Agentur für Aussteiger

Agentur für Aussteiger

Alternative Jobvermittlung für Computerspezialisten mit Gewissen

von Jerry Sommer

Seit drei Jahren betreibt der Brite Tony Wilson in dem hübschen südenglischen Städtchen Bath eine bisher in der Welt einzigartige Arbeitsvermittlungsagentur: Er sucht für Computer- und andere High-Tech-Spezialisten moralisch vertretbare Arbeit. Mit kleinen Anzeigen in der überregionalen Presse machte der vollbärtige 53jährige auf seine Agentur aufmerksam: „Do you want to kill people with Computers?“ „Wollen Sie Menschen mit Computern töten? Wenn nicht, kann unsere moralische Arbeitsvermittlung einen besseren Job für Sie finden“ – so lautet der Werbetext seiner ersten Anzeigen, die sich vor allem an Beschäftigte der Rüstungsindustrie richteten. Inzwischen hat Tony Wilson seine Moral-Kriterien ausgeweitet.

“Wir haben bestimmte moralische Grundsätze, nach denen wir vorgehen. Wir arbeiten nicht mit Unternehmen zusammen, die vorwiegend in der Rüstungsproduktion oder in der Atomindustrie tätig sind oder enge Beziehungen zu Südafrika haben. Ebenfalls versuchen wir nur Firmen auszuwählen, in denen keine Diskriminierungen auf Grund von Geschlecht oder Rassenzugehörigkeit stattfinden und die respektvoll mit ihrem Personal umgehen.“

Innerhalb dieses Rahmens arbeitet Tony Wilson mit allen möglichen Unternehmen zusammen. Aber er strebt an, Arbeitssuchende besonders an Organisationen mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewußtsein zu vermitteln – zum Beispiel an Kooperativen, Wohltätigkeitsvereine und kleine Gesellschaften, die bewußt darauf hinarbeiten, die Welt zum Besseren zu verändern. Davon gäbe es zum Glück mehr als er anfangs gedacht habe. „Das ganze Klima ändert sich gerade gegenwärtig erheblich. Die Zeit ist im Moment auf unserer Seite.“

Bewußtseins- und Wertewandel

Entspannung in den Ost-West-Beziehungen und wachsendes Ökologiebewußtsein haben auch in Großbritannien begonnen, einen Wertewandel herbeizuführen. Die Anzahl der Anfragen, die seine Jobagentur »Exchange Resources« erhält, bestätigen diese gewisse Trendwende. Im letzten Jahr haben doppelt soviel Menschen bei Tony Wilson nach moralischen Arbeitsplätzen nachgesucht als 1988.

Von den insgesamt etwa 2.000 Computer-Spezialisten, die sich bisher an ihn gewandt haben, arbeiteten oder arbeiten 15 Prozent an militärischen Projekten. Auch viele Hochschulabsolventen haben sich an „Exchange Resources“ gewandt, weil sie gar nicht erst anfangen wollen, in einem solchen Bereich zu arbeiten. Eine wachsende Anzahl von britischen High-Tech-Spezialisten erkennt offensichtlich, daß moralisch leben mehr heißen kann als nur die Benutzung von Umwelt-Papier.

Keine schlechte Erfolgsquote

In etwa 100 Fällen ist es der Agentur bisher gelungen, ihren Kunden neue Arbeitsstellen zu vermitteln. Die Erfolgsquote sieht auf den ersten Blick klein aus. Aber sie ist fünfmal höher als bei anderen privaten Jobagenturen in Großbritannien, wo private Arbeitsvermittlung erlaubt ist und die Kosten per Gesetz bei erfolgreicher Vermittlung vom Arbeitgeber bezahlt werden müssen.

Mit Hilfe von »Exchange Resources« fand der 38jährige Software-Entwickler Mike Gascoigne einen neuen Job als Schreiber von Software-Programmen, mit denen industrielle – nicht-militärische – Fertigungsanlagen gesteuert und überwacht werden. Er hatte seinem vorherigen Arbeitgeber den Laufpaß gegeben, nachdem er herausgefunden hatte, daß er entgegen anderslautenden Aussagen seines Chefs an der Entwicklung radargeleiteter luftgestützter Raketen arbeitete.

Ein anderer Ex-Rüstungswissenschaftler, Peter Kevill, versuchte es nach seinem Ausstieg aus »GEC«, einem der größten britischen Rüstungskonzerne, wo er an Zielsimulatoren für die Marine arbeitete, mit »normalen« Jobagenturen. Als diese ihn trotz seines ausdrücklichen Wunsches wiederum an Rüstungskonzerne vermitteln wollten, wandte er sich an Tony Wilson's »moralische« Agentur. Jetzt arbeitet er in einem großen Software-Haus, das keine militärischen Aufträge annimmt.

Andere wechselten nicht nur den Betrieb, sondern den Wirtschaftszweig. Ein ehemaliger Rüstungs-Manager leitet nun eine »Charity«, die soziale Gemeinde-Projekte in Großbritannien koordiniert. Zwei weitere Spezialisten mit Moral brachte Tony Wilson im Theater unter: „Auch die »Royal Shakespeare Company« braucht heutzutage Computer-Fachleute“, freut sich Tony Wilson.

Suche nach gesellschaftlich nützlicher Arbeit

Die Einstellung derjenigen, die zu »Exchange Resource« kommen, hat sich in den letzten Jahren erheblich geändert. Vor drei Jahren spielte Ökologie als moralisches Kriterium noch keine Rolle. Sehr viele geben jetzt an, daß sie im Umweltschutz tätig sein wollen, berichtet Tony Wilson.

„Rüstung ist insgesamt als Sorge erheblich zurückgegangen außer bei denen, die noch in diesem Bereich arbeiten. Anstatt daß Leute eine Beschäftigung im Rüstungsbereich vermeiden wollen, suchen sie jetzt nach umweltfreundlicher oder gesellschaftlich nützlicher Arbeit. Die haben ein positives, nicht mehr ein negatives Anliegen.“

Da aber Großbritannien noch immer im Bereich des Umweltschutzes nachhinkt und deshalb zu Recht als »Dreckschleuder Europas« bezeichnet wird, gibt es weit weniger Jobs in diesem Bereich, als Tony Wilson Anfragen hat.

Er geht davon aus, daß sich dies bald ändern wird. Dann sieht er gute Chancen, die bei ihm registrierten Arbeitssuchenden in ökologiefreundlichen Jobs unterzubringen.

Schon jetzt sind seine Kontakte zur Industrie trotz der moralischen Kriterien, die er anlegt und die viele Betriebe nicht erfüllen, nicht schlecht. Er führt das darauf zurück, daß in Großbritannien ein Mangel an Computerspezialisten besteht und daß auch die Industrie zunehmend an sozial engagiertem und motiviertem Personal interessiert ist. Selbst Konzerne, die in der Rüstungsproduktion tätig sind, haben zu »Exchange Resource« Kontakt aufgenommen. Solange sie Arbeitsplätze auch im nicht-militärischen Bereich haben, arbeitet Tony Wilson mit diesen zivilen Abteilungen zusammen.

Positive Dinge tun!

Tony Wilson ist selbst ein »Aussteiger«. Bis vor wenigen Jahren war er als Informatiker in der britischen Rüstungsindustrie tätig. Unter anderem hat er an der Modernisierung des britischen Atomwaffenpotentials mitgearbeitet. Doch an diesen, wie er meint, gefährlichen, militärisch unnützen und kostspieligen Programmen weiterzuarbeiten, konnte er immer weniger mit seinem Gewissen vereinbaren. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen gründete er Anfang der 80er Jahre eine kleine Friedensgruppe »Elektroniker für den Frieden« und stieg bald darauf aus der Rüstungsforschung aus.

Sein Berufswechsel hat ihm offensichtlich gutgetan: „It's wonderful. Ich tue positive Dinge. Ich bekomme positive Rückmeldungen. Leute rufen an oder schreiben und sagen: ‚Danke, daß Sie da waren. Sie haben die Wende in meinem Berufsleben herbeigeführt‘.“ Als ich in der Rüstungsindustrie gearbeitet habe, konnte ich nicht über gesellschaftliche Themen reden. Wenn ich es doch tat, wurde ich als verrückter Außenseiter eingestuft und Leute fingen an, mir zu mißtrauen. Deshalb habe ich jahrelang wie alle anderen im Rüstungsbereich meine wirkliche Meinung über die Geschehnisse in der Welt für mich behalten. Jetzt kann ich nicht nur reden, worüber ich will, sondern ich kann positive Aktionen in diese Richtung unternehmen. Ich kann auswählen, mit welchen Unternehmen ich nicht zusammenarbeiten will.“

Die Wahl jedoch fällt nicht immer leicht. Zum Beispiel verschmutzen viele Betriebe die Umwelt. Arbeitsvermittlung an solche Betriebe versucht Tony Wilson zu vermeiden. Aber 100 Prozent moralisch könne auch »Exchange Resource« nicht sein. Denn viele „Jesus-Christus-Unternehmen“ gebe es nicht auf der Welt, meint Tony Wilson. Die Entscheidung, ob die Jobangebote ihren persönlichen moralischen Kriterien entsprechen, müssen die Arbeitssuchenden letztlich selbst treffen.

Wer sich direkt an Tony Wilson wenden will:
»Exchange Resource« 28 Milsom Street, Bath BA1 DP, Great Britain Tel.: 0044-225-469671, Fax: 0044-225-669673

Der Zweck der Wissenschaft: der Frieden

Der Zweck der Wissenschaft: der Frieden

von Harald Boehme

Die Haltung des Wissenschaftlers zur Frage des Friedens wird oft als seine persönliche Entscheidung betrachtet. Die Wissenschaft selbst vermeidet es, ihm darauf eine Antwort zu geben, um sich den Schein der Objektivität zu wahren. Die Frage, ob der Frieden mit Rüstung zu vereinbaren sei, erscheint unwissenschaftlich, weil sie politisch ist. Doch damit gibt die Wissenschaft der Politik nach, welche für den Frieden rüstet und dabei, gewollt oder nicht, den Krieg vorbereitet. Die vermeintliche Objektivität der Wissenschaft steht dabei im Dienst der Subjektivität des Staates, der sich der Wissenschaft für die Rüstung bedient. Diesem Staat gegenüber soll der Wissenschaftler verantwortlich sein und seinem eigenen Gewissen, welches ihn vor dem Mißbrauch der Wissenschaft bewahren soll. Öffentliche und private Verantwortung bedeuten aber beide kaum mehr, als wissenschaftlich verantwortlich zu sein, d.h. den Kriterien seines Faches zu genügen. Insofern die Wissenschaft an sich jedoch unverantwortlich ist, ist dies auch der Wissenschaftler für sich. An ihn kann keine moralische Forderung gestellt werden, so lange die Institution, der er angehört, selbst keine Moral hat. Das heißt nicht, daß die Wissenschaft an sich unmoralisch ist, sondern daß Wissenschaft ohne Rücksicht auf Moral betrieben wird. Diese Moral soll ihre Tugend sein, unabhängig von gesellschaftlichen Zwängen erfüllt sie ihren Zweck, rein der Wahrheit verpflichtet zu sein. Aber sind die Zwecke der Wissenschaft auch die der Gesellschaft?

Der Zweck der Wissenschaft

Fragen wir nach dem Zweck der Wissenschaft, so gibt zunächst die Sprache selbst die Antwort: Wissen zu schaffen. Dieses Wissen kann das einzelne Ereignis sein oder das allgemeine Gesetz, nach dem sich das Einzelne ereignet. Das letztere ist die entscheidende Triebkraft der neuzeitlichen Wissenschaft, nicht um ideell Gesetzgeber zu sein, sondern um real den Gegenstand mittels seiner Gesetze beherrschen zu können. Die Voraussetzung dafür ist, daß man weiß, wie der Gegenstand reagiert, wenn man ihn in bestimmter Weise manipuliert. Auch hier geht es nicht um den einzelnen Gegenstand, sondern um das Gesetz eines allgemeinen Prozesses, unabhängig von seiner Darstellung im Einzelnen. Jedoch die Erkenntnis des Allgemeinen ist nicht losgelöst von seiner einzelnen Darstellung, insofern bedarf jede wissenschaftliche Theorie eines gegenständlichen Modells, an dem ihre Wahrheit gemessen wird. Für die mathematischen Naturwissenschaften gilt das wörtlich, der in der Theorie ausgedrückte funktionale Zusammenhang variabler Werte wird im Modell nachgebildet als Funktion von Meßwerten. Der Zweck der Wissenschaft ist also nicht die reine Theorie, sondern das mittels der Theorie hervorzubringende Experiment. Daß die Experimentalwissenschaften dabei zu Theorien kommen, als ihre ideellen Mittel, erweckt allerdings den Anschein, als ob diese Theorien ihr Zweck seien; was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß sich auch dieser Zweck erst im realen Experiment erfüllt. Es gibt kein Wissen ohne den Gegenstand, worüber man etwas weiß, so daß Wissenschaft das Schaffen solcher Gegenstände, gegenständliche Tätigkeit ist, Produktion von Modellen des Wissens.

Wird Wissenschaft als Produktion von Modellen charakterisiert, dann legt dies den Vergleich mit der Produktion überhaupt nahe. Deren Zweck sind Gebrauchswerte, Gegenstände, die ein Bedürfnis befriedigen und zu deren Herstellung andere Gegenstände gebraucht werden. Modelle sind hingegen Erkenntniswerte, Gegenstände, die eine Theorie befriedigen, aber sonst keinen Gebrauchswert an sich haben. Als Modelle sind sie sogar vom gewöhnlichen Gebrauch ausgeschlossen, damit sie vom Verschleiß bewahrt und derart sich identisch das Allgemeine repräsentieren können. Experimente sind Repräsentationsmittel und als solche keine Produktionsmittel; mit jenen haben sie jedoch gemein, daß zu ihrer Herstellung andere Produktionsmittel gebraucht werden. So bedürfen die Experimente der Physik der ganzen modernen Industrie, um Apparaturen und Meßinstrumente in der Qualität herzustellen, die dafür nötig ist. Wissenschaftliche Modelle sind also Resultate der Produktion, die selbst unproduktiv konsumiert werden, insofern sie allein den Bedürfnissen der wissenschaftlichen Erkenntnis dienen. Die reine Wissenschaft, deren Zweck die Erkenntnis ist, erweist sich so als Luxusproduktion; d.h. nicht, daß sie dies auf Grund ihres ideellen Charakters ist, denn sie bedeutet ja reale Produktion von Modellen, sondern daß der reine Erkenntniszweck die Unproduktivität der Modelle bedingt. Damit bleibt die Wissenschaft unreproduktiv, so lange ihre Produkte nicht als Produktionsmittel in der gesellschaftlichen Reproduktion genutzt werden, aber diese verzehren bei ihrer eigenen Produktion. Wissenschaft um der ideellen Erkenntnis willen verringert also die realen Mittel der gesellschaftlichen Reproduktion, weil die Idealität ohne deren Realität nicht zu erreichen ist. Aber dieser Verlust betrifft nicht nur die Gesellschaft, sondern bedeutet auch das Absterben der reinen Wissenschaft. Sogar wenn die Gesellschaft den Verlust aus ihrem Überschuß ersetzen kann, bleibt die unreproduktive Wissenschaft doch ohne Folgen für deren Reproduktion. Es bleibt daher bei der einfachen Reproduktion der Gesellschaft, so daß der Wissenschaft immer nur die gleichen Produktionsmittel zur Verfügung stehen und ihre Modellproduktion auf jene Mittel beschränkt ist. Darin hat die Wissenschaft dann selbst ihre Schranke, sie ist nur noch zu quantitativem Wachstum fähig, indem sie größere Experimente macht oder mehr Erscheinungen beobachtet, aber sie kann keine neue Qualität des Wissens erreichen, weil sie keine neue Qualität ihrer materiellen Mittel erreicht. Man nennt dies »normale« Wissenschaft, weil man ihre Unreproduktivität für normal hält und die Wissenschaft in ihrem Selbstzweck abgesondert von der Gesellschaft betrachtet. Welche Anormalität dies jedoch ist, zeigt die Wirkung, welche die Wissenschaft auf die Gesellschaft und vice versa tatsächlich hat.

Praktisch haben die Naturwissenschaften die Gesellschaft jedoch verändert, indem sie die gesellschaftliche Reproduktion verändert haben. Damit ist der weitergehende Zweck der Wissenschaft gegeben, Modelle zu produzieren, die Produktionsmittel repräsentieren. Dieser Zweck ist verschieden von dem der reinen Forschung, die der Erkenntnis gewidmet ist; er ist aber der eigentliche Grund, warum überhaupt geforscht wird. Genauer gesagt, besteht der Grund für die wissenschaftliche Luxusproduktion darin, daß sie reale Möglichkeiten schafft für die Entwicklung von neuen, wirklichen Produktionsmitteln. Die einfache Reproduktion ist für die Wissenschaft eine Fiktion, denn ihre praktische Anwendung verweist auf erweiterte Reproduktion. Indem aber die Produkte der Wissenschaft selbst produktiv sind, erweitern sie nicht nur die gesellschaftliche Reproduktion, sondern zugleich die Reproduktion der Wissenschaft, d.h., die Wissenschaft wird für sich reproduktiv, wenn sie nicht nur Wissen an sich, sondern für die Gesellschaft produziert.

Wissenschaft & Reproduktion der Gesellschaft

Akzeptiert man die Verflechtung von Wissenschaft und Gesellschaft in ihrem jeweiligen Reproduktionsprozeß, so können die Zwecke der Wissenschaft keine anderen als die der Gesellschaft sein. Aber was ist der Zweck der Gesellschaft anderes als die Erhaltung der Gesellschaft? Darin jedenfalls hat sie ihren objektiven Zweck, der mit ihrer Existenz gegeben ist. Denn diese beruht auf der Reproduktion der Gesellschaft, also Tätigkeit, deren Zweck eben diese Reproduktion ist. Derart, als Voraussetzung der subjektiven Zwecksetzung, ist der objektive Zweck keine Norm oder ein a priori jenseits der Gesellschaft, sondern in ihr selbst gesetzt. Einfacher ausgedrückt, weil Menschen leben und in ihren Nachkommen weiterleben, hat die Menschheit den Zweck dieses Weiterlebens. Für diesen Zweck ist die Nichtexistenz der Gesellschaft auszuschließen, weil damit jede Form des menschlichen Lebens, welches eben nicht nichtexistieren kann, ausgeschlossen ist. Dies ist kein logisches, sondern ein inhaltliches Argument; andererseits ist der Inhalt und damit die unbedingte Erhaltung des Lebens ausgeschlossen, wenn logisch argumentiert wird, daß das Nichts ist und dasselbe wie das Sein sei (Hegel). Daraus nun die Möglichkeit abzuleiten, die Menschheit könne auch nicht existieren, erweist sich für sie als eine Unmöglichkeit.

Unter Frieden verstehen wir, daß die Erhaltung der menschlichen Gesellschaft das Prinzip der gesellschaftlichen Tätigkeit ist. Nicht nur, daß sich die Gesellschaft als ein Naturzustand zufällig erhält, sondern diese Erhaltung wird im Frieden von den Subjekten bewußt angestrebt, woraus sich zugleich die negative Bestimmung des Friedens ergibt, die Reproduktion vor Zerstörung zu schützen. Damit beinhaltet der Frieden erstens die produktive Tätigkeit in der gesellschaftlichen Reproduktion und zweitens, jede Tätigkeit zu vermeiden, welche diese Reproduktion zerstören kann.

Derart ist der Frieden durch Reproduktion sowohl positiv als auch negativ bestimmt, sowohl aktiv als auch passiv. Es ist besonders an diese zweite, ihrem Inhalt nach pazifistische Bestimmung zu erinnern, wenn die Produktion von Zerstörungsmitteln mit dem vermeintlichen Schutz vor Zerstörung gerechtfertigt wird. Denn in jedem Fall vergrößert sich dabei das Potential der Zerstörung; jedoch kann das Gebot nur lauten, jede Möglichkeit der Zerstörung zu verhindern, weil es um die Menschheit geht, die sonst auf dem Spiele steht. Daraus ergibt sich drittens die negativ aktive Bestimmung des Friedens als diejenige Tätigkeit zur Erhaltung der Reproduktion, die gegen solche Tätigkeiten gerichtet ist, deren Prinzip nicht die Erhaltung der Reproduktion ist. Erst durch die tätige Negation der negativen, unfriedlichen Tätigkeit, kann Tätigkeit insgesamt friedlich sein; dies ist das Prinzip, daß sie es nicht nur vereinzelt ist, sondern den Frieden zur Totalität erhebt.

Damit wird der Frieden zur Sache der ganzen Menschheit und nicht nur von einzelnen Mächten, denn es kann keinen Frieden für die einen und Krieg für die anderen geben, einmal weil die Folgen des atomaren Krieges global sind, aber auch weil das Weiterleben für die Ganzheit nicht gilt, wenn in Teilen zerstört und getötet wird.

Wissenschaft & Frieden

Was bedeutet der Frieden für die Wissenschaft? Zunächst erfüllt sie in ihrer Anwendung den objektiven Zweck der gesellschaftlichen Reproduktion. Für den Frieden geschieht wissenschaftliche Tätigkeit, wenn diese Reproduktion zu ihrem bewußten Inhalt wird. Damit wird kein der Wissenschaft fremdes Bewußtsein verlangt, denn darin besteht die Bedingung für die Reproduktion der Wissenschaft. Es wäre daher im Interesse der Wissenschaft selbst, wenn Wissenschaftler den hippokratischen Eid schwören, ihr Wissen einzig zum Wohl der Menschheit anzuwenden. Entscheidend ist an dieser Formulierung das einzig, denn das heißt genau, daß das Wohl der Menschheit das Prinzip der Wissenschaft ist. Derart war aber der Frieden bestimmt, woraus sich für die Wissenschaft ergibt, daß sie erstens für die gesellschaftliche Reproduktion produktiv ist, zweitens alles vermeidet, was für diese Reproduktion destruktiv ist und drittens auch als Wissenschaft jede destruktive Tätigkeit, insbesondere jede derartige wissenschaftliche Tätigkeit zu verhindern sucht. Es ist also keine friedliche Wissenschaft, wenn ihre Anwendung außer zu Produktionsmitteln auch zu Destruktionsmitteln führt, weil darin die gesellschaftliche Reproduktion zwar wirklich erweitert, aber möglicherweise noch weitergehend vernichtet wird. Andererseits genügt es für den Frieden nicht, wenn sich wissenschaftliche Tätigkeit frei davon hält, Modelle für Destruktionsmittel zu produzieren oder in reiner Forschung verharrt, weil jede Anwendung in der Produktion zur Destruktion zu mißbrauchen ist. Solche Verweigerung hält zwar das Gewissen des Wissenschaftlers rein, dürfte aber nicht selbstzufrieden sein. Man kann wohl friedlich forschen, wenn woanders Rüstungsforschung betrieben wird, aber dann muß die Kritik dieser Rüstungsforschung auch Teil der eigenen Forschungsarbeit sein. Nicht nur, daß die eigene Forschungsarbeit tatsächlich ebenso für die Produktion als auch für die Rüstung anwendbar ist, zumindest in der Rüstungsproduktion, sondern die Forschung ist noch nicht für den Frieden, wenn sie lediglich passiv friedlich ist. Selbst wenn es nur um die Wissenschaft geht, muß es aktiv um den Frieden und gegen die Rüstung gehen; dies ist das Fazit der einfachen Wahrheit, daß Wissenschaft für die Rüstung gegen die Wissenschaft ist.

