, Sensitivitäten und Instabilitäten, zusammen mit den Grenzen des Wissens und möglichen Wissens wurden zur Grenze der Betrachtung von Problemen und Lösungsansätzen. Aber obwohl der Blick auf unüberschaubare Konstellationen gerichtet wurde, blieb der systematische Zugriff im Kern ein technischer: Immer noch wurden aus einer souveränen Außenperspektive einzelne Elemente und Interaktionen definiert und Eingriffsmöglichkeiten daraus abgeleitet. Umgekehrt wurde die Frage, wer souverän zu entscheiden hat, nicht zum Gegenstand dieser Theorie. Der »kyberné« bleibt dem System äußerlich, selbst wenn er es nicht mehr im Griff hat.

Zugleich wurde die Dringlichkeit der zu lösenden Probleme immer deutlicher, nicht mehr als akademisch anspruchsvolles Rätsel für außenstehende Sachverständige, sondern als Bedrohung für jeden einzelnen. Spätestens in Folge der »Grenzen des Wachstums«4 und der »Risikogesellschaft«5 die sich beide unter unterschiedlichen Perspektiven mit der Möglichkeit einer Selbstausrottung der Menschheit (nicht nur durch Krieg, sondern auch durch ökologische Katastrophen) beschäftigen, ist die Vorstellung des »kyberné« nicht mehr zu halten: Wer auch immer steuert, steckt mitten drin, mit beschränktem Wissen, beschränkten Handlungsmöglichkeiten und nicht allein an den zahllosen Steuerrädchen des Fortschritts. Aus dem Steuermann ist ein Teilnehmer geworden.

Vielleicht lässt sich hier eine verspätete Parallele ausmachen in der ökonomischen Theorie: Anfangs stand noch der »Homo oeconomicus« souverän vor seinen Entscheidungsalternativen, im Wissen um alles und um jeden (da alle Vertreter seiner Art ja dasselbe Ziel hatten) und traf rein rational seine Entscheidungen. Zumindest das allumfassende Wissen steht seinem Modellnachfahren »Homo ludens« nicht zur Verfügung. Dieser muss versuchen sich mit lückenhaftem Wissen über seine Umwelt und seine Mit-Modelle zu entscheiden – allerdings immer noch nach einem eindimensional-ökonomischem Muster.

Grenzen der Steuerung und Kontrolle

Die heutige politisch-gesellschaftliche Perspektive, die nach Eingriffsmöglichkeiten von außen in den Bereich der Wissenschaften sucht, hat durchaus noch eine Nähe zu Steuerungsvorstellungen.6 Sie betrachtet die Wissenschaft noch als etwas ihr äußerliches, als Objekt der zu treffenden Entscheidungen. Gerade im Kontext der Friedenssicherung spielen die Überlegungen zu Kontrolle sowohl von Forschung als auch von Technologien, zu Verboten, Moratorien und einschränkenden Konventionen eine große Rolle, und das völlig zu Recht. Dabei kann aber leicht aus dem Blick geraten, welche Bedeutung gerade eine Verbindung naturwissenschaftlich-technischer und politischer/politikwissenschaftlicher Argumentationen bieten kann. Der äußere Zugriff scheitert gerade bei »Evolving Technologies«, bei den Technologiebereichen, bei denen die Gestaltungsmöglichkeiten noch am größten sind. Technologien an der Schwelle zum breiteren Einsatz entziehen sich auf verschiedene Weisen dem rein politischen Zugriff: Sie haben neuartige Einsatzmöglichkeiten, nicht nur in den Bereichen, für die sie entwickelt wurden. Sie haben langfristige und indirekte Folgen, die nicht bekannt sind und wesentlich von der Form der gesellschaftlichen Einbettung abhängen, und sie haben das Potenzial, verschiedene technische Entwicklungskorridore zu eröffnen.7 Dies alles zu berücksichtigen ist schwer und restlose Sicherheit über die Richtigkeit der Einschätzung ist nicht zu erreichen, ohne eine Anknüpfung an die technologischen Forschungslinien ist eine solche prospektive Bewertung von Technologie-Pfaden aber aussichtslos.

Ein weiteres wesentliches politisches »Steuerungsinstrument« der Wissenschaft sind zielgerichtete Forschungsförderungsprogramme. Diese erlauben zwar eine Stichwortgeberfunktion an die Forschung, aber eine angemessene Überprüfung von Forschungsprojekten in all ihren Konsequenzen ist nicht möglich; und selbst dann wäre nur über die Fortführung oder den Abbruch zu entscheiden, die technisch nicht realisierten Alternativen fallen aus dem Blick.

Alternativen in der Wissenschaft

Die Innen-Perspektive der Wissenschaft lässt dagegen die technischen Alternativen erkennen, vielleicht mühsam, vielleicht unvollständig, aber die Möglichkeit von Alternativentscheidungen steht nicht in Frage. Aber zugleich sind in dieser Sphäre, in der sich technologische Möglichkeiten zuerst abzeichnen, deren Kontext und damit ihre Relevanz besonders schwer zu erkennen. Es werden ständig Entscheidungen »innerhalb« der Wissenschaft getroffen: von der Wahl technischer Alternativen, Methodologische Entscheidungen, forschungsstrategischen Entscheidungen, Patentierung und Ergebniskommunikation bis hin zu weitreichenden inhaltlichen Schwerpunktsetzungen. Hierbei entscheiden WissenschaftlerInnen sogar recht frei – wobei diese Aussagen naiv wäre ohne einen Verweis auf die Forschungspraxis in Unternehmen, insbesondere solchen, deren Aktivitäten in neue wissenschaftlich-technische Gebiete vordringen, wie es bei Nano-, Bio-, Informations- und den anderen vieldiskutierten »Zukunftstechnologien« der Fall ist. Die Innen-Perspektive ist in dieser Forschungslandschaft keineswegs frei, sie ist eingebunden in ein enges Netz von kurz- und langfristigen Forschungs- und Entwicklungszielen. Die Alternativenstruktur des Forschungsprozesses gerät dabei aber nicht zwangsläufig aus dem Blick, wenn auch die Entscheidungskriterien, aus dem »Außen«, aus dem Forschungsmanagement vorgegeben werden. In keinem der beiden Fälle, weder in der Industrie noch in der staatlichen Forschung, werden im Normalfall Entscheidungen über die Wissenschaft in ihr getroffen oder Entscheidungen in ihr am Außen orientiert.

