Die politischen Facetten des Sports


Die politischen Facetten des Sports

Zwischen Herrschaft und Emanzipation

von Tim Bausch

Der nachfolgende Beitrag thematisiert die politischen Implikationen des Sports. Die damit einhergehende Perspektive wählt die Termini »Herrschaft« und »Widerstand« als begriffliches Fundament. Verschiedene Beispiele, aus ganz unterschiedlichen Sportarten, dienen der Illustration. So wird deutlich, dass Sport sowohl eine Arena mächtiger Interessen als auch widerständiger Praktiken sein kann.

Für viele Menschen ist Sport, vor allem Sportkonsum (etwa bei Fernsehübertragungen und Stadionbesuchen), in erster Linie eine Frage des Vergnügens. Sport dient der Unterhaltung, lässt uns (mit-) fiebern und staunen. Identifikation ist hier ein wesentlicher Mechanismus. Bei den Berg­etappen des Radsportprofis Jan Ulrich, so würde manch einer behaupten, brannten die Oberschenkel einer ganzen Nation. Ich kehre zu diesem Umstand an späterer Stelle zurück. Für andere wiederum ist der Besuch im Fußballstadion eine Weltflucht. Hier können die Fans ihrem Alltag entweichen, hier kann man ein (anderer) Mensch sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Verbindung von Sport und Politik für die meisten Menschen vor allem eins: lästig. Sport sei Sport und Politik sei Politik. So setzt sich eine romantische Vorstellung des modernen Sports fest, die nicht getrübt werden möchte. Etwaige politische Verflechtungen werden systematisch ausgeklammert. Doch bei genauerer Betrachtung kommen vielfach politische Implikationen zum Vorschein. Das eingangs skizzierte romantische Bild, Sport als pure Unterhaltung, bekommt einen Beigeschmack. Sport, so die grundlegende Annahme meines Beitrages, ist ein Teilsystem des Gesellschaftlichen und kann über sozio-politische Dynamiken nicht einfach hinwegsehen. Sport, insbesondere der so genannte Breitensport, ist ein sozialer Spiegel und eben kein illusorischer Fluchtraum.

Nun ist das thematische Feld, das damit eröffnet wird, riesig, und die politischen Facetten des Sports können schwerlich in einem einzelnen Artikel beleuchtet werden. Daher nutze ich im Folgenden zwei Begriffe, die meine Betrachtung sowohl stützen als auch eingrenzen: Ich rekonstruiere die politischen Implikationen des Sports unter den Aspekten von Widerstand und Herrschaft. Darunter verstehe ich institutionalisierte Über- und Unterordnungsverhältnisse (Herrschaft) und Formen und Praktiken, die solche Asymmetrien sichtbar machen und herausfordern (Widerstand). Als thematischer Aufhänger dienen die aktuellen antirassistischen Proteste, insbesondere jene, die mit der Bewegung »Black Lives Matter« in Verbindung stehen.

Der Artikel verfolgt im Wesentlichen das Ziel, das eingangs skizzierte romantische Bild zu demaskieren, und zeigt auf, wieso und weshalb Sport eine geeignete Arena für widerständige Praktiken ist. Die Mixtur von Politik und Sport ist offensichtlich unbequem, aber gerade deswegen so effektiv und sinnig. Doch wie lässt sich diese Ambivalenz erklären?

„I can’t breathe!“ – die Sportwelt kniet

Am 25. Mai 2020 wurde der Afroamerikaner George Floyd während einer Polizeikontrolle ermordet. Die Umstände mögen noch nicht vollumfänglich aufgeklärt sein, und die Gerichtsverhandlung steht erst noch bevor. Dennoch verwende ich bewusst die Formulierung »Mord«. Fakt ist, dass George Floyd unmissverständlich seine Luftnot kommunizierte, während der Polizeibeamte Derek Michael Chauvin, der lebensgefährlichen Situation zum Trotz, minutenlang sein Knie auf den Hals von George Floyd drückte. Chauvins Polizeikollegen schauten dem Ersticken George Floyds zu, ohne mäßigend einzugreifen.

Am Tode George Floyds entzündete sich eine anhaltende Protestwelle gegen Polizeigewalt und Rassismus. Die Proteste erreichten auch den Sport, unter anderem American Football, Basketball und den europäischen Fußball. So gingen etwa Spieler von Borussia Dortmund und Hertha BSC einvernehmlich in den Kniefall. Diese Form des Protestes ist in der Welt des Sports kein neues Phänomen, sondern hat bereits Tradition. Im Jahr 2016 ging der damalige Quarterback Colin Kaepernick (American Football) während der Nationalhymne in die Knie. Andere taten es ihm gleich, was US-Präsident Donald Trump höchst erzürnte – auch dazu an späterer Stelle mehr. Unvergessen sind auch die afroamerikanischen Sprinter Tommi Smith und John Carlos, die sich bei den olympischen Spielen 1968 in Mexico City mit erhobener Faust für die Bürgerrechte Schwarzer Menschen einsetzten. Schon dieser Protest erhitzte die Gemüter. Schauen wir uns also zunächst an, wieso derartige Protestformen solch hohe Wellen schlagen.

Sport, Disziplinierung und Momente der Emanzipation

Bringt man im Kontext des Sports den Terminus »Disziplin« ins Spiel, denken die meisten an einen Überbegriff für spezifische Wettkampfarten. Doch hat das Wort Disziplin im Sport noch eine weitere, oftmals weniger beachtete Bedeutung: Sport übt Disziplinierung aus.

Jede Sportart lebt von klaren Regeln. Sport ist ein Regime, das festlegt, was richtig ist und was falsch. Hinzu kommen Normen, die häufig implizit wirken. Ein naheliegendes Beispiel ist die Vorbildfunktion, die von Sportler*innen erwartet wird. Ein anderer normativer Aspekt, der weit seltener öffentlich verhandelt wird, ist die Heteronormativität im (Herren-) Fußball. Kurz, Sport ist ein Regelungs- und Ordnungssystem, das sowohl subtil als auch manifest die betreffenden Strukturen und Prozesse reguliert.

Das Wort »Regime« ist dem lateinischen Wort »regimen« entlehnt, das mit Leitung bzw. Lenkung, aber auch mit Herrschaft übersetzt werden kann. Erst durch diese regulative Dimension ergibt sich die widerständige Möglichkeit einer Kontrastierung. Handelt ein*e Sportler*in entgegen den Konventionen, erzeugt er*sie unweigerlich Aufmerksamkeit. Jeder »Stolperer« bringt die Liturgie des Sportereignisses für einen kurzen Moment aus dem Takt. Besondere dramaturgische »Fenster« sind die unmittelbaren Momente vor und nach dem Spiel. Hinzu kommt der Aspekt des Zeremoniellen, etwa das Einlaufen der Mannschaften, der Anpfiff, das Singen der Nationalhymne, die Siegerehrung etc. Auch hier tritt die Disziplinierung zutage, denn der*die Sportler*in ist Teil eines größeren Ganzen und soll eine gewisse Demut zeigen. Mit Verstößen gegen das Protokoll, wie von Colin Kaepernick, Tommi Smith, John Carlos und anderen praktiziert, emanzipieren sich die Sportler*innen für einen nachhaltigen Augenblick von dem Regime des Sports. Nachhaltig ist dieser Augenblick, weil ikonische Momente gerade im Profisport immer auch medial rezipiert werden.

Die Medialität des Sports

„Sport ist das wohl effektivste Kommunikationsmedium in der modernen Welt. Er umgeht die verbale oder schriftliche Kommunikation und erreicht ohne Umwege Milliarden Menschen weltweit.“ (Mandela in Maguire 2005)

Die von Nelson Mandela angesprochene globale Reichweite des Sports hat konzeptuelle Implikationen. Sport, hier in seiner kommunikativen Dimension verstanden, prägt soziale Wirklichkeit. Dabei funktioniert Sport im Wesentlichen über Bilder. Im Englischen wird dabei zwischen Pictures und Images unterschieden. Während »Pictures« materialisierte Bilder meint, verweist »Images« auf unsere innere Vorstellungswelt, die eben oftmals bildhaft ist. Die Begriffe verhalten sich ko-konstitutiv zueinander. So führen die unzähligen Bilder (Pictures) des Eifelturms unweigerlich dazu, dass dieser auch unsere innere Vorstellungswelt (Images) dominiert. Schließen wir die Augen und stellen uns Paris vor, wird zumindest bei den meisten der Eifelturm eine Rolle spielen.

Das »Sommermärchen« der Fußballweltmeisterschaft 2006 war auch ein Akt der Imagebildung. Die Welt war, so das Motto der Wochen, »zu Gast bei Freunden«. Deutschland bekam die Gelegenheit, eine offene und tolerante Gesellschaft zu präsentieren. Dass keine zehn Jahre später große Teile derselben Gesellschaft im Kontext von Flucht und Migration rassistische Denkweisen offenlegen, ist zynisch zu verzeichnen. Imagebildung dient aber nicht dem Faktischen, sondern der (politischen) Inszenierung. Sport trägt also zur Konstruktion der Wirklichkeit bei und kann durchaus für eine politische Agenda vereinnahmt werden.

Auch kulturelle Aneignungen, wie sie beispielweise in der National Football League zu finden sind, können brisante Folgen haben. Die »Washington Red­skins«, ein amerikanisches Football-Team, musste sich jahrelang den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen. Selbst eigene Spieler machten auf das problematische Logo des Vereins, einen karikierten Indianer, aufmerksam (Tagesspiegel 2020). Auch der Name »Redskins« (Rothäute) wurde als rassistisch und abwertend kritisiert. Durch die Medialität des Sports und die damit verbundene Reichweite werden Rassismen häufig normalisiert, in diesem Fall war der Protest aber nicht einzudämmen. Mitte Juli teilte der Verein mit, er habe Namen und Logo aufgegeben (Washington Football Team 2020).

Die Medialität des Sports eröffnet also Raum für Images und gleichermaßen für machtvolle Inszenierungen. Dazu nun mehr.

Brot, Spiele und Inszenierungen

Fußballweltmeisterschaft 2018. Moskauer Luschniki-Stadion. Der französische Präsident sorgt für einen ikonischen Augenblick. Im Endspiel zwischen Frankreich und Kroatien kommt es zu einem französischen Jubelmoment. Emmanuel Macron verlässt seinen Platz auf der Ehrentribüne und setzt seine Freude mit vollem Körpereinsatz in Szene. Das Foto, das um die Welt ging, wurde vom Alexei Nikolsky, einem russischen Fotografen, aufgenommen. Wie spontan und natürlich dieser Jubel war, mag dahingestellt sein. Kaum zu bezweifeln ist, dass Macron sich seiner medialen Aufmerksamkeit bewusst gewesen sein dürfte. Die Szene verdeutlicht: Sportgroßveranstaltungen sind ein glamouröses Parkett, das sich zur Vermarktung der eigenen Person anbietet: Macron, der agile Performer, jung, dynamisch und am Puls der Zeit.

Insbesondere autoritäre Regime, wie die Volksrepublik China und die Russische Föderation, nutzen diesen Umstand, um sich in ein günstiges Licht zu stellen und die realen politischen Verhältnisse schönzufärben. Ein besonders tragisches Beispiel sind die olympischen Spiele 1936 im Deutschen Reich. Nazideutschland konnte sich damals, trotz Kritik von verschiedenster Seite, weltpolitisch inszenieren. Darüber hinaus sind solche Veranstaltungen ein innenpolitisches Kapital, das die eigene Machposition stärkt. Dieses innenpolitische Kapital ist gleichermaßen ökonomischer (bspw. Tourismus) und symbolischer Art (bspw. Überhöhung der kollektiven Identität). Gleichwohl regt sich bei solchen Großveranstaltungen auch vermehrt Widerstand, wie die Kritik an der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar verdeutlicht. Human Rights Watch (2018), amnesty international (o.D.) und andere Organisationen äußern nachdrücklich Bedenken, verweisen auf die gravierende Missachtung von Menschenrechten und nehmen dabei auch die Sportfunktionäre in die Pflicht.

Schlussbemerkung

Mit der Idee des modernen Sports sind viele humanistische Werte, wie Teamgeist und Fairness, verbunden. Dies verweist auf die gesellschaftspolitische Funktion des Sports. Dabei ist Sport als Kräftefeld zu verstehen. Die Einflussnahme kann von verschiedensten Seiten kommen. Durch die Kommerzialisierung des Sports wirken häufig wirtschaftliche und politische Interessen, die eher eine Gewinnmaximierung denn eine Gemeinwohlorientierung verfolgen. Gerade durch diesen Widerspruch ist (antirassistischer) Widerstand im Sport so effektiv. Dabei wird die Liturgie des Gewöhnlichen durchbrochen, was von den einen als Störung der Ordnung, von anderen als legitimer Protest wahrgenommen wird. So oder so ist Protest im Sport ein Garant für mediale Aufmerksamkeit.

„Mit großer Macht kommt große Verantwortung“, spricht Spider-Man. Was zunächst irritieren mag, trifft auf den zweiten Blick auch auf Profisportler*innen zu.

Aber zurück zum Anfang: Ich zeigte auf, dass für die Begeisterung beim Sport Identifikation ein wesentlicher Mechanismus ist. Sportler*innen sind Held*innen, diese Aussage ist gleichzeitig überspitzt und wahr. Natürlich haben Profisportler*innen keine Superkräfte, sind einfach Menschen, doch mit ihrer Leistung verrücken sie die Grenzen des Machbaren. In diesem Sinne sind Sportler*innen durchaus Personen mit einer heldenhaften Strahlkraft. Daraus entwächst Verantwortung. Sportler*innen erreichen mit ihren Botschaften möglicherweise mehr Menschen als viele Politiker*innen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Sportler*innen mehr Mensch denn Technokrat*innen sind. Sportler*innen fluchen, weinen und flachsen. Mit anderen Worten: Sportler*innen haben eine authentische Aura – und stehen auch deswegen in der Verantwortung, humanistische Werte hochzuhalten. (Dies gilt im Übrigen auch, weil Sportförderung unter anderem aus öffentlichen Geldern kommt und allein deshalb Sport keinem Selbstzweck dienen darf.)

Ich gebe zu, mein Einstieg, Sport sei für die meisten Menschen Sport und eben nicht Politik, war etwas polemisch. Dies mögen mir die Lesenden nachsehen, diente diese Polemik doch der argumentativen Zuspitzung. Der Redlichkeit halber folgen nun ein paar Lichtblicke:

Viele Sportvereine, gerade auch kleinere, sind sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung sehr bewusst. So setzt sich der Fußballverein »Carl Zeiss Jena« in Kooperation mit der Umweltorganisation Sea Shepherd für den Schutz der Meere und der Meeresbewohner ein. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sich bereits an vielen antirassistischen Kampagnen beteiligt. Und als der rechtsextreme Politiker Alexander Gauland (AfD) den Fußballspieler Jérôme Boateng aufgrund seiner Hautfarbe diskriminierte, ließ das Echo nicht lange auf sich warten. PolitikerInnen fast aller Parteien und Fußballspieler fast aller Mannschaften zeigten sich solidarisch mit Jérôme Boateng. Andererseits ist Jérôme Boateng beliebt. Die Kritik an Mesut Özil, die bei seiner Ablichtung mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan aufkam, war vielfach mit Rassismen gespickt (Stichwort: Özil Ölauge). Mesut Özil ist nicht unbedingt »everybody‘s darling«. Das schmälert den Optimismus, der bei der Causa Boateng aufblühte.

So wirft die Welt des Sports Licht und Schatten zugleich. Sport ist, als Teilsystem des Gesellschaftlichen, ein ambivalentes politisches Kräftefeld. Dieser Umstand stützt die argumentative Stoßrichtung meines Beitrages: Politische Manifestationen im Sport stellen keine Entfremdung dar, vielmehr ist die synthetische Trennung von Sport und Politik die eigentliche Entfremdung.

Literatur

amnesty interational (o.D.): Qatar World Cup of Shame – Migrants building a state-of-the-art stadium for the 2022 football World Cup in Qatar are abused and exploited – while FIFA makes huge profits.

Human Rights Watch (2018): Qatar: Censor­ship Ignores Rights, FIFA Rules – 2022 World Cup Host Should Reform Anti-LGBT Laws. 3.8.2018.

Maguire, J. (2005): Power and Global Sport – Zones of prestige, emulation and resistance. London/New York: Routledge.

Tagesspiegel (2020): Washington Redskins und Cleveland Indians – Trump gegen „Namens­änderung, nur um politisch korrekt zu sein“. 7.7.2020.

Washington Football Team (2020): „We’re retiring our old name – and building a new kind of team. For the upcoming season, we’re calling ourselves the Washington Football Team.“

Tim Bausch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhles für Internationale Beziehungen an der Universität Jena. In seinem Disserationsprojekt arbeitet er zu ästhetischen Widerstandsformen vor dem Hintergrund spezifischer Herrschaftsformen.

Problematische Kriegsmetaphern


Problematische Kriegsmetaphern

Warum wir nicht von einem »Krieg gegen SARS-CoV-2« sprechen sollten

von Marcel Vondermaßen

Kriegsmetaphern sind seit Langem Teil politischer Rhetorik. »Krieg« wurde von führenden Politiker*innen der Armut erklärt (Lyndon B. Johnson, 1964), dem Krebs (Richard Nixon, 1971), Aids, den Drogen, dem Klimawandel … Derzeit wird die Kriegsmetapher zur Mobilisierung gegen eine globale Pandemie genutzt. Im Folgenden wird gezeigt, welcher Nutzen und welche Probleme sich aus ihrer Verwendung ergeben. Insbesondere wird herausgearbeitet, wie problematisch und folgenreich es sein kann, Kriegsmetaphern zu verwenden, wenn das »zu bekämpfende« Phänomen hauptsächlich medizinische und soziale Dimensionen aufweist.

Seit sich SARS-CoV-2 zu einer Pandemie entwickelte, greifen Politiker*innen gerne auf die Kriegsmetapher zurück. „SARS-CoV-2 ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen diesem Virus den Krieg erklären. Das bedeutet, dass die Länder die Verantwortung haben, mehr zu tun, sich zu rüsten und sich zu verstärken,“ stellte UN-Generalsekretär António Guterres fest (15.3.2020). Auch der französische Präsident Emmanuel Macron oder der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte beschwören den Krieg oder fordern, die „ganze Feuerkraft der EU“ (Meiler 19.4.2020) gegen die neuartige Krankheit ins Feld zu führen. US-Präsident Donald Trump erklärte sich selbst zu einem „wartime President“.

Warum die Kriegsmetapher wirkt

Die meisten, die diese Aussagen tätigen, tun dies vermutlich in guter Absicht: Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, ist es notwendig, allen Beteiligten teils drastische Einschränkungen und Umstellungen zuzumuten. Mit der Kriegsmetapher soll der Ernst der Lage beschworen und die Notwendigkeit betont werden, gegen eine Bedrohung von außen zusammenzustehen. Sie ist zur Mobilisierung durchaus geeignet. Wie Forschung im Kontext der Klima­krise zeigt, vermittelt die Kriegsmetapher, im Vergleich etwa zum Bild des »Wettlaufs«, eher die Dringlichkeit einer Lage und motiviert zu Verhaltensänderungen im Alltag (Wehling 27.5.2020).

Dieser Effekt dürfte auch bei der Verbindung von Krieg und Pandemie eintreten, da zwei der wichtigsten Grundlagen für eine Wirksamkeit gegeben sind: Verständlichkeit und Konnektivität. Wenn wir Worte verwenden, dann aktiviert dies in unserem Gehirn nicht nur eine einzelne Bedeutung, sondern einen ganzen Deutungsrahmen (Frame), der verschiedene Bedeutungen, Gefühle und Erinnerungen umfassen kann. Damit eine Metapher wirkt, muss für die Empfänger*innen der Deutungsrahmen, den sie mit der Metapher verbinden, zu der Botschaft passen, die ihnen vermittelt werden soll. Krieg wird von den allermeisten Menschen mit Elend, Tod, Vertreibung etc. assoziiert. Er sollte nur als letztes Mittel geführt und möglichst schnell beendet werden. Krieg stellt eine existentielle Bedrohung dar, die drastische Mittel von Seiten der Exekutive rechtfertigt. Dieser Deutungsrahmen ist fast überall auf der Welt selbsterklärend und verständlich.

Konnektivität meint, dass der Deutungsrahmen der Metapher auch zum Problem passen muss. So dürften zwar Sportmetaphern ähnlich verständlich sein, doch der Vergleich einer globalen Pandemie etwa mit einem Fußballspiel scheint unangemessen. Die Grundlage für die Konnektivität von Krieg und Gesundheit wurde von Robert Koch gelegt, der 1876 eindeutig nachwies, dass ein Zusammenhang zwischen bakteriellen Erregern und Krankheiten existiert. Diese Erkenntnis veränderte den Blick auf Krankheiten grundlegend: Bakterien dringen in den Körper der Erkrankten ein. Die Verbindung von »Plagen« und Seuchen mit anderen Erzählungen, wie einer Strafe Gottes oder einem üblen Schicksal, wurde zurückgedrängt. Dafür etablierten sich zunehmend militärische Sprachmuster, die sich bis heute im Sprachgebrauch finden: Wir bekämpfen die Ansteckungsgefahr, das Immunsystem verteidigt uns gegen Erreger, Medikamente vernichten die Eindringlinge.

Der Kampf gegen Viren und Bakterien ist daher auch kein Krieg im Allgemeinen, sondern ein Verteidigungskrieg. Mit Verteidigungskriegen werden jedoch zusätzliche Bedeutungen verbunden: Bedrohung von außen; gerechtfertigte Verteidigung der eigenen Gemeinschaft, des eigenen Landes, des Eigentums; ein gemeinsames Schicksal aller Angegriffenen. Die Kriegsmetapher dürfte daher die von Wehling und ihren Kolleg*innen nachgewiesenen positiven Effekte einer Mobilisierung auch im Fall der Corona-Pandemie aufweisen, denn die Metapher ist verständlich und gut mit dem Problem zu verbinden.