Dem wird oft entgegengehalten, daß Forschung für das Militär auch wissenschaftlich fruchtbar sei; schließlich sei es gleichgültig, für wen man forscht, Hauptsache ist, daß man forscht. Unterstützt wird diese Meinung dadurch, daß das Militär auch Grundlagenforschung fördert, wohl wissend, daß jede Forschung militärisch anwendbar sein kann. Das Fatale daran ist, daß Grundlagenforschung bezüglich ihrer Anwendung tatsächlich indifferent ist, weil sie nur den Erkenntnissen gewidmet ist. Dazu dürfen diese jedoch nicht der militärischen Geheimhaltung unterliegen, denn dann wären es keine Erkenntnisse mehr, sondern Geheimnisse, aus denen kein Wohl für die Menschheit, sondern nur Unheil zu erwarten ist. Darüberhinaus sind geheime Erkenntnisse schon dem Begriffe nach unproduktiv für das Leben der Gesellschaft, an sich tote Wahrheiten, wenn sie nicht gar zu tötlichen Wahrheiten werden. Andererseits steht Wissenschaft immer im Spannungsfeld der Gesellschaft, insofern ist es keineswegs gleichgültig, für welche gesellschaftlichen Kräfte wissenschaftlich produziert wird, denn diese verwerten dann die Produkte. Ein wissenschaftliches Modell in der Hand des Militärs wird sicher eine andere Anwendung erfahren, als wenn es zum zivilen Gebrauch dienen soll. Die Forschung, welche die Modelle erstellt, ist auch verantwortlich für die daraus resultierende Entwicklung. Man kann diese Entwicklung nicht ignorieren und sich auf reine Forschung reduzieren, insofern gesellschaftliche Institutionen die Mittel für die Forschung bereitstellen, was wiederum von ihrer Anwendung abhängt. Wer auf Kosten des Militärs forscht, forscht auch dann für die militärische Anwendung, wenn seine Forschung nicht anwendbar ist. Denn die Nicht-Anwendbarkeit ist nur ein zeitliches Resultat, welches bald in Anwendbarkeit umschlagen kann, und sie ist als solches bereits ein Wissen, welches dem Militär allein dadurch nützt, daß andere es nicht wissen.

Ein weiteres Argument ist der zivile Nutzen der Rüstungsforschung; als ob erst Destruktivkräfte zu entwickeln wären, bevor daraus Produktivkräfte werden. Dabei wird auf den 2. Weltkrieg verwiesen, wo Erfindungen für den Krieg sich auch im Frieden nützlich zeigten, z.B. das Düsenflugzeug, das Radar und die Operationsforschung. Der Krieg wird so als ein Ereignis interpretiert, welches in seiner Negativität nur relativ ist, so daß der positive Effekt diese aufheben könne. Diese Relativität ist jedoch zu bestreiten, die Destruktion ist das absolute Geschäft des Krieges, was zerstört ist, ist nicht mehr. Insofern können Erfindungen des Krieges auch nachträglich diesen nicht vergessen machen, sie bleiben ein Erbe, welches weiterhin auf den Krieg verweist, besonders dann, wenn sie als Erfindungen des letzten Krieges benutzt werden, um den nächsten vorzubereiten. So waren die Erfindungen des 1. Weltkrieges, Panzer, U-Boot und Kriegsflugzeug die entscheidenden Waffen im 2. Weltkrieg; und zu den genannten Erfindungen des 2. Weltkrieges gesellt sich die Atombombe, womit nunmehr die Welt von Vernichtung bedroht ist. Die Erfindungen des Krieges werden durch den Krieg selbst desavouiert, und es bleibt die banale Feststellung, daß eine friedliche Wissenschaft sicher größeren Nutzen für den Frieden hat. Mit nur einem Bruchteil der Kriegskosten hätte die Wissenschaft auch ohne Krieg das entwickeln können, was der positive Effekt des Krieges sein soll, von der Perversion dieser Positivität ganz zu schweigen.

Nicht weniger zweifelhaft ist der zivile Nutzen der Rüstung im Frieden. Denn der Frieden wird dadurch seinem Wesen nach relativiert als Bedrohungsfriede, Abschreckungsfriede, kalter Krieg usw. Nicht die wirkliche Erhaltung der Gesellschaft ist das Prinzip der Rüstung, sondern ihre mögliche Vernichtung. Allerdings scheint es so, als ob sich die Gesellschaft dank Rüstung sogar weiterentwickelt. Dazu sei an die Informationstechnologie erinnert, dem heute entscheidenden Mittel zur Steigerung der Produktivkräfte, welche bisher zuerst Militärtechnologie ist, zur Steigerung der Destruktivkräfte. Daraus läßt sich aber nicht folgern, im Frieden auf diese Technologie zu verzichten, weil sie militärischen Ursprungs ist, ebensowenig sie je nach Auftragslage sowohl friedlich als auch militärisch zu gebrauchen, sondern die Forderung kann nur lauten, sie nunmehr einzig für den Frieden zu gebrauchen. Denn Wissenschaft und Technologie ist nicht in friedliche und militärische Anwendung teilbar, weil die militärische Anwendung die Möglichkeit zur Vernichtung aller Anwendung bereitstellt. Der Frieden kann nur ein Prinzip der Wissenschaft in ihrer Totalität sein, derart ist er der objektive Zweck der Wissenschaft; hingegen ist die Wissenschaft für die Rüstung objektiv zwecklose Wissenschaft, die allein subjektiven Zwecken genügt.

Die Frage ist nicht, ob Rüstungsforschung friedlichen Nutzen hat, sondern warum Forschung für die Rüstung in dem Maße betrieben wird und dabei den Krieg mit vorbereitet. Beim heutigen Potential der Zerstörung wäre dies wohl nur ein Stundenkrieg, woraus sich für die Rüstung die äußerste Anstrengung der Kräfte bereits im Frieden, der bloß ein Nicht-Krieg ist, ergibt.

Die äußerste Anstrengung deshalb, um die gleiche Anstrengung des Gegners zu überbieten, was die gegenseitige Steigerung ins Grenzenlose bedingt. Beziehungsweise Rüstung hat ihre Grenzen erst in der größtmöglichen Ausnutzung der Produktivkräfte zur Schaffung von Destruktivkräften, wodurch die gesellschaftliche Reproduktion, und zwar die eigene wie die des Gegners, bereits indirekt dadurch zerstört wird, daß sie unreproduktiv verschlissen wird. Von dieser äußersten Anstrengung profitiert scheinbar die Wissenschaft, wenn sie sich der Rüstung dienstbar macht, aber in Wahrheit wird sie dadurch ebenso verschlissen als eine in ihrer Reproduktion aufs äußerste geschädigte Wissenschaft. Entscheidend ist jedoch, daß die äußerste Anstrengung für die Rüstung die äußerste Bedrohung für die Gesellschaft bedeutet; um diese Bedrohung abzuwenden, ist die äußerste Anstrengung für den Frieden nötig, dies gilt auch für die Wissenschaft.

Zusammenfassung eines Vortrages zur Ringvorlesung »Wissenschaft und Verantwortung«, Universität Münster, Sommersemester 1988.

Literatur

Boehme, H.:Von Galilei bis Hiroshima. Über Naturwissenschaft und Sittlichkeit. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, 5. Jhg., Nr.2/1987.
Clausewitz, C. v.: Vom Kriege. Frankfurt/Main (Ullstein) 1980.
Furth, P.: Frieden oder gerechte Frieden? Düsseldorfer Debatte 8-9 (1985).
Keil-Slavik, R.: Von der Feuertafel zum Kampfroboter. Die Entwicklungsgeschichte des Computers. In: Militarisierte Informatik, Hrg. Bickenbach, J. u.a., Marburg 1985.
Marx, K.: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses. Archiv sozialistischer Literatur 17, Frankfurt 1969.
Ruben, P.: Wissenschaft als allgemeine Arbeit. Sozialistische Politik 36, 8. Jhg., Heft 2/1976.
Scheffran, J.: Zum Verhältnis von Wissenschaft und Krieg in der Geschichte. In: Physik und Rüstung, Universität Marburg 1983.

Dr. Harald Boehme ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Mathematik/Informatik der Universität Bremen.

Friedensärzte

Friedensärzte

Felix Boenheim (1890 – 1960) und das Internationale ärztliche Engagement gegen Krieg und Faschismus

von Thomas M. Ruprecht

“Du, Arzt am Krankenbett, wenn sie Dir morgen befehlen, Du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins: Sag nein!“ (Wolfgang Borchert)

„… Wir Ärzte kennen die Schrecken des Krieges am besten, weil wir noch heute die irreparablen Gesundheitsschäden des letzten Krieges täglich sehen. Der nächste Krieg kennt keinen Unterschied zwischen Front und Hinterland. Giftgase, Brandbomben und Bakterien werden alles Lebendige vernichten. Im Weltkriege wurden fast 10 Millionen Menschen auf den Schlachtfeldern getötet, 17 Millionen verwundet und verstümmelt. … Die Massenarbeitslosigkeit hat zur Massenverelendung geführt. Der Abbau der Leistungen der sozialen Versicherungen, der Mittel zur Bekämpfung der Krankheiten führt zu immer neuen und schwereren Schädigungen der Gesundheit des Einzelnen. Chronische Unterernährung und Wohnungselend lassen Volksseuchen wie die Tuberkolose wieder ansteigen. Die Zahl der Nervenerkrankungen nimmt ständig zu und mit ihnen die Zahl der Selbstmorde.

Trotz der fortdauernden Vernichtung von Kulturwerten durch Krieg und Nachfolgen, trotzdem die Schreckensbilder des Weltkrieges nicht unvergessen bleiben, sind schon wieder Kräfte am Werk, die den Ausweg aus der Wirtschaftskrise in einem neuen Krieg sehen wollen. … Bedroht ist in erster Linie Sowjet-Rußland. Ein Angriff auf dieses Land, das den friedlichen Aufbau will, bedeutet einen neuen Weltkrieg. Deshalb rufen wir unterzeichneten Ärzte aller Länder auf, gegen den Krieg zu kämpfen … Als Hüter der Volksgesundheit erheben wir unsere warnende Stimmen gegen ein neues internationales Blutbad, in das die Völker planmäßig hineingetrieben und dessen Folgen unabsehbare sein werden.“ 1

So endete der »Aufruf an die Ärzte aller Länder«, den Felix Boenheim, Chefarzt der inneren Abteilung des Berliner Hufeland-Hospitals, im Frühjahr 1932 an Kolleginnen und Kollegen in aller Welt verschickte. Über 200 unterzeichneten ihn, unter ihnen Sigmund Freud und Carl Gustav Jung. Sie unterstützten damit den Appell der französischen Schriftsteller Henri Barbusse (1873-1935) und Romain Rolland (1866-1944) für den »Weltkongreß gegen Krieg und Faschismus« 1932 in Amsterdam.

Spätestens seit Beginn des japanisch-chinesischen Krieges 1931 stand den politisch engagierten Zeitgenossen ein neuer Weltkrieg als drohende Gefahr vor Augen. Faschismus und Nationalsozialismus waren scheinbar unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Die erste deutsche Republik lag in Agonie, ihre potentiellen Verteidiger zermürbten sich in unversöhnlichen Flügelkämpfen, Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen wurden immer unverblümter propagiert und durchgesetzt, trotz Massenelend und- Arbeitslosigkeit. Bereits seit 1928 hatte der »Verein Sozialistischer Ärzte« in Berlin Front gegen die Aufrüstungspolitik bezogen, vor allem gegen die umfangreichen »Zivilschutz«-Maßnahmen für einen B- und C-Waffen-Krieg. Boenheim, langjähriges Mitglied des Vereins und renommierter Endokrinologe in Berlin, setzte schließlich Impulse jener »Gaskriegsdebatte« um, als ihn Henri Barbusse 1932 fragte, ob er für den Amsterdamer Kongreß Leiter der deutschen Delegation werden und im Reich Vorbereitungen koordinieren würde.

Felix Boenheim, 1890 in Berlin geboren, stammte ursprünglich aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie jüdischer Herkunft. Er hatte Medizin in München, Freiburg und Berlin studiert und war politisch stark von seinem Onkel Hugo Haase (1863-1919) beeinflußt, Fraktionsvorsitzender der SPD-Reichstagsfraktion, Mitglied des Parteivorstandes und 1917 Gründer der USPD.

1. Weltkrieg und Novemberrevolution

Bereits während des 1. Weltkrieges hatte Boenheim die Mitwirkung am Krieg abgelehnt: Schon wenige Monate nach Kriegsbeginn bekundete er als landsturmpflichtiger Arzt im ostpreußischen Graudenz offen seine Ablehnung. Obendrein befreundete er sich mit dem damals berühmten Berliner Kardiologen Georg Friedrich Nicolai (1874-1964), ab 1917 der international bekannteste deutsche Kriegsgegner aufgrund seiner »Biologie des Krieges«, jenem „Kultbuch des internationalen Pazifismus“ 2. Beide kamen schließlich mit den Militärbehörden in Konflikt. Boenheim wurde bereits 1915 vor ein Kriegsgericht gestellt, wegen „fahrlässiger Gerüchteverbreitung“ und „Beleidigung“ des Kriegsministers von Falkenhayn (1861-1922). Ohne das Urteil abzuwarten, degradierte man ihn, und zog ihn in Aberkennung seines Sonderstatus als Mediziner als gemeinen Soldaten zur aktiven Truppe ein; damals ein Präzedenzfall. Wegen Krankheit schließlich entlassen, begann er 1916 eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere an der Universitätsklinik Rostock. Als er sich jedoch politisch für die neugegründete USPD engagierte, konnte er sich nicht mehr habilitieren und wechselte ans Städtische Krankenhaus nach Nürnberg.

Dort spielte er in der Novemberrevolution als Arbeiter- und Soldatenrat der USPD eine bedeutende Rolle, radikalisierte sich aber im Laufe der SPD-geführten Restauration. Als libertärer Kommunist wurde er mit 29 Jahren führende Persönlichkeit der Nürnberger Spartakisten. Als im April 1919 in München die Räterepublik ausgerufen werden sollte, schlug ihn Erich Mühsam (1878-1934) für das Amt des Bayrischen Justizministers vor. Boenheim jedoch lehnte zusammen mit der KPD eine Beteiligung an der revolutionären Umwälzung ab, da sie in seinen Augen basisdemokratischer Legitimation und ausreichenden Rückhalts in der Bevölkerung entbehrte.

1921-1932

Nach Assistenzjahren am Stuttgarter Katharinenhospital ließ er sich 1921 als Internist in Berlin nieder. Seine politische Tätigkeit orientierte sich weiterhin an der KPD, obwohl er nie Parteimitglied wurde. Er gehörte zum Kreis um Willi Münzenberg (1889-1940), den er in Stuttgart als Vorsitzenden der württembergischen Kommunisten kennengelernt hatte. Boenheims Schwerpunkte waren das soziale Engagement für die Arbeiterschaft Berlins und die Interessen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, für gesundheitliche Aufklärung breitester Schichten und eine Sozialisierung des Gesundheitswesens. Er war Mitglied der »Deutschen Liga für Menschenrechte«, engagierte sich in einem überparteilichen »Verein Sozialistischer Ärzte« und in der Ärztesektion der »Internationalen Arbeiterhilfe«(IAH), war Mitinitiator der »Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland« (1923), zu der zahlreiche prominente Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler wie die Brüder Mann und Albert Einstein gehörten und trat 1927 der »Liga gegen Imperialismus und für die nationale Unabhängigkeit« bei, aus der ein Jahr später die »Weltliga gegen Imperialismus und koloniale Unterdrückung, für nationale Freiheit« wurde. In Wieland Herzfeldes »Malik« und Münzenbergs »Neuem Deutschen Verlag« veröffentlichte er populärwissenschaftliche Schriften, verkehrte mit Ernst Thälmann (1886-1944) und Wilhelm Pieck (1876-1960) und pflegte Freundschaften zu Ernst Toller (1893-1939) und dem pazifistischen Schriftsteller Leonhard Frank (1882-1961). Beruflich war er trotz gebrochener akademischer Karriere sehr erfolgreich, arbeitete wissenschaftlich in den Labors der Charité, publizierte im In- und Ausland und gewann einen hervorragenden Ruf als Endokrinologe, besonders auf dem Gebiet der Schilddrüsenerkrankungen.

1931 – inzwischen Chefarzt am Berliner Hufeland-Hospital – verlor er wegen seines gesundheitspolitischen Engagements seine Kassenzulassung durch Ausschluß aus dem Hartmann-Bund. Nur wenig später erreichte ihn die Bitte von Henri Barbusse zur Vorbereitung des Amsterdamer Kongresses. Boenheim gründete daraufhin einen eigenen Initiativausschuß. Mitglieder waren Käte Kollwitz (1867-1945), die Literaten Bert Brecht, Bernhard von Brentano (1901-1964), Ricarda Huch (1864-1947) Anna Seghers (1900-1983) und Ernst Toller, der Arzt und Sexualreformer Max Hodann (1894-1946) und der Psychoanalytiker und Freud-Schüler Wilhelm Reich (1897-1957). Gleichzeitig rief er auch ein international besetztes Ärztekomitee ins Leben, besetzt vor allem mit renommierten Hochschullehrern: Der Königsberger Ludwig Pick3, der Prager Endokrinologe Arthur Biedl (1869-?), der Bonner Zahnmediziner Alfed Kantorowicz (1880-1962), der Berliner Internist Georg Zülzer (1870-1949) und schließlich der Züricher Arbeiterarzt und Anarcho-Syndikalist Fritz Brupbacher (1874-1944). Sie waren auch die Erstunterzeichner des anfangs zitierten Aufrufs aus Boenheims Feder.

Der Amsterdamer Kongreß 1932

Der Amsterdamer Kongreß entwickelte sich zur größten Antikriegskundgebung, die bis dahin je stattgefunden hatte. Am 27. August 1932 versammelten sich über 4000 Teilnehmer, davon 2200 Delegierte aus 35 verschiedenen Ländern4. Er sollte ein Signal setzen zur Bildung einer parteiübergreifenden Volksfront gegen den um sich greifenden kriegerischen Faschismus und Nationalsozialismus. Parallel zum Plenum tagte die erste internationale Ärztekonferenz unter dem Motto »Arzt und Arbeiterklasse verbündet im Kampf gegen Imperialismus und Kriegsgefahr«. Das Hauptreferat vor den ca. 50 Teilnehmern aus ganz Europa hielt Felix Boenheim: „Die gesundheitlichen Folgen des letzten Krieges und die drohenden Folgen des kommenden, insbesondere des Gaskrieges“ Am darauffolgenden Tag, den 28. August 1932, beschloß die zweite ärztliche Sonderkonferenz auf Initiative Boenheims die Gründung der »Internationalen Gesellschaft der Ärzte gegen Krieg und Faschismus« und wählte ihn zum Präsidenten. Folgende Erklärung wurde verabschiedet:

„Die auf dem Antikriegskongreß vertretenen Ärzte aus allen europäischen Ländern appellieren angesichts der wachsenden Gefahr eines neuen Weltkrieges an alle Ärzte, die nicht dulden wollen, daß die Fortschritte der Wissenschaft und Technik in den Dienst der planmäßigen Massenvernichtung gestellt werden…. Verheerend war die Wirkung des Krieges auf Frauen und Kinder. Die Gesundheit der unterernährten, blutarmen Frauen wurde durch die Fabrikarbeit, besonders auch in den Munitionsfabriken vollends untergraben. Die im Kriege geborenen Kinder der werktätigen Bevölkerung erlitten irreparable, noch heute nachweisbare Schädigungen. … Die am Kriege interessierten Kräfte aller Länder, insbesondere der Rüstungsindustrie, bemühten sich, die Ärzte in die Front der Vorbereitung des Krieges einzureihen. Im Weltkriege wurde der Arzt dazu degradiert, den letzten Mann kriegsverwendungsfähig zu schreiben und die verhängnisvollen Folgen von Hunger und Unterernährung zu verschweigen. Heute soll er durch seine Gutachten beitragen zu weiterem Abbau der kümmerlichen Renten der Kriegs- und Arbeitsopfer. Die in allen Ländern in letzter Zeit mit äußerster Intensität betriebene Agitation für den Gas- und Luftschutz zeigt, daß man den kommenden Krieg als nahe bevorstehend erwartet, Ärzte stehen an führender Stelle bei der Organisierung des Gas- und Luftschutzes. Dieser ist um so gefährlicher, als er sich unter dem Schein defensiver Maßnahmen abspielt. Eine besondere Rolle hierbei spielen die einzelnen Sektionen des »Internationalen Roten Kreuzes« deren Tätigkeit die Massen im Kampf gegen den Krieg lähmt. Wir Ärzte, die wir uns für die Verhinderung eines neuen Weltgemetzels einsetzen, verpflichten uns, folgende dringliche Aufgaben durchzuführen:

  1. Aufklärung über die Greuel- und Vernichtungsmethoden des Krieges, insbesondere des alles Leben unterschiedslos vernichtenden Gaskrieges, unter den Ärzten und in den breiten Massen der Bevölkerung.
  2. Aufklärung über die tatsächliche Unmöglichkeit eines wirksamen Gasschutzes. Der einzig wirksame Gasschutz ist der siegreiche Kampf gegen den Krieg.
  3. Aufzeigen der katastrophalen Folgen von Krieg und Nachkriegskrise auf die Volksgesundheit in den einzelnen Ländern. Durchführung von Massenuntersuchungen in Elendsgebieten, wie sie in Deutschland, in der Tschechoslowakei mit erschütternden Ergebnissen durchgeführt werden. Veranstaltungen von Referaten, Schulungskursen und Kundgebungen über diese Themen in allen Kreisen der Bevölkerung.
  4. Schaffung eines internationalen Ärztebüros, das systematisch die Tatsachen der gesundheitlichen Schädigungen in den einzelnen Ländern sammelt und wissenschaftlich verarbeitet, sowie Direktiven gibt für den Kampf der Ärzte gegen den Krieg. Wirksame Arbeit zur Verhütung eines neuen Krieges können die Ärzte nur Hand in Hand mit den Organisationen leisten, die einen aktiven Kampf gegen den Krieg führen“ 5

Boenheim und die internationale Ärztegesellschaft knüpften damit an oppositionelle Strömungen an, die es innerhalb der europäischen Ärzteschaft schon während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegeben hatte6.Ihr bedeutenster Vertreter war zunächst Rudolf Virchow (1821-1902). Als einer der schärfsten Gegner Bismarcks hatte er am 21. Oktober 1869 großes Aufsehen erregt mit einem Abrüstungsantrag im Preußischen Abgeordnetenhaus7. 1895 sah er für Europa nur zwei Möglichkeiten: „Abrüsten oder Untergehen“ 8.

