Friedenspolitisches Engagement nach dem 11. September 2001

Friedenspolitisches Engagement nach dem 11. September 2001

von Christopher Cohrs, Barbara Moschner und Jürgen Maes

Die Frage, wer aufgrund friedenswissenschaftlicher Erkenntnisse wie beeinflusst werden kann und soll, damit friedensdienliche Veränderungen zustande kommen, wird selten gestellt und noch seltener zu beantworten versucht. Im Anregen und Aufgreifen adressatenspezifischer Probleme dürften die besten Chancen liegen, den Anwendungsbezug der Arbeit zu verbessern. Der vorliegende Beitrag geht auf empirischer Grundlage der für die Friedensbewegung zentralen Frage nach, welche Bedingungen friedenspolitisches Engagement begünstigen.
Eine wichtige Frage der praxisorientierten Friedenspsychologie lautet: Von welchen Faktoren hängt es ab, ob sich Menschen aktiv für den Frieden engagieren? Eine Beantwortung dieser Frage kann möglicherweise von der Friedensbewegung genutzt werden, um mehr Menschen für ihr Anliegen zu gewinnen und so ihren Einfluss auf politische Entscheidungen zu vergrößern.

Die bisherige Forschung hat eine Reihe von Faktoren aufgezeigt, die wichtig sind für friedenspolitisches Engagement (vgl. Moschner, 1998; Preiser, in Druck). Politisches Engagement im Allgemeinen ist u.a. wahrscheinlicher, wenn man

  • sich für kompetent hält und sich bestimmte politische Handlungen zutraut;
  • glaubt, dass das eigene Handeln einen Einfluss auf die Politik hat;
  • sich sozial verantwortlich und zum Engagement verpflichtet fühlt;
  • über persönliche Ressourcen in Form von Zeit, Gelegenheit und bestimmten Kompetenzen (z.B. Kommunikations- und Teamfähigkeit) verfügt;
  • in einer sozialen Umgebung lebt, die politisches Engagement fördert oder akzeptiert;
  • glaubt, durch politisches Engagement verschiedene Bedürfnisse befriedigen zu können (z.B. soziale Eingebundenheit, Erleben eigener Kompetenzen, Anerkennung, Spaß);
  • ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, dass die Zugehörigkeit zu einer aktiven Gruppe bedeutsam für die eigene Identität ist.

Aus diesen und weiteren Faktoren ergeben sich bereits zahlreiche Folgerungen für die Friedensbewegung (vgl. Preiser, in Druck). Die aufgelisteten Faktoren sind allerdings allesamt unabhängig von der Richtung des Engagements. Sie sind für friedenspolitisches Engagement ebenso wichtig wie z.B. für das Engagement Rechtsextremer gegen Ausländer/innen. In diesem Artikel möchten wir daher vor allem einige Faktoren untersuchen, die spezifisch friedenspolitisches Engagement begünstigen, also nicht »inhaltsleer« sind. Dies tun wir anhand einer eigenen empirischen Untersuchung. Zum Abschluss wird diskutiert, welche Folgerungen für die Friedensbewegung aus den Ergebnissen gezogen werden könnten.

Studie zum 11. September 2001

Bei der Untersuchung handelt es sich um eine große Fragebogenstudie, die wir nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 begonnen und im Laufe des Jahres 2002 fortgesetzt haben. Sie kann hier nicht umfassend dargestellt werden. Stattdessen beschränken wir uns auf einige ausgewählte Ergebnisse. Diese Ergebnisse stammen aus der zweiten Befragungsphase von Anfang März bis Anfang September 2002 und basieren auf einer Stichprobe von 1.505 Personen. Die Daten wurden zum größten Teil (91%) über das Internet erhoben, der Rest füllte Fragebögen in Papierform aus. Detaillierte Informationen zu der Studie finden sich in einem Forschungsbericht (Cohrs, Kielmann, Maes & Moschner, 2002).

Kurz zur Stichprobe: 42% der Teilnehmer/innen sind weiblich, 56% männlich (bei den restlichen Personen fehlt die Angabe). Das Alter liegt zwischen 13 und 76 Jahren (M = 31,9; SD = 11,1 Jahre)1. 94% der Personen haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Teilnehmer/innen kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, jedoch vor allem aus Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg; Personen aus den neuen Bundesländern sind nur schwach vertreten. Knapp die Hälfe sind Studierende. Etwa 53% haben Abitur, weitere 36% einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Politisch ist die Stichprobe als eher links orientiert zu bezeichnen: Gefragt nach ihrer Wahlabsicht bei der Bundestagswahl im September 2002, gaben 30% die Grünen an, 15% SPD, 12% PDS, 9% FDP und 8% CDU/CSU. Die Ergebnisse können somit keinerlei Anspruch auf demografische oder politische Repräsentativität erheben. Dies ist aber nicht allzu problematisch, da es uns nicht darum geht, Angaben über die Verbreitung bestimmter Verhaltensweisen oder Einstellungen in der Bevölkerung zu machen, sondern Zusammenhänge zwischen verschiedenen Merkmalen zu untersuchen.

Ausmaß politischen Engagements

Um das Ausmaß des politischen Engagements nach dem 11. September 2001 zu erfassen, haben wir die Teilnehmer/innen gefragt, ob sie bestimmte Tätigkeiten ausgeübt haben, „um ihre Solidarität mit den USA zu zeigen, ihre ablehnende Haltung zu Militäraktionen zu äußern oder ein besonnenes Vorgehen der USA zu fordern“. Es geht hier also noch nicht um friedenspolitisches Engagement, sondern um politisches Engagement im Allgemeinen. In Tabelle 1 (mittlere Spalte) sind die Zustimmungsraten dargestellt. Mehr als ein Viertel der Befragten hat auf einer Unterschriftenliste unterschrieben, weniger als 10% haben an eine/n Abgeordnete/n geschrieben.

Um friedenspolitisches Engagement für sich betrachten zu können, haben wir die Teilnehmer/innen anhand von fünf Fragen bzw. Aussagen zur Bewertung des Krieges in Afghanistan (z.B. „Die Militäraktion in Afghanistan halte ich im Großen und Ganzen für gerechtfertigt“) mittels Clusteranalyse in drei Gruppen unterteilt.2 Diese drei Gruppen lassen sich interpretieren als Kriegsgegner/innen (N = 503), Unentschlossene (N = 640) und Kriegsbefürworter/innen (N = 362). Die Gegner/innen und Befürworter/innen sind im Mittel etwas älter als die Unentschlossenen (33,0 und 33,6 vs. 30,0 Jahre). Außerdem gibt es Geschlechtsunterschiede: Bei den Befürworter/inne/n sind Männer klar überrepräsentiert, bei den Unentschlossenen Frauen.

Ebenfalls in Tabelle 1 (rechte Spalte) sind die prozentualen Häufigkeiten der verschiedenen Tätigkeiten nur für die Kriegsgegner/innen wiedergegeben. Die Nennungsraten sind deutlich höher als in der Gesamtstichprobe: Die Gegner/innen haben sich im Mittel deutlich stärker politisch engagiert als die Unentschlossenen und die Kriegsbefürworter/innen. Dies betrifft interessanterweise alle Tätigkeitsformen mit Ausnahme des Geldspendens (welches bei den Unentschlossenen zwar weniger, bei den Befürworter/inne/n aber weiter verbreitet ist als bei den Kriegsgegner/inne/n).

Die Ja-Antworten auf die sieben Fragen haben wir zu einem globalen Engagementwert aufsummiert, der die Anzahl der verschiedenen Tätigkeiten angibt. Diese Variable wird als »Intensität oder Ausmaß« des Engagements interpretiert und im weiteren Verlauf als vorherzusagende Variable verwendet. Bei den Kriegsgegner/inne/n liegt der Mittelwert dieser Variablen bei 1,70; die Standardabweichung beträgt 1,78. Der Mittelwert ist, wie wir bereits wissen, höher als in den anderen Gruppen, während sich die Unentschlossenen (M = 0,77) und die Kriegsbefürworter/innen (M = 0,84) nicht signifikant voneinander unterscheiden.

Bedingungen friedenspolitischen Engagements

Wir betrachten nun die 503 Kriegsgegner/innen für sich, um der Frage nachzugehen, wieso einige dieser Personen ihrer kriegsablehnenden Position aktiv Ausdruck verliehen haben, andere aber nicht.3 Dazu haben wir die in der Untersuchung erfassten Merkmale, Einschätzungen und Einstellungen zu dem Ausmaß des politischen Engagements in Beziehung gesetzt.

Zunächst zu einigen soziodemografischen Merkmalen. Hier bestehen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem friedenspolitischen Engagement der Teilnehmer/innen und ihrem Bildungsstand, Einkommen, Geschlecht, beruflichen Status oder der Größe ihres Wohnortes. Tendenziell findet sich nur, dass ältere Teilnehmer/innen ein stärkeres Engagement gezeigt haben. Die fehlenden Zusammenhänge liegen möglicherweise daran, dass unsere Stichprobe in Hinblick auf persönliche Ressourcen eher homogen ist: Die Teilnehmer/innen verfügen insgesamt über eine hohe Bildung und – wie der Zugang zum Internet anzeigt, der ja in den meisten Fällen für die Teilnahme notwendig war – über gute Möglichkeiten zur Information und Kommunikation.

Im Folgenden werden einige psychologische Merkmale aufgeführt, die – im Gegensatz zu den soziodemografischen Merkmalen – statistisch hochsignifikante Korrelationen mit der Intensität des Engagements aufweisen.4 Die Merkmale lassen sich unterteilen in solche, die sich auf die konkrete Situation nach den Terroranschlägen beziehen, und solche, die allgemeiner sind.

Was die situationsspezifischen Merkmale betrifft, so geht friedenspolitisches Engagement zunächst mit aktivem, informationssuchendem Verhalten einher (z.B. gut über die politischen Entwicklungen auf dem Laufenden bleiben, sich Gedanken über die Ursachen und Folgen der Terroranschläge machen), was sich vielleicht als »private« Form von Engagement sehen lässt. Daneben kommen einige Merkmale als Ursachenvariablen für friedenspolitisches Engagement in Betracht. Das Engagement der Kriegsgegner/innen ist um so intensiver,

  • je stärker der Krieg abgelehnt wird und je eindeutiger bzw. weniger ambivalent diese Ablehnung ist;
  • je stärker egoistische strategische Motive der USA für den Krieg angenommen werden (z.B. sich Zugang zu Erdöl- und Erdgasquellen verschaffen, die Effektivität neuer High-Tech-Waffen erproben);
  • je stärker negative Folgen des Kriegs wahrgenommen werden (z.B. eine unkontrollierbare Gewalteskalation, riesiges Leid für unschuldige Menschen) und
  • je stärker verständigungsorientierte Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus befürwortet werden (z.B. Stärkung internationaler Organisationen wie der UNO, verstärkter Dialog zwischen den Religionen).

Betrachtet man diese Merkmale in einer Regressionsanalyse zusammen, so hat die Wahrnehmung negativer Folgen des Krieges keine eigenständige Bedeutung mehr.5 Dies legt nahe, dass die Wahrnehmung negativer Folgen nicht direkt auf das politische Engagement wirkt, sondern vermittelt über die Eindeutigkeit der Bewertung des Krieges: Je schlimmer man die Folgen eines Militäreinsatzes beurteilt, desto klarer ist die Ablehnung des Krieges (vgl. dazu Cohrs, 2000, in Bezug auf den NATO-Krieg gegen Jugoslawien). Die anderen drei Einschätzungen können dagegen sehr plausibel als Ursachenvariablen interpretiert werden: Wenn man sich sehr sicher ist und keine Zweifel hat, dass der Krieg in Afghanistan politisch-moralisch falsch ist, und wenn man zudem bestimmte Annahmen darüber hat, aus welchen Gründen die USA den Krieg führen und was stattdessen besser gegen die Gefahr des Terrorismus getan werden sollte, ist man eher motiviert, sich politisch gegen den Krieg zu engagieren. Die gemeinsame Varianzaufklärung durch diese drei Variablen beträgt 13% (s. Anm. 3).

Auch in Bezug auf die weitergehenden Einstellungen finden sich konsistente Zusammenhänge. Das friedenspolitische Engagement der Teilnehmer/innen ist um so stärker,

  • je negativer die Außen- und Handelspolitik der USA im Allgemeinen beurteilt wird;
  • je stärker eine Unterstützung ärmerer Nationen in der Welt für wichtig gehalten wird;
  • je bedeutsamer einem die Menschenrechte erscheinen, je stärker ein universeller Geltungsanspruch der Menschenrechte angenommen wird und je stärker gegen Menschenrechtsverletzungen Stellung bezogen wird;
  • je stärker eine allgemeine pazifistische Grundhaltung vorliegt.

Die Ergebnisse können wiederum gut interpretiert werden: Personen, die der festen Überzeugung sind, dass die grundlegenden Menschenrechte äußerst bedeutsam sind und allen Menschen in der Welt uneingeschränkt zustehen, dass die USA und der Westen ihre Außen- und Wirtschaftspolitik so umgestalten müssen, dass den armen Ländern in der Welt faire Chancen eingeräumt werden, und dass Krieg im Allgemeinen ein ungeeignetes und illegitimes Mittel der Politik ist, sind eher motiviert, sich politisch gegen den Krieg in Afghanistan zu engagieren. In diesem Überzeugungssystem finden sich die drei bereits oben genannten Einschätzungen wieder, nur auf einer verallgemeinerten Ebene: Krieg ist politisch-moralisch abzulehnen, die Wirtschafts- und Außenpolitik der Krieg führenden Seite ist zu kritisieren und es gibt eine Vision, wie eine bessere globale Politik aussehen kann.

Die bisherigen Ergebnisse lassen streng genommen keinen Schluss auf kausale Zusammenhänge zu. Zwar ist plausibel, dass bestimmte Einschätzungen und ein bestimmtes Weltbild zum friedenspolitischen Engagement motivieren. Es könnte aber ebenso gut sein, dass sich die Menschen aus anderen Gründen politisch engagiert haben, z.B. weil sie über ihre Eltern und Freunde so sozialisiert worden sind. Auf diese Weise könnten sich eine entsprechende Gewohnheit oder eine Art Lebensstil entwickelt und entsprechende Überzeugungen stabilisiert haben. Tatsächlich findet sich in unserer Studie ein äußerst hoher Zusammenhang (r = 0,65) zwischen dem Ausmaß allgemeinen politischen Engagements für die Menschenrechte in den vergangenen fünf Jahren und dem friedenspolitischen Engagement nach dem 11. September 2001. Wenn man diese Variable in Rechnung stellt, werden dadurch einige der oben genannten Zusammenhänge überdeckt. Dies gilt insbesondere für die allgemeineren Merkmale. Dennoch bestehen weiterhin hochsignifikante Zusammenhänge mit einigen der spezifischen Einschätzungen, nämlich mit der Eindeutigkeit der Ablehnung des Kriegs in Afghanistan und dem Glauben an egoistische Motive der USA. Insgesamt werden so 42% der Unterschiede im Ausmaß des friedenspolitischen Engagements erklärt.

Fazit

Wie lassen sich die Ergebnisse interpretieren? Zunächst ist festzuhalten, dass friedenspolitisches Engagement gegen den Krieg in Afghanistan mit der allgemeinen Bereitschaft zum Engagement für die Beachtung der Menschenrechte einhergeht und in ein System von bestimmten Überzeugungen und Werten eingebettet ist. Diese Überzeugungen und Werte lassen sich als globalisierungskritisch und internationalistisch, menschenrechtsbejahend, militärkritisch und US-kritisch bezeichnen. Ob sie Ursachenvariablen für friedenspolitisches Engagement sind oder sich durch friedenspolitisches Engagement erst entwickeln oder stabilisieren, können wir auf der Basis der präsentierten Ergebnisse nicht sagen. Plausibel ist, dass es sich um einen sich wechselseitig bedingenden und verstärkenden Prozess handelt.

Die Ergebnisse zeigen aber, dass es eigenständige Effekte spezifischer Einschätzungen gibt, auch wenn man berücksichtigt, dass politisches Engagement zu großen Teilen gewohnheitsmäßig auftritt. Wenn man den Krieg in Afghanistan ohne Zweifel ablehnt und den USA egoistische strategische Motive für den Krieg unterstellt, ist man eher motiviert, sich gegen den Krieg zu engagieren. Diese Effekte glauben wir durchaus kausal interpretieren und auch verallgemeinern zu können, da sie mit bisherigen Erkenntnissen übereinstimmen. Erstens werden starke und konsistente Einstellungen eher in Verhalten umgesetzt als schwache Einstellungen (vgl. Zick, in Druck). Die Friedensbewegung könnte daraus folgern, dass es sinnvoll ist, nicht nur Unentschlossene zu kriegsablehnenden Haltungen zu bewegen, sondern auch Kriegsgegner/innen in ihren ablehnenden Haltungen zu bestärken.

Zweitens wird politisches Engagement durch das Vorhandensein eines Gegners oder Adressaten erleichtert (vgl. Simon & Klandermans, 2001). In diesem Fall sind das offenbar die USA, deren Politik kritisiert wird und denen unlautere Motive für den Afghanistan-Krieg unterstellt werden. Hieraus lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres der normative Schluss ziehen, dass außen- und wirtschaftspolitische Interessen der USA als Motive für den Krieg herausgestellt werden sollten. Dies kann durch folgende Überlegung veranschaulicht werden: Hätte sich in unserer Studie durch eine große Gruppe rechtsextremer Kriegsgegner/innen ergeben, dass friedenspolitisches Engagement mit der Überzeugung einhergeht, die Anschläge vom 11.9.2001 seien ein legitimes Mittel gegen den Weltherrschaftsanspruch der USA, die ja auch im Zweiten Weltkrieg Unheil über die Welt gebracht hätten, würden wir daraus auch nicht schließen, dass eine solche Sichtweise gefördert werden sollte. Die Frage, ob es sinnvoll ist, die wirtschaftlichen Interessen der USA – und anderer Länder – zu kritisieren, um friedenspolitisches Engagement zu fördern, kann daher nicht allein auf der Basis der empirischen Ergebnisse beantwortet werden. Daneben ist zu berücksichtigen, inwieweit sich die Kritik tatsächlich objektiv untermauern lässt und welche positiven oder negativen »Nebenwirkungen« zu erwarten sind.

Literatur

Cohrs, J. C. (2000). Die Beurteilung des Kosovo-Kriegs im Kontext relevanten politischen Wissens. Wissenschaft und Frieden, 18 (4), 60-62.

Cohrs, J, C. (in Druck). Militarismus-Pazifismus als Einstellungsdimension. In G. Sommer & A. Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz.

Cohrs, J. C., Kielmann, S., Maes, J. & Moschner, B. (2002): Befragung zum 11. September 2001 und den Folgen, Bericht über die zweite Erhebungsphase (Berichte aus der Arbeitsgruppe »Verantwortung, Gerechtigkeit, Moral«, Nr. 149). Trier, Universität, Fachbereich I – Psychologie.

Moschner, B. (1998): Ehrenamtliches Engagement und soziale Verantwortung. In B. Reichle & M. Schmitt (Hrsg.): Verantwortung, Gerechtigkeit und Moral. Zum psychologischen Verständnis ethischer Aspekte im menschlichen Verhalten (S. 73-86). Weinheim, Juventa.

Simon, B. & Klandermans, B. (2001): Politicized collective identity: A social psychological analysis. American Psychologist, 56, 319-331.

Preiser, S. (in Druck): Politisches Engagement für den Frieden. In G. Sommer & A. Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden, s. o.

Zick, A. (in Druck.): Soziale Einstellungen. In G. Sommer & A. Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden, s. o.

Anmerkungen

1) Die Abkürzungen in dieser und den folgenden Klammern bedeuten: M = Mittelwert, SD = Standardabweichung, N = Stichprobengröße, r = Korrelationskoeffizient.

2) Die Clusteranalyse ist ein statistisches Verfahren, mit dem Personen anhand der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit ihrer Antworten so zu Gruppen zusammengefasst werden, dass die Gruppen in sich möglichst homogen sind und sich möglichst stark voneinander unterscheiden. Es gibt verschiedene Kriterien zur Bestimmung der angemessenen Clusterzahl, die in unserem Fall übereinstimmend für die Unterteilung in drei Cluster sprechen.

3) Der ebenso relevanten Frage, wie sich kriegsablehnende (oder -unterstützende) Haltungen psychologisch erklären lassen, wird z.B. von Cohrs (2000, in Druck) nachgegangen.

4) Die absolute Höhe von Korrelationen kann zwischen 0 (= es gibt keinen Zusammenhang) und 1 (= es gibt einen perfekten Zusammenhang, d.h. aus der Ausprägung in dem einen Merkmal kann man die Ausprägung in dem anderen Merkmal perfekt vorhersagen) variieren. In unserem Fall bewegen sich die Korrelationen zwischen r = 0,16 und r = 0,25. Wenn man eine Korrelation quadriert, erhält man den Anteil erklärter Varianz. Damit ist der Anteil der Unterschiede in der einen Variablen gemeint, der auf Unterschiede in der anderen Variablen zurückgeführt werden kann. In unserem Fall werden je nach betrachteter Variable zwischen 2,6% und 6,3% der Unterschiede im friedenspolitischen Engagement aufgeklärt. Die Korrelationen sind damit trotz hoher statistischer Signifikanz nur mäßig stark.

5) Mit der Regressionsanalyse wird eine »abhängige« Variable (hier: das Ausmaß des friedenspolitischen Engagements) durch eine lineare Kombination mehrerer »unabhängiger« Variablen (hier: den spezifischen Einschätzungen) vorhergesagt. Wenn, wie hier, zwei unabhängige Variablen mit den selben Aspekten der abhängigen Variablen zusammenhängen, trägt eine der beiden Variablen nichts mehr zur Vorhersage der abhängigen Variablen bei.