Ist die Wortwahl in diesem Fall also hilfreich? Um dies zu beurteilen, gilt es die verschiedenen Implikationen zu betrachten, die mit der Kriegsmetapher einhergehen:

Der Feind als äußere Bedrohung – der Staat als Bezugsgröße

Spätestens seit sich Nationen als oberste Organisationsform von Gemeinwesen durchgesetzt haben, wird »Krieg« hauptsächlich als Krieg zwischen Staaten verstanden. Die Landesverteidigung ist eine zentrale Verantwortung staatlicher Gewalt. Die Kriegsmetapher rückt daher den Staat als Akteur in den Mittelpunkt. Dies trifft zusammen mit nationalen Zuständigkeiten, was die Organisation der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung betrifft. Die Berichterstattung in den Medien verstärkt diese Wahrnehmung noch: Die Infizierten, die Gestorbenen und die Gesundeten werden national erfasst; Erfolge und Misserfolge werden in Bezug auf Regierungen und Länder diskutiert und bewertet. Eine Folge dieses nationalstaatlichen Denkens zeigte sich in Europa, als sich die Regierungen entschlossen, den grenzüberschreitenden Verkehr einzustellen, obwohl das Virus bereits in den einzelnen Staaten angekommen war. Diese Logik widerspricht jedoch den Erfordernissen einer globalen Pandemie, die eigentlich Multilateralismus, Transparenz, Solidarität und Kooperation über Grenzen hinweg erfordert.

Die Konzentration auf den Staat als maßgeblichen Akteur kann allerdings nicht nur auf internationaler Ebene Probleme verursachen. Militär-Metaphern implizieren immer auch ein hierarchisches (Top-down-) Verständnis von Führung, obwohl in einer Pandemie vielfach Bottom-up-Netzwerke unverzichtbare Arbeit leisten. Dies beginnt mit Spontanhelfenden und geht über Nachbarschaftshilfen und Tafeln bis hin zu grenzübergreifend arbeitenden Nichtregierungsorganisationen. Diese sind jedoch in Gefahr, aus dem Blick zu geraten, weshalb zentral und von oben verfügte Maßnahmen deren Arbeiten sogar erschweren können. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn in einem harten Lockdown der Einkauf für Nachbar*innen kein legitimer Grund ist, die Wohnung zu verlassen.

Viren sind keine Menschen

Wenn Politiker*innen in der Kriegsmetapher denken, besteht die Gefahr, dass sie Logiken des Krieges anwenden. So impliziert »Krieg« einen klaren, identifizierbaren Gegner und ein klares Ende, sei es durch Kapitulation einer Seite oder Friedensverhandlungen. SARS-CoV-2 hat jedoch keinen Willen. Es wird weder kapitulieren noch verhandeln. In der Kriegslogik bleibt daher als einzige Option die Überwältigung des Gegners, die totale Vernichtung. Alternative Settings, wie zum Beispiel zukünftiges Leben »mit dem Virus« aussehen könnte, sind in einer Kriegslogik schwerer zu diskutieren.

Doch auch die Identifizierung des Virus als Feind ist problematisch. Dadurch, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird, kann schnell »der Andere« selbst zur Bedrohung werden. Übergriffe gegen vermeintliche Chines*innen zu Beginn der Pandemie haben gezeigt, wie schnell aus der Angst vor dem Virus gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit werden kann. Die Kriegsmetapher verstärkt das »Wir vs. Die Anderen«-Denken und damit potenziell auch Aggressionen und Vorbehalte gegen bestimmte Gruppen, wie sich beim Ausbruch von Covid-19 im Mai/Juni 2020 in Göttingen beobachten ließ (vgl. Heisterkamp und Sussebach 2020), anstatt Mitgefühl oder Hilfsbereitschaft auszulösen.

Der Sieg als oberstes Ziel

Es gibt Implikationen, die in einem militärischen Setting durchaus Sinn machen oder sogar überlebenswichtig sind: Gehorsam, Homogenität, Vertrauen in die Kommandostruktur. Militärische Logiken kommen jedoch in zivilen Situationen schnell an ihre Grenzen. Viele Stärken und Verhaltensweisen, die zur Bewältigung der aktuellen Krise und für eine auch zukünftig solidarische Gemeinschaft notwendig sind, finden keinen Platz in Kriegsmetaphern. Individuelle Bedürfnisse, kreative Lösungen, selbständiges In-Verantwortung-Gehen können nicht adäquat abgebildet werden. Die Kriegsmetapher verstärkt den Drang zu einem Sieg über den Feind, dem alles andere unterzuordnen sei. Dazu zählen auch Kritik, Zweifel und Skepsis. Gerade weil die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie extrem waren bzw. sind, sollten sie von einer kritischen Öffentlichkeit begleitet und immer wieder hinterfragt werden. Der Vereinigungsdruck, den eine Kriegsmetapher auslöst, führt leicht dazu, das Infragestellen oder den Widerstand gegen Maßnahmen als Verrat zu diffamieren. Dies ist umso gravierender, da Kriegssituationen den Einsatz extremer Gewalt rechtfertigen. In allen westlichen Gesellschaften erlaubt der Verteidigungsfall weitreichende Eingriffe der Exekutive in das Leben der Bewohner*innen. Selbst Grundrechte, sei es die Versammlungsfreiheit, die Reisefreiheit oder das Recht auf Eigentum, können temporär überschrieben werden.

Die Schwierigkeit, Kritik zu äußern, betrifft auch die Langzeitfolgen, welche Maßnahmen mit sich bringen. Die zahlreichen niemals aufgehobenen Anti-Terror-Gesetzgebungen, die als Antwort auf die Anschläge vom 11.9.2001 erlassen wurden, zeigen, wie wichtig eine kritische Begleitung von Krisenmaßnahmen ist. Maßnahmen, die in einer Krise beschlossen wurden, überdauern in der Regel die Krise, die sie hervorgebracht hat.

Gesundheitsbudget als »Verteidigungshaushalt«

Wird die Sicht auf Gesundheit militarisiert, besteht die Gefahr, dass das Gesundheitsbudget als »Verteidigungsbudget« angesehen wird, was Folgen für die Priorisierung innerhalb des Gesundheitswesens hat: „Man neigt dazu, der Gesundheitsfürsorge (insbesondere der medizinischen Versorgung) Vorrang vor anderen Gütern einzuräumen. Innerhalb der Gesundheitsfürsorge wird der Intensiv­pflege Vorrang vor der präventiven und Chroniker- Versorgung gegeben. Tödliche Krankheiten werden eher angegangen als Krankheiten, die Behinderungen hervorrufen; technologischen Interventionen wird Vorrang vor weniger technischen Eingriffen gegeben. Eher wird eine heroische Behandlung sterbender Patienten durchgeführt, anstatt sie in Frieden sterben zu lassen.“ (Childress 2001, S. 189)

Viele der von Childress vorgebrachten Punkte lassen sich auch heute im Gesundheitswesen beobachten, sei es die Marginalisierung von Prävention, die hohe Priorisierung technologischen Fortschritts im Vergleich zur Care-Arbeit oder das Aufblähen des Gesundheitssektors zu Lasten anderer sozialer Güter. Hier braucht es eine kritische Diskussion, ob diese Effekte gewünscht werden – eine Diskussion, die wiederum durch die Kriegsrhetorik eher erschwert als gefördert wird.

Das Krankenhaus als Front

Wer die Bemühungen rund um die Corona-Pandemie in ein Kriegssetting versetzt, kommt nicht umhin, Krankenhäuser als Front im Kampf gegen das Virus zu sehen. Dies macht das Personal zwangsläufig zu Frontkämpfer*innen. Diese Bezeichnung des Krankenhauspersonals ist sicherlich anerkennend gemeint, doch auch in diesem Fall zeigen sich Schattenseiten. Zwar werden Soldat*innen gerne als Hero*innen verehrt, die ihr Land verteidigen, fester Bestandteil von Kriegserzählungen ist allerdings das Opfer: Der Sieg im Krieg wird nicht ohne Opfer errungen, und Opfererzählungen dienen oft sogar der Motivation der noch Kämpfenden (»Das Opfer unserer Kameraden darf nicht umsonst gewesen sein!«). Die Versorgung von Patient*innen folgt jedoch der entgegengesetzten Logik. Ein funktionierendes Gesundheitswesen vermeidet gerade die Notwendigkeit, für ein höheres Ziel Menschen zu opfern. So ist die Anwendung der Triage sicheres Zeichen eines überforderten Systems. Darüber hinaus hat sich das Krankenhauspersonal nicht willentlich dazu verpflichtet, bei der Arbeit das eigene Leben zu riskieren. Der Einsatz in der Pandemie, sich oftmals mit mangelnder Schutzausrüstung um hoch ansteckende Patient*innen zu kümmern, geht weit über das Berufsprofil hinaus. Die Wahrnehmung als Soldat*innen kann den die Grenzen der Pflicht deutlich übersteigenden Charakter dieses Einsatzes sogar verschleiern und normalisieren.

Die Kriegsmetapher betrifft auch die Erkrankten. Der Kampf gegen das Virus macht den Körper zum Schlachtfeld. Wie problematisch es ist, Kriegsmetaphern auf Krankheiten anzuwenden, lässt sich eindrucksvoll bei Susan Sontag in »Krankheit als Metapher« (1978) nachlesen. Sie schildert darin, wie ihre eigene Krebsbehandlung von Kriegsrhetorik begleitet wurde: Ziel ist die Vernichtung der Krankheit; es müssen dafür Opfer (gesunde Zellen) gebracht werden; Aufgeben ist keine Alternative; gewisses Leid und extreme Maßnahmen sind notwendig (S. 74).

Es besteht die Gefahr, dass im Zuge dieses Kampfes vergessen wird, worum es in der Behandlung letztlich geht. Der Verzicht auf invasive Maßnahmen ist kein schmachvoller Rückzug, der Tod nicht in jedem Fall die möglichst lange herauszuzögernde, absolute Niederlage. „Es geht nicht um Tapferkeit, es geht um Würde.“ (Stöcker 2020) In einer Kriegslogik gehen Mahnungen leichter unter, wie die von Palliativmediziner*innen, wenn sie darauf dringen, der Möglichkeit eines würdevollen Sterbens an Covid-19 mehr Raum zu geben.

Fazit: Kriegsmetapher vermeiden

Die Corona-Pandemie ist eine Krise, die klare Vorgaben und Vorschriften braucht. Sie ist aber auch eine Krankheitswelle, die andere Bilder und Vergleiche als die mit Kriegshandlungen benötigt. Ein Fokus auf Kriegsmetaphern verhindert, dass wir den gesellschaftlichen Blick auf jene Werte legen, die zur Bewältigung der Krise unverzichtbar sind: Eigenverantwortung, Fürsorge, Empathie, Kritikfähigkeit. Die Corona-Krise, in all ihren Facetten, darf nicht militarisiert, sie muss, im Gegenteil, zivilisiert werden.

Literatur

Childress, J.F. (2001): The War Metaphor in Public Policy – Some Moral Reflections. In: Ficarrotta, J.C. (ed.): The Leader’s Imperative – Ethics, Integrity, and Responsibility. West Lafayette: Purdue University Press, S. 181-197.

Guterres, A. (2020): Wir müssen diesem Virus den Krieg erklären. Süddeutsche.de, 15.3.2020.

Heisterkamp, L.; Sussebach H. (2020): 18 Stockwerke Stigma. DIE ZEIT, No.25, 10.6.2020, S. 3.

Meiler, O. (2020): Premier Conte fordert „ganze Feuerkraft der EU“. Süddeutsche.de, 19.4.2020.

Sontag, S. (1978): Krankheit als Metapher. München, Wien: Hanser.

Stöcker, C. (2020): Das hier ist kein Krieg. SPIEGEL Online, 5.4.2020.

Wehling, E. (2020), Krieg gegen Corona – die Macht der Worte. After Corona Club, NDR Doku, 27.5.2020; https://youtu.be/xm-­uZpr4nkk.

Dr. Marcel Vondermaßen ist Akademischer Mitarbeiter am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen und Mitorganisator des Graduierten-Netzwerks »Zivile Sicherheit«.

Eine Kurzversion dieses Textes wurde am 2.4.2020 im Blog »Bedenkzeiten« veröffentlicht (uni-tuebingen.de/de/174903).

COVID-19 und Frieden

COVID-19 und Frieden

Wie sich die Pandemie auf den Frieden auswirkt

von Institute for Economics & Peace

Das in Sydney ansässige Institute for Economics & Peace (IEP) erstellt seit 2008 jährlich einen »Global Peace Index« und versucht darin, eine Bemessungsgrundlage für die Friedfertigkeit von Ländern auf der ganzen Welt aufzustellen. Außerdem wurde ein »Positive Peace Index« entwickelt, um Haltungen, Institutionen und Strukturen zu vermessen, die nötig sind, um friedliche Gesellschaften zu schaffen und zu bewahren. Außerdem werden Peace-­Indizes zur Verfügung gestellt für Mexiko, das Vereinigte Königreich und die USA und zum globalen
Terrorismus. Im Juni 2020 wurde zusätzlich ein Peace Index zusammengestellt, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den globalen Frieden abzuschätzen.1 W&F dokumentiert aus diesem Bericht die Zusammenfassung (S. 2) sowie eine Übersichtstabelle (S. 4), um einen Eindruck zu vermitteln, wie friedensrelevante Bereiche von COVID-19 betroffen sind.

  • Der sozioökonomische Faktor, der am unmittelbarsten mit der Anzahl von COVID-19-Infektionen korreliert, ist das Ausmaß des Flugverkehrs. In Frankreich, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den USA gibt es mit die höchsten Flugverkehrsraten weltweit.
  • Die Pandemie hat die Spannungen zwischen den USA und anderen Ländern, wie China, erhöht; dabei geht es um die Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Handelskonflikte und die Herkunft des Virus. Die Spannungen werden angesichts der anhaltenden Konjunkturschwäche wahrscheinlich weiter zunehmen.
  • Die meisten Indikatoren im Global Peace Index werden sich voraussichtlich verschlechtern. Der Bereich, der sich [unter Friedensgesichtspunkten; R.H.] positiv entwickeln könnte, sind die Militärausgaben, wenn die Länder Finanzmittel umlenken, um ihre Wirtschaft zu stützen.
  • Es steht zu erwarten, dass in Europa die politische Instabilität wächst, einschließlich Unruhen und Generalstreiks, die bereits im vergangenen Jahrzehnt zunahmen.
  • Kürzungen bei der Entwicklungs­hilfe werden fragile und von Konflikten betroffene Staaten zusätzlich belasten, z.B. Liberia, Afghanistan, Burundi und Südsudan, die in hohem Maße auf internationale Hilfsgelder angewiesen sind.
  • Länder mit schlechter Bonität, wie Brasilien, Pakistan, Argentinien und Venezuela, können möglicherweise nicht mehr genug Geld leihen, um die konjunkturelle Erholung zu unterstützen, was zu einem Anstieg von politischer Instabilität, Unruhen und Gewalt führt.
  • Bei schrumpfender Wirtschaft wird es den Ländern schwerer fallen, ihre vorhandenen Schulden zurückzuzahlen. Die Kombination von Verschuldung und schwacher Wirtschaft führt absehbar zu einem Anstieg von Armut, politischer Instabilität und gewalttätigen Demonstrationen. Libanon kann seine Anleihen nicht mehr bedienen, was zum Zusammenbruch der Wirtschaft und zu gewalttätigen Straßenkämpfen führt.
  • Der Welt fehlt ein glaubwürdiges Konzept für den Umgang mit dieser Krise. Die Folgen schärfen voraussichtlich den Blick auf andere sozioökonomische Faktoren, die schon länger gären, wie die wachsende Ungleichheit der Vermögensverteilung, schlechtere Arbeitsbedingungen in entwickelten Ländern und die zunehmende Entfremdung vom politischen System.
  • Der massive Sturz der Ölpreise wird sich auf politische Systeme im Nahen Osten auswirken, insbesondere in Saudi-Arabien, Irak und Iran, was zu einem Zusammenbruch der Schieferölindustrie in den USA führen kann, sofern die Ölpreise nicht zum vorherigen Niveau zurückkehren.
  • Die Pandemie könnte Iraks Fähigkeit beschränken, Aufstände des »Islamischen Staates« zu bekämpfen.
  • Viele Länder werden Schwierigkeiten haben, teure Interventionen zu finanziert. Beispiele sind Saudi-Arabiens Unterstützung der Regierung des benachbarten Jemen, die türkische und russische Unterstützung in Syrien oder Irans Unterstützung für Milizen, wie die Hisbollah.
  • Iran hat gewarnt, die Pandemie sei eine Bedrohung für seine innere Sicherheit, da sie die Folgen der von den USA angeführten Sanktionen verstärke.
  • Die Pandemie und der schwache Ölmarkt verschlimmern die humanitäre Krise und die innere Sicherheit in Venezuela. Pandemiebedingt schlossen außerdem Kolumbien, Brasilien und andere Länder ihre Grenzen zu Venezuela, was für schutzbedürftige Venezolaner*innen zusätzliche Härten mit sich bringt.
  • Mit schrumpfender Wirtschaft in den OECD-Ländern2 werden voraussichtlich mehr Regierungen ihre Beiträge für UN-Peacekeeping-Missionen kürzen.
  • Der Wirtschaftsabschwung wird sich negativ auf die Ernährungssicherheit auswirken. Schon vor Beginn der Pandemie waren 113 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. In Ländern wie Venezuela, Burundi und Jemen wird die Nahrungsmittelknappheit zunehmen.
  • In den USA, Deutschland, Frankreich und Polen gibt es Proteste gegen die Lockdown-Regeln. Millionen Brasilianer*innen demonstrierten in Sao Paulo und Rio de Janeiro gegen den Umgang ihrer Regierung mit der Pandemie.
  • Gefängnisausbrüche wurden aus Venezuela, Brasilien und Italien berichtet, wo Häftlinge mit Gewalt auf die neuen Einschränkungen reagieren, die wegen COVID-19 verhängt wurden.
  • Drogenhandel und andere Formen von Kriminalität sanken vorübergehend aufgrund der Distanzregeln überall in der Welt. Dafür steigen die Fälle von häuslicher Gewalt, Selbstmord und psychischen Erkrankungen.
  • OECD-Länder, die aufgrund funktionierender Regierungen im »Positiver-Frieden-Index« weiter oben rangieren, sind in der Lage, einen höheren Anteil ihrer Bevölkerung auf COVID-19 zu testen.
Index Bereich Indikator Erwartete Auswirkung Anmerkung

Globaler Friedensindex

Sicherheit [Safety und Security]
Zugang zu Kleinwaffen Verschlechterung Waffenkäufe in den USA steigen während der Pandemie.
Politische Instabilität Verschlechterung Wachsende wirtschaftliche Unsicherheit führt zu Druck auf die Regierungen. In Europa ist ein Anstieg von Unruhen und Generalstreiks zu erwarten, die bereits im vergangenen Jahrzehnt erheblich zugenommen haben. In Libanon kam es zu gewalttätigen Demonstrationen aufgrund der Nahrungsmittelknappheit und der Unfähigkeit der Regierung, Anleihen zu bedienen.
Politischer Terror Voraussichtliche Verschlechterung Die politische Instabilität aufgrund der Wirtschaftskrise wird dazu führen, dass manche Regierungen die Repression verschärfen; andere werden die Lockdowns nutzen, um persönliche Freiheiten gesetzlich einzuschränken.
Gewalttätige Demonstrationen Verschlechterung Proteste gegen Lockdown-Maßnahmen gibt es bereits in der EU, in den USA, in Brasilien und im Nahen und Mittlere Osten.

Bestehender Konflikt
Intensität von internem Konflikt Unsicher Bei sinkender humanitärer Hilfe wird es wahrscheinlicher, dass das entstehende Machtvakuum zu Spannungen führt oder diese verstärkt.
Beziehungen zwischen Nachbarländern Unsicher Wachsende Spannungen zwischen den USA und China und Abhängigkeiten bei den Lieferketten werden andere Länder dazu veranlassen, ihre bisherigen internationalen Kooperationen zu überprüfen. Der Handel wird sinken.

Militarisierung
Finanzierung von UN-Peacekeeping-Missionen Deutliche Verschlechterung Mit schrumpfender Wirtschaft in den OECD-Ländern werden voraussichtlich mehr Länder ihre Beiträge für UN-Peacekeeping-Missionen kürzen.
Militärausgaben in Prozent des BIP Unsicher Der Anteil der Militärausgaben wird vermutlich sinken, wenn Regierungen, besonders in OECD-Ländern, Finanzmittel umlenken, um ihre Wirtschaft zu stützen.
Gute Beziehungen zu Nachbarländern Besucher pro 100.000 Einwohner*innen Deutliche Verschlechterung Es wird viele Jahre dauern, bis der globale Tourismus wieder das Niveau von 2019 erreicht.
Positive wirtschaftliche Rahmenbedingungen BIP pro Kopf Deutliche Verschlechterung Die globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden bei schrumpfender Wirtschaft leiden. In einigen Ländern wird die Wirtschaft zusammenbrechen aufgrund von Kreditausfällen (Libanon), fehlenden Kreditmöglichkeiten (Brasilien) oder hoher Inflationsrate (Argentinien).

Positiver Friedensindex
Hohes Niveau an Humankapital Jugend nicht in Arbeit, Schule oder Ausbildung Deutliche Verschlechterung Unmittelbar wurden die Sektoren am stärksten von der schrumpfenden Wirtschaft getroffen, in denen junge Menschen arbeiten. Hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen erhöht die Wahrscheinlichkeit von Gewalt.
Gerechte Verteilung der Ressourcen Armutsquote bei 5,50 US$ pro Tag Deutliche Verschlechterung Die global sinkende Wirtschaft und die Unterbrechung der Handelsströme wird in den meisten entwickelten und Schwellenländern die Armutsquote erhöhen.
Akzeptanz der Rechte anderer Gruppenbezogene Beschwerden Deutliche Verschlechterung In vielen Ländern wächst die Feindseligkeit gegen Minderheiten, insbesondere gegen Menschen chinesischer Herkunft.

Tab. 1: Voraussichtliche Entwicklung beim Globalen Friedensindex und beim Friedensindex durch die COVID-19-Pandemie

Anmerkung

1) Die »Peace Index«-Berichte stehen auf ­visionofhumanity.org online.

