Die »Tempelwaffen«

Die »Tempelwaffen«

Israel: fünfstärkste Nuklearmacht

von Jürgen Rose

Zweifellos stellen Massenvernichtungswaffen eine existentielle Bedrohung dar. Folgerichtig räumen sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch die Europäische Union dem Kampf gegen diese Geißel der Menschheit in ihren jeweiligen Sicherheitsstrategien hohe Priorität ein. Umso mehr muss der äußerst selektive Umgang mit dieser Bedrohung irritieren. So finden die jeweils etwa 10.000 Atomsprengköpfe allein in den Arsenalen der USA und der Russischen Föderation kaum mehr Beachtung. Die Bush-Administration hat den Terminus »nukleare Rüstungskontrolle« aus ihrem Wortschatz getilgt, ganz zu schweigen von nuklearer Abrüstung. Mit den Bemühungen um Rüstungskontrolle auf dem Gebiet der chemischen und biologischen Waffen verhält es sich nicht anders – selbstredend nur, soweit die USA und ihre Verbündeten betroffen sind. Zu denen zählt auch Israel, das mit seinen »Tempelwaffen«1 mittlerweile zur fünfstärksten Nuklearmacht der Welt aufgestiegen ist.

Wurde zur Zeit des Kalten Krieges die US-Sicherheitspolitik noch von der Maxime bestimmt, was zählt sind Sprengköpfe, nicht Absichten, so gilt heute in Washington das Gegenteil: Von Bedeutung sind nicht vorhandene Kapazitäten, sondern Unterstellungen und Vermutungen über »das Böse« schlechthin. Die Quintessenz solch irrationaler und manichäischer Politik gipfelt darin, dass einerseits gegen virtuelle Massenvernichtungswaffen ein Präventivkrieg entfesselt, andererseits real existierenden Massenvernichtungswaffenpotentialen keine Beachtung geschenkt wird, auch wenn sie sich in Händen von Regierungen befinden, die sich nicht gerade durch eine friedliche und völkerrechtskonforme Außenpolitik hervortun. Auch Israel gibt in dieser Hinsicht Anlass zu größter Besorgnis, liegt dieser Staat doch im Brennpunkt des Nahost-Konflikts.

Das israelische Atomwaffenprogramm

Aus Gründen der Staatsraison hat Israel Produktion und Besitz von Massenvernichtungswaffen zwar niemals offiziell bestätigt und verfolgt diesbezüglich seine sogenannte »Politik der Ambiguität«. Indessen folgt aus in den vergangenen Jahrzehnten stetig in die Öffentlichkeit durchgesickerten geheimdienstlichen Erkenntnissen, politischen Indiskretionen, umfangreichen Forschungen wissenschaftlicher Institute und nicht zuletzt erfolgreichen Bemühungen investigativen Journalismus’, dass Israel über ein umfangreiches Nuklearwaffenpotential verfügt. Dieses umfasst klassische Kernspaltungs-, thermonukleare Fusions- sowie Neutronenwaffen – insgesamt schätzungsweise 400 bis 500 Sprengsätze, deren Gesamtsprengkraft auf etwa 50 Megatonnen geschätzt wird.2 Mit diesen sind Atomminen, Artilleriegranaten, Torpedos, Marschflugkörper, Raketen und Flugzeugbomben bestückt.3 Hergestellt werden die israelischen Nuklearwaffen seit 1962 in Dimona, wo sich das »Israelische Kernforschungszentrum« (Kirya Le‘Mechkar Gariini – KAMAG) befindet.4 Dort wird in dem mit französischer Hilfe errichteten EL-3 Atomreaktor, der eine Leistung von mindestens 150 Megawatt aufweist, das zur Nuklearwaffenproduktion benötigte Plutonium erbrütet. Daneben befinden sich dort Anreicherungsanlagen für waffenfähiges Uran sowie eine unterirdische Wiederaufbereitungsanlage zur Plutoniumextraktion. Die Konstruktion der Gefechtsköpfe erfolgt in zwei Forschungslaboren, nämlich beim Nuklearforschungszentrum Nachal Schurek (Merkaz Le‘mechkar Gari‘ini – MAMAG) und bei der »Abteilung 20« der Waffenentwicklungsbehörde (Rashut Le‘pituach Emtzaei Lechima – Rafael). Montiert werden die Atomsprengsätze in einer Nuklearfabrik in Jodfat. Getestet wurden die Kernwaffen mehrfach: Mitte der 60er Jahre in der Negev-Wüste nahe der israelisch-ägyptischen Grenze sowie im Rahmen französischer Versuche in Algerien, außerdem dreimal gemeinsam mit Südafrika in der Atmosphäre über dem Indischen Ozean, zuletzt am 22. September 1979, als ein amerikanischer VELA-Satellit die Detonation zufällig registrierte.5

Um die Nuklearwaffen zum Einsatz bringen zu können, verfügt die »Israeli Defense Force« über ein breites Spektrum von Trägersystemen, das die gesamte Triade aus land-, luft- und seegestützten Waffenplattformen umfasst.6 So dienen amerikanische Artilleriegeschütze (175 mm M-107 und 203 mm M-110) für den Gefechtsfeldeinsatz. Im Kurzstreckenbereich verfügt Israel seit 1976 über US-Raketenartilleriesysteme MGM-52 C Lance, die eine Reichweite von rund 130 Kilometern haben. Über große Distanzen hinweg können unterschiedliche Typen von Boden-Boden-Raketen eingesetzt werden. Die YA-1 Jericho I hat eine Reichweite von 500 Kilometern.7 Etwa 50 dieser Raketen sind in Silos bei Kfar Zekharya, rund 45 Kilometer südöstlich von Tel Aviv disloziert. Die YA-3 Jericho II ist eine Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von bis zu 1.800 Kilometern. Ihre Gefechtsköpfe sollen eine Sprengkraft von 20 Kilotonnen besitzen und mit einer radargesteuerten Endphasenlenkung nach dem Muster der US-amerikanischen Pershing II präzise ins Ziel gebracht werden können.8 Ebenfalls etwa 50 Raketen sind auf mobilen Werferfahrzeugen in den Kalkhöhlen bei Kfar Zekharya untergebracht. Darüber hinaus produziert Israel die auf der Jericho basierende dreistufige Trägerrakete Shavit, mit der seit 1988 mehrere Ofek-Aufklärungssatelliten auf eine Erdumlaufbahn geschossen wurden. Die Shavit ließe sich mit geringem konstruktivem Aufwand zu einer Interkontinentalrakete von über 7.000 Kilometern Reichweite modifizieren.9

Sehr flexibel kann die israelische Luftwaffe Nuklearwaffen mit diversen Kampfflugzeugen, deren Reichweite sich mittels Luftbetankung nahezu beliebig vergrößern lässt, einsetzen.10 Diese wurden von den USA geliefert und von der hochentwickelten israelischen Rüstungsindustrie teilweise erheblich kampfwertgesteigert. Für nukleare Missionen infrage kommen primär die F-16 Fighting Falcon, deren modernste Version F-16I seit letztem Jahr zuläuft, sowie die F-15I Ra’am, die ab 1998 in Dienst gestellt wurde. Letztere hat ohne Luftbetankung einen Einsatzradius von etwa 5.500 Kilometern und ist mit modernsten Navigations- und Zielerfassungssystemen ausgerüstet. Nuklearwaffenfähige Jagdbomber sollen auf den Fliegerhorsten Tel Nof, Nevatim, Ramon, Ramat-David, Hatzor und Hatzerim stationiert sein, einige von ihnen mit Atombomben beladen rund um die Uhr zum Alarmstart in Bereitschaft gehalten werden.11

Seit 2003 besitzt auch die israelische Kriegsmarine die Fähigkeit zum Nuklearwaffeneinsatz. Als Plattform dienen drei von Deutschland in den Jahren 1999 und 2000 gelieferte Dolphin U-Boote im Gesamtwert von rund 655 Mill. Euro, nahezu komplett vom deutschen Steuerzahler finanziert.12 Diese sind mit Marschflugkörpern (Bezeichnung Popeye Turbo II bzw. Deliah) bestückt, deren Reichweite nach Beobachtungen der U.S. Navy im Verlaufe von Flugkörpertests vor Sri Lanka im Mai 2000 mindestens 1.500 Kilometer beträgt.13 Entwickelt wurden diese Marschflugkörper entweder eigenständig von der israelischen Rüstungsindustrie oder mit diskreter ausländischer Hilfe. Mit welchem Nachdruck Israel seine Aufrüstung auf dem maritimen Sektor betreibt, ließ sich dem Jerusalem-Besuch von Verteidigungsminister Struck Anfang Juni 2004 entnehmen, als der Wunsch nach der Lieferung zweier weiterer U-Boote der Klasse 212A – ausgestattet mit dem weltweit einmaligen Brennstoffzellenantrieb neuester Technologie, der es ermöglicht, ähnlich wie ein strategisches Atom-U-Boot lautlos und wochenlang getaucht zu operieren (!) – laut wurde.

Auch B- und C-Waffen im Arsenal

Neben atomaren komplettieren biologische und chemische Waffen das israelische Potential an Massenvernichtungswaffen. Aufgrund akribischer Geheimhaltung sind die Informationen hierüber indessen sehr spärlich.14 Eine im Auftrag des US-Kongresses angefertigte Studie des »Office for Technology Assessment (OTA)« subsumiert Israel unter diejenigen Staaten, die „nach allgemeiner Auffassung inoffizielle Potentiale zur chemischen Kriegführung besitzen“ und „nach allgemeiner Auffassung ein inoffizielles Programm zur Herstellung von biologischen Waffen durchführen.“15 Als gesichert gilt, dass sich in Nes Ziona südlich von Tel Aviv das israelische Institut für biologische Forschung (IIBR) befindet, dessen Aktivitäten ein hoher israelischer Geheimdienstmitarbeiter mit den Worten beschreibt: „Es gibt wohl keine einzige bekannte oder unbekannte Form chemischer oder biologischer Waffen …die im Biologischen Institut Nes Ziona nicht erzeugt würde.“16 Darüber hinaus wird vermutet, dass israelische Wissenschaftler dort seit den 90er Jahren unter Nutzung von Forschungsergebnissen aus Südafrika an einer sogenannten »Ethno-Bombe« arbeiten.17 Bei dieser Entwicklung wird versucht, Ergebnisse der Genforschung zur Identifizierung eines spezifischen Gens zu nutzen, das ausschließlich Araber tragen. Ist dies gelungen, ließen sich mit Hilfe der Gentechnik tödliche Bakterien oder Viren herstellen, die nur Menschen mit diesen Genen attackieren.

Chemische Waffen, unter anderem die Nervengase wie Tabun, Sarin und VX, werden in einer unterirdischen Produktionsstätte im Nuklearforschungszentrum Dimona hergestellt.18 Die indirekte Bestätigung für israelische C-Waffen-Programme lieferte der Absturz einer EL AL Frachtmaschine auf dem Amsterdamer Flughafen am 4. Oktober 1992, bei dem mindestens 47 Menschen ums Leben kamen und mehrere Hundert Menschen sofort oder verzögert an mysteriösen Leiden erkrankten. Ein Untersuchungsbericht von 1998 erbrachte die Erkenntnis, dass die Maschine Chemikalien an Bord hatte, darunter 227,5 Liter Dimethylmethylphosphonate (DMMP).19 Diese Menge genügt, um 270 kg Sarin herzustellen. Das DMMP war im Übrigen von der Firma Solkatronic Chemicals Inc. aus Morrisville in Pennsylvania geliefert worden – ein Indiz dafür, dass es US-Unternehmen gab, die es verstanden, am Geschäft mit den Massenvernichtungswaffen in Nahen Osten mehrfach zu verdienen: Durch Lieferungen in den Irak während des ersten Golfkrieges zwischen 1980 und 1988 – und an die israelische Armee.

Im Gleichklang mit der Entwicklung des israelischen Arsenals an Massenvernichtungswaffen vollzog sich die Evolution der Strategie zu deren Gebrauch.20 Den Ausgangspunkt für die Entscheidung zur Entwicklung der Massenvernichtungswaffen bildete die Überlegung, dass nur diese das absolute und endgültige Abschreckungsmittel gegenüber der arabischen Bedrohung darstellten. Nur mit deren Hilfe konnten vorgeblich die Araber dazu gebracht werden, alle Pläne für eine militärische Eroberung Israels fallen zu lassen und einem Friedensvertrag zu israelischen Konditionen zuzustimmen. Insbesondere die Nuklearwaffen sollten als ultima ratio sicherstellen, dass es nie wieder zu einem Massaker am jüdischen Volk kommen würde. Als symbolische Metapher hierfür diente die »Samson-Option«.21 Diese rekurriert auf einen biblischen Mythos. Demzufolge war Samson nach blutigem Kampf von den Philistern gefangen genommen worden. Sie stachen ihm die Augen aus und stellten ihn in Dagons Tempel in Gaza öffentlich zur Schau. Samson bat Gott, ihm ein letztes Mal Kraft zu geben, und rief: „Ich will sterben mit den Philistern!“ Er schob die Säulen des Tempels beiseite, das Dach stürzte ein und begrub ihn und seine Feinde unter sich. Treffenderweise truagen die israelischen Nuklearwaffen daher den Decknamen »Tempelwaffen«.

A-Waffen-Einsatz mehrfach erwogen

Mindestens viermal hat die israelische Regierung ernsthaft den Einsatz dieser Waffen erwogen:22

  • Während des 6-Tage-Krieges im Juni 1967 hatte Israel die beiden ersten Uran-Atombomben für den Fall zum Einsatz vorbereitet, dass der Erfolg des konventionell geführten Präventivkrieges gegen seine arabischen Nachbarn ausgeblieben wäre.
  • Während des Yom-Kippur-Kriegs wurde von der israelischen Regierung ein Nuklearwaffenangriff nicht nur erwogen, sondern am 8. Oktober 1973 tatsächlich der Befehl erteilt, 13 Atomwaffen für den Einsatz gegen die militärischen Hauptquartiere der Angreifer in Kairo und Damaskus scharf zu machen, nachdem Verteidigungsminister Moshe Dayan den Zusammenbruch der israelischen Defensivoperationen im Zweifrontenkrieg prognostiziert hatte. Mit dieser nuklearen Mobilmachung gelang es der israelischen Regierung unter Golda Meir, zum einen von den USA massive Nachschublieferungen an Munition und Rüstungsmaterial zu erpressen. Zum anderen entfaltete die nukleare Abschreckung gegenüber Ägypten und Syrien ihre Wirkung, die in der Folge mit ihren Panzertruppen nicht weiter vormarschierten. Nachdem am 14. Oktober die nukleare Alarmbereitschaft zunächst aufgehoben worden war, machten die Israelis wenige Tage später erneut ihre Atomwaffen scharf, nachdem die US-Regierung ihr Strategisches Bomberkommando in Alarmbereitschaft versetzt hatte, um die Sowjetunion von einer Intervention in den Krieg abzuhalten. Die Krise endete erst, als die Kampfhandlungen mit Inkrafttreten eines Waffenstillstandes eingestellt wurden.
  • Während des Angriffes auf den Libanon 1982 (Operation Oranim) schlug der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon vor, man solle Syrien mit Nuklearwaffen angreifen.
  • Als am 18. Januar 1991 die irakischen Streitkräfte im Golfkrieg erstmals Al Hussein-Raketen auf Israel abfeuerten, wurde das israelische Militär inklusive der Nuklearstreitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft versetzt. Für den Fall eines irakischen Angriffs mit chemischen oder biologischen Gefechtsköpfen existierte eine unverhüllte nukleare Gegenschlagsdrohung Israels.

Israel nutzt sein Atomwaffenarsenal indes nicht nur im Kontext der Abschreckung oder der direkten Kriegführung, sondern hat jenes unter dem Rubrum »Nonconventional Compellence« untrennbar in seine allgemeine militärische und politische Strategie integriert. Schimon Peres – einer der entscheidenden Drahtzieher des israelischen Massenvernichtungswaffenprogramms – charakterisierte dieses Konzept mit den Worten: „Ein überlegenes Waffensystem zu beschaffen, bedeutet die Möglichkeit, es für die Ausübung von Druck zu nutzen – das heißt die andere Seite zu zwingen, Israels Forderungen zu akzeptieren, was wahrscheinlich die Forderung einschließt, dass der traditionelle Status quo akzeptiert und ein Friedensvertrag unterzeichnet wird.“23 Darüber hinaus garantiert das Nuklearwaffenpotential die uneingeschränkte Unterstützung des amerikanischen Verbündeten einerseits und verhindert eine unangemessene Parteinahme Europas zugunsten der arabisch-palästinensischen Position andererseits. Sehr aufschlussreich diesbezüglich sind die Ausführungen des israelisch-niederländischen Militärhistorikers Martin van Creveld, Professor an der hebräischen Universität in Jerusalem, Anfang letzten Jahres. Dieser merkt in einem Interview mit dem niederländischen Magazin ELSEVIER zu der hinter dem aktuellen Teilrückzugsplan des israelischen Premierministers Ariel Scharon steckenden Strategie an, dass diese darauf abzielt, eine unüberwindliche Mauer um Israel zu errichten und die Palästinenser außerhalb der israelischen Grenzen zu halten. Scharons Plan bedeute in letzter Konsequenz, dass alle Palästinenser aus der dann errichteten »Festung Israel« deportiert würden. Auf die Frage, ob die Welt eine derartige ethnische Säuberung zulassen würde, antwortet van Creveld: „Das liegt daran, wer es macht und wie schnell es geht. Wir haben einige Hundert von Atomsprengkörpern und Raketen und können sie auf Ziele überall werfen, vielleicht selbst auf Rom. Mit Flugzeugen sind die meisten europäischen Hauptstädte ein Ziel.“24

Die von van Creveld vertretene Position mag extrem erscheinen, aber da sich die israelische Gesellschaft mehr und mehr polarisiert, wird der Einfluss der radikalen Rechten stärker. Gerade aus deren Reihen rekrutiert der israelische Sicherheitsapparat zunehmend seine Mitarbeiter. Es lässt sich daher keineswegs ausschließen, dass Gush Emunim oder einige säkulare rechte israelische Fanatiker oder einige wahnsinnige israelische Armeegeneräle die Kontrolle über die israelischen Nuklearwaffen bekommen.25 So wird beispielsweise der pensionierte Stabschef der Israeli Defense Force, Lieutenant General Amnon Shahak, mit den Worten zitiert: „All methods are acceptable in withholding nuclear capabilities from an Arab state.“26 Sekundiert wird er hierbei von Israels Oppositionsführer Schimon Peres, der in Bezug auf das angebliche Nuklearwaffenprogramm Irans propagiert: „Es bleiben drei Optionen, um den Iran von der Erreichung seiner nuklearen Ambitionen abzuhalten: politischer Druck, ökonomische Sanktionen und militärisches Eingreifen.“27 Bezeichnenderweise keine Rede ist von Rüstungskontroll- und Abrüstungsmaßnahmen wie sie sich während des Kalten Krieges und in anderen Regionen dieser Welt ja durchaus bewährt haben. Zwar wurde während der Nahost-Konferenz von Madrid im Anschluss an den Golfkrieg von 1991 auch eine Arbeitsgruppe »Arms Control and Regional Security (ACRS)« installiert. Diese tagte indes 1995 das letzte Mal und hatte nach vier Jahren keinerlei greifbare Ergebnisse gebracht. Ursache hierfür war die strikte Weigerung Israels, die nukleare Frage auf die Tagesordnung zu setzen – denn nach dessen Auffassung setzt jegliche Einschränkung der israelischen Nuklearfähigkeit (und erst Recht ein Verzicht darauf) eine umfassende und erprobte Friedensregelung in der Region voraus.28 Konsequenterweise straft die israelische Regierung auch die jahrelange Resolutionspraxis der UN-Generalversammlung zum Risiko der nuklearen Proliferation im Mittleren Osten sowie zur Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone in dieser Region ebenso mit Verachtung wie die einschlägigen Resolutionen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Angesichts israelischer Intransigenz sieht die Prognose düster aus: „Beim gegenwärtigen Stand der Dinge in Nahost scheint es illusionär, auf Verhandlungen allein zu setzen, wenn es darum geht, Waffen bei den zum Waffenbesitz legitimierten Staaten und Streitkräften zu monopolisieren. Das gilt für Kleinwaffen ebenso wie für Massenvernichtungswaffen.“29 In Anbetracht der brisanten Zuspitzung des Palästina-Konfliktes reicht es nicht, wenn sich Europa über nicht vorhandene oder allenfalls marginal einsatzfähige Massenvernichtungswaffen in der islamischen Welt sorgt, es muss sich vielmehr mit dem real existierenden und in Verbindung mit einer brandgefährlichen Militärstrategie operativ jederzeit einsetzbaren Massenvernichtungspotential eines Staates befassen, welcher der Weltgemeinschaft permanent demonstriert, dass er, wenn es um seine reale oder vermeintliche Sicherheit geht, jederzeit bereit ist, Völkerrecht und Menschenrechte zu mißachten.

Anmerkungen

1) Diese Tarnbezeichnung für die israelischen Nuklearwaffen nennt Seymour M. Hersh in seiner nach wie vor unverzichtbaren Abhandlung: Atommacht Israel. Das geheime Vernichtungspotential im Nahen Osten, München 1991, S. 233. Sehr aufschlussreich ist auch die Analyse von Lieutenant ColonelWarner D. Farr, U.S. Army: The Third Temple‘s Holy of Holies: Israel‘s Nuclear Weapons, Counterproliferation Paper No. 2, USAF Counterproliferation Center, Air War College, Air University, Maxwell Air Force Base, Alabama, September 1999; im Internet unter: http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/cpc-pubs/farr.htm (29.08.2004).

2) Vgl. Sammonds, Neil: Israel: die vergessenen Massenvernichtungswaffen; im Internet unter: http://www.kritische-stimme.de/Vermischtes/greenleft_waffen.htm (27.08.2004); Mellenthin, Knut: Israel rüstet deutsche U-Boote mit Atomraketen aus. Ein Spiegel-Bericht, ein Dementi und ein Hintergrundartikel; im Internet unter: http://uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Israel/u-boote.html (27.08.2004) sowie Steinbach, John: Israels Massenvernichtungswaffen: eine Bedrohung des Friedens; im Internet unter: http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/palest/frameset.htm (27.08.2004); englisches Original: ders.: Israeli Weapons of Mass Destruction: a Threat to Peace, Centre for Research on Globalisation (CRG), 3 March 2002; im Internet unter: http://www.globalresearch.ca/articles/STE203A.html (27.08.2004).

