Geopolitik der Energiewende


Geopolitik der Energiewende

Infrastrukturen für den nachhaltigen Frieden

von Jürgen Scheffran

Geopolitische Konflikte im fossil-­nuklearen Zeitalter haben das vergangene Jahrhundert bestimmt und prägen auch das 21. Jahrhundert. Mit dem Ende des fossilen Kapitalismus nehmen Krisen zu. Die Alternative »Krieg um Öl« oder »Frieden durch Sonne« betrifft neben dem Wandel der Energieversorgung auch einen Systemwandel. Erneuerbare Energien gelten als konfliktärmer, sind jedoch nicht konfliktfrei. Eine sozial-ökologische Transformation geht einher mit Infrastrukturen einer nachhaltigen Friedenssicherung und schafft kooperative Strukturen auf allen Ebenen.

Energie ist wesentlich für Entwicklung und Wohlstand, kann aber auch Risiken verursachen. Physikalische Kräfte können in politische Macht umgewandelt werden. Energiemangel wird als Sicherheitsbedrohung wahrgenommen. Konflikte erwachsen aus dem Missbrauch von Energie und ihrer ungerechten Verteilung. Gewaltkonflikte erschweren den Zugang zu Energieressourcen, während das Energiesystem selbst Ziel oder Mittel von Angriffen und Widerstand sein kann. Die Komponenten des fossil-nuklearen Energiesystems haben immer wieder internationale Konflikte provoziert. Im 19. Jahrhundert waren Kohle und Dampfkraft Macht- und Konflikttreiber, im 20. Jahrhundert Öl und Erdgas, zunehmend auch die Kernenergie. Auch im 21. Jahrhundert ist Energie eine Voraussetzung für die Durchsetzung nationaler Interessen, aber auch für Kooperation.

Die Transformation von fossilen zu erneuerbaren und kohlenstoffarmen Energieformen kann die globalen Machtverhältnisse verändern. Geopolitische Konfliktlinien verschieben sich mit wachsendem Energiebedarf, abnehmenden Brennstoffreserven und ungleicher Verteilung, zunehmenden Umweltschäden und Klimawandel sowie Nord-Süd-Differenzen. Komplexe Konfliktkonstellationen zeigen sich in jüngsten Streitigkeiten. So wurde die Gaspipeline zwischen Europa und Russland zum Spielball im Fall Nawalny. Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer, zwischen Türkei und Griechenland im östlichen Mittelmeer oder in der Arktis haben auch mit vermuteten Gas- und Ölvorräten zu tun. Der Bedarf an strategischen Materialien für die Energiewende schafft neue Konfliktmuster.

Produktionsketten und Handelsströme

Länder mit fossilen Brennstoffen verfügen über erhebliche Macht und Gewinne, die in die sozioökonomische Entwicklung, aber auch in militärische Fähigkeiten investiert werden. Mit der Energiewende und Dekarbonisierung verlieren sie an geopolitischem Einfluss und geraten in die Defensive. Damit verbunden sind steigende Preise fossiler Brennstoffe und sinkende Einnahmen. Verstärkt durch schwache Regierungsführung kann dies zu einem Machtvakuum führen, mit sozialen Unruhen, Rechtspopulismus, Machtkämpfen und Gewalt, die sich über Landesgrenzen ausbreiten. Der Zerfall der Sowjetunion dient hier als Beispiel.

Einige ölexportierende Länder verfolgen das Ziel, von den Ölrenten weniger abhängig zu werden und ihre Wirtschaft zu diversifizieren. Der rasche Anstieg erneuerbarer Energien transformiert die geopolitische Landkarte. Zunehmend werden sie vom Wettlauf um technologische Innovation und Dominanz erfasst. Die meisten Länder verfügen über ein tragfähiges Potenzial erneuerbarer Energien, um von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden, Energiesicherheit und eine bessere Handelsbilanz zu schaffen. Eine Transformation bietet für diese Länder strategische Vorteile, macht sie weniger anfällig gegen Versorgungsengpässe und Preisschwankungen, politische Instabilität, Terroranschläge und bewaffnete Konflikte. Eine vollständig erneuerbare Stromversorgung ist technisch machbar, wenn verschiedene Quellen zur Verfügung stehen und die Variabilität der Stromerzeugung im Netz durch einen Energiemix abgefedert wird.

Globale Verschiebungen

Nachdem die USA über Jahrzehnte von Öl und Gas aus konfliktreichen Regionen abhingen, konnten sie durch Fracking und Schiefergas einen großen Teil ihres Energiebedarfs selbst decken und wurden zum Nettoexporteur von Erdgas, zunehmend auch von Erdöl. Auch wenn die Regierung Trump weiter auf fossile Energien setzt, arbeiten Teile der USA an der Energiewende und nutzen dabei technologische Fähigkeiten der US-Industrie.

Die Europäische Union kann die Abhängigkeit durch fossile Brennstoffe mit erneuerbaren Energien mindern und ihre technologischen Fähigkeiten nutzen. Deutschland wurde zum Vorreiter der Energiewende und ist in Europa bei Patenten für erneuerbare Energien führend. Island entwickelte sich mit dem Ausbau erneuerbarer Energien von einem der ärmsten Länder Europas zu einem Land mit hohem Lebensstandard, das seine Elektrizität aus Wasserkraft und Erdwärme gewinnt. Ähnliche Vorteile eröffnen sich in Japan. Große Herausforderungen bedeutet die Energiewende für Russland, den weltweit größten Gas- und zweitgrößten Ölexporteur. Öl- und Gaseinnahmen sind mit rund 40 % ein wichtiger Bestandteil des Staatshaushalts. Obwohl Russland zunehmend in erneuerbare Energien investiert, liegt es bei den Patenten weit zurück.

China verfügt zwar über große Kohleressourcen, ist aber von Gas- und Ölimporten abhängig. Da eine Energiewende der eigenen Energiesicherheit dient, fördert die Regierung seit Jahren Innovationen in erneuerbare Energietechnologien. Mit mehr als 45 % der weltweiten Investitionen war China 2017 der weltweit größte Produzent, Exporteur und Installateur von Sonnenkollektoren, Windturbinen, Batterien und Elektrofahrzeugen. Zudem hat es eine Vorreiterrolle bei Technologien, wie Silizium-Photovoltaik-Modulen oder Lithium-Ionen-Batterien, und ist führend bei den Patenten für erneuerbare Energien. Das Infrastrukturprojekt einer »neuen Seidenstraße« stärkt Chinas geostrategische Position.

Nordafrika und Nahost

Die MENA-Region (Middle East, North Africa) ist reich an fossilen Brennstoffressourcen, die eine wichtige Einkommensquelle bilden, ist damit aber auch besonders verwundbar gegen Einnahmenverluste, die sich negativ auf Wirtschaftswachstum und Staatseinnahmen auswirken. Die Abhängigkeit hat zu gewaltsamen Konflikten beigetragen, die Ressourcen absorbieren, die Demokratie untergraben und Umweltschäden verursachen. Ein Teil der Einnahmen wurde verwendet, um den Zugang zu Wasser und Nahrungsmittelimporten zu sichern. Um bei Erschöpfung fossiler Reserven damit verbundene Instabilitäten zu vermeiden, ist die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, die den für die Region bedrohlichen Klimawandel fördern. Die wachsende Energienachfrage lässt sich nicht mit Kernenergie befriedigen, auch wegen ihrer militärischen Sicherheitsrisiken in dieser konfliktträchtigen Region.

Der MENA-Raum verfügt über hohe Potenziale an Sonnenenergie und Windkraft. Mit dem Desertec-Konzept entstand die Vision einer Energiezusammenarbeit zwischen Europa und MENA, die erneuerbare Energiesysteme rund um das Mittelmeer über ein Stromnetz verbindet, um verschiedene Ziele zugleich zu erreichen (Energiesicherheit, Klimaschutz, Entwicklung, Arbeitsplätze, Versorgung mit Wasser und Nahrung). Aufgrund der Destabilisierung durch den Arabischen Frühling konnte das Konzept nicht realisiert werden. Einzelne Staaten planen jedoch, die erneuerbaren Potentiale stärker zu nutzen. Marokko will bis 2030 etwa die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen liefern und zum Nettoexporteur von Elektrizität werden.

Perspektiven für den Globalen Süden

Auch andere Entwicklungsländer können von der Nutzung erneuerbarer Energie profitieren, um ihre Ölabhängigkeit zu senken, den Klimawandel zurückzudrängen und die Resilienz zu stärken. Die eingesparten Importkosten lassen sich in neue Technologien investieren. Indien gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften und könnte China bald als weltgrößten Wachstumsmarkt im Energiebereich überholen. Geplant ist ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien.

Auch in vielen Ländern Subsahara-­Afrikas lassen sich durch die eigenständige Erzeugung erneuerbarer Energien Arbeitsplätze schaffen und Entwicklung vorantreiben. Probleme ergeben sich für Ölproduzenten, wie Nigeria und Angola, die bei einer Energiewende große Einnahmeverluste fürchten. Ob es gelingt, das fossile Entwicklungsmodell zu überspringen, hängt auch davon ab, ob Staaten der Verlockung schnellen Reichtums durch neu entdeckte fossile Ressourcen folgen.

Die gilt auch für den Ölboom in einigen Staaten Lateinamerikas, die sich durch den Fall Venezuelas nicht abschrecken lassen. Viele haben große Ressourcen erneuerbarer Energien. Am bekanntesten ist das brasilianische Ethanolprogramm, das nach dem Ölschock 1973 eingeführt wurde, um die Energieautarkie zu stärken. Heute ist Brasilien der zweitgrößte Produzent und größte Exporteur von Ethanol. Kleine Inselstaaten, die durch den Klimawandel besonders bedroht sind, versuchen mit ihren erneuerbaren Energiequellen den Großteil ihres heimischen Energiebedarfs zu decken.

Konfliktpotentiale der Energiewende

Eine nachhaltige Energiewende vermeidet die für fossil-nukleare Energiesysteme typischen Konflikte. Beispiele sind Liefer­embargos des OPEC-Kartells im Gefolge des arabisch-israelischen Konflikts, Machtkämpfe um Pipelines oder Kriege um Öl am Persischen Golf. Mit einer Energiewende könnte auf militärische Operationen, Stützpunkte und Streitkräfte zur Sicherung fossiler Ressourcen verzichtet werden. Teile des Militärs versuchen, erneuerbare Ressourcen in ihre Planungen einzubeziehen.

Erneuerbare Energieträger und ihre Infrastrukturen sind jedoch nicht konfliktfrei. Sie benötigen wichtige natürliche Ressourcen (Land, Wasser, Nahrungspflanzen, Mineralien), deren konkurrierende Nutzungen Spannungen hervorrufen. Umweltauswirkungen führen zu meist lokalen Protesten und Widerständen in der Bevölkerung, gegen Stromnetze, Staudämme, Bioenergie, große Windkraft- und Solaranlagen.

Die Verbreitung erneuerbarer Energien erhöht die Elektrifizierung und stimuliert den Stromhandel, was regionale Kooperation und den Ausgleich zwischen Energiequellen fördert; Verbundnetze gibt es auf praktisch allen Kontinenten. Die Möglichkeit, Stromnetze kontrollieren, abschalten oder zerstören zu können, mag als Bedrohung angesehen werden, eignet sich aber nur bedingt als Druckmittel, solange Staaten auf verschiedene Weise Strom beziehen können. Regulierungen können die Risiken minimieren.

Kritische Materialien und Cyber-Sicherheit in Energienetzen

Es spricht einiges dafür, dass durch die Energiewende geopolitische Instrumente an Bedeutung verlieren, aber nicht verschwinden. Auch wenn ein „Embargo gegen die Sonne“ (Jimmy Carter) nicht möglich ist, könnten neue Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten entstehen. Sonnenkollektoren, Windturbinen, Elektrofahrzeuge und Energiespeicher benötigen für ihre Herstellung nicht-­erneuerbare Mineralien und Metalle, wie Kobalt, Lithium, Gallium und Seltene Erden. Davon finden sich große Reserven in Lateinamerika und Afrika, in China, Süd- und Südostasien sowie am Meeresboden. Oft handelt es sich um fragile oder autoritäre Staaten. Mehr als 60 % des weltweiten Kobaltvorrats stammen aus der Demokratischen Republik Kongo. In Kolumbien beuteten bewaffnete Gruppen illegale Rohstoffvorkommen aus. Strategien zur Kontrolle von Konfliktmineralien zielen auf eine Verbesserung der Transparenz entlang globaler Lieferketten.

Länder mit reichen Vorkommen kritischer Materialien könnten ihre Macht nutzen. Als der größte Produzent China 2008 die Lieferung von Seltenen Erden einschränkte, gerieten die Märkte in Panik, und die Preise stiegen stark an. Obwohl sie weltweit reichlich vorkommen, sind Abbau und Produktion der Materialien teuer, umweltschädlich und mit Preisschwankungen verbunden, was andere Länder bislang abgehalten hat. Zudem gibt es Alternativen, wenn auch zu höheren Kosten. Zunehmend wird darauf gesetzt, kritische Mineralien in einer Kreislaufwirtschaft zu recyceln und wiederzuverwenden, was einer Kartellbildung entgegenwirkt.

Für die globale Machtprojektion entscheidend ist die Kontrolle der Netzinfra­struktur, die physische Vermögenswerte ebenso umfasst wie virtuelle Verbindungen, die sich mit der Digitalisierung des Energiesektors vervielfachen. Dies schafft Risiken für Sicherheit und Datenschutz, durch kriminelle Gruppen, Terrorist*inn en oder auswärtige Geheimdienste, die Versorgungs- und Stromnetze manipulieren. Oft zitiert wird der Cyberangriff auf das Stromnetz der Westukraine im Dezember 2015, wodurch mehr als 230.000 Menschen bis zu sechs Stunden im Dunkeln blieben. Konsequenzen sollen mit »Smart Grids« minimiert oder durch Gegenmaßnahmen und Regeln eingedämmt werden. Zukünftige Energiepfade sind systematisch anhand geeigneter Kriterien zu bewerten und zu vergleichen

Neue Allianzen in Energielandschaften

Erneuerbare Energien ermöglichen Allianzen aus Staaten, transnationalen und substaatlichen Akteuren (Bürger*innen, Städte und Unternehmen). In der neuen Energiediplomatie geht es um Partnerschaften in nachhaltigen Energielandschaften, mit Verbindungen zwischen Stadt und Land, globalen Netzen und regionalen Märkten. Um den üblichen Konzentrations- und Akkumulationsprozessen im Kapitalismus entgegenzuwirken, braucht es einen Systemwandel mit der partizipativ-demokratischen Kontrolle von Machtstrukturen. Chancen bestehen durch die Verbindung von dezentralen Energiesystemen und interkontinentalen Verteilungsnetzen, die die Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern fördern. Daran können alle als »Prosumer« (Produzenten und Konsumenten) mitwirken, die ein Dach oder etwas Land besitzen, um Energie zu produzieren, für den Eigenverbrauch oder für das Netz.

In einer solchen »Viable World« werden die Menschen im Sinne von »Power to the People« befähigt, die sozial-ökologische Transformation mit anderen zusammen in die eigenen Hände zu nehmen. Wenn Konflikte durch die Kohabitation der Nationalstaaten im gemeinsamen Haus der Erde bewältigt werden, kann die globale Energietransformation eine nachhaltige Friedensdividende erzeugen.

Literatur

Alt, F. (2002): Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne. Riemann-Verlag.

Bazilian, M. et al. (2019): Model and manage the changing geopolitics of energy. Nature, Vol. 569, S. 29-31.

Economist (2020): 21st century power – How ­clean energy will remake geopolitics. The Econo­mist, 19.9.2020, S. 19-25.

Hafner, M.; Tagliapietra, S. (2020): The Geopol­itics of the Global Energy Transition. Cham: Springer.

IANUS (1996): Energiekonflikte – Kann die Menschheit das Energieproblem friedlich lösen? W&F-Dossier 22.

IRENA (2019): A New World – The Geopolitics of the Energy Transformation. International Renewable Energy Agency.

Link, P.M.; Scheffran, J. (2017): Impacts of the German Energy Transition on Coastal Communities in Schleswig-Holstein, Germany. Regions Magazine, Vol. 307, Nr. 1, S. 9-12.

O’Sullivan, M.; Overland, I.; Sandalow, D. (2017): The Geopolitics of Renewable Energy. Working Paper, Harvard Kennedy School.

Scheffran, J.; Cannaday, T. (2013): Resistance Against Climate Change Policies. In: Maas, A. et al. (eds.): Global Environmental Change – New Drivers for Resistance, Crime and Terror­ism? Baden-Baden: Nomos.

Scheffran, J.; Froese, R. (2016): Enabling environments for sustainable energy transitions. In: Brauch, H.G. (ed.): Handbook on Sustainabil­ity Transition and Sustainable Peace. Cham: ­Springer, S. 721-756.

Scheffran, J.; Schürmann, E. (2020): Viable ­World – Zusammenleben im Gemeinsamen Haus der Erde. Blickpunkt Zukunft, Vol. 40, Nr. 69, S. 2-8.

Tänzler, D.; Oberthür, S.; Wright, E. (2020): The Geopolitics of Decarbonization – Reshaping European foreign relations. Berlin: adelphi.

Vakulchuk, R.; Overland, I.; Scholten, D. (2020): Renewable energy and geopolitics – A review. Renewable and Sustainable Energy Reviews, Vol. 122, 109547.

Dr. Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg und Mitglied der W&F-Redaktion.

Klimawandel und Konflikt


Klimawandel und Konflikt

Was wir gegenwärtig sagen können

von Adrien Detges

Fragen rund um Klimawandel und Konflikt erfreuen sich derzeit großer Aufmerksamkeit. Erst kürzlich, im Juli 2020, waren klimabedingte Sicherheitsrisiken wieder im Fokus einer öffentlichen Debatte im UN-Sicherheitsrat. Entsprechend wächst der Druck auf die Wissenschaft, verlässliche Informationen über das Verhältnis zwischen Klima und Konflikt zu liefern. Zentral sind hierbei die Fragen, wie und unter welchen Umständen klimabedingte Prozesse und Ereignisse zur einer Verschärfung von Konflikten führen können und welche präventiven Maßnahmen angesichts dieser Gemengelage ergriffen werden müssen. Doch was lässt sich beim jetzigen Stand der Forschung dazu tatsächlich sagen?

Die empirische Klimakonfliktforschung ist eine relativ junge Disziplin, die sich etwa am Anfang des neuen Jahrtausends aus der Debatte der 1990er Jahre über Ressourcenknappheit und so genannte »Umweltkonflikte« entwickelte (siehe Homer-Dixon 1999; Baechler 1999). Zur Verbreitung und wachsenden Popularität der Disziplin trugen vor allem der vierte und fünfte Sachstandbericht des Weltklimarates bei, in denen mögliche Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit Extremwetterereignissen und anderen klimatisch bedingten Entwicklungen thematisiert wurden (IPCC 2007, 2014).

In der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens wurde die Klimakonfliktforschung durch mehrere Debatten geprägt. So bestand beispielsweise Uneinigkeit darüber, mit welchen Methoden das Verhältnis zwischen Klima und Konflikt am besten erforscht werden sollte, wie wichtig die Rolle des Klimawandels im Vergleich zu anderen Konfliktursachen einzustufen sei oder welche ethischen Implikationen eine Forschungsrichtung mit direktem Einfluss auf internationale entwicklungs- und sicherheitspolitische Diskurse und Agenden hat (siehe Hsiang et al. 2013; Buhaug et al. 2014; Selby et al. 2017).

Auch wenn diese Fragen nicht abschließend geklärt wurden, so zeichnete sich doch in den letzten fünf bis sechs Jahren, insbesondere in der empirischen Forschung, ein vorsichtiger Konsens ab. Für viele Forscher*innen geht es demnach nicht mehr darum, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen Klima und Konflikt gibt, sondern vielmehr darum, wie und unter welchen Umständen klimabedingte Prozesse und Ereignisse zur einer Verschärfung sozialer Probleme beitragen und somit das Risiko gewaltsamer Konflikte erhöhen können. Die empirische Forschung ist somit nicht nur differenzierter geworden in ihrer Betrachtung verschiedener Wirkungszusammenhänge, sondern auch in ihrer Betrachtung verschiedener Risiken und Konfliktformen, die sich aus diesen Zusammenhängen ergeben können.