2) OEDC = Organisation for Economic Co-oper­ation and Development; dt. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Übersetzt von Regina Hagen.

Krieg und Krisen in Corona-Zeiten


Krieg und Krisen in Corona-Zeiten

von Stefan Peters und Emily Ritzel

Das Corona-Virus wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf viele wirtschaftliche, soziale und politische Krisen. Abseits des Interesses der Weltöffentlichkeit bedeutet die Pandemie – allen Friedensappellen zum Trotz – für viele Krisengebiete im Globalen Süden eine Stärkung von Gewaltakteuren und die weitere Verschlechterung der humanitären Situation der Zivilbevölkerung. Die Corona-Pandemie ist zweifellos eine Ausnahmesituation, doch neue globale Krisen sind bereits absehbar, allen voran die Klimakrise. Die Internationale Politik muss bereits jetzt Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen und internationale Kooperationen sowie zivile Friedens­politiken stärken, um den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts adäquat begegnen zu können.

Heute gibt es nur ein Thema: Corona-Virus! Kein Land wird von der Pandemie verschont. Doch auch wenn uns alle der gleiche Sturm trifft, sitzen wir nicht im selben Boot. Der Fokus der Pandemie hat sich in den letzten Wochen zunehmend in den Globalen Süden verlagert.1 Hier trifft das Virus die historisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen auf dem Land oder in den städtischen Armenvierteln mit besonderer Wucht. Viele der Schutzvorkehrungen, wie regelmäßiges Händewaschen und physische Distanz, sind für diese Bevölkerungsgruppen in der Regel ebenso illusorisch wie die Hoffnung auf einen Test oder im Falle eines schweren Krankheitsverlaufs die Aussicht auf ein Beatmungsgerät.

Noch einmal deutlich dramatischer stellt sich die Situation in den Krisengebieten der Welt dar. Legt man die offiziellen Zahlen zugrunde, scheinen viele Konflikt- und Krisenstaaten bisher zwar noch weitgehend von der Pandemie verschont geblieben zu sein. Und tatsächlich kann die geringere Verbindung zum Rest der Welt die Ausbreitung des Virus verlangsamen – aufhalten wird sie die Pandemie dennoch nicht. Darüber hinaus sind die Zahlen trügerisch, die Dunkelziffern gerade in Krisengebieten enorm hoch. Zudem haben die häufig zitierten Daten der Johns Hopkins University eine weitere Schwachstelle: Sie fokussieren sich aus naheliegenden Gründen auf die Infektionszahlen. Die Pandemie bedeutet jedoch im Globalen Süden und insbesondere in den Krisenstaaten in erster Linie eine soziale und humanitäre Krise, die schnell im wahrsten Sinne existenzbedrohend werden kann. So ist die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten gerade in vielen Krisengebieten nicht gesichert, internationale Organisationen gehen von wachsendem Hunger aus, und die humanitäre Situation in den Flüchtlingslagern, etwa im Nahen Osten, in Ostafrika, aber auch an den europäischen Außengrenzen, ist oft katastrophal.

Keine Atempause: Konflikt­regionen in der Corona-Zeit

Zu Beginn der Pandemie gab es optimistische Stimmen, die prognostizierten, dass die Kraft des Corona-Virus zwar ganze Volkswirtschaften lahmlegen, aber auch die bewaffneten Konflikte auf der Welt stoppen oder zumindest eindämmen könnte. Barry Posen sah sogar ein Möglichkeitsfenster für eine „Pax Epidemica“ (Posen 2020). Diese Hoffnungen waren nicht gänzlich unbegründet: Als die Pandemie ausbrach, plädierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres eindringlich für einen globalen Waffenstillstand und stieß damit durchaus auf Widerhall innerhalb der internationalen Politik. Zudem haben Konfliktparteien aus zwölf Staaten von Kolumbien bis zu den Philippinen temporäre Waffenstillstände angekündigt und teilweise auch umgesetzt.

Doch mittlerweile wurden diese optimistischen Zukunftsszenarien von düsteren Realanalysen verdrängt. Selbstverständlich sind Verallgemeinerungen problematisch, und es müssten jeweils die lokalen Konfliktdynamiken in den Blick genommen werden. Dennoch: Eine Gesamtschau legt den Schluss nahe, dass die Pandemie nicht zu einer Eindämmung von kriegerischen Handlungen auf der Welt beigetragen hat.

Die Gründe hierfür sind vielfältig: So konnte sich der UN-Sicherheitsrat erst nach einem dreimonatigen Machtkampf auf eine entsprechende Resolution einigen (siehe dazu ausführlicher »Im Auge des Sturms« von Anna Holzscheiter auf S. 28). Am Ende überwog die Erleichterung, dass dies überhaupt gelang. Friedenspolitische Erfolge werden von dem Papier kaum erwartet. Die Großmächte haben andere Prioritäten, und wachsende Spannungen zwischen den Vetomächten lassen für die Zukunft kaum eine Blüte internationaler Zusammenarbeit erwarten. Aktuell erleben wir die Kluft zwischen der UN-Resolution einerseits und der kriegerischen Realpolitik andererseits, etwa mit Blick auf die zunehmende Internationalisierung des Krieges in Libyen infolge des Eingreifens der Türkei und Ägyptens. Hinzu kommt, dass humanitäre Überlegungen für die meisten Konfliktakteure irrelevant scheinen; selbst Gesundheitspersonal gerät bisweilen ins Fadenkreuz der Gewaltakteure.

Oft folgten Waffenstillstände eher taktischen Gründen und hatten kaum spürbare Auswirkungen. In der Zentralafrikanischen Republik wurde ein vorübergehender Waffenstillstand bald wieder gebrochen, und in verschiedenen Ländern Sub-Sahara-Afrikas scheinen islamistische Terrororganisationen, einschließlich des »Islamischen Staates«, die Pandemie zu nutzen, um sich militärische Vorteile und Propa­gandaerfolge2 zu verschaffen. Im Jemen verkündete Saudi-Arabien angesichts der hohen Kosten des Krieges einen Waffenstillstand, der jedoch nicht zu einer Eindämmung des Konfliktgeschehens führte; Anfang Juli wurde die saudische Regierung für einen Bombenangriff mit mehreren toten Zivilisten verantwortlich gemacht. In Kolumbien hat die Guerillaorganisation »Ejército de Liberación Nacional« (ELN, Nationale Befreiungsarmee) ihren einseitigen temporären Waffenstillstand nicht verlängert und stößt mit ihren Vorschlägen für einen beidseitigen Waffenstillstand bei der Regierung von Präsident Duque bisher auf taube Ohren. In Teilen des südamerikanischen Landes hat sich die Sicherheitslage merklich angespannt. Bewaffnete Gruppen konnten ihre Kontrolle über ländliche Regionen konsolidieren oder ausbauen. Gerade in den abgelegenen Gebieten des Landes nehmen auch Vertreibungen und Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen erneut zu, und der international vielbeachtete kolumbianische Friedensprozess wirkt sich in vielen Landesteilen kaum aus.

Diese Liste der Fälle fortwährender Konflikte trotz der Corona-Pandemie ließe sich leicht verlängern. Es kann kaum überraschen, dass sich die komplexen Konfliktkonstellationen durch das Coronavirus nicht auflösen. Ein Frieden durch die Pandemie ist folglich nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Zukunftsaussichten erscheinen düster: Die Krise droht die finanziellen Ressourcen für internationale Friedenseinsätze drastisch zu reduzieren und Konfliktursachen zu verschärfen.

Krieg in Zeiten der Corona-Pandemie

Kriege sind immer auch humanitäre Katastrophen. Hauptleidtragend ist die Zivilbevölkerung. Besonders stark betroffen sind vulnerable Gruppen wie Frauen und Kinder. Das Corona-Virus führt uns aktuell die dramatischen sozialen Folgen des Krieges vor Augen. Die meisten Konfliktschauplätze sind durch eine verarmte und ausgezehrte Bevölkerung, kollabierte Sozial- und Gesundheitssysteme sowie eine bestenfalls fragile Versorgung der Bevölkerung charakterisiert. Die Corona-Pandemie trifft hier bereits auf eine humanitäre Notlage. Eine weitere Zuspitzung der sozialen Situation durch das Virus ist absehbar.

Besonders besorgniserregend stellt sich die Situation etwa in Somalia und im Jemen dar. In Somalia war bereits in der Vergangenheit ein Drittel der circa 15 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Dürren und Überschwemmungen haben diese Situation weiter verschärft, und eine Heuschreckenplage droht den Hunger noch auszuweiten. Dennoch besteht die Gefahr, dass die al-Shabaab-Miliz die Verteilung von Hilfsleistungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten – wie bereits in der Vergangenheit geschehen – zurückweisen wird. Doch die Notlage der Zivilbevölkerung beschränkt sich nicht auf die Nahrungsmittelversorgung. Der Großteil der Menschen ist dem Virus fast vollkommen schutzlos ausgeliefert. Im Land fehlt es an den grundlegenden Voraussetzungen für die Einhaltung von Hygienestandards und Maßnahmen des »physical distancing«. Folglich gehen somalische Experten von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die Folgen der Ausbreitung des Corona-Virus müssen als katastrophal eingeschätzt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft das somalische Gesundheitssystem als eines der prekärsten der Welt ein. Auf 1.000 Einwohner*innen kommen 0,028 Ärzt*innen (zum Vergleich: Deutschland 4,2 Ärzt*innen/1.000 Einwohner*innen). Das Land verfügt über 25 Intensivbetten und nur ein Beatmungsgerät, das ein junger Mechaniker im Zuge der Corona-Pandemie erfunden und produziert hat. Zudem gibt es auch Hinweise auf eine Zunahme gender-basierter Gewalt und insbesondere der Genitalverstümmelung seit Beginn der Pandemie. Insgesamt ist eine deutliche Zuspitzung der Notlage der Bevölkerung zu befürchten. Damit ist die Gefahr verbunden, dass sich mehr Menschen der al-Shabaab-Miliz anschließen und die Terrormiliz gestärkt wird.

Eine ähnliche Situation findet sich auch im Jemen. Internationale Hilfsorganisationen warnen eindringlich vor einer massiven Verschlechterung der humanitären Lage. Das Corona-Virus trifft im Jemen auf eine durch Tod, Krankheit und Vertreibung gebeutelte Bevölkerung und stellt eine massive Bedrohung für die Menschen dar. Mehr als 80 Prozent der etwa 30 Millionen Einwohner*innen des Landes sind auf humanitäre Hilfe, wie Lebensmittel und medizinische Versorgung, angewiesen, über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. Zudem brach 2017 im Jemen die weltweit schlimmste Cholera-Epidemie aus, die je dokumentiert wurde. Aktuell droht dem Land eine massive Hungerkatastrophe. Hinzu kommt, dass ein Großteil der ohnehin prekären Gesundheitsinfrastruktur im Zuge des international weitgehend vergessenen Krieges zerstört wurde und das Gesundheitspersonal meist ohne entsprechende Schutzkleidung arbeiten muss.

Die Vereinten Nationen bezeichnen den Krieg im Jemen als schwerste humanitäre Krise der Gegenwart. Mit der Corona-Pandemie wird sich die Lage weiter verschlechtern. Zwar wurden Anfang Juni auf einer internationalen Geberkonferenz Hilfsgelder zugesagt, diese werden jedoch als unzureichend kritisiert. Zudem verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für die Hilfsorganisationen.

Im Allgemeinen ist bereits jetzt absehbar, dass die Corona-Pandemie in vielen Konfliktregionen eine soziale Zeitbombe darstellt und einen Teufelskreis begründen wird. Die Notlage erhöht in vielen Ländern die Gefahr neuer Konflikte und erleichtert die Rekrutierung neuer Kämpfer*innen. Diese Dynamiken erschweren nicht nur die Bearbeitung der Corona-Krise, sie drohen eine Gewaltspirale zu beschleunigen und stellen zudem eine schwere Hypothek für die Zeit nach der Pandemie dar.

Friedensorientierte Politik in Corona-Zeiten

Trotz dieser düsteren Aussichten bietet die Pandemie auch Chancen. Die aktuelle Krise provoziert Reflektionen über den Zustand der internationalen Politik und erfordert konkrete Vorschläge für die Neugestaltung der Weltpolitik.

  • Erstens braucht es eine konsequente Stärkung der multilateralen Zusammenarbeit: Das Virus lässt sich von Grenzen nicht beeindrucken, und der Rückzug in nationale Schneckenhäuser ist weder gesundheits- noch friedenspolitisch ratsam.
  • Zweitens braucht es schnelle humanitäre Hilfen für die Bevölkerung in den Krisenregionen. Die Appelle für mehr Menschlichkeit der Politiker*innen sind nur dann glaubwürdig, wenn sie auch durch ein entsprechendes finanzielles und politisches Engagement flankiert werden. Die Maßnahmen könnten durch eine Reduzierung der Militärausgaben finanziert und von einer Verschärfung der Richtlinien für Waffenexporte begleitet werden.
  • Schließlich darf der Fokus der internationalen Politik in der Corona-Krise nicht allein auf humanitäre Hilfe für die Konfliktregionen gelegt werden. Die Corona-Krise stürzt die Staaten des Globalen Südens in schwere wirtschaftliche und soziale Krisen. Mühsam errungene Entwicklungserfolge der vergangenen Jahre werden von dem Virus mit einem Handstreich kassiert. Zweifellos gibt es in vielen Ländern des Globalen Südens auf nationaler Ebene reichhaltige Möglichkeiten, Ressourcen zu akquirieren, um die Krise zu bearbeiten. Die Erhöhung der Steuerlast für die Wohlhabenden und einmalige Vermögensabgaben für die Eliten stellen nicht nur in Lateinamerika einen Königsweg dar. Auch Waffenkäufe sollten eingefroren und die eingesparten Mittel in eine Stärkung der Gesundheits- und Sozialsysteme gesteckt werden.

Und dennoch: Die Bearbeitung der sozialen Krise durch die Pandemie erfordert auch internationale Solidarität. Sollte die internationale Gemeinschaft die endlosen Bekenntnisse zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) ernst meinen, müssen jetzt mutige Entscheidungen getroffen und breit ausfinanziert werden. Andernfalls sind die Ziele für 2030 bereits Ende 2020 Makulatur.

Doch es geht nicht um Statistiken: Im Zentrum stehen Menschenleben. Deshalb muss jetzt rasch und entschlossen gehandelt werden. Denn die direkten (gesundheitlichen) und indirekten (wirtschaftlichen, sozialen und politischen) Folgen des Corona-Virus haben eines gemeinsam: Langes Abwarten führt zu einer Verschärfung der Situation, die bald unkontrollierbar werden könnte. Kluge Entwicklungspolitik ist auch und insbesondere Krisenpräventions- und mithin Friedenspolitik.

Das Säbelrasseln zwischen den Weltmächten verdeutlicht, dass in der Realpolitik die Zeichen der Zeit weiterhin nicht verstanden werden. Dabei sind die Konsequenzen der Corona-Pandemie ein eindringlicher Weckruf an die Internationale Politik. Den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – einschließlich globaler sozialer Ungleichheiten, Gesundheitsrisiken und des Klimawandels – kann nur durch internationale Kooperation und weitsichtige Politiken begegnet werden. Hierfür braucht es eine Neuorientierung der Weltpolitik und eine Stärkung von Stimmen der Zivilgesellschaft insbesondere aus dem Globalen Süden.

Anmerkungen

1) Die Corona-Pandemie entwickelt sich weiter sehr dynamisch: Der Artikel wurde am 20. Juli 2020 fertiggestellt.

2) So wird das Virus von der al-Shabaab-Miliz in Somalia als »Strafe Gottes« interpretiert.

Literatur

Posen, Barry R. (2020): Do Pandemics Promote Peace? Why Sickness Slows the Way to War. Foreign Affairs, 23.4.2020.

Prof. Dr. Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Direktor des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) in Bogotá.
Emily Salome Ritzel ist Juristin; sie studierte an der Universität Leipzig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Europarecht, Völkerrecht und Menschenrechte.

Friedenslogik

Friedenslogik

Eine praxisorientierte Theorie mit noch offenen Enden

von Christiane Lammers

Seit mehr als zehn Jahren arbeiten Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen und Bildungsarbeiter*innen an einem Konstrukt, das unter dem Begriff »Friedenslogik« firmiert. Die Zusammenführung verschiedener Perspektiven, Erfahrungswissensbestände und theoriegeleiteter Zugänge ermöglichte, dass aus dem anfangs eher intuitiven Gegenbegriff zu der in den 2000er Jahren allseits beschworenen »vernetzten Sicherheit« eine Theorie für die Arbeit am Frieden wurde. Gleichwohl sind viele Fragen noch offen.

Das Grundgerüst der Friedenslogik fußt auf der Erkenntnis, dass Frieden einerseits durch die Abwesenheit von Gewalt und andererseits durch Beziehungssysteme bestimmt ist. Ziel des Konzepts ist, zu einer Veränderung von Praxis beizutragen, sei es auf sozialer, sei es auf politischer Ebene. Die Richtung ist jedoch klar: Es geht um die Verminderung von Gewalt.

Fünf Handlungsprinzipien wurden von H.-M. Birckenbach herausgearbeitet,1 sodass auf der Grundlage wesentlicher Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung ein praxistaugliches, kohärentes Gerüst entstand.

1. Gewaltabbau und Gewaltprävention

Friedenslogisch betrachtet wird bei der Konfliktbearbeitung die Gewaltdimension in den Mittelpunkt gerückt. Bestehende Gewalt soll verringert, drohende Gewalt verhindert werden. Gewalt wird nach Galtung hierbei verstanden als Erfahrung der Nichtbeachtung von Grundbedürfnissen.

Mit der Prämisse, primär danach zu fragen, wo Menschen in einem Konflikt Gewalt erfahren, wird automatisch die Opferperspektive viel zentraler als dies bei nicht-friedenslogischem Handeln der Fall ist. Viele politische Entscheidungen müssten anders getroffen und vor allem begründet werden, wäre die Opferper­spektive ausschlaggebend für die Fokussierung auf einen Konflikt.

Eines der einleuchtendsten Beispiele für die Nichtbeachtung dieses Prinzips ist das der Rüstungsexporte. Die Entscheidung, ob Menschen Opfer werden durch den in Kauf genommenen Einsatz deutscher Waffen, wird aufgrund der folgenden, offiziell geltenden Prüfkriterien getroffen: Achtung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, keine Nutzung des Rüstungsgutes zur Verschärfung von Spannungen oder zu sonstigen friedensstörenden Handlungen. Angewandt werden diese Kriterien nur auf Nicht-NATO-Importstaaten, also z.B. nicht auf die Türkei. Und trotz dieser Kriterien werden Waffen an die
Vereinigten Arabischen Emirate und an Ägypten (beide beteiligt am Krieg im Jemen) geliefert.

2. Konfliktanalyse unter Einbeziehung eigener Verantwortung

Konfliktbearbeitung kann nur gelingen, wenn eine tiefreichende Konfliktanalyse die Komplexität des Konfliktes erfasst. Hierzu gehört ein so genanntes Akteursmapping über die Beteiligten, die Art ihrer Beteiligung und ihrer Beziehungen, ebenso wie Klarheit über Konfliktursachen, mit dem Konflikt verbundene Interessen etc. Die Analyseinstrumente stehen schon seit Jahrzehnten zur Verfügung, auch das Datenmaterial könnte aufgrund vielfältiger Informationsquellen in der transparent gewordenen, global vernetzten Welt zusammengeführt werden. Säulendenken in Form von ministeriellen Abgrenzungen,
die Nichtberücksichtigung zivilgesellschaftlicher Warnungen, Handlungsbereitschaft erst in eskalierten Situationen und die daraus resultierende Kurzfristigkeit des Handelns oder gar das Bestreben, mithilfe eines entsprechenden Handlungsinstrumentariums Macht zu demonstrieren, verhindern eine frühzeitige und umfassende Konfliktanalyse.

Ein weiterer Anspruch bleibt oft unerfüllt: Soll die Analyse zu wirksamen Handeln führen, dann ist ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, wo man selbst Anteile an dem Konflikt hat. Die Veränderung eigenen Handelns ist allemal einfacher als auf das Handeln Dritter Einfluss zu nehmen. Dies betrifft in einer Vielzahl von Fällen vor allem mittelbare Wirkungsketten, die es nachzuzeichnen gilt.

Viele Beispiele hierfür finden sich in der Verschlechterung der existenziellen Lebensbedingungen als Konfliktursache. Aktuell wird dies in Bezug auf die ökologisch verursachten Konflikte thematisiert, die ihren Ausgangspunkt in den von uns zu verantwortenden Klimaveränderungen hat. Es geht aber auch um das »Land Grabbing«, also die Aneignung von Land auf Kosten von Kleinbauern, um Nahrungsmittel für den Weltmarkt anzubauen, oder um unsere Nahrungsmittelexporte, die in den Importgebieten die heimische Landwirtschaft zerstören.

Andere Beispiele sind Folge der Finanzierung gewaltförmiger Konflikte. Sie reichen vom Handel mit »Blutdiamanten« über den Kauf wertvoller Kulturgüter aus den so genannten IS-Gebieten bis hin zum Erdölimport aus dem Mittleren Osten.

3. Deeskalation und Konflikt­bearbeitung unter Beachtung der Dialog- und Prozessverträglichkeit

Mit Blick auf die Opfer gewaltförmiger Konflikte ist die Deeskalation eines Konflikts zentral.

Das Handeln soll also darauf gerichtet sein, wie eine Situation entschärft werden kann. In zweierlei Hinsicht ist dies von Bedeutung: Einerseits wird die Gewaltanwendung verringert und damit werden Opfer geschützt; andererseits wird der Konflikt selbst, also in seiner Substanz, einer Bearbeitung zugeführt. Mit Deeskalation ist nicht gemeint, dass nach einer Gewaltminimierung die Bearbeitung des Konfliktes ad acta gelegt wird. Ausgehandelte Waffenruhen sind sehr fragil, Schutzzonen unter UN-Mandaten sind nur eine Notlösung.

Der Vielfältigkeit von Konfliktbearbeitungsformaten sind im Konzept der Friedenslogik keine Grenzen gesetzt. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich vor dem Handeln nicht nur Klarheit über den Konflikt verschafft hat, sondern auch über die eigene realistische Zielsetzung, die damit verbunden ist.

