Weg zur Kirche des Gerechten Friedens
Weg zur Kirche des Gerechten Friedens
Eine badische Initiative
von Theodor Ziegler
Die Badische Landeskirche startete im Frühjahr 2012 einen Diskussionsprozess zu einer Neuorientierung der Friedensethik. Ausgangspunkt war eine Eingabe des Kirchenbezirks Breisgau-Hochschwarzwald im Jahr 2011, der eine Neuorientierung der Friedensethik beantragt hatte. Die Mitglieder des »Arbeitskreises Frieden« forderten darin die Abkehr von der militärischen Konfliktregelung und ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit als einziger Option in der Landeskirche. Der Autor beschreibt die Hintergründe dieser Initiative und wie sich sie inzwischen über Baden hinaus entwickelt hat.
Für die frühe Christenheit waren der Gewaltverzicht und damit die Ablehnung militärischer Gewalt weitgehend eine Selbstverständlichkeit. Doch im Gefolge der konstantinischen Wende (ab dem Jahr 312), in der das Christentum zur römischen Staatsreligion wurde, entwickelte sich ein enges Verhältnis zwischen Kirche und Militär. Das ist in Deutschland bis heute auf jedem Panzer, jedem Bomber und jeder Rakete der Bundeswehr in Form des »Tatzenkreuzes« (dem Hoheitszeichen des deutschen Militärs) oder an militärischen Verdienstkreuzen sichtbar sowie durch die kirchlich verantwortete und staatlich bezahlte Militärseelsorge institutionalisiert. Die großen Volkskirchen trugen unzählige Kriege ihrer jeweiligen Staaten gegeneinander mit; auch die protestantischen Kirchen protestierten in ihrer 500-jährigen Geschichte gegen keinen einzigen Krieg. Die nationale Bindung war wesentlich bedeutsamer als die religiöse.
Diejenigen Christ*innen, die zu Zeiten der Reformation in der Nachfolge Jesu auf militärische Gewalt und Todesstrafe verzichten wollten, wurden von den Reformatoren in Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses (Confessio Augustana)1 von 1530 verdammt, was Verfolgung, Folter und Hinrichtung nach sich zog. Bis heute stehen diese unsäglichen, evangeliumswidrigen Auffassungen unwiderrufen und kaum kritisch kommentiert im Anhang der evangelischen Kirchengesangbücher und bilden die für alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen gültige Bekenntnisgrundlage. Als eine Radler*innengruppe des Internationalen Versöhnungsbundes im vergangenen September den Artikel 16 des Confessio Augustana in einem Postpaket mit der Angabe »Annahme verweigert« von Augsburg nach Wittenberg überbrachte, wurde dies sowohl von der Reformationsbotschafterin Margot Käsmann wie auch von der mitteldeutschen Landesbischöfin Ilse Junkermann nur mit Schweigen quittiert – obwohl beide frühzeitig angefragt waren und für eine eher kritische Haltung bekannt sind. Ein Lichtblick ist es daher, dass der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Bremer leitende Geistliche Pastor Renke Brahms, inzwischen dringenden Handlungsbedarf signalisierte.2
In ihrer letzten Friedensdenkschrift von 20073 stellte die EKD fest, dass es keine gerechten Kriege geben könne, und bekannte sich zum gerechten Frieden und zur vorrangigen Option der Gewaltfreiheit, was jedoch der militärischen, wenn auch nachrangigen, Option weiterhin die Existenzberechtigung und kirchliche Billigung verlieh und an der engen Kooperation zwischen Kirche und Militär nicht das Geringste änderte. Ein im Afghanistan-Einsatz befindlicher Militärpfarrer bezeichnete die Bundeswehrsoldaten gar als „Krieger des Lichts“ und seinen dortigen militärseelsorgerlichen Versammlungsraum als „Gottesburg“.4 Und der vormalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider zelebrierte im Mai 2011 in der Abflughalle des Flughafens Köln-Wahn vor einer Maschine der Bundesluftwaffe einen ZDF-Fernsehgottesdienst.5
Eingabe
Diese Widersprüchlichkeiten, aber auch die damalige Jahreslosung „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römerbrief des Paulus, Kap. 12, Vers 21), veranlassten im Jahr 2011 den Friedenarbeitskreis im Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald, mit einer Eingabe6 an die badische Landessynode eine am Vorbild und Evangelium Jesu Christi orientierte Neuausrichtung kirchlicher Friedensethik anzuregen: So wirke Gewaltfreiheit nur dann, wenn sie die einzige Option sei, ohne eine militärische Keule in der Hinterhand. Auch sei die Vorrangigkeit der gewaltfreien Option kaum gegeben, wenn die Bundesregierung für den Zivilen Friedensdienst gerade ein Promille der finanziellen Mittel ausgebe, die für die eigentlich nachrangige Option militärischer Gewalt fraglos zur Verfügung stünden. Die EKD verkenne die Eigendynamik des – an seiner Unersetzlichkeit arbeitenden – militärisch-industriellen Komplexes und schweige zu der sich daraus ergebenden führenden Rolle Deutschlands als Rüstungsexporteur. Hingegen wäre das Eintreten gegen wie auch immer begründete Auslandseinsätze der Bundeswehr und deren Ablösung durch die Entwicklung nichtmilitärischer Konfliktregelungsmechanismen im internationalen Bereich unmittelbarer Ausdruck der Nachfolge des die Gewaltlosen und die Friedensstifter seligpreisenden Jesus Christus und damit eine Form politischer Diakonie. Weil Gewaltfreiheit jedoch nicht erzwungen werden könne, sondern von der Überzeugung und Bereitschaft der sie praktizierenden Menschen abhänge, sei eine breite Diskussion in Gemeinden und Kirchenbezirken erforderlich. Nicht zuletzt müsse sich auch die EKD als Gesprächspartnerin der Bundesregierung auf diese Diskussion einlassen.