Grenzüberschreitungen aus der Wissenschaft heraus

Dieser strukturelle Trend kann natürlich nicht 1:1 auf die beteiligten WissenschaftlerInnen übertragen werden. Sie sind nicht Elfenbeinturmbewohner, deren Horizont mit den Laborwänden endet. Dieses Jahr reicht die Nennung des Namens Einstein, dies zu belegen, auch ohne auf biographische Details und Interpretationen einzugehen. Mit ihm hat der Typus des politisch aktiven Wissenschaftlers ein Gesicht bekommen. Aber nicht nur als Einzelgänger beziehen WissenschaftlerInnen Position, sondern auch in ihren Organisationen:

  • Als Standesvertretung wurde der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) vor fast 150 Jahren gegründet, um die Interessen der Lobby im öffentlichen und politischen Leben in Deutschland zu fördern und Einfluss zu nehmen.8 Aber von Anfang an gab es im VDI auch Raum für interne Diskussionen: Ingenieursethik, Technikbewertung, und erstaunlich früh schon Umweltschutz. In dem VDI Tagungsband »Der Mensch im Kraftfeld der Technik« von 1955 schrieb z.B. ein Teilnehmer: „… so wurde in aller Offenheit von den Schäden und Auswüchsen gesprochen, die mit der Industrialisierung über Natur und Menschen gekommen sind, denn nur aus dem Wissen darum wird auch der Wille erwachsen, zu helfen und zu heilen …“.9 Wenn auch pathetisch-fortschrittsoptimistisch formuliert, erkennt man hierin doch auch die Bemühung um eine gemeinsame Reflexion der eigenen Rolle als Ingenieure.
  • Es existieren zahllose kleinere Initiativen, Arbeitsgruppen und Netzwerke von WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen, die ihre eigene Forschung und Arbeit kritisch hinterfragen, ihre Rolle reflektieren, politisch Position beziehen. Dabei steht nicht die Interessenvertretung, sondern die Suche nach einem geeigneten Umgang mit der Verantwortung in den Wissenschaften und der Verbindung von Werten und Wissenschaft im Mittelpunkt. Bildungs-, Forschungs- und politische Aktivitäten gehören hier untrennbar zusammen, Wissenschaft und Frieden ist selbst ein Organ solcher Bemühungen. Beispielsweise führt W. Neef in seinem Beitrag »Neue Technologien – Problemlöser oder -erzeuger. Über die Rolle und Verantwortung des Ingenieurs« (W&F 1/2005) hin zu einer Reihe von Fragen zur Selbstüberprüfung in der Forschung.
  • Die Technikfolgenabschätzung hat sich (in einigen ihrer Spielarten und Institutionen) die wissenschaftliche Bearbeitung von politisch relevanten Entscheidungslagen zum Thema gemacht. Dabei steht sie mit Szenarien- und Modellierungsmethoden durchaus noch in der Tradition des »kyberné« und seiner Außenperspektive auf das System des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Durch diese inner- und außerwissenschaftliche Doppelperspektive versucht sie, wissenschaftlichen und politischen Diskursregeln gleichermaßen gerecht zu werden. Die Analyse von Problemlagen ist zwar nicht identisch mit politischer Praxis, geht aber bewusst um mit ihrem politischen Bezug und Gehalt, versucht anschlussfähig in beiden Sphären zu bleiben.

Der Spagat der ExpertInnen

Alle Beispiele markieren transdisziplinäre Grenzgänge aus dem »Innen« der Wissenschaft heraus. Sobald WissenschaftlerInnen alleine oder in Zusammenschlüssen aber nicht mehr in ihrer Sphäre auftreten, sondern sich in gesellschaftliche Diskurse über Entscheidungen im Kontext von und über technologische Entwicklungen einbringen, ist ihre Rolle nicht mehr eindeutig: Wo sprechen sie als reine Faktenlieferanten? Wo interpretieren sie Daten und Ergebnisse? Wann sprechen sie Kraft ihrer nicht hinterfragbaren Erfahrung? Wo handeln sie als Vertreter ihrer Profession? Wann verfolgen sie eigene Interessen und Ideale? Sind sie unabhängig und von was? Wo überschreiten sie ihre Kompetenzen und wer ist kompetent, das zu beurteilen? Wo nehmen Sie politische Entscheidungen vorweg? Wo sind sie als Gefälligkeitsgutachter instrumentalisiert für oder gegen eine Sache? Wer ist legitimiert, sie zu benennen? Wer ist in der Lage, ihnen die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten einordnen zu können?

Genau diese Uneindeutigkeiten, diese Vermischungen von Diskursen, Interessen, Kompetenzen, Erwartungen und Rollenzuschreibungen ist charakteristisch für die »Expertenrolle«.10 Dabei ist wahlweise von der Tyrannei, Herrschaft oder Kompetenzüberschreitung der Experten, von dem Dilemma ihrer widersprüchlichen Aussagen, von der Ideologisierung der reinen Wissenschaft oder von ihrer Inkompetenz in Bezug auf die Fragen der Praxis die Rede.11

Selbst wenn man gelegentlich einzelne dieser Kritikpunkte teilen kann oder muss, darf man nicht die Unverzichtbarkeit von Expertise für eine demokratische Gesellschaftsform in einer von Technik durchdrungenen Zivilisation vergessen. Die Problemlagen, die es zu lösen gilt, sind tief durchdrungen von bestehender Technologie und aktiver Forschungspraxis. Auch wenn man an der alleinigen Lösungskompetenz der Wissenschaft zweifelt, kann man doch nicht über ihre Relevanz hinweggehen. Das ist auch das Moderne an der Rolle der ExpertInnen. Berater, Vertraute, Auguren und Geheime Räte gab es zu jeder Zeit, neu ist aber die enge und ausschließliche Bezugnahme der Expertise auf die Wissenschaft. Mit dieser modernen Verbindung ergeben sich auch neue Spannungsfelder, z.B.:

  • Die abstrakte Legitimation »Wissenschaft« der ExpertInnen bezieht sich konkret wesentlich auf die Anerkennung in den wissenschaftlichen Peers. Diese sind stark spezialisiert – so dass der geforderten Unabhängigkeit von Experten die Abhängigkeiten von ihrer Peer entgegensteht. Teilweise können sogar Peers als ganze von Großprojekten und Grundsatzentscheidungen abhängig sein (z. B. Fusionsforschung, Stammzellenforschung).
  • Verschärft tritt dies auf bei den ExpertInnen aus der Industrieforschung, die als Vertreter der »Praxis« vielleicht unverzichtbar sind. Forschungsdienstleistungs- und Beratungsunternehmen trifft das in besondere Weise, da sie direkt von ihrem Expertenstatus abhängig sind.
  • Ohne Peer gibt es keine Anerkennung, auf neuen Forschungsfeldern lassen sich also nicht ohne weiteres ExpertInnen finden. Und wo die Mehrheit einem Paradigma folgt, werden konkurrierende Vorstellungen nicht expertisefähig.
  • Die disziplinären Binnengrenzen der Wissenschaft erlauben nicht immer eine Kooperation, die Definitionsmacht über den »eigentlichen« Gegenstand der Forschung und Entscheidung ist strittig (z.B. Hirnforschung und Pädagogik).
  • Politische Entscheidungen selbst bedürfen zur Akzeptanz immer mehr der wissenschaftlichen Fundierung, so dass eine drängende Nachfrage nach Expertenaussagen jeweils bestimmten Inhalts entsteht.
  • Die Anbindung von nichtwissenschaftlichen Erfahrungen, von persönlichen Einschätzungen, von lokalem Wissen usw. wird durch den Primat der Wissenschaftlichkeit zunehmend schwieriger.

Zahllose weitere Spannungsfelder ließen sich finden. Nun gilt es aber nicht, diesen Zustand zu beklagen und die ExpertInnen zu schelten, sondern Bedingungen zu finden, unter denen gute, ehrliche, angemessene Expertise zumindest möglich und hoffentlich üblich ist. Dazu bedarf es sowohl einer Veränderung der Wissenschaft selbst, als auch des politischen und gesellschaftlichen Rahmens, in dem Expertise in Entscheidungen mündet:

1. Innerhalb der Wissenschaft ist die Aufgabe, die ExpertInnen-Rolle als spezifischen Teil der WissenschaftlerInnen-Rolle zu erkennen. Es gehört zur Wissenschaft, aus ihr herauszutreten, nicht nur im Sinne einer Informations-Bringschuld, sondern einer Selbstreflexion als Teil der Gesellschaft.

2. Besondere Bedeutung hat hierbei sicherlich der Bildungsweg angehender WissenschaftlerInnen, die durch entsprechende interdisziplinäre und problemorientierte Lehrangebote die Gelegenheit bekommen müssen, sich auf ihre zukünftige ExpertInnen-Rolle vorzubereiten.

3. Politisch-gesellschaftlich geht es darum Formen zu suchen, in denen Expertise eingebracht werden kann in einen legitimierten demokratischen Entscheidungsprozess. Der »Rentenpapst« ist nicht das einzige Modell von Expertise, Nichtregierungsorganisationen, die sich eigene ExpertInnen leisten, wären ein Gegenmodell.

4. Schließlich und endlich muss es darum gehen, eine neue Form des »Verstehens der Naturwissenschaften«11 zu etablieren, die einen breiten gesellschaftlichen Diskurs um die relevanten Zukunftsentscheidungen unserer Zeit ermöglicht.

Anmerkungen

1) Das Konzept wird u. A. bei IANUS weiterentwickelt, vgl. Liebert, W.: Wissenschaft jenseits der Wertfreiheitshypothese. Ambivalenz und Wertfreiheit versus Wertbindung und Gestaltung der Wissenschaft. In Fischbeck, H.-J., Schmidt, J. C.: Wertorientierte Wissenschaft. Perspektiven für eine Erneuerung der Aufklärung, Ed. Sigma, Berlin 2002.

2) vgl. hierzu die Science-Fiction-Romane von Stanislav Lem, in denen sich auch technikdeterministische und kulturpessimistische Motive finden.

3) Meadows, D. et al.: The Limits of Growth, Universe Book, New York 1972.

4) Beck, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986.

5) Vgl. z.B. Hohmann-Dennhardt, C.: Recht und Politik als Lenkungsinstrument wissenschaftlicher Entwicklung. In Mensch, K., Schmidt, J. C.: Technik und Demokratie. Zwischen Expertokratie, Parlament und Bürgerbeteiligung. Leske und Buderich, Opladen 2003.

6) vgl. Schmidt, J. C.: Kegel und Korridore der Erkenntnis. In Fischbeck, H.-J., Schmidt, J. C.: Wertorientierte Wissenschaft. Perspektiven für eine Erneuerung der Aufklärung, Ed. Sigma, Berlin 2002.

7) VDI: www.vdi.de/vdi/zdv/03185/index.php, Zugriff am 2.5.2005.

8) Kesselring, F.: Grenzen des Technischen, S. 99. In VDI: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, VDI-Verlag, Düsseldorf 1955.

9) Ein Versuch zu einem verwendbaren Expertenbegriff findet sich bei Mieg: Die Expertenrolle, ETH UNS Arbeitspapier Nr. 3, Zürich 1994.

10) Einige dieser Positionen finden sich in: Löw, R., Koslowski, P., Spaemann, R.: Expertenwissen und Politik. VCH, Acta Humaniora, Weinheim 1990.

11) nach Wagenschein, z.B. in: Wagenschein, M.: Verstehen lehren, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1968.

Dipl.-Ing. Richard Finckh ist Mitarbeiter der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt und koordiniert dort den interdisziplinären Studienschwerpunkt »Nachhaltige Gestaltung von Technik und Wissenschaft«.