Die erste spezifisch ärztliche Friedensorganisation war jedoch 1905 in Frankreich entstanden, auf Initiative des damals berühmten Internisten und Pioniers der Radiologie und physikalischen Medizin Dr. Joseph Alexandre Rivière (1860-1946): Die „Association internationale médicale contre la Guerre“. Der Nobelpreisträger Charles Richet (1860-1933)9, ihr prominentestes Mitglied hatte damals bereits gefordert: „… diese Idee des Friedens, des heiligen Friedens, ist es wert, durch jeden Arzt, der seine Aufgabe verstanden hat, verteidigt zu werden. Todgeweihte ins Leben zurückzuholen, Versehrten beizustehen, behindertes Leben zu verlängern: das ist ganz sicher die Pflicht des Arztes. Warum aber sollte ihm veboten sein, kräftige, gesunde und lebensdurstige junge Menschen zu retten, die die Mächtigen dieser Welt in ihrem Wahn ins Gemetzel der Schlachtfelder kommandieren?… Ist es nicht eine grausame Ironie, seine Fürsoge einem armen Tuberkulosekranken zuzuwenden, dessen Leiden nur mit größter Mühe lindern zu können, während der Moloch des Krieges mit einem einzigen Schlag hunderttausende gesunde, vitale junge Menschen vernichtet?… Wir Ärzte sind Anwälte der Menschlichkeit. Lassen sie uns diese Aufgabe mit aller Entschiedenheit vertreten. Begrenzen wir unsere Humanität nicht auf hingebungsvolle Krankenpflege! Gehen wir weiter!“ 10

Neben der »Association«, die über 700 Mitglieder in 21 europäischen, 18 mittel- und südamerikanischen Staaten, aber auch in Kanada und den USA hatte, waren noch weitere Mediziner mit der Gründung antimilitaristischer und pazifistischer Organisationen hervorgetreten: Fritz Brupbacher – ebenfalls 1905 – mit der Schweizer »antimilitaristischen Liga«11, 1914 der britische Internist und Quäker Henry Hodgkin (1877-1933)12 mit der bis heute bestehenden pazifistischen »Fellowship of Reconciliation« (»Internationaler Versöhnungsbund) und 1919 der Berliner Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935) und der Züricher Psychiater August Forel (1848-1931) mit der »Arbeitsgemeinschaft für die Abschaffung der Kriege«13.

Die »Internationale Gesellschaft der Ärzte gegen Krieg und Faschismus«

Boenheims »Internationale Gesellschaft der Ärzte gegen Krieg und Faschismus« nahm auch Thesen auf, die bereits 1929 vor allem der »Verein Sozialistischer Ärzte« in der »Gaskriegsdebatte« propagiert hatte. Besonders erwähnenswert sind hier die marxistisch orientierten Psychoanalytiker Otto Fenichel (1887-1946) und Ernst Simmel (1882-1974), aber auch die sozialistische Berliner Stadträtin und Neuköllner Bezirksärztin Käte Frankenthal (1889-1976). Unter dem Pseudonym »Kenta« geißelte sie auch nach ihrer Flucht aus Deutschland in zahlreichen Artikeln die Aufrüstung Hitlers, speziell im Gesundheitswesen. In ihrem Beitrag „Deutsche Ärzte bereiten den Krieg vor“ von 1933 schreibt sie über den »Zivilschutz«:

„Diese ganze Aktion, in deren Dienst sich auch die Deutsche Ärzteschaft mit Begeisterung stellt, dient nicht der Abwehr von Angriffen, sondern sie dient der Vorbereitung zum Krieg … Es wird in Deutschland kein Auto angeschafft, kein Amt errichtet, kein Mensch ausgebildet, ohne auf das eine große Ziel hin zu visieren: Krieg! Wie hypnotisiert muß der ganze Heerhaufen, den man aus dem deutschen Volk bildet, auf dieses eine Ziel schauen: Krieg!“ 14

Noch im Herbst 1932 entstanden in Europa 11 nationale Sektionen der internationalen Ärztegesellschaft. Die deutsche hatte im Frühjahr 1933 fast 300 Mitglieder. Boenheim gründete nach seiner Rückkehr aus Amsterdam zusätzlich das »Deutsche Kampfkomitee gegen den imperialistischen Krieg«, ein Versuch, in letzter Minute die bisher verfeindeten Strömungen innerhalb des antimilitaristisch-pazifistischen Lagers wieder an einen Tisch zu bringen und zu gemeinsamer Aktion zu motivieren. Unter den 60 Mitgliedern waren neben Arbeitern aus Rüstungsbetrieben auch Albert Einstein, die Feministin Helene Stöcker (1869-1943), Heinrich Mann und die Pazifisten der »Deutschen Friedensgesellschaft« Otto Lehmann-Rußbüldt (1873-1964) und General a.D. Paul Freiherr von Schönaich (1866-1954). Neben zahlreichen Veranstaltungen gegen die Kriegsvorbereitungen überall in Deutschland initiierte es die Gründung innerbetrieblicher Komitees in Rüstungsfabriken, um so die Waffenproduktion zu verhindern und wenn möglich durch Streiks lahmzulegen.

Die »Internationale Gesellschaft der Ärzte gegen Krieg und Faschismus« inspirierte schließlich die Arbeit des »Komitees für Kriegsprophylaxe«, einer Arbeitsgemeinschaft der holländischen Medizinischen Gesellschaft15, und zahlreiche Ärzte in Großbritannien. Diese publizierten noch 1938 ein Buch mit dem Titel »The Doctor's View of War«. Im Vorwort schreibt John A. Ryle, Professor in Cambridge, wie eine Verweigerung ärztlicher Mitarbeit Kriege undurchführbar machen könnte16.

Die Boenheim'sche Gesellschaft markiert einen vorläufigen Höhepunkt ärztlichen Engagements gegen Krieg und Faschismus – in Deutschland jedoch nur für kurze Zeit. Bereits fünf Monate nach ihrer Gründung bereitete die Wahl Hitlers zum Reichskanzler der deutschen Sektion ein jähes Ende. Sie wurde zerschlagen, Boenheim am 28. Februar 1933 verhaftet (in der Nacht des Reichsbrandes). An der ersten Nachfolgekonferenz der Gesellschaft in London konnte kein deutscher Vertreter mehr teilnehmen.

Exil und Nachkriegszeit

Nur durch glückliche Umstände wurde Boenheim nach sechs Monaten aus der Spandauer Haft entlassen. Er emigrierte sofort nach Frankreich. Es folgte eine zweijährige Odyssee über Großbritannien, Palästina und Paris nach New York. Dort entwickelte er sich schon bald zu einem der führenden Akteure des politischen Exils. In zahlreichen Organisationen arbeitete er an leitender Position für eine Einheitsfront aller Deutsch-Amerikaner und Emigranten gegen Hitler – zuletzt im »Council for a Democratic Germany«, einer Allparteienkoalition zur Entwicklung politischer Programme für den demokratischen Wiederaufbau in Deutschland, unter Leitung des religiösen Sozialisten und Theologieprofessors Paul Tillich.

1949 kehrt Boenheim nach Deutschland zurück und folgte einem Ruf als Leiter der Universitäts-Poliklinik in Leipzig. Er bleibt trotz angeschlagener Gesundheit (friedens-)politisch aktiv und gründet zusammen mit dem Sozialhygieniker Wolfgang Oerter(*1920) – in Anlehnung an Amsterdam – die erste ärztliche Friedensgruppe der DDR, die »Friedensgemeinschaft Deutscher Ärzte«. Nach der Emeritierung leitete er während seiner letzten Lebensjahre das einst weltberühmte »Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften«.

Boenheim und die mit ihm international engagierten Ärzte des sozialistischen Spektrums formulierten wesentlich eindeutiger als alle Vorgänger eine berufsspezifische, letztlich medizinethisch begründete Verpflichtung aller im Gesundheitswesen Tätigen, sich ihrer Rolle in der Kriegsmaschinerie bewußt zu werden und die Mitarbeit radikal zu verweigern – als Anwalt aller tatsächlich und potentiell Geschädigten. Nicolai hatte 1918 anläßlich seiner schließlich erfolgten Strafversetzung und Degradierung noch geschrieben: „Ich bin der Meinung, daß ich durch die Tatsache meiner Approbation das moralische und juristische Recht erworben habe, dem Staate während eines Krieges nicht mit der Waffe, sondern mit ärztlichem Wissen zu dienen“, und „daß es entweder ein Zeichen von Pflichtvergessnheit oder aber ein Zeichen von Dummheit ist, in Zeiten, in denen man die Ärzte so bitter nötig braucht,…, einem Arzt die Ausübung seines Berufes unmöglich zu machen“ 17.

Obwohl er sich geweigert hatte, den Fahneneid zu schwören und sich damit einer vollständigen Unterordnung entzog, kritisierte er die Behörden ausschließlich auf dem Boden militärischer Logik, die Hindenburg in seinen Lebenserinnerungen deutlich umreißt:

„Würde unser Sanitätsdienst nicht auf der Höhe gestanden haben, auf der er sich tatsächlich befand, so hätten wir schon aus diesem Grunde den Krieg nicht so lange durchhalten können. die Leistungen der Feldsanitäter werden sich dereinst … als ein besonderes Ruhmesblatt deutscher Geistesarbeit und Hingabe für einen großen Zweck erweisen …“ 18.

Nicolai sah nicht das Dilemma ärztlicher Ethik zwischen Bewahrungspflicht gegenüber seinen Patienten und den Verwertungsinteressen der Armee.

Das minoritäre ärztliche Engagement der späten 20-er und 30-er Jahre hingegen gründete sich angesichts weiter perfektionierter Massenvernichtungsmittel auf die Überzeugung, ein moderner Krieg könne auch durch noch so gut organisierte medizinische Hilfe nicht humaner gemacht werden, im Gegenteil: Die Instrumentalisierung des Gesundheitswesens und die Tätigkeit des Roten Kreuzes nährten die Illusion von der Beherrschbarkeit der Folgen und senkten die Hemmschwelle zum Losschlagen. Wären im 2. Weltkrieg die reichlich vorhandenen C-Waffen wie ursprünglich vorgesehen zum Einsatz gekommen, hätte sich die Hilflosigkeit der Helfer schon damals offenbart. Nach Hiroshima und Nagasaki tritt sie jedoch noch offener zutage und mit ihr die zwingende Notwendigkeit wirksamer Prävention statt hilfloser Therapie.

Literatur

1) Association médicale internationale contre la Guerre (Hrsg.) (1910): Actes et manifestations diverses (1905-1910; Paris.
2)<~>Bleker, Johanna/Schmiedebach, Heinz-Peter (Hrsg.)(1987): Medizin und Krieg. Vom Dilemma der Heilberufe 1865 bis 1985. Frankfurt/M.
3) Brocke, Bernhard vom (1984): Wissenschaft versus Materialismus: Nicolai, Einstein und die »Biologie des Krieges«. Mit einer Dokumentation von Rektor und Senat der Universität Berlin (»Wissenschaft und Militarismus“II); in: Annali dell'Instituto storico italo-germanico in Trento X 1984, 405-508.
4) Frankenthal, Käte (1981): Der dreifache Fluch: Jüdin, Intellektuelle, Sozialistin. Lebenserinnerungen einer Ärztin in Deutschland und im Exil (Hrsg.: Kathleen M. Pearle/ Stefan Leibfried); Frankfurt/M. – New York.
5) Kenta (d.i. Käte Frankenthal) (1933): Deutsche Ärzte bereiten den Krieg vor; in: Sozialärztliche Rundschau 4(1933), 115/116.
6) Hindenburg, Paul von (1920): Aus meinem Leben. Briefe Reden und Berichte (Hrsg: F. Endres, 1934); Leipzig.
7) Joules, H. (Ed.)(1938): The Doctor's View of War; London.
8) Lang, Karl (1983): Kritiker, Ketzer, Kämpfer. Das Leben des Arbeiterarztes Fritz Brupbacher; Zürich (1917): Die Biologie des Krieges. Betrachtungen eines deutschen Naturforschers; Zürich.
9) ders. (1918): Warum ich aus Deutschland ging. Offener Brief an denjenigen Unbekannten, der die Macht in Deutschland hat; Bümplitz b.Bern.
10) Roorda, J.(Hrsg.)(O.J.[1939]): Medical Opinions on War (Published on behalf of the Netherlands Medical Association (Committee for war-prophylaxis)); Amsterdam.
11) Ruprecht, Thomas M. (1986): Einzelgänger und Außenseiter. Tradition und Beispiel frühen Engagements von Ärzten für den Frieden; in: Beck, Winfried/ Elsner, Gine/ Mausbach, Hans (Hrsg.)(1986): Pax Medica. Stationen ärztlichen Friedensengagements und Verirrungen ärztlichen Militarismus; Hamburg.
12) Schabel, Elmer (1987): Zwischen den Weltkriegen: Kritik des imperialistischen Krieges und die Gaskriegsdebatte im Verein Sozialistischer Ärzte 1924 – 1936; in Bleker, Johanna/ Schmiedebach, Heinz-Peter (Hrsg.)(1987), 173-190.
13)Schumann, Rosemarie (1985): Amsterdam 1932. Der Weltkongreß gegen den imperialistischen Krieg; Berlin (DDR).
14) Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 15. Oktober 1868 einberufenen beiden Häuser des Landtags. Haus der Abgeordneten, Band 1; Berlin 1869.

Anmerkungen

1) Sigmund-Freud-Museum Wien, Dokument Nr. 11.125(1); Zurück

2) vom Brocke (1985), 419; Zurück

3) nicht zu verwechseln mit Arnold Pick (1851-1924), Erstbeschreiber der Pick'schen Krankheit; Zurück

4) vgl. Schumann (1985); Zurück

5) InPreKorr, 2505 (20.09.1932); Zurück

6) vgl. Ruprecht (1986); Zurück

7) Stenographische Berichte … (1869), 87; Zurück

8) Apôtre de la paix; in: Le Matin (Paris), 6.07.1895, S.1/2; Zurück

9) er erhielt den Nobelpreis für Medizin 1913 für die Erforschung der Überempfindlichkeitsreaktionen; von ihm stammt der Begriff »Anaphylaxie«; Zurück

10) Association …(1910), 56-58 (Übersetzung T.R.); Zurück

11) vgl. Lang (1983); Zurück

12) nicht zu verwechseln mit Thomas H. Hodgkin (1798-1866), nachdem der »Morbus Hodgkin« benannt ist; Zurück

13) vgl. Ruprecht (1986), 15; Zurück

14) Kenta (1933), 116; zit. bei Schnabel (1987), 183; Zurück

15) Roorda (o.J.[1939]); Zurück

16) Joules (1938); Zurück

17) Nicolai (1918), 24 bzw. 20; Zurück

18) Hindenburg (1920), 136; Zurück

Thomas M. Ruprecht ist Arzt und arbeitet am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg

Die Verantwortung der Wissenschaft

Die Verantwortung der Wissenschaft

von Heiner Mählck / Detlev Reymann

Die Universität hat die Aufgabe, Wissenschaft und Kunst in freier Forschung, freier Lehre und freiem Studium zu pflegen. Sie versteht sich als Gemeinschaft von Personen, die im Bewußtsein der Verantwortung vor Verfassung und Gesellschaft für die Folgen ihres Tuns und im Geiste des Friedens forschen, lehren, lernen und hierzu beitragen.“

Am 8. Juni wurde vom Konzil der Universität Hannover eine Ergänzung der Grundordnung bzgl. einer Verantwortung der Wissenschaft im Geiste des Friedens beschlossen. Diese Ergänzung ist vor allem dem Wirken der Friedensinitiative an der Universität zuzuschreiben. Der folgende Artikel versucht das Zustandekommen des Beschlusses nachzuzeichnen und eine Bewertung vorzunehmen.

1. Friedensinitiative an der Universität Hannover

An der Universität Hannover besteht seit Anfang 1982 eine Friedensinitiative, die sich aus Angestellten und Studenten der unterschiedlichen Arbeitsbereiche zusammensetzt. Als universitäre Initiative versuchen wir, einen Beitrag bezüglich einer zivilen, menschengerechten Lehr- und Forschungsarbeit zu leisten. Gerade für die am Wissenschaftsprozeß Beteiligten besteht eine besondere Pflicht, den Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse zu militärischen Zwecken aufzudecken und zu verhindern. Naturwissenschaft und Ingenieurwesen können heute nahezu jede technologische Leistung erzielen und fast jede Veränderung erzwingen. In einer Gesellschaft, die raschem Wandel und Wachstum unterworfen ist, darf jedoch nicht mehr zugelassen werden, daß die Technik unkontrolliert Veränderungen erzeugt. Rationale Kontrolle aber ist unmöglich, ohne daß die Universitäten – und das Bildungswesen allgemein – neue Verantwortung im Dienste der Gesellschaft übernehmen.

Wir wissen, daß es an unserer Hochschule Rüstungsforschung gegeben hat und vermuten, daß es sie gegenwärtig gibt. Der direkte Nachweis dazu war uns bisher nicht möglich. Die Arbeit unserer Initiative war bisher ähnlich gestaltet wie die einer Stadtteilinitiative, mit dem Unterschied, daß wir speziell die Hochschulangehörigen angesprochen haben. Unser Wirkungsfeld war und ist die Hochschule, konkrete Friedensarbeit an und für die Hochschule war aber nicht unser Themenschwerpunkt.

Die Diskussion um den Schwerpunkt Verantwortung der Wissenschaft sollte einen Einstieg liefern in die Entwicklung direkter hochschulbezogener Friedensarbeit.

2. Verantwortung konkretisieren – Grundordnung ergänzen

Zu Beginn des Jahres 1987 begannen wir in der Initiative eine Diskussion darüber, wie an der Hochschule die Auseinandersetzung über die Verantwortung der Wissenschaft und speziell über die Verhinderung von Rüstungsforschung voranzutreiben ist. Ausgangsüberlegung war, ob es möglich sei, eine Art Hippokratischen Eid für Wissenschaftler/innen zu entwickeln und wenn ja, wie ein solcher Eid aussehen könne und wie er praktisch umzusetzen sei. Im Ergebnis gelangten wir zu der Überzeugung, daß eine Ergänzung der Grundordnung der Universität ein geeigneter Weg zur Verwirklichung dieser Zielsetzung sein könne. Auf diese Art sollte erstens eine hochschulöffentliche Diskussion initiiert werden und zweitens sichergestellt werden, daß sich spätestens auf der entsprechenden Konzilsitzung die Vertreter der wesentlichen politischen Strömungen der Statusgruppen zu dieser Frage äußern würden oder sich zumindest damit beschäftigen hätten müssen.

Am Anfang gab es in unseren eigenen Reihen aber auch sehr große Skepsis, ob dieser Initiative nicht sehr vehement der Vorwurf entgegengehalten werden würde, die Freiheit von Forschung und Lehre einzuschränken.

Die Ergänzung der Grundordnung sollte folgendes leisten:

  1. Die Angehörigen der Universität Hannover sollen verpflichtet werden, die Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen; eine Verantwortung in diesem Sinne ist nicht teilbar.
  2. Es sollte ein Minimum an ethischen Maßstäben festgeschrieben werden, die die Grenzen einer verantwortungsbewußten, menschengerechten Tätigkeit festlegen.
  3. Es sollte eine Formulierung gefunden werden, die eine Arbeitsverweigerung jedes Einzelnen rechtfertigt, der aus dem Bewußtsein der Verantwortung für die Folgen seines Tuns heraus an bestimmten Arbeiten nicht mitwirken will oder kann.

3. 11/2 Jahre Vorarbeit

Unser Anliegen wurde zusätzlich dadurch unterstützt, daß der Senat der Universität Anfang 1987 eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer Beschlußvorlage zum Thema »Rüstungsforschung an der Universität« einsetzte. In der Senatssitzung vom April 1987 empfahl diese Arbeitsgruppe dem Senat, keinen Beschluß zu fassen, mit der Begründung, daß die Friedensinitiative an der Universität eine breite Diskussion der Thematik anstrebe.

Einer unserer ersten Schritte bei der praktischen Umsetzung war die Kontaktaufnahme mit dem Initiativkreis Frieden und Wissenschaft der Universität Hannover, einer Gruppe, die seit einigen Jahren in unregelmäßigen Abständen Veranstaltungen zum Thema Frieden organisiert und fast ausschließlich aus Professoren besteht. Auf unseren Vorschlag hin wurde eine gemeinsame Redaktionskommission des Initiativkreises und der Friedensinitiative gegründet, die einen Entwurf für den Ergänzungstext erarbeiten sollte.

Um die Thematik hochschulöffentlich zu machen, wurde von der Friedensinitiative und dem Initiativkreis im Februar 1988 eine Podiumsdiskussion durchgeführt, die die »Verantwortung des Wissenschaftlers« zum Titel hatte. Als Podiumsteilnehmer nahmen fünf Professoren aus fünf unterschiedlichen Fachbereichen teil; die Diskussionsleitung übernahm der Präsident der Universität Hannover, Herr Prof. H. Seidel. Die Veranstaltung war so gut besucht, daß einige Interessenten keinen Platz mehr fanden; alle Beteiligten werteten die Veranstaltung positiv.

4. Verschiedene Positionen zur Verantwortung der Wissenschaft

Die Positionen zur Wahrnehmung der Verantwortung für das eigene Tun speziell auch im Zusammenhang mit Rüstungsforschung charakterisieren das unterschiedliche Selbstverständnis der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen (wir sind eine ehemals technische Universität) und geben die Hauptargumentationslinien zur Thematik sehr treffend wieder. Deshalb werden sie im folgenden zusammenfassend dargestellt:

Der Physiker H. Welling glaubt, daß alle Verantwortung übernehmen wollen, aber keiner wüßte wie. Wissenschaft werde immer betrieben, um den Lebensstandard zu erhöhen. Sie berge Chancen aber auch Risiken, und diese stiegen an und wären allmählich nicht mehr zu übersehen.

Der Soziologe O. Negt zitierte Jonas, für den Verantwortung tragen heißt, die Fernwirkung mit zu reflektieren. Verantwortung trüge beispielsweise ein Architekt, der sich weigere, sich am Bau von Atombunkern zu beteiligen, weil er wisse, daß es kein Leben nach einem Atomkrieg geben werde. Ein neuer geschichtlicher Tatbestand sei es, daß wir erstmals in der Lage sind, uns selbst und die Erde mit selbst produzierten Mitteln auf unabsehbare Zeit zu vernichten. In diesem Zusammenhang sei es sinnvoll, nur Dinge zu erforschen, die den Menschen ihre Freiheitsspielräume erweitern, und sich zu weigern, Herrschaftsmittel zu produzieren.

„Zum größten Teil forschen wir heute, weil wir es müssen; das sind wir der Menschheit schuldig,“ meint der Maschinenbauingenieur W. Rieß. Er sieht wenig Chancen, Kriege durch unterlassene Forschung zu verhindern. Es sei den Sozialwissenschaften bis heute nicht gelungen, Aggressivität und Konfliktbereitschaft der Menschen zu unterbinden. Wer Aggressionen umsetzen wolle, fände auch immer Mittel. Er meint: „Wir forschen, weil wir forschen müssen“. Die Gesellschaft lebe von den Errungenschaften der Technik, die von uns heute keiner mehr missen möge.