Zwei friedenslogische Ansprüche an die Konfliktbearbeitung geben dieser zusätzliche Orientierung: Die Dialogverträglichkeit greift die Erkenntnis auf, dass Konflikte am Ende, jenseits einer Friedhofsruhe, nur in einem Dialog zwischen den beteiligten Akteuren geregelt werden können, also kooperativ. Werden Maßnahmen getroffen, die der Schaffung von Dialogmöglichkeiten entgegen stehen, etwa durch Vorbedingungen, die einer Seite unannehmbar erscheinen, oder durch Ignoranz gegenüber Konfliktakteuren und entsprechende Ausschlussverfahren, dann wird die Wahrscheinlichkeit einer guten,
nachhaltigen Lösung geringer. Ähnliches gilt für die Prozessverträglichkeit der getroffenen Entscheidungen: Sind Handlungen nicht eingebunden in einen Gesamtprozess, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht nachhaltig wirken, ins Leere laufen oder sogar kontraproduktiv sind, wesentlich erhöht.

Ein jüngstes Beispiel für die (späte) Einsicht in die Notwendigkeit einer kooperativen Problemlösung sind die nun begonnenen Dialoge der US-amerikanischen Regierung über die Zukunft Afghanistans unter Einschluss der Taliban. Ein anderes Beispiel ist der stetig gewaltförmige Konflikt zwischen Israel und Palästina, aus dem es kein Entrinnen gibt, wenn nicht beide Seiten in einen Dialog treten zur Aushandlung der verschiedenen berechtigten Interessen.

4. Werteorientierte Überprüfung und Unterordnung bzw. Modifikation eigener Interessen

Politisches Handeln in demokratisch organisierten Systemen muss begründet werden. Begründungen legitimieren nicht nur Handlungen, sondern sie können auch helfen, das Handeln entsprechend zu qualifizieren. Das vierte Prinzip der Friedenslogik nimmt eine Einordnung der im Raum stehenden Begründungen für »Interventionen« in Konflikten vor. Es betrifft sowohl die Grundsatzentscheidung, ob überhaupt interveniert wird, als auch die Einzelentscheidungen über Maßnahmen, also das Wie. Im Raum der Begründungszusammenhänge stehen die ethischen Werte, denen Handeln genügen muss, aber auch die
Interessen, die Akteure mit ihrem Handeln konkret verfolgen. Für Deutschland gilt, dass Handeln zweifach ethisch gebunden ist: zum einen durch das Grundgesetz Art. 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) und Art. 2 („Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“), zum anderen durch die Unterzeichnung
der Charta der Vereinten Nationen, also das Völkerrecht. Im alltäglichen Handeln werden diese Werte nur allzu oft in den Hintergrund gerückt. In den Begründungen dominieren oft Interessen, die eher kurzfristig und eindimensional sind, oder es findet eine Gleichsetzung bzw. Gleichwertsetzung von ethischen Grundsätzen mit Interessen statt. So werden z.B. in den »Verteidigungspolitischen Leitlinien« der Bundesregierung die „Werte“ der deutschen (Sicherheits-) Politik und „unsere Interessen“ gleichermaßen und gleichrangig betont.

Um dieser Verwischung vorzubeugen und damit auch dem ersten friedenslogischen Prinzip gerecht zu werden, bedarf es einer ständigen werteorientierten Überprüfung des Handelns. Der mögliche Widerspruch zu vermeintlichen Interessen kann nur aufgelöst werden, indem eigene Interessen hintangestellt, modifiziert oder korrigiert bzw. Handlungsoptionen gefunden werden, die sowohl den Werten entsprechen als auch die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen. Einfach ist dies nicht!

Ein Beispiel: In der Diskussion um die Notwendigkeit von Rüstungsindus­trie ist ein häufig vorgebrachtes Argument das des Erhalts von Arbeitsplätzen. Dem Wert, Gewalt durch Rüstungsproduktionsabbau vorzubeugen, steht das Interesse, Arbeitsplätze zu erhalten, entgegen. Dieser Widerspruch kann durch Rüstungskonversion aufgelöst werden. Ein anderes Beispiel, bei dem es ganz klar um die Unterordnung von Interessen gehen muss, ist die Flüchtlingsrettung, sei es direkt aus dem Mittelmeer, sei es aus den humanitär katastrophalen Bedingungen auf den griechischen Inseln und in anderen
Flüchtlingslagern.

5. Offene Reflexion des bisherigen Vorgehens und Möglichkeit zur Korrektur

Fehleinschätzungen beim Handeln in Konflikten liegen fast in der Natur der Sache, insbesondere wenn es um Handeln in anderen kulturellen Zusammenhängen, um eine Gemengelage von beteiligten Akteuren, um historisch gewachsene Konflikte, um politische Machtinteressen versus gesellschaftliche Entwicklung geht. Oftmals werden nicht-intendierte Wirkungen nach anfänglichen Erfolgen erst mittelfristig, d.h. mit Verzögerung, sichtbar. Um nicht in diese Falle zu laufen, gilt es Vorkehrungen zu treffen. Hierzu gehört neben der oben schon angesprochenen genauen Klärung realistischer Ziele und einer
Fortschreibung der Konfliktanalyse eine ständige prozessbegleitende Überprüfung der Wirkungen. Evaluationsinstrumente müssen das Handeln begleiten; die Reflexion muss ergebnisoffen und durch unabhängige Kompetenzträger qualifiziert werden. Die Implementierung einer Fehlerkultur ist vonnöten. Darunter ist nicht die Ignoranz gegenüber Fehlern zu verstehen, sondern ein konstruktiver Umgang mit ihnen. Statt der Konzentration auf Fehlervermeidung, der Fehlervertuschung und der Tendenz zum Nichthandeln wird aus Fehlern produktiv gelernt und nach Alternativen gesucht.

An Wissen und auch an für die Anwendung dienlichen Instrumenten zur Planung, Beobachtung und Bewertung (Planning, Monitoring, Evaluation) mangelt es bei zivilgesellschaftlicher Friedensarbeit zumeist nicht. Hier ist es auch Usus, dass diese Instrumentarien fester Bestandteil von Ausbildungsprogrammen sind. In staatlichen und politischen Handlungsräumen werden diese Instrumentarien dagegen noch eher verhalten angewandt, zumindest jedoch die Ergebnisse einer offenen Diskussion vorenthalten.

Der Umgang mit den verschiedenen militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte ist ein Paradebeispiel hierfür. Der von vielen als gescheitert eingestufte Bundeswehreinsatz in Afghanistan führte zumindest zu einer parlamentarischen Beratung über die Notwendigkeit von Evaluationen. Entsprechende Gesetzentwürfe der Jahre 2016 und 2018 wurden jedoch u.a. mit dem Argument abgelehnt, durch Evaluationen würde das Regierungshandeln eingeschränkt.

Sicherheitslogik vs. Friedenslogik – eine Übersicht

Die Erfahrung, dass aktuelle friedenspolitische Debatten in den letzten 20 Jahren zunehmend durch sicherheitspolitische Strategien und Konzepte dominiert oder verdrängt wurden, legt es nahe, auch die immanenten Unterschiede zwischen Sicherheitslogik und Friedenslogik deutlich zu machen. Unter Mitwirkung von Sabine Jaberg und in Ergänzung zu ihren bisherigen Arbeiten wurde eine tabellarische Übersicht entwickelt (siehe Tab. 1). Sie orientiert sich an Leitfragen, die im Rahmen der konzeptionellen Entwicklung einer Konfliktbearbeitung zu beantworten sind. Um Missverständnissen vorzubeugen:
Auch hier geht es um theoretisch hergeleitete Prinzipien und Prämissen, nicht um eine 1:1-Abbildung von Realitäten, die immer komplexer als beschrieben und von Grautönen geprägt sind.

Fragestellung und Sicherheitslogische Antwort Friedenslogische Antwort
Handlungsfokussierung
Was wird als Problem wahrgenommen? Bedrohung, Gefahr, Unsicherheit Gewalt, die stattfindet oder bevorsteht
Handlungen orientieren sich an Gefahrenabwehr und Verteidigung Gewaltprävention und Gewaltminimierung zum Schutz von Betroffenen
Wodurch ist das Problem entstanden? Durch andere/von außen kommend als Folge komplexer Konflikte
Handlungen zielen auf Schuldzuschreibung, Wahrung eigener Interessen Konfliktanalyse und Konflikttransformation – eigene Konfliktanteile einbeziehend
Wie wird das Problem bearbeitet? mit Selbstschutz (Abschreckung, Drohung, Einsatz von Gewaltmitteln) durch kooperative Konfliktbearbeitung
Handlungsansätze sind Abschottung, Ausbau des Sicherheitsapparats, Drohungen bis hin zum Einsatz von Gewaltmitteln Deeskalation, Schutzmaßnahmen für Opfer, gewaltlose Konfliktbearbeitung – dialogverträglich und prozessorientiert
Wodurch wird eigenes Handeln gerechtfertigt? mit dem Vorrang eigener Interessen mit der Universalität von Menschen- und Völkerrecht
Rechtfertigung führt zu Relativierung, Unterordnung und Anpassung von Normen an eigene Interessen werteorientierter Hinterfragung eigener Interessen und ihrer Modifikation im Sinne globaler Normen
Wie wird auf Scheitern und Misserfolg reagiert? mit Selbstbestätigung, ohne Selbstkritik mit offener, kritischer Reflexion
Handlungsfolge ist Verschärfung der bisher eingesetzten Mittel oder Rückzug in die Passivität Einräumung von Problemen bzw. Fehlern und Suche nach gewaltfreien Alternativen

Tab. 1: Quelle: Flyer »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2. Aufl., 2019.

Die offenen Enden des roten Fadens Friedenslogik

Sicherlich liegen dem Leser/der Leserin schon viele Fragen auf der Zunge, die auf die konkrete Umsetzung der theoretischen Prämissen des Konzepts abzielen. Ohne diesen ausweichen zu wollen, sei zunächst betont, dass es sich bei dem Konzept oder besser Konstrukt nicht um einen Instrumentenkasten handelt, den man einfach so auspacken und ohne weiteres Nachdenken nutzen kann. Theorie kann vor allem helfen, Wirklichkeit zu reflektieren und zu erklären, im Falle der Friedenslogik aber auch, Handlungsorientierung zu geben.

In der Arbeit an und mit der Friedenslogik wurde die Theorie auf verschiedene Felder der Friedens- und Konfliktarbeit angewandt. Dabei wurden weiter zu durchdenkende Fragekomplexe sichtbar:

  • Gewalteinsatz zur Verhinderung von Gewalt ist seit jeher ein hoch problematisches Thema. Allein der Hinweis auf die dringende Notwendigkeit von Gewaltprävention oder der Verweis auf den Erfolg gewaltfreier Gegenwehr reichen als Antwort der Friedenslogik m.E. nicht aus. Normen, wie das Völkerrecht, haben Gewalt nicht grundsätzlich geächtet, jedoch die Legitimität eng begrenzt. Zusätzlich zu dieser »Eindämmung« kommt friedenslogisch betrachtet die Notwendigkeit hinzu, dass ein Gewalteinsatz die Gewaltspirale nicht weiter in Schwung bringen darf. Auch oder gerade beim Einsatz von Gewalt
    müssen die Opfer weiter im eigenen Handlungsfokus bleiben, Wege zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung dürfen nicht versperrt werden. Ob dies realistisch betrachtet möglich ist, ist vorläufig eine offene Frage.
  • Sicherheit ist – begrenzt – ein legitimes Bedürfnis oder Anliegen. Sie zu gewährleisten gilt als ureigenste Aufgabe des Staates. Wenn Sicherheitspolitik aber der oben kurz skizzierten Eigenlogik unterliegt, wie kann diese durchbrochen werden? Lässt sich eine Systematik entwickeln, die das sicherheitspolitische Instrumentarium kompatibel mit friedenslogischen Prinzipien macht? Konzepte der »Gemeinsamen Sicherheit« sind hierzu ein Stichwort.
  • Zwischen Friedens- und Entwicklungsarbeit wird seit den Anfängen der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland ein Zusammenhang gesehen, insbesondere auch bezüglich der Prävention von Gewalt. Dieser Nexus ist noch weitgehend undefiniert. Neuere Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass Inklusion ein zentrales gemeinsames Element ist. Auch ist zu beobachten, dass Friedens- und Entwicklungsförderung nicht linear zueinander erfolgen. Langfristig angelegte Transformationsprozesse könnten ein Schlüssel sein, verlangen aber ihrerseits ein komplexes, kaum handhabbares
    Setting.2
  • In der Menschenrechtsarbeit spielt die Frage des Schuldeingeständnisses und der Wiedergutmachung eine große Rolle. In der Praxis der Konfliktbearbeitung wird dies manchmal eher als hinderlich gesehen, um sich offen und unbelastet der »Zukunft« zuzuwenden. Vergangenheitsbewältigung erscheint deshalb nachrangig bei der Bewältigung aktueller Probleme. Konfliktanalyse, werteorientierte Bearbeitung und kritische Reflexion könnten die Kompatibilität herstellen.
  • Die Dialoggestaltung zwischen Konfliktbeteiligten ist in der Praxis eine Herausforderung. Täter- und Opfer-Zuschreibungen spielen eine Rolle, Machtsysteme eine noch größere, ebenso die Frage, durch wen und wie eine Moderation erfolgen kann, wie Verbindlichkeit hergestellt wird etc.

Aus Forschung und Praxis der Mediation gibt es hierzu wichtige Beiträge, die diese Problematiken aufgreifen. Sie sind jedoch noch zu wenig implementiert.3

  • Der Anspruch der Deeskalation widerspricht dem Verständnis, dass eine Konfliktverschärfung notwendig sei, um »an den Verhandlungstisch zu zwingen«. Erst durch die Eskalation würde eine öffentliche Sichtbarmachung erfolgen, wäre die Überführung in eine Konfliktbearbeitung möglich. Es stellt sich dann die Frage, auf wessen Kosten die Eskalation geht und ob dieses legitim ist und gewaltmindernd wirkt. Ist z.B. die Verweigerung von Medikamentenlieferungen friedensfördernd, um durch die damit erhoffte Destabilisierung Verhandlungsbereitschaft herzustellen? Hier bedarf es zumindest auch einer
    Plausibilitätsprüfung des Verhaltens.
  • Der ethische Maßstab »Menschenrechte« löst noch nicht das Problem, dass es im konkreten Fall Unvereinbarkeiten zwischen verschiedenen ethisch begründeten Werten geben kann. M.E. gibt es eine schwierige, aber doch zu rechtfertigende Priorisierung der Werte mit der Vorrangigkeit des Rechts auf Leben und der Unversehrtheit der Person. Vielleicht bleibt in bestimmten Situationen nur die Priorisierung humanitärer Handlungsoptionen anstatt direkt die Konfliktbearbeitung anzustreben.
  • Wie kann die Theorie der Friedenslogik wirkmächtiger werden? Im Rahmen des Projekts »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (2016-2017) und seitdem weit darüber hinaus wurden Workshops veranstaltet, fanden Vorträge in unterschiedlichen Organisationszusammenhängen statt. Die friedenslogischen Prinzipien wurden in Arbeitskonzepte integriert, wurden explizit zum Bestandteil von Fortbildungen, waren Bezugspunkt für Kritik an der herrschenden Politik. Ebenso wie für den Friedensbegriff ist es auch für die Friedenslogik vordringlich, sie nicht als
    zeitgeschichtlich gebundenes Konstrukt ad acta zu legen, sondern mutig daran und damit zu arbeiten.

Anmerkungen

1) Die erste umfangreichere Publikation zur Friedenslogik war das W&F-Dossier 75, »Friedenslogik statt Sicherheitslogik«, Beilage zu W&F 2-2014. Weiterführende Literatur- und Veranstaltungsberichte sind der Webseite der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung zu finden: konfliktbearbeitung.net/friedenslogik.

2) Siehe dazu Wolff, J. et al: Frieden und Entwicklung 2020 – Eine Analyse aktueller Erfahrungen und Entwicklungen. Frankfurt a.M.: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

3) Siehe dazu beispielsweise die Ausführungen zu einem Projekt des Berghof-Forschungszentrums: Göldner-Ebenthal, K. (2019): Verhandeln mit Jihadisten – Worauf kommt es an? Debattenbeitrag in peacelab.blog, 11.12.2019.

Christiane Lammers ist Redaktions- und Vorstandsmitglied von W&F, Mitglied der Arbeitsgruppe »Friedenslogik« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und wiss. Mitarbeiterin der FernUniversität in Hagen.

Der Frieden in Kolumbien


Der Frieden in Kolumbien

„… ist nicht der Frieden, den wir wollen“

von Dorothea Hamilton und Matthias Grenz

Im November 2016 wurde mit dem »Friedensvertrag von Havanna« der längste Bürgerkrieg der Welt beendet. Seit der Entwaffnung der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) herrscht im Land offiziell »Frieden«. Jedoch zeigen vielerlei soziale Missstände, dass ein dauerhafter Friede noch weit entfernt ist. Dem Friedensvertrag wurde international sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch wie wird diese Friedenszeit von der betroffenen Bevölkerung wahrgenommen? Welche Elemente des Friedensvertrags führen dazu, dass ein »positiver Frieden« noch in weiter Ferne scheint? Und was können wir von Kolumbien lernen?

Kolumbien kann dank des Friedensvertrages zwischen den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und der kolumbianischen Regierung als ein »Labor für Frieden« betrachtet werden, denn hier lassen sich in Echtzeit und gemeinsam mit Betroffenen die unterschiedlichen Friedensvorstellungen beobachten. Der mehr als 50 Jahre andauernde bewaffnete Konflikt zwischen der Guerillaorganisation und Regierungstruppen wurde mit dem »Friedensvertrag von Havanna« vom November 2016 offiziell beendet. Dieser findet international große Anerkennung; dem verhandelnden Präsidenten Manuel Santos wurde dafür der Friedensnobelpreis verliehen. Kritiker*innen des Vertrages bemängeln, dass es sich lediglich um einen „Frieden auf dem Papier“ (Naucke und Oettler 2018) handle. Es gehe nur um die Entwaffnung der FARC, andere Vereinbarungen, wie eine gerechtere Verteilung von Land an Kleinbauern, würden nicht eingehalten: Der Frieden von Santos ist nicht der Frieden, den wir wollen, denn zum Frieden, den die Landbevölkerung sucht, gehören soziale, ökonomische und politische Veränderungen. Aber dieser Frieden von Santos bedeutet, die Guerilla zu entfernen, um unsere Territorien den multinationalen Konzernen zu geben.(Interview A).

Andauernde Probleme, wie das Aufkommen neuer bewaffneter Gruppen, die teilweise Wiederbewaffnung der FARC, die Ermordung von Menschen- und Umweltaktivist*innen sowie ehemaligen Kämpfer*innen und die mit der Ausweitung illegaler Ökonomien, wie Drogenanbau oder Goldabbau, verbundene Gewalt, werfen die Frage auf, ob die Abgabe der Waffen tatsächlich als »Frieden« bezeichnet werden kann. Bereits in der Vergangenheit wurden in Kolumbien mit verschiedenen bewaffneten Gruppen Friedensverträge ausgehandelt. Diese führten zwar zur offiziellen Auflösung bewaffneter Gruppen (z. B. 1991 der Guerillagruppen EPL, M-12 und Quintin Lame, 2005 der Paramilitärvereinigung AUC), jedoch nicht zur Beendigung des bewaffneten Konflikts, da sich viele bewaffnete Akteure lediglich umbenannten und neu formierten (Nussio 2016, S. 3).

Einen theoretischen Rahmen für die differenzierte Betrachtung des Verhältnisses von Friedensvertrag und »Frieden« bietet Johann Galtungs Konzept des positiven bzw. negativen Friedens. Negativer Frieden ist als Abwesenheit kriegerischer Gewalt“ (Galtung 1969, S. 161 f.) zu verstehen, wohingegen sich der positive Frieden durch eine gesellschaftliche Transformation und Mitsprache auszeichnet. In Kolumbien kann aufgrund der Abgabe der Waffen von einem negativen Frieden gesprochen werden. Das Eingangszitat macht deutlich, dass viele weitere Schritte fehlen, damit ein positiver Frieden entstehen kann. Dazu ist es notwendig einen „territorialen Frieden“ (Maihold 2016) anzustreben, also dem Subsidiaritätsprinzip folgend die Umsetzung eines Friedens »von unten«. Dazu gehört es auch, lokale Verständnisse dessen, was Frieden beinhalten sollte, einzubeziehen.

Positiver Frieden durch den Friedensvertrag?

In einer quantitativen repräsentativen Untersuchung befragten wir ein Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages in der Stadt Cali 144 Personen unterschiedlichen Geschlechts, Alters, sozioökonomischen Standes und Berufs dazu, wie sie die Umsetzung eines dauerhaften Friedens einschätzten. Die ernüchternden Ergebnisse der Erhebungen zeigten, dass lediglich 22 % der Befragten an einen dauerhaften Frieden unter den gegebenen Voraussetzungen glaubten. Nur knapp 17 % der Befragten glaubten an die friedliche Koexistenz aller ehemals beteiligten Konfliktakteure mit der Zivilgesellschaft (Grenz 2019).

Im Altersvergleich fielen insbesondere die Gruppe der 16- bis 25-jährigen, die unteren sozialen Schichten und die sehr Wohlhabenden durch ihre sehr pessimistische Haltung in Bezug auf den Frieden auf. Die kolumbianische Zivilgesellschaft kann sich kaum eine reale Umsetzung des Friedens vorstellen. Dies wirft die Frage auf, weshalb die Befragten gegenüber dem Friedensvertrag so pessimistisch eingestellt sind.