Von Klima zu Konflikt: mögliche Pfade

Zentral ist in der neueren Klimakonfliktforschung die Idee indirekter Zusammenhänge und längerer Wirkungsketten, die klimatische Einflussgrößen zunächst mit einer Reihe unmittelbarer wirtschaftlicher und sozialer Auswirkungen verknüpfen, die sich wiederum auf politische Entwicklungen und schließlich auf bestimmte Konfliktdynamiken auswirken können. Wichtig ist hierbei, dass diese Wirkungsketten nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern dass sich Konfliktsituationen gerade aus dem Zusammenspiel verschiedener ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren ergeben.

Einer Reihe möglicher Wirkungsketten kommt in der Klimakonfliktforschung eine besondere Bedeutung zu, wobei die nachfolgende Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:

  • In Anlehnung an die Umweltsicherheitsliteratur der 1990er Jahre spielt etwa die klimabedingte Verknappung natürlicher Ressourcen, wie Wasser, Wald oder Ackerland, eine wichtige Rolle in vielen Arbeiten. Studien zeigen, wie Verknappung unter bestimmten Umständen zu Verteilungskämpfen führen kann, insbesondere, wenn die Verteilung und der Zugang zu Ressourcen als ungerecht empfunden werden und kein Ausgleich über entsprechende Mechanismen hergestellt werden kann, indem z.B. von der Ressource ausgeschlossene Menschen entschädigt werden oder sich neue wirtschaftliche Möglichkeiten und andere Vorteile für sie ergeben (Sedova et al. 2020). Dies betrifft sowohl lokale Konflikte, z.B. zwischen Viehzüchter*innen und Landwirt*innen im Sahel, als auch potentielle Spannungen zwischen Staaten, z.B. solchen entlang großer Flüsse, wie dem Nil, dem Mekong oder dem Indus.
  • Extreme Ereignisse, wie Dürren und Überschwemmungen, aber auch schrittweise Klimaauswirkungen, wie der Anstieg der Meerestemperaturen, können die Existenz von Menschen bedrohen, die ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft, Fischerei oder anderen klimasensiblen Bereichen verdienen. Fehlen diesen Menschen alternative Einkommensquellen oder andere Absicherungsmöglichkeiten, so suchen sie gelegentlich einen Ausweg in kriminellen Aktivitäten oder anderen Formen der Anpassung, die ein erhöhtes Konfliktrisiko nach sich ziehen. Diese Situation wird nicht zuletzt von bewaffneten Gruppen für ihre Rekrutierungsaktivitäten ausgenutzt. So konnte beispielsweise in Indonesien ein systematischer Anstieg der Piraterie in Perioden beobachtet werden, in denen die klimatischen Bedingungen für die Fischerei ungünstig waren (Axbard 2015).
  • Weitere Wirkungsketten können sich aus den politischen Folgen von extremen Ereignissen und Krisen ergeben. Stürme, Überschwemmungen und andere Katastrophen erfordern zum einen das Einschreiten des Staates, was dazu führen kann, dass wichtige Ressourcen an anderer Stelle fehlen und der Staat andere Leistungen nicht mehr im gleichen Maße erbringen kann. Zum anderen sind Krisen oftmals auch ein Offenbarungsmoment, in dem politische Versäumnisse, soziale Ungleichheiten und andere Probleme auf besonders schmerzhafte Weise zum Vorschein treten. Dies kann die Beziehung zwischen Staat und Bürger*innen auf die Probe stellen und Auslöser sowohl für gewaltbereite Opposition als auch für brutale Repression durch den Staat sein (Wood und Wright 2016; Detges 2018, S. 34 f.).
  • Schließlich können auch klimapolitische Maßnahmen unvorhergesehene Nebeneffekte haben, die sich negativ auf soziale Beziehungen und Frieden auswirken. Biodiesel, »green tech« und der phasenweise Ausstieg aus den fossilen Energieträgern haben das Potential, den Klimaschutz voranzutreiben, doch können sie auch zu neuen Problemen führen, etwa Landgrabbing, Konflikte um seltene Erden und andere Rohstoffe oder politische Krisen in ölexportierenden Staaten (Busby 2020). Ebenso können Projekte der Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Klimaanpassung ungeahnten Einfluss auf lokale soziale Dynamiken ausüben und somit zu Konflikten führen (Tänzler und Scherer 2019).

Der Kontext zählt

Aus der Betrachtung dieser möglichen Wirkungsketten ergibt sich eine zweite wesentliche Erkenntnis: Die Wirkung klimatischer Einflüsse wird maßgeblich durch wirtschaftliche, soziale und institutionelle Rahmenbedingungen sowie durch das Tun und Unterlassen politischer Akteur*innen bestimmt. Das Konfliktrisiko erhöht sich dort, wo klimatische Schocks auf mangelnde soziale Leistungen, Ungleichheiten, defizitäre Institutionen und bereits bestehende Spannungen treffen (Sedova et al. 2020, S. 37 f.).Konflikte um knappe Ressourcen sind außerdem eher dort zu erwarten, wo formale und informelle Institutionen der Konfliktbeilegung defizitär sind – wo entsprechend funktionierende Systeme bestehen, lässt sich in Zeiten von Knappheit teilweise sogar ein erhöhtes Maß an Kooperation beobachten (Tubi und Feitelson 2016). Ebenso können Regierungen in Krisenzeiten durch solide Prävention und ein gelungenes Krisenmanagement punkten und somit nicht nur ihre Popularität und Legitimität, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken (Detges 2018, S. 34 f.). Schließlich können durch eine konfliktsensitive Gestaltung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen auch mögliche Nebenwirkungen reduziert werden. Auch hier spielen institutionelle Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle (Tänzler und Scherer 2019).

Blinde Flecken und Einschränkungen

Doch bestehen in der empirischen Forschung auch Lücken und Einschränkungen, die es bei einer Bewertung möglicher Konfliktrisiken zu berücksichtigen gilt. So wird vor allem in Ländern und Regionen geforscht, die für ihre Konflikt­anfälligkeit bekannt sind und in denen Feldforschung vergleichsweise einfach ist, etwa weil dort Englisch gesprochen wird, wie in vielen Ländern Afrikas. Dies führt dazu, dass vor allem in Asien und Lateinamerika viele gefährdete Orte außer Acht gelassen werden und Forscher*innen es zudem versäumen, gerade die Bedingungen auszumachen, unter denen es trotz extremer klimatischer Bedingungen nicht zu Krisen und Konflikten kommt (Adams et al. 2018).

Ebenso lässt sich ein klarer Fokus auf räumlich begrenzte Dynamiken feststellen. Konfliktrisiken werden vor allem in unmittelbarer Nähe der klimatischen Prozesse und Ereignisse vermutet, durch die sie vermeintlich ausgelöst werden. Dabei sollte nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie deutlich geworden sein, dass in einer stark vernetzten Welt auch lokale Risiken schnell eine globale Dimension erreichen können, etwa wenn wesentliche Lieferketten oder außenpolitische Interessen betroffen sind. So könnten sich zum Beispiel gleichzeitige Dürren in Russland, China und Kanada stark auf die Lebensmittelpreise in Ägypten und im Libanon auswirken und dort zu Unruhen führen, was dann auch wieder für die europäische Außenpolitik unmittelbar relevant wäre. Solche transnationalen Effekte finden in der empirischen Forschung jedoch erst seit kurzer Zeit Beachtung (Benzie et al. 2019).

Die wohl wichtigste Einschränkung der empirischen Forschung bleibt aber ihr Fokus auf relativ kurzfristige Temperatur- und Niederschlagsschwankungen, die nicht direkt den Klimawandel, sondern vielmehr Klimavariabilität erfassen. Inwieweit bestimmte Schwankungen und Extremwetterereignisse ursächlich auf den Klimawandel zurückgeführt werden können, ist im Einzelfall oft schwer zu sagen (Selby et al. 2017). So lassen sich über Klimawandel und Konflikt auch nur vorsichtige probabilistische Aussagen treffen. Schenkt man den Expert*innen des Weltklimarates Glauben, so wird es in Zukunft häufiger zu extremen Ereignissen, wie Stürmen und Dürren, kommen (IPCC 2014). In diesem Zusammenhang ist die Annahme naheliegend, dass eine solche Häufung in entsprechend vulnerablen und anfälligen Regionen zu einer Vermehrung der weiter oben beschriebenen Risiken führen könnte, wenn keine geeigneten präventiven Maßnahmen ergriffen werden.

Ausblick

Was lässt sich also abschließend über die Beziehung zwischen Klimawandel und Konflikt sagen? Zunächst sollte festgehalten werden, dass es sich um ein vielseitiges Verhältnis handelt, das situationsbedingt sehr unterschiedliche Auswirkungen haben kann. Wesentlich ist das Zusammenspiel klimatischer Faktoren mit weiteren sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Variablen. Vor diesem Hintergrund sind Vergleiche zwischen klimabedingten und nicht klimabedingten Konfliktrisiken nicht wirklich hilfreich. Ebenso wenig haben wir es, wie z.B. die Rede vom „Krieg ums Wasser“ unterstellt, mit einer neuen Gattung von »Klimakonflikten« zu tun. Vielmehr geht es darum, zu verstehen, wie und unter welchen Umständen bekannte Konfliktdynamiken und -risiken durch klimatische Einflüsse weiter verschärft werden können.

Weiterhin wichtig ist die Feststellung, dass Klimavulnerabilität einen ganz maßgeblichen Einfluss darauf hat, ob in Gesellschaften, die von schwierigen klimatischen Bedingungen betroffen sind, auch klimabedingte Konfliktrisiken entstehen. Neben Klimaschutz können also auch Maßnahmen der Anpassung an den Klimawandel zur Prävention besagter Risiken beitragen.

Das heißt aber nicht, dass deshalb andere Formen der Konfliktprävention obsolet würden. Gewaltsame Konflikte sind vielschichtige multi-kausale Phänomene und erfordern daher ein breites Spektrum an Lösungen und präventiven Ansätzen. Wichtig ist hierbei, dass klima- und entwicklungspolitische Maßnahmen, sofern ihr friedensstiftendes Potential genutzt werden soll, in Abstimmung mit anderen Maßnahmen geplant und umgesetzt werden sollten. Andernfalls besteht das Risiko der oben beschriebenen Nebeneffekte oder das Risiko, dass Maßnahmen der Konflikteindämmung ihrerseits zu höherer Klimavulnerabilität führen. In der Tschadseeregion z.B. haben Grenzschließungen im Kampf gegen Boko Haram auch den Binnenhandel unterbrochen, der gerade in Dürreperioden für die Bewohner*innen der Region essentiell ist (Vivekananda et al. 2019).

Ebenso wenig sollten die Ergebnisse der Klimakonfliktforschung Anlass für eine Versicherheitlichung der Klimapolitik geben. Es gibt genügend andere gute Gründe für den Klimaschutz. Diese gilt es nicht aus den Augen zu verlieren, wenn klima-, entwicklungs- und sicherheitspolitische Agenden miteinander abgestimmt werden.

Literatur

Adams, C.; Ide, T.; Barnet, J.; Detges, A. (2018): Sampling bias in climate-conflict research. Nature Climate Change, Vol. 8, Nr. 3, S. 200-203.

Axbard, S. (2015): Income Opportunities and Sea Piracy in Indonesia – Evidence from Satellite Data. American Economic Journal – Applied Economics, Vol. 8, Nr. 2, S. 154-194.

Baechler, G. (1999): Environmental Degradation in the South as a Cause of Armed Conflict. In: Carius, A.; Lietzmann, K.M. (eds.): Environmental Change and Security – A European Perspective. Berlin: Springer, S. 107-130.

Benzie, M.; Carter, T.R.; Carlsen, H.; Taylor, R. (2019): Cross-border climate change impacts – implications for the European Union. Regional Environmental Change, Vol. 19, Nr. 3, S. 763-776.

Buhaug, H.; Nordkvelle, J.; Bernauer, T. et al. (2014): One effect to rule them all? A comment on climate and conflict. Climatic Change, Vol. 127, Nr. 3, S. 391-397.

Busby, J. (2020): The Field of Climate and Secur­ity – A Scan of the Literature. New York: Social Science Research Council.

Detges, A. (2018): Drought, Infrastructure and Conflict Risk in Sub-Saharan Africa. Disserta­tion, Berlin: Freie Universität Berlin.

Homer-Dixon, T.F. (1999): Environment, Scarcity, and Violence. Princeton: Princeton University Press.

Hsiang, S.M.; Burke, M.; Miguel, E. (2013): Quantifying the influence of climate on human conflict. Science, Vol. 341, Nr. 6151, S. 1160.

Intergovernmental Panel on Climate Change/IPCC (2007): Climate Change 2007 – Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Fourth Assessment Report of the IPCC. Cambridge: Cambridge University Press.

IPCC (2014): Climate Change 2014 – Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Genf: IPCC.

Sedova, B.; Pohl, B.; König, C. et al. (2020): 10 Insights on Climate Impacts and Peace – A summary of what we know. Berlin und Potsdam: adelphi und Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK) e.V.

Selby, J.; Dahi, O.; Fröhlich, C.; Hulme, M. (2017): Climate change and the Syrian civil war revisited. Political Geography, Nr. 60, S. 232-244.

Tänzler, D.; Scherer, N. (2019): Guidelines for conflict-sensitive adaptation to climate change. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt.

Tubi, A.; Feitelson, E. (2016): Drought and cooperation in a conflict-prone area – Bedouin herders and Jewish farmers in Israel’s northern Negev, 1957-1963. Political Geography, Nr. 51, S. 30-42.

Vivekananda, J.; Wall, M.; Sylvestre, F.; Nagarajan, C. (2019): Shoring up Stability – Addressing Climate and Fragility Risks in the Lake Chad Region. Berlin: adelphi.

Wood, R.M.; Wright, T.M. (2016): Responding to Catastrophe – Repression Dynamics Following Rapid-onset Natural Disasters. Journal of Conflict Resolution, Vol. 60, Nr. 8, S. 1446-1472.

Dr. Adrien Detges ist Senior Advisor beim Berliner Thinktank adelphi, wo er an der Schnittstelle zwischen Klima-, Entwicklungs-, und Sicherheitspolitik forscht und berät. Seine Arbeiten sind unter anderem in den Zeitschriften »Nature Climate Change« und »Journal of Political Geography« erschienen.

Biodiversitätskonflikte


Biodiversitätskonflikte

Eine sozial-ökologische Perspektive

von Thomas Fickel, Robert Lütkemeier, Diana Hummel

Am Umgang mit Biodiversität entzünden sich weltweit Konflikte, die bisher nicht umfassend erforscht und systematisiert wurden, da die Zusammenhänge zwischen Biodiversitätsverlust und gesellschaftlichen Konflikten vielfältig sind (Fickel und Hummel 2019; Scheffran 2018). Der jüngste Bericht des Intergovernmental Panel on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES 2019) prognostiziert, dass der Verlust der globalen biologischen Vielfalt in den kommenden Jahrzehnten dramatisch ansteigen wird. Somit werden gesellschaftliche Konflikte infolge der Degradation oder des Zusammenbruchs von Ökosystemen wohl weiter zunehmen. Die Bewältigung von Biodiversitätskonflikten muss daher sowohl die nachhaltige Lösung von Umweltproblemen als auch die Deeskalation und Bearbeitung von Konflikten zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur*innen einschließen.

Ein wesentliches Merkmal von Konflikten im Bereich der Biodiversität ist die Überlagerung von widerstreitenden Interessen und Einflussmöglichkeiten der beteiligten Parteien, ungleichen Zugängen zu Ressourcen und erheblichen Wertedifferenzen. Biodiversitätskonflikte zeichnet überdies aus, dass sie von fehlendem, unsicherem oder strittigem Wissen über ökologische und sozial-ökologische Prozesse geprägt sind. Dies betrifft die lokalen ebenso wie die globalen Zusammenhänge von gesellschaftlichem Handeln und Biodiversität. Die Bearbeitung und Lösungssuche braucht jedoch dieses Wissen, um zu guten und nachhaltigen Lösungen zu gelangen.

Wir wollen in diesem Artikel zeigen, wie eine konfliktsensible sozial-ökologische und transdisziplinäre Forschung einen Beitrag zum besseren Verständnis von Konflikten um Biodiversität und zu deren Bearbeitung leisten kann. Sozial-ökologische Forschung fokussiert explizit auf die vielfältigen Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft und deren krisenhafte Entwicklungen. Der transdisziplinäre Forschungsansatz ermöglicht es, neben wissenschaftlichem Wissen unterschiedlicher Disziplinen auch das Praxiswissen der relevanten Akteur*innen zusammenzubringen. Durch diesen integrierten, problemorientierten Zugang kann die Forschung ein verbessertes Wissen über die umstrittenen lokalen gesellschaftlichen Naturverhältnisse bereitstellen und so zur Vermittlung in Biodiversitätskonflikten beitragen. Zur Erläuterung werden wir zuerst die Besonderheit des Konfliktfeldes Biodiversität darstellen und anschließend sozial-ökologische Forschung an zwei Fallbeispielen – Konflikte im Kontext des Insektenschutzes in Deutschland und um Wildtiermanagement in Namibia – veranschaulichen.

Konflikte im Feld Biodiversität

Der Begriff Biodiversität bezeichnet keinen eindeutig abgrenzbaren oder direkt greifbaren Gegenstand, sondern umfasst eine Vielzahl von Perspektiven auf die Vielfältigkeit natürlicher Lebensformen und Interaktionen. Weit verbreitet ist die der Artenvielfalt als Vorkommen unterschiedlichster Arten von Lebewesen auf der Erde. Darüber hinaus beschreibt der Begriff die Vielfalt von Genpools innerhalb und zwischen Arten und die Vielfalt unterschiedlicher Ökosysteme auf der Welt, von Regenwäldern bis zu Wüsten. Ein zentrales Thema der Forschung ist die Frage nach der Bedeutung von Biodiversität für menschliche Gesellschaften, auf die verschiedene wissenschaftliche Disziplinen unterschiedliche Antworten geben.

Aus ökologischer Perspektive wird der Wert von Biodiversität als stabilisierender Faktor für Ökosysteme bemessen. Mikroorganismen im Boden z.B. zersetzen organisches Material, und Raubtiere verhindern ein Anwachsen von Beutetier-Populationen. Das komplexe Zusammenspiel unterschiedlichster Tiere und Pflanzen in einem Ökosystem trägt zu dessen Stabilität bei. Sehr bekannt ist die Forschung zu Ökosystemleistungen, die zum Ziel hat, die Bedeutung einer intakten Natur für das menschliche Wohlergehen offenzulegen (MEA 2005). Ein Teil der Forschung versucht, den Nutzen von biologischer Vielfalt in monetäre Werte zu fassen (TEEB 2010). Ein prominentes Beispiel ist die Berechnung des wirtschaftlichen Nutzens der globalen Bestäubung durch Insekten für die Landwirtschaft, der für das Jahr 2015 auf 235-577 Mrd. US$ beziffert wurde (IPBES 2016). Auch der ökonomische Wert von touristischer Wildtierjagd lässt sich so abschätzen. Kulturell ausgerichtete Perspektiven betonen hingegen den symbolischen Charakter von Biodiversität, z.B. ihre Ästhetik oder ihren Erholungswert. In aktuellen Debatten im Rahmen des IPBES-Prozesses wird auch aus nicht-westlichen Perspektiven die Bedeutung von Biodiversität für die eigene Identität, das »gute Leben« und den sozialen Zusammenhalt mit einbezogen (Christie et al. 2019).

Die gesellschaftliche (und individuelle) Bewertung von Biodiversität ist regional und kulturell sehr spezifisch. Mensch-Wildtier-Interaktionen in Namibia sind schwer mit denen in Deutschland zu vergleichen. Und sogar innerhalb Deutschlands unterscheiden sich die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichem Handeln und Biodiversität erheblich, beispielsweise hinsichtlich der Nutzungspraktiken in Schutzgebieten (wie Beweidung, Einsatz von Pestiziden, Umweltbildung). Ökologische und natürliche Funktionsweisen sind untrennbar mit kulturellen Bezugnahmen verbunden (Schramm et al. 2020). Die Soziale Ökologie bezeichnet diese dynamischen Beziehungen zwischen Individuen, Gesellschaft und Natur als gesellschaftliche Naturverhältnisse.