Christopher Cohrs ist Dipl.-Psychologe und arbeitet an seiner Dissertation an der Universität Bielefeld. Dr. Barbara Moschner ist Dipl.-Psychologin und Professorin für Empirische Lehr- und Lernforschung an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Dr. Jürgen Maes ist Dipl.-Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Pädagogische und Angewandte Psychologie an der Universität Trier.

Großbritannien: Wachsender Widerstand gegen Kriegsbeteiligung

Großbritannien: Wachsender Widerstand gegen Kriegsbeteiligung

von Ian Martin

Es sind britsche Flugzeuge, die seit über 10 Jahren an der Seite der US-Luftwaffe den Irak bombardieren. Und es ist Tony Blair, der nie einen Zweifel daran aufkommen ließ, dass er auch im Falle eines neuen Krieges gegen den Irak an der Seite der USA sein Militär einsetzen würde und der Wert darauf legt der loyalste Partner Bushs zu sein. Doch in der britschen Öffentlichkeit wächst der Widerstand. Im Oktober kam es zur bisher größten Demonstration der britischen Friedensbewegung und die nächsten Aktionen sind bereits angekündigt.
Die Anti-Kriegsbewegung steht hauptsächlich unter dem Dach der »Stop The War Coalition« (STWC). 400.000 Teilnehmer demonstrierten am 28. September in London. Zusätzlich kam es an dem von dem Labour-Veteranen Tony Benn ausgerufenen und von STWC koordinierten Aktionstag gegen den Irak-Krieg zu kreativen Protestaktionen im ganzen Land. Für den 15. Februar sind Vorbereitungen für erneute Großdemonstrationen im Gange.

Die Friedens- und die Antikriegsbewegung hat die Stimmung in der Öffentlichkeit bereits jetzt stark beeinflusst. Nach einer Meinungsumfrage vom Oktober unterstützen nur noch 31 Prozent der Bevölkerung einen Krieg gegen den Irak. Dass in den letzten Wochen keine weitere Umfrage in Auftrag gegeben wurde, spricht für sich. Mittlerweile ist auch der Tenor der meisten Leitartikel in der Mainstream-Presse stark skeptisch bis offen gegen einen Krieg.

In Ergänzung dieser Aktionen hat jetzt die »Campaign for Nuclear Disarmament« eine eigene Initiative gestartet. Sie hat eine Klage eingereicht, die nach ihrer Aussage zwar nicht die Invasion der Amerikaner im Irak aufhalten, vielleicht aber die Beteiligung Großbritanniens stoppen könnte.

Zum Verständnis: Die CND ist die führende Organisation in der britischen Friedensbewegung. Sie wurde 1958 gegründet, insbesondere mit dem Ziel »die Bombe zu bannen«. Einige Aktionsformen der frühen Jahre ragten besonders hervor (und hatten u.a. auch einen großen Einfluss auf die Ostermarschbewegung der 60er Jahre in der Bundesrepublik, d.R.). Dazu zählen die Aldermaston-Märsche, die Sit-Down-Proteste und die Massenfestnahme der Gruppe, die »Kommittee der 100« genannt wurde.

Die CND übersandte jetzt Premierminister Tony Blair, Außenminister Jack Straw und Verteidigungsminister Geoff Hoon ein Rechtsgutachten der Kronanwälte Rabinder Singh und Charlotte Kilroy.

Dieses Rechtsgutachten besagt, dass die UN-Sicherheitsratsresolution 1441 nicht den Einsatz von Gewalt rechtfertigt und dass das Vereinigte Königreich internationales Recht bricht, wenn es gegen den Irak Gewalt einsetzt, ohne dass eine weitere Resolution des UN-Sicherheitsrates vorliegt.

Um zu verstehen, warum diese Klageandrohung für den CND ein wichtiges Mittel ist, um Blairs-Kriegsbeteiligung zu vereiteln, ist es nötig einen Blick auf die Menschen neben ihm zu werfen:

  • Da ist Peter Hain, als Kabinettsminister zuständig für Wales und möglicherweise nach Blair nächster Labour-Spitzenmann. Er ist Mitglied im CND.
  • Da ist Robin Cook. Der Vorsitzende des Unterhauses sagt Journalisten »off the record« seine Meinung über diesen Krieg und unterstützt die Anliegen des CND immer noch.
  • Oder nehmen wir Ben Bradshaw. Der stellvertretende Vorsitzende des Unterhauses kam über die CND zu Labour.

Für mich ist Ben typisch für die Regierungsmitglieder, die nun in hohen Positionen sind und in der Vergangenheit Friedensaktivisten waren. Ihre Karriere bindet sie an Blair, der nie etwas anderes war als ein rechter Karrierist (obwohl seine politische Identität oft absichtlich vermischt wird mit den offen demokratisch-sozialistischen Ansichten seiner Frau). Diese Spitzenpolitiker von Labour möchten einen Weg finden, um mit ihrem Gewissen ins Reine zu kommen, gleichzeitig möchten sie aber auch ihren Job behalten. Die CND-Klage bietet ihnen den Kompromiss, sie ermöglicht ihnen zu sagen: „Wir würden Ihnen ja gern zum Irak folgen, Herr Bush, aber als eine Regierung, die internationale Friedensverträge unterzeichnet hat und die die Herrschaft des Internationalen Rechts respektiert, können wir es nicht. Auch wenn wir unzählige UN-Konventionen, Verträge und Resolutionen unterzeichnet und nicht beachtet haben, diese Resolution 1441 reicht nicht zur Rechtfertigung eines Krieges.“

Natürlich erwarten wir nicht wirklich, dass diese Regierung, die aus lauter Anwälten besteht, sofort nach einem Gerichtsbeschluss umkippt. Aber es ist ein wichtiger Schritt, der die Differenzen vergrößern kann.

Wir halten diesen Krieg für völlig unmoralisch, unlogisch und illegal. Wir sind der Ansicht, dass die britische Regierung internationales Recht nicht unterminieren darf. Und wir hoffen, dass unsere Aktion wenigstens einige der Labour-Spitzenpolitiker eines Besseren belehrt und somit dazu beiträgt, die Plattform für weitere Kampagnen gegen einen Irak-Krieg zu verbreitern und den Widerstand gegen die militärische Expansion der USA und gegen jegliche britischen Interventionspläne zu stärken.

Ian Martin ist Pressesprecher der britischen Campaign for Nuclear Disarmament
Übersetzung: Annette Hauschild

Sind Kriegseinsätze Nebensache?

Sind Kriegseinsätze Nebensache?

Über den Einfluss der »Kriegsdebatte« auf die Wahlen

von Dietmar Wittich

Es war eine Novität, und kaum jemand hat es bemerkt: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik befanden sich zu Wahlzeiten deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen, darunter auch in Kampfeinsätzen, und doch hat diese Tatsache im Wahlkampf keine – genauer sogar eine abnehmende – Rolle gespielt. Das Resultat scheint paradox. Obwohl der Anteil der Kriegsgegner in der deutschen Bevölkerung nicht gerade klein ist, endeten die Wahlen mit einem totalen Erfolg derer, die diese Kriegseinsätze politisch zu verantworten haben beziehungsweise ihnen zustimmen. Die einzige politische Kraft, die sich konsequent gegen den Einsatz militärischer Mittel bei internationalen Konflikten stellt, erlitt eine Niederlage, blieb deutlich unter fünf Prozent und ist nur noch mit zwei Einzelabgeordneten im Deutschen Bundestag vertreten. Der Vorgang bedarf der Analyse.
Fünfzig Jahre haben die Deutschen darauf verzichtet, ihre Soldaten in anderer Herren Länder zu schicken. Nun wurde eine Wende von grundlegender Bedeutung vollzogen, mit dem »Krieg gegen den Terror« wurde eine Neuordnung der Welt in Angriff genommen, und Deutschland ist als Juniorpartner der USA mit dabei. Gäbe es in Deutschland darüber eine öffentliche Diskussion, würde sich sehr rasch zeigen: Die Wiederentdeckung des Krieges als Mittel deutscher Politik ist im Lande nicht unumstritten. Es ist zwar keine Mehrheit, aber es sind auch nicht wenige, die militärische Gewalt und deutsche Kriegsbeteiligung ablehnen. 40 bis 45 Prozent der Deutschen sind Kriegsgegner, aber ihre Positionen kommen in der veröffentlichten Meinung kaum vor.

Die unmittelbaren Reaktionen der Deutschen auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 waren Entsetzen über die unerwartete Grausamkeit, Ablehnung von Terror und Angst vor Terror sowie eine weitgehend einhellige und durch alle Lager gehende Solidarität mit den USA und ihrer Bevölkerung. Die internationale Sicherheit stieg zu einem der wichtigsten Problemfelder in der öffentlichen Wahrnehmung auf. Die von Gerhard Schröder verkündete »uneingeschränkte Solidarität« der Bundesrepublik konnte sich darauf stützen, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung sich für eine Unterstützung der USA durch Deutschland aussprachen. In den folgenden Tagen kündigte der US-Präsident Bush einen „monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse“ an, und schon war die Rede vom „größten Militäreinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die öffentliche Meinung in Deutschland reagierte darauf gespalten, eine knappe Hälfte war dafür, gegen Urheber und Hintermänner des Terrors mit militärischer Härte vorzugehen. Allerdings waren zugleich etwa 60 Prozent dagegen, dass dazu auch Bodentruppen eingesetzt werden sollten. Die Luftangriffe auf Afghanistan, die Anfang Oktober begannen, hielten knapp 80 Prozent der Deutschen für gerechtfertigt. Aber schon bald mischten sich Zweifel hinein, dass die USA nur militärische Ziele angriffen, darauf vertrauten nur 60 Prozent der Deutschen, 40 Prozent zweifelten daran, im Osten mehr als die Hälfte. Diese Tendenz verstärkte sich in den folgenden Tagen. Je länger sich die Luftangriffe hin zogen, desto weniger Deutsche hielten sie für einen sinnvollen Beitrag zu Bekämpfung des Terrorismus, die Relationen waren schließlich 53 zu 47, im Osten waren die Zweifel schon deutlich stärker.

Bereits Mitte Oktober wurde in den Medien darüber spekuliert, ob Bundeswehrtruppen bei den Kampfhandlungen in Afghanistan eingesetzt würden. Zu diesem Zeitpunkt waren nur knapp 40 Prozent der deutschen Bevölkerung für einen Bundeswehreinsatz, reichlich 60 Prozent waren dagegen, im Westen etwa 55 Prozent, im Osten mehr als drei Viertel. Als Anfang November die Entscheidung des Bundestages über einen solchen Einsatz tatsächlich anstand, gab es in der Bevölkerung insgesamt immer noch eine Mehrheit gegen den Einsatz der Bundeswehr, aber diese Mehrheit kam allein durch das Meinungsbild im Osten zustande, im Westen hielten sich Befürworter und Gegner von Bundeswehreinsätzen inzwischen die Waage.

Anfang März waren diese Einsätze knapp zwei Monate im Gange. Der Nachrichtenlage nach waren dort eingesetzte Bundeswehrangehörige mit Schutz- und Sicherheitsaufgaben betraut, über Verwicklungen in Kampfhandlungen wurde nichts bekannt. Entsprechend hatte sich das Meinungsbild in der deutschen Öffentlichkeit verändert. Nunmehr stimmten 58 Prozent der Deutschen den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan zu und 42 Prozent lehnten sie ab, eine mehrheitliche Akzeptanz somit bei gleichzeitig recht starker Ablehnung. Zugleich hatte sich das Meinungsbild zwischen Ost und West stark auseinander entwickelt. Es stellte sich nahezu seitenverkehrt dar, im Westen stimmten knapp zwei Drittel den Einsätzen zu, im Osten lehnten sie ebenso viele ab. Einige Tage danach kam es zu den ersten toten und verwundeten deutschen Soldaten in Afghanistan. An den Relationen im Meinungsbild hatte sich jedoch wenig verändert, nunmehr stimmten noch 56 Prozent den Einsätzen zu, die Ablehnung war um 2 Prozent auf nunmehr 44 Prozent angewachsen. Die Befürwortung hatte in West und Ost abgenommen, aber die Relationen waren unverändert geblieben. In einem halben Jahr war somit die anfängliche leichte Mehrheit gegen Bundeswehreinsätze in Afghanistan in eine leichte Mehrheit von Befürwortern dieser Einsätze umgeschlagen.

Das war die Situation, bevor in Deutschland bekannt wurde, dass deutsche Soldaten auch an Kampfhandlungen beteiligt sind. Im Zusammenhang mit den ersten Toten und Verletzten im März sickerte an die Öffentlichkeit, dass etwa Hundert Angehörige des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr bei den Bodenkämpfen der Operation »Anaconda« mit im Einsatz waren. Diese Information über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten bei Bodenkämpfen im Osten Afghanistans hatte eine deutliche, aber keine umwälzende Veränderung in der öffentlichen Meinung mit sich gebracht. Es war insgesamt eine sehr knappe Mehrheit von 51 Prozent der Deutschen, die den Einsatz der KSK-Soldaten richtig finden, 45 Prozent lehnten diesen Einsatz ab, 4 Prozent hatten sich dazu keine Meinung gebildet.

Insgesamt stellte sich damit das Meinungsbild in der Bundesrepublik auch zu Beginn des Wahlkampfes stabil dar. Während die politischen Eliten der Bundesrepublik Deutschland voll auf den Kurs setzen und ihn praktizieren, dass die Bundeswehr sich beteiligt am »Krieg gegen den Terrorismus«, der ein Krieg für eine neue Weltordnung ist, können sie sich dabei in der Bevölkerung nur auf eine sehr dürftige Mehrheit stützen. Mit zwischen 40 und 45 Prozent haben die Gegner von Militäreinsätzen gleichfalls starke Positionen. Skepsis in dieser Frage ist und bleibt in Deutschland sehr verbreitet.

Bemerkenswert ist, dass es bis zum Wahltag insgesamt bei diesen Relationen geblieben ist, es hat nicht etwa einen Umschwung im Meinungsbild zu dieser Frage gegeben, wie sich anhand empirischer Analysen vom September belegen lässt.

Fast drei Viertel der Deutschen hielten es für richtig, dass allein die UNO Maßnahmen für die Sicherung von Frieden und Menschenrechten ergreifen kann. Lediglich 23 Prozent hielten das nicht für richtig. Knapp 3 Prozent haben die Frage nicht beantwortet. Die Meinungsbilder in West und Ost waren dabei nahezu identisch. Im Kontext der Fragestellung bedeutet das, dass nach Mehrheitsauffassung die Legitimierung durch die UNO die Voraussetzung ist für die Beteiligung einzelner Länder.

Wie stand es nun mit der Legitimation, dass die westlichen Zivilisationen für die Sicherung von Frieden und Menschenrechten eine besondere Verantwortung hätten und deshalb zu militärischen Operationen berechtigt wären?

Die Meinungen dazu waren deutlich gespalten. 48 Prozent hielten diese Argumentation für richtig und sahen damit die USA und die Nato zu entsprechendem Eingreifen legitimiert. Aber fast ebenso viele, nämlich 47 Prozent, hielten das nicht für richtig. Die entsprechende Argumentation, die bereits bei dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 eingesetzt worden war, und die entsprechende politische Praxis hatten also nach wie vor keine Mehrheit in der Bevölkerung. Die politische Gegenposition kann auf einen erheblichen Rückhalt in der Öffentlichkeit verweisen. Zugleich waren erhebliche Unterschiede im Meinungsbild zwischen West und Ost erkennbar. Im Westen waren 51 Prozent für eine besondere Verantwortung der westlichen Länder, immerhin 43 Prozent erklärten sich dagegen. Im Osten sprach sich mit 61 Prozent eine deutliche Mehrheit dagegen aus, Zustimmung äußerten nur 37 Prozent.

Auch bezüglich einer Beteiligung Deutschlands waren die Meinungen geteilt. Allerdings waren die Relationen etwas anders. Insgesamt hielt eine knappe Mehrheit von 54 Prozent die Auffassung für richtig, dass zur Durchsetzung von Frieden und Menschenrechten Deutschland sich mit seinen Verbündeten an Kriegseinsätzen beteiligen könne. 42 Prozent waren es, die das nicht für richtig hielten. Die große parlamentarische Mehrheit, die entsprechende politische Entscheidungen getragen hat und trägt, kann sich also nur auf eine schmale Zustimmung in der Bevölkerung in dieser Frage stützen. Politische Gegenpositionen haben somit gleichfalls eine starke Unterstützung.

Bezüglich der allgemeinen Frage, ob militärische Mittel überhaupt zur Lösung internationaler Konflikte und zur Durchsetzung von Menschenrechten geeignet sind, erwies sich das Meinungsbild als gespalten. 48 Prozent hielten generell militärische Mittel für nicht geeignet, 47,4 Prozent vertraten die gegenteilige Position, knapp 5 Prozent hatten dazu keine Meinung geäußert. Der West-Ost-Unterschied war deutlich. Im Westen schlossen sich 46 Prozent der Meinung an, dass militärische Mittel ungeeignet sind, im Osten waren 54 Prozent dieser Meinung. Im Westen waren 49 Prozent gegen diese Meinung, im Osten waren das nur 41 Prozent.

Die Analyse unter politischen Aspekten offenbarte allerdings Widersprüche. Zwar zeigten sich erhebliche Unterschiede zwischen den Anhängerschaften der einzelnen Parteien. Am häufigsten wurde die Meinung, dass diese Mittel dafür ungeeignet sind, in den Wählerschaften der Grünen (62 Prozent) und der PDS (60 Prozent) geteilt. Aber auch bei der SPD (55 Prozent) und der FDP (52 Prozent) waren leichte Mehrheiten dieser Meinung. Bei der CDU standen immerhin auch 42 Prozent auf dieser Position. Auch bei den Unentschlossenen und den Nichtwählern waren diese Anteile beachtlich. Das heißt aber zugleich, dass die Differenz zwischen Meinungen erheblicher Teile der Wählerschaft und den Positionen und politischen Entscheidungen der Parteien unmittelbar vor den Wahlen keinen hinreichenden Grund bildete, diese Parteien nicht zu wählen. Und am Wahltag selbst zeigte sich, dass diese Frage für zuvor Unentschlossene letztlich auch nicht wahlentscheidend war.

Ähnlich gespalten waren die Meinungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, also zur direkten Beteiligung des deutschen Staates, in dem Wahlen anstanden, am Einsatz eben dieser militärischen Mittel.

Zu diesem Zeitpunkt war die schon oft gemessene leichte Mehrheit von 55 Prozent der Meinung, dass die Bundeswehr diese Einsätze weiter wahrnehmen sollte. Insgesamt 45 stimmten dieser Aussage nicht zu. Umgekehrt stellen sich die Relationen bezüglich eines vollständigen Rückzuges der Bundeswehr, hier stimmten reichlich 44 Prozent für und reichlich 55 Prozent gegen den Rückzug. Anders waren die Relationen in den Meinungen zum Einsatz von schwerem Gerät (Spürpanzer, Kriegsschiffe) und Kampftruppen (Kommando Spezialkräfte). Für deren Rückzug gab es eine leichte Mehrheit von 57 Prozent.

Während US-Regierung eine Ausweitung des »Krieges gegen den Terrorismus« auf den Irak schon seit Monaten ankündigte, stieß das von Beginn an auf eine breite Ablehnung. Bereits im Frühjahr waren etwa drei Viertel der Deutschen dagegen. Im August forcierte George W. Bush jun. seine Ankündigungen von Kriegsoperationen. Nach einigem Zögern erklärte der Bundeskanzler für die Regierung, dass sich Deutschland nicht daran beteiligen werde. Das entsprach dem Meinungsbild in der deutschen Öffentlichkeit. Seit Anfang August war beobachtet worden, dass sich weiterhin knapp drei Viertel der Deutschen sowohl gegen die Ausweitung wie gegen eine deutsche Beteiligung daran aussprachen. Es waren fast zwei Drittel, die der ablehnenden Haltung der Bundesregierung zustimmten, im Westen geringfügig weniger, im Osten etwas mehr. Für falsch hielt weniger als ein Drittel die Haltung der Bundesregierung. Anfang September waren es mit über 70 Prozent noch mehr, die der Haltung der Regierung zustimmen, und nur noch ein Viertel hielt sie für falsch.

Auch in dieser Frage zeigten sich Widersprüche. Nur 38 Prozent der Deutschen hielten diese Aussagen für glaubhaft. 58 Prozent hielten sie nicht für glaubhaft und sahen sie im Zusammenhang mit Wahlkampftaktik. Im Osten war dabei die Skepsis noch deutlich stärker als im Westen. Insgesamt war damit zu konstatieren, dass eine große Mehrheit in Deutschland eine Ausweitung des Krieges auf den Irak und eine Beteiligung Deutschlands daran ablehnt. Damit übereinstimmende Aussagen der Bundesregierung finden eine entsprechend breite Zustimmung, die allerdings von einer verbreiteten Skepsis begleitet wird.

Aber entscheidend war – und das blieb bis zu den Wahlen so –, dass mit dieser Erklärung der damals amtierenden Bundesregierung gegen eine deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak das Friedensthema erfolgreich an den Rand gedrängt wurde und aus den öffentlichen politischen Auseinandersetzungen verschwand. Insgesamt war die Stimmungslage in der Gesellschaft in den Wochen vor den Wahlen widersprüchlich. In der Problemwahrnehmung hatten Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Situation deutliche Priorität, andere Problemkomplexe erschienen diesen gegenüber deutlich nachgeordnet. Das betraf neben solchen Problemen wie Bildung und sozialen Ungerechtigkeit eben gerade auch die Fragen der internationalen Sicherheit und der Einsätze militärischer Mittel. Noch ein Jahr zuvor hatte dieses Thema für eine Mehrheit der Deutschen Priorität, jetzt wurde es kaum noch als bedeutsam angesehen. Der SPD und den Grünen, in deren Umfeldern große Anteile von Kriegsgegnern sind, ist es in diesem Zusammenhang gelungen, zuvor drohende Abwanderungen von Wählerinnen und Wählern zu vermeiden.