Extraktivismus als Hindernis für Frieden

Neben vielen weiteren Problemen der Umsetzung ist einer der Kernkritikpunkte am Friedensvertrag von Havanna, dass das extraktivistische Wirtschaftsmodells nicht benannt wird. Kritiker*innen sind der Meinung, dass die Entwaffnung der FARC vor allem eine politische Voraussetzung für die Ausweitung der extraktivistischen und neoliberalen Wirtschaftslogik sei (z.B. Colmenares 2016, Velasquez 2015). In den vormals von der FARC kontrollierten Gebieten können nun die vorhandenen Ressourcen auf Kosten der Umwelt und der lokalen Bevölkerung ausgebeutet werden. Ein Umweltaktivist fasste diese Position mit folgenden Worten zusammen: „Natürlich wollen wir Frieden, alle wollen Frieden, aber dieser Frieden begünstigt vor allem die Großkonzerne. (Interview B)

Kolumbiens Wirtschaft beruht traditionellerweise stark auf Kaffee und Kohle und soll auf Gold, Kupfer und Coltan ausgeweitet werden. Die Regierung betont, dass insbesondere die Ausbeutung nicht-regenerativer Ressourcen notwendig sei, um einen langfristigen Frieden finanzieren zu können. Die kapitalistische Inwertsetzung der vorhandenen »ungenutzen« Rohstoffe mineralischer oder agrarischer Art soll zur Reduzierung der sozialen Spaltung beitragen (Interview C).

Jedoch ist die Exportorientierung auf unverarbeitete Rohstoffe seit der Kolonialisierung Teil eines Wirtschaftssystems, das bestehende Machtasymmetrien reproduziert und mit Umweltzerstörung und Unterdrückung anderer, z.B. indigener, afrokolumbianischer oder kleinbäuerlicher, Lebensweisen einhergeht (Hamilton 2018). Selbstbestimmte Entwicklungsvorstellungen der Lokalbevölkerung über den Umgang mit ihrer Umwelt, die Voraussetzung für einen positiven Frieden wären, werden mit Verweis auf ihre »Fortschrittsfeindlichkeit« diffamiert und mitunter kriminalisiert. Die räumliche Ausweitung der vermeintlich produktiven Logik hat bereits jetzt den Verlust der Biodiversität in vormals durch den bewaffneten Konflikt geschützten Gebieten zur Folge (Reardon 2019).

Vonseiten der Regierung wird ignoriert, dass die extraktivistische Logik mit zur gegenwärtigen Situation im Land geführt hat. Der Friedensvertrag klammert den Umgang mit den natürlichen Ressourcen, mit Ausnahme der Landfrage und der illegalen Drogen, komplett aus. Die Kritik am extraktivistischen Wirtschaftsmodell ist Kernbestandteil des so genannten »Acuerdo de Quito«, des angedachten Friedensvertrags mit der kleineren Guerillaeinheit ELN (Nationale Befreiungsarmee). Dessen Umsetzung ist allerdings aus verschiedenen Gründen fraglich (Maihold 2016).

Postkonflikt oder Post-Acuerdo?

In Kolumbien kursieren verschiedene Begriffe, welche die Zeit nach dem Friedensvertrag beschreiben. Während von offizieller Seite die derzeitige Phase als »Postkonflikt« bezeichnet wird, verwenden Kritiker*innen den Begriff »Post-Acuerdo«, also Zeit »nach dem Vertrag«, um damit auf die anhaltende Gewalt und den fehlenden positiven Frieden hinzuweisen. Die Bezeichnung »Post-Acuerdo« verweist auf den »negativen Frieden«, der zwar die Entwaffnung der FARC und eine generelle Abnahme der Gewalt mit sich bringt, aber die Bekämpfung der eigentlichen Konfliktursachen weitestgehend außer Acht lässt. Ein ehemaliger Kämpfer der demobilisierten M-19 beschrieb die Voraussetzung für einen positiven Frieden so: „Die Art der Veränderung, die das Land braucht, ist durch strukturelle Reformen bedingt, die nicht im Friedensvertrag festgelegt wurden, und würde voraussetzen, dass die Demokratie ausgebaut wird. Dazu gehört auch eine Transformation der Vorstellungen über Frieden und Gewalt […] Ich glaube, dass es sehr naiv ist, zu glauben, dass der Friedensvertrag mit den FARC allein zu einem stabilen und nachhaltigen Frieden führen wird. (Interview D)

Die Bezeichnung »Postkonflikt« hingegen ignoriert die anhaltenden sozialen Missstände und vergisst, auf die Folgekonflikte der so genannten Post-Bürgerkriegsgesellschaft einzugehen. Die Kernprobleme des Landes, wie Ungleichverteilung, anhaltende Gewalt und Ungleichheit, werden durch den bestehenden Vertrag nicht gelöst, sondern möglicherweise durch die zukünftige Ausweitung des extraktivistischen Wirtschaftsmodells noch verstärkt. Eine Kaffeebäuerin antwortete auf die Frage, ob der Friedensvertrag ihr Leben verändert habe, so: Ich würde sagen, dass es sehr wenig verändert hat, man sagt, dass jetzt, wo der Frieden unterschrieben wurde, alles normal wird, aber das stimmt nicht. Es ist nicht normal, es gibt weiterhin Kriege, die Unterstützung, die den Kleinbauern versprochen wurde, hat nicht stattgefunden. (Interview E)

Der bewaffnete Konflikt und somit auch der Friedensvertrag sollten vielmehr als Symptom einer weitaus größeren Problematik verstanden werden. Denn schon in den Zeiten vor dem offiziellen Konflikt befand sich Kolumbien kaum in einem Zustand des positiven Friedens. Im derzeitigen Friedensprozess werden jedoch die eigentlichen Ursprünge der Situation in Kolumbien kaum thematisiert. Durch die Entstehung von bewaffneten Guerillabewegungen, paramilitärischen Einheiten und einem bis heute florierenden Drogenhandel wird der Blick mehr auf die Symptome als auf die eigentlichen Ursachen der prekären Situation in Kolumbien gelenkt.

Somit ist der Friedensschluss mit den FARC zwar ein Schritt in Richtung Frieden, jedoch kommt davon in der Praxis vielerorts nichts an. Ein Vertreter einer Bauernorganisation verwies darauf wie folgt: „Dafür hat Santos den Friedensnobelpreis gewonnen. Das hilft ihm, aber uns hat es nichts geholfen. (Interview B) Und eine Bäuerin warf ein, dass Frieden nicht eine nationale, politische Entscheidung sei, sondern „den Frieden müssen wir bei uns zu Hause anfangen“ (Interview E).

Literatur

Colmenares, R. (2015): Naturaleza en disputa y paz. In: Giraldo Isaza, F., Revéiz, E. (Hrsg.): El posconflicto – Una mirada desde la academia. Bogotá: Academia Colombiana de Ciencias Económicas, S. 143-152.

Galtung, J. (1969): Violence, Peace, and Peace Research. Journal of Peace Research, Vol. 6, Nr. 3.

Grenz, M. (2019): Zur Perzeption des Friedensprozesses bei der kolumbianischen Bevölkerung. Wissenschaftliche Abschlussarbeit, Fachbereich Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen.

Hamilton, D. (2018): Ein neues El Dorado – In Kolumbien wehren sich lokale Gemeinden gegen den Goldabbau. iz3w, Nr. 365, S-10-11.

Maihold, G. (2016): Kolumbien und der »vollständige Frieden«. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 43.

Naucke, P.; Oettler, A. (2018): Kolumbien – Frieden in Gefahr? Wissenschaft und Frieden 2-2018, S. 5.

Nussio, E. (2016): Frieden und Gewalt in Kolumbien. Zürich: Center for Security Studies der ETH Zürich, CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr.191.

Reardon, S. (2018): Peace is killing Colombia’s jungle – and opening it up. Nature, Nr. 558.

Velásquez, F. (2015): Paz territorial e indústrias extractivas en Colombia. In: Giraldo Isaza, F., Revéiz, E. (Hrsg.): El posconflicto – Una mirada desde la academia. Bogotá: Academia Colombiana de Ciencias Económicas, S. 153-168.

Zitierte Interviews

Interview A, 5.10.2017, Cauca, Kolumbien: Führungsperson der Asociación Nacional de Usuarios Campesinos – Nationale Bauernvereinigung.

Interview B, 27.9.2019, Quindío, Kolumbien: Umweltaktivist.

Interview C, 26.10.2017, Bogotá, Kolumbien: Vorsitzende der Colombian Mining Association.

Interview D, 4.8.2017, Valle del Cauca, Kolumbien: Demobilisierter Kämpfer der ehemaligen Guerillagruppe M-19.

Interview E, 12.1.2018, Cauca, Kolumbien: Kleinbäuerin.

Dipl.-Geogr. Dorothea Hamilton ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie der JLU Gießen und hat in Marburg neben Geographie auch Friedens- und Konfliktforschung studiert. Sie promoviert zum Umgang mit Ressourcen in Postbürgerkriegssituationen in Lateinamerika. Im Rahmen ihrer Recherchen verbrachte sie zwischen 2017 und 2019 mehrere Aufenthalte in Kolumbien.
Matthias Grenz ist Geograph und Lehrer. Er absolvierte kurz nach der Unterschreibung des Friedensvertrages in Kolumbien ein Schulpraktikum an der Deutschen Schule Cali. Zudem forschte und studierte er an der öffentlichen Universität in Cali und gab in einem Camp ehemaliger FARC Kämpfer*innen Englisch- und Geographie­unterricht.

Lebensweltliche Frieden


Lebensweltliche Frieden

Der Ritt der »Dakota 38+2«

von Melanie Hussak

Anhand lebensweltlicher Friedensverständnisse der L/Dakota1 betrachtet der Artikel die Bedeutung marginalisierter Ontologien (Theorien des Seins) zum Verständnis von bisher übersehenen Friedensprozessen und damit verbundenen Friedens­potentialen. Die Autorin beleuchtet am Beispiel des Ritts der »Dakota 38+2« die gegenwärtige Situation indigener Gemeinschaften sowie Einsätze zur Wiederherstellung ihrer Frieden (im Plural verstanden!) und damit verbunden von ihnen angestoßene Prozesse der Dekolonialisierung. Aus dieser Betrachtung werden im Anschluss Implikationen für die Friedensforschung und Friedensarbeit diskutiert.

Die Frage nach dem »Phänomen« Frieden, seinem Wesen, seinen Ursachen und seinen Erscheinungsbildern ist ein zentrales Thema der Friedens- und Konfliktforschung, Friedenspädagogik und Friedensarbeit. Eine umfassende Begriffsarbeit ist zentral für die Disziplin, hat der Friedensbegriff doch ebenso konstitutive wie normative Funktionen (Narr 1969, S. 14, zit. nach Schwerdtfeger 2001, S. 27). So ist er ein wesentlicher Ausgangspunkt für friedenswissenschaftliche Untersuchungsgegenstände, theoretische Bezüge sowie daraus folgende Erkenntniswege. Zudem hat das einem Friedensbegriff zugrundeliegende Verständnis von Frieden Konsequenzen für das Handeln. Somit beeinflusst der Diskurs, der innerhalb der Friedensforschung darüber geführt wird, was denn Frieden sei und wie er zu erhalten oder herzustellen ist, nicht nur etwa die Entwicklung von Methoden der Konfliktanalyse, Konfliktbearbeitung und Friedensstrategien, sondern wirkt auch auf politische Entscheidungen, wie, womit und wozu etwa auf weltweite (bewaffnete) Konflikte reagiert wird. Die konkrete Fassung des Friedensbegriffs hat also äußerst weitreichende Konsequenzen für eine Vielzahl von Menschen.

Insbesondere nach den weltpolitischen Umwälzungen von 1989 nahm die Diskussion des Friedensbegriffs neuen Schwung auf. Auch im innergesellschaftlichen Bereich etablierte sich eine empirische Friedensforschung; sie machte deutlich, dass die theoretischen Verortungen des Friedensbegriffs zumeist westlich geprägte Wissenschafts- und Konfliktverständnisse widerspiegeln. Der vielfach diskutierte »local turn« bewirkte eine stärkere Einbeziehung und Reflexion lokaler und kultureller Kontexte sowie die vermehrte Beachtung »traditioneller« Konfliktbearbeitungsmethoden, die metatheoretischen Grundannahmen der Disziplin blieben aber weitestgehend unberührt.

Auch der Friedensbegriff wurde zunehmend als zu begrenzt wahrgenommen und seine Nähe zum europäischen Nationalstaat konzeptionell bemängelt. Schwerdtfeger erinnerte beispielsweise daran, dass „ein wahrer Frieden ein Frieden ist, der von vielen Menschen bewirkt und gehalten wird und nicht nur von wenigen für viele organisiert wird“ (Schwerdtfeger 2001, S. 14). Friedensbegriffe haben demnach auch »lebensweltliche« Bedeutungsinhalte. Ähnlich wie Schwerdtfeger wies auch Wolfgang Diet­rich auf die Einschränkungen eines universalistischen Friedensbegriffs hin und schlug richtungsweisend vor, von einem singulären zu einem pluralen Verständnis von Frieden überzugehen, zu den „vielen Frieden“ (Dietrich 2008).

In den letzten Jahren wurde vermehrt begonnen, auch metatheoretische Standpunkte der Disziplin zu berücksichtigen und zu diskutieren. Dies ist insbesondere auf de- und postkoloniale, feministische und indigene Forschung zurückzuführen. Mit dem Begriff »epistemische Gewalt« wird auf die Gewalt aufmerksam gemacht, die von Wissen und Wissenschaft selbst ausgeht. Diese ist auch innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung wirkungsmächtig (Brunner 2018). Mechthild Exo spricht im Kontext der Ausgrenzung von Wissensformen abseits hegemonialer Diskurse von einem „übergangene[n] Wissen“ (Exo 2007). Für Polly O. Walker gehört die Hegemonie westlicher Erkenntnistheorien zu den gravierend­sten Aspekten der Kolonialprozesse, da dadurch die Sicht indigener Menschen auf Konfliktbearbeitung weitgehend ausgeblendet wurde (Walker 2004, S. 530). Sie betont die darüber hinaus bestehende »ontologischen Gewalt«, die vermieden werden kann, wenn berücksichtigt wird, wie indigene Gemeinschaften die Welt erleben und konzeptualisieren, und nicht eine Weltsicht eine andere gewaltvoll unterdrückt (ebenda, S. 527, 546). Dieser ontologischen Dimension, also der »Theorie des Seins«, die konzeptualisiert, wie die Welt gemacht und geschaffen ist, wurde bislang weniger Aufmerksamkeit geschenkt.

Multiple Gewaltformen gegen die indigene Bevölkerung

Indigene Communities haben in den Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund der Kolonialisierung und der dadurch verursachten physischen Gewalterfahrungen, Machtgefälle und Ungleichheiten noch immer nur begrenzte Handlungsfreiheit für ihr eigenes Land und Leben. Forderungen der indigenen Bevölkerung nach Dekolonialisierung und Selbstbestimmung sowie gesellschaftlicher und politischer Aufarbeitung des Kolonialisierungsprozesses erlangten bislang noch zu wenig Resonanz im öffentlichen Diskurs.

Anders als beispielsweise das benachbarte Kanada, dessen offizielle Entschuldigung für die zugefügte Gewalt im Jahr 2008 zu der Errichtung der »Truth and Reconciliation Commission of Canada« führte, übernahmen die Vereinigten Staaten von Amerika auf Bundesebene nie Verantwortung für den Landraub und die genozidale Politik gegen die indigene Bevölkerung. Eine Auseinandersetzung mit den Gewalttaten und dem gewaltvollen nationalen Narrativ sowie Entschuldigungen finden zumeist nur auf lokaler Ebene statt und gehen auf Graswurzel-Initiativen zurück.

Die erzwungene Assimilation und »Zivilisierung« mittels verpflichtender Beschulung in Internaten, aufgezwungener politischer Strukturen und Verboten spiritueller Praktiken, die bis Ende der 1970er Jahre gültig waren, führten zum Verlust von Identität, Sprache, Zeremonien und vielen weiteren kulturellen Praktiken. Bis heute leidet die indigene Bevölkerung Nordamerikas an andauernder physischer und struktureller Gewalt, Diskriminierung und transgenerationaler Traumatisierung.

Die strukturelle Gewalt ist in soziale und politische Strukturen eingebettet und schlägt sich nieder in einer hohen Arbeitslosigkeit, grundlegenden Versorgungsproblemen in den Reservaten, wenig politischer Teilhabe sowie Ungleichheiten im Bildungssystem (Dunbar-Ortiz und Gilio-Whitaker 2016, S. 2).

Zu den bereits genannten Gewaltformen kommt eine weitere Dimension hinzu, die für die Wiederherstellung von Frieden wesentlich ist: Durch die Trennung der indigenen Bevölkerung von ihren ursprünglich gelebten Denkweisen, Gefühlen, Beziehungsgefügen und Naturräumen sowie das Verbot von »traditionellen« Praktiken und Ritualen werden auch ihre eigenen Methoden der Konfliktbearbeitung und (Wieder-) Herstellung von innergemeinschaftlichem Frieden unterdrückt und vergessen. Zu den von außen verursachten Gewalttaten kommt somit noch eine verschärfende ontologische Gewaltdimension hinzu, indem Gemeinschaftskonflikten nicht mehr autonom und mit eigenen Mitteln begegnet werden konnte. Wertvolles Friedenswissen konnte den nächsten Generationen nur unvollständig weitergegeben werden. Dieser Verlust wirkt bis heute nach.

Viele Gewalterfahrungen haben sich in der Folge internalisiert und neue Formen der Gewalt hervorgerufen. Das zeigt sich etwa an einer hohen Rate häuslicher Gewalt, einer sehr hohen Suizidrate bei Jugendlichen sowie Problemen mit Alkoholismus und Drogen. Dementsprechend wenden sich indigene Programme und Initiativen im Bereich der Friedens- und Konfliktarbeit gegenwärtig zum einen gegen verfestigte Machtverhältnisse, zum anderen sollen durch Revitalisierung von eigenem Wissen und eigenen Praktiken auch Traumata überwunden (Wilson 2005, S. 196) und dem Bruch sozialer Beziehungen entgegengewirkt werden.

Die Frieden der L/Dakota

Die Frieden der L/Dakota sind in ein umfassendes Beziehungsgefüge und Wissens­system eingebettet. Sie drücken sich insbesondere in den beiden Bezeichnungen »mitakuye oyasin« und »­WoLakota« aus.

»Mitakuye oyasin« bedeutet so viel wie »wir sind alle mit allem verbunden« und verweist auf die besondere Verbindung der L/Dakota zu allen Entitäten. Diese Redewendung wird verwendet, wenn ein Gebet, eine Zeremonie oder ein wichtiges Gespräch beschlossen wird. »WoLakota« bezieht sich ebenfalls auf das relationale »In-der-Welt-sein« der L/Dakota und meint Frieden im Sinne von Balance. Das damit verbundene Wissenssystem ist eine zirkuläre und relationale Philosophie, in der das Gleichgewicht aller Faktoren für eine Konsensfindung im Mittelpunkt steht. Entsprechend liegt ein Fokus für die Herstellung von Frieden auf dem Wohlbefinden einer Gemeinschaft.

Diese hier nur angerissenen Verständnisse werden im Folgenden deutlich im Umgang mit dem »broken circle« – eine vielfach genutzte Metapher für den durch koloniale Gewalt unterbrochenen Kreislauf des Lebens und den damit verbundenen Versuch, die Balance in der eigenen Gemeinschaft wieder herzustellen.

Der Ritt »Dakota 38+2»

Der Ritt ist jenen 38 Dakota gewidmet, die nach dem »Sioux-Aufstand« bei der größten Massenhinrichtung in der Geschichte der Vereinigten Staaten am 26. Dezember 1862 auf Anordnung von US-Präsident Abraham Lincoln gehängt wurden, sowie weiteren zwei Dakota, die zunächst nach Kanada flüchten konnten und später gehängt wurden. Sie hatten bewaffneten Widerstand gegen die Vertreibung ihrer Gemeinschaft aus Minnesota in Richtung der Great Plains geleistet, was als »US-Dakota-Krieg« in die gängige Geschichtsschreibung einging.

Ihre Nachfahren reiten seit 2005 jährlich im Dezember 330 Meilen zum Ort der Exekution in der Kleinstadt Mankato und bitten mit diesem Ritual um Vergebung für die Gewalt, die beide Seiten verursachten. Der Ritt beginnt in Lower Brule, Süd Dakota, und führt nach Mankato, Minnesota, wo die Reitenden am Jahrestag der Hinrichtung ankommen. Es ist eine zeremonielle Reise zurück in ihre ursprüngliche Heimat.

Auf diesem zweiwöchigen Ritt kommen die Teilnehmenden durch Städte, die besonders für Rassismus gegen Indigene bekannt sind. Die Begegnungen und Auseinandersetzung mit der Geschichte wirken auf beiden Seiten transformativ. Viele Bewohner*innen dieser Städte, selbst in Mankato, erfuhren erst durch den Ritt von den Hinrichtungen, da diese in der amerikanischen Geschichtsschreibung in der Regel unterschlagen werden.

Neben dieser Bewusstseinsschaffung ist der Ritt für die Teilnehmenden eine Zeit der Erinnerung und Ehrung der Gehängten und Vertriebenen sowie der Heilung und Versöhnung. Die Heilung nach »innen«, in die eigene Gemeinschaft, umfasst mehrere Aspekte: Geschichten und Erinnerungen werden geteilt und eigenes Wissen revitalisiert und weitergegeben. Die Gemeinschaftsmitglieder erfahren Unterstützung, da in diesem geschützten Rahmen auch in der Gegenwart erlittene oder verursachte Gewalttaten benannt und angesprochen werden können. Das Aufleben von Ritualen und Heilmethoden ermöglicht eine Bearbeitung und Transformation. Damit verbunden ist auch der wichtige Aufbau des Selbstwertgefühls nach oftmals unzähligen Diskriminierungserfahrungen: das Erleben, als »Indian« wertvoll zu sein. Waziyatawin Angela Wilson betont, dass bereits der Prozess der Rückgewinnung eigener Traditionen heilend wirkt (Wilson 2005, S. 196).

Dieser Heilungsprozess wirkt aber auch nach »außen«: Über das öffentliche Erzählen von den vergangenen Ereignissen und der gegenwärtigen Lebenssituation treten die Teilnehmenden während des Ritts in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Für die Heilung der Traumata der Vergangenheit ist wichtig, dass die Sichtweise und damit die Wahrheit der Reitenden Gehör findet. Außerdem bedeutet diese Heilung auch, im Sinne des Wohlergehens des Ganzen zu vergeben. Im Sinne von »Mitakuye oyasin« ist es ein Angebot an die US-Bürger*innen, die Beziehungen gemeinsam transformativ zu bearbeiten.