Konflikte im Feld Biodiversität entstehen in der Praxis oft, wenn Ziele des Biodiversitätsschutzes mit anderen Zielen kollidieren, die kurz- oder langfristig zur Degradation oder Zerstörung der Biodiversität führen, oder wenn bestehende lokale Beziehungen zu Biodiversität gefährdet sind. In der englischsprachigen Debatte wird dies als „conservation conflict“ (Redpath et al. 2015) bezeichnet und zeigt sich in unserer Forschung u.a. im Spannungsfeld von Schutz vs. Nutzung von Elefanten bzw. Wildtieren der namibischen Savanne oder beim Schutz von Insektenbiodiversität in deutschen Naturschutzgebieten. Darüber hinaus deuten sich Konflikte an, in denen der Umbau von Ökosystemen (z.B. Forstumbau in Bezug auf Klimawandelanpassung) zu Konflikten führt.

Sozial-ökologische Dimensionen von Biodiversitätskonflikten

Die Betrachtung der unterschiedlichen Bewertungen von Biodiversität ist wichtig, da sie den sozial-ökologischen Charakter dieser Konflikte belegen, was Auswirkungen auf die Konfliktanalyse und -bearbeitung haben kann. Diese müssen im Sinne von Nachhaltigkeit 1. die sozialen/politischen Dimensionen von Konflikten (Interessen, Eskalationsgrad, Diskurse etc.), 2. die Stabilität bzw. den Funktionserhalt von Ökosystemen sowie 3. unterschiedliche gesellschaftliche Bezugnahmen auf und Wechselwirkungen mit Biodiversität berücksichtigen. Um dieses charakteristische Zusammenwirken von »Natur« und »Gesellschaft« für die Konfliktanalyse und Lösungsfindung besser handhabbar zu machen, ist eine systemische Zugangsweise erforderlich.

Zum besseren Verständnis der sozial-­ökologischen Wechselwirkungen in Bezug auf Biodiversität wurde am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung (Frankfurt a.M.) ein Modell sozial-ökologischer Systeme (SES) erarbeitet (Mehring et al. 2017). Es bietet einen analytischen Rahmen und eine Heuristik für die Erforschung von Biodiversitätskonflikten und ermöglicht es, die drei oben genannten Bereiche angemessen zusammen zu betrachten und sowohl disziplinäres wissenschaftliches Wissen als auch lebensweltliches Praxiswissen zu integrieren. Im Zentrum des SES stehen die Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Akteur*innen und Ökosystemfunktionen, die genuin sozial-­ökologische Strukturen und Prozesse hervorbringen. Intendiertes Management (z.B. der Einsatz von Pestiziden) ebenso wie dessen unbeabsichtigte Folgen beeinflussen die Ökosystemfunktionen. Zugleich stellen Ökosystemfunktionen Ökosystemleistungen (z.B. Bestäubung) bereit – oder auch negative Effekte (Disservices), die schädlich für die Akteur*innen sein können (z.B. Zerstörung von Zäunen durch Wildtiere). Die sozial-ökologischen Dynamiken werden durch vier Gestaltungsdimensionen beeinflusst: Wissen (wissenschaftliches und praktisches Wissen, z.B. wildtierbiologische Kenntnisse), Institutionen (formelle und informelle Handlungsregeln, z.B. staatliche Verordnungen), Technologien (z.B. Landmaschinen oder Zäune) und Praktiken (Verhaltensmuster bezüglich der Nutzung von Biodiversität und Ökosystemleistungen, wie Wiesenmahd oder Jagd).

Aus der sozial-ökologischen Perspektive lassen sich Konflikte um Biodiversität nur angemessen verstehen und bearbeiten, wenn die soziale und die ökologische Seite in der Konfliktbearbeitung nicht additiv bearbeitet, sondern die Wechselwirkungen der gesellschaftlichen Naturverhältnisse beleuchtet werden.

Transdisziplinäre Forschung unterstützt Konfliktbearbeitung

Doch wie kann dies gelingen? Um die Mehrdimensionalität von Biodiversitätskonflikten zu untersuchen und zugleich die Anliegen und Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen, ist ein transdisziplinärer Forschungsansatz erforderlich, der es erlaubt, sozialwissenschaftliches mit naturwissenschaftlichem Wissen zu verknüpfen. Doch auch das lokale Praxiswissen der beteiligten Konfliktparteien ist mit in den Forschungsprozess einzubeziehen (Jahn et al. 2012). Die Konfliktbeteiligten vertreten nicht nur als »Stakeholder« unterschiedliche Interessen, sondern verfügen zugleich als »Knowledgeholder« über unterschiedliches Wissen, das zu berücksichtigen ist.

Wir möchten anhand von zwei Biodiversitätskonflikten und damit verbundenen Forschungsprojekten Wege aufzeigen, wie transdisziplinäre sozial-ökologische Forschung den Konfliktbearbeitungsprozess unterstützen kann.

Konflikte im Bereich Insektenschutz in Deutschland

Am Projekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen) lässt sich illustrieren, wie ein transdisziplinärer Forschungsprozess dazu beitragen kann, unterschiedliche Bezugnahmen auf Biodiversität offenzulegen und durch Wissensintegration eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu schaffen. Das Projekt beschäftigt sich mit dem Insektenrückgang in Deutschland. Zugespitzt haben sich damit verbundene Konflikte spätestens seit der öffentlichen Diskussion der »Krefeld-Studie« (Hallmann et al. 2017), die nachwies, dass in deutschen Naturschutzgebieten in den letzten 30 Jahren mehr als 70 % der Biomasse von Insekten verschwunden sind. Die gesellschaftlichen Reaktionen auf diesen Befund waren enorm und gegensätzlich (Fickel et al. 2020). Ein Beispiel ist die bayerische Petition »Rettet die Bienen«, die mit mehr als einer Million Unterschriften Rekorde brach und die Landespolitik zur Überarbeitung des Naturschutzgesetzes drängte. Auf der anderen Seite führten Landwirt*innen deutschlandweit Proteste durch und blockierten deutsche Innenstädte mit großen Landmaschinen. In den Forderungen dieser Bewegungen wurden Insektenschutz, geplante Verbote von Pestiziden, ökonomische Zwänge sowie Anerkennungsdefizite hinsichtlich landwirtschaftlicher Leistungen in der Nahrungsmittelproduktion betont. Zusätzlich wird bei diesem Konflikt wissenschaftliches Wissen unterschiedlich bewertet und die Aussagekraft dieses Wissens für lokale Kontexte in Frage gestellt.

Zur Erarbeitung von Lösungen bieten sich Dialogrunden auf lokaler Ebene an, in denen gemeinsam wissenschaftliche Ergebnisse diskutiert, lokale Bedingungen analysiert und Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. Im Rahmen des DINA-Projekts werden in drei Naturschutzgebieten in Deutschland Dialogformate zum Thema »Insektenmanagement« mit Landwirt*innen, Behördenmitarbeiter*innen und Naturschützer*innen erprobt. Dabei werden die verschiedenen Interessen betrachtet, aber auch die sozial-ökologischen Zusammenhänge, wie das praktizierte Biodiversitätsmanagement, oder der Einfluss von landwirtschaftlichen Praktiken, eingesetzter Technik oder Förderrichtlinien auf die Insektenbiodiversität in den jeweiligen Schutzgebieten mit einbezogen. Die naturwissenschaftlichen Ergebnisse aus dem Projekt werden in die Diskussion eingebracht und diskutiert, um zusammen mit den Akteur*innen eine gemeinsame Wissensbasis zu den lokalen Bedingungen zu schaffen. Der Forschungsprozess selbst erlaubt also nicht nur, die widerstreitenden Interessen offenzulegen, sondern die Beteiligten als »Knowledgeholder« zu adressieren, die sozial-ökologisches Systemwissen haben. Unter Einbezug erfahrener Mediator*innen wird im Prozess Zuhören ermöglicht und somit ein besseres wechselseitiges Verstehen gefördert. Als Ergebnis werden unter Berücksichtigung der Dimensionen Intuitionen, Technologie, Wissen und Praktiken dann Lösungen gesucht, die für alle Parteien umsetzbar sind und im besten Fall Vorteile bringen.

Konflikte um Wildtiermanagement in Namibia

Unser zweites Beispiel zur Veranschaulichung von Biodiversitätskonflikten befasst sich mit der Koexistenz von Menschen und Wildtieren in Namibia. Es zeigt, wie transdisziplinäre Forschung das Wissen unterschiedlicher Akteur*innen über sozial-ökologische Wechselwirkungen nutzen kann, um damit eine Konfliktbearbeitung zu unterstützen.

Im namibisch-deutschen Forschungsverbund ORYCS (Wildtier-Managementstrategien in Namibia, orycs.org) schauen sich die beteiligten Forscher*innen u.a. die unterschiedlichen Perspektiven von Akteur*innen auf Wildtiere der namibischen Savanne an, mit einem speziellen Fokus auf Elefanten. Der Schutz von Biodiversität im Allgemeinen und von Wildtieren im Speziellen ist ein hohes politisches Ziel in Namibia. Die Erfolge der Politik, die insbesondere auf ein Nutzungsrecht an Wildtieren setzt (z.B. Tourismus, Jagd, Fleischproduktion) und damit Anreize zu ihrem Schutz erzeugt, zeigen sich nicht zuletzt in steigenden Populationszahlen. Diese positive Entwicklung führt allerdings auch zu Spannungen zwischen Naturschutz, Landwirtschaft und Tourismus. Während der Naturschutz die steigenden Populationszahlen begrüßt und sie als Zeichen intakter Ökosysteme und einer resilienten Umwelt gegenüber den Folgen des Klimawandels einstuft, sehen insbesondere Landwirt*innen die Situation kritisch. Großlandwirt*innen, die vorrangig Viehwirtschaft betreiben, verspüren deutliche Nachteile, wie häufigere Schäden an Zäunen und Wasserstellen; Kleinlandwirt*innen, die keinen eigenen Grundbesitz haben und sich für ihre Viehwirtschaft die Allmende teilen, klagen über gefährliche Begegnungen zwischen Mensch und Tier. Der Tourismussektor fördert unterdessen wildtierbasierte Managementformen, wie Foto-Safaris. Alle Akteur*innengruppen schieben sich gegenseitig die Schuld für die Zunahme von Konfliktsituationen zwischen Menschen und Elefanten sowie weiteren Wildtierarten, wie Löwen und Hyänen, zu.

Unsere empirischen Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass diese Biodiversitätskonflikte in unterschiedlichen ökonomischen Interessen und moralischen Vorstellungen sowie persönlichen Beziehungen und historisch bedingter sozialer Ungleichheit begründet liegen. Während die traditionelle Viehwirtschaft aufgrund zunehmender Dürren finanzielle Einbußen hinnehmen musste, hat der Tourismus sowohl auf privaten Farmen als auch im Nationalpark großen Erfolg. Beide Strategien schließen sich in unmittelbarer Nachbarschaft jedoch aus, da Wildtiere und ihr Verhalten von den einen als Ökosystemleistung, von den anderen hingegen als etwas Negatives wahrgenommen werden. Parallel schwelen Wertekonflikte im Hinblick auf die Zulässigkeit der Jagd von Wildtieren. Im Hintergrund dieser Diskussionen spielt außerdem die Kolonialgeschichte des Landes eine wichtige Rolle, um gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen weißen und schwarzen Landwirt*innen verstehen zu können.

Es zeigt sich, wie eng die Dimensionen Institutionen, Wissen, Technologien und Praktiken eines sozial-ökologischen Systems zusammenwirken und die Konfliktdynamik prägen. Zur transdisziplinären Bearbeitung dieses komplexen Biodiversitätskonfliktes bietet sich ein breiter partizipativer Ansatz an, um für eine ganze Region ein Konzept zur Förderung der Koexistenz zwischen Wildtieren und Menschen zu entwickeln. Individuelle Lösungen, z.B. der Bau von Schutzzäunen oder das Anlegen künstlicher Wasserstellen, verlagern das Problem eher. Für eine langfristige Lösung bedarf es einer verstärkten gegenseitigen Akzeptanz der Bedürfnisse aller Interessengruppen. Das Projekt unterstützt dies inhaltlich durch die Generierung neuen Wissens, u.a. über das Wanderverhalten der Tiere oder potentielle Managementstrategien, sowie durch die Einbindung der Akteur­*innen in den Forschungsprozess zur Vergemeinschaftung des Wissens.

Ausblick

Biodiversitätskonflikte umfassen einen für die Konfliktanalyse und -bearbeitung relevanten sozial-ökologischen Bereich. Die Soziale Ökologie beansprucht mit ihrem transdisziplinären Ansatz, mit einer vertieften und gemeinsam erarbeiteten Wissensbasis Ansatzpunkte für einen nachhaltigeren Umgang mit Biodiversität und zugleich Wege zur Deeskalation von Konflikten aufzuzeigen. Hier steht die Forschung bislang noch am Anfang. Der analytische Rahmen zur Erforschung von Biodiversitätskonflikten wird am ISOE derzeit in der empirischen Forschung für verschiedene thematische Problemstellungen angewendet und erprobt. Erst auf Basis dieser empirischen Ergebnisse werden sich allgemeinere Aussagen über die Voraussetzungen für Konflikttransformationen im Konfliktfeld Biodiversität treffen lassen.

Für die sozial-ökologische Forschung stellt sich die Aufgabe, die umfangreichen Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung in stärkerem Maße aufzunehmen und vermehrt den Austausch zu suchen und anzubieten. Um die prognostizierten Herausforderungen und sozial-ökologischen Konflikte im Anthropozän zu bewältigen, ist eine bessere Vernetzung und Anschlussfähigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Gemeinschaften – Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung, sozial-ökologische Forschung und Friedens- und Konfliktforschung – dringlicher denn je.

Literatur

Christie, M.; Martín-López, B.; Church, A.; Siwicka, E.; Szymonczyk, P.; Mena Sauterel, J. (2019): Understanding the diversity of values of »Nature’s contributions to people« – insights from the IPBES Assessment of Europe and Central Asia. In: Sustainability Science, Vol. 14, Nr. 5, S. 1267-1282.

Fickel, Th.; Hummel, D. (2019): Sozial-ökologische Analyse von Biodiversitätskonflikten – Ein Forschungskonzept. Frankfurt a.M.: ISOE, Materialien Soziale Ökologie 55.

Fickel, Th.; Lux, A.; Schneider, F.D. (2020): Insektenschutz in agrarischen Kulturlandschaften Deutschlands – Eine Diskursfeldanalyse. Frankfurt a.M.: ISOE, Materialien Soziale Ökologie 59.

Hallmann, C.A.; Sorg, M.; Jongejans, E.; Siepel, H.; Hofland, N.; Schwan, H.; Stenmans, W.; Müller, A.; Sumser, H.; Hörren, T.; Goulson, D.; de Kroon, H. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PloS one, Vol. 12, Nr. 10, e0185809.

Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services/IPBES (2016): The Assessment Report on Pollinators, Pollination and Food Production. Summary for policy makers. Bonn.

IPBES (2019): Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovern­mental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. Brondizio, E.S.; Settele, J.; Díaz, S.; Ngo, H.T. (eds.). Bonn: IPBES secretariat.

Jahn, Th.; Bergmann, M.; Keil, K. (2012): Transdisciplinarity – Between mainstreaming and marginalization. Ecological Economics Nr. 79, S. 1-10.

Mehring, M.; Bernard B. et al. (2017): Halting biodiversity loss – How social-ecological biodiversity research makes a difference. International Journal of Biodiversity Science, Ecosystem Services & Management, Vol. 13, Nr. 1, S. 172-180.

Millennium Ecosystem Assessment/MEA (2005): Ecosystems and human well-being. Synthesis. A report of the Millennium Ecosystem Assessment. Washington, D.C.: Island Press.

Redpath, S.M.; Gutiérrez, R.J.; Wood, K.A.; Young, J. (eds.) (2015): Conflicts in Conserva­tion – Navigating towards solutions. Cambridge: Cambridge University Press.

Schramm, E.; Hummel, D.; Mehring, M. (2020): Die Soziale Ökologie und ihr Beitrag zu einer Gestaltung des Naturschutzes. Natur und Landschaft, 95. Jg.; Heft 9/10, S. 397-406.

Scheffran, J. (2018): Biodiversity and Conflict. Supplementary Contribution to IPBES Global Assessment on Biodiversity and Ecosystem Services.

The Economics of Ecosystems and Biodiversity/TEEB (2010): Mainstreaming the Economics of Nature – A synthesis of the approach, conclusions and recommendations of TEEB; teebweb.org.

Thomas Fickel, Politikwissenschaftler (M.A.), ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsschwerpunktes Biodiversität und Bevölkerung am ISOE – Institut für sozial-­ökologische Forschung, in Frankfurt a.M.
PD Dr. Diana Hummel, Politikwissenschaftlerin, ist Mitglied der Institutsleitung des ISOE und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt Biodiversität und Bevölkerung.
Dr. Robert Lütkemeier, Geograph, ist Ko-Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe »regulate« und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt Wasserressourcen und Landnutzung am ISOE.

Intersektionale Zugänge


Intersektionale Zugänge

3. Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen, Hochschule Rhein-Waal, 16.-17. Juni 2020

von Christine Buchwald, Eva-Maria Hinterhuber, Lena Merkle, Victoria Scheyer und Elke Schneider

Bereits zum dritten Mal luden die Frauenbeauftragten der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) am 16. und 17. Juni zur Tagung »Feministische Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung« ein. Diesmal lag der Fokus auf intersektionalen Zugängen, also auf den Wechselwirkungen, die sich aus unterschiedlichen Differenzkategorien, wie Geschlecht, Ethnizität und Klasse, ergeben. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit der Geschäftsstelle der AFK, angesiedelt an der Hochschule Rhein-Waal, sowie der dortigen Fakultät Gesellschaft und Ökonomie ausgerichtet.

Aufgrund der Corona-Pandemie konnte die Tagung nicht vor Ort stattfinden und wurde virtuell durchgeführt. Das bereits bewährte Format des Work-in-progress-Workshops stand auch diesmal im Fokus, sodass Arbeiten auch in einem frühen Bearbeitungsstadium vorgestellt werden konnten. Um während der Onlinesitzungen genug Zeit für die Diskussion zu lassen, wurde die Tagung angelehnt an das »Flipped Classroom«-Modell gestaltet: Die Vortragenden wurden gebeten, Manuskripte, Podcasts und Videos im Vorfeld bereitzustellen. In der Onlinesitzung lag der Fokus nach einer kurzen Vorstellung des Beitrags mehr auf der beratenden Diskussion.

Durch das Onlineformat nahmen an den vier Panels und der Keynote zum Teil unterschiedliche Personen teil. Im Durchschnitt waren 35 Personen in den Onlinesitzungen.

Im ersten Panel, »Arms, Violence and Gender Roles«, präsentierte Veronika Datzer ihre Arbeit »The Necessity of Gender in (Non-) Proliferation Policy-Making«, in der sie die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive auf die Debatte über die Verbreitung von Atomwaffen beschreibt. Zur Begründung führte sie die Auswirkungen auf und die Rolle von Frauen in Abrüstungsverhandlungen sowie von Männlichkeit in der Politikgestaltung an. Daran anknüpfend präsentierte Jannis Kappelmann seine Überlegungen zu »Nuclear Weapons and Patriarchy – A Gender Perspective on Disarmament«, in denen er auch auf die Konsequenzen von hegemonialer Männlichkeit in der politischen Debatte verwies. Für die Diskussion fragte er unter anderem danach, wie der vorherrschende männliche Habitus dekonstruiert werden könne. Im letzten Vortrag des Panel, »Putting Intersectionality into Peacebuilding Practice – Diversifying Spaces of Options in DDR Discourse« (DDR = disarmament, demobilisation and reintegration; die Red.), ging Celia Schütt auf die Bandbreite an intersektionalen Perspektiven im DDR-Diskurs ein, die es in einem „portfolio of options“ zu integrieren gelte, um allen beteiligten Personen die für sie jeweils notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.

Am Nachmittag folgte ein Panel zu »Transition towards Peace«, in dem Claudia Cruz Almeida in ihrem Beitrag »State-demolishing – The Phenomen of Gender-blind Statebuilding. Sierra Leone Case Study« die Frage stellte, ob der Statebuilding-Prozess in Sierra Leone tatsächlich als Erfolg bezeichnet werden kann, obwohl Frauen von dem DDR-Programm nicht profitiert haben. Dominik Folger ging anschließend in seinem Beitrag »Women and Transition in Tunisia« auf das Konzept der Repräsentation von Frauen ein. Er unterschied dabei zwischen »descriptive representation« und »substantive representation«. In der Diskussion wurden unterschiedliche Möglichkeiten für substantielle Repräsentation betrachtet: über gendersensitive Themensetzungen in den politischen Debatten oder über die von Frauen benannten Zielsetzungen und deren Erreichung. Im Anschluss adressierte Juliana Gonzalez Villamizar in ihrem Vortrag »The Promise and Perils of Mainstreaming Intersectionality in the Colombian Peace Process« die Instrumentalisierung von Intersektionalität durch die kolumbische Wahrheitskommission. Abschließend diskutierte Laura Gerards Iglesias in ihrem Beitrag »Women for Peace but No Piece for Women« einen Vergleich des lokalen Engagements von Frauen in zwei kolumbianischen Regionen. Dabei stellte sie gerade die je eigene intersektionale Verortung als einen wesentlichen Unterschied zwischen den Frauengruppen heraus.

