Weg zur Kirche des Gerechten Friedens

Weg zur Kirche des Gerechten Friedens

Eine badische Initiative

von Theodor Ziegler

Die Badische Landeskirche startete im Frühjahr 2012 einen Diskussionsprozess zu einer Neuorientierung der Friedensethik. Ausgangspunkt war eine Eingabe des Kirchenbezirks Breisgau-Hochschwarzwald im Jahr 2011, der eine Neuorientierung der Friedensethik beantragt hatte. Die Mitglieder des »Arbeitskreises Frieden« forderten darin die Abkehr von der militärischen Konfliktregelung und ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit als einziger Option in der Landeskirche. Der Autor beschreibt die Hintergründe dieser Initiative und wie sich sie inzwischen über Baden hinaus entwickelt hat.

Für die frühe Christenheit waren der Gewaltverzicht und damit die Ablehnung militärischer Gewalt weitgehend eine Selbstverständlichkeit. Doch im Gefolge der konstantinischen Wende (ab dem Jahr 312), in der das Christentum zur römischen Staatsreligion wurde, entwickelte sich ein enges Verhältnis zwischen Kirche und Militär. Das ist in Deutschland bis heute auf jedem Panzer, jedem Bomber und jeder Rakete der Bundeswehr in Form des »Tatzenkreuzes« (dem Hoheitszeichen des deutschen Militärs) oder an militärischen Verdienstkreuzen sichtbar sowie durch die kirchlich verantwortete und staatlich bezahlte Militärseelsorge institutionalisiert. Die großen Volkskirchen trugen unzählige Kriege ihrer jeweiligen Staaten gegeneinander mit; auch die protestantischen Kirchen protestierten in ihrer 500-jährigen Geschichte gegen keinen einzigen Krieg. Die nationale Bindung war wesentlich bedeutsamer als die religiöse.

Diejenigen Christ*innen, die zu Zeiten der Reformation in der Nachfolge Jesu auf militärische Gewalt und Todesstrafe verzichten wollten, wurden von den Reformatoren in Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses (Confessio Augustana)1 von 1530 verdammt, was Verfolgung, Folter und Hinrichtung nach sich zog. Bis heute stehen diese unsäglichen, evangeliumswidrigen Auffassungen unwiderrufen und kaum kritisch kommentiert im Anhang der evangelischen Kirchengesangbücher und bilden die für alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen gültige Bekenntnisgrundlage. Als eine Radler*innengruppe des Internationalen Versöhnungsbundes im vergangenen September den Artikel 16 des Confessio Augustana in einem Postpaket mit der Angabe »Annahme verweigert« von Augsburg nach Wittenberg überbrachte, wurde dies sowohl von der Reformationsbotschafterin Margot Käsmann wie auch von der mitteldeutschen Landesbischöfin Ilse Junkermann nur mit Schweigen quittiert – obwohl beide frühzeitig angefragt waren und für eine eher kritische Haltung bekannt sind. Ein Lichtblick ist es daher, dass der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Bremer leitende Geistliche Pastor Renke Brahms, inzwischen dringenden Handlungsbedarf signalisierte.2

In ihrer letzten Friedensdenkschrift von 20073 stellte die EKD fest, dass es keine gerechten Kriege geben könne, und bekannte sich zum gerechten Frieden und zur vorrangigen Option der Gewaltfreiheit, was jedoch der militärischen, wenn auch nachrangigen, Option weiterhin die Existenzberechtigung und kirchliche Billigung verlieh und an der engen Kooperation zwischen Kirche und Militär nicht das Geringste änderte. Ein im Afghanistan-Einsatz befindlicher Militärpfarrer bezeichnete die Bundeswehrsoldaten gar als „Krieger des Lichts und seinen dortigen militärseelsorgerlichen Versammlungsraum als „Gottesburg“.4 Und der vormalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider zelebrierte im Mai 2011 in der Abflughalle des Flughafens Köln-Wahn vor einer Maschine der Bundesluftwaffe einen ZDF-Fernsehgottesdienst.5

Eingabe

Diese Widersprüchlichkeiten, aber auch die damalige Jahreslosung „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römerbrief des Paulus, Kap. 12, Vers 21), veranlassten im Jahr 2011 den Friedenarbeitskreis im Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald, mit einer Eingabe6 an die badische Landessynode eine am Vorbild und Evangelium Jesu Christi orientierte Neuausrichtung kirchlicher Friedensethik anzuregen: So wirke Gewaltfreiheit nur dann, wenn sie die einzige Option sei, ohne eine militärische Keule in der Hinterhand. Auch sei die Vorrangigkeit der gewaltfreien Option kaum gegeben, wenn die Bundesregierung für den Zivilen Friedensdienst gerade ein Promille der finanziellen Mittel ausgebe, die für die eigentlich nachrangige Option militärischer Gewalt fraglos zur Verfügung stünden. Die EKD verkenne die Eigendynamik des – an seiner Unersetzlichkeit arbeitenden – militärisch-industriellen Komplexes und schweige zu der sich daraus ergebenden führenden Rolle Deutschlands als Rüstungsexporteur. Hingegen wäre das Eintreten gegen wie auch immer begründete Auslandseinsätze der Bundeswehr und deren Ablösung durch die Entwicklung nichtmilitärischer Konfliktregelungsmechanismen im internationalen Bereich unmittelbarer Ausdruck der Nachfolge des die Gewaltlosen und die Friedensstifter seligpreisenden Jesus Christus und damit eine Form politischer Diakonie. Weil Gewaltfreiheit jedoch nicht erzwungen werden könne, sondern von der Überzeugung und Bereitschaft der sie praktizierenden Menschen abhänge, sei eine breite Diskussion in Gemeinden und Kirchenbezirken erforderlich. Nicht zuletzt müsse sich auch die EKD als Gesprächspartnerin der Bundesregierung auf diese Diskussion einlassen.

Friedensethische Diskussion in Baden

Die badische Landessynode beauftragte den Evangelischen Oberkirchenrat mit dem »Entwurf eines Diskussionspapiers zur Friedensethik«. Darin wurde die Eingabe auf eine noch breitere argumentative Basis gestellt. Die Militärseelsorge war bewusst nicht beteiligt, jedoch als Erste um eine Stellungnahme7 gebeten worden, die anschließend mit dem Diskussionspapier den Kirchenbezirken zuging. Diese konnten nun Stellung beziehen, was 23 von 25 Bezirkssynoden auch taten. Aufgrund dieser Befassungen und nach einem friedensethischen Studientag traf die Landessynode nach einem zweijährigen Konsultationsprozess am 24. Oktober 2013 einen bemerkenswerten Beschluss: Ausgehend von der Selbstkritik, dem Friedensthema bislang zu wenig Beachtung geschenkt zu haben, sowie der Erkenntnis des Zusammenhangs unseres Konsumverhaltens mit dem weltweiten Unfrieden, wolle man den Weg zur »Kirche des Gerechten Friedens« einschlagen. Für die erste Etappe wurden zwölf Punkte benannt, darunter friedensethische Gespräche mit Politiker*innen, ein Forschungsauftrag zur Frage einer internationalen Polizei anstelle von Militär, das Eintreten für sofortigen Rüstungsexportstopp in Krisengebiete und mittelfristig deren gänzliche Einstellung sowie der Einsatz für mehr soziale und Klimagerechtigkeit. Auch wenn unter den Synodalen eine pazifistische Position, wie die der Friedenskirchen, vermutlich noch nicht mehrheitsfähig gewesen sein dürfte, so wurde doch die Erarbeitung eines Entwurfs für ein Ausstiegsszenario aus der militärischen Friedenssicherung, gleich dem schon vom Bundestag beschlossenen Ausstieg aus der atomaren Energiegewinnung, in Auftrag gegeben.

Damit parallel dazu auch auf der EKD-Ebene die friedensethische Position weiterentwickelt wird, bat das badische Forum Friedensethik Mitchrist*innen aller EKD-Gliedkirchen um Unterstützung des »Karlsruher Aufrufs 2015/16 an die EKD«. Die beiden Kernsätze lauteten: „Die EKD braucht ein klares friedensethisches Leitbild zur Überwindung des Krieges.“ Sie „möge sich für einen friedenspolitischen Wandel von der gegenwärtigen, auf militärischer Stärke und Einsatzbereitschaft basierenden Sicherheitslogik hin zu einer friedenslogischen Politik, die auf gewaltfreie Konfliktbearbeitung und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung setzt, engagieren. Dieser von rund 3.000 Personen unterstützte Antrag war ein wichtiger Impuls für die Entscheidung des EKD-Synodalpräsidiums, nach einer dieses Jahr stattfindenden vorbereitenden Konsultation die Synodaltagung 2019 dem Themenschwerpunkt Frieden zu widmen.

Projektgruppe Militärausstiegsszenario

Die thematisch weitestgehende Aufgabenstellung des badischen Synodalbeschlusses war der Entwurf eines Militärausstiegsszenarios. Eine interdisziplinäre, Landeskirchen und Konfessionen übergreifende Arbeitsgruppe wurde damit betraut. Wie in der Szenarienforschung üblich, wurde zunächst ein Trendszenario als Fortschreibung der gegenwärtigen militärischen Sicherheitspolitik formuliert. Daneben gestellt wurde ein Negativszenario, das die mögliche Eskalation regionaler Konflikte zu großen Kriegen bis hin zu Atomkriegen oder einem Atomkrieg aus Versehen beinhaltet. Das Positivszenario hingegen zeigt die Entwicklung auf, die in Folge einer friedenslogisch orientierten Außen- und Sicherheitspolitik bis 2030/2040 möglich werden könnte.

In einer ersten Reflexionsrunde wurde das Szenario mit Expert*innen aus Friedensbewegung und -forschung, Militär, Kirche und Politikwissenschaft diskutiert, die einen solchen Zukunftsentwurf als bislang einzigartig und notwendig erachteten. Ihre Anregungen wurden in die Überarbeitung des Szenarios einbezogen, welches am 28. April 2018 auf einem friedensethischen Studientag in Karlsruhe den Synodalen und der Fachöffentlichkeit vorgestellt werden soll. Entscheidend wird dabei sein, die Weiterarbeit professionell zu institutionalisieren, um den Ansatz friedenslogischer Politik nachhaltig in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einzubringen. Dabei könnte eine Kooperation mit Organisationen wie Brot für die Welt und Misereor, die schon lange an den Wurzeln des Unfriedens arbeiten und zusammen mit verschiedenen Friedensorganisationen, wie dem Forum Ziviler Friedensdienst, im Mai 2017 das wichtige Hintergrundpapier »Deutschlands Verantwortung in der Welt? Friedensförderung!« erstellten,8 von großer Bedeutung sein.

War das friedensethische Diskussionspapier von 2011 nur bis zu den Bezirkssynoden gereicht worden, so soll das Militärausstiegsszenario unter dem Titel »Sicherheit neu denken – Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik. Ein Szenario bis zum Jahr 2040« auch in den Kirchengemeinden vorgestellt und diskutiert werden.

Pilgerfahrt nach Büchel

Das Bemühen um konstruktive Alternativen entbindet jedoch nicht davon, zu den akuten Gefahren der militärischen Friedenssicherung kritisch Stellung zu beziehen, wie umgekehrt die Militärkritik der Glaubwürdigkeit wegen immer mit dem Aufzeigen von Alternativen verbunden sein sollte. Deshalb initiierte das badische Forum Friedensethik schon mehrfach Fahrten zu Aktionstagen am Atombombenstandort Büchel in der Eifel. Auch für den ersten Jahrestag der Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrages durch 122 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen9 lädt das badische Forum Friedensethik, dieses Mal zusammen mit Friedensinitiativen aus sieben Landeskirchen, für den 7. Juli 2018 zu einer Pilgerfahrt möglichst vieler Gemeindegruppen und kirchenleitenden Persönlichkeiten nach Büchel ein. Mit einem Gottesdienst am Zaun des Fliegerhorstes, Ansprachen und einem Kulturprogramm soll das »Nein« zur Friedenssicherung mit Massenvernichtungswaffen bekundet und zu einer zivilen Friedenspolitik ermutigt werden (nähere Informationen beim Autor).

Anmerkungen

1) Text siehe unter Ökum. Initiative zur Abschaffung/Reform der Militärseelsorge: Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana), Artikel 16; militaerseelsorge-abschaffen.de.

2) epd (2017): Friedensbeauftragter – »Augsburger Bekenntnis« kritisch diskutieren. Chrismon, 23.6.2017.

3) EKD (2007): Aus Gottes Frieden leben – für den gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

4) Vgl. ARD-Dokumentation von Tilman Jens: Töten für den Frieden. 1.12.2010.

5) Freiheit am Hindukusch verteidigt? Mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Niklaus Schneider. zdf.de – Gesellschaft – Gottesdienste, 15.5.2011.

6) Evangelische Landeskirche in Baden: Der friedensethische Prozess in Baden ab 2011; ekiba.de. Hier stehen sämtliche im Artikel erwähnte Dokumente des friedensethischen Diskussionsprozesses zum Download bereit.

7) Das zuständige Militärdekanat München begrüßte die mit dem Diskussionspapier verbundene Initiative, insbesondere die friedenspädagogischen Aspekte. Mit Rückgriff auf die These von der „noch nicht erlöste Welt“ (5. These der Barmer Theologischen Erklärung) wird jedoch militärische Gewalt als ultima ratio für notwendig erachtet.

8) Brot für die Welt u.a. (2017): Deutschlands Verantwortung in der Welt? Friedensförderung! Hintergrundpapier vom Mai 2017; ziviler-friedensdienst.org.

9) Zu dem Vertrag siehe Bernd Hahnfeld (2018): Völkerrecht versus Atomwaffen – Der Atomwaffenverbotsvertrag. S. 47 dieser W&F-Ausgabe.

Theodor Ziegler, Religionspädagoge M.A., ist Leitungskreismitglied im Forum Friedensethik in der Evangelischen Landeskirche in Baden; zieglertheodor@wanadoo.fr.

Frieden verstehen – Konflikte gestalten

Frieden verstehen – Konflikte gestalten

Peace Summer School, 31. Juli-5. August 2017, Augsburg

von Svenja Burst, Theresa Werner und Nora Schröder

Augsburg ist Friedensstadt! Dies geht zurück auf den Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555, der die Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben verschiedener Konfessionen schaffen sollte. Daran wird jedes Jahr am 8. August im Rahmen des »Augsburger Hohen Friedensfests« erinnert. Das dazugehörige Kulturprogramm, in dessen Rahmen die Peace Summer School stattfand, kommt dem Auftrag nach, auf ein friedlicheres Miteinander in der Gegenwart hinzuarbeiten und aktuelle Friedensfragen zu thematisieren. Denn auch heute, viereinhalb Jahrhunderte später, sind für uns Fragen nach dem friedlichen Zusammenleben in einer heterogenen Gesellschaft hochaktuell: Wie können wir Konflikte in unserem Umfeld – privat, im beruflichen oder im gesellschaftlichen Kontext – gestalten? Welches Verständnis von Frieden liegt unserem Handeln und Wirken zugrunde?

Aus einer Initiative des AK Curriculum und Didaktik der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) entstand die Idee, Angebote für die Studierenden der unterschiedlichen Studienstandorte in der Friedens- und Konfliktforschung zu entwickeln. Einerseits wurde ein wachsendes Interesse an praxisorientierten Themen und Konzepten beobachtet, andererseits verstärkte sich vielerorts das Bedürfnis, die Expertise verschiedener Standorte, Praxiserfahrungen und die verschiedenen curricularen Schwerpunkte miteinander zu verknüpfen, um so ein übergreifendes Angebot für engagierte Studierende und Praktiker*innen zu schaffen. Ein solches wissenschaftliches Qualifizierungsangebot 2017 erstmals in das Augsburger Friedensfestprogramm aufzunehmen, wurde vom Friedensbüro der Stadt Augsburg außerordentlich begrüßt und vom Kulturamt großzügig finanziell gefördert.

Der Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg, geleitet von Prof. Dr. Christoph Weller, fand im Alumniverein Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung Augsburg (ASKA e.V.) und dem Evangelischen Forum Annahof geeignete Kooperationspartner für die Umsetzung der im AK Curriculum geborenen Summer-School-Idee. Die Ausschreibung traf auf breites Interesse, so dass in der Woche vom 31. Juli bis zum 5. August über 50 Teilnehmer*innen und Veranstalter*innen in einem historischen Schulhaus mitten in Augsburg zusammen kamen, um sich mit verschiedenen Ansätzen der Friedens- und Konfliktforschung auseinanderzusetzen. Die Teilnehmenden kamen aus mehr als 20 verschiedenen Städten und Universitäten des gesamten Bundesgebiets, aus Großbritannien und der Schweiz und auch aus Augsburg selbst. Alle Interessierten konnten sich für Stipendien des ASKA zur Förderung der Tagungsgebühr bewerben, die an fünf besonders qualifizierte Teilnehmer*innen vergeben wurden.

Das Angebot der Peace Summer School umfasste vier Module, die von Wissenschaftler*innen der Universität Augsburg und externen Referent*innen geleitet wurden. Das Modul »Basistraining Mediation« vermittelte Grundkenntnisse und Kompetenzen dieser Konfliktbearbeitungsmethode und wurde geleitet von Referent*innen des Instituts für Mediation, Konfliktmanagement und Ausbildung (IMKA) Augsburg. Neue Zugänge zu Friedens- und Konflikttransformation durch erfahrungsgebundene, atem-, stimm- und bewegungsorientierte Übungen ermöglichten Dr. Norbert Koppensteiner (Universität Innsbruck) und Rebecca Gulowski (Universität Augsburg) im Modul »Embodied Peacework«. Die Frage, wie man »Konflikte analysieren und gestalten« kann, stand im Mittelpunkt eines von Prof. Christoph Weller geleiteten Moduls, das sich der Analyse von Konflikten und deren konstruktiver Bearbeitung widmete. Welche Methoden und Orientierungen die »Friedenspädagogik in Zeiten von Hass und Ausgrenzung« anbietet, lernten die Teilnehmenden im gleichnamigen Modul durch die Auseinandersetzung mit aktuellen Problemstellungen, wie Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Mobbing, Othering und Ausgrenzungsdiskursen, angeleitet von Mitarbeiter*innen der Arbeitsgemeinschaft für Friedenspädagogik e.V. (AGFP) in München.