Friedensethische Diskussion in Baden
Die badische Landessynode beauftragte den Evangelischen Oberkirchenrat mit dem »Entwurf eines Diskussionspapiers zur Friedensethik«. Darin wurde die Eingabe auf eine noch breitere argumentative Basis gestellt. Die Militärseelsorge war bewusst nicht beteiligt, jedoch als Erste um eine Stellungnahme7 gebeten worden, die anschließend mit dem Diskussionspapier den Kirchenbezirken zuging. Diese konnten nun Stellung beziehen, was 23 von 25 Bezirkssynoden auch taten. Aufgrund dieser Befassungen und nach einem friedensethischen Studientag traf die Landessynode nach einem zweijährigen Konsultationsprozess am 24. Oktober 2013 einen bemerkenswerten Beschluss: Ausgehend von der Selbstkritik, dem Friedensthema bislang zu wenig Beachtung geschenkt zu haben, sowie der Erkenntnis des Zusammenhangs unseres Konsumverhaltens mit dem weltweiten Unfrieden, wolle man den Weg zur »Kirche des Gerechten Friedens« einschlagen. Für die erste Etappe wurden zwölf Punkte benannt, darunter friedensethische Gespräche mit Politiker*innen, ein Forschungsauftrag zur Frage einer internationalen Polizei anstelle von Militär, das Eintreten für sofortigen Rüstungsexportstopp in Krisengebiete und mittelfristig deren gänzliche Einstellung sowie der Einsatz für mehr soziale und Klimagerechtigkeit. Auch wenn unter den Synodalen eine pazifistische Position, wie die der Friedenskirchen, vermutlich noch nicht mehrheitsfähig gewesen sein dürfte, so wurde doch die Erarbeitung eines Entwurfs für ein Ausstiegsszenario aus der militärischen Friedenssicherung, gleich dem schon vom Bundestag beschlossenen Ausstieg aus der atomaren Energiegewinnung, in Auftrag gegeben.
Damit parallel dazu auch auf der EKD-Ebene die friedensethische Position weiterentwickelt wird, bat das badische Forum Friedensethik Mitchrist*innen aller EKD-Gliedkirchen um Unterstützung des »Karlsruher Aufrufs 2015/16 an die EKD«. Die beiden Kernsätze lauteten: „Die EKD braucht ein klares friedensethisches Leitbild zur Überwindung des Krieges.“ Sie „möge sich für einen friedenspolitischen Wandel von der gegenwärtigen, auf militärischer Stärke und Einsatzbereitschaft basierenden Sicherheitslogik hin zu einer friedenslogischen Politik, die auf gewaltfreie Konfliktbearbeitung und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung setzt“, engagieren. Dieser von rund 3.000 Personen unterstützte Antrag war ein wichtiger Impuls für die Entscheidung des EKD-Synodalpräsidiums, nach einer dieses Jahr stattfindenden vorbereitenden Konsultation die Synodaltagung 2019 dem Themenschwerpunkt Frieden zu widmen.
Projektgruppe Militärausstiegsszenario
Die thematisch weitestgehende Aufgabenstellung des badischen Synodalbeschlusses war der Entwurf eines Militärausstiegsszenarios. Eine interdisziplinäre, Landeskirchen und Konfessionen übergreifende Arbeitsgruppe wurde damit betraut. Wie in der Szenarienforschung üblich, wurde zunächst ein Trendszenario als Fortschreibung der gegenwärtigen militärischen Sicherheitspolitik formuliert. Daneben gestellt wurde ein Negativszenario, das die mögliche Eskalation regionaler Konflikte zu großen Kriegen bis hin zu Atomkriegen oder einem Atomkrieg aus Versehen beinhaltet. Das Positivszenario hingegen zeigt die Entwicklung auf, die in Folge einer friedenslogisch orientierten Außen- und Sicherheitspolitik bis 2030/2040 möglich werden könnte.