3) Vgl. Gerhard Piper: antimilitarismus information: Israels Atomstreitkräfte; im Internet unter: http://userpage.fu-berlin.de/~ami/ausgaben/2001/3-01_2.htm (27.08.2004);Steinbach, John: a. a. O.; Norris, Robert S./Arkin, Willliam M./Kristensen, Hans M./Handler, Joshua: Nuclear Notebook – Israeli nuclear forces, 2002, in: Bulletin of the Atomic Scientists, September/October 2002, S. 73ff sowie Hough, Harold: Israel reviews its nuclear deterrent, in: Jane’s Intelligence Review, November 1998, S. 11ff.

4) Zum Nuklearkomplex von Dimona und Umgebung vgl. Gerhard Piper: a. a. O.; Steinbach, John: a. a. O.; Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M./Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O.; Duval, Marcel: Einem Geheimnis auf der Spur: die israelische Atombombe, in: Défense Nationale, April 1998, S. 91 – 102 sowie sehr detailliert Hersh, Seymour M.: a. a. O., S. 204ff.

5) Vgl. Hersh, Seymour M.: a. a. O., S. 281ff.; Farr, Warner D.: a. a. O.; Steinbach, John: a. a. O. sowie Gerhard Piper: a. a. O.

6) Zu den diversen Trägersystemen vgl. Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M./Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O.; Gerhard Piper: a. a. O.; Hough, Harold: a. a. O., Duval, Marcel: a. a. O. sowie Steinbach, John: a. a. O.

7) Vgl. Federation of American Scientists: Israel Special Weapons Guide (created by John Pike, maintained by Steven Aftergood, updated August 2, 2004); im Internet unter: http:// www.fas.org/nuke/guide/israel/missile/jericho-1.htm (27.08.2004).

8) Vgl. Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M. / Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O., S. 74; Federation of American Scientists: op. cit.; im Internet unter: http://www.fas.org/nuke/guide/israel/missile/jericho-2.htm [27.08.2004] sowie Hough, Harold: a. a. O., S. 13.

9) Vgl. Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M. / Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O., S. 75; Gerhard Piper: a. a. O. sowie Duval, Marcel: a. a. O., der von der Entwicklung einer Jericho III-Rakete auf Basis der Shavit-Trägerrakete berichtet.

10) Vgl. Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M. / Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O., S. 73f; Gerhard Piper: a. a. O. sowie Sammonds, Neil: a. a. O.

11) Vgl. Schwarz, Eugen Georg: Angst vor der Apokalypse, in: Focus, 9/1998, S. 222; Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M. / Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O., S. 73f sowie Gerhard Piper: a. a. O.

12) Vgl. Mellenthin, Knut: a. a. O.; Karr, Hans: U-Boote der DOLPHIN-Klasse, in: Marineforum, Nr. 6/2000, S. 30f; Nassauer, Otfried / Steinmetz, Christopher: Israelische Atomwaffen und deutsche U-Boote. Eine Gefahr für den Weltfrieden?; im Internet unter: http://uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Israel/u-boote2.html (27.08.2004); Gerhard Piper: a. a. O.;; Norris, Robert S. / Arkin, Willliam M. / Kristensen, Hans M. / Handler, Joshua: a. a. O., S. 75 sowie Federation of American Scientists: op. cit.; im Internet unter: http://www.fas.org/nuke/guide/israel/sub/index.html (27.08.2004).

13) Vgl. Federation of American Scientists: op. cit.; im Internet unter: http://www.fas.org/nuke/guide/israel/missile/popeye-t.htm (27.08.2004); Mellenthin, Knut: a. a. O.; Nassauer, Otfried / Steinmetz, Christopher: a. a. O. sowie Gerhard Piper: a. a. O.

14) Vgl. zu dieser Thematik U.S. Congress, Office of Technology Assessment (ed.): Proliferation of Weapons of Mass Destruction: Assessing the Risk, OTA-ISC-559, Washington, D.C., August 1993; Sammonds, Neil: a. a. O.; Gerhard Piper: a. a. O.; sowie Steinbach, John: a. a. O.

15) U.S. Congress, Office of Technology Assessment (ed.): a. a. O., S. 65.

16) Steinbach, John: a. a. O.

17) Vgl. Steinbach, John: a. a. O.; dieser zitiert den linken Knesset-Abgeordneten Dedi Zucker, der diese Forschung seines Landes mit den Worten anprangerte: „Eine solche Waffe ist, wenn wir von unserer Geschichte, unserer Tradition und Erfahrung ausgehen, moralisch ungeheuerlich und muss geächtet werden.“ Der renommierte Mikrobiologe und B-Waffen-Experte Jan van Aken bezeichnete in einem kürzlich erschienenen Beitrag Meldungen über derartige Forschungsprogramme in Israel als „vor allem Propaganda“ – seine ansonsten bestechende Argumentationsführung ist aber gerade in diesem Punkt wenig überzeugend und widerspricht seiner eigenen Grundthese hierzu; vgl. Aken, Jan van: Wenn Buchstaben zu Waffen werden. Biologische Waffenführung. Ethnobomben gibt es noch nicht – doch die Entwicklung von genetischen Waffen ist möglich, in: Freitag, Nr. 29/30, 9. Juli 2004, S. 22.

18) Vgl. Gerhard Piper: a. a. O. sowie Sammonds, Neil: a. a. O.

19) Vgl. Gerhard Piper: a. a. O. sowie Sammonds, Neil: a. a. O.

20) Vgl. zu dieser Thematik Hersh, Seymour M.: a. a. O.; Steinbach, John: a. a. O.; Gerhard Piper: a. a. O. sowie Hough, Harold: a. a. O.

21) Vgl. hierzu Hersh, Seymour M.: a. a. O., S. 144f und S. 233.

22) Vgl. Gerhard Piper: a. a. O.; Farr, Warner D.: a. a. O.; Johannsen, Margret: Dynamit und Atom. Rückblicke und Ausblicke auf Entwaffnungsszenarios im Nahen Osten, in: S+F Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden, Heft 3–4/2003, S. 160 sowie Hersh, Seymour M.: a. a. O., S. 233ff und S. 370.

23) Zit. n. Steinbach, John: a. a. O.

24) Biedermann, Ferry (Interviewer): »„Wir vernichten uns selbst“. In Israel zeichnet sich ein fluchbeladenes Szenario ab. Gespräch mit dem geschmähten israelisch-niederländischen Militärhistoriker Martin van Creveld«, Interview im niederländischen Magazin ELSEVIER; deutsche Übersetzung in: Unabhängige Nachrichten 1/2003; im Internet unter: http://www.fk-un.de/UN-Nachrichten/UN-Ausgaben/2003/UN1-03/artikel2.htm (27.08.2004).

25) Vgl. hierzu Steinbach, John: a. a. O. sowie Farr, Warner D.: a. a. O.

26) Farr, Warner D.: a. a. O.

27) Peres, Schimon: Irans Nuklearprogramm stoppen. Israels Oppositionsführer plädiert für sofortige Sanktionen, in: Die Welt, 21. August 2004; vgl. hierzu auch Johannsen, Margret: a. a. O., S. 160.

28) Vgl. Johannsen, Margret: a. a. O., S. 159f.

29) Johannsen, Margret: a. a. O., S. 161.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen

Schöne neue nukleare Welt

Schöne neue nukleare Welt

von Zia Mian und Alexander Glaser

Der Traum einer wunderbaren Zukunft, in der die Energie vom Atom geliefert wird, reicht nun schon mehr als 100 Jahre zurück. Fredrick Soddy und Ernest Rutherford stellten 1901 fest, dass beim Übergang eines Atomtyps in einen anderen Radioaktivität und Energie freigesetzt werden. Bald darauf schrieb Soddy in populären Zeitschriften, Radioaktivität sei möglicherweise eine „unerschöpfliche“ Energiequelle, und er beschwor die Vision einer atomaren Zukunft mit der Möglichkeit „einen Wüstenkontinent umzuformen, die Eiskappen an den Polen aufzutauen und die ganze Erde in einen lächelnden Garten Eden zu verwandeln.“1 Seither sind die Versprechungen eines »atomaren Zeitalters«, in dem die Kernenergie als globale, Zukunft verheißende Technologie die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse garantiert, nie abgerissen.

Soddy erkannte aber auch, dass Atomenergie möglicherweise den Weg zur Herstellung schrecklicher neuer Waffen bereiten könnte. Und es ist vielleicht bezeichnend, dass in einem von konkurrierenden, waffenstarrenden Nationalstaaten beherrschten internationalen System Atomenergie zum ersten Mal praktisch eingesetzt wurde, als die Vereinigten Staaten 1945 die ersten Atomwaffen bauten und über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki zum Einsatz brachten. Die Bombe war, so die US-amerikanische Regierung damals, die „Waffe des Sieges“.

Diese Demonstration der Zerstörungskraft der Atomtechnologie belebte und stärkte aber auch die Visionen, dass wirtschaftliche und soziale Probleme atomar lösbar seien. Amerikanische Zeitungen beispielsweise prophezeiten ein nukleares Utopia, „eine Welt mit unbegrenzter Energie und unendlichem Überfluss – eine Welt, deren einzige Einschränkung das menschliche Vermögen ist, sich neue Wünsche und Bedürfnisse auszudenken.“2 Lewis Strauss, damaliger Leiter der Atomenergiekommission der Vereinigten Staaten, erlangte Berühmtheit mit seiner Prophezeiung von 1954, Atomenergie bedeute, dass „unsere Kinder zu Hause in den Genuss elektrischer Energie kommen, die so billig ist, dass es sich nicht lohnt, Zähler einzubauen“ (to cheap to meter).3

Vor den Augen der Welt wurden in den vergangenen 60 Jahren riesige Anlagen zur Herstellung von hoch angereichertem Uran und Plutonium für Atomwaffen errichtet. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion stellten zehntausende Atomwaffen her, und nacheinander traten Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Indien und Pakistan und vor kurzem vermutlich auch Nordkorea dem nuklearen Club bei. Etliche weitere Staaten hatten in der Vergangenheit Ambitionen zum Bau von Atomwaffen. Aus unterschiedlichen Gründen ließen sie davon wieder ab. Iran allerdings hält derzeit an seinem Programm fest.

Gleichzeitig hat die friedliche Nutzung der Atomenergie bei weitem nicht das halten können, was sie ursprünglich versprochen hatte. Vielmehr führte sie zu anhaltenden Sicherheitsproblemen, hohen Kosten, nuklearer Weiterverbreitung und Protesten in der Bevölkerung. In den Pionierstaaten der Atomtechnologie wie den USA, Großbritannien und Russland stagniert die Nuklearindustrie seit langem. Andere Länder haben den Atomausstieg bereits beschlossen. Die wenigen neuen Anlagen wurden in Ländern wie China und Indien gebaut, die erst relativ spät in die zivile Nutzung der Kernenergie eingestiegen sind.

Trotzdem propagieren jetzt einige Interessengruppen den gewaltigen Ausbau der Atomenergie als Mittel gegen den Klimawandel, der sich nach etwa 100 Jahren der ungebremsten Verbrennung fossiler Energieträger abzeichnet. Bei aller Diskussion über die »Renaissance der Kernenergie« setzt sich langsam aber auch die Erkenntnis durch, dass die nukleare Zukunft vielleicht doch eher düster sein könnte.

Im Folgenden gehen wir beispielhaft auf einige besonders kritische Aspekte der Weiterverbreitung von Atomwaffen ein und folgern, dass der massive globale Ausbau von Atomenergie neue Gefahren birgt, ohne zur Verhinderung eines Klimawandels einen wesentlichen Beitrag zu leisten.

Normale Proliferation von Atomwaffen

Recht früh schon rückte in das Bewusstsein, dass ein Atomenergiekomplex für friedliche Zwecke eingerichtet, dann aber zum Bau von Atomwaffen genutzt werden kann. Robert Oppenheimer, Leiter des US-amerikanischen Manhatten-Projekts, das 1945 die ersten Atombomben herstellte, vermerkte 1946, was im Falle eines vollständigen Verbots von Atomwaffen passieren würde: „Wir würden keine Atomwaffen herstellen, zumindest nicht gleich, aber wir würden riesige Anlagen bauen, und wir würden diese Anlagen so auslegen, dass sie mit minimalem Aufwand und innerhalb kürzester Zeit für die Herstellung von Atomwaffen umgerüstet werden könnten, und würden behaupten, dass wir das nur für den Fall tun, dass uns jemand hintergeht; wir würden Uranvorräte anlegen; wir würden möglichst viele Entwicklungen geheim halten; wir würden unsere Anlagen nicht dahin bauen, wo sie optimal für die Erzeugung von Strom eingesetzt werden können sondern dahin, wo sie am besten gegen feindliche Angriffe geschützt werden können.“4

Dabei ist der Größenunterschied zwischen zivilen und militärischen Nuklearprogrammen wichtig. Ein 40-MW(th)-Reaktor wie der CIRUS in Indien produziert genug Plutonium für etwa zwei Atomwaffen pro Jahr, während bei einem von Indiens kleineren 700-MW(th)-Leistungsreaktoren, der etwa 220 MW elektrische Leistung liefert, etwa zehn Mal so viel Plutonium pro Jahr anfällt. Ähnliches gilt für die Urananreicherung. Zur Herstellung des niedrig angereicherten Uranbrennstoffs für einen 1.000-MW(e)-Leistungsreaktor sind bis zu 150 tSWU pro Jahr (oder 150.000 Separative Work Units – SWU –, ein Maß für die geleistete Trennarbeit bei der Urananreicherung) erforderlich,5 während bereits mit einem Zehntel dieser Kapazität 100 kg Uran hoch angereichert werden können – das reicht für mehrere Atomwaffen.

Schon immer haben die Staaten ihre zivilen und militärischen Ambitionen und Fähigkeiten im Bereich Atomtechnologie miteinander gekoppelt. Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Indien und Pakistan bauten ihre Atomwaffenprogramme auf der Infrastruktur auf, die sie vorgeblich für Atomenergie entwickelt hatten. Irak, Nordkorea und Iran, sämtlich Unterzeichnerstaaten des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV), versteckten ihre militärischen Ambitionen hinter Programmen für »friedliche« Zwecke. Und die USA haben vor kurzem damit begonnen, Tritium für ihr Atomwaffenarsenal in zivilen Leistungsreaktoren herzustellen.6

Als Antwort auf den inhärenten »Dual-Use«-Charakter der Kerntechnologie wurde seit den 1950er Jahren das Sicherungssystem für zivile Atomanlagen aufgebaut. Insbesondere müssen Nicht-Atomwaffenstaaten des später verhandelten NVV alle ihre zivilen nuklearen Anlagen deklarieren und internationale Inspektionen zulassen. Sie würden so riskieren, dass die Abzweigung signifikanter Mengen von Nuklearmaterial für heimliche Atomwaffenprogramme aufgedeckt würde.7 Diese Bemühungen waren nicht immer erfolgreich. Vor allem die Vereinigten Staaten wollen daher dem Irak, dem Iran, Nordkorea sowie vielen anderen Ländern zentrale Elemente des nuklearen Brennstoffzyklus vorenthalten und schlagen vor, in Zukunft den Zugang zur Urananreicherung und Wiederaufarbeitung auf wenige Staaten zu begrenzen, obwohl der NVV allen Unterzeichnerstaaten das Recht zu spricht, diese Technologien zu entwickeln und zu nutzen. Diese Bestrebungen sind ein klares Zeichen dafür, wie real die Proliferationsgefahr der zivilen Atomenergie ist und welche Probleme insbesondere mit der Urananreicherung, der Wiederaufarbeitung und den damit verbundenen Fähigkeiten verbunden sind.

Die nukleare Zukunft

Nun heißt es, dass Atomenergie dem Treibhauseffekt und damit dem Klimawandel entgegenwirken könnte. Um den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu verringern müsste die Atomenergie allerdings um ein Vielfaches ausgebaut werden. Daher stellt sich auch die Frage, was dies für die Weiterverbreitung von Atomwaffen bedeuten würde. Dabei lassen wir für den Moment außer Acht, ob der Klimawandel damit tatsächlich aufgehalten würde und ignorieren auch die politischen und wirtschaftlichen Hürden, die ein solches Expansionsszenario ohnehin als unrealistisch erscheinen lassen.

Zur Verdeutlichung gehen wir hier davon aus, dass die Erzeugung von Atomenergie auf 1.500 GW(e) ansteigt, was etwa einer Vervierfachung gegenüber heute entspricht. Im Jahr 2050 würden dann rund 28% des weltweiten Strombedarfs in Atomanlagen erzeugt, was weniger als eine Verdopplung des nuklearen Marktanteils darstellt. Diese 1500 GW(e) entsprechen der Obergrenze, die von der Studie »The Future of Nuclear Power« des Massachusetts Institute of Technology (MIT) angenommen wurde.8

Die meisten Studien zur zukünftigen Entwicklung der Atomenergie gehen aus Bequemlichkeit meist davon aus, dass Kapazitäten für 1.000 GW(e), 1.500 GW(e) oder sogar 10.000 GW(e) »einfach da« wären — so als seien die entsprechenden Reaktoren und Anlagen nirgendwo konkret zu finden. Eine Ausnahme stellt hier die MIT-Studie dar, deren Autoren nicht davor zurückschreckten, Vorhersagen über die tatsächliche Verteilung von Nuklearkapazitäten für ein solches globales Expansionsszenario zu machen. In dem 1.500-GW(e)-Szenario der Studie würden 56 Länder kommerzielle Atomanlagen betreiben, darunter auch viele, die bisher keinen Atomstrom produzieren, wie z.B. Vietnam, Indonesien, die Philippinen, Malaysia, Thailand, Australien, Neuseeland, Österreich, Polen, die Türkei, Venezuela, Portugal, Israel, Libyen, Algerien, Usbekistan, Marokko, Kyrgystan, Kasachstan, oder Ägypten.9

Einfache Hochrechnungen erlauben Aussagen über die Infrastruktur, die zur Aufrechterhaltung des Brennstoffzyklus in so vielen Atomstrom produzierenden Ländern benötigt würde. Wir gehen hier davon aus, dass vorwiegend die momentan vorherrschende Druckwassertechnologie mit niedrig angereichertem Uran und ohne Wiederaufarbeitung zum Einsatz käme. Diese Kombination wäre aus Gründen der Nichtverbreitung klar all den Szenarien vorzuziehen, die auf die Wiederaufarbeitung und Abtrennung von Plutonium setzen, da sich Plutonium ohne weitere Bearbeitung für den Atomwaffenbau eignet. Zum Betrieb dieses Reaktorparks würden weltweit aber – nach heutigem Maßstab – gigantische Anreicherungskapazitäten benötigt (siehe Abbildung 1, S. 33).10

Die dafür erforderliche Infrastruktur ist gewaltig, sowohl im Umfang als auch in der Verteilung. Länder, die momentan keine oder vernachlässigbare kleine kommerzielle Atomstromprogramme unterhalten – wie beispielsweise der Iran, Pakistan, Mexiko oder Indonesien – würden in diesem Szenario großindustrielle Anreicherungsanlagen errichten und betreiben. Es ist nicht schwer vorher zusagen, dass dies regelmäßig zu Verdächtigungen, Anschuldigungen und internationalen Krisen führen würde. Schon Irans Pläne für die Anlage in Natanz mit einer maximalen Kapazität von 250 tSWU/Jahr haben international Bedenken ausgelöst; bei dem hier skizzierten Ausbau der Atomenergie würde Iran aber Anreicherungsanlagen mit einer Gesamtkapazität von über 3.000 tSWU/Jahr betreiben, nur um seinen Eigenbedarf an Brennstoff zu decken. Zum Vergleich: Im Prinzip kann schon mit weniger als 5 tSWU genug hochangereichertes Uran für eine Atomwaffe pro Jahr hergestellt werden.

Um die Entscheidung über Endlagerstätten für den Atomabfall hinaus zu schieben, würden vermutlich auch mehr Länder abgebrannte Brennelemente wieder aufarbeiten (und als »Abfallprodukt« dabei Plutonium abtrennen), obwohl diese Technik wirtschaftlich keineswegs attraktiv ist und erhebliche Umwelt- und Proliferationsgefahren birgt. Diese rücksichtslose Strategie, den nuklearen Ball der nächsten Generation zu zuspielen, wird schon heute von einigen Ländern verfolgt, darunter Japan und im Rahmen der neu propagierten Global Nuclear Energy Partnership (GNEP) voraussichtlich auch bald die Vereinigten Staaten.

Da mit einer Ausweitung der Atomenergie wie hier beschrieben auch erheblich größere Mengen Uran und Plutonium im Umlauf und in den Lagern gehalten würden, müssen neue Atomenergieprogramme wohl überlegt werden. Dies um so mehr, als jegliche Ausweitung der globalen Atomenergieproduktion unweigerlich auch mit einer Vielzahl größerer oder kleinerer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten einhergeht. Bezogen auf die Proliferation stellt uns die Atomenergie hier vor das wichtigste Dilemma: Ein Atomprogramm, das aus kommerzieller Sicht klein oder sogar vollständig zu vernachlässigen ist, ist in der Regel durchaus groß genug, um ein ansehnliches Atomwaffenprogramm zu unterstützen.

Sollte die Atomenergie also rasch global ausgeweitet werden, so wächst auch die Gefahr von nuklearer Weiterverbreitung, da viele Länder mit neuen Technologien experimentieren werden. Selbst wenn die Atomenergie dann doch nicht in dem heute prognostizierten Ausmaß wächst, würde doch das ständige »Proliferationsrauschen« im internationalen Sicherheitssystem erheblich zunehmen und es schwieriger machen, »echte« Proliferation zu erkennen und zu bekämpfen sowie zwischen legitimen und grundlosen Ängsten vor heimlichen Militärprogrammen zu unterscheiden. Wie der Irakkrieg klar gemacht hat, kann die Angst vor Proliferation zuerst geschürt und dann zum Vorwand für einen Krieg genommen werden.

Atomenergie und Klimawandel

Könnte eine globale Expansion der Kernenergie dem Klimawandel prinzipiell entgegenwirken? Die Möglichkeiten sind begrenzt, denn die Atomenergie dient vor allem der Stromproduktion und hat auf die zwei Drittel der globalen CO2-Emissionen, die beim direkten Verbrauch von Brennstoffen (im Englischen: Fuels-Used-Directly, FUDs) für Verkehr, Heizung, Industrie und Gewerbe entstehen, gar keinen Einfluss.11 Das heißt, für den Großteil der Treibhausgase wäre damit immer noch keine Lösung gefunden.

Atomenergie könnte also bestenfalls den Einsatz von Kohle substituieren, da Strom vor allem aus diesem fossilen Brennstoff erzeugt wird. Kohle gibt es aber im Überfluss. Sie ist billig und wird es auch auf viele Jahrzehnte bleiben. Es ist daher naiv anzunehmen, dass global auf Nutzung von Kohle verzichtet werden wird. Länder mit großen Vorkommen billiger Kohle und raschem Wirtschaftswachstum werden auf jeden Fall von ihren Kohlevorkommen Gebrauch machen. So will China z.B. sowohl die Kohlenutzung als auch die Atomstromproduktion ausweiten, wobei in den nächsten zwanzig Jahren der Kohleeinsatz für die Erzeugung von Strom und Wärme verdoppelt werden soll.12 Bedenken über die Klimafolgen können diesen Prozess höchstens verlangsamen oder nur unwesentlich eindämmen.

