Die bipolare Konfrontationsstruktur der Nachkriegszeit ist im Gefolge des Zerfalls der einen Seite in Auflösung. Der Trend zu Entspannung und Rüstungsminderung scheint unaufhaltsam. Marschflugkörper werden zur Verschrottung in die USA geflogen; der Tiefflug wird stark gedrosselt werden; die neuen Atomraketen LANCE kommen nicht; der Jäger `90 ist auf der Abschußliste; weitere Abrüstungsabkommen werden dieses Jahr unterzeichnet werden. Und doch gibt es ein auffallendes Mißverhältnis zwischen öffentlicher Erwartung und tatsächlichem Prozeß.
Aufruf für eine zivile Bundesrepublik Deutschland, eine Bundesrepublik ohne Armee (BoA)
In vielen Initiativen der Friedensbewegung wird gegenwärtig das weitreichende Projekt einer Bundesrepublik ohne Armee (BoA) diskutiert und an einigen Orten bereits konkret vorbereitet. Unser Aufruf für eine zivile Bundesrepublik Deutschland soll diese Bemühungen ermutigen und das Anliegen überall bekanntmachen, damit sich viele und immer mehr Bürgerinnen und Bürger an seiner Verwirklichung beteiligen.
Seit Jahren hat die Friedensbewegung und haben mit ihr einsichtige PublizistInnen und PolitikerInnen festgestellt: jede Form eines Krieges der hochgerüsteten Blöcke in Europa ist beiderseits so sinnlos wie tödlich. Die dramatische Ereignisse der letzten Monate haben nunmehr den letzten Rest einer politischen Rechtfertigung für die Szenarien der Unvernunft beseitigt. Wenigstens eine europäische Welt ohne Rüstung und Militär ist eine realistische Perspektive geworden. Sie bietet erstmals tatsächliche Sicherheit vor einer Kriegsgefahr, die in jeder – auch der reduzierten und kontrollierten – Rüstung enthalten ist. Die Bundesrepublik Deutschland braucht ebensowenig eine Bundeswehr, wie die Deutsche Demokratische Republik eine Nationale Volksarmee.
Auf Initiative der »Studiengruppe Entmilitarisierung der Sicherheit (SES)« fand am 27. März in der Militärpolitischen Hochschule in Berlin eine Konferenz zu dem Thema »Notwendigkeiten, Möglichkeiten, Bedingungen und Folgen einer Entmilitarisierung der DDR« statt. In der SES arbeiten Militärs, Politiker und Friedensforscher zusammen. Aufgerufen hatten auch der Wissenschaftliche Rat für Friedensforschung, die Unterzeichner des Appells `89 und die Initiativgruppe für Friedens- und Konfliktforschung (UIFK). In seinem Grundsatzreferat formulierte Kapitän zur See Dr. Siegfried Fischer die bisher erarbeiteten Positionen der SES und nannte offene Fragen.
Der militärische Bereich muß aus unserer Gesellschaft weichen. Die realistische Utopie einer militärfreien Gesellschaft rückt (wieder) in die öffentliche Diskussion – eine zwingende Notwendigkeit, wie bereits früher erkannt wurde.
Die Diskussionen um die Einrichtung eines Forschungs- und Lehrbereiches Friedens- und Konversionsforschung an der Uni Bremen erhalten durch die politischen Umbrüche in Ost und West und den daraus sich ergebenden Abrüstungschancen für Rüstungsproduktion und Militärbeschäftigte eine neue, ungeahnte Dynamik.
Alternative Jobvermittlung für Computerspezialisten mit Gewissen
Seit drei Jahren betreibt der Brite Tony Wilson in dem hübschen südenglischen Städtchen Bath eine bisher in der Welt einzigartige Arbeitsvermittlungsagentur: Er sucht für Computer- und andere High-Tech-Spezialisten moralisch vertretbare Arbeit. Mit kleinen Anzeigen in der überregionalen Presse machte der vollbärtige 53jährige auf seine Agentur aufmerksam: „Do you want to kill people with Computers?“ „Wollen Sie Menschen mit Computern töten? Wenn nicht, kann unsere moralische Arbeitsvermittlung einen besseren Job für Sie finden“ – so lautet der Werbetext seiner ersten Anzeigen, die sich vor allem an Beschäftigte der Rüstungsindustrie richteten. Inzwischen hat Tony Wilson seine Moral-Kriterien ausgeweitet.
Das bipolare System schafft sowohl ein unausgesprochenes Einverständnis, als auch eine gegenseitige Bedrohung. Dies ist lebenswichtig für die Sicherung der inneren Stabilität der beiden Supermächte sowie für ihre Macht, den Einfluß und die Kontrolle im Ausland auszudehnen und zu festigen.
Im März 1983 kündigte Ronald Reagan die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) als „Vision der Zukunft“ an und rief die „Gemeinschaft der Wissenschaftler“ auf, „uns die Mittel an die Hand zu geben, um diese Kernwaffen unwirksam und überflüssig zu machen“. (Cohen, S. 5) In den folgenden Jahren entwickelte sich das SDI-Programm zu einem der größten militärischen Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Geschichte der USA. Waren es im Haushaltsjahr 1984 noch etwa 1 Mrd. $, die für SDI aufgebracht wurden, steigerte sich der SDI-Etat bis 1986 schon auf mehr als 3 Mrd. $. (Vgl. Cohen, S. 72) Bekanntlich sah sich SDI breiter Kritik ausgesetzt. Im Mittelpunkt stand neben Fragen der technologischen und finanziellen Realisierbarkeit die rüstungskontrollpolitische Kritik: Statt ein Defensivsystem zur Abwehr strategischer Raketen der Sowjetunion zu entwickeln, sollten die USA sich mit der UdSSR auf eine Abrüstung eben dieser Waffen (und aller anderen Nuklearsysteme) einigen, um nukleare Offensiv- wie Defensivsysteme überflüssig zu machen.
Produkte und Projekte der deutschen Rüstungswirtschaft am Ende des zweiten Weltkrieges
Die Bestimmung der Spezifika eines komplexen Phänomens gehört zu den Königsdisziplinen der Wissenschaft. Ulrich Albrecht hat einige Thesen zur NS-Spezifik der Technologieentwicklung in der Endphase des Dritten Reiches formuliert, die geeignet sein können, den populär- bzw. reaktionärwissenschaftlichen Mainstream der Technikgeschichtsschreibung der NS-Rüstung aufzustauen oder gar umzuleiten, der immer noch das technizistische Faszinosum der deutschen Rüstung bestaunt und preist.1
Der bundesdeutsche Beitrag zum US-amerikanischen C-Waffen-Programm
Der Bonner Professor Paul hat jüngst den Nobelpreis für Physik erhalten. Seine Erfindung, die Paulsche Ionenfalle, wurde zu einer militärischen Aufrüstung besonderer Art genutzt: das Prinzip hat Eingang in die Entwicklung des bundesdeutschen Spürpanzers »Fuchs« gefunden. Der FUCHS ist inzwischen zum weltbesten C-Waffen-Spürgerät und zum bundesdeutschen Rüstungsexportschlager avanciert.
In allen zu Krieg gerüsteten Staaten mit Strafe bedroht und von der jeweils herrschenden Moral verurteilt, in römischer Zeit als »desertores«, die das »sacramentum militiae« gebrochen haben, mit dem Tod bestraft, in christlichen Zeiten auch mit Exkommunikation, geköpft, gehängt, für vogelfrei erklärt, in den feudalabsolutistischen Macht- und Militärstaaten, mit ihren Zwangswerbungen, barbarischen Drillmethoden und Soldatenverkäufen, systematisch gejagt, mit Alarmschüssen, Glockenläuten und Kopfprämien, wenn sie eingefangen wurden, wie die Hunde mit Prügeln traktiert, zum »Gassenlaufen« gezwungen, durch die Spießruten, oft mehrmals, Kleider abgerissen, drauflosgehauen, bis Fetzen geronnenen Blutes herunterhingen, in den modernen Nationalstaaten und ihren ideologisch verbrämten imperialistischen Kriegen als Feiglinge, Vaterlandsverräter, unterm Faschismus als entartete Volksfeinde abgestempelt, im zweiten Weltkrieg von furchtbaren Juristen immer massenhafter verurteilt und exekutiert, öffentlich aufgehängt mit schmähenden Pappschildern um den Hals: “Ich bin ein fahnenflüchtiger Feigling“, nach 1945 aufs gründlichste vergessen, verdrängt, keine Rehabilitation, keine materielle Entschädigung, keine kollektive Erinnerungs- und Trauerarbeit für sie.
Bereits während des Ersten Weltkrieges wurde die Perspektive des Soldaten an der Front, wie sie sich in ausgesuchten Feldpostbriefen, Tagebüchern oder Betrachtungen über den Krieg dokumentierte, exzessiv genutzt. In den Zeitungen, den militärisch gelenkten Periodika für die Schützengräben und in unzähligen Verlagspublikationen bediente man sich des „Blickes von unten“, um Front und Heimat zum „Durchhalten“ zu motivieren. Unmittelbar nach dem Krieg stellte sich das Problem neu, auf welche Weise die Nutzung und Inanspruchnahme des subjektiven, individuellen „Blicks von unten“ zu bewerkstelligen war. Und zwar vor dem Hintergrund des zentralen Ereignisses: der Niederlage. Es galt nun, sich der so authentischen wie suggestiven Wirkung individueller, subjektiver Kriegserlebnisse für die „nationale Erziehungsarbeit“ der Zukunft zu vergewissern. Wie konnte der verlorene Krieg der Nachwelt überliefert werden, ohne die Wehrfähigkeit zu gefährden? Das war die entscheidende Frage vor allem für die Führung der geschlagenen kaiserlichen Armee.
Lindener Erklärung von Friedensgruppen aus BRD und DDR, beschlossen am 11.3.90 in Hannover-Linden
Lindener Erklärung von Friedensgruppen aus BRD und DDR, beschlossen am 11.3.90 in Hannover-Linden I
Ausgelöst durch Glasnost und Perestroika zerbricht in dieser Zeit die Nachkriegsordnung. Europa steht nun vor der Aufgabe, eine Friedensordnung aufzubauen, die der durchgreifenden Entmilitarisierung und der Kooperation zum gegenseitigen Nutzen auf ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellem Gebiet verpflichtet ist. Wir plädieren dafür, die politische Neuordnung Europas demokratisch zu legitimieren und im Rahmen der KSZE auszubauen. Unter Beteiligung aller KSZE-Staaten ist die Gestaltung der deutsch-deutschen Beziehungen den Verpflichtungen der zu schaffenden gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsstruktur unter Einschluß der UdSSR und Polens unterzuordnen. Die Militärbündnisse sind zugunsten dieser Struktur aufzulösen.
Während über die kapitalistische Produktionsweise keiner mehr redet, ist die Organisation von Politik durch das Militärische, inner- wie zwischenstaatlich, in eine strukturelle Legitimationskrise geraten.
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