Eine Patentlösung für all die angesprochenen Probleme hätten auch die Juristen nicht, so H.-P. Schneider. Nach Artikel 5, Absatz 3 im Grundgesetz seien Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei; aber natürlich nicht frei von Verantwortung. Doch wie kann man verantwortlich handeln? Schneider sagt: „Ein Wissenschaftler darf nicht alles, was er weiß, wollen, zulassen wollen, realisieren wollen.“ Er müsse seine Erkenntnisse entscheidbar, also für die Gesellschaft transparent machen. Die Wissenschaft habe inzwischen eine so große Bedeutung erlangt und sei so wichtig geworden, daß man sie nicht allein den Wissenschaftlern überlassen könne. „Wir müssen uns davon lösen, daß Wissenschaft ein individuelles Problem ist.“ Es sei eine Binsenweisheit, daß es keine Verantwortung ohne Kontrolle gebe, d.h. Kontrolle durch Kollegen und die Gesellschaft.

Der Historiker H. Callies vertritt die Ansicht, daß jeder Wissenschaftler verpflichtet ist, die Öffentlichkeit über seine Ziele zu informieren.

5. Der Antrag

Es war in der Folge nicht möglich, einen gemeinsamen Entwurf der Redaktionskommission zu erarbeiten. Einigkeit bestand lediglich darin, daß die Grundordnung in bezug auf die Verhinderung von Rüstungsforschung konkreter gefaßt werden müsse. Die Inhalte dieser Diskussionsveranstaltung, ein vorab von der Friedensinitiative vorgelegter Entwurf sowie ein Informationsgespräch mit Mitgliedern des Konzils bildeten schließlich die Grundlage des Antrags zur Änderung der Grundordnung der Universität Hannover, der dann von der Friedensinitiative am 08.06.1988 für die Beschlußfassung im Konzil vorgeschlagen wurde:

„Die Universität verpflichtet sich, Forschung, Lehre und Studium ausschließlich für die Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen einzusetzen. Aus der Verantwortung der Wissenschaft heraus sind die Mitglieder dieser Universität verpflichtet, die gesellschaftlichen und moralischen Aspekte ihrer Arbeit zu bedenken, schädliche Folgen zu vermeiden und jeglichem Mißbrauch entgegenzutreten. Von den Mitgliedern der Hochschule wird erwartet, daß sie für Frieden und Entspannung eintreten. Insbesondere gilt:

  1. Die Beteiligung an der Planung, Konstruktion, Verbesserung, Herstellung oder dem Vertrieb von Kampfstoffen, Waffen, Waffenteilen oder Waffensystemen ist zu versagen.
  2. Der Verbreitung oder Förderung von Feindbildern oder von Fremdenhaß ist entgegenzuwirken.
  3. Zuarbeiten, die auf direkte oder indirekte Weise Rüstungsprojekte unterstützen, sind abzulehnen.
  4. Wer als Mitglied der Universität feststellt, daß seine Arbeiten im Sinne von a), b) oder c) mißbraucht werden, ist verpflichtet, dies öffentlich zu bekunden“.

6. Der Beschluß

Die Diskussion dieses Antrages im Konzil wurde weitestgehend von den Podiumsteilnehmern der Diskussionsveranstaltung und von den Mitgliedern der Kommission für die Erarbeitung einer Beschlußvorlage getragen. Grundsätzlich wurde der Sinngehalt dieses Antrages nicht in Frage gestellt. Die Diskussionsbeiträge beschäftigten sich einerseits mit den gewählten Formulierungen und andererseits mit der Realisierung der gesteckten Ziele unter Berücksichtigung der Freiheit von Wissenschaft und Kunst, Forschung und Lehre.

Eine besondere Rolle bei der Diskussion spielte dabei die Schwierigkeit der Bewertung von Grundlagenforschung. Juristische Fragen wurden dadurch berücksichtigt, daß sich die dann gewählte Formulierung eng an die Formulierungen des Grundgesetzes anlehnt.

Am Ende wurde mit großer Mehrheit (96:16) ein zweiteiliger Beschluß gefaßt: Erstens wurde die Grundordnung der Universität Hannover im §2 ergänzt (Ergänzung fett gedruckt).

§ 2 Aufgaben

(1) Die Universität hat die Aufgabe, Wissenschaft und Kunst in freier Forschung, freier Lehre und freiem Studium zu pflegen. Sie versteht sich als Gemeinschaft von Personen, die im Bewußtsein der Verantwortung vor Verfassung und Gesellschaft FÜR DIE FOLGEN IHRES TUNS UND IM GEISTE DES FRIEDENS forschen, lehren, lernen und hierzu beitragen.

Zweitens beschloß das Konzil, eine Arbeitsgruppe (Paritätische Zusammensetzung mit je 4 Mitgliedern aller Statusgruppen) einzusetzen, die sich mit der konkreten Umsetzung der vom Konzil beschlossenen Ergänzung des 2 Abs. 1 der Grundordnung befassen soll.

Mit Erlaß vom 14.07.1988 wurde die Änderung der Grundordnung der Universität vom Minister für Wissenschaft und Kunst genehmigt.

7. Wie bewerten wir dieses Ergebnis?

Der erste Teil des gefaßten Beschlusses bleibt in seiner Substanz zwar deutlich hinter unserem Antragsentwurf zurück. Trotzdem halten wir das Ergebnis für einen beachtenswerten Erfolg. Die Tatsache, daß die Verantwortung für das eigene Tun und der Frieden nachträglich und gemeinsam in die Grundordnung aufgenommen wurden, spiegelt unseres Erachtens nach eine reale Veränderung im Bewußtsein der Mehrheit der wissenschaftlich Tätigen unserer Hochschule wider. Diese Veränderungen lassen sich auf Veränderungen im Bewußtsein der Bevölkerung zurückführen und beziehen sich beispielsweise auf Punkte wie »Glaubwürdigkeitsverlust der Abschreckungsideologie«, »Skepsis gegenüber der Beherrschbarkeit komplexer Technik« und »Tendenzen zu ganzheitlichem Denken«.

Wäre auch die ursprünglich vorgeschlagene Formulierung eindeutiger, so verbessert der Beschluß doch die Bedingungen für Friedensarbeit an der Hochschule.

Durch unsere Arbeit ist es über einen relativ langen Zeitraum gelungen, die hochschulöffentliche Diskussion zum Thema »Verantwortung der Wissenschaft« voranzutreiben und aufrecht zu erhalten; insbesondere der zweite Teil des Beschlusses bietet Gewähr für Kontinuität in dieser Frage.

Wenn dieser Beschluß mit Leben gefüllt wird, bietet er ggf. auch dem einzelnen wissenschaftlich Tätigen die Möglichkeit, in seinem Arbeitsbereich Grenzen zu sehen, zu setzen und Konsequenzen zu ziehen.

Möglich geworden ist dieser Beschluß vor allem durch eine langjährige kontinuierliche Arbeit und bestehende Friedens-Infrastrukturen an unserer Hochschule, die teilweise so durch uns für einige Zeit »wiederbelebt« wurden. Jeder Gruppe, die sich an ähnliche Projekte heranwagt, sei langer Atem und viel Geduld angeraten. Es erscheint uns wenig erfolgversprechend, über einen ähnlichen Antrag ohne gründliche Vorbereitung abstimmen zu lassen.

Als wichtiges Element hat sich im Laufe der Zeit ebenfalls herausgestellt, daß man in Diskussionen um die Verantwortung der Wissenschaft und deren Konsequenzen Verständnis für unterschiedliche Wissenschaftsauffassungen entwickelt. Nicht alle, die die Freiheit der Wissenschaft durch Einschränkungen der (Rüstungs-)Forschung gefährdet sehen oder die Bewertung von Forschung für schwierig halten, sind Verfechter gedankenloser Forschung. Nur wenn derartige Fragen fachbereichsübergreifend ernst genommen werden, kann ein breiter Konsens erzielt werden.

8. Ausblick

Zum Abschluß skizzenhaft einige Vorstellungen, die wir in die Diskussion um die Konkretisierung des Beschlusses einbringen werden.

Wir könnten uns vorstellen, die alte Tradition eines »dies academicus« wieder ins Leben zu rufen, so daß z.B. einmal im Jahr in Verantwortung der Hochschulgremien, organisiert durch die Hochschulleitung, das Thema »Verantwortung der Wissenschaft« an einem vorlesungsfreien Tag zur Diskussion gestellt wird.

Überhaupt ließe sich die Verantwortung der Hochschulleitung personifizieren, indem z.B. für eine/n der Vizepräsidenten die Aufgabe eines/r Friedensbeauftragen (analog Frauenbeauftragte) geschaffen würde. Ihm/Ihr obläge dann die Durchführung des skizzierten »dies academicus«, er/sie hätte die Aufgabe, regelmäßig Forschungs- und Lehraktivitäten zum Thema festzuhalten, anzuregen und zu veröffentlichen. Sie/Er wäre auch nach außen hin Ansprechpartner für dieses Thema.

In der Diskussion befindet sich auch noch der Vorschlag, eine Selbstverpflichtung zum Thema »Verantwortung und Rüstungsforschung« zu entwerfen, die jedem Mitglied der Hochschule vorgelegt werden soll.

Die weitestgehende Idee geht bislang dahin, zu prüfen, ob nicht auch an unserer Hochschule ein Institut für Konflikt- und Friedensforschung eingerichtet werden könnte. Eine ehemals Technische Universität böte dabei gute Möglichkeiten zur interdisziplinären Arbeit.

Dr.-Ing. Heiner Mählck vormals Inst. f. Arbeitswissenschaft und Didaktik des Maschinenbaus, Universität Hannover / Dipl. Ing. agr. Detlev Reymann Inst. f. Gartenbauökonomie A, Universität Hannover

Die Verantwortung der Wissenschaftler.Ein Interview mit Prof. John Holdren

Die Verantwortung der Wissenschaftler.
Ein Interview mit Prof. John Holdren

von Prof. John Holdren, Wolfgang Liebert und Götz Neuneck

Der amerikanische Physiker John P. Holdren hielt sich 1987/88 ein halbes Jahr in Europa auf. Er ist Professor in der Arbeitsgruppe „Energie und Ressourcen“ an der Universität Berkeley/Kalifornien. Er war Physiker an der Theoriegruppe der Abteilung für magnetische Fusion am Lawrence Livermore Laboratorium, Senior Research Fellow am Labor für Umweltqualität und der Abteilung für Sozialwissenschaften am Californian Institute of Technology. John Holdren beschäftigte sich in über 180 Publikationen mit Plasmatheorie, Energietechnik und Politik, Ökologie, regionalen und globalen Umweltfragen, Bevölkerungspolitik, Technologie, Entwicklungspolitik und nuklearer Rüstungskontrolle. J. Holdren ist Chairman des Exekutivkomitees der renommierten Pugwash-Bewegung, einem internationalen Zusammenschluß von Wissenschaftlern in Sachen Friedens-, Abrüstungs- und Überlebensfragen, und er war Vorsitzen der der Federation of Arnerican Scientists (FAS). In Zusammenhang mit einem Gespräch über die Rolle der Wissenschaft im Nuklearzeitalter führten die Physiker Wolfgang Liebert und Götz Neuneck vom Institut für Interdisziplinäre Forschung und Ökologie – Düsseldorf in Sternberg am dortigen Max-Planck-Institut das folgende Interview.

W&F: Prof. Holdren, Sie haben sich ein halbes Jahr in Europa aufgehalten und konnten mit vielen europäischen Wissenschaftlern, Politikern und Militärs sprechen. Sehen Sie Unterschiede in der augenblicklichen sicherheitspolitischen Debatte in den USA und in Europa?

Holdren: Man unterschätzt leicht die Komplexität der Debatten auf beiden Seiten des Atlantik, und oft werden die eigentlichen Ansichten radikal vereinfacht. Dies gilt besonders, wenn man die europäische Diskussion von den Vereinigten Staaten aus beobachtet und umgekehrt. Wenn ich trotzdem einige allgemeine Schlüsse ziehen soll, würde ich sagen, daß man in der sicherheitspolitischen Debatte in den USA seit langem und so auch jetzt mehr Gewicht auf die Technologie legt, während in der entsprechenden Debatte in Europa mehr Gewicht auf die Politik gelegt wird. Damit meine ich zum Beispiel, daß man in den Vereinigten Staaten mehr aber die technischen Eigenschaften von SDI-Waffen als über die politischen Begründungen und Auswirkungen der Forschung an solchen Waffen hört und liest, während in Europa das Gegenteil der Fall ist Außerdem erfährt man in der amerikanischen Debatte mehr über die technischen Möglichkeiten zur Verifizierung bei Abrüstungsverträgen und weniger über die politischen Bedingungen, die mit Verifizierungsanforderungen zusammenhängen, als dies in Europa der Fall ist.

W&F: Inzwischen wurde der INF-Vertrag über die Abschaffung der Mittelstreckenraketen unterzeichnet. Alle erhoffen ein positives Ergebnis der START-Verhandlungen, die die ungefähre Halbierung der strategischen Potentiale erreichen sollen Dies könnte ja der Durchbruch für tiefgreifende Abrüstung sein. Setzt dies eine Dynamik in Gang, die erfolgversprechend ist?

Holdren: Der INF-Vertrag hat nicht nur hohe Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt sowie eine gewisse politische Bereitschaft für weitere nukleare Abrüstung geschaffen, sondern er hat auch drei wichtige Präzedenzfälle etabliert, die weitere Reduktionen erleichtern werden:

Erstens werden zwei Kategorien der modernsten Nuklearwaffen abgebaut und verschrottet; zweitens geben die Russen viermal so viele Nuklearköpfe ab wie die Amerikaner, und dies schreibt ein sehr wichtiges Prinzip fest, nämlich daß die Seite, die mehr hat, auch mehr abgibt; und drittens wurde zum ersten Mal eine sehr strenge Kontrolle und Verifikation von beiden Seiten akzeptiert.

Meiner Ansicht nach sind die Chancen für Reduktionen im Bereich strategischer Waffen in den nächsten Monaten ziemlich gut, aber möglicherweise weniger als fünfzig Prozent erreicht Die größten Schwierigkeiten liegen auf dem Gebiet der seegestützten Cruise-Missiles und der luftgestützten Nuklearwaffen. Es wäre aber auf jeden Fall ein immenser Schritt, mit der Reduzierung der interkontinentalen Kernwaffen zu beginnen.

W&F: Bestehen auch Aussichten auf eine konventionelle Abrüstung, die ja für Europa besonders wichtig ist? Bieten Defensivkonzepte eine Möglichkeit, konventionelle Stabilität bei niedrigen Potentialen zu erreichen?

Holdren: Es gibt keinen Ausweg aus dem Nuklearrüstungswettlauf, ohne daß wir eine Lösung im konventionellen Bereich schaffen, bei der eine gewisse Stabilität in bezug auf die konventionellen Streitkräfte entsteht. Stabilität in dieser Beziehung heißt: Erstens, daß der Angreifer keine Vorteile aus seinem Angriff zieht, sondern große Verluste erwarten muß; zweitens, daß es keinerlei Anreiz zu einem Rüstungswettlauf Im konventionellen Bereich gibt, weil alle Versuche, eine offensive Überlegenheit zu schaffen, keine guten Aussichten bieten. Arbeiten in die Richtung „Strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“ wie sie zum Beispiel in dem Forschungsprojekt „Stabilitätsorientierte Sicherheitspolitik“ in Starnberg durchgeführt werden, sind in dieser Beziehung bedeutungsvoll.

W&F: Bei Rüstungskontrollverträgen wurde bisher versucht, durch Festlegung von Obergrenzen bis hin zur Beschränkung von Testmöglichkeiten den Rüstungswettlauf zu beschneiden. Müßten zukünftige Rüstungskontrollverträge nicht in einem früheren Stadium der Waffenentwicklung, z.B. in der Laborphase, eingreifen?

Holdren: Der Vorteil von Testbeschränkungen im Freien im Gegensatz zu Beschränkungen im Labor liegt darin, daß sich Tests im Freien besser beobachten lassen als Vorgänge im Labor. Es wäre natürlich ein entscheidender Schritt, wenn es gelänge, Waffenentwicklungen im Labor zu beschränken, aber im Moment fehlen die entsprechenden Überprüfungsmöglichkeiten, die solche Beschränkungen realisierbar machen konnten.

W&F: Momentan wird wieder über ein vollständiges Teststoppabkommen (CTB = Comprehensive Test Ban) für Nuklearwaffen diskutiert. Wie schätzen Sie die Chancen für seine Realisierung und seine Auswirkungen ein?

Holdren: Ich bin ein Befürworter eines CTBs. Das Haupthindernis aber ist, daß solange die NATO auf der Möglichkeit eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen besteht, es einen Druck gibt, diese Waffen weiterzuentwickeln, das heißt auch zu testen. Dieser Druck entsteht aus der Idee, daß die Glaubwürdigkeit der Drohung, Kernwaffen einzusetzen, eine Überlegenheit auf der NATO-Seite im nuklearen Bereich erfordert, damit entweder der Einsatz von Kernwaffen einen militärischen Vorteil erzeugt oder die Eskalation zu höheren nuklearen Stufen den Warschauer Pakt stärker bestraft als die NATO. Möglicherweise wird in den nächsten Jahren eine Senkung der Schwelle von zugelassenen Nukleartests erreicht. Aber, ohne daß die NATO auf die Drohung mit dem Ersteinsatz verzichtet, ist ein vollständiger Teststopp unwahrscheinlich.

W&F: Wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit den Nukleartests die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Trägheitseinschlußfusion, die in den USA als geheimes Projekt laufen? Das könnte ja bedeuten, daß ein vollständiger Teststopp unterlaufbar wäre, weil ein Ersatz der unterirdischen Tests durch Laborexperimente möglich erscheint?

Holdren: Gewisse Prinzipien und Eigenschaften von Kernwaffen können durch Trägheitseinschlußfusion untersucht werden. Daraus ergeben sich zwei Fragen: erstens, inwieweit könnte die Entwicklung von Kernwaffen ohne Bombentests der klassischen Art weiterverfolgt werden; zweitens rechtfertigen die Aussichten, mit Trägheitseinschlußfusion eine Energiequelle zu schaffen, die zu erwartenden Konsequenzen, welche durch die Weiterverbreitung von Kenntnissen im Nuklearwaffenbereich entstehen?

Die erste Frage kann nicht mit öffentlich zugänglichen Informationen beantwortet werden, und vielleicht könnte dies auch dann nicht überzeugend beantwortet werden, wenn man alle existierende Informationen besäße.

Im Bezug auf die zweite Frage bin ich der Meinung, daß die Aussichten von Trägheitseinschlußfusion, eine Energiequelle zu werden – die ich weniger erfolgversprechend als die von Magnetfusion ansehe -, nicht die Gefahren aufwiegen, die im Bereich der Entwicklung von Thermonuklearwaffen entstehen.

W&F: Der Anteil staatlicher Forschungs- und Entwicklungsmittel für militärische Ziele ist in den großen Militärnationen wie USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien immens. Die Verantwortung dafür liegt sicher bei den Politikern und allen Bürgern, die diese Situation dulden. Aber impliziert dies nicht auch eine besondere Verantwortung der Wissenschaftler?

Holdren: In den USA werden zwei Drittel der Forschungsausgaben der Regierung für militärische Zwecke verwendet. Leider wird es immer viele Wissenschaftler geben, die bereit sind, in gut bezahlten Projekten zu arbeiten, egal ob sie militärisch oder zivil sind und egal, ob das Projekt einen Sinn hat. Dies bedeutet, daß die Lösung für diese verdrehten Forschungsprioritäten mindestens teilweise im politischen Bereich zu finden ist, wo das Geld ausgegeben wird. Nichtsdestoweniger ist zu hoffen, daß der einzelne Wissenschaftler immer stärker seine persönliche Verantwortung in seine Arbeitswahl einfließen läßt.

W&F: Was halten Sie von der These, daß die Wissenschaft selbst ein treibender Faktor im Rüstungswettlauf ist?

Holdren: Der Rüstungswettlauf wird von mehreren Faktoren angetrieben am wichtigsten sind der technologische Wandel, das Streben des Militärs nach Überlegenheit und die Ängste von Politikern und der Öffentlichkeit. Im Bezug auf den technologischen Wandel sind die Interessen der Rüstungsindustrie und bestimmte Eigenschaften von Wissenschaftlern und Technikern entscheidend. Ein Wissenschaftler, der eine neue Idee hat, Möchte diese im Experiment ausprobieren. Ein Techniker, der an einem Waffensystem arbeitet, bezieht seinen Erfolg daraus, daß sein Produkt später auch produziert wird. Diese leicht verstehbaren Eigenschaften fahren dazu, daß fast jede neue Idee getestet wird und fast jede Entwicklung zur Produktion führt.

W&F: Viele Wissenschaftler sagen, wissenschaftliche Erkenntnis sei prinzipiell ambivalent. Es gibt sicher Beispiele, für die das zutrifft, vielleicht die Computerwissenschaften. Könnte es nicht sein, daß die Generalisierung der Ambivalenzthese als Alibi-Argument herhält, um sich nicht mit dem Problem der militärischen Zielsetzung in der Forschung selber auseinandersetzen zu müssen?

Holdren: Es gibt viele Fälle, in denen eine solche Ambivalenz wirklich vorhanden ist. In vielen anderen Fällen ist es sicher wahr, daß die Ambivalenz übertrieben wurde und als Alibi herangezogen wurde, um das Versagen zu übertünchen, die Konsequenzen einer Entwicklung abzuschätzen.

W&F: Die „Verwissenschaftlichung des Krieges“ zieht eine „Militarisierung der Wissenschaft“ nach sich. Dies bedeutet eine starke Blockierung wissenschaftlicher Kreativität mit indirekten Auswirkungen auf die Offenheit vieler globaler Weltprobleme. Welche Fragen hätte ihrer Meinung nach die Wissenschaft eigentlich anzugehen?

Holdren: Die Menschheit ist konfrontiert mit vielen komplizierten Problemen, die die Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft bedrohen. Diese Probleme – wie zum Beispiel Umweltverschmutzung, die ungesicherte zukünftige Energieversorgung, die weitverbreitete Armut (und das nicht nur in der Dritten Welt und die nötige Entwicklung einer umweltverträglichen Landwirtschaft – können nicht durch wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt allein gelöst werden, weil auch politische, ökonomische und administrative Schwierigkeiten eine wichtige Rolle bei diesen Problemen spielen. Die Wissenschaft und die Technologie müssen jedoch einen wesentlichen Beitrag zu den Lösungen dieser Probleme leisten, und dies ist nicht zu erwarten, solange das Wettrüsten so viele geistige und materielle Ressourcen verschlingt.