Das Richtige über das Wichtige wissen

Das Richtige über das Wichtige wissen

Sustainability Science als Herausforderung des Wissenschaftssystems

von Joachim H. Spangenberg

Will man den Stellenwert von Nachhaltigkeit für die Forschung verstehen, so muss man sich zunächst auf eine geeignete Definition dieses Begriffs verständigen. Dieser Beitrag beschreibt Nachhaltigkeit als ein politisches Konzept zum Umgang mit absoluten Knappheiten und begründet dies historisch. Aus der Definition ergibt sich die Anforderung an Nachhaltigkeitsforschung, disziplinär substanziell, aber gleichzeitig inter- und transdisziplinär organisiert und auf Problemlösungen ausgerichtet zu sein. Das erfordert eine Umorganisation jeder einzelnen Disziplin und des Wissenschafts- und Wissenschaftsförderungssystems insgesamt.

In der öffentlichen Diskussion wird Nachhaltigkeit entweder als ein beliebig zu verwendender Begriff und damit als unwesentlich, als »Schönwetterpolitik« für Zeiten ohne Krisen von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, oder als Umweltpolitik für das 21. Jahrhundert verstanden. Das alles ist Nachhaltigkeit jedoch nicht, zumindest nicht in ihrem Ursprung und nach ihrem internationalen Verständnis. Dieses fokussiert auf Gerechtigkeit: globale Gerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, etc. Der Begriff enthält damit zwei zentrale Elemente: Zum einen die Entgrenzung der Perspektive in Raum und Zeit, und zum anderen die Forderung nach Integration aller Politiken und Akteure.

Nachhaltigkeit – ein umstrittener Begriff

Aus diesem In-die-Pflicht-Nehmen der Akteure ergibt sich deren Interesse, Ziele und Bedingungen dieses Engagements soweit wie möglich im Eigeninteresse selbst zu bestimmen. Insofern ist der Streit um die Interpretationshoheit, der die Motivation vieler neuer Definitionen und Interpretationen ist, eher ein Zeichen für die Bedeutung des Terminus. Nachhaltigkeit ist ein »umstrittener Begriff«, und die, die diesen Streit führen, investieren aus gutem Grund Zeit, Geld und Energie, wahlweise um das Potenzial des Begriffs zu nutzen oder zu entschärfen. (Brand 2002) Nachhaltigkeit ist seit 1992, der UNCED Konferenz in Rio, ein neues Politikparadigma, und wer dessen Definition bestimmt, nimmt damit Einfluss auf die langfristige Ausrichtung von Politiken auf nationaler und internationaler Ebene.

Umweltpolitik für das 21. Jahrhundert ist Teil von Nachhaltigkeit, aber eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, Außen- und Friedenspolitik, Geschlechtergerechtigkeit und globaler Ausgleich gehören ebenso dazu. Dem Nachhaltigkeitsimperativ folgend kann keiner dieser Bereiche unverändert bleiben, denn die Forderungen nach Entgrenzung und nach Integration sind bisher in keinem Politikfeld verwirklicht, und die Forschungspolitik macht hier keine Ausnahme.Die Geschichte des Begriffs zeigt, dass langfristiges und vorsorgendes Wirtschaften keineswegs einen Luxus für bessere Zeiten darstellt, sondern im Gegenteil als realpolitische Reaktion auf aktuelle Krisen entwickelt wurde. Der Begriff »nachhaltende Nutzung«, später als »sustainable yield« Grundlage der angelsächsischen Nachhaltigkeitsdiskurse, wurde 1713 von Carlowitz im sächsisch-polnischen Königreich Augusts des Starken geprägt. Dieser forderte Investitionen in den Ressourcenerhalt, Verbot von Übernutzungen aus kurzfristigem Profitinteresse, Verbesserungen der Effizienz der Ressourcennutzung und die Suche nach Substituten, verbunden mit sozial-ethischen, inter- und intragenerationalen Zielen. (Carlowitz 1713) Hintergrund dieser Neuorientierung der Ressourcennutzung war eine nach damaligen Maßstäben absolute Knappheit: Holz als Baumaterial wie als Brennstoff war die unersetzliche Grundlage von Silberbergbau und -verhüttung in Sachsen, und diese wiederum die unverzichtbare Stütze der königlichen Einkünfte. (Grober 2002) Holzknappheit bedeutete Prestige- und Machtverlust für den König, und ebenso Krise und Verarmung für die aufblühende Privatwirtschaft. Bei seinen konzeptionellen Arbeiten griff von Carlowitz u.a. auf französische und englische Erfahrungen zurück, die ebenfalls auf dem Management von Knappheiten beruhten. In Frankreich hatte Colbert zur Füllung der chronisch leeren Kassen von Luis XIV die (Über-)Nutzung des Waldes als freies Gut weitgehend beendet und exklusive Nutzungsrechte für den Herrscher durchgesetzt, um eine langfristige, von schwankenden und politisch umstrittenen Steuerzahlungen unabhängige Einnahmequelle zur Stützung der absoluten Monarchie zu schaffen. In England war die nationale Kampagne zum Pflanzen und Pflegen von Baumbeständen durch die Niederlage der Briten gegen die Niederländer in der Schlacht auf der Themse ausgelöst worden, bei der die Briten fast die Hälfte ihrer Flotte verloren. Holz war unersetzlich, wollte England seine Sicherheit gewährleisten („rebuild the wooden walls of our country“) und seine imperialen Ziele weiter verfolgen. An der Wiege des Konzepts standen also, jeweils notgedrungen, der sächsische Frühkapitalismus, der französische Absolutismus und der englische Imperialismus – wahrlich nicht die Paten für ein »Schönwetterkonzept«.