Die Unzufriedenheit mit der Politik auf Bundesebene war groß im Wahljahr in der Gesellschaft der Deutschen. Entsprechend war die Akzeptanz der rosa-grünen Regierungsparteien relativ niedrig und wurde vom Zuspruch zu den schwarz-gelben Oppositionsparteien übertroffen. Auch die PDS schien davon zu profitieren, vor allem ihr konsequentes Eintreten gegen Krieg und Kriegseinsätze deutscher Soldaten hatte ihr im Laufe des letzten Jahres einen Akzeptanzgewinn gebracht. So war es, bis das Hochwasser kam. Als es abgeflossen war, war die Unzufriedenheit im Lande nicht geringer, aber der Vorsprung der Oppositionsparteien war dahin. Am Ende – im Ergebnis der Wahlen – waren die alten Regierungsparteien auch wieder die neuen, die Konservativen und die Liberalen hatten sich stabilisiert, konnten aber eine Mehrheit nicht erreichen. Die Linkssozialisten blieben deutlich unter 5 Prozent und sind im Parlament nur durch zwei direkt gewählte, fraktionslose Abgeordnete vertreten.

Zweifellos ist es so, dass die Relativierung der Krieg-Frieden-Problematik mit Nachteilen für die PDS verbunden war. Allerdings muss sie sich auch die Frage gefallen lassen, warum sie nicht entschiedener für dieses für sie profilbestimmende Thema gekämpft hat. Gleichzeitig können die Gründe ihrer Niederlage nicht auf das Thema Krieg-Frieden reduziert werden. Für die PDS gibt es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Schritt von Gregor Gysi und einen deutlichen Akzeptanzverlust in der Öffentlichkeit. Dessen Rücktritt wirkte gleichsam als Initialzündung für den Niedergang der PDS. Dass es bis zu den Wahlen dabei, blieb hängt zum einen mit Prioritäten in der Stimmungslage und sicher auch mit dem Lagerwahlkampf zusammen, der die PDS an den Rand drückte, aber zum anderen auch mit der Wahrnehmung ihrer politischen Substanz. Der PDS wurden in den letzten Wochen vor den Wahlen nur in sehr geringem Umfang Kompetenzen zugeschrieben, und auch ihr Personal wurde wenig wahrgenommen.

Auch ist die Tatsache, dass die PDS an die Regierungsparteien Wähler verlor – an die SPD im Osten, an die Grünen im Westen, kein Beleg dafür, dass die Antikriegs-Aussagen ausschlaggebend waren. Das zeigt ein Blick auf die Wählerwanderungen: 1998 hatte die PDS ein positives Wanderungssoldo zu den anderen Bundestagsparteien, nur zu den sonstigen Parteien gab es einen Verlust. Bei den Wahlen vom 22. September 2002 hat die PDS nahezu durchweg Verluste zu verzeichnen.

Zu den Parteien gibt es die größten Verluste der PDS gegenüber der SPD, 1998 hatte sie noch einen Wanderungsgewinn von 80 Tausend, jetzt ist es ein Verlust von 290 Tausend. Auch von der CDU gab es 1998 noch einen Wanderungsgewinn von 90 Tausend, jetzt wurden an sie 50 Tausend verloren. Selbst an die FDP, von der 1998 noch 10 Tausend gewonnen worden waren, gibt es jetzt einen Verlust von 20 Tausend. Gegenüber den Grünen, von denen es 1998 noch einen Gewinn von 40 Tausend gegeben hatte, ist das Saldo diesmal ausgeglichen. An die sonstigen Parteien waren 1998 noch im Saldo 50 Tausend verloren worden, 2002 gibt es einen Gewinn von 20 Tausend.

Die PDS hat vor allem Wähler verloren bei jungen Leuten (sie hat den niedrigsten Erstwähleranteil aller Parteien, selbst die sonstigen Parteien liegen insgesamt darüber), bei in Ausbildung befindlichen, besonders bei jungen Frauen, bei höher Gebildeten, bei Angestellten generell, bei Selbstständigen, bei Arbeitslosen und bei Menschen ohne kirchliche Bindung. Man kann daraus schlussfolgern, dass sich damit Entwicklungen der letzten Jahre, in denen es der PDS zu gelingen schien, in die jungen, dynamischen und kreativen Potenziale der Gesellschaft vorzudringen, wieder umgekehrt haben. Dies sind allerdings zugleich Gruppen, in denen die Ablehnung von Krieg und deutscher Kriegsbeteiligung besonders stark ist.

Objektiv existiert in der Gesellschaft eine Gemengelage ungelöster Probleme und Konflikte. Die Einsätze deutscher Soldaten in Afghanistan, am Horn von Afrika, auf dem Balkan und anderswo gehören dazu. An dieser Gemengelage haben die Wahlen nichts verändert. SPD und Grüne haben die Wahlen kaum deshalb gewonnen, weil ihnen die Lösung der Probleme zugetraut wird, sondern weil Mehrheiten glauben, dass sich eine solche Regierung mit etwas größerer Behutsamkeit zu ihnen verhalten wird. Schon jetzt wird deutlich, dass die im Amt bestätigte Bundesregierung in ihrer Ablehnung einer Ausweitung des »Krieges gegen den Terrorismus« nicht sehr konsequent ist, die Differenz zur US-Regierung ist eher taktischer Natur. Für eine wirklich sozial orientierte Reformpolitik und als parlamentarische Stimme für die etwa 30 Millionen Kriegsgegner in Deutschland wäre eine linke Opposition wichtig gewesen.

Dietmar Wittich ist Soziologe in Berlin, Mitglied der Redaktion von »Utopie kreativ«, Forschungen und Publikationen zu politischer Soziologie und Ungleichheitsforschung, zuletzt: Wahlzeiten, Kriegszeiten, andere Zeiten, Hamburg 2001.

Wie Bewegung in den Frieden kam

Wie Bewegung in den Frieden kam

von Beate Zilversmidt

Nach Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada wurde es sehr ruhig um »die Friedensbewegung« in Israel – zumindest, was deren Einfluss auf die öffentliche Meinung und deren Präsenz in den Medien, national wie international, betrifft. Beate Zilversmidt, eine der herausragenden Aktivistinnen von Gush-Shalom, beschreibt für Wissenschaft und Frieden detailliert eine Reihe von scheinbar zufälligen Ereignissen Anfang des Jahres 2002, die zusammenwirkten und deren Eigendynamik zu einer wichtigen Veränderung führte: Die Friedensbewegung wird wieder ernst genommen. Diese Entwicklung hat die Regierung von Scharon und die militärische Führung verunsichert. Das Ergebnis ist eine verstärkte öffentliche Debatte um das Thema Kriegsverbrechen – und eine mit aller Heftigkeit geführte Hetzkampagne gegen Gush-Shalom und seine Mitglieder.
Mehr als ein Jahr lang war die einzige kritische Reaktion auf die zunehmend brutale Unterdrückung der Palästinenser der Protest »radikaler Randgruppen«. Als für den 9. Januar 2002 in Tel Aviv im Saal des Tzavta Clubs eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Thema Kriegsverbrechen1 angesetzt war, hatten wir noch nicht die leiseste Ahnung, dass die Stimmung sich ändern würde. Etwa 250 Menschen füllten den von Gush-Shalom angemieteten Raum. Sechs Redner saßen gedrängt hinter dem Podiumstisch: Ein pensionierter Oberst der Luftwaffe, ein Ex-Minister, ein Philosophieprofessor, ein ehemaliger Brigadegeneral und jetziger Sozialwissenschaftler, ein Experte für Internationales Recht und ein Vertreter der PLO.

Yigal Shochat, ehem. Oberst der Luftwaffe, war eingeladen worden, weil er einige Monate vorher in einem Leserbrief, die Kampfpiloten aufgefordert hatte, Befehle zur Bombardierung ziviler Wohngebiete zu verweigern. Er hatte lange gezögert, bevor er zusagte auf das Podium zu gehen, doch sein Vortrag hinterlies einen ungeheueren Eindruck.

Der Jurist Eyal Gross forderte die »verweigernden Soldaten« – die nicht bereit sind mit Bulldozern palästinensische Häuser zu zerstören – auf, gegen eine Gefängnisstrafe anzugehen und ihren Fall vor ein reguläres Gericht zu bringen. Ein Anwalt, der sich auf die Einhaltung der Genfer Konventionen berufe – die Israel unterzeichnet hat – könne unter Umständen auch einen Freispruch erreichen.

Dov Tamari, Sozialwissenschaftler mit militärischem Background, hat bestimmt keinen besonders radikalen Ruf. Umso mehr überraschte seine Militärkritik. Die militärische Theorie ist für ihn im 19. Jahrhundert stehen geblieben, als es noch das Ideal des Krieges als Kampf zwischen zwei Armeen gab, in Unabhängigkeitskriegen sei der Kontext jedoch ein völlig anderer: „Es ist ein großer Fehler, alles was nicht in die überholte Militärtheorie passt, als Terrorismus zu bezeichnen.“

Michael Tarazi, der PLO-Vertreter, schilderte die schockierenden Erfahrungen der Palästinenser, sich während der Jahre des Oslo-Prozesses einem Verhandlungspartner ausgeliefert zu wissen, der sich nicht an internationale Gesetze gebunden fühlt. Er zitierte einen israelischen Militärsprecher mit den Worten: „Wir werden die Genfer Konvention nur einhalten, wenn wir dazu gezwungen werden.“

Professor Adi Ophir rief die Friedensbewegung auf, Beweise zu sammeln, die zukünftig vor einem internationalen Gerichtshof genutzt werden könnten. „Das wird unsere Isolation in der israelischen Gesellschaft vergrößern“ sagte er (und das dachten wir damals alle), „aber wir müssen uns alle fragen, ob die Zeit nicht reif ist, für dieses Vorgehen und auch dafür den Preis zu bezahlen.“

Shulamit Aloni sprach als letzte, die große alte Dame der Meretz-Partei und der Menschenrechtsbewegung, die der Regierung von Rabin angehört hatte. „Wir müssen den größten Teil der Arbeit selbst tun“, betonte sie. „Erwartet nicht viel von der internationalen Gemeinschaft. Viele Menschen dort haben zuviel Angst für Antisemiten gehalten zu werden. Es liegt an uns, mit den Tatsachen an die Öffentlichkeit zu gehen.“

In derselben Nacht, in der diese Diskussion stattfand, nahm die Armee Rache für einen früheren Guerillaangriff gegen einen isolierten Vorposten, dem vier Soldaten zum Opfer gefallen waren: Sie zerstörte 60 bis 70 Häuser im Flüchtlingslager Rafah, am südlichen Ende des Gaza-Streifens. Shulamit Aloni, die am folgenden Tag den belagerten Arafat in Ramallah besuchte, bezeichnete die Zerstörung der Häuser in einem Interview mit dem palästinensischen Fernsehen als Kriegsverbrechen. Vom israelischen Fernsehen ins Kreuzverhör genommen bestätigte sie später die Verwendung des Begriffs »Kriegsverbrechen« mit einem Hinweis auf ihr Auftreten im Tzavta Club.

Die massive Vergeltung, die Hunderte von unschuldigen Flüchtlingen wieder heimatlos machte und internationale Fernsehberichte über Kinder, die in den Trümmern nach ihren Spielsachen suchten, verursachten weltweiten Protest. Selbst Bush konnte dazu nicht schweigen und aus dem Weißen Haus gab es ein wenig Kritik.

Die Kritik von außen haben Sharon und die Armeeführung sicher vorhergesehen, womit sie wahrscheinlich nicht gerechnet hatten, das war der Protest in Israel; ein Protest, der nicht begrenzt war auf die »Übriggebliebenen« aus der alten Friedensbewegung. Die 150 Demonstranten, die spontan vor dem Verteidigungsministerium in Tel-Aviv auftauchten, waren nur der Anfang. Es folgte eine Welle kritischer Berichte und Leitartikel in der Presse und scharfer Protest von prominenten Akademikern. Die Möglichkeit, dass die Taten der Bulldozerfahrer als Kriegsverbrechen gelten könnten, und die Idee, dass jeder Soldat für seine Teilnahme an solchen Aktionen verantwortlich ist, wurden plötzlich zum öffentlichen Thema. Gush-Shalom stand völlig unerwartet eine Woche lang im Rampenlicht, weil es eine sehr vorsichtige öffentliche Diskussion initiiert hatte.

Tatsächlich waren bei der Diskussionsveranstaltung zum Thema Kriegsverbrechen keine Fernsehkameras präsent, nur ein einziger Rundfunkreporter hatte einige der Reden aufgezeichnet und Ausschnitte gesendet. Für den Justizminister Sheetrit immerhin Anlass zu fordern, dass „nicht unsere Soldaten zur Rechenschaft gezogen werden…, sondern diejenigen, die öffentliche Anschuldigungen gegen sie vorbringen.“ Aber die Versicherung des Ministers verhinderte nicht eine Verunsicherung im Offizierskörper. In der Folge berichteten die Medien über Berufsoffiziere, die sich um juristische Beratung bemühen, aus Angst vor der Möglichkeit bei Auslandsreisen verhaftet und wegen Kriegsverbrechen unter Anklage gestellt zu werden.

In dieser Atmosphäre trafen sich die Aktivisten verschiedener Gruppen (ICAHD2, Coalition of Women for Peace und die jüdisch-arabische Ta’ayush-Bewegung), um neben der humanitären Hilfe – dem Sammeln von Decken für die Opfer der Zerstörungen – den politischen Widerstand zu besprechen. In der West Bank hätte man einen Marsch mit Hunderten von Aktivisten organisieren können, die demonstrativ Decken übergeben – aber der Gaza-Streifen ist für Israelis (außer für Militär und Siedler) hermetisch abgeriegelt und Lieferungen sind nur heimlich und indirekt möglich. Hinzu kam, dass aufgrund des Versprechens der Regierung, zukünftig auf die Zerstörung von Häusern zu verzichten (ein Versprechen das – wie sich später herausstellte – nicht gehalten wurde), das Thema der Häuser von Rafah schnell aus den Medien verschwand. Um trotzdem ein klar sichtbares Zeichen gegen die Besatzung an sich zu setzen wurde eine Samstagabend-Massendemonstration in Tel-Aviv erwogen. Aber dies hielten die anwesenden kleineren Gruppen für nicht machbar, lediglich Peace Now traute man zu, so etwas auf die Beine zu stellen. Doch Peace Now war zu diesem Zeitpunkt gegen das Thema Kriegsverbrechen.

Inzwischen eskalierte die Gewaltspirale weiter – auch mit vielen israelischen Opfern – und so wurde am 23. Januar die Entscheidung getroffen, auch ohne die Teilnahme von Peace Now eine Demonstration »im Stil von Peace Now« zu veranstalten.

Das Geld sollte von den beteiligten Gruppen und Privatpersonen aufgebracht werden und es zeigte sich eine ungewöhnlich große Spendenbereitschaft – von Israelis, die eine solche Demonstration unbedingt wollten und von Sympathisanten aus dem Ausland (z.B. der niederländischen Gruppe »Eine andere jüdische Stimme«).

Am 25. Januar erschien dann die Erklärung von 56 Reserveoffizieren und Soldaten, alle aus Kampfeinheiten, die ankündigten, dass sie nicht länger bereit seien in den besetzten Gebieten ihren Militärdienst abzuleisten. Während der letzten 20 Jahre gab es immer wieder einzelne Reservisten, die sich der Verweigerergruppe Yesh Gvul mit ihren deutlichen politischen Positionen anschlossen. Yesh Gvul betrieb sehr aktive Aufklärungsarbeit bei den Soldaten, die sie über ihr Recht zur Verweigerung »offensichtlich illegaler Befehle« informierten. Aber es hatte nach dem Libanonkrieg keine weiteren Fälle massenhafter Verweigerung bei Reservisten oder Wehrpflichtigen gegeben.

Durch die Kriegsdienstverweigerer bekam die Diskussion um das Thema Kriegsverbrechen eine neue Dimension. Die Militärführung zeigte sich äußerst verunsichert und drohte mit harten Strafen. Das gesamte politische Establishment, einschließlich mehrerer Meretz-Abgeordneter, sprach sich gegen die Verweigerer aus. Doch Meinungsumfragen zeigten, dass sich 25%-30% der israelischen Bevölkerung mit ihnen identifizierten. Innerhalb weniger Wochen stieg – ständig in den Medien veröffentlicht – die Anzahl der Neuunterzeichner des umstrittenen Briefes der Soldaten auf über 300.

Die unterschiedliche Bewertung der »Verweigerer« verhinderte dann aber eine einheitliche Großdemonstration. Während die ursprünglichen Organisatoren – die sogenannten radikalen Gruppen (insgesamt 28 größere und kleinere Organisationen) – der Überzeugung waren, dass gerade den Verweigerern eine zentrale Rolle gegeben werden müsse, wollten die Sprecher von Peace Now mit den »Verweigerern« nicht auf ein Podium.

Im Ergebnis fanden schließlich zwei Massendemonstrationen innerhalb von acht Tagen statt: Am 9. Februar die Demonstration der 28 kleineren und mittleren Organisationen unter dem Motto »Die Besatzung tötet uns alle!«. Zum ersten Mal benannten 10.000 Teilnehmer die Besatzung als Ursache des gesamten Problems – und das zu einer Zeit, in der fast täglich Gewalttaten beider Seiten zu verzeichnen waren. Auf der Kundgebung traten neben bekannten Persönlichkeiten wie Shulamit Aloni und Uri Avnery auch mehrere arabische Redner und drei Vertreter der Verweigererorganisationen auf.

Als Peace Now eine Woche später noch fünfzig Prozent mehr Demonstranten auf dem gleichen Platz versammeln konnte, da war klar: Das Friedenslager ist aufgewacht.

Anmerkungen

1) Vgl.: http://www.gush-shalom.org/archives/forum_eng.html (Protokoll der Anhörung)

2) Israeli Committee Against House Demolition (http://www.icahd.org)

Beate Zilversmidt ist eine der zentralen Persönlichkeiten von Gush Shalom und Mitherausgeberin der Zeitschrift »The other Israel«.
Übersetzung: Claudia Haydt

Greenpeace und das neue Paradigma der Gewalt

Greenpeace und das neue Paradigma der Gewalt

von Wolfgang Lohbeck

Die Zeiten, als Greenpeace-Aktivisten gegen die französischen Atomtests im Pazifik kreuzten, als Greenpeace-Fahnen ein nicht weg zu denkendes Element jeder Friedensdemo waren, liegen ein paar Jahre zurück. Ändert sich das wieder? Wolfgang Lohbeck über die Diskussion bei Greenpeace nach dem 11. September und über Zusammenhänge zwischen Umwelt- und Friedensbewegung.
Die Feststellung, die Welt habe sich seit dem 11.9. verändert, gehört inzwischen zum Repertoire der Gemeinplätze. Doch was hat sich verändert? Auch vor dem 11.9. war unsere Welt dominiert vom Gewaltprinzip, galt durchweg das Recht des Stärkeren, auch vor diesem Datum waren – ob im Wirtschaftsleben oder im Kino – die Vorbilder diejenigen, die sich ihr »Recht« nahmen und die nicht lange fackelten. Aber eines war anders. Es gab eine Art allgemeine Übereinkunft darüber, dass es des Dialogs bedarf, um die jeweiligen Vorstellungen von dem, was »das Recht« ist, gegeneinander abzuwägen und dass es nicht angeht, dass sich jeder sein vermeintliches Recht nach Gutdünken nimmt.

Dieser Grundkonsens wurde offensichtlich erschüttert. Krieg ist für viele wieder ein legitimes, ja normales Mittel der Politik geworden. Die in Ansätzen vorhandene Kultur der politischen Konfliktlösung wurde zerstört, der »Kampf gegen den Terror« zum Vorwand für strategische Machtpolitik. Vor dem Hintergrund der erneuten Einteilung der Welt in Gut und Böse vollzieht sich ein Wertewandel, Gewalt und Rücksichtslosigkeit gewinnen an Dominanz, ein Rückfall in – fast möchte man sagen, barbarische – Ideologien und Verhaltensweisen vormittelalterlicher Prägung.

Dass die verbliebene Supermacht schon früher wenig Interesse und noch weniger Verständnis für die Ansichten Anderer hatte, ist bekannt. Inzwischen werden fast nach Belieben internationale Verträge und Absprachen, ob ABM-Vertrag oder Klimaabkommen, ohne Argumente, nur aufgrund der eigenen Stärke, aufgekündigt oder ignoriert. Ein Verhalten, das früher eher dem eines »Schurkenstaates« würdig war.

Entscheidungsträger hierzulande versuchen die »militärischen Maßnahmen« (das Wort Krieg wird vermieden) zu rechtfertigen: Man müsse dabei sein, um Mitsprache zu haben. Führende Vertreter der Partei, die aus der Friedens- und Umweltbewegung hervorgegangen ist und nun Regierungsverantwortung trägt, verunglimpfen Friedensengagierte und Pazifisten als realitätsblinde Gesinnungstäter (Staatssekretär Vollmer in der FR vom 07.01.02).