In einer ersten Reflexionsrunde wurde das Szenario mit Expert*innen aus Friedensbewegung und -forschung, Militär, Kirche und Politikwissenschaft diskutiert, die einen solchen Zukunftsentwurf als bislang einzigartig und notwendig erachteten. Ihre Anregungen wurden in die Überarbeitung des Szenarios einbezogen, welches am 28. April 2018 auf einem friedensethischen Studientag in Karlsruhe den Synodalen und der Fachöffentlichkeit vorgestellt werden soll. Entscheidend wird dabei sein, die Weiterarbeit professionell zu institutionalisieren, um den Ansatz friedenslogischer Politik nachhaltig in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einzubringen. Dabei könnte eine Kooperation mit Organisationen wie Brot für die Welt und Misereor, die schon lange an den Wurzeln des Unfriedens arbeiten und zusammen mit verschiedenen Friedensorganisationen, wie dem Forum Ziviler Friedensdienst, im Mai 2017 das wichtige Hintergrundpapier »Deutschlands Verantwortung in der Welt? Friedensförderung!« erstellten,8 von großer Bedeutung sein.
War das friedensethische Diskussionspapier von 2011 nur bis zu den Bezirkssynoden gereicht worden, so soll das Militärausstiegsszenario unter dem Titel »Sicherheit neu denken – Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik. Ein Szenario bis zum Jahr 2040« auch in den Kirchengemeinden vorgestellt und diskutiert werden.
Pilgerfahrt nach Büchel
Das Bemühen um konstruktive Alternativen entbindet jedoch nicht davon, zu den akuten Gefahren der militärischen Friedenssicherung kritisch Stellung zu beziehen, wie umgekehrt die Militärkritik der Glaubwürdigkeit wegen immer mit dem Aufzeigen von Alternativen verbunden sein sollte. Deshalb initiierte das badische Forum Friedensethik schon mehrfach Fahrten zu Aktionstagen am Atombombenstandort Büchel in der Eifel. Auch für den ersten Jahrestag der Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrages durch 122 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen9 lädt das badische Forum Friedensethik, dieses Mal zusammen mit Friedensinitiativen aus sieben Landeskirchen, für den 7. Juli 2018 zu einer Pilgerfahrt möglichst vieler Gemeindegruppen und kirchenleitenden Persönlichkeiten nach Büchel ein. Mit einem Gottesdienst am Zaun des Fliegerhorstes, Ansprachen und einem Kulturprogramm soll das »Nein« zur Friedenssicherung mit Massenvernichtungswaffen bekundet und zu einer zivilen Friedenspolitik ermutigt werden (nähere Informationen beim Autor).
Anmerkungen
1) Text siehe unter Ökum. Initiative zur Abschaffung/Reform der Militärseelsorge: Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana), Artikel 16; militaerseelsorge-abschaffen.de.
2) epd (2017): Friedensbeauftragter – »Augsburger Bekenntnis« kritisch diskutieren. Chrismon, 23.6.2017.
3) EKD (2007): Aus Gottes Frieden leben – für den gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
4) Vgl. ARD-Dokumentation von Tilman Jens: Töten für den Frieden. 1.12.2010.
5) Freiheit am Hindukusch verteidigt? Mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Niklaus Schneider. zdf.de – Gesellschaft – Gottesdienste, 15.5.2011.
6) Evangelische Landeskirche in Baden: Der friedensethische Prozess in Baden ab 2011; ekiba.de. Hier stehen sämtliche im Artikel erwähnte Dokumente des friedensethischen Diskussionsprozesses zum Download bereit.
7) Das zuständige Militärdekanat München begrüßte die mit dem Diskussionspapier verbundene Initiative, insbesondere die friedenspädagogischen Aspekte. Mit Rückgriff auf die These von der „noch nicht erlöste Welt“ (5. These der Barmer Theologischen Erklärung) wird jedoch militärische Gewalt als ultima ratio für notwendig erachtet.
8) Brot für die Welt u.a. (2017): Deutschlands Verantwortung in der Welt? Friedensförderung! Hintergrundpapier vom Mai 2017; ziviler-friedensdienst.org.
9) Zu dem Vertrag siehe Bernd Hahnfeld (2018): Völkerrecht versus Atomwaffen – Der Atomwaffenverbotsvertrag. S. 47 dieser W&F-Ausgabe.
Theodor Ziegler, Religionspädagoge M.A., ist Leitungskreismitglied im Forum Friedensethik in der Evangelischen Landeskirche in Baden; zieglertheodor@wanadoo.fr.