Ein Paradigmenstreit

Während für die heute dominierende Wirtschaftstheorie jedes Gut knapp, aber keines unersetzlich ist, war und ist Nachhaltigkeit ein Konzept zum Umgang mit absoluten Knappheiten, mit aus Kosten- oder Verfügbarkeitsgründen begrenzten Substitutionspotenzialen. Kein Wunder also, dass 15 Jahre nach der Diskussion um die »Limits to Growth« der Brundtlandbericht »Our Common Future« Nachhaltigkeit zum neuen Krisenlösungskonzept erhob. Gerade deshalb ist auch der Konflikt um die »richtige« Definition von Nachhaltigkeit nicht nur von akademischem Interesse, sondern Teil eines Paradigmenstreits, eines Wettstreits um die Deutungshoheit und damit um die gesellschaftliche Hegemonie einer bestimmten politischen Strömung; es handelt sich in der Tat um eine zentrale politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung (diese Konstellation von Nachhaltigkeit versus Ökonomik ist in den letzten vier Jahrhunderten mehrfach aufgetreten).

Das von der Mikroebene ausgehende ökonomistische Paradigma, insbesondere in seiner neoliberalen Zuspitzung, postuliert Wohlfahrt als Wohlstand, der als Aggregat mit dem bei unregulierten Märkten zwangsläufigen Wachstum stetig steige (Verteilungsfragen sind in diesem Sinne keine ökonomischen Fragen). Der Markt gilt hier als omnipotenter Regulationsmechanismus, der autochthon Ziele setzt, Wege erkundet und umsetzt, und so ein Maximum an Wohlfahrt gewährleistet. Positive und negative Ergebnisse aller Art sind immer gegeneinander aufrechenbar; starke Kommensurabilität ist konstitutiv für das dem Neoliberalismus zugrunde liegende utilitaristische Modell.

Nachhaltigkeit dagegen ist eine normativ gesetzte Utopie im ursprünglichen Sinne des Wortes. Sie beschreibt einen für optimal erachteten Zustand von Staat und Gesellschaft (nach Morus’ »Utopia – de optimo rei publicae statu«, Morus 1517) und analysiert und argumentiert aus der Makroperspektive. Sie betont die Endlichkeit sozialer und natürlicher Ressourcen sowie die Notwendigkeit ihrer Reproduktion, zielt auf Lebensqualität (unter Einbeziehung der unbezahlten Arbeit und der Genderperspektive). Die Wirtschaftsentwicklung kann nur dann nachhaltig sein, wenn das Wirtschaftswachstum sozialen und ökologischen Kriterien gerecht wird (damit ist es langfristig wahrscheinlich begrenzt), denn Effizienz allein, auch Ressourceneffizienz, ist für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft allein nicht ausreichend. (Spangenberg et al. 2002) Substitution ist nur begrenzt möglich: Für Klima und Biodiversität, für Gesundheit und Wasser gibt es keinen funktional äquivalenten Ersatz, und die gängige Wirtschaftstheorie versagt. Nachhaltigkeitspolitik schließt aus den Grenzen wirtschaftlichen Wachstums auf die Notwendigkeit der Umverteilung. Dem Dogmengebäude der neoklassischen Ökonomik (die sich selbst kontrafaktisch als positive Wissenschaft versteht) werden ethisch begründete Normen einer globalen und intertemporalen Verantwortung entgegengesetzt und personell wie thematisch integrative, gezielte Problemlösungen eingefordert.

Die beiden Paradigmen mögen sich vordergründig überlappen, im Kern sind sie inkompatibel und zum Teil aufgrund der ihnen teils zugrunde liegenden, teils von ihnen hervorgerufenen unterschiedlichen Realitätswahrnehmungen (»preanalytic vison« bei Daly 1991) sogar kommunikationsunfähig. Diese unterschiedlichen Realitätswahrnehmungen ziehen sich durch alle gesellschaftlichen Akteursgruppen, wenn gleich in unterschiedlichem Ausmaß, und sind auch ein (weitgehend unreflektierter) Bestandteil des status quo des Wissenschaftssystems.

Nachhaltigkeitswissenschaft – Nachhaltige Wissenschaft?

Nach dem zuvor gesagten ist offensichtlich, dass sich Wissenschaft für nachhaltige Entwicklung vom tradierten Wissenschaftsverständnis unterscheiden muss. Nachhaltigkeitsforschung ist Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung, denn mehr denn je prägen heute Wissenschaft und ihre Artefakte sowohl die Erscheinungsformen unserer physischen und sozialen Umwelt als auch ihre individuelle und gesellschaftliche Wahrnehmung (z.B. Weltbilder, Menschenbild oder Raumvorstellungen). Damit beeinflusst Wissenschaft die Entstehung ökonomischer, institutioneller, ökologischer und sozialer Probleme ebenso wie die Auswahl derjenigen, die wahrgenommen und damit überhaupt erst einer Bearbeitung zugänglich werden. Insofern ist Nachhaltigkeitsforschung Dienstleisterin der Gesellschaft, die Suchprozesse unterstützt und die Folgen in der Diskussion befindlicher Entscheidungen klären hilft (so z.B. das Intergovernmental Panel on Climate Change [IPCC] in der Klimapolitik), zugleich warnt sie als unabhängige Mahnerin vor bisher unterbewerteten Risiken (wie die World Meteorological Organisation [WMO] zum Thema Klimawandel). Eine Wissenschaft, die zum Teil wissenschaftsinduzierte Probleme detektieren und zu ihrer Vermeidung beitragen soll, ist dann auch reflexive Forschung, Wissenschaftsfolgenwissenschaft.

Dieser Bezug der Nachhaltigkeitsforschung auf Problemvermeidung und -lösung schließt zwar die Generierung verwertbarer natur- und ingenieurwissenschaftliche Ergebnisse ein, geht aber weit über sie hinaus und konstituiert einen breiteren, nicht szientizistisch oder ökonomistisch verengten Handlungsbezug. Eine nachhaltigkeitsorientierte Wissenschaftspolitik ist insofern mehr als reine Fachpolitik, sie ist letztlich und in einem umfassenderen Sinne als jemals zuvor Gesellschaftspolitik. Zeichnen sich demokratische Gesellschaften dadurch aus, dass sie über ihre Zukunft selbst bestimmen, sich also zum Beispiel für nachhaltige Entwicklung als Leitziel entscheiden können, so müssen sie auch in der Lage sein, über Ziele und Themen von Wissenschaft und Technikentwicklung mitzubestimmen und dann nachhaltige Entwicklung als gesellschaftliche Zielvorgabe oben auf der wissenschaftlichen Prioritätenliste zu verankern. Es reicht nicht, die Anwendungen der Wissenschaft kontrollieren zu wollen; ihre Paradigmen und Fragestellungen sind es, die das Weltbild der modernen Gesellschaften prägen. (Hohlfeld 1988)