Der erste Tag endete mit der Keynote von Prof. Dr. Tatiana Zimenkova und Dr. Verena Molitor, die über »Executive Power and Sexual Citizenship – Negotiating Loyalities, State-Citizen Relations and Uniforming Sexual Citizenship« sprachen. In ihrer Forschung betrachten sie LGBTQI*-Personen, die im Polizeidienst tätig sind. Diese versuchen, ihre beiden Lebenswelten miteinander zu verknüpfen, einerseits als Teil des staatlichen Systems, andererseits qua sexueller Orientierung und Identität potenziell auch als Teil politischer Bewegungen. In der Diskussion verdeutlichten sie, dass die Identität als Polizist*in für die Beteiligten gewichtiger ist als andere gesellschaftliche Identitätszuschreibungen, wie etwa Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Ethnizität. Das begründen sie damit, dass die Berufsidentität sich auf eine dauerhafte und klar umrissene Gruppe bezieht. Zudem gebe es eine große Loyalität gegenüber der Institution, die gleichzeitig als Familie wahrgenommen werde.

Im Panel »Can the Women, Peace and Security Agenda Work as a Tool for Peace?« beschäftigten sich die Panelistinnen am zweiten Tag aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der UN-Agenda zu »Women, Peace and Security« (WPS). Meike Fernbach vertrat in ihrem Beitrag »Does Protection Lead to Peace? The WPS Agenda and Its Focus on Conflict-Related Sexual Violence« die Perspektive, dass in der Debatte über die WPS-Agenda der Fokus zu stark auf den Schutz von Frauen gelegt werde, indem diese auf ihre Betroffenheit als Opfer von sexualisierter Kriegsgewalt reduziert werden. Ihre These ist, dass der vornehmliche Fokus auf Schutz keinen Frieden bringt, sondern dass hierfür Partizipation und Empowerment von Frauen notwendig seien. Im folgenden Beitrag, »Does Participation Bring Peace? How CSOs Contribute to NAPs Agenda«, ging Amy Herr auf die Rolle von zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) bei der Etablierung und Umsetzung von nationalen Aktionsplänen (NAPs) in Bezug auf die »Women, Peace and Security«-Agenda ein. Amy Herr fragt danach, wie »meaningful participation« dieser Organisationen aussehen kann. Im letzten Beitrag in diesem Panel präsentierte Victoria Scheyer ihre Gedanken zu »Does Security Equal Peace – What Security is the WPS Agenda Talking About?«. Sie argumentierte, dass die WPS-Agenda aus einem Sicherheitsanspruch heraus formuliert ist, der nicht feministisch ist. Die WPS-Agenda unterstütze demnach Militarismus, füge Frauen als Körper, aber nicht deren Perspektiven hinzu und habe den Anspruch, Krieg für Frauen sicherer zu machen, aber nicht, Krieg an sich zu verhindern.

Im letzten Panel, »Epistemology and Knowledge Transfer«, thematisierte Viviane Schönbächler in ihrem Beitrag »Women Journalists Covering Conflicts? An Intersectional Analysis of Media Practices in Proximity Radios in Burkina Faso« ihr Promotionsprojekt, in dem sie analysiert, inwiefern die Beteiligung von Frauen an Radioprogrammen in Burkina Faso die Teilnahme an Konfliktbewältigungsprozessen beeinflusst. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen nutzte sie die Tagebuchmethode für ihre Befragung weiblicher Radio-Journalistinnen. Im letzten Beitrag von Alena Sander, »Feminist Field Research in Times of COVID-19 – Challenges, Innovation and Responsibility«, ging es um die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Da sie ihre Forschung zu jordanischen Frauenorganisationen mit dem Anspruch verknüpft, »research as care« zu leisten, ist es ihr wichtig, ihre Forschung so auszurichten, dass Rücksicht auf die und Anteilnahme an den persönlichen Bedürfnissen ihrer Interviewpartnerinnen gewährleistet werden können. Deren Bedürfnisse verändern sich aber aktuell.

Die Rückmeldungen zum Veranstaltungsformat sowie zu den einzelnen Beiträgen waren durchweg positiv, sodass eine Fortsetzung der Tagungsreihe im kommenden Sommer geplant ist. Ein ausführlicher Tagungsbericht kann auf der AFK-Homepage abgerufen werden (afk-web.de/cms/netzwerk-friedensforscherinnen).

Christine Buchwald, Eva-Maria Hinterhuber, Lena Merkle, Victoria Scheyer und Elke Schneider

Die politischen Facetten des Sports


Die politischen Facetten des Sports

Zwischen Herrschaft und Emanzipation

von Tim Bausch

Der nachfolgende Beitrag thematisiert die politischen Implikationen des Sports. Die damit einhergehende Perspektive wählt die Termini »Herrschaft« und »Widerstand« als begriffliches Fundament. Verschiedene Beispiele, aus ganz unterschiedlichen Sportarten, dienen der Illustration. So wird deutlich, dass Sport sowohl eine Arena mächtiger Interessen als auch widerständiger Praktiken sein kann.

Für viele Menschen ist Sport, vor allem Sportkonsum (etwa bei Fernsehübertragungen und Stadionbesuchen), in erster Linie eine Frage des Vergnügens. Sport dient der Unterhaltung, lässt uns (mit-) fiebern und staunen. Identifikation ist hier ein wesentlicher Mechanismus. Bei den Berg­etappen des Radsportprofis Jan Ulrich, so würde manch einer behaupten, brannten die Oberschenkel einer ganzen Nation. Ich kehre zu diesem Umstand an späterer Stelle zurück. Für andere wiederum ist der Besuch im Fußballstadion eine Weltflucht. Hier können die Fans ihrem Alltag entweichen, hier kann man ein (anderer) Mensch sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Verbindung von Sport und Politik für die meisten Menschen vor allem eins: lästig. Sport sei Sport und Politik sei Politik. So setzt sich eine romantische Vorstellung des modernen Sports fest, die nicht getrübt werden möchte. Etwaige politische Verflechtungen werden systematisch ausgeklammert. Doch bei genauerer Betrachtung kommen vielfach politische Implikationen zum Vorschein. Das eingangs skizzierte romantische Bild, Sport als pure Unterhaltung, bekommt einen Beigeschmack. Sport, so die grundlegende Annahme meines Beitrages, ist ein Teilsystem des Gesellschaftlichen und kann über sozio-politische Dynamiken nicht einfach hinwegsehen. Sport, insbesondere der so genannte Breitensport, ist ein sozialer Spiegel und eben kein illusorischer Fluchtraum.

Nun ist das thematische Feld, das damit eröffnet wird, riesig, und die politischen Facetten des Sports können schwerlich in einem einzelnen Artikel beleuchtet werden. Daher nutze ich im Folgenden zwei Begriffe, die meine Betrachtung sowohl stützen als auch eingrenzen: Ich rekonstruiere die politischen Implikationen des Sports unter den Aspekten von Widerstand und Herrschaft. Darunter verstehe ich institutionalisierte Über- und Unterordnungsverhältnisse (Herrschaft) und Formen und Praktiken, die solche Asymmetrien sichtbar machen und herausfordern (Widerstand). Als thematischer Aufhänger dienen die aktuellen antirassistischen Proteste, insbesondere jene, die mit der Bewegung »Black Lives Matter« in Verbindung stehen.

Der Artikel verfolgt im Wesentlichen das Ziel, das eingangs skizzierte romantische Bild zu demaskieren, und zeigt auf, wieso und weshalb Sport eine geeignete Arena für widerständige Praktiken ist. Die Mixtur von Politik und Sport ist offensichtlich unbequem, aber gerade deswegen so effektiv und sinnig. Doch wie lässt sich diese Ambivalenz erklären?

„I can’t breathe!“ – die Sportwelt kniet

Am 25. Mai 2020 wurde der Afroamerikaner George Floyd während einer Polizeikontrolle ermordet. Die Umstände mögen noch nicht vollumfänglich aufgeklärt sein, und die Gerichtsverhandlung steht erst noch bevor. Dennoch verwende ich bewusst die Formulierung »Mord«. Fakt ist, dass George Floyd unmissverständlich seine Luftnot kommunizierte, während der Polizeibeamte Derek Michael Chauvin, der lebensgefährlichen Situation zum Trotz, minutenlang sein Knie auf den Hals von George Floyd drückte. Chauvins Polizeikollegen schauten dem Ersticken George Floyds zu, ohne mäßigend einzugreifen.

Am Tode George Floyds entzündete sich eine anhaltende Protestwelle gegen Polizeigewalt und Rassismus. Die Proteste erreichten auch den Sport, unter anderem American Football, Basketball und den europäischen Fußball. So gingen etwa Spieler von Borussia Dortmund und Hertha BSC einvernehmlich in den Kniefall. Diese Form des Protestes ist in der Welt des Sports kein neues Phänomen, sondern hat bereits Tradition. Im Jahr 2016 ging der damalige Quarterback Colin Kaepernick (American Football) während der Nationalhymne in die Knie. Andere taten es ihm gleich, was US-Präsident Donald Trump höchst erzürnte – auch dazu an späterer Stelle mehr. Unvergessen sind auch die afroamerikanischen Sprinter Tommi Smith und John Carlos, die sich bei den olympischen Spielen 1968 in Mexico City mit erhobener Faust für die Bürgerrechte Schwarzer Menschen einsetzten. Schon dieser Protest erhitzte die Gemüter. Schauen wir uns also zunächst an, wieso derartige Protestformen solch hohe Wellen schlagen.

Sport, Disziplinierung und Momente der Emanzipation

Bringt man im Kontext des Sports den Terminus »Disziplin« ins Spiel, denken die meisten an einen Überbegriff für spezifische Wettkampfarten. Doch hat das Wort Disziplin im Sport noch eine weitere, oftmals weniger beachtete Bedeutung: Sport übt Disziplinierung aus.

Jede Sportart lebt von klaren Regeln. Sport ist ein Regime, das festlegt, was richtig ist und was falsch. Hinzu kommen Normen, die häufig implizit wirken. Ein naheliegendes Beispiel ist die Vorbildfunktion, die von Sportler*innen erwartet wird. Ein anderer normativer Aspekt, der weit seltener öffentlich verhandelt wird, ist die Heteronormativität im (Herren-) Fußball. Kurz, Sport ist ein Regelungs- und Ordnungssystem, das sowohl subtil als auch manifest die betreffenden Strukturen und Prozesse reguliert.

Das Wort »Regime« ist dem lateinischen Wort »regimen« entlehnt, das mit Leitung bzw. Lenkung, aber auch mit Herrschaft übersetzt werden kann. Erst durch diese regulative Dimension ergibt sich die widerständige Möglichkeit einer Kontrastierung. Handelt ein*e Sportler*in entgegen den Konventionen, erzeugt er*sie unweigerlich Aufmerksamkeit. Jeder »Stolperer« bringt die Liturgie des Sportereignisses für einen kurzen Moment aus dem Takt. Besondere dramaturgische »Fenster« sind die unmittelbaren Momente vor und nach dem Spiel. Hinzu kommt der Aspekt des Zeremoniellen, etwa das Einlaufen der Mannschaften, der Anpfiff, das Singen der Nationalhymne, die Siegerehrung etc. Auch hier tritt die Disziplinierung zutage, denn der*die Sportler*in ist Teil eines größeren Ganzen und soll eine gewisse Demut zeigen. Mit Verstößen gegen das Protokoll, wie von Colin Kaepernick, Tommi Smith, John Carlos und anderen praktiziert, emanzipieren sich die Sportler*innen für einen nachhaltigen Augenblick von dem Regime des Sports. Nachhaltig ist dieser Augenblick, weil ikonische Momente gerade im Profisport immer auch medial rezipiert werden.

Die Medialität des Sports

„Sport ist das wohl effektivste Kommunikationsmedium in der modernen Welt. Er umgeht die verbale oder schriftliche Kommunikation und erreicht ohne Umwege Milliarden Menschen weltweit.“ (Mandela in Maguire 2005)

Die von Nelson Mandela angesprochene globale Reichweite des Sports hat konzeptuelle Implikationen. Sport, hier in seiner kommunikativen Dimension verstanden, prägt soziale Wirklichkeit. Dabei funktioniert Sport im Wesentlichen über Bilder. Im Englischen wird dabei zwischen Pictures und Images unterschieden. Während »Pictures« materialisierte Bilder meint, verweist »Images« auf unsere innere Vorstellungswelt, die eben oftmals bildhaft ist. Die Begriffe verhalten sich ko-konstitutiv zueinander. So führen die unzähligen Bilder (Pictures) des Eifelturms unweigerlich dazu, dass dieser auch unsere innere Vorstellungswelt (Images) dominiert. Schließen wir die Augen und stellen uns Paris vor, wird zumindest bei den meisten der Eifelturm eine Rolle spielen.

Das »Sommermärchen« der Fußballweltmeisterschaft 2006 war auch ein Akt der Imagebildung. Die Welt war, so das Motto der Wochen, »zu Gast bei Freunden«. Deutschland bekam die Gelegenheit, eine offene und tolerante Gesellschaft zu präsentieren. Dass keine zehn Jahre später große Teile derselben Gesellschaft im Kontext von Flucht und Migration rassistische Denkweisen offenlegen, ist zynisch zu verzeichnen. Imagebildung dient aber nicht dem Faktischen, sondern der (politischen) Inszenierung. Sport trägt also zur Konstruktion der Wirklichkeit bei und kann durchaus für eine politische Agenda vereinnahmt werden.

Auch kulturelle Aneignungen, wie sie beispielweise in der National Football League zu finden sind, können brisante Folgen haben. Die »Washington Red­skins«, ein amerikanisches Football-Team, musste sich jahrelang den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen. Selbst eigene Spieler machten auf das problematische Logo des Vereins, einen karikierten Indianer, aufmerksam (Tagesspiegel 2020). Auch der Name »Redskins« (Rothäute) wurde als rassistisch und abwertend kritisiert. Durch die Medialität des Sports und die damit verbundene Reichweite werden Rassismen häufig normalisiert, in diesem Fall war der Protest aber nicht einzudämmen. Mitte Juli teilte der Verein mit, er habe Namen und Logo aufgegeben (Washington Football Team 2020).

Die Medialität des Sports eröffnet also Raum für Images und gleichermaßen für machtvolle Inszenierungen. Dazu nun mehr.

Brot, Spiele und Inszenierungen

Fußballweltmeisterschaft 2018. Moskauer Luschniki-Stadion. Der französische Präsident sorgt für einen ikonischen Augenblick. Im Endspiel zwischen Frankreich und Kroatien kommt es zu einem französischen Jubelmoment. Emmanuel Macron verlässt seinen Platz auf der Ehrentribüne und setzt seine Freude mit vollem Körpereinsatz in Szene. Das Foto, das um die Welt ging, wurde vom Alexei Nikolsky, einem russischen Fotografen, aufgenommen. Wie spontan und natürlich dieser Jubel war, mag dahingestellt sein. Kaum zu bezweifeln ist, dass Macron sich seiner medialen Aufmerksamkeit bewusst gewesen sein dürfte. Die Szene verdeutlicht: Sportgroßveranstaltungen sind ein glamouröses Parkett, das sich zur Vermarktung der eigenen Person anbietet: Macron, der agile Performer, jung, dynamisch und am Puls der Zeit.

Insbesondere autoritäre Regime, wie die Volksrepublik China und die Russische Föderation, nutzen diesen Umstand, um sich in ein günstiges Licht zu stellen und die realen politischen Verhältnisse schönzufärben. Ein besonders tragisches Beispiel sind die olympischen Spiele 1936 im Deutschen Reich. Nazideutschland konnte sich damals, trotz Kritik von verschiedenster Seite, weltpolitisch inszenieren. Darüber hinaus sind solche Veranstaltungen ein innenpolitisches Kapital, das die eigene Machposition stärkt. Dieses innenpolitische Kapital ist gleichermaßen ökonomischer (bspw. Tourismus) und symbolischer Art (bspw. Überhöhung der kollektiven Identität). Gleichwohl regt sich bei solchen Großveranstaltungen auch vermehrt Widerstand, wie die Kritik an der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar verdeutlicht. Human Rights Watch (2018), amnesty international (o.D.) und andere Organisationen äußern nachdrücklich Bedenken, verweisen auf die gravierende Missachtung von Menschenrechten und nehmen dabei auch die Sportfunktionäre in die Pflicht.

Schlussbemerkung

Mit der Idee des modernen Sports sind viele humanistische Werte, wie Teamgeist und Fairness, verbunden. Dies verweist auf die gesellschaftspolitische Funktion des Sports. Dabei ist Sport als Kräftefeld zu verstehen. Die Einflussnahme kann von verschiedensten Seiten kommen. Durch die Kommerzialisierung des Sports wirken häufig wirtschaftliche und politische Interessen, die eher eine Gewinnmaximierung denn eine Gemeinwohlorientierung verfolgen. Gerade durch diesen Widerspruch ist (antirassistischer) Widerstand im Sport so effektiv. Dabei wird die Liturgie des Gewöhnlichen durchbrochen, was von den einen als Störung der Ordnung, von anderen als legitimer Protest wahrgenommen wird. So oder so ist Protest im Sport ein Garant für mediale Aufmerksamkeit.

„Mit großer Macht kommt große Verantwortung“, spricht Spider-Man. Was zunächst irritieren mag, trifft auf den zweiten Blick auch auf Profisportler*innen zu.

Aber zurück zum Anfang: Ich zeigte auf, dass für die Begeisterung beim Sport Identifikation ein wesentlicher Mechanismus ist. Sportler*innen sind Held*innen, diese Aussage ist gleichzeitig überspitzt und wahr. Natürlich haben Profisportler*innen keine Superkräfte, sind einfach Menschen, doch mit ihrer Leistung verrücken sie die Grenzen des Machbaren. In diesem Sinne sind Sportler*innen durchaus Personen mit einer heldenhaften Strahlkraft. Daraus entwächst Verantwortung. Sportler*innen erreichen mit ihren Botschaften möglicherweise mehr Menschen als viele Politiker*innen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Sportler*innen mehr Mensch denn Technokrat*innen sind. Sportler*innen fluchen, weinen und flachsen. Mit anderen Worten: Sportler*innen haben eine authentische Aura – und stehen auch deswegen in der Verantwortung, humanistische Werte hochzuhalten. (Dies gilt im Übrigen auch, weil Sportförderung unter anderem aus öffentlichen Geldern kommt und allein deshalb Sport keinem Selbstzweck dienen darf.)

Ich gebe zu, mein Einstieg, Sport sei für die meisten Menschen Sport und eben nicht Politik, war etwas polemisch. Dies mögen mir die Lesenden nachsehen, diente diese Polemik doch der argumentativen Zuspitzung. Der Redlichkeit halber folgen nun ein paar Lichtblicke:

Viele Sportvereine, gerade auch kleinere, sind sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung sehr bewusst. So setzt sich der Fußballverein »Carl Zeiss Jena« in Kooperation mit der Umweltorganisation Sea Shepherd für den Schutz der Meere und der Meeresbewohner ein. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sich bereits an vielen antirassistischen Kampagnen beteiligt. Und als der rechtsextreme Politiker Alexander Gauland (AfD) den Fußballspieler Jérôme Boateng aufgrund seiner Hautfarbe diskriminierte, ließ das Echo nicht lange auf sich warten. PolitikerInnen fast aller Parteien und Fußballspieler fast aller Mannschaften zeigten sich solidarisch mit Jérôme Boateng. Andererseits ist Jérôme Boateng beliebt. Die Kritik an Mesut Özil, die bei seiner Ablichtung mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan aufkam, war vielfach mit Rassismen gespickt (Stichwort: Özil Ölauge). Mesut Özil ist nicht unbedingt »everybody‘s darling«. Das schmälert den Optimismus, der bei der Causa Boateng aufblühte.

So wirft die Welt des Sports Licht und Schatten zugleich. Sport ist, als Teilsystem des Gesellschaftlichen, ein ambivalentes politisches Kräftefeld. Dieser Umstand stützt die argumentative Stoßrichtung meines Beitrages: Politische Manifestationen im Sport stellen keine Entfremdung dar, vielmehr ist die synthetische Trennung von Sport und Politik die eigentliche Entfremdung.

Literatur

amnesty interational (o.D.): Qatar World Cup of Shame – Migrants building a state-of-the-art stadium for the 2022 football World Cup in Qatar are abused and exploited – while FIFA makes huge profits.

Human Rights Watch (2018): Qatar: Censor­ship Ignores Rights, FIFA Rules – 2022 World Cup Host Should Reform Anti-LGBT Laws. 3.8.2018.

Maguire, J. (2005): Power and Global Sport – Zones of prestige, emulation and resistance. London/New York: Routledge.

Tagesspiegel (2020): Washington Redskins und Cleveland Indians – Trump gegen „Namens­änderung, nur um politisch korrekt zu sein“. 7.7.2020.

Washington Football Team (2020): „We’re retiring our old name – and building a new kind of team. For the upcoming season, we’re calling ourselves the Washington Football Team.“

Tim Bausch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhles für Internationale Beziehungen an der Universität Jena. In seinem Disserationsprojekt arbeitet er zu ästhetischen Widerstandsformen vor dem Hintergrund spezifischer Herrschaftsformen.

Problematische Kriegsmetaphern


Problematische Kriegsmetaphern

Warum wir nicht von einem »Krieg gegen SARS-CoV-2« sprechen sollten

von Marcel Vondermaßen

Kriegsmetaphern sind seit Langem Teil politischer Rhetorik. »Krieg« wurde von führenden Politiker*innen der Armut erklärt (Lyndon B. Johnson, 1964), dem Krebs (Richard Nixon, 1971), Aids, den Drogen, dem Klimawandel … Derzeit wird die Kriegsmetapher zur Mobilisierung gegen eine globale Pandemie genutzt. Im Folgenden wird gezeigt, welcher Nutzen und welche Probleme sich aus ihrer Verwendung ergeben. Insbesondere wird herausgearbeitet, wie problematisch und folgenreich es sein kann, Kriegsmetaphern zu verwenden, wenn das »zu bekämpfende« Phänomen hauptsächlich medizinische und soziale Dimensionen aufweist.

Seit sich SARS-CoV-2 zu einer Pandemie entwickelte, greifen Politiker*innen gerne auf die Kriegsmetapher zurück. „SARS-CoV-2 ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen diesem Virus den Krieg erklären. Das bedeutet, dass die Länder die Verantwortung haben, mehr zu tun, sich zu rüsten und sich zu verstärken,“ stellte UN-Generalsekretär António Guterres fest (15.3.2020). Auch der französische Präsident Emmanuel Macron oder der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte beschwören den Krieg oder fordern, die „ganze Feuerkraft der EU“ (Meiler 19.4.2020) gegen die neuartige Krankheit ins Feld zu führen. US-Präsident Donald Trump erklärte sich selbst zu einem „wartime President“.

Warum die Kriegsmetapher wirkt

Die meisten, die diese Aussagen tätigen, tun dies vermutlich in guter Absicht: Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, ist es notwendig, allen Beteiligten teils drastische Einschränkungen und Umstellungen zuzumuten. Mit der Kriegsmetapher soll der Ernst der Lage beschworen und die Notwendigkeit betont werden, gegen eine Bedrohung von außen zusammenzustehen. Sie ist zur Mobilisierung durchaus geeignet. Wie Forschung im Kontext der Klima­krise zeigt, vermittelt die Kriegsmetapher, im Vergleich etwa zum Bild des »Wettlaufs«, eher die Dringlichkeit einer Lage und motiviert zu Verhaltensänderungen im Alltag (Wehling 27.5.2020).

Dieser Effekt dürfte auch bei der Verbindung von Krieg und Pandemie eintreten, da zwei der wichtigsten Grundlagen für eine Wirksamkeit gegeben sind: Verständlichkeit und Konnektivität. Wenn wir Worte verwenden, dann aktiviert dies in unserem Gehirn nicht nur eine einzelne Bedeutung, sondern einen ganzen Deutungsrahmen (Frame), der verschiedene Bedeutungen, Gefühle und Erinnerungen umfassen kann. Damit eine Metapher wirkt, muss für die Empfänger*innen der Deutungsrahmen, den sie mit der Metapher verbinden, zu der Botschaft passen, die ihnen vermittelt werden soll. Krieg wird von den allermeisten Menschen mit Elend, Tod, Vertreibung etc. assoziiert. Er sollte nur als letztes Mittel geführt und möglichst schnell beendet werden. Krieg stellt eine existentielle Bedrohung dar, die drastische Mittel von Seiten der Exekutive rechtfertigt. Dieser Deutungsrahmen ist fast überall auf der Welt selbsterklärend und verständlich.

Konnektivität meint, dass der Deutungsrahmen der Metapher auch zum Problem passen muss. So dürften zwar Sportmetaphern ähnlich verständlich sein, doch der Vergleich einer globalen Pandemie etwa mit einem Fußballspiel scheint unangemessen. Die Grundlage für die Konnektivität von Krieg und Gesundheit wurde von Robert Koch gelegt, der 1876 eindeutig nachwies, dass ein Zusammenhang zwischen bakteriellen Erregern und Krankheiten existiert. Diese Erkenntnis veränderte den Blick auf Krankheiten grundlegend: Bakterien dringen in den Körper der Erkrankten ein. Die Verbindung von »Plagen« und Seuchen mit anderen Erzählungen, wie einer Strafe Gottes oder einem üblen Schicksal, wurde zurückgedrängt. Dafür etablierten sich zunehmend militärische Sprachmuster, die sich bis heute im Sprachgebrauch finden: Wir bekämpfen die Ansteckungsgefahr, das Immunsystem verteidigt uns gegen Erreger, Medikamente vernichten die Eindringlinge.

Der Kampf gegen Viren und Bakterien ist daher auch kein Krieg im Allgemeinen, sondern ein Verteidigungskrieg. Mit Verteidigungskriegen werden jedoch zusätzliche Bedeutungen verbunden: Bedrohung von außen; gerechtfertigte Verteidigung der eigenen Gemeinschaft, des eigenen Landes, des Eigentums; ein gemeinsames Schicksal aller Angegriffenen. Die Kriegsmetapher dürfte daher die von Wehling und ihren Kolleg*innen nachgewiesenen positiven Effekte einer Mobilisierung auch im Fall der Corona-Pandemie aufweisen, denn die Metapher ist verständlich und gut mit dem Problem zu verbinden.

Ist die Wortwahl in diesem Fall also hilfreich? Um dies zu beurteilen, gilt es die verschiedenen Implikationen zu betrachten, die mit der Kriegsmetapher einhergehen:

Der Feind als äußere Bedrohung – der Staat als Bezugsgröße

Spätestens seit sich Nationen als oberste Organisationsform von Gemeinwesen durchgesetzt haben, wird »Krieg« hauptsächlich als Krieg zwischen Staaten verstanden. Die Landesverteidigung ist eine zentrale Verantwortung staatlicher Gewalt. Die Kriegsmetapher rückt daher den Staat als Akteur in den Mittelpunkt. Dies trifft zusammen mit nationalen Zuständigkeiten, was die Organisation der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung betrifft. Die Berichterstattung in den Medien verstärkt diese Wahrnehmung noch: Die Infizierten, die Gestorbenen und die Gesundeten werden national erfasst; Erfolge und Misserfolge werden in Bezug auf Regierungen und Länder diskutiert und bewertet. Eine Folge dieses nationalstaatlichen Denkens zeigte sich in Europa, als sich die Regierungen entschlossen, den grenzüberschreitenden Verkehr einzustellen, obwohl das Virus bereits in den einzelnen Staaten angekommen war. Diese Logik widerspricht jedoch den Erfordernissen einer globalen Pandemie, die eigentlich Multilateralismus, Transparenz, Solidarität und Kooperation über Grenzen hinweg erfordert.

Die Konzentration auf den Staat als maßgeblichen Akteur kann allerdings nicht nur auf internationaler Ebene Probleme verursachen. Militär-Metaphern implizieren immer auch ein hierarchisches (Top-down-) Verständnis von Führung, obwohl in einer Pandemie vielfach Bottom-up-Netzwerke unverzichtbare Arbeit leisten. Dies beginnt mit Spontanhelfenden und geht über Nachbarschaftshilfen und Tafeln bis hin zu grenzübergreifend arbeitenden Nichtregierungsorganisationen. Diese sind jedoch in Gefahr, aus dem Blick zu geraten, weshalb zentral und von oben verfügte Maßnahmen deren Arbeiten sogar erschweren können. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn in einem harten Lockdown der Einkauf für Nachbar*innen kein legitimer Grund ist, die Wohnung zu verlassen.

Viren sind keine Menschen

Wenn Politiker*innen in der Kriegsmetapher denken, besteht die Gefahr, dass sie Logiken des Krieges anwenden. So impliziert »Krieg« einen klaren, identifizierbaren Gegner und ein klares Ende, sei es durch Kapitulation einer Seite oder Friedensverhandlungen. SARS-CoV-2 hat jedoch keinen Willen. Es wird weder kapitulieren noch verhandeln. In der Kriegslogik bleibt daher als einzige Option die Überwältigung des Gegners, die totale Vernichtung. Alternative Settings, wie zum Beispiel zukünftiges Leben »mit dem Virus« aussehen könnte, sind in einer Kriegslogik schwerer zu diskutieren.

Doch auch die Identifizierung des Virus als Feind ist problematisch. Dadurch, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird, kann schnell »der Andere« selbst zur Bedrohung werden. Übergriffe gegen vermeintliche Chines*innen zu Beginn der Pandemie haben gezeigt, wie schnell aus der Angst vor dem Virus gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit werden kann. Die Kriegsmetapher verstärkt das »Wir vs. Die Anderen«-Denken und damit potenziell auch Aggressionen und Vorbehalte gegen bestimmte Gruppen, wie sich beim Ausbruch von Covid-19 im Mai/Juni 2020 in Göttingen beobachten ließ (vgl. Heisterkamp und Sussebach 2020), anstatt Mitgefühl oder Hilfsbereitschaft auszulösen.

Der Sieg als oberstes Ziel

Es gibt Implikationen, die in einem militärischen Setting durchaus Sinn machen oder sogar überlebenswichtig sind: Gehorsam, Homogenität, Vertrauen in die Kommandostruktur. Militärische Logiken kommen jedoch in zivilen Situationen schnell an ihre Grenzen. Viele Stärken und Verhaltensweisen, die zur Bewältigung der aktuellen Krise und für eine auch zukünftig solidarische Gemeinschaft notwendig sind, finden keinen Platz in Kriegsmetaphern. Individuelle Bedürfnisse, kreative Lösungen, selbständiges In-Verantwortung-Gehen können nicht adäquat abgebildet werden. Die Kriegsmetapher verstärkt den Drang zu einem Sieg über den Feind, dem alles andere unterzuordnen sei. Dazu zählen auch Kritik, Zweifel und Skepsis. Gerade weil die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie extrem waren bzw. sind, sollten sie von einer kritischen Öffentlichkeit begleitet und immer wieder hinterfragt werden. Der Vereinigungsdruck, den eine Kriegsmetapher auslöst, führt leicht dazu, das Infragestellen oder den Widerstand gegen Maßnahmen als Verrat zu diffamieren. Dies ist umso gravierender, da Kriegssituationen den Einsatz extremer Gewalt rechtfertigen. In allen westlichen Gesellschaften erlaubt der Verteidigungsfall weitreichende Eingriffe der Exekutive in das Leben der Bewohner*innen. Selbst Grundrechte, sei es die Versammlungsfreiheit, die Reisefreiheit oder das Recht auf Eigentum, können temporär überschrieben werden.

Die Schwierigkeit, Kritik zu äußern, betrifft auch die Langzeitfolgen, welche Maßnahmen mit sich bringen. Die zahlreichen niemals aufgehobenen Anti-Terror-Gesetzgebungen, die als Antwort auf die Anschläge vom 11.9.2001 erlassen wurden, zeigen, wie wichtig eine kritische Begleitung von Krisenmaßnahmen ist. Maßnahmen, die in einer Krise beschlossen wurden, überdauern in der Regel die Krise, die sie hervorgebracht hat.

Gesundheitsbudget als »Verteidigungshaushalt«

Wird die Sicht auf Gesundheit militarisiert, besteht die Gefahr, dass das Gesundheitsbudget als »Verteidigungsbudget« angesehen wird, was Folgen für die Priorisierung innerhalb des Gesundheitswesens hat: „Man neigt dazu, der Gesundheitsfürsorge (insbesondere der medizinischen Versorgung) Vorrang vor anderen Gütern einzuräumen. Innerhalb der Gesundheitsfürsorge wird der Intensiv­pflege Vorrang vor der präventiven und Chroniker- Versorgung gegeben. Tödliche Krankheiten werden eher angegangen als Krankheiten, die Behinderungen hervorrufen; technologischen Interventionen wird Vorrang vor weniger technischen Eingriffen gegeben. Eher wird eine heroische Behandlung sterbender Patienten durchgeführt, anstatt sie in Frieden sterben zu lassen.“ (Childress 2001, S. 189)

Viele der von Childress vorgebrachten Punkte lassen sich auch heute im Gesundheitswesen beobachten, sei es die Marginalisierung von Prävention, die hohe Priorisierung technologischen Fortschritts im Vergleich zur Care-Arbeit oder das Aufblähen des Gesundheitssektors zu Lasten anderer sozialer Güter. Hier braucht es eine kritische Diskussion, ob diese Effekte gewünscht werden – eine Diskussion, die wiederum durch die Kriegsrhetorik eher erschwert als gefördert wird.

Das Krankenhaus als Front

Wer die Bemühungen rund um die Corona-Pandemie in ein Kriegssetting versetzt, kommt nicht umhin, Krankenhäuser als Front im Kampf gegen das Virus zu sehen. Dies macht das Personal zwangsläufig zu Frontkämpfer*innen. Diese Bezeichnung des Krankenhauspersonals ist sicherlich anerkennend gemeint, doch auch in diesem Fall zeigen sich Schattenseiten. Zwar werden Soldat*innen gerne als Hero*innen verehrt, die ihr Land verteidigen, fester Bestandteil von Kriegserzählungen ist allerdings das Opfer: Der Sieg im Krieg wird nicht ohne Opfer errungen, und Opfererzählungen dienen oft sogar der Motivation der noch Kämpfenden (»Das Opfer unserer Kameraden darf nicht umsonst gewesen sein!«). Die Versorgung von Patient*innen folgt jedoch der entgegengesetzten Logik. Ein funktionierendes Gesundheitswesen vermeidet gerade die Notwendigkeit, für ein höheres Ziel Menschen zu opfern. So ist die Anwendung der Triage sicheres Zeichen eines überforderten Systems. Darüber hinaus hat sich das Krankenhauspersonal nicht willentlich dazu verpflichtet, bei der Arbeit das eigene Leben zu riskieren. Der Einsatz in der Pandemie, sich oftmals mit mangelnder Schutzausrüstung um hoch ansteckende Patient*innen zu kümmern, geht weit über das Berufsprofil hinaus. Die Wahrnehmung als Soldat*innen kann den die Grenzen der Pflicht deutlich übersteigenden Charakter dieses Einsatzes sogar verschleiern und normalisieren.

Die Kriegsmetapher betrifft auch die Erkrankten. Der Kampf gegen das Virus macht den Körper zum Schlachtfeld. Wie problematisch es ist, Kriegsmetaphern auf Krankheiten anzuwenden, lässt sich eindrucksvoll bei Susan Sontag in »Krankheit als Metapher« (1978) nachlesen. Sie schildert darin, wie ihre eigene Krebsbehandlung von Kriegsrhetorik begleitet wurde: Ziel ist die Vernichtung der Krankheit; es müssen dafür Opfer (gesunde Zellen) gebracht werden; Aufgeben ist keine Alternative; gewisses Leid und extreme Maßnahmen sind notwendig (S. 74).

Es besteht die Gefahr, dass im Zuge dieses Kampfes vergessen wird, worum es in der Behandlung letztlich geht. Der Verzicht auf invasive Maßnahmen ist kein schmachvoller Rückzug, der Tod nicht in jedem Fall die möglichst lange herauszuzögernde, absolute Niederlage. „Es geht nicht um Tapferkeit, es geht um Würde.“ (Stöcker 2020) In einer Kriegslogik gehen Mahnungen leichter unter, wie die von Palliativmediziner*innen, wenn sie darauf dringen, der Möglichkeit eines würdevollen Sterbens an Covid-19 mehr Raum zu geben.

Fazit: Kriegsmetapher vermeiden

Die Corona-Pandemie ist eine Krise, die klare Vorgaben und Vorschriften braucht. Sie ist aber auch eine Krankheitswelle, die andere Bilder und Vergleiche als die mit Kriegshandlungen benötigt. Ein Fokus auf Kriegsmetaphern verhindert, dass wir den gesellschaftlichen Blick auf jene Werte legen, die zur Bewältigung der Krise unverzichtbar sind: Eigenverantwortung, Fürsorge, Empathie, Kritikfähigkeit. Die Corona-Krise, in all ihren Facetten, darf nicht militarisiert, sie muss, im Gegenteil, zivilisiert werden.

Literatur

Childress, J.F. (2001): The War Metaphor in Public Policy – Some Moral Reflections. In: Ficarrotta, J.C. (ed.): The Leader’s Imperative – Ethics, Integrity, and Responsibility. West Lafayette: Purdue University Press, S. 181-197.

Guterres, A. (2020): Wir müssen diesem Virus den Krieg erklären. Süddeutsche.de, 15.3.2020.

Heisterkamp, L.; Sussebach H. (2020): 18 Stockwerke Stigma. DIE ZEIT, No.25, 10.6.2020, S. 3.

Meiler, O. (2020): Premier Conte fordert „ganze Feuerkraft der EU“. Süddeutsche.de, 19.4.2020.

Sontag, S. (1978): Krankheit als Metapher. München, Wien: Hanser.

Stöcker, C. (2020): Das hier ist kein Krieg. SPIEGEL Online, 5.4.2020.

Wehling, E. (2020), Krieg gegen Corona – die Macht der Worte. After Corona Club, NDR Doku, 27.5.2020; https://youtu.be/xm-­uZpr4nkk.

Dr. Marcel Vondermaßen ist Akademischer Mitarbeiter am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen und Mitorganisator des Graduierten-Netzwerks »Zivile Sicherheit«.

Eine Kurzversion dieses Textes wurde am 2.4.2020 im Blog »Bedenkzeiten« veröffentlicht (uni-tuebingen.de/de/174903).

COVID-19 und Frieden

COVID-19 und Frieden

Wie sich die Pandemie auf den Frieden auswirkt

von Institute for Economics & Peace

Das in Sydney ansässige Institute for Economics & Peace (IEP) erstellt seit 2008 jährlich einen »Global Peace Index« und versucht darin, eine Bemessungsgrundlage für die Friedfertigkeit von Ländern auf der ganzen Welt aufzustellen. Außerdem wurde ein »Positive Peace Index« entwickelt, um Haltungen, Institutionen und Strukturen zu vermessen, die nötig sind, um friedliche Gesellschaften zu schaffen und zu bewahren. Außerdem werden Peace-­Indizes zur Verfügung gestellt für Mexiko, das Vereinigte Königreich und die USA und zum globalen
Terrorismus. Im Juni 2020 wurde zusätzlich ein Peace Index zusammengestellt, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den globalen Frieden abzuschätzen.1 W&F dokumentiert aus diesem Bericht die Zusammenfassung (S. 2) sowie eine Übersichtstabelle (S. 4), um einen Eindruck zu vermitteln, wie friedensrelevante Bereiche von COVID-19 betroffen sind.

  • Der sozioökonomische Faktor, der am unmittelbarsten mit der Anzahl von COVID-19-Infektionen korreliert, ist das Ausmaß des Flugverkehrs. In Frankreich, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den USA gibt es mit die höchsten Flugverkehrsraten weltweit.
  • Die Pandemie hat die Spannungen zwischen den USA und anderen Ländern, wie China, erhöht; dabei geht es um die Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Handelskonflikte und die Herkunft des Virus. Die Spannungen werden angesichts der anhaltenden Konjunkturschwäche wahrscheinlich weiter zunehmen.
  • Die meisten Indikatoren im Global Peace Index werden sich voraussichtlich verschlechtern. Der Bereich, der sich [unter Friedensgesichtspunkten; R.H.] positiv entwickeln könnte, sind die Militärausgaben, wenn die Länder Finanzmittel umlenken, um ihre Wirtschaft zu stützen.
  • Es steht zu erwarten, dass in Europa die politische Instabilität wächst, einschließlich Unruhen und Generalstreiks, die bereits im vergangenen Jahrzehnt zunahmen.
  • Kürzungen bei der Entwicklungs­hilfe werden fragile und von Konflikten betroffene Staaten zusätzlich belasten, z.B. Liberia, Afghanistan, Burundi und Südsudan, die in hohem Maße auf internationale Hilfsgelder angewiesen sind.
  • Länder mit schlechter Bonität, wie Brasilien, Pakistan, Argentinien und Venezuela, können möglicherweise nicht mehr genug Geld leihen, um die konjunkturelle Erholung zu unterstützen, was zu einem Anstieg von politischer Instabilität, Unruhen und Gewalt führt.
  • Bei schrumpfender Wirtschaft wird es den Ländern schwerer fallen, ihre vorhandenen Schulden zurückzuzahlen. Die Kombination von Verschuldung und schwacher Wirtschaft führt absehbar zu einem Anstieg von Armut, politischer Instabilität und gewalttätigen Demonstrationen. Libanon kann seine Anleihen nicht mehr bedienen, was zum Zusammenbruch der Wirtschaft und zu gewalttätigen Straßenkämpfen führt.
  • Der Welt fehlt ein glaubwürdiges Konzept für den Umgang mit dieser Krise. Die Folgen schärfen voraussichtlich den Blick auf andere sozioökonomische Faktoren, die schon länger gären, wie die wachsende Ungleichheit der Vermögensverteilung, schlechtere Arbeitsbedingungen in entwickelten Ländern und die zunehmende Entfremdung vom politischen System.
  • Der massive Sturz der Ölpreise wird sich auf politische Systeme im Nahen Osten auswirken, insbesondere in Saudi-Arabien, Irak und Iran, was zu einem Zusammenbruch der Schieferölindustrie in den USA führen kann, sofern die Ölpreise nicht zum vorherigen Niveau zurückkehren.
  • Die Pandemie könnte Iraks Fähigkeit beschränken, Aufstände des »Islamischen Staates« zu bekämpfen.
  • Viele Länder werden Schwierigkeiten haben, teure Interventionen zu finanziert. Beispiele sind Saudi-Arabiens Unterstützung der Regierung des benachbarten Jemen, die türkische und russische Unterstützung in Syrien oder Irans Unterstützung für Milizen, wie die Hisbollah.
  • Iran hat gewarnt, die Pandemie sei eine Bedrohung für seine innere Sicherheit, da sie die Folgen der von den USA angeführten Sanktionen verstärke.
  • Die Pandemie und der schwache Ölmarkt verschlimmern die humanitäre Krise und die innere Sicherheit in Venezuela. Pandemiebedingt schlossen außerdem Kolumbien, Brasilien und andere Länder ihre Grenzen zu Venezuela, was für schutzbedürftige Venezolaner*innen zusätzliche Härten mit sich bringt.
  • Mit schrumpfender Wirtschaft in den OECD-Ländern2 werden voraussichtlich mehr Regierungen ihre Beiträge für UN-Peacekeeping-Missionen kürzen.
  • Der Wirtschaftsabschwung wird sich negativ auf die Ernährungssicherheit auswirken. Schon vor Beginn der Pandemie waren 113 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. In Ländern wie Venezuela, Burundi und Jemen wird die Nahrungsmittelknappheit zunehmen.
  • In den USA, Deutschland, Frankreich und Polen gibt es Proteste gegen die Lockdown-Regeln. Millionen Brasilianer*innen demonstrierten in Sao Paulo und Rio de Janeiro gegen den Umgang ihrer Regierung mit der Pandemie.
  • Gefängnisausbrüche wurden aus Venezuela, Brasilien und Italien berichtet, wo Häftlinge mit Gewalt auf die neuen Einschränkungen reagieren, die wegen COVID-19 verhängt wurden.
  • Drogenhandel und andere Formen von Kriminalität sanken vorübergehend aufgrund der Distanzregeln überall in der Welt. Dafür steigen die Fälle von häuslicher Gewalt, Selbstmord und psychischen Erkrankungen.
  • OECD-Länder, die aufgrund funktionierender Regierungen im »Positiver-Frieden-Index« weiter oben rangieren, sind in der Lage, einen höheren Anteil ihrer Bevölkerung auf COVID-19 zu testen.
Index Bereich Indikator Erwartete Auswirkung Anmerkung

Globaler Friedensindex

Sicherheit [Safety und Security]
Zugang zu Kleinwaffen Verschlechterung Waffenkäufe in den USA steigen während der Pandemie.
Politische Instabilität Verschlechterung Wachsende wirtschaftliche Unsicherheit führt zu Druck auf die Regierungen. In Europa ist ein Anstieg von Unruhen und Generalstreiks zu erwarten, die bereits im vergangenen Jahrzehnt erheblich zugenommen haben. In Libanon kam es zu gewalttätigen Demonstrationen aufgrund der Nahrungsmittelknappheit und der Unfähigkeit der Regierung, Anleihen zu bedienen.
Politischer Terror Voraussichtliche Verschlechterung Die politische Instabilität aufgrund der Wirtschaftskrise wird dazu führen, dass manche Regierungen die Repression verschärfen; andere werden die Lockdowns nutzen, um persönliche Freiheiten gesetzlich einzuschränken.
Gewalttätige Demonstrationen Verschlechterung Proteste gegen Lockdown-Maßnahmen gibt es bereits in der EU, in den USA, in Brasilien und im Nahen und Mittlere Osten.

Bestehender Konflikt
Intensität von internem Konflikt Unsicher Bei sinkender humanitärer Hilfe wird es wahrscheinlicher, dass das entstehende Machtvakuum zu Spannungen führt oder diese verstärkt.
Beziehungen zwischen Nachbarländern Unsicher Wachsende Spannungen zwischen den USA und China und Abhängigkeiten bei den Lieferketten werden andere Länder dazu veranlassen, ihre bisherigen internationalen Kooperationen zu überprüfen. Der Handel wird sinken.

Militarisierung
Finanzierung von UN-Peacekeeping-Missionen Deutliche Verschlechterung Mit schrumpfender Wirtschaft in den OECD-Ländern werden voraussichtlich mehr Länder ihre Beiträge für UN-Peacekeeping-Missionen kürzen.
Militärausgaben in Prozent des BIP Unsicher Der Anteil der Militärausgaben wird vermutlich sinken, wenn Regierungen, besonders in OECD-Ländern, Finanzmittel umlenken, um ihre Wirtschaft zu stützen.
Gute Beziehungen zu Nachbarländern Besucher pro 100.000 Einwohner*innen Deutliche Verschlechterung Es wird viele Jahre dauern, bis der globale Tourismus wieder das Niveau von 2019 erreicht.
Positive wirtschaftliche Rahmenbedingungen BIP pro Kopf Deutliche Verschlechterung Die globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden bei schrumpfender Wirtschaft leiden. In einigen Ländern wird die Wirtschaft zusammenbrechen aufgrund von Kreditausfällen (Libanon), fehlenden Kreditmöglichkeiten (Brasilien) oder hoher Inflationsrate (Argentinien).

Positiver Friedensindex
Hohes Niveau an Humankapital Jugend nicht in Arbeit, Schule oder Ausbildung Deutliche Verschlechterung Unmittelbar wurden die Sektoren am stärksten von der schrumpfenden Wirtschaft getroffen, in denen junge Menschen arbeiten. Hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen erhöht die Wahrscheinlichkeit von Gewalt.
Gerechte Verteilung der Ressourcen Armutsquote bei 5,50 US$ pro Tag Deutliche Verschlechterung Die global sinkende Wirtschaft und die Unterbrechung der Handelsströme wird in den meisten entwickelten und Schwellenländern die Armutsquote erhöhen.
Akzeptanz der Rechte anderer Gruppenbezogene Beschwerden Deutliche Verschlechterung In vielen Ländern wächst die Feindseligkeit gegen Minderheiten, insbesondere gegen Menschen chinesischer Herkunft.

Tab. 1: Voraussichtliche Entwicklung beim Globalen Friedensindex und beim Friedensindex durch die COVID-19-Pandemie

Anmerkung

1) Die »Peace Index«-Berichte stehen auf ­visionofhumanity.org online.

2) OEDC = Organisation for Economic Co-oper­ation and Development; dt. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Übersetzt von Regina Hagen.

Krieg und Krisen in Corona-Zeiten


Krieg und Krisen in Corona-Zeiten

von Stefan Peters und Emily Ritzel

Das Corona-Virus wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf viele wirtschaftliche, soziale und politische Krisen. Abseits des Interesses der Weltöffentlichkeit bedeutet die Pandemie – allen Friedensappellen zum Trotz – für viele Krisengebiete im Globalen Süden eine Stärkung von Gewaltakteuren und die weitere Verschlechterung der humanitären Situation der Zivilbevölkerung. Die Corona-Pandemie ist zweifellos eine Ausnahmesituation, doch neue globale Krisen sind bereits absehbar, allen voran die Klimakrise. Die Internationale Politik muss bereits jetzt Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen und internationale Kooperationen sowie zivile Friedens­politiken stärken, um den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts adäquat begegnen zu können.

Heute gibt es nur ein Thema: Corona-Virus! Kein Land wird von der Pandemie verschont. Doch auch wenn uns alle der gleiche Sturm trifft, sitzen wir nicht im selben Boot. Der Fokus der Pandemie hat sich in den letzten Wochen zunehmend in den Globalen Süden verlagert.1 Hier trifft das Virus die historisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen auf dem Land oder in den städtischen Armenvierteln mit besonderer Wucht. Viele der Schutzvorkehrungen, wie regelmäßiges Händewaschen und physische Distanz, sind für diese Bevölkerungsgruppen in der Regel ebenso illusorisch wie die Hoffnung auf einen Test oder im Falle eines schweren Krankheitsverlaufs die Aussicht auf ein Beatmungsgerät.

Noch einmal deutlich dramatischer stellt sich die Situation in den Krisengebieten der Welt dar. Legt man die offiziellen Zahlen zugrunde, scheinen viele Konflikt- und Krisenstaaten bisher zwar noch weitgehend von der Pandemie verschont geblieben zu sein. Und tatsächlich kann die geringere Verbindung zum Rest der Welt die Ausbreitung des Virus verlangsamen – aufhalten wird sie die Pandemie dennoch nicht. Darüber hinaus sind die Zahlen trügerisch, die Dunkelziffern gerade in Krisengebieten enorm hoch. Zudem haben die häufig zitierten Daten der Johns Hopkins University eine weitere Schwachstelle: Sie fokussieren sich aus naheliegenden Gründen auf die Infektionszahlen. Die Pandemie bedeutet jedoch im Globalen Süden und insbesondere in den Krisenstaaten in erster Linie eine soziale und humanitäre Krise, die schnell im wahrsten Sinne existenzbedrohend werden kann. So ist die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten gerade in vielen Krisengebieten nicht gesichert, internationale Organisationen gehen von wachsendem Hunger aus, und die humanitäre Situation in den Flüchtlingslagern, etwa im Nahen Osten, in Ostafrika, aber auch an den europäischen Außengrenzen, ist oft katastrophal.

Keine Atempause: Konflikt­regionen in der Corona-Zeit

Zu Beginn der Pandemie gab es optimistische Stimmen, die prognostizierten, dass die Kraft des Corona-Virus zwar ganze Volkswirtschaften lahmlegen, aber auch die bewaffneten Konflikte auf der Welt stoppen oder zumindest eindämmen könnte. Barry Posen sah sogar ein Möglichkeitsfenster für eine „Pax Epidemica“ (Posen 2020). Diese Hoffnungen waren nicht gänzlich unbegründet: Als die Pandemie ausbrach, plädierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres eindringlich für einen globalen Waffenstillstand und stieß damit durchaus auf Widerhall innerhalb der internationalen Politik. Zudem haben Konfliktparteien aus zwölf Staaten von Kolumbien bis zu den Philippinen temporäre Waffenstillstände angekündigt und teilweise auch umgesetzt.

Doch mittlerweile wurden diese optimistischen Zukunftsszenarien von düsteren Realanalysen verdrängt. Selbstverständlich sind Verallgemeinerungen problematisch, und es müssten jeweils die lokalen Konfliktdynamiken in den Blick genommen werden. Dennoch: Eine Gesamtschau legt den Schluss nahe, dass die Pandemie nicht zu einer Eindämmung von kriegerischen Handlungen auf der Welt beigetragen hat.

Die Gründe hierfür sind vielfältig: So konnte sich der UN-Sicherheitsrat erst nach einem dreimonatigen Machtkampf auf eine entsprechende Resolution einigen (siehe dazu ausführlicher »Im Auge des Sturms« von Anna Holzscheiter auf S. 28). Am Ende überwog die Erleichterung, dass dies überhaupt gelang. Friedenspolitische Erfolge werden von dem Papier kaum erwartet. Die Großmächte haben andere Prioritäten, und wachsende Spannungen zwischen den Vetomächten lassen für die Zukunft kaum eine Blüte internationaler Zusammenarbeit erwarten. Aktuell erleben wir die Kluft zwischen der UN-Resolution einerseits und der kriegerischen Realpolitik andererseits, etwa mit Blick auf die zunehmende Internationalisierung des Krieges in Libyen infolge des Eingreifens der Türkei und Ägyptens. Hinzu kommt, dass humanitäre Überlegungen für die meisten Konfliktakteure irrelevant scheinen; selbst Gesundheitspersonal gerät bisweilen ins Fadenkreuz der Gewaltakteure.

Oft folgten Waffenstillstände eher taktischen Gründen und hatten kaum spürbare Auswirkungen. In der Zentralafrikanischen Republik wurde ein vorübergehender Waffenstillstand bald wieder gebrochen, und in verschiedenen Ländern Sub-Sahara-Afrikas scheinen islamistische Terrororganisationen, einschließlich des »Islamischen Staates«, die Pandemie zu nutzen, um sich militärische Vorteile und Propa­gandaerfolge2 zu verschaffen. Im Jemen verkündete Saudi-Arabien angesichts der hohen Kosten des Krieges einen Waffenstillstand, der jedoch nicht zu einer Eindämmung des Konfliktgeschehens führte; Anfang Juli wurde die saudische Regierung für einen Bombenangriff mit mehreren toten Zivilisten verantwortlich gemacht. In Kolumbien hat die Guerillaorganisation »Ejército de Liberación Nacional« (ELN, Nationale Befreiungsarmee) ihren einseitigen temporären Waffenstillstand nicht verlängert und stößt mit ihren Vorschlägen für einen beidseitigen Waffenstillstand bei der Regierung von Präsident Duque bisher auf taube Ohren. In Teilen des südamerikanischen Landes hat sich die Sicherheitslage merklich angespannt. Bewaffnete Gruppen konnten ihre Kontrolle über ländliche Regionen konsolidieren oder ausbauen. Gerade in den abgelegenen Gebieten des Landes nehmen auch Vertreibungen und Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen erneut zu, und der international vielbeachtete kolumbianische Friedensprozess wirkt sich in vielen Landesteilen kaum aus.

Diese Liste der Fälle fortwährender Konflikte trotz der Corona-Pandemie ließe sich leicht verlängern. Es kann kaum überraschen, dass sich die komplexen Konfliktkonstellationen durch das Coronavirus nicht auflösen. Ein Frieden durch die Pandemie ist folglich nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Zukunftsaussichten erscheinen düster: Die Krise droht die finanziellen Ressourcen für internationale Friedenseinsätze drastisch zu reduzieren und Konfliktursachen zu verschärfen.

Krieg in Zeiten der Corona-Pandemie

Kriege sind immer auch humanitäre Katastrophen. Hauptleidtragend ist die Zivilbevölkerung. Besonders stark betroffen sind vulnerable Gruppen wie Frauen und Kinder. Das Corona-Virus führt uns aktuell die dramatischen sozialen Folgen des Krieges vor Augen. Die meisten Konfliktschauplätze sind durch eine verarmte und ausgezehrte Bevölkerung, kollabierte Sozial- und Gesundheitssysteme sowie eine bestenfalls fragile Versorgung der Bevölkerung charakterisiert. Die Corona-Pandemie trifft hier bereits auf eine humanitäre Notlage. Eine weitere Zuspitzung der sozialen Situation durch das Virus ist absehbar.

Besonders besorgniserregend stellt sich die Situation etwa in Somalia und im Jemen dar. In Somalia war bereits in der Vergangenheit ein Drittel der circa 15 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Dürren und Überschwemmungen haben diese Situation weiter verschärft, und eine Heuschreckenplage droht den Hunger noch auszuweiten. Dennoch besteht die Gefahr, dass die al-Shabaab-Miliz die Verteilung von Hilfsleistungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten – wie bereits in der Vergangenheit geschehen – zurückweisen wird. Doch die Notlage der Zivilbevölkerung beschränkt sich nicht auf die Nahrungsmittelversorgung. Der Großteil der Menschen ist dem Virus fast vollkommen schutzlos ausgeliefert. Im Land fehlt es an den grundlegenden Voraussetzungen für die Einhaltung von Hygienestandards und Maßnahmen des »physical distancing«. Folglich gehen somalische Experten von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die Folgen der Ausbreitung des Corona-Virus müssen als katastrophal eingeschätzt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft das somalische Gesundheitssystem als eines der prekärsten der Welt ein. Auf 1.000 Einwohner*innen kommen 0,028 Ärzt*innen (zum Vergleich: Deutschland 4,2 Ärzt*innen/1.000 Einwohner*innen). Das Land verfügt über 25 Intensivbetten und nur ein Beatmungsgerät, das ein junger Mechaniker im Zuge der Corona-Pandemie erfunden und produziert hat. Zudem gibt es auch Hinweise auf eine Zunahme gender-basierter Gewalt und insbesondere der Genitalverstümmelung seit Beginn der Pandemie. Insgesamt ist eine deutliche Zuspitzung der Notlage der Bevölkerung zu befürchten. Damit ist die Gefahr verbunden, dass sich mehr Menschen der al-Shabaab-Miliz anschließen und die Terrormiliz gestärkt wird.

Eine ähnliche Situation findet sich auch im Jemen. Internationale Hilfsorganisationen warnen eindringlich vor einer massiven Verschlechterung der humanitären Lage. Das Corona-Virus trifft im Jemen auf eine durch Tod, Krankheit und Vertreibung gebeutelte Bevölkerung und stellt eine massive Bedrohung für die Menschen dar. Mehr als 80 Prozent der etwa 30 Millionen Einwohner*innen des Landes sind auf humanitäre Hilfe, wie Lebensmittel und medizinische Versorgung, angewiesen, über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. Zudem brach 2017 im Jemen die weltweit schlimmste Cholera-Epidemie aus, die je dokumentiert wurde. Aktuell droht dem Land eine massive Hungerkatastrophe. Hinzu kommt, dass ein Großteil der ohnehin prekären Gesundheitsinfrastruktur im Zuge des international weitgehend vergessenen Krieges zerstört wurde und das Gesundheitspersonal meist ohne entsprechende Schutzkleidung arbeiten muss.

Die Vereinten Nationen bezeichnen den Krieg im Jemen als schwerste humanitäre Krise der Gegenwart. Mit der Corona-Pandemie wird sich die Lage weiter verschlechtern. Zwar wurden Anfang Juni auf einer internationalen Geberkonferenz Hilfsgelder zugesagt, diese werden jedoch als unzureichend kritisiert. Zudem verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für die Hilfsorganisationen.

Im Allgemeinen ist bereits jetzt absehbar, dass die Corona-Pandemie in vielen Konfliktregionen eine soziale Zeitbombe darstellt und einen Teufelskreis begründen wird. Die Notlage erhöht in vielen Ländern die Gefahr neuer Konflikte und erleichtert die Rekrutierung neuer Kämpfer*innen. Diese Dynamiken erschweren nicht nur die Bearbeitung der Corona-Krise, sie drohen eine Gewaltspirale zu beschleunigen und stellen zudem eine schwere Hypothek für die Zeit nach der Pandemie dar.

Friedensorientierte Politik in Corona-Zeiten

Trotz dieser düsteren Aussichten bietet die Pandemie auch Chancen. Die aktuelle Krise provoziert Reflektionen über den Zustand der internationalen Politik und erfordert konkrete Vorschläge für die Neugestaltung der Weltpolitik.