Implikationen für die Friedensforschung

Eine wissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit Frieden braucht eine verstärkte Beschäftigung mit »blinden Flecken«. Durch ein Bewusstsein für gleichermaßen epistemische wie ontologische Gewalt werden soziale Wirklichkeiten und Erfahrungen sichtbar, die sonst marginalisiert werden oder erst gar nicht in das Blickfeld geraten. Ein Verständnis, wie indigene Gemeinschaften die Welt wahrnehmen und Frieden fassen und konzeptualisieren, birgt wichtiges Friedenspotential und Friedenswissen. Ausgangspunkt hierfür bietet eine umfassende Begriffsdiskussion sowie eine Anerkennung lebensweltlicher Friedensverständnisse.

Initiativen wie der Ritt der Dakota zeigen zudem einen dringenden Bedarf an der Bearbeitung von Konflikten, die in gegenwärtigen Konfliktdatenbanken nur unzureichend erfasst und wahrgenommen werden. Grund hierfür ist, dass Konflikte entweder internalisiert, durch Machtungleichgewichte verdeckt und/oder der Vergangenheit zugerechnet werden. Für lange Zeit blieb daher auch die genozidale Gewalt an indigenen Menschen und eine anhaltende Kolonialität aufgrund bestehender asymmetrischer Machtstrukturen als Untersuchungsgegenstand der Friedensforschung zu wenig beachtet. Polly Walker drückt das so aus: „Indigenen Menschen das Recht zu verweigern, innerhalb ihrer Weltanschauungen zu fungieren, bedeutet die Realität ihrer Erfahrungen zu leugnen. (Walker 2004, S. 531)

Die Wiederherstellung und das Aufleben eigener Frieden ist somit nicht nur Teil einer wichtigen und notwendigen dekolonialisierenden Heilung, sondern bietet auch der Friedensforschung wertvollen Erkenntnisgewinn.

Anmerkung

1) Die Lakota und Dakota gehören ebenso wie die Nakota zu den »Oceti Sakowin«, den »Seven Council Fires«. Sie sind zumeist unter der kolonialen Fremdbezeichnung »Sioux« bekannt.

Literatur

Brunner, C. (2018): Epistemische Gewalt – Konturierung eines Begriffs für die Friedens- und Konfliktforschung. In: Dittmer, C. (Hrsg.): Dekoloniale und Postkoloniale Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung – Verortungen in einem ambivalenten Diskursraum. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, Sonderband 2, S. 25-59.

Dietrich, W. (2008): Variationen über die vielen Frieden – Band 1: Deutungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Dunbar-Ortiz, R.; Gilio-Whitaker, D. (2016): „All the Indians died off” – And 20 other myths about Native Americans. Boston: Beacon Press.

Exo, M. (2017): Das übergangene Wissen – Eine dekoloniale Kritik des liberalen Peacebuilding durch basispolitische Organisationen in Afghanistan: Bielefeld: transcript.

Schwerdtfeger, J. (2001): Begriffsbildung und Theoriestatus in der Friedensforschung. Opladen: Leske und Budrich.

Walker, P.O. (2004): Decolonizing Conflict Resolution – Addressing the Ontological Violence of Westernization. The American Indian Quarterly, Vol. 28, Nr. 3-4, S. 527-549.

Wilson, A.W. (2005): Relieving our suffering – indigenous decolonization and a United States truth commission. In: dieselbe; Yellow Bird, M. (2005): For Indigenous Eyes Only – A decolon­ization handbook. Santa Fe: School of American Research Press, S. 189-205.

Melanie Hussak ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedensakademie Rheinland-Pfalz der Universität Koblenz-Lan­dau. Neben der Friedensforschung ist sie dort im Bereich der Friedenspädagogik tätig und promoviert zu Friedensvorstellungen und Friedensprozessen indigener Gemeinschaften.

Mein Dank gilt Jim Miller, der den Ritt träumte und anschließend verwirklichte, seiner Frau Alberta, Josette Peltier sowie allen Teilnehmenden des Ritts im Dezember 2019, die mich herzlich willkommen hießen, für die wertvollen Begegnungen und Gespräche. Mein Dank gilt auch der Friedensakademie Rheinland-Pfalz, die diesen Feldaufenthalt finanziell unterstützte und somit erst ermöglichte.

Interreligiöser Dialog


Interreligiöser Dialog

Friedens- und Konfliktkonzepte in Indonesien und Südkorea

von Gabriella Hornung

In der Friedens- und Konfliktforschung ist der interreligiöse Dialog als Untersuchungsgegenstand immer noch nur ein Randphänomen, obwohl dieser sich in Friedens- und Konfliktprozessen positiv auswirken kann. In vielen asiatischen Ländern besteht eine lange Tradition des interreligiösen Dialogs, aus der sich gelungene Beispiele für Methoden einer Verständigung aufzeigen lassen. Indonesien und Südkorea sollen im Folgenden als Anschauungsbeispiele vorgestellt werden.

Indonesien ist weltweit der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung. Nach dem letzten offiziellen Zensus aus dem Jahr 2010 (UN Statistics Division 2020) machten Muslime etwa 87 % der Bevölkerung aus; 3 % der Bevölkerung gehörten dem katholischen Glauben an; etwa 7 % rechneten sich einer protestantischen Gruppe zu, 0,7 % einer buddhistischen, etwa 1,7 % einer hinduistischen und weniger als ein Prozent dem Konfuzianismus. Diese sechs Glaubensrichtungen werden vom Staat als Religionen anerkannt; der Glaube an einen Gott ist gemäß der Staatsphilosophie »Pancasila« verpflichtend.

Im Heidelberger Konfliktbarometer 2019 werden für Indonesien insgesamt sieben Konflikte aufgelistet, ein Konflikt unter Bezug auf militante islamistische Gruppierungen explizit unter dem Aspekt »system/ideology« sowie zwei weitere, bei denen die Konfliktparteien entlang religiöser Identitätslinien auszumachen sind (HIIK 2020). Die Notwendigkeit für einen interreligiösen Austausch als Methode der Friedensarbeit liegt daher nahe. Aus Indonesien schaffen es meist nur die negativen Schlagzeilen über den Einfluss islamischer Fundamentalist*innen in die westlichen Medien. Erfolgreiche Bemühungen um Verständigung zahlreicher anderer Akteure werden außer Acht gelassen, obwohl die weltweit zunehmende religiöse Pluralisierung dazu drängt, sich »best practices« aus Ländern anzuschauen, die auf eine längere Geschichte des erfolgreichen Austausches über Religionen hinweg zurückblicken können.

Tatsächlich setzen sich in Indonesien neben Einzelpersonen etliche Organisationen für einen interreligiösen Dialog ein, um ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Religionsgruppen zu ermöglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Institutionalisierung religiöser Gruppierungen in Indonesien sehr ausgeprägt ist. Mit einer Mitgliedszahl von etwa 40 Millionen Menschen ist etwa die Nahdlatul Ulama die größte muslimische Organisation, gefolgt von der Muhammadiyah mit etwa 30 Millionen Anhängern. Die Organisationen nehmen nicht nur wichtige Repräsentationsfunktionen für ihre Anhänger*innen wahr, sondern agieren auch als Ansprechpartner für einen interreligiösen Austausch. Beispielsweise wurde 2017 von der Nahdlatul Ulama in Absprache mit anderen Religionsvertreter*innen der Aufbau eines Datencenters gestartet, das der Auswertung von Social-media-Beiträgen zur Analyse fundamentalistischer Tendenzen im Internet dient. Auf dieser Basis wurden Handlungsempfehlungen erarbeitet bzw. Kooperationen mit Internetdienstleistern zur Bekämpfung fundamentalistischer Aussagen initiiert. Ein weiteres Beispiel: Die der Nahdlatul Ulama nahestehende und vom ehemaligen Staatspräsidenten Abdurrahman Wahid gegründete Wahid Foundation forscht u.a. zur Stärkung von (religiöser) Toleranz und zur Rolle von Frauen bei der Bekämpfung extremistischer Strömungen im Islam.

In Südkorea bietet sich ein etwas anderes Bild: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung definiert sich als keiner Religion zugehörig. Von den etwa 44 % der Bevölkerung, die im Jahr 2015 angaben, einer Religion anzugehören, bekannten sich 45 % zum Protestantismus, 35 % zum Buddhismus, 18 % zum Katholizismus und weitere 2 % zu einer anderen Religion (korea.net o.J.). Konflikte zwischen den religiösen Gruppierungen werden selten öffentlich diskutiert. In persönlichen Gesprächen mit Buddhist*innen oder Katholik*innen wird jedoch häufig das als aggressiv empfundene Missionierungsbestreben einiger protestantischer Gruppierungen kritisiert.

Auch in Südkorea gibt es etliche Organisationen, Vereine, religiöse Zusammenschlüsse und natürlich auch Einzelpersonen, die sich für ein friedvolles Miteinander einsetzen. Asien­weit engagiert sich u.a. der regionale Zusammenschluss »Asian Conference of Religions for Peace« (ACRP) für Frieden. In Seoul diskutieren Teilnehmer*innen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit der Gruppe »Aha! Beyond Boundaries« gemeinsam religiöse Texte. In einer anderen Initiative organisieren buddhistische und christliche Nonnen regelmäßig Exkursionen zu Pilgerstätten unterschiedlicher religiöser Gruppierungen (Quelle: persönliche Begegnungen in Seoul).

Perspektiven auf Frieden und Konflikt: Religion und Kultur

In der Friedens- und Konfliktforschung wird Religion bisher vor allem unter dem Aspekt der Kultur wahrgenommen, deren Einfluss unterschiedlich bewertet wird. Während zum Beispiel Johan Galtung, John Paul Lederach und Kevin Avruch der Prägung von Frieden und Konflikten durch Kultur einen hohen Stellenwert einräumen, spielt sie in den Theorien von John Burton eine untergeordnete Rolle (Ramsbotham et al. 2016). Anna Bernhard macht darauf aufmerksam, dass bei friedensbildenden Maßnahmen kulturelle Aspekte für den gesamten Verlauf, von der Handhabung eines Konflikts bis hin zur Festlegung und Priorisierung von Zielen, eine zentrale Rolle spielen (Bernhard 2013, S. 23 f.). Konkrete Auswirkungen von Kultur und insbesondere von religiöser Zugehörigkeit auf Friedens- und Konfliktvorstellungen anhand von Fallbeispielen wurden bisher jedoch kaum analysiert. Dabei zeigen Initiativen aus Indonesien und Südkorea, dass Aspekte wie Gemeinschaftszugehörigkeit und von religiösen Lehren geprägte Denkweisen durchaus einen wichtigen Einfluss auf diese Vorstellungen haben.

Hierbei sind nicht nur einzelne Textpassagen aus dem Koran oder aus buddhistischen Sutren relevant, sondern ganze Denkkonstrukte, in die Vorstellungen eingebettet sind. Ein Beispiel: Ramsbotham, Woodhouse und Miall (2016) übersetzen die erste der Vier Edlen Wahrheiten, die ein wesentliches Fundament des Buddhismus bilden, nämlich die des Leids als Grundkonstitution des menschlichen Lebens, als »Konflikt«. Die Vier Edlen Wahrheiten unter diesem Ansatz weiterdenkend formulieren sie, dass die Erkennung der Konfliktursache notwendig sei, um den Konflikt zu transformieren und Frieden zu ermöglichen. Die Ursache von Leid – nach Ramsbotham et al. also Konflikt – ist laut buddhistischer Lehre vor allem im »Durst«, oder nach anderer Übersetzung in der »Gier«, zu finden, d.h. zum Beispiel in der Gier nach dem Werden oder nach der Erfüllung von Bedürfnissen.

Doch was heißt dies konkret für die Friedensarbeit? Erstens wäre die Schlussfolgerung, dass für Buddhist*innen das Wort »Konflikt« eine andere Bedeutung hat als für Nichtbuddhist*innen, und zweitens, dass die Transformation eines Konflikts einem anderen Ziel folgt. Am Beispiel der von Johan Galtung entwickelten Idee der menschlichen Grundbedürfnisse, wie etwa dem nach Sicherheit und Freiheit, deren Berücksichtigung in der Friedensarbeit von zentraler Bedeutung sein müsse (Galtung 1980), sähe das so aus: Da menschliche Bedürfnisse als »Gier nach etwas« gedeutet werden können, würde sich die Frage stellen, was nach dem Ansatz von Ramsbotham et al. eigentlich in einer buddhistischen Friedensarbeit erreicht werden soll.

Eine ausführliche Darstellung der buddhistischen Erkenntnislehre würde hier zu weit greifen, trotzdem noch der Hinweis auf einen anderen Aspekt, der unter dem Gesichtspunkt buddhistischer Friedens- und Konfliktvorstellungen häufig diskutiert wird, nämlich die Vorstellung, dass Konflikte auf einer falschen Wahrnehmung der (anderen) Konfliktpartei beruhen. Das bedeutet für die auf buddhistischer Lehre beruhende Friedensarbeit, dass diese maßgeblich bei der Reflexion der eigenen Wahrnehmung des Konflikts anfängt. Dies kann zum Beispiel Auswirkungen auf einen Mediationsworkshop haben, indem Schwerpunkte auch nach religiösen Gesichtspunkten gesetzt werden, beispielsweise durch eine Differenzierung der unterschiedlich wahrgenommenen Realitäten nach buddhistischer Vorstellung.

Auch im Islam gibt es spezifische Vorstellungen von Konflikt und Frieden; der Koran fordert dazu auf, sich für den Frieden einzusetzen. Hamideh Mohagheghi (2010) verweist auf Sure 2,208 und auf die Bedeutung des Begriffs »Jihad« als Einsatz für eine gute Tat, also auch für den Frieden. Für die Friedensarbeit ist jedoch nicht nur wichtig, was sich in religiösen Texten findet, sondern wie Gemeinschaft erlebt und das Individuum von ihr getragen wird, auf welche Weise sich Denkweisen in der Sprache manifestieren und wie diese in Friedens- und Konfliktprozessen gebraucht wird. So spielt es für die Vorstellung von Frieden eine Rolle, ob eine Person sich stärker über eine Gemeinschaft definiert oder ob sie sich in erster Linie für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse einsetzt. In vielen asiatischen Regionen bedeutet das, dass in einem Friedensprozess nicht primär die eigene Situation zur Debatte steht, sondern vor allem die einer Gemeinschaft.

Religiöse Akteure, interreligiöser Dialog und Friedensarbeit

Religiöse Akteur*innen als Entscheidungsträger*innen und Ansprechpartner*innen, die in politische Prozesse eingebunden werden müssen, finden zunehmend Beachtung nicht nur in der Fachliteratur, sondern auch im politischen Geschehen. Ramsbotham et al. nennen hier vor allem Publikationen aus den frühen 1990er Jahren als Startpunkt für die Auseinandersetzung (des Westens) mit der Rolle von Religionen für den Frieden. S. Ayse Kadayifci-Orellana weist auf die Bedeutung des Millenium Peace Summit of World Religious and Spiritual Leaders hin (Kadayifci-Orellana 2013).

Im Kontext vieler so genannter Ideologiekonflikte, die religiös aufgeladen sind, stellt der interreligiöse Dialog eine wichtige Form der Friedensarbeit dar. Daher lohnt es sich, nicht nur religiöse Akteure stärker in politischen Prozessen wahrzunehmen, sondern auch ihren Beitrag zur Friedensarbeit in der Friedens- und Konfliktforschung zu untersuchen.

Da Vertrauensbildung zu Personen anderer religiöser Zugehörigkeiten zum Fundament einer funktionierenden pluralistischen Gesellschaft gehört, ist interreligiöser Dialog aber auch unabhängig von Wertekonflikten wichtig. Gruppen wie »Aha! Beyond Boundaries« in Seoul, die sich für eine interreligiöse Verständigung durch die gemeinsamen Diskussionen religiöser Texte einsetzen, können ebenso ein Gemeinschaftsgefühl stärken, indem sie das gemeinsame Inter­esse an den Texten in den Mittelpunkt stellen, wie regelmäßige Treffen offizieller Repräsentant*innen der anerkannten Religionsgemeinschaften in Indonesien. Vertrauensbildung durch interreligiösen Dialog muss daher ein wichtiger Bestandteil der Friedensarbeit sein, sei es als Konfliktprävention oder als konfliktbearbeitende Maßnahme etwa bei Konflikten, die entlang religiöser Zugehörigkeiten geführt werden.

Literatur

Bernhard, A. (2013): Dynamics of Relations between different Actors when Building Peace – The Role of Hybridity and Culture. Berlin: Berghof Foundation, Projekt »Cultures of Governance and Conflict Resolution in Europe and India«, CORE.

Galtung, J. (1980): The Basic Needs Approach. Manuskript; online verfügbar auf transcend.org.

Heidelberg Institute for International Conflict Research/HIIK (2020): Conflict Barometer 2019. Disputes – non-violent crisis – violent crisis – limited wars – wars. No. 28. Heidelberg.

Kadayifci-Orellana, S.A. (2013): Inter-Religious Dialogue and Peacebuilding. In: Cornille, C. (ed.): The Wiley-Blackwell Companion to Inter-Religious Dialogue. Oxford: Wiley-Blackwell, S. 149-167.

korea.net (o.J.) Über Korea – Religion. german.korea.net (eine Webseite der südkoreanischen Regierung).

Mohagheghi, H. (2010): Vielfalt der Religionen als eine Chance für das friedliche Zusammenleben -– aus islamischer Perspektive. In: Weiße, W.; Gutmann, H.-M. (Hrsg.): Religiöse Differenz als Chance? Positionen, Kontroversen, Perspektiven. Münster: Waxmann, S. 119-130.

O’Leary, J.S. (2010): Skillful Means as a Hermeneutic Concept. In: Cornille, C. (ed.): Interreligious Hermeneutics. Eugene, Or.: Cascade Books, S. 163-183.

Ramsbotham, O.; Woodhouse, T.; Miall, H. (2016): Contemporary Conflict Resolution – The prevention, management and transforma­tion of deadly conflicts. Cambridge, UK/Malden, MA: Polity.

UN Statistics Division (2020): Popular statistical tables, country (area) and regional profiles. data.un.org.

Wrogemann, H. (2015): Theologie Interreligiöser Beziehungen – Religionstheologische Denkwege, kulturwissenschaftliche Anfragen und ein methodischer Neuansatz. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Gabriella Hornung promoviert an der Universität Rostock zu interreligiösem ­Dialog in Asien. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte umfassen u.a. interreligiösen Dialog, Religion und Politik sowie Religion und Entwicklung(szusammenarbeit).

Wissen, wovon wir reden


Wissen, wovon wir reden

Zum Begriff des Friedens

von Thomas Nielebock

Noch leben wir in Zeiten, in denen jede und jeder für sich gerne in Anspruch nimmt, für den Frieden zu sein. Das reicht von Militärkritikern bis zum damaligen Verteidigungsminister Struck, als er 2004 die Bundeswehr als die größte Friedensbewegung Deutschlands bezeichnete. Letzteres blieb nicht unwidersprochen und zeigt, wie sehr es darauf ankommt, was man unter Frieden versteht. Der Streit um den Frieden(sbegriff) und seine Inanspruchnahme ist schon legendär. Umso wichtiger ist es, sich seiner verschiedenen Ausprägungen bewusst zu sein. Nur dann kann die politische Auseinandersetzung rational geführt werden. Der nachstehende Beitrag soll bei der Reflexion über das eigene Verständnis helfen.

Wie dringend notwendig eine Selbstverständigung über den Begriff »Frieden« ist, macht die Tatsache deutlich, dass dieser aus der öffentlichen Diskussion zu verschwinden droht. Das Streben nach Sicherheit steht dominant im Vordergrund. Zudem wurde die Trennschärfe der Begriffe Frieden – Sicherheit – Krieg seit Beginn des 21. Jahrhunderts erneut in Frage gestellt. So wird z.B. festgestellt, dass der Friedensbegriff seine Qualität als reale Utopie eingebüßt habe und deshalb der „erweiterte Sicherheitsbegriff“ an seiner Stelle verwendet werde (Daase 2011, S. 190). Noch verwirrender ist, wenn Ulrich Beck (2005) aus kosmopolitischer Perspektive schreibt „Krieg ist Frieden“ und damit von ihm so genannte Menschenrechtskriege und Anti-Terrorkriege als Frieden qualifiziert. Erst mit der Gegenüberstellung von Friedens- und Sicherheitslogik wurde jüngst die Debatte erneut eröffnet und dafür plädiert, Frieden als eigenständiges Konzept zu begreifen und nicht in den Begriffen Sicherheit und Krieg aufgehen zu lassen (Birckenbach 2014; Jaberg 2014; Jaberg 2017; siehe auch den Text von Christine Lammers auf S. 36). Dies ist der Versuch, mit dem Friedensbegriff wieder eine spezifische Erfassung der Realität zu ermöglichen, die es auch erlaubt, bestimmte Verhältnisse als »unfriedlich« zu charakterisieren.

Es sind vier Sachverhalte, die es schwierig machen, den Frieden definitorisch zu fassen, und es bisher – und wohl auch künftig – verhindern, eine allgemeingültige Begriffsbestimmung vorzunehmen. Es kann deshalb hier nicht mehr als ein Aufriss und erster Überblick gegeben und eine Positionierung vorgenommen werden, die selbst diskussionswürdig bleibt.

Vier Schwierigkeiten

Die erste Schwierigkeit liegt darin, dass das Friedensverständnis davon bestimmt ist, für welche Epoche der Weltgeschichte es Gültigkeit beanspruchen soll. Dies ist deshalb bedeutsam, weil sich die Friedensgefährdungen für die Menschen und die Menschheit in verschiedenen Epochen ganz unterschiedlich darstellten.

Zum Zweiten ist Frieden ein Begriff mit weitreichenden politischen Implikationen; damit wird er selbst Gegenstand der politischen Auseinandersetzung.