Es ist kein Zufall, dass sowohl Greenpeace wie auch die Friedensbewegung in der Vergangenheit nicht allein für den Frieden respektive den Umweltschutz aktiv waren. Die »Umwelt-Organisation« Greenpeace hat nicht umsonst »peace« im Namen, und die Friedensbewegung fühlte sich immer auch der Ökologie verpflichtet. Es ist schwer vorstellbar, für den Frieden aktiv zu sein, aber gleichgültig gegenüber der Umwelt, und das gilt auch umgekehrt.

Mit dem »peace« im Greenpeace- Namen verbinden sich denn auch zahlreiche der bedeutendsten und inspirierendsten Aktionen der Greenpeace-Geschichte. Zum Beispiel der Flug des Heißluftballons Trinity in west- östlicher Richtung über die Mauer und der damit verbundene Protest gegen die Rüstungsspirale, der Marsch von Greenpeace-Aktivisten durch das amerikanische Atomtestgelände in Nevada, die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die französischen Atomtests im Pazifik, die Evakuierung von Strahlenopfern von der durch US- Nukleartests verseuchten Pazifik-Insel Quajalein nach Rongelap.

In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt der Arbeit aber verschoben, weg vom »peace« zugunsten des »green«. Friedensarbeit, Aktivitäten gegen Rüstung und Waffensysteme (Landminen) oder Nuklearpolitik sind etwas in den Hintergrund getreten. Die Gründe sind weder strategischer noch ideologischer Natur. Aber auch bei Greenpeace gibt es so einfache Geschehnisse wie den Weggang wichtiger Mitarbeiter und den damit verbundenen Verlust kollektiven Gedächtnisses. Hinzu kam die immer drängender werdende akute und unabweisbare Brisanz anderer, vorwiegend Verbraucher orientierter Themen, etwa das Vordringen der Gentechnik in den Bereich von Landwirtschaft und Lebensmittel, oder die Chance, mit beispielhaften technischen Lösungen, wie dem »Greenfreeze«, dem ersten FCKW/ FKW- freien Kühlschrank der Welt, der (technischen) Entwicklung eine andere Richtung zu geben. Greenpeace hat versucht, diese Chancen aufzugreifen und hat auf neue thematische Herausforderungen wie die Gentechnik oder das drohende Verschwinden der großen Urwälder reagiert – und dabei zeitweise die Entwicklung der Gesellschaft zu immer höherer Gewaltbereitschaft und zur Militarisierung der Politik aus dem Auge verloren.

Mit der Opposition gegen Rüstung und Krieg verbindet sich aber ein wesentlicher, unverzichtbarer Anteil der Greenpeace-Identität. Greenpeace stand und steht nicht nur für einen anderen Umgang mit der Natur, sondern für eine andere, nicht auf Gewalt gründende Form des Umgangs mit uns selbst. Das von Greenpeace für das eigene Selbstverständnis ehern verteidigte Prinzip der Gewaltfreiheit hat eine viel umfassendere Bedeutung als den Verzicht auf Gewalt im eigenen Handeln. Gewaltfreiheit bedeutet für Greenpeace nicht mehr und nicht weniger als die Einsicht in die (Überlebens-) Notwendigkeit einer Kultur des Dialogs. Wo versucht wird, Konflikte nicht mit Dialog, sondern mit Gewalt zu lösen, wo das Recht des Stärkeren gilt und wo Ideologien der Gewaltverherrlichung das Handeln beherrschen, da hat auch die Umwelt keine Chance; da wird Umweltschutz zum Reparaturbetrieb und damit letztlich zum Verlierer. (Dass auch der Dialog eine Grenze hat, da wo Verbrechen – ob terroristische oder Umweltverbrechen – geahndet werden müssen, steht auf einem anderen Blatt).

Zu den Kriegsfolgen gehören immer auch schwere Umweltschäden. Doch die Natur ist, auch ohne Krieg, wehrlos den Übergriffen der menschlichen Zivilisation ausgeliefert. Wenn da das »Recht des Stärkeren« stillschweigend geduldet oder offen zum Prinzip erhoben wird, kann es keinen Respekt vor dem Leben geben. Wenn Umweltschutzarbeit in einer Gesellschaft, die von struktureller Gewalt geprägt ist – ob in Form grenzenloser Wirtschaftsmacht oder in Form der Akzeptanz des Krieges –, nicht schnöde Reparaturarbeit sein soll, muss die Gewalt als allgegenwärtiges Phänomen thematisiert werden. In einer Gewalt-Gesellschaft ist Umweltschutz zwangsläufig politisch.

Wer glaubt, Greenpeace habe sich in seinen Anfängen doch auch nur um den Schutz der Wale gekümmert, irrt. Es ging auch um die Wale, aber nur »auch«. Viel mehr als um die Wale ging es um den Kampf gegen die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur, um den fehlenden Respekt vor dem Leben, letztlich um den Kampf gegen Gewalt. Das war Greenpeace und das ist es im Kern heute noch. Deshalb wird der Frieden, der Dialog als Möglichkeit zur Konfliktlösung und zur Prävention von Gewalt und Krieg, Greenpeace nie gleichgültig sein.

Spannen wir den Bogen vom »Terror« zum Umweltschutz. Terrorismus, die Gewalt der »Anderen«, ist heute in der Diktion der Herrschenden das Synonym für Gewalt schlechthin. Für sie ist derjenige, der physische Gewalt ausübt, der »Böse« schlechthin. Sie verschweigen, dass diese Form der Gewalt nur eine ist, die sichtbarste zwar, aber nicht einmal die bedrohlichste.

Sie wollen nicht sehen –oder nicht zugeben-, dass physische Gewalt auch Reaktion auf subtilere, umfassendere Formen von Gewalt, auch Antwort auf strukturelle Gewalt, sein kann. Sie wollen nicht sehen, dass oft erst durch die »Gewalt von Oben«, durch die Ausübung von Macht, der Boden bereitet wird, auf dem Terrororganisationen ihre Kämpfer rekrutieren. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus betreiben sie brutalste Interessenpolitik. (Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist keine Frage, dass Terrorismus geahndet werden muss, die Grenzen des Dialogs sind da, wo Verbrechen begangen werden. Das ist kein Widerspruch zum Prinzip der Gewaltfreiheit, aber Terroristen gehören in die »Obhut« der Strafverfolgung – wie Umweltverbrecher übrigens auch).

Es sind die gleichen Politiker, die im Militär das Allheilmittel im Kampf gegen den Terrorismus sehen, und tatenlos bleiben bei der Vergiftung der Welt mit Milliarden Tonnen Kohlendioxyd und der Verseuchung von Nahrungsmitteln durch Chemiegifte, sie werten die Interessen der Industrie höher als die Gesundheit der Menschen. Wer Umweltschutz nicht als Reparaturbetrieb, sondern als eine grundsätzlich andere Einstellung zur Natur und zum Leben sieht, kann nicht die Wurzel der Umweltzerstörung, die Bereitschaft zur Gewalt, ignorieren.

Greenpeace kann es also nicht gleichgültig sein, wenn sich schleichend, aber unaufhörlich, die Akzeptanz aller erdenklichen Formen von Gewalt erhöht. Zu einem sinnvollen Umweltschutz gehört, dass Greenpeace sich auch des Friedensthemas wieder stärker annimmt. Das kann auf sehr verschiedene Weise geschehen.

Dazu gehört zunächst der Versuch einer aufrichtigen Diskussion. Und was den »Kampf gegen den Terror« angeht, so bedarf es, wie Jochen Hippler in der FR schrieb, schon fast „übermenschlicher Anstrengungen zur Blauäugigkeit“, um diesen unter Verweis auf zweifellos vorhandenen »Kollateralnutzen« schönzureden. Ein konkreterer Schritt wäre die Einführung eines obligatorischen Friedens- und Mediationsdienstes, der sich aus der Überzeugung speist, dass Friedenssicherung nicht nur auf Rüstung und Waffen beruht. Die kritische Auseinandersetzung mit der Berichterstattung in den Medien und ihre Überprüfung auf Plausibilität und Wahrheit („Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst“) ist dringend angesagt, genauso wie das Ringen um mehr Transparenz bei Waffenproduktion und -export.

An vorderer Stelle steht auch das Bemühen um die Bewahrung demokratischer Errungenschaften und Konventionen. In diesem Zusammenhang wäre sicher ein kleiner, aber bedeutsamer Schritt die Aufhebung des Fraktionszwanges bei Abstimmungen über Krieg und Frieden und den Einsatz der Bundeswehr. Hier darf es nicht um die Demonstration politischer Stärke oder um »Geschlossenheit« gehen, hier muss das Grundgesetz gelten, nachdem jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verantwortlich ist.

Frieden und Umweltschutz sind nicht voneinander zu trennen, keines von beiden kann für sich allein errungen werden. Wer Frieden will, dem kann der Zustand der Umwelt nicht egal sein und umgekehrt: Wer die Umwelt retten will, kann dies nur, wenn er gleichzeitig versucht, die Spirale der Gewalt zu stoppen.

Wolfgang Lohbeck ist bei Greenpeace Deutschland verantwortlich für »Sonderprojekte«

Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!

Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!

Zum Hintergrund einer Bewegung

von Wolfgang Sternstein

Als Anfang dieses Jahres Einzelheiten der neuen Nuklearwaffenplanung der Bush-Administration bekannt wurden, dürfte vielen ZeitgenossInnen (wieder einmal) gedämmert haben, dass die »atomare Drohung« (Günther Anders) keineswegs gebannt ist. Mit dem zwischenzeitlich geschlossenen »Abrüstungsvertrag« zwischen den USA und Russland hat sich jedoch vermutlich die Decke des Nicht-wissen-Wollens oder des fahrlässigen Vertrauens in die Regierenden schon wieder zugezogen. Auf kleiner Flamme aber glüht der Widerstand gegen das fortgesetzte perverse Spiel mit der »absoluten Waffe« (B. Brodie) weiter. Der folgende Bericht eines Exponenten dieses Widerstands ist auch ein Beitrag gegen die Schwankungen des öffentlichen Problembewusstseins.
Ein sonniger Frühlingstag im April. Eine Gruppe Wanderer durchstreift den Wald auf dem Weg ins nächstgelegene Gasthaus. So zumindest scheint es. Doch der Schein trügt. Denn plötzlich verwandeln sich die Wanderer in FriedensaktivistInnen, deren Ziel nicht ein Gasthaus, sondern der Fliegerhorst Büchel (Südeifel) ist, auf dem zehn amerikanische Atombomben lagern, die im Kriegsfall von deutschen Tornado-Piloten ans Ziel geflogen werden sollen.

Eine Aktion

Die fünf Frauen und zwei Männer, begleitet von einem Fotografen und einem Beobachter, überqueren mit raschen Schritten einen schmalen Wiesenstreifen und tauchen in ein Waldstück unmittelbar am Zaun des Fliegerhorsts ein. Sie durchtrennen den Zaun von unten nach oben und schieben ihn auf dem Spanndraht nach links und rechts zur Seite, so dass ein breiter Durchgang entsteht. Danach betreten sie das Gelände und entfalten auf der parallel zum Zaun verlaufenden Straße Transparente mit den Texten: Völkerrecht achten – Atomwaffen abschaffen Atombomben in Büchel = 100 X Hiroshima Ziviler Ungehorsam gegen Atomwaffen Deutsche Tornados mit US-Atomwaffen – bereit zum Massenmord

Sie singen, begleitet von einer weithin hörbaren Trompete, das bekannte Friedenslied: „Nach dieser Erde wäre da keine, die eines Menschen Wohnung wäre. Darum Menschen achtet und trachtet, dass sie es bleibt. Wem denn wäre sie ein Denkmal, wenn sie still die Sonne umkreist?“

Nach einigen Minuten zeigt sich in der Ferne ein Bundeswehr-PKW. Der Fahrer hält an und ruft offenbar über Funk Verstärkung herbei. Jedenfalls nähern sich von beiden Seiten Bundeswehrfahrzeuge. Feldjäger und Soldaten steigen aus. Sie betrachten die Gruppe mit verhaltener Neugier. Der Fahrer des PKW tritt auf die Gruppe zu und stellt sich als stellvertretender Kommodore des Tornado-Geschwaders vor. Später trifft die Polizei ein. Die Atmosphäre ist entspannt, denn die Aktion war dem Kommodore, der Polizei, dem Bundeskanzler, dem Verteidigungs- und dem Außenminister sowie dem Botschafter der USA brieflich angekündigt und begründet worden. Mit erheblichem Aufwand versuchten Polizei und Bundeswehr sie zu verhindern, was ihnen letztlich aber doch nicht gelang.

Ein Bundeswehrbus bringt die AktivistInnen zur Polizeiwache nach Cochem, wo sie erkennungsdienstlich behandelt werden, soweit sie die Prozedur nicht schon bei früheren Aktionen hinter sich gebracht haben. Sie müssen mit einer Geldstrafe wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch rechnen. Zwei Mitglieder der Gruppe haben längere Gefängnisstrafen zu gewärtigen. Sie waren wegen einer früheren Aktion bereits zu einer Haftstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

In der Pressemitteilung der Gruppe heißt es: Wie allgemein bekannt, seien in Büchel zehn amerikanische Atombomben stationiert. Darin liege ein Verstoß gegen Art. II des Nichtverbreitungsvertrags, der die Bundesrepublik verpflichte, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen. Die nukleare Teilhabe der Bundeswehr stelle ohne Zweifel eine mittelbare Verfügungsgewalt über Kernwaffen dar. Die Bundesregierung verhalte sich folglich permanent völkerrechtswidrig. Sie verstoße darüber hinaus gegen Art. VI des Vertrags, der jede Vertragspartei zu Verhandlungen verpflichte „über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung… unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“.

Die gewaltfreie Aktion der Gruppe richtete sich darüber hinaus gegen die Pläne der Bush-Administration, Mini-Nukes als Gefechtsfeldwaffen einzusetzen. Damit würde nach ihrer Einschätzung der Damm zwischen dem Atomkrieg und dem konventionellen Krieg endgültig eingerissen.

Das Ziel der AktivistInnen ist eine atomwaffenfreie Bundesrepublik als Deutschlands Beitrag zu einer atomwaffenfreien Welt. Deshalb fordern sie den Abzug der in Büchel und Ramstein (Rheinland-Pfalz) gelagerten insgesamt 64 Atombomben mit einer Sprengkraft von 600 Hiroshimabomben. Sie können sich auf die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung berufen. Eine repräsentative Umfrage des forsa-Instituts vom Juni 1998 kam zu dem Ergebnis: 93 Prozent der Bürger halten Atomwaffen für grundsätzlich völkerrechtswidrige Waffen, die weder produziert noch gehortet werden dürften. Ebenfalls sehr hoch ist der Anteil der Bürger, die der Aussage zustimmen, dass die Bundesregierung dafür sorgen sollte, dass die auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen umgehend beseitigt werden (87 Prozent).

Wie können, so mag man trotzdem fragen, die AktivistInnen das Gesetz übertreten, um das Recht zu verteidigen? Ist das nicht ein vollendeter Widerspruch? Gegen solche Bedenken beruft man sich vor allem auf Gandhi, der erklärte: „Ziviler Ungehorsam wird zu einer heiligen Pflicht, wenn der Staat den Boden des Rechts (d.h. des Menschen- und des Völkerrechts – W.S.) verlassen hat.“ (Gandhi, 1980, S. 141)

Der Fliegerhorst Büchel war in den vergangenen Jahren wiederholt Ziel solcher Aktionen des zivilen Ungehorsams. Dreimal drangen Friedensgruppen in das Gelände ein. Insgesamt 29 Personen wurden festgenommen und wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verurteilt. Gegen die Verurteilungen sind drei Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe anhängig.

Die Kampagne

Soweit der kurze, »objektive« Bericht über die fünfte Aktion des zivilen Ungehorsams am Fliegerhorst Büchel. Um diese Aktion wirklich zu verstehen, ist es nötig, sie in den größeren Rahmen der Friedensbewegung zu stellen.

Vor zwanzig Jahren erlebte die Friedensbewegung im Kampf gegen die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen Pershing 2 und Cruise Missiles einen Höhepunkt ihrer Geschichte. Der gewaltfreie Widerstand breiter Bevölkerungskreise gegen die »Nachrüstung«, der den Teufelskreis des Wettrüstens durchbrechen sollte, beherrschte monatelang die Medienöffentlichkeit. Ortsnamen wie Mutlangen, Heilbronn, Neu-Ulm in Süddeutschland (Pershing 2) oder Hasselbach im Hunsrück (Cruise Missiles) waren weit über die Bundesrepublik hinaus bekannt. Es gab den »Krefelder Appell« mit mehreren Millionen Unterschriften. Es gab Massenversammlungen in Bonn mit bis zu 300.000 Teilnehmern und eine Menschenkette über 108 Kilometer, die die amerikanische Kommandozentrale EUCOM bei Stuttgart mit dem Pershing-2-Standort Neu-Ulm verband. Es gab aber auch eine Vielzahl gewaltfreier Aktionen des zivilen Ungehorsams.

Den Auftakt bildete die einwöchige Rund-um-die-Uhr-Blockade des Lance-Atomraketen-Depots Golf bei Großengstingen auf der Schwäbischen Alb im Sommer 1982 (mit 380 Festnahmen und zahlreichen Gerichtsverfahren wegen Nötigung). Ihr folgte im Dezember des gleichen Jahres die Blockade des EUCOM (350 Festnahmen). Anfang September 1983 kam es zur berühmten »Prominentenblockade«, an der sich u.a. Heinrich Böll, Günter Grass, Oskar Lafontaine, Erhard Eppler, Heinrich Albertz, Helmut Gollwitzer, Dietmar Schönherr, Barbara Rütting u.a. beteiligten. Die Polizei räumte die Blockade nicht. Die Verbindung zum Raketendepot wurde drei Tage lang mit Hubschraubern aufrechterhalten. Vom damaligen baden-württembergischen Innenminister Roman Herzog ist der Ausspruch überliefert: „Ich werde der Weltpresse doch nicht das Schauspiel bieten, den Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll von Polizisten von der Straße tragen zu lassen.“

Nachdem Ende November 1983 gegen den massiven Widerstand großer Teile der Bevölkerung die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen durchgesetzt worden war, geriet die Friedensbewegung in die Krise. Eine Gruppe Tübinger Studenten ließ sich indes nicht entmutigen. Sie gründeten die Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung, die eine Vielzahl von Blockaden auf dem Zufahrtsweg zum Raketendepot in Mutlangen organisierte (vgl. Nick, Scheub & Then, 1993). Senioren, Musiker, ja selbst Richter nahmen auf der Zufahrtsstraße Platz und riskierten empfindliche Geld- und Haftstrafen. Die Zahl der bei Blockaden Festgenommenen summierte sich auf mehr als dreitausend. Schließlich sind noch zwei Pflugscharaktionen (1983 und 1986) zu erwähnen, bei denen jeweils eine Pershing-2-Zugmaschine mit Hämmern und Bolzenschneidern abgerüstet wurde (vgl. Sternstein, o.J.).

Für mich besteht kein Zweifel, dass die Friedensbewegung der achtziger Jahre zum Abschluss des INF-Vertrags, der die Verschrottung sämtlicher landgestützter Mittelstreckenraketen in Ost und West (wenn auch leider nicht der Sprengköpfe) zum Inhalt hatte, beigetragen hat. Das Hauptverdienst an dem Vertrag und der dadurch ausgelösten Entwicklung gebührt zweifellos Michail Gorbatschow. Ohne ihn hätte der Kalte Krieg wohl kaum ein so unblutiges Ende gefunden, ganz zu schweigen von der Auflösung des Warschauer Pakts, dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und der deutschen Wiedervereinigung. Doch wäre Gorbatschow ohne die deutsche Friedensbewegung wohl kaum 1985 zum Generalsekretär des KPdSU gewählt worden. Für diese Behauptung habe ich einen glaubwürdigen Zeugen, den Gorbatschow-Berater und Nordamerika-Experten Georgij Arbatow, der auf einem Symposium in den USA erklärte: „Die Friedensbewegung war ein Ausdruck des Bewusstseinswandels, der sich in der westdeutschen Bevölkerung abgespielt hat. Das war ein Faktor für unsere Entscheidung, Michail Gorbatschow als Verfechter eines dezidierten Entspannungskurses zum Generalsekretär zu wählen.“ (zitiert nach Bittorf, 1990, S. 75).

Nach dem Abzug und der Verschrottung der neuen Mittelstreckenraketen schien es mir selbstverständlich, als nächsten Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden nuklearen Abrüstung die noch in Deutschland gelagerten Atomwaffen auf die Tagesordnung der Friedensbewegung zu setzen. Meine Bemühungen, die Organisatoren der Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung für dieses Ziel zu gewinnen, blieben jedoch ohne Erfolg. Noch heute bin ich überzeugt, es wäre schon damals bei gehöriger Anstrengung möglich gewesen, eine atomwaffenfreie Bundesrepublik zu erreichen. Die 64 atomaren Fliegerbomben, die noch in Ramstein und Büchel lagern, machen ja militärisch keinen Sinn; sie sind lediglich Bestandteil einer überholten Nato-Doktrin der nuklearen Abschreckung gegen die Warschauer-Pakt-Staaten. So blieb nur die Alternative, entweder zu resignieren oder in eigener Initiative eine Organisation ins Leben zu rufen, die das nach meiner Überzeugung unaufgebbare Ziel zu erreichen sucht.