  • Erstens braucht es eine konsequente Stärkung der multilateralen Zusammenarbeit: Das Virus lässt sich von Grenzen nicht beeindrucken, und der Rückzug in nationale Schneckenhäuser ist weder gesundheits- noch friedenspolitisch ratsam.
  • Zweitens braucht es schnelle humanitäre Hilfen für die Bevölkerung in den Krisenregionen. Die Appelle für mehr Menschlichkeit der Politiker*innen sind nur dann glaubwürdig, wenn sie auch durch ein entsprechendes finanzielles und politisches Engagement flankiert werden. Die Maßnahmen könnten durch eine Reduzierung der Militärausgaben finanziert und von einer Verschärfung der Richtlinien für Waffenexporte begleitet werden.
  • Schließlich darf der Fokus der internationalen Politik in der Corona-Krise nicht allein auf humanitäre Hilfe für die Konfliktregionen gelegt werden. Die Corona-Krise stürzt die Staaten des Globalen Südens in schwere wirtschaftliche und soziale Krisen. Mühsam errungene Entwicklungserfolge der vergangenen Jahre werden von dem Virus mit einem Handstreich kassiert. Zweifellos gibt es in vielen Ländern des Globalen Südens auf nationaler Ebene reichhaltige Möglichkeiten, Ressourcen zu akquirieren, um die Krise zu bearbeiten. Die Erhöhung der Steuerlast für die Wohlhabenden und einmalige Vermögensabgaben für die Eliten stellen nicht nur in Lateinamerika einen Königsweg dar. Auch Waffenkäufe sollten eingefroren und die eingesparten Mittel in eine Stärkung der Gesundheits- und Sozialsysteme gesteckt werden.

Und dennoch: Die Bearbeitung der sozialen Krise durch die Pandemie erfordert auch internationale Solidarität. Sollte die internationale Gemeinschaft die endlosen Bekenntnisse zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) ernst meinen, müssen jetzt mutige Entscheidungen getroffen und breit ausfinanziert werden. Andernfalls sind die Ziele für 2030 bereits Ende 2020 Makulatur.

Doch es geht nicht um Statistiken: Im Zentrum stehen Menschenleben. Deshalb muss jetzt rasch und entschlossen gehandelt werden. Denn die direkten (gesundheitlichen) und indirekten (wirtschaftlichen, sozialen und politischen) Folgen des Corona-Virus haben eines gemeinsam: Langes Abwarten führt zu einer Verschärfung der Situation, die bald unkontrollierbar werden könnte. Kluge Entwicklungspolitik ist auch und insbesondere Krisenpräventions- und mithin Friedenspolitik.

Das Säbelrasseln zwischen den Weltmächten verdeutlicht, dass in der Realpolitik die Zeichen der Zeit weiterhin nicht verstanden werden. Dabei sind die Konsequenzen der Corona-Pandemie ein eindringlicher Weckruf an die Internationale Politik. Den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – einschließlich globaler sozialer Ungleichheiten, Gesundheitsrisiken und des Klimawandels – kann nur durch internationale Kooperation und weitsichtige Politiken begegnet werden. Hierfür braucht es eine Neuorientierung der Weltpolitik und eine Stärkung von Stimmen der Zivilgesellschaft insbesondere aus dem Globalen Süden.

Anmerkungen

1) Die Corona-Pandemie entwickelt sich weiter sehr dynamisch: Der Artikel wurde am 20. Juli 2020 fertiggestellt.

2) So wird das Virus von der al-Shabaab-Miliz in Somalia als »Strafe Gottes« interpretiert.

Literatur

Posen, Barry R. (2020): Do Pandemics Promote Peace? Why Sickness Slows the Way to War. Foreign Affairs, 23.4.2020.

Prof. Dr. Stefan Peters ist Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Direktor des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) in Bogotá.
Emily Salome Ritzel ist Juristin; sie studierte an der Universität Leipzig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Europarecht, Völkerrecht und Menschenrechte.

Friedenslogik

Friedenslogik

Eine praxisorientierte Theorie mit noch offenen Enden

von Christiane Lammers

Seit mehr als zehn Jahren arbeiten Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen und Bildungsarbeiter*innen an einem Konstrukt, das unter dem Begriff »Friedenslogik« firmiert. Die Zusammenführung verschiedener Perspektiven, Erfahrungswissensbestände und theoriegeleiteter Zugänge ermöglichte, dass aus dem anfangs eher intuitiven Gegenbegriff zu der in den 2000er Jahren allseits beschworenen »vernetzten Sicherheit« eine Theorie für die Arbeit am Frieden wurde. Gleichwohl sind viele Fragen noch offen.

Das Grundgerüst der Friedenslogik fußt auf der Erkenntnis, dass Frieden einerseits durch die Abwesenheit von Gewalt und andererseits durch Beziehungssysteme bestimmt ist. Ziel des Konzepts ist, zu einer Veränderung von Praxis beizutragen, sei es auf sozialer, sei es auf politischer Ebene. Die Richtung ist jedoch klar: Es geht um die Verminderung von Gewalt.

Fünf Handlungsprinzipien wurden von H.-M. Birckenbach herausgearbeitet,1 sodass auf der Grundlage wesentlicher Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung ein praxistaugliches, kohärentes Gerüst entstand.

1. Gewaltabbau und Gewaltprävention

Friedenslogisch betrachtet wird bei der Konfliktbearbeitung die Gewaltdimension in den Mittelpunkt gerückt. Bestehende Gewalt soll verringert, drohende Gewalt verhindert werden. Gewalt wird nach Galtung hierbei verstanden als Erfahrung der Nichtbeachtung von Grundbedürfnissen.

Mit der Prämisse, primär danach zu fragen, wo Menschen in einem Konflikt Gewalt erfahren, wird automatisch die Opferperspektive viel zentraler als dies bei nicht-friedenslogischem Handeln der Fall ist. Viele politische Entscheidungen müssten anders getroffen und vor allem begründet werden, wäre die Opferper­spektive ausschlaggebend für die Fokussierung auf einen Konflikt.

Eines der einleuchtendsten Beispiele für die Nichtbeachtung dieses Prinzips ist das der Rüstungsexporte. Die Entscheidung, ob Menschen Opfer werden durch den in Kauf genommenen Einsatz deutscher Waffen, wird aufgrund der folgenden, offiziell geltenden Prüfkriterien getroffen: Achtung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, keine Nutzung des Rüstungsgutes zur Verschärfung von Spannungen oder zu sonstigen friedensstörenden Handlungen. Angewandt werden diese Kriterien nur auf Nicht-NATO-Importstaaten, also z.B. nicht auf die Türkei. Und trotz dieser Kriterien werden Waffen an die
Vereinigten Arabischen Emirate und an Ägypten (beide beteiligt am Krieg im Jemen) geliefert.

2. Konfliktanalyse unter Einbeziehung eigener Verantwortung

Konfliktbearbeitung kann nur gelingen, wenn eine tiefreichende Konfliktanalyse die Komplexität des Konfliktes erfasst. Hierzu gehört ein so genanntes Akteursmapping über die Beteiligten, die Art ihrer Beteiligung und ihrer Beziehungen, ebenso wie Klarheit über Konfliktursachen, mit dem Konflikt verbundene Interessen etc. Die Analyseinstrumente stehen schon seit Jahrzehnten zur Verfügung, auch das Datenmaterial könnte aufgrund vielfältiger Informationsquellen in der transparent gewordenen, global vernetzten Welt zusammengeführt werden. Säulendenken in Form von ministeriellen Abgrenzungen,
die Nichtberücksichtigung zivilgesellschaftlicher Warnungen, Handlungsbereitschaft erst in eskalierten Situationen und die daraus resultierende Kurzfristigkeit des Handelns oder gar das Bestreben, mithilfe eines entsprechenden Handlungsinstrumentariums Macht zu demonstrieren, verhindern eine frühzeitige und umfassende Konfliktanalyse.

Ein weiterer Anspruch bleibt oft unerfüllt: Soll die Analyse zu wirksamen Handeln führen, dann ist ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, wo man selbst Anteile an dem Konflikt hat. Die Veränderung eigenen Handelns ist allemal einfacher als auf das Handeln Dritter Einfluss zu nehmen. Dies betrifft in einer Vielzahl von Fällen vor allem mittelbare Wirkungsketten, die es nachzuzeichnen gilt.

Viele Beispiele hierfür finden sich in der Verschlechterung der existenziellen Lebensbedingungen als Konfliktursache. Aktuell wird dies in Bezug auf die ökologisch verursachten Konflikte thematisiert, die ihren Ausgangspunkt in den von uns zu verantwortenden Klimaveränderungen hat. Es geht aber auch um das »Land Grabbing«, also die Aneignung von Land auf Kosten von Kleinbauern, um Nahrungsmittel für den Weltmarkt anzubauen, oder um unsere Nahrungsmittelexporte, die in den Importgebieten die heimische Landwirtschaft zerstören.

Andere Beispiele sind Folge der Finanzierung gewaltförmiger Konflikte. Sie reichen vom Handel mit »Blutdiamanten« über den Kauf wertvoller Kulturgüter aus den so genannten IS-Gebieten bis hin zum Erdölimport aus dem Mittleren Osten.

3. Deeskalation und Konflikt­bearbeitung unter Beachtung der Dialog- und Prozessverträglichkeit

Mit Blick auf die Opfer gewaltförmiger Konflikte ist die Deeskalation eines Konflikts zentral.

Das Handeln soll also darauf gerichtet sein, wie eine Situation entschärft werden kann. In zweierlei Hinsicht ist dies von Bedeutung: Einerseits wird die Gewaltanwendung verringert und damit werden Opfer geschützt; andererseits wird der Konflikt selbst, also in seiner Substanz, einer Bearbeitung zugeführt. Mit Deeskalation ist nicht gemeint, dass nach einer Gewaltminimierung die Bearbeitung des Konfliktes ad acta gelegt wird. Ausgehandelte Waffenruhen sind sehr fragil, Schutzzonen unter UN-Mandaten sind nur eine Notlösung.

Der Vielfältigkeit von Konfliktbearbeitungsformaten sind im Konzept der Friedenslogik keine Grenzen gesetzt. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich vor dem Handeln nicht nur Klarheit über den Konflikt verschafft hat, sondern auch über die eigene realistische Zielsetzung, die damit verbunden ist.

Zwei friedenslogische Ansprüche an die Konfliktbearbeitung geben dieser zusätzliche Orientierung: Die Dialogverträglichkeit greift die Erkenntnis auf, dass Konflikte am Ende, jenseits einer Friedhofsruhe, nur in einem Dialog zwischen den beteiligten Akteuren geregelt werden können, also kooperativ. Werden Maßnahmen getroffen, die der Schaffung von Dialogmöglichkeiten entgegen stehen, etwa durch Vorbedingungen, die einer Seite unannehmbar erscheinen, oder durch Ignoranz gegenüber Konfliktakteuren und entsprechende Ausschlussverfahren, dann wird die Wahrscheinlichkeit einer guten,
nachhaltigen Lösung geringer. Ähnliches gilt für die Prozessverträglichkeit der getroffenen Entscheidungen: Sind Handlungen nicht eingebunden in einen Gesamtprozess, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht nachhaltig wirken, ins Leere laufen oder sogar kontraproduktiv sind, wesentlich erhöht.

Ein jüngstes Beispiel für die (späte) Einsicht in die Notwendigkeit einer kooperativen Problemlösung sind die nun begonnenen Dialoge der US-amerikanischen Regierung über die Zukunft Afghanistans unter Einschluss der Taliban. Ein anderes Beispiel ist der stetig gewaltförmige Konflikt zwischen Israel und Palästina, aus dem es kein Entrinnen gibt, wenn nicht beide Seiten in einen Dialog treten zur Aushandlung der verschiedenen berechtigten Interessen.

4. Werteorientierte Überprüfung und Unterordnung bzw. Modifikation eigener Interessen

Politisches Handeln in demokratisch organisierten Systemen muss begründet werden. Begründungen legitimieren nicht nur Handlungen, sondern sie können auch helfen, das Handeln entsprechend zu qualifizieren. Das vierte Prinzip der Friedenslogik nimmt eine Einordnung der im Raum stehenden Begründungen für »Interventionen« in Konflikten vor. Es betrifft sowohl die Grundsatzentscheidung, ob überhaupt interveniert wird, als auch die Einzelentscheidungen über Maßnahmen, also das Wie. Im Raum der Begründungszusammenhänge stehen die ethischen Werte, denen Handeln genügen muss, aber auch die
Interessen, die Akteure mit ihrem Handeln konkret verfolgen. Für Deutschland gilt, dass Handeln zweifach ethisch gebunden ist: zum einen durch das Grundgesetz Art. 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) und Art. 2 („Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“), zum anderen durch die Unterzeichnung
der Charta der Vereinten Nationen, also das Völkerrecht. Im alltäglichen Handeln werden diese Werte nur allzu oft in den Hintergrund gerückt. In den Begründungen dominieren oft Interessen, die eher kurzfristig und eindimensional sind, oder es findet eine Gleichsetzung bzw. Gleichwertsetzung von ethischen Grundsätzen mit Interessen statt. So werden z.B. in den »Verteidigungspolitischen Leitlinien« der Bundesregierung die „Werte“ der deutschen (Sicherheits-) Politik und „unsere Interessen“ gleichermaßen und gleichrangig betont.

Um dieser Verwischung vorzubeugen und damit auch dem ersten friedenslogischen Prinzip gerecht zu werden, bedarf es einer ständigen werteorientierten Überprüfung des Handelns. Der mögliche Widerspruch zu vermeintlichen Interessen kann nur aufgelöst werden, indem eigene Interessen hintangestellt, modifiziert oder korrigiert bzw. Handlungsoptionen gefunden werden, die sowohl den Werten entsprechen als auch die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen. Einfach ist dies nicht!

Ein Beispiel: In der Diskussion um die Notwendigkeit von Rüstungsindus­trie ist ein häufig vorgebrachtes Argument das des Erhalts von Arbeitsplätzen. Dem Wert, Gewalt durch Rüstungsproduktionsabbau vorzubeugen, steht das Interesse, Arbeitsplätze zu erhalten, entgegen. Dieser Widerspruch kann durch Rüstungskonversion aufgelöst werden. Ein anderes Beispiel, bei dem es ganz klar um die Unterordnung von Interessen gehen muss, ist die Flüchtlingsrettung, sei es direkt aus dem Mittelmeer, sei es aus den humanitär katastrophalen Bedingungen auf den griechischen Inseln und in anderen
Flüchtlingslagern.

5. Offene Reflexion des bisherigen Vorgehens und Möglichkeit zur Korrektur

Fehleinschätzungen beim Handeln in Konflikten liegen fast in der Natur der Sache, insbesondere wenn es um Handeln in anderen kulturellen Zusammenhängen, um eine Gemengelage von beteiligten Akteuren, um historisch gewachsene Konflikte, um politische Machtinteressen versus gesellschaftliche Entwicklung geht. Oftmals werden nicht-intendierte Wirkungen nach anfänglichen Erfolgen erst mittelfristig, d.h. mit Verzögerung, sichtbar. Um nicht in diese Falle zu laufen, gilt es Vorkehrungen zu treffen. Hierzu gehört neben der oben schon angesprochenen genauen Klärung realistischer Ziele und einer
Fortschreibung der Konfliktanalyse eine ständige prozessbegleitende Überprüfung der Wirkungen. Evaluationsinstrumente müssen das Handeln begleiten; die Reflexion muss ergebnisoffen und durch unabhängige Kompetenzträger qualifiziert werden. Die Implementierung einer Fehlerkultur ist vonnöten. Darunter ist nicht die Ignoranz gegenüber Fehlern zu verstehen, sondern ein konstruktiver Umgang mit ihnen. Statt der Konzentration auf Fehlervermeidung, der Fehlervertuschung und der Tendenz zum Nichthandeln wird aus Fehlern produktiv gelernt und nach Alternativen gesucht.

An Wissen und auch an für die Anwendung dienlichen Instrumenten zur Planung, Beobachtung und Bewertung (Planning, Monitoring, Evaluation) mangelt es bei zivilgesellschaftlicher Friedensarbeit zumeist nicht. Hier ist es auch Usus, dass diese Instrumentarien fester Bestandteil von Ausbildungsprogrammen sind. In staatlichen und politischen Handlungsräumen werden diese Instrumentarien dagegen noch eher verhalten angewandt, zumindest jedoch die Ergebnisse einer offenen Diskussion vorenthalten.

Der Umgang mit den verschiedenen militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte ist ein Paradebeispiel hierfür. Der von vielen als gescheitert eingestufte Bundeswehreinsatz in Afghanistan führte zumindest zu einer parlamentarischen Beratung über die Notwendigkeit von Evaluationen. Entsprechende Gesetzentwürfe der Jahre 2016 und 2018 wurden jedoch u.a. mit dem Argument abgelehnt, durch Evaluationen würde das Regierungshandeln eingeschränkt.

Sicherheitslogik vs. Friedenslogik – eine Übersicht

Die Erfahrung, dass aktuelle friedenspolitische Debatten in den letzten 20 Jahren zunehmend durch sicherheitspolitische Strategien und Konzepte dominiert oder verdrängt wurden, legt es nahe, auch die immanenten Unterschiede zwischen Sicherheitslogik und Friedenslogik deutlich zu machen. Unter Mitwirkung von Sabine Jaberg und in Ergänzung zu ihren bisherigen Arbeiten wurde eine tabellarische Übersicht entwickelt (siehe Tab. 1). Sie orientiert sich an Leitfragen, die im Rahmen der konzeptionellen Entwicklung einer Konfliktbearbeitung zu beantworten sind. Um Missverständnissen vorzubeugen:
Auch hier geht es um theoretisch hergeleitete Prinzipien und Prämissen, nicht um eine 1:1-Abbildung von Realitäten, die immer komplexer als beschrieben und von Grautönen geprägt sind.

Fragestellung und Sicherheitslogische Antwort Friedenslogische Antwort
Handlungsfokussierung
Was wird als Problem wahrgenommen? Bedrohung, Gefahr, Unsicherheit Gewalt, die stattfindet oder bevorsteht
Handlungen orientieren sich an Gefahrenabwehr und Verteidigung Gewaltprävention und Gewaltminimierung zum Schutz von Betroffenen
Wodurch ist das Problem entstanden? Durch andere/von außen kommend als Folge komplexer Konflikte
Handlungen zielen auf Schuldzuschreibung, Wahrung eigener Interessen Konfliktanalyse und Konflikttransformation – eigene Konfliktanteile einbeziehend
Wie wird das Problem bearbeitet? mit Selbstschutz (Abschreckung, Drohung, Einsatz von Gewaltmitteln) durch kooperative Konfliktbearbeitung
Handlungsansätze sind Abschottung, Ausbau des Sicherheitsapparats, Drohungen bis hin zum Einsatz von Gewaltmitteln Deeskalation, Schutzmaßnahmen für Opfer, gewaltlose Konfliktbearbeitung – dialogverträglich und prozessorientiert
Wodurch wird eigenes Handeln gerechtfertigt? mit dem Vorrang eigener Interessen mit der Universalität von Menschen- und Völkerrecht
Rechtfertigung führt zu Relativierung, Unterordnung und Anpassung von Normen an eigene Interessen werteorientierter Hinterfragung eigener Interessen und ihrer Modifikation im Sinne globaler Normen
Wie wird auf Scheitern und Misserfolg reagiert? mit Selbstbestätigung, ohne Selbstkritik mit offener, kritischer Reflexion
Handlungsfolge ist Verschärfung der bisher eingesetzten Mittel oder Rückzug in die Passivität Einräumung von Problemen bzw. Fehlern und Suche nach gewaltfreien Alternativen

Tab. 1: Quelle: Flyer »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2. Aufl., 2019.

Die offenen Enden des roten Fadens Friedenslogik

Sicherlich liegen dem Leser/der Leserin schon viele Fragen auf der Zunge, die auf die konkrete Umsetzung der theoretischen Prämissen des Konzepts abzielen. Ohne diesen ausweichen zu wollen, sei zunächst betont, dass es sich bei dem Konzept oder besser Konstrukt nicht um einen Instrumentenkasten handelt, den man einfach so auspacken und ohne weiteres Nachdenken nutzen kann. Theorie kann vor allem helfen, Wirklichkeit zu reflektieren und zu erklären, im Falle der Friedenslogik aber auch, Handlungsorientierung zu geben.