Das Rahmenprogramm war vielfältig gestaltet mit Abendveranstaltungen, die das Modul-Programm um weitere Perspektiven und Formate ergänzten. Der Auftaktvortrag von Dr. Norbert Koppensteiner eröffnete die Peace Summer School mit Einblicken in den Innsbrucker Ansatz der elizitiven (»hervorlockenden«) Konflikttransformation; im Alumni-Café, das vom ASKA e.V. vorbereitet wurde, tauschten sich die Teilnehmenden mit Absolvent*innen des Augsburger MA-Studiengangs »Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung« aus; einen neuen Blickwinkel auf das Thema Flucht und Vertreibung eröffnete ein Erfahrungsbericht von Pappy Orion, der von der eigenen Fluchtgeschichte vor dem Krieg im Ostkongo berichtete. Zusätzlich konnten Interessierte jeden Morgen mit einer geleiteten Meditation den Tag beginnen. Abgerundet wurde die gemeinsame Lernerfahrung durch ein feierliches Get-Together mit Live-Musik und Live-Painting, bei dem Eindrücke und Erfahrungen auch zwischen den verschiedenen Modulen ausgetauscht und die Bekanntschaften der Peace Summer School gefestigt wurden.

Dieses vielseitige Programm wurde ermöglicht durch die enge Kooperation des Lehrstuhls mit dem ASKA e.V., dem Friedensbüro der Stadt Augsburg, dem Evangelischen Forum Annahof und finanziell gefördert durch das Kulturamt der Stadt Augsburg. Sowohl diese gelungenen Kooperationen als auch die zentrale Lage des Veranstaltungsortes im Herzen der Stadt Augsburg und das vielseitige Programm waren wichtige Voraussetzungen für den großen Erfolg der Peace Summer School – entscheidend sind am Ende jedoch immer die Teilnehmenden selbst. Sie waren es, die die Peace Summer School zu einer einzigartigen, prägenden und motivierenden Erfahrung machten, die uns allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Dazu hat auch die große Heterogenität der Teilnehmenden beigetragen, denn sie waren nicht nur von ganz verschiedenen Orten, sondern auch mit ganz unterschiedlichen Erwartungen angereist. Wie sich in persönlichen Gesprächen schnell zeigte und sich später in den Evaluationsergebnissen bestätigte, suchten viele Teilnehmende nach der Möglichkeit einer »Kostprobe« der Friedens- und Konfliktforschung. Sei es, weil sie aus Augsburg stammen, aber die Arbeit des Lehrstuhls für Friedens- und Konfliktforschung nicht kannten, sei es, weil sie in ihrem Studium bereits mit einzelnen Aspekten des Forschungsfelds in Kontakt gekommen sind oder sich in ihrer beruflichen Praxis mit Fragen zu Frieden und Konflikt auseinandersetzen. Doch auch viele Studierende der Friedens- und Konfliktforschung und angrenzender Disziplinen fanden ihren Weg nach Augsburg in der Erwartung, sich mit »Interessengeschwistern« auszutauschen – wozu die Peace Summer School reichlich Möglichkeiten bot.

Die Augsburg Peace Summer School war auch eine Gelegenheit, Perspektiven und Methoden der Friedens- und Konfliktforschung kennenzulernen, die im jeweils eigenen Studiengang nicht angeboten werden, oder sich vertiefend mit einzelnen Ansätzen und Fragestellungen auseinanderzusetzen. Besonders für Nachwuchswissenschaftler*innen boten die Module Orientierung in Bezug auf die spätere Berufswahl und eine hilfreiche Möglichkeit zur Schärfung des Profils. Im Mittelpunkt der persönlichen Auseinandersetzung stand für viele Teilnehmende die Reflexion des eigenen Selbstverständnisses als Friedens- und Konfliktforscher*in sowie die Relevanz des Gelernten für die eigene Lebensrealität. Am Ende der Woche verließen die Teilnehmer*innen die Friedensstadt Augsburg nicht nur mit einem Zertifikat, sondern auch mit vielen bereichernden Erfahrungen und Kontakten. Ob ähnliches auch beim Friedensfest 2018 angeboten wird? Man darf gespannt sein!

Svenja Burst, Theresa Werner, Nora Schröder

Vom Umgang mit Konflikten


Vom Umgang mit Konflikten

Was Friedensarbeit und Beratung verbindet

von Daniela Pastoors

Zivile Konfliktbearbeitung und Beratung haben vieles gemeinsam. In beiden Tätigkeitsfeldern können Expert*innen entweder Ratschläge geben oder sogar Lösungen vorschreiben; beide Felder eröffnen aber auch die Möglichkeit, einen Raum zu bieten für Entwicklungsprozesse und für die Selbsthilfe. Dies hat für die Begleiter*innen von Prozessen der Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation Konsequenzen: Es bedarf der Räume, Möglichkeiten und Anregungen für Selbstreflexion – eine weitere Gemeinsamkeit mit der Beratung.

Was macht Friedensarbeit aus? Wie können Konflikte nachhaltig bearbeitet werden? Das sind Fragen, die vermutlich viele Menschen umtreiben, die sich für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensprozesse einsetzen. Sei es auf zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher oder völkerrechtlicher Ebene: Bestimmte Erkenntnisse über Frieden und Konflikt sind auf allen Ebenen relevant, prägt doch das Verständnis von Konflikten in hohem Maße ihre Bearbeitung.

Wird ein Konflikt als Problem gesehen, liegt der Fokus auf den Risiken und der Möglichkeit, dass sich die Situation durch den Konflikt verschlechtert. Ein solches Konfliktverständnis ruft danach, Konflikte zu vermeiden oder möglichst schnell zu beenden, wie Begriffe wie »conflict prevention« (Konfliktvorbeugung), »peace enforcement« (Friedenserzwingung) oder »conflict resolution« (Konfliktlösung) nahe legen.1 Wird dagegen anerkannt, dass Konflikte häufig komplexere Lösungen brauchen, rücken damit die Formen der »Konfliktregelung«, des »Konfliktmanagements« und der »Konfliktlösung« in den Mittelpunkt. Kompromisse werden in Betracht gezogen. Dennoch wird der Konflikt hier vor allem mit seinen destruktiven Gefahren und als zu lösendes Problem gesehen.

Die »Konfliktbearbeitung« und besonders die »Konflikttransformation« nehmen dagegen auch das Veränderungspotential von Konflikten wahr (Lederach 2003, S. 4) – Veränderungen, die sowohl destruktiver als auch konstruktiver Art sein können. Es werden kreative Win-win-Vereinbarungen angestrebt, die allen Beteiligten nützen. Vor allem die Art des Umgangs mit Konflikten entscheidet darüber, ob sie eskalieren und zerstörerisch wirken oder ob sie als Warnsignal aufgenommen werden und dafür gesorgt wird, dass tieferliegende, strukturelle Konfliktursachen an das Licht kommen und bearbeitet werden können. Ziel dieser Herangehensweise an Konflikte ist es, die Konfliktenergie zu nutzen, um die Situation in konstruktiver Weise in eine für alle wünschenswerte Zukunft zu transformieren.

Ratschläge geben oder Prozesse begleiten – wie wird interveniert bzw. beraten?

Zivile Konfliktbearbeitung beschreibt nicht-militärische und gewaltarme Umgangsweisen mit Konflikten und umfasst sowohl die Austragung durch die Konfliktparteien selbst als auch Interventionen Dritter (Schweitzer 2004, S. 510). In der eigenen Austragung von Konflikten sind Akteure immer parteilich, bei externen Interventionen sind sowohl parteiliche als auch unparteiliche Einmischungen möglich.

Bei Interventionen lassen sich viele verschiedene Konfliktbearbeitungsansätze unterscheiden, die sich in manchen Bereichen schon fest etabliert haben. Die Vielfalt der Interventionen lässt sich z.B. gut am Grad der Selbstbestimmung einordnen, der den Konfliktparteien innerhalb dieser Verfahren verbleibt. In einem Gerichtsprozess geben die Parteien die Entscheidungsgewalt an die/den Richter*in ab, bei Schiedsverfahren zum Teil ebenfalls. Bei Schlichtungen behalten sie mehr Befugnisse, und bei Mediation, Moderation und Aushandlung unter den Augen Dritter können sie besonders viel selbst bestimmen, sowohl was das Ergebnis als auch was die Gestaltung der Rollen oder des Prozesses angeht (Glasl 2011, S. 445). Wird der Blick auf die Drittpartei und ihr Handeln in der Intervention gelegt, können die Vorgehensweisen ebenfalls auf einer Skala angeordnet werden, nämlich von direktiv bis nicht-direktiv. So interveniert eine Drittpartei durch die Beobachtung eines Verfahrens sehr viel weniger direktiv als sie es beispielsweise in einem Training oder in der Anwaltschaft tut.

Auch in der Beratungswissenschaft wird zwischen verschiedenen Beratungsformaten unterschieden. Im Alltag wird Beratung vor allem als Ratschlag-Geben verstanden. Im professionellen Sinne verbirgt sich jedoch viel mehr hinter dem Begriff. So will Beratung Entwicklungsprozesse unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe sein, indem sie Klient*innen eine Orientierungs-, Planungs-, Entscheidungs- und Bewältigungshilfe bietet (Schnoor 2006, S. 7). Durch die Beratung soll die Handlungssicherheit der Klient*innen zur Bewältigung aktueller Krisen und Probleme erhöht werden. Dabei gibt es Beratung im informellen, privaten Bereich ebenso wie verschiedene Formen halb-formalisierter und formalisierter Beratung in professionellen Settings, wie in der Sozialen Arbeit oder in expliziten Beratungseinrichtungen. Neben den verschiedenen Beratungsansätzen und Schulen, wie der psychodynamischen, behavioristischen, systemischen oder humanistisch fundierten Beratung, gibt es auch unterschiedliche Beratungsformate, wie Mentoring, kollegiale Beratung, Mediation, Coaching, Supervision, Organisationentwicklung. Sie legen mit ihrer Art der Intervention je spezifische Schwerpunkte. Zum Teil ist eine externe Beratungsperson, z.B. ein*e Supervisor*in, involviert, zum Teil können die Beratungsformate unter »Peers« oder kollegial, also ohne externe Person, durchgeführt werden.

Zudem wird zwischen zwei Beratungsarten unterschieden: der Expert*innenberatung, bei der vor allem die Wissens- und Informationsvermittlung im Mittelpunkt steht, und der Prozessberatung, in der es u.a. um (Selbst-) Reflexionsprozesse und die Bedeutung des neuen Wissens für den eigenen Lebensweg geht (DGfB 2015). Plakativ gesprochen werden im einen Fall mehr Antworten gegeben und im anderen Fall mehr Fragen gestellt. In der Realität gibt es viele Mischformen dieser Beratung, aber insbesondere professionelle, formalisierte Beratungsarbeit zeichnet sich durch den Fokus auf Reflexivität aus. Ob es sich bei einer Beratung mehr um »Consulting« mit Expert*innenwissen oder um psychosoziales »Counseling« handelt, hängt auch davon ab, ob primär das Ergebnis im Vordergrund steht oder ob es stärker um die Kompetenzentwicklung der beratenen Personen geht (Champion et al. 1990, S. 68). Verschiedene Beratungsformen streben daher verschiedene Zielsetzungen an, bei denen teils der Prozess und teils das Ergebnis stärker betont wird.

Friedens- und Konfliktarbeit als Beratung?

Es zeigen sich also bereits viele Parallelen zwischen den verschiedenen Ansätzen der Konfliktbearbeitung und der Beratung, die alle als Interventionen verstanden werden können, wenn externe Drittparteien hinzugezogen werden.

In der Konflikttransformation werden die Herangehensweisen an Konflikte auch als »vorschreibend« (präskriptiv) oder »hervorlockend« (elicitiv) bezeichnet, je nachdem, ob eher die Ideen der Drittpartei oder die der Konfliktparteien im Vordergrund stehen (Lederach 1995, S. 65).

In einem technokratischen Verständnis von Konflikt mit Fokus auf die Symp­tome (z.B. direkte Gewalt) bedarf es lediglich bestimmter »Tools« und Instrumente, um einen Konflikt zu lösen, und der Blick richtet sich auf das Ergebnis, das Ziel, die Lösung. Die Drittpartei ist als Expert*in dazu da, neue Inhalte und Strategien zu vermitteln, die die Konflikt­akteur*innen übernehmen sollen. Hier zeigt sich die Parallele zur Expert*innenberatung.

Wenn es aber um die Transformation eines Konfliktes geht und nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen angegangen werden, rücken der Prozess und die Veränderungen, die währenddessen geschehen, in den Blick. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich Konfliktparteien in einem Mediationsprozess begegnen, im Gespräch zu Erkenntnissen gelangen und sich ihre Einstellung verändert. Die hervorlockende Art der Konflikttransformation will aus dem bereits vorhandenen Wissen und Können der Akteur*innen schöpfen (Dietrich 2011, S. 18). Die Drittpartei hat dann vor allem die Aufgabe, einen sicheren Rahmen zu schaffen und den Prozess zu begleiten, genau wie es in der Prozessberatung angedacht ist.

Konflikttransformation braucht Selbstreflexion!

Wenn Frieden nicht als fernes Ziel, sondern als ständiger Prozess verstanden wird, dann wird deutlich, dass Friedensarbeit Prozessbegleitung ist und Prozessbegleiter*innen mit entsprechenden Kompetenzen braucht. Die hervorlockende Konflikttransformation erfordert eine grundlegend andere Haltung als das vorschreibende Vorgehen und darauf aufbauend bestimmte Fähigkeiten, die diese begleitende Arbeit ermöglichen. Die klassischen Grundpfeiler aus dem personenzentrierten Ansatz sind auch hier von Bedeutung: Präsenz, Echtheit, Akzeptanz und Empathie (Rogers 1981). Wenn die Drittpartei authentisch ist, ihr Gegenüber anerkennt und wertschätzt und sich zudem einfühlen kann, dann wirkt sie schon durch ihre Anwesenheit. In der hervorlockenden Konflikttransformation werden außerdem Aufmerksamkeit für sich und die Mitwelt, Balance zwischen Mitgefühl und Selbstschutz sowie kongruente Kommunikation hervorgehoben, die für Friedensarbeiter*innen zentrale Prinzipien sind (Dietrich 2014, S. 53). Egal welche Fähigkeiten nun besonders in den Mittelpunkt gestellt werden: Deutlich wird, dass diese Formen der Begleitung und Beratung die Fähigkeit zur Reflexion und besonders der Selbstreflexion benötigen, um sich die eigene Haltung und die eigenen Fähigkeiten überhaupt bewusst machen und dann daran und damit arbeiten zu können.

Für diese Selbstreflexivität braucht es Räume, Möglichkeiten und Anregungen. Daher sind auch die Beratung und Begleitung von Friedens- und Konfliktarbeiter*innen und die Schaffung solcher reflexiver Räume von enormer Bedeutung für die Konflikttransformation – nicht nur zur Prävention von Burnout und anderen Risiken der Arbeit, sondern deshalb, weil die Reflexion als wichtiger Bestandteil der Arbeit verstanden wird, die die Professionalisierung von Friedens- und Konfliktarbeit stärkt und eine Friedensprozessbegleitung erst möglich macht.

Anmerkung

1) Natürlich werden die Begriffe unterschiedlich verwendet und decken sich nicht immer mit den genannten Konfliktverständnissen, dennoch geben die sprachlichen Bilder wertvolle Hin­weise.

Literatur

Champion, D.P.; Kiel, D.H.; McLendon, J.A. (1990): Choosing a consulting role. Training and Development Journal, Vol. 44, No. 2, S. 66-69.

Deutsche Gesellschaft für Beratung/DGfB (2015): Beratung in der reflexiven Gesellschaft. Köln: DGfB, Positionspapier; dachverband-beratung.de.

Dietrich, W. (2014): A Brief Introduction to Transrational Peace Research and Elicitive Conflict Transformation. Journal of Conflictology, Vol. 5. No. 2, S. 48-57.

Dietrich, W. (2011): Variationen über die vielen Frieden. Band 2: Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik. Wiesbaden: Springer VS.

Glasl, F. (2011): Konfliktmanagement – Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Bern: Haupt.

Lederach, J.P. (2003): Little Book of Conflict Transformation – Clear Articulation Of The Guiding Principles By A Pioneer In The Field. Intercourse, PA: Good Books.

Lederach, J.P. (1995): Preparing for Peace – Conflict Transformation across Cultures. Syracuse, N.Y.: Syracus University Press.

Rogers, C.R. (1981): Der neue Mensch. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schnoor, H. (Hrsg.) (2006): Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.

Schweitzer, C. (2004): Zivile Interventionen. In: Sommer, G; Fuchs, A. (Hrsg.): Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz, S. 508-521.

Daniela Pastoors ist Friedens- und Konfliktforscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft in Marburg, lehrt im Bereich Konflikttransformation und Gewaltfreie Kommunikation und promoviert zur Begleitung und Beratung von Fachkräften im Zivilen Friedensdienst.

Friedenslogik weiter gedacht

Friedenslogik weiter gedacht

von Christiane Lammers

Im W&F-Dossier 75, »Friedenslogik kontra Sicherheitslogik«, erschienen als Beilage zu Heft 2-2014, veröffentlichte W&F den Beitrag »Friedenslogik und friedenslogische Politik« von Hanne-Margret Birckenbach. Das Dossier resultierte im Wesentlichen aus Vorträgen, die bei der Jahrestagung 2012 der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung gehalten worden waren. In einem Projekt der Plattform wird nun weiter über diese Friedenslogik nachgedacht.