Offensichtlich bleibt der Klimawandel also ein ungelöstes Problem, solange keine Lösung für das »Kohleproblem« gefunden werden kann. Verglichen mit den direkt verbrauchten Brennstoffen ist die fast vollständig CO2-freie Stromproduktion allerdings relativ einfach und mit vorhandenen nicht-nuklearen Technologien machbar.13 Diese Variante erscheint attraktiver als Investitionen in einen erheblichen Ausbau der Atomenergie.

Dieser Sicht folgt auch ein umfangreicher Bericht, den die Sustainable Development Commission der britischen Regierung 2006 vorstellte. Der Bericht konstatiert, dass der Bau neuer Atomanlagen nicht die Antwort auf den Klimawandel ist und dass selbst eine Verdoppelung der Nuklearkapazität von Großbritannien bis zum Jahr 2030 den Kohlendioxidausstoß kaum verringern würde.14 Er identifiziert fünf Hauptprobleme, sollte die Nutzung von Atomenergie fortgesetzt oder ausgebaut werden: das Fehlen bewährter Verfahren für die sichere Endlagerung von Atomabfällen; die ungewissen aber hohen Kosten für Atomenergie in der Zukunft; die unabdingbare Größe und Zentralisierung der Stromerzeugungs- und Verteilersysteme für Atomenergie, die die Entwicklung kleiner Systeme für die Produktion und Verteilung erneuerbarer Energie in der Zukunft behindern; die negativen Auswirkungen dieser großindustriellen, anbieterorientierten Technologien auf die Förderung von Energieeffizienz und schließlich die mit der nuklearen Proliferation verbundenen Sicherheitsrisiken.15 Diese Probleme dürfen bei der Debatte über die Zukunft von Atomenergie in keinem Land ignoriert werden.

Außerdem gibt es Alternativen. So wurde etwa im Jahr 1998 in einer Studie für die Europäische Union ein Szenario für ein europäisches Energiesystem entwickelt, das auf erneuerbaren Energien basiert und bis 2050 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 80% reduziert, obwohl es gleichzeitig den vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie vorsieht.16 Eine zentrale Schlussfolgerung dieser und ähnlicher Studien ist, dass es keine einfache, allgemeingültige technologische Lösung für die Energieerzeugung gibt. Vielmehr werden äußerst heterogene Energiesysteme identifiziert, die stark von länderspezifischen Bedingungen abhängen: Offshore-Windanlagen dominieren in Dänemark, während in Spanien und anderen südeuropäischen Ländern die Solarthermik und Photovoltaik naheliegenderweise einen Standortvorteil haben. Diversifizierung bei der Stromerzeugung muss unbedingt einhergehen mit einem verringerten Verbrauch von Primärenergien in allen Sektoren unserer modernen Gesellschaften. Die Liste notwendiger Schritte ist lang, und diese Schritte müssen rasch eingeleitet werden. Mit jedem Jahr, das ungenutzt verstreicht, entstehen weitere Engpässe und werden die Kosten des notwendigen Politikwechsels erhöht.

Schlussfolgerungen

Die Hoffnungen, die in die Nukleartechnologie gesetzt werden, sind so alt wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die ihr zugrunde liegen. In den vergangenen 60 Jahren hat sich gezeigt, wie viele Probleme die Atomtechnologie aufwirft. Besonders erheblich sind die Risiken und Folgen eines Atomunfalls, die wir hier nicht diskutiert haben, sowie die Gefahr, dass Anlagen, Materialien und Know-how für die vermeintlich »friedliche« Nutzung von Atomenergie für Atomwaffenprogramme genutzt werden. Das Festhalten an oder ein erheblicher Ausbau von Atomenergie würde diese Gefahren nur fortschreiben und vergrößern. Und sogar die MIT-Studie von 2003 kommt zu dem Schluss, dass keine technologische Lösung für diese Probleme in Sicht ist:

„Wir können nicht feststellen und auf der Basis unseres momentanen Wissens auch nicht glauben, dass realistischerweise mit neuen Reaktor- und Brennstoffzyklustechnologien zu rechnen ist, die eine Antwort auf die Kosten-, Sicherheits-, Abfall- und Proliferationsprobleme geben würden.“17

Zudem würde schon ein einziger größerer Unfall höchst wahrscheinlich jeden Versuch zunichte machen, Atomenergie auf dem momentanen Stand zu halten oder weiter auszubauen. Würde sich ein entsprechender Unfall in den USA oder Westeuropa ereignen, würde das mit Sicherheit das endgültige Ende der Atomenergie in diesen Regionen bedeuten. Die bis dahin getätigten Investitionen in eine teure und unflexible Technologie wären für immer verloren und der Beitrag zum Klimaschutz quasi »negativ«, da erneuerbare Energien dementsprechend vernachlässigt wurden. Nur die globalen Proliferationsgefahren würden zunächst weiterbestehen.

Angesichts dieser Perspektiven stellt sich die Frage, warum Atomenergie heute überhaupt als Lösung des Energie- und Klimaproblems in Erwägung gezogen wird. Noch immer scheint Nukleartechnologie mit technologischem Fortschritt gleichgesetzt zu werden. Andere haben darauf hingewiesen, dass die Befürworter der Atomenergie immer im »Futur« reden, d.h. „darüber, was sie in Zukunft bringen wird anstatt darüber, was sie schon hinterlassen hat oder was die Aufrechterhaltung der Infrastruktur der Gesellschaft abfordert.“18 Auch deshalb bleiben Öffentlichkeit und Eliten weiterhin einer Ideologie des »Fortschritts« verhaftet, die bequeme Gewohnheiten mit hohem und ineffizienten Energieverbrauch bevorzugt.

Die Zerreißprobe zwischen der Angst vor dem Atom und dem Unwillen, Gewohnheiten zu ändern, kommt in einer Meinungsumfrage zum Ausdruck, die 2006 in 18 Ländern mit und ohne größere Nuklearindustrie für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) durchgeführt wurde. Sie ergab, dass die meisten Menschen gegen den Bau neuer Kernreaktoren sind (59%), gleichzeitig aber den Weiterbetrieb vorhandener Reaktoren befürworten (62%).19 Daraus lässt sich schließen, dass die Uhr für die nukleare Zukunft langsam abläuft, wenn nun bald alte Kernkraftwerke weltweit abgeschaltet werden, der Bau neuer Anlagen aber keine Unterstützung findet.

Anstatt also das allmähliche Verschwinden der Atomenergie abzuwarten, sollte die internationale Gemeinschaft aus der Not lieber eine Tugend machen. Wir brauchen umfassende Pläne, wie wir unsere Abhängigkeit vom Atomstrom reduzieren, wie wir in Stromeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien investieren und wie wir unser Sozialleben und die Wirtschaft sicherer und ökologisch nachhaltig gestalten können.

Anmerkungen

1) Spencer R. Weart: Nuclear Fear: A History Of Images, Harvard University Press, 1988, S. 6.

2) Paul Boyer: By The Bomb’s Early Light: American Thought And Culture At The Dawn Of The Atomic Age, University of North Carolina Press, 1985, S. 111-113.

3) Arjun Makhijani und Scott Saleska: The Nuclear Power Deception: U.S. Nuclear Mythology From Electricity ‘Too Cheap To Meter’ To ‘Inherently Safe’ Reactors, Apex Press, 1999, S. xix.

4) J. Robert Oppenheimer: Failure to Achieve International Control of Atomic Energy, in: Morton Grodzins and Eugene Rabinowitch (Hrsg.), The Atomic Age, Simon and Schuster, 1963, S. 55.

5) Die Produktionsmenge von Urananreicherungsanlagen wird in Kilogramm oder Tonnen »Urantrennarbeit« (kg bzw. t SWU, Separation Work Unit) ausgedrückt.

6) Kenneth Bergeron: Nuclear Weapons: The Death of No Dual-use, in: Bulletin of the Atomic Scientists, Januar/February 2004, S. 15-17, www.thebulletin.org/ article.php?art_ofn=jf04bergeron.

7) Als signifikante Menge gelten die für den Bau einer Atomwaffe ausreichende Menge Plutonium (8 kg) bzw. hochangereichertes Uran (25 kg).

8) Massachussetts Institute of Technology: The Future of Nuclear Power: An Interdisciplinary MIT Study, 2003, http://web.mit.edu/nuclearpower. Würde die Vervierfachung der Atomenergie erst etwa 2100 erreicht, käme die Atomenergie dann etwa auf den selben Prozentanteil wie heute, sofern der Energieverbrauch wie prognostiziert ansteigt.

9) Die MIT-Studie verteilte die Kapazitäten auf der Basis von „verschiedenen länderspezifischen Faktoren“ auf die einzelnen Länder, „so z.B. anhand von bereits vorhandener Atomenergie, Urbanisierung, wirtschaftlicher Entwicklungsstufe und dem Rohstoffaufkommen.“ MIT-Studie, op.cit., S. 111.

10) Die weltweite Verteilung der Anreicherungskapazitäten in Abbildung 1 basiert auf der Annahme, dass nur solche Länder Anlagen zur Urananreicherung betreiben werden, die selbst über einen Reaktorpark von mindestens 10 GW(e) verfügen. Zudem würden die wichtigsten Uranexporteure (Australien, Kanada und Süd Afrika) Urananreicherungsanlagen betreiben. Ohne die Länder Westeuropas einzeln zu zählen, würden so 16 Länder über diese sensitive Technologie verfügen. Alle übrigen Länder wären reine »Reaktor-Staaten«.

11) International Energy Agency: CO2 from Fuel Combustion – Fact Sheet, 2005; www.iea.org/textbase/papers/2005/co2_fact.pdf.

12) He Youguo: China's Coal Demand Outlook for 2020 and Analysis of Coal Supply Capacity,International Energy Agency; www.iea.org/Textbase/work/2003/beijing/4Youg.pdf.

13) Robert H. Williams: Advanced Energy Supply Technologies, in: UNDP, World Energy Assessment: Energy and the Challenge of Sustainability, 2000, S. 274-329.

14) UK Sustainable Development Commission:The Role of Nuclear Power in a Low Carbon Economy,2006; www.sd-commission.org.uk/pages/060306.html.

15) Ibid.

16) LTI-Research Group (Hrsg.): Long-Term Integration of Renewable Energy Sources into the European Energy System, Physica-Verlag, 1998.

17) Op.cit., S. 76.

18) John Byrne und Steven Hoffman: The Ideology of Progress and the Globalization of Nuclear Power, in: John Byrne and Steven Hoffman (Hrsg.): Governing The Atom: The politics of risk, New Brunswick: Transaction Publishers, 1996, S.12.

19) IAEA: Global Public Opinion on Nuclear Issues and the IAEA – Final Report from 18 Countries, 2006; www.iaea.org/Publications/Reports /gponi_report2005.pdf.

Zia Mian und Alexander Glaser sind Physiker und Mitarbeiter des Program on Science and Global Security der Universität Princeton. Beide sind zudem Mitglieder des International Panel on Fissile Materials (IPFM) und im International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), das an der TU Darmstadt angesiedelt ist. Übersetzt von Regina Hagen

Die nukleare Teilhabe der NATO und Incirlik

Die nukleare Teilhabe der NATO und Incirlik

von Aslihan Tümer

Im Rahmen der so genannten »nuklearen Teilhabe« der North Atlantic Treaty Organisation (NATO) stationieren die USA als einziger Staat Atomwaffen auch außerhalb ihres eigenen Staatsgebiets. Die 480 taktischen Atomwaffen würden von Flugzeugen ins Ziel gebracht. Damit sind sie nicht nur besonders flexibel einsetzbar und in die konventionellen Streitkräfte integriert, sondern sie gehören auch zu der Waffenkategorie, für die noch keine einzige Rüstungskontroll- oder Abrüstungsvereinbarung ausgehandelt wurde. Zur furchtbaren Realität gehört auch die Definition dieser Atomwaffen als »einsetzbar“.

Als »nukleare Teilhabe« wird die Stationierung von US-Atomwaffen in etlichen NATO-Ländern bezeichnet.1 Außer Großbritannien, das selbst Atomwaffenstaat ist, sind folgende Länder in die nuklearen Kooperationsprogramme der NATO eingebunden: Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande und Türkei. Sie haben mit den USA jeweils bilaterale (und geheim gehaltene) Stationierungsabkommen abgeschlossen. Die nukleare Teilhabe umfasst unter anderem die Bereitstellung von Flugzeugen, die für einen Atomwaffeneinsatz zertifiziert sind, sowie das Training von Piloten des Gastgeberlandes für den Ernstfall.

Die Zahl 480 ist das Ergebnis einer ausführlichen Studie, die im Frühjahr 2005 von der US-amerikanischen Organisation Natural Resource Defense Council veröffentlicht wurde.2 Der Studie zu Folge sind 90 dieser Waffen in der Türkei stationiert, allerdings können sie nur auf Befehl der US-Führung einsatzbereit gemacht werden. Im Kriegsfall aber könnten, so eine Aussage des damaligen Oberbefehlshabers des US-Militärs von 1969, diese Waffen zum Einsatz durch die kooperierenden Staaten freigegeben werden. In ihrem Strategischen Konzept von 1999 hat die NATO die nukleare Teilhabe ausdrücklich bestätigt.

Ein Grundprinzip der NATO ist die »kollektive Verteidigung«. Das bedeutet, dass ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat automatisch als Angriff auf alle NATO-Länder gilt. In Artikel 5 des Nordatlantikvertrags wurde vereinbart, „dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs“ jede Vertragspartei „die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.“

Zur neuen Politik der USA gehört die ausdrückliche Bereitschaft, Atomwaffen als erste einzusetzen, auch als Antwort auf einen konventionellen Angriff.3 Folglich könnten die NATO-Mitgliedstaaten bei jeder militärischen Auseinandersetzung der USA in einen nuklearen Konflikt hineingezogen werden.

Aufgrund des Demokratiedefizits innerhalb der NATO können die BürgerInnen der Länder, die in die nukleare Teilhabe eingebunden sind, die Nuklearpolitik des Bündnisses offiziell weder hinterfragen noch ablehnen. Das hindert allerdings viele Menschen nicht daran, kreative Wege der Informationsbeschaffung zu finden und gegen diese Nuklearpolitik zu protestieren. Auch BürgerInnen und Nichtregierungsorganisationen der Türkei nutzen informelle Wege der Aufklärung und des Protests, und Umfrageergebnisse zeigen, dass dieser eigenständige Umgang mit demokratischen Rechten mehrheitlich auf die Zustimmung der türkischen Bevölkerung trifft.

Im Juni 2004 führte die türkische Meinungsforschungsagentur Infakto Research Workshop im Auftrag von Greenpeace Türkei eine Umfrage durch, um herauszufinden, wie die türkische Öffentlichkeit über Atomwaffen denkt. Dazu wurde ein repräsentativer Querschnitt der türkischen Bevölkerung in 629 Telefoninterviews befragt.

45% der Befragten gaben an, dass in der Türkei Atomwaffen stationiert sind. Etwa 30% verneinten diese Aussage, und 26% konnten oder wollten die Frage nicht beantworten. Es zeigte sich, dass der Bildungsstand bei der Beantwortung dieser Frage keine Rolle spielte.

Als diejenigen, die von einer Stationierung in der Türkei ausgingen, danach gefragt wurden, wem diese Atomwaffen gehören, sagte die Hälfte, die Atomwaffen seien unter türkischer Kontrolle. Etwa ein Drittel beantwortete die Frage nicht, und nur 10,5% der Befragten ordneten diese Waffen den USA oder der NATO zu.

Etwa die Hälfte der Befragten äußerte, dass sie der Stationierung von Atomwaffen in der Türkei mit dem Argument, die Sicherheit der Türkei und anderer NATO-Mitglieder zu gewährleisten, „überhaupt nicht“ zustimmen. Die Umfrage ergab auch, dass die Ablehnung der Atomwaffen mit steigendem Bildungsgrad zunimmt.

Bezeichnenderweise äußerten 57% der Befragten ihre Unterstützung, wenn die türkische Regierung den Abzug der Atomwaffen fordern würde. Nur 34% sprachen sich gegen eine solche Maßnahme aus, wobei die Ablehnung bei den Männern größer ist als bei den Frauen (40% bei den Männern, 28% bei den Frauen).

Die Umfrage ergab außerdem, dass eine Entscheidung, die Türkei zur atomwaffenfreien Zone zu erklären, mit hoher Unterstützung rechnen könnte. Insgesamt sprachen sich 72% für einen solchen Vorschlag aus, nur 22% lehnten ihn ab.

Und schließlich äußerten mehr als 80% der Befragten Zustimmung, sofern die türkische Regierung eine internationale Kampagne zur vollständigen und weltweiten Abrüstung sämtlicher Massenvernichtungswaffen initiieren würde. Auch hier stiegen die Zustimmungsraten mit wachsendem Bildungsniveau.

Diese Umfrageergebnisse zeigen, dass die türkische Politik einer aktiven nuklearen Teilhabe von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, obgleich viele Menschen über die nuklearen Rolle der Türkei in der NATO im Dunkeln gehalten werden. Bemühungen der türkischen Regierung, bei der Abrüstung von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen eine Vorreiterrolle zu spielen, finden hingegen deutliche Zustimmung.

Der Atomwaffenstandort Incirlik

Incirlik – die wörtliche Übersetzung des Wortes ist »Feigengarten« – war ursprünglich ein kleines Dorf außerhalb der Zwei-Millionen-Stadt Adana im Süden der Türkei. Bekannt wurde Incirlik durch den Luftwaffenstützpunkt in unmittelbarer Nachbarschaft, der teilweise mehr Bewohner hatte als das Dorf selbst. Nach Eröffnung des Standorts im November 1954 vergrößerte sich das Dorf unaufhörlich, insbesondere im Kontext des ersten Golfkrieges, als die Basis für das US-Militär zum wichtigen Drehkreuz wurde. Incirlik entwickelte sich zu einer kleinen Stadt mit 20.000 Einwohnern; zahlreiche Geschäfte tragen englische Namen, und fast jeder Einwohner kann Englisch sprechen.

Incirlik machte auf Grund der Anwesenheit des US-Militärs immer wieder Schlagzeilen und wurde auch in der Öffentlichkeit heftig diskutiert, besonders wenn es um die Nutzungsgenehmigung oder ein Nutzungsverbot für bestimmte Militäroperationen ging. So gab es gegen die Nutzung von Incirlik im Irakkrieg 2003 heftige Proteste, und die Bewegung gegen den Krieg wurde zur größten Massenbewegung in der Türkei seit mehreren Jahrzehnten.

Heute hat Incirlik keine Feigenbäume mehr, birgt aber ein wenig bekanntes Geheimnis, nämlich die Tatsache, dass dort 90 Atomwaffen gelagert sind, deren Sprengkraft der von 1.000 Hiroshima-Bomben entspricht. Greenpeace eröffnete in Incirlik eine »Friedensbotschaft«, um Zeugnisse der Atomwaffenstationierung nach Adana zu tragen und das Bewusstsein bei der dortigen Bevölkerung zu schärfen. Die Wahrnehmung der Atomwaffen ist in Adana – wie in der ganzen Türkei – sehr gespalten. Zwar gibt es keine offizielle Bestätigung für die Stationierung, und viele wissen auch nichts davon, sie haben aber „schon immer den Verdacht“ gehabt, dass dort etwas vor sich geht.

Andererseits will die Bevölkerung von Adana am liebsten nichts davon hören. Die Stadt hängt wirtschaftlich von der Luftwaffenbasis ab, daher werden Negativinformationen über den Standort als direkte Bedrohung des wirtschaftlichen Wohlergehens von Incirlik eingestuft. Mit der Aussage konfrontiert, dass auf dem Stützpunkt Atomwaffen stationiert sind, wird diese Möglichkeit einfach ausgeschlossen. Und wenn es so ist, dann haben die USA diese Waffen nur zum Schutz der Menschen dort stationiert. Viele Menschen in Incirlik haben früher auf der Basis gearbeitet und sie halten Atomwaffen auf der Basis für undenkbar, schließlich haben sie nie etwas davon gehört, und hinter ihrem Rücken könne so etwas ja wohl kaum passieren. Egal, wie die einzelnen Menschen reagieren, eines ist unverkennbar: Keiner will zugeben, dass es die Waffen dort gibt.

Exkurs in die Geschichte: Die Kubakrise

Den Wenigsten ist bewusst, dass die Kubakrise auch ein Meilenstein in den Beziehungen zwischen der Türkei und den USA war.

Ende 1960 stationierten die USA Mittelstreckenraketen des Typs Jupiter in der Türkei, also unweit der sowjetischen Grenzen. Die Raketen wurden mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet. Dies löste eine internationale Krise aus – die sich zur Kubakrise auswachsen sollte – und verdeutlichte die Gefahr, dass Atomwaffen tatsächlich eingesetzt werden könnten.

Nachdem die Jupiter im April 1962 einsatzbereit wurden, reagierte die Sowjetunion zunehmend schärfer. Im Mai 1962 verurteilte Chruschtschow die Stationierung der Raketen, und im Herbst 1962 stationierten sowjetische Truppen als Gegenreaktion nuklear bestückbare SS-4-Mittelstreckenraketen auf Kuba.

Die Sowjetunion verlangte den Abzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei. Nach Einschätzung des damaligen US-Botschafters in Ankara, Raymond Hare, wollte die Türkei aber keinen Rückzug der Atomwaffen, sondern hielt diese für einen Schutz vor der sowjetischen Bedrohung.

Die türkische Öffentlichkeit war damals gespalten, sowohl die Opposition als auch die Medien verfolgten die Diskussionen sehr genau. Manche Artikel wussten zu berichten, dass die USA zu Verhandlungen bereit seien (was gegen Ende der Krise auch der Fall war, die Türkei wurde davon aber nicht informiert). Viele kritisierten die türkischen Politiker aber auch für ihre zu große Amerika-Nähe.

Am 24. Oktober 1962 gab der türkische Präsident Cemal Gursel bekannt, dass die Türkei in der Kubakrise an der Seite ihres amerikanischen Verbündeten stehe, und Premierminister Inönü bestätigte die enge Zusammenarbeit mit den USA. Die türkische Bevölkerung hingegen beobachtete die Entwicklung mit großer Sorge.

Am 27. Oktober schließlich einigten sich die USA und die Sowjetunion auf den gegenseitigen Rückzug ihrer Raketen aus der Türkei und von Kuba. Das Abkommen wurde allerdings geheim gehalten, und die Türkei lobte die USA für ihre Standfestigkeit und dafür, dass sie die Sicherheit der Türkei nicht zur Disposition gestellt habe – was sich nachträglich als falsch herausstellte.

Als die USA 1963 dann den Abzug der Jupiter-Raketen ankündigte, verknüpfte sie dies mit der Ankündigung, die Mittelstreckenraketen würden durch modernste Atom-U-Boote ersetzt. Die türkische Regierung hielt still, in der Öffentlichkeit begann aber allmählich die Debatte darüber, dass die Türkei während der Kubakrise Verhandlungsmasse war.

Die Oppositionsparteien stellten im Parlament entsprechende Fragen, und Außenminister Erkin erklärte, dass die Türkei durch die modernen U-Boote an Wichtigkeit gewänne und die Türkei und die USA durch die Krise enger aneinander gerückt seien. Er betonte, die Türkei würde gestärkt, weil ihr strategischer Wert in einem konventionellen Krieg steige. Die Jupiter wurden im April 1963 aus der Türkei abgezogen.

Während der Kubakrise war Ismet Inönü Premierminister der Türkei, und er unterstütze die USA. Acht Jahre später sagte er in einer Rede im Parlament: „Die Amerikaner erklärten uns, die Jupiter würden abgezogen, weil sie veraltet seien. An ihrer Stelle würden Polaris-U-Boote stationiert. Erst später erfuhren wir, dass der Abzug Teil der Verhandlungen mit den Sowjets war. Dieser Vorfall zeigt, dass die türkische Staatsführung nicht zulassen sollte, dass die Amerikaner die Türkei unversehens in eine Krise mit hineinziehen, und wir sollten vorsichtig sein…“

Die damalige Krise hatte für die Türkei mehrere Konsequenzen, die wichtigste davon war eine erhebliche Beschädigung der Beziehungen mit den USA. Die anti-amerikanischen Gefühle wuchsen, und in der Türkei wurde erkannt, welche Nachteile aus einer einseitigen Politik erwachsen können.

Die Gefahr heute

In letzter Zeit liest man häufiger Meldungen, dass die iranische Sahab-3-Rakete sich zum Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt Incirlik eigne, und Zeitungen berichten immer wieder über Pläne von El Kaida, die Basis anzugreifen. Solche Meldungen gehören in den weiteren Kontext der Diskussion, ob die Atomwaffen von Incirlik für die Türkei eine Gefahr darstellen.

Die Stationierung von NATO-Atomwaffen in sechs europäischen Ländern ist ein Zeichen, dass weiterhin in Kategorien des Kalten Krieges gedacht wird. Die Sowjetunion ist zusammengebrochen, und Russland ist heute keine Gefahr mehr (sofern dies jemals der Fall war). Durch die Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat erkennt die NATO Russland als gleichwertigen Partner an, und beide Parteien arbeiten inzwischen eng zusammen. Als Gefahr wird heute nicht mehr Russland, sondern der Nahe Osten wahrgenommen. Allerdings ist die Stationierung von Atomwaffen direkt an der Außengrenze der NATO eine Provokation, und sie erhöht die Gefahren für die regionale und globale Sicherheit.

Auf jeden Fall wird die Region um Incirlik und damit auch die lokale Bevölkerung durch die Stationierung von US-Atomwaffen zum potentiellen Zielpunkt. Die Atomwaffen von Incirlik sollten dringend in die USA zurück gezogen und unschädlich gemacht werden. Ein solcher Schritt würde nicht nur zur Sicherheit der Türkei und des Nahen Ostens beitragen, sondern auch ein positives Signal aussenden, da er die Bereitschaft der Türkei bestätigen würde, eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten durch Worte und Taten zu fördern. Damit hätte die Türkei die einzigartige Chance, einen positiven Einfluss auf die Region und somit die globale Sicherheit auszuüben. Der Abzug der US-Atomwaffen und eine Umorientierung der NATO auf die Friedenswahrung würden den Pfad zu Frieden und wahrer Sicherheit eröffnen.

Anmerkungen

1) Otfried Nassauer: Nuclear Weapons in Europe – A Question of Political Will, Berlin Information Center for Transatlantic Security (BITS), Policy Note 05.4, Juni 2005, erstellt im Auftrag von Greenpeace Deutschland.

2) Die komplette Studie wurde durchgeführt von Hans M. Kristensen: US Nuclear Weapons in Europe. A Review of Post-Cold War Policy, Force Levels, and War Planning, Februar 2005, Natural Resource Defense Council; Washington D.C.; http://www.nrdc.org/nuclear/euro/contents.asp. Eine Zusammenfassung findet sich in Robert S. Norris und Hans Kristensen: NRDC Nuclear Notebook. U.S. nuclear weapons in Europe, 1954-2004, Bulletin of the Atomic Scientists, November/Dezember 2004, S. 76-77 (vol. 60, no. 6); http://www.thebulletin.org/article_nn.php?art_ofn=nd04norris.

3) „Die Nutzung einer nuklearen Option, auch nur einer Teiloption, wäre ein deutliches Signal der Entschlossenheit der Vereinigten Staaten. Daher müssen die Optionen sehr sorgfältig und gezielt ausgewählt werden, so dass der Angriff hilft sicherzustellen, dass der Gegner das ‘Signal’ richtig interpretiert und nicht davon ausgeht, dass die Vereinigten Staaten eine Eskalation hin zum allgemeinen Atomkrieg betreiben. Allerdings ist diese Wahrnehmung nicht garantiert.“ US-Generalstab, Entwurf für eine »Doctrine For Joint Nuclear Operations«, 15. März 2005; das Dokument wurde angeblich im Oktober 2005 zurückgezogen, nachdem es in der Öffentlichkeit bekannt geworden war; http://www.bits.de/NRANEU/docs/3_12fc2.pdf.

Aslihan Tümer ist Campaigner für Nuklearfragen bei Greenpeace Türkei. Übersetzt von Regina Hagen

Das Gewissen der Wissenschaft für die Abschaffung der Nuklearwaffen

Das Gewissen der Wissenschaft für die Abschaffung der Nuklearwaffen

Nachruf auf Sir Joseph Rotblat (1908-2005)

von Götz Neuneck

In der Nacht zum 1. September 2005 ist in London der Friedensnobelpreisträger Sir Joseph Rotblat, Mitbegründer der »Pugwash Conferences on Science and World Affairs« und vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler im Alter von 96 Jahren friedlich eingeschlafen.

Joseph Rotblat wurde 1908 als fünftes von sieben Kindern in einer Warschauer Handelsfamilie geboren. Seine ersten Forschungen zur Atomphysik machte er im Warschauer »Strahlenlabor«. 1939 ging er zunächst ohne seine Frau Tola Gryn nach Liverpool, um mit J. Chadwick an einem Zyklotron zu arbeiten. Als die politische Lage sich zuspitzte, fuhr er im Sommer 1939 nach Warschau zurück, um seine Frau nach England zu holen. Aufgrund einer Krankheit sollte sie ihm Tage später folgen. Der Beginn des Krieges verhinderte dies, Jo sah seine Frau nie wieder. Er heiratete nicht mehr.

In England beschäftigten sich die Physiker damals zunehmend mit Kriegsforschung. Die Atomphysiker waren durch die Arbeiten der Otto Hahn–Gruppe zur Kernspaltung alarmiert. Ebenso wie seine britischen Kollegen sollte sich auch Rotblat am Manhattan-Projekt beteiligen, doch bürokratische Hemmnisse führten dazu, dass er erst im März 1944 nach Los Alamos kam. Antriebskraft für die Arbeit im Manhattan-Projekt war die Befürchtung, dass Hitler über eine Bombe verfügen könnte. Doch Rotblat wurde Zeuge der Aussage General Groves, die Arbeiten an der Bombe seien nicht auf Deutschland, sondern auf Russland bezogen. Als ihm Ende 1944 klar wurde, dass die Deutschen das Bombenprojekt fallen gelassen hatten, war seine Anwesenheit in New Mexiko für ihn überflüssig geworden. Er stellte einen Rückreiseantrag und wurde zu Stillschweigen verpflichtet.

Obwohl auch viele seiner Kollegen den Hitler-Faktor als Hauptmotiv ansahen, arbeiteten sie weiter. Warum? Wohl aus wissenschaftlicher Neugierde, Karrieredenken, der Hoffnung auf schnelle Kriegsbeendigung und dem Glauben, über den Einsatz der Bombe könne man nach dem ersten Test debattieren. Rotblat schrieb 1985 in einem Artikel des Bulletin of the Atomic Scientists: „…Die Mehrheit ließ sich nicht durch moralische Skrupel stören; sie waren sehr zufrieden, es anderen zu überlassen, zu entscheiden wie ihre Arbeit genutzt werden würde.“

1946 begann er damit die britische Öffentlichkeit über die nuklearen Gefahren aufzuklären und für die Kontrolle nuklearer Energie einzutreten. Er organisierte eine mobile Ausstellung, den »Atomic Train«, und er wechselte sein Fachgebiet. Fortan widmete er sich der Erforschung und Nutzung radioaktiver Strahlung in Medizin und Biologie. 1954, unter dem Eindruck der Wasserstoffbombentests, kam Rotblat in Kontakt mit B. Russell, der im Juli 1955 der Weltpresse das »Russell-Einstein-Manifest« vorstellte. Als jüngster Unterzeichner des berühmten Dokuments widmete Rotblat sich der Umsetzung der Schlüsselpassagen, der Abschaffung der Nuklearwaffen und des Krieges als solchem. 1957 fand in dem kleinen Fischerdorf Pugwash/Nova Scotia die erste Konferenz statt, zu der sich mitten im Kalten Krieg 22 führende Wissenschaftler aus Ost und West trafen. Seitdem hat es ca. 300 weitere Pugwash-Treffen gegeben, auf denen wichtige Grundlagen für Rüstungskontrollverträge gelegt und Kontakte zwischen Regierungen und Wissenschaftlern angebahnt wurden. Joseph war viele Jahre Generalsekretär und später Präsident der Pugwash-Konferenzen. Unter seiner Führung wuchs die Organisation und zog immer mehr Wissenschaftler an. Heute gibt es über 50 nationale Pugwash-Gruppen (siehe z.B. www.pugwash.de).

Erst der Friedensnobelpreis von 1995 lenkte den Blick der Weltöffentlichkeit auf das Wirken von J. Rotblat. In seiner Nobelpreisträgerrede wandte er sich gegen die »Elfenbeinturm-Mentalität« der Wissenschaft: „Von den frühesten Tagen an hatte ich eine Leidenschaft für Wissenschaft. Aber Wissenschaft, die Ausübung höchster Kraft menschlichen Denkens, war meiner Auffassung nach immer verbunden mit dem Nutzen für die Menschen. (…) Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich die zweite Hälfte meines Lebens mit Anstrengungen zubringen muss, um eine tödliche Gefahr zu verhüten, die durch Wissenschaft selbst hervorgebracht wurde.“

Joseph Rotblatt war eloquent, unermüdlich, fordernd und leidenschaftlich der Schaffung einer Welt verpflichtet, die sicherer, gerechter und humaner ist. Für Pugwash und für viele andere, die sich diesen Zielen verpflichtet fühlen, war er ein großartiger Mentor und ein steter Inspirator für aktive Schritte zur nuklearen Abrüstung. In den letzten Jahren hat er sich besonders für die Initiierung einer Kampagne zur Aufklärung nuklearer Gefahren eingesetzt (Nuclear Awareness, siehe: www.comeclean.org.uk).

Joseph, war nicht nur einer der ersten nuklearen Kritiker, sondern »das Gewissen« einer Wissenschaft, das für die Abschaffung der Nuklearwaffen eintritt. Seine Botschaft ist klar: „Entweder die Welt wird die Nuklearwaffen eliminieren, oder wir werden mit der Aussicht konfrontiert, dass solche Waffen uns eliminieren.“

Sein Ziel, die Eliminierung der Nuklearwaffen, ist nicht erreicht. Wir müssen beharrlich und entschieden die Anstrengungen vervielfachen, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind es nicht nur ihm schuldig.

Seine deutschen Freunde trauern um einen überaus liebenswerten Menschen, einen hervorragenden Wissenschaftler, einen großen Humanisten und einen unermüdlichen Friedensaktivisten.

Dr. Götz Neuneck

Rüstungskontrolle im Schwebezustand

Die Atomteststoppbehörde

Rüstungskontrolle im Schwebezustand

von Oliver Meier

Die internationale Atomteststoppbehörde (Comprehensive Test Ban Treaty Organization, CTBTO) befindet sich fast acht Jahre nach ihrer Gründung in einem eigenartigen politischen Schwebezustand. Aufgabe der Organisation ist es, die Einhaltung des Vertrags über das Umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, CTBT) zu überwachen. Aber das Abkommen, das seine Mitglieder verpflichtet „keine Versuchsexplosionen von Kernwaffen und keine andere nukleare Explosion durchzuführen“1, kann nicht in Kraft treten, obwohl es mittlerweile 176 Staaten gezeichnet und 125 ratifiziert haben.

Damit der Atomteststoppvertrag völkerrechtliche Verbindlichkeit erhält, müssen alle 44 Staaten, welche bei Vertragsabschluss 1996 Mitglieder der Genfer Abrüstungskonferenz waren und über Atomprogramme verfügten, den CTBT ratifizieren. Von diesen Staaten haben den Vertrag bisher

  • weder unterschrieben, noch ratifiziert: Indien, Nordkorea und Pakistan,
  • unterschrieben aber noch nicht ratifiziert: Ägypten, China, Indonesien, Iran, Israel, Kolumbien, USA und Vietnam.

Diese elf Staaten verhindern damit, dass die Ergebnisse der Arbeit der CTBTO auch tatsächlich und völkerrechtlich verbindlich zur Teststopp-Verifikation genutzt werden können.

Der Aufbau des Überwachungssystems für den Teststopp-Vertrag durch eine Vorbereitungskommission und das Provisorische Technische Sekretariat (PTS) in Wien hat trotz dieser politischen und rechtlichen Hängepartie gute Fortschritte gemacht. Mittlerweile beschäftigt die CTBTO fast 270 Mitarbeiter aus 69 Staaten. Wenn man von der ungewissen Zukunft des Vertrags selbst absieht, arbeitet die Organisation schon jetzt wie eine normale Abrüstungsbehörde.

Die amerikanische Abwendung

Die klare Ablehnung des CTBT durch die gegenwärtige US-Regierung bildet das größte Hindernis auf dem Weg zum Inkrafttreten des Vertrages. Solange die größte Militär- und Nuklearwaffenmacht der Welt nicht auf die Option zur Wiederaufnahme von Kernwaffentests verzichtet, werden auch andere Staaten, die über Kernwaffen verfügen oder verfügen möchten, sich die Möglichkeit zur Durchführung von Atomexplosionen offen halten wollen.

Präsident Bill Clinton unterzeichnete noch voller Stolz als erster Staatschef am 24. September 1996 den CTBT am Sitz der Vereinten Nationen. Damit schien der jahrzehntelange Kampf der USA um einen überprüfbaren Teststopp-Vertrag erfolgreich zum Abschluss gebracht. Aber die Hoffnung auf ein dauerhaftes Verbot aller Kernwaffentests geriet bald ins Wanken. Im Oktober 1999 weigerte sich der republikanisch dominierte Senat, den vom verhassten demokratischen Präsidenten favorisierten CTBT zu ratifizieren. Seitdem hat sich Washington kontinuierlich vom Vertrag distanziert.

Amerikanische CTBT-Gegner halten den Vertrag für nicht verifizierbar und befürchten, dass ein dauerhafter Verzicht auf Atomtests das eigene Nuklearwaffenarsenal gefährden könnte. Alterungsprozesse in vorhandenen Atomwaffen könnten Kernwaffentests zur Prüfung von Sicherheitsmängeln notwendig machen, so amerikanische Teststopp-Kritiker. Aber auch die Entwicklung neuartiger Atomwaffen wie »Mininukes« oder bunkerbrechende Kernwaffen soll möglich bleiben.2

Die USA bleiben durch die Unterschrift Clintons an den CTBT gebunden, bereiten aber einen möglichen vollständigen Rückzug aus dem Teststopp-Vertrag vor. Amerikanische Diplomaten weigern sich, jedem internationalen Dokument zuzustimmen, das den CTBT auch nur erwähnt. Und im August 2003 wies Präsident Bush das Energieministerium an, die Vorbereitungszeit für eine mögliche Wiederaufnahme von Kernwaffentests von ehemals 2-3 Jahren auf 18 Monate zu verkürzen.

Die Ablehnung des Teststopp-Vertrages durch Washington behindert auch den Aufbau der CTBTO. Seit August 2001 kürzt Washington den eigenen finanziellen Beitrag und behält eigenmächtig die Kosten für die Vorbereitung von Vor-Ort-Inspektionen ein. Begründung: solche Inspektionen, die die CTBTO nach einer vermuteten Vertragsverletzung zur Klärung des Sachverhalts durchführen könnte, würden erst nach Inkrafttreten des Vertrages durchgeführt werden – und genau dieses Inkrafttreten des Vertrags lehnt Washington ab.3

Aus Sicht der CTBTO ist die Kürzung finanziell noch zu verkraften weil sie bisher nur rund 5% (rund US$ 1 Millionen jährlich) des veranschlagten amerikanischen Beitrags beträgt. Aber möglicherweise stehen bald noch weitere Kürzungen ins Haus. Der US-Senat hat insgesamt US$ 7,5 Millionen aus dem diesjährigen Beitrag in Höhe von US$ 22 Millionen herausgeschnitten. Derartige Kürzungen, die vom US-Repräsentantenhaus in dieser Form abgelehnt werden, wären ein schwerer Rückschlag für die Arbeit der CTBTO auch wenn Außenministerin Condoleezza Rice am 16. Februar beteuerte, dass eine weitere Kürzung der US-Beiträge „… keine Änderung der US-Politik gegenüber dem CTBT“ bedeuten würde.4

Um den Aufbau des Systems zu vollenden und fertig gestellte Stationen zu betreiben, ist eine stabile Finanzierung notwendig. Jährlich benötigt die CTBTO etwa US$ 100 Millionen. Bisher wurden rund 95% der Beiträge von den Unterzeichnern des Vertrages eingetrieben. Dies ist eine im Vergleich zu anderen UN-Organisationen gute Quote. Einzelne Staaten, wie Brasilien und Argentinien, zahlen allerdings seit Jahren ihre Beiträge nicht. Damit schwächen sie die CTBTO auch wenn die Arbeit der Behörde (noch) nicht gefährdet ist.

Der Aufbau des Internationalen Überwachungssystems

Trotz der politischen Ablehnung des CTBT unterstützen die USA den Aufbau des internationalen Überwachungssystems (International Monitoring System, IMS) voll und ganz. Ein Grund für diese schizophrene Politik liegt im Interesse amerikanischer Geheimdienste an den IMS-Daten. Für die amerikanische Regierung dürften vor allem Daten aus Regionen interessant sein, in denen sie selber nicht über ausreichend hochwertige Überwachungsstationen verfügt, wie etwa in Zentral- und Südasien. Die USA sind als größter Abnehmer von IMS-Daten sogar bereit, der CTBTO für die Übermittlung aller verfügbaren Daten mehr zu zahlen als den regulären Satz. Das US-Interesse an den Daten der CTBTO ist ein eindrucksvoller Beleg für deren Qualität.

Das IMS selbst ist bereits zu zwei Dritteln fertig gestellt. Zweihundertundneun der insgesamt 321 Überwachungsstationen sind errichtet. Das seismische Netzwerk, das darauf ausgelegt ist, Signale von unterirdisch durchgeführten Atomtests aufzunehmen, ist das Herzstück des Überwachungssystems. Fünfzig Stationen werden kontinuierlich Daten nach Wien übermitteln, weitere 120 Hilfsstationen können bei Bedarf zugeschaltet werden. Elf im Meer an Bojen verankerte Hydrophone oder in der Nähe von steil abfallenden Küsten stationierte Hochfrequenz-Seismometer können Explosionen in den Ozeanen oder auf kleinen Inseln feststellen. Das Infraschall-Überwachungsnetzwerk von 60 landgestützten Stationen dient dem Ziel, die von atmosphärischen Nukleartests verursachten Schallwellen festzustellen und diese Tests so zu lokalisieren. Achtzig Radionuklidstationen werden rund um die Uhr radioaktive Aerosole und Edelgase in der Atmosphäre messen, die von atmosphärischen Atomtests stammen oder von unterirdischen Tests, die ausgasen.

Von den Stationen werden die Daten an das International Data Centre (IDC) in Wien und von dort zügig an die Mitgliedstaaten übermittelt. Ein groß angelegter Dauertest im April und Mai diesen Jahres hat belegt, dass der für eine erfolgreiche Vertragsüberwachung notwendige Dauerbetrieb, inklusive sicherer Datenübertragung aus Wien gewährleistet werden kann.5

Die CTBTO bewertet und analysiert IMS-Daten nicht. Es obliegt den Mitgliedstaaten festzustellen, ob ihrer Meinung nach ein Vertragsverstoß vorliegt. Nach Inkrafttreten des Vertrags kann jeder Mitgliedsstaat eine Sitzung des Exekutivrats der Organisation beantragen, wenn er vermutet, dass ein anderes Mitglied gegen den Vertrag verstoßen hat. Stimmen 31 der 50 Mitglieder des Exekutivrats zu, wird eine Vor-Ort-Inspektion zur Klärung des Sachverhalts angeordnet. Klare Vertragsverstöße kann die Vertragsstaatenkonferenz an den UN-Sicherheitsrat melden.

Während der Aufbau des Überwachungssystems Fortschritte macht, bleibt die Vorbereitung der Vor-Ort-Inspektionen schwierig. Der Vertrag selbst beschreibt nur die groben Parameter künftiger Inspektionen, wie etwa Dauer und Umfang. Seit Jahren verhandeln Mitgliedstaaten in Wien über ein Handbuch zu Vor-Ort-Inspektionen, das Einzelheiten über die Rechte und Pflichten künftiger Teststopp-Inspekteure festlegen soll.

Der amerikanische Boykott der Vorbereitungen für Vor-Ort-Inspektionen stellt den Wert der Verhandlungen über ein Inspektionsregime insgesamt in Frage. Aber auch andere Staaten, wie etwa Israel, achten mit Argusaugen darauf, dass künftige Inspektoren nicht zu weitreichende Rechte erhalten. Sie fürchten, dass Inspektionen dazu missbraucht werden könnten vertragsfremde Einrichtungen auszuspionieren, etwa die geheime Atomanlage in Dimona.

Wie andere Verifikationssysteme, kann auch das IMS keine hundertprozentige Sicherheit bieten, dass alle Vertragsverletzungen aufgedeckt werden. Das System zielt eher darauf ab, Vertragsbrüche mit hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, und potenzielle Vertragsverletzer dadurch abzuschrecken.

Ein Unterlaufen des Überwachungssystems durch einen geheimen Kernwaffentest – ein Szenario das CTBT-Kritiker in den USA immer wieder als Schwachpunkt des Vertrages angeführt haben – dürfte ausgeschlossen sein. Militärisch relevante Tests haben eine Sprengkraft von mehreren Kilotonnen TNT-Äquivalent. Das IMS ist aber darauf ausgelegt, weltweit Explosionen mit einer Sprengkraft von mindestens einer Kilotonne zu entdecken. In vielen Gegenden kann das IMS schon jetzt Explosionen von wesentlich kleinerer Sprengkraft – in einzelnen Fällen von 10-25 Tonnen – feststellen und in den meisten Fällen auch lokalisieren.6

Zusätzliche Nutzung des IMS?

Schon seit Jahren gibt es Vorschläge, die Daten des IMS auch für andere Zwecke als zum Aufspüren von Kernwaffentests zu verwenden,. Das Überwachungssystem ist weltweit einmalig, nicht nur auf Grund seiner globalen Reichweite sondern auch wegen der schnellen Datenverfügbarkeit und der sicheren Übertragung an Empfänger weltweit. So könnten z.B. die Daten aus dem Infraschallnetzwerk dazu verwendet werden, die Luftfahrt vor Vulkanausbrüchen zu warnen. Möglich wäre es auch, bestimmte IMS-Daten zur Überwachung anderer internationaler Abkommen, insbesondere Rüstungskontrollabkommen, zu nutzen. Das Netzwerk von Radionuklidstationen etwa könnte auch geheime Produktionsanlagen für Kernwaffenmaterialien aufspüren.

Jahrelang scheiterten solche Vorschläge zur Nutzung von Synergieeffekten jedoch an den Ängsten einiger Staaten wie China, die eine Aufweichung der Regeln zum Schutz »vertraulicher« Informationen befürchten. Sie bestanden darauf, dass nur staatliche Datenzentren IMS-Daten empfangen dürfen. Erst die Tsunami-Katastrophe vom letzten Jahr hat solche Bedenken hinweg gespült. Achtundsiebzig IMS-Stationen hatten das Seebeben am 26. Dezember 2004 registriert und die Daten schon nach zwei Stunden an alle Mitgliedstaaten übermittelt. Dies schloss auch betroffene Staaten in der Region ein, wie etwa Indonesien und Thailand.7 Diese Daten wurden dort allerdings nicht entsprechend ausgewertet und damit eine wichtige Chance zur Frühwarnung vertan.

Im März diesen Jahres beschlossen die Vertragsmitglieder, dass das PTS auf Probebasis Daten an zwei Tsunami-Frühwarnorganisationen der UNESCO übertragen soll. Ob dieser wichtige Schritt zur Öffnung des Systems auch weitere Möglichkeiten für eine Nutzung der Daten zur Frühwarnung und Katastrophenhilfe eröffnet, muss allerdings abgewartet werden.8

Wie weiter?

Trotz beeindruckender Fortschritte beim Aufbau des Überwachungssystems liegt die Frage des Inkrafttretens des Vertrages wie ein dunkler Schatten über der Arbeit der CTBTO. Alle zwei Jahre beraten die Mitgliedstaaten, was unternommen werden kann, um das Inkrafttreten des Teststopp-Vertrags zu beschleunigen. Auf der vierten, nach dem entsprechenden CTBT-Paragrafen benannte Artikel XIV-Konferenz, die vom 21.-23. September 2005 in New York stattfand, wurde erneut deutlich, dass ein stetiges und druckvolles Drängen auf Vertragsbeitritt bei den noch außerhalb des CTBT stehenden Staaten ohne politische Alternative ist. Je kürzer die Liste der Blockierer ist, desto größer wird der politische Druck auf die noch ausstehenden Verweigerer und desto stärker ist die internationale Norm gegen Atomtests.

Der Sonderbeauftragte zur Förderung des Ratifizierungsprozesses, Jaap Ramaker, berichtete von seinen weitgehend erfolglosen Bemühungen weitere Annex II-Staaten von einem Vertragsbeitritt zu überzeugen.9 Die chinesische Regierung beteuerte gegenüber Ramaker, dass sie guten Willens sei, den CTBT zu ratifizieren und »nur« noch auf den Abschluss des parlamentarischen Ratifizierungsverfahrens warte. Gleichlautende Beteuerungen gibt es allerdings seit Jahren aus Peking. Pakistan erklärte, dass ein Beitritt zum Teststopp-Vertrag gegenwärtig keine Priorität besäße und die indische Regierung empfing Botschafter Ramaker erst gar nicht. Der wichtigste Schlüssel zum politischen Erfolg liegt aber weiterhin in Washington.

Der Fortschritt beim Aufbau des Verifikationssystems durch die Wiener Teststoppbehörde ist dabei ein wichtiges Seismometer für die politische Unterstützung für den CTBT insgesamt. Auch deshalb ist es wichtig, dass diejenigen Regierungen, die an den Zielen des Teststopp-Vertrags festhalten, die CTBTO weiter nach Kräften unterstützen. Nur dann ist gewährleistet, dass „bei Inkrafttreten des Vertrages … das Verifikationssystem in der Lage [ist], den Verifikationsanforderungen des Vertrages zu genügen.“10

Anmerkungen

1) Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Artikel I (1).

2) Eine Diskussion dieser Argumente findet sich in dem Report des CTBT-Sonderbeauftragten General John M. Shalikashvili (USA Ret.): Report on the Findings and Recommendations Concerning the Comprehensive Test Ban Treaty, January 4, 2001, http://www.armscontrol.org/act/2001_01-02/ctbtreport.asp

3) Philipp C. Bleek: White House to Partially Fund Test Ban Implementing Body, in: Arms Control Today, September 2001, http://www.armscontrol.org/act/2001_09/ctbtsept01.asp.

4) Daryl G. Kimball: The Status of CTBT Entry Into Force: the United States, Presentation at the VERTIC Seminar on the Comprehensive Test Ban Treaty on the Occasion of The Fourth Article XIV Conference on Accelerating Entry Into Force, New York, September 22, 2005, http://www.armscontrol.org/events/20050921_VERTIC.asp.

5) Background Document by the Provisional Technical Secretariat of the Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization prepared for the Conference on Facilitating the Entry into Force of the CTBT, CTBT-Art.XIV/2005/3/Rev.1, 7 September 2005.

6) Einschätzungen zur Verifizierbarkeit des Vertrages finden sich unter anderem im Bericht der Unabhängigen Kommission zur Verifizierbarkeit des Teststopp-Vertrages, London 7. November 2000, http://www.ctbtcommission.org/germanreport.htm und Ben Mines: The Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty: virtually verifiable now, VERTIC Brief 3, London, April 2004, http://www.vertic.org/assets/BP3_Mines.pdf.

7) Northern Sumatra Earthquake and the Subsequent Tsunami on 26 December 2004, CTBTO Press Release, 5. Januar 2005.

8) Oliver Meier: CTBTO Releases Test Ban Monitoring Data for Tsunami Warning, in: Arms Control Today, Vol. 35, No. 2, April 2005, S. 39-40.

9) Report of Ambassador Jaap Ramaker, Special Representative to promote the ratification process of the CTBT to the Conference on Facilitating the Entry into Force of the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, New York, 21-23 September 2005.

10) Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Artikel IV (1).

Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sowie Internationaler Repräsentant und Korrespondent der Arms Control Association in Berlin.

Strahlende Strategen

Strahlende Strategen

Irans Nuklearprogramm und transatlantische Interessenlagen

von André Bank

Irans Atomprogramm beschäftigt zur Zeit die Außen- und Militärpolitiker von Teheran bis Tel Aviv, von Washington bis Berlin, Paris und London: Wie und mit welchen Mitteln kann der Bau iranischer Nuklearwaffen verhindert werden? André Bank über die längerfristigen Interessen und Strategien der wichtigsten am Atomkonflikt beteiligten Akteure: Irans pragmatische Konservative, die zweite Bush-Administration und die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die seit 2003 als »Vermittler« auftreten.

Anders als die Atommächte Israel, Pakistan und Indien hat der Iran den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV), auch Atomwaffensperrvertrag genannt, 1970 ratifiziert und damit sein Atomprogramm der Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) unterstellt. In den 1960er und 70er Jahren hatte das pro-westliche Schah-Regime Zugang zu ziviler Nukleartechnologie erhalten – nicht zuletzt aus der Bundesrepublik. Nach der islamischen Revolution von 1979 ruhte dann das iranische Atomprogramm; es wurde erst 1984 – während des Kriegs mit dem Irak – wieder aufgenommen. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die iranische Führung besonders Russland, China und Nordkorea in Fragen der Atomtechnologie zugewandt.1

Die Entwicklung des iranischen Nuklearprogramms

Die aktuellen Auseinandersetzungen wurden dadurch eingeleitet, dass die IAEA im August 2002 eine geheime Anlage zur Urananreicherung in Natanz und eine geheime Schwerwasserproduktionsstätte in Arak entdeckte. Die einsetzenden Meinungsverschiedenheiten zwischen der iranischen Führung und der IAEA verschärften sich, als der Direktor der iranischen Atomenergieorganisation, Reza Aghazadeh, im Mai 2003 – zeitgleich mit amerikanischen Drohungen gegen den Iran nach dem formellen Ende des Irak-Kriegs – erklärte, dass es nicht nur Teherans Intention sei, mit Unterstützung Russlands bis Ende 2005 den Leichtwasserreaktor in Bushehr am Persischen Golf fertig zu stellen, sondern auch den vollständigen Nuklearkreislauf zu entwickeln. Die nationale Unabhängigkeit beinhalte das Recht auf die zivile Nutzung der Nukleartechnologie. Eine umfassende Implementierung dieser Pläne würde den Iran in die Lage versetzen, Nuklearwaffen herzustellen und den Atomwaffensperrvertrag aufzukündigen.2

Die Drohung der iranischen Führung und die harschen Gegenreaktionen aus Washington riefen Mitte 2003 die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien als Vermittler auf den Plan. Die intensiven Verhandlungen zwischen der EU-3 und der iranischen Führung mündeten am 21. Oktober 2003 in der »Teheraner Erklärung«. In dieser verpflichtet sich der Iran zur kompletten Offenlegung des Nuklearprogramms sowie zur Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Atomwaffensperrvertrag, das restriktivere IAEA-Inspektionen erlaubt. Von den EU-Staaten wurde dem Iran dafür der Zugang zu moderner Technologie in Aussicht gestellt.3 Die einsetzende Phase der Entspannung war jedoch nur von kurzer Dauer, da IAEA-Chef Muhammad al-Baradei bereits Ende Februar 2004 eindeutige Hinweise auf iranische Geheimexperimente zum Auslösen einer atomaren Kettenreaktion mit Polonium vorlegte.4 Dieser Verstoß sowie iranische Versäumnisse, wie die bis dato noch ausstehende Ratifizierung des Zusatzprotokolls, wurden in der IAEA-Resolution vom 13. März 2004 aufgeführt. Im Gegenzug kündigte der iranische Chefunterhändler Hassan Rouhani an, die IAEA-Inspektionen der iranischen Atomanlagen vorerst auszusetzen.5

Dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen der iranischen Führung auf der einen, der EU-3 und der IAEA auf der anderen Seite, setzte sich bis Anfang 2005 fort.6 Mitte Juni 2004 legte Rouhani dem IAEA-Gouverneursrat dann eine mehr als tausendseitige Dokumentation vor, mit der nachgewiesen werden sollte, dass Irans Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Die IAEA widersprach und wies auf die unbekannte Herkunft von waffenfähigem Uran in Natanz sowie auf die ungemeldete Existenz moderner Gaszentrifugen hin. In ihrer Resolution vom 18. September 2004 drohte sie der iranischen Führung, bei Missachtung der Vereinbarungen den UN-Sicherheitsrat anzurufen, was ein verschärftes Sanktionsregime nach sich hätte ziehen können.7 In einer Absichtserklärung zwischen der EU-3 und Iran vom 15. November 2004 verpflichtete sich der Iran zur temporären Aussetzung der Urananreicherung. Im Gegenzug erklären die drei EU-Staaten, Irans Beitritt zur Welthandelsorganisation zu unterstützen, bei der zivilen Nuklearnutzung zu kooperieren und der Islamischen Republik eindeutige Sicherheitsgarantien zu gewährleisten.8 Seit der November-Erklärung ist es zwar zu mehreren iranisch-europäischen Gesprächsrunden gekommen, die jedoch bis Februar 2005 keine größeren Ergebnisse zeitigten. Das Tauziehen um Details und Verfahrensfragen geht also vorerst weiter.

Irans Atomprogramm und die pragmatischen Konservativen

Seit Mitte der 1990er Jahre bestimmt die Nuklearfrage die interne Strategiedebatte im Irak.9 Zwischen den Konservativen unter Revolutionsführer Khamene‘i und den Reformern unter Präsident Khatami herrscht Konsens über Irans Recht auf den Besitz moderner Nukleartechnologie und die strategische Bedeutung des Atomprogramms als defensive Sicherheitsgarantie. Unterschiede bestehen in der Art der öffentlichen Rechtfertigung des Nuklearprogramms, etwa wenn Khamene‘i die nationale Sicherheit und Unabhängigkeit herausstellt, während Khatami stärker ökonomische Aspekte betont.10

Die lose Fraktion der so genannten pragmatischen Konservativen ist ein weiterer zentraler Entscheidungsträger.11 Ihre beiden wichtigsten Vertreter sind der Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats und enge Vertraute Khamene‘is, Hassan Rouhani, der als heißester Präsidentschaftskandidat für die Wahlen am 17. Juni 2005 gilt, sowie Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, der Chef des Schlichtungsrats und ehemalige Staatspräsident. Als Repräsentant der einflussreichen Handelsbourgeoisie pocht Rafsanjani auf eine wirtschaftliche Öffnung, vor allem gegenüber der EU, sowie auf einen weiteren Ausbau der Handelsbeziehungen zu Russland, Indien und China. Gerade China hat für ihn Vorbildcharakter, da es wirtschaftliche Öffnung mit autoritärer Herrschaft verbindet und damit an weltpolitischer Bedeutung zu gewinnen scheint. Trotzdem teilt Rafsanjanis mit den anderen Teilen des Establishments die Ansicht, dass Regimesicherheit nur mit einer defensiven Atomwaffenoption zu erreichen ist.

Offensichtlich geht es darum, unter dem Deckmantel eines zivilen Nuklearprogramms relativ kurzfristig ein atomares Abschreckungspotenzial gegen mögliche US-Angriffe zu entwickeln. Dabei wird eine Doppelstrategie verfolgt, die einerseits darauf abzielt, das eigene Nuklearprogramm nach und nach auszubauen und sich andererseits durch Verhandlungen mit den drei EU-Staaten und der IAEA vor Sanktionen oder Militärschlägen zu schützen. Daneben könnte sich das iranische Atomwaffenprogramm in zukünftigen Verhandlungen mit den USA, die angesichts des anti-amerikanischen Selbstverständnisses der Islamischen Republik (noch) ein Tabu darstellen, zudem als entscheidender »bargaining chip« im Austausch gegen eine umfassende Sicherheitsgarantie erweisen. Spätestens in diesem Stadium würde dann auch die von Rafsanjani geforderte, umfassende wirtschaftliche Öffnung auf die Agenda kommen.

Transatlantische Befindlichkeiten

In den letzten Monaten ist die Haltung der drei EU-Staaten gegenüber dem Iran fordernder geworden. Ursache ist sicher nicht nur der schleppende Verhandlungsverlauf, sondern auch das Bemühen, der transatlantischen Aussöhnung über einen gemeinsamen Schulterschluss im iranischen Atomkonflikt ein Stück näher zu kommen.12 Schließlich dürften die USA und die drei EU-Staaten darin übereinstimmen, dass eine iranische Atombombe verhindert werden muss, da sie die atomare Vormachtstellung Israels im Nahen und Mittleren Osten beenden und eine nukleare Rüstungsspirale forcieren würde. Allerdings haben die EU-Staaten auch eigene regional- und wirtschaftspolitische Interessen. So sind sie an der Aufrechterhaltung der Rolle der Islamischen Republik als regionalem Stabilitätsanker sowie als Garant europäischer Energiesicherheit interessiert. Zudem besitzen europäische Unternehmen bisher auf dem iranischen Markt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber US-Firmen, die aufgrund der umfassenden Sanktionen außen vor bleiben. Angesichts dieser vielschichtigen Interessenlage verfolgen die EU-3 im Atomkonflikt eine Strategie des »konditionierten Engagements«, die aus Anreiz- (Hilfe bei ziviler Nukleartechnologie) und moderaten Sanktionsmechanismen (Verhandlungsstopp bei Handels- und Kooperationsabkommen) besteht und auf die graduelle Veränderung der iranischen Position abzielt.13

Die US-Administration geht ihrerseits davon aus, dass eine iranische Atombombe unter allen Umständen verhindert werden muss.14 Da ihr primäres Interesse der Zementierung des regionalen Nuklearwaffenmonopols Israels und der eigenen hegemonialen Stellung im Nahen und Mittleren Osten gilt, hält sie sich alle Optionen offen, Militärschläge gegen iranische Atomanlagen und Raketenfabriken inklusive.15 Ob diese durchgeführt werden, hängt dann nicht zuletzt davon ab, welche Kräfte sich in der Bush-Administration durchsetzen. Zur Zeit lassen sich – vereinfacht gesagt – zwei einflussreiche Positionen unterscheiden: Neokonservative Hardliner wie Michael Ledeen vom American Enterprise Institute fordern als schnellstmögliche Lösung des Atomkonflikts einen gewaltsamen Regimewechsel in Teheran.16 Sie stehen Vizepräsident Cheney sowie Teilen des Pentagon nahe und koordinieren ihre Stimmungsmache in der »Coalition for Democracy in Iran«, der unter anderem auch Ex-CIA-Chef James Woolsey angehört.17 Die Gegenposition wird am prominentesten von Kenneth Pollack von der moderateren Brookings Institution vertreten. Pollack spricht sich aus historischen, militärischen, innen- und regionalpolitischen Gründen eindeutig gegen eine Iraninvasion der USA aus. Stattdessen fordert er eine mehrstufige Politik der Vereinbarungen in direkten bilateralen Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der iranischen Führung.18

Die teilweise divergierenden Interessenlagen zwischen den EU-Staaten und der Bush-Regierung erschweren die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie im iranischen Atomkonflikt. Trotzdem wird aber seit der iranisch-europäischen Absichtserklärung vom 15. November 2004 zunehmend eine »Good-Cop, Bad-Cop«-Arbeitsteilung deutlich.19 Die drei europäischen Staaten bieten positive Kooperationsanreize, die US-Regierung sorgt für die militärischen Drohgebärden.

Strahlende Aussichten

Nach Betrachtung der längerfristigen Interessenlagen und Strategien der drei zentralen Parteien in der iranischen Nuklearfrage zeigt sich, dass eine nachhaltige Konfliktlösung – im Sinne einer nuklearwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten – von keiner Seite angestrebt wird. Kurzfristig geht es Irans pragmatischen Konservativen um die Sicherung des eigenen Regimes durch Nuklearwaffen. Die möglicherweise einzige Chance, sie hiervon abzubringen, wäre eine amerikanische Nichtangriffsgarantie. Diese steht jedoch in einem unvereinbaren Widerspruch zum primären Interesse der US-Regierung, die gegenwärtig existierende regionale Machtasymmetrie und somit letztlich die eigene Hegemonialstellung aufrechtzuerhalten. Und schließlich kann auch die Rolle der EU-3 im iranischen Atomkonflikt angesichts vielschichtiger Eigeninteressen und der zuletzt aggressiveren Rhetorik gegenüber Teheran nicht als »unparteiisch vermittelnd« angesehen werden. Die Gefahr »strahlender Aussichten« bleibt wohl weiter real .

Anmerkungen

1) Vgl. Akbari, Semiramis: Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck – Rückfall ins Mittelalter oder pragmatischer Aufbruch? Frankfurt/Main, HSFK-Report 1/2004, S. 26-28.

2) Vgl. Thränert, Oliver: Stopping the Unstoppable? European Efforts to Prevent an Iranian Bomb, in: Reissner, Johannes / Whitlock, Eugene: Iran and its Neighbors: Diverging Views on a Strategic Region – Vol. II, Berlin, SWP, März 2004, S. 43.

3) Vgl. Statement by the Iranian Government and visiting EU Foreign Ministers, 21.10.2003 (www.iaea.org).

4) Vgl. Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran, Report by the Director General, 24.2.2004 (www.iaea.org).

5) Vgl. Bank, André: Atempause für Irans Führung – Äußerer Pragmatismus und innere Kontrolle sichern den Status Quo, in: Ausdruck – Das IMI-Magazin, April 2004, S. 18-19.

6) Vgl. Nirumand, Bahman: Iranisches Katz-und-Maus-Spiel, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2004, S. 1171-1174.

7) Vgl. Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran, Resolution adopted by the Board, 18.9.2004 (www.iaea.org).

8) Vgl. Massarrat, Mohssen: Iran: Atom-Konflikt auf Raten, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Januar 2005, S. 25.

9) Vgl. Chubin, Shahram: Whither Iran? Reform, Domestic Politics and National Security, Oxford, Adelphi Paper 342, 2002, S. 71-85.

10) Es ist ziemlich offensichtlich, dass das iranische Atomprogramm aus energie- und wirtschaftspolitischer Sicht wenig Sinn macht. Vgl. Massarrat, Mohssen: Teherans Atompolitik – Die Balance of Power und das regionale Sicherheitsdilemma, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, April 2004, S. 473-475. Allerdings ist eine solche Begründung im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags rechtlich kaum zu beanstanden.

11) Vgl. Taykeyh, Ray / Gvosdev, Nikolas K.: Pragmatism in the Midst of Iranian Turmoil, in: The Washington Quarterly, Autumn 2004, S. 33-56.

12) Vgl. Einhorn, Robert J.: A Transatlantic Strategy on Iran‘s Nuclear Program, in: The Washington Quarterly, Autumn 2004, S. 21-32.

13) Vgl. Reissner, Johannes: Europas Beziehungen zu Iran, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/2004, S. 48-54.

14) Vgl. Massarrat, Mohssen: a.a.O., April 2004, S. 476.

15) Seymour Hersh zufolge hat das US-Pentagon hierzu spätestens seit Sommer 2004 geheime Kommandos zur Bestimmung von mindestens drei Dutzend Angriffszielen (nukleare und chemische Arsenale sowie Raketenfabriken) in den Iran entsandt. Vgl. sein: The Coming Wars – What the Pentagon can now do in secret, in: The New Yorker, 24.-31.1.2005. Ali Akbar Dareini spricht davon, dass unbemannte US-Spionagedrohnen seit 2004 iranischen Atomanlagen sowie Luftabwehrstellungen inspizieren. Vgl. sein: Iran rejects demand on nuclear reactor, in: Washington Post, 13.2.2005. Möglicherweise könnte ein Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen aber auch von Israel ausgehen. Ein Indiz hierfür wäre die Lieferung von 500 BLU-109 Sprengköpfen, so genannten Bunkerknackern, durch die USA an Israel im September 2004. Vgl. Wagner, Jürgen: US-Waffenhilfe für israelische Präventivschläge gegen den Iran?, in: Ausdruck – Das IMI-Magazin, Oktober 2004, S. 19-20.

16) Vgl. exemplarisch Ledeen, Michael: Faster, Please – Iran needs change. We need to help – now, in: National Review Online, 7.2.2005.

17) Vgl. www.c-d-i.org.

18) Vgl. Pollack, Kenneth M.: The Persian Puzzle – The Conflict Between Iran and America, New York 2004, S. 374-432.

19) Vgl. Sanger, David E.: A ,Good-Cop, Bad-Cop‘ Approach on Iran, in: New York Times, 21.11.2004.

André Bank ist Doktorand am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Hoch gepokert

Hoch gepokert

Nordkorea: Kleines Land, große Chuzpe

von Rainer Werning

2002 von US-Präsident Bush als Teil einer »Achse des Bösen« gescholten, setzt Nordkoreas Regime mit Beginn der zweiten Amtszeit seines Erzrivalen ebenfalls auf Stärke und den Besitz von Atomwaffen. So weit sind die führenden Politiker und Diplomaten der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) bislang noch nicht gegangen. Beharrte Pjöngjang zuvor lediglich auf seinem Recht, auch über eine »militärische Abschreckungskraft« zu verfügen, so erklärte das nordkoreanische Außenministerium in einer am 10. Februar von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA verbreiteten Stellungnahme: „Wir haben Nuklearwaffen zur Selbstverteidigung hergestellt, um mit der immer unverhohleneren Politik der Bush-Regierung zur Isolierung und Erstickung (Nordkoreas) fertig zu werden. (…) Die gegenwärtige Realität beweist, dass nur mächtige Stärke Gerechtigkeit und Wahrheit schützen kann.“ Zugleich gab die Regierung der Volksrepublik bekannt, der sogenannten Sechser-Runde, den von Beijing initiierten und seit 2003 in der chinesischen Hauptstadt stattfindenden internationalen Verhandlungen, über Nordkoreas Atomprogramm einstweilen fern zu bleiben. Neben Nordkorea und der VR China nahmen an den Gesprächen in Beijing auch Südkorea, Japan, Russland und die USA teil.

Seit dem 10. Februar ist somit der – aus westlicher Perspektive – dritte Atomkonflikt auf der koreanischen Halbinsel eingeläutet. Unabhängig davon, ob Nordkorea nunmehr tatsächlich im Besitz von Atombomben und technisch ausgereiften Trägersystemen ist, was selbst Siegfried Hecker, einst Direktor des Atomwaffenlabors in Los Alamos, New Mexico, nach einem Besuch des nordkoreanischen Reaktorkomplexes Yongbyon im vergangenen Jahr bezweifelte, pokert Pjöngjang diesmal hoch.

Eins, zwei, drei Atomkonflikte

Der erste Atomkonflikt (1993/94) war durch die Vermittlung des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter beigelegt worden. Im Oktober 1994 vereinbarten die USA und Nordkorea in Genf das »Agreed Framework«. Gemäß diesem Rahmenabkommen verzichtete Pjöngjang auf sein laufendes Nuklearprogramm. Als Gegenleistung sicherten die USA zu, den Nordkoreanern bis zur Fertigstellung zweier Leichtwasserreaktoren zwecks ziviler Nutzung im Jahre 2003 jährlich 500.000 Tonnen Schweröl zu liefern und die Souveränität des Landes anzuerkennen. Eine Sicherheitsgarantie also, was Nordkorea als Vorstufe einer möglichen friedensvertraglichen Regelung mit den USA werten konnte. Denn seit dem Ende des Koreakrieges (1950-53) existiert lediglich ein Waffenstillstands-, jedoch kein Friedensabkommen für die koreanische Halbinsel. Zur Umsetzung des »Agreed Framework« wurde eigens im März 1995 von den USA, Südkorea und Japan die Korean Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) gegründet, an der sich auch die EU von 1996 bis 2000 mit damals umgerechnet rund 150 Millionen DM beteiligte. Aufgrund dieser Vereinbarung kehrte Nordkorea wieder vollumgänglich unter das Kontrollsystem der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien zurück.

Zwar erregte damals in Washington das von der nordkoreanischen Führung mehrfach praktizierte Junktim – erhöhte Nahrungsmittellieferungen im Austausch für IAEA-Inspektionen – Ärgernis. Das jedoch hielt die Clinton-Administration nicht davon ab, den früheren Verteidigungsminister William Perry mit der Ausarbeitung von Richtlinien einer künftigen US-amerikanischen Nordkoreapolitik zu beauftragen. Nach intensiver Ostasien-Shuttle-Diplomatie kam Perry in seinem am 12. Oktober 1999 veröffentlichten Report zu dem Ergebnis, dass das »Agreed Framework« unbedingt Bestand haben müsse, wenngleich kooperative und konfrontative Elemente im Umgang mit Pjöngjang fortan stärker aufeinander abgestimmt werden sollten. Die Bedeutung des Perry-Reports lag darin, dass er auf der Basis intensiver, für sämtliche Protagonisten in der Region Gesicht wahrender Gespräche verfasst wurde, die ursprünglich angenommene Prämisse eines kurz- bis mittelfristigen Zusammenbruchs Nordkoreas revidierte, die von Südkoreas Präsidenten Kim Dae-Jung seit 1998 verfolgte »Sonnenscheinpolitik« vis-à-vis Pjöngjang ausdrücklich befürwortete und das seit dem Koreakrieg wichtigste Entspannungssignal aussandte. Konkretes Ergebnis dieses Berichts war ein für beide Seiten zeitweilig immerhin vorteilhaftes Arrangement. Erklärte sich Nordkorea zum Verzicht weiterer Raketentests bereit, lockerte Washington im Gegenzug einige seiner Wirtschaftssanktionen und setzte sich für die Fortführung und Aufstockung von Hilfslieferungen an die Volksrepublik ein. Die Normalisierung zwischen beiden Ländern verlief auf einmal so reibungslos, dass sich US-Außenministerin Madeleine Albright und General Cho Myoung-Rok, damals die Nummer drei in der Nomenklatur der Volksrepublik, gegenseitige Besuche in Pjöngjang und Washington abstatteten. In beiden Hauptstädten waren sogar Vorbereitungen für US-Präsident Clintons letzten Auslandsbesuch vor Ablauf seiner Amtszeit im Januar 2001 getroffen worden. Diese Reise hätte Clinton nach Nordkorea führen sollen, was zumindest im Anschluss von Albrights Besuch in der Volksrepublik Ende Oktober 2000 avisiert war.

Seitdem George W. Bush ins Weiße Haus einzog, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Washington und Pjöngjang ebenso rasch wie tiefgreifend. Ausschlaggebend dafür waren zunehmende Konflikte zwischen dem State Department und dem Pentagon über die Richtlinienkompetenz in der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Oberhand behielt das Pentagon, dessen harte Linie dann sowohl von der damaligen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Vizepräsident Dick Cheney unterstützt und schließlich von George W. Bush vollumfänglich mitgetragen wurde. Bereits im Frühjahr 2001 nannten Rice und Bush die Volksrepublik China eine „aufstrebende Macht“ beziehungsweise einen „strategischen Gegner“, während der innerkoreanische Entspannungsprozess konterkariert wurde. Südkoreas Präsident Kim Dae-Jung wurde Anfang März 2001 anlässlich seines USA-Besuchs buchstäblich vorgeführt und brüskiert. Während dieses ersten Staatsbesuchs eines asiatischen Regierungschefs beim neuen Mann im Weißen Haus nannte Präsident Bush Nordkorea am 7. März 2001 ohne Umschweife einen Bedrohungsfaktor in Ostasien, mit dem weitere Gespräche ausgesetzt und erst nach einer kompletten Neubestimmung der US-amerikanischen Asienpolitik wieder aufgenommen würden. Als er dann auch noch den innerkoreanischen Dialog ernsthaft in Zweifel zog und signalisierte, die USA würden dessen Unterstützung einstellen, ließ das den südkoreanischen Staatsgast als naiven Eiferer und seine Entourage wie begossene Pudel dastehen. Noch einen Tag zuvor hatte US-Außenminister Colin Powell den noch zuversichtlich gestimmten Gästen aus Seoul versichert, sein Land werde die „vielversprechenden Elemente“ der Nordkorea-Politik seiner Vorgängerin weiterführen und da anknüpfen, wo die Clinton-Administration aufgehört habe.

Bushs Ende Januar 2002 erstmalig aufgestellte Behauptung, Nordkorea sei Teil einer „Achse des Bösen“, erboste die politische Führung in Pjöngjang. Dort fuhr man derbe Retourkutschen, schimpfte den US-Präsidenten einen „Schurkenbandenchef“ und warf den USA vor, von „moralischer Lepra“ (allesamt O-Töne der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA) befallen zu sein. Der zweite Atomkonflikt war programmiert, als der Abteilungsleiter für Ostasien-Angelegenheiten im Außenministerium, James A. Kelly, im Oktober 2002 Pjöngjang besuchte. Entgegen den Erwartungen der Gastgeber, sein Besuch könnte endlich eine Wende in den bilateralen Beziehungen einleiten, hinterließ das Treffen zwischen Kelly und dem stellvertretenden Außenminister Kang Suk-Ju einen Scherbenhaufen. Kelly legte »Beweise« vor, die angeblich das heimliche Atombombenprojekt in Nordkorea belegten. Diesen Vorwurf wies Kang scharf zurück und warf Kelly einen „arroganten Verhandlungsstil“ vor.

Nach dem Treffen im Oktober 2002 forderten die USA Nordkorea zum sofortigen Stopp des Nuklearprogramms auf. Im Dezember 2002 kappte Washington seine zugesicherten Heizöllieferungen an Pjöngjang, was dessen Führung in einem drastischen Gegenzug dazu bewog, am 10. Januar 2003 endgültig die Zusammenarbeit mit der IAEA aufzukündigen und deren Mitarbeiter des Landes zu verweisen. Zuvor hatten Pakistan und Indien (beide Nichtunterzeichner des Atomwaffensperrvertrags) erklärt, Atomwaffen zu besitzen. Während die USA selektiv ihren Druck auf den Irak ständig erhöhten, kochte die Bush-Administration ihren Konflikt mit Nordkorea zwischenzeitlich auf Sparflamme, obgleich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die USA in der Lage wähnte, zwei Kriege – im Irak und gegen Nordkorea – gleichzeitig führen und gewinnen zu können.

Angst vor Straßenräubern …

Im Sommer 2003 konstatierte ein Autorenkollektiv des (staatlichen) Instituts für die Wiedervereinigung des Vaterlandes in Pjöngjang: „Die USA verprügeln wie ein Straßenräuber rücksichtslos schwache Gegner im Kosovo, in Afghanistan und im Irak, nur gegenüber Nordkorea vermeiden sie den ‚Präventivschlag’. Dies geschieht nicht etwa aus Gnade, sondern aufgrund des Besitzes militärischer Abschreckungskraft durch Nordkorea. Im Übrigen garantiert dies Eigenständigkeit und den Frieden auf der koreanischen Halbinsel und widerspricht auch nicht der von Nord- und Südkorea 1992 unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung zur Denuklearisierung, die ja ihrerseits den vollständigen Abzug der in Südkorea dislozierten US-amerikanischen Atomwaffen zur Voraussetzung hat.“ Als der »Präventivschlag« gemäß der seit September 2002 gültigen National Security Strategy (NSS) gegen den Irak näher rückte, vertraten die »Falken« in den USA lautstark das Argument, Nordkorea sei für den Weltfrieden weitaus bedrohlicher als der Irak. Einige Hardliner im Pentagon und in den Medien (z.B. das Wall Street Journal) befürworteten gar eine totale Seeblockade Nordkoreas sowie einen „chirurgischen Eingriff“ in die umstrittene Atomanlage in Yongbyon. Doch: Nordkorea besitzt keine Erdölvorkommen wie der Irak, und zu dem Zeitpunkt waren gut 37.000 GIs in Südkorea stationiert, die sich – gemeinsam mit den Bewohnern der nur knapp 50 Kilometer von der Demarkationslinie entfernt gelegenen Metropole Seoul – in Reichweite nordkoreanischen Artilleriefeuers befunden hätten. Gary E. Luck, einst kommandierender General der US-Streitkräfte in Südkorea, äußerte in Hearings des US-Kongresses und – Senats die Befürchtung, dass im Falle einer Irak-ähnlichen Operation gegen Nordkorea mit Hunderttausenden Toten gerechnet werden müsste.

Ein solches Risiko war der Bush-Regierung dann doch zu hoch. Selbst deren Verbündete in Tokio und Seoul zeigten sich alarmiert. In Südkorea setzt die politische Führung des Landes unbeirrt auf intensiven Dialog mit dem Norden und profitiert auch wirtschaftlich von einer regulierten Kooperation auf Staatsebene. So entstand erst vor wenigen Wochen der mit finanzieller sowie technischer Hilfe aus Seoul gebaute Industriepark Kaesong in Nordkoreas südlichster Stadt nahe der »entmilitarisierten Zone« am 38. Breitengrad, wo nunmehr eine Art kleiner Grenzverkehr täglich pendelnder Fachkräfte aus dem Süden existiert. Der Architekt der »Sonnenscheinpolitik«, der dafür im Jahre 2000 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Ex-Präsident Südkoreas, Kim Dae-Jung, hatte noch Mitte Juni 2003 unverblümt erklärt, dass sich Nordkoreas Atomwaffen, besäße es sie denn tatsächlich, im Vergleich zum US-amerikanischen Atomwaffenarsenal wie Spielzeuge ausnähmen. Und der in Pjöngjang für Südkoreafragen zuständige ranghohe Parteikader Ahn Byung-Ho hat mehrfach und deutlich die Position seines Landes bekräftigt, in dem Moment endgültig und definitiv aus dem Atomwaffenprogramm auszusteigen, sobald die USA das Existenzrecht Nordkoreas mit einem Nichtangriffsabkommen garantierten. Diese Position bezeichneten die chinesischen Gastgeber der Sechser-Gespräche in Beijing noch Anfang 2004 als „neues mutiges Angebot“.

… und einem erzwungenen Regimewechsel

Was also steckt hinter der weit reichenden Erklärung des nordkoreanischen Außenministeriums? Warum wurde sie zu diesem Zeitpunkt lanciert? Beabsichtigt Pjöngjang, den von Beijing gesponserten Sechser-Gesprächen tatsächlich fern zu bleiben?

Zeitpunkt und Inhalt der Erklärung stehen in direktem Zusammenhang mit Präsident Bushs zweiter Amtszeit. Wenngleich er in seiner Antrittsrede direkte Attacken gegen Nordkorea vermied, nährten seine weiteren Ausführungen, „die Fackel der Freiheit in alle Winkel der Welt zu tragen“, in Pjöngjang die Auffassung, dass Washington auf Kontinuität setzt, direkte bilaterale Verhandlungen kategorisch ablehnt und auch in den kommenden vier Jahren an seiner kompromisslosen Politik gegenüber »Schurkenstaaten« festhält. Schließlich bezeichnete die neue US-Außenministerin Condoleezza Rice Nordkorea als einen „Vorposten der Tyrannei“. Spekulierten die USA lange Zeit auf das Zusammenbrechen oder eine Implosion der Volksrepublik, vergleichbar den Prozessen in der DDR und anderen realsozialistischen Regimes, so arbeitet die Bush-Regierung entsprechend ihrem Postulat des »Systemwechsels« weiterhin aktiv auf den Bruch der »Achse des Bösen« hin. Der Besitz oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist da, wie im Irak eindeutig demonstriert, von untergeordneter Bedeutung. Wäre Nordkorea militärisch so schwach wie der Irak, hätte vielleicht bereits vor dem Irak ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel stattgefunden. Dass den unilateral handelnden USA weder mit Logik, Bitten, Goodwill, Reaktorinspektionen und internationalem Recht beizukommen ist, bestärkt das ohne militärische Schutzmacht und ohne »atomaren Schutzschild« allein dastehende Regime in Pjöngjang in seinem Kalkül, unter allen Umständen anzustreben, mit den USA auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Und das schließt die Drohung mit beziehungsweise den (tatsächlichen oder vermeintlichen) Besitz von »starker militärischer Abschreckungskraft« ein – ein risikoreiches Unterfangen.

Auch innenpolitisch verfehlt die Strategie des Pjöngjanger Außenministeriums ihre Wirkung nicht. Erklärtes Ziel ist seit Jahren die Politik des »starken Staates« und das Postulat »Die Armee zuerst!« Im Interessenkonflikt zwischen militärischer Stärkung des Landes und der Verbesserung der regional desolaten Lebenssituation der Bevölkerung hat sich die Führung eindeutig für die erste Option entschieden. Obgleich die Volksrepublik nach westlichen Schätzungen einen exorbitanten Anteil – etwa 30 Prozent – ihres Bruttoinlandprodukts in den Militärsektor investiert, entspricht diese Summe gerade mal einem Drittel der entsprechenden Ausgaben in Südkorea, wo überdies noch mit modernsten Waffen ausgerüstete 37.000 GIs stationiert sind. Atomare Abschreckungsmittel hätten aus Pjöngjanger Sicht den Vorteil, weitaus kostengünstiger als konventionelle Waffen zu sein. So könnten Ressourcen verstärkt für die Wiederbelebung der – streckenweise maroden – Wirtschaft mobilisiert werden. Weil es dazu auf die Erdöllieferungen aus der VR China angewiesen ist, wird sich Nordkorea (notfalls) politisch-diplomatischem Druck aus Beijing nicht verschließen (können), dorthin erneut an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Pjöngjang weiß letztlich nur zu gut, dass es momentan keinen besseren Vermittler zwischen den USA und Nordkorea gibt als den »älteren Bruder« China. China ist nicht daran gelegen, an seinen Grenzen mit Nordkorea einen Dauerkonflikt schwelen zu lassen, der zudem die Stabilität und Sicherheitslage in Nordostasien gefährdet. Solange international auf den »nordkoreanischen Sack« eingedroschen wird, ist damit auch und gerade der »chinesische Esel« gemeint. Schon deshalb hat China ein handfestes Interesse daran, sich als erfolgreicher diplomatisch-politischer Krisenbroker zu empfehlen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, in der gesamten Region langfristig und strategisch zur wirtschaftlichen, politischen und militärischen Führungsmacht aufzusteigen.

Schließlich beging der »Geliebte Führer« Kim Jong-Il am 16. Februar seinen 63. Geburtstag – im Jahre Sechzig nach dem Ende des Krieges und langjähriger japanischer Kolonialzeit. Da hat der Verweis auf Antikolonialismus und Antiimperialismus hohen symbolischen Gehalt, um das (Über-)Leben von Staat und Gesellschaft zu garantieren. Gleichzeitig stärkt dies Nordkoreas wichtigste Institution, nämlich das Militär, dessen Stellung Kim Jong-Il zu würdigen weiß. Wenn immer er öffentlich auftritt und ausländische Gäste empfängt, tut er dies in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist, ist Vorstandsvorsitzender des Korea-Verband e.V. im Asienhaus (Essen). Gemeinsam mit Hyondok Choe und Du-Yul Song ist er Ko-Herausgeber des Buches Wohin steuert Nordkorea? Soziale Verhältnisse, Entwicklungstendenzen und Perspektiven (Köln 2004: PapyRossa Verlag), aus dem auch die im vorliegenden Text verwendeten Zitate stammen.


Nordkorea und der Atomwaffensperrvertrag

Der Atomwaffensperrvertrag von 1968, offiziell Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (Non-Proliferation Treaty/NPT) genannt, ist das wichtigste internationale Regelwerk zur Kontrolle von Nuklearwaffen. Er trat 1970 in Kraft und verbietet die Weitergabe von Atomwaffen und atomwaffenfähigem Material. Nach Artikel 3 des Vertrags soll die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sicher stellen, dass die Nichtkernwaffenstaaten kein spaltbares Material zum Bau von Atombomben abzweigen oder aus anderen Ländern beschaffen. Über die Einhaltung des Vertrags wacht die in Wien ansässige IAEA.

Dem NPT gehören 189 Staaten an. Von den Staaten mit Atomwaffenkapazitäten sind nur Indien, Pakistan und Israel nicht beigetreten. Nordkorea trat dem Atomwaffensperrvertrag 1985 bei und ratifizierte im Jahre 1992 umfangreiche Sicherheitsvereinbarungen mit der IAEA. Im Dezember 2002 kündigte Pjöngjang an, sein Atomprogramm zur friedlichen Nutzung wieder aufzunehmen, weil die USA ihren Verpflichtungen aus dem 1994 geschlossenen »Agreed Framework« nicht nachgekommen seien. Nachdem Pjöngjang bereits 1993/94, auf dem Höhepunkt des ersten Atomkonflikts, mit einem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag gedroht hatte, scherte es im Januar 2003 endgültig aus. Ein sehr weitreichender Schritt, denn kein anderes Land zuvor gemachte hat.

Seit August 2003 trafen sich bislang dreimal Diplomaten aus Nord- und Südkorea, Japan, Russland, China und den USA – die sogenannte Sechser-Runde – unter der Schirmherrschaft der VR China zu Gesprächen in Beijing, um den Atomkonflikt mit Pjöngjang beizulegen.


Schöne heile Feindwelt

Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist die Demokratische Volksrepublik Korea für die Vereinigten Staaten von Amerika geblieben, was es in der Sicht Washingtons immer war – »das Böse« schlechthin. Die US-Regierung sieht in der Volksrepublik nicht nur einen »Schurkenstaat«. Im Jahre 2002 erklärte Präsident George W. Bush das Land sogar als Teil einer »Achse des Bösen«. Auch cineastisch sorgte der letzte James Bond-Film »Stirb an einem anderen Tag« – dafür, dass dieses Feindbild nicht nur intakt bleibt sondern noch kräftig geschürt wird. Die USA, konterte prompt die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, wollten das Land „absichtlich verspotten und beleidigen.“

Pjöngjang und Washington waren nie zimperliche im Umgang miteinander. Das ist einerseits das Resultat des Koreakrieges, der zwischen 1950 und 1953 das Land verwüstete und als erster »heißer Konflikt« in der Ära des Kalten Krieges fast einem neuen Weltkrieg entfesselt hätte. Zum anderen ist es die bis heute in Washington nicht verwundene Schmach über den so genannten USS Pueblo-Vorfall, der sich Ende der sechziger Jahre, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges, in nordkoreanischen Gewässern ereignete.

Am 23. Januar 1968 nämlich griffen nordkoreanische Patrouillenboote das US-amerikanische Schiff USS Pueblo vor der Küste Nordkoreas auf, nahmen die gesamte 83-köpfige Besatzung gefangen und bezichtigten sie der Spionage. Zwölf Tage zuvor hatte die Pueblo, einst ein Frachtschiff, das die U.S. Navy für ihre Zwecke umbauen ließ, den Hafen im japanischen Sasebo verlassen, um im Ostmeer, das die Japaner das Japanische Meer nennen, routinemäßig Erkundungstrips durchzuführen und ozeanographische Daten zu sammeln. So jedenfalls stellte es der damalige Marineminister John Chafee dar. US-amerikanischen Berichten zufolge sei die Pueblo nicht mit der neuesten Navigationstechnik ausgestattet und die junge Besatzung unerfahren gewesen, so dass das Schiff möglicherweise irrtümlich die international anerkannte 12-Seemeilen-Zone überschritten habe.

Für die US-Marine war das Ganze eine herbe Schlappe. Mit der Pueblo nämlich fielen den Nordkoreanern strategisch sensible Daten in die Hände, die es unter anderen der damals mit ihnen befreundeten Sowjetunion ermöglichte, nachrichtendienstlich relevante Kodes zu knacken. Die Pueblo wurde in die nordkoreanische Hauptstadt geschippert und dort auf dem Taedong-Fluss wie eine Trophäe ausgestellt und zur Besichtigung freigegeben. Während in den USA die Stimmen lauter wurden, die auf Rache sannen und ein offensives militärisches Vorgehen gegen Nordkorea befürworteten, setzte die damalige US-Administration unter Präsident Lyndon B. Johnson auf eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts. Gegenüber Pjöngjang räumte die US-Regierung ein, die Pueblo habe die Hoheitsrechte der Volksrepublik verletzt und entschuldigte sich dafür. Johnson wollte ein weiteres Fiasko in Asien vermeiden.

Jedenfalls landeten Heiligabend 1968 – nach elfmonatiger Gefangenschaft – 82 Mann der Pueblo-Besatzung – einer war seinen Verletzungen erlegen, die er während des Schusswechsels beim Aufgreifen der Pueblo erlitten hatte – im kalifornischen San Diego.

Rainer Werning

Das Kernwaffenprogramm der USA

Das Kernwaffenprogramm der USA

Eine Herausforderung für Abrüstungsbemühungen

von Marylia Kelley

Wer das Kernwaffenprogramm der USA verstehen will, darf nicht nur nach Washington D.C. schauen. Vielmehr muss man auch unter die Lupe nehmen, was in den beiden wichtigsten Kernwaffenlaboratorien des Landes vor sich geht, im Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien und im Los Alamos National Laboratory in New Mexico. Buchstäblich jede Kernwaffe der USA wurde entweder von Livermore oder von Los Alamos entwickelt und diese beiden Labore entwickeln gegenwärtig eine neue Bombe, den Robust Nuclear Earth Penetrator (RNEP) – eine tiefer in die Erde eindringende Waffe mit hoher Sprengkraft, sowie eine Vielzahl anderer neuer Waffenkonzepte, darunter die so genannten mini nukes – gemäß Definition eine Kernwaffe mit weniger als 5 Kilotonnen Sprengkraft, die im unbefristeten »Krieg gegen den Terror« der Regierung Bush zum Einsatz kommen sollen.

Die Rolle der beiden Waffenlaboratorien ist aber nicht auf die passive Umsetzung der US-amerikanischen Nuklearpolitik beschränkt. Sowohl Livermore als auch Los Alamos mischen zwar eher im Hintergrund, aber durchaus mit Erfolg, bei der Festlegung der Politik mit, häufig durch die Ausarbeitung der Kernwaffenprogramme. So wurde z.B. in den letzten zehn Jahren unter dem Deckmantel der »Stockpile Stewardship« (Bestandsicherung) in Livermore und Los Alamos eine gewaltige Infrastruktur für die Entwicklung von Kernwaffen aufgebaut, was unaufhaltsam dazu führt, dass das Kernwaffenarsenal der USA ständig »verbessert« wird.

»Stockpile Stewardship« wurde unter Präsident Bill Clinton als Komplettprogramm eingeführt, um die Waffenentwickler von Livermore und Los Alamos dafür zu »entschädigen«, dass sie auf unterirdische Nukleartests verzichten mussten. Zunächst wurden die militärischen Einsatzmöglichkeiten der Kernwaffen, die im Rahmen dieses Programms entwickelt wurden, vorsichtig als »Modifikationen« bestehender Waffentypen bezeichnet. Als der Sprengkopf B61-11 eine zwar bescheidene aber immerhin erste Fähigkeit zur Erddurchdringung erhielt, wurde dies folglich nur als Systemverbesserung ausgegeben. Inzwischen spricht aber die Regierung Bush offen davon, dass die USA neue und besser einsetzbare Kernwaffen entwickeln. Daher erhielt der neue nukleare »Bunkerknacker«, der für das US-Arsenal gebaut wird, einen eigenen Namen, eben »Robust Nuclear Earth Penetrator«. Bei genauerem Hinsehen allerdings sind die Funktionen und Fähigkeiten des »Stockpile Stewardship«-Programms sowohl bei der Modifikation des B61-11 Sprengkopfes als auch jetzt beim neuen RNEP im Wesentlichen identisch.

Ich will nicht bestreiten, dass der Nuclear Posture Review (die Überprüfung des US-Kernwaffenarsenals vom Januar 2002; d. Ü.) und nachfolgende Initiativen die Welt gefährlicher gemacht haben, indem sie die vertikale (neue Waffenfähigkeiten) wie die horizontale (Ausbreitung in weitere Staaten) Proliferation förderten. Es geht mir vielmehr darum, deutlich zu machen, dass die Regierung Bush die nukleare Gefahr zwar beschleunigt und ausgeweitet hat, aber keineswegs das Programm und die Infrastruktur erfunden hat, mit denen das passiert. Dieses US-Programm entstand vielmehr tief im Inneren der beiden Kernwaffenlaboratorien und aufgrund der Versprechungen und Gelder, die die Labors der vorangegangenen US-Regierung abringen konnten.

Die Hintergründe werden vielleicht ein bisschen klarer, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zwischen den Waffenentwicklern von Livermore und Los Alamos schon seit einigen Jahrzehnten im Detail diskutiert wurde – u.a. in einem Artikel aus den 1980ern, der in der Hauszeitschrift des Livermore Laboratory erschien –, wie sich die Labors darauf einstellen können, wenn mit einem künftigen Umfassenden Teststoppabkommen (CTBT, Comprehensive Test Ban Treaty) die weitere Entwicklung von US-Kernwaffen gefährdet würde.

Für einige ist das vielleicht der Punkt, um darauf zu verweisen, dass ein Stopp der weiteren Entwicklung von Kernwaffen gerade Absicht des Vertrages ist, der zur Unterzeichnung ausliegt, seitdem Präsident Clinton ihn 1995 unterschrieben hat. Und in der Tat wurde genau das in der Präambel des CTBT auch so festgehalten. Aber im Sinne von Livermore und Los Alamos ist das eindeutig nicht.

Wenn man also das Problem der anhaltenden Entwicklung von Kernwaffen in den USA analysieren oder gar in Frage stellen will, muss man sich sowohl mit Macht, Einfluss und technischen Potenzialen der Kernwaffenlaboratorien in den USA als auch mit den jeweiligen Führern im Weißen Haus befassen.

»Stockpile Stewardship« und die Kernwaffenlabors

Das US-amerikanische »Stockpile Stewardship«-Programm ist ein ambitioniertes, vielseitiges Unterfangen, für das mehr als 25.000 Menschen in über sieben US-Bundesstaaten verteilten Einrichtungen arbeiten. Das Budget beträgt über 6 Milliarden US$ pro Jahr, und liegt damit etwa beim anderthalbfachen Durchschnittsbetrag, den die USA während des Kalten Krieges für Kernwaffen ausgaben. Unter der Aufsicht des US-Energieministeriums (DoE, Department of Energy) arbeiten Lawrence Livermore und Los Alamos an folgenden Aufgaben:

  • Erhebliche Ausweitung des in den USA vorhandenen Wissens über Kernwaffenphysik. Dazu werden eine ganze Reihe exotischer Experimentalanlagen gebaut, unter anderem die National Ignition Facility (NIF) in Livermore. Hier sollen nach neuester Planung Kernspaltungs- (Fissions-) – und Kernverschmelzungs- (Fusions-) Brennstoffe in anspruchsvollen Experimenten miteinander kombiniert werden. So würden die Spezifikationen des Megalasers noch mehr ausgeweitet, der damit die Entwicklung vollständig neuer Waffentypen ermöglichen würde.
  • Dreidimensionale Modellierung des Verhaltens einer explodierenden Kernwaffe mit absoluter oder nahezu absoluter Realitätstreue auf Supercomputern. Sollte dies erfolgreich sein, so stünden den Waffenentwicklern Möglichkeiten zur Verfügung, die die der bisherigen Kernwaffenentwicklung bei Weitem übersteigen.
  • Neudesign jeder Kernwaffe im US-Arsenal. In manchen Fällen sollen dafür komplett neue Bauteile entwickelt und gefertigt werden. Andere Waffensysteme sollen für neue militärische Fähigkeiten und Missionen ausgelegt werden, z.B. als Bunkerknacker.
  • Entwicklung und Bau einer neuen Fertigungsbasis für US-Kernwaffen. Dazu gehört auch die »Modern Pit Facility«, in der jedes Jahr bis zu 450 Plutoniumkerne (pits) für Kernwaffen hergestellt werden sollen. Diese Anlage eignet sich für die Produktion neuartiger Bombenkerne für neue Waffen, die heute erst auf den Zeichenbrettern von Livermore und Los Alamos entworfen werden.

Im Zusammenhang mit »Stockpile Stewardship« ist auch ein Designwettbewerb zwischen den Waffenbauteams in Livermore und Los Alamos im Gange. Als »Preis« winkt der Bau der entsprechenden RNEP-Bombe. Die Wissenschaftler von Livermore versuchen sich an einer Ergänzung der nuklearen Fliegerbombe des Typs B83, um Fähigkeiten der Erdeindringung zu erreichen. Mit einer oberen Sprengkraft von mehr als einer Megatonne (das entspricht einer Million Tonnen TNT) ist die B83 die größte Kernwaffe im derzeitigen US-Arsenal. Los Alamos hingegen will die Fähigkeiten des B61-Sprengkopfes zur Erdeindringung so verbessern, dass er als RNEP eingesetzt werden könnte.

Um besser einschätzen zu können, in welche Richtung die Waffenlabors marschieren, bietet sich ein genauerer Blick in das neue, bislang nur als Entwurf vorliegende, Betriebsdokument des Livermore Laboratory an. Dieser Bericht, Site Wide Environmental Impact Statement (SWEIS, Umweltverträglichkeitsstudie für sämtliche Standorte des Labors; d. Ü.), geht davon aus, dass die Kapazitäten zur Plutoniumlagerung in Livermore von 1.540 Pfund auf 3.300 Pfund mehr als verdoppelt werden. (In den USA entspricht 1 Pfund = 453 Gramm; d. Ü.) Das ist genug für 300 Kernwaffen. In mehreren Veröffentlichungen wird für das Labor von Los Alamos ein Plutoniuminventar von ca. 3 Tonnen genannt. Aus der SWEIS ergibt sich, dass die neuen Technologien, die in der Modern Pit Facility zum Einsatz kommen sollen, in Livermore entwickelt und getestet werden. Und das, obwohl das Energieministerium noch gar nicht entschieden hat, wo die neue Kernwaffenfabrik letztlich aufgebaut werden soll.

Die Umweltverträglichkeitsstudie fügt dem bislang schon geplanten Experimentenmix der National Ignition Facility, die noch im Bau ist und bis zu ihrem Betriebsende vermutlich über 30 Milliarden US$ verschlingen wird, auch Versuche mit Plutonium, hoch angereichertem Uran, Lithiumhydrid und weiteren Materialien hinzu. Das Dokument schlägt weiter vor, für den Megalaser auf dem Gelände von Livermore Tritiumtargets (winzige Zielscheiben aus radioaktivem Wasserstoff für die Laserstrahlen; d. Ü.) zu fertigen. Dadurch würde die Risikomenge Tritium, die für jeden Bearbeitungsgang jeweils maximal zulässig ist, um fast das Zehnfache angehoben, von knapp über 3 Gramm auf 30 Gramm.

Überdies skizziert die SWEIS Pläne, um die Wiederaufnahme von Nukleartests vorzubereiten, die 1992 ausgesetzt wurden. Dazu soll Livermore neue Diagnoseverfahren ausarbeiten, die die »Bereitschaft« zur Durchführung von Atomtests erhöhen würden.

Erfahrene Abrüstungsexperten und Politikanalysten gehen schon seit langem davon aus, dass die Waffentechniker von Livermore und Los Alamos von den 1990ern bis heute vor allem darauf aus waren, zunächst die »Stockpile Stewardship«-Fähigkeiten festzunageln und in einem nächsten Schritt auf die Wiederaufnahme von Nukleartests zu drängen, um die neuen Waffendesigns in richtigen Tests zu überprüfen. Jetzt wird diese Strategie immer offensichtlicher. Meine Prognose ist, dass die Regierung Bush, angeführt von den Waffenlaboratorien des Energieministeriums, etwa in der Mitte der zweiten Amtszeit des US-Präsidenten eine (erfundene) Begründung für die Wiederaufnahme von unterirdischen Nukleartests auf dem Testgelände von Nevada vorbringen werden.

US-Atomwaffendoktrin und die Bush-Regierung

Im Frühjahr 2002 drangen über das Internet und die Los Angeles Times wesentliche Teile des geheimen Nuclear Posture Review der Regierung Bush an die Öffentlichkeit. Die zugänglich gemachten Teile enthüllen, dass die Regierung Bush das Verteidigungsministerium angewiesen hat, Notfallpläne für den Einsatz von Kernwaffen gegen mindestens sieben Länder – von denen fünf damals selbst keine Kernwaffen hatten – auszuarbeiten. Den meisten Leser wissen vermutlich, um welche sieben Länder es dabei geht: Russland, China, Irak, Iran, Nordkorea, Libyen und Syrien.

Darüber hinaus ordnete das Dokument an, dass der Einsatz von Kernwaffen für einen Nahostkonflikt, eine Konfrontation zwischen Taiwan und China, einen nordkoreanischen An- griff auf Südkorea, einen irakischen Überfall auf Israel oder andere Nachbarländer sowie für weitere, nicht näher erläuterte Situationen vorzubereiten sei. Der Bericht erwägt auch den Einsatz von US-amerikanischen Kernwaffen gegen nur vage definierte Ziele von besonderem Interesse, z.B. unterirdische Bunker und Höhlen, als Vergeltung für einen Angriff mit Chemie- oder Biowaffen und „für den Fall überraschender militärischer Entwicklungen“, was fast alles bedeuten kann.

Vielleicht noch mehr alarmiert, dass der Nuclear Posture Review die Rolle von US-Kernwaffen erweitert und nukleare Kriegsszenarien mit konventioneller Kriegsführung verbindet. In einem erheblichen Maß behandelt das Dokument Kernwaffen als lediglich eine weitere militärische Option. Das Dokument senkt die Schwelle zu einem Nuklearkrieg, indem es das Konzept von »besser einsetzbaren« Kernwaffen anbietet, das sich vor allem auf die noch zu entwickelnden Kernwaffen mit niedriger Sprengkraft und auf Bunkerknacker bezieht. Also auf genau das, woran die Waffenlabors des US-Energieministeriums gerade arbeiten.

Damit nicht genug. Der Nuclear Posture Review erhöht die Bedeutung der Infrastruktur zur Waffenentwicklung der Labors als neuen »Pfeiler« der militärischen strategischen Triade, auf der die Sicherheit der USA ruhen soll. Im Klartext: Der Nuclear Posture Review stellt den Laboratorien von Livermore und Los Alamos einen Blankoscheck aus für die »Stockpile Stewardship«, insbesondere für die hochgradig aggressive Kernwaffen-Entwicklungsmaschinerie. Dementsprechend, und kaum überraschend, wurde das US-Budget für Kernwaffen von Jahr zu Jahr ausgeweitet, ebenso Pläne für neue Laboranlagen zur Waffenentwicklung.

Der Nuclear Posture Review ist nach wie vor gültig. Dieses grundlegende Papier beschreibt die Kernwaffenpolitik der Regierung Bush. Allerdings wurde seine Reichweite durch spätere Dokumente noch präzisiert. Im September 2002 veröffentlichte das Weiße Haus die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigte Staaten von Amerika. Hier wird viel klarer der Weg des US-Militärs und der Kernwaffenpolitik hin zur »Präemption« geebnet, oder vielmehr zum »präventiven Krieg«. Im Wesentlichen legt das Dokument dar, dass die USA, da nicht bekannt sei, wer oder was das Land in Zukunft bedrohen könnte, schon heute nach Gutdünken jedes Land oder beliebige Personen angreifen kann – um sie daran zu hindern, morgen zur Bedrohung zu werden. (Die wenn auch schwache und völkerrechtswidrige Begründung für den Einmarsch in Irak kann zwischen den Zeilen dieses Berichts aus dem Jahr 2002 schon herausgelesen werden.)

Dazu passt, dass laut Presseberichten zu der Zeit, als die Nationale Sicherheitsstrategie erstellt wurde, Präsident Bush die geheime Presidential Decision Directive 17 unterzeichnete. Diese bestätigt die Doktrin eines möglichen präemptiven oder präventiven Einsatzes von Kernwaffen durch die USA als Antwort auf eine potenzielle Bedrohung mit Chemie- oder Biowaffen.

2003 schließlich landeten Mitglieder der Regierung Bush im Pentagon und den Waffenlabors des Energieministerium einen politischen Coup: Sie erhielten im US-Kongress genug Stimmen für die Aufhebung eines Gesetzesvorbehalts von 1994, der den USA jegliche Forschung und Entwicklung untersagte, die zur Produktion von »mini nukes« führen könnte. Damit ist jetzt jede rechtliche Bremse gelöst, und die Waffenlabors spurten immer schneller auf vollständig neue Kernwaffendesigns und die in der Folge zu erwartenden neuen Wettrüsten zu.

Aktivitäten zur Beschneidung des Kernwaffenbudgets

Die aktive Arbeit zahlreicher Nichtregierungsorganisationen in den USA und die Meinungsführerschaft einiger wichtiger Kongressabgeordneter, vor allem des republikanischen Vorsitzenden des Komitees, das im Abgeordnetenhaus für das Kernwaffenbudget des Energieministeriums zuständig ist, bewirkten für das Finanzjahr 2005, das am 1. Oktober 2004 begann, wichtige und genau spezifizierte Kürzungen im Haushalt.

Die Gelder für den RNEP wurden für 2005 auf Null heruntergekürzt, und einige Veröffentlichungen lassen vermuten, dass die Waffenlabors bereits die am »Wettbewerb« beteiligten Entwicklungsteams auflösen, wobei allerdings die Wissenschaftler lediglich auf andere »Stockpile Stewardship«-Projekte verteilt werden.

Auch die Finanzierung der Advanced Concepts Initiative in Livermore und Los Alamos wurde auf Null heruntergefahren. In dieses Programm fällt ein Großteil der Forschung für »mini nukes«. Die Modern Pit Facility erhält anstatt der beantragten 30 Millionen US$ jetzt 7 Millionen US$, musste also auch eine deutliche Reduzierung hinnehmen. Der Antrag des Energieministeriums, die Bereitschaftszeit zur Wiederaufnahme von unterirdischen Test zu verkürzen, wurde ausgebremst. Die Mittel für die National Ignition Facility wurden ebenfalls um 25 Millionen US$ beschnitten, wobei allerdings die für das Finanzjahr 2005 beantragten 492 Millionen US$ für das Gesamtprogramm, darunter 130 Millionen US$ für die Fortsetzung der Bauarbeiten, die Kürzungen deutlich relativieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kongress mehr Gelder für die Demontage von Kernwaffen freigab als vom Energieministerium überhaupt beantragt wurden.

Natürlich müssen die Nichtregierungsorganisationen und Kongressmitglieder in den USA ihre Mobilisierungsanstrengungen fortsetzen, da diese Programme mit hoher Wahrscheinlichkeit im Haushaltsplan des Energieministeriums für das Finanzjahr 2006 wieder auftauchen, und der ist bereits im Februar 2005 fällig. Außerdem waren diese Budgetkürzungen, so sehr sie Grund zur Freude sind, angesichts des aufgeblähten Budgets für das »Stockpile Stewardship«-Program in keiner Weise ausreichend. Die Fähigkeiten der US-Labors, neue Atomwaffen zu entwickeln, werden erst dann wirklich eingeschränkt, wenn die Einschnitte in den Haushalt noch viel tiefer ausfallen.

Marylia Kelley ist Geschäftsführerein von Tri-Valley CAREs (Communities Against a Radioactive Environment). Die Gruppe mit Sitz in Livermore, Kalifornien, verfolgt die Aktivitäten in den Kernwaffenlabors der USA, insbesondere die des Lawrence Livermore National Laboratory. Die Berichte und monatlichen Bulletins stehen unter www.trivalleycares.org im Internet.
Übersetzt von Regina Hagen

Nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung

Nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung

Möglichkeiten und Grenzen in der Politikberatung

von Annette Schaper

Die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung zählt zu den größten deutschen Friedensforschungsinstituten. Während sich die anderen Forschungseinrichtungen in der Regel auf einen oder wenige Schwerpunkte konzentrieren, bearbeiten die Mitarbeiter der HSFK ein sehr breites Themenspektrum. Es enthält Analysen der aktuellen Krisenherde genauso, wie Untersuchungen des Verhältnisses Europa-USA und der neuen Welt(un)ordnung. Schwerpunkt sind sicher die Arbeiten zum Verhältnis »Demokratien und Frieden«. Der Leiter der HSFK, Harald Müller, hat dazu in W&F 2-2003 den Artikel »Die Arroganz der Demokratien – Der demokratische Frieden und sein bleibendes Rätsel« veröffentlicht. In folgendem Beitrag verdeutlicht Annette Schaper die Politik beratende Arbeit der HSFK im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung.
Durch die Erfindung von Kernwaffen entstand zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Gefahr, dass sie sich in einem Krieg selbst auslöschen könnte. Während des Ost-West-Konfliktes gab es einen beispiellosen nuklearen Rüstungswettlauf. Die Zahl der weltweit existierenden Sprengköpfe, die Ende 1945 gerade sechs Sprengköpfe umfasste, war 1952 auf 1.005 auf amerikanischer und fünf auf sowjetischer Seite angestiegen. Der Höchststand war 1986 erreicht, mit rund 23.000 amerikanischen und 40.000 sowjetischen Sprengköpfen. Hinzu kamen je einige hundert in Großbritannien, Frankreich und China. Berühmt wurde der Begriff »Overkill«, der angibt, wie oft sich die Menschheit mit diesem Arsenal auslöschen könnte.

Neben der quantitativen Aufrüstung fand ein qualitativer Rüstungswettlauf statt. Im August 1949 explodierte die erste amerikanische und im August 1953 die erste sowjetische Wasserstoffbombe. Im Gegensatz zu den frühen Kernwaffen, die nur auf Kernspaltung beruhen, findet bei der Explosion einer Wasserstoffbombe auch eine Kernverschmelzung statt. Mit dieser Technik sind noch viel energiereichere Explosionen möglich. Die größte Nuklearexplosion mit 58 Megatonnen, soviel wie ungefähr 30.000 Hiroschima-Bomben, wurde 1961 von der Sowjetunion gezündet. In den Ausbau ihrer Forschung und Entwicklung und in ihre Produktionskomplexe investierten die USA und die Sowjetunion massiv. Bald gab es eine Vielzahl von technischen Variationen. Die Sprengköpfe wurden leichter, so dass sie auf Raketen montiert werden konnten, die elektronischen Kontroll- und Sicherungssysteme wurden komplexer, die Explosionsenergien in den ersten beiden Jahrzehnten des »Kalten Krieges« immer größer.

Strategien und Rüstungskontrolle zielten daher seit Beginn des »Kalten Krieges« darauf ab, den Einsatz dieser Waffen durch Abschreckung zu vermeiden. Tatsächlich ist es zwischen den beiden Machtblöcken während des »Kalten Krieges« niemals zu einem Einsatz gekommen. Ob diese Situation auch auf Dauer stabil geblieben wäre, wenn der »Kalte Krieg« weiter fortgedauert hätte, ist umstritten. Es ist ebenfalls umstritten, ob nach dem Ende des »Kalten Krieges« diese Gefahr bereits gebannt ist, oder ob die Welt nicht sicherer dastünde, wenn alle Kernwaffen von der Erde verschwänden.

Seit Bestehen der HSFK führen wir Forschungsprojekte zur nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle durch. Sie befassen sich sowohl mit der Analyse des aktuellen Geschehens mit dem Ziel der Politikberatung für die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit als auch mit grundsätzlichen Analysen, um die Ursachen der rüstungsdynamischen Prozesse zu verstehen und längerfristige Handlungsoptionen für die internationale Gemeinschaft zu entwickeln. Unsere Arbeit basiert daher auf zwei Pfeilern – Theorie und Praxis. Die Praxisnähe wäre ohne ständigen Kontakt und Austausch mit den Entscheidungsträgern nicht möglich. Diese sind Beamte (v.a. des Auswärtigen Amts, des Verteidigungsministeriums, des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft und des Bundesausfuhramts), Politiker aller demokratischen Parteien und ihre Mitarbeiter, Diplomaten, die in verschiedenen internationalen Foren mit nuklearer Rüstungskontrolle befasst sind, Vertreter von Interessengruppen, z.B. aus der Wirtschaft und auch entsprechende Kollegen und Kolleginnen aus anderen Ländern.

Im Folgenden einige Beispiele für Forschungsfelder und Politikberatung zu nuklearer Abrüstung:

Nukleare Abrüstung: Erste Schritte zur Gefahrenabwendung

Nukleare Abrüstung ist sowohl ein politischer als auch ein technischer Prozess. In einem ersten Schritt muss ein Inventar der abzurüstenden Systeme erstellt werden. Leider gibt es bis heute keine offiziellen Angaben über die Zahl der Sprengköpfe in den Kernwaffenstaaten, es fehlt an internationaler Transparenz und an Verpflichtungen, Zahlen zu Kernwaffenbeständen offen zu legen. Eine Transparenzmaßnahme wäre zum Beispiel das bereits 1993 vom deutschen Außenminister vorgeschlagene Kernwaffenregister bei den Vereinten Nationen. Die nächsten Schritte sind Verminderung der Alarmbereitschaft, Löschen der Zielprogrammierung und Verlängerung der Vorwarnzeiten, z.B. durch Aufschütten von Erde auf Silos. Maßnahmen in diese Richtung finden statt, allerdings nur auf freiwilliger Basis und ohne Verifikation. Die USA und Russland haben Deaktivierungsmaßnahmen angekündigt, der Grad ihrer Implementierung ist jedoch nicht bekannt. Alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Gefahr eines versehentlichen Atomkrieges zu verkleinern und sind auch in unserem Sicherheitsinteresse. Daher ist der Bundesregierung zu empfehlen, sich für eine Beschleunigung dieser Abrüstungsmaßnahmen, eine stärkere Verpflichtung und mehr Transparenz über ihre Implementation einzusetzen.

Nukleare Abrüstung: START und SORT

Im nächsten Abrüstungsschritt müsste man die Sprengköpfe von ihren Trägersystemen separieren und die Träger verschrotten. Die Verpflichtung hierzu ist in den START-Verträgen für bestimmte strategische Systeme festgelegt, ebenso umfangreiche Verifikationsmaßnahmen. Die beiden START-Verträge berühren jedoch nicht die Verschrottung von Sprengköpfen und auch nicht den Abbau von taktischen Kernwaffen. Lange bestand die Hoffnung, dass die Verschrottung von Sprengköpfen Gegenstand eines START-III-Vertrages werden würde. Dies hatten die Präsidenten Clinton und Jelzin auf dem Helsinki-Gipfel im März 1997 angekündigt. Obwohl auf freiwilliger Basis auch Sprengköpfe zerlegt werden, würde die Verpflichtung hierzu in einem internationalen Vertrag ihre Irreversibilität erhöhen. Es wäre dann viel schwieriger wieder aufzurüsten.

Es kam jedoch anders: Der Folgevertrag – genannt Strategic Offensive Reductions Treaty (SORT) – den Bush und Putin am 24. Mai 2002 unterzeichneten, umfasst lediglich 475 Worte. Er verpflichtet beide Seiten, ihre stationierten strategischen Systeme bis zum Dezember 2012 auf 1.700 – 2.200 zu reduzieren, aber er enthält keinerlei Bestimmungen darüber, was mit den Trägersystemen oder den Sprengköpfen geschehen soll. Jede Seite kann selbst über die Zusammensetzung ihrer Arsenale bestimmen. Ein bilaterales »Vertragskomitee« wird sich zweimal jährlich treffen, bis der Vertrag 2012 ausläuft. Die Verpflichtungen erlöschen an diesem Datum und im Prinzip können beide Seiten sofort wieder aufrüsten. Darüber hinaus sind keine Transparenz- oder Verifikationsmaßnahmen vorgesehen. Außerdem kann der Vertrag mit kurzer Frist gekündigt werden. Beide Seiten bleiben also in der Vertragserfüllung extrem flexibel.

SORT bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, die der Helsinki-Gipfel 1997 geweckt hatte. Die beiden zentralen Anliegen der Helsinki-Erklärung waren Transparenz und Irreversibilität der nuklearen Abrüstung, also eine weitest mögliche Offenlegung des Prozesses mittels intrusiver Verifikation sowie maximale Unumkehrbarkeit. Der SORT-»Vertrag« verzichtet im Gegenteil auf jegliche Transparenzmaßnahmen und erlaubt, nach seinem Auslaufen 2012 oder nach einer kurzfristigen Kündigung sofort wieder aufzurüsten.1

Diese Einschätzung und das Bedauern über diese Entwicklung wird von den meisten deutschen Entscheidungsträgern geteilt. Mit unserer Politikberatung laufen wir daher offene Türen ein. Auf internationalem Parkett finden wir ebenfalls viele Gleichgesinnte. Es ist jedoch – nicht überraschend – nicht gelungen, die amerikanische Regierung zu einer ähnlichen Beurteilung zu bewegen.

Auf der eher theoretischen Ebene befassen wir uns u.a. mit der grundsätzlichen Bedeutung von Transparenz und Irreversibilität in der nuklearen Rüstungskontrolle. Selbst bei gutem Willen hat man das fundamentale Problem, dass bestimmte technische Informationen über Kernsprengköpfe geheim bleiben müssen, um Risiken der Weiterverbreitung zu minimieren.

Nukleare Abrüstung: Entsorgung des Waffenmaterials

Nach der Demontage von Sprengköpfen liegen die Komponenten aus Nuklearmaterial – genannt Pits – zunächst intakt vor. Die Lagerung von intakten Pits darf aber kein Dauerzustand werden, denn damit ist eine Wiederaufrüstung sehr schnell möglich. Richtig irreversibel wird der Abrüstungsprozess erst, wenn das Material in eine Form überführt worden ist, die größere technische Hürden gegen eine Verwendung für Kernwaffen aufbaut. Im Falle hochangereicherten Urans (dies ist eines von zwei möglichen Nuklearmaterialien) gibt es eine technische Lösung, die sogar begrenzt wirtschaftlich ist: Das Uran wird als waffentauglicher Reaktorbrennstoff verwendbar. Im Falle des anderen für Kernwaffen verwendeten Materials, des Plutoniums, ist die Situation schwieriger. Zwei Vorschläge wurden ernsthaft erwogen, die Verarbeitung zu Mischoxid-Brennelementen (MOX) mit anschließender Bestrahlung in Kernreaktoren und die Vermischung mit radioaktivem Abfall mit anschließender Verglasung und Endlagerung.2 Von diesen beiden blieb nach eingehenderen Untersuchungen nur die MOX-Option als einzige realistische übrig.

Das Problem der Abrüstung von Waffenplutonium war relevant für die deutsche Politik, da sich die Frage stellte, ob die nie in Betrieb gegangene Hanauer MOX-Anlage hierfür hätte genutzt werden können. Der Vorschlag aus der HSFK, das russische Plutonium gleich in Hanau zu verarbeiten, hatte – kaum überraschend – keine Realisierungschance, mangels öffentlicher Akzeptanz.3 Ein realistischerer Vorschlag – der Export von Anlagenteilen nach Russland zum Zweck der Abrüstung4 – scheiterte nach längeren Debatten aus dem gleichen Grund. Die Debatte in Deutschland war so polarisiert, dass schließlich sogar die finanzielle Beteiligung Deutschlands an einem gemeinsamen Projekt der Industriestaaten zur Entsorgung von Waffenplutonium in Russland scheiterte. Dies stellt das Gelingen des gesamten Projekts in Frage, da der Finanzaufwand enorm und noch nicht gesichert ist. Deutschland beteiligt sich stattdessen an einigen anderen Abrüstungsprojekten. Einige sind wichtig, andere im Vergleich zum Problem der Plutoniumentsorgung weniger relevant.5

Zu diesem Thema haben wir uns aktiv an der deutschen und internationalen Debatte beteiligt. Es war zu beobachten, dass die meisten Entscheidungsträger, die sich intensiv mit dem Thema befasst hatten, zu einer ähnlichen Einschätzung gelangten wie wir, unabhängig von Parteipräferenz. Die Entsorgung des Plutoniums mittels MOX-Technologie bedeutet in diesem Fall nämlich kein Einstieg in die Plutoniumwirtschaft, auch wenn es bei oberflächlicher Betrachtung so aussieht. Eine solch intensive Beschäftigung blieb jedoch einem kleinen Kreis vorbehalten. Daher war es nicht möglich, für diesen Vorschlag eine breitere Unterstützung zu finden.

Nukleare Abrüstung: Rüstungskontrollverträge

Der einzige Vertrag, der die Kernwaffenstaaten verpflichtet, vollständig abzurüsten, ist der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV), früher auch »Atomwaffensperrvertrag« genannt. 1995 wurde der NVV unbegrenzt verlängert. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass die regelmäßige Überprüfung des Vertrages verstärkt werden und dass dafür eine Liste von Kriterien beachtet werden soll, die so genannten Prinzipien und Ziele der NVV-Überprüfung. Das Ziel der vollständigen nuklearen Abrüstung wird darin bekräftigt und einzelne Maßnahmen, wie z.B. der Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) und ein Vertrag zur Beendigung der Produktion von Spaltmaterial für Kernwaffen, genannt »Cutoff«, als förderlich für dieses Ziel benannt.

Die Verhandlungen zum CTBT wurden zwar 1996 erfolgreich abgeschlossen, seine Ratifikation seitens der USA, unabdingbar für das Inkrafttreten, fehlt jedoch. Die Bush-Administration in ihrer Skepsis gegenüber jeder Rüstungskontrolle hat nicht vor, sich noch mal um eine Ratifizierung zu bemühen, im Gegenteil, sie will wieder neue Sprengköpfe entwickeln und schließt längerfristig weitere Nukleartests nicht aus.6 Während der CTBT-Verhandlungen standen wir der deutschen Delegation beratend zur Seite. Dadurch entstand eine wechselseitige Beeinflussung, die einerseits die deutsche Verhandlungsposition zwischenzeitlich beeinflusste, uns andererseits aber ein sehr realistisches Bild vermittelte, wie begrenzt der Spielraum auf internationalem Parkett ist, wenn ein Verhandlungsgegenstand im eigenen Land nur auf schwaches Interesse stößt und daher keine starke Lobby hat.Zum Cutoff haben wir uns ebenfalls stark politikberatend engagiert und sind bei deutschen Partnern nur offene Türen eingerannt. Aber nach 1996 kam es wegen Meinungsverschiedenheiten in der Genfer Abrüstungskonferenz zu keinen Verhandlungen mehr und verschiedene Bemühungen, nicht nur von deutscher Seite, sind wirkungslos verpufft.7

Insbesondere infolge der Ablehnung von internationalen Verpflichtungen, Gremien und nuklearer Rüstungskontrolle seitens der Bush-Administration steht die weitere Zukunft der nuklearen Abrüstung und damit auch die Eindämmung der Nichtverbreitung auf dem Spiel. Die Bundesregierung hat im Gegensatz zur Bush-Regierung das Ziel, die internationalen Verpflichtungen zu stabilisieren und zu stärken. Allerdings hat die nukleare Rüstungskontrolle in der Vielzahl der Politikfelder eine starke Konkurrenz und eine vergleichsweise schwache Lobby. So wird sie oft genug anderen Interessen geopfert. Unsere Politikberatung erreicht zwar die zuständigen Fachleute. Aber deren Einfluss ist begrenzt. Politikberatung ist nicht mit Lobbyarbeit zu verwechseln, da wir keine weiteren Eigeninteressen verfolgen. Um der nuklearen Abrüstung in Deutschland ein stärkeres Gewicht zu verleihen, wäre ein viel stärkeres öffentliches Interesse notwendig.

Anmerkungen

1) A. Schaper: Die Aufwertung von Kernwaffen durch die Bush-Administration, In: Corinna Hauswedell et. Al (Hrsg.): Friedensgutachten 2003, Münster 2003, p.138.

2) National Academy of Sciences (NAS): Committee on International Security and Arms Control (CISAC), Management and Disposition of Excess Weapons Plutonium, Washington 1994; NAS, CISAC, Management and Disposition of Excess Weapons Plutonium: Reactor Related Options, Washington 1995.

3) Hier ist zu betonen, dass es zwar Vorschläge und Meinungen {u}aus{/u} der HSFK gibt, nicht jedoch {u}der{/u} HSFK. Das Institut als solches gibt keinerlei Stellungnahmen ab, alle geäußerten Meinungen sind die von einzelnen Mitarbeitern. Zu Einzelheiten des Vorschlags siehe: A. Schaper: Using Existing European MOX Fabrication Plants for the Disposal of Plutonium from Dismantled Warheads, in: W.G. Sutcliffe (Ed.): Selected Papers from Global ‘95, UCRL-ID-124105, Livermore, June 1996, p.197.

4) National Academy of Science and German-American Academic Council (GAAC): U.S.-German Co-operation in the Elimination of Excess Weapons Plutonium, July 1995.

5) Vgl. A. Schaper: Deutsche Abrüstungshilfe für russisches Waffenplutonium – Ein Plädoyer, in: Reinhard Mutz, Bruno Schoch, Ulrich Ratsch (Hrsg.): Friedensgutachten 2001, Münster 2001, S.283.

6) A. Schaper: Friedensgutachten 2003, siehe Fußnote 1.

7) Die Vorgänge in der CD sind dokumentiert und analysiert in den Publikationen des Acronym-Instituts. Auf seiner Webseite sind alle Publikationen herunterladbar: www.acronym.org

Dr. Annette Schaper ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

Atomwaffenmacht Israel

Atomwaffenmacht Israel

von Ernst Woit

Israel verfügt inzwischen über ein Kernwaffen-Arsenal, das aus 200 bis 300 Sprengköpfen besteht.1 Als »Vater der israelischen Atombombe« gilt der Kernphysiker Yu‘ Val Ne‘man, während unter den israelischen Politikern der Sozialdemokrat Shimon Peres die treibende Kraft hinter dem israelischen Nuklearwaffenprogramm war.2 „Im Jahr 1952“, sagte Peres später einem israelischen Reporter, „stand ich ganz allein da mit meinem Ziel, die israelische Kernwaffenoption durchzusetzen.“3 Er war es, der zur Absicherung des Atomprojekts auf der Schaffung eines neuen, speziellen Nachrichtendienstes bestand, die Beschaffung von Spenden bei jüdischen Millionären im Ausland betrieb und jede internationale Kontrolle des offiziell als zivil dargestellten israelischen Nuklearprogramms ablehnte. 1966 verteidigte Peres Israels Entscheidung, der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) Kontrollen zu verweigern, mit der Begründung, „die Araber seien im konventionellen Bereich überlegen.“4 Nachdem die britische Sunday Times am 5. Oktober 1986 einen Bericht des ins Ausland geflohenen israelischen Kernphysikers Mordecai Vanunu über die israelische Kernwaffenproduktion veröffentlicht hatte, an der er bis zu seiner Flucht persönlich mitgewirkt hatte, war es Peres, der den israelischen Geheimdienst Mossad beauftragte, Vanunu zu kidnappen und in israelischen Gewahrsam zu nehmen, wo er seitdem eingekerkert ist. Schließlich hatte Shimon Peres auch maßgeblichen Anteil an der Herstellung einer engen Kooperation Israels mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime auf dem Gebiet der Waffenentwicklung und insbesondere der Nuklearrüstung.5 Diese Kooperation ermöglichte es Israel, am 22. September 1979 über dem Südatlantik einen Nuklearwaffentest durchzuführen. Auch deshalb ist es durchaus berechtigt, ja unerlässlich, den späteren Friedensnobelpreisträger Shimon Peres – wie Gush-Shalom das kürzlich getan hat – als das einzuschätzen, was er tatsächlich war und geblieben ist: „ein traditioneller zionistischer Falke“.6

Inzwischen verfügt Israel nicht nur über ein umfangreiches Arsenal unterschiedlicher Nuklearwaffen einschließlich Neutronensprengköpfen, sondern auch über die unterschiedlichsten Trägermittel bis hin zu Interkontinentalraketen. Im September 1988 schoss Israel seinen ersten Satelliten ins All und ist inzwischen neben den USA und Russland das dritte Land, das Cruise Missiles mit einer Reichweite von 1.500 Kilometern von U-Booten aus starten kann. Dabei handelt es sich übrigens um U-Boote des Typs »Delfin«, die von Deutschland finanziert und produziert wurden.7 Doch nicht nur, dass Israel sich unter Ignorierung aller völkerrechtlichen Vereinbarungen zur Kontrolle und Verminderung nuklearer Rüstungen ein Kernwaffenpotenzial von strategischer Bedeutung schuf – es schreckte auch nicht davor zurück, ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern mit allen Mitteln, auch mit Waffengewalt zu verhindern. So bombardierte und zerstörte die israelische Luftwaffe am 7. September 1981 den in Bau befindlichen Atomreaktor in Osirak bei Bagdad. Überlegungen israelischer Politiker und Militärs, ähnlich auch gegen andere Länder vorzugehen, hat es seitdem mehrfach gegeben. So schlug der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel Scharon während des Libanonkrieges 1982 vor, man solle Syrien mit Nuklearwaffen angreifen.8 Am 28. September 1998 votierte der gerade zum Generalstabschef ernannte Generalleutnant Schaul Mofaz mit folgender Argumentation dafür, den Iran anzugreifen: „Ein Präventivschlag war immer ein Teil von Israels strategischen Optionen. Die Ausrüstung eines extremistischen Landes wie dem Iran mit weitreichenden Raketen, die mit nicht-konventionellen Raketengefechtsköpfen ausgestattet werden können, könnte auf längere Sicht zu einer existentiellen Bedrohung Israels werden.“9

Nach Seymour M. Hersh ist es schon bemerkenswert, „dass einer der wichtigsten Verbündeten der USA … heimlich ein beachtliches Atomwaffenarsenal aufbauen konnte, während Washington einfach schwieg und die Augen geschlossen hielt.“10 Tatsächlich hat Israel auf seinem Wege zu einer Kernwaffenmacht in extremer Weise all die Eigenschaften und Praktiken entwickelt, die typisch für jene Staaten sind, die von den USA gemeinhin als »Schurkenstaaten« bezeichnet und bekämpft werden. Demgegenüber haben die US die Entwicklung Israels zur Kernwaffenmacht nicht ein einziges Mal öffentlich kritisiert, sondern vielmehr nach Kräften unterstützt. Immerhin haben die USA Israel die meisten Trägersysteme für seine Kernwaffen geliefert. Das alles hängt letztlich damit zusammen, dass die Existenz dieser Kernwaffenmacht ein wohl kalkulierter Bestandteil der Nahost-Strategie der USA gegenüber den arabischen Ländern ist.

Anmerkungen

1) Vgl.: Israels Atomstreitkräfte. In: antimilitarismus information, Berlin 31(2001) 1, S.13 ff.

2) Vgl. W. E. Burrows/R. Windrem: Critical Mass. London 1994, S.292 f.

3) S. M. Hersh: Atommacht Israel. München 1991, S.35.

4) Ebenda, S. 163.

5) Ebenda, S. 274.

6) Gush Shalom: Israel: 80 Thesen für ein neues Friedenslager. In: Marxistische Blätter. Essen 39(2001)3, S.11.

7) Nach: Wissenschaft & Frieden, Bonn, 18(2000)4, S. 4.

8) Nach: antimilitarismus information. A.a.O., S. 21

9) Nach: Ebenda, S. 22.

10) S. M. Hersh: A.a.O., S.331.

Prof. Dr. Dr. Ernst Woit, Philosophiehistoriker und Friedensforscher