In der Arbeit an und mit der Friedenslogik wurde die Theorie auf verschiedene Felder der Friedens- und Konfliktarbeit angewandt. Dabei wurden weiter zu durchdenkende Fragekomplexe sichtbar:

  • Gewalteinsatz zur Verhinderung von Gewalt ist seit jeher ein hoch problematisches Thema. Allein der Hinweis auf die dringende Notwendigkeit von Gewaltprävention oder der Verweis auf den Erfolg gewaltfreier Gegenwehr reichen als Antwort der Friedenslogik m.E. nicht aus. Normen, wie das Völkerrecht, haben Gewalt nicht grundsätzlich geächtet, jedoch die Legitimität eng begrenzt. Zusätzlich zu dieser »Eindämmung« kommt friedenslogisch betrachtet die Notwendigkeit hinzu, dass ein Gewalteinsatz die Gewaltspirale nicht weiter in Schwung bringen darf. Auch oder gerade beim Einsatz von Gewalt
    müssen die Opfer weiter im eigenen Handlungsfokus bleiben, Wege zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung dürfen nicht versperrt werden. Ob dies realistisch betrachtet möglich ist, ist vorläufig eine offene Frage.
  • Sicherheit ist – begrenzt – ein legitimes Bedürfnis oder Anliegen. Sie zu gewährleisten gilt als ureigenste Aufgabe des Staates. Wenn Sicherheitspolitik aber der oben kurz skizzierten Eigenlogik unterliegt, wie kann diese durchbrochen werden? Lässt sich eine Systematik entwickeln, die das sicherheitspolitische Instrumentarium kompatibel mit friedenslogischen Prinzipien macht? Konzepte der »Gemeinsamen Sicherheit« sind hierzu ein Stichwort.
  • Zwischen Friedens- und Entwicklungsarbeit wird seit den Anfängen der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland ein Zusammenhang gesehen, insbesondere auch bezüglich der Prävention von Gewalt. Dieser Nexus ist noch weitgehend undefiniert. Neuere Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass Inklusion ein zentrales gemeinsames Element ist. Auch ist zu beobachten, dass Friedens- und Entwicklungsförderung nicht linear zueinander erfolgen. Langfristig angelegte Transformationsprozesse könnten ein Schlüssel sein, verlangen aber ihrerseits ein komplexes, kaum handhabbares
    Setting.2
  • In der Menschenrechtsarbeit spielt die Frage des Schuldeingeständnisses und der Wiedergutmachung eine große Rolle. In der Praxis der Konfliktbearbeitung wird dies manchmal eher als hinderlich gesehen, um sich offen und unbelastet der »Zukunft« zuzuwenden. Vergangenheitsbewältigung erscheint deshalb nachrangig bei der Bewältigung aktueller Probleme. Konfliktanalyse, werteorientierte Bearbeitung und kritische Reflexion könnten die Kompatibilität herstellen.
  • Die Dialoggestaltung zwischen Konfliktbeteiligten ist in der Praxis eine Herausforderung. Täter- und Opfer-Zuschreibungen spielen eine Rolle, Machtsysteme eine noch größere, ebenso die Frage, durch wen und wie eine Moderation erfolgen kann, wie Verbindlichkeit hergestellt wird etc.

Aus Forschung und Praxis der Mediation gibt es hierzu wichtige Beiträge, die diese Problematiken aufgreifen. Sie sind jedoch noch zu wenig implementiert.3

  • Der Anspruch der Deeskalation widerspricht dem Verständnis, dass eine Konfliktverschärfung notwendig sei, um »an den Verhandlungstisch zu zwingen«. Erst durch die Eskalation würde eine öffentliche Sichtbarmachung erfolgen, wäre die Überführung in eine Konfliktbearbeitung möglich. Es stellt sich dann die Frage, auf wessen Kosten die Eskalation geht und ob dieses legitim ist und gewaltmindernd wirkt. Ist z.B. die Verweigerung von Medikamentenlieferungen friedensfördernd, um durch die damit erhoffte Destabilisierung Verhandlungsbereitschaft herzustellen? Hier bedarf es zumindest auch einer
    Plausibilitätsprüfung des Verhaltens.
  • Der ethische Maßstab »Menschenrechte« löst noch nicht das Problem, dass es im konkreten Fall Unvereinbarkeiten zwischen verschiedenen ethisch begründeten Werten geben kann. M.E. gibt es eine schwierige, aber doch zu rechtfertigende Priorisierung der Werte mit der Vorrangigkeit des Rechts auf Leben und der Unversehrtheit der Person. Vielleicht bleibt in bestimmten Situationen nur die Priorisierung humanitärer Handlungsoptionen anstatt direkt die Konfliktbearbeitung anzustreben.
  • Wie kann die Theorie der Friedenslogik wirkmächtiger werden? Im Rahmen des Projekts »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (2016-2017) und seitdem weit darüber hinaus wurden Workshops veranstaltet, fanden Vorträge in unterschiedlichen Organisationszusammenhängen statt. Die friedenslogischen Prinzipien wurden in Arbeitskonzepte integriert, wurden explizit zum Bestandteil von Fortbildungen, waren Bezugspunkt für Kritik an der herrschenden Politik. Ebenso wie für den Friedensbegriff ist es auch für die Friedenslogik vordringlich, sie nicht als
    zeitgeschichtlich gebundenes Konstrukt ad acta zu legen, sondern mutig daran und damit zu arbeiten.

Anmerkungen

1) Die erste umfangreichere Publikation zur Friedenslogik war das W&F-Dossier 75, »Friedenslogik statt Sicherheitslogik«, Beilage zu W&F 2-2014. Weiterführende Literatur- und Veranstaltungsberichte sind der Webseite der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung zu finden: konfliktbearbeitung.net/friedenslogik.

2) Siehe dazu Wolff, J. et al: Frieden und Entwicklung 2020 – Eine Analyse aktueller Erfahrungen und Entwicklungen. Frankfurt a.M.: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

3) Siehe dazu beispielsweise die Ausführungen zu einem Projekt des Berghof-Forschungszentrums: Göldner-Ebenthal, K. (2019): Verhandeln mit Jihadisten – Worauf kommt es an? Debattenbeitrag in peacelab.blog, 11.12.2019.

Christiane Lammers ist Redaktions- und Vorstandsmitglied von W&F, Mitglied der Arbeitsgruppe »Friedenslogik« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und wiss. Mitarbeiterin der FernUniversität in Hagen.

Der Frieden in Kolumbien


Der Frieden in Kolumbien

„… ist nicht der Frieden, den wir wollen“

von Dorothea Hamilton und Matthias Grenz

Im November 2016 wurde mit dem »Friedensvertrag von Havanna« der längste Bürgerkrieg der Welt beendet. Seit der Entwaffnung der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) herrscht im Land offiziell »Frieden«. Jedoch zeigen vielerlei soziale Missstände, dass ein dauerhafter Friede noch weit entfernt ist. Dem Friedensvertrag wurde international sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch wie wird diese Friedenszeit von der betroffenen Bevölkerung wahrgenommen? Welche Elemente des Friedensvertrags führen dazu, dass ein »positiver Frieden« noch in weiter Ferne scheint? Und was können wir von Kolumbien lernen?

Kolumbien kann dank des Friedensvertrages zwischen den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und der kolumbianischen Regierung als ein »Labor für Frieden« betrachtet werden, denn hier lassen sich in Echtzeit und gemeinsam mit Betroffenen die unterschiedlichen Friedensvorstellungen beobachten. Der mehr als 50 Jahre andauernde bewaffnete Konflikt zwischen der Guerillaorganisation und Regierungstruppen wurde mit dem »Friedensvertrag von Havanna« vom November 2016 offiziell beendet. Dieser findet international große Anerkennung; dem verhandelnden Präsidenten Manuel Santos wurde dafür der Friedensnobelpreis verliehen. Kritiker*innen des Vertrages bemängeln, dass es sich lediglich um einen „Frieden auf dem Papier“ (Naucke und Oettler 2018) handle. Es gehe nur um die Entwaffnung der FARC, andere Vereinbarungen, wie eine gerechtere Verteilung von Land an Kleinbauern, würden nicht eingehalten: Der Frieden von Santos ist nicht der Frieden, den wir wollen, denn zum Frieden, den die Landbevölkerung sucht, gehören soziale, ökonomische und politische Veränderungen. Aber dieser Frieden von Santos bedeutet, die Guerilla zu entfernen, um unsere Territorien den multinationalen Konzernen zu geben.(Interview A).

Andauernde Probleme, wie das Aufkommen neuer bewaffneter Gruppen, die teilweise Wiederbewaffnung der FARC, die Ermordung von Menschen- und Umweltaktivist*innen sowie ehemaligen Kämpfer*innen und die mit der Ausweitung illegaler Ökonomien, wie Drogenanbau oder Goldabbau, verbundene Gewalt, werfen die Frage auf, ob die Abgabe der Waffen tatsächlich als »Frieden« bezeichnet werden kann. Bereits in der Vergangenheit wurden in Kolumbien mit verschiedenen bewaffneten Gruppen Friedensverträge ausgehandelt. Diese führten zwar zur offiziellen Auflösung bewaffneter Gruppen (z. B. 1991 der Guerillagruppen EPL, M-12 und Quintin Lame, 2005 der Paramilitärvereinigung AUC), jedoch nicht zur Beendigung des bewaffneten Konflikts, da sich viele bewaffnete Akteure lediglich umbenannten und neu formierten (Nussio 2016, S. 3).

Einen theoretischen Rahmen für die differenzierte Betrachtung des Verhältnisses von Friedensvertrag und »Frieden« bietet Johann Galtungs Konzept des positiven bzw. negativen Friedens. Negativer Frieden ist als Abwesenheit kriegerischer Gewalt“ (Galtung 1969, S. 161 f.) zu verstehen, wohingegen sich der positive Frieden durch eine gesellschaftliche Transformation und Mitsprache auszeichnet. In Kolumbien kann aufgrund der Abgabe der Waffen von einem negativen Frieden gesprochen werden. Das Eingangszitat macht deutlich, dass viele weitere Schritte fehlen, damit ein positiver Frieden entstehen kann. Dazu ist es notwendig einen „territorialen Frieden“ (Maihold 2016) anzustreben, also dem Subsidiaritätsprinzip folgend die Umsetzung eines Friedens »von unten«. Dazu gehört es auch, lokale Verständnisse dessen, was Frieden beinhalten sollte, einzubeziehen.

Positiver Frieden durch den Friedensvertrag?

In einer quantitativen repräsentativen Untersuchung befragten wir ein Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages in der Stadt Cali 144 Personen unterschiedlichen Geschlechts, Alters, sozioökonomischen Standes und Berufs dazu, wie sie die Umsetzung eines dauerhaften Friedens einschätzten. Die ernüchternden Ergebnisse der Erhebungen zeigten, dass lediglich 22 % der Befragten an einen dauerhaften Frieden unter den gegebenen Voraussetzungen glaubten. Nur knapp 17 % der Befragten glaubten an die friedliche Koexistenz aller ehemals beteiligten Konfliktakteure mit der Zivilgesellschaft (Grenz 2019).

Im Altersvergleich fielen insbesondere die Gruppe der 16- bis 25-jährigen, die unteren sozialen Schichten und die sehr Wohlhabenden durch ihre sehr pessimistische Haltung in Bezug auf den Frieden auf. Die kolumbianische Zivilgesellschaft kann sich kaum eine reale Umsetzung des Friedens vorstellen. Dies wirft die Frage auf, weshalb die Befragten gegenüber dem Friedensvertrag so pessimistisch eingestellt sind.

Extraktivismus als Hindernis für Frieden

Neben vielen weiteren Problemen der Umsetzung ist einer der Kernkritikpunkte am Friedensvertrag von Havanna, dass das extraktivistische Wirtschaftsmodells nicht benannt wird. Kritiker*innen sind der Meinung, dass die Entwaffnung der FARC vor allem eine politische Voraussetzung für die Ausweitung der extraktivistischen und neoliberalen Wirtschaftslogik sei (z.B. Colmenares 2016, Velasquez 2015). In den vormals von der FARC kontrollierten Gebieten können nun die vorhandenen Ressourcen auf Kosten der Umwelt und der lokalen Bevölkerung ausgebeutet werden. Ein Umweltaktivist fasste diese Position mit folgenden Worten zusammen: „Natürlich wollen wir Frieden, alle wollen Frieden, aber dieser Frieden begünstigt vor allem die Großkonzerne. (Interview B)

Kolumbiens Wirtschaft beruht traditionellerweise stark auf Kaffee und Kohle und soll auf Gold, Kupfer und Coltan ausgeweitet werden. Die Regierung betont, dass insbesondere die Ausbeutung nicht-regenerativer Ressourcen notwendig sei, um einen langfristigen Frieden finanzieren zu können. Die kapitalistische Inwertsetzung der vorhandenen »ungenutzen« Rohstoffe mineralischer oder agrarischer Art soll zur Reduzierung der sozialen Spaltung beitragen (Interview C).

Jedoch ist die Exportorientierung auf unverarbeitete Rohstoffe seit der Kolonialisierung Teil eines Wirtschaftssystems, das bestehende Machtasymmetrien reproduziert und mit Umweltzerstörung und Unterdrückung anderer, z.B. indigener, afrokolumbianischer oder kleinbäuerlicher, Lebensweisen einhergeht (Hamilton 2018). Selbstbestimmte Entwicklungsvorstellungen der Lokalbevölkerung über den Umgang mit ihrer Umwelt, die Voraussetzung für einen positiven Frieden wären, werden mit Verweis auf ihre »Fortschrittsfeindlichkeit« diffamiert und mitunter kriminalisiert. Die räumliche Ausweitung der vermeintlich produktiven Logik hat bereits jetzt den Verlust der Biodiversität in vormals durch den bewaffneten Konflikt geschützten Gebieten zur Folge (Reardon 2019).

Vonseiten der Regierung wird ignoriert, dass die extraktivistische Logik mit zur gegenwärtigen Situation im Land geführt hat. Der Friedensvertrag klammert den Umgang mit den natürlichen Ressourcen, mit Ausnahme der Landfrage und der illegalen Drogen, komplett aus. Die Kritik am extraktivistischen Wirtschaftsmodell ist Kernbestandteil des so genannten »Acuerdo de Quito«, des angedachten Friedensvertrags mit der kleineren Guerillaeinheit ELN (Nationale Befreiungsarmee). Dessen Umsetzung ist allerdings aus verschiedenen Gründen fraglich (Maihold 2016).

Postkonflikt oder Post-Acuerdo?

In Kolumbien kursieren verschiedene Begriffe, welche die Zeit nach dem Friedensvertrag beschreiben. Während von offizieller Seite die derzeitige Phase als »Postkonflikt« bezeichnet wird, verwenden Kritiker*innen den Begriff »Post-Acuerdo«, also Zeit »nach dem Vertrag«, um damit auf die anhaltende Gewalt und den fehlenden positiven Frieden hinzuweisen. Die Bezeichnung »Post-Acuerdo« verweist auf den »negativen Frieden«, der zwar die Entwaffnung der FARC und eine generelle Abnahme der Gewalt mit sich bringt, aber die Bekämpfung der eigentlichen Konfliktursachen weitestgehend außer Acht lässt. Ein ehemaliger Kämpfer der demobilisierten M-19 beschrieb die Voraussetzung für einen positiven Frieden so: „Die Art der Veränderung, die das Land braucht, ist durch strukturelle Reformen bedingt, die nicht im Friedensvertrag festgelegt wurden, und würde voraussetzen, dass die Demokratie ausgebaut wird. Dazu gehört auch eine Transformation der Vorstellungen über Frieden und Gewalt […] Ich glaube, dass es sehr naiv ist, zu glauben, dass der Friedensvertrag mit den FARC allein zu einem stabilen und nachhaltigen Frieden führen wird. (Interview D)

Die Bezeichnung »Postkonflikt« hingegen ignoriert die anhaltenden sozialen Missstände und vergisst, auf die Folgekonflikte der so genannten Post-Bürgerkriegsgesellschaft einzugehen. Die Kernprobleme des Landes, wie Ungleichverteilung, anhaltende Gewalt und Ungleichheit, werden durch den bestehenden Vertrag nicht gelöst, sondern möglicherweise durch die zukünftige Ausweitung des extraktivistischen Wirtschaftsmodells noch verstärkt. Eine Kaffeebäuerin antwortete auf die Frage, ob der Friedensvertrag ihr Leben verändert habe, so: Ich würde sagen, dass es sehr wenig verändert hat, man sagt, dass jetzt, wo der Frieden unterschrieben wurde, alles normal wird, aber das stimmt nicht. Es ist nicht normal, es gibt weiterhin Kriege, die Unterstützung, die den Kleinbauern versprochen wurde, hat nicht stattgefunden. (Interview E)

Der bewaffnete Konflikt und somit auch der Friedensvertrag sollten vielmehr als Symptom einer weitaus größeren Problematik verstanden werden. Denn schon in den Zeiten vor dem offiziellen Konflikt befand sich Kolumbien kaum in einem Zustand des positiven Friedens. Im derzeitigen Friedensprozess werden jedoch die eigentlichen Ursprünge der Situation in Kolumbien kaum thematisiert. Durch die Entstehung von bewaffneten Guerillabewegungen, paramilitärischen Einheiten und einem bis heute florierenden Drogenhandel wird der Blick mehr auf die Symptome als auf die eigentlichen Ursachen der prekären Situation in Kolumbien gelenkt.

Somit ist der Friedensschluss mit den FARC zwar ein Schritt in Richtung Frieden, jedoch kommt davon in der Praxis vielerorts nichts an. Ein Vertreter einer Bauernorganisation verwies darauf wie folgt: „Dafür hat Santos den Friedensnobelpreis gewonnen. Das hilft ihm, aber uns hat es nichts geholfen. (Interview B) Und eine Bäuerin warf ein, dass Frieden nicht eine nationale, politische Entscheidung sei, sondern „den Frieden müssen wir bei uns zu Hause anfangen“ (Interview E).

Literatur

Colmenares, R. (2015): Naturaleza en disputa y paz. In: Giraldo Isaza, F., Revéiz, E. (Hrsg.): El posconflicto – Una mirada desde la academia. Bogotá: Academia Colombiana de Ciencias Económicas, S. 143-152.

Galtung, J. (1969): Violence, Peace, and Peace Research. Journal of Peace Research, Vol. 6, Nr. 3.

Grenz, M. (2019): Zur Perzeption des Friedensprozesses bei der kolumbianischen Bevölkerung. Wissenschaftliche Abschlussarbeit, Fachbereich Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen.

Hamilton, D. (2018): Ein neues El Dorado – In Kolumbien wehren sich lokale Gemeinden gegen den Goldabbau. iz3w, Nr. 365, S-10-11.

Maihold, G. (2016): Kolumbien und der »vollständige Frieden«. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 43.

Naucke, P.; Oettler, A. (2018): Kolumbien – Frieden in Gefahr? Wissenschaft und Frieden 2-2018, S. 5.

Nussio, E. (2016): Frieden und Gewalt in Kolumbien. Zürich: Center for Security Studies der ETH Zürich, CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr.191.

Reardon, S. (2018): Peace is killing Colombia’s jungle – and opening it up. Nature, Nr. 558.

Velásquez, F. (2015): Paz territorial e indústrias extractivas en Colombia. In: Giraldo Isaza, F., Revéiz, E. (Hrsg.): El posconflicto – Una mirada desde la academia. Bogotá: Academia Colombiana de Ciencias Económicas, S. 153-168.

Zitierte Interviews

Interview A, 5.10.2017, Cauca, Kolumbien: Führungsperson der Asociación Nacional de Usuarios Campesinos – Nationale Bauernvereinigung.

Interview B, 27.9.2019, Quindío, Kolumbien: Umweltaktivist.

Interview C, 26.10.2017, Bogotá, Kolumbien: Vorsitzende der Colombian Mining Association.

Interview D, 4.8.2017, Valle del Cauca, Kolumbien: Demobilisierter Kämpfer der ehemaligen Guerillagruppe M-19.

Interview E, 12.1.2018, Cauca, Kolumbien: Kleinbäuerin.

Dipl.-Geogr. Dorothea Hamilton ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie der JLU Gießen und hat in Marburg neben Geographie auch Friedens- und Konfliktforschung studiert. Sie promoviert zum Umgang mit Ressourcen in Postbürgerkriegssituationen in Lateinamerika. Im Rahmen ihrer Recherchen verbrachte sie zwischen 2017 und 2019 mehrere Aufenthalte in Kolumbien.
Matthias Grenz ist Geograph und Lehrer. Er absolvierte kurz nach der Unterschreibung des Friedensvertrages in Kolumbien ein Schulpraktikum an der Deutschen Schule Cali. Zudem forschte und studierte er an der öffentlichen Universität in Cali und gab in einem Camp ehemaliger FARC Kämpfer*innen Englisch- und Geographie­unterricht.