Schon seit 2010 liegt der Begriff »Friedenslogik« im Kontext der Friedensarbeit in der Luft. Menschen und Organisationen, die in der entwicklungspolitischen und in der Menschenrechtsarbeit, in der Friedensbewegung oder in der konkreten Friedensarbeit in Konfliktgebieten aktiv sind, wurden damit konfrontiert, dass ihre Arbeit von staatlichen Entscheidungsträger*innen zunehmend mit sicherheitspolitischen Zielen und Interessen verbunden wurde. In der Politik spricht man inzwischen wie selbstverständlich von der »vernetzten Sicherheit«.

Friedenslogik:
Wie der Begriff entstand

Bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelte sich darüber Unmut, weil klar ist, dass hier eine Vereinnahmung stattfindet, die sie aus guten Gründen nicht mitvollziehen wollen, denn Friedensarbeit und -politik gehen nicht von beliebigen Prämissen aus. Da stand plötzlich die »Friedenslogik« im Raum. Und wie es mit einer Wortgenese manchmal so ist: Eine Urheberschaft lässt sich für diesen Kunstbegriff nicht mehr festmachen, aber er wird zunehmend genutzt. Insofern zeichnen sich drei wichtige Funktionen des Begriffs »Friedenslogik« ab: Er stiftet Identität unter denjenigen, die ihre Arbeit explizit als Friedensarbeit verstehen; er bestimmt – Politik miteinbeziehend –, welchen Prinzipien ein gewaltpräventives Handeln folgt; damit kann er auch eine dritte Funktion erfüllen, nämlich aus Indifferenz herausführen und zur analytischen Durchdringung von Entscheidungen und Handeln im Sinne des »do no harm«-Ansatzes beitragen.

Handlungsdimensionen und Handlungsprinzipien

Den Kern der Friedenslogik bilden fünf Prinzipien, die mit fünf Handlungsdimensionen korrespondieren, zu denen sich jedwede politische Friedensarbeit verhält. Diese fünf Prinzipien wurzeln in Friedens- und Konflikttheorien ebenso wie in aus der Praxis gewonnenen Erkenntnissen. Die Handlungsdimensionen, um die es geht, lassen sich gut mit fünf Fragen beschreiben:

1. Was ist das Problem?

2. Wie ist das Problem entstanden?

3. Wie wird das Problem bearbeitet?

4. Wodurch wird eigenes Handeln gerechtfertigt?

5. Wie wird auf Scheitern und Misserfolg reagiert?

Bei Beantwortung dieser Fragen auf einer grundsätzlichen Ebene ergeben sich aus Perspektive der Friedenslogik folgende Handlungsprinzipien:

1. Gewalt soll verhindert bzw. gemindert werden.

2. Die für die Gewalt ursächlichen komplexen Konflikte werden mit einem besonderen Blick auf die eigene Rolle in dem Konflikt analysiert.

3. Dialog- und prozessorientiert wird eine kooperative Problemlösung angestrebt.

4. Legitim ist das Handeln durch den Rückbezug auf global gültige Normen.

5. Eine offene Reflexion über Erfolg und Misserfolg berücksichtigt auch mögliche gewaltfreie Alternativen.

Sicherheitslogik vs. Friedenslogik

Der friedenslogische Ansatz wird deutlicher in einer Gegenüberstellung mit den Mechanismen, die das auf Sicherheit fokussierte Handeln bestimmen, insbesondere das auf militärischem Instrumentarium fußende. In einer sicherheitspolitischen Betrachtung ist das Problem nicht die Gewalt, die Menschen erleiden, sondern das Problem sind Bedrohungen des eigenen abgegrenzten »Wir«, die durch »Andere« erzeugt werden. Statt einer Konfliktanalyse werden Schuld-Zuschreibungen vorgenommen, die die eigene Verantwortung für das ursächliche Aufkommen der Unsicherheit außen vor lassen. Die Bearbeitung des Problems erfolgt einseitig im Sinne des Selbstschutzes. Das Handlungsin­strumentarium zielt auf Abschreckung, Drohung und nötigenfalls auch Gewalt nutzende Elimination. Die Legitimation für dieses Handeln wird nicht aus den global gültigen Menschenrechten gezogen, sondern aus den entsprechend hoch eingestuften eigenen Interessen. Bei Misserfolg erwachsen aus der Reflexion über die Wirkung des eigenen Handelns keine Selbstkritik und keine Suche nach echten Alternativen, sondern es wird eher eine Verstärkung des Mitteleinsatzes, d.h. eine Eskalation, ins Auge gefasst. Alternativ führt das eigene Scheitern zu einer Abkehr von jedwedem Engagement in dem Konflikt.

Ein Blick in das »Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« von 2016 lässt erkennen, dass die deutsche Sicherheitspolitik genau diesen Prämissen folgt. Ein Blick auf den Umgang mit derzeitigen Herausforderungen, z.B. den Umgang mit der Türkei, mit Nordkorea, mit Israel-Palästina und nicht zuletzt mit den flüchtenden Menschen, zeigt auch, wie bestimmend die Sicherheitslogik für die so genannte Realpolitik ist.

Frieden – Grundprinzip der Agenda für nachhaltige Entwicklung

In der »Agenda 2030«, am 25. September 2015 beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel der Staats- und Regierungschefs einstimmig verabschiedet und von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen als ein zukunftsweisendes Grundlagendokument anerkannt, ist Frieden weder ein Zustand noch der Gegenbegriff zu Krieg. Vielmehr wird Frieden neben den Handlungsfeldern Mensch, Planet, Wohlstand und Partnerschaft ausdrücklich als handlungsleitendes Prinzip für nachhaltige Entwicklung anerkannt. Mit dieser Verankerung als Prinzip soll Frieden tragende Bedeutung für alle Entscheidungen und Vorgehensweisen gewinnen: lokal, national, international, bis hin zu global. Die »Agenda 2030« folgt, wenn man so will, einem friedenslogischen Ansatz: Friedensarbeit und -politik ist nicht reduzierbar auf zwischenstaatliche, territoriale Konflikte und ist damit auch nicht allein Sache der Außen- und Sicherheitspolitik, sondern Frieden betrifft alle Politikfelder. Gesellschaftliche Akteure sind ebenso gefragt wie politische Akteure, ohne jedoch den jeweiligen Handlungsradius und die Verantwortlichkeiten außer Acht zu lassen.

Rohstoffressourcen –
ein Beispiel

Am Beispiel Rohstoffressourcen kann dies, hier in aller Kürze, veranschaulicht werden. In sicherheitspolitischen Dokumenten, z.B. dem »Weißbuch«, wird das Stichwort »Rohstoffe« ausschließlich im Kontext der Sicherung der Ressourcen zugunsten der eigenen wirtschaftlichen Interessen genannt. Das »Weißbuch« spricht davon, dass „angesichts der Vielzahl potenzieller Ursachen und Angriffsziele […] Deutschland mit seinen Verbündeten und Partnern flexibel Elemente seines außen- und sicherheitspolitischen Instrumentariums einsetzen [muss], um Störungen oder Blockaden vorzubeugen oder diese zu beseitigen“ (S. 41). Hierzu gehört beispielsweise die Operation Atalanta mit bis zu 600 deutschen Soldaten am Horn von Afrika. Als neues »Element« hervorgehoben werden die so genannten Ertüchtigungsinitiativen, die auf Beratung, Ausbildung und Ausrüstung (einhergehend mit Rüstungsexport) der staatlichen Sicherheitsorgane abheben.

Friedenslogisch betrachtet stellt sich das Beispiel Rohstoffressourcen vollkommen anders dar: Mit der Ausbeutung und Verwertung von Rohstoffen ist vielfache Gewalt verbunden. In rohstoffreichen Ländern gibt es häufig gewaltförmige Konflikte über den Besitz und die Kontrolle von Bergwerken, Infrastruktur und Handelswegen. Die Arbeiter*innen werden menschenunwürdig behandelt, ihre Rechte werden missachtet. Zudem sind Staaten, deren Einnahmen zu einem großen Teil aus dem Verkauf von Rohstoffen stammen, oft autoritär regiert, und Machthaber speisen ihren Machterhalt mit den Rohstoffgewinnen. Die Umweltzerstörung durch die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen zerstört die Lebensgrundlagen vieler Menschen und nährt damit auch zukünftige gewaltsame Konflikte.

Wir sind auf vielfältige Weise an diesen Gewaltkonflikten beteiligt: Unsere Exportwirtschaft hat eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen; unsere Banken finanzieren auch den Rohstoffmarkt; als mächtiger Staat gestalten wir die Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft mit; auch als Verbraucher*innen profitieren wir von den Zuständen. Deshalb können wir und unsere Politik zur Verminderung von Gewalt beitragen: wenn unsere Unternehmen und Banken stärker auf die Einhaltung der Menschenrechte bei ihren Zulieferern bzw. Kreditnehmern achten und dafür auf einen Teil der möglichen Rendite verzichten; wenn unser Staat Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, die Lieferketten menschenrechtskonform auszurichten; oder wenn die massiven Umweltkosten nicht auf die Produktionsländer und deren Gesellschaften abgewälzt werden, sondern die Unternehmen diese tragen müssen, letztlich also auch wir als Verbraucher*innen. Die Umsetzung einer menschenfreundlichen und umweltschonenden Wirtschaftsweise bei uns würde auch gewaltsamen Konflikten woanders vorbeugen.

Im Sinne der Friedenslogik wäre zu überprüfen, ob diese beispielhaft angeführten kleinen Schritte gewaltmindernd wirken. Sicherlich gibt es noch weitere Prozesse, die von uns angestoßen bzw. die mit unserem eigenen Handeln, sei es als Bürger*in oder als Staat, beeinflusst werden können. Für ein kohärentes »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« – so der Titel der im Juni 2017 von der Bundesregierung verabschiedeten Leitlinien – bedürfte es sowohl einer Art Friedensverträglichkeitsprüfung als auch eines Umsetzungsplans für klar definierte strategische Ziele, z.B. in Bezug auf das obige Beispiel Rohstoffe.

»Friedenslogik weiterdenken – Dialoge zur Friedensarbeit und Politik«

Innerhalb des vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung wurde im noch laufenden Projektjahr politisches und gesellschaftliches Handeln darauf hin befragt, wie sich die Prinzipien der Friedenslogik umsetzen lassen bzw. bereits umsetzen ließen. Veranstaltungen und Workshops widmeten sich Themen wie den zivilen Lösungsmöglichkeiten für Syrien‚ dem Umgang mit Extremist*innen bzw. Gewaltbejahenden, den Ansprüchen an eine Friedensethik der Kirchen, der Kompatibilität mit der Menschenrechtsarbeit, der Übertragbarkeit auf andere Kulturräume und der Anwendbarkeit auf soziale Konflikte. Im Herbst finden weitere Veranstaltungen statt, u.a. zur Friedenskultur, zum Leben ohne Rüstung und zur Friedensbildung.

Im nächsten Jahr soll das Projekt fortgesetzt werden, um die Einzelergebnisse zu bündeln und als Wissensressource zu nutzen, um politische Prozesse – wie die Umsetzung der »Agenda 2030« und der Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« – kritisch zu begleiten, um das Projekt in den Theorie-Praxis-Diskurs der Friedens- und Konfliktforschung einzubringen und auch, um eine Multiplikator*innenschulung zu entwickeln, damit die Friedenslogik nach Ende des Projekts weiter ein Thema bleibt. Die Projektbeteiligten hoffen, dass das Auswärtige Amt der weiteren Projektförderung zustimmt.

Christiane Lammers ist Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Projektleiterin sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin der FernUniversität in Hagen. Kontakt und weitere Informationen: konfliktbearbeitung.net/friedenslogik.

De-facto-Staaten

De-facto-Staaten

Prekäre Staatlichkeit und eingefrorene Konflikte

von David X. Noack

Im Zuge der Nationenbildung seit Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich immer wieder so genannte stabilisierte De-facto-Regime. Sie entstanden vor allem durch den Zerfall größerer Staaten, durch post-koloniale Konflikte und infolge zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen. Solche Staaten stehen bis heute im Zentrum eingefrorener Konflikte, weisen nach der Drei-Elemente-Lehre des Staatsrechtlers Georg Jellinek (1851-1911) alle Merkmale eines Staates auf, werden jedoch nicht allgemein international anerkannt. Dieser unklare rechtliche Status verursacht nach wie vor in den De-facto-Staaten selbst, den Mutterstaaten – von denen sich die De-facto-Regime abspalteten – und auch international erhebliche Probleme. Da keine Kampfhandlungen stattfinden, sind die Konflikte aber nicht »heiß«, sondern eingefroren – aber nicht gelöst.

Georg Jellinek schrieb in seinem 1900 erstmals veröffentlichten Werk »Allgemeine Staatslehre«, ein Staat müsse ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt besitzen (Jellinek 1905). Nach dieser Definition existieren heute neben den 193 Staaten, die Mitglieder der Vereinten Nationen sind, noch mindestens zehn weitere Staaten, die in verschiedenen Abstufungen in die internationale Staatengemeinschaft und Weltökonomie eingebunden sind.1 Diese De-facto-Staaten machen deutlich, dass nicht nur die von Jellinek benannten Elemente (Jellinek‘sche Trias) ein konstituierendes Kennzeichen von Staatlichkeit sein können.

Vertraglich kodifiziert wurde dieser Umstand bei der Siebten Internationalen Konferenz Amerikanischer Staaten. 1933 beschlossen die Abgesandten von 20 Staaten des amerikanischen Doppelkontinents, dass ein weiterer Aspekt hinzukommen müsse: „Der Staat als Subjekt des internationalen Rechts sollte folgende Eigenschaften besitzen: (a) eine ständige Bevölkerung; (b) ein definiertes Staatsgebiet; (c) eine Regierung; und (d) die Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten.“ (Seiler 2005, S. 49, Fn. 354) Was in der »Konvention von Montevideo« noch ziemlich theoretisch klang, stellte sich in den folgenden Jahrzehnten als praktischer Leitfaden heraus: Staaten werden heute in »allgemein anerkannt« und »allgemein nicht anerkannt« unterschieden.

Bei den allgemein nicht anerkannten De-facto-Regimen kommt hinzu, dass sich über kürzere oder längere Zeit ein anderer Staat als Garantiemacht herausschält, der den De-facto-Staat ökonomisch, politisch und militärisch stützt und damit den eingefrorenen Konflikt verstetigt. Der Grad der Patronage dieses Staates ist durchaus unterschiedlich. Dessen unbenommen ist aber festzustellen, dass nahezu alle De-facto-Regime aus kulturellen, politischen und sozioökonomischen Sollbruchstellen hervorgingen, die in den Mutterländern existierten.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte

Die Versprechen vom Selbstbestimmungsrecht der Völker von US-Präsident Woodrow Wilson (1856-1924) im Westen und Wladimir Lenin (1870-1924) im Osten führten in den Jahren 1917 bis 1919 zu vielen Staatsgründungen. Die wenigsten konnten sich dauerhaft halten. Auch legten das Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten sowie der russische Revolutionsführer keine klaren Maßstäbe bei dem »Recht auf Unabhängigkeit« an. Während sich die US-Regierung am Ende des Ersten Weltkriegs für die Eigenständigkeit der Tschechoslowakei einsetzte, besetzten US-Truppen die Karibikrepubliken Haiti und Dominikanische Republik (Castor 1974). Auf der anderen Seite akzeptierte die sowjetische Regierung rasch die Unabhängigkeit Finnlands, verleibte sich aber die eigenständigen Kaukasusrepubliken sowie das autonom organisierte Zentralasien ein.

Der Völkerbund wurde nach dem Ersten Weltkrieg 1919 im Kontext des Versailler Vertrags gegründet und schuf auf globaler Ebene erstmals einen Mechanismus, mit welchem die britische und die französische Regierung der internationalen Staatengemeinschaft einen Rahmen geben wollten. Dem Bund gehörte keineswegs die Gesamtheit der damals allgemein anerkannten Staaten an (die Vereinigten Staaten z. B. traten nie bei), er wurde also nicht zur Norm. Überdies entstanden jenseits des Bundes weitere Staaten, die nach modernen Kriterien als De-facto-Regime gelten würden.2

Der Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg brachte den Beginn einer von den USA dominierten Weltordnung mit sich. 1945 wurden die Vereinten Nationen (UNO) gegründet, durch welche die internationalen Beziehungen bis heute kanalisiert werden; kurz darauf löste sich der Völkerbund auf. Der endgültige Durchbruch der Vereinten Nationen kam mit dem Ende der Systemkonfrontation 1989-1991. Nicht nur die neu gebildeten Staaten in Osteuropa und Zentralasien, sondern auch diverse Staaten des Pazifiks, die beiden Koreas und westeuropäische Kleinstaaten traten Anfang der 1990er Jahre der Organisation bei. Die neutrale Schweiz folgte sogar erst 2002, womit der letzte damals allgemein anerkannte Staat Mitglied der Vereinten Nationen wurde.

Während seitdem die Vereinten Nationen die Norm darstellen, gibt es weiterhin internationale Beziehungen jenseits dieser Organisation. Der älteste Staat außerhalb des UN-Gefüges ist Taiwan (Republik China). 1971 beschloss die UN-Vollversammlung, nicht länger die Vertreter Taiwans, sondern die der Volksrepublik China anzuerkennen (Resolution 2758). 1979 nahmen die Vereinigten Staaten diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik auf, und im gleichen Jahr verabschiedete der US-Kongress den »Taiwan Relations Act«, der die Beziehungen zwischen Washington und Taipeh bis heute regelt. Im selben Jahrzehnt hoben türkische Besatzungstruppen in Nordzypern ein eigenes De-facto-Regime aus der Taufe. Nachdem die Türkei Zypern 1974 völkerrechtswidrig überfallen hatte, besetzte das NATO-Land circa ein Drittel der Insel. Aus den Besatzungsbehörden ging 1983 die Türkische Republik Nordzypern hervor, die bis heute lediglich von einem UN-Mitglied anerkannt wird: der Türkei selbst.