W&F: Von der Erkenntnis der Vernetztheit der Weltprobleme zu ihrer Lösung ist ein weiter Weg. Sie versuchen seit Jahren, in Berkeley in Forschung und Lehre interdisziplinäre Ansätze zu entwickeln. Wie sieht diese Arbeit aus?

Holdren: Im Jahre 1973 haben wir an der Universität Kalifornien in Berkeley ein neues Forschungs- und Lehrprogramm eingerichtet, in dem der Schwerpunkt unserer Arbeit die Wechselwirkung von wissenschaftlichen, technologischen, ökonomischen, politischen und anderen Aspekten auf die komplizierten Probleme in den Bereichen Energie, Umwelt, Entwicklung und internationale Beziehungen ist. Es werden dort in einer Art von Aufbaustudium (nach dem „undergraduate“ Diplom) Studenten bis hin zu „Masters Degree“ oder Doktorat in diesem interdisziplinären Fachgebiet ausgebildet. Außerdem werden spezielle Forschungsprojekte durchgeführt, Studien und Gutachten erarbeitet. Vier Lehrstühle betreuen dieses Programm, zusätzlich haben wir die zeitweilige Teilnahme von 75 Professoren u.a. aus folgenden Fachbereichen: Physik, Chemie, Biologie, Ingenieurwissenschaft, Ökonomie, Politikwissenschaft, Soziologie und Jura. Zur Zeit gibt es 50 Studenten in diesem Programm.

W&F: Gibt es für Eure Studenten einen Arbeitsmarkt in Amerika?

Holdren: Es gibt einen sehr guten Arbeitsmarkt für unsere Studenten, und zwar nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa und in der Dritten Welt. In Amerika finden unsere fertig ausgebildeten Studenten Stellen z.B. beim Office of Technology Assessment und anderen Ämtern und Ministerien der Bundesregierung, bei entsprechenden Behörden in den einzelnen Bundesländern, bei der Industrie, bei den nationalen Laboratorien und bei anderen Universitäten, die ebenfalls beginnen, solche Programme durchzuführen. Im Ausland arbeiten unsere ehemaligen Studenten in Energieministerien, der Energieindustrie, in eigenständigen Forschungsstellen und in internationalen Organisationen.

W&F: Die Chance und den Willen, an solchen Projekten mitzuarbeiten, hat nicht jeder Naturwissenschaftler. Was kann ein normaler Wissenschaftler tun, um seine besondere.Verantwortung wahrzunehmen?

Holdren: Wenn jeder einzelne Wissenschaftler zehn Prozent seinerzeit benutzen würde, um die Wirkungen von wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen abzuschätzen und sich darum kommen würde, daß vernünftige politische Entscheidungen über die Anwendungen dieser Entwicklungen vorbereitet werden, dann wäre viel erreicht.

W&F: Sie sind Präsident der Federation of American Scientists (FAS) gewesen und zur Zeit Chairman des Executive Committee der renommierten Pugwash-Bewegung. Wie arbeitet Pugwash heute?

Holdren: In den etwa dreißig Jahren seit der ersten Pugwash-Konferenz hat es ca. 130 Pugwash-Konferenzen, Symposien und Sitzungen von Arbeitsgruppen gegeben, in denen mehrere Tausende von Wissenschaftlern, Politikern und Persönlichkeiten aus dem militärischen Bereich teilgenommen haben. Ergebnisse dieser Reihe von Tagungen sind u.a. eingegangen in wichtige Grundlagen des beschränkten Atomteststopp-Abkommens (1963), des Vertrags über Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen (1968), des ABM-Vertrages (1972) und der Konvention über biologische Waffen (1972). Gegenwärtig laufende Pugwash-Tagungen und Arbeitsgruppen befassen sich mit strategischen Nuklearwaffen und Weltraumwaffen, mit konventionellen Streitkräften, mit chemischen Waffen, mit gemeinsamer Sicherheit in Europa und mit verschiedenen Nord-Süd-Problemen.

W&F: Pugwash versucht ja u.a. durch Beratertätigkeit auf hoher politischer Ebene seine Ziele zu verwirklichen. Die Friedensbewegung versucht traditionell, durch Entfaltung politischen Drucks von unten ganz ähnliche Ziele durchzusetzen. Sehen Sie da einen Widerspruch?

Holdren: Ich sehe keinen Widerspruch darin, eher eine Art Symbiose. Politischer Wandel erfordert, daß die Entscheidungsträger die vorhandenen Möglichkeiten verstehen (wozu Pugwash-Beiträge und daß es eine gewisse Unterstützung und allgemeine Artikulierung in der Öffentlichkeit gibt (wozu die Friedensbewegung beiträgt). Dazu möchte ich sagen, daß wichtige Einsichten von Pugwash in die Friedensbewegung getragen werden und umgekehrt. Zusätzlich gibt es eine erhebliche beiderseitige Beeinflussung durch moralische Unterstützung – d.h., daß die Wissenschaftler von der Öffentlichkeit ermutigt werden und umgekehrt.

W&F: Wenn der Rüstungswettlauf wirklich ein Ende finden soll, wäre die letzte Konsequenz für Wissenschaftler die Verweigerung der Mitarbeit an militärischen Projekten. Andererseits sind einige der effektivsten Kritiker der aktuellen Rüstungspolitik Mitarbeiter und Berater von Waffenlabors. Ist dieser Widerspruch auflösbar? Provokativ formuliert: Muß man, um effektiv auch auf wissenschaftlicher Ebene für mehr Frieden arbeiten zu können, die Gegenseite kennen, also beispielsweise in der Rüstungsindustrie gearbeitet haben?

Holdren: In der Geschichte der Friedensbewegung haben Wissenschaftler mit Erfahrungen in der Entwicklung von Waffen eine besondere und wichtige Rolle gespielt. Schon 1945 z.B. haben Wissenschaftler, die im Manhattan-Projekt gearbeitet haben, die Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler (Federation of American Scientists F.A.S.) und die Zeitung „Bulletin of Atomic Scientists“ gegründet. Der Zweck war hauptsächlich,. Entscheidungsträger und Öffentlichkeit über die Gefahren von Kernwaffen zu informieren. In den späteren, erfolgreichen Kämpfen für ein beschränktes Atomteststoppabkommen (1963), für den ABM-Vertrag (1972) und in der fortdauernden Debatte gegen SDI haben ehemalige Waffenentwickler, beispielsweise in den USA Herbert Yorck, Richard Garwin und Jack Ruina, entscheidende Rollen gespielt. Einige Gründe für die wichtige Rolle ehemaliger Waffenentwickler sind dabei hervorhebenswert. Erstens, wegen ihrer Erfahrung bei der Entwicklung von Waffen haben sie ein gutes Verständnis für die Nachteile und Gefahren solcher Waffen. Zweitens, wegen ihrer Beiträge zu der Entwicklung dieser Waffen fahlen sie eine besondere Verantwortlichkeit, die sie zum Nachdenken und zum Handeln treibt. Und drittens, wegen ihrer Fachkenntnis in bezug auf Waffentechnik haben sie eine gewisse Glaubwürdigkeit bei Entscheidungsträgern, die ihren „Wirkungsgrad“ im politischen Sinn natürlich erhöht.

Ich würde aber nicht behaupten, daß nur Wissenschaftler, die Erfahrung in der Rüstungsindustrie haben, eine wichtige Rolle in der Friedensbewegung gespielt haben oder spielen können. Auch primär zivil forschende Wissenschaftler sind in der Friedensbewegung dringend erforderlich.. Sie haben meist die Fähigkeit, technische und wissenschaftliche Zusammenhänge schnell zu erfassen und transparent zu machen, was für die öffentliche Debatte wichtig ist. Gerade Wissenschaftler haben eine gewisse Glaubwürdigkeit infolge der Annahme der Öffentlichkeit, daß sie diese Sachen von einem logischen und wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachten. Daraus folgt aber auch die Verantwortung, dieses Vertrauen zu rechtfertigen und nicht zu verlieren.

W&F: Wir danken für dieses Interview!

Ernst Bloch: Widerstand und Friede

Ernst Bloch: Widerstand und Friede

von Karl Brose

Blochs Konzept einer Friedenserziehung ist an dessen Philosophie der Hoffnung und konkreten Utopie gebunden. Eine solche Rückbindung läßt die Friedenserziehung nicht in die Irre pädagogischer Partikularprobleme von Didaktik und Methode laufen. Ferner liegt in der Philosophie Blochs ein positiver Ansatz zur Friedenserziehung vor: Frieden wird als sozialer Frieden, konkrete Hoffnung und Gerechtigkeit verstanden durchaus mittels Revolte und Widerstand – in Abgrenzung von einem bloß negativen Frieden der Abwesenheit vom Krieg, einem ständigen Waffenstillstand und latent vorhandenem Krieg, der nur auf seine Stunde wartet, wenn die Waffen scheinbar schweigen. Es ist dieses Moment eines positiven Friedens in der Philosophie Blochs so stark hervorzuheben, weil auch die negative Dialektik der Kritischen Theorie der sog. „Frankfurter Schule“ äußerst wirkungsvolle Begriffe des Widerstands, Nichtmitmachens und Neinsagens bietet1. Diese negativen Widerstandsbegriffe der Kritischen Theorie sollen im folgenden durchaus ergänzend und erweiternd mit einbezogen werden. In einem 1. Hauptteil ist stärker der philosophische Aspekt das Friedenskonzepts Blochs herauszuarbeiten, im 2. Teil der pädagogische Impuls.

I. Der philosophische Impuls des Friedensdenkens Blochs

1. Theologische Ansätze: Kampf gegen den Krieg

Bloch will in seiner Friedensrede Widerstand und Friede 2 ein Philosophieren der Hoffnung, das den Kampf braucht zum Frieden. Dieser Kampf ist nicht Krieg, sondern sozialer Kampf. Er reicht vom Streik bis zu den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Durch ihn soll das Ziel des sozialen, ja sozialistischen Friedens (S. 91) hergestellt werden. Diesen Gegensatz zwischen Kampf und Krieg verdeutlicht Bloch an Beispielen des Alten Testaments: „Es soll aber das Recht offenbart werden wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein starker Strom“; dann werden die „Schwerter zu Pflugscharen und die Spieße zu Sicheln“ und werden die Völker „nicht mehr Krieg lernen“ (Amos 5,24; Jesaja 2,4; Micha 4,3). Diese Aufrufe der Alten Propheten zum Kampf gegen den Krieg sind für Bloch noch immer unabgegolten in bezug auf Zukunft. Sie bleiben eine konkrete Hoffnung im Kampf um sozialen Frieden, wie er heute nicht nur sichtbar wird in den marxistischen Ansätzen einer „Theologie der Befreiung“ in Lateinamerika, sondern auch in dem an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht entzündetem Kirchenkampf in Ostdeutschland. Diesen Kampf gegen den Krieg fundieren auch die Worte des Neuen Testaments: „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, es brannte schon!“; „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Lk 12,49; Mt 10,34). Bloch sieht hier den Kampf der Mühseligen und Beladenen gegen den Profit der Reichen und Besitzenden. Dieser reale Kampf für den Frieden ist in seinem „einzig moralischen Widerstandsrecht“ (S. 87) vom Krieg weltweit unterschieden; auch vom sogenannten Verteidigungskrieg. Es ist schon fast eine Form von Aggression, mindestens aber von Furcht, in dieser Verteidigungshaltung ständig zu verharren und zu ihr bereit zu sein. Die hochgerüsteten Staaten leben nur im Scheinfrieden und Waffenstillstand. Kampf jedoch erwartet die Befreiung von Krieg und Furcht nicht von jenen Mächten, die diese Furcht und diesen Krieg überhaupt erst erzeugt haben.

2. Kant und Marx: Moral der Gesellschaft contra Macht der Bürokratie

Bei seinem Kampf gegen den Krieg zitiert Bloch den „unbedingten Antibellisten“ und „radikalen Pazifisten“ Kant (S.87f.) über die Französische Revolution: sie findet in den „Gemütern aller Zuschauer (…) eine Teilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasmus grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann.“3 In diesen Worten sieht Bloch eine Verbindung des kategorischen Imperativs mit der Erstürmung der Bastille (S. 88). Aber es handelt sich um nichts Kriegerisches, sondern um einen Kampf aus moralischen Anlagen. Kants Traktat Zum ewigen Frieden will eine internationale Kodifizierung des Nicht-Kriegs, nach der die Politik keinen Schritt tun kann, „ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben.“4 Dieses moralphilosophische Friedenskonzept ist für Bloch zwar noch eine abstrakte Utopie, weil bei Kant die „ökonomische Analyse des Kriegstreibenden“ (S. 89) fehlt. Aber Kants Friedenskonzept zeigt auch die Denunzienung des mit dem Ökonomischen nicht allein erschöpften Faktors der Macht, deren Besitz das „freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt.“5 Macht und Gewalt sieht auch Marx als Faktoren, die zur ökonomischen Geschichts- und Gesellschaftsauffassung hinzukommen, als unterdrückende Instanzen und Institutionen. Diese zeigen sich am deutlichsten, wenn es um ihre Verhinderung geht, um die Herausführung der Gesellschaft aus der bisherigen Geschichte als einer „Vorgeschichte“ in eine auf Zukunft gerichtete wirkliche Geschichte.

Diese marxistische Argumentation dehnt Bloch, ausgehend von Kant, auf die Macht der Bürokratie aus als eine neue verdinglichte Herrschaftsklasse, eine „Selbstunterhaltung von Macht an sich“ und Konservierung bisherigen Machtstaatsdenkens, „das am besten die sozialistische Vernunft verdirbt“; letztere ist aber die „geplante Vernunft zum wirklich zwischenmenschlichen Frieden“ (S. 90). Gegen diese sozialistische und sozialhumane Vernunft und deren Friedensstiftung steht als das „stärkste Machtgift“ (S. 91) die fest etablierte militärische Befehlsgewalt: ein verdinglichter Belagerungszustand und unerträglicher Autoritarismus der Herrschaft von Menschen über Menschen. Soll Kants Satz gelten „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst Verschuldeten Unmündigkeit“5, so muß dieser kategorischer Imperativ des Friedens ergänzt werden durch den Marxschen „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, denn weiter lautet dieser neue politisch-ökonomische Imperativ von Marx für ein sozial-humanes Dasein und damit den wirklichen sozialistischen Frieden: „Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt; nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche.“7

Kants Sätze wollen den Frieden so moralisch erreichbar wie möglich und den Menschen – wie auch bei Marx – in „unerniedrigter Vernunft“(S. 92). Zwar noch als Utopikum bei Kant; aber bei Marx wird deutlich daß dieses Utopikum schon allzulang ein „Fernziel“ gewesen ist, daß Frieden und Vernunft „Nahziele“ werden müssen: daß Friedensschlüsse nicht nur weiterhin als Waffenstillstände geschlossen werden dürfen sondern das Bewußtsein der Gesellschaft dahingehend verändert wird, daß Kriege abschaffbar und Waffen überflüssig sind.8

3. Fernziel und Nahziel in Blochs Philosophie der Hoffnung

Angesichts des bisher immer vorenthaltenen Fernzieles Frieden geht es jetzt um das Nahziel Frieden. Der nächste Schritt dazu lautet: besseres Leben, Menschenwürde contra Ausbeutung, „Freiheit vom Erwerb statt des Erwerbs“ (S. 92). Oder marxistisch: „Weltveränderung“ statt nur „Weltinterpretation“ 9. Neben dem moralischen Impuls von Fernzielen, wofür das Friedenskonzept Kants stehen mag, sind unabdingbar die institutionellen Nahziele, der „Marsch durch die Institutionen“: gesellschaftliche Entwicklung und Veränderung, wenn möglich Evolution. Wenn nicht anders möglich: Revolution, die ja nicht unbedingt blutig zu sein braucht (S. 108). Denn nicht die Revolutionen haben bisher am meisten Blut vergossen, sondern die Kriege und Gegenrevolutionen. Weltveränderung als Nahziel statt bloßer Weltinterpretation als Fernziel will jedenfalls ausreichend gesellschaftlich produzierten Reichtum für alle, wodurch sich die Ausbeutung des Nächsten als unproduktiv erweist.

Dazu müßte die „Kategorische Fortschritt“ (S. 93, S. 108) 10 wieder in ihr Recht eingesetzt werden. Gerade das Fortschrittsdenken als ein Prozeßdenken vermittelt in sich Fernziele und Nahziele auch des Friedens, so daß die jeweils lebende Generation nicht für „Fernziele ganz jenseits ihres kurzen Lebens verheizt werden kann“ (S. 93). Wenn wiederum das Fernziel und Utopikum „realer Humanismus“ nicht in Verbindung mit den Nahzielen des gesellschaftlichen Fortschritts gesehen wird, so bleibt es ein eudämonistisches Abstraktum. Friede aber sowohl Fernziel wie Nahziel in sich vereinigen, sonst bliebe er unter sich: „Friede ist deshalb auch keineswegs, wie bloßer Nicht-Krieg, die Ruhe als mögliche Schalheit, vielmehr: die Ruhe – dieses tiefste Fernziel im Frieden selber – wird dann erst das Problem des Beisichseins.“ (S. 94) Nur in solcher Konkretion und Vermittlung von Nahziel und Fernziel wirkt Friede, zählen Werke eines solchen Friedens und von Friedenszeiten in der Kultur, wie Bloch an Goethes Gedicht Ober allen Gipfeln ist Ruh zeigt. Hier bedeutet Ruhe nicht traumloser Schlaf und Kirchhofsfrieden, sondern das „unentdeckte, unerforschte Land Ruhe, das in den Tiefen der Tiefe von Frieden wirkt.“ (110) Es handelt sich um eine Vita activa in der Vita contemplativa, die nicht nur in großer Dichtung und Philosophie leben, in Erziehung oder Christentum, sondern auch in den ostasiatischen Religionen, aus denen zu lernen ist, „was utopischer Inhalt von Friede ist außer der Bibel“ (110).

Blochs inhaltlich-konkrete Utopie eines sozial-humanen und sozialistischen Friedens heißt Hoffnung. Diese ist freilich oft noch vielsagend, unausgetragen und unfertig. Im Reifezustand aber kann sie vorher bemerkt und antizipiert werden. Dann zeigt sich ihre begriffliche Vielfalt und abstraktlose Praxeologie als Grundlage einer geprüften, erprobten, dem „Objektiv-real-Möglichen“ und „Noch-nicht-Seienden“ vermittelten Friedenskonzeption. Diese stützt Bloch auf Kants Bild der „Verstandeswaage“ mit der Aufschrift „Hoffnung der Zukunft“11. Diese Kantische Kraft der Hoffnung muß noch erforscht und weitergetrieben werden. Ein falscher Friede mit der Welt der Vorhandenheit muß zugunsten der Anlage zur besseren Zukunft verschoben werden, zu dem in ihr noch Ungeschehenen, Unentdeckten und Neuen. Dann wird auch die bloße Abgeschlossenheit einer Fakten- und Mechanismuswelt konstitutiv ergänzt, ja prozeßhaft-dialektisch gesprengt (S. 96). Dann kann die Unrichtigkeit von nur leeren Hoffnungen sich umkehren, indem die bloße Faktenwelt als unwahr geworden erkannt wird. Es zeigt sich die konkrete Utopie des Friedens in Allianz mit allem Heilenden und Heilsamen, das zwar noch nicht voll geworden, aber auch noch nicht ganz vereitelt ist. Unzufriedenheit und nicht die leicht zu entwickelnde Zufriedenheit sowie „Widerstand der sozial-humanen Vernunft, aktiv, ohne Ausrede“ (S. 85) 12 messen der Hoffnung auf Frieden ihren wahren und wirklichen Stellenwert in der Welt zu.

II. Der pädagogische Impuls des Friedensdenkens Blochs

1. Ansätze einer philosophischen Friedenserziehung

Blochs positiver Friedensansatz 13 steht gegen einen bloß negativen des Nichtkriegs oder der Abwesenheit vom Krieg. In seine Argumentation fließt ein Moment von pädagogischer Aufklärung, Bildung und Erziehung ein: „Daß aber auch der Friede ein anderes als Nicht-Krieg sei und werde, dazu gehört kausale wie erst recht finale Aufklärung ohne Unterlaß“ (S. 97). Der Rückgriff Blochs auf Kantische Vernunft und Aufklärung, verbunden mit einem marxistisch-pädagogischen Inhalt, leitet zu seinem erziehungsphilosophischen Friedens- und Bildungskonzept über; danach müssen die Menschen gebildet und erzogen werden, um die ungebildeten, d.h. unfriedlichen Verhältnisse zu verändern und umzubilden, d.h. zu humanisieren und zu sozialisieren: „Und wenn die Verhältnisse die Menschen bilden, so hilft nichts als die Verhältnisse menschlich zu bilden, es lebe die praktische Vernunft“ (S. 97). Auf diese praktische Vernunft Kants sowie den marxistischen Impuls der Humanisierung gesellschaftlicher Verhältnisse sollte sich die künftige Friedenspädagogik zurückbesinnen, ehe sie zu handeln beginnt. Blochs Philosophie der Hoffnung ist eine konkrete d.h. hier und heute wirkende und das gegenwärtige pädagogische Handeln bestimmende Utopie. Sie Gibt diesem einen neuen, das Neue und Utopische antizipierenden Sinn, der den Frieden aus einer bloß abstrakten Utopie herausholt. Blochs Hoffnungsphilosophie verankert die konkrete Utopie des Friedens und der Erziehung in Vernunft und Erziehung 14, ohne die Zukunft auszusparen. Sie geht von Erfahrungen des faktisch Möglichen und Erreichbaren in Politik, Ökonomie und Gesellschaft aus, ohne dabei stehenzubleiben. Blochs konkrete Utopie der Hoffnung, Zukunft und des Friedens ist ein realer „Traum nach Vorwärts“, der sich tätig pädagogisch-praktisch an das geschichtlich Fällige und gesellschaftlich Erforderliche anschließt, an das noch nicht Erreichte, noch Verhinderte und „Noch-Nicht-Bewußte in Jugend, Zeitwende, Produktivität.“15 Es handelt sich um eine realistische Antizipation des Gesollten und Gewollten, die sich in gegenwärtig zu verwirklichenden Nahzielen der Erziehung und utopisch gesättigten Fernzielen der gesamtgesellschaftlichen Veränderung niederschlägt. Pädagogische Beispiele sind: Vorurteilsabbau, Aggressionsbewältigung, Entscheidungshilfe, Einübung sozialen zwischenmenschlichen Friedens“ (S. 90) durch Erziehung zu mitmenschlicher und Umweltverantwortung, durch Befreiung von ungerechten repressiven Zwängen sowie Bildung von Formen qualifizierten Ungehorsams und rationalen Widerstands. Dabei geht es nicht kleinmütig zu: „Nur sanft sein heißt noch nicht gut sein. Und die vielen Schwächlinge, die wir haben, sind noch nicht friedlich (…). Daneben überall die vielen Duckmäuser, sagen nicht so und nicht so, damit es nachher nicht heißt, sie hätten so oder so gesagt. Leicht gibt sich bereits als friedlich, was mehr feig und verkrochen ist.“ (S. 84)