Forschung für Nachhaltigkeit muss deshalb problem- und lösungsbezogen sein, ihre Ergebnisse müssen anwendbar und effektiv sein. Die faktische Nutzung der Forschungsergebnisse beruht aber auf der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Situation – ein Grund, Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen auch als Multiplikatoren in die wissenschaftliche Arbeit einzubeziehen. Aus diesen Zielstellungen lassen sich Kriterien ableiten, denen eine »science for sustainability«“ gerecht werden muss. (nach Hennen, Krings 1998, S. 12ff) Nachhaltigkeitswissenschaft ist demnach

  • Normgebunden und verantwortlich
  • Orientiert an Problem und gesellschaftlichen Bedürfnisfeldern
  • Akteursoffen in Problemdefinition, Strategieentwicklung und Umsetzung
  • Kontextual, langfrist- und folgenorientiert

Normative Bindung

Nachhaltigkeit als normatives Konzept mit nicht wissenschaftlich, sondern gesellschaftlich-politisch definierten und infolge der unterschiedlichen Wertesysteme in der Gesellschaft richtungssicheren, aber nicht eindeutig bestimmbaren Zielen bietet einen Orientierungsrahmen für wissenschaftliche Arbeiten. Deren Ergebnisse beeinflussen natürlich – geeignet kommuniziert – wiederum den gesellschaftlichen Diskurs und bieten staatlichen wie zivilgesellschaftlichen EntscheidungsträgerInnen eine wertvolle Informationsgrundlage, da die wahrscheinlichen Folgen besser als zuvor in die Entscheidungsfindung einbezogen werden können (Beispiel: ökologische, soziale und ökonomische Folgen des Klimawandels).

Wissenschaft wirkt so durch ihre Ziele, die Kommunikation der Ergebnisse und deren Umsetzung auf soziale Verhältnisse ein, sie ist als Alimentationsempfänger rechenschaftspflichtig und bedarf als zivilgesellschaftlicher Akteur der Sozialbindung. Nachhaltigkeitsforschung hat Werte, und als ein legitimer gesellschaftlicher Akteur fordert, verteidigt, verändert sie Werte und ist damit selbst bewertbar. Forschung wirkt durch ihre Ergebnisse und deren Anwendung auf soziale Verhältnisse ein, wenn sie sich nicht auf das romantizistische »die Gedanken sind frei« beschränkt (Insofern ist der Elfenbeinturm ein Hort der Sozialverträglichkeit). Dabei darf sie jedoch nicht der Versuchung erliegen, disziplinäre Einsichten als wissenschaftliche Wahrheiten verkünden und den Wertekonsens einer Disziplin als allgemeinverbindlich erklären zu wollen, sondern sie muss im gesellschaftlichen Diskurs um Akzeptanz werben (eine Aufgabe, deren Lösung nicht Teil der erworbenen akademischen Qualifikation ist). Erst die politisch-gesellschaftliche Legitimation konstituiert eine Situation gesellschaftlicher Handlungsbereitschaft, nicht das mit wissenschaftlicher Autorität vorgetragene Argument. Dieses bietet zwar Warnungen vor Risiken in »Wenn-dann« Form, aber die Auswahl an zu treffenden Maßnahmen erfolgt immer nach Maßgabe des als hinnehmbar Angesehenen wie der Bereitschaft, die Lasten der Vermeidung zu tragen – beides höchst subjektive Entscheidungen, für die auch WissenschaftlerInnen keine über die der besorgten StaatsbürgerInnen hinausreichende Autorität reklamieren können.

Orientierung an Problem und gesellschaftlichen Bedürfnisfeldern

Wir befinden uns in mehrfacher (sozial, ökologisch, institutionell, ökonomisch) Hinsicht in der Situation absoluter Knappheit mit begrenzten Ausweichmöglichkeiten, auf die der politische »mainstream« mit marktradikalen und imperialen Expansionsstrategien reagiert. (Bimboes, Spangenberg 2004) Nachhaltigkeitspolitik sucht dagegen eine andere, nicht-expansive Modernisierung von Staat und Gesellschaft zu erreichen, die die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen als gleichberechtigte Ziele verfolgt. Schlüsselthemen einer solchen Entwicklung, und damit in ihrer Interaktion Gegenstand der Nachhaltigkeitsforschung sind z.B. Armutsminderung, Frieden, Ethik, Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Gesundheit, soziale Gleichheit, kulturelle Vielfalt, Produktion und Konsum, Management natürlicher Ressourcen und biologische Vielfalt. Damit ist die anwendungsbezogene Forschungsebene beschrieben. Dahinter liegt eine zweite Forschungsebene, die an der Frage ansetzt, wie man überhaupt die Steuerung komplexer Systeme in eine wie vage auch immer definierte, gewünschte Richtung vorantreiben kann, die also Struktur-, Macht und Systemfragen stellt.

Die Schlagworte der Forschungspolitik in den 60er und 70er Jahren waren: Förderung der Grundlagenforschung, Demonstration des technischen Fortschritts und »Staatstechnologien«. In den 80er und 90er Jahren hieß es dann: Anwendungsorientierte Grundlagenforschung, Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und »Industrietechnologien«. Im Gegensatz dazu könnten das Neue an der Nachhaltigkeitsforschung die Schlagworte charakterisieren: Problemorientierte transdisziplinäre Grundlagenforschung (Problemorientierung statt Produktorientierung), post-normale Forschung und »Gesellschaftstechnologien«.