Außerdem entstand in den 1970er Jahren die Demokratische Arabische Republik Sahara (Westsahara). Nachdem die Kolonialmacht Spanien das Gebiet 1975 in die Unabhängigkeit entlassen hatte, marschierten marokkanische Truppen in die Provinz ein und annektierten einen Großteil des Gebiets.3 Mithilfe Algeriens, des traditionellen Konkurrenten Marokkos in der Region, etablierte die sahaurische Befreiungsfront Polisario ein Staatswesen, welches sich bis heute auf die nicht-annektierten Gebiete sowie auf Flüchtlingslager in Algerien konzentriert.

Mit dem Ende des realsozialistischen Blocks 1989-1991 sowie der Desintegration der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens entstanden nicht nur viele neue allgemein anerkannte Staaten in Europa und Zentralasien, sondern auch einige De-facto-Regime.4 So erklärten beispielsweise Gagausien (Moldau), die Tschetschenische Republik Itschkerien (Russland) und die Republika Srpska (Bosnien-Herzegowina) ihre Unabhängigkeit. Einige dieser für längere Zeit existierenden De-facto-Regime wurden gewaltsam zerschlagen oder in politische Lösungen gezwungen. Mit einer Bombardierungskampagne zwangen beispielsweise die NATO-Regierungen die politische Führung der Republika Srpska 1995 zu einem politischen Kompromiss, und die russische Armee zerschlug Itschkerien im Jahr 1999.

Eines der wenigen Positivbeispiele bei der Bewältigung von Konflikten mit stabilisierten De-facto-Regimen ist Gagausien im Süden der Republik Moldau. Die gagausische politische Führung, welche die Region vier Jahre lang unabhängig von der Zentralregierung kontrolliert hatte, einigte sich mit der moldauischen politischen Führung auf eine Autonomielösung mit weitgehenden politischen und kulturellen Sonderrechten (Chinn and Roper 1998).

Über die inzwischen wieder zerschlagenen De-facto-Staaten hinaus entstanden 1990/1991 noch diverse andere, die sich stabilisieren konnten. Diese reichen von Somaliland am Horn von Afrika bis nach Transnistrien, einem kleinen Landstrich zwischen der Republik Moldau und der Ukraine.

Eigenschaften stabilisierter De-facto-Staaten

Viele Staaten jenseits der Vereinten Nationen beanspruchen zwar alle Eigenschaften der Jellinek‘schen Trias, dennoch stellt sich die Frage, inwieweit bei näherer Betrachtung diese Kriterien – Staatsvolk, Staatsgrenzen und Staatsgewalt – tatsächlich oder in vollem Umfang erfüllt sind.

Die Gründung vieler De-facto-Regime ging mit Vertreibungen einher, so im Zusammenhang mit dem Krieg um Bergkarabach (1989-1994) (zu Bergkarabach siehe den Text von Aser Babajev auf S. 18). Aufgrund der ethnischen Säuberungen leben bis heute 623.000 Flüchtlinge im Mutterland Aserbaidschan. Abchasien hat durch den Unabhängigkeitskrieg gegen Georgien 1992/1993 etwa die Hälfte der Bevölkerung verloren und aus dem Kosovo wurden bereits 1999 circa 100.000 Serben vertrieben (Finn 1999). Es stellt sich also die Frage, ob die vertriebenen Teile der Bevölkerung dem jeweiligen Staatsvolk noch hinzuzählen sind. Ohne diese Frage zu klären, können die eingefrorenen Konflikte nicht gelöst werden.

Bei den meisten De-facto-Regimen ist auch das Staatsgebiet nicht gesichert. So beansprucht die Regierung Westsaharas das gesamte von Marokko annektierte Gebiet, kontrolliert aber nur einen Bruchteil davon. Die kosovarische Regierung wiederum beansprucht das gesamte Gebiet der einstigen jugoslawischen autonomen Provinz Kosovo und Metochien, kontrolliert aber nicht den mehrheitlich serbisch besiedelten Norden.

Der dritte Aspekt ist die Staatsgewalt – der Faktor, der sich am schwersten messen lässt. Die De-facto-Regime beanspruchen zwar die Kontrolle über ihr jeweiliges Land. Einschränkungen werden jedoch im Kosovo und in Nordzypern besonders deutlich – beide sind von NATO-Streitmächten besetzt. Auch in den Gebieten weiterer De-facto-Regime gibt es Stützpunkte und Truppen anderer Länder, wie russische Truppen in Abchasien, Südossetien und Transnistrien oder armenische Soldaten in Bergkarabach.

Da alle der De-facto-Regime Patronagestaaten haben, die ihre Unabhängigkeit garantieren, stellt sich immer die Frage, welchen Einfluss diese »großen Brüder« haben. So kann Abchasien, dessen Armee­chef ein von Russland eingesetzter russischer Militär ist, schwerlich als unabhängig gelten. Auf der anderen Seite prägen diverse bilaterale Streitfragen die Beziehungen zwischen der russischen und der abchasischen Regierung, und sowohl die strategische Elite als auch weite Teile der Bevölkerung Abchasiens orientieren sich auf Unabhängigkeit (Frear 2014, S. 7).

In Bergkarabach, im Kosovo und in Südossetien ist dies anders, dort gibt es starke irredentistische Bewegungen, d.h. große Teile der Bevölkerungen und teilweise auch die Regierungen dieser Länder streben einen Beitritt zum Patronagestaat an – und somit die Auflösung des eigenen De-facto-Staats.

Die Frage der Souveränität stellt sich auch in der wirtschaftlichen Sphäre. So hat das Kosovo kaum eine eigene Wirtschaftspolitik. Noch unter UN-Verwaltung (1999-2008) legte die UNMIK die Grundsteine für die heutige kosovarische Volkswirtschaft. Bereits im ersten Jahr der UN-Verwaltung des Gebiets führten die Behörden die Deutsche Mark als offizielle Währung ein.5 Außerdem begannen die – vor allem westlichen – Verwalter im Jahr 2002 mit der Privatisierung des öffentlichen Eigentums. Bis dahin war ein Großteil der Wirtschaft in öffentlicher Hand gewesen (Knudsen 2013, S. 292-294). Zusätzlich trat das 2008 unabhängig erklärte Land – obwohl damals nur von einem Bruchteil aller UN-Mitglieder anerkannt – im Jahr 2009 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank bei, was die Grundlage für eine dauerhaft institutionalisierte neoliberale Wirtschaftspolitik schuf.6 Das Kosovo sollte zu einem Vorbild eines »(neo-) liberalen Friedens« werden. Heute ist es das Armenhaus Europas (Reljic 2015).

Auch die Art der Volkswirtschaften der Nicht-UN-Länder ist höchst unterschiedlich. So ist Taiwan ein Land des globalen ökonomischen Zentrums mit einem hohen Lebensstandard.7 Transnistrien und Nordzypern sind semi-periphere Länder, die auf der einen Seite ein gewisses Industriepotenzial haben, auf der anderen Seite zu einem Großteil vom Export landwirtschaftlicher Güter (Nordzypern) bzw. dem Handel (Transnistrien) abhängen. Die meisten der stabilisierten De-facto-Regime sind jedoch nur peripher in den Welthandel integriert und exportieren ausschließlich Rohstoffe und landwirtschaftliche Güter. Im Falle Südossetiens und Westsaharas kann man kaum von einer Wirtschaft sprechen: In der von Wüsten geprägten Westsahara leben nur einige Nomadenstämme, und in Südossetien ist der zu circa 90 % mit russischen Budgethilfen finanzierte Staat der wichtigste Arbeitgeber (Gordijenko 2016).

Aufgrund der komplizierten rechtlichen Lage sind viele internationale Organisationen in den meisten De-facto-Staaten nicht präsent. Diese erhalten auch wenig Entwicklungshilfe, und internationale Konzerne investieren selten bis gar nicht in diese Volkswirtschaften. Teilweise verhängten die Mutterstaaten eine Wirtschaftsblockade über die De-facto-Regime, so Georgien gegenüber Abchasien und Südossetien oder die Ukraine gegenüber Donezk und Lugansk. Eine Ausnahme ist der Fall Transnistrien: Dort ist international vertraglich abgesichert, dass der De-facto-Staat Handel betreiben darf (Noack 2017, S. 18).

Nach der Konvention von Montevideo ist die Fähigkeit, mit anderen Staaten diplomatische Beziehungen einzugehen, ein Faktor für Staatlichkeit. Alle De-facto-Staaten pflegen diplomatische Beziehungen. Die Anzahl der UN-Staaten, welche sie anerkennen, ist hingegen höchst unterschiedlich. So wird Kosovo von 115 Staaten anerkannt, Westsahara von 84, Taiwan von 20 und Somaliland, Bergkarabach und Transnistrien von keinem.

Trotzdem pflegen die De-facto-Regime aktive Außenbeziehungen mit UN-Staaten. Taiwan beispielsweise hat über 50 inoffizielle Vertretungsbüros. Staaten wie Abchasien und Bergkarabach setzen stark auf Nichtregierungsorganisation und die tscherkessische bzw. armenische Diaspora (Frear 2014). Darüber hinaus spielen private Firmen eine Rolle in der Vertretung Abchasiens und Taiwans auf der internationalen Ebene, und gemeinnützige Organisationen helfen den Regierungen Somalilands und Westsaharas. Über all diese Kanäle sowie aktive Internetpräsenzen, Sportveranstaltungen und Städtepartnerschaften haben viele der De-facto-Regime in den vergangenen Jahrzehnten eine äußerst aktive Außenpolitik jenseits der Vereinten Nationen etabliert (Kosienkowski 2012; Frear 2014).8

Probleme stabilisierter De-facto-Regime

Das Hauptproblem stabilisierter De-facto-Regime ist der nicht endgültig geklärte Zustand. So tendieren Regierungen der Mutterstaaten immer wieder dazu, den völkerrechtlichen Schwebezustand durch Gewalt zu lösen. Ein solcher Versuch war der Angriff der georgischen Armee auf Südossetien im Jahr 2008, ein ähnlicher Versuch der Vier-Tage-Krieg Aserbaidschans gegen Bergkarabach im Frühjahr 2016 (Noack 2016). Diese Beispiele zeigen ebenso, dass bei einem Krieg zwischen einem teilweise anerkannten Staat und dem Mutterstaat auch der Patronagestaat in den Krieg hineingezogen werden kann. Doch auch die Regierungen der De-facto-Staaten neigen in einigen Fällen dazu, den militärischen Druck gegenüber ihren Mutterstaaten aufrecht zu erhalten, um ihren Anspruch auf Gebiete deutlich zu machen. Letzteres kann man etwa in Westsahara sehen.

Ein weiteres Problem sind die internationale Rüstungskontrolle und die Verhinderung der Verbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Die De-facto-Regime können nicht in internationale Rüstungskon­trollregime eingeschlossen werden. Im Falle Taiwans übernehmen die USA als Garantiemacht die Gewährleistung des atomwaffenfreien Status.9 Für die anderen De-facto-Regime gibt es keine vergleichbaren Regelungen. Immerhin: Selbst als Abchasien noch zu keinem international allgemein anerkannten Staat diplomatische Beziehungen unterhielt, besuchten Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA das Physikalisch-Technische Institut in der abchasischen Hauptstadt Suchum (NTI 2005). Dort hatten Wissenschaftler in den 1950er Jahren Teile der sowjetischen Atombomben gebaut.

Darüber hinaus führt die fehlende Anerkennung auf der Mikroebene dazu, dass die Bevölkerung nur eingeschränkt reisen kann, da ihre Pässe in vielen Ländern nicht anerkannt werden. Deshalb besitzen viele Menschen neben den Pässen der De-facto-Regime zusätzlich andere Pässe, zum Beispiel der Patronage-Staaten.

Ansätze zur Konfliktlösung und Zukunftsaussichten

Von allen eingefrorenen Konflikten um De-facto-Regime scheinen Transnistrien und Nordzypern einer Konfliktlösung am nächsten. Die unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und der OSZE geführten Verhandlungen standen bereits öfter vor einem Durchbruch und somit der Möglichkeit, die Konflikte »aufzutauen«, scheiterten letztlich aber doch. Bei vielen De-facto-Regimen stellen sich Fragen der Reintegration der Bevölkerung, was die Frage einschließt, wie Vertriebene entschädigt werden sollen. Andererseits geht es darum, wie die rechtlichen und wirtschaftlichen Sonderentwicklungen harmonisiert werden können. Die Volkswirtschaften der De-facto-Regime entwickeln sich teilweise seit Jahrzehnten unabhängig von den Mutterstaaten, was auch in dieser Hinsicht eine Reintegration nicht ohne Weiteres möglich macht.

Das Beispiel Gagausien im Süden der Republik Moldau kann hinsichtlich einer politischen Lösung ein Vorbild sein: Die Region hat heute eine weitgehende kulturelle Autonomie mit wirtschaftlichen Sonderrechten. Die abgespaltene Provinz war damals – und ist es bis heute – vor allem landwirtschaftlich geprägt, weshalb dort die Harmonisierung der wirtschaftlichen Separatentwicklung verhältnismäßig einfach war.

Das Scheitern der Nordzypern-Verhandlungen im Sommer 2017 zeigt jedoch, dass es bei einem eingefrorenen Konflikt nicht nur vonnöten ist, die Interessen der De-facto-Regime sowie der Mutterländer zu harmonisieren, sondern dass alle involvierten Mächte ein Interesse an der Lösung des Konfliktes haben müssen. Die Gespräche zu Nordzypern schlugen unter anderen wegen der militärischen Ansprüche der türkischen Regierung fehl (Aswestopoulos 2017). Aufgrund dieser schwierigen Aushandlungsprozesse ist davon auszugehen, dass trotz des Engagements der Vereinten Nationen viele der De-facto-Staaten noch für längere Zeit weiterexistieren werden. In manchen Fällen gibt es sogar kaum Verhandlungen.

Die Beispiele Bergkarabach, Donezk und Lugansk beweisen zudem, dass es immer wieder zur militärischen Eskalation in den Gebieten der stabilisierten De-facto-Regime kommt. Die Konflikte können auch gewaltsam »auftauen«, also »heiß« werden. Das zeigt, dass hinsichtlich des internationalen Friedens, aber ebenso im Sinne der Rüstungskontrolle und der Verhinderung der Proliferation von ABC-Waffen, die Notwendigkeit besteht, die eingefrorenen Konflikte dauerhaft und nachhaltig zu lösen.

Anmerkungen

1) Abchasien, Bergkarabach, Kosovo, Nordzypern, Somaliland, Südossetien, Taiwan (Republik China), Transnistrien und Westsahara. Oft wird Palästina dazu gezählt. Die Donezker und Lugansker Volksrepubliken sind im Entstehen begriffene De-facto-Staaten (siehe dazu den Text von Agnieszka Legucka auf S. 26).

2) So existierten 1920-1924 die Sowjetischen Volksrepubliken Buchara und Chiwa, 1921-1944 die VR Tannu-Tuwa und ab 1921 die Mongolische VR. Die Mongolei ist seit 1961 UN-Mitglied.

3) Zunächst hatten Truppen Mauretaniens 1976-1979 den Süden Westsaharas besetzt.

4) Parallel dazu zerfiel auch noch der somalische Staat und Somaliland entstand.

5) Mit der Einführung des Euro in Deutschland hat das Kosovo den Euro ebenfalls als Währung übernommen.

6) Zur Weltbank siehe Solty (2014) und Solty (2015).

7) Taiwan hat einen HDI-Wert (Human Development Index) von 0,885 und liegt damit ähnlich wie Spanien (0,884).

8) Mit der »Gemeinschaft für Demokratie und das Recht der Nationen« haben Abchasien, Bergkarabach, Südossetien und Transnistrien sogar eine eigene internationale Organisation etabliert.

9) International Atomic Energy Agency, INFCIRC/158 vom 8. März 1972 als Fortführung des IAEA-Abkommens INFCIRC/133 vom 30. Oktober 1969. 1964 hatte Taiwan ein eigenes Atomwaffenprogramm gestartet, trat aber 1968 dem Nichtverbreitungsvertrag bei.

Literatur

Nuclear Threat Initiative/NTI (2005): IAEA Experts Visit Abkhazia. 26.9.2005; nti.org.

Aswestopoulos, W. (2017): Zypern – Die Verhandlungen um die Einigung der Insel sind gescheitert! heise.de, 8.7.2017.

Castor, S. (1974): The American Occupation of Haiti (1915-34) and the Dominican Republic (1916-24). The Massachusetts Review, Vol. 15, No. 1/2, S. 253-275.

Chinn, J.; Roper, S.D. (1998): Territorial autonomy in Gagauzia. Nationalities Papers, Vol. 26, No. 1, S. 87-101.

Finn, P. (1999): Refugees Want Kosovo Free of Serbs. Washington Post, 6.6.1999.

Gordijenko, I. (2016): Im Schwebezustand – Südossetien. dekoder.org, 8.6.2016.

Jellinek, G. (1905): Allgemeine Staatslehre. Berlin: Verlag von O. Häring, 2. Auflage.

Knudsen, R.A. (2013): Privatization in Kosovo – »Liberal Peace« in Practice. Journal of Intervention and Statebuilding, Vol. 7, No. 3, S. 287-307.

Kosienkowski, M. (2012): Continuity and Change in Transnistria’s Foreign Policy after the 2011 Presidential Elections. Lublin: The Catholic University of Lublin Publishing House.

Noack, D.X. (2016): Vier Tage Krieg. junge Welt, 2.6.2016.

Noack, D.X. (2017): Der Konflikt um Transnistrien 1989 bis 2016 – Politische Ökonomie, Nationalstaatswerdung und Großmachtinteressen an einem geopolitischen Brennpunkt in Su¨dosteuropa. multipolar, Vol 1, Nr. 1, S. 11-26.

Reljic, D. (2015): Kosovo braucht einen Beschäftigungspakt mit der EU. zeit.de, 15.2.2015.

Seiler, C. (2005): Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung. Tübingen: Mohr Siebeck.

Solty, I. (2014): Eine »flache Welt«. junge Welt, 31.12.2014.

Solty, I. (2015): Eine »andere Welt«. junge Welt, 2.1.2015.