2. Friedenserziehung als Erziehung zu Vernunft und Verantwortung

In Blochs Philosophie der Hoffnung ist Frieden geleitet von kritischem und aufgeklärtem Bewußtsein, von erkannter und gelebter Vernunft und handlungsbereiter Verantwortung. Wiederum ist Frieden jenes Fernziel und Utopikum das als Regulativ und Imperativ menschlichen Handelns allgemeine Geltung beanspruchen kann. Wenn der Vernunft und Verantwortung ein Geltungsanspruch innewohnt, dann fordert er den Kampf gegen die vom Menschen selbst verschuldete Unmündigkeit“ und Unverantwortlichkeit, gegen dessen „Faulheit, Feigheit und Bequemlichkeit.“16 Erfordert ist der vernünftige Widerstand gegen Mitläufer, Stille und Sanfte im Lande, die dies nur aus Feigheit und Angst sind, wie Bloch an den Konsequenzen des Nationalsozialismus zeigt: „Also aus dem stillen Muff kam etwas ganz anderes, da wurde es plötzlich auf tödliche Art laut (…) so haben wir nicht gewettet mit dem Frieden, so nicht, wenn man nur auf ruhige Luft setzt.“ (S. 100)

Wie tragfähig ist die Hoffnung auf Vernunft, Verantwortung und Frieden, wenn in historischer Rückschau der Vernunft und Friedenswilligkeit Schlappheit und Inkompetenz in der Bewältigung essentieller Lebensprobleme nachzuweisen sind? Nur ein konkretes Hoffnungsprinzip, kritisches Vernunftverhalten und soziales Verantwortungsgefühl können diese Frage positiv beantworten, sind höher zu achten als die Negativität des Erfahrenen und Erfahrbaren. Nur in einer solchen philosophischen wie pädagogischen Grundhaltung lassen sich aus dieser Negativität Ansätze zur Positivität herausarbeiten, in denen Vernunft und Verantwortung, Hoffnung und Frieden verankert sind. Diese Realien und Realitäten lassen sich freilich nicht plötzlich aus den gesellschaftlichen Verhältnissen hervorbringen. Vielmehr sind sie abhängig vom bewußten Handeln jedes einzelnen Friedenserziehers angesichts einer noch immer ohnmächtigen Menschheit und Gesellschaft der „Verdammten dieser Erde“. Auf tausend Kriege kommen nicht zehn Revolutionen: So schwer ist der „aufrechte Gang“

3. Kritischer Ausblick: Möglichkeit und Wirklichkeit künftiger Friedenserziehung

Das für Entwicklung und Fortschritt, Bildung und Erziehung der Gesellschaft verantwortliche Individuum des aufrechten Ganges folgt im Sinne Blochs zu jeder Zeit und an jedem Ort dem Utopikum sozial-humaner Vernunft. Es will im Widerstand gegen das schlechte Bestehende einen besseren künftigen Zustand der Gesellschaft herbeiführen und damit das Ziel des sozialen und sozialistischen Friedens in ausgewogener Synthese von Nah- und Fernzielen einlösen. Sind diese Ziele und Aufgaben bloße Spekulationen? Nach Bloch bedarf es des „Noch-nicht-Seienden“ und der konkreten Utopie. Denn der Utopismus ist in Utopie großgeworden, und die Philosophie ist spekulativ, indem Probleme des Noch-nicht-Seins ihr zentrales und nicht nur empirisches Arbeitsgebiet sind: Sie hat ein utopisches Fenster auf eine Landschaft hin, die sich erst bildet. Utopisches Denken und Handeln wird durch Schaden und Leiden an den Tatsachen zwar klug und zurechtgerückt, doch nicht durch die Macht des Bestehenden widerlegt. Vielmehr widerlegt und richtet es dieses selbst, wenn es schlecht geraten und inhuman ist.

Mit welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen ist bei der Förderung dieser Ziele Blochschen Denkens und Erziehens gegenwärtig zu rechnen und welche Wege sind dazu einzuschlagen? Nach Bloch müssen sowohl autonome wie Heteronome, d.h. sozial-humane wie fremdbestimmte Vernunft im Sinn Kants zum Zweck der Durchsetzung selbstbestimmter Ziele des Friedens in den gegenwärtigen politisch-ökonomischen Verhältnissen zusammengehen, wie sie die marxistische Analyse aufdecken könnte. Zugespitzt und kritisch moderiert in bezug auf heutige Probleme, auch ökologische, heißt das: in den bestehenden Gesellschaftssystemen müssen Subjekt und Einzelner mit den Mitteln dieser Systeme selbst gegen ihre eigene Liquidierung kämpfen; Pädagogisch: ist gegen diese Liquidierung zu erziehen. Subjekt und Einzelner können nur als „Kraftzentrum des Widerstands“ gegen ihre Auslöschung durch den gesellschaftlichen Apparat überleben, durch die Bürokratie und den staatlichen Machtapparat mit dessen Verbindungen zum militärisch-industriellen Rüstungskomplex und Arsenal des Schreckens; Erziehung ist „Erziehung und Widerspruch zum Widerstand.“ 17 Damit diese Erziehung nicht nur negativ bleibt und damit unter Umständen negativ kapitulierend oder aber gewaltsam irrational und aktionistisch, ist Blochs konkret-utopistisches „Philosophieren der Hoffnung“ (S. 99) zu bejahen mit dem Ziel eines sozial-humanen und sozialistischen Friedens. Blochs Hoffnungsphilosophie will ein Denken und Erziehen im Sinn praktischer Vernunft, die das bloß Negative übersteigt, aber auch der Beruhigung in einem passiv-kontemplativen Glauben, Lieben und Hoffen ohne Tat, Widerspruch und Widerstand sich widersetzt. Es geht um eine Dialektik der Hoffnung, wie sie Bloch im folgenden Zitat beschreibt: „Hoffnung, vor allem Dialektik der Hoffnung hat zum Unterschied zum negativ Kapitulierenden das stolze und vielsagende Unentsagende, daß sie bekanntlich auch am Grab noch aufgepflanzt werden kann, ja daß sich sogar wider die Hoffnung hoffen läßt.“ (S. 95)

Überarbeiteter Vortrag der Ringvorlesung „Wissenschaft und Friedensbewegung: Was leisten die Wissenschaften für den Frieden?“ (Universität Münster/Westf., 25.1.1984)

Anmerkungen

1 Th.W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt &/1975, S.93

2 E. Bloch: Widerstand und Friede. Aufsätze zur Politik. Frankfurt/M. 4/1977, S. 84-111. Im folgenden werden die Seitenzahlen in Klammern angegeben. Zurück

3 I. Kant: Der Streit der Fakultäten., Werke in 10 Bdn. hrsg. v. W. Weischedel. Darmstadt 1968 (1983). Bd. 9, S. 358.Zurück

4 Kant: Zum ewigen Frieden. Werke, a.a.O., S. 243.Zurück

5 a.a.O., S. 228.Zurück

6

Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Werke, a.a.O., S. 53.

7 K. Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: Die Frühschriften, hrsg. v. S. Landshut. Stuttgart 1964, S. 208, 216.Zurück

8 C. F. v. Weizsäcker: Bedingungen des Friedens. In: Der bedrohte Friede. Politische Aufsätze 1945-81. München 1981, S. 136.Zurück

9 K. Marx: Thesen über Feuerbach (11. These). In: Die Frühschriften, a.a.O., S. 341.Zurück

10 Vgl. auch E. Bloch: Differenzierungen im Begriff Fortschritt. In: Tübinger Einleitung in die Philosophie 1. Frankfurt a. M. 1973, S. 160-203.Zurück

11 I. Kant: Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. Werke, a.a.O., Bd. 2, S. 961.Zurück

12 Zum „Widerstand“ vgl. E. Bloch: Das Prinzip Hoffnung. 3 Bde. Frankfurt/M. 1974 (1984). Bd. 1, S. 148f.Zurück

13 a.a.O., S. 127f., 160.Zurück

14 Vgl. H. Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt a. M. 1984, S. 311-393, ferner D.-J. Löwitsch: Erziehung und Kritische Theorie. München 1974.Zurück

15 Bloch: Das Prinzip Hoffnung, a.a.O., Bd.1, S. 86 ff., 129 ff.Zurück

16 Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Werke, a.a.O., S. 53.Zurück

17

Adorno: Die Erziehung zur Mündigkeit, a.a.O., S. 118, 145.Zurück

Dr. Karl Brose, Privatdozent im Fach Philosophie, Münster

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (II)

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (II)

Kapitel 2: Nuklearwaffen und japanische Wissenschaftler

von Zenshiro Hara

1. Die Entwicklung der Atombombe in Japan

Die Entwicklung einer Atombombe wurde initiiert an der Universität von Kyoto durch Prof. B. Arakatu. Er wurde durch die Marine ab 1941 unterstützt. Zugleich begannen Arbeiten an dem Institut für Physikalische und Chemische Forschung durch Prof. Y. Nishina, unterstützt durch die Armee ab 1943. Prof. Nishina hatte fünf Jahre bei Niels Bohr studiert.

Es ist nicht klar, ob Prof. Nishina in einer aktiven Weise mit der Armee kooperierte oder ob er zusammenarbeitete, um seine jungen Wissenschaftler vor dem Militärdienst zu schützen. Im Mai 1949 wurde Prof. M. Taketani, der zu dieser Zeit Forscher an diesem Labor gewesen war, wegen gefährlicher Gedanken eingesperrt. Prof. S. Tomonaga ebenfalls Mitglied des Nishina-Labors komplettierte die Theorie über das Magnetron ausstrahlende VHF für Radar. Es ist eine bekannte Geschichte, daß Prof. Arakatu, nachdem er das Gerücht gehört hatte, Kyoto würde das nächste Ziel der Atombombe, sagte: „Es ist eine günstige Gelegenheit für Atomphysiker und wir müssen diesen Augenblick von der Spitze des Mt. Hiei beobachten.“ Er bereitete sich tatsächlich darauf vor.

Bevor es die Technologie der Urananreicherung vollständig beherrschte, war Japan geschlagen. Später, als der Wissenschaftsrat die früher erwähnte Erklärung abgab, sich nie mehr an der Wissenschaft für den Krieg zu beteiligen, war Prof. Nishina Vizepräsident des Rates.

Nach dem San-Francisco-Abkommen über einen Separatfrieden, das 1952 in Kraft trat, wurde die Atomenergiepolitik überall in Japan diskutiert. Der Wissenschaftsrat nahm eine Erklärung an, die drei Prinzipien bei der Erforschung, Entwicklung und Anwendung der Atomenergie forderte: Offenheit, Unabhängigkeit und Demokratie. Damit sollte eine militärische Nutzung der Atomenergie im Rahmen einer Wiederbewaffnung durch die Regierung verhindert werden. Später wurden diese Grundsätze in das Atomenergiegesetz eingeführt.

2. Die Bewegung gegen Atomwaffen

Der Test einer Wasserstoffbombe auf dem Bikini-Atoll 1954, die Leiden der Besatzungen japanischer Fischerboote und die Verseuchung der Fischfanggebiete im Pazifischen Ozean weckten Mitglieder der Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler und viele andere Wissenschaftler auf. Sie engagierten sich für eine sozial verantwortliche Wissenschaft. Nationale Bewegungen gegen die Atombombe wuchsen an und der erste Weltkongreß gegen die A- und H-Bombe fand statt. Japanische Wissenschaftler trugen viel dazu bei.

Der Atomtest bewegte gleichfalls weltweit bekannte Wissenschaftler. 1955 appellierten Bertrand Russell, Albert Einstein, Hideki Yukawa, Joseph Rotblat und sieben andere Wissenschaftler gemeinsam an die Wissenschaftler der Welt. Mit einem Kongreß sollten die Regierungen dringend darauf aufmerksam gemacht werden, daß angesichts der Tatsache der drohenden Vernichtung der Menschheit durch Nuklearwaffen der Sache der Wissenschaften durch Krieg wahrlich nicht gedient werden könne.

Als Folge dieses Appells – bekannt als „Russell-Einstein-Manifest“ – startete die Pugwash-Konferenz 1957 und begann das Problem der Atomwaffen zu diskutieren. Die Professoren H. Yukawa, S. Tomonaga und 1. Ogawa nahmen an der ersten Pugwash-Konferenz teil. Der Pugwash-Bewegung entsprechend fanden nationale Wissenschaftlertagungen, Kyoto-Wissenschaftler-Konferenz genannt, einige Male seit 1962 statt.

Die Pugwash-Konferenzen scheinen eine bedeutende Rolle bei der Minderung der internationalen Spannung zwischen den zwei militärischen Blöcken, die gegeneinander rüsteten, gespielt zu haben. Jedoch konnten die Diskussionen über Atomwaffen und die Strategien die Axiome nuklearen Gleichgewichts und der atomaren Abschreckungstheorie nicht überwinden. So gerieten die Konferenzen zu einem anderen Verhandlungsplatz zwischen den Supermächten.

Damit unzufrieden, kamen die Professoren Yukawa und Tomonaga zu dem Gedanken, daß auf der Basis der nuklearen Abschreckung das atomare Wettrüsten nicht verhindert werden könne. Die dringendste Aufgabe sei vielmehr heute die Abschaffung aller atomaren Waffensysteme. 1975 legten sie eine gemeinsame Erklärung vor, die die Theorie nuklearer Abschreckung überwand. Viele japanische Wissenschaftler teilten diese Idee. Bedauerlicherweise starben die Autoren, bevor sie ihre neue Logik den Wissenschaftlern und Politikern der Welt begreiflich machen konnten.

1985 veranstaltete die Japanische Wissenschaftlervereinigung ein internationales Symposium über das vollständige Verbot und die Ausschaltung atomarer Waffen, zu dem Wissenschaftler aus fünf anderen Ländern eingeladen wurden. Das Symposium folgte dem von Yukawa und Tomonaga vorgezeichneten Weg.

In der gegenwärtigen Situation, wo selbst Wissenschaftler, die gegen SDI opponieren, nur zögerlich die drastische Reduzierung der Atomwaffen fordern, ist es eine besondere soziale Verantwortung der japanischen Wissenschaftler, ihre Auffassung von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Abschaffung der Atomwaffen zu entwickeln. Japan war schließlich das erste und einzige Land, das mit A-Waffen angegriffen wurde.

Kapitel 3: SDI und die japanischen Wissenschaftler

1. SDI und die Vernichtung von Atomwaffen

Am 2. Januar 1985 sprach Premierminister Nakasone in seinen Gesprächen mit Präsident Ronald Reagan sein Verständnis für das SDI-Forschungsprogramm aus, und im Februar ließ er erkennen, daß er bereit sei, in der SDI-Forschung mit den USA zu kooperieren, solange es um Technologien ginge, die für ein breites Einsatzspektrum geeignet seien. Am Ende des Monats ging dann ein Brief des amerikanischen Verteidigungsministers Weinberger ein, der Japan offiziell zur Teilnahme an der SDI-Forschung aufforderte und eine entsprechende Antwort innerhalb von 60 Tagen verlangte. Damit wurde SDI zu einem Thema von nationalem Interesse. Auf der anderen Seite initiierte die Liberal-Demokratische Partei (LDP) eine sogenannte Nationale Bewegung, die ein Gesetz zur Verhinderung von Spionage forderte und dem Reichstag ein entsprechendes Gesetz vorlegte.

Die japanische Wissenschaftlervereinigung erhob zuerst ihre Stimme gegen SDI. Im Mai verabschiedete die Vereinigung in ihrer 20. Generalversammlung eine Resolution gegen jede Kooperation mit dem SDI-Forschungsprojekt sowie eine Stellungnahme gegen die Verfügung des Staatsgeheimnisgesetzes. Die Resolution drückte die Auffassung der Wissenschaftler aus, daß sowohl alle Arten der Kooperation mit SDI zurückzuweisen seien, die das nukleare Wettrüsten in den Weltraum ausdehnen, wie auch die, die die Entwicklung von Anti-Satelliten-Waffen vorsehen und die Menschheit dem Nuklearkrieg näherbrächten. Die Resolution sprach sich ebenfalls gegen die Abschreckungstheorie aus, die nach den Worten des US-Präsidenten angeblich überwunden werden sollte, und forderte dagegen, daß der Nuklearkrieg selbst durch die Vernichtung der für ihn benötigten Waffen verhindert werden sollte.

Danach begann im Frühling dieses Jahres in einigen Wissenschaftsbereichen, zum Beispiel in der Physikalischen Gesellschaft von Japan, eine Diskussion über SDI. In einem Workshop im Herbst wurde dann eine Stellungnahme von Physikern gegen SDI verfaßt und eine Unterschriftensammlung begonnen. Bis zum nächsten Jahr, wo ein Symposium über die soziale Verantwortung der Wissenschaft in der Frühjahrssession der Physikalischen Gesellschaft von Japan abgehalten wurde, konnten mehr als 1900 Unterschriften in mehr als 190 Universitäten und Forschungsinstituten gesammelt werden. Dies zeigte, daß der Geist der Physiker, die einst die militärisch-wissenschaftliche Kooperation verweigert hatten, noch immer lebendig war.

Auch den japanischen Mathematikern war die Erfahrung noch bewußt, die mit der Unterschriftenkampagne gegen den Vietnam-Krieg begonnen hatte, die auf der Internationalen Mathematiker-Konferenz 1966 in Gang gesetzt worden war. Im Juli 1985 gaben sie eine Stellungnahme zum Frieden heraus und verlangten die Vernichtung von nuklearen Waffen, und im Oktober veröffentlichten sie eine weitere Stellungnahme, die sich gegen das amerikanische SDI-Programm und die japanische Beteiligung daran wandte. 700 Mathematiker unterzeichneten die Stellungnahme. Dieses Mal war die Anzahl der Unterzeichner doppelt so hoch wie die auf dem bereits oben erwähnten Statement gegen den Vietnam-Krieg.

Im Mai 1986 präsentierte die Regierung dem Reichstag ein Gesetz zur Förderung des Forschungsaustauschs. Trotz der Beteuerungen der Regierung, daß das Gesetz beabsichtige, den beiderseitigen Austausch zwischen nationalen, privaten und ausländischen Forschungsinstituten zu unterstützen, war es offensichtlich, daß es darauf abzielte, die Kooperation zwischen Technischen und Entwicklungsforschungsinstituten, der Japanischen Verteidigungsagentur und anderen nationalen Forschungsinstituten voranzutreiben. Schließlich wurde gerade in dem Moment, in dem es dem Reichstag vorgelegt wurde, eine Geheimhaltungs-Schutzklausel eingefügt. Die Forscher der nationalen Forschungsinstitute fühlten intuitiv, daß das Gesetz aufgelegt worden war, um die Akzeptanz für das SDI-Programm zu erhöhen. Es passierte dann auch den Reichstag. Im August erklärten 3506 Forscher in nationalen Forschungsinstituten in der Wissenschafts-Stadt Tsukuba ihre Ablehnung des SDI-Programms. Sie bezeichneten es als ein ganz offensichtlich militärisches Forschungsprogramm. Sie seien nicht bereit, sich selbst in der SDI-Forschung oder in irgendeiner anderen Militärforschung zu beteiligen. Die bei dieser Gelegenheit verabschiedete Deklaration weist darauf hin, daß die zivile Anwendung der Resultate von Hochtechnologie-Forschung durch die Beteiligung an SDI verhindert würde und die Beteiligung auch die Remilitarisierung Japans befördern würde.

2. Verschiedene Aktivitäten gegen SDI

1986 breitete sich eine Welle von Aktivitäten gegen SDI in Japan aus. In dem Bezirk Aich begann im April eine Unterschriftensammlung, ausgehend von einem Aufruf von 52 Wissenschaftlern inclusive Professor S. Iijima, dem Präsidenten der Nagoya-Universität. Bis September waren 1250 Unterschriften gesammelt. Im Juni wurden in Hokkaido und im Juli in Nagana Statements gegen SDI nacheinander veröffentlicht, ermutigt durch den Aufruf der Wissenschaftler von Aich. Die Erklärung von Hokkaido weist darauf hin, daß sich in Japan, sollte es dem SDI-Programm beitreten, die militärischen Geheimhaltungsvorschriften verschärfen würden, die Publikation von Forschungsergebnissen restriktiver gehandhabt würde, die Freiheit der Forschung eingeschränkt und eine gesunde Entwicklung von Forschung und Wissenschaft unmöglich gemacht werden würde.

Am 9. September entschied die Regierung, sich am SDI-Forschungsprogramm zu beteiligen. Zunächst mußte dann die Rahmenvereinbarung der Beteiligung ausgehandelt werden, und später konnten dann private Firmen einzelne Verträge der US-Regierung abschließen. Im ersten Stadium können sich nur private Firmen beteiligen. In der Zukunft werden nationale Universitäten und Forschungsinstitute gedrängt, die allgemeine Politik der Regierung, die auf eine Unterstützung der wissenschaftlich-industriell-militärischen Kooperation hinausläuft, mitzutragen. Die Regierung verteidigt jedoch SDI weiter ernsthaft als eine nichtnukleare Verteidigungstechnologie zur Vernichtung von Atomwaffen und übergeht konstant die Tatsache, daß SDI eindeutig militärischen Zwecken dient.

Seit der Entscheidung der japanischen Regierung hat sich die Bewegung der japanischen Wissenschaftler gegen SDI zusammen mit der Bewegung, die die Abschaffung aller Atomwaffen und die Rücknahme des Staatsgeheimnisgesetzes fordert, mehr und mehr ausgeweitet.

Im November 1986 hielten fünf Organisationen von Wissenschaftlern und Ingenieuren (Japanische Wissenschaftlervereinigung, Universitätssektion der Lehrergewerkschaft, Private Schulsektion von JTU, Rat der Gewerkschaften in Wissenschaft und Industrie und Forschungsinstitute in Tsukuba) ein Symposium ab unter dem Titel „Wissenschaft und Technologie in Japan und SDI“. Hier wurde der Einfluß von SDI auf Wissenschaft und Technologie und die Bedeutung der Wissenschaftler- und Ingenieur -Bewegung gegen SDI diskutiert. Das Symposium unterstützte die Bewegung gegen SDI.

Inzwischen ist – ausgehend von einem Aufruf von 43 führenden Wissenschaftlern – eine Kampagne gestartet worden, die Wandzeitungen mit dem Aufruftext gegen SDI und das Staatsgeheimnisgesetz herstellt und vertreibt. Hier sind inzwischen 1535 Unterschriften von einzelnen Personen und von 70 Organisationen zusammengekommen. Das Poster wurde am 8. Januar 1987 in den Zeitungen veröffentlicht. Bis jetzt sind 15000 Bestellungen des Posters Sets im ganzen Land verschickt worden, darunter an Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Studenten, Ladenbesitzer und andere.

Im November 1986 erreichte die japanischen Wissenschaftler ein Brief von den Professoren John Kogut und Michael Weissman von der Universität von Illinois-Urbana, von der seit dem Sommer 1985 eine Bewegung ausgegangen war, das SDI-Projekt in den USA selber zurückzuweisen.