Zum Dritten geht mit Frieden als einem menschheitsgeschichtlichen Zustand die Annahme einher, utopisch, allenfalls visionär, aber nie erreichbar zu sein. Frieden als politisches Projekt war und ist deshalb leicht als ein Weltordnungskonzept einer bestimmten Welt­anschauung zuzuordnen, die entweder diesseitig-heilsgeschichtliche Züge trägt oder als Ideologie abgetan werden kann.

Zum Vierten umfasst der Begriff Frieden ein breites Bedeutungsspektrum, das sich zwischen den beiden Endpunkten Harmonie und Abwesenheit von Krieg bewegt und welches wir in seiner gesamten Breite auch in der Alltagssprache, in der Politik und in der Wissenschaft vorfinden. Dabei ist offen, ob Frieden als Zustand oder als Prozess verstanden wird, ob Frieden räumlich und zeitlich teilbar ist und für wen und in welcher Hinsicht die Lebensverhältnisse eine bestimmte Qualität annehmen müssen, damit von Frieden gesprochen werden kann. Und schließlich ist ungeklärt, welchen theoretischen Status Kategorien haben, die mit Frieden verbunden werden: Sind sie konstitutiv für das Friedensverständnis oder konditional (bzw. kausal) für Frieden, was beispielsweise in der Frage zum Ausdruck kommt, ob das Friedensverständnis Gerechtigkeit miteinschließt oder ob Gerechtigkeit als eine Bedingung für Frieden erfasst wird.

Ein empirischer Praxisversuch

Dennoch wird der Friedensbegriff im Alltag, in der Politik und in der Wissenschaft verwendet. Wie lässt er sich folglich annäherungsweise und vorläufig füllen und damit für eine sozialwissenschaftliche Analyse über den Frieden in der Welt sowie die politische Bewertung der heutigen Weltverhältnisse nutzen? Ein Versuch liegt mit dem Global Peace Index (GPI) vor, in dem 23 Indikatoren für die Beurteilung der Friedensqualität von 163 Ländern und – daraus errechnet – der Welt insgesamt angeboten werden. Der GPI 2019 zeigt auf, dass sich die globale Friedensqualität von 2017 auf 2018 ganz leicht (0,09 Prozent) verbessert, im Vergleich zu 2008 jedoch um 3,78 Prozent abgenommen hat (Institute for Economics and Peace 2019, S. 2). Bei den Indikatoren des GPI (ebenda, S. 85) handelt es sich um Länderzuschreibungen, wobei der GPI den Grad der Friedlosigkeit der einzelnen Staaten, nicht aber die Friedensqualität der inner- und zwischenstaatlichen Beziehungen misst.

Frieden als sozialer Begriff

Frieden ist jedoch mehr als ein geringer Grad von Friedlosigkeit einzelner politischer Akteure (monadische Betrachtungsweise), wie er vom GPI erfasst wird. Zu Recht hat Jaberg (2017, S. 45) jüngst unter Verweis auf die Begriffsgeschichte von Frieden erneut darauf hingewiesen, dass Frieden ein sozialer Begriff ist, der die Beziehung von Akteuren (dyadische Betrachtungsweise) in den Blick nimmt und diese zu qualifizieren vermag. Demgegenüber sieht sie Sicherheit als einen asozialen Begriff an, der „radikal vom einzelnen Akteur her [denkt], der sich vor oder gegen andere schützen muss“ (Jaberg 2017, S. 46). Welche Akteurs-Beziehungen zu betrachten sind, kann sich in den unterschiedlichen Epochen jeweils anders darstellen. Die Beziehungsdimensionen, die sich für die heutige Zeit zumeist finden lassen, sind die Beziehung

  • eines Individuums zu sich selbst (innerer Frieden/innere Ruhe), mit Gott, zwischen Bürgerinnen und Bürgern in einem Staat, was auf die Ausgestaltung der politischen Herrschaftsordnung verweist,
  • zwischen Einwohnerinnen und Einwohnern in einer Gesellschaft, was die politische Kultur des Umgangs zwischen Individuen (z.B. häusliche Gewalt) (Wisotzki 2005) und zwischen Gruppen (z.B. Rassismus) in den Mittelpunkt stellt,
  • zwischen Staaten, was die Weltordnung adressiert,
  • zwischen verschiedenen Gesellschaften, was eine transnationale Kultur und als Ausdruck davon beispielweise ein Weltbürgertum in den Blick treten lässt
  • und schließlich – immer dringlicher im Anthropozän – mit der Natur, die immer noch die Grundlage des menschlichen Lebens darstellt.

Dazu kommt, dass diese Beziehungs­ebenen im Hinblick auf die Friedensqualität nicht unabhängig voneinander anzusehen sind. Schon bei Immanuel Kant (1795) wird auf die Mehrdimensio­nalität des Friedens verwiesen, wenn er die innere Herrschaftsordnung (Republiken) und die Regeln für die zwischengesellschaftlichen und -staatlichen Interaktionen (Weltbürgertum/Hospitalität bzw. Völkerrecht) als wesentliche Bedingungen für den zwischenstaatlichen Frieden ansieht.

Im Alltag und in der Politik werden diese Beziehungsdimensionen oft unreflektiert und nebeneinander verwendet, was darauf verweist, dass keine dieser Dimensionen letztlich ausgeklammert werden darf. Für eine Politik (und eine Wissenschaftsdisziplin), die sich Frieden als Aufgabe vornimmt, werden jedoch nur die Beziehungen zwischen sozialen Akteuren relevant sein können. (Die Bearbeitung des Unfriedens des Individuums mit Gott oder mit sich selbst liegt in anderer Hände. Inwieweit der Natur eine eigene Rechtsqualität zugesprochen werden muss und diese damit als »quasi-sozialer« Akteur anzusehen ist, ist derzeit Gegenstand einer aufkommenden ethisch-politischen Debatte; vgl. dazu Schlegel 2019.)

Jede Rede vom Frieden muss folglich ausweisen, welche Beziehung jeweils gemeint ist. Damit steht auch die Frage im Raum, ob Frieden nicht nur als zeitlich und räumlich, sondern auch sozial teilbar verstanden werden muss (Brock 2002). Anders gefragt: Wann würde der Weltfrieden unter Berücksichtigung dieser vielen Beziehungsdimensionen vorliegen können? Oder: Dürfen wir auch dann schon von Frieden reden, wenn zeitlich, räumlich und auf bestimmte soziale Akteure begrenzt die Beziehungen unseren Friedenserwartungen entsprechen?

Es sprechen drei Gründe dafür, die Teilbarkeit des Friedens pragmatisch, aber reflektiert anzunehmen. Zum einen hat Müller (2003) zu Recht darauf verwiesen, dass der Begriff Weltfrieden bedeutungslos wird, wenn wir Frieden als unteilbar ansehen würden. Zum Zweiten ermöglicht es erst die zeitliche, räumliche und soziale Abgrenzung von Friedenszuständen, sich auf den steinigen Weg zu machen, die Bedingungen dieser (Teil-) Frieden zu erkunden. Einer Friedensursachenforschung als wissenschaftlicher Unternehmung fehlte ansonsten die Empirie, die es aufzuarbeiten gilt. Zum Dritten widerlegt die Annahme der Teilbarkeit die politisch gegen die Friedensvision vorgetragene These, dass es »Kriege schon immer gegeben habe«. Es mag zwar zutreffen, dass es Kriege immer wieder gab – aber eben nicht immer, überall und zwischen allen sozialen Akteuren. Der Verweis auf eine Empirie des Friedens entkräftet in der politischen Debatte den Idealismus- und Utopismus-Vorwurf. Frieden darf also doch realistischerweise erhofft werden. Zu reflektieren in diesem Zusammenhang bleibt jedoch, inwieweit diese (Teil-) Frieden ein Verhältnis des Unfriedens gegenüber Dritten bedingen oder gar zur Voraussetzung haben.

Doppelwertigkeit des Friedens

Nachdem erörtert wurde, welche Beziehungsdimensionen zu betrachten sind, ist allerdings noch offen, wann die jeweilige Beziehung als friedlich oder unfriedlich zu charakterisieren ist, wie folglich Frieden inhaltlich zu füllen ist. Hier stoßen wir auf die Doppelwertigkeit des Friedensbegriffs. Sie hat eine lange Tradition (dazu immer noch sehr lesenswert Janssen 1975), die mit Johan Galtungs Erörterungen des Friedensbegriffs in den 1960er Jahren pointiert aufgegriffen wurde. Seine Unterscheidung zwischen »negativem« und »positivem Frieden« prägt noch heute die Debatte.

Galtung versucht den Friedensbegriff über den Gewaltbegriff zu erfassen und unterscheidet zwischen personaler – direkter – und struktureller – indirekter – Gewalt.1 Nur wenn beide nicht vorliegen, mag er von Frieden sprechen. Der Begriff »negativer Frieden«, der mit der Abwesenheit direkter Gewalt und damit auch des Krieges gleichgesetzt wird, verweist nicht auf etwas Negatives, sondern ergibt sich aus der Definition ex negatione: was nicht vorliegen darf, will man von Frieden sprechen. Die Abwesenheit von struktureller Gewalt setzt Galtung mit sozialer Gerechtigkeit gleich und knüpft damit diesen Teil seines Friedensverständnisses an eine positiv besetzte Ordnung. Er wendet sich ausdrücklich dagegen, dass unter Aufgabe des einen Friedens der andere zu erreichen sei.

Galtung eröffnete mit seinem Beitrag wieder die Debatte darüber, dass Frieden mehr als kein Krieg ist, und leistete einen Beitrag zu den Überlegungen, was denn das »Mehr« sein könnte. In dieses »Mehr« fließt ein, was über das Überleben hinaus als gutes Leben und die Wahrnehmung von Lebenschancen für jeden einzelnen Menschen begriffen wird. Das »Mehr« des Friedens kann sich jedoch je nach Weltanschauung sehr unterschiedlich darstellen. Exemplarisch für die Probleme, die sich mit der Füllung der Vorstellungen einer gerechten, von struktureller Gewalt freien Welt ergeben, steht die Debatte um Galtung und sein Konzept. Es steht in der Tradition der europäischen Aufklärungsphilosophie, welche sich in Konkurrenz zu anderen Weltentwürfen befindet. Deshalb hat sein Konzept – wie andere Entwürfe des positiven Friedens – kaum Chancen auf einen globalen Konsens darüber, was das »gute Leben« ausmacht. Dennoch behält die Betonung eines »Mehr« seine Funktion „als utopisch-kritisches Korrektiv gegenüber allen status-quo-Formen gegenwärtigen Friedens“ (Gerhard 1988, S. 116).

Enges Friedensverständnis

Die definitorische Einschränkung des Friedensbegriffs als Abwesenheit von Krieg ist dagegen weitaus präsenter. In der Neuzeit, als deren paradigmatisches Ordnungsmodell die Territorialstaaten angesehen werden, stand der Krieg und damit dessen Vermeidung im Mittelpunkt des Friedensinteresses. Es ging folglich um das Überleben des Staates, was auch mittels Gewalt- und Gewaltandrohung unter Einsatz des Lebens der Staatsbürger*innen zu sichern war.

Dieses ausschließlich negativ bestimmte Friedensverständnis wurde jedoch nicht nur durch das Alltagsverständnis und die Idee des »guten Lebens« immer wieder herausgefordert, sondern im Atomzeitalter auch durch die Tatsache, dass eine prekäre nukleare Abschreckung, die einen Omnizid ggf. in Kauf nimmt, als Frieden bezeichnet werden kann. Deshalb weist Werkner (2017, S. 25) auf ein drittes, ein enges Friedensverständnis hin, das zwischen dem negativen und positiven Friedensverständnis anzusiedeln ist. Es beinhaltet deutlich ein »Weniger« als der positive Friedensbegriff, aber ein substanziell gefasstes »Mehr« als der negative Friedensbegriff. Dieses »Mehr« fasst Müller wie folgt: „Frieden ist ein Zustand zwischen bestimmten sozialen und politischen Kollektiven, der gekennzeichnet ist durch die Abwesenheit direkter, verletzender physischer Gewalt und in dem deren möglicher Gebrauch gegeneinander in den Diskursen der Kollektive keinen Platz hat. (Müller 2003, S. 219 f.)

Diese Definition impliziert als Friedensverständnis gerade nicht eine militärgestützte Abschreckungs- und Gleichgewichtspolitik, sondern die dauerhafte Zivilisierung des Konflikts. Es geht nicht um die Beseitigung des Konflikts, sondern um dessen gekonnten gewaltfreien Austrag, wie wir ihn exemplarisch zwischen den früheren »Erbfeinden« Frankreich und Deutschland seit 1945 beobachten können. Frieden hat folglich nichts mit Konfliktfreiheit und Harmonie zu tun, sondern bewährt sich gerade dann, wenn es Konflikte gibt, und geht von deren nicht aufhebbarer Existenz (Ubiquität) aus. Ein militärischer Konfliktaustrag wird nach dieser Definition jedoch weder vorbereitet noch überhaupt gedacht!

Um diesen qualitativ neuen Beziehungszustand zu erreichen, bedarf es eines politischen Prozesses, den Eva und Dieter Senghaas wie folgt beschreiben: „Frieden muss als ein gewaltfreier und auf die Verhütung von Gewaltanwendung gerichteter politischer Prozess begriffen werden. Durch ihn sollen vermittels Verständigung und Kompromissen solche Bedingungen des Zusammenlebens von gesellschaftlichen Gruppen bzw. von Staaten und Völkern geschaffen werden, die zum einen nicht ihre Existenz gefährden und zum anderen nicht das Gerechtigkeitsempfinden oder die Lebensinteressen einzelner oder mehrerer von ihnen so schwerwiegend verletzen, dass diese nach Erschöpfung aller friedlichen Abhilfeverfahren Gewalt anwenden zu müssen glauben. (Senghaas 2004, S. 67) Damit ist nicht nur Frieden als – vielleicht utopischer – Zustand nochmals verdeutlicht, sondern es werden auch Mittel und Verfahren genannt, die bei der Verfolgung dieses Ziels zum Einsatz kommen sollen.

Ein wichtiger Debattenpunkt dieser Definitionen bleibt jedoch der Gewaltbegriff, der im Deutschen eine Unschärfe im Hinblick auf »violentia« (Gewalttätigkeit) und »potestas« (Staatsgewalt) aufweist und damit das Verhältnis von Staat und Gewalt sowie die Frage der Gewaltimmanenz der Moderne aufwirft. Zudem stellt sich die Frage, ob mit direkter Gewalt der körperliche Vollzug oder auch die körperlichen Folgen von Gewalt erfasst werden (Endreß und Rampp 2017). Letzteres würde zum einen eine Verbindung zur strukturellen Gewalt ermöglichen und zum anderen die Folgen der möglichen Kriegsführung durch Cyberangriffe auf die zivile Infrastruktur ganzer Länder in den Blick treten lassen (Hofstetter 2019). Weller (2004) weist zudem daraufhin, dass zumeist nur illegitime Gewalt in den Blick gerät, deren Bestimmung ihrerseits diskursiv erzeugt werden muss.

Der Vorteil dieses engen Friedensbegriffs liegt in seiner Fokussierung auf den gewaltfreien Konfliktaustrag. Dies erlaubt wiederum, nach den Bedingungen eines solchen zu fragen und lässt sich folglich als konditionaler Friedensbegriff charakterisieren. Für die innerstaatlichen Verhältnisse ist dabei auf das »zivilisatorische Hexagon« von Senghaas zu verweisen, das auf der Basis einer vergleichenden Analyse der OECD-Staaten zentrale Bedingungen auflistet.2 Für das internationale Staatensystem haben zudem Galtung (1982), Czempiel (2002) und Senghaas (2004) Friedensstrukturen identifiziert, die die Friedensbewahrung auf Dauer stellen sollen.3

Diese Modelle sind bestimmten Weltbildern über die Bedingungen von Frieden und über die Ursachen von Gewalt geschuldet. Sie stellen gesellschaftliche Strukturen, wie Freihandel (Smith), Demokratie (Kant), Sozialismus (Marx) oder Interdependenz (Keohane und Nye), in den Mittelpunkt. Andere Ansätze gehen von der menschlichen Natur aus, die jedoch ganz unterschiedlich gefasst werden kann. Während in der Tradition von Aristoteles – und für die Moderne aufgegriffen von Rousseau – der Mensch als »zoon politikon«, als gemeinschaftsfähiges Wesen gefasst wird und Krieg als »ruptura pacis«, als Bruch des Friedens zu verstehen ist, bricht Hobbes mit seinem »Krieg aller gegen alle« mit dieser Tradition und begreift Frieden nur als »absentia belli«, als Abwesenheit von Krieg. Frieden kann allenfalls durch Vertrag und eine zentrale Gewalt, in seinem Falle dem Leviathan, garantiert werden. Frieden muss – in dieser Tradition steht auch Kant – gestiftet werden.

Überleben der Menschheit

Ausgehend von der Annahme, Frieden nicht definieren zu können, wählen Huber und Reuter (1990) in der Tradition von Picht (1971) einen ganz anderen Zugriff, den 2017 auch Eva und Dieter Senghaas wieder aufgreifen. Huber und Reuter gehen davon aus, dass die Frage nach dem Frieden »analogielos« ist, d.h. keinen Rückgriff auf frühere Zeiten erlaubt, da sich die Weltverhältnisse ganz anders darstellen und deshalb von den Gefährdungen für das Überleben der Menschheit auszugehen ist. Die quantitative und mit der Atombombe v.a. auch qualitative Zunahme der Gewaltmittel, die Zunahme der Weltbevölkerung und die zerstörerische Nutzung der natürlichen Umwelt haben ein in der bisherigen Menschheitsgeschichte noch nicht erreichtes Ausmaß erreicht. Huber und Reuter schreiben: „Von Frieden zu reden ist sinnlos, wenn das Leben auf diesem Planeten zerstört wird. Unfrieden zeigt sich dann aber vor allem in denjenigen Vorgängen, in denen das Leben auf der Erde bedroht, zerstört oder aufs Spiel gesetzt wird. (Huber und Reuter 1990, S. 22)

Dabei geht es ihnen nicht allein um das Überleben, sondern auch um eine bestimmte Qualität menschlichen Lebens, was wiederum eine Nähe zum positiven Friedensbegriff bedeutet. Diese Qualität des Lebens ist gekennzeichnet durch die Indikatoren »Abbau von Not«, »Vermeidung von Gewalt« und »Verminderung der Unfreiheit«, wobei unter »Abbau von Not« sowohl die Verringerung der ungerechten Verteilung des Wohlstandes als auch die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen gefasst wird. In der Gewalt-Dimension geht es immer auch um die dauerhafte „Vermeidung vor einem solchen apokalyptischen Ereignis“ (ebda., S. 24), wie es ein Atomkrieg sein würde. Inzwischen muss man im Zeitalter des Anthropozäns diese Forderung wohl auch für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen gelten lassen. Eva und Dieter Senghaas (2017, S. 37) nehmen diese Trias der Friedensindikatoren wieder auf und verweisen darauf, dass als Viertes in politischen Gemeinwesen mit dem Schutz kultureller Vielfalt friedensfördernde Maßnahmen auch für den alltäglichen Umgang der Bevölkerungen untereinander zu ergreifen seien.

Für diese Autor*innen stellt sich damit Frieden als ein Prozess dar, der Verbesserungen auf den vier genannten Feldern bringen soll, ohne angeben zu müssen, wie Frieden als Zustand zu fassen ist. Für die Vertreter des engen Friedensbegriffs ist es dagegen offensichtlich, dass Frieden als Zustand gefasst werden kann. Die Definition von Müller zielt explizit darauf ab.

Geht man von dem beschränkten, aber dennoch sehr anspruchsvollen und voraussetzungsvollen Ziel aus, diesen Zustand des gewaltfreien Konfliktaustrags erreichen und dann auch bewahren zu wollen, so bedarf es dazu politischer Prozesse, um den Austrag von Konflikten zu institutionalisieren und die Bedingungen dafür zu schaffen, dass auf diese Institutionen im Konfliktfall auch zurückgegriffen wird, weil sich die Konfliktparteien eine gerechte Lösung erhoffen können. Die Realpolitik ist deshalb sehr wohl daran zu messen, ob sie sich diesem Zustand annähert bzw. den einmal erreichten Zustand zu erhalten vermag.

Doch gleichgültig, ob wir von einem konstitutiven oder konditionalen Friedensverständnis ausgehen, sind die Förderung von sozialer Gerechtigkeit, politischer Teilhabe, Respekt, Selbstbestimmung und Einhaltung eines ökologischen Gleichgewichts zur Beendigung der Erderhitzung und Artenausrottung sowie alle Strukturen, die diese Prozesse stützen, friedensfördernd oder gar friedenserhaltend. Ein »Weiter so« wie bisher ist es sicher nicht. Im konstitutiven Verständnis gehören diese Maßnahmen zum Frieden, im konditionalen Verständnis sind sie als dem gewaltfreien Konfliktaustrag zwischen Kollektiven förderlich anzusehen.

Anmerkungen

1) Er hat diese zwei Dimensionen später um eine dritte Dimension, die kulturelle Gewalt, erweitert, die er als Rechtfertigungssystem und Disposition ansieht, die die beiden anderen Gewaltformen diskursiv legitimiert und damit erst ermöglicht.

2) Die sechs Elemente des zivilisatorischen Hexagons sind: (1) Gewaltmonopol, (2) Rechtsstaatlichkeit, (3) Interdependenzen und Affektkontrolle, (4) politische Teilhabe, (5) Verteilungsgerechtigkeit und (6) eine Kultur konstruktiver Konfliktbearbeitung (Senghaas 2004, S. 39).

3) Zu nennen sind hier: Symbiose, Symmetrie, Homologie, Entropie, Breitbandigkeit, Großräumigkeit und Suprastruktur. Vgl. dazu einführend Nielebock 2016, S. 10 und 17.

Literatur

Beck, U. (2005): Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Birckenbach, H.-M. (2014): Friedenslogik und friedenslogische Politik. In: Frey, U. et al. 2014, S. 3-7.

Brock, L. (2002): Was ist das »Mehr« in der Rede, Friede sei mehr als die Abwesenheit von Krieg? In: Sahm, A et al. 2002, S. 95-114.

Czempiel, E.-O. (2002): Der Friedensbegriff der Friedensforschung. In: Sahm, A. et al 2002, S. 83-93.

Daase, C. (2011): Frieden (Sicherheit). In: Hartmann, M.; Offe, K. (Hrsg.): Politische Theorie und Politische Philosophie – Ein Handbuch. München: C.H. Beck, S. 188-192.

Endreß, M.; Rampp, B. (2017): Die friedens­ethische Bedeutung der Kategorie Gewalt. In: Werk­ner und Ebeling 2017, S. 163-173.

Frey, U. et al. (2014): Friedenslogik statt Sicherheitslogik – Theoretische Grundlagen und friedenspolitische Realisierung. W&F-Dossier 75.

Galtung, J [1967]: Gewalt, Frieden und Friedensforschung. In: ders. (1975): Strukturelle Gewalt – Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek: Rowohlt, S. 7-36. (Auch in: Senghaas, D. (Hrsg.) (1971): Kritische Friedensforschung. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 55-104.)

Galtung, J. (1982): Drei Annäherungsweisen an den Frieden – Friedenssicherung, Friedensstiftung, Friedensbewahrung. In: ders.: Anders verteidigen. Reinbek: Rowohlt, S. 50-80.

Gerhard, W. (1988): Frieden. In: Lippert, E.; Wachtler, G. (Hrsg.) (1988): Frieden – Ein Handwörterbuch. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 115-123.

Hofstetter, Y. (2019): Der unsichtbare Krieg – Wie die Digitalisierung Sicherheit und Stabilität in der Welt bedroht. München: Droemer.

Huber, W.; Reuter, H.-R. (1990): Friedensethik. Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer.

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Thomas Nielebock war bis 2019 als Akademischer Oberrat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen im Bereich Friedens- und Konfliktforschung tätig. Er ist Mitglied der Fachgruppe Rüstungsexport der GKKE und der Steuerungsgruppe der Servicestelle Friedensbildung Baden-Württemberg.

Frieden ist keine Lösung


Frieden ist keine Lösung

Ein bescheidener Friedensbegriff für eine praxisorientierte Konfliktforschung

von Christoph Weller

Das Wort »Frieden« taucht an vielen Stellen unserer Alltagskommunikation auf und führt zu einem scheinbar gemeinsamen intuitiven Verständnis. Von wenigen Ausnahmen abgesehen bezeichnet »Frieden« positiv bewertete soziale Verhältnisse, die in der Zukunft liegen. Doch welche Forschungsergebnisse benötigt die Praxis, beispielsweise die Kommunale Konfliktberatung, um heute Schritte in eine friedliche Zukunft zu gehen? Dafür könnte ein Friedensbegriff, der sich nicht an der Abwesenheit von Gewalt, sondern am Umgang mit Konflikten orientiert, hilfreich sein. Für ein solches prozessorientiertes Friedensverständnis wird in diesem Beitrag argumentiert und die Bedeutung geregelter Konfliktbearbeitung hierfür hervorgehoben.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg.1 Daher eignet sich der Friedensbegriff auch vortrefflich zur politischen Kritik an verschiedensten Formen aktuellen Unfriedens. Die Friedensforschung selbst ist vielleicht das beste Beispiel dafür, einen möglichst anspruchsvollen Frieden zu propagieren und auf dieser Grundlage viele gesellschaftliche Strukturen als friedenshinderlich zu kritisieren. So galt die Kritik der Friedensforschung zunächst dem Modus der Verhinderung kriegerischen Konflikt­austrags durch wechselseitige (atomare) Abschreckung. Sie wurde als „organisierte Friedlosigkeit“ (Senghaas 1969) beschrieben und dabei nicht nur ihre Friedensleistung in Frage gestellt, sondern auch thematisiert, welche innergesellschaftlichen und individualpsychologischen Auswirkungen die praktizierte atomare Abschreckungspolitik besitzt. Damit war Frieden nicht mehr nur Thema von Studien über internationale Politik, sondern angesichts seiner offensichtlichen Komplexität (Brock 2002, S. 103) eines interdisziplinär aufgestellten Forschungsfelds (vgl. schon Kaiser 1970). Vor diesem Hintergrund muss kaum überraschen, dass die Behauptung Johan Galtungs, „Der Satz ‚Frieden ist die Abwesenheit von Gewalt‘“ würde „Gültigkeit“ besitzen (Galtung 1971, S. 56), innerhalb der Friedensforschung weithin unwidersprochen blieb. Begründet hatte er seine Behauptung auch nur ganz lapidar mit dem Hinweis, „die Aussage ist einfach und stimmt mit dem allgemeinen Gebrauch überein“ (ebd.).

In der Folge wurde Galtungs Begriffsbestimmung zum Ausgangspunkt eines exklusiven Friedensverständnisses der Kritischen Friedensforschung. Mit deren Konzept der »strukturellen Gewalt« wurden alle Einschränkungen von Freiheit und jegliche Form der Ungerechtigkeit als dem »positiven Frieden« entgegenstehend kritisierbar und mithilfe des Gewalt-Begriffs auch skandalisierbar. »Frieden« versprach so neben der Abwesenheit physischer Gewalt auch die Lösung nahezu aller weiteren sozialen Probleme und war damit vornehmlich ein politischer Begriff (Daase 1996; Brock 2002, S. 100). Doch was war und ist damit für die Praxisorientierung der Friedensforschung gewonnen? Könnte sie heute mit einem bescheideneren, weniger anspruchsvollen Friedensbegriff in einen intensiveren Austausch mit der Friedenspraxis kommen und zugleich praxisnäher forschen? Könnte solche Forschung unmittelbar eine Friedenspraxis unterstützen und zugleich ihre politische Einflussnahme als Wissenschaft vergrößern (vgl. Weller 2005), um einen gewissermaßen doppelten Beitrag zu friedlicheren sozialen Verhältnissen – und dabei auch zur Gewaltreduktion – zu leisten?

Frieden durch Konfliktlösung?

Ein mir vielfach begegnendes Friedensverständnis – ohne damit einen allgemeinen Gebrauch einer solchen Begriffsverwendung behaupten zu wollen – scheint vornehmlich an den alltäglichen Belastungen sozialer Konflikte orientiert zu sein. Es zielt auf Frieden – als Entlastung – durch Lösung oder Vermeidung von Konflikten. Dies mag durchaus mit der unreflektierten Erwartung einhergehen, dass es nach Lösung aller Konflikte auch keine sozialen Probleme sowie keinen Anlass für die Anwendung von Gewalt mehr geben würde bzw. sollte. Im Vordergrund steht hier aber nicht das Problem der Gewalt, sondern jenes der Konflikte, die als Gegenpol zum Frieden gesehen werden. Dabei verdunkelt die positive Strahlkraft des Friedens das Bild von Konflikten, die so vor allem als Probleme, behindernd, belastend oder gar freiheitseinschränkend wahrgenommen werden. Betrachten wir Friedensverständnisse auch als Spiegel dominierender Defizite sozialer Verhältnisse, wird das alltägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft offenbar stärker durch Konflikte belastet als durch Gewalterfahrungen.

Diese Wahrnehmung mag eine ideologische Täuschung und Ergebnis einer erfolgreichen neoliberalen oder sonstigen Propaganda sein. Hierfür sensibilisiert uns die Kritische Friedensforschung, der zufolge dann noch größere Anstrengungen in die Aufklärung über die Gewaltdimensionen von „Ökozid, Psychopathologien, Patriarchat, Rassismus, Klasse, Imperialismus, Handel [… sowie] Religion, Recht, Ideologie, Sprache, Kunst, Wissenschaft, Kosmologie, Schule, Universität, Medien“ (Galtung 1998, S. 69) zu stecken wären. Ein weniger erkenntnis-kritischer und stärker praxis-orientierter Friedensbegriff könnte stattdessen das Konfliktlösungsbedürfnis des oben genannten Friedensverständnisses aufgreifen und sich die Frage stellen, ob er auch hierzu einen Beitrag leisten kann und wenn ja, welchen.

Das bedeutet keine unkritische Anpassung an einen möglicherweise nur dem Zeitgeist geschuldeten Sprachgebrauch, auch ist keineswegs beabsichtigt, Konflikte zum Gegenpol des Friedens zu machen. Vielmehr wird bei dem hier skizzierten Friedensbegriff die Gewaltreduktion durchaus mitbedacht, aber der „Schwammigkeit eines weiten Friedensbegriffs“ (Brock 2002, S. 99) entgegengetreten, ohne ihn jedoch auf die internationale Politik und das entsprechende „Mehr als die Abwesenheit von Krieg“ (Brock 2002) zu beschränken. Frieden soll in diesem Verständnis Kennzeichen sozialer Interaktionsprozesse auf allen Ebenen sein können, von der Paarbeziehung bis zum Großmachtkonflikt.2 Über die Fokussierung auf Konflikte wird Konfliktbearbeitung zu einem wesentlichen Element des Friedens. Frieden ist damit nicht mehr die angestrebte Lösung, sondern ein Prozess, in dem soziale Verhältnisse – einschließlich aller oben genannten und ungenannten strukturellen Gewaltverhältnisse – transformiert werden können. Denn offensichtlich geht gerade auch die Zurückdrängung struktureller Gewalt mit eskalationsgefährdeten Konflikten einher.

Frieden als Prozess

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg“ mag als berühmteste Formulierung dieses Friedensverständnisses gelten und sie stammt – wenig überraschend – von einem Friedenspraktiker: Mahatma Gandhi. Eine theoretische Herleitung des Prozess-Konzepts des Friedens leistete Ernst-Otto Czempiel im Zusammenhang mit der Entwicklung von Friedensstrategien für die internationale Politik. Er stand folglich in der Tradition der frühen Ansätze und sein Ausgangspunkt war die – auch über den „allgemeinen Sprachgebrauch“ und „historische Tradition“ (Czempiel 2002, S. 85) legitimierte – Definition: „Frieden herrscht dann, wenn kein Krieg stattfindet“ (ebd.; vgl. auch Brock 2002). Krieg wird nun aber von Czempiel nicht als Zustand der Anwesenheit direkter Gewalt konzipiert, sondern als Interaktion bzw. sozialer Prozess: als „Austragungsmodus internationaler Konflikte“ (Czempiel 2002, S. 85). Folglich müssen sich seiner Meinung nach Friedensstrategien darauf richten, einen „Systemzustand“ zu erreichen, „in dem die zwischenstaatlichen Konflikte überhaupt nicht mehr durch die Anwendung militärischer Gewalt, sondern durch andere, nicht-gewaltsame Prozesse bearbeitet werden“ (ebd.). Die Existenz der Konflikte wird anerkannt, aber der Umgang mit ihnen soll verändert werden.

Ein Beispiel hierfür nimmt sich Czempiel an der Innenpolitik, wo die gewaltfreie Konfliktbearbeitung garantiert wäre (ebd.). Dass dies nicht selbstverständlich, sondern sehr voraussetzungsreich ist, hat Dieter Senghaas (1995, 2004) empirisch untersucht und dabei herausgearbeitet, dass es in westlichen Demokratien sechs miteinander in Wechselwirkung stehende Bedingungen sind, unter denen die Gewaltanwendung in innerstaatlicher Konfliktaustragung spürbar zurückgeht. An der Spitze dieses „Zivilisatorischen Hexagons (Senghaas 1995) steht das Gewaltmonopol des Staates, also die Anwesenheit direkter physischer Gewalt als rechtsstaatlich legalisierte (sic!) Maßnahme – in Galtung’scher Perspektive wohl eher eine fatale Institutionalisierung der Abwesenheit des Friedens in jeder staatlichen Ordnung (vgl. dazu Weller 2003). Doch steht das Prozess-Konzept des Friedens nicht so konträr zum Ziel der Gewaltvermeidung, wie es zunächst den Anschein hat. »Kein Krieg« bedeutet ja ohne Zweifel weniger Gewalt, aber die Czempiel’sche Friedensstrategie zielt nicht auf die pauschale »Abwesenheit« militärischer Gewalt, sondern auf die Vermeidung vor allem jenes Gewalteinsatzes, der bei eskalierendem Konfliktaustrag seine Eigendynamik entwickelt. Zu der aus solchen Konfliktdynamiken entstehenden Gewalt soll es durch eine friedensorientierte Gestaltung der Prozesse der Konfliktbearbeitung nicht kommen.

Frieden als geregelte Konfliktbearbeitung

Darüber hinaus eröffnet dieses Prozess-Konzept des Friedens eine Möglichkeit, die zwei in der Selbstbezeichnung »Friedens- und Konfliktforschung« enthaltenen Begriffe konzeptionell unmittelbar miteinander zu verbinden: Frieden wird realisiert durch geregelte Konfliktbearbeitung. Er wird damit nie auf Dauer gestellt, weil sich die im Konflikt miteinander stehenden Menschen, Gruppen, Organisationen oder Staaten auch gegen den Frieden und für den ungeregelten Konfliktaustrag entscheiden können. So wie jedem Menschen die Möglichkeit zur Anwendung physischer Gewalt immer zur Verfügung steht (vgl. Heitmeyer 2004, S. 88), hat sie*er auch die Freiheit, in beliebigen sozialen Zusammenhängen Konflikteskalation zu riskieren oder diese sogar gezielt herbeizuführen.3 Die weiter verbreitete Neigung scheint aber doch eher zu sein, Konflikte zu lösen oder ihren Austrag in geregelte Bahnen zu lenken, um sich schnellstmöglich ihrer Anstrengungen und Unsicherheiten wieder zu entledigen.

Die Vorstellung vom Frieden als geregelte Konfliktbearbeitung geht davon aus, dass Konflikte nicht nur belasten, sondern konstitutiv für gesellschaftliches Zusammenleben sind und daher einer ambivalenten Bewertung unterliegen (vgl. Galtung 1998, S. 134): Sie belasten das Zusammenleben und ihre unterschiedlichen Austragungsformen enthalten jenes verunsichernde Eskalationspotenzial, dem sich das hier skizzierte Friedenskonzept zugunsten gelingenden menschlichen Zusammenlebens und dessen ständig erforderlichen Veränderungen zuwendet. Zugleich machen Konflikte jene Spannungsverhältnisse, Differenzen und Uneinigkeiten wahrnehmbar, die für individuelle Entwicklung und gesellschaftlichen Wandel erforderlich, ja unabdingbar sind, und sie machen sie bearbeitbar. Dies zeigt sich im Widerspruch zu elterlichen Vorgaben genauso wie in den alljährlichen Tarifkonflikten oder auf Weltklimakonferenzen. Wer etwas ändern will, muss mindestens mit jenen in Konflikt treten, die alles beim Alten belassen wollen. Doch wie sind dann friedlicher Wandel und Entwicklung möglich?

Institutionen der Konfliktbearbeitung

Frieden setzt in diesem Verständnis voraus, dass Differenzen und Uneinigkeit zwischen sozialen Akteur*innen als Konflikte anerkannt werden und ein darauf bezogener intentionaler Umgang mit den Konflikten erfolgt (vgl. Dahrendorf 1972, S. 15). Dies wird mit dem Begriff der »Konfliktbearbeitung« gekennzeichnet – im Gegensatz zu »Konfliktaustrag«, mit dem das empirisch beobachtbare konfliktive Handeln bezeichnet wird. Als »geregelt« kann die Konfliktbearbeitung dann gelten und ihren Beitrag zum Frieden leisten, wenn sichergestellt ist, dass unabhängig vom aktuell zu bearbeitenden Konflikt Regeln und entsprechende Institutionen etabliert sind bzw. wurden, die Anerkennung genießen und es den Konfliktparteien ermöglichen, trotz ihres Konflikts in Verbindung zu bleiben, die Produktivkraft des Konflikts für die Weiterentwicklung ihrer sozialen Beziehungen zu nutzen und ggf. sogar noch gesellschaftlichen Wandel zu befördern (vgl. Dahrendorf 1992, S. 48; Weller 2013).

Den zentralen Beitrag zum Frieden als Prozess leisten in dieser Konzeption also neben den Konfliktparteien, die ihren sozialen Konflikt anerkennen und die Konfliktaustragung in geregelte Bahnen zu lenken versuchen, die Institutionen der Konfliktbearbeitung. Sie stellen ein Angebot von Regeln und Verfahren bereit, anhand derer die friedensorientierten Konfliktparteien mit ihren Differenzen bezogen auf die Konfliktgegenstände umgehen können, wodurch die Eskalationsgefahr des Konfliktaustrags minimiert wird (vgl. Gulowski und Weller 2017). Institutionen der Konfliktbearbeitung entfalten zugleich eine friedensverstärkende Wirkung, indem auch die notwendigen Konflikte um die Ausgestaltung von Regeln und Institutionen der Konfliktbearbeitung und ihres Wandels selbst in genau diesem friedlichen Modus ablaufen können: als Konflikt anerkannt und intentional bearbeitet entsprechend zuvor etablierter Regeln und Verfahren, etwa eine Verfassungsänderung bezogen auf die Einsatzmöglichkeiten des Militärs im Rahmen demokratischer Verfahren. „Geregelter Konflikt ist Freiheit, denn er bedeutet, dass niemand seine Position zum Dogma erheben kann (Dahrendorf 1992, S. 39, vgl. auch Brock 2002, S. 107: „Friede als friedlicher Streit über den Frieden“).

Nun werden aber zahlreiche Institutionen der Konfliktbearbeitung dem Maßstab des Friedens nicht gerecht, etwa wenn es ihnen nicht gelingt, die Eskalation des Konfliktaustrags in geregelte Bahnen zu lenken oder sie ihren eigenen Ansprüchen und Verfahrensweisen nicht entsprechen. Aus der vorgenommenen Verbindung von Frieden und Konflikt ergibt sich in solchen Fällen die praxisorientierte Frage, mithilfe welchen Konflikts die kritisierten Institutionen der Konfliktbearbeitung transformiert werden könnten (oder müssten), damit sie Beiträge zum Frieden leisten können. Aus der Friedensorientierung erwächst zudem der Anspruch, für den darüber auszutragenden Konflikt nach der geeigneten Institution der Konfliktbearbeitung zu suchen, die eine geregelte Bearbeitung dieses Konflikts ermöglicht. Daraus ergeben sich zahlreiche praxisorientierte Aufgaben für die Friedens- und Konfliktforschung, die auf diesem Wege zu Konflikten, zum Wandel und zum Frieden beitragen kann.

Darf ungerechter Frieden stabilisiert werden?

Nun lässt sich einwenden, dass dieses Friedensverständnis doch allzu bescheiden sei, weil allerorten zuhauf »Institutionen der Konfliktbearbeitung« existieren, die Machtverhältnisse und Ungerechtigkeit stabilisieren, deren geregelte Konfliktbearbeitung aber nach dem oben Gesagten als »Frieden« gelten könnte, ohne dass ein friedlicher Wandel möglich erscheint. Bezogen auf Machtverhältnisse, Ungerechtigkeit, Gewaltanwendung, Freiheitsbeschränkungen, Umweltzerstörung etc. ist dieser Friedensbegriff in der Tat indifferent – und deshalb »bescheiden«, aber insofern praxisorientiert, als er zu der Frage hinführt: Welche Institutionen der Konfliktbearbeitung sind bereits vorhanden, zu verändern oder neu zu etablieren, um genau jene Konflikte – friedlich !! – bearbeitbar zu machen, die sich auf den Wandel all der unerträglichen Zustände richten, die angedeutet wurden und die von Friedensfreund*innen auch unschwer erkannt werden können, ohne dass sie als Unfrieden oder Gewalt politisiert werden müssten?

Die Feststellung der Differenz zwischen den Weltverhältnissen und mehr oder weniger anspruchsvollen Friedensverständnissen bringt noch keinen Wandel in die Welt und leitet auch keine Praxis an. Ein Prozess-Konzept könnte an dieser Stelle für eine größere Dynamik sorgen, indem es auf die Anerkennung der wahrgenommenen Differenz, z.B. zwischen Welt und Frieden, als sozialen Konflikt abhebt. Dann bleibt es immer noch in der Verantwortung gesellschaftlicher Gruppen als (potenziellen) Konfliktparteien, die Differenz zum Konflikt zu machen, den Widerspruch zu artikulieren, sich den Mühen einer Konfliktbearbeitung zu unterziehen und nach geeigneten Institutionen zu suchen, entlang deren Regeln die Auseinandersetzung friedlich stattfinden könnte. Die Etablierung und Transformation von Institutionen der Konfliktbearbeitung – wozu die Friedens- und Konfliktforschung ihre Beiträge leisten könnte – können dazu ermutigen und Vertrauen schaffen, die vorhandenen Konflikte nicht nur anzuerkennen, sondern auch den Versuch ihrer Bearbeitung in Gang zu setzen. Dieser wird leichter gelingen, wenn er als friedlicher Prozess – also als geregelte Konfliktbearbeitung – ins Werk zu setzen ist. Mehr Wandel und deshalb mehr Konflikte bei gleichzeitiger Reduktion der Zahl gewaltsam eskalierender Konflikte ist keine Lösung für nichts, aber ein relativ bescheidener und vielleicht dennoch größtmöglicher praktischer Beitrag zum Frieden – und damit der Frieden selbst.

Anmerkungen

1) Vgl. die sehr differenzierte Erläuterung dieser Aussage von Brock (2002).

2) Es geht allerdings explizit nur um soziale und nicht auch um intrapersonale Konflikte, die „in der Struktur des (inneren) Person-Systems“ liegen und die Galtung (1998, S. 142) in seine Kon­flikttheorie einzubeziehen versucht.

3) Das Maß dieser Freiheit ist zweifellos auch abhängig von der Verfügbarkeit u.a. materieller Ressourcen, aber vor allem von Macht-Ressourcen, also der Fähigkeit, „sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“ (Arendt 1970, S. 45). Das hat die jüngst stattgefundene Konflikteskalation bei den Klimastreik-Aktionen von Schüler*innen beeindruckend unter Beweis gestellt.

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Prof. Dr. Christoph Weller forscht zu Insti­tutionen der Konfliktbearbeitung, lehrt Friedens- und Konfliktforschung und leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg.

Für ihre sehr hilfreichen Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Textes danke ich Michaela Zöhrer und Christiane Lammers.