David X. Noack ist Militärhistoriker und Politikwissenschaftler.

Lokale und globale soziale Ungleichheit

Lokale und globale soziale Ungleichheit

30. Jahrestagung des Forum Friedenspsychologie,
16.-18. Juni 2017, Chemnitz

von Daniel Corlett und Frank Asbrock

Mit dem Schwerpunktthema »No Justice, no Peace? Friedenspsychologische Perspektiven auf soziale Ungleichheit« fand die 30. Jahrestagung des Forums Friedenspsychologie e.V. an der TU Chemnitz statt.

Ca. 70 Teilnehmer*innen aus Wissenschaft und Praxis diskutierten friedenspsychologische Perspektiven auf soziale Ungleichheit und ihre Auswirkungen auf ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben. In ihrer Eingangsrede benannte die Migrationsbeauftragte der Stadt Chemnitz, Frau Etelka Kobuß, die vielschichtigen Herausforderungen, mit denen sich die kommunale Integrationsarbeit gegenwärtig konfrontiert sieht, verwies auf das noch nicht ausgeschöpfte Entwicklungspotential, aber auch auf erfolgreiche Projekte und Entwicklungen in Chemnitz sowie die mit Migration verbundenen Chancen für die Stadt.

Auf der Tagung wurde sowohl internationale Forschung als auch die lokale Arbeit von Friedensprojekten vorgestellt und diskutiert. Beispielsweise präsentierte Gergely Kispál seine Arbeiten zu Intergruppenkontakten zwischen ungarischer Minorität und serbischer Majorität in Vojvodina, Serbien, und Jane Viola Felber und Franz Knoppe stellten das Theatertreffen »Unentdeckte Nachbarn« zur Aufarbeitung der NSU-Verbrechen in Südwestsachsen vor, das bereits mit dem Chemnitzer Friedenpreis 2017 ausgezeichnet wurde. Die knapp 30 wissenschaftlichen Beiträge teilten sich in Vortragspanels in deutscher und englischer Sprache sowie eine Postersession auf. Neben sozialer Ungleichheit wurde dort ein breites friedenspsychologisches Themenspektrum behandelt, das Beiträge aus Psychologie, Erziehungswissenschaften, Politikwissenschaften und angrenzenden Disziplinen umfasste. Ein Teil der Tagungsbeiträge wird in Zusammenarbeit mit der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) in einem Sonderheft der Zeitschrift »Politische Psychologie/Journal of Political Psychology« veröffentlicht.

Einer der Höhepunkte der Tagung war die Keynote von Prof. Felicia Pratto (University of Connecticut, USA) am Freitag. In ihrem Vortrag »The felt injustice of international inequality – Where is the threat to peace?« diskutierte sie die Relevanz sozialer Ungleichheit zwischen Nationen für die Gefährdung von Frieden. Basierend auf ihrer Power Basis Theory stellte sie dar, wie die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse von globalen Machtdynamiken, Ungleichheiten und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung beeinflusst wird und wie globale Ungleichheit so zur Erhaltung sozialer Machtverhältnisse beiträgt.

Am Samstag wurde der Gerd-Sommer-Preis des Forum Friedenspsychologie für die beste Abschlussarbeit verliehen. Die diesjährige Preisträgerin Anne-Louise Göhring (Fraunhofer ISI) wurde für ihre herausragende Masterarbeit zum Thema »Die Macht der Metapher – Der Metapher-Framing-Effekt in der politischen Meinungsbildung« ausgezeichnet. Nach der Preisverleihung stellte Frau Göhring ihre Arbeit dem interessierten Publikum in einem Vortrag vor.

Auch das Rahmenprogramm hatte einen Bezug zum Tagungsthema. Am Samstagabend bestand nach dem letzten Vortragspanel die Möglichkeit, Problemstrukturen und Lösungsansätze für soziale Spannungen in Chemnitz in einem themenbezogenen Stadtrundgang im Stadtviertel Sonnenberg kennenzulernen, wovon ein großer Teil der Teilnehmenden Gebrauch machte.

Weiterhin fanden am Samstagvormittag die offene Mitgliederversammlung und am Sonntagvormittag die Vorstandssitzung des Forum Friedenspsychologie statt. Auf der Mitgliederversammlung wurde ein neuer Vorstand für die nächsten zwei Jahre gewählt. Wiedergewählt wurden Prof. Dr. Christopher Cohrs (Marburg) als Vorsitzender, Dipl.-Psych. Karl-Günther Theobald (Köngernheim) als Kassierer und Dipl.-Psych. Monika Lauer Perez (Düsseldorf) als weiteres Vorstandsmitglied. Neu in den Vorstand gewählt wurden Nadine Knab, M.Sc. (Landau) als stellvertretende Vorsitzende und Dr. Klaus Harnack (Münster) als weiteres Vorstandsmitglied. Sie folgen damit Dr. Jost Stellmacher (Marburg) und Dr. Miriam Schroer-Hippel (Grünheide) nach, denen herzlich für ihr kontinuierliches Engagement für das Forum Friedenspsychologie gedankt wurde.

Die Tagung wurde organisiert von Juniorprof. Dr. Frank Asbrock, M.Sc. Alexandra Cook, M.A. Daniel Corlett und M.A. Claas Pollmanns sowie den studentischen Hilfskräften Vera Kaiser, Kathrin Althaus, Caya Hälker und Anika Münch. Die Organisator*innen bedanken sich für die freundliche Unterstützung durch die Technische Universität Chemnitz, die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF), die Gesellschaft der Freunde der Technischen Universität Chemnitz e.V., die Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP), die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (dgvt), den Sächsischen Flüchtlingsrat e.V., den Nomos Verlag und den Pabst Verlag.

Daniel Corlett und Frank Asbrock

Der Wille zum Frieden entscheidet

Der Wille zum Frieden entscheidet

von Paul Schäfer

Unser Heft 2-2015 befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Thema »Friedensverhandlungen«. Unsere Leitfrage damals: Wie kann eine nachhaltige Beendigung von Gewalt in den heute vorherrschenden »asymmetrischen Kriegen«, also in Auseinandersetzungen zwischen Staaten und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, erreicht werden. Es ging um Fragen einer sozial gerechten Entwicklung, um demokratische Partizipation, ohne deren Lösung der Konflikt nicht beigelegt werden könne. Auf die Bedeutung von Vereinten Nationen und Völkerrecht wurde hingewiesen und – gerade mit Blick auf die ethnopolitisch, religiös, kulturell aufgeladenen Grundlagen des Konflikts – auf die größtmögliche Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Friedensprozess. Ganz nüchtern mussten wir feststellen, dass Versuche, diese »neuen« Kriege diplomatisch zu lösen, oft in den Anfängen stecken bleiben.

Dies scheint für die »frozen conflicts«, mit denen wir uns im vorliegenden Heft beschäftigen, umso mehr zu gelten. Ihnen geht in der Regel eine gewaltförmige Auseinandersetzung voraus, die durch einen lang andauernden, fragilen Status quo abgelöst wird; der Grundsatzstreit bleibt ungelöst. Dabei stehen sich meist die Prinzipien »territoriale Integrität eines Staates« und »nationale/ethnopolitische Selbstbestimmung« unversöhnlich gegenüber. Die Rede ist von den bewaffneten Konflikten, die sich infolge des Zerfallsprozesses der ehemaligen Sowjetunion, aber auch Jugoslawiens, nach 1990 entwickelten. Vor allem im postsowjetischen Raum sind neue staatliche Gebilde (De-facto-Staaten) entstanden, deren Existenzberechtigung von den alten Machthabenden (Mutterstaaten) bestritten wird und denen die internationale Anerkennung bis heute versagt bleibt.

Bei der Erstellung des Heftes sind wir rasch darauf gestoßen, dass der Begriff nicht ganz eindeutig zu fassen und umstritten ist. Bei Zypern scheint es noch einfach zu sein, aber was ist mit Kaschmir (kein De-facto-Staat), was mit Nordirland (nach wie vor Teil Großbritanniens)? Und ab wann kann ein solcher Konflikt als eingefroren gelten? Die Erfahrung zeigt, dass diese Konflikte immer wieder in offene Gewalt umschlagen, zuletzt Ende des Jahres 2014 in Bergkarabach. Und kann der Streit um die Donbass-Region, in der immer wieder gekämpft wird, schon als eingefrorener Konflikt bezeichnet werden? Die W&F-Redaktion hat sich hier für einen breiten Ansatz entschieden.

Was man feststellen kann, ist: Es geht um komplizierte, fast unlösbar erscheinende Status- bzw. Territorialfragen. Zwischen Ethnien/Bevölkerungsgruppen wurden Feindbilder aufgebaut, die in den jeweiligen Gesellschaften tief verankert sind, die den Willen zu einem konstruktiven und kooperativen Neuanfang gar nicht entstehen lassen. Geopolitische Interessenlagen kommen erschwerend hinzu. Was kann man in solch verfahrenen Situationen überhaupt tun? Oder muss man sich einfach damit zufrieden geben, dass ein kalter Konflikt immer noch besser als ein heißer Krieg ist? Die Beiträge in diesem Heft enthalten zahlreiche Ideen und Vorschläge, über die es sich lohnt, weiter nachzudenken und zu diskutieren.

Selbst das Selbstverständliche ist hier keine Garantie für eine friedenstaugliche Lösung: So scheint es auf der Hand zu liegen, dass die grundlegenden, antagonistisch beurteilten Statusfragen zunächst zurückgestellt werden sollten und zuerst die Folgen territorialer Teilung (Vertreibungen) gemildert, Ansätze grenzüberschreitender humanitärer und wirtschaftlicher Kooperation entwickelt werden sollten. Aber wenn selbst solche Schritte blockiert sind, muss nicht doch der Gordische Knoten insgesamt durchschlagen werden? Aber wie könnten ausbalancierte Lösungen zwischen den widerstreitenden Prinzipien »nationale Selbstbestimmung« und »territoriale Integrität« überhaupt aussehen? Es ist zu Recht viel die Rede von »Referenden«, von »Autonomie«, von »Föderalisierung«. Aber der Teufel steckt im Detail. Wer darf abstimmen, worüber? Sofern es um die Selbstbestimmung bestimmter Bevölkerungsgruppen geht: Kann zu viel des Guten nicht auch nach hinten losgehen – und zu neuen Spaltungen und Konfrontationen führen? Und weiter: Als Erfahrung scheint zu gelten, dass ohne diplomatische Vermittlung externer Akteure kein Ausweg aus dem Konflikt zu finden ist. Zugleich stellen wir fest, dass der Konflikt durch Anrainerstaaten – besonders wenn es sich um Patronage-Staaten handelt – verfestigt oder gar angeheizt wird.

In diesem Kontext ist auch die Ausdehnungstendenz der Europäischen Union oder der NATO gen Osten kritisch zu beleuchten. Ein Hinweis muss an dieser Stelle genügen: Wenn es darum geht, Frieden zu stiften bzw. zu garantieren, muss internationalen Einrichtungen wie den Vereinten Nationen oder der OSZE die entscheidende Rolle zukommen! Zentrale Stichworte sind für uns außerdem: Entmilitarisierung, Vertrauensbildung, »Entfeindung« durch Aufarbeitung der Geschichte und zivilgesellschaftliche Versöhnungsprozesse. Eines ist so banal wie sicher: Ohne den Willen der Beteiligten, Frieden zu schließen, geht es nicht.

Ihr Paul Schäfer

Religionen als Friedensressource


Religionen als Friedensressource

Es kommt darauf an

von Michael A. Schmiedel

Der folgende Essay erzählt in einem kurzen Durchlauf durch die Religionsgeschichte, welche Ressourcen Religionen für ein friedliches Miteinander der Menschen bereithalten. Dabei wird herausgestellt, dass es letztlich auf uns Menschen und unsere Interpretationen unserer Religionen ankommt, wie sehr diese Ressourcen genutzt werden können und welche Reichweite sie haben. Je nach Interpretation helfen Religionen, den Egoismus zu überwinden und Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit zu fördern oder ganz im Gegenteil Fanatismus und Grausamkeiten hervorzubringen.

Nicht selten hört man den Satz: Ohne Religionen wäre die Welt friedlicher. Wer so spricht, verweist auf die vielen Religionskriege und die Verfolgung Andersgläubiger durch religiöse Fanatiker, wobei der Fanatismus oft für untrennbar von Religion erklärt wird. Wer einer Religion anhänge, die mit bestimmten Lehrinhalten, Verhaltensregeln und religiösen Praktiken verbunden sei, der könne ja gar nicht anders, als alles als falsch, irrig oder böse anzusehen, was dem nicht entspricht. Wer anders glaube, der glaube falsch, und wer nicht glaube, sei in den Augen vieler Gläubiger gar kein richtiger Mensch.

Ja, tatsächlich fällt es nicht schwer, in der Religionsgeschichte Belege für diese Behauptungen zu finden, und auch die Gegenwart ist voll von Gotteskrieger*innen, Fundamentalist*innen und religiösen Terrorist*innen. Nachrichten von Geistlichen, die sich sexueller Übergriffe auf Schutzbefohlene schuldig machten, ergänzen das negative Bild von Religion als einer unfriedlichen, letztlich menschenverachtenden Art, die Welt zu betrachten und zu erklären. Also wäre die Welt ohne Religion friedlicher? „Ich glaube nicht“, sagt Perry Schmidt-Leukel im ARD-Beitrag »Woran glaubt Deutschland«, „denn dann gäbe es ja immer noch uns“.1

Worauf Schmidt-Leukel da hinweist, ist das Faktum, dass das Unfriedliche, das auch in Religionen zu Tage tritt, seine Wurzeln in uns hat, in uns Menschen oder in der menschlichen Natur. Diese Natur bricht sich Bahn und sucht Wege, sich auszuleben, ob mit oder ohne Religion. Wir Menschen sind also nicht böse, weil wir gläubig sind, sondern Religionen enthalten Böses, weil sie menschlich sind. Nun wird aber jeder Mensch einwenden, dass wir Menschen doch nicht nur böse seien, und ja, das Wörtchen »nur« habe ich ja gar nicht verwendet, sondern schlage stattdessen das Wort »auch« vor. Wir Menschen sind gut und auch böse, und so enthalten auch unsere Religionen Gutes und auch Böses. Woher wir Menschen diese beiden Seiten unseres Charakters haben, sei dahingestellt. Man kann es mit Gott und Teufel oder mit natürlichen, evolutionär entwickelten Anlagen erklären oder andere Mythen bemühen – Fakt ist, wir sind fähig zu Gewalt und Grausamkeit, aber auch zu Friedfertigkeit und selbstloser Liebe.

Und so spiegelt es sich auch in den Religionen wider, ganz ungeachtet ihrer in den Augen der Gläubigen göttlichen, transzendenten, übernatürlichen Herkunft. Die Religionen mögen verstärken, was in uns ist, aber sie erschaffen es nicht. Wer zu Gewalt und Grausamkeit neigt, findet ihm*ihr genehme Rechtfertigungen in seiner Religion, und wer zu Friedfertigkeit und selbstloser Liebe neigt, ebenso. Und in beiden Fällen gibt diese Rechtfertigung dem schon vorhandenen Trieb eine Sanktion, eine Heiligung, die diese menschlichen Triebe mit einer Aura des Heiligen umgibt und sie über jede Kritik und jeden Zweifel erhaben macht.

Ein Gang durch die Religionsgeschichte

Nun möchte ich aber eine These wagen: Die Sanktionierung von Friedfertigkeit und selbstloser Liebe in den Religionen ist ursprünglicher als die von Gewalt und Grausamkeit. Diese These möchte ich gar nicht theologisch belegen, sondern anthropologisch und ein wenig philosophisch. Auch ohne die religiöse Annahme einer transzendenten Herkunft religiöser Lehren kann man davon ausgehen, dass Menschen, wann auch immer unsere Vorfahren damit anfingen, religiöse Ideen nicht entwickelt haben, um sich oder anderen zu schaden. Die ältesten als religiös zu interpretierenden Artefakte sind Gräberfunde aus dem Mittelpaläolithikum vor 34.000 bis 200.000 Jahren. Grabbeigaben zeugen davon, dass die Menschen an ein wie auch immer vorgestelltes Leben nach dem Tode glaubten. Wem man etwas zum jenseitigen Gebrauch mitgibt, dem will man aber nichts Böses. Durch die Grabbeigaben bezeugten die Hinterbliebenen dem Verstorbenen Liebe oder zumindest Respekt, also eine ihm Wohlwollen zollende Einstellung. Religion hatte, was ihre Ethik anging, also ihren Sitz im Miteinander von Menschen, das idealerweise so zu gestalten war, dass sie gut miteinander auskamen, auch über den Tod hinaus.

Die Menschengruppen, um die es damals ging, waren indes kaum größer als 50 bis 100 Individuen. Solidarität war zunächst innerhalb dieser kleinen Gemeinschaften zu pflegen, denn man war zum Überleben aufeinander angewiesen. Die Beisetzung von Verstorbenen und die Verehrung von Ahnen flocht eine Verbindung über die aktuell Lebenden hinaus und schuf eine Verpflichtung auch den Ahnen gegenüber, denen man das Leben letztlich verdankte. Das Verhältnis zu anderen Menschengruppen war sicher anders, sie waren Fremde, Andere, mit denen man aber auch möglichst friedlich lebte, zumindest so lange, wie es für die eigene Gruppe von Vorteil war. Oft waren sie aber auch Konkurrent*innen um Lebensressourcen, wie Wasser, Nahrung, Siedlungsplätze. In Krisensituationen schlug der Stress dann auch in Gewalt über, so wie auch innerhalb der Gruppe Streit ein Normalfall war, wie man es ja auch an Primaten beobachten kann. Wie religiöse Vorstellungen in solchen Konfliktsituationen zum Tragen kamen, ist mangels schriftlicher Überlieferungen nicht bekannt.