Aus dem Brief ging hervor, daß 50 oder 35 mehr Prozent der dortigen Fakultät dafür plädiert hatten, nicht an der SDI-Forschung zu partizipieren. Dies sei ebenso in jeder von 110 physikalischen oder ingenieurwissenschaftlichen Abteilungen der US-Universitäten der Fall, in denen mehr als 3800 Wissenschaftler und Ingenieur-Professoren und mehr als 2900 Stipendiaten arbeiten. Kogut und Weissman baten die japanischen Wissenschaftler, in ihrer Bewegung mitzumachen. Im Februar 1987 erreichte die japanischen Wissenschaftler ein anderer Brief – diesmal aus Großbritannien -, der besagte, daß 774 Wissenschaftler und Stipendiaten von mehr als 30 Universitäten einen Appell unterschrieben hätten, nicht an der SDI-Forschung zu partizipieren.

In den Vereinigten Staaten kann ein Wissenschaftler, wenn er die SDI-Forschung verweigert, von anderen Forschungsunterstützungsleistungen ausgeschlossen werden. Besonders jüngere Wissenschaftler bekommen keine Jobs in den Firmen, die mit der Militärforschung verbunden sind. Trotz dieser Widrigkeiten verweigern viele amerikanische Wissenschaftler die Mitarbeit an SDI. Dies ist ein Zeichen dafür, daß der Wille, sich nicht an der Militärforschung zu beteiligen, kein spezifisch japanisches Phänomen ist, sondern eine universal sich ausbreitende Erscheinung. Sie ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Vernichtung der Menschheit durch den Nuklearkrieg heute möglich ist.

3. Friedenserklärungen in Universitäten und Forschungsinstituten

Was wird nun an den Universitäten und Forschungsinstituten studiert, die militärische Forschung verweigern? An der Universität von Nagoya wurde am 5. Februar 1987 auf einem bewegenden Treffen in der Toyota-Halle der Hochschule eine Friedenserklärung verabschiedet und verkündet. Präsident Iijima wie auch der Generalsekretär der UNESCO, Mr. A. M. M'Bow gaben entsprechende Erklärungen ab. Die Charta stellte fest, daß die Mitglieder des Lehrkörpers und die Studenten der Universität niemals, egal aus welchen Gründen, eine Lehre oder Forschung verfolgen würden, die auf den Krieg abzielte. Stattdessen wollten sie sich für eine wissenschaftliche Untersuchung der Fragen von Frieden und Krieg einsetzen, die auf unabhängigen und kreativen wissenschaftlichen Normen basiert, um die Mittel herauszufinden, mit denen eine friedliche Zukunft hergestellt werden könne. Die Erklärung betont nachdrücklich die Bedeutung des Beitrages der Universitäten für die Gestaltung einer friedlichen, wohlhabenden Gesellschaft, die die menschliche Würde garantiert.

Den Angaben der Nagoya-Universität zufolge wurde auch an der Yamanshi-Universität im Juli eine Erklärung veröffentlicht. In ihr drücken die Fakultät und alle ihre Angehörigen ihre Überzeugung aus, sich niemals an militärischer Forschung zu beteiligen, insbesondere nicht an der Forschung, Herstellung und Entwicklung von Nuklearwaffen.

Die Bewegung der Wissenschaftler und Studenten für die Umwandlung ihrer Universitäten in einen Platz der Forschung und Lehre, der zum Frieden beiträgt, weitete sich auf die Forschungsinstitute aus. Am 15. April informierten die Zeitungen darüber, daß am Elektro-Technischen Labor 570 Forscher (85 % der Vollmitglieder) eine Friedenscharta des Labors unterzeichnet hätten. DoD hatte dieses Labor als eine Einrichtung mit hohem Standard in der Halbleiter-, Laser- und Computertechnologie eingestuft. So sorgten sich die Forscher außerordentlich über ihre mögliche Einspannung in militärische Forschung, z.B. durch SDI-Projekte. In der Friedenscharta erklärten sie, geheime Forschung zurückweisen und offene Forschung zum Wohle des Friedens und der menschlichen Wohlfahrt betreiben zu wollen. Eine Beteiligung an Forschung, die vom Militär oder mit ihm verbundenen Einrichtungen finanziert werde – ob von heimischen oder ausländischen Stellen -, wird abgelehnt.

In Tsukuby Science City breitet sich, diesem Beispiel folgend, eine Bewegung aus, eine solche Friedenscharta an anderen Instituten zu thematisieren. Ende Juli nahmen neun dem Ministerium für Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft eingegliederte Forschungsinstitute die Friedenscharta an; Anfang August taten dies drei Institute, die mit dem Transportministerium verknüpft sind, und eines, das dem Ministerium für das Bauwesen zugehört.

4. Beiträge der Wissenschaftler und Ingenieure zur FRIEDENSWELLE

Am 8. August, am Tag vor dem 42. Jahrestag des Atombombenabwurfs über Nagasaki, fand ein Wissenschaftlerforum in Nagasaki statt. 147 Wissenschaftler aus Japan, den USA und der UdSSR diskutierten die soziale Verantwortung der Wissenschaftler. In der Diskussion wurde festgestellt, daß noch viele Fragen zur Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki offen sind: humane und soziale Aspekte, Re-Evaluation von Strahlungsdosen, Folgen des „black rain“ etc.

Delegierte von verschiedenen Universitäts- und Forschungsinstituten sprachen über ihre erfolgreichen Bemühungen, eine Friedenscharta zu verankern. Die Bedeutung, sich mit den Aktivitäten der Bevölkerung für die Eliminierung der Atomwaffen zu verbünden, wurde hervorgehoben. Prof. Viktor Berezin, ein Repräsentant der Weltföderation der Wissenschaftler, betonte die Rolle der Wissenschaftler bei der Herausbildung einer internationalen Kooperationsgemeinschaft für dieses Ziel.

Vor diesem Forum hatte bereits vom 1.-3. August in Tokio die Weltkonferenz gegen die A- und H-Bombe getagt. „Friedensaktivisten“ aus 35 Ländern waren anwesend. Sie analysierten, daß nunmehr die Abschaffung aller Nuklearwaffen auf die Tagesordnung der Weltpolitik gesetzt ist, noch müßten jedoch die Basisbewegungen anwachsen, um die Befürworter der Atomwaffen zu isolieren. Sie riefen zu Aktionen überall in der Welt auf, insbesondere schlugen sie die weltweite Unterstützung der 10. UN-Abrüstungswoche im Oktober '87 mit einer FRIEDENSWELLE vor. Überall sollten Unterschriften für den „Appell von Hiroshima und Nagasaki“ gesammelt werden. Die Wissenschaftler und die Ingenieure, die die Atomwaffen erfunden und gemacht haben, haben nun die Pflicht, sie wieder abzuschaffen.

zu Teil 1

Dr. Zenshiro Hara ist Mitglied des Präsidialkomitees der Japanischen Wissenschaftlervereinigung. Kontaktadresse: 1-9-16 Yushima, Bunkyo-ku, Tokyo 113, Japan.

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (I)

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (I)

Militärforschung und die japanischen Wissenschaftler

von Zenshiro Hara

1. Wissenschaftler und Zweiter Weltkrieg

In Japan wurden zahlreiche akademische Gesellschaften in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften auf autonomer Grundlage seit den zwanziger Jahren gegründet und trugen zur Erreichung eines hohen Niveaus der Ausbildung in kurzer Zeit bei. Nach der Gründung des Forschungsinstituts für Nationalkultur durch das Erziehungsministerium 1929 jedoch wurden viele Richter, Wirtschaftswissenschaftler und Historiker von den Universitäten wegen ihrer wissenschaftlichen Methode vertrieben, und nicht wenige der führenden Wissenschaftler wurden unterdrückt, weil sie als Kommunisten angesehen wurden. Seit 1940 wurde der wissenschaftliche Charakter der Sozial- und Humanwissenschaften selber verneint. In solch politischem Klima mußten die vertriebenen Wissenschaftler ihre Arbeit im Untergrund fortsetzen.

In den Naturwissenschaften wurde andererseits der große Zuwachs der Finanzmittel von der Militärforschung und den großen Labors in den Universitäten und Forschungsinstituten verbraucht. Daneben hatte das Erziehungsministerium einen Forschungspool und eine Institution -„Wissenschaftlicher Forschungsrat“ genannt -, die ermächtigt war, Themen auszuwählen, die durch den Pool gefördert werden sollten. Die Mitglieder des Rates wurden nominiert durch den Erziehungsminister entsprechend den Empfehlungen des Rates selber. In den Dokumenten des Rates 1945 können wir folgende Namen für Spezialkommissionen des Rates finden: Tropenmedizin, akustische Waffen, Treibstoffe für die Luftfahrt, Waffen für die generelle Zivile Bewaffnung, magnetische Waffen, Röntgen etc. All diese Themen waren auf den Krieg bezogen. Sogar eine Studie über Atombomben wurde durchgeführt; davon später mehr.

Während eine große Mehrheit der Naturwissenschaftler in solcher Militärforschung engagiert war, begann eine kleine Gruppe von Physikern, wie Prof. Sakata bspw., auf dem Feld der Elementarteilchen-Physik, wo der internationale Austausch vor dem Krieg in Blüte stand, über die soziale Verantwortung der Wissenschaftler unter dem Einfluß der antifaschistischen Bewegung unter europäischen Wissenschaftlern nachzudenken. Mit der Niederlage des japanischen Militarismus, besonders durch die Aufhebung des Gesetzes über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, erlangte das japanische Volk die Freiheit der Rede und des Geistes. Besonders durch die „Friedenskonstitution“ wurden die notwendigen Bedingungen für die freie wissenschaftliche Forschung geschaffen. 1946, direkt nach der Niederlage, wurde die Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler gegründet, die einen Beitrag zur demokratischen Umwälzung Japans durch die Wissenschaftler leisten wollte. Sie trug sehr viel zur Wiederherstellung der Wissenschaften bei, die während des Krieges zerstört oder in Stagnation gehalten wurden, zur Demokratisierung der akademischen Gesellschaften und zur Gründung des Wissenschaftsrates.

Die Vereinigung schloß sich der Weltföderation der Wissenschaftler 1954 an und machte Anstrengungen, um die Idee der sozialen Verantwortung der Wissenschaftler unter den japanischen Wissenschaftlern und Ingenieuren auszubreiten. Währenddessen wandelte sich die US-Politik bezüglich Japans. Sie richtete sich darauf, Japan als untergeordneten militärischen Verbündeten wiederaufzubauen und Japan in eine konfrontative Rolle zu den sozialistischen Ländern zu bringen. Als ein Resultat davon, besonders nach 1950, wurden die Bewegungen für eine demokratische Revolution scharf unterdrückt. Dies war der Hauptgrund, weshalb die Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler ihre Mitglieder rasch verlor und schließlich ihre Funktion als nationale Wissenschaftlerorganisation einbüßte.

2. Die Weigerung, an Militärforschung mitzuwirken

Der Wissenschaftsrat Japans wurde 1949 gegründet als eine halbstaatliche Einrichtung, so daß sich der Gesamtwille der japanischen Wissenschaftler in der Politik der Regierung widerspiegeln konnte. Die Art, in der insgesamt 210 Mitglieder des Rates durch das Votum der ausgewiesenen Wissenschaftler gewählt wurden, war wirklich demokratisch, möglicherweise ohne Vorläufer in der Weltgemeinschaft der Wissenschaftler.

Am dritten Tag seiner Gründungsversammlung (22.1.1949) wurde „was und wie Wissenschaft und Wissenschaftler sein sollten“ ernsthaft diskutiert. Nahezu alle Mitglieder stimmten darin überein, daß die japanischen Wissenschaftler die kriegerische Aggression nicht verhindern konnten, besonders weil sie an der Freiheit der Rede gehindert wurden. Auf der anderen Seite – was die Kooperation der Wissenschaftler im Kriege anbetrifft – hatten einige Mitglieder die Auffassung, daß im Falle eines Krieges es für die Wissenschaftler nur natürlich wäre, die Regierung in ihren Anstrengungen zu unterstützen. Möglicherweise deshalb wurde ein Statement bei der Mehrheit akzeptiert, das folgende Sätze enthielt: „Wir nutzen die Gelegenheit, nach eingehender Betrachtung der Verhaltensweisen unserer Wissenschaftler in der Vergangenheit, zu schwören, daß unsere zukünftigen Anstrengungen auf Beiträge zur friedlichen Rehabilitierung unseres Landes und zum Fortschritt der Wohlfahrt der Menschen gerichtet sein werden … Wir sind daher fest entschlossen, unser Äußerstes für die Verteidigung der Freiheit des Geistes und der Rede zu leisten (…)“ Eine Erklärung, die klarere Reflexionen über die Kooperation während des Krieges enthielt, wurde zurückgewiesen.

Seit seiner Gründung diskutierte der Wissenschaftsrat mehrfach über eine grundsätzliche Verhaltensmaxime der Wissenschaftler in der Frage des Krieges und des Friedens. Auf der 6. Generalversammlung im April 1950 wurde das Problem erneut beraten. Im Juni dieses Jahres brach der Korea-Krieg aus. Keiner der japanischen Wissenschaftler hatte diesen Ausbruch vorhergesehen. Tatsächlich hatten einige Eisenbahnunglücke, deren Gründe nebulös blieben, den nationalen Eisenbahngewerkschaften schwere Schläge versetzt; die Universitätsvorträge von Dr. Eeels ermutigten die staatlichen Autoritäten, kommunistische Professoren aus den Universitäten zu drängen. So fühlten einige Wissenschaftler die Rückkehr mächtiger Kräfte, die die Freiheit der Gedanken, der Erziehung und der Rede verletzten.

In solch einer Situation forderten die wissenschaftlich Arbeitenden und die Gewerkschaften von 21 nationalen und privaten Forschungsinstituten gemeinsam den Rat zu einer Friedenserklärung im Februar 1950 auf. Auf dieses Ansinnen reagierend, unterbreiteten zwei Mitglieder der 6. Generalversammlung den Entwurf einer Erklärung, die besagte, „daß japanische Wissenschaft sich niemals in Forschungen engagieren würden, die den Krieg zu begünstigen erscheinen und die dem Krieg nützen“. Ein Mitglied, das gegen den Vorschlag war, sagte, daß ein einseitiger Verzicht auf Krieg Suizid bedeuten würde, und regte die internationale Kontrolle der Militärforschung an. Die Worte Prof. Sakatas, daß „es nur natürlich für die Wissenschaftler Japans – eines Landes, mit einer Friedensverfassung, die Krieg verwirft – ist, vor der Weltgemeinschaft der Wissenschaftler zu erklären, daß sie Forschung für den Krieg ablehnen“, hinterließen tiefen Eindruck; das vorgeschlagene Statement, in dem japanische Wissenschaftler ihren Entschluß erklärten, sich nicht an wissenschaftlicher Forschung für den Krieg zu beteiligen, wurde mit einem kleinen Zusatz von einer überwältigenden Mehrheit angenommen.

Dies war eine deutliche Erklärung. Die Wendung „sich nicht zu beteiligen“, bedeutete, selbst im Falle einer Regierungsanweisung zur Durchführung von Militärforschung die Beteiligung abzulehnen, da die Order selbst die Verfassung verletzen würde. Die generelle Furcht vor einer Wiederbewaffnung Japans und die Initiative, die von den wissenschaftlich Arbeitenden in den Forschungsinstituten ergriffen worden war, schien die Ratsmitglieder ermutigt zu haben, die Linie der Erklärung der zurückliegenden Gründungsversammlung zu überschreiten.

Die Bedeutung und der Einfluß der Deklaration des Wissenschaftsrates waren bemerkenswert. Seither ist die Remilitarisierung Japans, die die Verfassung klar verletzt – insbesondere das Prinzip der Verneinung des Krieges -, vorangeschritten. Später wurde der Sicherheitsvertrag zwischen den USA und Japan vereinbart und die „Selbstverteidigungskräfte“ wurden ins Leben gerufen und expandierten. Dennoch wurde Militärforschung noch nicht offen und in großem Umfang in die Universitäten und die nationalen Forschungsinstitute des Landes eingeführt. Der Hauptgrund dafür ist die Entscheidung der japanischen Wissenschaftler, die in dem o.g. Statement der 6. Generalversammlung des Wissenschaftsrates zum Ausdruck kam.

3. Militärisch-akademische Zusammenarbeit während des Vietnam-Krieges

Es gab während der frühen Stadien des Vietnam-Krieges einige Versuche, militärische Forschung in die japanische Wissenschaftlergemeinschaft einzuführen. 1965 wurde die Japanische Wissenschaftler-Vereinigung gegründet als eine nationale Wissenschaftlerorganisation, um jene zu bekämpfen, die eine gesunde Entwicklung der Wissenschaften stören, und um die Verantwortlichkeit der Wissenschaftler zu praktizieren. Im Januarheft 1967 des „Journal of Japanese Scientists“, dem Organ der Vereinigung, enthüllte Prof. Kamiyama die Tatsache, daß einigen Universitäten und Forschungseinrichtungen Forschungsmittel der US-Army zugeflossen waren. Dies (370 Mio. Yen für 96 Aufträge) wurde im Mai durch das Erziehungsministerium bestätigt. Im selben Monat nahm die Generalversammlung der Japanischen Wissenschaftler-Vereinigung eine Resolution gegen die militärisch-akademische Zusammenarbeit an.

Diese brachte die Bewegung gegen die Rüstungsforschung voran. In einigen Universitäten wurde die Verbindung mit dem Militär untersucht; es wurde aufgedeckt, daß einige, im Dienst befindliche Offiziere der Streitkräfte, als Studenten der Universitäten Nagoya und Kyoto eingeschrieben waren. Es wuchs die Bewegung der Studenten und der Mitarbeiter, die forderte, daß Armeeoffiziere als Studenten nicht akzeptiert werden sollten. Unter dem Druck der Bewegung verkündete die Leitung der Universität von Kyoto daß es Offizieren künftig nicht mehr erlaubt sei, an die Universität zu gelangen.

Währenddessen bestätigte die Physikalische Gesellschaft, daß einer von ihr geförderten Konferenz über Halbleiter Geldbeträge der US-Army angeboten worden waren. Eine außerordentliche Generalversammlung im September nahm eine Resolution an, in der festgelegt wurde, daß die Gesellschaft zukünftig keinerlei Beziehungen zum Militär haben sollte.

Zusammen mit den anwachsenden Bewegungen gegen militärisch-akademische Kollaboration tat der Präsident des Nationalen Universitätsrates, der sich aus den Präsidenten aller Universitäten zusammensetzt, öffentlich die Ansicht kund, daß die staatlichen Universitäten sich an militärischer Forschung – einheimischer wie auswärtiger – nicht beteiligen sollten. Die Verfassung Japans müsse beachtet werden sowie die bitteren Erfahrungen der Universitäten während des 2. Weltkrieges. Auch der Wissenschaftsrat nahm eine Erklärung auf seiner 49. Generalversammlung (10. Okt. 1967) an, in der man sich verpflichtete, sich in der Rüstungsforschung nicht zu engagieren. Von Beginn des Jahres 1969 an waren nahezu alle Universitäten in die Debatte über die einseitige Professoren-Herrschaft im Namen der Universitätsautonomie involviert. Die Diskussionen waren bisweilen von gewalttätigen Aktionen begleitet. An der Universität Tokio wurde zwischen dem Präsidenten und der Gewerkschaft eine schriftliche Vereinbarung erzielt, in welcher die Universitätsleitung versprach, das bisherige Herangehen, weder Rüstungsforschung durchzuführen noch Forschungsgelder vom Militär anzunehmen, fortzusetzen. Es sollten keinerlei Kooperationsbeziehungen zum Militär unterhalten werden.

4. Die Unterdrückung des Wissenschaftsrates

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre begannen die japanische Regierung und die Liberaldemokratische Partei mit ihrem Bemühen, das sogenannte umfassende System der nationalen Sicherheit zu bauen. Es sollte aus drei Elementen bestehen:

1) technologische Entwicklung, 2) Ausbau der Streitkräfte und 3) internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, um die Strukturen der Subordination unter die USA zu konsolidieren und um sich den Anstrengungen der entwickelten kapitalistischen Staaten, zur Oberwindung der bei den alljährlichen Gipfelgesprächen erwähnten Krisen, anzuschließen.

Gegenwärtig (Sommer 1987 – d. Red.) ist Premierminister Nakasone eifrig bemüht, das „umfassende nationale Sicherheitssystem“ zu vervollständigen mit der Unterstützung der verschiedenen politischen Körperschaften, wie der Kommission zur Reform der Administration, der ad-hoc-Kommission zur Reform des Erziehungswesens. Gelegentlich wird dabei Demagogie benutzt.

Es ist nicht notwendig zu erklären, daß für Nakasone, der die technologische Entwicklung zusammen mit der Ausweitung des Militärapparats voranbringen will, die Erklärung des Wissenschaftsrates, sich nicht an militärischer Forschung zu beteiligen, ein großes Hindernis darstellt. Die LDP-Regierung hatte seit den 70er Jahren damit begonnen, die Mittel für den Rat einzufrieren. Seit 1981 kritisierte die Regierung den Rat in unfairer Weise, indem sie vorbrachte, der Rat sei in Angelegenheiten auswärtiger Politik unwissend. Der Rat wurde unter Druck gesetzt, den Wahlmodus seiner Mitglieder zu ändern – statt der Wahl durch die Wissenschaftler die Ernennung durch die akademischen Vereinigungen.

Der Rat widersetzte sich dem Druck der Regierung, veranstaltete wiederholt Generalversammlungen und wechselte seinen Präsidenten und Vizepräsidenten mehrere Male. Die Japanische Wissenschaftler-Vereinigung und eine Reihe akademischer Gesellschaften opponierten, indem sie Versammlungen und Unterschriftensammlungen organisierten. In der 98. Session des japanischen Parlaments im Mai 1983 wurde ein Gesetz zur Änderung des Wahlsystems des Wissenschaftsrates blockiert, aber in der 100. Sitzung (Sept.1983) passierte das Gesetz, einen Tag vor der Beendigung der Sitzungsperiode, mit der Zustimmung der Liberaldemokraten, der demokratischen Sozialisten und der Komei-(„saubere Regierung“-) Parteien. Sozialistische und kommunistische Parteien stimmten dagegen.

Es ist ein offenes Problem, welche Haltung zur Militärforschung ein neu organisierter Wissenschaftsrat einnehmen wird. Er ist aus Mitgliedern zusammengesetzt, die durch die akademischen Vereinigungen ernannt werden. Es ist unklar, wie sie über die soziale Verantwortung der Wissenschaftler denken und wie sie sie wahrnehmen wollen. Es ist notwendig für jeden Wissenschaftler, die Idee der sozialen Verantwortung unter den Kollegen/Kolleginnen in den akademischen Gesellschaften zu verbreiten und zu versuchen, verantwortungsbewußte Wissenschaftler in den Rat zu bekommen. Es kann auch wichtig für jeden Wissenschaftler oder jede Wissenschaftlergruppe sein, in den Rat alle Probleme, die mit der sozialen Verantwortung der Wissenschaftler zu tun haben, zu tragen.

5. Die Bemühungen, sich der Rüstungspolitik zu widersetzen

Infolge der oben erwähnten Oppositionsbewegungen gegen die Militärforschung während der 60er Jahre gingen die Fälle militärisch-akademischer Zusammenarbeit in den 70ern auffallend zurück. Zur gleichen Zeit begannen die Regierungen und die LDP diese Sache erneut zu propagieren als ein bedeutendes Element der „umfassenden nationalen Sicherheit“. Heute wehren sich Wissenschaftler und die in der Forschung Tätigen beharrlich dagegen und arbeiten, um einen wissenschaftlichen Beitrag zum Frieden und zur Wohlfahrt der Menschen zu leisten.

1972 wurde der Fakt enthüllt, daß das Institut für physikalische und Chemische Forschung elektromagnetische Strömungsmesser dem Verteidigungsministerium verkauft hatte. Dies stand im Widerspruch zu dem festen Prinzip des Instituts, sich nicht an Rüstungsforschung zu beteiligen. Die Gewerkschaft opponierte gegen die Geschäfte und verhandelte mit dem Direktor. Der Direktor erwiderte, daß er ggf. die Geschäfte stoppen würde. 1984, als Offiziere des Technikforschungs- und Entwicklungsinstituts der Verteidigungsagentur das Institut besuchten, erklärte die Gewerkschaft, daß die technologische Kooperation im Keim erstickt werden sollte, um der Ablehnung der Rüstungsforschung zu genügen.

In den siebziger Jahren wurden 44 Hochschulen und Forschungsinstitute in der Gegend südlich des Tsukuba-Gebirges zusammengeführt, um – einer gesetzlichen Anordnung entsprechend – Tsukuba Science City aufzubauen. Heute arbeiten dort 6000 Wissenschaftler. Am 8. Dezember 1982 erklärten Bürger und Forscher ihre Stadt zur Friedensstadt und verpflichteten sich, sich weder an Militärforschungen zu beteiligen noch den Bau von Militäreinrichtungen in der Stadt zuzulassen. Im gleichen Jahr bot das Verteidigungsministerium dem Ministerium für internationalen Handel und Industrie ein gemeinsames Forschungsprojekt für ein optisches Fiber-Autogyroskop an.

Aber die gewerkschaftliche Vertretung des zuständigen, dem Ministerium angeschlossenen Forschungsinstituts verhandelte mit dem Institutsdirektor und erreichte, daß das Institut das Forschungsprojekt mit dem Verteidigungsministerium nicht durchführte.

1983 verhandelte die gewerkschaftliche Vertretung der Ingenieur-Fakultät an der Universität von Tokio mit dem Rektor über ein gemeinsames Forschungsprojekt zwischen Fakultätsangehörigen und den Verteidigungskräften; im Ergebnis wurde der Inhalt der oben erwähnten schriftlichen Versicherung zwischen der Leitung und der gewerkschaftlichen Vertretung der Universität von 1969 bestätigt, der einschloß, daß die Universität keinerlei Zusammenarbeit mit dem Militär anstrebe.

Im gleichen Jahr wurde an der Universität von Kumamoto folgende Geschichte enthüllt: In einem Seminarplan für Doktoranden, der von einem Universitätsausschuß erarbeitet und dem Bildungsministerium vorgelegt worden war, wurde stolz berichtet, daß das Magister-Seminar der Universität Offiziere aufgenommen habe, die von anderen Universitäten zurückgewiesen worden seien, und daß das geplante Doktoranden-Seminar die militärisch-akademische Zusammenarbeit fördern wolle. Mitglieder der Japanischen Wissenschaftler Vereinigung an der Universität warnten inneruniversitär und öffentlich, daß die Förderung militärisch-akademischer Zusammenarbeit eine Gefahr für die Hochschulautonomie darstelle. In der Folge strich die Hochschulleitung die entsprechenden Passagen und entließ den verantwortlichen Ausschuß. Trotzdem nahm die Universität weiter Offiziere als Studenten auf. Im japanischen Parlament (Diet) wurde 1969 eine Resolution über die Entwicklung der Raumfahrt angenommen, die besagte, daß sie auf friedliche Zwecke begrenzt sein müsse. Im selben Jahr wurde die Nationale Weltraumbehörde mit der gesetzlichen Maßgabe gegründet, zur ausschließlich friedlichen Entwicklung und Nutzung des Weltraums beizutragen. 1983 warnte die Gewerkschaftsvertretung am Institut für Weltraum und der aeronautische Forschung, der Einsatz des Kommunikationssatelliten „Sakura 2a“ durch die Verteidigungsbehörde in Iojima und die US-Army und die geplante gemeinsame Erforschung bemannter Weltraumstationen durch die Raumfahrt-Kommission Japans und der NASA würden den oben erwähnten Prinzipien der friedlichen Nutzung des Alls widersprechen.

Im Februar 1985 veranstalteten die vier Organisationen der Forscher und Ingenieure an Universitäten und Forschungseinrichtungen (Japanische Wissenschaftler-Vereinigung, Japanische Lehrer-Union, Rat der Gewerkschaften in Wissenschaft und technologischer Industrie und der Rat der Gewerkschaften der Universitäten und Forschungsinstitute in „Tsukuba Science City“) ein Symposium mit dem Thema „Wissenschaft und Militärforschung in Japan“. Sie waren tief besorgt, daß der Tag, an dem ihnen Wissenschaft für den Krieg auferlegt würde, nicht mehr fern sei. Auf dem Symposium wurde über verschiedene Bewegungen gegen Rüstungsforschung berichtet. Einige von ihnen wurden oben angeführt. Zum Abschluß gelobten Die Teilnehmer, alle Anstrengungen zu unternehmen für die Einhaltung des Beschlusses der 6. Generalversammlung des Wissenschaftsrates von Japan aus dem Jahre 1950.

Sind japanische Wissenschaftler gegen Militärforschung allergisch?

Jede Macht – die USA wie die UdSSR gleichermaßen – gründet nationale Sicherheit auf Waffen, einschließlich nuklearer Waffen und militärischer Bündnisse. Sogar neutrale Länder, wie Schweden oder die Schweiz, vertrauen auf neutrale Politik und nationale Streitkräfte. In diesen Ländern ist Rüstungsforschung Forschung für die Bewahrung ihrer Sicherheit und erscheint somit obligatorisch. Besonders in den USA machen die Forschungsmittel des Department of Defense den größten Teil der Finanzen an den Universitäten aus. Die Themenliste enthält eine Reihe von Aufgaben der Grundlagenforschung, die keinen direkten Bezug zum Krieg haben. Deshalb scheinen Wissenschaftlervereinigungen vieler Länder bezüglich der Forschungskontrakte mit dem Militär bzw. der militärisch-akademischen Kooperation ziemlich tolerant zu sein – mit Ausnahme der japanischen. Japanische Nachwuchswissenschaftler, die in jenen Ländern sich aufgehalten haben, sind geneigt zu denken, diese Situation sei ziemlich normal und die japanischen Forscher seien zu nervös, was Militärforschung anbetrifft.

Ich möchte jedoch ihre Aufmerksamkeit auf die besondere Stellung Japans in der Weltgeschichte lenken. Japan ist das Land, das erstmalig in der Menschheitsgeschichte mit Atombomben attackiert wurde. Wir, das japanische Volk, haben unter der Atombombe gelitten und uns entschlossen, unsere Sicherheit nicht auf militärische Macht zu bauen, sondern auf Gerechtigkeit und auf das Vertrauen in die Friedensliebe der Menschen. Solange das atomare Wettrüsten andauert, können eines Tages Menschen die selbe Erfahrung eines nuklearen Angriffs machen; sie werden sich darüber klar werden, daß es falsch ist, von Atomaffen abhängig zu sein.

Aber es würde zu spät sein, heute bedeutet Atomkrieg das Ende der Menschheit. Heute ist die Vernichtung der nuklearen Waffen notwendig, nicht nur für die Sicherheit Japans, auch für die Sicherheit und das Überleben der gesamten Menschheit. Die Besonderheit Japans in der Geschichte erlegt uns – den japanischen Wissenschaftlern auf, strikt Stellung gegen Militärforschung zu beziehen. Ich glaube, wenn die Wissenschaftler der Welt sich ihres gemeinsamen Schicksals gewahr werden, würden sie unseren Standpunkt teilen. Die Anzeichen dafür scheinen in der gegenwärtigen Bewegung der Wissenschaftler gegen SDI auf wie ich in den nächsten Abschnitten zeigen werde.

    Der zweite Teil des Beitrags von Dr. Hara befaßt sich mit folgenden Themen:

  • die Entwicklung der Atombombe in Japan
  • die Bewegung gegen Nuklearwaffen
  • SDI und die japanischen Wissenschaftler.

Dr. Zenshiro Hara ist Mitglied des Präsidialkomitees der Japanischen Wissenschaftlervereinigung. Kontaktadresse: 1-9-16 Yushima, Bunkyo-ku, Tokyo 113, Japan.

Alternativer Nobelpreis an Professor Dr. Hans Peter Dürr

Alternativer Nobelpreis an Professor Dr. Hans Peter Dürr

von Redaktion

Der von der Right Livelihood Foundation gestiftete und seit 1980 jährlich verliehene Preis für besondere Verdienste um die Dritte Welt und die Umwelt erhält in diesem Jahr zu einem Viertel Professor Dr. Hans Peter Dürr, Direktor am Werner-Heisenberg-Institut für Physik des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik.

Als Begründung für die Verleihung des alternativen Nobelpreises 1987 gibt Paul Ekins als Vertreter von „Right Livelihood Foundation“ an:

Prof. Hans Peter Dürr bekommt ein Viertel des Preises zuerkannt für seine Kritik an SDI aus seiner Sicht als Physiker, für seine Anstrengungen, die High-Technology statt militärischen friedlichen Zwecken nutzbar zu machen. Die Jury ehrt in Dürr auch ein aktives Mitglied der westlichen Friedensbewegung, deren Aktivitäten und Druck es mit zu verdanken sei, daß erstmals seit 1949 ein wirklicher nuklearer Abrüstungsvertrag zustande kommt.

Paul Ekins nahm vor allem Bezug auf das Spiegel-Interview, das Hans Peter Dürr 1985 zu SDI gegeben hatte, zur Stellungnahme Dürrs vor dem Friedensforum in Moskau, in der Dürr Anregungen zum friedlichen Gebrauch von Wissenschaft und zur weltweiten Zusammenarbeit von Wissenschaftlern bei Lösung globaler Probleme vorgetragen hat – Anregungen, die in der Gründung von Global Challenges Network (GCN) mündeten. Erster Schritt von GCN ist die Einrichtung einer INTERNATIONAL SCIENCE AND TECHNOLOGY STUDY GROUP, die im Frühsommer nächsten Jahres ihre Arbeit aufnehmen wird. Der mit dem Preis verbundene Beitrag von $ 25.000 ist für die Arbeit des GCN bestimmt.

In seiner Dankesrede anläßlich der Verleihung am 9.12. führte Prof. Dürr u.a. aus:

„Als Wissenschaftler möchte ich mich gegen den schrecklichen Mißbrauch der Wissenschaften wenden. Es werden heute in immer größerem Maße nicht nur finanzielle, sondern vor allem auch intellektuelle Ressourcen vergeudet, um noch raffiniertere, noch heimtückischere und noch zerstörerische Waffen und Gegenwaffen zu entwickeln. Und nicht nur das! Um diese ruinöse militärische Aufrüstung abzubremsen oder abzustoppen, werden weitere hochmotivierte Menschen in diese Militärmaschinerie hineingezogen, deren Absicht eigentlich gerade das Gegenteil war, nämlich sich dieser Militärmaschinerie zu verweigern, sich ganz aus ihr herauszuhalten. Sie finden sich häufig in der verzwickten Lage, als Partner in ein Spiel gezwungen zu werden, an dem sie sich überhaupt nicht beteiligen wollen.(…)

Wir alle haben wirklich Besseres und Vernünftigeres zu tun, als immer nur gegen diese verrückten und gefährlichen Projekte anzudiskutieren und zu demonstrieren. Wir alle würden lieber unsere kostbare Zeit und unsere schöpferische Energie für einen konstruktiven Zweck einsetzen, für etwas, was dazu beitragen könnte, die lebensspendende Funktion unserer Erde und ihre Schönheit zu erhalten und die Zusammenarbeit, das Zusammengebörigkeitsgefühl und die Freundschaft unter den Menschen zu fördern. Wir alle wollen aus dieser Haltung des Abwehrens, des Gegenstemmens heraus und unsere Kräfte den eigentlich sinnvollen Zielen zuwenden, anstatt unsere Gedanken mit militärischen Gegenstrategien zu verschmutzen.

Es ist mir klar, daß wir auch in Zukunft militärische Fragen bei unseren Überlegungen nicht ausklammern dürfen – leider. Denn der Friede und damit das Überleben der Menschen wird heute offensichtlich immer noch am stärksten durch das wahnsinnige und sich immer noch weiter aufschaukelnde Wettrüsten bedroht (…)

Deshalb müssen wir, ob wir dies wollen oder nicht, uns leider weiterhin mit militärisch-technischen Entwicklungen kritisch auseinandersetzen. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, die Dynamik des Wettrüstens zu brechen.(…)

Eine Friedenssicherung im eigentlichen Sinne kann nie durch militärische Maßnahmen oder technische Kniffe erreicht werden. Militärisch-technische Maßnahmen können bestenfalls die Zündschnur verlängern: sie können auf entscheidende Weise die Zeitspanne ausdehnen, die wir für die Lösung der grundlegenden Probleme benötigen, oder besser: die wir für eigen Lernprozeß brauchen, der unsere Aufmerksamkeit auf diese Probleme lenkt. Eine solche Verlängerung der Zündschnur hilft aber nur wenn wir gleichzeitig die dadurch gewonnene Zeit auch wirklich nutzen, um auch den Sprengsatz selbst zu entschärfen.. Es ist allerhöchste Zeit, daß wir uns auf alle die großen, schwierigen und drängenden Weltprobleme konzentrieren, welche die Menschheit und das höher organisierte Leben auf unserem Planeten tödlich bedrohen. Und hierzu gehört eben nicht nur die Bedrohung der Menschheit durch die Massenvernichtungswaffen.“

Verantwortung hat viele Namen.

Verantwortung hat viele Namen.

Interview mit Charles Schwartz (Professor für Physik, Universität Berkeley)

von Charles Schwartz und Jürgen Scheffran

I.: Was ist Ihr Eindruck von dieser Konferenz und was hat Sie veranlaßt, den weiten Weg aus den Staaten hierer zu machen?

C. Schwartz: Das Thema „Militärische Forschung und vor allem die Verstrickungen der Hochschulen beschäftigen mich. Die Situation in den USA ist ziemlich ernst. Die wissenschaftliche Arbeit an den Universitäten ist sehr stark in die Pläne des Pentagon integriert – aber freilich in subtiler Weise. Die meisten Professoren sagen: „Oh nein, wir machen keine Waffenforschung. Wir haben mit all dem nichts zu tun.“ Doch die von der Regierung unterstützten Forschungen, auch wenn es sich um nicht klassifizierte Arbeit an den Hochschulen handelt, führen weitgehend in die Gebiete, die das Pentagon will. Die Hochtechnologie an allen Fronten: das ist die mächtigste Antriebskraft für den heutigen Militarismus. Und mehr noch: auch die Lehre ist vital für das Pentagon, schließlich bilden wir die Wissenschaftler und Ingenieure aus, die dann in der Industrie und den Nationallaboratorien an Rüstungsprojekten arbeiten. Gegenwärtig ist die Arbeitsmarktlage für einen Physiker sehr schwer, wenn er nicht an Waffen arbeiten will. Es ist sehr kompliziert, eine andere Arbeit zu finden. Daher denke ich, daß die Teilnehmer der Konferenz ähnliche Probleme haben. Die Lage ist nicht so schlimm, aber sie entwickelt sich in eine ähnliche Richtung. So war ich sehr froh, daß ich über die Entwicklung in den USA informieren konnte, von Ihren Einschätzungen hörte und Meinungen über die Verantwortung des Wissenschaftlers austauschen konnte. Und übrigens: Glückwunsch zu dieser Tagung. Eine ähnliche Konferenz hat es in den USA noch nicht gegeben.

I.: Könnten Sie uns ein wenig über sich selbst sagen? Über Ihre wissenschaftliche und politische Arbeit?

S.: Ich arbeite seit 1960 als theoretischer Physiker an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Nach einigen Jahren habe ich andere Welten als die der Physik kennengelernt: die des Vietnamkrieges und der politischen Aktivitäten der Studenten. Ich habe begonnen, mich intensiv mit dem Zusammenhang von Wissenschaft und Krieg, mit der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft zu beschäftigen. Ich habe dazu geforscht und gelehrt und politisch gearbeitet zu den Fragen der sozialen Verantwortung – Verantwortung für den Frieden, für den Anti-Imperialismus. Verantwortung hat viele Namen. Und es sind beileibe nicht nur Wissenschaftler, die sich ihr stellen.

I.: Viele Wissenschaftler glauben, sie machten bloß „reine“ Grundlagenforschung. Was hat Grundlagenforschung mit dem Militär zu tun ?

S.: Fakt ist: unglücklicherweise sind sehr viele Gebiete der sogenannten Grundlagenforschung an den Hochschulen – vor allem in der Physik – von sehr hohem Interesse für das Verteidigungsministerium. Oft sind es Forschungen, die von anderen Ministerien finanziert werden. Die Situation ist wirklich dramatisch: man kann ebensowenig spätere militärische Anwendungen der Forschungen verhindern wie die spätere Beschäftigung der Studenten in der Rüstungsindustrie. Für den Fortbestand eines militärischen Produktionssystems üben die Hochschulen eine lebenswichtige Rolle aus. Von ihnen kommen oft die neuen technologischen Innovationen und die Leute, die sie in die Produktion umsetzen. Unglücklicherweise sehen die meisten meiner Kollegen an den Universitäten diese Verbindungen nicht oder machen sich erfolgreich vor, daß sie mit ihnen nichts zu tun haben.

I.: Gibt es an der Berkeley University eine Diskussion um die militärische Forschung?

S.: Für uns in Berkeley (und überhaupt in Kalifornien) gibt es eine ganz besondere Verantwortung, weil die Nationalen Laboratorien mit ihren Forschungen an Nuklearwaffen von der Universität im Namen der Regierung verwaltet werden. Dies ist seit Jahren Gegenstand heftiger, bitterer, langanhaltender Auseinandersetzungen. Bisher ist es uns nicht gelungen, diese Verbindung der Hochschule mit der Nuklearwaffenforschung zu lockern und aufzulösen. Aber wir haben diese Verbindung zu einer öffentlich disputierten Angelegenheit gemacht, welche die Menschen in den Waffenlaboratorien ständig neu herausfordert. Auch deshalb machen die Laboratorien alle Anstrengungen, sich abzusichern. Sie sind für SDI. Sie bekämpfen jeden Teststopp. Das Unbehagen unter den Wissenschaftlern ist verbreitet, aber es bleibt oft eine Privatsache, der öffentliche Mut, die Zivilcourage fehlen.

I.: Wie ist der aktuelle Stand der Diskussion um SDI und wie steht es um die Opposition der Wissenschaftler gegen SDI?

S.: Bekanntlich hat es von Beginn an eine Reihe bekannter und sehr anerkannter Wissenschaftler gegeben, die SDI kritisierten. Ihre Ansichten haben sich rasch in der Scientific Community verbreitet und dazu beigetragen, daß dort viel Skepsis entstanden ist. Und es ist eine sehr erfolgreiche Unterschriftensammlung initiiert worden, mit der Selbstverpflichtung, nicht an SDI zu arbeiten und dafür kein Geld zu nehmen. Das ist mehr als ein Lippenbekenntnis, es ist eine Art wirklichen Widerstands, die bis hinein in den Kongreß einigen Einfluß gehabt hat. Und es führte auch dazu, daß viele Wissenschaftler gegen Reagan gewählt haben. Aber andererseits: das reicht überhaupt nicht aus, um SDI zu stoppen. SDI hält man nicht mit Unterschriften auf. Und so hält man auch nicht das Wettrüsten auf. Vielen Wissenschaftlern wird es weit schwerer fallen, einen nächsten Schritt zu tun und sich noch deutlicher vom Wettrüsten loszusagen.

I.: Was ist dieser nächste Schritt? Haben Sie ihn getan?

S.: Es reicht nicht aus, über Rüstungskontrolle zu reden, erst recht nicht bloß auf einer Ebene, auf der die Mehrheit des Kongresses im Glauben bestärkt wird, sie kontrolliere die Rüstung. Tatsache ist, daß es eine Kontrolle der Rüstung nicht gibt. Also macht es kaum Sinn, die nicht vorhandene Kontrollfähigkeit des Parlaments einzufordern. Wenn man diese unerfreuliche Schlußfolgerung gezogen hat, muß man die Konsequenzen ziehen. Meine Konsequenz: ich habe mich schon seit Jahren immer mehr aus den Seiten meiner beruflichen Tätigkeit zurückgezogen, die zum Wettrüsten beitragen. Ich mache nur sehr wenig Forschung zu technischen Aspekten und habe mich jüngst auch entschlossen, die Mehrzahl der regulären Physik-Kurse nicht mehr zu lehren. Denn was ich tue – und ich liebe meine Arbeit sehr -, ist die Ausbildung der Leute, welche die nächsten brandneuen Waffen entwickeln werden. Und das wird die letzte Waffengeneration sein.

I.: Es geht also um die Verantwortung für die zukünftige Arbeit der Studenten und Studentinnen?

S.: Das ist der Punkt. Viele meiner Kollegen sprechen davon nicht. Statt dessen reden sie von der wundervollen Physik. Sie fürchten, vom Studium der Physik abzuschrecken – und davon allerdings spreche ich. Ich spreche davon, daß eine solche politische Handlung Folgen hat. Sie beunruhigt die Regierung. Sie gefährdet das ganze wundervolle Milieu der Physik, das prächtig viele Geld, die Veröffentlichungen, die Sommerschulen und so weiter.

I.: Gibt es Erfolge?

S.: Sicher – es gibt welche. In der Kommune Berkeley und der Hochschule gab es jüngst eine Auseinandersetzung um eine „nuclear free Zone“. Zufällig gibt es einen Atomreaktor auf dem Campus, einen sehr kleinen Forschungsreaktor. Ich hatte nicht angenommen, daß es hier ein politisches Problem gibt. In der Vergangenheit haben die Verantwortlichen immer erklärt: „Oh, der Reaktor ist völlig sicher, wir brauchen ihn nur für rein akademische Forschung.“ Kurz nachdem die Resolution über eine nuklearfreie Zone passiert war, haben wir herausgefunden, daß mit dem „Forschungsreaktor“ Auftragsarbeit für die Rüstungsindustrie gemacht wird und zwar im Rahmen eines allgemeinen DoD-Programms zur Steuerung von Raketen. Es war schon ziemlich peinlich, als wir dies publizierten. Drei Wochen später wurde der Reaktor geschlossen.

I.: Ich glaube, wir haben vieles gehört, was diskutiert werden muß – über diese Tagung hinaus. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte J. Scheffran.