Dazu ist einerseits wieder der präkompetitiven Grundlagenforschung breiterer Raum einzuräumen, bei einer Präferenz für Projekte mit disziplinübergreifender Zielformulierung und Forschungsplanung. Andererseits ist Forschung und sind die ForscherInnen ebenso verstärkt in die gesellschaftliche Zieldiskussion einzubeziehen wie gesellschaftliche Gruppen in die Zieldefinition der Forschungsförderung. Forschungsprogramme könnten so an Problemen der Gesellschaft ausgerichtet werden und zur Suche nach Lösungen beitragen. Dazu ist allerdings nicht nur eine Reform der Forschungsförderung notwendig, sondern auch eine der Forschungsorganisation: Die disziplinäre Organisation der Wissenschaft, ihrer Institutionen (Universitäten, DFG, Fachgesellschaften) verhindert effektiv interdisziplinäre, problembezogene F&E, von der Mittelvergabe über Promotions- bis zu Publikationsmöglichkeiten (disziplinäre peer groups, peer reviews). Geldgeber und insbesondere Standesorganisationen tendieren dazu, Verständigungsprobleme zwischen den Disziplinen und die resultierend notwendige »Diskursarbeit« für nicht förderungswürdig zu halten, Diversität von Forschungsansätzen abzulehnen und die Partizipation gesellschaftlicher Gruppen an Forschungsprojekten für weder notwendig noch normal zu erachten.

Akteursoffen in Problemdefinition, Strategieentwicklung und Umsetzung

Wie dringen gesellschaftliche Fragestellungen in die Wissenschaft? In den letzten Jahren war der Eindruck nicht selten, dass dies eben nicht in Eigeninitiative durch das Aufnehmen öffentlicher Diskurse geschieht, sondern spezieller – meist ökonomischer – Anreizsysteme bedarf. Wissenschaft ist ein zutiefst elitärer Prozess; sie beruht auf einer Autokratie der Forschung bei Plutokratie der Themenwahl: Während finanzielle Anreize akzeptiert werden, sind dirigistische Eingriffe verpönt. In diesem Umfeld bedarf die Einführung inter- und transdisziplinärer Arbeitsformen einer systematisch-prozessualen Verankerung.

Transdisziplinarität ist die anspruchsvollste Form der Wissensintegration: sie erfordert eine nicht-idealisierte Wahrnehmung der Sachverhalte und ihre Behandlung als komplexe, unter einer Vielzahl von gleichwertigen Perspektiven betrachtbare Probleme, deren Bearbeitung immer mit Nebenfolgen verbunden ist. (Smrekar et al. 2005) Unter diesen Bedingungen ist es unverzichtbar, alles relevante Wissen zu nutzen; und neben der wissenschaftlichen Expertise auch nichtwissenschaftliches Wissen von der Formulierung der Forschungsfrage bis zum Transfer der Ergebnisse mit einzubeziehen (wenngleich im Verlauf des Prozesses in wechselnder Form (Spangenberg 2003). In der Wissensgesellschaft hat die Wissenschaft kein Wissensmonopol mehr, sie wird zum gesellschaftlichen Suchprozess einer »post normal science«. (Funtowicz, Ravetz 1993)

Nicht-FachwissenschaftlerInnen können zwar in der Regel weder die wissenschaftliche Neuartigkeit einer Fragestellung noch die Validität einer wissenschaftlichen Arbeit beurteilen, wohl aber als PraxisvertreterInnen die Relevanz der Fragestellung und zumindest teilweise die Eignung der Methode feststellen, indem sie die den Methoden inhärenten Annahmen daraufhin bewerten, ob diese relevante Aspekte der ihnen vertrauten Realität beinhalten, ignorieren oder gar gegen sie verstoßen. Durch eine solche Relevanzprüfung nach außerdisziplinären Kriterien kann der nicht-fachwissenschaftliche Sachverstand die Nutzbarkeit der potentiellen Ergebnisse oft besser abschätzen als dies den VertreterInnen der Wissenschaft gelingt. Eines der Probleme in diesem Kontext ist der Umgang mit heterogenen Relevanzkriterien, die nicht nach disziplinären oder anderen Normen, sondern nur diskursiv abgewogen, teils integriert, teils als Bestandteil der gesellschaftlichen Pluralität auch in Forschungsprojekten berücksichtigt werden müssen.

Nachhaltigkeitsforschung bedarf zudem einer spezifischen identitätsstiftenden Sozialisation von WissenschaftlerInnen: Wissenschaftliche Ausbildung muss mehr sein als die Vermittlung von Methoden und Kenntnissen. Das betrifft zum Beispiel die Ausbildung der Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, die Erkenntnis, dass Wissenschaft eine Denkweise, keine Glaubensweise ist, also keine Wahrheiten liefert, die Fähigkeit, eigene und fremde Ergebnisse zu hinterfragen, die Grenzen der Aussagefähigkeit von Erkenntnissen nicht überzustrapazieren (also Freiheit von wissenschaftlicher Hybris) und so methodische Sauberkeit auch unter gegebenen Verwertungszwängen zu bewahren, die Befähigung zu und die Gewöhnung an »Grenzüberschreitungen« und transdisziplinäres Arbeiten, sowie die Erziehung zu Folgenverantwortung und dazu notwendiger Sozialkompetenz.

Kontextual, reflexiv langfrist- und folgenorientiert

Im gesellschaftlichen Sinne sind Forschungen sinnvoll und relevant, die problemlösungsbezogen und anwendbar sind – eine deutliche Erweiterung gegenüber dem ökonomischen Verwertbarkeitskriterium. Anwendbarkeit heißt aber nicht notwendig Anwendung von wissenschaftlichen Ergebnissen. Letztere beruht auf der gesellschaftlichen, ökonomischen, technischen und politischen Situation – einen Grund mehr, Repräsentanten all dieser Bereiche in wissenschaftliche Arbeiten einzubeziehen, soll das Ergebnis letztlich auch zum Tragen kommen. (Funtowicz et al. 1999)