Die Verschriftlichungen, die in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends einsetzten, geben uns eine Vorstellung vom religiösen Leben dieser Jahrhunderte. Zugleich sind die ab dieser Zeit entstandenen religiösen Schriften zumindest teilweise noch heute Heilige Schriften für die Gläubigen der Religionen, die sich damals formierten. In diesen Schriften finden wir nun unter anderem auch religiös sanktionierte ethische Gebote, die Vergehen erwähnen, die vorkamen, obwohl sie verboten waren. Wären sie nicht vorgekommen, hätte man sie nicht zu verbieten brauchen, aber auch nach dem Verbot gab es immer wieder Übertretungen. Solche Taten waren zum Beispiel das Lästern der obersten heiligen Instanz, also der Götter, des einen Gottes, des Buddha oder der Ahnen, das ungerechtfertigte Töten von Menschen, das Stehlen, das Lügen oder sexuelle Handlungen außerhalb sanktionierter Rahmenbedingungen.

Religionen waren bis zur Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends unlösbar mit ethnischen und/oder politischen Gesellschaften verbunden. Doch diese Gesellschaften hatten sich inzwischen vergrößert, Städte und Flächenstaaten waren entstanden und mit ihnen auch die Gruppe von Menschen, denen die Solidarität gelten sollte. Könige konzentrierten religiöse Verehrung manchmal auf sich oder ihr Amt, was für die von ihnen regierten Gesellschaften Stabilität und Frieden garantieren sollte. Andere Städte und Staaten galten noch nicht als dazugehörig, sondern als Konkurrenten oder gar Feinde, bestenfalls als Bündnispartner gegen gemeinsame Feinde. Aber der Handel verband sie auch miteinander, und befriedete Handelswege nützten allen Beteiligten.

Mit dem Buddhismus und dem Jainismus kamen die ersten bis heute existierenden, vom Ansatz her internationalen, also ethnisch und politisch nicht gebundenen Religionen in die Menschheit. Religionswissenschaftlich spricht man hier von Universalreligionen im Gegensatz zu den bis dato alleine üblichen Volksreligionen. Und doch waren auch sie nicht völlig unabhängig von den Staaten, auf deren Territorium sie existierten. Die Könige von Magadha und Kosala hatten den religiösen Orden zwar intern eine eigene Gerichtsbarkeit zugesprochen, doch durften diese keine Männer als Mönche aufnehmen, die vom staatlichen Gesetz verfolgt wurden. Die vom Buddha, aber sicher nicht nur von ihm, gelehrte Ethik indes galt gleichermaßen für Fremde wie für Landsleute, ja, er empfahl, überhaupt kein lebendes Wesen zu schädigen, also auch keine Tiere oder Geister, deren Existenz selbstverständlich vorausgesetzt wurde; andernfalls habe man mit negativen karmischen Folgen, etwa mit einer ungünstigen Wiedergeburt zu rechnen. Man solle nicht nehmen, was einem nicht freiwillig gegeben wurde, keinen Sex mit Abhängigen praktizieren, weder lügen noch unsinnigen Klatsch von sich geben und keine berauschenden Getränke zu sich nehmen. Diese fünf Verhaltensrichtlinien, die fünf Silas, bilden bis heute die Basis buddhistischer Ethik, egal in welchem Land die Buddhist*innen leben, wenn auch die Interpretationen dieser Regeln unterschiedlich ausfallen können, je nach buddhistischer Schulzugehörigkeit. Für Mönche und Nonnen wurden noch ausgefeiltere Ordensregeln, der Vinaya, entworfen.

Der zur gleichen Zeit aus der brahmanischen oder vedischen Religion entstandene Hinduismus beziehungsweise die Hindu-Religionen, als die man sie wegen ihrer Vielfalt heute lieber bezeichnet, erschufen mit dem Varnash­rama-System aus vier oder fünf Kasten und vier Lebensstadien für die männlichen Angehörigen der drei obersten Kasten ein vergleichsweise starres gesellschaftliches System, das für jede Kaste (Varna) und jedes Lebensstadium (Ashrama) eigene Verhaltensregeln vorsah. Gewalt wurde hinduistisch nie völlig abgelehnt, aber in eine Art Monopol der Kshatriyas, der Kriegerkaste, kanalisiert. Und doch entwickelte ein Kshatriya-Angehöriger, der unter dem Namen Mahatma Gandhi berühmt wurde, aus der eigentlich keineswegs pazifistischen Bhagavad Gita heraus eine Hochschätzung des Ahimsa-, also Nicht-verletzen-Prinzips, das ihn zu seinem passiven Widerstand gegen die britische Kolonialverwaltung motivierte. Man sieht an diesem Beispiel sehr deutlich, dass es viel mehr auf die Interpretation Heiliger Schriften ankommt als auf diese selber, denn Anhänger der religio-nationalistischen Hindutva-Bewegung, aus der sich auch die derzeitige indische Regierung rekrutiert, interpretieren die »Gita« ganz anders. Für sie ist sie eine Schrift der Hindus gegen andere, in Indien fremde Religionen.

In China erwuchsen ebenfalls um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends aus der traditionellen, sehr an natürlichen und landwirtschaftlichen Rhythmen orientierten Religion der Konfuzianismus und der Daoismus. Immer wieder in Konkurrenz zueinander und zum aus Indien importierten Buddhismus, aber oft auch einander ergänzend, geradezu komplementär, motivierten sie die Chinesen zu einer Lebensweise, die an natur-spirituellen und traditionellen Gegebenheiten orientiert war. Die Menschen versuchten, sich den Gesetzen der Natur, so wie sie sie verstanden, anzupassen, damit sie mit ihr in Harmonie leben konnten. Und ständig hielten sie die Verbindung zu den Ahnen, die ein Teil des Kollektivs blieben. Noch heute werden ihnen Gebrauchsgegenstände und spezielle Geldscheine aus Papier geopfert, indem man diese verbrennt. Die Achtung vor dem Alter, vor Eltern und Vorgesetzen ist vor allem konfuzianisch eine Basis der Ethik.

Ebenso in dieser Zeit warnten Propheten des Volkes Israel, seinem Gott treu zu bleiben und sich nicht in den Gebräuchen anderer Völker zu verlieren. Die Thora wurde im und nach dem Babylonischen Exil verschriftlicht und auf die Zeit Mose zurückprojiziert, um eine ungebrochene Tradition zu betonen. Die Ethik der zehn Gebote war zunächst eine innerethnische, die das ethnospezifische Verhältnis zwischen Gott und Israel und unter den Israeliten regeln sollte. Keinen fremden Gott anzubeten, den Namen (des eigenen) Gottes zu ehren, den Schabbat als wöchentlichen Ruhetag zu halten, Vater und Mutter zu ehren, keine anderen Menschen – also zunächst vor allem Israeliten – zu ermorden, zu bestehlen, zu belügen, die eigene und die Ehe der anderen sowie das Eigentum anderer Leute zu achten bilden die Basis dieser Ethik, die dann schon in der Thora, aber auch im Talmud ausgebaut, kommentiert, interpretiert und vielfach diskutiert wurde und bis heute wird. Dass Menschen die göttlichen Gebote unterschiedlich verstehen und man im Diskurs miteinander dem Gemeinten näher kommt, als wenn man für sich alleine darüber brütet, ist eine Einsicht, die die Juden zu einer theologischen Streitkultur entwickelten, die in der gesamten Religionswelt der Menschheit ihresgleichen sucht. Auch diese anfänglich reine Volksreligion brachte Denker hervor, die die Grenzen sprengten und menschheitlich dachten, zum Beispiel indem sie dem mosaischen Bund Gottes mit dem Volk Israel den abrahamischen Bund mit allen semitischen Völkern und den noahischen mit allen Menschen vorschalteten. Und doch blieb das Judentum eine Religion der Geburtszugehörigkeit, von Ausnahmen der Konversion von anderen Religionen ins Judentum abgesehen.

Aus dem Judentum erwuchs das Christentum und bestimmte im Folgenden unsere Zeitrechnung. Die im Judentum postulierte Liebe des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen, dem »Nächsten«, wurde bei Jesus von Nazareth zum Mittelpunkt der Ethik. In der Annahme, bis zum Jüngsten Tag sei es nicht mehr lange, richteten die Anhänger*innen Jesu und die ersten Christ*innen ihr Leben auf das für sie Wesentliche aus, nämlich die Vorbereitung auf das Endgericht und das ewige Leben. Grenzen der ethnischen Zugehörigkeit wurden dabei unwichtig. Allein wichtig wurde der Glaube und eine an ihm orientierte Lebensweise. Doch im Laufe der Jahrhunderte wurde vor allem das westliche Christentum eine der Welt sehr zugewandte Religion, die in Form von Mönch- und Nonnentum, von Mission und Caritas Landschaften für die Menschen umformte, diese auf die nächste Welt vorbereitete, ihnen aber auch im Diesseits seelische und körperliche Fürsorge zukommen ließ. Calvins Prädestinationslehre lehrte eine Vorherbestimmung aller Menschen für Himmel oder Hölle, die nicht durch Werke verdient werden könne, vielmehr das Ergebnis reiner Gnade Gottes, aber am wirtschaftlichen Wohlstand erkennbar sei. Sie ermunterte die Gläubigen zu harter ökonomischer Arbeit, führte also durch die Hintertür die eigentlich abgelehnte Werkgerechtigkeit doch wieder ein und beförderte dadurch das Entstehen des Kapitalismus. Das östliche Christentum dagegen legte seinen spirituellen Schwerpunkt auf eine Vergeistigung des Menschen durch Kontemplation und Sakramente.

Im 7. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung verband der Islam abrahamitisches Erbe und arabisches Stammesdenken zu einem kompromisslosen Monotheismus, der einen Gott lehrte, der vom Menschen absolute Hingabe erforderte und dem Diesseits nur die Rolle der Vorbereitung auf das Jenseits zubilligte. Solidaritätsverpflichtungen galten zunächst anderen Gläubigen der eigenen und verwandter Religionen gegenüber, waren aber von Anfang an unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. Die Selbsterziehung zu einem guten, Gott gehorsamen Menschen spielte als große Anstrengung, als großer Dschihad, eine zentrale Rolle. Völlig pazifistisch war der Islam aber genauso wenig wie das Judentum oder der Hinduismus, sondern Verteidigung des Lebens, der Familie und des Glaubens waren als kleiner Dschihad erlaubt und mitunter auch Pflicht.

Allgemeine Erkenntnisse

Die religiöse Kreativität der Menschen hörte mit diesen Religionen keineswegs auf, sondern formte diese immer wieder um und ließ auch noch viele neue entstehen, auf die ich hier aus Platzgründen nicht näher eingehen kann. Stattdessen will ich noch ein paar allgemeine Worte versuchen.

Bei allen Unterschieden zwischen den Religionen lassen sich in Bezug auf unsere Fragestellung, welche Friedensressourcen sie uns Menschen bieten, aber auch ein paar Gemeinsamkeiten nennen:

Erstens wird überall der Mensch in größere Zusammenhänge gestellt, denen er nur gerecht werden kann, wenn er sein Ego relativiert, also in Beziehung zu eben diesen größeren Kontexten stellt. Egal ob die Existenz einer ewigen Seele gelehrt wird oder nicht, ob der Hauptfokus auf dem Diesseits oder dem Jenseits liegt, ob ein Gott oder mehrere Gottheiten geglaubt werden oder das Konzept »Gott« keine heilsrelevante Größe darstellt, immer geht es darum, das Ich einzubetten in und auszurichten auf Wichtigeres und Egoismus und Egozentrismus zu überwinden. Überall finden wir spirituelle Übungswege, die dem Gläubigen dabei helfen, ihm aber auch einiges abverlangen. Der friedliche oder gar fürsorgliche Umgang mit anderen Menschen, die Ethik, die Sittlichkeit ist immer ein wichtiger Teil dieses Weges.

Zweitens hängt sehr viel oder gar alles davon ab, wie der oder die einzelne Gläubige die Lehren der eigenen Religion interpretiert. Dazu gehört auch die Frage, wer der Nächste, wer Freund, wer Feind ist, ob die Verpflichtung zu Solidarität, Nächstenliebe, Menschenliebe, Mitgefühl an den Grenzen der eigenen ethnischen oder religiösen Gemeinschaft aufhört oder über sie hinausgeht, ob Andersgläubige auch Gläubige oder Ungläubige sind, ob man die eigene Religion mit Gewalt verbreiten darf oder nicht oder ob man sie vielleicht gar nicht verbreiten darf und so weiter. In allen Religionen gab und gibt es viele einander widersprechende Interpretationen. Hier sind die Intelligenz, die Vernunft, auch die emotionale Intelligenz und das Verantwortungsbewusstsein und -gefühl aller Gläubigen und Praktizierenden in den und außerhalb der Religionsgemeinschaften gefragt. Dazu muss natürlich auch jeder für sich klären, wie autonom er beim Finden der richtigen Interpretation sein darf oder wieviel er unhinterfragt übernehmen muss, wobei man das »darf« und das »muss« hier auch austauschen kann. Was einer als Freiheit empfindet, zum Beispiel wählen zu dürfen, empfindet ein anderer als Zwang, zum Beispiel wählen zu müssen. Auch Gehorsam gegenüber Autoritäten empfindet mancher als Zwang, ein anderer aber als Freiheit von der Last der eigenen Verantwortung.

Die vielen zu beobachtenden Gewaltakte im Namen einer Religion kann man so gesehen einerseits als eine Verweigerung ansehen, das eigene Ich in größere Zusammenhänge zu setzen und den Egoismus zu überwinden, andererseits aber findet gerade dies doch statt, aber es werden andere Schlüsse daraus gezogen. Nicht wenige religiös motivierte Gewalttäter*innen opfern sich dabei auch selber, was ja normalerweise das Gegenteil von Egoismus ist. Es sei denn, man projiziert die eigene egoistische Gier nach Glück und Heil so ins Jenseits, dass man meint, grade dieses durch Gewaltakte erreichen zu können. Die hier wichtige Unterscheidung kann man von außen aber niemandem abnehmen, da ist innerreligiöse theologische Arbeit vonnöten, aber auch wirtschaftliche und politische Akteure sind gefragt, für eine friedliche Interpretation günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Wer sich wirtschaftlich und politisch wohl fühlt, neigt selten zu Gewalt, auch nicht zu religiös motivierter.

Ich beende diesen Essay mit einem Gedanken von Boethius, der sich im ostgotisch besetzen Italien des 6. Jahrhunderts mit Hilfe der Philosophie mit seinem Schicksal versöhnte, unschuldig eingesperrt zu sein. Seinen Groll auf die Bösen, denen es doch scheinbar so gut gehe, überwand er mit dem Gedanken, dass doch eigentlich jeder das Gute wolle. Das sei der sehnlichste Wunsch aller Menschen. Wer nun aber Böses tue, um das Gute zu erreichen, erreiche das Gegenteil, nämlich das Böse. Und so erreiche ein solcher Mensch sein eigenes Ziel nicht, auch wenn es ihm vordergründig gut gehe. Boethius gehe es nun vordergründig schlecht im Gefängnis, aber sein Ziel, das Gute, habe er erreicht, also gehe es ihm doch richtig gut. Das ist ein Beispiel, wie es auch in vielen Religionen gelehrt wird, sein eigenes kleines Ich in größere Zusammenhänge zu stellen und so den eigenen Glauben zu einer Ressource des Friedens zu machen.

Anmerkung

1) Interview in dem Film »Was glaubt Deutschland? (1): Die Gewalt, der Frieden und die Religionen« von Bernd Seidl und Claus Ha­nischdörfer, erstmals ausgestrahlt im Ersten am 13.6.2017, zur Verfügung in der ARD-Mediathek bis zum 12.06.2018. Die zitierte Stelle kommt in der Minute 43.

Literatur

Die folgende Liste zeigt eine Auswahl der im Hintergrund meines Denkens für diesen Essay mitschwingenden Literatur:

Antes, P. (2006): Grundriss der Religionsgeschichte – Von der Prähistorie bis zur Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer, Theologische Wissenschaft 17.

Berger, P.L. und Luckmann, T. (2010): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt a.M.: S. Fischer, 23. Aufl. (1. Aufl. 1969).

Bischof, F.X.; Bremer, T.; Collet, G.; Fürst, A. (2012): Einführung in die Geschichte des Christentums. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Boethius (2010): Trost der Philosophie. Hrsg. von Marie Luise Gothein, aus dem Lateinischen von Eberhard Gothein. Köln: Anaconda.

Bowker, J. (Hrsg.) (1999): Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen. Für die deutschsprachige Ausgabe übersetzt und bearbeitet von Karl-Heinz Golzio. Düsseldorf: Patmos.

Clart, P. (2009): Die Religionen Chinas. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/UTB, Studium Religionen.

Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft (Hrsg.) (2003): Zeitschrift für Religionswissenschaft Nr. 11, Religion und Gewalt: Diagonal-Verlag, Marburg. Mit Beiträgen von Kollmar-Paulenz, K.; Prohl, I.; Bretfeld, S.; Schlieter, J.; Deeg, M.; Kleine, C.

Eliade, M. (1992/93): Geschichte der religiösen Ideen. 4 Bände. Freiburg, Basel, Wien: Herder (1. Auflage 1978-1983).

Freiberger, O.; Kleine, C. (2011): Buddhismus – Handbuch und kritische Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Hasenfratz, P. (1990): Die antike Welt und das Christentum. Menschen, Mächte, Gottheiten im römischen Weltreich. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Hick, J. (2002): Gott und seine vielen Namen. Frankfurt a.M.: Lembeck (2. Auflage).

Jaspers, K. (1949): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. München: Piper.

Küng, H.(1990): Projekt Weltethos. München: Pieper.

Meier, J. (2007): Judentum. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Mensching, G. (1959): Die Religion – Erscheinungsformen, Strukturtypen und Lebensgesetze. Stuttgart: Kurt E. Schwab.

Michaels, A. (1998): Der Hinduismus. München: Beck.

Müller-Karpe, H. (1998): Grundzüge früher Menschheitsgeschichte – Anfänge bis 3. Jahrtausend v. Chr. 5 Bde. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Schimmel, A. (2010). Der Islam – Eine Einführung. Stuttgart: Reclam.