So entstand 1988 die EUCOMmunity (vgl. Sternstein, o.J.). Sie entwickelte eine eigene Aktionsform: die »Entzäunungsaktion«. Die spezifische Aktionsform der Anti-AKW-Bewegung der siebziger Jahre war die Platzbesetzung gewesen. Sie war am Oberrhein in drei Fällen (Marckolsheim, Wyhl und Kaiseraugst) erstaunlich erfolgreich gewesen, konnte jedoch nach 1975 keine Erfolge mehr verbuchen, da die AKW-Bauplätze zu wahren Festungen ausgebaut wurden. Die charakteristische Aktionsform des Widerstands gegen die Nachrüstung war die Straßenblockade. Sie erwies sich als durchaus wirksames Mittel, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und den Militärbetrieb zu stören. Diese »Waffe« des zivilen Ungehorsams wurde jedoch teilweise stumpf, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1995 die Anwendbarkeit des Nötigungsparagrafen auf demonstrativ friedliche Sitzblockaden verneint hatte.

Die »Entzäunungsaktion« wurde inspiriert von einer Aktion der »Frauen von Greenham Common«, die den Zaun um das Gelände des englischen Cruise-Missiles-Standorts Greenham Common auf weite Strecken niedergelegt hatten, und weiterhin von der englischen »Snowball Campaign«. Bei dieser Kampagne rüsteten sich die Teilnehmer mit Drahtscheren aus, um jeweils eine Masche des Maschendrahts durchzuschneiden; dadurch sollte die Verantwortung für die Entzäunung auf möglichst viele Schultern verteilt werden.

Das Grundmuster der deutschen Entzäunungsaktionen sieht folgendermaßen aus: Die Gruppe der AktivistInnen geht nach gründlicher Vorbereitung an den Zaun des Militärgeländes und schneidet ihn in seiner ganzen Höhe auf, um einen »öffentlichen Zugang« von etwa drei Meter Breite zu schaffen. Danach gehen sie mit Transparenten auf das Gelände, um Blumen zu pflanzen, Getreide zu säen oder ein »Fest der Hoffnung« zu feiern. Sie bekräftigen auf diese Weise ihre Forderung, das militärische »Todesland« in zivil genutztes »Lebensland« umzuwandeln.

Strafrechtlich gesehen, handelt es sich um Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Die Aktivisten durchbrechen bewusst die psychische Barriere, die der amerikanische Pfarrer Bill Kellerman mit folgenden Worten treffend beschrieben hat: „Die Macht des Stacheldrahts liegt nicht so sehr in der physischen Barriere, die er darstellt, als in der Gewalt, die er definiert und ausstrahlt. Der Draht wird als heilig verehrt. Er ist ein kleiner Götze, aufgestellt, um die Schwelle zum profanen »heiligen« Bereich zu markieren und zu bewachen. Wir verneigen uns vor seiner Macht, indem wir uns abwenden. An diesem Punkt endet alles Sehen, Denken und Fragen. Es handelt sich in der Tat um eine Schranke für das Bewusstsein selbst.“

Die erste Entzäunungsaktion am EUCOM fand am 29. September 1990 statt. An ihr beteiligten sich 10 Personen. In den darauf folgenden Jahren fanden weitere sieben Aktionen statt, bei denen die Teilnehmerzahl zwischen sieben und dreiundzwanzig schwankte. Hinzu kamen zwei Blockadeaktionen mit insgesamt 141 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Schließlich ist noch ein »Die in« mit zehn Personen am Karfreitag 2002 zu erwähnen.

1994 wurde der Trägerkreis der Kampagne »Atomwaffen abschaffen« ins Leben gerufen. Ihm gehören fast alle großen Friedensorganisationen in Deutschland an. Er ist wiederum Bestandteil des weltweiten Netzwerks Abolition 2000. Der Trägerkreis beschränkt sich jedoch im Wesentlichen auf Öffentlichkeitsarbeit und Lobbytätigkeit.

1996 nahm die »Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen« ihre Tätigkeit auf. Sie ging aus der Atomteststopp-Kampagne hervor, die nach dem Abschluss des »Umfassenden Atomteststoppvertrags« ihr Kampagnenziel als erreicht ansah. Während sich EUCOMmunity in erster Linie um das EUCOM kümmerte, konzentrierte sich die »Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen« auf den Atomwaffenstandort Büchel in der Südeifel. Ihr Markenzeichen ist die »Ehrenamtliche Inspektion im Auftrag des Internationalen Gerichtshofs«. Dieser hatte in einem Gutachten vom Juli 1996 Atomwaffen für generell völkerrechtswidrig erklärt und noch einmal nachdrücklich die (Selbst-) Verpflichtung der Vertragsstaaten des Nichtverbreitungsvertrags zur vollständigen atomaren Abrüstung angemahnt (vgl. Deiseroth, 1996). Die »Ehrenamtlichen Inspekteure« betreten das Gelände des Fliegerhorsts, nachdem sie den Zaun überstiegen oder durchschnitten haben, um festzustellen, ob Atomwaffen auf dem Fliegerhorst gelagert sind, und, falls das der Fall ist, ihren Abzug zu fordern. Die Aktionsidee stammt aus Holland, wo sie zum ersten Mal am Atomwaffenstandort Voelkel praktiziert worden war.

Am Fliegerhorst Büchel, wo deutsche Tornado-Piloten mit amerikanischen Atombomben den Kriegseinsatz üben, fanden insgesamt fünf gewaltfreie Aktionen statt. Die drei ersten waren erfolgreich, die vierte am 30. September 2001 scheiterte, da aufgrund der Terroranschläge vom 11. September in den USA auf beiden Seiten der Barrikade spürbare Nervosität herrschte. Die fünfte Aktion am 7. April 2002 habe ich eingangs kurz geschildert.

Zwischen den drei Friedensorganisationen »Ohne Rüstung Leben«, EUCOMmunity und »Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen« hat sich in den vergangenen Jahren eine intensive Zusammenarbeit entwickelt. Darüber hinaus besteht eine enge Verbindung zum Trägerkreis der Kampagne Atomwaffen Abschaffen.

Und der Effekt?

Was haben wir erreicht? Schwer zu sagen, denn jede Einschätzung des Effekts ist zweifellos subjektiv gefärbt. Trotzdem sei eine solche Einschätzung versucht:

Erstens: Der wichtigste Gesichtspunkt scheint mir die Einübung gewaltfreien Verhaltens bei den TeilnehmerInnen zu sein. Wenn der Grundsatz des »learning by doing« auch für gewaltfreies Handeln gilt, dann haben die Teilnehmer Zivilcourage, Konfliktfähigkeit und Zusammenarbeit in Bezugsgruppen erlernt und ein Training in gewaltfreier Aktion mit Praxisbezug absolviert. Sie haben Erfahrungen gesammelt bei der Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von gewaltfreien Aktionen.

Zweitens: Durch die TeilnehmerInnen werden Verwandte, Bekannte, Kollegen, Vorgesetzte mit dem gewaltfreien Widerstand gegen Atomwaffen konfrontiert und zur Stellungnahme herausgefordert.

Drittens: Über die Organisationen Ohne Rüstung Leben, EUCOMmunity und Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen werden einige tausend Mitglieder angesprochen, von denen sich viele durch Unterschriften, Beteiligung an Demonstrationen und Spenden aktiv am gewaltfreien Widerstand beteiligen. Sie sind zugleich das Reservoir für die Rekrutierung weiterer AktivistInnen.

Viertens: Die mit den Aktionen verbundene Öffentlichkeitsarbeit klärt viele Bürgerinnen und Bürger über die Existenz von Atomwaffen auf deutschem Boden auf und macht sie mit dem gewaltfreien Widerstand dagegen bekannt.

Fünftens: Die Auseinandersetzung vor den Gerichten ist schwer einzuschätzen. Die große Mehrzahl der zivil Ungehorsamen wurde verurteilt. Ein Stuttgarter Amtsrichter sprach die siebenköpfige Gruppe der dritten Entzäunungsaktion am EUCOM frei, weil er überzeugt war, ihre Tat sei gerechtfertigt. Das Urteil wurde jedoch vom Oberlandesgericht Stuttgart aufgehoben und ans Amtsgericht zur Neuverhandlung zurückverwiesen. Derselbe Amtsrichter legte den Fall bei einem späteren Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vor. Es wies die Vorlage jedoch ab. Zur Zeit sind, wie bereits erwähnt, drei Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilungen durch das Amtsgericht Cochem anhängig. Noch glimmt also ein Hoffnungsfunke für eine positive Entscheidung.

Sechstens: Ob auf unsere unmittelbaren Gegner in der Aktion, die Polizisten, Soldaten und Juristen ein messbarer Einfluss ausgeübt wurde, ist schwer zu sagen. Das Verhältnis zu unseren Gegnern ist in der Regel freundlich und entspannt. Ohnehin lassen sich gewaltfreie Aktivisten durch negative Reaktionen der Gegenseite nicht entmutigen. Sie setzen auf die langfristige Wirkung dessen, was Gandhi Wahrheitskraft (Satjagrah) nannte. Ungeachtet der Ernsthaftigkeit unseres Anliegens hat die Auseinandersetzung auch eine sportliche, ja spielerische Seite. Schaffen wir es hineinzukommen, oder gelingt es der Polizei die Aktion zu verhindern? Wir versäumen es auch nie, unsere Gegner ausführlich über unsere Motive, Methoden und Ziele zu unterrichten. Wir wollen sie dabei nicht missionieren, sondern lediglich Verständnis für unser Anliegen wecken.

Siebtens: Noch schwerer ist es einzuschätzen, ob auf die eigentlichen Adressaten unserer Aktionen, die Politiker und die Parteien, ein messbarer Einfluss ausgeübt werden konnte. Solange nicht weite Kreise der Bevölkerung ihr Wahlverhalten von der Antwort der Politiker und Parteien auf diese Frage abhängig machen, ist nicht damit zu rechnen, dass wir mit unserem Anliegen von den Entscheidern ernst genommen werden.

Die Friedensbewegung hat die Krise, in die sie nach dem Ende des Kalten Krieges geriet, noch immer nicht überwunden. Dennoch habe ich nicht den Schatten eines Zweifels, dass es ihr möglich wäre, das Ziel einer atomwaffenfreien Bundesrepublik mit den Mitteln der gewaltfreien Aktion zu erreichen – vorausgesetzt, sie hat den ernsthaften Willen dazu!

Literatur

Bittorf, W. (1980): Giftgas ging – Unrecht bleibt. Über die andauernden Strafprozesse gegen Friedenskämpfer, in: Der Spiegel, 44, Nr. 44, S. 72-77.

Bundesverfassungsgericht (1995): Beschluss vom 10. Januar 1995 – 1 BvR 718/89, 719/89, 722/89, 723/89,in: Neue Juristische Wochenschrift, 48, 1141-1144.

Deiseroth, D. (1996): Atomwaffeneinsatz ist völkerrechtswidrig. Der Internationale Gerichtshof bezieht Position,in: Wissenschaft und Frieden, 14 (3), 78-81.

Gandhi, M.K. (1980): Die Lehre vom Schwert und andere Aufsätze aus den Jahren 1919-1922, Oberwil b. Zug.

Nick, V., Scheub, V. & Then, C. (1993): Mutlangen 1983-1987. Die Stationierung der Pershing II und die Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung, Mutlangen.

Sternstein, W. (Hrsg.) (o.J.): »Abrüstung von unten. Die Pflugscharbewegung in den USA und in Europa« – »Pershings zu Pflugscharen. Dokumente einer Abrüstungsaktion« – »Die EUCOMmunity. Initiative für eine atomwaffenfreie Welt. Eine Dokumentation«. Alle drei Broschüren sind zu beziehen vom Herausgeber: Hauptmannsreute 45, 70192 Stuttgart, Tel.: 0711-29 38 74.

Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher, der sieben Mal für seine gewaltfreien Aktionen inhaftiert wurde

Entwicklung und Kontinuität

Entwicklung und Kontinuität

Zur Abrüstungsbewegung von Frauen

von Emily Schroeder

Seit über einem Jahrhundert mobilisieren Frauen, Frauenorganisationen und -bewegungen für Frieden und Abrüstung. Sie haben sich zwar oft gemeinsam mit Männern organisiert, viele Frauen fanden es jedoch effektiver, sich getrennt von den Männern mit anderen Frauen zusammen gegen Krieg und Bewaffnung einzusetzen. In diesem Artikel werden einzelne Beiträge von Frauen zur Friedens- und Abrüstungsbewegung beleuchtet. Emily Schroeder wirft einen Blick auf eine Bewegung, die in der dokumentierten Geschichte bisher kaum vorkommt.
Es gibt auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene viele Frauenvereinigungen, die sich vorrangig mit Fragen von Frieden und Abrüstung befassen. Am 28. April 1915 trafen sich erstmalig in der Geschichte 1200 Frauen aus Krieg führenden und neutralen Ländern zum Internationalen Frauenkongress in Den Haag, Niederlande, um gegen den Krieg zu protestieren. Aus diesem Anlass gründeten sie die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF, dt. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit). Diese Vereinigung besteht heute noch und arbeitet auf internationaler Ebene zu einer Reihe von Themen, angefangen bei der Abrüstung von Nuklearwaffen bis zu Menschenrechten. Die Jahre hindurch hat sie „Frauen mit Weitblick angezogen, deren Ideen und Aktionen die Ziele Frieden und Freiheit auch in den schwierigsten Zeiten aufrecht erhalten haben.“1

Während des Kalten Krieges betrieben Frauen Lobbyarbeit gegen die Lagerung und den möglichen Einsatz von Atomwaffen. 1959 fand eine Konferenz über die »Verantwortung der Frauen im Atomzeitalter« statt. Nach dieser Konferenz starteten die neu gegründete Europäische Frauenbewegung gegen atomare Bewaffnung und andere Frauenvereinigungen große Aufklärungs- und Unterschriftenkampagnen. Die internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit führte als erste Organisation Seminare für Frauen aus den USA und aus der Sowjetunion durch, um die Schranken des Kalten Krieges zu durchbrechen. 1964 begann in den USA eine neue Bewegung: der Frauenstreik für den Frieden. Im gleichen Jahr erschienen Frauen aus vielen Ländern auf einer NATO-Tagung in den Niederlanden und demonstrierten gegen die Pläne zum Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht. 1969 unterstützte die WILPF eine internationale Konferenz zur Beendigung der Kriegsführung mit B- und C-Waffen.2 In den 80er Jahren inspirierten die Frauen von Greenham Common die Welt mit ihrem Einsatz gegen Nuklearwaffen und Nuklearbasen. Sie verließen ihr Heim, um sich dem Frieden zu widmen, ganz so wie Männer Jahrhunderte lang ihr Heim verließen, um in den Krieg zu ziehen.3

Zwar haben nordamerikanische und europäische Frauenfriedensorganisationen die meiste Publizität erfahren, es gibt jedoch solche Organisationen in allen Teilen der Welt. Beispielsweise haben sich Frauen in der Pazifikregion zum Protest gegen die Atombombenversuche zusammengefunden und japanische Frauen haben ein Friedenscamp an der Basis am Fuji errichtet. Frauengruppen in Afrika haben sich aktiv für Frieden und Wiederaufbau eingesetzt, etwa in Angola, Burundi, Somalia und Niger.

Eine bemerkenswerte Initiative mit überwältigendem Erfolg war die Internationale Koalition für die Friedenspetition der Frauen, die 1997 anlässlich des Weltfrauentages bei den Vereinten Nationen gegründet wurde. Sie konnte mehr als 175 Organisationen zur Unterstützung gewinnen und sammelte Hunderttausende Unterschriften (vorwiegend auf der südlichen Erdhälfte). Diese Petition forderte die Regierungen auf, in den kommenden „fünf Jahren ein Minimum von fünf Prozent ihrer Militärhaushalte für Gesundheitswesen, Bildungsmaßnahmen und Programme zur Beschäftigung und Friedenserziehung auszugeben.“4 In dieser Petition wurde gefordert, den Krieg als akzeptable Form sozialen Verhaltens zu deligitimieren, wie schon zuvor bei Sklaverei, Kolonialismus und Apartheid.5

Geburt der Abrüstungs- und Friedensbewegung der Frauen

Der Ursprung der Frauenbewegung für Frieden und Abrüstung hat mehrere Wurzeln: Es gibt keine Übereinstimmung über die gelegentlich geäußerte Behauptung, dass Frauen »von Natur aus« friedfertiger seien als Männer. Ebenso viele Männer haben sich für den Frieden zusammengetan, und es gibt viele Beispiele von Frauen die Aufrüstung unterstützen und aktiv an Kriegen teilnehmen. Dennoch ist es sinnvoll, diejenigen Elemente der Frauenfriedens- und abrüstungsbewegungen als einzigartiges Phänomen zu untersuchen, welche eine Beendigung der Kriege und eine vollständige Abrüstung verlangen.

Einer der offensichtlich am stärksten mobilisierenden Faktoren ist, dass zahlreiche Organisationen auf der Mutterrolle der Frauen aufbauen. Oft haben Frauen sich organisiert, um ihre Kinder zu beschützen, wie etwa die Mütter der Plaza de Mayo in Argentinien, die gegen das »Verschwinden« ihrer Kinder protestierten. Während des Tschetschenienkrieges verlangte eine Gruppe von russischen Soldatenmüttern eine Beendigung der Kampfhandlungen und die Heimkehr ihrer Söhne. Sie forderten einen Sitz in den Verteidigungs- und Sicherheitsgremien ihres Landes. Mazedonische Frauen holten ihre Söhne aus der serbischen Armee. Diese Aktivitäten sind für uns alle eine Inspiration.

Ein anderes Beispiel ist der Marsch der Millionen Mütter (Million Mom March), der 1999 begründet wurde. Es handelt sich hier um eine nationale Graswurzelorganisation der USA, die sich auf Erziehung und Aufklärung durch landesweite Aktivitäten zur Einrichtung verantwortbarer Grenzen für den Erwerb und Gebrauch von Schusswaffen konzentriert und die Opfer von Schusswaffenunfällen unterstützt. Im Rahmen des »Million Mom March« demonstrierten 2000 mehr als 750.000 Menschen auf der National Mall in Washington und mehrere Zehntausend in anderen Städten der USA für härtere Schusswaffengesetze.6

Ein anderer Schlüssel zum Verständnis der Frage, warum Frauen sich im Engagement für die Abrüstung vereinigt haben, ist die Verbindung, die viele Frauen zwischen der Gleichheit der Geschlechter und dem Frieden gezogen haben.7 So war z.B. das Den Haager Treffen der Frauen 1915 der Auffassung, dass ein dauerhafter Friede nur auf der Grundlage gleicher Rechte zwischen Männern und Frauen, auf innerer Gerechtigkeit, nationaler Unabhängigkeit und Freiheit aufgebaut werden könne.8Frauenorganisationen haben oft argumentiert, dass Frieden mehr sei als die Abwesenheit von Krieg. Sie verbanden verschiedene Gewaltphänomene wie Menschenrechtsverletzungen, Gewalt gegen Frauen und strukturelle Gewalt infolge ökonomischer Ungleichheiten mit der in Kriegen gesehenen Gewalt.9 Auf diese Weise verbinden sie Abrüstung mit der Beendigung aller Formen von Gewalt und der Schaffung einer Friedenskultur, die von Generation zu Generation weitergegeben werden kann.

Frauen, Frieden und Sicherheit

Die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Thema Frauen, Frieden und Sicherheit, die im Oktober 2000 verabschiedet wurde, erwähnt insbesondere die Notwendigkeit, in alle Gebiete zur Förderung des Friedens Genderperspektiven einzubeziehen. Darin sind Abrüstungsfragen, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsinitiativen eingeschlossen (Paragraph 13). Diese Resolution stellte einen riesigen Wendepunkt in der Anerkennung der direkten Beiträge von Frauen zur Abrüstung dar.

In der Vorbereitung zur Annahme dieser Resolution versuchten verschiedene UN-Konferenzen, eine Verbindung zwischen Frauen und Abrüstung herzustellen:

  • Auf der ersten Weltfrauenkonferenz, die 1975 in Mexico City stattfand, wurden die drei mit einander verbundenen Ziele Gleichheit, Entwicklung und Frieden festgelegt. Abrüstung gehörte zum Schwerpunkt Frieden.
  • Die dritte Weltfrauenkonferenz in Nairobi (1985) bekräftigte erneut das Engagement in Abrüstungsfragen, indem sie die Schlüsselrolle beleuchtete, welche Frauen auch bei der Abrüstung von Atomwaffen innehaben können, und forderte eine stärkere Unterstützung für die Bemühungen der Frauen.
  • Auf der vierten Weltfrauenkonferenz im Jahr 1995 in Peking einigten sich die Regierungen auf das Strategische Ziel E.2: Reduzierung überhöhter Militärausgaben und Kontrolle der Verfügbarkeit von Rüstungsgütern. Frauenorganisationen sahen die Verknüpfung von Abrüstungsfragen, Verbreitung von Nuklearwaffen und Empowerment (Ermächtigung) der Frauen als wichtig an. Sie argumentierten, dass Ausgaben für Waffen Ressourcen aus dem Bildungs- und Gesundheitswesen und anderen Programmen abzögen, die Frauen das Leben erleichtern könnten.
  • „Absatz 143: (a) Erhöhung und Beschleunigung, wie angemessen, in Anpassung an Betrachtungen zur nationalen Sicherheit, die Konversion militärischer Ressourcen und damit verbundener Industrien zu Zwecken der Entwicklung und zivilen Produktion;
  • (b) Erkundung neuer Wege zur Schaffung neuer öffentlicher und privater Finanzressourcen, inter alia, durch die angemessene Reduktion überhöhter Militärausgaben, einschließlich globaler Militärausgaben, Handel mit Rüstungsgütern und Investitionen in Rüstungsproduktion und -kauf, unter Berücksichtigung nationaler Sicherheitsbedürfnisse, um die mögliche Zuteilung zusätzlicher Geldmittel für Zwecke der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen, insbesondere zur Förderung der Frauen.“
  • Die Diskussionen auf der 23. Sondersitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen zum Follow-Up der Aktionsplattform (Juni 2000) bestätigten ebenfalls die Beziehungen zwischen Frieden, Abrüstung und Geschlechtergleichheit. Das Schlussdokument (A/S-23/10/Rev.1) umreißt die Errungenschaften und die Hindernisse, auf die Regierungen und internationale Organisationen beim Versuch der Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform gestoßen sind. In der Diskussion über das Thema Frauen und bewaffneter Konflikt wurde u.a. ein Hindernis besprochen: Überhöhte Militärausgaben, einschließlich globaler Militärausgaben, sowie der Handel mit Rüstungsgütern und Investitionen in die Waffenproduktion, unter Berücksichtigung nationaler Sicherheitsbedürfnisse, lenken die mögliche Vergabe von Geldmitteln weg von der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere von der Frauenförderung (Absatz 17).