Relevanz-Zuschreibung ist immer kontextual: Was wissenschaftsimmanent von hoher Wichtigkeit ist, kann in der Praxis von Problemlösung, Politikentwicklung etc. von marginaler Bedeutung sein. Partizipation nicht-fachwissenschaftlichen Wissens bedeutet dabei nicht, disziplinäre Erkenntnisse zu verwerfen, wohl aber aus ihnen eine problembezogene Auswahl zu treffen, die den FachvertreterInnen provokant vorkommen mag, da sie mit anderen als den innerdisziplinären Relevanzkriterien begründet ist. Diese Vorgehensweise lässt die Formulierung von Forschungsfragen wie ihren das Erkenntnisinteresse reflektierenden Inhalt nicht unbeeinflusst und führt auch zu einer Erweiterung des innerwissenschaftlichen Erkenntnisvermögens, zu Lasten etablierter Interpretationsmuster. Der Nachhaltigkeitsbezug erfordert so eine Selbstüberprüfung der Einzeldisziplinen bezüglich der Eignung ihrer tradierten Methoden, hinsichtlich der ihnen inhärenten Fristigkeiten, räumlichen Bezugsrahmen und angenommenen Ursache-Wirkungs-Mechanismen, denn disziplinäres Arbeiten ist immer eine spezifische Realitätskonstruktion, eine Form der Komplexitätsreduktion zu Gunsten der Bearbeitbarkeit mit dem (begrenzten) Instrumentarium eines Faches.

Im schlechtesten Fall sind die Instrumentarien so begrenzt und die Grundannahmen der Disziplinen so divergent, dass eine Zusammenarbeit auf einer gemeinsamen Basis nahezu unmöglich wird (ohne eine gemeinsame Basis gibt es keine Verständigung über die Relevanz und Bedeutung der gemeinsam gefundnen Daten). Deshalb sollte jede Disziplin ihre Wissensbestände einem »Transdisziplinaritäts-Tauglichkeits-Test« unterziehen und sicherstellen, dass – auch wenn dies in einigen Fällen größere Revisionen grundlegender Theorien erfordern mag – das »Grundgesetz interdisziplinären Arbeitens« erfüllt ist. Es lautet: Keine Disziplin darf Annahmen oder Aussagen als Grundlage ihrer Forschung und Theorieentwicklung nehmen, die in klarem Widerspruch zu dem gesicherten Erkenntnisbestand einer anderen, fachlich zuständigen Disziplin stehen.

Die Notwendigkeit einer neuen Art der Forschung trifft sicher nicht jede Disziplin in gleicher Weise. Dennoch gilt für jede Disziplin, dass es nicht ausreicht, das Thema Nachhaltigkeit aufzugreifen und aus disziplinärer Sicht verschiedene Nachhaltigkeiten zu definieren. Im Gegenteil: Es geht darum, die Disziplinen auf der Basis der Nachhaltigkeit neu zu kontextualisieren und so zumindest teilweise neu zu definieren. Wie sonst könnten relevante, problembezogene Fragen zur nachhaltigen Entwicklung beantwortet werden, für deren Beantwortung keine Disziplin allein über die notwendigen Erkenntnisse verfügt?

Fazit

Die Anforderungen, die Nachhaltigkeit als Forschungsgegenstand an Selbstverständnis, Rolle und Organisation von Wissenschaft stellt, sind im Rahmen des Status Quo wissenschaftlicher Arbeit nicht zu erfüllen. Systematische interdisziplinäre Zusammenarbeit und die situationsspezifische Einbeziehung nichtwissenschaftlichen Wissens in allen Phasen der Forschung sind notwendige und schwierige Schritte auf dem Weg zu einer problemadäquaten Nachhaltigkeitsforschung. Die zu leistenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten müssen vorrangig auf zwei Ebenen ansetzen, bei der Kompetenzbildung der WissenschaftlerInnen und bei der Formulierung der Forschungsfragen (beide stehen natürlich in einem dialektischen Verhältnis, das die Forschungsfragen von heute die ForscherInnen von morgen sozialisieren, vgl. Kuhn 1967).

Die Kompetenzbildung der WissenschaftlerInnen kann und muss weit über die technische, methodische und fachliche Kompetenz hinausgehen. Gestaltungskompetenz, die auf Verantwortungsbewusstsein beruht, soziale Alltagskompetenz, Partizipationsfähigkeit, Kritikfähigkeit auch außerhalb der eigenen Disziplin, z.B. in ökonomischen Fragen, die Fähigkeit zur diskursiven Abwägung nach Multikriterienanalysen, das Akzeptieren pluraler Wertmuster in unterschiedlichen Lebenswelten, deren Rolle im gesellschaftlichen Entscheidungsfindungsprozess, und damit letztlich die Neukontextualisierung der eigenen Disziplin und Arbeit und Akzeptanz der neuen (Be-)Deutung, die sich daraus unvermeidlich ergibt. Inhaltlich sind zwei Schwerpunktthemen zu nennen:

  • Problemrelevante, aber grundsätzlich ausgerichtete Komplexitäts- und Systemforschung mit dem Ziel der Integration der verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit; Entwicklung verallgemeinerbarer Leitbilder zukunftsfähigen Lebens und Arbeitens,
  • Entwicklung von Entscheidungshilfen für die Praxis zur Überwindung kurzfristiger Zielkonflikte von Beschäftigung, Verteilung und Ökologie.

Obwohl der zweite Prozess logisch auf dem ersten aufbaut, müssen in einem problemzentrierten Forschungsansatz beide parallel durchgeführt und durch regelmäßigen Austausch miteinander verzahnt werden. Während die an ökonomischen Interessen ausgerichtete produktorientierte Forschung im Konsens von rechts und links, wenngleich mit unterschiedlichen Motivationen, schon bisher auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene signifikant gefördert wurde, fehlen vergleichbare Möglichkeiten und Anreize für die (politisch sensiblere) problemorientierte Konzept- und Theorieentwicklung. Auch aus Gründen einer zielführenden Praxis muss dieses Defizit dringend angegangen werden, denn „es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie.“ (Albert Einstein)

Literatur

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Funtowicz, S. O./Ravetz, J. R. (1993): Science for the post-normal age, Futures 25(7), p. 739-755.

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Spangenberg, J. H./Omann, I./Hinterberger, F. (2002): Sustainable growth criteria. Minimum benchmarks and scenarios for employment and the environment, Ecological Economics 42(3), p. 429-443.

Dr. Joachim H. Spangenberg ist promovierter Volkswirt, Diplombiologe und Ökologe. Er lebt in Bad Oeynhausen, lehrt in Versailles und arbeitet in Wien