Tworuschka, M. und U. (2007): Die Welt der Religionen. Reihe in 6 Bänden. Gütersloh, München: Wissen Media Verlag.

von Foerster, H.; von Glasersfeld, E.; Hejl, P.M.; Schmidt, S.J.; Watzlawick, P. (2003): Einführung in den Konstruktivismus. München: Pieper, 7. Aufl.

Dr. Michael A. Schmiedel ist Religionswissenschaftler und tätig als Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Abt. ev. Theologie der Universität Bielefeld. Er ist ehrenamtlich tätig u.a. bei Religions for Peace, beim Bonner Institut für Migrationsforschung und interkulturelles Lernen und im Interreligiösen Friedensnetzwerk Bonn und Region sowie als Musikjournalist für die Zeitschrift «Folker«.

Glück als Ressource für Frieden


Glück als Ressource für Frieden

von Jochen Dallmer

Wie kann man sich nur um das eigene Glück kümmern in einer Welt voller Probleme und Konflikte? Der Artikel erläutert, dass Glück, wenn es denn ernst genommen wird, elementar mit dem guten Leben aller zu tun hat und die wichtigste Ressource für Frieden ist.

Glück ist in den letzten Jahren zu einem überaus populären Thema in allen Medien geworden. In kritischer Lesart ist dies Ausdruck der Individualisierung und Atomisierung der Gesellschaft, in der das Wohl des Einzelnen im Vordergrund steht und das Glücklichsein fast schon zum Zwang geworden ist. Wir leben in einer Erlebnisgesellschaft voller Narzisst*innen, denen lediglich ihr eigenes und möglichst unmittelbares Glück im Sinn steht (Cederström/Spicer 2016). Zugleich ist aber unstrittig, dass das Streben nach Glück des Menschen Ziel ist, wie es die Philosophie schon seit Jahrtausenden formuliert. Aus dieser Perspektive erscheint die aktuelle Aufmerksamkeit als ein Suchen in Zeiten von Unsicherheit und Wandel – und in positiver Lesart als ein (potentiell) emanzipativer Schritt, welcher bestehende Konzepte des guten Lebens, Traditionen und Strukturen herausfordert.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema wird mittels des Begriffs »subjektives Wohlbefinden« eine Definition von »Glück« geschaffen, die eine balancierte Beachtung der emotionalen und kognitiven Komponente umfasst: einerseits der Anzahl und Intensität der erlebten Glücksmomente, andererseits der Lebenszufriedenheit insgesamt. Es gibt also nicht »das« Glück, sondern es beruht letztlich auf Selbsteinschätzung, auf subjektiver Wahrnehmung. Wann und wie ich mich glücklich fühle, kann nur ich selbst fühlen, denken und sagen. Dabei ist das Individuum auf die eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten angewiesen, das Wohlbefinden zu bestimmen, zugleich aber auch auf einen reflexiven Diskurs um die Frage, was »das Gute« sei. Letzteres wiederum trägt als gemeinsames gesellschaftliches Leitbild und die damit verbundenen Effekte von Anerkennung zum Glücklichsein bei. Eine entsprechende Ausrichtung der Motive für die Lebensgestaltung, sowohl individuell als auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, fordert Annahmen über letztgültige Wertekataloge heraus.

Im Folgenden soll erörtert werden, wie sich das Streben nach subjektivem Wohlbefinden zum Thema Frieden verhält bzw. welche Ressource »Glück« für das Anliegen friedlicher Konfliktlösungen bietet.

Wohlbefinden als Friedensargument

In den vergangenen 30 Jahren hat sich mit dem Feld der so genannten »Glücksforschung« ein Bereich der Wissenschaft entwickelt, der, ausgehend von der Positiven Psychologie, mit empirischen Erhebungen neue Erkenntnisse bringt. So hat sich die Forschung zum subjektiven Wohlbefinden auch mit der Frage von Krieg und Frieden befasst. Beispielhaft dafür steht eines der bekanntesten Konzepte von Glück auf individueller Ebene, das Erleben von »flow«, welches als ein zentraler Glücksfaktor gilt, aber auch eine starke Ambivalenz aufweist (Csikszentmihalyi 1992). So berichten etwa Soldaten, dass sie Erlebnisse in Kampfeinsätzen als Erfahrungen von »flow« bewerten, kriegerische Handlungen also auch Glückserfahrungen bieten. Ähnlich problematisch sind Glückserlebnisse durch Gemeinschaftsgeist zu bewerten, wie sie etwa totalitäre Regime mit ihren autoritären Strukturen organisieren, oder die historischen Beispiele einer Kriegsbegeisterung weiter Bevölkerungsteile. Dieses Glückserlebnis beruht jedoch meistens auf einer Ausgangslage von Unglück, sei es eine wirtschaftliche Krise oder eingeschränkte individuelle Lebenszufriedenheit.

Die empirische Glücksforschung geht sehr nüchtern vor und unterteilt Glückserlebnisse nicht nach moralischen Maßstäben in höheres und niederes Glück, sondern ermittelt eine Gesamtbilanz der Glücksaspekte. Mit einer teilweise etwas gewagten Gegenüberstellung der Glücks- und Unglücksfaktoren von Krieg kam der Ökonom Bruno S. Frey (2011) zu dem wenig verwunderlichen Ergebnis, dass Krieg insgesamt deutlich mehr Unglück bringe als Glück. Andere Studien zeigten, dass glückliche Menschen sich eher für Frieden einsetzen (Diener 2007). Ausgehend von dem Primat des eigenen Wohlbefindens ist also Krieg insgesamt nicht wünschenswert. Dies klingt zunächst banal, ist aber als Grundlage für eine Friedensargumentation von hoher Relevanz.

Egoismus und das Glück der Anderen

Reicht es aber aus, nach dem eigenen Glück zu streben, um für Frieden zu votieren? In skeptischer Sicht auf das menschliche Sein ist es keine solide Grundlage, denn wenn jeder nach seinem eigenen Glück strebt, droht ein Kampf aller gegen alle, es entfesselt sich das Recht des Stärkeren. Entsprechend, so die Argumentation für alle starken Tugendkataloge, gilt es, das eigene Glücksstreben einzuschränken, um das größere und gemeinsame Gut zu ermöglichen, in diesem Fall Frieden. Jedoch: Im Tugendkanon klassischer Werke der Glücksphilosophie finden sich neben Freundschaft, Gerechtigkeit und Solidarität auch Mut und Tapferkeit. Immerhin ist Tapferkeit eine Tugend, die in militärischen Zusammenhängen ausgiebig angerufen und missbraucht wird.

Lösen wir die Idee eines fest gegebenen Katalogs der Tugenden (inkl. Friedenstugend) auf, so bleibt als finaler Bezugspunkt eines Moralkodex die Idee des guten Lebens. Als dessen Basis stehen wiederum die Idee und Wahrnehmung des eigenen Seins und des eigenen Wohlbefindens, der Rückbezug auf die eigene Leiblichkeit mit ihrer Verletzlichkeit und der Fähigkeit, Freude zu erfahren, das eigene Sein, das eigene Wohlergehen, das eigene Glück. Basis der Ethik ist das Lebenwollen der Menschen, so wie es im bekannten Spruchs Albert Schweizers heißt: Leben inmitten von Leben, das leben will. Dabei reicht aber die Idee des Lebenwollens über das eigene Leben hinaus. Da ist zum einen die persönliche Erfahrung, dass das eigene Leben von anderen Menschen und deren Wohlwollen abhängt. Dies gilt besonders in der Kindheit, aber auch in allen weiteren Lebensphasen. Durch die naturgegebene Abhängigkeit des Menschen ist eine Basis des Miteinanders verankert, welche sich als Veranlagung zur Kooperation genetisch etabliert hat. Zum anderen gilt die rationale Überlegung, dass das (gut) Leben wollen auch andere Menschen betrifft und einen guten Grund liefert, dies (gegenseitig) zu respektieren. Es ist als für alle Menschen gültig anzunehmen, dass sie gut leben und nicht unterdrückt werden wollen. Daraus ergibt sich die Aufgabe, Leid zu vermeiden, und umgekehrt, dass Gewalt etwas ist, das abzulehnen ist, das nicht gewollt sein kann. Dafür braucht es nicht einmal die individuelle Erfahrung von Gewalt, es reicht das Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit, welches jedem Menschen gegeben ist. Peter Stemmer (2013) verdeutlicht dies in seinem Konzept des »Unterdrückungsverbots«.

Hedonismus für den Frieden

Das Primat des guten Lebens als Leitbild für das kooperative Miteinander ist als »aufgeklärter Hedonismus« bezeichnet worden und wird z.B. von Bernulf Kanitscheider oder Michel Onfray vertreten. Sie verzichten explizit auf die Bezugnahme von höheren Gründen und Werten; als Bezugspunkt zählt nur das Leben im Diesseits. Die Idee der Opferung von Individuen für den Staat und das Gemeinwesen widerspricht daher der Idee des Hedonismus zutiefst. Vielmehr gebietet die Vermeidung von Leid implizit auch die Vermeidung von Krieg. „Mit Hilfe einer hedonistischen Ethik lässt sich kein Nazismus und kein Stalinismus hervorbringen, auch kein Christentum, sondern nur ein Aufrufen zur Anstrengung, zum Verzicht, zum Universalen, dem ganzen Arsenal des asketischen Ideals.“ (Onfray 1993, S. 187) Historisch sprachen sich entsprechend viele Hedonist*innen für den Pazifismus aus.

Als »hedonistische Intersubjektivität« bezeichnet Onfray diesen Ansatz eines hedonistischen Gesellschaftsvertrages (Onfray 2008, S. 125f.). Höffe nennt dies »hedonistischen Utilitarismus«, bei dem es eben auf alle Betroffenen ankomme, so wie es von John Stuart Mill auch bei der Entwicklung der Freiheitsidee ursprünglich gemeint war (Höffe 2007, S. 107). In der globalisierten Welt schließt das auch jene ein, die wir nicht direkt als Gegenüber wahrnehmen, die aber mit uns mittels Wirtschaft und Politik verbunden sind, letztendlich also alle: „Weil sein Leben vom Wohlergehen der umgreifenden Gesellschaft abhängt, etwa von deren materieller, sozialer und kultureller Infrastruktur, erweitere man die Quasi-Tugend, jetzt besser Solidarität genannt, auf diesen größeren Lebensraum. Im Zeitalter der Globalisierung erhält sie sogar eine globale Dimension; sie wird zur kosmopolitischen Solidarität.“ (Höffe 2007, S. 179-80)

Eine solcher Hedonismus lässt sich ebenso mit dem Begriff eines »aufgeklärten Egoismus« beschreiben, der sich der Gegenseitigkeit des Wohlergehens bewusst ist. Hierzu zählt auch die zunehmend Anerkennung findende Erkenntnis, dass das subjektive Wohlbefinden nicht rein individualistisch ist, sondern auf Miteinander und Kooperation beruht (Ahuvia et al. 2015). Dies gilt für das Überleben, noch mehr aber für Elemente des guten Lebens, ganz zentral etwa im Bereich der Entwicklung von Kultur und Lebenskunst (man denke etwa an die elaborierte Kooperation eines Orchesters). Die Kooperation besteht aus freien Stücken auf Grundlage der Überzeugung, das das gewählte Miteinander dem gegenseitigen Vorteil dient, wie es sich im theoretischen Rahmen des »Kontraktualismus« wiederfindet (Stemmer 2013). Es steht also Interesse gegen Interesse (oder man könnte auch sagen Glückskonzept gegen Glückskonzept), und es muss sich zeigen, wie eine einvernehmliche Regelung – im Idealfall eine »win-win«-Lösung – aussehen kann. Philosophisch findet sich dies in der Diskursethik wieder, welche etwa vom im Mai diesen Jahres verstorbenen Philosophen Karl-Otto Apel beschrieben wurde.

Das Glück ist politisch

Wie kann die Aufmerksamkeit nun vom egozentrischen Glück der Selbstoptimierungsratgeber hin zu einem reflektierten Glück des aufgeklärten Hedonismus verlagert werden? Es gilt zunächst, den emanzipativen Aspekt des Glücksstrebens zu stärken und sich nicht mit einfachen Antworten und Rezepten zufriedenzugeben. Dazu gehört ein aufgeklärtes Verständnis des eigenen Wohlbefindens, etwa die stärkere Beschäftigung mit der eigenen Leiblichkeit, ebenso wie die Idee und Erfahrung der Gegenseitigkeit des Glücks. Dafür ist es notwendig, die philosophischen Betrachtungen vom Sollen und Wollen zu stärken und über jene Ansätze psychologischer Resilienz hinauszugehen, die das Glücksstreben der Individuen im bestehenden System stärken wollen, ohne dessen immanente Widersprüche zu erkennen. (Beispiele für solche »Glückssackgassen« sind der Glückscoach in Unternehmen, Stärkentrainings in Schulen, etc.). Glück ist zwar eine subjektive Kategorie, aber ein gemeinsames Gut und daher ein politisches Anliegen. Es bedarf einer Stärkung der diskursiven Elemente, d.h. die Frage nach dem guten Leben ist gemeinsam zu behandeln.

In den letzten Jahren haben sich erste konkrete Ansätze entwickelt, um gesellschaftliche Entwicklung über bestehende Wirtschaftsindikatoren hinaus zu messen, von Bhutans Konzept des »Bruttosozialglücks« bis hin zu Indikatorensets, wie dem Index für Lebensqualität in Deutschland. Zwei Beispielfelder seien hier genannt:

1. Studien zu Ungleichheit zeigen, dass gleichere Gesellschaften mehr individuelle Zufriedenheit und weniger gesellschaftliche Spannungen mit sich bringen (Wilkinson/Pickett 2010). Dies hat große Relevanz für zahlreiche innergesellschaftliche Konfliktfelder. Entsprechend wurde der Regierung des Libanon empfohlen, einen Glücksindex zu erstellen, um zur Konfliktreduktion beizutragen (Yones 1998).

2. In Hinsicht auf die Herausforderung einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung ist der Bezug zu Glück ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung von Konzepten einer Postwachstumsgesellschaft, anknüpfend etwa an die oben genannten alternativen Indikatorensets. Was den materiellen Wohlstand angeht, welcher zum subjektiven Wohlbefinden beiträgt, zeigt sich eine Art Sättigungspunkt. Wohlstand ist also nur bedingt mit Wohlbefinden gekoppelt (vgl. Skidelsky 2013). Dieser Ansatz birgt eine Perspektive in Hinsicht auf steigende Konfliktpotentiale um zunehmend beanspruchte natürliche Ressourcen.

Glücksbausteine als Friedensressourcen

Es ist just die Subjektivität des persönlichen Wohlbefindens, welche die friedliche Konfliktregelung erfordert und begründet. Damit die unterschiedlichen Vorstellungen vom guten Leben in bestmöglichen gesellschaftlichen Vereinbarungen berücksichtigt werden können, braucht es einen Rahmen für den Diskurs, nämlich Frieden. Frieden ist die Grundlage für ein glückliches Leben, so wie umgekehrt das Streben nach Glück die Grundlage für Frieden ist. Sie sind nicht zu trennen. „Wie es niemanden gibt, der sich nicht freuen wollte, gibt es auch niemanden, der keinen Frieden haben will.“ (Aurelius Augustinus, zitiert nach Hoffmann 2006, S. 355).

Glücklichsein bedarf vor allem des Freiraums, um Glück zu (er)leben. Glücklichsein ist die beste Prävention gegen Aggression und Gewalt, gegen den aktuell wieder aufkommenden »autoritären Charakter«, welcher sich aus der subtilen Unterdrückung des eigenen Glücks in einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft nährt. Nach dem Glück zu streben ist das legitime Ziel des Menschen; es ist verbunden mit Emanzipation und Aufklärung und daher die wichtigste Ressource für Frieden.

Literatur

Ahuvia, A.; Thin, N.; Haybron, D. M.; Biswas-Diener, R.; Ricard, M.; Timsit, J. (2015): Happiness – An interactionist perspective. International Journal of Wellbeing, Vol. 5, Nr. 1, S. 1-18.

Apel, K.O. (1990): Diskurs und Verantwortung – Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Cederström, C.; Spicer, A. (2016): Das Wellness-Syndrom – Die Glücksdoktrin und der perfekte Mensch. Berlin: Edition Taimat.

Csikszentmihalyi, M. (1992): Flow – Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart: Klett-Cotta.

Diener, E.; Tov, W. (2007): Subjective Well-Being and Peace. Journal of Social Issues, Nr. 63, S. 421-440.

Frey, B.S. (2011): Peace, war, and happiness – Bruder Klaus as wellbeing facilitator. International Journal of Wellbeing, Vol 1, Nr. 2, S. 226-234.

Hoffmann, S. (2006): Aurelius Augustinus – Glück als Friede. Einführung. In: Spaeman, R.; Schweidler, W. (Hrsg.) (2006): Ethik. Lehr- und Lesebuch. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 354-357.

Höffe, O. (2007): Lebenskunst und Moral – Oder: Macht Tugend glücklich? München: Hirzel.

Kanitscheider, B. (2011): Das hedonistische Manifest. Stuttgart: Hirzel.

Onfray, M. (2008): Die reine Freude am Sein – Wie man ohne Gott glücklich wird. München: Piper.

Onfray, M. (1993): Philosophie der Extase. München: Piper.

Skidelsky, R.; Skidelsky, E. (2013): Wie viel ist genug? München: Kunstmann.

Stemmer, P. (2013): Begründen, Rechtfertigen und das Unterdrückungsverbot. Berlin/Boston: De Gruyter.

Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010): Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin: Haffmanns & Tolkemitt.

Yones, M. (1998): Subjective Well-being as Public Policy and Tool to Prevent Future Civil Conflicts. Management & Technology Consulting Group (MTCG).

Jochen Dallmer, Politikwissenschaftler, promoviert zur Zeit an der Universität Kassel zum Thema »Glück & Nachhaltigkeit« und ist zudem im Bildungsbereich aktiv.