Das Dokument identifizierte auch „Handlungen, die auf nationaler und internationaler Ebene von Regierungen, regionalen und internationalen Organisationen, durchzuführen sind, einschließlich des Systems der Vereinten Nationen, internationalen Finanzinstitutionen und anderen geeigneten Akteuren “. Dazu gehören die:

  • „98 (k) Stärkung der Bemühungen zu allgemeiner und vollständiger Abrüstung unter strikter und wirkungsvoller internationaler Kontrolle, basierend auf den von den Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Abrüstung erstellten Prioritäten, so dass die freiwerdenden Mittel unter anderem für Sozial- und Wirtschaftsprogramme eingesetzt werden können, welche Frauen und Mädchen zugute kommen.“ (…)
  • „(b) Erkundung neuer Wege zur Schaffung neuer öffentlicher und privater Finanzressourcen, unter anderem durch die angemessene Verringerung überhöhter Militärausgaben, einschließlich globaler Militärausgaben, Handel mit Rüstungsgütern und Investitionen in Rüstungsproduktion und -beschaffung, unter Berücksichtigung nationaler Sicherheitsbedürfnisse, um die mögliche Zuteilung zusätzlicher Geldmittel für Zwecke der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen, insbesondere zur Förderung der Frauen.“
  • Die Kommission über den Status von Frauen geht in ihren »Beschlüssen über kritische Handlungsfelder der Pekinger Aktionsplattform« (UN Sales No. E.00.IV.6) auch auf Massenvernichtungswaffen ein. Sie fordert von den Regierungen die „geeignete Unterstützung der Rolle der Frauen in der Friedensbewegung, die allgemeine und vollständige Abrüstung, einschließlich aller Arten von Massenvernichtungswaffen, unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle anstrebt.“

Die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Thema Frauen, Frieden und Sicherheit, die im Oktober 2000 verabschiedet wurde, erwähnt insbesondere die Notwendigkeit, in alle Gebiete von Operationen zur Förderung des Friedens Genderperspektiven einzubeziehen. Darin sind Abrüstungsfragen, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsinitiativen eingeschlossen (Paragraph 13).

Es gibt viele internationale und nationale Frauenorganisationen, die sich darauf konzentrieren, Frieden und Abrüstung zu unterstützen. Es müssen Mittel und Wege gesucht werden, wie mehr Verbindungen zwischen Nicht-Regierungsorganisationen (NRO), WissenschaftlerInnen, die zu Geschlechterfragen und Abrüstung arbeiten, und den Vereinten Nationen geknüpft werden können.

Eine jüngere Initiative, die NGO Working Group on Women and International Peace and Security (NRO-Arbeitsgruppe zu Frauen, Internationalem Frieden und Sicherheit), traf sich im Juni 2000 zu dem Zweck, eine Schwerpunktkampagne zur Entwicklung einer Resolution zu dem Komplex Frauen, Frieden und Sicherheit beim UN-Sicherheitsrat vorzubereiten. Zu der Gruppe gehören amnesty international, International Alert, die WILPF, der Haager Friedensappell, der Women’s Caucus for Gender Justice, das International Women’s Tribune Center und die Frauenkommission für Flüchtlingsfrauen und -kinder. Diese Nicht-Regierungsorganisationen arbeiteten mit UN-Abteilungen und gleichgesinnten Mitgliedsstaaten zusammen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die produktive Synergie demokratischer Diplomatie.10

Anders als die meisten Sicherheitsratsresolutionen hat die Resolution 1325 eine Gemeinschaft aktiver Organisationen und Einzelpersonen hinter sich, die ihre Klauseln kennen und zitieren und die ihre vollständige Umsetzung erwarten. Diese Gruppen haben ihre Bemühungen, Netzwerke und Expertisen in einen Pool eingebracht, um die gute Nachricht über die bindenden internationalen Verpflichtungen in der Resolution 1325 zu verbreiten und sie werden weiterhin an der vollständigen Umsetzung arbeiten. Die Gruppe gab eine Broschüre mit dem Wortlaut der Sicherheitsratsresolution 1325 heraus, die auf vielen Kontinenten verbreitet und in mehrere Sprachen übersetzt wurde.11

Zur Unterstützung der Frauengruppen und -netzwerke, die für eine Friedenskultur werben, gab die Abrüstungsabteilung der Vereinten Nationen zusammen mit dem Büro des Sonderbeauftragten für Geschlechterfragen und Frauenförderung in der Wirtschafts- und Sozialabteilung eine Sonderausgabe von Stellungnahmen zum Thema »Gender-Perspektiven zur Abrüstung« heraus. Dieses Ressourcenpaket ist ein nützliches Instrument, das auf die Verstärkung von Gender Mainstreaming bei Abrüstungsfragen zielt.

Zusätzlich hat „Reaching Critical Will“, das Projekt der WILPF beim Büro der Vereinten Nationen, seit 1999 Abrüstungsforen der UN beobachtet. Dieses Projekt spielte eine wichtige Rolle bei der Sammlung und Verbreitung wesentlicher Informationen von UNO-Treffen zu Abrüstungsfragen. Es warb vernehmlich für das Endziel, nukleare Abrüstung. Augenscheinlich kodifiziert die Resolution 1325 die bisher weit gehend ignorierte oder nicht unterstützte Tradition, dass Frauen auf jeder Ebene für Frieden und Abrüstung werben, in internationales Recht.

Während Errungenschaften von Frauen weit gehend von der Geschichtsschreibung ignoriert wurden, haben Frauen viele Beiträge zur Friedens- und Abrüstungsbewegung geleistet. Unbedingte Loyalität zu dem Ziel des Weltfriedens treibt diese Friedens- und Abrüstungsaktivistinnen vorwärts. Seit der Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in den Schrecken des Ersten Weltkrieges wurden mehrere Wege für eine aktive Teilhabe der Frauen eröffnet. Viele Frauen halten durch und finden Wege um enorme Hindernisse herum, sie kämpfen ohne Waffen, nur mit Worten und gewaltlosen Aktionen.

Literatur

Die Website der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF): www.wilpf.int.ch

Die Website der Friedensfrauen (USA): www.peacewomen.org

Die Website von Reaching Critical Will: www.reachingcriticalwill.org

Gender Perspectives on Disarmament. Statement von Felicity Hill, ehem. Leiterin des UN-Büros der WILPF http://www.reachingcriticalwill.org/genderdisarm/genderindex.html

The Work of the Department for Disarmament Affairs in Implementing Security Council Resolution 1325, von Jayantha Dhanapala, Under Secretary-General for Disarmament Affairs. United Nations Inter-agency Panel to Commemorate the First Anniversary of Security Council resolution 1325, New York, 31 October 2001. Organisiert von der Inter-agency Taskforce on Women, Peace and Security. http://www.reachingcriticalwill.org/1com/DDA1325dana.pdf

Gender Perspectives on Disarmament, Veröffentlichung des Department for Disarmament Affairs in Zusammarbeit mit dem Büro des Sonderbeauftragten für Geschlechterfragen und Frauenförderung im Department for Economic and Social Affairs http://www.un.org/Depts/dda/gender.htm

Anmerkungen

1) Catherine Foster: Women For All Seasons. Athens, University of Georgia Press, 1989, 6.

2) http://www.ppu.org.uk/century/century7.html

3) Sasha Roseneil: Disarming Patriarchy. Buckingham, Open University Press, 1995, 6.

4) The International Coalition for the Women‘s Peace Petition, www.peacewomen.org

5) DDA briefing notes.

6) www.millionmommarch.org

7) DDA briefing notes.

8) Karl, M. (1995): Women and Empowerment. London, Zed Books Ltd.

9) DDA Briefing notes.

10) http://www.peacewomen.org/un/ngo/wg.html

11) Felicity Hill: One Year On, www.peacewomen.org, September 2001.

Emily Schroeder koordiniert »Reaching Critical Will«, ein Projekt der »Women’s International League for Peace and Freedom«, United Nations Office, New York.
Übersetzung aus dem Englischen: Annette Hauschild

Engagement alleine reicht nicht

Engagement alleine reicht nicht

Die Friedensarbeit professionalisieren

von Christiane Lammers

Rwanda, Bosnien-Herzegowina und Kosovo auf der einen Seite – Gewalt von SchülerInnen, rechtsradikale Terrorakte und eskalierende politische Auseinandersetzungen um Flughafenausbau, Castortransporte u. Ä. auf der anderen Seite haben in den letzten Jahren das Bewusstsein dafür geschärft, dass es einen dringenden gesellschaftlichen Bedarf an Kenntnissen und Fertigkeiten zum Umgang mit Konflikten gibt. Es ist eine Nachfrage nach professionellen Friedensfachkräften entstanden, der bisher kein adäquates personelles Angebot gegenübersteht. Zwar haben sich etliche Engagierte und »Friedensbewegte« im Laufe der Jahre mehr oder weniger autodidaktisch selbst qualifiziert, an ein professionelles Handeln müssen jedoch höhere Ansprüche gestellt werden. Learning by doing allein reicht nicht mehr angesichts der gewachsenen Anforderungen. Damit steht die Frage nach einem sowohl horizontal wie vertikal differenzierten Ausbildungssystem auch in Deutschland auf der Tagesordnung. Spät im Vergleich zum angloamerikanischen oder skandinavischen Raum, denn dort hat die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs in der Friedensforschung und von FriedensarbeiterInnen für die Praxis schon eine jahrzehntelange Tradition.

In Deutschland gibt es bisher nicht einmal eine einheitliche Begriffsbildung für die friedensbezogenen Berufe.1 Wer sich als FriedensarbeiterIn, FriedensforscherIn oder FriedenswissenschaftlerIn bezeichnet, gerät schnell in Ideologieverdacht. Die im Vergleich zu anderen Ländern verspätete Entwicklung hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen:

  • Trotz des Subsidiaritätsprinzips werden die sozialen Fragen in Deutschland im Wesentlichen dem Staat zugeschrieben. Damit wird deren Bearbeitung unmittelbar abhängig vom Staatshaushalt sowie von den Entscheidungen einiger weniger politischer HandlungsträgerInnen. In den USA ist das Sozial- und Gemeinwesen dagegen weitgehend entstaatlicht/privatisiert und in den Händen von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die positive Kehrseite dieses Systems ist, dass sich dort die Nachfrage nach entsprechend ausgebildetem Personal unmittelbarer entwickeln konnte und durch ebenfalls nicht-staatliche Ausbildungsinstitutionen gedeckt wird.
  • Aufgrund der Tabuisierung militärischen Eingreifens und einer insgesamt zurückhaltenderen internationalen Machtpolitik in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik entstand für den internationalen Bereich kein unmittelbarer Bedarf an personellen »Gegenkapazitäten«. In den USA wirkte sich das Großmacht-Bewusstsein umgekehrt aus. Schon 1948 wurde dort der erste akademische Ausbildungsgang in der Friedenswissenschaft implementiert, inzwischen gibt es an fast allen großen Universitäten friedenswissenschaftliche Forschung und Lehre.

Jedoch nicht nur die gesellschaftliche Verfasstheit und die politischen Umstände sind ausschlaggebend für die international divergierende Entwicklung von Professionalität. Als ein wesentliches Hindernis erweist sich in der Bundesrepublik auch das größtenteils staatlich organisierte und strukturkonservative Ausbildungssystem, das Innovationen eher verhindert als fördert und oftmals auch nicht bedarfsorientiert ausbildet.

An der detaillierteren Darstellung des derzeitigen Angebots an friedenswissenschaftlichen Aus- und Weiterbildungen (siehe Kasten) wird dies sehr deutlich: Es gibt nur zwei Angebote, die innerhalb des Standardausbildungssystems (Fachschulen, Fachhochschulen, Universitäten) entwickelt wurden und mit einem in diesem System üblichen Abschluss zertifiziert werden.

Universitäre Studienangebote

Seit über 20 Jahren wird in Aufsätzen und Artikeln zu den Perspektiven der Friedenswissenschaft in der Bundesrepublik immer wieder bedauert, dass es keinen Studiengang »Friedens- und Konfliktforschung« gibt. Leider hat auch die Initiative einiger BildungsministerInnen Mitte der 80er Jahre für ein ausdrückliches Verbot militärischer Forschung an den Hochschulen nicht zu der Konsequenz eines ausdrücklichen Gebots von Friedensforschung geführt.

In den letzten fünf Jahren hat sich jedoch Wesentliches verändert: An mehreren Universitäten (Tübingen, Marburg, Hagen, Osnabrück, Frankfurt/M.) gibt es erfolgreiche oder zumindest erfolgversprechende Initiativen zur Implementierung der Friedens- und Konfliktforschung. In der Regel ist der erste Schritt die Integration in einen bestehenden Studiengang (Tübingen, Marburg). Für die Forschung (Theoriebildung, Methodenentwicklung) und fachliche Anerkennung der Friedenswissenschaft kann dieses Modell förderlich sein, bezogen auf den inter- oder transdisziplinären Anspruch der Friedenswissenschaft ist es jedoch eher begrenzt tauglich. Kaum übertragbar ist dieses Modell auf nicht-gesellschaftswissenschaftliche Fächer, wie z.B. die Naturwissenschaften. Möglicherweise ergeben sich positive Effekte durch die bundesweit angestrebte Einführung einer neuen Studienstruktur (bachelor, master). Bei dieser Studienreform geht es sowohl um die Verkürzung der Studienzeiten (um Geld einzusparen) als auch um die Förderung angewandter oder berufsbezogener Wissenschaft. Zum jetzigen Zeitpunkt, da selbst die Festlegung der formalen und inhaltlichen Strukturen des neuen Systems noch von Fachbereich zu Fachbereich und von Universität zu Universität divergiert, lässt sich noch nicht absehen, ob das Aufbrechen der alten Studienstrukturen auch Türen für die Friedenswissenschaft öffnet. Angesichts des Damoklesschwerts der Finanzhaushalte gibt es allerdings kaum Grund für Optimismus.

Die zweite Neuerung des Hochschulsystems wirkt sich von außen betrachtet ebenfalls positiv für die Friedenswissenschaft aus: Die Hochschulen werden zunehmend freie Anbieterinnen auf dem Weiterbildungsmarkt und damit ergibt sich auch für die Friedenswissenschaft die Möglichkeit, sich bedarfsorientiert zu plazieren. Vier Angebote (Bochum, Oldenburg und 2x Hagen) aus der Tabelle der wissenschaftlichen Studienangebote sind in diesem Bereich angesiedelt. Die negativen Seiten sind jedoch beachtenswert:

  • Die Angebote sind kostenpflichtig (1.500,- DM bis 4.000,- DM pro Semester),
  • die Zertifizierung der Studienabschlüsse ist rechtlich nicht geschützt und weniger aussagekräftig als normal üblich,
  • die Unterwerfung unter das Wirtschaftlichkeitsprinzip kann dazu führen, dass auch hier sich die Mechanismen des Marktes (Verwertbarkeitsprinzip, Verdrängungsmechanismus) durchsetzen.

Man darf gespannt sein, ob das in der Bundesrepublik bisher einmalige Projekt: ein grundlagenorientiertes, interdisziplinäres friedenswissenschaftliches Weiterbildungsstudium, dessen Beginn für das SS 2001 von der FernUniversität Hagen geplant ist, sich als marktfähig erweist.

Praxisorientierte Weiterbildungsangebote

Eine Berufsausbildung zur Friedensarbeiterin/zum Friedensarbeiter gibt es bisher nicht in der Bundesrepublik. Wer Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben will, muss dies normalerweise berufsbegleitend in Form von Fortbildungen tun. In den letzten 15 Jahren haben sich eine Reihe von Bildungsträgern – vor allem von »Friedensbewegten« gegründete »alternative« Bildungswerke – als Anbieter hervorgetan, so dass es inzwischen eine Reihe von strukturierten Fort- und Weiterbildungsangeboten gibt.

Für die innergesellschaftliche Friedensarbeit sind es vorwiegend MultiplikatorInnen- oder TrainerInnen-Ausbildungen mit Bezug zur »gewaltfreien Aktion«. Auch für diese Angebote gelten die schon oben beschriebenen Nachteile: nicht-geschützte Zertifikate und Wirtschaftlichkeitszwang. Da meist eher mittelmäßig verdienende Berufsgruppen angesprochen werden und Fortbildungen sich finanziell für diese i.d.R. nicht auszahlen, sind das Engagement und die Selbstausbeutung der Anbietenden sehr groß, um die Kosten gering zu halten. Die staatlichen Zuschüsse, etwa geregelt über die Landesgesetze für Weiterbildungsträger, sind gering. Darüber hinaus gestellte Projektanträge für Drittmittel bedeuten Planungsunsicherheit und Diskontinuität..

Eine Ausnahme ist der Bereich »Mediationsverfahren«. Hier gibt es ein umfangreiches Angebot und vielfältige Anbieter, inzwischen haben sich Berufsverbände für Teilbereiche gegründet und es gibt Bestrebungen ein geschütztes Zertifikationssystem zu entwickeln. Ein Grund für diese relativ weit gediehene Infrastruktur bzw. Institutionalisierung ist, dass es sich hier um ein vielfältig anwendbares Konfliktbearbeitungsverfahren – einsetzbar von der Ehescheidung über Planungsverfahren bis hin zu betrieblichen Konflikten – handelt, für dessen Anwendung oft auch wirtschaftliche Interessen sprechen. So kann Mediation z.B. helfen kostenintensive juristische Verfahren einzusparen oder zumindest zu verkürzen.

Im Bereich der internationalen Friedensarbeit hat sich Wesentliches verändert: Mit dem Regierungswechsel ist auch das Verantwortungsbewusstsein für nichtmilitärische internationale Konfliktbearbeitung und die Ausbildung hierfür in Ministerien gewachsen. So bietet das Auswärtige Amt inzwischen einen zweiwöchigen offen ausgeschriebenen Lehrgang für potenzielle MitarbeiterInnen internationaler Einsätze an und das Entwicklungsministerium hat einen Haushaltstitel zur Finanzierung von Projekten des zivilen Friedensfachdienstes eingerichtet. Dazu gehört auch die Ausbildung für diesen Dienst. So erfreulich diese Initiativen sind, die Praxis erfordert Kritik:

  • Der zweiwöchige Lehrgang des Auswärtigen Amtes, der eine sehr hohe Bewerbungsquote hat, ist vom zeitlichen Umfang völlig unzureichend und auch die inhaltliche Ausgestaltung weist einige Mängel auf (siehe Rolf Paasch: Auf den Minenfeldern der Konfliktlösung, in www.fr-aktuell.de/fr/spezial/kosovo/t712059.htm und Monika Bendler/Winrich Kühne: Ausbildung und Rekrutierung von nichtmilitärischem Personal für Konfliktprävention und Friedenseinsätze. Bestandsaufnahme, Erfahrungen und Empfehlungen für einen substantiellen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen 1999). Von außen betrachtet scheint dieser Lehrgang eher eine Feigenblattfunktion zu erfüllen. Sinnvoller wäre es ein eigenständiges Berufsausbildungsprofil zu entwickeln, in das friedenswissenschaftliche Kenntnisse strukturell eingebunden sind. Der Vorschlag des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (siehe Memorandum zum Regierungswechsel von 1998, zu beziehen über die Autorin) friedenswissenschaftliche Expertise unmittelbar in die Ausbildung des diplomatischen Dienstes zu integrieren, wurde bisher nicht aufgegriffen.
  • Die Bereitstellung der Mittel für Projekte des Friedensfachdienstes durch das BMZ hatte u.a. zur Folge, dass große Entwicklungsorganisationen einen neuen Zugang zur Finanzierung von Projekten gefunden haben. Wenn es hier nicht um »alten Wein in neuen Schläuchen« geht, dann müsste sich dies niederschlagen in der Konzeption der Projekte und den entsprechenden Qualifizierungsprogrammen. Die Diskussion hierzu ist in vollem Gange (siehe hierzu Konsortium Ziviler Friedensdienst: Gemeinsames Konzept für einen »Friedensfachdienst in der Entwicklungszusammenarbeit« in: www.forumzfd.de/konz-kon.htm sowie Andreas Mehler/Claude Ribaux: Krisenprävention und Konfliktbearbeitung in der Technischen Zusammenarbeit. Ein Überblick zur nationalen und internationalen Diskussion, Wiesbaden 2000).

Mindestanforderungen an ein Qualifizierungssystem für die Friedensarbeit

Aus dem Überblick über das derzeitige Qualifizierungsangebot ergeben sich fünf strukturelle Anforderungen zur weiteren Ausdifferenzierung:

  • Grundständige Ausbildungs- und Studienangebote sollten auf allen Ebenen des vertikalen Ausbildungssystem geschaffen werden;
  • in den bestehenden Ausbildungsgängen sollte Kompetenz für Friedensarbeit als fester Bestandteil integriert sein;
  • neben einem möglichst vielfältigen berufs- und disziplingebunden Angebot sollte es ein eigenständiges, interdisziplinäres Angebot der Friedenswissenschaft/Friedensarbeit geben;
  • Weiterbildungen sollten Qualitätskriterien genügen und mit vergleichbaren anerkennungsfähigen Zertifikationen ausgestattet werden;
  • Fort- und Weiterbildungen sind im unmittelbaren gesellschaftlichen Interesse, d.h. sie sollten stattlich gefördert werden um sie kostengünstig anbieten zu können.

Christiane Lammers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Landesarbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft in NRW und Mitglied des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK)


Wissenschaftliche Studienangebote

Aufgelistet sind nur die auf ein spezifisches Zertifikat ausgerichteten und damit strukturierten friedenswissenschaftlichen Studienangebote. Nicht aufgenommen sind einzelne Seminare. Die Auflistung steht unter dem Vorbehalt »work in process«. Bisher gibt es für den Bereich »Qualifizierungsangebote in der Friedensarbeit« noch keine umfassende Handreichung oder linkliste. Im Rahmen des 2001 in Hagen beginnenden Weiterbildungsstudium »IF« ist u.a. geplant, diese innerhalb der multimedialen »Lernumgebung« einzurichten.

Träger: Eberhard Karls-Universität Tübingen, Institut für Politikwissenschaft
Art: Erstes oder zweites Hauptfach im Magisterstudiengang
Inhalte: Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen/Friedens- und Konfliktforschung
Infoadresse: s.o., Melanchthonstr. 36, 72074 Tübingen, www.uni-tuebingen.de/uni/spi/ab2mitar.htm

Träger: FernUniversität Hagen, Institut Frieden und Demokratie
Art: Berufsbegleitendes zweisemestriges interdisziplinäres friedenswissenschaftliches Weiterbildungsstudium »Konflikt und Frieden« (IF) im Fernstudium mit Präsenzanteilen mit Hochschulzertifikat (Beginn: SS 2001)
Inhalte: Friedenswissenschaftliches Grundlagenwissen, Wahlschwerpunkte »innergesellschaftliche Konflikte« und »internationale Konflikte«
Infoadresse: s.o., Im Dünningsbruch 9, 58084 Hagen, www.fernuni-hagen.de/FRIEDEN

Träger: FernUniversität Hagen, Lg. Öffentliches Recht, Juristische Rhetorik und Rechtsphilosophie
Art: Berufsbegleitendes zweisemestriges Weiterbildungsstudium »Mediation« im Fernstudium mit Präsenzanteilen mit Hochschulzertifikat
Inhalte: Mediation als Teil des Rechtsverfahrens mit Wahlschwerpunkten Umwelt-, Familien- und Wirtschaftsmediation
Infoadresse:, s.o., Feithstr. 140, 58084 Hagen, www.fernuni-hagen.de/OERV/Redaktion.html

Träger: Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung/Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz
Art: Frühjahrsakademie mit Abschlusszertifikat
Inhalte: Friedenswissenschaftliche Themen mit politikwissenschaftlichem Schwerpunkt
Infoadresse: HSFK, z.Hd. Dr. B. Meyer, Leimenrode 29, 60322 Frankfurt/M. www.hsfk.de

Träger: Philipps-Universität Marburg, Institut für Soziologie
Art: Nebenfachstudiengang »Friedens- und Konfliktforschung« im Diplomstudiengang Soziologie
Inhalte: Konflikttheorie, -analyse und -bearbeitung mit Schwerpunkt auf innergesellschaftliche Konflikte
Infoadresse: s.o., Ketzerbach 11, 35032 Marburg, www.uni-marburg.de/fb03

Träger: Ruhr-Universität Bochum, Institut für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht, und 14 weitere europ. Universitäten
Art: Zweisemestriger Postgraduierten-Studiengang mit Master-Abschluss: »European master's Degree in Human Rights and Democratization«
Inhalte: Multidisziplinäres Programm zu Menschenrechte und Demokratie (Geschichte, Politik, internationale Gesetzgebung, Durchsetzung)
Infoadresse: s.o. (IFHV), Universitätsstr. 150, 44780 Bochum, www.ruhr-uni-bochum.de/ifhv

Träger: Carl v. Ossietzky-Universität Oldenburg, Abt. für psychosoziale Weiterbildung
Art: Fünfsemestriges Kontaktstudium »Mediation« in Form von Wochenendseminaren
Inhalte: Wahlschwerpunkte Familien-, Umwelt, Wirtschafts- und Organisationsmediation
Zielgruppe: PädagogInnen, JuristInnen, PsychologInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen, Fachkräfte in Organisationen und Verwaltung
Infoadresse: s.o., Postfach 2503, 26111 Oldenburg, www.uni-oldenburg.de/ZWW

Anmerkung:

Die Mitte der 80er Jahre an manchen Hochschulen zusammengestellten friedensspezifischen Vorlesungsverzeichnisse sowie die mancherorts durchgeführten Ringvorlesungen gibt es fast ausnahmslos nicht mehr. Einen Eindruck vom heutigen Lehrangebot vermitteln zwei Länderstudien: Friedenswissenschaft in Niedersachsen. Lehre – Forschung – Umsetzung, bearbeitet von Gudrun Schwarzer, hrsg. vom Projektverbund Friedens- und Konfliktforschung in Niedersachsen, Osnabrück 1998; und: Zum Stand der Friedenswissenschaft (Friedensforschung, Friedenslehre) an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, von Christiane Lammers/Hajo Schmidt, Hagen 1995.

Liste von praxisorientierten Weiterbildungsangeboten

Liste von praxisorientierten Weiterbildungsangeboten

Internationale Friedensarbeit

Träger: Auswärtiges Amt
Art: Zielorientierte Lehrgänge von zweiwöchiger Dauer
Inhalte/Schwerpunkte: UN- und OSZE-Friedensmissionen
Zielgruppe: Potenzielle MitarbeiterInnen internationaler Einsätze
Infoadresse: Auswärtiges Amt, Referat 203, Koordinator für die Ausbildung von zivilem Personal für internationale Einsätze, Adenauerallee 99-103, 53113 Bonn, www.Auswaertiges amt.de

Träger: Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe e.V.
Zielgruppe: Fachkräfte des zivilen Friedensdienstes
Art: Vier bis sechsmonatige Fortbildungen
Infoadresse: s.o., Abt. für intern. Zusammenarbeit und Begleitung, Riquarenstr. 8, 50679 Köln

Träger: Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung
Art: Fünftägige Seminare und Trainingskurse
Inhalte/Schwerpunkte: Interkulturelle Kommunikation und Konfliktmanagement
Zielgruppe: Fachkräfte der Entwicklungsarbeit, die von deutschen Organisationen entsandt werden
Infoadresse: s.o., Zentralstelle für Auslandskunde, Lohfelder Str. 128, 53604 Bad Honnef, www.dse.de/za/za.htm

Träger: AG Modellvorhaben »Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung«/Forum Ziviler Friedensdienst
Art: Dreimonatiges Qualifizierungsprogramm für Friedensfachkräfte
Inhalte /Schwerpunkte: Vorbereitung eines mindestens zweijährigen Einsatzes als Friedensfachkraft
Infoadresse: s.o. Wesselstr., 53113 Bonn, www.forumzfd.de

Träger: Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion – Kurve Wustrow
Art: Zweiwöchiges InternationalesTraining zur Ausbildung von Peace-Team-Freiwilligen
Inhalte/Schwerpunkte: Gewaltfreiheit im Kontext von Krieg und bewaffnetem Konflikt
Infoadresse, s.o. Kirchstr. 14, 29462 Wustrow, www.apc.de/kurvewustrow/fried/index.html

Innergesellschaftliche Friedensarbeit

Träger: Arbeitsgruppe SOS-Rassismus NRW
Art: Zwölfmonatiger berufsbegleitender Ausbildungsgang zur Trainerin/zum Trainer für Muliplikatorenseminare und projekte
Inhalte/Schwerpunkte: Deeskalation von Gewalt und Rassismus, besonders in Schule, Jugendhilfe, präventiver Polizei- und Justizarbeit
Infoadresse: s.o., c/o Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen, Haus Villigst, 58239 Schwerte

Träger: Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion – Kurve Wustrow
Art: Dreijährige berufsbegleitende Ausbildung zum Trainer/zur Trainerin
Inhalte/Schwerpunkte: Gewaltfreies Handeln
Infoadresse, s.o. Kirchstr. 14, 29462 Wustrow, www.apc.de/kurvewustrow/fried/index.html

Träger: Bund für Soziale Verteidigung
Art: Mehrstufige Ausbildung in je fünftägigen Seminaren zum Trainer/zur Trainerin
Inhalte/Schwerpunkte: Gewaltfreiheit und kreative Konfliktlösung
Zielgruppe: Personen, die in diesem Bereich handeln wollen
Infoadresse: s.o., Ringstr. 9a. 32427 Minden, www.dfg-vk.de/bsv/index.html

Träger: Europäisches Institut Conflict-Culture-Cooperation
Art: Mehrstufige Ausbildung fortlaufend über 31/2 Jahre zum Trainer/zur Trainerin
Inhalte/Schwerpunkte: Zivile und gewaltfreie Konfliktaustragung, interkulturelle Pädagogik
Zielgruppe: Aktive in der Menschenrechts-, Friedens- Entwicklungs- und Umweltarbeit, pädagogische MitarbeiterInnen
Infoadresse: Karl-Heinz Bittl, Hessestr. 4, 90443 Nürnberg

Träger: Fränkisches Bildungswerk für Friedensarbeit
Art: Diverse mehrstufige Ausbildungen zum Trainer/zur Trainerin
Inhalte/Schwerpunkte: 1. Interkulturelles Lernen und Zusammenarbeiten; 2. Zivile und gewaltfreie Konfliktaustragung; 3. Streitschlichterprogramme
Infoadresse: s.o., Hessestr. 4, 90443 Nürnberg, www.friedensdienst.de/fbf.html

Anmerkungen:

Nicht aufgelistet wurden einschlägige Fortbildungsangebote im Bereich Pädagogik, Psychologie und Sozialarbeit. Hier gibt es gerade für die innergesellschaftliche Konfliktbearbeitung traditionell sehr viele Angebote, aktualisiert auf die jeweils akuten gesellschaftlichen Problemlagen bzw. deren Wahrnehmung. Zur näheren Information ist es hilfreich sich an die einschlägigen Fachverbände und/oder die Landesinstitute für Schule und Weiterbildung wenden.

Anmerkungen

1) Nicht differenziert eingegangen wird in diesem Beitrag auf ein inhaltliches Anforderungsprofil der Friedensarbeit bzw. der Friedenswissenschaft. Hierzu sei z.B. verwiesen auf die Initiativgutachten, die im Vorfeld der Gründung der Deutschen Stiftung für Friedensforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erarbeitet wurden.

Auf den Bereich Mediation haben sich in den letzten fünf Jahren zahlreiche Bildungseinrichtungen spezialisiert; aufgeführt wurden in der Liste lediglich die wiss. Weiterbildungsangebote von Hochschulen. Interessierte sollten sich zur weiteren Information an die bundesweiten Netzwerke bzw. Dachorganisationen (z.B. Mediation e.V., Rosenanger 20, 31595 Steyerberg) zu wenden.

Tribunale gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien

Tribunale gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien

von Monika Nehr

Lange bevor der befürchtete Luftkrieg gegen Jugoslawien am 24. März 1999 begann, bombardierten die Nachrichtensender die Öffentlichkeit mit den Argumenten der Guten (NATO-Welt) gegen das Böse (Rest-Jugoslawien). Geistige Mobilmachung, die verstärkt wurde, nachdem die starke NATO den schwachen AlbanerInnen in Jugoslawien militärisch beistehen musste. Da gab es längst kein öffentliches Für und Wider mehr. Das gesprochene und geschriebene Wort der endlosen Rechtfertigungen schlich sich nicht als Marschflugkörper durchs Gelände, Schnellfeuergewehre schossen es aus allen Richtungen!
Seit dem Ende dieses Krieges kommen vereinzelt öffentlich Stimmen zu Wort, die diesen Krieg einen ungerechten Krieg nennen und ihre Argumente darstellen. Zu selten allerdings, um der Öffentlichkeit ein zusammenhängendes Gegenbild vorzustellen. So stellt sich die Frage, ob es denn keine Neugier nach Aufklärung oder Gegendarstellungen mehr gibt? Sind KriegsgegnerInnen und vielleicht auch die BefürworterInnen einfach nur froh, dass der Krieg vorbei ist?

Die Wahrheit über den Krieg der NATO gegen Jugoslawien, über seine Hintergründe, seine Ziele uns seine Folgen darf nicht im Dunkeln bleiben. Sie herauszufinden bedarf es einer internationalen Zusammenarbeit. Die Hearings und Tribunale genannten Veranstaltungen, die in verschiedenen Teilen der Welt – in Deutschland, Griechenland, Holland, Italien, Japan, Jugoslawien, Österreich, Russland, Ungarn und den USA – stattfanden,1 sollten hierbei eine herausragende Rolle spielen.

Die Zusammentreffen während der Hearings und Tribunale boten den internationalen Kräften gegen diesen Krieg ein gemeinsames Forum, vor allem um diejenigen ZeugInnen und Sachverständige anzuhören, die die offiziellen Medien kaum zu Wort kommen lassen. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Zwecklügen hinter den offiziellen Kriegsrechtfertigungen zu analysieren, und versucht die bisherigen Erkenntnisse in historische, militärische, ökonomische und politische Zusammenhänge einzuordnen.

Die bedeutendste Leistung liegt unbestreitbar darin, dass sie international vernetzt gearbeitet, teilweise eng kooperiert und gemeinsam versucht haben, nationale und internationale Kampagnen ins Leben zu rufen.

Doch anders als die Russell-Tribunale, die den Krieg der USA gegen Vietnam anprangerten und seinerzeit eine relativ breite Öffentlichkeit hatten, fielen die Hearings und Tribunale, ausgenommen die in Jugoslawien und Griechenland, unter eine nahezu totale Pressezensur.

Auch so manche verdiente Friedensorganisation und andere GegnerInnen dieses Krieges hielten sich mit aktiver Unterstützung zurück, wie zum Beispiel das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Deutschland oder die Womens International League for Peace and Freedom (WILPF) in den USA. Die Tribunalbewegung hatte wegen der – begründbaren – Beschränkung auf die Anklage der NATO schnell das falsche Etikett erhalten, einseitig parteilich für Jugoslawien zu sein.

Um so wichtiger ist es, die vielfältigen Aktivitäten und Ergebnisse der Tribunalbewegung zumindest innerhalb der KriegsgegnerInnen bekannt zu machen. Im engen Zusammenhang sind dabei die Veranstaltungen in Deutschland und den USA mit den abschließenden Tribunalen in Berlin und New York City im Juni dieses Jahres zu sehen.

Im Oktober 1999 und im April 2000 fanden in Berlin und Hamburg Hearings statt, die ebenso wie alle anderen vorbereitenden Hearings in das Europäische Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien am 2. und 3. Juni in Berlin und das World Tribunal on U.S.-NATO War Crimes against Yugoslavia am 10. Juni in New York mündeten.2

Das Berliner Tribunal war zeitlich länger sowie inhaltlich präziser und ausführlicher angelegt als das New Yorker Tribunal, doch in einer gemeinsamen Erklärung des Europäischen und US-amerikanischen Vorbereitungskomitees vom März d.J. werden die gemeinsamen Ziele der Tribunale genannt, die gleichzeitig auch ein Programm für die nächsten Jahre bedeuten: „Der Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen der NATO dürfen nicht ungesühnt bleiben – um der Verhinderung neuerlicher Kriegsabenteuer, um des Friedens willen. (…) Wir wollen dazu beitragen, dass die Wahrheit über den Krieg verbreitet wird und die für ihn verantwortlichen zivilen und militärischen Führer der USA, Deutschlands, Großbritanniens und der anderen NATO-Staaten zur Rechenschaft gezogen werden.“

In den Klageschriften beider Tribunale werden alle aus ihrer Sicht für diesen Krieg gegen Jugoslawien verantwortlichen führenden PolitikerInnen und Militärs der NATO-Staaten namentlich angeklagt. In der deutschen Klageschrift werden ebenfalls diejenigen Abgeordneten des deutschen Bundestages namentlich angeklagt, die dem Kriegseinsatz der Bundeswehr zugestimmt haben. Darunter befinden sich auch die späteren KritikerInnen des deutschen Militäreinsatzes wie Oskar Lafontaine oder Hermann Scheer.

Der Leiter des Berliner Tribunals, der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech, erklärte zu Beginn, dass sich das Tribunal auf jene Verbrechen konzentriere, die zur Zeit keine Chance hätten, anderswo untersucht zu werden. Er nannte das von der NATO mitfinanzierte Internationale Straftribunal für das ehemalige Yugoslawien (ICTFY) in Den Haag einäugig, weil es nur die serbischen Kriegsverbrechen untersucht. Dort seien zur Zeit 300 ErmittlerInnen an der Arbeit. Informelle Tribunale können nur einen Teil der Wahrheit aufdecken, sie könnten auch keine Sanktionen aussprechen. Er hoffe deshalb darauf, dass das beschlossene unabhängige »Weltstrafgericht«der UNO endlich eingesetzt und bald tätig werden könne. Dies steht als Forderung bereits in der US-amerikanischen Klageschrift.

Paech nannte die internationalen Rechtsnormen, die sich die Staaten gegeben haben, als Kriterien dieses informellen Tribunals, denn sie seien nachprüfbar. Es gehe daher in der Anklageschrift nicht um Fragen der Politik, der Kultur, der Ökonomie, denn Kriterien der Politik oder Moral seien schwierig festzulegen, es gehe in diesem Tribunal vielmehr um das Völkerrecht, das mit dem Krieg gebrochen wurde.

Rechtsanwalt Ulrich Dost hatte die ausführliche Klageschrift verfasst und begründete die Anklage mit Rechtsverstößen aller Art. Sie betreffen die Planung des Angriffskrieges gegen Jugoslawien und seine Durchführung als Luftkrieg. Die Zahl der Luftangriffe wird mit 37.465 ebenso genau angegeben wie Name, Zeit und Ort der durch Bombardierung zerstörten zivilen Einrichtungen. Auch einige der Opfer und AugenzeugInnen werden namentlich genannt.3

Die gründliche Darstellung beschränkte sich auf die beiden juristischen Sachverhalte Vorbereitung des Krieges und Kriegshandlungen. Sie wurden jeweils ausführlich dargestellt und mit einer nachlesenswerten Chronologie der zum Krieg führenden politischen Entwicklung seit 1990, mit Zitaten u.a. aus Bundestagsprotokollen und Buchpublikationen, begründet.

Die vergleichsweise kurze Anklageschrift des US-amerikanischen Tribunals wurde bereits auf dem Berliner Hearing im Oktober 1999 von Ramsey Clark, dem ehemaligen Justizminister der USA, vorgestellt.4 Das von Clark und einer Kommission erarbeitete Dokument enthält 19 Anklagepunkte, von denen 16 auf Verstöße gegen internationales, in einigen Fällen auch auf nationales Recht zurückgeführt werden.

Sie benennen die konkreten Kriegshandlungen nicht einzeln wie in der deutschen Klageschrift. Die Anklagepunkte sind fast alle allgemein formuliert, wie zum Beispiel Punkt 1: Planung und Durchführung der Zerstückelung, der ethnischen Spaltung und der Verarmung Jugoslawiens, jeweils gefolgt von kurzen Analysen der Hintergründe und Absichten der kriegsführenden NATO. An vorderster Stelle der pointiert formulierten radikalen politischen Anklagen stehen die Regierung der USA und das Pentagon, denen u.a. die Planung zur Ermordung des jugoslawischen Regierungschefs (Punkt 7) und Missbrauch der international kontrollierten Medien zur Dämonisierung Jugoslawiens und der SerbInnen (Punkt 15) vorgeworfen werden. Als Ziele der USA nennt die Anklageschrift Beherrschung, Kontrolle und Ausbeutung Jugoslawiens, seiner Bevölkerung und seiner Ressourcen (Punkt 18) und als Mittel militärische Gewalt und ökonomischen Zwang (19). Es handelt sich um die Anklagepunkte 15, 18 und 19, die keine Rechtsgrundlage haben, aber dennoch in der Anklageschrift stehen.

Die Rolle und der Missbrauch der Medien, die auf den deutschen Hearings ausführlich, u.a. von Eckhart Spoo und Hermann Gremliza, behandelt wurden, (vgl. Fußnote 2) wurden jedoch – im Gegensatz zur US-amerikanischen Klageschrift – nicht in die deutsche Klageschrift aufgenommen und daher auch nicht auf dem Tribunal verhandelt.

Beide Tribunale bestanden aus VertreterInnen der Anklage, einem international zusammengesetzten Gremium aus LaienrichterInnen, sie ließen ZeugInnen und Sachverständige zu Wort kommen. Auf dem Berliner Tribunal übernahm eine russische Juristin zusätzlich die Rolle der Pflichtverteidigung, worauf das New Yorker Tribunal von vornherein verzichtete.

Die Laienrichterschaft der Tribunale bestand jeweils aus 16 Mitgliedern. Im New Yorker Tribunal waren 6 Mitglieder aus den USA, die anderen kamen aus Deutschland, der Türkei, Korea, Italien, Haiti und Puerto Rico. Die mehr als 30 ZeugInnen und Sachverständige kamen aus verschiedenen Staaten der USA, Kanada und aus Europa. Zum ersten Mal traten auf einem solchen Tribunal in der Richterschaft wie auch im Zeugenstand VertreterInnen der Roma auf. Die ZeugInnen aus der Ukraine konnten nicht anreisen, weil die US-Botschaft die Einreisevisa verweigert hatte.

Unter den 16 Mitgliedern des Richtergremium am Berliner Tribunal waren auch mehrere JuristInnen, darunter der französische Rechtsanwalt und Sprecher der Internationalen Vereinigung demokratischer Juristen, Pierre Kaldor.

Die ZeugInnen und Sachverständigen beider Tribunale nahmen Stellung zur langfristigen Kriegsvorbereitung, den offiziellen Kriegsgründen und unmittelbaren Kriegsanlässen, wie zum Beispiel dem sogenannten Hufeisenplan oder dem umstrittenen Massaker von Racak. In Berlin wurde als Dokument noch einmal die Panorama-Sendung vom Januar 2000 gezeigt, in der u.a. Bundeswehrgeneral Heinz Loquai mit seinem Insiderwissen aus der Bundeswehrführung und Zweifeln an dem Hufeisenplan zu Wort kommt.

Breiten Raum bekam in New York der Balkanspezialist und Publizist Michel Collon aus Belgien für die Darstellung seiner Forschungen über die langfristigen geopolitischen und ökonomischen Kriegsziele der NATO. Er ging u.a. auf die Bedeutung der Ölvorräte im Kaspischen Meer und den Zugang zu den Pipelines ein. 5

In New York legte die Zeugin Leonora Foerstel dar, dass es auch für die Massenvergewaltigungen bosnisch-muslimischer Frauen durch bosnisch-serbische Soldaten Anfang der 90er Jahre keine Beweise gäbe. Bisher konnten nur 4 betroffene Frauen ausfindig gemacht werden. Sie berichtete von entsprechenden unabhängigen Untersuchungen.6

Eine besonders eindrucksvolle Präsentation gab Jared Israel aus den USA auf dem New Yorker Tribunal mit seiner Videodokumentation über die Geschichte des weltberühmten Fotos, das einen abgemagerten jungen Mann hinter einem Stacheldrahtzaun zeigt. Die britische Nachrichtenagentur ITN hatte 1992 das Bild durch Einblenden des Stacheldrahtes verändert und auf diese Weise aus dem Flüchtlingslager das Konzentrationslager von Trnoplje gemacht. Damit begann, so Israel, die bis heute andauernde weltweite Dämonisierung der SerbInnen. Herausgekommen ist die Manipulation nur, weil ein damals gleichzeitig anwesendes serbisches Kamerateam das weltweit veröffentlichte ITN-Foto mit seiner eigenen Videoaufnahme über das Flüchtlingslager verglich und den Skandal bekannt machte. Doch im Vergleich zu dem Bekanntheitsgrad des ersten Fotos blieb die später folgende Kritik an ITN in der öffentlichen Meinung praktisch wirkungslos.7

Ein Schwerpunkt der Aussagen von ZeugInnen und Sachverständigen auf beiden Tribunalen war den Kriegsfolgen durch Zerstörungen in der gesamten Infrastruktur Jugoslawiens, aber auch durch die Embargopolitik des Westens gewidmet.

Die Zeugin Liliane Werner, Ärztin an der medizinischen Hochschule in Hannover, vertrat die Internationale Ärzteorganisation gegen den Atomkrieg (IPPNW). Ihr Thema ist die Katastrophe im Gesundheitswesen als Kriegsfolge. Sie wurde selbst in einem der zerstörten Krankenhäuser in Jugoslawien ausgebildet und hatte es im Juni 1999 besichtigt. Die Definition »Katastrophe im Gesundheitswesen« bedeute ein Ungleichgewicht zwischen den vorhandenen Kapazitäten und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Diese Lage ist in Jugoslawien entstanden, nachdem durch gezielte Luftangriffe 147 Krankenhäuser zerstört oder beschädigt wurden. Auch ÄrztInnen, Mütter und Kinder in Entbindungsstationen waren betroffen. Damit hat die NATO-Kriegsführung offenkundig die Genfer Konvention und das Recht des Kindes missachtet. Außerdem hat die Bombardierung der chemischen Industrieanlagen in Pancevo ähnliche Folgen für die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung wie der Einsatz verbotener chemischer Waffen. Auch die Geschosse mit abgereichertem Uran verursachen noch nicht abzuschätzende gesundheitliche Schäden.

Zur Situation im Kosovo nach dem Ende des Krieges nahmen auf dem New Yorker Tribunal mehrere ZeugInnen und Sachverständige Stellung. Michel Chossudovsky, ehemaliger UNO-Berater aus Kanada, zeigte die zweifelhafte Rolle der sogenannten »Kosovo-Befreiungs-Armee« auf und belegte an Hand von Fotos und Schriftstücken deren Kontakte zur NATO-Führung, zum US- und deutschen Geheimdienst.

Barry Lituchy aus New York, der vor kurzem in Jugoslawien war, berichtete von der Mitwirkung der KFOR bei der Ausweisung von BewohnerInnen aus dem Kosovo.

Shani Rifati, Roma aus dem Kosovo, der jetzt als Roma-Vertreter in den USA arbeitet, berichtete von dem Leiden seiner Volksgruppe durch die »Kosovo Befreiungsarmee«, aber auch durch die KFOR.

Der Anklagepunkt 14 der US-amerikanischen Klageschrift lautet: Einsetzung eines illegalen Ad-hoc-Straftribunals zur Zerstörung und Dämonisierung der serbischen Führung und wurde für das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTFY) in Den Haag ausgearbeitet. In der Begründung heißt es, dass der UN-Sicherheitsrat von den USA, vertreten durch Madeleine Albright, gezwungen wurde, in Verletzung der UN-Charta das Ad-hoc-Straftribunal für Jugoslawien einzusetzen.

Der Zeuge Christopher Black, Rechtsanwalt aus Kanada, hatte mit anderen AnwältInnen bei dem Haager Tribunal (ICTFY) die später zurückgewiesene Klage gegen Verbrechen der NATO im Krieg gegen Jugoslawien vertreten. Er berichtete von der dominanten Rolle des US-Außenministeriums, vertreten durch Madeleine Albright, von seinen Recherchen über die Finanzierung des Haager Tribunals, u.a. durch die Rockefeller Foundation und von der Korruptheit einiger RichterInnen.

Die Reihe der ausgewählten Zeugenaussagen soll an dieser Stelle mit dem Verweis auf die kritischen Analysen der neuen NATO-Strategie durch den ehemaligen Admiral der Bundeswehr Elmar Schmähling und den ehemaligen Botschafter der DDR in Jugoslawien Ralph Hartmann beendet werden. 8

Beide Tribunale endeten mit dem Schuldspruch für alle Angeklagten. Für das New Yorker Tribunal sollte es der Auftakt für eine nationale und internationale Kampagne zur Abschaffung der NATO sein. Die Abschaffung der NATO war als Forderung bereits in die Anklageschrift aufgenommen.

Die Erwartungen des deutschen Vorbereitungskomitees an das Tribunal in Berlin hatte Laura von Wimmersperg, seit vielen Jahren Moderatorin der Berliner Friedenskoordination, bereits im Vorfeld formuliert: „Die Arbeit zum Tribunal zwingt uns, international zu arbeiten. Das ist gut so, weil diese Vernetzung notwendiger denn je ist. Für die Friedensbewegung ist es aber immer schon sehr schwer gewesen, den Spagat zwischen lokaler und internationaler Kleinarbeit hinzukriegen. Aber mit dem Tribunal, mit seinem klaren, sachlichen Ziel kann uns die Vernetzung gelingen.“ 9

Und die Tribunale zeitigen bereits erste Folgen: Da die Einrichtung eines Weltstrafgerichts der UNO noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, hat der Ankläger auf dem Berliner Tribunal, Ulrich Dost, die Stiftungsinitiative »NATO-Staaten erfolgreich verklagen« zur juristischen Durchsetzung von Ansprüchen aus NATO-Kriegsfolgen in Jugoslawien ins Leben gerufen.10 Diese Initiative ergänzt die von amnesty international bereits Anfang Juni gestartete Initiative, in der die NATO beschuldigt wird, gegen das Kriegsrecht der Genfer Konvention verstoßen zu haben und in der ai die NATO-Länder auffordert, NATO-Kriegsverbrecher vor nationalen Gerichten wie auch vor dem Den Haager ICTFY anzuklagen.

Anmerkungen

1) vgl. den Aufruf zum 2. Internationalen Hearing des Europäischen Tribunals in Hamburg

2) über die Hearings wurden bereits 2 umfangreiche Dokumentationen als Sammelbände publiziert: Band 1: Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien; Band 2: Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Beide hrsg. von Wolfgang Richter, Elmar Schmähling, Eckart Spoo. Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2000. Die Dokumentation des Berliner Tribunals wird beim selben Verlag noch in diesem Jahr erscheinen. Bezugsanschrift: Badeweg 1, 04435 Schkeuditz

3) Aus dem Kriegsgeschehen werden konkrete Handlungen exemplarisch für die Verstöße im Sinne der Anklage zum Gegenstand der Anklage erklärt und ausführlich kommentiert: 1. der Angriff auf einen Personenzug am 12.4.99; 2. der Angriff auf das Studio von RTS in Belgrad am 23.4.99; 3. der Angriff auf das »Dragisa Misovic« Klinikum am 20.5.99 und 4. der Einsatz der Geschosse mit abgereichertem Uran 238; (vgl. Dokumentation der Anklageschrift in der Sonderbeilage der Tageszeitung »junge Welt« vom 24.5.2000 oder s. u.: www.nato-tribunal.de

4) vgl. Ramsey Clark, Es ist notwendig, anzuklagen, in: Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, a.a.O., S. 18-33

5) vgl. Michel Collon, Poker Menteur (1998): Les grandes puissances, la Yougoslavie et les prochaines guerres. Edition EPO et Michel Collon, Bruxelles.

6) vgl. Leonora Foerstel (Ed.) (1999): War, Lies and Videotape. International Action Center. Bezugsquelle: www.leftbooks.com
vgl. Sara Flounders (1998): Bosnia tragedy: The unknown role of the Pentagon, in: Ramsey Clark u.a. (Ed.) NATO in the Balkans, International Action Center, New York. Bezugsquelle: International Action Center, 39 West 14th Street, Suite 206, New York, NY 10011, email: iacenter@iacenter.org

7) Eine Kopie der Videodokumentation (30') von J. Israel kann in Deutschland ausgeliehen werden bei:
Monika Nehr, Zimmerstr.10a, 13595 Berlin

8) Die Standpunkte beider Experten kommen auch in ihren Beiträgen in den Sammelbänden: Die Wahrheit über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien und Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien (a.a.O) zum Ausdruck.

9) vgl. Interview mit der Tageszeitung junge Welt vom 2. Nov. 1999, S. 2

10) vgl. auch Bericht in: junge Welt vom 15/16. Juli 2000, S. 4; und für die Stiftungsinitiative: U.Dost@addcom.de

Dr. Monika Nehr arbeitet als Linguistin und Publizistin in Berlin

„Ich möchte zu meinem Leben stehen können“

„Ich möchte zu meinem Leben stehen können“

von Inge Jens

Tausende blockierten in den Achtzigerjahren in Mutlangen, im Hunsrück und anderswo US-Atomraketenbasen. Gezielt wurden staatliche Vorschriften und Gesetze verletzt um Wichtigeres einzufordern: Die Sicherung des Friedens durch Abrüstung. Zivilcourage: Die »Blockierer« nahmen für ihre politischen Ziele Verurteilungen in Kauf, Geldstrafen und manchmal auch Haft.
Inge Jens, seit Jahrzehnten aktiv in der westdeutschen Friedensbewegung, blieb auch während des Golfkrieges ihrer pazifistischen Position treu und gewährte US-Deserteuren Obdach. Wir dokumentieren ihre »Verteidigungsrede« vor Gericht.

Ich bin ein Kriegskind, Herr Richter. Die entscheidenden Erlebnisse meines Lebens sind Kriegserfahrungen. Keine besonderen, nichts was über den Rahmen eines für damalige Verhältnisse normalen“ Alltags hinausgegangen wäre: Einsätze im Nacht für Nacht von Bombern heimgesuchten Hamburg, wie sich's gerade bot: Freischaufeln von verschütteten Kellereingängen, Betreuung von Menschen, die, nach dem Verlust von Hab und Gut – manchmal auch von Angehörigen: Kindern, Eltern, Freunden – zu den Evakuierungszügen gebracht werden mussten. Hilfe für Fronturlauber, die von uns in den Vermisstenstellen arbeitenden Kindern erfahren wollten, wo sie ihre ausgebombten Angehörigen wiederfänden. Später dann – der Krieg war lang, als er endete war ich immerhin 18 Jahre alt – die Arbeit in einem Provinzkrankenhaus, in das man die Verwundeten brachte, die mit Lazarettzügen aus dem Rheinland kamen: unter ihnen Willi, ein Junge, so alt wie ich. Ich hatte Dienst, als man ihm eine Bein amputierte und ich besuchte ihn später auf unserer Schwerverletztenstation. Er hatte Jockey werden wollen.

Nichts besonderes, wie gesagt, nur das, was man damals Kriegsalltag nannte. Aber er hat mich geprägt. Krieg als Inbegriff aller Ängste, Schrecken und sinnlosen Leiden wurde zur bis heute entscheidenden Erfahrung meines Lebens. Ich kann und will sie nicht vergessen und habe mich seither bemüht, jedenfalls im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten als Pazifistin dafür zu sorgen, dass einer neuen Generation dergleichen erspart bleibt.

Ich war dankbar dafür, dass unsere Verfassung meinen Kindern die Möglichkeit gab, statt der Handhabung von Gewehren und anderen Waffen die richtige Bedienung von Rollstühlen und den Umgang mit Behinderten zu erlernen und ich war glücklich, als sie beide von dieser Möglichkeit Gebrauch machten und den Wehrdienst verweigerten. Die Begründung meines Jüngsten: „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, eines Tages der Mutter eines Soldaten zu begegnen, den ich getötet habe. Was soll ich ihr sagen, wenn sie mich fragt: »Warum?«“ ging mir nach. Ich musste an sie denken als man uns bat, zwei amerikanische Kriegsdienstverweigerer aufzunehmen und sie gewann eine für mich existenzielle Dimension, als die beiden dann wirklich vor unserer Haustür standen.

Ich will nicht verschweigen, dass ich etwas Angst gehabt hatte vor diesem Moment: zwei fremde Menschen, Berufssoldaten aus dem US-Unterschichtsmilieu, die sich irgendwann einmal freiwillig für den Dienst mit der Waffe entschieden hatten… wie würde das gehen? Aber eben dieses »irgendwann« – unter Umständen also, die ich (noch) nicht kannte – gab den Ausschlag und machte mir die grundsätzliche Entscheidung leicht. Ich wusste nämlich auch, dass sich die beiden angesichts ihrer konkreten Erfahrungen mit und in der Armee dazu durchgerungen hatten, auszusteigen. Sie hatten den Antrag auf »conscientious objection« gestellt. Er war noch nicht entschieden. Aber die politische Situation ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht mehr entschieden würde, ehe der Krieg losbrach. Man würde die beiden also zwingen, eben das zu tun was zu verweigern sie sich durchgerungen hatten: auf Menschen zu schießen, sie zu verwunden, sie umzubringen.

Und ich? Kam es mir zu, ein schwebendes Verfahren dadurch abzukürzen, dass ich die beiden Akteure einfach ihrem Schicksal überließ? Einem Schicksal zudem, das – da ihre Einheit an den Golf verlegt werden sollte – möglicherweise ihren Tod bedeutet hätte? Meine Entscheidung, das wurde mir plötzlich mit erschreckender Deutlichkeit klar, konnte irreversible Folgen haben. Gesetzt den Fall, die beiden würden (was zumindest im Bereich des Möglichen, wenn nicht gar des Wahrscheinlichen lag) als Wehrdienstverweigerer anerkannt werden zu einem Zeitpunkt, da sie – in Handschellen an die Front gebracht und dort in einem Strafbataillon zu schießen gezwungen – längst jämmerlich verreckt wären… würde nicht auch ich dann für ihren Tod zumindest mitverantwortlich sein?

Nein, die Sache war klar. Es bedurfte nur eines Blickwechsels zwischen meinem Mann und mir, und wir wussten, dass diese Bitte um Hilfe – konkret um Unterkunft für die beiden Soldaten die sich ohne Urlaubsgenehmigung von ihrer Truppe entfernt hatten – weder zu delegieren noch zu ignorieren war, sondern – mit allen Implikationen – uns ganz persönlich betraf: Eine Verweigerung wäre einem Widerruf all dessen gleichgekommen, für das wir unser ganzes gemeinsames Leben lang eingestanden waren…

Ich habe einen wichtigen Teil meiner sicherlich stark autobiographisch beeinflussten Beweggründe bereits genannt. Aber es bleibt noch ein weiteres Moment das ich erwähnen muss, auch wenn es wiederum autobiographischer Natur ist: die Auseinandersetzung mit den konkreten Formen nationalsozialistischer Inhumanität, die ich als Jugendliche – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Kenntnis genommen hatte. Sie vollzog sich wesentlich durch die Arbeit mit Dokumenten des studentischen Widerstandes, ergänzt durch das Studium entsprechender Zeugnisse und Berichte aus anderen Bereichen der Résistance sowie der systematischen Lektüre von historischen Analysen und biographischen Berichten, zu denen damals auch Anna Seghers Roman »Das siebente Kreuz« gehörte, die Geschichte des flüchtigen KZ-Ausbrechers Georg Heisler, dessen Überlebenschance von der Bereitschaft seiner Mitmenschen abhängt, ihm Unterkunft und Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Die Details des Buches, die Namen der Akteure, habe ich vergessen, aber geblieben ist mir das Bild des Fliehenden, der nicht durch große, spektakuläre Aktionen, sondern durch viele kleine, temporär begrenzte Hilfeleistungen am neuen Ufer ankommt.

Anna Seghers` Flüchtling war mir nah in den Tagen, da ich auf meine Schützlinge wartete. Und dann standen sie wirklich vor meiner Haustür, ein farbiger Junge und ein weißes Mädchen. – Ich hatte offenbar vergessen, wie jung Soldaten sind; jedenfalls waren alle Zweifel und Ängste wie weggeblasen und ich hatte nur noch ein einziges Gefühl: »Mein Gott, das könnten ja deine Kinder sein« und ich musste an die Frage meines Sohnes denken, die für mich jetzt hieß: »Was soll ich sagen, wenn sie mich fragen, warum hast du sie nicht aufgenommen?« „Die ghöret au ebbam“ – „Es sind Menschen, auch sie haben Angehörige, die sich um sie sorgen“, sagte später, nüchtern und unsentimental, meine Zugehfrau und brachte damit meine Argumente und Beweggründe mit der Treffsicherheit und verweisenden Ausdruckskraft des Dialekts auf den Begriff.

Ich habe dem, was die Sache betrifft, nichts hinzuzufügen und möchte nur noch wenige Sätze zur aktuellen Situation sagen: Wie immer das Urteil ausfallen mag: ich fühle mich weder einer Tat schuldig, die ich zu bedauern oder gar zu bereuen hätte, noch denke ich etwas gemacht zu haben was überhaupt, weder positiv noch negativ, öffentliche Beachtung verdient. Wir haben keine Juden versteckt oder Widerstandskämpfern Unterschlupf gewährt und damit Leib und Leben riskiert – der Vergleich mit der Situation, in der sich Helfer während der Zeit des Nationalsozialismus befanden, ist in höchstem Maße indezent. Wir haben zwei Soldaten versteckt… nein, nicht versteckt, das war im friedlichen Tübingen, wo man an jeder Straßenecke weiße, gelbe oder schwarze Jugendliche treffen kann, weiß Gott nicht nötig. Unsere Schützlinge konnten sich in dieser Stadt frei bewegen; niemand hat ihnen ein Haar gekrümmt… nicht versteckt also, sondern aufgenommen. Aufgenommen, weil ihnen die große Geschichte die Möglichkeit nahm, ihr Recht auf Berücksichtigung einer Gewissensentscheidung einzuklagen.

Nie hätte ich versucht, den Prozess einer solchen Entscheidungsfindung von außen her, also durch Aufrufe oder wie immer geartete Agitation zu beeinflussen. Vorwürfe, die in diese Richtung gehen, sind absurd und treffen mich nicht. Eine Gewissensentscheidung kann nur der Betroffene selbst fällen oder es ist keine Gewissensentscheidung mehr. Sehr wohl aber haben wir versucht, zwei Menschen zu helfen die in Not gerieten, weil ein martialisch gesinnter Truppenkommandeur in der sicheren Erwartung von Krieg die Modalitäten außer Kraft setzte, die ihnen von Gesetzes wegen zur Regelung ihres Konfliktes zwischen einmal zugesagtem soldatischen Gehorsam und dem Gebot ihres Gewissens zustanden.

Mehr zu tun lag weder in unserer Absicht, noch in unseren Möglichkeiten. Das Geringe was zu bewirken in unserer Macht stand jedoch auch wirklich zu tun war eine Forderung, die wir nicht nur unseren Schützlingen, sondern auch unseren Kindern und allen jenen schuldig waren die sich gelegentlich an unserem Verhalten zu orientieren suchen. Darüber hinaus war es ein sich aus unserer Biographie und Überzeugung ergebendes Gebot der Selbstachtung, dem nicht zu gehorchen für uns in diesem Fall weiß Gott schlimmere Folgen gehabt hätte als eine mögliche Verurteilung wegen Beihilfe zur Fahnenflucht. Eine Verweigerung hätte, ich wiederhole es, all unser bisheriges Reden und Handeln zur Farce gemacht, ja ausgelöscht. Ich möchte aber zu meinem Leben stehen können, Herr Richter – und deswegen habe ich den beiden Flüchtlingen geholfen.

Dr. phil. Inge Jens ist Literaturhistorikerin und Publizistin.