Theaterräume und die Kunst des Sehens


Theaterräume und die Kunst des Sehens

Friedensressource Kultur

von Hannah Reich

Wie können sich Menschen sicher fühlen, eine andere Identität annehmen, dem Alltag auch einmal entfliehen und damit die Konfrontation auch mit anderen Narrativen aushalten? Im Artikel wird Kultur als Ressource hierfür dargestellt. Insbesondere wird auf die Ausdrucksform des Theaters und seine Möglichkeiten der Konflikttransformation eingegangen.

Friedensbildung verlangt Arbeit: Arbeit an den bestehenden Machtverhältnissen, Rechtssystemen und Ressourcenverteilungen, den Weltanschauungen und Beziehungen, einschließlich der sie formenden Einstellungen, Handlungen und Haltungen. Diese Arbeit kann auch mittels kultureller Ausdrucksformen vorangetrieben werden. Dazu möchte ich auf die Kraft des “ästhetischen Raumes” (Boal 2000, S. VI) der interaktiven Theaterform »Forumtheater«1 als eine ergründende, verbindende und ermächtigende Ressource in Friedensbildungsprozessen verweisen. Die Wirkkraft dieses Raumes entsteht dadurch, dass er einen gemeinschaftlichen »Liminalraum« darstellt, in dem ein vom gewohnten Alltag zu unterscheidendes Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln praktiziert werden kann.

Nicht zuletzt durch den starken Einfluss von Paolo Freires Befreiungspädagogik erfüllt das Forumtheater die Erfordernisse der Konflikttransformation nach einem „entlockenden Ansatz“ (engl. elicitive approach) nach John Paul Lederach (vgl. z.B. Lederach 1995). Dieser Ansatz kann eine gewisse universelle Gültigkeit in Anspruch nehmen, während er gleichzeitig den Unterschieden in den sozio-kulturellen Gegebenheiten und Kontexten Rechnung trägt. Hierbei ist zu betonen, dass der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation in der komplexen Gemengelage von Friedensbildungsprozessen nicht allein in dem Grundsatz der Partizipation zu finden ist. Denn es besteht die Herausforderung, eine Beteiligung und Aneignung der Prozesse zu ermöglichen, ohne dabei lediglich die geläufigen Narrationen, Mythen und Formen der Geschichtenerzählung zu verstärken, die bereits im Konfliktgefüge zirkulieren (Thompson 2004). Auf Grund des »entlockenden Charakters« wundert es nicht, dass interaktive Theaterprojekte vermehrten Eingang in den Bereich der Konflikttransformation finden.

Die Kunst des Sehens lernen

In einem Gruppenprozess interaktives Theater zu spielen, erlaubt es unter dem Deckmantel, als »Schauspieler« zu agieren, andere Facetten der eigenen Identität ins Scheinwerferlicht zu stellen als die, die im Alltag unter Umständen stark von dominierenden Gruppenzugehörigkeiten geformt werden, und lässt andere Verhaltens- und Sichtweisen des »Ich« in den Vordergrund treten. Außerdem ermöglicht der interaktive Ansatz des Forumtheaters eine sorgfältige Durchleuchtung erlebter Beziehungsverhältnisse durch die Darstellung, welche eine erfahrbare und dennoch distanzierte Reflektion der Interaktionen erlaubt. Die Arbeit am »Selbst« und seiner Wahrnehmung sowie auch die Vergegenwärtigung und Bewusstwerdung über die Beziehungsverhältnisse in der Gemeinschaft bedingen sich gegenseitig und münden in einem individuellen und gleichzeitig kollektiven Transformationsprozess.2 Wobei gerade auch die non-verbale Dimension der Kommunikation einen Ausdruck findet. Dreh und Angelpunkt ist hierbei die Art und Weise des Sehens, des Blickes auf sich, auf das Kollektiv und auf die Welt. Die »Kunst des Sehens« zu lernen, stellt ein Kernstück der Arbeit dar. Dieses Sehen erlaubt neue Perspektiven und damit auch neue Handlungsmöglichkeiten. Die zu erlernende Kunst des Sehens unterscheidet sich von einem normalen Schauen bezüglich folgender Aspekte:

1. Präsenz: Das Sehen erwartet ein Wahrnehmen, in dem der Sehende ganz und gar präsent ist und nicht mit seinen Gedanken in der Vergangenheit oder der Zukunft umherwandert, sondern ganz dem Hier und Jetzt zur Verfügung steht. Dies bedeutet auch ein Wahrnehmen mit allen Sinnen, einschließlich des Riechens, Schmeckens, Fühlens, Hörens und des sechsten Sinn.

2. Wertschätzung: Dies bedeutet von einem urteilenden zu einem nicht-urteilenden, sondern annehmenden Blick zu gelangen, in dem das Beobachtete so, wie es sich zeigt, wahrgenommen werden kann.

3. Sich als Teil eines Größeren wahrnehmen und die Wahrnehmung von Details: Durch dieses kollektive Bewusstsein kann das Erlebte in einen kollektiven Zusammenhang gestellt werden, in dem die Erfahrung als eine dem menschlichen Kollektiv zugehörige wertgeschätzt werden kann. Gleichzeitig verlangt dieses Sehen nicht nur ein Rauszoomen, sondern auch ein fokussiertes Wahrnehmen kleiner Veränderungen in der Haltung und Gestik, in Blicken, Stimmlage und Redeweise. Dadurch kann eine kleine Veränderung überhaupt als Änderung wahrgenommen werden, welche im Alltag leicht übersehen würde.

Diese Kunst des Sehens kennzeichnet das Sehen – und nicht nur das Darstellen – als eine aktive Handlung, ein »aktives Sehen»« mit allen Sinnen. D.h. es wird nicht nur der/die Schauspieler*in als aktiv am Prozess beteiligt konzipiert, sondern als genauso aktiv – wenn auch still sitzend – wird der/die präsente, wahrnehmende, bezeugende Zuschauer*in gewertet.

Die Kunst des Sehens wird in einem Gruppenprozess geübt, in dem Körper­übungen gemacht, Spiele gespielt und Meditationstechniken und Sprechweisen trainiert werden. Der wertschätzende, präsente Blick ermöglicht, dass die Teilnehmer*innen mehr und mehr die Alltagsmasken fallen lassen und sich in all ihrer Blöße und Verletzlichkeit in der Gruppe zeigen. Es entsteht eine Stimmung, in der sich alle der Gruppe zugehörig fühlen können, obwohl die Einzelnen sehr unterschiedlich sind. Denn das gemeinsame Handeln, das körperliche Interagieren verbindet trotz möglicher großer Differenzen bezüglich bestimmter Werte und Normen, und es ermöglicht die Öffnung für ein kollektives Bewusstsein der Zugehörigkeit ohne Homogenisierung. Mittels der Kunst des Sehens kann ferner gelernt werden, auch kleine Veränderungen als Veränderungen wahrzunehmen, da der Beobachter nicht so sehr mit Urteilen beschäftigt ist als damit, mit allen Sinnen alles auf der Bühne bewusst aufzunehmen. Gleichzeitig wird diese Erfahrung auf der Bühne mithilfe einer Mittlerfigur, dem »Joker«, gemeinschaftlich reflektiert und diskutiert.

Dabei möchte ich auf die komplexe Beziehung des Darstellens und Geschichtenerzählens in Bezug auf das Sicherheitsgefühl und die Integrität einer Person gerade in kriegsgeprägten Gesellschaften verweisen. Wie James Thompson deutlich gezeigt hat, basiert das interaktive Theater auf der Idee, dass unterschiedliche Geschichten in einer Performance gezeigt werden können, und impliziert das Recht jeder Geschichte, erzählt zu werden (Thompson 2004). Die Essenz des Prozesses liegt darin, dass sich aus einer Geschichte andere Geschichten entwickeln können, mit einem anderen Ende, und dass nicht nur eine Geschichte die Wahrheit beanspruchen kann. Das verlangt besondere Achtsamkeit in Kontexten, in denen lineare Geschichten als Überlebensstrategie Schutz vor Scham und Schuld bieten und Schmerz, Verlust und Leid erträglich machen. Im Licht einer Kunst des Sehens nähert man sich sensiblen Themen achtsam. Dies erzeugt manchmal ein Dilemma, da somit auch Stereotype des Anderen und generalisierte Erzählungen stehen gelassen werden, die es aber zur Konflikttransformation zu dekonstruieren gilt. Der Akt des Geschichtenerzählens und des Darstellens in der komplexen Gemengelage von Konfliktgefügen verlangt weitere Untersuchungen. Die Kunst des Sehens kann nicht mehr als eine Richtung aufzeigen, in der deutlich wird, welche Kraft für Veränderung in dem Blick, im Ansehen und der Anerkennung steckt, und die wieder mal betont, wie wichtig für eine konstruktive soziale Veränderung die Entwicklung qualitativer Beziehungen ist, die in dem Gruppenprozess interaktives Theater entstehen können.

Kultur als Ressource für Sicherheit

Warum hat diese Ressource »Kultur« auch mit Sicherheit zu tun – am besten noch mit Sicherheit in Deutschland?

Hierbei möchte ich auf drei Aspekte verweisen, die m.E. in Diskussionen um »Sicherheit« zu kurz kommen:

Erstens die Tatsache, dass das individuelle Gefühl von (Un-) Sicherheit eng verknüpft ist mit dem Beziehungsgefüge, in dem sich die Person befindet und das ihr (Un-) Sicherheit gibt. Dies ist wichtig zu betonen, denn es erlaubt, auf die Abwesenheit von Beziehung, das Fehlen von qualitativ hochwertigen Beziehungen zu verweisen, in denen eine konstruktive Konfliktkultur3 herrscht, wenn Menschen sich unsicher fühlen. Und dieses qualitative Netzwerk von Beziehungen entsteht nicht durch das Aufstellen von Videokameras, bewachten Mauern und/oder Zäunen. Ein qualitatives Beziehungsnetz entsteht durch Beziehungsarbeit, durch gemeinschaftliche Tätigkeiten und in fragmentierten Gesellschaften durch Arbeit der Vertrauensbildung. Hierbei können kollektive Rituale eine Bedeutung bekommen und auch gemeinschaftliche Praktiken, wie z.B. durch kulturelle Veranstaltungen, Musik, Sport oder vielleicht auch interaktives Theater. Wirkliches Vertrauen verlangt jedoch ein Vertrauen in sich selbst und ein einigermaßen gesundes Selbstwertgefühl. Dies führt zum nächsten Aspekt:

Zweitens: Bedrohung ist ein komplexes Konstrukt, welches individuelle Gefühle, Wahrnehmungen und Erfahrungen genauso umfasst wie die kollektiven Darstellungen, Konstruktionen und medialen Repräsentationen. Dies bedeutet, dass das Sicherheitsgefühl von Personen schwer objektiv gemessen werden kann. Der subjektive Aspekt der Bedrohung ist eng mit dem objektiven Aspekt verwoben: der wirklich existierenden Desintegration, Konflikten und Gewalt. Dabei ist es unmöglich, beide Aspekte voneinander zu trennen, und es wird deutlich, wie sehr der wahrgenommene »subjektive« Aspekt auch in objektiv ungefährlichen Situationen gewalttätige Handlungen unterstützt und somit mehr Unsicherheit schafft. Zusätzlich muss man festhalten, dass der »subjektive« Aspekt nicht in dem Sinne subjektiv ist, dass er individuell ist, sondern er ist verwoben mit kollektiven und kulturellen Erinnerungen, Bedeutungssystemen und Verhaltensweisen.4 Das vorhandene kulturelle Kapital ist also sehr wichtig dafür, ob eine Situation als subjektiv gefährlich wahrgenommen wird und ob sich jemand von einer Politik der Angst verführen lässt. Denn auf der anderen Seite kann sogar in objektiv sehr gefährlichen Situationen ein kulturelles Wissen uns daran hindern, Handelnde der Angst zu werden.5 Dies führt zu dem letzten Aspekt:

Drittens: Ich möchte Sicherheit auf ganz direkte Weise mit der Frage der Bildung, verstanden als Faktenwissen und als wissensgenerierende Praxis, verknüpft sehen. D.h. es geht einerseits um das Wissen, welches hilft, sich gegen Stereotype und allzu schemenhafte »grandes narrations« der Welterklärung zu wenden und diese zu ergänzen bzw. zu dekonstruieren. Aber vielleicht noch viel wichtiger ist die Frage, welches Wissen dazu in der Lage ist, Menschen auf den Weg eines Bewusstwerdungsprozesses zu führen, der es ihnen erlaubt, individuell erlebte Erfahrungen von Angst, Verlust und Verzweiflung zu überwinden und sich selbst als wertvollen und würdigen Teil des menschlichen Kollektivs sinnvoll handelnd wahrzunehmen. Hier, denke ich, kann die Ressource Kultur, wie z.B. die Wissensgenerierung durch interaktives Theater – welches einerseits Geschichten hervorgräbt, die anderes Wissen als das gängig gehörte auf die Bühne bringen, und andererseits auf einem Gruppenprozess basiert, der kollektive Erfahrungen, Bewusstwerdung und Selbst-Gewahrwerdung impliziert – durchaus einen Beitrag leisten.

Kultur kann als Ressource gesehen werden, um Sicherheiten zu schaffen und Frieden zu bilden. Dafür eignet sich gerade die Gemeinschaftskunst des interaktiven Theaters, wo kollektive Zugehörigkeiten konstituiert werden, welche auch konstruktive Kommunikationsformen und Konfliktbearbeitung trainieren können. Gerade durch die Möglichkeit, non-verbal zu kommunizieren und körperlich zu agieren, kann auf der Beziehungsebene auch eine Qualität hergestellt werden, die es erlaubt, auf der Sachebene Differenzen auszuhalten, ohne sich zu distanzieren. Auf der Basis kultureller Praktiken kann ein Gemeinschaftsgefühl kreiert werden, das es ermöglicht, eine konstruktive Konfliktkultur zu üben und zu praktizieren. Diese Prozessorientierung kann die Ambiguitätstoleranz ebenso stärken wie die Fähigkeit, mit ungeordnetem, chaotischen Zuständen umzugehen.

Ambivalenz von Kunst und Kultur

Spätestens hier wird deutlich, dass Kunst und Kultur nicht per se zur Friedensbildung beitragen. Im Gegenteil, diese Medien können als soziale Ausdrucksmittel genauso gut zur Polarisierung und Fragmentierung der Gesellschaft wie auch zur Eskalation von Konflikten verwendet werden, wie anhand der rechten Musikszene in Deutschland einleuchtend vor Augen geführt werden kann.

Genauso muss man betonen: Eine konstruktive Verwendung der Ressource Kultur kann nicht eine sozio-ökonomische und politische Re-Strukturierung der globalen Regierungsführung ersetzen. Wird Kultur aber konstruktiv und bewusst eingesetzt, kann sie dazu beitragen, die Qualität des sozialen Gefüges zu verbessern und andere Formen des Wissens in die Gesellschaft einspeisen.

Wenn Diana Francis sagt, „Konflikttransformation bedeutet Kulturtransformation für uns alle“, dann erkennt sie an, dass es an der Zeit ist, sich neue Räume der Wissensgenerierung anzueignen, in denen neben Faktenwissen Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung und der persönlichen und kollektiven Bewusstwerdung einen Raum haben, und dass es an der Zeit ist, soziale Orte zu konzipieren, in denen kollektive Zugehörigkeiten praktiziert werden können, ohne dass die Teilnehmenden notwendigerweise sozio-politisch einer Meinung sind. Hier können kulturelle Praktiken eine Vorreiter­rolle spielen.

Anmerkungen

1) Zur Funktionsweise des Forumtheater siehe Reich, H. (2010): Die friedensbildende Kraft interaktiver Theaterräume. W&F 4-2010, S. 40-43.

2) Ich beziehe mich auf den Forumtheater-Prozess, der dadurch gekennzeichnet ist, dass eine von den Teilnehmern als ungerecht erlebte Situation auf der Bühne bis zu einem Krisenpunkt dargestellt wird und im Anschluss daran das Publikum gebeten wird, auf die Bühne zu kommen und als einer der Charaktere das Stück zu einem anderen Ende zu bringen, während es nochmal von vorne gespielt wird.

3) Siehe dazu auch Heitmeyer, der deutlich macht, dass Gewalt nicht durch Toleranz verhindert werden kann, sondern durch „kontinuierliche Handlung“ (Heitmeyer 2002, S. 276).

4) Um diesen Punkt deutlich zu machen: Wenn wir nur die Narration kennen, „helle Frauen mit Stirnband sind bereit, sich in die Luft zu jagen“, dann wird, selbst in objektiv nicht gefährlichen Situationen, das Sicherheitsgefühl durch die Anwesenheit einer Frau mit Stirnband erschüttert werden. Wenn jetzt diese Geschichte durch die Narration „eine rothaarige Frau mit Gewehr wird uns schützen“ vervollständigt wird, dann wird die Anwesenheit einer rothaarigen Frau wiederum das Sicherheitsgefühl erhöhen.

5) Gerd Spittler hat zum Beispiel gezeigt, dass in objektiv sehr gefährlichen Situationen, wie Hungerkatastrophen, eine „kulturelle Vitalität“, die kulturelles Gedächtnis und sozio-kulturelle Aktivitäten einschliesst, die Tuaregs im Niger dazu befähigt hat, trotz dieser Bedrohung ihre Würde zu erhalten (Spittler 2004).

Literatur

Boal, A. (2000): Rainbow of Desire. The Boal method of theatre and therapy. London: Routledge.

Heitmeyer, W. (2002): Deutsche Zustände – Folge 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lederach H.P. (1995): Preparing for Peace – Conflict Transformation Across Cultures. Syracuse, NY: Syracuse University Press.

Spittler, G.; Probst, P. (eds.) (2004): Between Resistance and Expansion – Explorations of local vitality in Africa. Münster: LIT.

Thompson, J. (2004): Digging up stories – An archaeology of theatre in war. The Drama Review, Vol. 48, No. 3, S. 150-164.

Prof. Dr. Hannah Reich ist Hochschullehrerin am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt.